Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesminister für Verkehr hat am 17. Februar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hirsch, Dichgans, Mertes und Genossen betr. Überschallverkehr — Drucksache VI/331 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/403 verteilt.
Der Parlamentarische Staatssekretär des Bundesministers der Verteidigung hat am 18. Februar 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rollmann, Damm, Ernesti, Dr. Klepsch und Genossen betr. Fahrkosten in der Bundeswehr — Drucksache VI/324 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/407 verteilt.
Wir fahren in der Behandlung von Punkt 2 der gemeinsamen Tagesordnung fort:
a) Erste Beratung ,des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1970
—.Drucksache VI/300 —
b) Beratung des von der Bundesregierung vorgelegten Finanzplans des Bundes 1969 bis 1973
— Drucksache VI/301 —
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wörner. Für ihn sind 45 Minuten Redezeit beantragt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese Regierung ist angetreten mit dem Anspruch, die Bundesrepublik zu erneuern. Sie muß es sich gefallen lassen, an diesem Anspruch gemessen zu werden.Hundert Tage sind keine lange Zeit. In hundert Tagen kann man sicher keine Wunder erwarten; man kann in hundert Tagen sicher auch nicht Reformen, und zwar durchgeführte Reformen, erwarten. Wir selbst, die wir lange genug regiert haben, wissen, wie schwierig es ist, Neues zu beginnen und Neues in die Wirklichkeit umzusetzen. Aber nicht wir, sondern der Herr Bundeskanzler, den ich leider noch vermisse,
hat selbst den Anspruch angemeldet, in hundert Tagen Zeichen zu setzen, und sicher reichen hundert Tage — oder besser gesagt: hundertzwanzig Tage — aus, um Maßnahmen einzuleiten, um Weichen zu stellen, um Bahn zu brechen, um Zeichen zu setzen.Nun, Herr Bundeskanzler, wir fragen Sie nach diesen Zeichen in den ersten hundert Tagen. Wo sind diese Zeichen? Wo ist auch nur ein bescheidenes Zeichen der Erneuerung der deutschen Politik?
Wo wird 'das sichtbar, was Sie als das moderne Deutschland zu schaffen versprachen? Wo hat sich auf innen-, auf wirtschafts-, auf gesellschaftspolitischem Gebiet auch nur im Ansatz irgend etwas Wesentliches geändert?Jeder von uns weiß, wie wichtig, ja geradezu wie unerläßlich es ist, daß wir unsere gesellschaftliche und staatliche Ordnung den Anforderungen unserer Zeit entsprechend weiterentwickeln, daß wir sie für die Zukunft tauglich machen. Unser Staat, unsere Gesellschaft leben in der Tat davon, daß sie auf der Höhe der Zeit bleiben. Die Jugend muß spüren, daß wir Verkrustungen dort aufbrechen, wo sie sich gebildet haben, daß wir nicht stehenbleiben.Nicht die Überzeugung, daß Reformen nötig sind, unterscheidet uns; was uns unterscheidet, ist die Einstellung zu dem, was diese neue Regierung vorgefunden hat. Was uns unterscheidet, sind in manchen Bereichen Ziel und Weg der Reform. Aber wonach wir Sie, Herr Bundeskanzler, fragen, das sind nicht die Worte „Reform" oder „Reformbereitschaft", sondern das sind die Taten.Herr Bundeskanzler, Sie und Ihre Partei haben im Wahlkampf kaum eine Chance ausgelassen, kaum eine Gelegenheit versäumt, unsere Wirklichkeit, die Wirklichkeit dieser Bundesrepublik, zu schmähen.
Sie haben diesen Staat und .die Politik der CDU/ CSU, die diesen Staat zwanzig Jahre lang regiert und geführt hat, als rückständig, als veraltet, als restaurativ abzuqualifizieren versucht.
— Ich komme gleich darauf.
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1470 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Dr. WörnerNun müssen Sie sich gefallen lassen, daß wir Sie nach Ihren neuen Wirklichkeiten, nach Ihren neuen Konzeptionen, daß wir Sie nach Ihrem modernen Deutschland fragen, Herr Bundeskanzler. Sie müssen sich gefallen lassen, daß wir uns jetzt in diesem Augenblick, wo es um die Beratung der Zahlen im Haushalt geht, nicht mit großen und anspruchsvollen Worten abspeisen lassen, sondern daß wir nach ,den Taten fragen, wie sie sich in den Zahlen dieses Haushaltsplanes und dieser mittelfristigen Finanzplanung niederschlagen.
Meine Damen und Herren! Von Reformen zu reden ist keine Kunst; das ist j a schon Mode geworden. Aber Reformen, die diesen Namen verdienen, setzen zweierlei voraus, nämlich erstens einmal Konzeptionen und zweitens den Mut, Prioritäten zu setzen,
auch und gerade finanzielle Prioritäten. Und nun frage ich Sie: Wo haben Sie denn in Ihrem Haushaltsplan, wo haben Sie in Ihrer mittelfristigen Finanzplanung über . das hinaus, was schon die Große Koalition beschlossen hatte, Prioritäten, Schwerpunkte gesetzt? Wo ist denn der angekündigte Vorrang der investiven vor den konsumtiven Ausgaben? Im Gegenteil, in dem Papier, das uns Ihr Finanzminister gegeben hat, müssen wir lesen, daß dieser Vorrang nun ad acta gelegt sei, und ich frage Sie: Ist nicht diese mittelfristige Finanzplanung, die Sie uns vorgelegt haben, nichts anderes — und das hat ,der Kollege Strauß hier gestern sehr deutlich gesagt — als die bloße Fortschreibung dessen, was schon die alte Regierung durchgesetzt hatte,
und zwar mit den Mitteln, die auch schon die vorige Regierung erwirtschaftet hatte?
Wir alle, glaube ich, sind uns darüber einig, daß der Bildungspolitik, daß der Förderung von Wissenschaft und Forschung Vorrang zukommt. Wir alle wissen, daß die Lebenschance des einzelnen Menschen genausogut wie die Entfaltung der gesamten Gesellschaft, die Produktivität unserer Volkswirtschaft und unser außenpolitischer Rang, kurz unsere gesamte Stellung in dieser Welt davon abhängen, ob es uns gelingt, unser Bildungssystem schnell und zeitentsprechend auszubauen. Neben Kompetenzen für den Bund und neben Konzeptionen, auf die wir uns hoffentlich einigen werden, braucht man dazu vor allen Dingen Geld, und zwar viel Geld. Und, Herr Bundeskanzler, gemessen an den Riesensummen, die dafür erforderlich sind, nehmen sich die Anstrengungen dieser Regierung bescheiden aus.
Gliedert man die Zahlen auf und vergleicht man sie mit der mittelfristigen Finanzplanung früherer Jahre, dann bleibt eben nichts als die Feststellung, daß der Zuwachs an Mitteln, die Sie in diesem Bereich bereitstellen, etwa dem entspricht, der schon in der früheren Finanzplanung angelegt war. Hier ist nichts, aber auch gar nichts passiert, was Sie berechtigen könnte, von Reform oder auch nur von Zeichen zu reden.
Im Gegenteil, meine Damen und Herren! Während unter Bundesminister Stoltenberg
die Ausgaben für den Bau — den Neubau und Ausbau — von Hochschulen seit dem Jahre 1965 jährlich um etw a 100 Millionen gewachsen sind, müssen wir Ihrer mittelfristigen Finanzplanung entnehmen, daß die Mittel für den Aus- und Neubau von Hochschulen vom Jahre 1970, wo sie 851 Millionen betragen, auf 841 im Jahre 1971, also um 10 Millionen zurückgehen.
Und nun frage ich Sie: Wie ernst nehmen Sie es eigentlich mit Ihrem Bekenntnis zur Beseitigung des Numerus clausus?
Wie verträgt sich das mit dem großen Anspruch, hier Zeichen zu setzen?
Wenn ich dann die 75 Millionen, die Sie jetzt in diesem Haushalt auch wieder für den Aus- und Neubau von Hochschulen sperren, dazunehme, dann muß ich sagen, das sind zwar Zeichen, aber Zeichen, die uns bedenklich und nicht freudig stimmen.
Wie steht es um die riesige Aufgabe der Umweltgestaltung und des Umweltschutzes, die sich aus der zunehmenden Technisierung und Verstädterung ergibt? Es ist gar keine Frage, daß uns diese Aufgabe mehr und mehr beschäftigen wird, daß wir unsere gesamten technischen Neuerungen, unseren Städtebau, Wohnungsbau, unsere Kraftfahrzeuge, Verkehrsmittel und Fabriken mehr daraufhin untersuchen, planen und entwickeln müssen, daß sie das Leben der Menschen erträglicher machen und es nicht gefährden. Worauf es ankommt, ist, technischen Fortschritt, Raumordnung, Städtebau und Infrastruktur aufeinander abzustimmen. Wo, Herr Bundeskanzler, bleiben in diesem Bereich die Zeichen?
Wo sind die steigenden Aufwendungen gegen Luftverschmutzung und für die Wasserreinhaltung, die doch auch nach den Ausführungen in Ihrer Regierungserklärung ganz entscheidend wichtig sind?
Im Bereich von Gesundheit und Sport beispielsweise müssen wir ebenfalls feststellen, daß die Mittel nicht etwa kontinuierlich steigen, sondern von 0,3 Milliarden im Jahre 1972 auf 0,2 Milliarden im Jahre
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1471
Dr. Wörner1973 zurückgehen und daß von 1970 bis 1973 eine Steigerung von ganzen 10 Millionen DM im Bereich von Gesundheit und Sport zu verzeichnen ist.
Ich frage mich: sind das die Zeichen, die Sie uns versprochen haben?
Wo bleiben, Herr Bundeskanzler, Zeichen einer Reform — einer Reform! — des Familienlastenausgleichs? Es ist auf die Dauer unerträglich, daß kinderreiche Familien wirtschaftlich und sozial benachteiligt sind, wobei wir unter „kinderreichen Familien" nicht die Familien mit zwei Kindern, sondern die mit mehr Kindern verstehen. Wir hoffen, daß Meldungen unrichtig sind, wonach die Regierung Überlegungen anstelle, die wenigen verfügbaren Mittel zu zersplittern, anstatt sie zu konzentrieren.Auch auf dem Gebiet der Vermögensbildung, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, ist Ihnen nichts anderes eingefallen als der Vorschlag, Leistungen nach dem 312-DM-Gesetz auf 624 DM zu erhöhen.
Nun mögen Sie, Herr Bundeskanzler, selber beurteilen, ob diese Maßnahme, diese schlichte Verdoppelung dessen, was Sie damals ja noch angegriffen haben, als wir es begonnen haben,
dem Anspruch standhält, Reform oder gar Zeichen zu sein.
Wir alle wissen, daß die Vermögensbildung in unserem Volk noch nicht gerecht ist. Wir sind uns, glaube ich, alle darüber einig, daß wir Eigentum breiter streuen müssen, daß wir mehr Arbeitnehmer in den Stand setzen müssen, Vermögen zu bilden. Dies kann auf die Dauer nur gelingen, wenn die Arbeiter und Angestellten in weit größerem Maße als bisher am Kapitalvermögen beteiligt werden. Dem allerdings werden Ihre Vorschläge, Herr Bundeskanzler, nicht gerecht. Wenn ich mir jetzt überlege, wie Sie und Ihre Partei im Wahlkampf diese einseitige Vermögensbildung angeprangert haben, dann muß ich sagen: da klafft ein großer Zwiespalt zwischen Ihren Ankündigungen und der Wirklichkeit, die wir jetzt vor uns haben.
Wir werden diese Regierung mit unseren eigenen Vorstellungen hier konfrontieren. Jedenfalls verzeichnen wir auch bei den Sparprämien und Wohnungsbauprämien einen recht merkwürdigen Abfall von 2,6 Milliarden im Jahre 1971 auf 1,7 Milliarden im Jahre 1972, also einen Rückgang auf diesem Sektor von über 800 Millionen DM. Auch hier die Frage: was ist daran Zeichen?Herr Bundeskanzler, vor allen Dingen auf einem Gebiet warten wir allerdings vergebens auch nur .auf das geringste Zeichen. Im Gegenteil! Das ist das Gebiet der Gesellschaftspolitik, also jenes Gebiet,das doch sicher mit im Vordergrund aller Reformüberlegungen zu stehen hat.
Wir beobachten hier das Gegenteil. Wir beobachten mit großer Sorge, wie man auf dem Gebiet der Sozialpolitik zur punktuellen Betrachtungsweise zurückgeht, nachdem es — das ist vor allen Dingen ein Verdienst ides Kollegen Katzer — gelungen war, die Sozialpolitik in den Zusammenhang der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik einzubetten.
Wie anders, meine Damen und Herren, soll man es sich denn erklären, daß ,diese Regierung Eingriffe in unser Rentensystem vorschlägt, ohne die finanziellen Konsequenzen durchgerechnet
und ohne sie mit der mittelfristigen Finanzplanung abgestimmt zu haben?Wie soll man es sich weiter erklären, Herr Bundeskanzler, daß Ihr „Unglücksrabe Nummer eins", Ihr Sozialminister, nun auch dazu übergegangen ist, eine eigene sozialpolitische Gesprächsrunde einzurichten? Wir wollen Sozial-, Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik zusammengefaßt sehen, und das muß sich auch in den Institutionen ausdrücken.
Schließlich und endlich sind wir uns, glaube ich, darüber einig, ,daß man die Mitwirkungs- und Gestaltungsrechte des einzelnen Bürgers und Arbeitnehmers im Bereich von Wirtschaft und Gesellschaft ausweiten muß. Auch hier, Herr Bundeskanzler, werden wir die Regierung nach ihren Vorschlägen fragen. Denn mir ist deutlich im Ohr geblieben, was Ihr Bundeswirtschaftsminister drei Tage vor der Wahl den Arbeitern an Rhein und Ruhr versprochen hat, unmittelbar nach den Wahlen, sofort, die Ausweitung der Mitbestimmung, und zwar der qualifizierten Mitbestimmung, hier durchzusetzen.
Ich frage mich: wie wollen sie eigentlich guten Gewissens jetzt bald wieder vor diese Arbeiter treten? Denn auf diesem Sektor haben wir von Ihnen überhaupt noch nichts gehört.
Die Mitbestimmungsvorschläge der Biedenkopf-Kommission liegen auf dem Tisch. Wir werden, Herr Bundeskanzler, dafür sorgen, daß sie von Ihnen nicht unter den Tisch gekehrt werden.
— Meine Damen und Herren von der Koalition, es wird noch unangenehmer werden.
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1472 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Dr. WörnerWir erwarten, Herr Bundeskanzler, in angemessener Frist auch hierzu die Stellungnahme der Bundesregierung.Wir alle — auch hier sind wir uns, glaube ich, einig — wissen, welche Bedeutung die Gemeinschaftsaufgabe Raumordnung und Städtebau hat. Wenn man sie kennt, wundert man sich, nach all den großen Worten in der mittelfristigen Finanzplanung lesen zu müssen, daß die Bundesregierung im Sektor Wohnungswesen und Raumordnung ihre Aufwendungen von 1970 bis 1973 um ganze 140 Millionen DM steigert und daß im Jahre 1973 — auch hier wieder ein merkwürdiger Bruch — die Aufwendungen gegenüber dem Vorjahr sogar um 200 Millionen DM reduziert werden.Noch ein Wort zu den Einkommensgrenzen bei Sozialwohnungen und den Mietobergrenzen für Wohngeld. Ich erinnere Sie hier an den Beschluß des SPD-Bundesparteitages im Jahre 1968 und an Ihre Versprechungen. Ich erinnere an das, was Bundesminister Lauritzen uns im Mai 1969 in Aussicht gestellt hat. Wo sind die Gesetzesinitiativen der Regierung? Sie müßten schon lange auf dem Tisch liegen;
denn das hat Auswirkungen auf die Wohnungssituation vor allem kinderreicher Familien in Großstädten. Hier sieht es nicht zum besten aus. Darum müssen auf diesem Sektor schnellstmöglich Zeichen gesetzt werden.Bei der Sanierung unserer Städte werden wir darauf achten, daß nicht auf schleichendem Wege sozialisiertes Eigentum, und zwar in Gestalt von Riesenvermögen großer Wohnungsbaugesellschaften, entsteht.
Audi wir wissen, meine Damen und Herren, daß es dabei nicht ohne empfindliche Eingriffe abgehen kann. Darum wird unser Gesetzentwurf sehr wohl eine Lösung bieten, die die Sanierung ermöglicht und gleichzeitig sicherstellt, daß die private Eigentumsstruktur auch im Kern der Großstädte aufrechterhalten bleibt.
Wie steht es, Herr Bundeskanzler, um das Versprechen der Bundesregierung, die Verbrechensbekämpfung zu intensivieren, wenn wir feststellen müssen, daß im Kapitel „Sicherheit und Ordnung" die Mittel in der mittelfristigen Finanzplanung im Jahre 1971 519 Millionen DM gegenüber 524 Millionen DM im Jahre 1970 betragen, also vermindert werden? Ich hoffe, Herr Minister Genscher, daß das von Ihrem Vorgänger Herrn Benda ausgearbeitete Bekämpfungsprogramm dabei nicht auf der Strecke bleibt.Auch auf dem Sektor der Entwicklungshilfe klafft, Herr Bundeskanzler, ein weiter Abstand zwischen dem, was Sie noch in Ihrer Regierungserklärung in Aussicht gestellt haben — eine Erhöhung um 11 % —, und dem, was nun in der Wirklichkeit herausgekommen ist, nämlich eine Erhöhungsrate von etwas über 5%.Wer die mittelfristige Finanzplanung dieser Regierung kritisch mit der vorangegangenen vergleicht, der kommt günstigstenfalls zum Ergebnis, daß es sich hier um eine brave Fortschreibung handelt. Bestenfalls einige Akzente sind anders gesetzt; aber nicht ein einziger neuer Schwerpunkt, nicht eine einzige substantielle Neuerung ist in dieser mittelfristigen Finanzplanung enthalten. Wenn die mittelfristige Finanzplanung die in Zahlen gefaßte Regierungspolitik ist, dann ist das Urteil berechtigt, daß diese Regierung nicht nur einen Großteil ihrer eigenen Wahlversprechen uneingelöst läßt, nicht nur hinter den großen Erwartungen zurückbleibt, die sie selber geweckt hat, sondern daß sie auch den objektiven Erfordernissen der deutschen Politik mit diesem Programm nicht gerecht wird.
Die Kraft dieser Regierung zu Veränderungen hält sich jedenfalls in sehr engen Grenzen, Herr Bundeskanzler. Nirgendwo wird eine durchgreifende Umgestaltung unserer gesellschaftlichen und staatlichen Verhältnisse auch nur von ferne sichtbar.
Woher also nimmt diese Regierung, Herr Moersch, den Mut, so abfällig vom Ergebnis einer zwanzigjährigen Regierung der CDU/CSU zu reden?
Herr Bundeskanzler, diese Regierung ist eben nichteine Regierung der Reformen. Die Zeichen, vondenen Sie sprachen, die sind bis jetzt ausgeblieben.Dabei haben Sie ganz gute Voraussetzungen angetroffen. Sie haben geordnete Finanzen, Sie haben Vollbeschäftigung, eine stabile D-Mark, eine anständige Zuwachsrate des Sozialprodukts und ein hohes Steueraufkommen angetroffen.
Selbstverständlich wissen auch wir, wie schwierig es ist, Umlagerungen im Haushalt vorzunehmen, wie schwierig es ist, bei angespannter Konjunkturlage Maßnahmen zu treffen. Das brauchen Sie uns nicht zu sagen. Dennoch hätte diese Regierung Spielraum zu Reformen gehabt. Nicht nur, daß Sie diesen Spielraum nicht genutzt haben, Sie haben ihn durch Ihre eigenen Maßnahmen unnötigerweise selber verengt.
Wer hat Sie denn, Herr Bundeskanzler, gezwungen, Steuerermäßigungen und sonstige Gefälligkeitsmaßnahmen anzukündigen, wenn nicht Sie selber und die unselige Tatsache, daß jeder der beiden Koalitionspartner das Bedürfnis hatte, seiner Wählerschicht etwas zugute kommen zu lassen,
und das noch ohne finanzielle Vorausplanung?! Istdas Führung? Die Opposition hat Sie nicht dazu ge-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1473
Dr. Wörnerzwungen. Es ist ja geradezu zum Lachen. Wo hat es das je gegeben?
Eine Regierung, die ohne Zwang — Gefangene ihrer eigenen Wahlkampfversprechungen — in Zeiten der Hochkonjunktur Steuerermäßigungen verspricht, und eine Opposition, die sie davor warnen muß?
Sie müssen sich eben, Herr Bundeskanzler, entscheiden. Entweder geben Sie das Geld für Reformen oder aber für recht kurzsichtige Wohltaten des Augenblicks aus. Man kann eben nicht Milliarden unter die Bürger verteilen und gleichzeitig von ebendenselben Milliarden Krankenhäuser, Hochschulen und neue Städte bauen wollen.
Ein symptomatisches Beispiel ist das Verfahren — ich sage nur: das Verfahren — in der Angelegenheit der Renten. Da hat man den Rentnern Weihnachtsgeld versprochen. Dieses Versprechen konnte man nicht halten. Also hat man darüber nachgedacht, was man an die Stelle setzen könnte. Da hat man vorgeschlagen, den Krankenversicherungsbeitrag zu streichen. Wer von uns, auch von der CDU/CSU, würde das den Rentnern nicht gönnen?
Wir sind nicht dagegen. Wir werden dafür stimmen.
— Hören Sie doch erst einmal zu! Hat man sich aber damit nicht jeden Spielraum genommen, nun all die Wahlversprechen Ihrer Partei einzulösen,
als da sind flexible Altersgrenze, Öffnung für die Selbständigen, Hausfrauenrente? All das ist weggekehrt, meine Damen und Herren!
Außerdem ist es so, daß die Versicherten diese Wohltaten jetzt selbst bezahlen müssen. Das ist typisch für das Dilemma dieser Regierung. Auf der einen Seite wollen Sie den Eindruck erwecken, daß im Grunde genommen alles beim alten geblieben ist, nichts besorgniserregendes Neues passiert ist, und auf der anderen Seite wollen Sie die Regierung der inneren Reformen sein.
Wer Reformen will, muß auch wehtun können, muß auch einmal nein sagen können.
Er muß unbequeme Entscheidungen treffen können. Wer es allen recht machen will, darf eben nicht von Veränderungen reden. Da müssen Sie sich entscheiden, Herr Bundeskanzler!Auch die Regierungsreform, Herr Bundeskanzler, fängt nicht mit dem kostspieligen Neubau einesBundeskanzleramtes, sondern mit einer funktionalen Neuordnung der Zuständigkeiten an.
Was soll man denn von einer Regierung halten, die es noch nicht einmal fertigbringt, im Ressortstreit zwischen dem Bundeswirtschaftsministerium und dem Entwicklungshilfeministerium klare und sachgerechte Entscheidungen zu fällen?
Es ist doch einfach unerträglich, wenn, wie im Falle Nigeria, notwendige Hilfeleistungen unterbleiben oder nicht rechtzeitig erfolgen, weil die Kompetenzen nicht da sind.
Meine Damen und Herren, ich selbst bin ja einer, der immer davon gesprochen hat, daß das Bundeskanzleramt als Führungsinstrument umgestaltet werden müsse, daß es reformiert werden müsse, daß es für seine Aufgaben tauglicher gemacht werden müsse.
Es liegen — dank der Vorarbeiten der Regierung Kiesinger. — brauchbare Vorschläge der Reformkommission auf dem Tisch. Auch wir sagen ja zur Modernisierung des Kanzleramtes. Wir sagen ja, zum Einsatz moderner Führungsmittel, zur Datenverarbeitung, zur Systemplanung. Aber wir haben erhebliche Zweifel, Herr Bundeskanzler, ob das, was wir an Vorgängen und Absichten im Kanzleramt beobachten, allein oder überwiegend unter dem Stichwort „Modernisierung" zu fassen ist oder ob sich nicht langsam, aber sehr deutlich die Gewichte zwischen dem Kanzleramt und den einzelnen Ministerien verschieben — und dies in einer Weise, die nicht der in unserer Verfassung vorgesehenen Kompetenzverteilung entspricht.
Man hört von einer geplanten Personalerweiterung von über 100 Stellen. Sie haben inzwischen im Kanzleramt neben sich einen Minister und zwei Staatssekretäre. Es drängt sich doch die Frage .auf, ob Herr Ehmke — ein Mann, den ich persönlich sehr schätze und auch für tüchtig halte —
beabsichtigt, das Kanzleramt zu einem Überministerium auszubauen.
Herr Bundeskanzler, wie verträgt sich das mit der in Art. 65 des Grundgesetzes niedergelegten Eigenverantwortlichkeit der Minister? Haben Sie nicht selbst, als Sie noch Bundesaußenminister waren, darüber geklagt, daß das Kanzleramt eher zu stark als zu schwach sei?
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1474 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Dr. WörnerIch meine — ich sehe Herrn Dahrendorf hier —, es ist nicht die Sorge der Opposition, ob sich der Juniorpartner in dieser Regierung den Kopf darüber zerbricht, ob hier nicht doch irgendwo die Eigenverantwortlichkeit und Selbständigkeit . der Koalitionspartner und der Minister in Frage gestellt wird. Es. ist ja etwas eigenartig, daß ,der Herr Außenminister am Abend vor der Reise von Herrn Staatssekretär Bahr plötzlich erfahren muß, daß eben jener außenpolitische Verhandlungen führt.
Unsere Sorge ist es jedenfalls, daß nicht unter dem Deckmantel der Modernisierung, Herr Bundeskanzler, unsere Verfassung unterlaufen wird. Wenn man beabsichtigt, ein Präsidialsystem einzurichten, dann soll man das in Form einer Verfassungsänderung vorschlagen. Dann werden wir darüber diskutieren, dann haben wir bei dieser Verfassungsänderung mitzureden. Ich persönlich verhehle gar nicht, daß ich mir schon solche Gedanken gemacht habe. Das ist meine persönliche Auffassung. Aber es geht nicht so, wie es jetzt passiert; denn so widerspricht es der Verfassung.
Herr Bundeskanzler, es tut mir leid, daß ich Ihnen diese Frage nicht ersparen kann. Ich muß nun einmal auch nach der Rolle von Herrn Ehmke im Kanzleramt fragen. Ist er nun Unterkanzler oder ist er Überminister?
I Ist er Führungsgehilfe, oder ist er graue Eminenz? Diese Frage, Herr Bundeskanzler, beschäftigt nicht nur uns, sie beschäftigt sehr wohl auch einige Minister dieser Regierung.
Denn wenn das, was wir hören, stimmt, Herr Bundeskanzler, dann laufen doch in der Hand von Bundesminister Ehmke alle wesentlichen Fäden zusammen. Schafft das nicht die Gefahr — das ist ernst gemeint —, daß auf die Dauer der Wissendere auch der Mächtigere wird? Wir wollen das nicht. Wir wollen, daß die 'Richtlinienkompetenz bei dem verbleibt, der hier vor dem Parlament die Verantwortung dafür trägt. Und das sind Sie, Herr Bundeskanzler.
Dieser Kanzler ist auch mit dem Anspruch aufgetreten, mehr Demokratie zu wagen. Dazu hätte in vier Monaten ausreichend Gelegenheit bestanden. Wie aber steht es damit? Wo ist mehr Demokratie, Herr Bundeskanzler? Das ist doch eine bloße verbale Beteuerung geblieben. Das fängt an beim Umgang mit dem Parlament. Da sind unzählige Interviews, die Sie selbst gegeben haben, bevor dieses Parlament unterrichtet wurde.
Da wird der Grüne Bericht oder werden Teile des Grünen Berichts veröffentlicht, ehe dieses Parlament unterrichtet wird.
Damit reimt sich auch zusammen die Weigerung des Wissenschaftsministers, im zuständigen Ausschuß zu erscheinen, ehe man die Presse informiert.
Da geht man her entgegen lautstarken Beteuerungen und bringt zum wiederholten Male Regierungsvorlagen über die Koalitionsfraktionen ein, um den unangenehmen Bundesrat zu umgehen. Wir haben aber einen Anspruch, im Bundestag schon bei der ersten Lesung ,die Meinung des Bundesrates zu kennen.
Ist es ein Mehr an Demokratie, wenn man in Anzeigenserien auf Staatskosten dem Bürger bei steigenden Preisen suggerieren will, sie fielen?
Ist es ein Mehr an Demokratie, wenn man auf Flugblättern für die Rentner Leistungen der vorigen Bundesregierung und des vorigen Bundestages auf sein Konto bucht?
Ist es ein Mehr an Demokratie, Herr Bundeskanzler, wenn in Anzeigen des Bundespresseamtes die Erhöhung des Pauschbetrages für Arbeitnehmer ab 1. Januar 1970 als beschlossene Sache hingestellt wird, während dieses Haus überhaupt noch nichts entschieden hat?
Jede Regierung hat ein legitimes Bedürfnis nach Selbstdarstellung. Aber was wir hier erleben, ist nicht ein Mehr Ian Demokratie, ist nicht ein Mehr an Information, das ist ein Mehr an Propaganda, Herr Bundeskanzler.
Das läßt uns ahnen, meine Damen und Herren, wohin der von Ihnen angestrebte Ausbau des Bundespresse- und Informationsamtes und die Erhöhung der Informationsmittel in den einzelnen Ressorts führen werden. Schon gibt es erste Anzeichen, daß man den Informationsfluß zu kanalisieren versucht, daß man klassifiziert in solche Journalisten, die besonderer Informationen wert sind, und solche, die es nicht sind.
Das fängt alles ganz harmlos an. Man lädt einzelne Journalisten ein, man lädt andere nicht ein odernicht mehr ,ein. Wer wollte das schon beanstanden? Es geht dann welter. Man ruft diesen oder jenen Journalisten an, wie er dazu komme, dieses oder jenes zu .schreiben. Man schreibt ihm Briefe mehr oder weniger freundlichen Inhalts.
Auch das kann noch harmlos sein. Es kann aber auch beunruhigend werden, und es kann das Anzeichen einer Tendenz sein. Beunruhigend wird es, wenn der Bundesgeschäftsführer der SPD, der Kollege Wischnewski, einen Angriff gegen Journalisten mit pauschalen Verdächtigungen startet und
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1475
Dr. Wörnerwenn der stellvertretende Sprecher der SPD kritische Redakteure beim ZDF angreift.
Herr Bundeskanzler, wäre es dabei geblieben, dann könnte man das immer noch als Ausrutscher hinnehmen. Man könnte sagen, das sei der Ausdruck der Dünnhäutigkeit, der Überempfindlichkeit dieser Regierung, die ja großspurig angekündigt hat — das muß man sich bei .dem, was da passiert, einmal vorhalten —: „Wir suchen keine Bewunderer, wir brauchen Menschen, die kritisch mitdenken."
Meine Damen und Herren, was dann kam, das ließ uns stutzig werden. Das ist kein Ausrutscher mehr, wenn nicht irgendeiner, sondern wenn ,der Staatssekretär dieser Bundesregierung diese Linie fortführt, und zwar konsequent fortführt, und mit seinen unqualifizierten Äußerungen Journalisten mit dem Ausdruck „Kampfpresse" wiederum pauschal und ohne Beweis der Manipulation zeiht. Dabei weiß doch Herr Ahlers ,als Journalist ganz genau — da kann er uns doch nichts vormachen —, daß es sehr schwer ist, die Grenze zwischen objektivem und weniger objektivem Journalismus zu ziehen. Wenn gesündigt wird, Herr Ahlers — auch das müssen Sie aus eigener Erfahrung wissen, wissen Sie auch —, ,dann wird reihum gesündigt, auch bei Ihnen.
I Man kann das aber einfach nicht mehr als Ausrutscher passieren lassen, wenn Sie andeuten, daß sich damit die Journalisten außerhalb des Grundrechts der Meinungsfreiheit gestellt hätten und wenn Sie nachträglich Gewaltaktionen linker Radikaler gegen Druckereien und Redaktionen zu rechtfertigen suchen.
Sehen Sie, das ist ein Ausspruch, der sich eben nicht mehr als ein Ausrutscher erklären läßt,
sondern der klar eine bedrohliche Tendenz erkennen läßt, und zwar die Tendenz dieser Regierung, kritische Journalisten zu verunsichern, sie einzuschüchtern, ihnen die Ehre und den Schneid abzukaufen.
Da braucht man gar nicht viel massiver zu werden.
Da genügt es, wenn man ein bestimmtes Klima schafft, und das kann man sicher auch nicht mehr mit Zufall erklären, dahinter steckt System. Wohin das führen könnte — Herr Bundeskanzler, ich sage: könnte —, wenn man den Anfängen nicht wehrt, das zeigen zwei weitere Äußerungen von Ihrer Seite. Da ist der Herr Landesvorsitzende der SPD von Schleswig-Holstein, der Herr Steffen,
also nicht irgendeiner, sondern, wie man neuerdings hört, Ihr Kontaktmann zum linken Flügel,
der politisch-wirtschaftliche Gegenmaßnahmen gegen die Presse androht.
Dieser Vorsitzende repräsentiert Strömungen, die im Bereich der Jungsozialistien und in Teilen Ihrer Partei immer mehr an Boden gewinnen, die ja jetzt sogar nach einem Ihrer stellvertretenden Vorsitzenden greifen und bei denen sich unter dem Vorwand der Demokratisierung fanatisch intolerantes Denken breitmacht.
Und das ist nach ihrem eigenen Anspruch die SPD der achziger Jahre!Es gibt noch eine weitere Stimme, die in diese Richtung weist, die Gewerkschaftszeitung „Druck und Papier" vom 26. Januar 1970. Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten:Es gibt kein allgemeines Bekenntnis zur Pressefreiheit, sondern nur die konkrete Haltung im Einzelfall.
Natürlich gibt die Meinungsfreiheit dem einflußreichen Journalisten keineswegs Narrenfreiheit oder Freiheit zum unredlichen Umgang mit Tatsachen.Jetzt kommt es:Kanzler Brandt und seine Regierung und die sie tragenden Parteien werden planmäßig diffamiert. Hier 'sind scharfe politische und rechtliche Maßnahmen
nicht nur zulässig, sondern sogar zwingend geboten.
Angesichts dieser Tendenzen, Herr Bundeskanzler, genügt es eben nicht, daß Sie vom Handeln Ihres Bundesgeschäftsführers und Ihres Staatssekretärs in Zeitungsinterviews abrücken und das als „Pannen" verurteilen. Wir werden nicht zulassen, daß hier ein Spiel mit verteilten Rollen gespielt wird, daß der eine das Unangenehme sagen darf und man sich dann bei Bedarf distanziert. Wir erwarten von Ihnen, Herr Bundeskanzler, ein ganz klares Wort zu dieser Angelegenheit.
Herr Bundeskanzler, wo bleibt denn die Glaubwürdigkeit dieser Regierung, die da erklärt — eines der vielen großen Worte —: Das Selbstbewußtsein dieser Regierung wind sich als Toleranz zu erkennen gelben?
Wenn Sie zu diesem Maßstab stehen, Herr Bundeskanzler, kann ich Ihnen nur sagen: Dann bedarf so-
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1476 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Dr. Wörnerwohl Ihr Selbstbewußtsein als auch Ihre Toleranz dringend einer Aufwertung.
Hier sitzen zwei Ihrer Vorgänger. Wenn Sie auch nur einen Teil dessen an öffentlicher Kritik eines Tages ertragen müssen, was denen beschieden war, werden Sie sich noch an einiges mehr gewöhnen müssen, Herr Bundeskanzler.
Mehr an Demokratie sind Sie, jedenfalls im Umgang mit der öffentlichen Meinung, im Umgang mit dem Parlament und der Bevölkerung, uns bis jetzt schuldig geblieben.Übrigens, wir verstehen uns recht: Natürlich muß es .einem Politiker erlaubt sein, auch einen Journalisten zu kritisieren. Ich selbst habe immer dafür plädiert,
in den öffentlichen Meinungsmedien mehr Meinungsvielfalt einkehren zu lassen. Was sie aber praktiziert haben, diese Argumente als Waffe gegen mißliebige kritische Journalisten zu gebrauchen und sie pauschal zu schmähen, ist eben nicht mehr zulässig.
Und dann, Herr Bundeskanzler, haben Sie uns noch mehr Transparenz in den Personalentscheidungen angekündigt. Und was erleben wir nun? Da werden plötzlich Beamte kaltgestellt, indem man ihnen jenen berühmt-berüchtigten „blauen Brief" schreibt.
— Gehen Sie doch mal ins Bundeskanzleramt! -Fragen Sie doch mal den Herrn Ehmke! Man schreibt ihnen jenen „blauen Brief" : „Ich entbinde Sie mit sofortiger Wirkung".
Ich spreche jetzt nicht von der Pensionierung politischer Beamter; ich spreche von einem anderen Kreis von Beamten, der einem unangenehm zu werden droht. Das ist ein Verfahren nicht nur am Rande, sondern außerhalb der Legalität.
Herr Bundeskanzler, wir wollen jedenfalls nicht, daß Fälle wie der des Polizeipräsidenten Littmann in Hessen und der von Herrn Dr. Brisch in Köln auch hier in Bonn Schule machen.
