Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Zunächst eine amtliche Mitteilung: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die Tagesordnung ergänzt werden um dieErste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Artikel 8 des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes— Drucksache V/3994 —Das Haus ist damit einverstanden. Dann ist die Tagesordnung um diesen Punkt erweitert.Folgende amtliche Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:Der Bundesminister der Verteidigung hat am 17. März 1969 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Schmidt , Bading, Mertes und Genossen betr. Öffnung von Truppenübungsplätzen zu Erholungszwecken — Drucksache V/3953 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache V/3989 verteilt.Der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat am 17. März 1969 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau Blohm und Genossen betr. Robbenfang — Drucksache V/3915 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/4003 verteilt.Zu der in der Fragestunde der 221. Sitzung des Deutschen Bundestages am 19. März 1969 gestellten Fragen des Abgeordneten Dr. Müller-Emmert, Drucksache V/3976 Nrn. 25, 26 und 27 5) ist inzwischen die schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Köppler vom 21. März 1969 eingegangen. Sie lautet:Der Sportausbildung der Polizeivollzugsbeamten im Bundesgrenzschutz wird sowohl während der Grundausbildung als auch im weiteren Verlauf der gesamten Dienstzeit besonderer Wert beigemessen.Ein Schwerpunkt wird in den ersten 5 Monaten der Grundausbildung mit einem Wochendurchschnitt von 7 Stunden sportlicher Ausbildung gebildet, um die jungen Beamten auf die körperlichen Belastungen des Dienstes zweckentsprechend vorzubereiten.Während der gesamten weiteren Dienstzeit stehen für die sportliche Ausbildung durchschnittlich 41/2 Stunden in der Woche zur Verfügung.Die sportliche Ausbildung wird im Bundesgrenzschutz von Offizieren und Unterführern geleitet, die an der Grenzschutzsportschule in Lübeck für diese Aufgaben besonders ausgebildet werden.Fast sämtliche Grenzschutzabteilungen verfügen über eigene Sportanlagen wie Sportplätze, Sporthallen und für die Schwimmausbildung im Sommerhalbjahr zur Verfügung stehende Feuer-1 Siehe 221. Sitzung, Seite 11950 Dlöschbecken. Ebenso entspricht die Ausstattung aller Grenzschutzabteilungen mit Sportgerät für zahlreiche Disziplinen allen zu stellenden Anforderungen. Die Einrichtung der noch fehlenden Sportanlagen ist in Vorbereitung.Die Heranbildung von Offizieren und Unterführern zu Ausbildungsleitern und Riegenführern in der sportlichen Ausbildung wird an der Grenzschutzsportschule in Lübeck in regelmäßig stattfindenden 6-8wöchigen Lehrgängen durchgeführt. Die Lehrgangsteilnehmer werden dabei in folgenden Sportarten ausgebildet: Gymnastik, Leichtathletik, waffenlose Selbstverteidigung, Schwimmen und Retten, Handball, Fußball, Faustball, Boxen, Gewichtheben, Geräteturnen, Trampolinturnen.Aufgrund dieser im eigenen Bereich durchgeführten Lehrgänge stehen heute jeder Grenzschutzabteilung mindestens 19 gut geschulte Sportausbilder zur Verfügung. Allein im Jahre 1968 wurden 160 Unterführer zu Sportausbildern herangebildet.Die Verhältnisse im Bundesgrenzschutz in bezug auf die sportliche Ausbildung sind damit ähnlich denen bei den Polizeien der Länder und der Bundeswehr.Spitzensportler werden beim Bundesgrenzschutz mit dem Tage ihres Dienstantritts gefördert. Sie werden zu einer an der Grenzschutzsportschule gebildeten „Erprobungs- und Lehrgruppe für neuzeitliche Trainingsmethoden" abgeordnet.Für die Teilnahme an nationalen und internationalen Wettkämpfen werden sie großzügig vom Dienst freigestellt.Beamte, deren sportliche Veranlagung sich erst während des Dienstes im Bundesgrenzschutz herausstellt, oder die im Bundesgrenzschutz besondere sportliche Leistungen zeigen, werden zu Trainingslehrgängen an der Grenzschutzsportschule einberufen und auch laufend weiter gefördert.Nicht zuletzt durch diese Förderung konnten Sportler des Bundesgrenzschutzes in den letzten Jahren bedeutende nationale und internationale Erfolge erringen.Der Bundesgrenzschutz unterhält laufend Kontakte zu den Bundesfachverbänden und wird diese weiterhin verstärken, um deren Anregungen für eine moderne Sportausbildung im Bundesgrenzschutz zu verwirklichen.Seit Jahren werden außerdem die Sportanlagen des Bundesgrenzschutzes kostenlos zivilen Sportvereinen überlassen. Vielerorts vorhandene Wünsche lassen sich jedoch nicht überall erfüllen, da die Anlagen durch den dienstlichen und außerdienstlichen Sport ausgelastet sind.Hinsichtlich der diesbezüglichen Pläne für die Bundeswehr darf ich auf die schriftlichen Antworten des Herrn Parlamentarischen Staatssekretärs Adorno vom 17. Januar 1969 verweisen, die auf Ihre Mündliche Anfrage und die des Herrn Abgeordneten Kubitza (BT-Drucksache V/3705, Frage 82) erteilt wurden.Zu der in der Fragestunde der 222. Sitzung des Deutschen Bundestages am 20. März 1969 gestellten Frage des Abgeordneten Felder, Drucksache V/3976 Nr. 44 *), ist inzwischen die schriftliche Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Leicht vom 20. März 1969 eingegangen. Sie lautet:Die Kasernen und militärischen Anlagen auf dem alten Exerzierplatz in Erlangen werden auch weiterhin von den amerikanischen Streitkräften zur Erfüllung ihrer Verteidigungsaufgabe benötigt.Wie Ihnen bekannt ist, hat sich die Bayerische Staatskanzlei auf Wunsch der Stadt Erlangen bereits vor mehreren Jahren um die Beschaffung einer geeigneten und angemessenen Ersatzliegenschaft und um die Finanzierung der Verlegungskosten bemüht. Mit Rücksicht auf die überaus hohen Kosten ist die Verlegung von seiten des Landes und der Stadt Erlangen nicht mehr weiter betrieben worden.Die Bundesregierung sieht sich erst dann in der Lage, an das Oberkommando der amerikanischen Streitkräfte in Heidelberg wegen der Verlegung der Anlagen in Erlangen heranzutreten,*) Siehe 222. Sitzung, Seite 12053 C
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12154 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969