Meine Damen und Herren! Nach all dem fragt man sich wirklich verzweifelt: Wo bleibt denn hier auch nur ein Stückchen mehr Demokratie? Wo haben Sie sich denn, 'wie Sie es angekündigt haben, in Ihrer Arbeitsweise geöffnet? Es ist doch unter Journalisten Tagesgespräch, daß man heute weniger erfährt als früher. Wo ist denn auch nur ein Funke mehr Transparenz? Herr Bundeskanzler, was wir in120 Tagen dieser Regierung erlebt haben, das ist nicht mehr Demokratie, sondern eher weniger.
Es ist genauso wie bei den Reformen: große Worte, aber kleine, sehr kleine Taten. Wie glaubwürdig ist eine Regierung mit solch großen Worten und solch kleinen Taten auf die Dauer, meine Damen und Herren?
Und wie glaubwürdig ist eine Regierungskoalition nach außen, deren Bundeskanzler sagt: „Die völkerrechtliche Anerkennung kommt nicht in Frage" und bei der der Fraktionsvorsitzende der größten Regierungspartei sagt, sie komme eben unter bestimmten Voraussetzungen doch in Frage? Was gilt denn nun eigentlich? Herr Schmidt hat uns gestern vorgeworfen, wir sprächen mit verschiedenen Stimmen. Den Vorwurf gebe ich gern zurück. Was soll man denn von einer Regierung halten, die, während sie verhandelt, ihre eigene Verhandlungsposition untergräbt? Wundert man sich denn, daß dann die Forderungen von der anderen Seite immer massiver kommen?
Wir werden am Mittwoch kommender Woche darüber zu debattieren haben. Man fragt sich doch nach den präzisen Zielen dieser Regierung, und zwar im Inland wie in der Außenpolitik. Was ist das Konzept?Auch in der Außenpolitik ist doch jener Verbalismus Trumpf. Da baut man immer neuen Wortschwall auf. Man erfindet immer neue Formeln. Was versteckt sich denn hinter dieser Nebelwand von Formeln? Ist das nur, weil man sich selbst über seinen Kurs noch nicht im klaren ist oder aber weil man die Öffentlichkeit und das Parlament noch nicht mit seinen wirklichen Absichten konfrontieren will?
Herr Bundeskanzler, wenn man will, daß diese Opposition, so wie sie es angeboten hat, die wesentlichen Entscheidungen in den Fragen der Nation mitträgt, dann nur, wenn man sie rechtzeitig und vollständig informiert und konsultiert.
Bis jetzt jedenfalls entspricht das Ausmaß an Information, geschweige denn Konsultation, nicht unseren Vorstellungen. Wir wissen ja auch nicht: Will diese Regierung nun die Gemeinsamkeit oder will sie sie nicht? Was gilt: das Wort des Herrn Bundeskanzlers oder das Wort des Herrn Kollegen Wehner? Auch hier warten wir auf eine klare Äußerung von Ihnen, Herr Bundeskanzler, in diesem Parlament. Wir sind jedenfalls nicht für Gemeinsamkeit auf Abruf.
Wir übernehmen Verantwortung nur für das, was offen auf dem Tisch liegt und was mit uns abgesprochen ist.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1477
Dr. WörnerEs wäre an der Zeit,
daß dieser Bundeskanzler seine Führungsrolle deutlicher macht. Diese Regierung sollte etwas weniger reden und dafür etwas mehr handeln.
Wo war der Herr Bundeskanzler in den vergangenen Monaten, als dringende konjunkturpolitische Entscheidungen vonnöten waren, um die steigenden Preise unter Kontrolle zu bringen? Wo war der Bundeskanzler, als der eine Minister von Steuersenkungen und der andere von Steuererhöhungen sprach? Wie soll denn Klarheit in die Regierungspolitik kommen, wenn nach den Äußerungen des Bundeswirtschaftsministers in dieser Debatte erneut Unsicherheit darüber besteht, ob nun die Steuern heraufgesetzt werden sollen oder nicht? Herr Bundeskanzler, ich kann nur sagen: hier muß Ihre Führung deutlicher werden. Denn die Bilanz dieser Regierung in 120 Tagen ist: Es fehlen die versprochenen Zeichen. Ein Überfluß an großen Worten — ein Mangel an Taten. Kein Mehr an Demokratie. Kein Mehr an Transparenz. Eine Regierung, deren Kurs unklar ist
und deren Sprache unser Volk verwirrt.
Dabei leben wir in einer Zeit, in der nichts dringender wäre als eine glaubwürdige Regierung, ein steter Kurs, eine unzweideutige Sprache und ein offener Stil.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst einige Bemerkungen über das Verhältnis zur Presse machen. Ich kann das um so leichter tun, als ich mich über die teils anspornende, teils kritische Begleitung durch die Träger der öffentlichen Meinung in diesem Lande weiß Gott nicht zu beklagen habe. Ich muß den Vorwurf, ,die Regierung habe Angriffe auf die Pressefreiheit gerichtet oder hätte dies vor, mit .allem Nachdruck zurückweisen
und werde Idas begründen. Mir ist der Rat gegeben worden, daran zu denken, daß Friedrich der Große, wie einer seiner Herren dm Jahre 1740 festgehalten hat, das Wort gesprochen habe, daß die Gazetten nicht geniert werden sollten. Aber vom Alten Fritz stammt aus dem Jahre 1781 — —
— Augenblick mal. Also auch in Bayern muß man den Alten Fritz zitieren dürfen. Herr Unertl, das muß hier erlaubt sein.
Vom Alten Fritz stammt auch der Rat: Niedriger hängen! Ich muß ein paar der Dinge niedriger hängen, die zu diesem Thema heute und vor dieser Debatte gesagt worden sind.
— Nein, jetzt nicht! Lassen Sie mich jetzt bitte genauso zusammenhängend antworten, wie ich mir angehört habe, was hier für die Opposition vorgetragen worden ist!
Wenn wir den törichten Versuch machten, die Meinungsfreiheit einzuengen, dann würden wir uns nicht nur gegen eindeutige Verfassungsbestimmungen, sondern — lassen Sie mich das einmal in aller Deutlichkeit sagen — auch gegen das stellen, wozu viele von uns, in allen Parteien dieses Hauses, schon gekommen waren, längst bevor es ein Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gab.
Es war nicht berechtigt, wenn behauptet wurde — und es ist im Vorfeld dieser Debatte behauptet worden —, es würden schwarze Listen geführt, hier werde ein Druck auf Journalisten ausgeübt. Kollege Wörner hat diese Vorwürfe nicht erhoben, aber er hat gesagt, der Informationsstrom werde willkürlich gelenkt, und daraus könne eine Verunsicherung der Journalisten werden. Was soll das heißen? Diejenigen, .die die Behauptung mit den Listen und mit dem Druck auf Journalisten aufgestellt haben, sind den Beweis schuldig geblieben und haben statt dessen geantwortet, es gebe Gerüchte, und eine Aufzeichnung über Gerüchte sei bei einem Notar hinterlegt. Wer solche Behauptungen aufstellt, muß hier oder anderswo den Beweis dafür antreten.
Ich finde es verständlich und natürlich, daß sich der Chef des Bundespresse- und Informationsamts leidenschaftlich gegen diese durch nichts bewiesenen Behauptungen gewehrt hat.
Allerdings füge ich ebenso offen hinzu, keiner darf sich so wichtig fühlen — das gilt für den Staatssekretär wie für den Bundeskanzler —, als daß er nicht noch hinzulernen könnte — das müssen wir alle immer wieder —
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1478 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Bundeskanzler Brandtund als daß sich nicht auch jeder von uns immer wieder zu bemühen hätte, noch präziser zu formulieren, als es einem manchmal im ersten Ansatz gelingt,
als es einem zumal in einer polemischen Abwehr häufig gelingt. Nur auf diesem Hintergrund sind doch die dann böse entstellten Äußerungen
zu verstehen, die auf Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit vor ein paar Jahren, im Jahre 1968, zurückgingen, als ob ein Mann wie Herr Ahlers irgendwie auch nur in die Nähe von Gedanken an Gewalttätigkeiten in der innenpolitischen Auseinandersetzung gebracht werden könnte.
— Lassen Sie mich bitte fortfahren!Ich bin und wir sind alle miteinander gegen jeden allgemeinen Angriff auf die Presse, d a s Fernsehen oder gar d i e Journalisten. Aber ich sage ebenso offen: Es gibt neben dem Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit auch eine Pflicht zur wahrheitsgemäßen Berichterstattung,
zur wahrheitsgemäßen, nicht einseitig ausgewähltenund zurechtgemachten Vermittlung von Nachrichten.
Wenn sich Herr Ahlers — da auf ihn in den Zwischenrufen hingewiesen wird — hierzu geäußert hat, dann hat er sich z. B. auch auf Äußerungen höchster deutscher Gerichte über diesen Zusammenhang zwischen dem Recht und der Pflicht berufen können.
Es gibt zweifellos ein Recht auf Kritik in beiden Richtungen. So wenig es einen Naturschutzpark für Politiker und Regierungsmitglieder gibt, so wenig gibt es einen Naturschutzpark in diesem Land für Verleger, Intendanten, Chefredakteure und Journalisten.
Herr Kollege Wischnewski, der hier zitiert wordenist, ist Manns genug, sich selbst äußern zu können.
Meine Damen und Herren, die Presse im weitesten Sinne des Wortes wird in ihrer Bedeutung in einem demokratischen Staat kaum überschätzt werden können, und doch muß man bei einer solchen Gelegenheit auch sagen: sie ist keine im Grundgesetz vorgesehene Staatsgewalt. Wer regieren will in diesem Land oder wer die Rolle der parlamentarischen Opposition spielen will, der soll sich gefälligst zur Wahl zum Deutschen Bundestag stellen.
Ich glaube auch, daß das Thema der wirtschaftlichen Konzentration im Bereich der Presse, der Massenmedien nicht tabu sein darf. Deshalb haben wir in der Regierungserklärung gesagt, daß die Fusionskontrolle auch — nicht nur, aber auch, wie in anderen Wirtschaftszweigen auch — für die Presse gelten soll.
Deshalb haben wir in der Regierungserklärung — ich darf daran noch einmal erinnern — auch gesagt, daß die Regierung beabsichtigt, ein Presserechtsrahmengesetz vorzulegen, und ich kann mir ein solches nicht vorstellen, wenn nicht in ihm das Thema der inneren Pressefreiheit eine bedeutende Rolle spielen wird.Übrigens, außerhalb des hier Umstrittenen lassen Sie mich auch sagen: Eine Regierung — und das gilt nicht nur für diese, das hat für frühere gegolten und wird für künftige gelten — hat auch das Recht, wenn gewichtige Interessen — außenpolitische oder andere — auf dem Spiel stehen, gegebenenfalls den Zeitpunkt zu bestimmen — dabei kann sie übrigens manchmal irren —, zu dem sie meint, daß ein Vorgang öffentlich erörtert werden kann, darf oder soll.
Dieser Punkt, auf den ich jetzt hinweise, hat nichts mit Pressefeindlichkeit zu tun, sondern dies ist ein Stück richtig verstandener Staatsraison.Ich glaube wirklich, wir sollten zu diesem Thema, das uns vermutlich im Laufe des Vormittags noch weiter beschäftigten wird, hier keinen Theaterdonner veranstalten, sondern miteinander das zurechtrücken, was vielleicht zurechtgerückt werden mußte,
und miteinander an einer verantwortungsvollen, lebendigen Entwicklung unserer Demokratie und des Verhältnisses zwischen den parlamentarischen und den Regierungskörperschaften einerseits und der Presse andererseits arbeiten.Herr Kollege Strauß hat gestern in seiner Rede das Wort von einem miesen politischen Stil gebraucht, und es klang davon auch etwas an, wenn auch nicht mit demselben Ausdruck.Nun darf ich, ohne dem Teil der Debatte vorzugreifen, der in der nächsten Woche stattfinden soll,
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1479
Bundeskanzler Brandteinmal von mir aus drei Fragen stellen. Ich will jetzt nicht von „mies" reden, sondern ich will statt dessen fragen: Ist es ein vertretbarer politischer Stil, der Regierung oder dem Bundeskanzler im Lande mangelnde Verfassungstreue anzudichten— ich umschreibe den Vorwurf jetzt noch abgeschwächt —, ohne solche Vorwürfe hier zu erörtern und zu begründen?
Ich meine, dies ist kein vertretbarer politischer Stil.
— Das müssen Sie mir schon überlassen, was ich im Laufe meiner Rede sage.
Nebenbei gesagt, Herr Wörner, sind Sie einer unrichtigen Meldung aufgesessen. Der Außenminister, der heute von seiner Asien-Reise zurückkommt, wird in jedem Augenblick, wenn Sie eine Minute darauf verwenden, bestätigen, daß er keineswegs durch die Reise von Herrn Bahr nach Moskau überrascht worden ist; denn es ist zwischen Herrn Scheel und mir genau diskutiert worden, wer sich der Sache in Warschau, wer sich der Sache in Moskau annimmt. Es ist nur nicht weiter publiziert worden. Sie können ihn danach fragen. Das wollte ich nur in Klammern gesagt haben.
Ich wollte zweitens fragen: Ist es ein vertretbarer Stil, wenn der Unterhändler der Bundesregierung abqualifiziert wird — Herr Strauß, Sie mögen von ihm halten, was Sie wollen —, während er dort im Auftrag der Regierung wichtige Gespräche führt? Ich meine, dies ist ein nicht vertretbarer Stil.Übrigens: Herr Bahr hat Sie, Herr Strauß, in Moskau einige Tage, bevor Sie ihn angriffen, gegen Vorwürfe in Schutz genommen,
die dort gegen Sie gerichtet wurden, und er hatausdrücklich, wie es seine Pflicht war, festgehalten,
daß wir denen widersprechen, die Sie einen Faschisten nennen.
Drittens. Ist es ein vertretbarer Stil, unser hier wiederholt dargelegtes politisches Bemühen,
getragen durch eine Mehrheit, genau abgestimmt mit den Verbündeten, um den Abbau von Spannungen zwischen Ost und West — schwierig, wie es sein mag — ,als ein Verschenken deutscher Interessen hinzustellen?
Ich meine, dies ist kein vertretbarer Stil.Herr Kollege Strauß, bei allem, was 'uns trennen mag: ich hätte lieber nicht gelesen, daß der Vorsitzende der NPD vor einer guten Woche in Wertheim zu diesem Ausspruch wörtlich gesagt hat: Das stand schon in unserem Neujahrsaufruf,
lange bevor Herr Strauß es jetzt am Aschermittwoch aufgegriffen hat.
Was den ersten Teil der Ausführungen von Herrn Wörner angeht, so habe ich mich gefragt, ab er an der gestrigen Vormittagssitzung teilgenommen hat oder nicht. Denn gestern ist der Regierung gesagt worden, der Haushalt sei, zumal unter konjunkturpolitischen Gesichtspunkten, noch zu voluminös, er müsse weiter beschnitten werden, und die Opposition werde bei den Haushaltsberatungen für eine solche Beschneidung sorgen.
Heute hat der Sprecher der Opposition beanstandet, daß für wichtige Schwerpunktaufgaben — diese sehen wir in der Tat nach dem Vortrag heute früh weithin übereinstimmend; ich hatte fast den Eindruck, Herr Kollege Wörner hätte noch einmal in die sozialdemokratischen Perspektiven für den Übergang zu den siebziger Jahren hineingeschaut —
nicht genügend Geld eingesetzt Ist.
Meine Damen und Herren! Diese Regierung macht kein Hehl daraus, daß sie dann, wenn es notwendig ist, auch ihre eigenen Planung überprüft und korrigiert.
— Bitte sehr, wir haben kein Hehl daraus gemacht, als es um den Arbeitnehmerfreibetrag und die Ergänzungsabgabe ging.
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1480 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Bundeskanzler BrandtDa haben wir an das Geplante beim Durchrechnen guten Gewissensgeglaubt, Herr Kollege Katzer,
— nein, nicht nur bei 'der Wahl,
sondern in der Regierungserklärung, die wir Ihnen am 28. Oktober vorgelegt haben, also nicht nur vor der Wahl. Und wir haben uns nicht gescheut, im Dezember zu sagen: Wir können die dort vorgesetzten Fristen nicht einhalten. Keiner vergibt sich etwas, wenn er auf Grund der Entwicklung bestimmte Korrekturen an seinen eigenen Planungen vornimmt.
Dies wird so bleiben. Diese Regierung wird nichts unterbreiten oder weiterverfolgen, was sie in einer konkreten Situation nicht auch finanziell absichern kann. Anders kann das gar nicht sein.Wenn wir nun schon von Schwerpunkten sprechen, Herr Kollege Wörner: Es ist einfach nicht richtig — wenn Sie Idle Ziffern freundlicherweise noch einmal anschauen wollen —, daß auf dem Gebiet der Bildung und Wissenschaft nur fortgeschrieben worden sei, sondern wahr ist, daß dieses Gebiet bei den Beratungen im Finanzkabinett und dann im Gesamtkabinett ganz überdurchschnittlich berücksichtigt worden ist, so daß im Rahmen des heute Möglichen eine Priorität unterstrichen worden ist.Nehmen Sie die Vermögenspolitik. Herr Wörnersagt: Was ist das schon, das 312-Mark-Gesetz zu verdoppeln? — Es sind zwei Dinge dabei, die man nicht unterschätzen sollte. Wir werden auf diesem Gebiet nur schrittweise vorankommen. Die Vorlage, die Ihnen die Regierung dazu demnächst machen wird, wird sich 'dadurch auszeichnen, daß es sich eben nicht nur um eine Verdoppelung handelt, sondern daß bei dieser Verdoppelung die bisherige, sicher von niemandem gewollte, aber tatsächlich eingetretene objektive .Schlechterstellung der Schwächeren überwunden wird.
Herr Kollege Katzer nickt; wir sind hier einer Meinung. Und es ist etwas Zweites passiert. Der Bundesinnenminister hat bei seinen Verhandlungen für den öffentlichen Dienst zum ersten Male in einem Tarifvertrag dieser Art dort einen Einstieg zustande gebracht. Dies ist eine Sache von prinzipiell ganz großer Bedeutung, denn das kann und wird hoffentlich bei manchen tariflichen Regelungen außerhalb des öffentlichen Dienstes Schule machen.
Das kann außerdem, abgesehen von der gesellschaftlichen Bedeutung, gerade in diesem Jahr auch noch konjunkturpolitisch von einem gewissen Interesse sein.
Drittens, Herr Kollege Wörner: Umweltfragen. Als Sie 'dazu sprachen, hörte ich — das scheint im-mer noch zu belustigen — wieder das Wort vom „blauen Himmel über der Ruhr". Das ist doch interessant; denn die, die sich damals amüsiert haben, haben ja inzwischen, indem sie nun auch von der „Umwelt" reden, gesehen, wie dieses Thema der Luft, des Wassers und vieler anderer Fragen an Bedeutung zunimmt. Nun, diese Regierung sitzt nicht nur in ihren eigenen Büros, sondern sie sitzt in 'der dazu neu eingerichteten Kommission des nordatlantischen Bündnisses — Staatssekretär Dahrendorf kümmert sich hierum besonders — mit den Regierungsvertretern und den Fachleuten unserer verbündeten Länder, um, wie Nixon gesagt hat, diese neue Dimension in der westlichen Zusammenarbeit ernst zu nehmen und daran zu arbeiten.
Oder nehmen Sie die Mitbestimmung! Diese Regierung wird so, wie sie es angekündigt hat, in diesem — —
— Nein, diese Regierung wird das tun, was sie angekündigt hat. Sie wird nämlich den Bundestag in diesem Jahr mit dem Entwurf eines modernen Betriebsverfassungsgesetzes befassen.
Das ist das, was jetzt möglich ist. Hierauf haben sich die Koalitionspartner verständigt,
und wir werden Ihnen vormachen, daß wir uns an das halten — diese beiden Parteien —, was wir miteinander ausgehandelt haben.
Zugleich wird es, gestützt auf das Biedenkopf-Gutachten, eine, wie ich überzeugt bin, wichtige Debatte geben,
und die Regierung wird sich hoffentlich daran beteiligen können und dann sehen, welche nächsten Schritte sich abzeichnen.
Es ist nicht wahr, daß die Sozialdemokraten im Wahlkampf die Wirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland geschmäht hätten. Wie sollten sie dies tun können, haben sie doch wie alle anderen Schichten und politischen Gruppen in unserem Volk in den Städten und in den Ländern diese Wirklichkeit, -die aus den Trümmern des letzten Krieges aufgebaut worden ist, mit geschaffen. Wie 'sollten wir diese Wirklichkeit schmähen können?
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1481
Bundeskanzler BrandtAber wir haben gestritten und werden weiter streiten, was man; gestützt auf das so Errreichte, jetzt weiter tun soll, in welche Richtung die Entwicklung gehen soll.Was das Bundeskanzleramt angeht, habe ich auch wieder den Eindruck 'gehabt — so wie bei den Finanzen —: teils zuviel, teils zu wenig. Beim Bundeskanzler: einerseits soll er seine Führungsrolle wahrnehmen, aber andererseits soll die Austattung, ,die er zur Verfügung hat, weit hinter dein zurückbleiben, was sein Amtsvorgänger sich auf diesem Gebiet vorgenommen hatte.
Wenn Herr Ehmke sich .dazu noch äußert — er kennt diese Dinge natürlich besonders gut —
dann werden Sie feststellen: alles, was dazu öffentlich erörtert wird, ist ein Teil dessen, was wir hierzu an begründeten Vorschlägen für eine moderne Gestaltung des Bundeskanzleramtes vorgefunden haben, allerdings mit eigenen Überlegungen angereichert, und wir haben eigene Überlegungen zum Teil an die Stelle vorhandener Pläne gesetzt. Aber hier haben wir doch nicht plötzlich die Welt neu entdeckt, sondern diese Debatte ist seit Jahren im Gange, und die Planungsarbeit ist seit Jahren im Gange. Nicht wie irgendeiner: der Bundeskanzler wegen seiner Richtlinienkompetenz, die er nicht preisgeben darf, aber auch der Minister im Kanzleramt, nicht weil er mehr wissen soll als alle anderen, sondern weil er die Voraussetzungen mit dafür schaffen muß, daß alle mehr wissen, als sie heute wissen. Wir haben lange, viel zu lange, so gearbeitet, daß die Mitglieder 'der Bundesregierung — die ja nicht nur Ressortchefs sind, sondern jeder ist auch Teil des Kollegiums „Bundesregierung" — in Wirklichkeit nicht oder nicht rasch genug auf demselben Informationsstand waren. Das, was jetzt geschieht, bezweckt, daß nicht nur der Regierungschef, sondern talle Mitglieder der Bundesregierung rasch genug erfahren, was in den anderen Ressorts vor sich geht, wie das ineinander übergreift, weil es immer mehr Aufgaben gibt, die mehrere Häuser zu gleicher Zeit betreffen. Wir sind gerne bereit, dieses in einem zuständigen Gremium auch unabhängig von einer polemischen Debatte in diesem Hause im einzelnen darzulegen.Noch ein Wort, was die Entscheidungen über Beamte angeht. Herr Kollege Wörner, wenn Sie ernsthaft der Meinung sind, es seien Entscheidungen „außerhalb der Legalität" gefällt worden — das haben Sie hier gesagt —, muß ich Sie auffordern, auch hier nicht im Allgemeinen zu bleiben,
sondern diesen schwerwiegenden Vorwurf zu begründen.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wörner?
Herr Bundeskanzler, darf ich Sie bitten, hier klar und eindeutig zu erklären, ob Briefe folgenden Inhalts an nichtpolitische Beamte gerichtet worden sind: „Ich entbinde Sie mit sofortiger Wirkung von Ihren Dienstobliegenheiten", ohne daß diese Beamten bis heute eine andere Tätigkeit ausüben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich glaube, der Zusatz zu Ihrer Frage wird sich, wenn wir darüber im einzelnen reden, als — ich bin sicher, auch von Ihrer Seite aus gesehen — besonders ungerecht herausstellen.
— Fragen Sie einmal Herrn Ehmke, welche Mühe
— Gut, wenn Sie mir nicht diesen Versuch einer fairen, kollegialen Beantwortung erlauben, wiederhole ich meine Aufforderung: Nennen Sie hier Namen!
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Petersen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir werden jeden einzelnen Fall, wenn es sein muß, auch öffentlich, erörtern.
Worum wir uns bemühen wollen, ist, die Regierungsarbeit — —
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Streitgespräche in den Bänken zu unterlassen. Die Streitgespräche werden hier vom Podium des Bundestages aus geführt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich wiederhole: Worum wir uns bemühen wollen, ist, die Regierungsarbeit rationeller, wirksamer, moderner, d. h. auch unkonventioneller, zu gestalten.
Herr Bundeskanzkanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Röhner?
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1482 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bitte!
Herr Bundeskanzler, darf ich noch einmal ,auf die vorausgegangene -Passage zurückkommen und Sie fragen: Gilbt es solche Briefe?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Der Chef des Bundeskanzleramtes wird sich dazu äußern.
— Das finden Sie so lustig?
— Bitte, jawohl! Da gibt es gar nichts zu lachen.
— Nein, ich bin nicht der Chef des Bundeskanzleramtes, sondern ich bin Bundeskanzler.
Es muß alles seine Ordnung haben.
Herr Bundeskanzler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Riedl?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Nein.
Meine Damen und Herren, ich darf Sie um Ruhe bitten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Hohe Haus kann sich darauf verlassen, daß wir uns trotz solcher polemischer Auseinandersetzungen nicht von der Erkenntnis abbringen lassen, daß wir uns der Kritik nicht nur zu stellen haben, sondern auch auf Kritik angewiesen sind. Ich wäre froh, wenn wir trotz allem darin übereinstimmten, daß es darauf ankommt, die Grundgedanken der Demokratie, auch wenn uns das häufig nur unzulänglich gelingen mag, in der täglichen politischen Praxis zum Tragen zu bringen, immer mehr Menschen an den für den einzelnen wichtigen Entscheidungen des Staates zu beteiligen und besser, als wir Deutsche es in der Vergangenheit haben tun können, zu lernen, wie man seine unterschiedlichen Meinungen, friedlich und fair in der Form, deshalb jedoch nicht weniger hart in 'der Sache, austrägt.Ich habe in meiner Regierungserklärung vom 28. Oktober zum Ausdruck gebracht, daß wir gewillt sind, den offenen Dialog zu suchen und den Bürger so intensiv wie möglich 'an den politischen Entscheidungen zu beteiligen. Wenn wir z. B. Thesen für eine unserer Meinung nach zeitgemäße Gestaltung unserer Hochschulen zur Debatte stellen, dann beweist doch auch dies, daß die Regierung durch eine solche Debatte selber dazulernen möchte. Und so halten wir im offenen Gespräch mit dem Bürger diesen auch für urteilsfähig genug, um mit manchen manchmal bitteren Wahrheiten leben zu können.Ich sage noch einmal zu dem vorher Erörterten: Die Regierung zögert nicht, eine einmal getroffene Entscheidung wieder rückgängig zu machen oder auch hinauszuschieben, wenn neue Situationen und Einblicke dies erfordern. Man muß das dann begründen.Es wurde eben dazwischengerufen, ob diese Bereitschaft zum Dialog auch für das Verhältnis zur Opposition gelte. Daran kann es doch ernsthaft überhaupt keinen Zweifel geben!
— Nein. Denn das Kernstück unseres demokratischen Regierungsverhältnisses ist das Parlament und die Stellung der Regierung im Parlament und diesem gegenüber.
'
Nach den bisherigen Debatten des 6. Deutschen Bundestages wird auch ein besonders kritischer Beobachter nicht behaupten wollen, in diesem Hause herrsche die Langeweile
und der Bundestag nehme sich der Sorgen derer, die die Bundestagsmitglieder gewählt haben, nicht an.Meine Regierung bemüht sich, ihrer Informationspflicht gegenüber dem Parlament so schnell und umfassend wie möglich nachzukommen. Ich habe z. B. im Dezember, als wir nun tatsächlich auf der Gipfelkonferenz der Sechs einen Schritt vorangekommen waren, Wert darauf gelegt, hier gleich, noch bevor die Regierung sich im Kabinett damit befaßt hatte, Auskunft zu geben, und der Außenminister wird am Mittwoch früh wiederum, noch bevor das Kabinett sich damit hat befassen können, im Rahmen des Teils der Debatte, der dann stattfinden soll, oder zu ihrer Eröffnung dem Hause einen Überblick über das geben, was jetzt nach West und Ost außenpolitisch ansteht. Es muß in der Tat nicht so sein, daß die Parlamentarier erst aus der Zeitung erfahren, was der Bundeskanzler oder andere Regierungsmitglieder nach einer wichtigen internationalen Konferenz zu berichten haben.Arideres paßt nicht ins Plenum, ,anderes kann, jedenfalls zu bestimmten Zeitpunkten, nur in kleineren Kreisen erörtert werden, sei es der Information, sei es der Konsultation wegen; ich .komme gleich noch einmal auf diese bielden Begriffe zurück. Aber wir werden dies nie als etwas betrachten dürfen, was die Berichterstattung und die Aussprache im Plenum ersetzt, sondern werden dem Parlament in regelmäßigen Berichten darlegen, welches die Maß-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1483
Bundeskanzler Brandtnahmen und Vorhaben der Regierung in den wichtigen politischen und gesellschaftlichen Bereichen sind. Und obwohl Fragezeichen dazu angebracht worden sind: diese Regierung wird sich nicht von dem ernsten Bemühen abbringen lassen, die politische Szene so durchschaubar wie möglich zu machen.Übrigens: auch auf dem Wege zum kooperativen Föderalismus sind wir ein paar Schritte weitergekommen. Die Ministerpräsidenten und ich haben in der vorigen Woche vereinbart, daß dies, zumal jetzt auf dem wichtigen Gebiet von Bildung und Wissenschaft, aber auch auf anderen Gebieten, durch regelmäßige zweimonatliche Besprechungen der Regierungschefs in Bund und Ländern gefördert werden soll, weil wir sonst mit den Gemeinschaftsaufgaben nicht vorankommen, um die sich ja insbesondere die eingerichteten gemeinsamen Planungsausschüsse von Bund und Ländern zu kümmern haben. Solch fruchtbare Zusammenarbeit wird gewährleisten, daß auch der Bundesstaat den großen in der modernen Industriegesellschaft vor uns stehenden Aufgaben gerecht werden wird und dabei weiterhin ein wichtiges Element der Gewaltenteilung in unserem staatlichen Aufbau gewahrt bleibt.Meine Damen und Herren, trotz der Zweifel, die Sie in bezug auf das Bundeskanzleramt haben — nur eine mit einem modernen Instrumentarium ausgestattete Regierung kann die reformerischen Pläne der vor uns liegenden Jahre in die politische Praxis umsetzen, und im Hinblick auf die Modernisierung unseres Regierungsapparats bleibt noch viel zu tun. Wir brauchen dringend bessere Mittel und Methoden, um eine genauere Orientierung über die tatsächlichen gesellschaftlichen und politischen Sachverhalte und mehr Klarheit über die langfristigen Entwicklungen gewinnen zu können. Dies gehört eben auch dazu, um mehr Transparenz über das, was jeweils zur Entscheidung ansteht, für den Bürger und die Öffentlichkeit zu erlangen.Herr Kollege Wörner, was insbesondere die Außenpolitik angeht, so habe ich nicht nur heute, sondern auch das vorige Mal, als darüber gesprochen wurde, aufmerksam zugehört. Die Regierung hat die Pflicht zur Information. Sie hat die Bereitschaft zu so viel Gemeinsamkeit, wie jeweils in einer bestimmten Situation und zu einem bestimmten Gegenstand entwickelt werden kann. So wie die Opposition sich nicht für etwas, was nicht wirklich ihren Überzeugungen entspricht, einspannen lassen möchte, so darf auch die Regierung ihre eigene Verantwortung nicht weggeben oder weglaufen lassen wollen. Wir haben aber die Pflicht — des Volkes wegen, des Staates wegen —, uns miteinander immer wieder zu bemühen, in nationalen Fragen so viel an gemeinsamem Wirken wie möglich zustande zu bringen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister Dr. Ehmke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Diskussion beweist, daß es sich leichter über Sachprobleme reden läßt, wenn die, die darüber reden, sich vorher sachkundig gemacht haben.
Herr Kollege Wörner, was die Frage der blauen Briefe angeht, so hat es diese Briefe gar nicht gegeben. Ich nehme an, es handelt sich bei Ihnen hier um eine Erinnerung an Ihre Schulzeit.
Es hat aber Briefe zum Teil an politische Beamte, zum Teil an Beamte, die nicht im beamtenrechtlichen Sinne politische Beamte sind, aber politische Funktionen erfüllen, gegeben, wie z. B. der
— Herr Rasner, ich würde doch erst einmal abwarten, bis ich zu Ende bin. Vielleicht wollen Sie dann gar nicht mehr rufen. Briefe bekommen haben z. B. der Mann, der für die Personalien im Bundeskanzleramt zuständig war, oder derjenige, der für die Aufsicht über den BND zuständig war. Sie haben die Briefe vom Chef des Bundeskanzleramtes bekommen, der allein dafür zuständig ist. Der Bundeskanzler bestimmt den Bundesminister im Kanzleramt, den Parlamentarischen Staatssekretär und den Staatssekretär; im übrigen untersteht das Personal dem Chef des Bundeskanzleramtes, und diese Zweiteilung ist ja auch durchaus sinnvoll, weil der Kanzler im einzelnen eben nicht mit diesen Dingen belastet werden soll. Ich freue mich, Herr Dr. Kiesinger, auch in diesem Punkt das Kanzleramt betreffend wieder einmal mit Ihnen übereinzustimmen.
— Ich komme noch gleich darauf zurück. Die Übereinstimmung ist größer, wie Sie gleich sehen werden. Es ist also tatsächlich vorgekommen. Es handelt sich um zwei Leute. Der Mann, der für den BND und für Sicherheit zuständig war, kriegt eine andere Beschäftigung. Nur, Herr Wörner, wieso soll das illegal sein?
— Herr Stoltenberg, wir wollen doch nicht kindisch sein. Das ist doch völlig legal.
Sie sind offenbar der Meinung, Sie regieren in diesem Lande zwanzig Jahre, pumpen die Ministerien und das Kanzleramt mit CDU-Leuten voll
— sicher, natürlich! —, und wenn dann eine neue Regierung ,die Verantwortung übernimmt, übernimmt sie auf solchen zentralen Stellen Personal,
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1484 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Bundesminister Dr. Ehmkedas Sie unter dem Gesichtspunkt seiner politischen Loyalität zu Ihnen ausgewählt hatten. Davon ist doch wohl im Ernst nicht .zu reden.
Jede Regierung hat das Recht — —
— Die Briefe waren nicht blau, Herr Rasner. Hören Sie doch mal zu! Auch wenn diese beiden Leute nicht in die Kategorie der politischen Beamten gehören — obgleich der Herr Altbundeskanzler Kiesinger 'der Meinung war, sie sollten eigentlich dazugehören und er müsse mehr personalpolitischen Spielraum haben; auch da stimme ich ihm übrigens zu —, ist es völlig legal, jemanden in dieser Position von seiner Funktion zu entbinden. Wo kommen wir denn 'eigentlich hin, wenn wir es jetzt so konstruieren, daß jeder Beamte ein Recht hat, an seiner Stelle zu bleiben! Wo gibt es denn so etwas?
— Wo gibt es denn so etwas? Nach der Rechtsprechung hat er ein Recht auf angemessene, gleichwertige Beschäftigung.Nun will ich Ihnen einmal sagen, wie das im Kanzleramt aussieht. Die Abteilung I hatte keinen Chef; der frühere Chef war Vizepräsident des Bundesrechnungshofes geworden. Derjenige, der diese Funktion wahrnahm, hat eine gleiche Funktion in dem Ressort bekommen, aus ,dem er ,gekommen war, nämlich im Verkehrsressort. Der Leiter der Abteilung II — das sind alles politische Beamte, meine Herren! — findet eine Wiederverwendung im auswärtigen Dienst. Der Leiter 'der Abteilung III, der nicht aus dem Bundesdienst kam, hat noch keine Wiederverwendung gefunden. Ich bemühe mich — ich hoffe, mit Erfolg —, ihn in einem Bundesunternehmen unterzubringen, in dem er seine große Erfahrung wirtschaftlichem Gebiet anwenden kann. Der Chef des Planungsstabes hat mir erklärt, daß er auf eine andere Tätigkeit keinen Wert legt. Keiner dieser Leute ist also .hängengeblieben.
— Gut, wenn es darum nicht geht, geht es nur darum, daß diese Regierung auf die wesentlichen Positionen in der Regierungszentrale Leute ihres Vertrauens gesetzt hat, ohne den anderen Leuten irgendwie 'ihre Beamtenrechte zu verkürzen. Ich muß schon sagen, Herr Wörner, ich nehme 'an, daß der Begriff „illegal" nur auf Ihrer Unkenntnis des Beamtenrechts beruht.
Wenn Sie ihn trotzdem aufrechterhalten, dann wäre ich dankbar, wenn Sie mir einmal sagten, was denn daran illegal sein soll.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wörner? —
Mit Vergnügen!
Herr Ehmke, mit dem gleichen Vergnügen frage ich Sie, ob Sie es für beamtenrechtlich zulässig halten, einen Beamten jetzt nahezu vier Monate ohne Tätigkeit zu lassen.
Nein. Es gibt auch keinen Beamten, der ohne Tätigkeit ist, Herr Wörner.
— Meine Herren, bleiben Sie doch nicht im Allgemeinen! Dann kann ich nur sagen, wie schon der Kanzler gesagt hat: keine Regierung ist allwissend. Ich lasse mich gern belehren. Aber von Allgemeinheiten werden ich nicht belehrt. Dann die Karten auf den Tisch: Das ist der Mann. Dann gucke ich mir den Fall an. Neulich ist, mir so ein Fall genannt worden. Dann habe ich nachgeguckt. Es war nichts. Sine sine!
Also wenn schon, dann die Karten auf den Tisch!
— Nein, ich möchte jetzt weitersprechen.Die Fragen des Neubaues und der Neuorganisation des Kanzleramtes werden ja auch unter finanziellen Gesichtspunkten gesehen. Herr Wörner, wenn Sie mir diese allgemeine Bemerkung gestatten: ich war über Ihre Ausführungen zur finanziellen Seite etwas erstaunt. Für mein schlichtes Gemüt stellt sich die Situation so dar: Im Herbst 1966 hatte die CDU uns finanziell heruntergewirtschaftet.
Dann ist die SPD in die Regierung eingetreten. Damals waren Sie sehr froh — das vergessen Sie heute —, als Herr Schiller in der Großen Koalition dieses Land und diese Wirtschaft aus der Talsohle herausgeholt hat.
Das ging gut bis zum Wahlkampf, wo Sie plötzlich das, was Sie in einem gewissen Annäherungsprozeß von der SPD aufgenommen hatten, meinten gegenüber Ihrer konservativen Wählerschaft nicht vertreten zu können und dabei waren, das Land wieder in eine Situation zu bringen, in der nun die Sozialdemokraten erneut überhaupt erst einmal wieder solide finanzielle Verhältnisse schaffen müssen.
Das ist für mich der Ablauf der Jahre von 1966 bis 1969.Nun komme ich in diesem Zusammenhang auf die Fragen — —
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1485
Bundesminister Dr. Ehmke— Ja, Wahrheit ist oft unbequem, das gebe ich Ihnen ja zu.
— Wir werden uns doch nicht mit Ihnen über Geschmack streiten.Darf ich nun zum Neubau kommen. Auch da darf ich sagen, es liegen Pläne der früheren Regierung, genauer: des früheren Bundeskanzlers vor, das Bundeskanzleramt auszuweiten. Es gibt Modelle dafür, und das Problem ist so, — —
— Es gibt Modelle dafür und Pläne für den Ausbau, für einen Anbau an das alte Palais für Kabinett, Garderobe, Bücherei, darunter das Lagezentrum, ferner für einen achtgeschossigen Bürotrakt usf. Alles das haben wir vorgefunden. Wir haben uns dann nur gesagt, wir wollen erst einmal überprüfen, ob das ökonomisch sinnvoll ist. Das Finanzministerium ist in einem Gutachten zu der Feststellung gekommen, ,daß die Ausführung dieser sehr teuren Entwürfe räumlich keine optimalen Arbeitsbedingungen schaffen könnte, wie sie an ein modernes Verwaltungsgebäude zu stellen sind. Die Bindungen an den vorhandenen Baukörper seien so bestimmend, daß eine Konzentrierung der Abteilungen und eine funktionsgerechte Zuordnung zur Leitung ides Amtes sowie eine voll befriedigende Verbindung des Kabinetts- mit dem Repräsentationstrakt in dieser Anlage nicht erreicht werden könnten. Darauf haben wir uns gesagt, es hat keinen Zweck, sehr viel Geld in einen Ausbau zu stecken, der dann doch nicht die Erfordernisse, über die wir uns, glaube ich, einig sind, Herr Dr. Kiesinger, erfüllt, sondern dann laßt uns aus ökonomischen Gründen Nägel mit Köpfen machen und lieber ein paar Millionen DM — ich sage es: ein paar Millionen DM — mehr in einen Bau stecken, der wirklich die Probleme dieses Amtes löst.Im übrigen: zu glauben, der augenblickliche Zustand sei besonders billig, ist doch ganz falsch. Wir zahlen Mieten über Mieten. Ich brauche das doppelte und dreifache Personal an Kraftfahrern, an Heizern, an Hausmeistern, an Boten, weil das Kanzleramt im Augenblick in fünf Häusern an drei Stellen untergebracht ist.Herr Dr. Kiesinger wird sich noch erinnern, daß dieser Kabinettssaal nicht einmal so gebaut ist, daß man verhindern kann, daß es während der Sitzung zieht. Und da der Vorsitzende immer gerade in der Richtung der Türen sitzt — Herr Strauß saß immer wärmer, das ist wahr —,
ist dieser also immer besonders gefährdet. Herr Strauß, Sie wissen ja, wie stark mein seelsorgerisches Interesse an Ihnen ist, 'deswegen habe ich das gesagt.
Ich darf also sagen: Auch diese Neubauidee ist doch eine Idee, die schon von der alten Regierung durchgeprüft worden ist.
— Wenn ich Sie, Herr Stoltenberg, und Ihre Kollegen über ,den Neubau und über die Neuorganisation reden höre, dann habe ich, und das bedrückt mich als Demokrat, 'das Gefühl, Sie hätten eigentlich die Hoffnung aufgegeben, jemals aus der Opposition herauszukommen.
Sie tun so, als ob wir dieses Haus für uns bauen oder für uns organisieren.
Dies Haus wird, wenn es der Bundestag genehmigt, gar nicht vor der nächsten Bundestagswahl fertig. Dazwischen 'liegt also eine Wahl, und wir werden sehen, welche Regierung wir dann haben. Es ist doch nicht so, daß sich hier die SPD und die FDP ein Bundeskanzleramt bauen. Lassen Sie uns doch alle zusammen darangehen, hier nun endlich ein modernes Führungsinstrument zu schaffen, das Sie selbst ja auch im Grundsatz bejahen. — Herr Wörner!
Zu einer Zwischenfrage Herr Dr. Wörner.
Herr Ehmke, wir wollen doch nicht aneinander vorbeireden. Ich frage mich die ganze Zeit, wann Sie eigentlich auf das eingehen, was ich gesagt habe. Denn ich persönlich habe ausdrücklich erklärt: Die Regierungsreform fängt nicht mit dem Neubau an. Ich habe keinen Zweifel daran gelassen, daß auch wir von der CDU/CSU
an einer Modernisierung des Kanzleramtes interessiert sind.
Es fragt sich, was sonst vor sich geht.
Ich bitte, eine Frage zu stellen.
Herr Wörner, Sie hatten mit dem Neubau angefangen und waren dann zur Funktion gekommen. Ich gehe in der gleichen Reihenfolge vor. Ich will hier nicht noch einen relativ geistlosen Verwaltungsbau hinstellen. Wir werden in diesem Jahr gar nicht anfangen zu 'bauen
— es gibt genug davon in Bonn —, weil wir nämlich erst einmal den Versuch machen wollen, ein Funktionsmodell des Amtes zu entwerfen. Wir werden nicht nur einen Wettbewerb der Architekten haben, wir sind auch dankbar, wenn die ganze Öffentlich-
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1486 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Bundesminister Dr. Ehmkekeit an dieser Diskussion, wie sie ein moderner demokratischer Staat in seinen Bauten darstellen soll, teilnimmt. Mit der Heimlichkeit, mit der die frühere Regierung das Regierungsviertel geplant hat, ist schon deshalb Schluß, weil wir wirklich mehr Demokratie wagen wollen.
Nun komme ich zur Funktion. Auch da ist es so, 'daß ich mit Herrn Dr. Kiesinger übereinstimme. Ich könnte Ihnen, Herr Dr. Kiesinger, jetzt viele Zitate — von Dezember 1966 an — bringen, in denen Sie, Herr Dr. Kiesinger, gesagt haben: Dieses Amt stammt zum großen Teil aus dem 19. Jahrhundert; damit kann man nicht arbeiten usw. Alles völlig richtig! Darum ist ja auch 'die Projektgruppe eingesetzt worden. Ich darf hier allerdings, Herr Wörner, zur Vervollständigung Ihrer Information sagen: auf eine Initiative der SPD hin. Und wir wären heute viel weiter, wenn das damalige Verhältnis zwischen idem CDU-Bundeskanzler und dem CDU-Innenminister so glücklich gewesen wäre, wie es heute das Verhältnis von Bundeskanzler und Bundeskanzleramt zum FDP-Innenminister ist. Offenbar ist die Homogenität dieser Koalition viel größer als die Homogenität Ihrer Partei, die ja auch keine Partei, sondern eine Union ist.
Im übrigen haben wir den ersten Schritt schon getan. Das Kanzleramt ist durch einen Organisationserlaß des Bundeskanzlers in fünf Abteilungen neu organisiert worden. Schauen Sie, es gibt doch ganz bestimmte Dinge, bei denen Herr Dr. Kiesinger sofort zustimmen würde. Er hat selbst zum Teil darum gekämpft, Herr Wörner, hat übrigens auch um die Lösung gekämpft, die jetzt mit dem Chef des Kanzleramtes gefunden worden ist. Er kam nur damals mit seinen Vorstellungen nicht durch.Ich habe hier eine Analyse der Gründe, warum das Kanzleramt nach der Adenauer-Zeit so sehr an Bedeutung verloren hat. Als erster Grund steht in dieser Analyse — die ich nicht gemacht habe — die schwache Stellung der CDU-Bundeskanzler in ihrer eigenen Partei. Das hat sich natürlich bei uns geändert.
Darum nehmen wir jetzt Art. 65 des Grundgesetzes überhaupt erst einmal ernst. Wir wollen ernst machen sowohl mit der Richtlinien- als auch mit der Koordinierungsaufgabe des Bundeskanzlers, während ja bisher die Gefahr bestand, daß Art. 65 fast nur noch aus dem Ressortprinzip bestand und die Koordinierung brachlag. Wir haben ja, das ist doch kein Zufall — das darf ich hier einmal sagen, auch um dem früheren Chef des Planungsstabes gerecht zu werden —, in den letzten zwei Jahren eine große Zahl vernünftiger Vorarbeiten gesehen, die dort geleistet wurden. Das sage ich hier ohne jede Einschränkung. Ich versuche nun, darauf weiter aufzubauen und diese Dinge zum Teil — soweit uns das schon möglich scheint — zu verwirklichen.Das fängt mit folgendem an: Als wir ins Haus kamen — Sie werden es nicht glauben —, gab esdort keine Personalregistratur. Nein, die gab es nicht. Es gab auch kein Kabinettsreferat. Das machte jedes Sachreferat, wie es- wollte. Die Aufsicht über den BND, .die Herr Carstens — das muß ich hier auch sagen — sehr zu verstärken versucht hat gegenüber früheren Zeiten, war auch nicht das, was bei der Bedeutung dieses Nachrichtendienstes — der wesentlich ist für die Sicherheit der Bundesrepublik; ich hoffe, wir werden noch eine Gelegenheit finden, darüber auch hier im Hause zu 'diskutieren; Nachrichtendienste sind ja nicht etwas, was man verstecken muß; sie sind legitime Einrichtung eines jeden Staates — angemessen gewesen wäre. Auch da reichte es nicht aus.Und wenn Sie jetzt z. B. sagen: Warum ist in Bildung und Wissenschaft nichts geschehen, muß ich folgendes sagen: Bis wir das Haus übernahmen, Herr Wörner, war für Bildung und Wissenschaft im Kanzleramt bei all den Koordinierungsaufgaben zwischen den 'beteiligten Ressorts — das haben wir ja auch verbessert, das haben wir zusammengelegt, trotzdem ist immer noch nicht alles in einem Ressort, das geht auch nicht, wir halben es aber konzentriert — ein Hilfsreferent zuständig, in einem Referat, das gleichzeitig für das Bundesinnenministerium, für das Bundesjustizministerium und für das Ministerium für Wissenschaft und Forschung zuständig war.
— Natürlich ist das ein entscheidender Punkt, Herr Stoltenberg. Der Mann konnte doch gar nichts anderes machen, als Eingangsstempel 'auf die Vorlagen zu setzen, die von den Ressorts kamen; und das ist nicht die Aufgabe des Kanzleramtes.
— Nein, keiner ersetzt einen Ressortminister. Wenn ich das wollte, brauchte ich nicht, wie es jetzt ist, 300 oder 350 Leute, sondern dann brauchte ich, um ein Überministerium zu schaffen — um diesen absurden Begriff aufzugreifen —, 30 000.
— Herr Stoltenberg, dann weiß ich nicht, wie Sie in Ihrem Hause Bildungsplanung gemacht haben — offenbar eigenhändig!
Das Problem ist dies: Das Kanzleramt ist in der Organisation zu veraltet und personell zu unterbesetzt, um auch nur das Minimum an Koordinierungsaufgaben, die ihm gestellt sind, erfüllen zu können. Das hat mit einem „Überministerium" überhaupt nichts zu tun. Schon nach Art. 65 beruht diese Regierung auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit. Die Ressorts untereinander und das Kanzleramt müssen
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1487
Bundesminister Dr. Ehmkerechtzeitig wissen, was passiert. Daß die Regierung und die Ressorts ein halbes Jahr im voraus über das informiert werden, was überhaupt en Vorhaben geplant wird, hat es früher nicht gegeben. Die erste sachlich, finanziell und zeitlich abgestimmte Gesamtplanung der Bundesregierung hat mit der Übernahme durch die neue Regierung Brandt begonnen. Das kann man doch leinfach feststellen.
Ich bin bereit, das im einzelnen auszuführen; ich kenne das ja sehr ,gut.Herr Wörner, Sie haben noch einmal darüber philosophiert, ob ich Unterkanzler oder Überminister bin. Ich bin Chef des Kanzleramtes. Die Funktion liegt durch die Geschäftsordnung fest. Ich bin gleichzeitig Minister und damit Mitglied des Kabinetts. Was ein Minister darf, steht im Grundgesetz. Da ist nichts Geheimnisvolles. Ich sage noch einmal: eine Lösung, die auch Herr Dr. Kiesinger angestrebt hat. Wenn Sie meinen, durch solche Äußerungen irgendwie Mißtrauen zwischen dem Bundeskanzler und mir als seinem ersten Gehilfen im Kanzleramt säen zu können — ein Teil der Presse tut es auch —, so würde ich sagen: sparen Sie sich die Zeit; denn Sie dürfen nicht vergessen, daß wir Sozialdemokraten sind, und da gibt es glücklicherweise noch Loyalität und Solidarität.
— Ja, den frage ich, mit ihm sitze ich oft zusammen, und er wird gem bestätigen, daß wir das zwischen uns genauso halten, auch wenn Sie es gem anders sehen würden.Gestatten Sie mir noch ein kurzes Wort zu den Auseinandersetzungen über die Presse und über die Äußerungen des Bundespressechefs, ich muß sagen: meines Freundes Conrad Ahlers.
Herr Strauß, Sie werden sicher Sinn für das Amüsante einer Situation haben, in der zwei Leute, die durch Ihre Aktivität im „Spiegel"-Verfahren eng zusammengebracht worden sind, sich heute in Sachen Pressefreiheit nun mit Ihres Mithilfe auf der Anklagebank und dem Vorwurf gegenübersehen, wir wollten an die Pressefreiheit herangehen. Das ist nun wirklich nicht so, Herr Strauß, wir hoffen vielmehr, daß Sie sich mit Ihrer Meinung inzwischen uns etwas genähert haben.
In bezug auf die Pressefreiheit sind wir unserer Meinung treu geblieben.Ich stimme mit Conrad Ahlers nicht nur darin überein, daß die Pressefreiheit gegen illegale Übergriffe, wie sie damals praktiziert worden sind — unter Ihrer „Mitwirkung", sagen wir einmal —, verteidigt werden muß, sondern wir stimmen auch darin überein, daß auch eine Regierung gegen unberechtigte Angriffe der Presse verteidigt werdenmuß. Der Bundeskanzler hat das schon gesagt, und Conrad Ahlers wird mich auch dabei auf seiner Seite finden.Sie wollten Beispiele hören. Da Conrad Ahlers als beamteter Staatssekretär hier dazu nicht Stellung nehmen kann, will ich Ihnen jetzt doch einmal einige Beispiele bringen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rasner?
Nein, Herr Rasner, ich möchte erst die Beispiele zu Ende bringen.
— Gern.Zunächst einmal — um mit einer ganz einfachen Sache anzufangen — gibt es eine Meldung der „Bild am Sonntag" vom 8. Februar über die Wirkung, die die Äußerung von Herrn Ahlers angeblich in Bremen gehabt hat. Ich nehme an, Herr Ahlers kann Ihnen die Gegenüberstellung des „Bild am Sonntag"-Berichts und des Polizeiberichts zur Verfügung stellen, so daß ich sie hier nicht vorzulesen brauche. Jedenfalls kann man feststellen: der Polizeibericht sagt in jedem Punkte: Das, was in der Zeitung steht, ist unrichtig; davon haben wir nichts gemerkt; das hat nicht stattgefunden; das ist uns völlig neu. Ich meine, daß auch solche Fälle unter Art. 5 fallen. Auch das, was Herr Ahlers „Kampfpresse" nennt, ist durch Art. 5 gedeckt. Wir können nicht damit anfangen, daß die Regierung oder sonst jemand zwischen guter und schlechter Presse unterscheidet. Das ist eine politische Auseinandersetzung und keine verfassungsrechtliche. Aber wir können uns dagegen wehren, daß hier unter Erfindung, Verdrehung oder nur Halbdarstellung von Tatsachen ein Angriff gegen die Regierung gefahren wird. Da halten wir gegen, weil wir die offene, harte Auseinandersetzung vorziehen. Dann sollen die Zeitungen sagen: Jawohl, wir ,sind grundsätzlich gegen diese Regierung und sehen unsere Aufgabe nicht in der Information des Bürgers; sondern in der Bekämpfung dieser Regierung. Dagegen werden wir uns zu wehren wissen.
Aber lassen Sie mich ein zweites Beispiel geben. Ich bringe es nur, weil es durch Ihre Äußerung, Herr Strauß, über Herrn Kollegen Bahr in Vilshofen aktualisiert worden ist. Das war doch sehr interessant für die Art, wie man versucht, einen Mann in die Ecke zu drängen oder ins falsche Licht zu setzen, ihm vielleicht sogar die Ehre abzuschneiden. Da hatten wir im Jahre 1968 die koordinierten Angriffe gegen Herrn Bahr im „Bayernkurier" und in der „Welt am Sonntag"
— Das ist kein Ablenkungsmanöver. Das ist ein typischer Fall. Herr Stoltenberg, überlassen Sie es doch vielleicht mir, worüber ich spreche; ich wäre dafür dankbar.
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1488 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Bundesminister Dr. EhmkeIch sehe das, was Herr Strauß gesagt hat, mit besonders betrübtem Sinn, weil dies alles vorausgegangen war. Da wurde also behauptet, es gebe ein Tonband ,des BND, und daraus ergebe sich, daß Herr Bahr in Ost-Berlin beim ZK der SED Gespräche geführt habe. Das wurde dann alles untersucht und dementiert. Der BND hat gesagt: Es stimmt nicht. Ein paar Tage später hat daraufhin Herr Hoff geschrieben: Na ja, es ist ja auch nicht Sache der Nachrichtendienste, zu dementieren. Das heißt, man konnte nichts beweisen. Selbst als die Regierung im Auftrag von Herrn Dr. Kiesinger festgestellt hatte — Herr Kollege Carstens hatte die Untersuchung geführt —, daß diese Dinge unrichtig sind, hat man es nicht für nötig gehalten, das zurückzunehmen.Aber nicht nur das war der Fall, sondern ich darf Ihnen vielleicht auch noch den letzten Stand sagen.Als ich das Kanzleramt von Herrn Staatssekretär Carstens übernahm, wurde mir von ihm ein Vermerk vom 21., Oktober 1969 übergeben, in dem festgehalten wurde, daß eine Informationsperson — so muß ich wohl sagen —, ein Herr Harry Back aus Berlin, bereits im Juli im Kanzleramt erschienen ist und dort Herrn Carstens in die Feder diktiert hat, er habe gesehen — —
— Ja, das ist auch mehr Demokratie, zu zeigen, wie solche Kampagnen gemacht werden.
Dieser Herr Back hatte aber behauptet, er habe gesehen und könne Zeugen dafür benennen, daß sich Herr Bahr im Juli 1967 bei seinen Verhandlungen in Prag mit Herrn Norden und Herrn Verner von der SPD getroffen habe. Dazu hatte Herr Bahr schon Stellung genommen. Gegenüber Herrn Dr. Kiesinger hat er erklärt: Ich habe die Leute nie in meinem Leben gesehen.Nun, die Sache ist damals liegengeblieben. Es ist keine Gegenüberstellung von Herrn Back mit Herrn Bahr, damals Planungschef des Auswärtigen Amtes, erfolgt, sondern ich fand das in den Akten und bin dem natürlich nachgegangen. Ich habe zunächst einmal versucht, Herrn Back zu sprechen, um eine Gegenüberstellung mit Herrn Bahr zu erreichen. Herr Back schrieb mir darauf am 6. Dezember:Es tut mir außerordentlich leid, daß ich Ihnen keinen konkreten Zeitpunkt nennen kann, zu welchem ich mich wieder in der Bundesrepublik befinde.Falls Sie ein Gespräch mit mir wünschen soll-ten, möchte ich Sie höflichst bitten, sich vonZeit zu Zeit an meine Berliner Adresse zu wen-den, da mir die Post von dort gelegentlich nachgeschickt werden kann.Das war also der große Informant!Ich habe mich dann an den ersten Zeugen gewandt, einen bekannten deutschen Rundfunkkorrespondenten, von dem angegeben war, auch er habe es gesehen. Der hat mir gesagt, ihm sei der Informant Back überhaupt nicht bekannt. Sein Name werde hier mißbraucht, es sei völliger Unsinn, nie habe ,er Herrn Bahr in irgendeinem Zusammenhang mit diesen beiden Herren gesehen.So wird das gemacht. Darum, Herr Strauß — nehmen Sie es mir nicht übel — —
— ich bringe es auch nur als Modell. Da wird halb etwas mit BND-Nachrichten oder angeblichen BND-Nachrichten, mit dem „Bayernkurier" und der „Welt am Sonntag" gemacht, und schließlich wird noch einmal im Kanzleramt nachgestoßen. Es bedarf dann des Regierungswechsels, um diese Sache endlich klarzustellen.Darum bin ich traurig, wenn Sie, Herr Strauß, nachdem das alles mit dem Kollegen und meinem Freund Egon Bahr passiert ist, hier nun noch einmal nachstoßen. Ich kann Ihnen nur sagen: Ich habe vor Egon Bahr hohen Respektgehabt. Nach dem, was ich jetzt aus den Berichten über seine Verhandlungen in Moskau gehört habe, muß ich sagen: Ich habe einen noch viel höheren Respekt vor ihm. Wenn Sie meinen, er sei ein Amateurdiplomat, dann kann ich nur sagen: Ich bin froh, ,daß in Moskau für die deutschen nationalen Interessen ein Mann verhandelt hat, der kein Amateurdiplomat ist, der es aber auch nicht für eine Politik oder Diplomatie der Stärke hält, sich wie ein Elefant im Porzellanladen zu bewegen.
— Herr Rasner, ich bin mit meinen Beispielen noch nicht zu Ende; aber gleich.Das letzte Beispiel, um es kürzer zu machen, damit Herr Rasner zu seiner Frage kommt, ist die Berichterstattung — ich lasse die „NS-Zeitung" draußen, die hat es natürlich am dicksten gemacht — in der „Bild-Zeitung" vom 15. Januar über das, was eigentlich mit der ersten Fassung ides Berichts über die Lage der Nation passiert isst. Das gehört auch noch zum Thema Bahr.
— Nein, der war da weit objektiver. Ich hin gern bereit, auch den „Spiegel" zu zitieren, aber ich bleibe bei dem, was hier Ian unsachlichen Angriffen erfolgt ist. Die gibt es auch im „Spiegel", aber nicht in diesem Fall, Herr Stoltenberg.
— Gucken Sie mal, was passiert war, ist ganz einfach. Ich muß sagen, ich war daran selbst schuld. Wir hatten unseren Beamten einen Auftrag gegeben, der für die Kürze der Zeit zu schwer war. Ich möchte mich hier ganz vor ,die Beamten stellen. Es war einfach falsch, zu meinen, in 14 Tagen kriegt man diese vergleichende Darstellung hin. Das war mein Fehler, und ich übernehme fauch die Verantwortung da-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1489
Bundesminister Dr. Ehmkefür. Als das dann vorgelegt wurde von den Beamten, haben wir uns das angesehen: Herr Bahr, der Staatssekretär im Kanzleramt, der Chef des Kanzleramts und der Bundeskanzler. Wir kamen übereinstimmend zu der Meinung: So geht das nicht; es hat keinen Zweck, das übers Knie zu brechen; da steht manches drin, was keinen Sinn macht, was auch methodisch nicht durchdacht ist; das geben wir zurück, dazu brauchen wir mehr Zeit. Da haben wir uns übernommen. Warum soll man nicht einen Fehler zugeben?Was ist daraus gemacht worden? Da steht, der linke Linke Bahr und der linke Rechte Ehmke — so ungefähr — hätten nun den von „Bild" so besonders geschätzten Bundeskanzler Brandt fast in die Rolle des Unglaubens gedrängt und hätten den Versuch gemacht, ihn zu einem Tito zwischen den Fronten umzufunktionieren, und so fort.
— Ja, das gehört zur Sache, nämlich Presseberichterstattung. Herr Stoltenberg, das ist natürlich bequem: Sie wollen immer bestimmen, was zur Sache gehört.
Zur Sache gehört, daß dies ein drittes Beispiel für einen Presseangriff ist, dessen Richtung 'deutlich ist. Es ist natürlich legitim, die Ostpolitik dieser Regierung anzugreifen, ,das ist gar kein Problem. Aber man hat noch nicht einmal den Versuch gemacht, bei uns nachzufragen: Wie ist denn die Entstehungsgeschichte der Sache gewesen? Da wird also die Sache genommen, böse dargestellt, und dann werden bestimmte Zusammenhänge behauptet, die gar nicht bestanden haben, ohne auch nur ein Minimum an Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Da sage ich Ihnen: das kann man machen. Ich sage nur: Sie müssen verstehen, wenn wir uns gegen ,solche Dinge wehren.So, Herr Rasner, das waren die drei Beispiele. Ich höre Ihre Frage!
Herr Abgeordneter Rasner zu ,einer Zwischenfrage.
Herr Minister Ehmke, darf ich Sie nach dieser Ablenkung auf 007-Stories, — —
Herr Rasner, das war unter Ihrem Niveau.
— — ,da Sie selber zu meiner Verblüffung nicht von der Funktion her, sondern von der Solidarität unter Sozialdemokraten her gesprochen haben, fragen, wie Sie zu dem Versuch Ihres Parteifreundes — das ist jetzt von Ihnen eingeführt — Jochen Steffen stehen, die Presse mit politisch-wirtschaftlichen Sanktionen zu bedrohen?
Ich bin sehr interessiert, darauf einzugehen. Als vorhin über Herrn Strauß gesprochen wurde, sagte dieser, man solle über Herrn Steffen sprechen. Ich war etwas erstaunt, Herr Strauß, da Sie im Bundestag sitzen und Herr Steffen nicht. Aber warum wollen wir nicht über Herrn Steffen sprechen? Ich bin der Meinung, daß Sie — nachdem Herr Hepp, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, gestern den RCDS als CDU-Trotzkisten — oder jedenfalls diejenigen, die den „Bayern-Kurier" kritisiert haben — bezeichnet hat — die schmückenden Epitetha bei Jochen Steffen weglassen sollten. Herr Steffen hat etwas gesagt, was auf der gleichen Linie lag — ich habe den Satz gelesen, keine Interpretation von ihm — wie bei Herrn Ahlers.
Wenn eine Presse sagt: Meine Aufgabe ist die Bekämpfung dieser Regierung und dieser Partei und dieser politischen Richtung, dann kann doch die Antwort dieser politischen Richtung nur sein: Dann nehmen wir den Kampf auf.
Gestatten Sie eine zweite Frage? — Herr Rasner.
Herr Minister, nach dieser interessanten Antwort darf ich fragen: das heißt also: „einschließlich politisch-wirtschaftlicher Sanktionen"?
— Aber, Herr Rasner, wenn zum Beispiel — —
— Ich freue mich, daß Sie sich an Herrn Steffen aufhängen, weil sonst offenbar nichts weiter da ist.
— Da müssen Sie viel früher aufstehen, um mich aufzuhängen!
Ich möchte folgendes dazu sagen. Wenn sich jetzt Herr Steffen zum Beispiel in seinem lokalen Bereich dazu entschließt, 2u sagen: In den Zeitungen gebe ich keine Anzeige mehr auf
— wer sagt das denn? Welche Maßnahmen soll er denn ergreifen? Können Sie mir einmal sagen, welche anderen Mittel er denn hätte? —, dann halte ich das für eine völlig legitime wirtschaftliche Maßnahme.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rasner?
Aber gern!
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1490 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Herr Minister Ehmke, glauben Sie wirklich, daß, wenn ein Mann wie Herr Steffen von politisch-wirschaftlichen Sanktionen spricht, er damit Anzeigenaufträge der Sozialdemokratischen Partei meint?
Nein, Herr Rasner! Nur: ich würde es immer vorziehen, den Mann zu fragen, als da schon wieder mit vagen Verdächtigungen im Nebel herumzustochern.
— Ich höre jetzt gerade meinen mir immer noch sehr verbundenen und verehrten Kollegen Strauß hier rufen: Also Konzentration! Wenn Sie damit meinen, daß Wettbewerb von seiten der SPD-Zeitungen in bezug auf diese Presse gemacht wird: aber natürlich, wir sind ja für den Wettbewerb!
— Was ist denn dabei?!
— Und Springer ist in Ordnung? Sie wollen die Konzentration entflechten und Springer so lassen, wie er ist? Herr Strauß, verstehe ich Sie recht?
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stoltenberg?
Ja, gern, Herr Stoltenberg.
Dr. Stoltenberg Herr Kollege Ehmke, ist Ihnen nicht bekannt, daß Herr Steffen nicht im Hinblick auf die sogenannten Springer-Zeitungen, sondern im Hinblick auf regionale und Heimatzeitungen gesprochen hat, die aus Mitteln der Bundesregierung und der Landesregierung wirtschaftlich durch. Rationalisierungskredite gefördert werden? Bekommt da nicht der Ausdruck „wirtschaftliche Gegenmaßnahmen" eine ganz andere Bedeutung als diejenige, die Sie ihm geben wollen?
Soweit ich mich erinnere, Herr Stoltenberg, regiert in Schleswig-Holstein noch Herr Lemke, so daß solche Kredite nicht von Herrn Steffen vergeben werden.
— Entschuldigen Sie, Sie sagten eben: Landesmittel. Wohl nur dafür könnte Herr Steffen zuständig sein.Lassen Sie mich im Augenblick suchen,
was Herr Steffen genau gesagt hat. Da Sie so großen Wert auf Jochen Steffen legen, sollten wir vielleicht zu Protokoll geben, wie der Satz richtig heißt.
Er stellt zunächst dar, wie hier Kampf gegen die Regierung gemacht wird, nämlich nicht sehr pingelig. Dann sagt er — wenn ich mit Genehmigung der Frau Präsidentin zitieren darf —:Festhalten sollte man heute schon: Die CDU/CSU— er hat noch die alte Reihenfolge —
betritt ein Terrain der politischen Argumentation, das in den letzten zwei Jahren der NPD vorbehalten blieb.Ich zitiere das jetzt ohne Stellungnahme.Deshalb ist die Eskalation nach rechts zwangsläufig und nicht beliebig zu dosieren. Die Zeitungen, die diese „Politik" forcieren, müssen in Zukunft mit politisch-wirtschaftlichen Gegenmaßnahmen der anderen Seite rechnen, die ebenfalls wie diese „Politik" bisher nicht üblich waren.
— Augenblick. Er spricht also, wenn ich das jetzt recht verstehe, von einer Presse, die sich dem Rechtsradikalismus nähert.
— Aber ganz eindeutig.
Abgesehen hiervon stelle ich Ihnen jetzt einmal eine Gegenfrage: Würden Sie denn etwa der NS-Zeitung einen Rationalisierungskredit geben?
— Augenblick. Wir wollen zwei Dinge auseinanderhalten.
Ob die Zeitungen, die Herr Steffen meint, so zu kategorisieren sind, wie er sagt, dazu äußere ich mich nicht nicht,
weil ich Ihre Heimatzeitungen nicht kenne.
— Gut, das ist eine Frage. Aber wir sind uns doch wohl einig: Wenn es so wäre, wäre dies eine völlig legitime Aussage. Sie haben es mir durch Ihre Äußerungen eben bestätigt.
Abschließend darf ich sagen, daß ich mich außerordentlich darüber freue, daß der Wechsel von Regierung und Opposition unter anderem dazu
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1491
Bundesminister Dr. Ehmkebeigetragen hat, daß auch die Fragen der Pressefreiheit nun einmal von jedem aus der anderen Position heraus gesehen werden müssen. Das ist einer der Vorteile, die dieser Regierungswechsel gebracht hat. Ich kann nur hoffen, daß er in Regierung und Opposition zusammen zu einer Stärkung der Pressefreiheit in diesem Lande beiträgt.
Das Wort hat. der Herr Abgeordnete Moersch.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nachdem Herr Bundesminister Ehmke selbst zur Demystifikation beigetragen hat — Herr Wörner hatte die Mystifikation eingeführt —, darf ich mir noch die Bemerkung erlauben, daß Sie hoffentlich jetzt mit uns darin übereinstimmen, wenn ich sage, Herr Ehmke ist im Bundeskanzleramt weder ein Holstein noch ein Einstein; er hat hier in einer nüchternen Weise offen dargelegt, was seine Aufgabe ist. Und ich bin sicher, daß die Kollegen auf der Regierungsbank ohnedies jede Art von Überkanzler aus wohlverstandenem Verfassungsgebot und aus dem natürlichen Personalinteresse heraus, das jedes Mitglied einer Bundesregierung nun einmal hat, zu verhindern wüßten. Insofern, glaube ich, können Sie unbesorgt sein, was die Gefahr einer Diktatur im Hintergrund angeht. Wenn Sie solche Befürchtungen hegen, kann ich nur sagen: Man sucht ja selten einen hinterm Ofen, wenn man nicht selbst dahintergesessen hat.
Das ist auch das Problem, das entsteht, wenn man mit der CDU/CSU in diesem Hause über Pressefreiheit reden muß.
Meine Damen und Herren, ich will aber zunächst doch zum Kollegen Wörner noch ein paar Anmerkungen machen. Herr Kollege Dr. Wörner hat heute morgen eine Zeitung auf dem Tisch gehabt, in der er in der Überschrift „Der Starfighter der Opposition im Bundestag" genannt wurde. Ich gratuliere Ihnen zu dieser Überschrift, Herr Dr. Wörner; ich empfehle Ihnen allerdings einfach aus landsmannschaftlicher Sorge, daß Sie sich auch einen Schleudersitz anschaffen, der in Ordnung ist und der funktioniert; den werden Sie dabei brauchen.
— Ich kann Sie nicht verstehen; es tut mir leid.
Ich möchte aber noch hinzufügen, daß Sie, Herr Kollege Wörner, uns trotz ausgedehnter Rede einige Dinge sehr geheimgehalten haben, nämlich Ihre Alternativen in der Frage der Prioritäten.
Wir hätten von Ihnen ganz gerne gehört, wo Sie Schwerpunkte setzen wollen. Denn Sie haben doch hier einen Katalog von unvereinbaren Forderungen vorgetragen, nämlich von finanziell unvereinbaren,. und die Frage danach sollte die CDU/CSU in dieser Etatdebatte doch endlich einmal beantworten. Entweder wollen Sie die Steuerlastquote erhöhen, d. h.
Steuern allgemein über das erträgliche Maß hinaus erhöhen und damit eine gesunde Vermögensbildung von vornherein unmöglich machen, oder Sie müssen diese Art von Sammelsurium-Attacken einstellen, weil sie nicht mehr glaubwürdig sind.
Zum Numerus clausus nur eine Anmerkung. Sie sind jetzt, Herr Dr. Wörner, wenn ich die Zeitung recht lese, ja Berater des Kultusministers Hahn geworden, der sich sicher darüber erheblich freut.
— Entschuldigen Sie, was das soll, das will ich Ihnen gleich sagen. Wenn man hier anfängt, die Bundesregierung zu beschuldigen, sie hätte in 120 Tagen den Numerus clausus nicht beseitigt und sich gleichzeitig zum Berater eines Kultusministers ernennen läßt, dann muß man sich wohl die Frage gefallen lassen, ob denn nicht die Verantwortung für die Organisation der Hochschulen bisher allein bei den Kultusministern gelegen hat und ob es nicht richtig ist, die Kultusminister selbst zu fragen, was sie eigentlich getan haben, um dieser Misere zu begegnen, und nicht den Wissenschaftsminister, der dafür gar keine Kompetenzen hat.
Meine Damen und Herren von der CDU, so, wie man in den Wald hineinruft, hallt's eben raus; das werden Sie wohl hier in diesem Hause nicht verhindern können.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Wörner?
Bitte schön!
Herr Kollege Moersch, wollen Sie bestreiten, daß nach den Vorlagen, die uns diese Regierung gegeben hat, die Aufwendungen für den Ausbau und für den Neubau von Hochschulen vom Jahr 1970 auf 1971 zurückgehen und nicht etwa steigen, und wollen Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich dies als den Mangel an Prioritäten empfunden und bezeichnet habe?