Vizepräsident Dr. Mommerwenn ihr vom Land Bayern und der Stadt Erlangen geeignete Vorschläge für eine anderweitige Unterbringung und zur Finanzierung der Verlegung vorliegen.Hinsichtlich der Einschränkung des Panzerverkehrs laufen, wie der Bundesregierung mitgeteilt wurde, z. Z. auf Landesebene Verhandlungen, die das Ziel haben, durch Schaffung einer neuen Kasernenausfahrt den militärischen Verkehr durch die Wohngebiete möglichst zu vermeiden.Zu den in der Fragestunde der 222. Sitzung des Deutschen Bundestages am 20. März 1969 gestellten Fragen des Abgeordneten Richarts, Drucksache V/3976 Nrn. 66, 67 und 68 *), ist inzwischen die schriftliche Antwort des Bundesministers Höcherl vom 18. März 1969 eingegangen. Sie lautet:Im Agrarprogramm werden Garten- und Weinbau, abgesehen von den die gesamte Landwirtschaft betreffenden Maßnahmen im Bereich der Bildungs- und Sozialpolitik, nicht eigens angesprochen. Jedoch hat die Bundesregierung begonnen, die wirtschaftliche Situation in diesen beiden Erwerbszweigen aus dem Blickwinkel der neuen Agrar- und Wirtschaftspolitik zu überprüfen und wird ggf. Sondermaßnahmen treffen.Diese Frage betrifft offensichtlich nur den Weinbau. Der nichtveröffentlichte Entwurf einer Empfehlung des Wissenschaftsrates über die Neueinteilung der Forschungseinrichtungen und die Koordinierung der wissenschaftlichen Arbeit im Weinbau hat in der Weinwirtschaft Unruhe hervorgerufen. Ich habe Herrn Staatssekretär Dr. Neef gebeten, diese Angelegenheit mit den weinbautreibenden Ländern zu einer für alle Beteiligten sachgerechten Lösung zu bringen.Da ich eine neue politische Richtung in der Weinwirtschaft für dringend erforderlich halte, habe ich eine beschleunigte Überprüfung der Situation in der deutschen Weinwirtschaft angeordnet.Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde— Drucksachen V/3976, V/4000 —Es liegen Dringende Mündliche Anfragen des Herrn Abgeordneten Müller vor. Ist Herr Müller (Mülheim) im Saal? — Er ist im Saal. Ich rufe zunächst die Frage 1 des Abgeordneten Müller (Mülheim) auf:Trifft es zu, daß das Auswärtige Amt den Sportverbänden der Bundesrepublik Deutschland empfohlen hat, von einer Teilnahme an den Südafrikanischen Spielen im April dieses Jahres abzusehen?Zur Beantwortung Herr Staatssekretär Jahn. Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Auswärtige Amt hat dem Deutschen Leichtathletikverband in der Angelegenheit die Protesterklärungen des Präsidenten und des Generalsekretärs des Obersten Rates für den Sport in Afrika übermittelt. Die Führung der afrikanischen Sportorganisationen hatte das Auswärtige Amt hierzu ausdrücklich gebeten.
Der betreffende deutsche Sportverband wurde darüber hinaus laufend ausführlich von den Berichten, die von unseren Botschaften in Pretoria, Lagos und Jaunde zu den Südafrikanischen Spielen in Bloemfontein eingingen, informiert. Da die Spiele in Bloemfontein als Protestaktion der Südafrikaner gegen ihre Ausladung von den letzten Oympischen Spielen 1968 aufzufassen waren, hat das Auswärtige Amt den Deutschen Leichtathletikverband auf die Proteste der afrikanischen Sportorganisationen hingewiesen und auf die möglichen Auswirkungen für die Olympiade 1972 in München aufmerksam gemacht.
Eine Zusatzfrage, Herr Picard.
*) Siehe 222. Sitzung, Seite 12055 D
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung irgendwelche Auswirkungen für die Spiele 1972 als möglich an? Wenn ja, welche?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf darauf im Zusammenhang mit meiner Antwort auf die dritte Frage des Kollegen Müller zurückkommen, Herr Kollege Picard.
Ich rufe dann die Frage 2 des Herrn Abgeordneten Müller auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Teilnahme von Sportlern der Bundesrepublik Deutschland an den Spielen in Südafrika, wo nur weiße Sportler zugelassen sind, zu außenpolitischen Schwierigkeiten führen kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Führung der sportlichen Dachorganisation in Afrika hat in ihren an das Nationale Olympische Komitee für Deutschland und an den Deutschen Leichtathelitkverband übermittelten Erklärungen deutlich herausgestellt, daß sie einen Start der deutschen Leichtathleten in Bloemfontein als erhebliche Belastung der sportlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den afrikanischen Ländern betrachtet, und daß sich daraus auch politische Folgen ergeben könnten. Die Bundesregierung kann auf Grund dieser Reaktionen der afrikanischen Sportführung, der sich auch bereits eine afrikanische Regierung angeschlossen hat, mögliche außenpolitische Schwierigkeiten nicht ausschließen. Es ist bei der Bundesregierung der Eindruck entstanden, daß die jungen Nationen Afrikas die internationale Sportveranstaltung in Südafrika als eine politische Herausforderung empfinden, da keine farbigen Sportler an den Spielen teilnehmen dürfen.
Eine Zusatzfrage, Herr Müller .
Herr Staatssekretär, ist Ihnen denn die neueste Reaktion des DLV oder, besser gesagt, der Leitung des DLV bekannt, die ja nun am gestrigen Tage darüber entscheiden sollte, ob sie Ihren Anregungen und Vorstellungen und denen dritter Länder folgen will?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die letzten Entscheidungen des DLV sind mir, Herr Kollege Müller, zwangsläufig nicht bekannt. Ich bin darüber nicht unterrichtet worden. Wir haben, soweit Sie das Auswärtige Amt oder die Bundesregierung damit meinen, in dieser Frage lediglich auf den Sachverhalt hingewiesen und einen Rat erteilt. Diesen Rat kann man annehmen oder auch nicht. Die Verbände und auch der DLV sind selbstverständlich in ihrer Entscheidung frei.
Eine Zusatzfrage, Herr Zoglmann, zur Frage 2.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969 12155
Herr Staatssekretär, sind Sie wirklich der Meinung, daß es Aufgabe der Bundesregierung ist, sich Gedanken darüber zu machen, wer wen oder, um es noch konkreter auszudrücken, wer welche anderen Verbände — nur darum geht es; in Bloemfontein ist nicht an nationale sportliche Wettkämpfe, sondern an Verbandswettkämpfe gedacht — zu sportlichen Veranstaltungen einlädt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Erstens ist es selbstverständlich Sache der Bundesregierung, sich über alle Fragen Gedanken zu machen, die die außenpolitische Stellung der Bundesrepublik Deutschland in dieser Welt betreffen. Zweitens gehen Sie in Ihrer Frage von einer völlig falschen Voraussetzung aus, Herr Kollege Zoglmann; denn die Bundesregierung ist ja nicht aus eigenem Antrieb tätig geworden, sondern sie hat einer Bitte der betreffenden afrikanischen Sportverbände entsprochen, hier in der Bundesrepublik den deutschen Sportverbänden deutlich zu machen, was deren Auffassung ist.
Drittens muß ich sagen: An einer Frage, von der man im vorhinein sagen kann, daß ihr gerade wegen des ausgesprochen politischen Charakters, der den Spielen in Südafrika von den dortigen Verbänden oder von der dortigen Regierung beigelegt worden ist, besondere Bedeutung zukommt, durfte man nicht achtlos vorübergehen.
Frage 3 des Herrn Abgeordneten Müller :
Sieht die Bundesregierung in diesem Zusammenhang durch die Haltung der schwarzafrikanischen- und Ostblockstaaten eine Beeinträchtigung oder gar Gefährdung der Olympischen Spiele 1972 in der Bundesrepublik Deutschland?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Beteiligung einer deutschen Leichathletikmannschaft an den Spielen in Bloemfontein hätte durchaus dazu führen können, daß die afrikanischen Länder die Frage ihrer Teilnahme an den Olympischen Spielen 1972 in der Bundesrepublik Deutschland überprüfen. Da auch die Ostblockstaaten die Veranstaltung in Bloemfontein/Südafrika bereits heftig kritisiert haben und nicht gerade zu den Befürwortern im Internationalen Olympischen Komitee gehörten, die Olympischen Spiele 1972 nach München zu vergeben, ist es nicht ausgeschlossen, daß die afrikanischen Länder wegen der Rassenpolitik der südafrikanischen Regierung eine Front bilden, die insoweit Unterstützung durch die kommunistischen Länder erhält.
Die Frage der Zulassung einer südafrikanischen Mannschaft zu den Olympischen Spielen in München fällt nicht in die Zuständigkeit der Bundesregierung, sondern ist Angelegenheit des Internationalen Olympischen Komitees, das sich, soweit der Bundesregierung bekannt ist, mit dem Problem auf seiner nächsten Sitzung Ende Mai dieses Jahres beschäftigen wird. Es ist somit verfrüht, von einer Gefährdung der Spiele 1972 in München zu sprechen.
Eine Zusatzfrage? — Herr Picard, bitte!
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Spiele in Bloemfontein tatsächlich nur Verbandsspiele sind, und wären Sie unter dieser Voraussetzung bereit, deutlich zu machen, daß nach Auffassung der Bundesregierung eine so enge Verquickung zwischen Sport und politischen Stellungnahmen wie bisher untunlich und von der Sache her nicht gerechtfertigt ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Picard, Sie haben im letzten Teil Ihrer Frage die Auffassung der Bundesregierung, wie sie tatsächlich ist, wiedergegeben. Auf der anderen Seite weiß ich im Augenblick nicht genau, wie formal die Veranstaltungsverantwortlichkeit in Südafrika bei diesen Spielen ist. Ich glaube aber auch nicht, daß das das Entscheidende ist. Denn allein die Tatsache, daß im Jahre 1969 in dieser Welt Spiele stattfinden können, von denen bestimmte Menschengruppen von vornherein ausgeschlossen sind, gibt solchen Veranstaltungen einen eindeutig politischen Charakter, über den man nicht hinwegsehen kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Schultz .
Schultz (FDP) : Herr Staatssekretär, würden Sie die Reisen bundesrepublikanischer Politiker nach Südafrika unter denselben Gesichtspunkten sehen, unter denen Sie hier soeben die Frage der Spiele dargelegt haben, mit anderen Worten: sollten wir auch als Politiker nicht mehr nach Südafrika fahren?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Schultz, wir haben selbstverständlich normale diplomatische Beziehungen und legen Wert auf gute amtliche Beziehungen zu Südafrika. Allerdings bedeutet das auch, daß die Zahl der Besuche und der Rang der Besuche wohl in einem angemessenen Verhältnis zu denen in anderen Ländern stehen sollten.
Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Fragen 131 und 132 des Abgeordneten Schultz auf:
Besitzen die bei den alliierten Streitkräften in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten Angehörigen der Arbeitsgruppen und Dienstgruppen (Ausländer und Staatenlose), die bewaffneten Dienst tun, den Kombattantenstatus oder nicht?
Welche Schritte gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, um auf eine allgemein anerkannte Klärung der rechtlichen Stellung der etwa 9000 Angehörigen dieser Arbeits- und Dienstgruppen im Ernstfall hinzuwirken?
Ich glaube, sie können zusammen beantwortet werden. Herr Schultz, sind Sie damit einverstanden?
— Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Angehörigen
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12156 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969
Parlamentarischer Staatssekretär Jahnder Arbeitsgruppen und der zivilen Dienstgruppen sind zivile Arbeitnehmer der Stationierungsstreitkräfte. Als solche gehören sie nach Art. IX Abs. 4 des NATO-Truppenstatuts nicht zu den Mitgliedern der Streitkräfte. Sie sind also nicht in die bewaffnete Macht der Entsendestaaten eingegliedert. Auch haben sie keine aktive Verteidigungsaufgabe. Für die deutschen zivilen Arbeitnehmer der Stationierungsstreitkräfte ist in Art. 56 Abs. 4 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut überdies ausdrücklich gesagt, daß sie nur „für Dienste nichtsoldatischer Art, einschließlich ziviler Wachdienste" verwendet werden dürfen. Damit sind die Voraussetzungen für einen Kombattantenstatus der Angehörigen der Arbeitsgruppen und der zivilen Dienstgruppen nicht gegeben. Dem steht nicht entgegen, daß sie auch zu zivilen Wachdiensten und polizeilichen Sicherheitsaufgaben verwandt werden und demzufolge mit Waffen versehen sind. Der Gebrauch von Waffen beschränkt sich auf die Ausübung dieser Dienste und Aufgaben; keinesfalls wäre er zur Bekämpfung feindlicher Kombattanten zulässig.Soweit die Angehörigen der Arbeitsgruppen und der zivilen Dienstgruppen zu den Personen gehören, die im Sinne des Art. 4 A Ziffer 4 des III. Genfer Abkommens vom 12. August 1949 über die Behandlung von Kriegsgefangenen „den Streitkräften folgen, ohne in sie eingegliedert zu sein", genießen sie den Schutz dieses Abkommens. Sie müssen — wenn sie in Feindeshand fallen — als Kriegsgefangene behandelt werden. Besteht für sie jedoch keine Folgepflicht, so sind sie als Zivilpersonen nach dem IV. Genfer Abkommen vom 12. August 1949 zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten geschützt.Das Gesagte gilt selbstverständlich nur, solange der einzelne Arbeitnehmer nicht als Soldat einberufen wird. Andernfalls hat er völkerrechtlich den Status eines Kombattanten.Das III. Genfer Abkommen sieht vor, daß die Personen, die den Streitkräften folgen, ohne in sie eingegliedert zu sein, entsprechende Ausweiskarten erhalten. Die Bundesregierung wird mit den zuständigen Stellen der Entsendestaaten die Frage solcher Ausweise für die Angehörigen der Arbeits- und der Dienstgruppen erörtern.
Eine Zusatzfrage, Herr Schultz.
Schultz (FDP) : Sie meinen also, Herr Staatssekretär, daß, wenn diese noch mit den Alliierten zu klärende Frage geregelt ist, die rechtliche Stellung der Angehörigen der Arbeits- und Dienstgruppen im Ernstfall, also im Konfliktsfall, ausreichend gesichert ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich sehe keinen Anlaß, die Sicherung durch die Bestimmungen und Regeln der Genfer Abkommen als nicht ausreichend anzusehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Dröscher.
Herr Staatseskretär, ist die Bundesregierung bereit, bei den Arbeitgebern darauf hinzuwirken, daß dem einzelnen Angehörigen dieser Arbeitsgruppen und Dienstgruppen bei dem Unterricht mit Waffen, der ja immer wieder geschieht, klargemacht wird, wie die rechtliche Stellung ist und in welcher Weise die Verpflichtungen mit der Waffe ausgeübt werden müssen und in welcher Weise nicht?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich greife die Anregung gern auf.