Herr Kollege Wörner, wenn Sie gestern bei der Debatte zugehört hätten, dann hätten Sie diese Frage nicht stellen müssen. Ich habe hier dargelegt, wie sich das verhält. Aber ich kann Ihnen sagen, daß in diesem Haushalt 1970 80 Millionen mehr eingesetzt sind, als Herr Stoltenberg uns früher an Mitteln, die er für Hochschulbauten einsetzen wolle, angekündigt hatte.
Kommen Sie doch nicht immer mit solchen Milchmädchenrechnungen. Sie können doch auch hören, daß Herr Finanzminister Möller gesagt hat, daß genau in diesem Punkte Änderungen vorgesehen sind, daß man jetzt einmal niederschreibt, was man ausgeben kann, und nicht, was man nebulös wünscht. Hätten Sie für rechtzeitige Reformen in den Ländern
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1492 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Moerschgesorgt, könnte man das Geld schon jetzt sinnvollausgeben. Das kann man in diesem Jahr noch nicht.
— In den Ländern, in denen die CDU regiert! Wir haben ja gestern gehört, daß ein großer Zug beispielsweise von Hochschullehrern nach Rheinland-Pfalz — so etwa der Vogelfluglinie folgend — vor sich geht. Das haben wir gestern alles vernommen. Nun, da wollen wir einmal hören, wie das mit dem Ausbau nachher steht und wie die Anforderungen sind. Denn im letzten Jahr haben die von der CDU/ CSU regierten Länder nicht einmal Anforderungen stellen können, daß wir das Geld ausgeben konnten; es sind im Etat ja 40 Millionen übrig geblieben, weil Sie keine Planungen eingereicht hatten.
Hören Sie doch auf, aus dem Märchenbuch vorzulesen, sondern lesen Sie doch den Etat nach!
Hier ist das Verhältnis zur Demokratie selbst zu klären am Beispiel des Art. 5 des ,Grundgesetzes. Herr 'Bundeskanzler Brandt und Herr Minister Ehmke haben hier 'einige 'Beispiele genannt. Ich will sie ein bißchen vertiefen, meine Damen 'und Herren von der CDU/CSU, weil Sie groß angekündigt haben, daß das für die Opposition, mit Recht, wie ich anfüge, ein entscheidendes Thema des Demo-kratieverständnisses sei.Ich glaube, daß es in der Tat entscheidend ist, wenn man vom Grundgesetz spricht, zu fragen, wie ernst man die Pressefreiheit nimmt, wie des Verhältnis zur Presse-, Meinung,s- und Informationsfreiheit ist. Ich freue mich, Herr Dr. Wörner — das sage ich ohne jeden Hintergedanken —, daß Sie heute morgen hier dargelegt haben, welcher Wandel und welcher Lernprozeß bei der CDU/CSU auf diesem Gebiet in wenigen Monaten stattgefunden hat. Denn früher klang das ganz anders aus Ihren Reihen. Es ist ja bezeichnend, daß nicht etwa die alterprobten Kämpen auf diesem Gebiet, die Auguren und kundigen Thebaner in der vorderen Reihe— Herr Rasner ist gerade hinausgegangen —, dazu Stellung genommen haben, weil sie selber Dreck am Stecken halben auf diesem Gebiet,
sondern daß Sie hier einen Mann vorgeschickt haben, der sich in der Vergangenheit noch nicht so unvorsichtig geäußert hat, daß er deshalb nicht hätte frei reden können. Das ist ein gewisser Unterschied.
Wenn Sie das Bedürfnis haben, werde ich Ihnen das gleich an einigen Beispielen belegen. Es ist ja so, daß einen beinahe Rührung überkommt, wenn man jetzt 'diese ,Sorgen der ganzen CDU/CSU um die Pressefreiheit hört, wenn sie so tut, als ob sie niemals schuldig geworden wäre in diesem Punkt, als ob wir es hier mit einer Versammlung von Un-schuldslämmern zu tun hätten. Wenn Sie hier einmal die Akten wälzen, kommen Sie zu ganz anderen Erkenntnissen. Ich habe hier nicht den Herrn Ahlers zu verteidigen; das haben Herr Brandt und Herr Ehmke schon getan. Ich habe Ihnen nur zu sagen: diese Briefe, die Ihre Staatssekretäre geschrieben haben, die Staatssekretäre des Herrn Kiesinger und auch des Herrn Adenauer, die sind jedenfalls von Herrn Ahlers Gott sei Dank nicht geschrieben worden in dem Punkt.
— Zügeln Sie Ihre Ungeduld! Hören Sie nachher zu! Ich habe mir das ,alles sehr genau notiert.
— Ich denke nicht nur daran, ich rede gleich darüber. Ihre Sorge ist berechtigt.Die CDU muß sich die Frage gefallen lassen, ob sie sich nun wirklich gewandelt hat — das wird sich herausstellen im Verlaufe der Praxis — oder ob sie eine Tarnkappe aufgesetzt hat. Hier ist es doch so, daß in dem Konflikt zwischen Grundrechten und Macht die CDU nicht so besonders pingelig war und nicht so besonders zimperlich,
sondern daß 'sie sich auf die Seite der Macht gestellt hat, wenn es darauf ankam, und nicht auf die Seite der Freiheit.Da darf ich Sie daran erinnern, daß es hier einmal von einem CDU-Bundeskanzler und seinen Beauftragten erfolgreiche Interventionen nicht gegen die Nachrichtenpublikation der „Frankfurter Allgemeinen" gegeben hat, sondern gegen den Kommentator Paul Sethe.
'Herr Kollege Moersch, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. — Nicht weil der Mann Nachrichten verfälscht hätte, sondern weil er seine Meinung gesagt hat, die nicht die Meinung des Regierungschefs gewesen ist.
Da wurde Druck ,ausgeübt auf eine sehr wunderliche und hinterlistige Art, um das auch mal hier zu sagen.
— Beruhigen Sie sich!
— Beruhigen Sie sich, dieser Vorgang ist aktenkundig.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1493
MoerschIch habe vorhin 'gesagt: Mitarbeiter und im Auftrag. Da muß ich Sie daran erinnern, daß unter dem damaligen Staatssekretär Lenz Pläne entwickelt worden sind, die das Presseamt in ein Propaganda-Instrument zur einseitigen Meinungsbeeinflussung umwandeln sollten. Muß ich Sie wirklich daran erinnern? Das ist doch nicht an der CDU ,als Partei gescheitert, sondern ,an der gesamten öffentlichen Meinung, und zwar an Journalisten aller Parteizugehörigkeiten. Da hat sich journalistische Solidarität bewahrt und bewährt ,gegen Anmaßungen von Ihrer Seite.
— Sind Sie vorsichtig! Ich rate Ihnen, mit Zwischenrufen vorsichtig zu sein, sonst ziehe ich noch ein paar andere Sachen aus der Kiste.
Ich will Ihnen mal sagen, wo es herkommt, das Gerücht über angebliche Listen von Journalisten hier: das Gerücht kommt aus den Jahren 1952/1953,
und das ist eben kein Gerücht damals gewesen, sondern da gab es wirklich Listen, wo aufgeschrieben war, weil die Leute hier neu waren, die hier antraten — ich selbst gehörte damals dazu —; da wurde aufgeschrieben, ob einer der CDU oder SPD oder FDP angehörte, ob er politisch ernst zu nehmen sei oder ob er nicht ernst zu nehmen sei. Ich könnte Ihnen Charakterisierungen von bekannten Kollegen vorlesen,
die auf diesen Listen gestanden haben, damit Sie endlich einmal wissen, was es mit den Listen auf sich hat.
Das waren die Sprechzettel der CDU-Machtgruppe, um sich im Umgang mit der Presse zu orientieren. So haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Pressearbeit in diesem Staat begonnen.
Machen Sie uns doch nicht auf diesem Gebiet eine Märchenstunde vor! Wir wissen doch Bescheid! Wir waren schon dabei, als Sie noch gar nicht wußten, daß Sie in den Bundestag kommen würden. Damals saßen wir schon als Berichterstatter auf der Tribüne dort oben.
Ich will Ihnen noch eines sagen. Wer hat denn in diesem Land damit angefangen — meine Damen und Herren von der CDU, muß ich Sie daran erinnern? —, Journalisten in „zuverlässige" und „unzuverlässige" bei der Information zu sortieren? Wer hat denn damals in den 50er Jahren mit dem „Kanzler-Tee" angefangen? Wer hat angefangen zu sortieren? Und wer hat das abgestellt? Die jetzige Bundesregierung. Jetzt wird nicht mehr nach bestimmten Gruppen ausgewählt. Jetzt sind die Korrespondenten der „Welt" genauso bei vertraulichen Gesprächen anwesend wie andere. Das hat es früher nicht in der gleichen Weise gegeben.
Oder darf ich Sie daran erinnern, meine Damen und Herren von der CDU — falls ,Sie noch zuhören können —, wer denn eigentlich die permanente Kampagne gegen Fernsehmagazine in diesem Land gestartet hat?
Wer war das denn eigentlich? Es war — das muß ich allerdings sagen — ganz geschickt gemacht. Das geschah in arbeitsteiliger Art. Die Dreckschleuder wurde von anderen in Bewegung gesetzt, nicht von Regierungsangestellten, Beamten und Regierungsmitgliedern. Hier in diesem Hause hatten Sie einen Kollegen, der sich eifrig betätigt hat. Sie hatten Ihre Angestellten in der Partei, die das gemacht haben. Der Regierungssprecher brauchte sich mit solchen Fragen nicht zu befassen. Das ist in der Tat der Unterschied. Nur wollen wir doch festhalten, daß sich Herr Rathke damit gebrüstet hat, daß einige auf der Abschußliste gestanden hätten und daß sie — um in der Jägersprache zu reden — auf der Strecke geblieben seien. Das hat er gesagt; ich kann Ihnen das belegen. Wenn Sie sich damit brüsten, müssen Sie sich auch daran erinnern, daß Sie es gewesen sind, die Abschußlisten geführt haben, nicht andere.
Ich nenne hier die Verweigerung der Bestätigung von Gert von Paczenski durch Ihre Verwaltungsratsmitglieder im NDR. Das war der erste. Es kam Proske, es kam Kogon, es kam Ihr Parteifreund Fest, und im letzten Jahr haben Sie es mit Merseburger versucht, allerdings ohne Erfolg. Sie sind doch geübt im Heckenschützentum auf diesem Gebiet.
Meine Damen und Herren, • vielleicht darf ich Sie an einige Fragestunden und Debatten in den vergangenen drei Jahren erinnern. Ich bin selbst der Initiator gewesen. Ich weiß es noch sehr genau; mein Gedächtnis ist gar nicht schlecht. Am 8. Dezember 1966 wurde in der Fragestunde erörtert, in wessen Auftrag Staatssekretär von Hase mit dem Intendanten des Deutschlandfunk, Herrn Thedieck, korrespondiert hatte, weil er sich sozusagen im Auftrag der damaligen Bundesregierung, die gerade neu gebildet wurde, über ein Interview beschwert hatte, das Herr Barsig mit Herrn Wehner am 28. August 1966 im Deutschlandfunk gemacht hatte. Damals ist ein Brief an einen Rundfunkintendanten geschrieben worden. Daß man sich nicht öffentlich, sondern heimlich geäußert hat, ist doch das Schlimme.
Wenn man sich öffentlich äußert, kann man darüber reden. Aber die Methode hintenherum, das war Ihre Art, Politik zu machen.
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1494 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
MoerschIch darf Sie weiter daran erinnern, daß Herr Lücke, der damalige Innenminister, in der Fragestunde am 18. Januar .1967 meine Feststellung unwidersprochen ließ, daß es eben doch eine unterschiedliche Art der Information gegenüber Journalisten durch die Bundesregierung gegeben habe. Er ist darauf nicht zurückgekommen. Er mußte diese Feststellung hinnehmen. Ich habe sie vorhin hier erörtert. Ich will Ihnen noch etwas sagen: Am 6. Juni 1967 ist das Problem „liberal" hier aufgetaucht. Nun schreien Sie voreilig: „Herr Ahlers" ! Natürlich hat Herr Ahlers das unterschrieben. Aber wer war denn die „beleidigte Leberwurst", wegen der er es unterschrieben hat? Das ist doch Herr Kiesinger wegen des Artikels in „liberal" gewesen! Er hat doch Herrn Ahlers veranlaßt, die Mittel zu sperren. Erinnern Sie sich doch einmal daran, wie das damals gemacht wurde und daß uns Herr von Hase dann freundlich mitgeteilt hat, das habe man früher in anderen Fällen auch so gemacht. Bei „liberal" ist es nur zum ersten Male herausgekommen. Das war der Unterschied.Erinnern Sie sich doch bitte auch daran, daß am 13. März 1968 in der Fragestunde darüber verhandelt wurde, warum die Regierung, das Presseamt, bei Herrn Höfer interveniert hatte, Herrn Nannen nicht zum „Internationalen Frühschoppen" zuzulassen. Das geschah doch nicht deswegen, um Herrn Nannen in einer bestimmten Meinung zu widersprechen, sondern um seine öffentlich geäußerte Meinung zu unterdrücken, weil man offensichtlich Angst vor der Meinungsäußerung des Herrn Nannen hatte. Das waren Ihre Leistungen auf dem Gebiet. Hier haben Sie sich an die Nase zu fassen.
Meine Damen und Herren, wer anders als der Staatssekretär von Herrn Bundeskanzler Kiesinger hat denn einen nicht sehr fundierten Angriff im Gespräch mit Herrn Höfer auf zwei amerikanische Nachrichtenagenturen gestartet, wo er dann hier im Plenum einen Eiertanz aufführen mußte, um von dieser Attacke einigermaßen wieder herunterzukommen? Das war doch in Wirklichkeit eine Pression gegen die Berichterstattung. Das war doch nichts, was mit freier Meinungsäußerung zu tun hatte, sondern das war in Wirklichkeit ein Einschüchterungsversuch. Das nenne ich Einschüchterungsversuch: wenn es um die Berichterstattung geht; nicht, wenn es um die Stellungnahme zu Meinungsäußerungen geht. Das müssen Sie unterscheiden.Nun komme ich zum letzten Punkt. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, erinnern Sie sich eigentlich an die Fragestunde vom 29. Mai 1968, wo zum ersten Male auf Grund eines Vortrages von Herrn Ahlers die Begriffe „Manipulation der Presse" und „Kampfpresse" eine Rolle spielten? Da waren Sie von der CDU/CSU durchweg sehr schweigsam. Nur Herr Ott hat eine Zwischenfrage gestellt. Alle anderen haben sich an der Fragestellung gar nicht beteiligt, weir es ja gar nicht in Ihrem Interesse lag. Pressefreiheit lag nur in Ihrem Interesse, wenn sie der Erhaltung Ihrer Macht diente. Wenn sie Ihnen gefährlich wurde, waren Sie nicht mehr daran interessiert. Damals mußte Herr Diehl bekennen, daß der Presserat eine sehr gute Definition gegeben hat, was Manipulation sei. Ich kann es Ihnen gern vortragen; ich habe es hier. Er mußte auch bekennen, daß diese Presseratsäußerung und eine Gerichtsäußerung aus Berlin natürlich nicht auf irgendwen bezogen war, z. B. nicht auf „Frankfurter Rundschau", die damals angegriffen worden war, sondern auf die „Bild-Zeitung" wegen ihrer Berichterstattung aus Berlin und wegen entsprechender Überschriften.Deswegen, meine Damen und Herren, kommt es zunächst darauf an, daß wir bei dieser Diskussion sehr sorgfältig unterscheiden, ob es sich um Meinungsfreiheit oder um Informationspflicht handelt. Niemand — ich hoffe, niemand — in diesem Hause wird jemand verwehren wollen, seine Meinung frei zu äußern. Aber jedermann muß wissen, daß das Recht der Informationsfreiheit die Pflicht zur soliden und sauberen Information einschließt.
Da es in dieser Frage keinen objektiven Prüfungsmaßstab gibt, muß die Öffentlichkeit und müssen auch wir Parlamentarier eine Zeitung danach prüfen, was sie selber für Ansprüche gegenüber der Öffentlichkeit stellt. Da stelle ich selbstverständlich an die Redaktion der „Welt" höhere Ansprüche als an die Redaktion der „Bild-Zeitung" ; das ist doch ganz selbstverständlich, nicht nur, weil der Preis beider Zeitungen unterschiedlich ist, sondern auch, weil sie sich selber anders nennen.
— Ich spreche von Zeitungen mit Nachrichten. Sie können ja nachher selber über diese Frage meditieren, meine Damen und Herren. Ich sage hier, daß eine Zeitung wie die „Welt" es sich gefallen lassen muß, daß man ihr nachweist, daß sie in letzter Zeit mit dem, was man Nachricht nennt, nicht sorgfältig umgegangen ist.
Ich nenne hier das Beispiel des Botschaftsrats Wolff, das dankenswerterweise von der „FAZ" und anderen dann sehr schnell richtiggestellt worden ist. Ich hätte es allerdings für gut gefunden, wenn andere Zeitungen in diesem Falle auch die Quelle genannt hätten, die falsch berichtet hat. Das trägt nämlich sehr zur Solidität der Presse bei.Zum zweiten, und das ist viel gravierender. Es ist wenige Tage später eine Äußerung des FDP-Vorsitzenden Scheel in der „Welt" wiedergegeben worden. Wenn Sie diese Wiedergabe mit der korrekten Wiedergabe in der „Stuttgarter Zeitung" vergleichen, dann wissen Sie meiner Ansicht nach, was Nachrichtenmanipulation ist. Turi Sie das bitte einmal! Dann wissen Sie, daß in der „Welt" genau das, was die Essenz der Äußerung von Scheel war, weggelassen worden ist, um einen anderen Eindruck zu erwecken als den, der eigentlich gemeint war. Man stand hier vor einer Alternative. Man hätte
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1495
Moerschdie Passage ganz weglassen können — in Ordnung, Zeitungen sind nicht unbeschränkt abdrucksfähig —; aber wenn man diese Sache zitierte, dann mußte man den Kern der Sache zitieren und nicht die Nebensache. Das aber ist dort geschehen. Wenn Sie die „Stuttgarter Zeitung" damit vergleichen, dann wissen Sie, was hier gemeint ist.
— Ja, Volksausgabe für Richtungskämpfe.Ich will auf die anderen Dinge gar nicht mehr hinweisen. Ich will nur noch etwas zu dem Problem der „Bild-Zeitung" sagen, weil ich hoffe, damit ein wenig zur Aufklärung über die Probleme beitragen zu können, die mit einer Massenpresse verbunden sind. Diese Art Zeitungen haben eigene Gesetze und sind, eigenen Gesetzen unterworfen, weil sie im Gegensatz zum Abonnementsblatt täglich verkauft werden müssen. Es ist deshalb durchaus legitim, wenn sie zur Auflage- und Absatzsteigerung Kampagnen entfachen. Zum Beispiel die Telefongebühren-Kampagne, die den Bundestag aus den Ferien zurückgerufen hat. Das können Sie nicht der „Bild-Zeitung" vorwerfen, sondern dem Bundestag, der sich von der „Bild-Zeitung" bestimmen ließ, aus den Ferien zurückzukehren. Insofern ist das ein Beispiel, das hier nicht zieht. Ich muß nur sagen, daß ich das für legitim halte. Es muß ja immer noch jemand geben, der darauf hereinfällt. Damals waren es die Politiker.Zweitens. Die „Bild-Zeitung" hat eine erfolgreiche Kampagne zur Einführung der Fußballbundesliga gestartet; ich meine, die verlegerisch erfolgreichste. Lassen Sie mich das ganz deutlich sagen. Denn die einzige Zeitung, die verlegerisch Gewinn von diesem System hatte, war die „Bild-Zeitung" — das ist an der Auflagesteigerung nachzuweisen —, weil sie als überregionale Zeitung damit den regionalen Zeitungen einen gewissen Wettbewerbsvorsprung abnahm, den diese vor ihr bei dem System der regionalen Oberligen als höchste Spielklasse des Fußballs in der Bundesrepublik hatten. Selbstverständlich sind die Auflagesteigerungen der Massenpresse nicht durch politische Ereignisse bedingt worden, sondern — genau wie Absatzsteigerungen von Fernsehgeräten — durch Ereignisse wie die Fußballweltmeisterschaft. Das ist an Hand der Auflagestatistik nachzuweisen. Hier liegt die eigentliche Verkaufschance. Die Politik ist gewissermaßen Rankenwerk. Deswegen dürfen Sie sie auch nicht überschätzen. Davor möchte ich Sie warnen.Wenn sich eine solche Zeitung politisch nun plötzlich unerhört engagiert und politische Kampagne führt, wobei ich nicht genau weiß, welches die Motivierung ist, muß sie es sich auch gefallen lassen, daß man ihr auf politische Kampagnen auch politisch antwortet und das Kind beim Namen nennt.
Es ist dann nicht nur legitim, sondern notwendig, daß sich Fernsehmagazine mit dieser Art von Stimmungsmache — denn darum handelt es sich im wesentlichen — beschäftigen.Man muß auch unterscheiden, daß es ein Spezialproblem, nämlich ein Monopolproblem des Springer-Verlages in Berlin gibt. Es ist dankenswert, daß der „Tagesspiegel" im Zusammenhang mit einer Nachrichtenverfälschung — so nenne ich das — über die Abwanderung von Professoren in Berlin kürzlich Roß und Reiter genannt hat. Dadurch, daß ein anderes Blatt da ist, das die Öffentlichkeit zu Recht unterrichtet, ist im Grunde die Gefahr beseitigt. Ich meine überhaupt, daß es in stärkerem Maße Aufgabe der Presse sein sollte, eine gegenseitige Kontrolle auszuüben und solche Manipulationen aufzudecken. Dann brauchte das nicht die Aufgabe der Politiker zu sein.Ich möchte eine letzte Frage ansprechen und mich dabei kurzfassen. Sie wissen, daß in Berlin eindeutige Beschlüsse gerichtlicher Art und des Presserates vorliegen, die solche Nachrichtenmanipulationen untermauern. Nun kommt ein Kapitel, das Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, besonders interessieren müßte. Es ist die Frage, wie politische Kampagnen in der Vergangenheit sozusagen parteiintern genutzt worden sind. Ich nenne hier nur ein paar Beispiele. Herr Erhard und Herr Schröder sind jetzt leider nicht mehr hier im Saal. Ich hätte in diesem Zusammenhang gern ein paar Fragen an sie gerichtet. Es ist doch wahr, daß in der „Bild-Zeitung" eine unerhörte Kampagne gegen Minister Schröder stattgefunden hat, die CDU/CSU-intern gesteuert war und in der die Informationen gegen Schröder doch offensichtlich von CDU und CSU gekommen sind.
— Ich werde Ihnen gleich noch ein paar Hinweise liefern. Seien Sie nicht so ungeduldig.
— Die Aussage von Herrn Erhard ist ein Beweis. Fragen Sie ihn einmal, wie das war.
Auch gegen Mende wurde so verfahren.Ich wollte Herrn Erhard fragen, ob es denn wahr ist, was mir vor Jahren schon gesagt wurde und was ich beim Recherchieren jetzt wieder bestätigt fand, daß Herr Springer — oder ein Beauftragter von ihm — Herrn Erhard 1965 bedeutet hat: Wenn Sie Herrn Schröder wieder zum Außenminister machen, wird diese Regierung die vier Jahre nicht überleben! — Das müßte man doch feststellen können. Ich bedauere, wie gesagt, daß die angesprochenen Kollegen jetzt nicht mehr hier sind. Ich möchte doch einmal wissen, ob es wahr ist, was hier in Bonn verbreitet wurde, daß die letzte Kampagne gegen Schiller, aber auch schon die frühere Kampagne gegen die Regierung, durch sehr gute Telefonkontakte von Herrn Strauß und Herrn Boenisch, dem Chefredakteur der „Bild-Zeitung", so gesteuert werden konnte, daß Herr Strauß Einfluß auf Nachrichtenplacierung und Überschriften genommen hat. Herr Strauß müßte sich ja wohl einmal
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1496 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Moerschdazu erklären können, ob das eigentlich stimmt. Wenn es stimmt, gratuliere ich Herrn Strauß
— natürlich! —, weil es zeigt, daß er ein sehr geschickter Mann in der Handhabung dieses Instrumentes ist.
— Was ich hier sage, ist kein Gerücht. Das sind Dinge, die gar nicht mehr aufgerührt worden wären, wenn Sie nicht mit diesem Thema begonnen hätten, obwohl Sie dazu durch Ihre frühere Verhaltensweise gar nicht legitimiert sind.Meine Damen und Herren, Sie können in einer großen wissenschaftLichen Arbeit nachlesen, wie verfahren wurde, wie die Kampagne gegen eigene Parteifreunde in der CDU/CSU, hauptsächlich gegen Erhard und Schräder, geführt wurde. Das ist eine Feststellung — das ist gar kein Vorwurf gegen die „Bild-Zeitung" —, die die Öffentlichkeit kennen muß. Jede Zeitung kann ,selbst entscheiden, mit wem sie zusammenarbeiten will. Das sollte ihr niemand aus dem politischen Leben vorschreiben. Das muß man aber einmal sagen.Meine Damen und Herren, das wirkliche Problem liegt doch gar nicht darin, daß 'es so etwas gibt, ,sondern darin, daß die Öffentlichkeit nicht ausreichend darüber unterrichtet ist, was alles auf diesem Gebiet gespielt wird und möglich ist. In dem Augenblick, wo man die Dinge beim Namen nennt, ist es um die Pressefreiheit in Deutschland schon sehr viel besser bestellt.Ich meine allerdings, daß es etwas absurd ist, wenn etwa die Redaktion der ,,Bild-Zeitung" einerseits Konflikte in die Demokratie schürt, andererseits aber denen, die Konflikte austragen, Vorwürfe macht, daß .sie diese politischen Konflikte austragen, und schließlich die Gemeinsamkeit als demokratischen Scheinwert hinstellt. Das zeigt mir im übrigen auch, meine Damen und Herren von der CDU/ CSU, daß mit vielen von Ihnen hier eine Seelenverwandtschaft besteht. Denn ihre Demokratievorstellung deckt sich ziemlich genau mit den Vorstellungen, die hier zum Ausdruck kommen und die nicht unserem liberalen Demokratieverständnis entsprechen. Diese Vorstellung heißt doch: ein bißchen Hokuspokus, ein bißchen Weltverbesserung und eine kräftige Portion Machttrieb. Diese Mischung allerdings ist unerträglich.
Es geht hier nicht um die Kritik an einer bestimmten politischen Haltung in 'Kommentaren und Leitartikeln. Es geht auch gar nicht um die Kritik an der politischen Haltung von Journalisten oder Zeitungen, sondern es geht darum, daß wir hier unser Demokratieverständnis einmal darlegen müssen gegenüber einem Mißbrauch demokratischer Grund-und Freiheitsrechte, der hier gelegentlich geübt worden ist. Ich meine, die beste Methode gegen solchen Mißbrauch ist, daß man offen darüber spricht. Dann braucht man keine Regierung und keinen Staatsanwalt. Man muß nur ,darüber diskutieren.Wer eine hohe Auflage hat — auch idas muß man sagen —, hat natürlich auch eine besonders hohe Verpflichtung, den Art. 5 des Grundgesetzes voll zu respektieren, d. h. die Pressefreiheit nicht einseitig in Anspruch zu nehmen, sondern. sich auf sie als eine Pflicht zu sorgfältiger Berichterstattung zu besinnen. Nebenbei, die amüsanteste 'Dummheit des Jahres war kürzlich die Kolumne von Herrn Schlamm über die Bundespressekonferenz, die er dort als Schutztruppe der Bundesregierung bezeichnet hat. Ich glaube, man muß die Kollegen der Bundespressekonferenz hier ausdrücklich in Schutz nehmen. Das ist, wie jeder weiß, der jemals mit ihr zu tun hatte oder ihr angehört hat, eine kritische Pressekonferenz. Die Vorstellung, daß ihre Mitglieder alle im Gleichschritt marschieren könnten, ist geradezu absurd. Man muß schon -von weit her deutsche Politik beurteilen wollen, wenn man einen solchen Galimathias zu Papier bringt.Die Vielfalt in Bonn ist also garantiert. Aber wenn ich Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, zu diesem Thema höre, bin ich manchmal der Meinung, auch die Einfalt sei ein bißchen garantiert; denn Sie haben gar kein Recht gehabt, in dieser Form zur Pressefreiheit Stellung zu nehmen, es sei denn nach einer gewissen Schamfrist; die sollten Sie allerdings einhalten. Sie haben zwanzig Jahre lang das Gegenteil von dem praktiziert, was Sie jetzt dieser Bundesregierung empfehlen wollen. Ich habe das vorher an einzelnen Beispielen belegt.
— Natürlich habe ich es belegt.
Es kommt darauf an, daß in der Demokratie auch die Kontrolle der Kontrolleure funktioniert. Es kommt darauf an, daß wir kritische Leser haben. Sie gewinnen wir zum Teil durch politische Bildung. Ich finde die Debatte über diese Frage, die heute, ich hoffe, begonnen worden ist, sehr nützlich. Sie hat das Problembewußtsein hoffentlich auf allen Seiten geschärft. Ich denke, der Wechsel von Regierung und Opposition — das hat Herr Ehmke vorhin schon mit Recht gesagt — hat sich für die Demokratie in Deutschland gelohnt. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie erkennen nun den Wert der Opposition, und ich meine, Sie werden sehr schnell auch den vollen Wert der Pressefreiheit erkennen, was mich nur freuen kann.Aber ich zweifle natürlich an diesem Gesinnungswandel noch ganz erheblich, wenn ich mir so manche Zwischenrufe ins Gedächtnis zurückrufe, die ich auch heute morgen wieder gehört habe. Als der Kollege Wörner in seiner Rede auf den SPD-Fraktionsvorsitzenden im Landtag von Schleswig-Holstein, Herrn Steffen, und andere SPD-Politiker einging, hörte ich aus den Reihen der CDU/CSU den Zwischenruf „linkes Gesindel".
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1497
MoerschMeine Damen und Herren, das ist das Vokabular, das ich in diesem Hause nicht hören möchte, auch nicht in einem Zwischenruf.
Herr Kollege Moersch, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Moersch, darf ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß gestern ein Mitglied dieses Hauses von Herrn Wehner als Lümmel bezeichnet wurde.
Das wird sicher berechtigt gewesen sein.
— Gott, wenn Sie hier alles aufwärmen müssen! Ich kann ja nichts dafür.
— Ich hätte mich zu wehren gewußt. Verlassen Sie sich darauf!
Meine Damen und Herren, trotz aller Erregung, die Sie gelegentlich befällt und die ich gar nicht verstehen kann,
glaube ich, daß Ihnen zunehmend klarer wird, was der Sinngehalt der Demokratie und des Grundgesetzes ist. Wie gesagt, das ist bedingt durch den Wechsel, dem Sie nun unterworfen gewesen sind, wenn auch sehr gegen Ihren eigenen Willen und gegen Ihre eigenen Intentionen. Das gibt meiner Ansicht nach eine gewisse Hoffnung für die Demokratie in Deutschland, nämlich die Hoffnung, daß sie tatsächlich eine Tages funktionieren kann, wenn wirklich gleiche demokratische Grundüberzeugungen im ganzen Parlament vorhanden sind und wenn Sie nicht in die Attitüde der Staatspartei und des ewigen Machtausübens zurückfallen wollen. Es ist schon ein großer Fortschritt, daß Sie sich jetzt einmal intensiv um die Grund- und Freiheitsrechte bemühen. Ich habe in den Debatten dieses Hauses jahrelang keine Beiträge der CDU/CSU zu diesem Thema gefunden, weil es Sie offensichtlich nicht interessiert hat. Daß es ab heute anders ist, läßt uns, wie gesagt, hoffen, und ich hoffe für die deutsche Demokratie: dann eben nicht mehr, wie früher, trotz der CDU, sondern auch wegen der CDU.
Das Wort hat der Abgeordnete Benda.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe, Frau Präsidentin, gegen meine Gewohnheit um eine Redezeit von 30 Minuten gebeten. Ich hoffe, daß sie mir gewährt wird. Ich möchte das begründen. Ich würde gern
versuchen, mich sehr kurz zu fassen, und ich hoffe nach wie vor, ,daß ich die Zeit nicht ausschöpfen muß. Ich benutze aber die Gelegenheit, um nach Ihnen, Herr Bundeskanzler, unter dem Motto „mehr Demokratie" zu sagen, daß ich es nachgerade unerträglich finde — wobei ich Ihre Ausführungen hinsichtlich .der Zeitdauer von heute morgen ausdrücklich davon ausnehme, denn Sie hatten natürlich )das Recht und die Pflicht, auf die Ausführungen von Herrn Kollegen Wörner zu antworten, aber ich nehme Herrn Bundesminister Ehmke nicht aus —, daß ,der frühere Brauch in diesem Hause, daß die festgelegten Redezeiten, die für das Haus gelten, von den Vertretern der Regierung nicht eingehalten, sondern um das Doppelte, Dreifache oder Vierfache überschritten werden.
Früher ist man sich darüber einmal einig gewesen. Ich finde es auch unerträglich, wenn in der gestrigen Plenarsitzung der Sprecher der SPD-Fraktion, Helmut Schmidt, in der Verkleidung als Bundesminister der Verteidigung hier vorne auftaucht,
um hier über Themen zu reden,
zu denen die Bundesregierung gebeten hatte, daß von ihnen in der gestrigen Debatte nicht gesprochen werden sollte, der hier also nicht für, sondern gegen die Bundesregierung geredet hat.
Herr Kollege Benda, .die Disposition über die verlängerten Redezeiten ist eine Abmachung innerhalb des Altestenrates. Sie gilt für die Abgeordneten, und sie gilt für die Minister.
Gut, ich bin der Auffassung, daß wir alle sehr viel schneller miteinander fertig würden, wenn sich auch die Regierung an den guten Brauch dieses Hauses hielte, sich in dem, was sie zu sagen hat, zeitlich zu konzentrieren.
Ich möchte mich im wesentlichen mit den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers beschäftigen. Zu Herrn Moersch fällt mir im Grunde wenig ein.
Er hat hier im Stile dessen gesprochen, was derHerr Ahlers die „Kampfpresse" zu nennen beliebt.
Herr Ahlers hat ja nicht immer unrecht; manchesvon dem, was Herr Ahlers so in seinen Formulie-
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Bendarungen sagt, könnte man ganz gut auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Moersch anwenden.Es ist relativ sinnlos, in einer Debatte, die um den Haushalt des Bundeskanzlers im Jahre 1969/70 geht, die alten Schlachten, von denen ich weiß, daß Herr Moersch sie allzu gerne führt, immer und immer wieder zu wiederholen und 'sich dann, wie es Herr Moersch in seiner uns allen bekannten vornehmen Art getan hat,
mit dem Verhalten von Staatssekretären auseinanderzusetzen, die nicht die Möglichkeit haben, sich in diesem Hause zu dieser Stunde zu den Vorwürfen, die Herr Moersch erhoben hat, zu äußern.
Wenn dann noch hinzukommt, daß wir auch, wenn es nach Herrn Moersch ginge, gar nicht reden dürften, weil wir, wie er es formuliert hat, gar kein Recht hätten — bis auf weiteres —,
zur Pressefreiheit Stellung zu nehmen, dann fragt man sich wirklich, was man zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Moersch noch sagen soll.
Vielleicht gibt es nachher noch den einen oder anderen Sachpunkt, bei dem ich die Gelegenheit benutzen möchte, mich zu dem einen oder anderen zu äußern.Herr Bundeskanzler, bevor ich mich den Fragen der Pressefreiheit widme, komme ich auf eine andere Bemerkung zurück, die Sie im Zusammenhang Ihrer Ausführungen heute morgen gemacht haben. Sie haben uns mitgeteilt, daß der Herr Staatssekretär Bahr bei den Verhandlungen in Moskau den Vorsitzenden der CSU vor dem Vorwurf, daß er ein Faschist sei, ausdrücklich in Schutz genommen habe. Wir sind nicht gerührt über diese Äußerung. Herr Bundeskanzler, ich finde, es ist eine schwer erträgliche Art der herablassenden Arroganz,
wenn der Chef der Bundesregierung oder in seinem Auftrag ein Beamter in Moskau Werturteile positiver oder negativer Art — in diesem Falle, was ich zur Kenntnis nehme, positiver Art — über ein Mitglied dieses Hauses oder über einen deutschen Politiker verbreitet.
Das ist nicht Aufgabe von Beamten des Kanzleramtes oder des Auswärtigen Amtes. Ich nehme auch nicht an, daß es im Sinne der Gespräche in Moskau liegt, diese Frage zu erörtern. Herr Bundeskanzler, Sie brauchen nicht bis nach Moskau zu gehen, wenn Sie Kollegen der CDU oder CSU gegen solche unerhörten Vorwürfe in Schutz nehmen wollen. Sie brauchen nur zu Ihrer eigenen Pressestelle zu gehen, die in Ihrem Pressedienst gestern — wir finden es in den heutigen Morgenzeitungen — die unerhörte Formulierung gebraucht hat, daß die Kum-panei der CDU mit dem Rechtsradikalismus nunmehr begonnen habe.