Eine Zusatzfrage, Herr Borm.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob eine militärische oder eine paramilitärische Ausbildung dieses Personenkreises seitens der zugehörigen Entsendungsmächte erfolgt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mir ist darüber nichts bekannt.
Noch eine Frage, Herr Borm.
Würden Sie vielleicht bereit sein, das einmal zu prüfen und mir bekanntzugeben?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gern.
Ich rufe die Frage 133 des Herrn Abgeordneten Kahn-Ackermann auf:
Wann ist damit zu rechnen, daß die mit dem Bundeskanzler während seines Besuches in Kabul/Afghanistan besprochenen Wünsche der afghanischen Regierung hinsichtlich der Ausrüstung der afghanischen Polizei im Rahmen des laufenden Projekts der deutschen technischen Hilfe zur Reorganisation der afghanischen Polizei erfüllt werden?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Seit 1961 fördert die Bundesregierung im Rahmen der technischen Hilfe die Ausbildung der afghanischen Polizei durch Entsendung von Beratern an die Polizeischule und an das Landeskriminalamt, durch Fortbildung afghanischer Fachkräfte in der Bundesrepublik und durch Lieferung von technischer Ausrüstung.Das Vorhaben sollte Ende 1968 auslaufen. Bei seinem Besuch im September 1968 in Kabul hat der Herr Bundeskanzler auf Bitte der afghanischen Regierung zugesagt, das Vorhaben im bisherigen Umfang bis Ende 1970 weiterzuführen und eine eventuelle Fortsetzung über diesen Zeitpunkt hinaus wohlwollend zu prüfen.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969 12157
Parlamentarischer Staatssekretär JahnDie Bundesregierung hat die für die Verlängerung bis Ende 1970 erforderlichen Mittel daraufhin bereitgestellt, darunter 360 000 DM für weitere Ausstattungsgegenstände.Mit dieser Verlängerung des Vorhabens und der vertraglichen Vereinbarung mit der afghanischen Regierung, eine Fortsetzung des Vorhabens über 1970 hinaus wohlwollend zu prüfen, ist der Zusage des Herrn Bundeskanzlers voll Rechnung getragen worden.Inzwischen hat die afghanische Regierung neue Wünsche nach Ausrüstung der afghanischen Polizei geäußert. Diese Wünsche werden im Zusammenhang mit der eventuellen Verlängerung des Vorhabens nach 1970 im Rahmen unserer Möglichkeiten geprüft. Hierzu ist vorgesehen, einen Sachverständigen zu gegebener Zeit nach Afghanistan zu entsenden.
Eine Zusatzfrage, Herr Kahn-Ackermann.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß im Rahmen der Zusagen des Herrn Bundeskanzlers auch ein Regierungsabkommen abgeschlossen wurde, dessen Art. 1 Abs. 2 im Rahmen dieser Polizeiausrüstungshilfe eine Reihe von Lieferungen vorsieht, die offenbar in ihrer zeitlichen Folge von der Bundesregierung nicht eingehalten worden sind? Die afghanische Regierung ist etwas beunruhigt, nachdem eine ganze Reihe von anderen Zusagen der technischen Hilfe und der Kapitalhilfe in Afghanistan, die sechs bis sieben Jahre zurückliegen, nicht eingehalten worden sind. Sie werden sich entsinnen, daß bei dem Besuch des Herrn Bundeskanzlers der vom Herrn Bundespräsidenten gelegte Grundstein für die Nedschat-Schule ins Museum gebracht wurde, um die Bundesregierung daran zu erinnern, daß eine ganze Reihe von Zusagen in ihrer zeitlichen Folge nicht eingehalten worden sind.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Kahn-Ackermann, ich sehe keine Möglichkeit, auch nur eine der Voraussetzungen der Frage, die Sie soeben gestellt haben, als richtig anzuerkennen. Was die Polizeihilfe betrifft, so habe ich bereits in meiner zusammenfassenden Antwort darauf hingewiesen, daß im Anschluß an die Gespräche, die beim Besuch des Herrn Bundeskanzlers geführt worden sind, ein Abkommen geschlossen worden ist und daß auf der Grundlage dieses Abkommens die darin eingegangenen Verpflichtungen, nämlich zunächst einmal die fest vereinbarte Fortführung der Unterstützung für die Polizei um zwei Jahre, auch inzwischen erfüllt worden sind. Es gibt insoweit keinerlei Verzögerungen und keinerlei berechtigte Vorwürfe.
Ich bin zwar der Meinung, daß die Frage des Neubaus der deutschen Schule in Kabul nicht zu diesem Thema gehört, aber nachdem Sie darauf hingewiesen haben, muß ich sagen: ich bin damals selber in
Kabul mit dabeigewesen, und ich weiß, daß kein Grundstein in einem Museum besichtigt worden ist, sondern das Baugelände, auf dem damals auf Grund aller leider Gottes eingetretenen Verzögerungen im Rahmen der Bauverwaltung noch nicht viel Tätigkeit zu erkennen war. Aber die Charakterisierung, die Sie hier gegeben haben, geht doch über das Tatsächliche hinaus.
Zweite Zusatzfrage, Herr Kahn-Ackermann.
Herr Staatssekretär, ist das Auswärtige Amt bereit, angesichts der offenbaren unterschiedlichen Auffassungen über die Erfüllung des Regierungsabkommens diese Frage in Anbetracht der besonderen und herzlichen Beziehungen zum Lande Afghanistan raschestens zu prüfen und zu erörtern?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Welche Frage bitte?
Die Frage der Erfüllung des Regierungsabkommens, über die offensichtlich unterschiedliche Auffassungen in Kabul und Bonn bestehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Kahn-Ackermann, mir ist nicht klar, über welche Informationsquellen Sie verfügen. Ich habe hier dargelegt, daß das Abkommen erfüllt ist, und ich habe keinen Grund, anzunehmen, daß diejenigen, die sich ständig mit diesen Fragen beschäftigen, mir hier falsche Unterlagen zur Verfügung gestellt haben. Darüber hinaus gibt es, wie Sie mit Recht bemerken, ausgezeichnete Beziehungen zwischen Afghanistan und der Bundesrepublik Deutschland. Die Botschafter beider Länder haben jederzeit freien Zugang zu allen für sie notwendigen Dienststellen der beiderseitigen Regierungen. Mir ist bisher keine irgendwie geartete Kritik in der von Ihnen hier geäußerten Richtung bekanntgeworden, und ich sehe beim besten Willen keinen Anlaß, ohne daß die betroffenen Länder selber durch ihre Regierungen hier irgend etwas vortragen, nun in eine ganz allgemeine Prüfung einzutreten. Sie wissen, daß ich mich notwendigen Prüfungen wirklich nicht entziehe. Aber wenn Sie in dieser Frage ein solches Begehren stellen, muß ich umgekehrt sehr herzlich darum bitten, daß dann wenigstens ein wenig klarere und eindeutigere Hinweise gegeben werden, weshalb das eigentlich notwendig sein soll.