Ich nehme an, Herr Bundeskanzler, daß das im Sinne dessen liegt, was Herr Bahr in Moskau über Herrn Kollegen Strauß gesagt hat. Wenn Sie Gelegenheit nähmen, sich im Laufe dieses Tages von diesen Bemerkungen Ihres eigenen Pressedienstes hier vor der deutschen Öffentlichkeit zu distanzieren,
dann würden Sie, glaube ich, nicht nur uns — wir sind darauf nicht angewiesen —, sondern sich selbst, der Demokratie und dem Stil der politischen Auseinandersetzung einen guten Dienst erweisen.
Ich darf noch eine weitere Bemerkung zu einem anderen Punkt machen.
— Ich kann Sie leider nicht verstehen. Wenn Sie mich etwas fragen wollen, gebe ich Ihnen dazu gern Gelegenheit.
Ich möchte außerhalb des Komplexes der Pressefreiheit noch zu einem anderen Thema kurz Stellung nehmen, das Sie, Herr Bundeskanzler, und auch Herr Bundesminister Ehmke angesprochen haben. Sie haben sich mit dem Thema, das Herr Kollege Dr. Wörner angesprochen hat, ob es die bewußten „blauen Briefe" gebe, in der Weise beschäftigt, Herr Bundeskanzler,
daß Sie Herrn Kollegen Wörner aufgefordert haben, Namen zu nennen. Ich darf Ihnen bei dieser Gelegenheit und für künftige Gelegenheiten zur Methodik der Auseinandersetzung, die über dieses Thema hinausreicht, folgendes sagen. Wenn ich das Verhältnis von Regierung und Parlament richtig sehe, ist es nicht die Regierung, die das Parlament kontrolliert
und vom Parlament oder einzelnen Abgeordneten Auskünfte verlangt, sondern bisher jedenfalls war es umgekehrt. Es ist daher die Aufgabe, das Recht und die Pflicht eines Mitgliedes dieses Hauses, eine Frage an die Regierung zu stellen, und mir scheint, daß die Regierung gut beraten wäre, wenn sie diese Frage beantwortete.
Ich weiß, daß man die Regierung dazu nicht zwingen kann. Herr Ehmke hat sich im übrigen ja — wofür ich ihm dankbar bin —
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1499
Benda— Herr Ehmke, ich bin ja gerade dabei, Ihnen das in dem Satz, bei dem ich gerade bin, zu sagen.
Herr Ehmke hat sich ja mit dem Thema beschäftigt, und ich komme sogleich noch kurz darauf zurück. Ich glaube aber nicht, Herr Bundeskanzler, daß es die Aufgabe der Parlamentarier — gleichgültig ob Regierungsparteien oder Opposition — ist, Ihnen gegenüber hier Beweise anzutreten. Sie haben das Recht, hier solche Fragen zu stellen, und ich meine, daß die Regierung gut beraten wäre, wenn sie zu ihnen Stellung nähme.Herr Kollege Ehmke hat das getan. Es scheint in der Tat so zu sein, daß die Briefe, um die es sich handelt, möglicherweise nicht blau waren.
Es ist denkbar, daß man sich über diesen Punkt einigen kann, Herr Kollege Ehmke. Da ich einige dieser Briefe in der Tat kenne, bin ich bereit, Ihnen hinsichtlich der Farbe dieser Briefe recht zu geben.
Herr Ehmke, wir wollen den Ernst der Verhandlungen wahren. Ich kämpfe mit mir selber, nicht —wie es mir vorhin ging — in Gelächter auszubrechen hinsichtlich Ihrer Behauptung, die CDU habe in zwanzig Jahren das Bundeskanzleramt — so war ja wohl die Formulierung — so mit CDU-Leuten vollgestopft, daß man im Grunde Jahre brauche, um das einigermaßen wieder in Ordnung zu bringen. Herr Ehmke, das wäre vielleicht gar nicht so schlecht gewesen, denn wir haben in der Tat ausgezeichnete und hochqualifizierte Beamte anzubieten. Aber geschehen ist es leider nicht, worüber man vielleicht nachträglich in der einen oder anderen Richtung nachdenken kann.In einer Personalauseinandersetzung sehr frühzeitig nach Bildung dieser Regierung hat Herr Bundesinnenminister Genscher auf eine entsprechende Frage in der Fragestunde hier mit Recht gesagt, daß die Auseinandersetzung über einzelne Beamte nicht öffentlich auf dem Rücken der Beamten hier ausgetragen werden sollte. Ich erkläre hier, Herr Kollege Ehmke — und ich weiß, worüber ich rede —, daß es Beamte gibt und daß ich Namen von Beamten kenne— auch im Bundeskanzleramt, auch in anderen Ressorts —, die Briefe der Art, wie sie Herr Kollege Dr. Wörner hier dargestellt hat, bekommen haben.
— Nicht nur zwei.
Es gibt solche Beamte, die zum Teil vier Monate ohne eine angemessene, d. h. ohne eine Beschäftigung überhaupt auf idas Zeitunglesen oder das Spazierengehen angewiesen warden sind. Es gibt Beamte, denen der Ratschlag gegeben worden ist, von sich aus — ich rede nicht von der Gruppe der politischen Beamten, sondern wohlgemerkt von denjenigen, die unterhalb dieser Gruppe ligen — einen Weg zu finden, aus dem öffentlichen Dienstauszuscheiden, weil man sonst nicht wisse, wie man mit ihnen weiter verfahren solle. Ich glaube, daß wir auf dieses Thema zu einem Zeitpunkt, den wir selber für richtig halten, in diesem Hause sehr konkret zurückkommen müssen.Zum Thema der Pressefreiheit habe ich mit sehr großem Interesse das gehört, was der Herr Bundeskanzler hier ausgeführt hat. Der. Herr Bundeskanzler hat den Vorwurf, die Regierung greife die Pressefreiheit an, mit Nachdruck zurückgewiesen. Er hat dann Verständnis dafür bekundet, daß sich Herr Ahlers gewehrt habe, und eingeräumt, daß sicher keiner sich so wichtig nehmen sollte, daß er nicht gelegentlich noch hinzulernen könnte. Das ist natürlich alles richtig, Herr Bundeskanzler, und gilt für jeden von uns. Aber mir reicht hinsichtlich des Herrn Staatssekretärs Ahlers diese Art der Interpretation, die mittlerweile in den Zeitungen, auch solchen, in denen Herr Ahlers früher tätig war, so als die O Conny!-Interpretation üblich wird, nicht aus. Ich gebe ja zu — und wer von uns würde es nicht bestätigen —, daß Herr Ahlers ein netter Mensch ist.
Aber das steht hier nicht zur Diskussion, sondern zur Diskussion 'steht hier sein Verhalten in der Position, in die 'er nach Ihrer Entscheidung, Herr Bundeskanzler, hineingekommen ist. Daran ist er zu messen. Herr Moersch, dem ich mich doch mit einem Satz zuwenden möchte, hat das früher gemerkt als wir, nämlich damals bei der Auseinandersetzung über die Zeitschrift „liberal". Das entspricht natürlich der sprichwörtlichen Intelligenz des Herrn Kollegen Moersch. Er hat das, wie ich ihm gern einräumen will, damals in der Fragestunde 1968, also anderhalb Jahre früher ,als wir, gemerkt. Wir sind nun heute an dem Funkt angelangt, an dem wir die Frage diskutieren, wie sich Herr Ahlers in seiner 'amtlichen Stellung verhalten hat.Herr Bundeskanzler, da Sie von böse entstellten Äußerungen gesprochen haben, wird nichts anderes übrigbleiben, als noch einmal die relevanten Sätze vorzulesen. Ich weiß nicht, wer hier Sätze entstellt haben soll. Herr Kollege Dr. Wörner ganz gewiß nicht. Wenn es außerhalb dieses Saales geschehen sein sollte, besteht für mich kein Anlaß, mich hier damit auseinanderzusetzen. Im übrigen ist mir nicht bekannt, wer das getan haben könnte.Herr Ahlers hat gesagt — um diesen Punkt geht es —:Das Interessante an diesem Vorgang— nämlich dem Verhalten der Springer-Zeitungen, wie man das nennt —ist in meinen Augen, daß der studentische Protest, der sich vor zwei Jahren gegen den Springer-Konzern gerichtet hat — mit dem auch ich nicht voll einverstanden war, weil ich finde, daß die Form dieses Protestes dem Zweck nicht angemessen war —, heute gerechtfertigt wird durch das Verhalten des Springer-Konzerns.
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1500 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
BendaWir haben es hier mit dem zu tun, was ich hier einmal vor zwei Jahren, wenn auch nicht ganz ohne Kritik, die „Kampfpresse" genannt habe. Die Springer-Zeitungen sind heute, die „Bild-Zeitung" allen voran, das, was man „Kampfpresse" nennt. Es ist eine Presse, die Nachrichten verfälscht, die eine Art von Politik betreibt, die nach meinem Eindruck mit dem, was wir in Art. 5 unter der Meinungsfreiheit im demokratischen Staat verstehen, kaum noch zu vereinbaren ist.
Herr Bundeskanzler, ich würde das Thema nicht erneut behandeln, wenn Sie hier klipp und klar erklärt hätten — worauf ich gehofft habe —, daß Sie diese Sätze für falsch halten, daß Sie sich von diesen Sätzen distanzieren und daß Sie der Erwartung Ausdruck geben, daß der Herr Staatssekretär Ahlers seine Einstellung insoweit in Zukunft ändern wird.
Das habe ich heute und bisher nicht gehört. Ich hoffe, daß es vielleicht noch kommt; denn hier ist der Kern der Kontroverse, um den es geht.Ich habe gehört — das hat der Herr Bundeskanzler gesagt, das hat auch Herr Ahlers, nachdem er diese Sätze gesprochen hatte, in einem seiner Gespräche gesagt, und das hat sogar Herr Moersch gesagt, und natürlich ist das richtig —, daß neben dem Recht der Meinungsfreiheit — ich zitiere Ihre Ausführungen von heute morgen, Herr Bundeskanzler — auch die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Berichterstattung steht. Wer wüßte das denn nicht? Aber das ist noch nicht das Problem der Pressefreiheit; damit fängt es an. Entschuldigen Sie die polemische Äußerung, Herr Bundeskanzler: Dieser Kalenderspruch ist ebenso richtig wie banal. Er ist so banal, daß auch die Herren, die gegenwärtig in einem anderen Lande Europas, nämlich in Griechenland, an der Macht sind — es sind Herren militärischer Dienstgrade, die sich über das Thema, ich glaube, im „Spiegel" auch einmal geäußert haben —, dem zustimmen können: Natürlich sind wir für die Freiheit der Presse. Aber die Presse muß die Wahrheit sagen. — Entscheidend aber ist die Frage — und das unterscheidet uns ja wohl von diesen und anderen Leuten —: Wer hat die Kompetenz, zu entscheiden, was richtig ist, und welche Folgerungen werden daraus gezogen?
Hier, Herr Bundeskanzler — und da hilft dieser richtige und banale Spruch eben keinen Millimeter weiter —, ist der Punkt, bei dem es sich Herr Ahlers gefallen lassen muß, daß man ihn und vor allem den Chef dieser Regierung, die für sein Verhalten vor dem Parlament die Verantwortung trägt, fragt, was sie von der Meinungsfreiheit halten. Das ist der entscheidende Punkt.Die Frage, ob das Verhalten einer Zeitung mit Art. 5 des Grundgesetzes kaum noch zu vereinbaren ist, wie Herr Ahlers in bezug auf bestimmte Zeitungen meint, unterliegt nach dem Text und derKonzeption unseres Grundgesetzes nicht der Zuständigkeit des Staatssekretärs im Bundespresse-und Informationsamt, sondern, wie Art. 18 des Grundgesetzes sagt, dem Bundesverfassungsgericht.
— Ich komme sofort darauf zurück, Herr Wehner. Wir haben uns einmal, als wir noch zusammen in einer Regierung waren, über einen solchen Vorgang unterhalten und darüber hinaus konkrete Konsequenzen daraus gezogen. Da stand die Verwirkung des Grundrechts der Pressefreiheit zur Diskussion. Wie Sie wissen, läuft das Verfahren. Man wird sehen, wie es ausgeht. Ich brauche es jetzt nicht weiter zu illustrieren oder zu kommentieren.Hinter Ihnen sitzt der Kollege Wischnewski. Es steht dem Kollegen Wischnewski völlig frei — damit komme ich auf Ihren Zwischenruf zurück —, genau wie übrigens auch mir und Kollegen von unserer Seite, seine Meinung über Wert oder Unwert bestimmter Zeitungserzeugnisse oder Zeitungsverlage von sich zu geben. Gelegentlich fällt Herr Wischnewski — wer wüßte es nicht !— auf die Nase, z. B. wenn er nach Berlin zu den Redakteuren der „BZ", auch einer Zeitung des Springer-Konzerns, zu einer Diskussion kommt, der er sich in großer Tapferkeit gestellt hat, und dann auf die Beschwerde der Redakteure der „BZ" — nicht der „Bild-Zeitung", sondern der Berliner „BZ" — zugeben muß, daß er diese Zeitung in seinem Leben bisher noch nicht gesehen hat, und sie dann konsequenterweise auch aus seinem Pauschalvorwurf gegen die Redakteure bei Springer herausnehmen muß. Aber das ist an sich Ihr Problem, Herr Wischnewski.
— Ich höre mit Interesse, daß Sie Ihre Zurücknahme nun wieder zurücknehmen.
Aber machen Sie das, Herr Wischnewski, mit der „BZ" oder „Bild-Zeitung" oder Springer.Ich will Ihnen sagen, daß ich hier nicht als gewählter oder Pflichtverteidiger des Herrn Springer stehe. Das ist völlig irrelevant. Wie wir in dieser Auseinandersetzung die „Bild-Zeitung", die „Welt", den „Spiegel", den „stern" oder sonstwas alles hier beurteilen, darüber können wir reden, wenn es dazu Anlaß oder Gelegenheit gibt. Ich nehme gar keinen Anstoß, meine Meinung über Wert oder Unwert eines bestimmten Presseerzeugnisses, wenn ich es für richtig halte, hier zu sagen.Es stellt sich aber die Frage — und das ist die Frage, die unentwegt an die Bundesregierung und an den Bundeskanzler zurückzugeben ist —: Ist es Aufgabe des Vertreters des Staates, des Staatssekretärs im Bundespresse- und Informationsamt oder übrigens auch des Herrn Bundesministers Ehmke, der uns heute ja auch mitgeteilt hat, daß er nunmehr den Kampf aufnehmen werde, aus der
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1501
BendaBewertung bestimmter Zeitungen oder ihrer Verlage staatliche Konsequenzen zu erwägen, anzukündigen oder zu ergreifen?Herr Moersch teilt mir mit, daß er das alles für unerträglich hält, was darin steht. Das stört mich nicht, Herr Moersch.
— Na, dann um so besser. Aber Sie können es von mir aus ruhig sagen;
es stört mich nicht. Aber es stört mich, wenn die Vertreter staatlicher Instanzen — das gilt für einen Beamten genauso wie etwa für ein Gericht — erklären, daß bestimmte Presseerzeugnisse oder Verlage in ihrer Tätigkeit außerhalb des Schutzbereichs des Art. 5 des Grundgesetzes sind. Das muß unentwegt wiederholt werden, weil es dazu bisher keine Äußerung der Bundesregierung gegeben hat,
die aber nach wie vor notwendig ist. Ich warte nach wie vor darauf, daß sich der Herr Bundeskanzler zu diesem Thema äußert und insoweit mindestens von dem, was Herr Staatssekretär Ahlers in dem bekannten Interview gesagt hat, distanziert.Ein anderes Thema wird wohl noch sein — und auch dazu hätte ich gern etwas gehört —, ob denn die Bundesregierung die Auffassung des Herrn Ahlers teilt, daß im nachhinein das, was im Jahre 1968 — gemeint sind wohl die sogenannten Osterunruhen — gegenüber dem Springer-Verlag und anderen Zeitungen geschehen ist — es war nicht nur der Springer-Verlag —, als gerechtfertigt erscheint. Wenn dies in dier Tat die Meinung nicht nur des Herrn Ahlers, sondern der Bundesregierung ist, würde manches, was wir, wie ich annehme, in einer Woche hier zum Thema Amnestie zu diskutieren haben, noch in einem ganz besonderen Licht stehen.
Wir werden uns damit in der Tat in der nächsten Woche noch zu beschäftigen haben. Einstweilen bin ich nach wie vor daran interessiert, von der Bundesregierung hierzu 'eine Äußerung zu hören. Mir reicht es nicht aus, Herr Bundeskanzler, was Sie zu diesem Thema hier gesagt haben.Ich komme zum Schluß noch einmal auf den Punkt, der nach meiner Auffassung der entscheidende ist, zurück. Erlauben Sie mir, mich bei dieser 'Gelegenheit selber zu zitieren. Ich hatte mich in meiner damaligen Eigenschaft als Bundesministerdes Innern im April des vergangenen Jahres bei einer Tagung des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger hier in Godesberg mit dem gleichen Thema zu beschäftigen. Ich schmeichle mir, Herr Ahlers — so habe ich es in Erinnerung —, daß Sie bei dieser Gelegenheit nicht nur anwesend waren, sondern, wie ich damals Ihren Ausführungen entnehmen konnte, mit meinen Bemerkungen damals wohl einverstanden waren. Ich habe mich damals neben anderen Dingen — ich will Sie damit nicht lange aufhalten — mit bestimmten Gerichtsurteilen beschäftigt, die nach den Vorgängen von Ostern 1968 die Frage erörtert haben, ob diejenigen, die Zeitungsfahrzeuge in Brand gesteckt, die Auslieferung von Zeitungen verhindert haben usw., sich damit eigentlich rechtmäßig verhalten hätten oder nicht. Ich habe ein bestimmtes Urteil zitiert, in dem es hieß, daß der Verleger — und es handelt sich wieder um den gleichen, mit dem sich Herr Ahlers und Herr Ehmke beschäftigt haben — seine Machtstellung bei der öffentlichen Meinungsbildung wie auch im wirtschaftlichen Leben rigoros ausnutze, daß seine Zeitungen Musterbeispiele publizistischer Verantwortungslosigkeit seien, daß in ihnen nicht objektiv berichtet, sondern aus Stimmungsmache oder um einen Knüller zu haben, die Wahrheit gebogen werde, ja, daß effektiv gelogen werde. Ich glaube, Herr Ahlers, ihnen wiederum nicht zu nahe zu treten, wenn ich annehme, daß Sie mit dem, was Sie in diesen Wochen gesagt haben, wohl ungefähr das gleiche Werturteil haben abgeben wollen, vielleicht mit gewissen Modifikationen. Das Gericht hat damals die Konsequenz daraus gezogen, weil das so sei — nach der Meinung des Richters —, könne natürlich der Betreffende deswegen nicht verurteilt wenden, er müsse natürlich freigesprochen werden; denn er habe sich eben gegen eine unerhörte Sache zur Wehr gesetzt.Zu dieser Sache habe ich folgendes gesagt — und wenn Sie statt des Wortes „Richter", das in den ersten drei Worten ,auftaucht, einmal das Wort „Beamter" ader „Staatssekretär" setzen, dann paßt es ,auf unsere heutige Diskussion —:Wenn ein Richter,— ich sage heute: „Wenn ein Staatssekretär" —der in seinem Amt Staatsgewalt ausübt, so seine an Gesetz und Recht zu orientierende Entscheidung von seiner persönlichen politischen Überzeugung über Wert oder Unwert bestimmter Presseerzeugnisse abhängig macht, dann behauptet er, prinzipiell das Recht oder sogar die Pflicht des Staates, Zeitungen von Staats wegen je nachdem unterschiedlich zu behandeln, ob der Inhalt oder ihre Gesamttendenz staatlicherseits erwünscht ist oder nicht.
Dies ist
— und auch diesen Satz möchte ich zum Schluß vorlesen —ungeschminkt gesagt, die Rückkehr zu dem polizeirechtlichen Verständnis der Presse und damit ein Rückgriff in die Zeit vor der Paulskirchenverfassung von 1848.Das ist das Thema, um das es geht.
Meine Damen und Herren, ein Wort zur Geschäftslage. Wir haben noch genau 60 Minuten für diese Debatte, die allerdings in der nächsten Woche fortgesetzt wird. Wir möchten pünktlich schließen mit Rücksicht auch auf
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1502 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Vizepräsident Frau Funckedie Kollegen, die für die Fragestunde Frage gestellt haben und sich darauf verlassen, daß die Fragestunde um 13 Uhr beginnt.Das Wort hat Herr Bundesminister Genscher.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gehe davon aus, daß der Herr Kollege Benda mit seiner letzten Bemerkung, die auf einen Rückfall in die Zeit vor 1848 hinwies, weder die Bundesregierung noch einen Beamten gemeint hat, der im Namen der Bundesregierung gehandelt hat. Ich möchte feststellen: zu keiner Zeit und zu keiner Stunde hat diese Bundesregierung staatliche oder gesetzgeberische Maßnahmen gegen ihr angeblich mißliebige Presseorgane oder Verlage angedroht, und sie wird das auch nicht tun. Ihr Respekt vor der Pressefreiheit nach dem Grundgesetz ist dazu zu hoch.
Der Staatssekretär des Presse- und Informationsamtes hat im übrigen in einer Interpretation seiner Erklärung zu Art. 5 des Grundgesetzes ausdrücklich klargestellt, daß es auch nicht Absicht der Bundesregierung, auch nicht seine persönliche Absicht, sei, bestimmte Presseorgane außerhalb des Schutzes von Art. 5 des Grundgesetzes zu stellen.
— Er hat es getan.
Deshalb, meine Damen und Herren, besteht kein Anlaß, hier vor diesem Hohen Hause den Vorwurf zu erheben, daß diese Bundesregierung die Absicht habe, die Pressefreiheit einzuschränken oder auch nur gegen ihr — wie man sagt — mißliebige Presseorgane vorzugehen. Allerdings haben auch die Mitglieder der Bundesregierung, haben auch die Beamten, die im Namen der Bundesregierung sprechen, das Recht der Kritik. Von dieser Kritik ist niemand in diesem Staat ausgenommen.
Meine Damen und Herren, ich würde gern noch ein Wort zu den Bemerkungen des Herrn Kollegen Benda und seine Bewertung der Äußerungen des Staatssekretärs Bahr in Moskau sagen. Herr Kollege Benda, was Herr Bahr dort getan hat, war nicht die positive oder negative Beurteilung der politischen Haltung oder Position eines Mitgliedes des Deutschen Bundestages, sondern es war die Zurückweisung eines unberechtigten Angriffs gegen einen Bürger unseres Landes. Das ist die Pflicht. eines jeden Beamten, der für ,dieses Land im Ausland verhandelt!
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reddemann?
Bitte schön!
Herr Minister, wenn das die Pflicht eines jeden Beamten ist, halten Sie es dann für notwendig, daß der Herr Bundeskanzler das als besondere Leistung hier im Bundestag verkündet?
Herr Kollege, an sich ist es eine Selbstverständlichkeit. Aber zu den Selbstverständlichkeiten gehört auch, daß maßgebliche Sprecher der Opposition zunächst einmal ihrer Regierung unterstellen, daß sie befähigte Beamte mit wichtigen Missionen beauftragt. Ich halte es nicht für nützlich, auch nicht für die Verhandlungsposition eines deutschen Unterhändlers in einer so kritischen Phase, wenn ein maßgebliches Mitglied dieses Hauses diesem Beamten Dilletantismus unterstellt. Das schwächt seine Verhandlungsposition.
Herr Kollege Wörner hat in seiner einleitenden, durch Fragestellungen charakterisierten Rede die Frage aufgeworfen, wo denn auf innen- und gesellschaftspolitischem Gebiet sich etwas geändert habe, und er hat eine Reihe von Besorgnissen über bestimmte Ansätze und Schwerpunktbildungen in der Innenpolitik geäußert.Herr Kollege Wörner, der Bundeskanzler hat für den Bereich ,des öffentlichen Dienstes bereits darauf hingewiesen, daß wir für 11970 .erstmalig einen Tarifvertrag mit der Gewährung vermögenswirksamer Leistungen ,abgeschlossen haben. ET hat gleichzeitig hervorgehoben, daß das auch für die Beamten gilt. Sahen Sie, wir haben seit Jahren ein 312-DM-Gesetz; es ist ein Gesetz dieses Hauses. Erstmalig ist es einer Bundesregierung möglich gewesen, dort, wo sie es in der Hand hat, eine Anwendung dieses 312-Mark-Gesetzes in die Tat urn-zusetzen. Ich halte ,das für eine ganz wesentliche gesellschaftspolitische Entscheidung dieser Regierung,
auch mit den zu erwartenden Wirkungen in anderen Tarifbereichen.Ich glaube, ich habe Herrn Stoltenberg richtig verstanden, daß er hier den Einwurf gemacht hat, konjunkturpolitisch komme es zu spät. Herr Kollege Stoltenberg, wir haben den Abschluß dieses Tarifvertrages zwar im gegenwärtigen Zeitpunkt als konjunkturpolitisch erwünscht betrachtet, aber wir haben ihn nicht als konjunkturpolitische Maßnahme gemeint, sondern in der Tat als einen gesellschaftspolitischen Einstieg. Konjunkturpolitisch wollen wir, wie Sie wissen, im Bereich des Ausbaus des 312Mark-Gesetzes zusätzlich noch etwas tun.
— Ich bin Innenminister und. spreche hier für dieBundesregierung. Der Innenminister hat auch eineReihe wirtschaftspolitisch relevanter Entscheidungen
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1503
Bundesminister Genscherzu fällen, z. B. bei der Führung von Tarifverhandlungen, Herr Kollege, wenn Ihnen das bisher entgangen sein sollte.
Meine Damen und Herren! Wir haben auch — und mir scheint das im Verhältnis des Staates zum öffentlichen Dienst wichtig — das sehr schwierige Problempaket des sogenannten Nachholbedarfs im öffentlichen Dienst nicht nur zur Diskussion gestellt, sondern haben hier durch Einholung eines Gutachtens einen wesentlichen Beitrag geleistet, um einen Teil der Verdrossenheit vieler Angehöriger des öffentlichen Dienstes an diesem Staat abzubauen, was allgemein anerkannt worden ist.Herr Kollege Wörner, eine Opposition ist dann glaubwürdiger, wenn sie bereit ist, auch gewisse Leistungen anzuerkennen. Sie haben recht, wenn Sie auf bestimmte noch nicht optimal gelöste Kompetenzverteilungen in dieser Regierung hinweisen. Dieses Problem Verteilung wird wahrscheinlich niemals in jeder einzelnen Frage optimal lösbar sein. Aber es hätte Ihnen gut angestanden, wenn Sie anerkannt hätten, daß diese Bundesregierung die erste war, die die Kraft hatte, sofort eine Kabinettsreform in wesentlichen Zügen durchzuführen.
Dann wäre auch Ihre einzelne, punktuelle Kritik glaubwürdiger gewesen.
— Herr Kollege, Ihre Reformansprüche sind möglicherweise so hoch,
daß Sie selbst nicht einmal in 20 Jahren in der Lage waren, sie zu verwirklichen.
— Ja, Sie nicht, aber Sie sollten sich doch wenigstens insoweit mit Ihrer Fraktion identifizeren.Mene Damen und Herren! Wir haben auch in anderen Fragen — auch das verdient hier Anerkennung und Feststellung — einen neuen Stil eingeführt.
— Ja, ich will darüber nachher noch ein paar Worte sagen.Herr Kollege Wörner, Sie haben die Frage gestellt oder die Sorge geäußert, _ob denn etwa in dieser Regierung die Fragen der inneren Sicherheit zu kurz kommen könnten. Ich will Ihnen einmal vorlesen, wie sich die Ansätze in der mittelfristigen Finanzplanung, z. B. soweit es das Bundeskriminalamt betrifft, verändert haben, damit eine objektive Unterrichtung der Öffentlichkeit stattfindet. In der alten, von uns vorgefundenen mittelfristigen Finanzplanung war für das Bundeskriminalamt für 1970 ein Betrag von 30,3 Millionen DM vorgesehen. Wir haben diesen Betrag auf 40,7 Millionen erhöht. Für1971 sah die alte mittelfristige Finanzplanung einen Betrag von 31,2 Millionen vor; wir haben ihn auf 51,7 Millionen erhöht. Für 1972 sah die mittelfristige Finanzplanung, die wir vorfanden, 44,6 Millionen vor. Wir haben sie erhöht auf 65,5 Millionen.Wer hier nicht von einer Schwerpunktbildung auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Verbrechensbekämpfung spricht, meine Damen und Herren, der leugnet einfach Fakten, die in Wahrheit nicht zu leugnen sind!
Dasselbe gilt für den Bereich des Bundesgrenzschutzes; es gilt für den Bereich des Sports.Ich erwähne diesen Punkt, weil ich nicht den Eindruck aufkommen lassen möchte — und hier muß ich mich leider auf Herrn Kollegen Strauß beziehen —, daß diese Bundesregierung den Fragen der öffentlichen Sicherheit und der Verbrechensbekämpfung nicht ausreichende Aufmerksamkeit zuwende, was dann dazu führt, daß Herr Kollege Strauß in einer seiner bekannten bayerischen Auslassungen der Nachkarnevalszeit einen Zusammenhang der Haltung der politischen Kräfte, die jetzt die Verantwortung in der Regierung tragen, mit dem schrecklichen Brandverbrechen in München hergestellt hat.
Meine Damen und Herren, an diesem schrecklichen Samstagmorgen, an dem ich dort in München gewesen bin, war es für mich eines der ermutigendsten Momente, daß in dieser Situation der der SPD angehörende Oberbürgermeister, der der CSU angehörende Innenminister, der der FDP angehörende Bundesinnenminister und der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland voll übereinstimmten in der Beurteilung der Situation, in der Beurteilung der möglichen Ursachen und in der Beurteilung der notwendigen Maßnahmen. Meine Damen und Herren, in diese Solidarität der Demokraten lassen wir uns von niemandem einen Keil hineintreiben, auch nicht von Herrn Strauß.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sofort, sofort! — Wir haben wahrlich genug Punkte, in denen wir uns hier politisch auseinandersetzen. Aber ich glaube, niemand sollte diese Ereignisse in München auch nur andeutungsweise zum Gegenstand einer innenpolitischen Auseinandersetzung in der Bundesrepublik Deutschland zu machen versuchen.
Bitte schön, Herr Strauß.
Herr Bundesinnenminister, sind Sie bereit, das, was Sie eben behauptet haben, deshalb zurückzunehmen, weil „Associated Press" in der Zwischenzeit die von ihr in den Text aufgenommenen Zusätze -- „Politik der Bundesrepublik" — wegen nachweislicher Unwahrheit
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1504 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Straußzurücknehmen mußte? Sind sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich unter einer Politik, die Kriminalität und Verbrechen nicht mehr unter Kontrolle halten kann, den Namen der Bundesregierung überhaupt nicht erwähnt habe, sondern damit eine Tendenz meine, die mit gewissen Änderungen der Strafprozeßordnung begonnen hat,
die sich in der Frankfurter — —
— Nein, Herr Wehner, da irren Sie. Das habe ich nicht hinterher gesagt, ,sondern das habe ich dann zur Interpretation gesagt, welche Politik ich damit meine. Das ist eine glatte Fälschung.
Herr Kollege Strauß, wenn Sie mit dieser Ihrer Zwischenfrage zum Ausdruck bringen wollen, daß Sie damit weder die Bundesregierung noch die sie tragenden politischen Parteien noch deren rechtspolitische Auffassung meinen, so halte ich das für eine dankens- und begrüßenswerte Klarstellung hier vor dem Bundestag.
Ich meine damit gewisse politische Tendenzen,
die in Deutschland zu diesen Erscheinungen beitragen.
Herr Kollege Strauß, bei so wichtigen Fragen, wo es am Ende um die Diffamierung oder Nichtdiffamierung von Verfassungsorganen oder bestimmten Politikern geht, sollte man sich an jeder Stelle und zu jeder Zeit so zweifelsfrei ausdrücken, daß Mißverständnisse nicht möglich sind.
Und es wäre gut, wenn Sie — —
— Herr Kollege Strauß, es wäre gut, wenn Sie die politischen Kräfte auch noch genau bezeichneten, wen Sie denn nun damit meinen, ob Sie demokratische Parteien, die diesem Bundestag angehören, meinen oder nicht meinen. Wenn Sie klar sagen, daß Sie damit keine Partei des Bundestages und nicht die Bundesregierung meinen, dann ist das eine begrüßenswerte Klarstellung; aber das sollten Sie hier sagen. — Bitte!
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich überhaupt nicht von poli-
tischen Kräften gesprochen habe, auch nicht von einer Politik der Bundesregierung oder der sie tragenden Kräfte, sondern von „einer Politik". Ich wäre auch bereit, wenn ich das Wort hätte, Ihnen zu sagen, welche Politik ich damit meine, weil ich hier Roß und Reiter nennen kann.
Ich will hoffen, daß Sie es tun werden. — Ichglaube, es wird notwendig sein, daß Herr Kollege Strauß Gelegenheit nimmt, das hier vor dem Bundestag darzulegen. Denn ich kann nur das wiederholen, was Herr Schmidt gestern gesagt hat: auch Auseinandersetzungen über derartige Grundfragen gehören hier vor den Bundestag. Das gilt auch für Angehörige der Opposition. — Bitte schön!
Wollen Sie vorschreiben, was man im Lande draußen sagen darf oder nicht sagen darf? Ist es Ihre Pflicht, als Innenminister bereits darüber zu wachen
Nein, Herr Kollege Strauß, das ist doch ganz Ihre Sache, was Sie draußen sagen. Aber es wäre besser für uns alle, wenn Sie es hier im Bundestag, wo der Ort der Politik in Deutschland ist, wiederholten, damit wir uns darüber auseinandersetzen können.
Nun will ich Ihnen, um nicht in den Verdacht zu kommen, ich wolle hier Parlamentskollegen die Zeit stehlen — wir werden uns über die Etats im einzelnen auseinanderzusetzen haben —, nur noch ein Wort sagen. Es wäre gut, wenn Sie in Ihrer Stellungnahme hier im Parlament auch etwas zu dem sagten, was Sie über meinen Kollegen Ertl erklärt haben; ich meine die Formulierung „Verräter" und die angeblich nicht vorhandene „intellektuelle Möglichkeit", die Dinge zu übersehen.
— Sehen Sie, Herr Kollege Strauß — um einen weiteren Punkt Ihrer Mitteilungen aus Bayern und Vilshofen zu nennen — —
— Das sollten Sie auch 'sagen, wer das gewesen ist. Hier können Sie Roß unid Reiter nennen.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1505
Bundesminister Genscher— Herr Strauß, das stimmt doch nicht. Ich bin hiergewesen. Ich rede auch keine „großen Töne", sondern ich möchte Ihnen noch ein Wort ,zu einer anderen Bemerkung von Ihnen sagen, die Mich in besonderem Maße verletzt hat. Sie haben in Vilshofen über die Außenpolitik dieser Bundesregierung gesprochen. Sie haben das Wort „Ausverkauf" als nicht mehr ausreichend zur Qualifizierung dieser Politik angesehen, und Sie haben von „Verschenken" gesprochen.
— Herr Kollege Strauß, reden wir doch einmal überdie Zweistaatentheorie! Wer hat eigentlich als ersterhier im Deutschen Bundestag die Frage aufgeworfen,
ob die Frage ,der staatlichen Einheit das drückende Problem sei? Am 20. März 1958 haben Sie sich hier zu den Fragen der Wiedervereinigung geäußert.
Damals haben Sie Idas Österreich-Modell zur Diskussion gestellt und gefragt, ob es nicht schon ein erheblicher Fortschritt wäre, wenn in der DDR politische Verhältnisse wie in Österreich herrschten.
Herr Kollege Strauß, (es besteht überhaupt kein Zweifel, daß wir es alle als Fortschritt empfänden, wenn dort politische Verhältnisse à la Osterreich herrschten. Aber wer mit einer Verfassungsklage draußen im Lande droht, sollte etwas vorsichtiger sein, zumal wenn er schon vor mehr als zehn Jahren dm Parlament das Ziel der staatlichen Einheit, das bekanntermaßen ein Gebot des Grundgesetzes, ein Verfassungsgebot, ist, in dieser Weise als politisches Ziel in Frage gestellt hat.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Strauß?
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich in jener Rede gesagt habe, es gehe mir zuerst um die Freiheit und dann erst um die Einheit der Menschen?
Jawohl!
Sind Sie ferner bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich, wenn die Menschen drüben das Recht hätten, in freier, geheimer Abstimmung über ihre Eigenstaatlichkeit positiv zu entscheiden, das selbstverständlich respektieren würde, daß ich mich aber weigere, die Rechtssubstanz der österreichischen Verhältnisse mit der Rechtssubstanz der Verhältnisse in der DDR gleichzusetzen?
Herr Kollege Strauß, ich habe an keiner Stelle die Rechtssubstanz der Verhältnisse in der DDR mit der in Osterreich gleichgesetzt.
Das können Sie schon deshalb nicht behaupten, weil ich Ihnen vorhin gesagt habe, daß es natürlich ein begrüßenswerter Fortschritt wäre, wenn dort solche Verhältnisse herrschten.
Ich sage nur: Wer mit der Verfassungsklage droht, wer Äußerungen in der Art, wie Sie sie gemacht haben, in der Öffentlichkeit erhebt, sollte vorsichtiger sein, zumal wenn ,er bereits 1958 die Frage des Ziels der Politik, die Frage des Ziels der staatlichen Einheit in dieser Form behandelt hat.
Herr Kollege Strauß, lassen Sie mich ein Letztes sagen.