Ich rufe die Fragen 134 und 135 des Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Hermann auf:Wie beurteilt die Bundesregierung den in der von der sowjetischen Botschaft in der Bundesrepublik Deutschland herausgegebenen Schrift „Sowjetunion heute" vom 1. Februar 1969 veröffentlichten Aufsatz "Mitbestimmung: Theorie und Praxis" ?
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12158 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969
Vizepräsident Dr. MommerEntsprechen derartige massive, zum Umsturz auffordernde Einmischungen in die inneren Angelegenheiten eines Staates den normalen Gepflogenheiten ausländischer Botschaften?Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich würde diese beiden Fragen gern zusammen beantworten dürfen.
Sind Sie einverstanden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung bedauert die Veröffentlichung des Artikels „Mitbestimmung — Theorie und Praxis" in der sowjetischen Botschaftszeitschrift „Sowjetunion heute". Der Artikel gibt nicht nur höchst unerbetene Ratschläge zu einem wichtigen gesellschaftspolitischen Diskussionsthema in der Bundesrepublik Deutschland, sondern nimmt auch ausdrücklich auf die Verhältnisse in Österreich, Norwegen, Italien, England, Schweden und Holland Bezug. Damit versucht der Verfasser zwar, seinen Äußerungen einen allgemeineren Charakter zu geben, dennoch ist die Aufforderung zum politischen Handeln in der Bundesrepublik Deutschland erkennbar. Der Verfasser erteilt Ratschläge, wie die Institution der Betriebsräte und die Mitbestimmung insgesamt als Mittel des Klassenkampfes eingesetzt werden sollen.
Ein solcher Versuch der Einmischung in innerdeutsche Angelegenheiten wird eher das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung erzielen. Die Bundesregierung mißbilligt ihn jedoch deswegen nicht minder, da er von einem Mangel an Achtung und Takt gegenüber dem Gastland und den erwähnten, mit Deutschland befreundeten Staaten zeugt.
Wie bereits gesagt, handelt es sich um einen Einmischungsversuch, aber noch nicht um eine massive Einmischung und gewiß nicht um eine Aufforderung zum Umsturz. Gleichwohl entspricht ein derartiger Einmischungsversuch nicht den normalen Gepflogenheiten diplomatischer Vertreter.
Ausländische Botschafter dürfen sich nach einem allgemein anerkannten Satz des Völkerrechts, der auch in Art. 41 Abs. 1 Nr. 2 des Wiener Übereinkommens über die diplomatischen Beziehungen niedergelegt ist, nicht in die inneren Angelegenheiten des Gastlandes einmischen.
Eine Zusatzfrage, Herr Müller-Hermann.
Darf ich fragen, Herr Staatssekretär, ob diese Stellungnahme der Bundesregierung auch gegenüber dem Herrn Botschafter abgegeben worden ist.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist beabsichtigt,
diese meine Antwort der Botschaft der Sowjetunion in Bonn zur Kenntnis zu bringen.
Keine Zusatzfrage.
Die Frage 136 wurde vom Fragesteller zurückgezogen.
Ich rufe die Frage 137 des Herrn Abgeordneten Dr. Rutschke auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des EWG-Präsidenten Rey und der Regierung Frankreichs, daß bei einem Beitritt Großbritanniens in den Gemeinsamen Markt „alles noch komplizierter" werde?
Sie wird von Herrn Moersch übernommen. Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die nächsten drei Fragen würde ich gern getrennt beantworten, Herr Präsident.
Der Bundesregierung ist das von dem Herrn Abgeordneten Dr. Rutschke erwähnte Zitat, wonach Präsident Rey und die französische Regierung übereinstimmend geäußert haben sollen, bei einem Beitritt Großbritanniens werde im Gemeinsamen Markt „alles noch komplizierter" werden, nicht bekannt. Dagegen ist mir bekannt, daß die französische Regierung als Folge einer Erweiterung der Europäischen Gemeinschaften eine tiefgreifende Veränderung dieser Gemeinschaften sieht. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hingegen hat sich stets für einen Beitritt Großbritanniens und der anderen beitrittswilligen Staaten ausgesprochen. Zur Sache selbst ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Herausarbeitung einer gemeinsamen Politik auf gewissen Gebieten bei einer Vergrößerung der Gemeinschaft schwieriger werden könnte; sie ist aber auch der Meinung, daß es andere Gebiete geben wird, auf denen der Interessenausgleich sich bei einer größeren Zahl von Mitgliedern leichter bewerkstelligen ließe. Hierzu könnte nicht zuletzt die gemeinsame Landwirtschaftspolitik gehören. Diese Auffasung wird gestützt von dem erklärten Willen der britischen Regierung und der anderen beitrittswilligen Regierungen, die Verträge, bisherigen Entscheidungen und ins Auge gefaßten Ziele der Gemeinschaften unverändert anzunehmen.
Frage 138 bitte:
Ist es nicht Aufgabe des EWG-Ministerrats und der Kommission, auf Grund der bisherigen Erfahrungen mit den Schwierigkeiten, sich in der Gemeinschaft auf gemeinsame politische Leitlinien zu einigen, nach Mitteln und Wegen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten zu suchen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung teilt die Auffassung, daß der Rat der Europäischen Gemeinschaften und die Kommission unbeirrbar nach Mitteln und Wegen zur Überwindung bestehender Schwierigkeiten suchen soll. Dies geschieht auch. Die Bundesregierung hat mit der Vorlage ihrer Initiative vorn 27. September vergangenen Jahres einen von den übrigen Gemeinschafts-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969 12159
Parlamentarischer Staatssekretär Jahnstaaten positiv bewerteten Beitrag zur Aktivierung der Tätigkeit der Gemeinschaften geleistet. Sie hat darin Vorschläge für den inneren Ausbau und für Interimsmaßnahmen bis zur Erweiterung gemacht. Über diese Vorschläge und Vorschläge anderer Staaten wird gegenwärtig in Brüssel intensiv beraten. Die Bundesregierung hofft, daß bestehende Schwierigkeiten, die sich in einer gewissen Stagnation in der Gemeinschaftsentwicklung ausgedrückt haben, in den nächsten Monaten überwunden werden können.
Eine Zusatzfrage.
Aus welchen Erkenntnissen schöpft die Bundesregierung diese Hoffnung, beispielsweise aus dem letzten Gespräch des Herrn Bundeskanzlers mit Herrn Staatspräsident de Gaulle?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Aus den Erfahrungen, die sich aus den bisherigen Beratungen ergeben haben, und aus ihrem Willen, diesen Beratungen, soweit es an ihr liegt, zu einem Erfolg zu verhelfen.
Frage 139:
Können die von Präsident Rey und der Regierung Frankreichs befürchteten größeren Schwierigkeiten für die Einigung auf gemeinsame politische Leitlinien der Aufnahme beitrittswilliger Länder als unüberwindliche Hindernisse entgegenstehen, nachdem die Römischen Verträge ausdrücklich eine Erweiterung der EWG fordern?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Befürchtungen über mögliche größere Schwierigkeiten bei der Einigung auf eine gemeinsame Politik dürfen nach Auffassung der Bundesregierung der Erweiterung der Gemeinschaften nicht entgegenstehen. Es wird anerkannt, daß sich beim Hinzutreten weiterer Länder die Art der zu findenden Kompromisse im Einzelfall von Kompromissen unterscheiden wird, die unter nur sechs Ländern gefunden würden. Dies ist nach deutscher Auffassung jedoch kein Hinderungsgrund für die erfolgreiche Entwicklung einer erweiterten Gemeinschaft. Allerdings ist die Voraussetzung für eine positive Fortentwicklung der Gemeinschaften die Beibehaltung und Anwendung der institutionellen Regeln der Verträge.