— Herr Kollege Wörner, ich äußere mich wie Sie zu Stilfragen in der Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition und nicht zu Fragen der Außenpolitik. Das sollten Sie zur Kenntnis nehmen.
Herr Kollege Strauß, ehe Sie ein solches Wort aussprechen, nämlich nicht mehr „Ausverkauf", sondern „Verschenken der Interessen", sollten Sie einmal überlegen, welche Wirkungen das im In-und Ausland hat. Sie, meine Damen und Herren, sollten auf jeden Fall das tun, was man von jedem demokratischen. Politiker gegenüber einer demokratisch zustande gekommenen Regierung erwarten kann. Sie sollten ihr auf jeden Fall auch bei Unterschieden in der Meinung über den richtigen Weg den guten Willen, daß sie das Beste für ihr Volk will, 'unterstellen.
Wer 'ihr den bestreitet, meine Damen und Herren, vergiftet die politische Auseinandersetzung in unserem Land.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Schmid.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hätte mich gern mit den Kassandrarufen meines Landsmanns Dr. Wörner auseinandergesetzt. Unter engeren Landsleuten dialogisiert es sich manchmal leichter, und die Wahrheit kommt, wenn man gut Schwäbisch spricht, gelegentlich besser an den Tag, als wenn man's mit Schloßdeutsch versucht, was manche von uns für Hochdeutsch halten. Aber es geht nicht, denn ich möchte
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1506 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Dr. Schmid
denen, die nach mir reden wollen — ich weiß, es wollen noch mindestens zwei Kollegen nach mir reden, und um 1 Uhr soll Schluß gemacht werden —, die Zeit nicht stehlen.Daß ich nicht länger sprechen kann als 15 Minuten, bekümmert mich auch deswegen, weil ich mich gern mit Kollegen Benda auseinandergesetzt hätte, den ich für einen ehrenhaften und klugen Mann halte; einen sehr ehrenhaften und sehr klugen Mann, bei dem es mich gerade deswegen besonders schmerzt, wenn ich feststellen muß, daß auch hohe Tugenden einen Sprecher beim Räsonieren gelegentlich nicht vor Irrtümern schützen, Irrtümern, die hätten vermieden werden können, wenn man besser hätte nachdenken können.Ich will mich lediglich mit den Angriffen befassen, die direkt oder indirekt gegen die Bundesregierung geführt worden sind: unter ihrer Ägide sei die Pressefreiheit in diesem Lande bedroht, nicht nur durch irgend jemanden, etwa durch gesellschaftliche oder wirtschaftliche Faktoren, sondern durch sie selber und durch ihre Beamten. Es ist hier der. Name des Staatssekretärs Ahlers gefallen. Ich möchte nicht, daß man aus dieser Debatte einen Fall Ahlers macht. Er ist ein Beamter, er untersteht der Bundesregierung,
sie ist für ihn verantwortlich. Unsere Kritik hat sich gegen die Bundesregierung zu richten
— wollte ich sagen, verehrter Herr Kollege — und sie darf nicht .ausmünden in Aufforderungen an Herrn Ahlers, zurückzutreten. Das ist nicht unsere Sache.
— Nein, nein, nicht er allein.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Benda?
Herr Kollege Schmid, würden Sie mir zustimmen, erstens, daß nicht die Debatte den Fall Ahlers macht, sondern der Fall Ahlers diese Debatte erzeugt hat, und zweitens: würden Sie mir bestätigen, daß ich vorhin gesagt habe, der Herr Bundeskanzler sollte sich zu dem Thema, das — jetzt sage ich es in Anführungsstrichen — der „Fall Ahlers" ist, äußern? Selbstverständlich wird der Regierungschef hier angesprochen und nicht ein Beamter.
Sie haben das gesagt, ich bestätige es Ihnen. Aber ich halte fest, daß aus Ihren Kreisen das andere Petitumebenso leidenschaftlich geltend gemacht worden istwie, was Sie soeben von der Regierung verlangten.Es geht, wie gesagt, um die Behauptung, die Bundesregierung 'bedrohe direkt oder durch ihre Beauftragten die Pressefreiheit. Man hört besorgte Rufe: „Wehret den Anfängen!" — ein guter Grundsatz!, und man fragt — nicht hier im Hause — in manchen Gazetten, die Ihnen nicht ganz fern stehen, auch in Reden, die von Ihren Leuten da und dort gehalten worden sind, und in Interviews: „Steht Geobbels ante. portas?". Das alles scheint mir an der Wahrheit vorbeizugehen. Wer mit solchen Behauptungen operiert, übt nicht Kritik, sondern versucht, Propaganda zu treiben.
Man spricht davon, diese Regierung übe einen bösen Druck auf Journalisten aus. Herr Wörner sprach davon, sie verunsichere sie und wolle ein Klima schaffen, in dem man nicht mehr nach Recht und Gewissen in Zeitungen schreiben könne und ähnliches mehr. Es wird behauptet, es gebe schwarze Listen, auf denen Journalisten nach ihrer politischen Stellung bewertet würden. Das ist von dieser Regierung dementiert worden. Meine Damen und Herren, wenn diese Behauptung von Ihnen weiter aufrechterhalten wird, müssen Sie Beweis antreten. Ich weiß aber, daß man früher von schwarzen Listen sprach; manche wollen welche gesehen haben, eben habe ich noch Herrn von Eckardt hier im Raum gesehen. Ich sehe ihn nicht mehr, aber vielleicht wird man ihm sagen, was ich jetzt ausführe: Ein Wort von ihm
könnte alle die Lügen strafen, die behaupten, früher habe es solche Listen gegeben und sie hätten welche gesehen. Ich würde mich freuen, wenn er uns das sagen könnte.
Mich hat gewundert, daß Sie, meine Damen und Herren zur Rechten, damals, als man ein Magazin — ich meine den „Spiegel" — durch einen unmittelbaren Eingriff lahmzulegen versuchte, indem man, noch ehe Ermittlungen stattgefunden hatten, behauptete, daß durch einige seiner Redakteure Landesverrat aller Zeiten begangen worden sei, nicht ebenso laut aufgeschrien haben, wie Sie jetzt aufschreien.
Hätten Sie das damals getan, würde ich Ihre demokratische Sorge um die Freiheit der Presse noch ernster nehmen, als ich das heute tue. Die Verhalten zu diesen Dingen müssen miteinander korrespondieren — ohne Ansehen der Person.Ich spreche hier nicht für die Regierung; ich gehöre ihr nicht an. Ich spreche für mich, und ich spreche im Namen der sozialdemokratischen Fraktion, der ich angehöre. Wir Sozialdemokraten halten es mit der Pressefreiheit so, wie es einst Voltaire getan hat. Verzeihen Sie, wenn ich einen Mann der heute so unmodernen Aufklärung zitiere. Als man einem
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1507
Dr. Schmid
Mann, den er für einen Dummkopf und noch dazu für einen mit schlechter Gesinnung hielt, verwehren wollte, zu drucken, was er meinte, schrieb er ihm: Verehrter Herr, was Sie drucken und was Sie schreiben, ist abscheulich. Trotz allem ist es Ihre Meinung, und deswegen werde ich bis zum letzten darum kämpfen, daß Sie sie drucken können. — Das ist auch unsere Auffassung, an die wir uns gestern gehalten haben und heute und morgen halten werden. Wir haben da noch ein uns liebgewordenes, etwas altväterliches Pathos, Sie werden vielleicht sagen, ein biedermeierliches Pathos. Wir sehen gelegentlich einige der Lithographien, Stiche und Karikaturen jenes Horace Daumier vor uns, der einen der wirksamsten Kämpfe um die Pressefreiheit geführt hat.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von Thadden?
Bitte!
Herr Kollege Schmid, sehen Sie es als anerkannter und respektierter Demokrat und Sozialdemokrat nicht als bedenklich an, wenn das Zweite Deutsche Fernsehen von Ihrer Partei aus der sogenannten Baracke mindestens ein, wenn nicht mehrere Fernschreiben erhält, in denen es aufgefordert wird, zu einem Kommentar noch am gleichen Tage Ihrer Partei gegenüber Stellung zu nehmen? Meinen Sie nicht, daß man hier bereits die Grenze überschritten hat?
Ich weiß nicht, welchen Fall Sie meinen. Aber wenn so gehandelt worden ist, hat man von der Baracke aus, wie Sie so schön sagen, in Anlehnung an das Pressegesetz gehandelt und verlangt, daß auf eine Behauptung hin eine Gegendarstellung gegeben werden darf. Mir scheint das ein legitimes Ansinnen zu sein. Damit wird der Pressefreiheit nicht geschadet, sondern damit bezeugt man ihr den Respekt.Die Pressefreiheit ist das Recht und die Pflicht, andere frei und unbedroht zu informieren. Insoweit hat die Presse eine öffentliche Aufgabe. Sie ist kein Stück Staatsgewalt, aber sie ist ein Stück Verfassungswirklichkeit.Für diese Freiheit gibt es Maßstäbe, und wir haben eine Judikatur, die diese Maßstäbe setzt. Ich darf mir erlauben, Frau Präsidentin, einen Satz aus einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 15. Januar 1963 zu verlesen:Berichte und Kommentare, denen es auf Skandal und Sensation ankommt, liegen von vornherein außerhalb des Bereichs der öffentlichen Aufgaben, um derentwillen die Presse als Einrichtung den besonderen Schutz der Verfassung genießt.Und eine Entscheidung vom 20. Mai 1969 sagt:Insbesondere muß die Presse, wenn sie vonihrem Recht zur Unterrichtung der Öffentlichkeit Gebrauch macht, Nachrichten und Behauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen und darf unwahre Nachrichten nicht leichtfertig weitergeben. Entspricht die Prüfung diesen Anforderungen nicht, so ist der Vorwurf schuldhaften Verhaltens begründet.Es gibt noch eine Reihe von Entscheidungen dieser Art. Ich will darauf nicht zurückkommen. Aber man sollte sich diese Sätze merken, wenn man von Pressefreiheit spricht.Natürlich bedeutet Pressefreiheit Meinungsfreiheit: niemand darf und kann von Hoher Hand der Presse verbieten, Meinungen zu äußern, und niemand darf ihr verbieten, Tatsachen so zu berichten, wie sie sie sieht und wie sie will, daß sie gesehen werden. Als Herr Chruschtschow mir sagte, unsere Pressefreiheit sei doch nichts anderes als die Freiheit, lügen zu dürfen, habe ich ihm geantwortet, mir sei ein Regime lieber, in dem man in der Presse lügen dürfe, als ein Regime, das das Monopol auf Wahrheit für sich beanspruche.
Ich hoffe, daß man mich darum nicht zum Apologeten der Lüge stempeln wird.Die Freiheit der Berichterstattung betrifft die Berichterstattung über Tatsachen von öffentlichem Interesse. Wenn man so berichtet, dient man dem notwendigen Prozeß der Bildung der öffentlichen Meinung, ohne die es Demokratie nicht geben kann.Nun wirft man Herrn Ahlers vor, er habe gesagt, eine bestimmte Presse, die Presse des Springer-Verlages, arbeite mit Verfälschungen. Man hat es gelegentlich so zitiert, als habe er gesagt, sie arbeite mit Fälschungen. Das ist weiß Gott nicht das gleiche. Was er Verfälschungen genannt hat, bedeutet doch in dem, was er sagen wollte und gesagt hat, daß man mit der Behauptung, eine schlechte Tatsache zu melden, in Wirklichkeit durch die Art, wie man berichtet, Stimmungsmache betreibt.Die Zeitungen dieses Konzerns — ich lese viele davon — halten großenteils in fast allen Dingen eine ziemlich identische Linie ein.
— Doch, Herr Wörner! Manchmal könnte man meinen, es habe einer „Richt euch!" kommandiert.
Natürlich macht gelegentlich daher einer einen Schritt zu weit nach vorn oder einen Schritt zu weit nach hinten, und .auch die Richtung stimmt nicht immer nach dem Lineal. Mich stört dieses Richtungnehmen nicht. Warum soll es nicht sein? Das gehört mit zur Pressefreiheit. Jeder, der Presse zur Verfügung hat, kann damit seine Meinung so sagen, wie er will. Man kann sich redaktionell so einrichten und organisieren, daß es auch geschieht. Aber wenn Meinungen auch frei sind und willkürlich sein können, steht doch ein Tatsachenbericht unter den Postulaten der Wahrheit.
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1508 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Dr. Schmid
Nun finde ich 'gelegentlich in einigen dieser Zeitungen Informationen, die nicht sosehr informieren zu wollen scheinen ,als vielmehr dazu bestimmt sind, Stimmungen zu erzeugen, also emotial wirken sollen. Überschriften über Nachrichten, ihre Anordnung, der stilistische Tonfall, in dem sie gebracht werden, bewirken doch oft sehr viel mehr als die bloße Mitteilung, daß das, dies oder jenes geschehen sei.
— Nein, das bezieht sich auf sehr viele. Es gibt hier viele Sünder, aber manche Sünder sind potenter als andere, und darum sündigen sie gefährlicher!
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reddemann?
Herr Kollege Professor Schmid, würden Sie Ihre Kritik dann auch gerechterweise auf das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel" und seinen größeren Bruder „Stern" 'ausdehnen?
Natürlich! Ich glaube, das brauche ich nicht besonders zu bekennen.
Ich hatte bisher noch keine Ursache, mich von diesen Nachrichtenmagazinen besonders freundlich bedacht zu fühlen.
Das spielt hier aber keine Rolle für das, was ich für richtig halte.
In dieser besonderen Art von Nachrichtengebung liegt doch das eigentliche Problem. Sie soll mehr suggestiv, mehr als Stimmungsinstrument wirken, denn als schlichte Information des Lesers, die ihn fähig machen soll, sich sein Urteil unabhängig von unterschwelligen Stimmungsfaktoren zu bilden.
Meine Damen und Herren, ich bin der Gefangene meines Versprechens, mich an die Zeit halten zu wollen, die für alle gilt. Die Lampe leuchtet schon rot; ich muß mich kurz fassen.
Eines möchte ich hier noch sagen. Mich hat es tief bekümmert, daß ich dieser Tage lesen mußte, daß in einer geachteten Zeitung dieses Verlages, in der „Welt", der Chefredakteur einen seiner Redakteure brieflich unter Druck gesetzt hat, um von ihm zu verlangen, eine Rezension über ein Buch über den Bundespräsidenten anders zu schreiben oder zurückzunehmen, als er glaubte, es verantworten zu können.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dichgans?
Bitte, Herr Dichgans!
Herr Professor Schmid, Sie haben eben einen bestimmten Verlag besonders potent und deshalb besonders gefährlich bezeichnet. Werden Sie nicht durch die Erfahrungen in Berlin widerlegt, wo dieser Verlag eine besonders hohe Auflage hat, was aber offenbar die Berliner Bevölkerung nicht daran hindert, besonders massiv SPD zu wählen?
Ich habe am Verstande der Berliner nie gezweifelt.
Sie kennen ja das Wort Goethes: „Die Berliner sind ein verwegenes Volk."
Sie sind es auch mit ihrem Verstande und sind nicht so leicht in Reih und Glied zu bringen, wie mancher möchte; mich freut das.
— Ich?
— Sie werden ihre Gründe haben,
die vielleicht nicht die Ihren sind, aber eben die Gründe dieser Berliner.Mich hat das sehr bekümmert; aber auf der anderen Seite hat es mich gefreut, daß dieser Brief den Anstoß gab, daß sieben bedeutende Mitglieder dieser Redaktion sich dagegen gewehrt haben und mit dürren Worten gesagt haben: Hier ist gedroht worden, hier wurde mit Drohungen einem Mann untersagt, seine freie Meinung zu sagen. Da kann man verstehen, daß es einen auf die Palme bringen kann, wenn ausgerechnet Leute, die innerredaktionelle Pressefreiheit so verstehen, uns vorhalten, wir bedrohten die Pressefreiheit.
Schade, daß Herr Kollege Strauß nicht mehr im Saal ist
sonst würde ich — etwas ganz anderes, als Sie meinen — ihn an seine Schulzeit erinnern, indem ich einen Satz ,aus Ciceros Reden zitiere gegen Catilina, den er sicher kennt: „Gracchi de seditione querentes" — Ausgerechnet diese Leute glauben, von der Gefährdung der Verfassung durch andere reden zu sollen! Das sei nur nebenbei gesagt.Ich will 'schließen, meine Damen und Herren: Die Pressefreiheit wird in diesem Staat, der der freieste Staat ist, den ich kenne
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1509
Dr. Schmid
nicht bedroht. Ich glaube auch nicht, daß Sie sie bedrohen würden, wenn Sie die Regierung bilden würden.
Wenn sie in Gefahr kommen sollte, dann durch die Leute, deren hohe Aufgabe es ist, die Pressefreiheit in gelebte Wirklichkeit umzusetzen, und das sind die Journalisten selber. Die Bürger und nicht Regierungen sind es, die die Pressefreiheit zu hüten haben. In diesem Staat 'sind sie die einzigen, die sie verletzen könnten.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lenz?
Ja.
Herr Professor Schmid, die Frage, um die es hier geht, hat mein Kollege Ernst Benda, glaube ich, ganz deutlich gestellt. Warum geben Sie auf diese Frage keine Antwort?
Wiederholen Sie die Frage bitte! Herr Benda hat viele Fragen gestellt.
Herr Benda hat die Frage aufgeworfen, warum die Bundesregierung sich nicht davon distanziert hat, daß ihr Sprecher gesagt hat, er habe rückblickend Verständnis dafür, daß gewaltsam die Auslieferung von Zeitungen verhindert, Fahrzeuge in Brand gesteckt wurden usw.
— Herr Bundeskanzler, gestatten Sie mir, daß ich es noch einmal vorlese! Ich werde die Frage genau stellen. Warum antworten Sie nicht auf die Frage: Billigt die Bundesregierung die Äußerung ihres Sprechers — ich darf zitieren, ZDF-Magazin em 4. Februar, 20.15 Uhr —, die vehementen studentischen Proteste gegen den Springer-Konzern seien überzogen, und er habe sich dagegen gewandt, weil er gegen jede Form von Gewalttat überhaupt und insbesondere im Zusammenhang mit der Ausübung des Demonstrationsrechts sei; nun aber müsse er einräumen, daß im Unterschied zu seiner damals vertretenen Auffassung die studentischen Proteste gegen den Springer-Konzern gerechtfertigt waren. — Das ist die Frage, die hier zur Diskussion steht. Bitte, antworten Sie!
Ich antworte nicht für Bundesregierung, aber ich will Ihnen meine Antwort, meine Auffassung dazu sagen, als ob Sie mich gefragt hätten: Die tätlichen Angriffe damals auf Betriebe des Springer-Konzerns waren rechtswidrig,
und die Behörden hatten dagegen nach Recht und Gesetz einzuschreiten. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, daß ich so denke. Wer mich kennt, weiß, daß ich mich in diese Sache gegen einiges gestellt habe, leibhaft gestellt habe, wo andere vorzogen, zu „fehlen".
Nun das Zweite! Wollen wir doch ehrlich unter uns sein und uns ein wenig begreifen als das, was wird sind, nämlich als fehlsaure Menschen, denen gelegentlich mal der Hut hochgeht! Haben Sie nicht auch schon mal gedacht — ich habe jedenfalls schon so gedacht —, wenn gewisse Dinge, die man durchaus mißbilligt, die man schlecht findet, in einer bestimmten Weise, zu einer bestimmten Zeit passieren, in der man sich besonders und persönlich angesprochen fühlt: jetzt kann ich verstehen, daß das passiert ist! Damit billigt man nicht, was geschehen ist. Damit fordert man nicht zu Straßenaufläufen auf, wie es gelegentlich mit dem Blick auf Herrn Ahlers angedeutet worden ist. Das ist meine Meinung, Herr Lenz.
Nun zum Schluß! Wir haben in Deutschland eine große Tradition in Sachen Pressefreiheit; wir haben nicht bloß die Tradition des Schmock, dessen Gestalt Gustav Freytag geprägt hat. Wir haben eine große Tradition von mutigen Männern, die für die Pressefreiheit zu leiden bereit gewesen sind. Herr Kollege Wörner, ich spreche von Schubert, den man auf den Asperg geschickt hat, von dem Buchhändler Palm, der sich hat erschießen lassen und der sich durch Nennung eines anderen hätte freikaufen können. Oder nehmen wir Leute wie Georg Büchner, der doch auch Journalist war! Nehmen wir doch Leute wie — er mag Ihnen unlieb sein — den alten Nikisch, der noch in der Nazizeit seinen „Widerstand" geschrieben und verbreitet hat! Ich nenne ihn, obwohl er in dem, war er politisch verkündet hat, nicht mein Mann ist. Aber Ehre einem Mann, der solches tat! Ich nenne Karl Kraus. Ich nenne eine Zeitschrift, die weniger hart im Kampfe war, die aber auch in der Nazizeit ihre Ehre wahrte, die „Deutsche Rundschau". Ihr Leiter gehörte nicht der Sozialdemokratie an, weiß Gott nicht, aber ich habe bewundert, wie mutig dieser Mann im „Dritten Reich" weiter vertreten hat, was er früher vertrat, nämlich einen liberalen Konservatismus in Achtung der Menschenrechte.
Wir könnten uns an diese Tradition halten. Es wäre gut, wenn wir einmal über diese Dinge sprächen. Es wäre besser, als Debatten herbeizuführen, von denen wir doch ziemlich genau wissen, daß der Beifall oft von der falschen Seite kommt.
Meine Damen und Herren, die Uhr gibt uns noch 14 Minuten. Wir haben noch zwei Redner. Vielleicht versuchen die beiden, sich kollegial in diese Zeit zu teilen.Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Stoltenberg.
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1510 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den Mittelpunkt unserer heutigen Diskussion sind nach dem breiter angelegten Beitrag des Kollegen Wörner die Fragen der Meinungsfreiheit, der Pressefreiheit und der Haltung dieser Regierung gerückt. Das ist aus akutem Anlaß begriflich, zumal angesichts der gundsätzlichen Bedeutung, die dieses Thema für unseren Staat und unsere Gesellschaft hat. Bei allem Respekt vor den grundsätzlichen Ausführungen des Kollegen Professor Schmid, des Kollegen Genscher und anderer muß ich aber doch sagen, daß die konkreten Punkte, die uns und viele andere gegenwärtig beunruhigen, hier von der Regierung und der Koalition nicht in einer befriedigenden Weise behandelt worden sind.
Bekenntnisse zum Prinzip und auch historische Erinnerungen an Traditionen der deutschen Geschichte, die wir achten, können nicht die Frage aufheben oder umgehen, wie es kommt, daß in wenigen Monaten nicht nur ein einzelner Ausrutscher zu verzeichnen ist, sondern eine Serie von Aktionen, die nach unserer Auffassung dem Grundgedanken der Presse- und Meinungsfreiheit sowie der Rolle, die die Regierung hier hat, nicht gerecht werden.Es ist die Sorge um konkrete Dinge. Wenn man sich gegen Falschmeldungen zur Wehr setzt — Herr Bundesminister Genscher, Sie zu Recht; das ist unbestritten das Recht eines jeden —, sollte man auch in der politisch-parlamentarischen Auseinandersetzung vorsichtig sein und hier nicht schon dementierte Falschmeldungen in die Kontroverse einführen.
Aber nicht dieses Recht eines jeden, Falschmeldungen zurückzuweisen und richtigzustellen, ist das Problem, sondern es geht um die Frage, die der Kollege Benda bereits gestellt hat: Nimmt sich die Bundesregierung das Recht, die Kriterien von Art. 5 des Grundgesetzes, d. h. Umfang und Grenzen der Meinungsfreiheit, selbst zu bestimmen, oder ist sie bereit, dies den dafür zuständigen unabhängigen höchsten Gerichten zu überlassen?
Insoweit ist der Versuch, in der Bewertung von Einzelvorgängen zu einer restriktiven Auslegung von Art. 5 durch den beamteten Sprecher der Bundesregierung zu kommen, doch ein sehr ernster Tatbestand. Wir müssen hier den Bundeskanzler und die Bundesregierung fragen, ob diese Vorgänge, die sich mit den Namen Ahlers, Schwarz, Steffen und Wischnewski verbinden, für den amtlichen Bereich innerhalb der Bundesregierung und für den politischen Bereich, auch innerhalb der Sozialdemokratie, zu einer Neudefinition der Richtlinien und der Praxis beim Umgang mit kritischen, oppositionellen Journalisten führen werden oder nicht.Aber die Diskussion ist ja im Grunde weiter gespannt gewesen. Es ging um die Eröffnungsbilanz der Regierung. Es ging hier um den heute wieder gemachten Versuch, im Stil der Regierung unan-genehme aktuelle Entscheidungen der früheren Regierung zuzuschieben. Da hören wir dann bei gewissen kritischen Erörterungen über die Ausbaupläne des Bundeskanzleramts vom Herrn Kollegen Ehmke: Herr Kiesinger, darüber waren wir uns doch immer einig, und darüber hat es schon Papiere gegeben. — Als ob Planungspapiere eine politische Entscheidung der früheren Bundesregierung bedeuteten, was den Bau eines achtstöckigen Hochhauses oder andere Projekte betrifft!Es geht um den Versuch, vermeintliche oder wirkliche Hypotheken der Großen Koalition allein der CDU/CSU zuzuschieben, wie wir es hier in der unschönen Formulierung des Finanzministers von der Straußschen Finanzplanung erlebt haben, die ja eine Finanzplanung des Kabinetts der Großen Koalition war.Schließlich geht es um den Versuch, die statistischen und politischen Ausgangsdaten dort herunterzusetzen, wo man neue Vorhaben günstiger erscheinen lassen will. Das zeigt sich, Herr Kollege Möller, etwa in der zwischen uns in Briefen geführten Kontroverse über die Ausgangsdaten des Wissenschaftsetats von 1969/70. Symbolisch ist auch die Tatsache, daß diese Regierung, um ihre eigenen Raten und Leistungen in einem glänzenderen Lichtlein erscheinen zu lassen, mit berichtigten SollZahlen arbeitet, die unter den tatsächlichen Ausgaben des Jahres 1969 liegen. Dieser Vorgang, den ich inhaltlich gar nicht wieder aufnehmen will, ist ein Symbol für diese Methodik. Man macht ein nach unten berichtigtes Soll, um eigene politische Aktionen und Absichten um so deutlicher dagegen abzuheben. Das scheint mir zu dem Thema „Stil der Regierung" zu gehören, den Herr Kollege Wörner in einer Form und in einem Umfang angesprochen hat, der bis zu dieser heutigen Mittagsstunde keine adäquate Antwort dieser Regierung und dieser Koalition gefunden hat.
Meine Damen und Herren, wir werden die Diskussion in der kommenden Woche weiterführen. Aber zum Schluß dieser besonders kurzen Redezeit möchte ich doch folgendes wiederholen.Das Verhältnis zwischen Regierung und Opposition hat in diesem Parlament und in dieser Wahlperiode natürlich eine besondere Bedeutung, wo Sie den Versuch unternommen haben, mit wenig mehr als 50 % der Abgeordneten dieses Hauses gegen fast 50% zu regieren. Wie das der deutschen Politik und dem deutschen Volk bekommt, darüber können wir nach 120 Tagen nicht abschließend rechten; das ist zutreffend. Daß das eine sehr schwere Hypothek für alle bedeuten kann, wissen viele in diesem Hause über die Grenzen der Parteien hinweg.Ich möchte hier noch einmal sagen, was Herr Kollege Wörner ausführte: Es kann keine Gemeinsamkeit auf Abruf geben. Seit dem 29. September, seit der Wahlnacht, sind mit uns nicht die Gespräche geführt worden, die notwendig sind, um schwere Entscheidungen gemeinsam tragen zu können, und zwar vor der Regierungsbildung nicht
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1511
Dr. Stoltenberg— das war Ihre Entscheidung — und auch nach der Bildung dieser Regierung nicht.
— Sie waren doch stolz darauf, Herr Kollege Mertes, daß Sie nur mit einer Seite verhandelt haben; insofern sollten Sie das nicht bestreiten. Das muß man natürlich im Zusammenhang mit dem Thema der Gemeinsamkeit sehen, was früher in der Sprache der Sozialdemokraten und des Kollegen Wehner eine so große Rolle spielte, als man noch selbst in der Opposition war.Wir haben nicht vergessen, was hier in bestimmten Interviews gesagt wurde. Wir glauben, daß eine ganz andere Form der Erörterung der politischen Grund- und Lebensfragen von Anfang an notwendig sein wird, und zwar über gewisse Konsultationen und Informationen hinaus, die es jetzt gibt, wenn man in der Tat in bestimmten entscheidenden Themen Gemeinsamkeit haben will. Ich sage das deshalb zu dieser Mittagsstunde, weil wir ja hören, daß nicht nur innerhalb unseres Landes, sondern auch von draußen danach gefragt wird, ob bestimmte mögliche Entscheidungen von einer großen, d. h. in den Augen anderer: einer ausreichenden Mehrheit dieses Bundestages getragen werden. Wer Gemeinsamkeit in Lebensfragen der deutschen Politik in diesem Hause will, muß eine ganz andere Form und Methodik der offenen Diskussion von den Anfängen her finden, ohne die gefährliche Präjudizierung in neuen Begriffen, in neuen Elementen einer noch nicht geklärten Politik vorzunehmen.
Meine Damen und Herren, das wird das Thema sein, über das wir in der nächsten Woche weiter sprechen: Konfrontation und Kooperation, und natürlich ist beides ein Grundgesetz der parlamentarischen Demokratie. Die Rede des Bundeskanzlers hat unsere Frage,- wie diese Regierung es damit hält, bisher nicht schlüssig beantwortet, und manches, was wir vom Chef des Bundeskanzleramtes, dem Kollegen Ehmke, dazu gehört haben, läßt unseren Zweifel größer werden, ob hier der Stil und die Politik bereits definiert sind, die eine tragfähige Grundlage zu den Erörterungen schaffen können, die wir für notwendig halten.
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich nicht denkbar, jetzt auch nur auf die Fragen, die .der Herr Kollege Stoltenberg am Schluß wiederholt hat, einigermaßen zu antworten, abgesehen davon, daß ich hier nicht für diese Regierung antworten kann und will. Nur, als jemand, der diese Regierung unterstützt und der auch völlig anderer Meinung über die Praxis dieser Regierung ist, als Sie sie heute hier darzustellen versucht haben, was Ihr Recht ist — aber ich bin völlig entgegengesetzter Meinung; darüber werdenwir weiter reden in der nächsten Woche —, möchte ich Ihnen sagen: Ich finde, es ist kränkend — aber ich nehme das Wort schon wieder zurück, weil man sich Ihnen gegenüber ja nicht schwach zeigen darf —, daß Sie überhaupt in dieser unnachahmlichen Weise am Schluß hier zweimal fragen, Herr Stoltenberg, ob sich denn die Bundesregierung das Recht nehme, die Grenzen der Meinungsfreiheit selbst zu bestimmen. Ich würde eine solche Frage nicht einmal an die Regierung Adenauer gestellt haben, obwohl es da Listen gab.
Das ist alles. Ich hätte noch manches dazu zu sagen. Ich hoffe, daß die Regierung selbst ihre Antwort geben wird. Nur, als ein Abgeordneter — und ich darf das wohl auch im Namen meiner Fraktion sagen, die mich in diesem Punkte sicher nicht desavouieren wird — bin .ich der Meinung, daß es eine Zumutung ist, in dieser Form dieser Regierung —dieser, sage ich, dieser Regierung — eine solche Frage in solcher Weise ,am Schluß einer Debatte zu stellen, nach ,der nichts mehr kommen kann.
— la, ich kenne die Praxis, Herr Czaja. Das ist eine alte Praxis. Aber uns kriegen Sie •damit nicht auf den Boden. Das werden Sie noch lernen.
Diese Regierung überläßt nicht nur, sondern weiß genau, was sie zu hüten hat wie ihren .Augapfel: die Rechtsstaatlichkeit, aber Rechtsstaatlichkeit im vollen Sinne des Wortes.
— Sie sagen „aha", weil bei Ihnen immer das Recht ist, wo Sie ziemlich rechts sitzen. Das ist Ihre Meinung.
Was sagen Sie denn. jetzt von Gemeinsamkeit? Ich habe Sie hier gewarnt, sich zu früh der Philosophie dieses schwierigen Begriffs anzunehmen. Das können Sie in Ihrem Zustand noch lange nicht. Da müssen Sie hier noch einiges lernen; tut mir leid. Sie werden das noch merken. Ich will Sie hier nicht beschulmeistern.
Das können Sie nur 'selbst lernen. Ich hätte mich gern mit dem Versuch des Herrn Kollegen Wörner befaßt.
— Gar nicht, hören Sie mal; Sie werden es noch selbst lernen. Das brauche ich Ihnen nicht beizubringen.Es war schwer für die Sozialdemokraten, sich bei allem, was man ihnen angetan hat, dazu durchzuringen, zu sagen: Und das ist doch unser Staat, auch wenn wir ihn nicht regieren. Das haben wir uns erarbeitet. Sie, sind jetzt an einem Punkt, wo Sie
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1512 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Wehnermit Insinuationen einer verfassungsgemäß zustande gekommenen Regierung mit erprobten Leuten, die ihre Treue zur Demokratie runter Beweis gestellt haben und mit Opfern unter Beweis gestellt haben, entgegenarbeiten.Ich will nicht pathetisch werden. Aber über die Sache mit der Gemeinsamkeit wollen wir einmal sehr gründlich unid sehr sachlich reden.'
Das ist nämlich nicht in der Form denkbar, daß Sie dann sozusagen doch halbwegs bestimmen können, wie eigentlich diese Regierung, die die Mehrheit des Bundestages vertritt, es zu handhaben hätte mit dem, worum es geht. So weit geht es nicht. Deswegen hatte ich mir — um darauf zurückzukommen — in der Debatte über ¡die Lage der Nation die Freiheit genommen, daran zu erinnern, wie wir selber unsere Rolle als Opposition vor zehn Jahren definiert haben. Ich will es heute nicht wiederholen.
Aber eines noch, ein letztes Wort, meine Damen und Herren. Der Versuch, den Sie heute hier gemacht haben, hat mich sehr interessiert. Sie haben eine Möglichkeit genutzt und auch gegeben, hier — wenn man jetzt nicht in dieses Zeitkorsett eingezwängt wäre — den Stil der Regierung und den Stil der Opposition zu erörtern. Man wird es wohl fortsetzen.Der Stil der Regierung: Ich kann ihn nicht ineinem Satz definieren. Aber für mich ist ganz wesentlich: das ist zum erstenmal eine Regierung, die d m Parlament ist und die i m Parlament bei allen Schwierigkeiten, die dieses mit sich bringt, nicht nur — —
— Natürlich: muß; aber sie drückt sich nicht, sie klammert nichts aus. Ich sage das, damit ich auf Ihren Zwischenruf gleich richtig antworte.
Sie werden diese Erfahrung auch noch machen.Der Stil der Opposition ist bis heute noch: mehr draußen als ¡drinnen, und das, was Sie draußen sagen, zu verstehen geben und glauben machen möchten, ist noch nicht im Einklang mit dem, was Sie hier in einem interessanten Wettlaufbemühen mit der Regierungskoalition materiell fordern. Gukken Sie doch Ihre eigene Broschüre ,:100 Tage Opposition" an. Das könnte man Ihnen aufs Butterbrot legen.
— Natürlich, aber es ist eben von der Opposition gemacht, und es sind eben 100 Tage Opposition. — Erst kommen die Beteuerungen, dann kommen die Forderungen. Das ist eben Ihr Dilemma, das Sie überwinden müssen, nämlich daß Sie auf der einen Seite sagen: Diese Regierung gibt zuviel Geld aus!, auf der anderen Seite: Aber für das und für das gibtsie nicht genug Geld aus! — Das müssen Sie erst in Ordnung bringen.
Um auf die Art von Herrn Strauß zu sprechen zu kommen: Wissen Sie, so geht das nicht — Ich berichtige mich: es geht — nur: Sie werden damit nichts gewinnen,
daß er draußen in Vilshofen dies und jenes sagt, und hier wird dann gesagt: Aber es gibt eine Gemeinsamkeit, jedenfalls bis zur nächsten Woche, damit die Regierung ihre Sache mit den Leuten in Ost-Berlin machen kannlDas ist zu billig, meine Damen und Herren! Wir werden noch viel miteinander reden müssen, und Sie und wir werden auch viel Zeit dazu haben. Es ist in Ordnung, daß Sie Ihren Platz suchen. Ich möchte auch ein wenig hören und mit dazu beitragen, was Sie in Ihren eigenen Überlegungen — nicht heute, aber doch in Ihren Blättern — als das Finden Ihres Platzes als CDU — von der CSU will ich gar nicht reden — beschreiben. Darauf werden wir wohl dm Laufe der Diskussionen noch kommen.Aber diese Frage, Herr Stoltenberg, will ich, auch wenn ich sie nicht für die Regierung beantworten kann, so aber 'doch als jemand, der diese Regierung aus Überzeugung unterstützt, zurückweisen und ablehnen. So geht das nicht!
Meine Damen und Herren, die Aussprache zu Punkt 2 a) und b) der Tagesordnung wird bis zur Plenarsitzung am nächsten Mittwoch unterbrochen.