Keine Zusatzfrage.Die Fragen 140 und 141 wurden vom Fragesteller zurückgezogen. Ich danke für die Beantwortung der Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich, Herr Staatssekretär.Die Fragen 72 bis 75 der Abgeordneten Dr. Kempfler und Baron von Wrangel sowie die Fragen 36 und 37 des Abgeordneten Dr. Schmidt aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten werden im Einverständnis mit den Fragestellern schriftlich beantwortet:Erscheint es der Bundesregierung nicht zweckmäßig, anstelle der bisherigen jeweils jährlichen Neufassung der Richtlinien für Zinsverbilligung zur Förderung vordringlicher agrar- und ernährungswirtschaftlicher Maßnahmen eine Regelung mit längerer Gültigkeitsdauer im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung zu treffen?Erscheint es nicht sinnvoll, eine bessere Abstimmung der Richtlinien für die verschiedenen Förderungsmaßnahmen zu finden, z. B. hinsichtlich der verschiedenen Dauer der Buchführungspflicht bei dem Althofsanierungsprogramm und der Zinsverbilligungsaktion?Was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu tun, daß französischer Weizen und Gerste weit unter den jeweiligen Interventionspreisen bis zu 20 DM pro Tonne und mehr an die Mühlen nicht nur im Westen, sondern auch nach Schleswig-Holstein und besonders ins Zonenrandgebiet zur Intervention geliefert werden?Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Aufnahme der deutschen Ernte 1969 sicherzustellen, nachdem jetzt schon Kontrakte über französisches Getreide auf dieser Basis bis Oktober und länger getätigt werden und die Interventionsläger durch französisches Getreide, das die Einfuhr- und Vorratsstelle Frankreichs bereits übernommen hat beziehungsweise übernehmen muß, blockiert werden?Wie beurteilt die Bundesregierung die bayerischen Bemühungen um die Einführung des Begriffs „Nationalpark" angesichts der Tatsache, daß diese Bezeichnung gemäß den Richtlinien für die Erstellung der Liste der Vereinten Nationen nur Gebieten vorbehalten bleiben soll, die der Verwaltung von Zentralstaaten oder in Foderativstaaten der Bundesverwaltung unterstehen?Haben diesbezügliche Verhandlungen der bayerischen Staatsregierung mit der Bundesregierung ergeben, daß die bayerische Staatsregierung insofern vom bisherigen Standpunkt betreffend Zuständigkeit und Notwendigkeit einer bundesrechtlichen Rahmengesetzgebung für Naturschutz und Landschaftspflege abzuweichen beabsichtigt?Auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Kempfler lautet die Antwort des Bundesministers Höcherl vom 21. März 1969:Die Zinsverbilligungsrichtlinien wurden seit 1965 nicht mehr jährlich neu gefaßt. Die z. Z. geltenden sind von 1967, die vorherigen von 1965. Vor 1970 ist keine Neufassung beabsichtigt.Während für Investitionsbeihilfe und Zinsverbilligung die Gültigkeitsdauer der Buchführungsauflage einheitlich geregelt ist , wurde bei den Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur, bei denen in der Regel weit höhere staatliche Förderungshilfen gewährt werden, ein entsprechend strengerer Maßstab angelegt (Verpflichtung zur Buchführung auf mindestens 20 Jahre). Übrigens ist im Zuge einer Integration aller Förderungsmaßnahmen des Hauses auch hier eine Vereinheitlichung vorgesehen.Die Fragen der Abgeordneten Baron von Wrangel und Dr. Schmidt sind noch nicht beantwortet. Die Antworten werden später im Sitzungsbericht abgedruckt.Wir kommen dann zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung ist Herr Staatssekretär Kattenstroth hier. Zunächst die Frage 76 des Abgeordneten Dr. Hammans:Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, beim neuen Ladenschlußgesetz für Baumschulbetriebe zu erreichen, daß die sogenannte Friseurlösung für Baumschulen eingeführt wird?Die Frage wird im Einverständnis mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antwort des Bundesministers Katzer vom 20. März 1969 lautet:Ein neues Ladenschlußgesetz wird zur Zeit weder vom Deutschen Bundestag noch von der Bundesregierung vorbereitet. In den Ausschüssen des Deutschen Bundestages wird lediglich eine geringfügige Änderung des Ladenschlußgesetzes erörtert. Es handelt sich um den Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Ladenschlußgesetzes, der aus der Mitte des Deutschen Bundestages eingebracht worden ist. Dieser Entwurf beschränkt sich darauf, die bestehende Sonderregelung des Ladenschlusses für Kur- und Erholungsorte hinsichtlich der Zahl der verkaufsoffenen Sonn- und Feiertage sowie der Dauer der Öffnungszeiten an Sonn- und Feiertagen und an Sonnabenden zu ändern. Der Ausschuß für Arbeit des Deutschen Bundestages, der den Initiativgesetzentwurf am 26. Februar 1969 abschließend beraten hat, hat die Auffassung vertreten, daß eine weitere Ausdehnung der jetzt vorhandenen Sonderregelungen des Ladenschlußgesetzes vermieden werden sollte. Die Bundesregierung sieht sich unter diesen Umständen zur Zeit nicht in der Lage, darauf hinzuwirken, daß der auf Kur- und Erholungsorte beschränkte Initiativ-
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Vizepräsident Dr. Mommergesetzentwurf um die von Ihnen angestrebte Sonderregelung für Baumschulen erweitert wird.Dann die Frage 77 des Herrn Abgeordneten Dr. Lohmar. Ist er im, Saal? — Er ist nicht im Saal, dann wird diese Frage schriftlich beantwortet.
In welcher Form wird die Bundesregierung dem Vorschlag der Beratenden Versammlung des Europarates in ihrer Empfehlung Nr. 545 folgen, anläßlich des 50jährigen Bestehens des Internationalen Arbeitsamtes in Genf die Öffentlichkeit auf Bedeutung und Aufgaben dieses Amtes in verstärktem Maße hinzuweisen?
Die Frage wird im Einverständnis mit dem Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antwort des Bundesministers Katzer vom 20. März 1969 lautet:
Die Bundesregierung begrüßt die Gelegenheit, anläßlich des 50jährigen Bestehens der Internationalen Arbeitsorganisation die deutsche Öffentlichkeit auf die Bedeutung und die Aufgaben dieser Organisation in besonderem Maße aufmerksam zu machen. In Zusammenarbeit mit dem Internationalen Arbeitsamt und mit den deutschen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen ist folgendes vorgesehen:
Am 28. April 1969 wird die Bundespost eine Sonderbriefmarke
„50 Jahre Internationale Arbeitsorganisation" herausgeben.