Wir treten jetzt in die
Fragestunde
— Drucksache VI/381 —
ein. Ich rufe zunächst die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Prof. Dr. Dahrendorf zur Verfügung. Ich werde aber einige Sekunden Pause einlegen, bis die Damen und Herren, die den Saal verlassen wollen, dies getan haben.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir jetzt mit der Fragestunde beginnen können. Ich rufe zunächst die Frage 152 des Abgeordneten Draeger auf:
Wird die Bundesregierung entsprechend der Empfehlung 191 der Versammlung der WEU vom 10. Dezember 1969 im Nordatlantikrat darauf hinwirken, daß eine genaue vergleichende Schätzung des Potentials der Streitkräfte der NATO und des Warschauer Paktes vorgenommen wird, bevor Verhandlungen über eine ausgeglichene Einschränkung der Streitkräfte und der Rüstung in die Wege geleitet werden?
Der Herr Kollege ist im Saal. Bitte, Herr Parlamentarischer Staatssekretär!
Herr
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1513
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Dahrendorf Präsident! Im nordatlantischen Bündnis wird seit über einem Jahr eine eingehende vergleichende Untersuchung der Streitkräftestärken der NATO und des Warschauer Paktes — die sogenannte Streitkräftevergleichsstudie — durchgeführt, deren erste Ergebnisse bereits vorliegen.Hierauf beziehen sich die Äußerungen im Kommuniqué der Ministerkonferenz der NATO vom 5. Dezember 1969, in denen es heißt — ich zitiere —:Sie— die Minister —nahmen einen vorläufigen Bericht über eine umfassende Studie zur Kenntnis, die hinsichtlich eines Vergleichs zwischen den Streitkräften der NATO und des Warschauer Paktes zur Zeit durchgeführt wird, und erteilten Weisungen für die Fortführung dieser Studie.Die Bundesregierung ist aktiv und initiativ an dieser Untersuchung beteiligt. Sie ist zusammen mit ihren Bündnispartnern der Ansicht, daß die Ergebnisse dieser laufenden Untersuchung auch für die gegenwärtig im Rahmen der NATO vorgenommene Prüfung der Möglichkeiten einer beiderseitigen ausgewogenen Truppenverminderung wichtige Erkenntnisse gebracht haben und weiterhin bringen werden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege.
Herr Staatssekretär, aus der Studie und den angefertigten Dokumenten geht ja hervor, daß bestimmte Dinge unter einem gewissen Zeitdruck geschehen. Würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß meine Frage die Bundesregierung nicht unter einen solchen zeitlichen Zwang stellen will, sondern daß sie im wesentlichen auf folgendes abhebt: Ich brauche diese Unterlagen als vorausgehendes Material, um damit in die Besprechungen wegen der gleichwertigen oder gleichzeitigen Truppenreduzierung zu gehen.
Die Bundesregierung teilt diese Auffassung. Ich verstehe Sie wohl richtig dahin, daß Sie meinen, eine Entscheidung über eine gleichzeitige und ausgewogene Truppenreduzierung könne nicht ohne vollständige Information fallen. Das ist auch die Auffassung der Bundesregierung.
Ich rufe die Frage 153 auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Vergütung für die Lehrkräfte zur Ausbildung der Beamten des gehobenen und mittleren auswärtigen Dienstes angemessen festzusetzen?
Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Dahrendorf vom 20. Februar 1970 lautet:
Seit Beginn der amtseigenen Ausbildung im mittleren und gehobenen Auswärtigen Dienst in den Jahren 1955/56 wurden Vergütungen an die im Nebenamt tätigen Lehrkräfte, soweit sie Bundesbedienstete sind, für den Unterricht an Anwärter des mittleren Auswärtigen Dienstes für jede Einzelstunde von DM 5,—, für den gehobenen Auswärtigen Dienst für jede Einzelstunde von DM 10,— gezahlt. An Lehrkräfte, die nicht dem Bundesdienst angehören, einschließlich der freiberuflichen Lehrkräfte, können bis zu DM 20,— gezahlt werden.
Da es bei diesen Honorarsätzen nicht mehr moglich ist, genügend geeignete Lehrkräfte für den Unterricht im Rahmen der amtseigenen Ausbildung für den mittleren und gehobenen Auswärtigen Dienst zu gewinnen, bemüht sich das Auswärtige Amt seit geraumer Zeit, eine Erhöhung der Honorarsätze zu erreichen.
Eine solche Erhöhung kann vom Auswärtigen Amt nicht selbst verfügt werden. Es ist beabsichtigt, dieses Problem nochmals mit dem zuständigen Ressort zu erörtern mit dem Ziel, zu einer Lösung zu kommen, die einen Anreiz für geeignete Lehrkräfte darstellt, Sie kann nur in einer fühlbaren Erhöhung der gegenwärtigen Honorarsätze bestehen.
Wir kommen zur Frage 154 .des Kollegen Dr. Schulz . Ist der Herr Kollege im Hause? — Nicht. Dann wird die Frage schriftlich beantwortet, Herr Staatssekretär.
Ich rufe die Fragen 155 und 156 des Kollegen Höcherl auf. — Auch 'diese Fragen werden schriftlich beantwortet, .da der Herr Kollege nicht anwesend ist.
Ich rufe die Frage 157 auf, die von Herrn Kollegen Breidbach gestellt worden ist:
Welche konkreten Maßnahmen wird die Bundesregierung vorsehen, um zukünftig — insbesondere im Hinblick auf den für den 22. Februar 1970 festgesetzten Besuch des Außenministers Israels — die Tätigkeit von Guerilla-Organisationen auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland zu verhindern?
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
'Herr Präsident! Die politische Tätigkeit ausländischer Organisationen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland wind von der Bundesregierung seit längerer Zeit mit großer Sorge 'beobachtet. Ich befinde mich bei der Beantwortung Ihrer Frage insofern in einer gewissen Schwierigkeit, als es nicht unbedingt im Interesse des Fragestellers und der Regierung liegen kann, öffentlich über die konkreten Maßnahmen zu sprechen, die die Bundesregierung hier zu treffen gedenkt. Der Bundesminister des Innern ist gerne bereit, im Ausschuß Näheres darüber zu sagen.
Zu den in Ihrer Frage besonders angesprochenen Sicherheitsmaßnahmen aus Anlaß des bevorstehenden Besuchs des israelischen Außenministers möchte ich ausführen, daß die in diesem Fall notwendigen Sicherheitsmaßnahmen zwischen Bund und beteiligten Ländern in lallen Einzelheiten abgesprochen worden sind und, soweit wir das übersehen können, hoffentlich zureichend sind.
Haben Sie keine Zusatzfrage?
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 158 des Abgeordneten Breidbach auf :Warum hat die Bundesregierung am 27. Januar 1970 — in Kenntnis des Wortlautes der Tischrede des Ministerpräsidenten von Jordanien — die Bezeichnung Israels als Aggressor sowohl unwidersprochen hingenommen wie auch diese durch das Bundespresse- und Informationsamt der Öffentlichkeit mitteilen lassen?Bitte, Herr Staatssekretär!
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1514 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Herr Präsident! Die Problematik des Nahost-Konflikts aus jordanischer Sicht und aus unserer Sicht wurde in den eingehenden und vertraulichen Gesprächen mit dem jordanischen Premierminister- erörtert. Die Veröffentlichung von Reden offizieller ausländischer Gäste im Bulletin der Bundesregierung erfolgt regelmäßig aus dokumentarischen Gründen. Mit dieser Veröffentlichung ist keine Stellungnahme der Bundesregierung zu den vorgetragenen Meinungen und Formulierungen verbunden.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung auch in Zukunft, wenn ausländische Gäste auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Äußerungen gegenüber befreundeten Regierungen machen werden, keinerlei Maßnahmen ergreifen wird, um unsere ausländischen Freunde vor Äußerungen von Gästen, die auf dem Territorium der Bundesrepublik gemacht werden, zu schützen?
Es ist, wenn man Beziehungen mit vielen Ländern der Welt unterhält, nicht zu vermeiden, daß Länder, die untereinander verfeindet sind, parallel oder nacheinander durch ihre Vertreter bei uns zu Gast sind. Es ist ebenfalls offenkundig nicht zu vermeiden, daß die Vertreter dieser Länder hier ihre Auffassungen kundtun, auch öffentlich kundtun. Die Bundesregierung wird bei allen solchen Gelegenheiten ihre Stellungnahme klarlegen. Sie hat diese Stellungnahme im Falle des Nahost-Konflikts immer klargelegt.
Bitte schön, Herr Kollege, eine weitere Zusatzfrage!
Kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß das Schweigen der Bundesregierung zu diesen Äußerungen des jordanischen Ministerpräsidenten während der Tischrede, die eine Verurteilung Israels als Aggressor beinhalten, als Mißbilligung aufgefaßt werden kann?
Nein, das können Sie in dieser Form nicht entnehmen. Es hat in den Gesprächen eine Gegenüberstellung der Standpunkte gegeben, wobei Ihnen bekannt ist, daß die Bundesregierung im Hinblick auf den NahostKonflikt von der Sicherheitsratsresolution ausgeht. Diese Position der Bundesregierung ist an allen Punkten vertreten worden. Wir haben den Austausch von Tischreden nicht für eine Gelegenheit gehalten, um das auch öffentlich zu tun.
Eine weitere Zusatzfrage ist aus dem Haus nicht gestellt worden.Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern, Herr Staatssekretär Dorn.Ich rufe zunächst die Frage 27 der Frau Kollegin Funcke auf:Treffen Befürchtungen zu, nach denen auf Grund des § 48 a des Beamtenrechtsrahmengesetzes günstigere Teilzeitbestimmungen für Beamte im Landesbeamtengesetz von Baden-Württemberg zuungunsten der Betroffenen geändert werden müssen?Die Fragestellerin hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Dorn vom 20. Februar 1970 lautet:§ 48 a des Beamtenrechtsrahmengesetzes verpflichtet die Länder, sich bei der Regelung der Teilzeitbeschäftigung und langfristigen Beurlaubung von Beamtinnen an die dort festgelegten Grundsätze zu halten. Das führt dazu, daß die entspredienden Vorschriften des baden-württembergischen Landesbeamtengesetzes, soweit sie mit dem Rahmenrecht des Bundes nicht übereinstimmen, diesem angepaßt werden müssen. Bei der Teilzeitbeschäftigung bedeutet dies eine gewisse Einschränkung des begünstigten Personenkreises .Bei der Beratung des § 48 a des Beamtenrechtsrahmengesetzes ist die Aufrechterhaltung landesrechtlicher Sonderregelungen geprüft, im Interesse der angestrebten Einheitlichkeit des Beamtenrechts im Bundesgebiet aber abgelehnt worden. Ein dahin zielender Antrag Baden-Württembergs im Bundesratsausschuß für innere Angelegenheiten fand keine Unterstützung.Ich rufe die Fragen 28 und 29 des Herrn Kollegen Schwabe auf. — Ich sehe den Herrn Kollegen im Augenblick nicht; daher werden beide Fragen schriftlich beantwortet.Ich rufe die Frage 30 des Herrn Kollegen Dr. Hauff auf. Ich frage, ob der Herr Kollege im Saal ist. — Das ist nicht der Fall; dann wird diese Frage ebenfalls schriftlich beantwortet.Ich rufe die Frage 31 des Herrn Kollegen Ollesch auf. Ich frage, ob der Fragesteller im Hause ist. — Das ist nicht der Fall, so daß auch diese Frage schriftlich beantwortet wird.Ich rufe die Fragen 32 und 33 auf, die der Herr Kollege Dr. Unland gestellt hat. Ist der Herr Kollege im Hause? — Das ist nicht der Fall; dann werden auch diese beiden Fragen schriftlich beantwortet.Ich rufe die Fragen 34 und 35 des Herrn Kollegen Dr. Jobst auf. Ich frage, ob der Herr Kollege im Hause ist. — Das ist nicht der Fall. Herr Staatssekretär, ich wäre Ihnen dankbar, wenn auch diese beiden Fragen schriftlich beantwortet werden könnten.Nun die Frage 36 des Herrn Abgeordneten Koenig:Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Handhabung des Tatbestandes der „illegalen Einreise" zu unnötigen Härten geführt hat, wenn z. B. Ausländer zur Rückreise in ihre Heimatländer gezwungen werden, obwohl sie alle Voraussetzungen für einen legalen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland erfüllen und ist sie bereit, auf die Konferenz der Innenminister der Länder einzuwirken, den Auslandsämtern nach Prüfung des Einzelfalles einen größeren Ermessensspielraum zu geben?Der Herr Kollege hat mich wissen lassen, daß er die Bundesregierung um schriftliche Beantwortung der Frage bittet. Die Antwort liegt noch nicht vor. Sie wird nach Eingang im Sitzungsbericht abgedruckt.Ich rufe die Frage 37 des Herrn Kollegen Hansen, der hier im Saal ist, auf:Hält die Bundesregierung es für erwiesen, daß die Chemiewerke von Höchst am Main das Gift Endosulfan in den Rhein ablassen und damit für das Fischsterben im Jahr 1969 verantwortlich sind und was beabsichtigt die Bundesregierung zu tun, um diese gefährliche Verunreinigung des Rheinwassers durch Giftstoffe zu unterbinden?Bitte, Herr Staatssekretär.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1515
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Herr Kollege Hansen, der Bundesregierung sind Untersuchungen bekannt, aus denen sich ergibt, daß im November 1969 aus dem Main und dem Rhein entnommene Wasserproben das Pflanzenschutzmittel Endosulfan enthielten. Außerdem ist der Bundesregierung aus einer Pressemitteilung der Farbwerke Hoechst bekannt, daß dieses Werk gegenwärtig noch stündlich 150 bis 400 Gramm Endosulfan mit dem Abwasser in den Main einleitet. Wahrscheinlich stammt also das im November 1969 im Main und Rhein festgestellte Endosulfan aus diesem Werk. Nach dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnisse hält es die Bundesregierung aber nicht für erwiesen, daß die im Juni 1969 anläßlich des Fischsterbens im Niederrhein festgestellten Endosulfan-Werte gleichfalls von den Farbwerken Hoechst stammen. Wenn sich das noch herausstellen sollte, wäre es Sache der untersuchenden und ermittelnden Landesbehörden, zu prüfen, ob und inwieweit das Fischsterben im Rhein durch dieses Endosulfan ausgelöst worden sein kann.
Ich habe den zuständigen Landesbehörden alle mir verfügbaren Unterlagen übermittelt und gebeten, dafür zu sorgen, daß künftige Verunreinigungen dieser Art abgestellt werden. Ich gehe davon aus, daß die Landesbehörden das Notwendige veranlassen werden.
Eine Zusatzfrage.
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten für schärfere Sanktionen gegen festgestellte Urheber von Wasserverunreinigung durch schädliche Chemikalien, z. B. durch Einleiten eines gerichtlichen Verfahrens?
Es sind bereits Verfahren eingeleitet worden. Die ermittelnde Behörde ist die Staatsanwaltschaft in Koblenz. Untersuchende Landesbehörden sind die für die Wasserwirtschaft zuständigen Obersten Landesbehörden, und zwar in Hessen der Minister für Landwirtschaft und Forsten in Wiesbaden, in Rheinland-Pfalz der Minister für Landwirtschaft, Weinbau und Forsten in Mainz, in Nordrhein-Westfalen der Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Düsseldorf.
Ich darf noch ergänzend zum neuesten 'Stand mitteilen: Der Oberstaatsanwalt Dr. Ulrich in Koblenz hat sich nach einer Pressemitteilung vom 18. Februar zum erstenmal zu dem Gesamtkomplex von der Staatsanwaltschaft her geäußert. Ich möchte das jetzt nicht alles vorlesen; 'ich bin aber gern bereit, Ihnen das alles schriftlich zur Verfügung zu stellen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, würden Sie es für richtig halten, bei der Bundesregierung anzuregen, zu prüfen, ob eine automatische Überprüfung der Reinhaltung des Rheinwassers erfolgen kann, indem eine in Amerika bereits eingeführte und bewährte automatische Prüfanlage auch in der Bundesrepublik eingesetzt wird?
Ob wir eine solche Anlage übernehmen, kann ich im Moment nicht sagen. Aber gerade die Abteilung Umwelt in unserem Hause führt zur Zeit mit den Anliegerstaaten des Rheins über diesen Komplex umfangreiche Erörterungen. Ich hoffe, daß in den nächsten Wochen die Gespräche zu einer alle Seiten befriedigenden Lösung führen. Es könnte sein, daß diese Anlage dann benutzt wird. Es könnte aber auch sein, daß sich auf Grund neuer technischer Erkenntnise andere Notwendigkeiten ergeben.
Eine Zusatzfrage des Kollegen Gleissner.
— Entschuldigen Sie, Herr Kollege, Sie dürfen nicht davon ausgehen, daß der Präsident Ihre Zusatzfrage übersehen hat.
Bitte, Herr Kollege Gleissner!
Herr Staatssekretär, nachdem jetzt bekannt ist, daß allein durch den Staub gewisse, und zwar nicht geringfügige Mengen Gift in den Rhein gelangen, was und von welcher Seite wird auf Grund dieser Tatsache, die durch die Presse bekanntgeworden ist, geschehen.
Ich 'bitte um Entschuldigung. Ich habe den letzten Teil der Frage akustisch nicht verstanden.
Ich wiederhole noch einmal. — Herr Staatssekretär, in der Zwischenzeit ist durch die Presse und auf anderem Wege bekanntgeworden, daß allein durch Iden Staub ,auf den Arbeitsmänteln keineswegs geringfügige Giftmengen mit dem Abwasser in den Rhein gelangen. Ist der Bundesregierung bekannt, von welcher Seite und in welcher Form etwas dagegen getan wird?
Ich habe gesagt, Herr Kollege, daß die drei zuständigen Landesbehörden, die ich vorhin erwähnt habe, mit den Untersuchungen beschäftigt sind und wir das Ergebnis dieser Untersuchungen erst einmal abwarten müssen, bevor wir eine endgültige Stellungnahme dazu abgeben können. Die Landesbehörden werden sicher weiter ermitteln.
Prinz zu Sayn-Wittgenstein!
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, in Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Hansen
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1516 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Hohensteinhaben Sie gesagt, Sie gingen davon aus, daß die hessische Landesregierung das Notwendige veranlassen werde. Darf ich Sie fragen, ob Ihr Haus in einem entsprechenden Zeitraum auch über das informiert wird, was die hessische Landesregierung in dieser Angelegenheit tatsächlich unternommen hat.
Unser Haus steht mit allen drei in Frage kommenden Landesregierungen in Verbindung. Es wird durch die zuständige Abteilung ständig über das informiert, was in den einzelnen Ländern an neuen Erkenntnissen anfällt. Wir müssen nämlich auf der europäischen Ebene das mit vertreten, was hier für uns an Erkenntnissen angefallen ist.
Eine letzte Zusatzfrage des Kollegen Brand.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß es auch unter gesundheitspolitischen Aspekten angebracht wäre, zu prüfen, ob eine automatische Kontrolle der Reinhaltung des Rheinwassers angebracht ist?
Ja, ich bin mit Ihnen der Meinung, daß es angebracht wäre.
Ich rufe die Frage 38 des Kollegen Dr. Riedl auf. — Der Herr Kollege ist nicht im Saal. Die Frage, Herr Staatssekretär, kann schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe Frage 39 des Abgeordneten Lenzer auf:
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung zu einer unverzüglichen Inangriffnahme einer Abschlußgesetzgebung zu Artikel 131 GG?
Der Fragesteller ist anwesend. Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, die Bundesregierung hat zunächst der Entschließung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages vom 12. Juni 1969 Rechnung zu tragen. In dieser Entschließung hat der Innenausschuß die Bundesregierung ersucht, sobald die Auswirkungen der Verbesserungen für die Versorgungs- und Unterstützungsempfänger des Bundes nach dem Gesetz zu Art. 131 des Grundgesetzes durch das Vierte Besoldungsänderungsgesetz und das Zweite Besoldungsneuregelungsgesetz voll sichtbar geworden sind, spätestens bis zum 31. Dezember 1970, zu berichten, bei welchen Personengruppen des Gesetzes zu Art. 131 Härten vorliegen, ob und wie solche Härten durch den Gesetzgeber ausgeglichen werden können und welcher finanzielle Aufwand im einzelnen dafür erforderlich wäre.
Die Bundesregierung wird den Härtebericht vermutlich schon im Oktober 1970 vorlegen. Dieser
Bericht wird voraussichtlich die Grundlage für weitere gesetzgeberische Maßnahmen bilden. Der Inhalt des Ersuchens erfordert es bereits, Überlegungen für Gesetzesänderungen anzustellen. Die Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs hängt jedoch von dem Ergebnis der Beratungen des Härteberichts durch den Innenausschuß des Deutschen Bundestages ab.
Keine Zusatzfrage.
Frage 40 des Kollegen Lenzer:
Ist die Bundesregierung bereit, nötigenfalls durch ein Vorschaltgesetz zu 131 GG den dringendsten Bedürfnissen der Betroffenen Rechnung zu tragen?
Ihre weitere Frage, Herr Kollege, beantworte ich wie folgt: Aus meiner Antwort zur vorherigen Frage ergibt sich bereits, daß sich ein Vorschaltgesetz nicht verwirklichen lassen wird. Erst der Härtebericht ermöglicht einen Gesamtüberblick über Dringlichkeit, Notwendigkeit und finanzielle Auswirkungen etwaiger Maßnahmen. Dementsprechend sieht die Finanzplanung Mittel für diesen Zweck zur Zeit noch nicht vor.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihren Worten schließen, daß Sie zunächst unter allen Umständen den Härtebericht abzuwarten gedenken, bevor Sie eine wie auch immer geartete Initiative ergreifen wollen?
Das ist der Auftrag, den wir vom Bundestag bekommen haben. Daran werden wir uns halten. Ich selber habe in einer Abteilungsleiterbesprechung bereits im November des vergangenen Jahres den Auftrag gegeben, den Härtebericht nach Möglichkeit schon im Oktober vorzulegen, um auf jeden Fall die Zeit zu gewinnen, die es uns ermöglicht, vor den Etatberatungen des Jahres 1971 dann Mittel, falls solche erforderlich sein sollten, in den Verhandlungen mit dem Finanzministerium bereitstellen zu lassen.
Frage 41 des Abgeordneten Bredl. Ist der Kollege im Saal? — Die Frage wird schriftlich beantwortet.Die Fragen 42 und 43 sind vom Kollegen Wagner gestellt:Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß im Hinblick auf den von Mitgliedern einer arabischen Untergrundorganisation auf dem Münchner Flughafen durchgeführten Bombenanschlag von den gegebenen rechtlichen Möglichkeiten, einem Mißbrauch des Gastrechts durch einzelne Ausländer oder Gruppen von Ausländern im Bundesgebiet entgegenzuwirken, nodi wirksamer als bisher Gebrauch gemacht werden muß?Wird die Bundesregierung den mit diesem Sachverhalt im Zusammenhang stehenden Bericht, der am 27. Juni 1967 in der Antwort auf eine Kleine Anfrage angekündigt worden ist — Drucksache V/2046 — auf Grund des jüngsten Attentats beschleunigt erstellen und dem Deutschen Bundestag alsbald vorlegen?Bitte, Herr Staatssekretär!
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1517
Herr Kollege Wagner, die Bundesrepublik bedauert den Anschlag auf dem Flughafen München-Riem außerordentlich, und sie hat 'daraus auch nie ein Hehl gemacht und das sehr offen dargetan. Sie ist mit Ihnen der Meinung, daß alle Möglichkeiten ,ausgeschöpft werden müssen, um künftig solche Vorfälle zu verhindern. Dazu gehört auch eine entsprechende Handhabung der gegebenen gesetzlichen Möglichkeiten. Dies ist jedoch besonders schwierig, wenn ein Attentat im Transitbereich eines Flughafens geplant und ausgeführt wird. Diesen Bereich können Ausländer, die aus dem Ausland ankommen, nach internationalen Gepflogenheiten ohne grenzpolizeiliche Kontrolle und ohne Visum betreten und verlassen. So war es nach den bisherigen Ermittlungen auch in München-Riem. Die Täter waren dort kurz zuvor mit einem Flugzeug aus Paris eingetroffen und hatten sich bis zur Ausführung der Tat im Transitbereich aufgehalten. Sie waren deshalb keiner grenzpolizeilichen Kontrolle unterworfen worden.
Von dieser Praxis des kontrollfreien Aufenthalts im Transitbereich von Flughäfen könnte zwar zeitweilig 'aus Gründen der öffentlichen Sicherheit abgegangen werden. Der Erfolg wäre jedoch gering. Attentäter könnten auch bei einer Kontrolle in diesem Bereich in der Regel nur dann erkannt werden, wenn ihre Personalien bekannt sind. Das wird 'nahezu ausnahmslos nicht der Fall sein. Im übrigen würden grenzpolizeiliche Kontrollen vor dem Transitbereich auf internationaler Ebene nicht als Dauerlösung akzeptiert werden und auch von uns nicht als Dauerlösung angesehen werden können.
Attentäter könnten allenfalls durch präventivpolizeiliche Sicherungsvorkehrungen abgeschreckt werden. Was auf diesem Gebiet geschehen ist, hat Herr Kollege Dr. Dahrendorf eigentlich bei den Fragen des Kollegen Höcherl schon ausführen sollen. Aber ich möchte sagen: wir halben uns im Innenausschuß des Deutschen Bundestages in dieser Woche ausführlich über diesen Fragenkomplex unterhalten können. Ich habe Ihnen die Schwierigkeiten, die im besonderen in diesem Bereich bestehen, schon im Innenausschuß darlegen können.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, der Bundesminister des Innern hat in einem Interview mit dem Süddeutschen Rundfunk eine verschärfte Überwachung bestimmter Ausländergruppen angekündigt. Bedeutet dies auch, daß er seine Entscheidung, den „Black Panther"-Führer Howard in die Bundesrepublik einreisen zu lassen, in einem anderen Licht sieht, oder dürfen sich „Black Panther" auch in Zukunft auf dem Gebiet der Bundesrepublik tummeln?
Herr Kollege Wagner, ob sie sich tummeln oder sich nicht tummeln, ist eine Frage, die dem einzelnen Besucher selber dann bei
seinem Aufenthalt hier überlassen bleibt. Die Bundesregierung hat sich damals durch den Innenminister an dieser Stelle ausführlich zu dem Fragenkomplex der Einreise des „Black Panther"-Führers geäußert. Sie sieht zur Zeit keine Veranlassung, von dieser Meinung abzugehen.
Zur Frage 43: In der Antwort meines Herrn Amtsvorgängers vom 27. Juni 1967 sind zwei Berichte angesprochen. Der Bericht, der die besonders schweren Fälle politisch motivierter Ausschreitungen durch Ausländer in der Bundesrepublik enthält, ist seinerzeit bereits zusammen mit der Antwort dem Deutschen Bundestag zugeleitet worden. Wenn Sie es wünschen, bin ich selbstverständlich bereit, diesen Bericht kurzfristig auf den neuesten Stand zu bringen und diese Neufassung dem Deutschen Bundestag zuzuleiten.
Der andere Bericht ist mit der Frage verknüpft, wie Mißbräuchen des Gastrechts entgegengewirkt werden kann. Mit diesem Komplex hat sich inzwischen die Konferenz der Innenminister und in ihrem Auftrag der Arbeitskreis II dieser Konferenz beschäftigt. Außerdem hat der Koordinierungsausschuß zur Bekämpfung verfassungsfeindlicher Bestrebungen diese Frage behandelt. Auch eine Arbeitsgruppe meines Hauses befaßt sich zur Zeit damit. Als erste Folge dieser Beratungen hat mein Haus bereits vor einiger Zeit den Innenministern der Länder einen Mustererlaß an die Ausländerbehörden zugeleitet, der sämtliche Möglichkeiten aufzeigt, die das Ausländerrecht gegen die Beteiligung von Ausländern an politisch-kriminellen Gewaltakten bietet, und einen einheitlichen Vollzug sichert. Ferner ist in Besprechungen mit den Ländern bei Ausländervereinen eine straffere Handhabung der Melde- und Auskunftsmöglichkeiten nach dem Vereinsgesetz beschlossen worden. Die Gesamtprüfung ist noch nicht abgeschlossen. Ich bin aber selbstverständlich bereit, den von meinem Amtsvorgänger zugesagten Bericht so schnell wie möglich zu erstellen und dem Deutschen Bundestag zuzuleiten.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, darf ich Sie ausdrücklich bitten, dem Bundestag auch den ersten von Ihnen genannten Bericht zuzuleiten.
Ja.
Keine weiteren Zusatzfragen.Ich rufe die Frage 44 des Kollegen Susset auf. Ist der Kollege im Hause? — Das ist nicht der Fall. Dann wird die Frage schriftlich beantwortet.Ich rufe nunmehr die Fragen 45 und 46 des Kollegen Prinz zu Sayn-Wittgenstein auf:Haben die Farbwerke in Hoechst eine behördliche Zulassung, die es ihnen erlaubt, Giftstoffe — wie z. B. das nach einer Presseverlautbarung des Werkes in einer Menge bis zu einem
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1518 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausenhalben Kilo stündlich abgeführte Thiodan — mit dem Abwasser in den Main einzuleiten?Wenn eine solche Zulassung vorhanden sein sollte: Wie wird sichergestellt, daß die Einleitung nach Art und Menge den behördlichen Anordnungen entspricht?Bitte!
Zu Ihrer Frage 45 hat der Hessische Minister für Landwirtschaft und Forsten als Oberste Wasserbehörde folgende Auskunft gegeben. Für das Werk Griesheim der Farbwerke Hoechst sind im Jahre 1937 vom damaligen Oberpräsidenten der Rheinprovinz auf Grund des § 22 des Preußischen Wassergesetzes sechs Genehmigungen für Abwassereinleitungen erteilt worden, die infolge des umfangreichen Textes nicht im einzelnen genannt werden können. Bezüglich der Einleitung von toxischen Stoffen ist gesagt, daß diese nur in Spuren enthalten sein dürfen, die weder der Gesundheit noch der Fischerei schädlich sind.
Eine Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, da ich nicht mit dem Preußischen Wassergesetz unter dem Arm herumlaufe und mir § 22 dieses Gesetzes daher nicht gegenwärtig ist, möchte ich Sie konkret fragen: Gibt es eine behördliche Zulassung für die Farbwerke Hoechst, Thiodan in den Vorfluter abzuleiten?
Ja, die gibt es.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß Auflagen und Genehmigungen, die im Jahre 1937 erteilt worden sind, im Jahre 1970 einer Überprüfung bedürfen, zumal da die Erkenntnisse gerade im Bereich des Gewässerschutzes in den letzten Jahren die Notwendigkeit zu solchen Schritten ergeben haben?
Herr Kollege Prinz zu Sayn-Wittgenstein, ich bin völlig Ihrer Meinung. Als ich die Vorlage bekam, habe ich den zuständigen Referenten unseres Hauses befragt, ab das, was im Jahre 1937 richtig war — das konnte von mir auch gar nicht beurteilt werden —, inzwischen nicht überholt sein könne. Es ist mir zugesagt worden, daß wir gegen diese Antwort des zuständigen hessischen Landesministers im Augenblick keinen Einwand geltend machen könnten. Aber wir werden dieser Frage mit Sicherheit nachgehen. Mich hat diese Antwort genau so gestört wie Sie jetzt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Ist eine Überprüfung, insbesondere eine periodische Prüfung der Menge des auf Grund der erwähnten Genehmigung eingeleiteten Thiodans, gewährleistet?
Diese Frage kann ich im Moment nicht konkret beantworten. Ich bin gern bereit, sie Ihnen schriftlich zu beantworten. Ich muß hier selbst erst noch Erkundigungen einziehen lassen.
Ich rufe nunmehr die Frage 47 des Kollegen Dr. Weber auf:
Liegen der Bundesregierung Meßwerte über die Luftverschmutzung in Ballungsgebieten der chemischen Industrie vor und bei welchem Grad der Luftverschmutzung hält die Bundesregierung eine weitere Ansiedlung chemisches Industrie für untragbar?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Weber, der Bundesregierung liegen Meßwerte über die Luftverschmutzung in zahlreichen Ballungsgebieten von vielen Industriearten vor. Die Messungen beschränken sich in der Mehrzahl der Fälle auf die Luftverschmutzung durch Staub und Ruß sowie durch ,Schwefeldioxyd. Im allgemeinen sind die Meßwerte dieser Stoffe in den Ballungsgebieten der chemischen Industrie nicht höher als in den Ballungsgebieten ,der übrigen Industriearten.
Die nachteiligen Einflüsse aus der chemischen Industrie sind in besonderem Ausmaß Belästigungen durch üble Gerüche. Diese Gerüche sind einer Messung nur in Ausnahmefällen zugänglich. Es ist deshalb schwer, eine Aussage darüber zu machen, ob und wann eine weitere Ansiedlung der chemischen Industrie für untragbar gehalten wird. Geruchsemissionen aus der chemischen Industrie kommen insbesondere aus sehr vielen kleinen Quellen, z. B. Sicherheitsventilen, Flanschen, Leckstellen. Diese Quellen müssen systematisch aufgespürt werden, und die Gase müssen besonderen Beseitigungseinrichtungen zugeführt werden.
Herr Staatssekretär, wenn diese Meßwerte für chemische Ballungsgebiete nicht umfassend vorliegen, ist dann daran gedacht, z. B. ein einheitliches Warnsystem für diese Ballungsgebiete zu bilden, ist daran gedacht, die Messungen in diesen Ballungsgebieten nunmehr vollständig und einheitlich durchzuführen, sie dann erneut auszuwerten und vielleicht 'Richtlinien über die weitere Ausdehnung chemischer Industrien in chemischen Ballungsgebieten zu erlassen?
Diese Frage wird zur Zeit erörtert, und zwar nicht nur für den Bereich der Bundesrepublik, sondern im Rahmen des euro-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1519
Parlamentarischer Staatssekretär Dornpäischen Bereichs. In wenigen Wochen findet bereits eine internationale Veranstaltung darüber statt, an .der unser Haus durch die zuständige Abteilung beteiligt ist. Dort soll diesen Dingen nachgegangen werden.
Ich rufe ,die Frage 48 des Kollegen Weber auf:
Welche Maßnahmen würde die Bundesregierung ergreifen, um für diesen Fall eine weitere Luftverschmutzung zu verhindern?
Die Bundesregierung hat bereits Maßnahmen ergriffen und in der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft vorgeschrieben, daß der moderne Stand der Luftreinhaltetechnik angewendet werden muß, um die Luft so rein wie möglich zu halten, auch wenn keine nachteiligen Einwirkungen zu befürchten sind. Wenn dieser Grundsatz systematisch durchgesetzt wird, werden die nachteiligen Einwirkungen aus der chemischen Industrie vermindert werden können.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung Erfahrungswerte darüber vor, ob und bei welchem Grad der Luftverschmutzung z. B. eine Gefährdung der Gesundheit zu befürchten ist? Ist es zutreffend, daß in solchen Ballungsgebieten besondere Krankheitsbilder häufiger als in anderen, von solchen Einflüssen nicht heimgesuchten Gegenden auftreten?
Als Nichtsachverständiger würde ich das, was Sie aussprechen, sehr vermuten. Aber ich kann es Ihnen nicht konkret beantworten. Ich bin jedoch gerne bereit, das schriftlich nachzuholen.
Herr Kollege Gleissner, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung bereit, dort, wo nachweislch, durch Experten festgestellt, die Luftverschmutzung und die Gefährdung der Bevölkerung bereits kritisch geworden sind, zu verhindern, daß neue Industriebetriebe angesiedelt werden? Darauf kommt es ja an.
Es kommt nicht allein darauf an, Herr Kollege Gleissner, sondern die Frage ist, ob allein durch solche Einrichtungen Raumordnungsmaßnahmen, die vom Grundsatz her für diese Gebiete erforderlich wären, aufgehalten werden sollen oder nicht. Diese Frage ist im Streit. Es gibt Meinungen, daß die Luftverschmutzung allein das bewirken könne. Nach anderen Meinungen ist
im Hinblick auf andere Räume die Luftverschmutzung vielleicht doch nicht der einzige Anlaß. Die Frage ist, wie gesagt, zur Zeit noch in einem heftigen Expertenstreit. Deswegen kann die Bundesregierung zu diesem Zeitpunkt keine konkrete Antwort darauf geben.
Ich rufe die Frage 49 des Kollegen Bay auf:
Was sagt die Bundesregierung zu der Stellungnahme des Staatssekretärs Kruisinga vom niederländischen Volksgesundheitsministerium, wonach Untersuchungsergebnisse keine Zweifel mehr daran ließen, daß die Rheinvergiftung mit dem Schädlingsbekämpfungsmittel Endosulfan schuldhaft vom Hersteller, den Farbwerken Hoechst, verursacht worden sei?
In Presseorganen wurde berichtet, daß Herr Staatssekretär Dr. Kruisinga die Farbwerke Hoechst beschuldige, das Fischsterben im Rhein verursacht zu haben. Dabei stütze man sich auf Untersuchungen, aus denen hervorgehe, daß die Konzentrationen des Giftes im Main unterhalb der Abwassereinleitung der Farbwerke Hoechst am höchsten sein.
Aus den der Bundesregierung bekannten Ausführungen des Staatssekretärs vor dem niederländischen Parlament am 3. Februar 1970 ergeben sich jedoch keine derartigen Beschuldigungen. Aus den mir vorliegenden Untersuchungsergebnissen geht zwar hervor, daß im November 1969 im Main und im Rhein Endosulfan festgestellt worden ist. Aus diesen Untersuchungsergebnissen allein kann jedoch nicht geschlossen werden, daß die Rheinvergiftung im Juni 1969 von den Farbwerken Hoechst verursacht worden ist. Es ist Sache der untersuchenden und ermittelnden Landesbehörde, zu prüfen, ob und inwieweit das Fischsterben im Rhein dadurch bewirkt oder ausgelöst worden sein kann, daß auch zu dieser Zeit von den Farbwerken Hoechst Endosulfan in den Main eingeleitet wurde.