Im Herbst 1969 wird ein Heft des Bundesarbeitsblattes ausschließlich der Internationalen Arbeitsorganisation gewidmet sein. Diese Ausgabe wird Beiträge aus Kreisen der Sozialpartner und des Internationalen Arbeitsamtes sowie von Mitarbeitern aus dem Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung enthalten. Darüber hinaus wird sich die Bundesregierung mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln darum bemühen, daß im Laufe des Jahres das Jubiläum der Internationalen Arbeitsorganisation in der Tagespresse, im Rundfunk und im Fernsehen gebührend gewürdigt wird.
Ferner ist beabsichtigt, im Herbst 1969 in einer Festveranstaltung das 50jährige Bestehen der Internationalen Arbeitsorganisation zu würdigen.
Wie der Deutsche Bundestag des Jubiläums der Internationalen Arbeitsorganisation gedenken wird, soll — soweit mir bekannt ist — ebenfalls noch überlegt werden.
Frage 79 des Herrn Abgeordneten Zebisch:
Was gedenkt die Bundesregierung in Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung und der bayerischen Staatsregierung zu unternehmen, um gerade im Zonenrand- und Grenzlandgebiet Bayerns ein Lehrlingsausbildungssystem zu schaffen, das uns auf lange Sicht gesehen keine Umschüler ausbildet?
Ist er im Saal? — Die Frage wird von Herrn Abgeordneten Fritsch übernommen.
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Spezifische Probleme des Ausbildungssystems, die sich aus der besonderen Lage der Zonenrand- und Grenzlandgebiete Bayerns ergeben, sind bisher nicht bekanntgeworden. Das in der Bundesrepublik vorherrschende Ausbildungssystem ist durch ein Zusammenwirken von Betrieb und Berufsschule gekennzeichnet. Seine Qualität und Leistungsfähigkeit hängen daher wesentlich von dem Angebot an guten betrieblichen Ausbildungsplätzen ab.
In diesem Zusammenhang ist bedeutsam, daß die Bundesregierung und die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Staatsregierung eine Reihe von Programmen zur Verbesserung der Wirtschaftsstruktur in den Zonenrand- und Grenzlandgebieten Bayerns durchführen. Sie haben vor allem zum Ziel, neue Betriebe aus Wirtschaftszweigen mit guten Zukunftsaussichten, wie aus der chemischen und der elektronischen Industrie, anzusiedeln,
Der Erfolg dieser Bemühungen wird weitgehend davon abhängen, daß genügend Arbeitskräfte mit den erforderlichen Fachkenntnissen vorhanden sind. Deshalb hat die Bundesanstalt in Nürnberg Maßnahmen der beruflichen Bildung eingeleitet. Sie konzentrieren sich besonders stark auf die genannten Gebiete. Dies wird unter anderem daraus ersichtlich, daß 83,8% aller beruflichen Bildungsmaßnahmen in Nordbayern auf die Arbeitsamtsbezirke Coburg, Bayreuth, Hof, Weiden, Schwandorf und Regensburg entfallen. Der Anteil der in Nordbayern vom 1. Januar 1969 bis zum 15. März 1969 eingeleiteten Maßnahmen beträgt bereits 50 % der gesamten Maßnahmen des Vorjahres in diesem Gebiet.
Die Frage, Herr Abgeordneter, berührt über die regionalen Probleme hinaus auch das Ausbildungssystem in seiner Gesamtheit. Hier erwartet die Bundesregierung vom künftigen Arbeitsförderungsgesetz und vom Berufsbildungsgesetz nachhaltige Verbesserungen.
Das Arbeitsförderungsgesetz soll die Rechtsgrundlagen für die finanzielle Förderung der beruflichen Ausbildung, Fortbildung, und Umschulung reformieren und zusammenfassen sowie die Leistungen verbessern. Die nach diesem Gesetz vorgesehenen Möglichkeiten institutioneller Förderung werden dazu beitragen, finanzielle Engpässe bei der Errichtung und Ausstattung vor allem auch überbetrieblicher Ausbildungsstätten zu überwinden.
Das kommende Berufsbildungsgesetz soll das Ausbildungssystem unter anderem dadurch verbessern, daß es konkrete Voraussetzungen für die persönliche, fachliche und betriebliche Eignung zur Erteilung der Berufsausbildung aufstellt. Das künftige Gesetz soll der Berufsausbildung eine klare Zielsetzung geben, welche die Forderung nach breiterer Grundlagenausbildung, nach systematischer und methodischer Ordnung und nach beruflicher Mobilität umfaßt. Damit sollen die laufende berufliche Anpassung an die technologische und wirtschaftliche Entwicklung erleichtert und einschneidende Umschulungen so weit wie möglich vermieden werden.
Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß sich die angestrebten Verbesserungen der Ausbildung und des Ausbildungssystems in ihrer Verbindung mit den laufenden Strukturmaßnahmen auf die Wirtschafts- und Beschäftigungslage gerade der Zonenrand- und Grenzlandgebiete Bayerns günstig auswirken werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Fritsch.
Herr Staatssekretär, die von Ihnen genannten Maßnahmen, die insbesondere im Benehmen mit der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung getroffen worden sind, umfassen, wie ich Ihrer Antwort entnehme, vorwiegend den oberpfälzischen Raum, während der niederbayerische Raum kaum genannt worden ist. Würden Sie sich, Herr Staatssekretär, bei der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung dafür einsetzen,
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223, Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969 12161
Fritsch
daß dieser niederbayerische Raum mit einem ähnlichen Netz von Ausbildungsmöglichkeiten überzogen wird, wie es offensichtlich für die Oberpfalz gilt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich bin gern bereit, dieser Frage nachzugehen.
Ich rufe die Frage 80 der Abgeordneten Frau Klee auf. — Frau Klee ist nicht im Saal; dann wird die Frage schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Fragen 81 bis 83 des Abgeordneten Varelmann sowie die Frage 84 des Abgeordneten Dr. Lenz auf:
Berücksichtigt die Bundesregierung bei ihren konjunkturdämpfenden Planungen das Ausmaß der Arbeitslosigkeit in den verschiedenen Arbeitsamtsbezirken in Niedersachsen, u. a. in WestNiedersachsen und Südost-Niedersachsen?
Welche zusätzliche Maßnahme erwägt die Bundesregierung, um der bereits seit Jahren anhaltenden kritischen Beschäftigungslage in den verschiedenen Bereichen Niedersachsens zu begegnen?
Ist die Bundesregierung bereit, der Verbesserung der Arbeitsmarktlage in den wirtschaftlich schwachen Räumen den Vorrang zu geben vor der Einstellung von ausländischen Arbeitnehmern?
Welche Maßnahmen sind in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und in ihren Mitgliedsländern ergriffen worden, um den Beschluß des Rates der EWG vom 29. Februar 1968 zu verwirklichen, der eine stärkere Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Arbeitsmarktpolitik im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft vorsah?