Ich rufe die Frage 50 des Kollegen Bay auf:
Ist die Bundesregierung in der Lage festzustellen, ob die Behauptung der Farbwerke Hoechst in Frankfurt, die Einleitung von stündlich 150 g bis 400 g Endosulfan in den Main sei für Menschen, Säugetiere, Fische und Pflanzen unschädlich, wissenschaftlich begründet ist, insbesondere unter Berücksichtigung der Möglichkeit oder Tatsache, daß dem gleichen Gewässer gleichzeitig zahlreiche andere Giftstoffe zugeführt werden?
Die Farbwerke Hoechst haben in einer Pressemitteilung angegeben, daß sie gegenwärtig bis zu 400 Gramm Endosulfan pro Stunde in den Main einleiten. Bei sehr niedriger Wasserführung folgen daraus. Endosulfankonzentrationen von etwa 5 Mikrogramm pro Liter im Main. Die für Fische toxische Grenze von etwa 10 Mikrogramm pro Liter kann in diesem Bereich des Maines bei unvollständiger Durchmischung streckenweise überschritten werden. Für Menschen, Säugetiere und Pflanzen ist jedoch eine Gefährdung unter diesen Umständen nicht zu erwarten.Bei der Überlastung des unteren Mains durch Abwässer verschiedener Zusammensetzungen sind ört-
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1520 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Parlamentarischer Staatssekretär Dornliche Anreicherungen und synergetische Wirkungen weiterer schädlicher Stoffe in Betracht zu ziehen. Zum Schutz der Umwelt des Menschen sollte jede vermeidbare Einleitung von Endosulfan in den Vorfluter unterbleiben. Das ist die Auffassung der Bundesregierung.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß die von Ihnen in Ihrer Antwort erwähnten synergetischen Wirkungen in Zukunft ganz besonders untersucht und möglicherweise auf dem Ergebnis dieser Untersuchungen basierend entsprechende Vorschriften über die Einleitung von Giften in Gewässer erarbeitet werden sollten?
Ich nehme an, daß sich nach Abschluß der Untersuchungen daraus auch Konsequenzen .ergeben, die das zum Inhalt haben können, was Sie gerade vorschlagen.
Im Hinblick auf die zahlreichen Fragen der Kollegen, die noch im Hause auf die Beantwortung ihrer Fragen warten, lasse ich keine weiteren Zusatzfragen mehr zu.
Der Herr Kollege Heyen ist nicht im Saal. Seine Fragen 51 und 52 werden schriftlich beantwortet.
Der Herr Kollege Josten, der neben mir sitzt, hat leider noch nicht die Gabe der Bilokation, so daß er seine Frage 53 zurückgezogen hat. Er wird sie in der nächsten Woche neu einbringen.
Aus ihrem Geschäftsbereich, Herr Staatssekretär, liegen noch die Fragen des Kollegen Dr. Gleissner vor, der im Saale ist. Ich bitte um Beantwortung der Frage 74:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß einerseits der Bund aufgefordert wird, erhebliche finanzielle Beihilfen und Sondergesetze zur Behebung der außergewöhnlichen Wohnungsnot in München zu leisten, andererseits die Wohnungsnot geradezu dadurch fördert, daß man einem Großunternehmen in Perlach für ein Mammutprojekt, das etwa 80 000 aus dem In- und Ausland zuziehende und damit neue Wohnungssuchende zur Folge hat, die Grunderwerbsteuer erläßt?
Herr Präsident, ich bitte mir zu gestatten, die beiden Fragen wegen ihres sachlichen Zusammenhangs gemeinsam beantworten zu dürfen, wenn der Kollege Dr. Gleissner einverstanden ist.
Ja, bitte schön, der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich noch die Frage 75 des Abgeordneten Dr. Gleissner auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Ansiedlung dieses Großunternehmens gegen die einfachsten Grundprinzipien der Raumordnung verstößt, weil dadurch der Zuzug von weiteren 80 000 Personen aus dem In- und Ausland zusätzlich in den überfüllten Raum München hineingepreßt wird?
Die Ansiedlung von Gewerbebetrieben und die Errichtung neuer Wohnsiedlungen hängt davon ab, ob entsprechende Gewerbe- und Wohngebiete in der gemeindlichen
Bauleitplanung vorgesehen sind. Die Prüfung der Frage, ob die Bauleitpläne mit den Zielen der Raumordnung und Landesplanung übereinstimmen, fällt in die Zuständigkeit der Länder. Die Landesplanung kann in ihren Programmen und Plänen festlegen, welche Größenordnungen der Wohn- und Arbeitsstätten in Verdichtungsgebieten zukünftig anzustreben bzw. zuzulassen sind. Sie ist allerdings an die allgemeinen Raumordnungsgrundsätze des Bundes nach § 2 des Bundesraumordnungsgesetzes gebunden. Es ist aber nicht Sache der Bundesregierung, sich auf Grund allgemeiner Raumordnungsgrundsätze für Verdichtungsgebiete mit einzelnen Ansiedlungsprojekten wie in München-Perlach, so groß diese auch immer sein mögen, zu befassen. Auch auf den Erlaß der Grunderwerbsteuer vermag der Bund keinen Einfluß zu nehmen, da die Grunderwerbsteuer eine Landessteuer ist, über die dem Bund seit dem 1. Januar 1970 zwar die Gesetzgebungskompetenz, nicht aber — vielleicht könnte ich im Sinne des Finanzministers sagen: leider — die Ertragshoheit zusteht.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Auffassung, daß angesichts der Wohnungsnot, angesichts der sonstigen sozialen Sorgen, die wir in einem solchen Raum haben, solche Planungen jeglichen Grundsätzen der Raumordnung Hohn sprechen?
Herr Kollege, ob das für diesen Bereich zutrifft, ist eine Frage, die ich im Augenblick von hier aus nicht beurteilen kann. Diese Frage müßte primär von der bayerischen Landesregierung beantwortet werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, glauben Sie nicht, daß die Raumordnung seit Jahren, was solche Entwicklungen betrifft, ganz gleich, ob in München oder anderswo, insofern versagt, daß sie sich einer Abstinentia bedient, ,die ja auf diesem Sektor zu einer Impotentia geworden ist, wenn wir praktische Beispiele heranziehen? Sie werden mir zustimmen.
Ich stimme Ihnen für viele Entwicklungen in der Vergangenheit für diesen Bereich zu, weil ich selbst aus beruflicher Erfahrung weiß, wie 'schwierig manche Entscheidungen der vergangenen Jahre zustande gekommen sind. Die Bundesregierung, Herr Kollege, hat aber leider von hier laus —'ich betone das Wort: leider— keine Möglichkeiten, darauf einzuwirken.
Eine weitere Zusatzfrage.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1521
Herr Staatssekretär, ich habe Zahlen vor mir, wie viele Milliarden die Folgelasten dieser Ansiedlung betragen werden. Wären Sie bereit, durch Ihr Haus oder das Institut,, das Ihnen zur Verfügung steht, prüfen zu lassen, wie groß die Folgelasten für eine solche Ansiedlung sind und inwieweit in Wahrheit die ortsansässige Bevölkerung die Zeche für solche Entwicklungen und Planungen bezahlt?
Herr Kollege, ich wäre dankbar, wenn Sie mir die Zahlen zuleiten könnten. Ich bin gerne bereit, Ihnen zuzusagen, daß das in unserem Hause einmal geprüft wird. Ich muß Ihnen aber auch dann sagen: Zuständig ist nun einmal nach den gesetzlichen Voraussetzungen nicht der Bund. Trotzdem 'bin ich gern bereit, das in unserer zuständigen Abteilung überprüfen zu lassen.
Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern abgeschlossen. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Zunächst die Frage 58 des Kollegen Varelmann:
Darf alsbald erwartet werden, daß die Bundesregierung, ebenso wie sie aus Mitteln des Steueraufkommens aus dem Straßenverkehr den Bau von Straßen durch Bund und Länder fördert, auch die Schaffung von Krankenhausbetten für Opfer des Straßenverkehrs unterstützt?
Zur Beantwortung Frau Minister Strobel.
Herr Kollege Varelmann, der Bund beabsichtigt nach einem Beschluß des Bundeskabinetts, ab Mitte 1971 — darüber ist in den letzten Tagen hier im Hause auch schon gesprochen worden — erhebliche Mittel für Investitionskosten bei Krankenhäusern einzusetzen und damit den Schuldendienst zu übernehmen. Mit diesen Mitteln können auch Krankenhausbetten für Unfallverletzte geschaffen werden.
Aus medizinischen Gründen ist die Schaffung von Krankenhausbetten speziell für die Behandlung Verkehrsunfallverletzter nicht zweckmäßig. Die optimale Versorgung auch der Unfallverletzten ist heute am besten dort möglich, wo die umfassende Gesamtversorgung eines Allgemeinkrankenhauses zur Verfügung steht.
Eine Zusatzfrage.
Frau Ministerin, ist nicht die Beschaffung von Krankenhausbetten für Unfallverletzte ebenso wichtig wie der Bau von Straßen? Ist hier nicht ein gewisses Umdenken angebracht und eine positive Entscheidung früher möglich als im Jahre 1973?
Herr Varelmann, erstens habe
ich gesagt: Mitte 1971, und zweitens hat der Bund bis zur Grundgesetzänderung im Rahmen der Finanzreform überhaupt keine Mitfinanzierungsmöglichkeit bei der Schaffung von Krankenhausbetten gehabt. Auch nach der Änderung des Grundgesetzes war die Frage noch umstritten, ob der Bund nur die Gesetzgebungs- oder auch die Finanzierungszuständigkeit hat. In dieser Bundesregierung ist geklärt worden, daß wir auch die Finanzierungszuständigkeit haben, und es sind erstmalig Gelder für die Krankenhausfinanzierung in die mittelfristige Finanzplanung eingestellt worden. Wenn man mit der Durchführung einer solch großen Aufgabe beginnt, bedarf es halt auch zur Finanzierung eines gewissen Starts.
Frage 59 des Abgeordneten Varelmann:
Wie hoch ist der Aufwand für die nach Feststellungen für Verkehrsverletzte erforderlichen etwa 12 000 Krankenhausbetten bei moderner Ausstattung entsprechender Häuser?
Frau Bundesminister!
Wo wegen der Zunahme von Verkehrsunfällen eine Erweiterung der Bettenkapazität regional in Betracht gezogen werden muß, ist dies eine Angelegenheit des betreffenden Landes im Rahmen seiner Krankenhausplanung. Der Bundesregierung liegen keine Unterlagen vor, durch die die von Ihnen global genannte Zahl von 12 000 fehlenden Betten bestätigt wird.
Eine Zusatzfrage.
Frau Ministerin, wird in diesem Zusammenhang auch geprüft, in welchem Umfang die Sozialversicherung durch den Straßenverkehr erhebliche Lasten übernehmen muß?
Wenn ich Sie recht verstehe, meinen Sie, daß geprüft werden soll, inwieweit durch Unfälle und ihre Folgelasten die Sozialversicherung belastet wird. — Diese Erhebungen müßten bei den Krankenkassen einsetzen. Das ist natürlich ein umfangreiches Gebiet. Ich bin nicht in der Lage, Ihnen jetzt darauf zu antworten.
Danke schön.
Ich rufe die Frage 60 des Kollegen Eckerland auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Entschädigungsberechtigte gemäß § 49 des Bundesseuchengesetzes eine so niedrige Entschädigung erhalten, daß zusätzlich Sozialhilfe gewährt werden muß?
Frau Bundesminister!
Herr Kollege Eckerland, seien Sie bitte damit einverstanden, daß ich die beiden Fragen zusammen beantworte!
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1522 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe also noch die Frage 61 des Kollegen Eckerland auf:
Werden in diesem Zusammenhang Schritte erwogen, die Einkommenshöchstgrenze des § 49 Abs. 3 des Bundesseuchengesetzes von 660 DM, die der Pflichtgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahre 1961 entsprach, auf die heutige Pflichtversicherungsgrenze von 1200 DM anzuheben?
Die im Jahre 1961 gesetzlich festgelegte Höchstgrenze steht sicher nicht mehr im Einklang mit der wirtschaftlichen Entwicklung. Es ist deshalb beabsichtigt, im Rahmen einer Novellierung des Bundesseuchengesetzes die in § 49 Abs. 3 dieses Gesetzes festgelegte Einkommenshöchstgrenze zu revidieren und als Bezugsgröße die Pflichtversicherungsgrenze für Angestellte zu nehmen. Sie wissen ja, daß die Fraktionen der SPD und 'der FDP einen solchen Initiativgesetzentwurf eingebracht haben, der in den letzten Tagen schon den Ausschüssen überwiesen worden ist.
Eine Zusatzfrage.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Minister, würden Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich meine Fragen bereits am 28. Januar eingereicht habe, ohne dabei an einen konkreten Fall, insbesondere der Pockenerkrankung in Meschede, zu denken. Ich habe an alle Ausscheider, an alle Ausscheidungs- oder Ansteckungsverdächtigen gedacht, die bei ausgesprochenem Berufsverbot schon jahrelang Verdienstausfall und damit soziale Härten haben hinnehmen müssen.
Herr Kollege Eckerland, das weiß ich, aber die Änderung des Seuchengesetzes, die durch den Initiativgesetzentwurf vorgenommen wird, betrifft auch die Ausscheider, betrifft alle die unter den § 49 fallenden Personen.
Damit sind die beiden Fragen beantwortet. Wir kommen zu den Fragen des Kollegen Dr. Schmidt .
Herr Kollege Schmidt, ich möchte gern die beiden Fragen im Zusammenhang beantworten.
Der Herr Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe also die beiden Fragen 62 und 63 auf:
Entspricht die Meldung aus Tierarztkreisen im Süden der Bundesrepublik Deutschland den Tatsachen, daß rezeptpflichtige Antibiotika, die dem Viehfutter beigemischt werden, häufig unter Umgehung der Tierärzte und Apotheken ohne Rezepte in den Handel gebracht werden?
Welche Möglichkeiten hat die Bundesregierung in diesem Zusammenhang, um z. B. holländische Arzneimittelgroßhändler am illegalen Verkauf von Tiermedikamenten in der Bundesrepublik Deutschland zu hindern?
Bitte, Frau Minister.
Mir sind wiederholt aus Berufs-und Wirtschaftskreisen Mitteilungen zugegangen, daß rezeptpflichtige Arzneimittel unter Umgehung der arzneimittelrechtlichen Vorschriften in den Verkehr gebracht worden sein sollen. Ich habe diese Berichte zum Anlaß genommen, um die für die Durchführung der gesetzlichen Vorschriften und für die Überwachung zuständigen Landesbehörden entsprechend zu informieren.
Im Zusammenhang mit, den von Ihnen erwähnten illegalen Einfuhren von Tierarzneimitteln in die Bundesrepublik aus den Niederlanden hat auf meine Veranlassung der Bundesminister der Finanzen die Mitwirkung der Zollbehörden gegen die illegale Einfuhr von Antibiotika und Hormonen in die Wege geleitet. Insoweit in konkreten Fällen die Werbung niederländischer Firmen einen Versandhandel in die Bundesrepublik Deutschland befürchten ließ, bin ich über das Auswärtige Amt an die niederländischen Behörden mit der Bitte um Abhilfe herangetreten.
Weitere Maßnahmen sind erst nach der beabsichtigten Änderung der arzneimittelrechtlichen und lebensmittelrechtlichen Vorschriften möglich. In diesen Zusammenhang gehören auch die Empfehlungen des Bundesgesundheitsrates, in denen u. a. eine verschärfte Registrierpflicht für Tierarzneimittel, die eine bessere Kontrolle der im Handel befindlichen Präparate durch die Überwachungsbehörden erwarten läßt, gefordert wird, ferner das Verbot des nicht ordnungsgemäßen Erwerbs rezeptpflichtiger Arzneimittel und die verstärkte stichprobenweise Untersuchung der gewonnenen Lebensmittel auf Wirkstoffrückstände. Außerdem erwäge ich, die Einfuhrvorschrift des § 11 ides Arzneimittelgesetzes zu verschärfen. Die Arbeiten zur Vorbereitung der erfoderlichen Gesetzesänderungen einschließlich der Durchführung hiermit 'im Zusammenhang stehender Forschungsaufträge sind im Gange.
Der Herr Fragesteller hat nach 'dieser ausführlichen Antwort keine Zusatzfragen.
Wir kommen nunmehr zu den Fragen .des Kollegen Dr. Brand .
Auch diese beiden Fragen möchte ich gern im Zusammenhang beantworten.
Herr Fragesteller, sind Sie einverstanden? — Ich rufe also die Fragen 64 und 65 auf:
Trifft es zu, daß das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit aus Mangel an Mitarbeitern nicht in der Lage ist, dringend notwendige Gesetzentwürfe — wie z. B. das Giftgesetz — zu erarbeiten?
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung getroffen, um dem Mangel an Mitarbeitern im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit abzuhelfen?
Herr Kollege Brand, es ist richtig, daß der peronelle Ausbau des Bundesmi-
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1523
Bundesminister Frau Strobelnisteriums für Jugend, Familie und Gesundheit noch nicht abgeschlossen ist und wir laufend mehr Personal anfordern müssen, da die Aufgaben gerade in diesem Bereich stark zunehmen. Deshalb bestehen noch personelle Engpässe. Wir haben aber — was nicht zuletzt durch die Kabinettsreform und die Zusammenlegung der Ministerien für Jugend, Familie und Gesundheit ermöglicht wurde — den Referaten, in denen vordringliche Vorhaben zu bearbeiten sind, vorrangig Mitarbeiter zugewiesen.Für das Recht des Giftwesens, der Hygiene und der Seuchenbekämpfung List soeben ein neues Referat geschaffen worden, um besonders die Arbeiten am Gitfgesetz, zu beschleunigen. Außerdem hat das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit im Haushaltsplan 1970 neue Stellen für vordringliche Gesetzgebungsvorhaben — ich nenne vor allem Krankenhausfinanzierung, Ausbildungsförderung und Lebensmittelrecht — angefordert. Ich hoffe, daß wir dafür die Zustimmung des Haushaltsausschusses unid dann auch des Hohen Hauses erhalten werden.
Eine Zusatzfrage.
Vielen Dank, Frau Minister. Das, was Sie berichten konnten, war sehr erfreulich. Darf ich fragen, wann dieses neue Referat begründet worden ist?
Es ist geschaffen worden, seit durch die Zusammenlegung der beiden Ministerien einige Juristen aus der Z-Abteilung des früheren Familienministeriums freigeworden sind und wir dieses Referat besetzen konnten.
Ist Ihnen idas Datum nicht bekannt?
So genau kann ich Ihnen das nicht sagen, aber es war in den letzten Wochen, Herr Brand.
Ich rufe die Frage 66 des Abgeordneten Flämig auf:
Waren die an Pocken im Sauerland schwer erkrankten oder verstorbenen Bürger der Bundesrepublik Deutschland sämtlich auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen geimpft bzw. wiedergeimpft?
Bitte, Frau Minister!
Erhebungen über den Impf status der einzelnen Patienten waren bislang noch nicht in allen Fällen möglich. Sie sind für einen späteren Zeitpunkt vorgesehen. Ärzte, Pflegepersonal und örtliche Gesundheitsbehörden waren vollauf damit beschäftigt, den Pockenausbruch zu bekämpfen und die Erkrankten zu behandeln und zu pflegen. Dafür müssen wir Verständnis haben.
Eine Zusatzfrage!
Frau Ministerin, trifft es zu, wie es kürzlich im Fernsehen und auch in der Presse von gewisser Seite lanciert worden ist, daß in den letzten Jahren durch Impfschäden mehr Opfer entstanden sind als durch die Pocken selbst?
Herr Kollege Flämig, das kann man so nicht miteinander vergleichen, weil man die Pockengefahr ja in der ganzen Welt bekämpft. Je mehr es der Weltgesundheitsorganisation durch ihre Kampagnen gelingt, die Pocken in den Entwicklungsländern auszurotten, desto geringer ist die Gefahr der Pockeneinschleppung. Insofern muß man aber auch sehen, daß die Ansteckungsgefahr um so mehr gebannt ist, je größer der Impfschutz bei uns im Lande ist.
Ich darf in diesem Zusammenhang sagen, daß das Seuchengesetz, so wie es für die in Quarantäne befindlichen geschädigten Personen geändert werden soll, auch bezüglich der Impfschadenregelung geändert werden muß.
Herr Kollege Flämig zu einer weiteren Zusatzfrage.
Frau Ministerin, Sie sprachen eben von der Weltgesundheitsorganisation. Gibt es in Ihrem Hause Erkenntnisse darüber, ob das Verschwinden oder der relative Rückgang der Pockenerkrankungen eine Folge der konzentrierten Impfaktionen oder der zunehmenden Hygiene und Zivilisation ist?
Ich kann darauf, da ich kein Mediziner bin, nur antworten, daß nach der Meinung der Sachverständigen, der Fachreferenten im Gesundheitsministerium, die Zurückdrängung der Pocken auf 'den Impfschutz zurückzuführen ist.
Herr Kollege Meinecke zu einer Zusatzfrage!
Frau Ministerin, sind Sie in Anbetracht der von unserem Kollegen Flämig zitierten abenteuerlichen Behauptungen einer Fernsehsendung über die Nebenwirkungen der Pockenimpfung bereit, in Ihrem Ministerium Überlegungen anzustellen, wie den Eltern impfpflichtiger Kinder, den erwachsenen Wiederzuimpfenden wie auch den Ausländern ein gewisses verlorengegangenes Vertrauen in den Impfschutz erneut vermittelt werden kann?
Herr Kollege Meinecke, ich hoffe, daß wir einmal durch die Übernahme des Paul-Ehrlich-Instituts in die Obhut des Bundes und damit dann auch durch die bundeseinheitlich gere-
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1524 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Bundesminister Frau Strobelgelte Kontrolle der Wirkung der Impfstoffe in dieser Beziehung einen Schritt weiterkommen. Auch ich habe diese Fernsehsendung gesehen und ich bin der Auffassung, daß auf diesem Gebiet insbesondere bei den Eltern von Erstimpflingen mehr Aufklärung geschehen muß, nicht allein über das, was durch den Impfschutz bezweckt wird, sondern es muß auch sehr viel stärker auf Gefahren hingewiesen werden, die sich eventuell für Kinder ergeben, die — in der Impfzeit — nicht gesund sind.
Ich rufe die Frage 67 des Kollegen Flämig auf:
Welche Erkenntnisse hinsichtlich der Zwangsimpfung und Immunität gewann die Bundesregierung aus den jüngsten Pockenerkrankungen in der Bundesrepublik Deutschland?
Die Frage wird erst dann beantwortet werden können, wenn die Epidemie nicht nur erloschen ist, sondern auch alle danach verfügbaren Unterlagen wissenschaftlich, d. h. epidemiologisch, ausgewertet worden sind. Es ist mir leider nicht möglich, die Frage schon so früh zu beantworten.
Eine Zusatzfrage!
Frau Ministerin, aber ganz generell wird im Ministerium doch sicherlich die Möglichkeit bestehen, schon etwas darüber auszusagen, ob beabsichtigt ist, die Pockenpflichtimpfung in der Bundesrepublik weiter aufrechtzuerhalten oder daran etwas zu ändern?
Herr Kollege Flämig, wir überprüfen laufend, ob es notwendig ist, die Impfpflicht aufrechtzuerhalten, oder ob eine Liberalisierung möglich ist. Wenn wir zu anderen Auffassungen kämen, dann würden wir die Impfpflicht lockern. Solange das nicht geschieht, sind wir nicht zu dieser Auffassung gekommen.
Sie haben eine zweite Zusatzfrage, Herr Kollege.
Frau Ministerin, trifft es zu, daß ein gegenüber dem derzeit gebräuchlichen VakzinImpfstoff verbesserter Trockenimpfstoff entwickelt wurde, und ist an dessen Einführung gedacht?
Auch ich habe das in der Zeitung gelesen. Mir haben die Fachleute gesagt, daß es diesen Trockenimpfstoff schon lange gibt und daß das nichts Neues ist.
Vizepräsident Dr. ' Schmitt-Vockenhausen: Eine Zusatzfrage des Kollegen Dr. Schmidt .
Frau Ministerin, ist in Ihrem Ministerium geplant, das Reichsimpfgesetz vom 8. April 1874 dahin gehend zu ändern, daß auch den sogenannten überalterten Erstimpflingen edn gesetzlicher Impfschutz gewährt werden kann? Dies wäre beispielsweise möglich durch Provakzination eine Woche vor der regulären Impfung bzw. durch gleichzeitige Gabe von Gamma — oder Superglobulin.
Herr Kollege Schmidt, das ist bis jetzt nicht vorgesehen. Ich bin dankbar für diesen Hinweis und empfehle, daß wir -uns im Ausschuß einmal über dieses Problem unterhalten.
Ich rufe nunmehr die Fragen 68 und 69 des Kollegen Seeefeld auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, wie groß der Anteil der deutschen Arzte ist, die über ausreichende Kenntnisse in Erster Hilfe bzw. in der Notfallmedizin verfügen?
Teilt die Bundesregierung die Meinung, daß kein Mediziner die Universität verlassen sollte, ohne genügende Ausbildung in Erster Hilfe und Wiederbelebung erhalten zu haben, und wenn ja, wie kann dem entsprochen werden?
Bitte schön, Frau Minister.
Die Bundesregierung besitzt keine Unterlagen über die Zahl der Ärzte, die mit ,den ärztlichen Maßnahmen zur Ersten Hilfe und zur Notfallmedizin vertraut sind. Die Studenten der Medizin erhalten während ihres Studiums gewisse theoretische und praktische Kenntnisse über Maßnahmen der Ersten Hilfe und Notfallmedizin vermittelt. Die Bundesärztekammer und die Landesärztekammern, denen die Durchführung der Fortbildung der Ärzte obliegt, sind außerdem bestrebt, diese Kenntnisse in größerem Umfang den Ärzten in .den zahlreichen regional und überregional durchgeführten Fortbildungsveranstaltungen zu vermitteln.
Die Bundesregierung teilt die Meinung, daß eine generelle Ausbildung in der Ersten Hilfe und in der Wiederbelebung erforderlich ist. Demtentsprechend sollen in der neuen Approbationsordnung für Ärzte, die zur Zeit im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit erarbeitet wird, praktische Übungen für akute Notfälle und in der Ersten ärztlichen Hilfe ausdrücklich vorgeschrieben werden.
Frau Ministerin, Sie stimmen mir, wie ich aus dieser Antwort ersehen habe, darin zu, daß es geradezu unverständlich ist, daß sich Laien freiwillig bereit erklären, Erste Hilfe zu leisten und Profis bisher nicht ausreichend ausgebildet sind. Darf ich das aus Ihrer Antwort entnehmen?
Ich würde es nicht so ausdrücken wie Sie, Herr Kollege Seefeld, weil es sehr viele Ärzte gibt, die sich freiwillig diese Ausbildung angeeignet haben. Sobald die Studienreform in Kraft ist, werden wir sie vorschreiben.
Frau Bundesminister, ich danke Ihnen. Damit sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich beantwortet.
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Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970 1525
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen0) Ich rufe nunmehr die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Ravens zur Verfügung.Die erste Frage, die Frage 70, ist von Herrn Abgeordneten Dr. Schneider gestellt:Wie beurteilt die Bundesregierung Organisation und Arbeitsweise der zur Zeit in der Bundesrepublik Deutschland tätigen Institute für Städtebau und Raumordnung, und welche Ergebnisse haben diese Institute auf dem Gebiet des Bauwesens erbracht?Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege Schneider, der Komplexität von Städtebau und Raumordnung entsprechend beschäftigen sich rund 100 Institute im Hochschulbereich und rund 60 Institute und Verbände außerhalb des Hochschulbereichs ausschließlich oder teilweise mit städtebaulichen Fragen. Bei den Instituten außerhalb des Hochschulbereichs, die sich ausschließlich mit Städtebau und Raumordnung befassen, hat sich durch gezielte Förderungsmaßnahmen des Bundes und der Länder eine gewisse Arbeitsteilung herausgebildet, die ich positiv beurteile.
So widmen sich die Städtebauinstitute der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung in Berlin und München sowie das Institut für Städtebau und Raumordnung in Stuttgart vorwiegend der Planerausbildung, während ein dem Deutschen Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumplanung angeschlossenes Institut in Köln vorwiegend Dokumentation und Information betreibt. Das Städtebauinstitut in Nürnberg arbeitet schwerpunktmäßig an städtebaulichen Analysen im Zusammenhang mit Demonstrativprogrammen dier Bundesregierung, und die Gesellschaft für Wohnungs-und Siedlungswesen in Hamburg konzentriert ihre Forschungstätigkeit auf Fragen, die bei Sanierungs-und Entwicklungsmaßnahmen auftreten, um hier nur einige Beispiele zu nennen.
Es wird angestrebt, auf dem Forschungssektor eine Spezialisierung der Institute auf jeweils bestimmte Problemkreise zu erreichen, bei gleichzeitiger Koordinierung der Arbeit der Institute untereinander. Organisation und Arbeitsweise der zur Zeit tätigen Institute lassen nach meiner Auffassung eine Entwicklung in diesem Sinne zu.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, haben zwischen dem Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen und dem Minister für Bildung und Wissenschaft Verhandlungen mit dem Ziel stattgefunden, die Anstrengungen auf dem Gebiet der Bauforschung zu verstärken und organisatorisch zu verbessern, und sind zu diesen Beratungen auch die deutschen Universitäten und Technischen Hochschulen herangezogen worden?
Herr Kollege Dr. Schneider, wir haben im Städtebauministerium einen Beirat für Fragen der wissenschaftlichen Forschung. Wir haben in diesem Jahr erstmals Mittel in Höhe von 5 Millionen DM für die Forschung zur Verfügung. Dabei .stehen Mittel der bautechnischen und bausoziologischen Forschung im Vordergrund unserer Auftragsvergabe.
Wie Sie aber wissen, ist mit der Vorlage des Haushalts und der damit verbundenen vorläufigen Haushaltsführung in diesem Bereich davon auszugehen, daß wir zunächst 60 % der Ansätze des Vorjahres ausgeben dürfen. Dabei gehen unsere Ausgaben von 1,6 Millionen DM im Vorjahr aus, so daß wir in den ersten vier bis fünf Monaten dieses Jahres in ,der Vergabe neuer Aufträge natürlich sehr vorsichtig sein müssen.
Die Zusammenarbeit mit dem Bundesminister für Wissenschaft und Forschung ist aber sichergestellt; er ist Mitglied unseres Ausschusses.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie es für hilfreich, daß bei den anstehenden Diskussionen — es gibt eine Reihe von Problemen — auch ,die Spitzenverbände der deutschen Architekten hinzugezogen werden?
Herr Kollege Dr. Schneider, wenn ich recht informiert bin, sind. die Spitzenpersönlichkeiten dieser Verbände Mitglied unserer Beiräte im Bundesministerium für Städtebau und Wohnungswesen.
Damit ist die Frage beantwortet.
Herr Kollege Wohlrabe ist nicht im Saal; seine Fragen werden schriftlich beantwortet.
Nachdem der Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen laut Handelsblatt Nr. 17 erklärte, daß es eine Daueraufgabe der öffentlichen Hand bleibe, zur Deckung des Wohnungsbedarfs kinderreicher Familien, alter Menschen, junger Ehepaare, Alleinstehender und Körperbehinderter beizutragen, frage ich in welcher konkreten Weise der Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen bisher gezielt zur Deckung dieses genannten Wohnungsbedarfs beigetragen hat.
Herr Kollege Baier, zusätzlich zu den nach § 19 a des Zweiten Wohnungsbaugesetzes für den Wohnungsbau vorgesehenen Bundesmitteln, die unter anderem ja auch dazu bestimmt sind, die Wohnbedürfnisse der kinderreichen Familien, der jungen Ehepaare, der älteren Personen, der Alleinstehenden usw. zu berücksichtigen, hat der Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen in den letzten drei Jahren weitere 191 Millionen DM bereitgestellt.
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1526 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 32. Sitzung. Bonn, Freitag, den 20. Februar 1970
Parlamentarischer Staatssekretär RavensMit Hilfe dieser Mittel konnten 5957 Familienheime und Eigentumswohnungen für kinderreiche Familien, 8094 Mietwohnungen zur Beseitigung von Wohnungsnotständen, insbesondere kinderreicher Familien, junger Ehepaare und anderer Personen, 19 764 Wohnungen für alte Menschen und 26 170 Wohnheimplätze in Altenwohnheimen gefördert werden.Die durch Herrn Minister Lauritzen am 19. März 1969 gegenüber den zuständigen Länderministern ausgesprochene Bitte, den Bedürfnissen der Schwerbehinderten im Wohnungsbau besondere Beachtung beizumessen, hat ein erfreuliches Echo gefunden. So gelangten in den letzten 9 Monaten des Jahres 1969 über eine Million DM an Bundesmitteln zum Einsatz, mit denen 122 Familienheime, 94 Mietwohnungen und 120 Wohnheimplätze in Wohnheimen für Schwerbehinderte zusätzlich gefördert wurden.Diese Bundesmittel sollen dazu beitragen, daß Mehrkosten, die unter Umständen durch notwendige bauliche Maßnahmen entstehen, nicht zu einer Erhöhung der Mieten oder zu Belastungen für den betroffenen Personenkreis führen.Vizepräsident 'Dr. Schmitt-Vockenhausen: Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn die von Ihnen genannten Zahlen nicht eben die Summe aus dem Addieren der zufälligen Ergebnisse in den einzelnen Ländern ist, möchte ich Sie fragen, welche konkreten Auflagen Sie bei der Vergabe der Mittel für den Bau von Wohnungen für die eben genannten Personenkreise machen.
Herr Kollege, Sie wissen, daß wir im Rahmen des Zweiten Wohnungsbaugesetzes nur die Förderungsmittel der Länder ergänzen können, daß der Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen auf Wunsch dieses Hohen Hauses und der Länder kein Steuerungsrecht hat. Er kann nicht Einzelprogramme in den Ländern für sich und von sich aus allein aufgreifen und finanzieren. Er kann hier nur Anträge der Länder entgegennehmen, auswählen und seine Zuschüsse zahlen.
Wir haben darüber hinaus für den Bau der Wohnungen im Rahmen der Richtlinien nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz besondere Auflagen. Ich nehme an, sie sind Ihnen als Mitglied unseres Ausschusses bekannt.
Wenn Sie auf Ihre Zusatzfrage verzichten, könnte ich die Fragen der Kollegen, die bis jetzt ausgeharrt haben, noch aufrufen. Sie haben es in der Hand.
Es fällt mir sehr schwer.
Herr Kollege, es liegt bei Ihnen.
Noch ganz kurz eine Frage. Herr Staatssekretär, was haben Sie, nachdem die Aktion „Junge Familie" in Ihrem Hause gestrichen wurde, im Haushalt 1970 konkret zur Förderung von Wohnungen für junge Familien veranlaßt?
Herr Kollege Baier, zunächst einmal ist die Aktion „Junge Familie" nicht durch einen Beschluß unseres Hauses eingestellt worden, sondern durch einen Beschluß der Bundesregierung vom Jahre 1965, ergänzt durch einen Beschluß von 1966, weitergeführt in der mittelfristigen Finanzplanung 1967 und des Finanzänderungsgesetzes, und diese Einstellung ist am 13. April 1967 im Haushaltsausschuß dieses Hohen Hauses in Ihrem Beisein beschlossen worden. Ich bitte, im Protokoll Nr. 62, Seite 48, nachzuschauen.
— Nein, Herr Kollege Baier! Dort ist damals beschlossen worden, dieses Programm in der mittelfristigen Finanzplanung für 1970 auslaufen zu lassen. Dort sind die Richtlinien geändert worden, die so gestellt wurden, daß wir hier nur noch eine Auswahlmöglichkeit von entweder sozialem Wohnungsbau oder Aktion „Junge Familie" hatten, was dazu geführt hat, daß dabei gleichzeitig die Anforderungen erheblich zurückgegangen sind.
Zu Ihrer konkreten Frage, was wir zu tun gedenken: Sie wissen, daß wir mit der Erarbeitung dieses langfristigen Wohnungsbauprogramms beschäftigt sind. Wir werden im Zusammenhang damit aus den im Haushalt stehenden Sondermitteln sicherstellen, daß wir in diesem Jahr für eine Übergangslösung für die Aktion „Junge Familie" auch weiterhin Förderungsmittel bereitstellen können.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie werden verstehen, daß mir die Feststellung des Ablaufs der Fragestunde sehr schwerfällt, weil ich sehe, daß einige Kollegen in der Hoffnung, daß ihre Fragen noch aufgerufen werden können, ausgeharrt haben. Herr Staatssekretär, ich danke Ihnen. Die Fragen 119, 120 und 125 sind zurückgezogen. Die nicht erledigten Fragen werden schriftlich beantwortet.
Wir stehen am Ende der Fragestunde und damit der heutigen Plenarsitzung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages — Fortführung der Beratung des Tagesordnungspunktes 2: Haushaltsgesetz 1970 und Finanzplan des Bundes 1969 bis 1973 — für Mittwoch, den 25. Februar 1970, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.