Diese Fragen werden auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet. Die Antworten des Bundesministers Katzer vom 20. März 1969 lauten:
Zu den Fragen des Abgeordneten Varelmann:
Die verschiedenen Förderungsprogramme im Rahmen der regionalen Strukturpolitik und des gemeinsamen Strukturprogramms der Bundesregierung und der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung haben erheblich dazu beigetragen, daß auch in den einzelnen wirtschaftsschwachen niedersächsischen Gebieten eine erfreuliche Verbesserung der Beschäftigungslage eingetreten ist. Die Arbeitslosenquote im Landesarbeitsamtsbezirks Niedersachsen-Bremen betrug noch im Januar 1967 4 v. H. und im Januar 1968 4,2 v. H., während sie im Januar 1969 auf nur noch 2,4 v. H. absank. Die Zahl der offenen Stellen entwickelte sich in der gleichen Zeit von rund 27 000 im Januar 1967 über rund 32 000 im Januar 1968 auf fast 55 000 im Januar 1969. Entsprechend ging die Zahl der Arbeitslosen zurück. Sie betrug im Januar 1967 rund 104 000, im Januar 1968 rund 109 000 und im Januar 1969 nur noch rund 61 600.
Diese Entwicklung beruht in starkem Maße darauf, daß die Bundesregierung rund 60 v. H. der Fläche Niedersachsens zu Förderungsgebieten erklärt hat. Die zu West-Niedersachsen und zu Südost-Niedersachsen zählenden Bezirke sind nahezu ausnahmslos als Bundesausbaugebiet anerkannt. Das Zonenrandgebiet ist ohnehin grundsätzlich Förderungsgebiet.
Die Bundesregierung wird bei allen Maßnahmen zur Stabilisierung der Konjunktur und der Preisentwicklung darauf achten, daß die strukturverbessernden Förderungen in den Zonenrandgebieten und in den Bundesausbaugebieten nicht beeinträchtigt werden; sie wird vielmehr darin fortfahren, die Ansiedlung neuer und die Erweiterung bestehender Betriebe nachhaltig zu unterstützen. Es ist vorgesehen, im Rahmen der binnenwirtschaftlichen Strukturmaßnahmen, die im Zusammenhang mit dem Gesetz zur außenwirtschaftlichen Absicherung stehen, das regionale Förderungsprogramm für die Zonenrandgebiete, die Bundesausbaugebiete und das Saarland einmalig um 150 Millionen DM zu erhöhen. Dieser Betrag soll für Investitionszuschüsse an gewerbliche Unternehmen verwendet werden. Die meisten Gebiete Niedersachsens werden an dieser Aufstockung des regionalen Förderungsprogramms teilhaben.
Die Bundesregierung wird auch darauf achten, daß der langfristige Prozeß der wirtschaftlichen Umstrukturierung in den Förderungsgebieten durch die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte nicht nachteilig beeinflußt wird. Dabei sollte jedoch nicht übersehen werden, daß auch in den Förderungsgebieten zur Sicherung des weiteren wirtschaftlichen Wachstums ausländische Arbeitskräfte erforderlich werden können, wenn geeignete deutsche Arbeitskräfte nicht ausreichend zur Verfügung stehen sollten.
Der Beschluß des Rates vom 29. Februar 1968 hat zu einer erheblichen Intensivierung der Zusammenarbeit auf den verschiedenen Gebieten der Arbeitsmarktpolitik in der Gemeinschaft geführt. Das wichtigste Ergebnis des vergangenen Jahres war die Verabschiedung der EWG-Verordnung Nr. 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft durch den Rat am 15. Oktober 1968. Diese Verordnung, die am 8. November 1968 in Kraft trat, und die sie ergänzenden Rechtsakte, insbesondere die Richtlinie Nr. 68/360 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für EWG-Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft, lösten die bisherigen Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer für die zweite Phase des Gemeinsamen Marktes ab. Dadurch wurde schon kurze Zeit nach Vollendung der Zollunion, am
1. Juli 1968, ein weiteres wichtiges Ziel des EWG-Vertrages, die volle Freizügigkeit der Arbeitnehmer, erreicht. Die neuen Rechtsvorschriften sehen für EWG-Arbeitnehmer u. a. vor:
— Die Arbeitserlaubnis wird abgeschafft.
— Die EWG-Arbeitnehmer werden inländischen Arbeitnehmern gleichgestellt hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, aller Arbeitsbedingungen und aller steuerlichen Vergünstigungen, aller Maßnahmen zur beruflichen Wiedereingliederung Arbeitsloser sowie hinsichtlich der Wahlberechtigung und Wählbarkeit zu den Arbeitnehmervertretungsorganen im Betrieb.
— Das bisherige Verfahren zum Austausch von Angaben über offene Stellen und Arbeitsgesuche wanderungswilliger Arbeitnehmer wird erheblich ausgebaut.
— Die nationalen Arbeitsmärkte der Mitgliedstaaten können gegenüber Zuwanderungen von EWG-Arbeitnehmern grundsätzlich nicht mehr gesperrt werden.
Weitere Ergebnisse der Zusammenarbeit liegen auf dem Gebiet der Koordinierung von Teilbereichen der Arbeitsmarktpolitik. Die vor allem technisch mühsamen Arbeiten zur Angleichung der Berufsausbildungsstufen wurden für eine Reihe von Berufen vorangebracht, so daß die Kommission dem Rat bald Vorschläge wird vorlegen können, Die vom Rat gebilligten Programme für eine Zusammenarbeit der nationalen Arbeitsverwaltungen und der nationalen Dienststellen für Berufsberatung werden zur Zeit ausgeführt; über die Ergebnisse der Zusammenarbeit soll die Kommission dem Rat berichten. Schließlich konnten die jährlichen Arbeitsmarktanalysen der Kommission weiter verbessert werden. Im übrigen verweise ich auf die halbjährlichen Berichte der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag — BT-Drucksache V/2774, Ziffer 49 bis 52 Berichtszeitraum Oktober 1967 bis März 1968) und BT-Drucksache V/3329, Ziffer 19, 50 bis 53 —.
Auf seiner letzten Tagung in der Besetzung der Arbeits- und Sozialminister am 13. März 1969 erörterte der Rat erneut die Arbeitsmarktlage in der Gemeinschaft. Der Rat kam überein, die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in der Arbeitsmarktpolitik vor allem auf einigen aktuellen Schwerpunktgebieten, zu denen die berufliche Bildungspolitik und die Rehabilitation gehören, zu verstärken. Die Entscheidung über das Vorhaben einer dreigliedrigen Arbeitsmarktkonferenz zwischen Regierungen, Sozialpartnern und Kommission wurde vorerst zurückgestellt.
Ich rufe die Frage 85 des Herrn Abgeordneten Fritsch auf:
Hält die Bundesregierung den Zusatzurlaub von sechs Arbeitstagen im Jahr nach dem Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter für ältere, berufstätige Schwer- und Schwerstbeschädigte noch als ausreichend, um die erforderliche Erholung zu ermöglichen und die Berufsfähigkeit zu erhalten?
Bitte, Herr Staatssekretär!
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Der gesetzlichen Regelung eines zusätzlichen Urlaubs für Schwerbeschädigte liegt der Gedanke zugrunde, daß sich die Kräfte eines schwerbeschädigten Arbeitnehmers in der Regel schneller verbrauchen als die eines gesunden Arbeitnehmers. Der Schwerbeschädigte bedarf daher eines längeren Erholungszeitraums zur Sicherung und Wiederherstellung seiner Arbeitskraft.Der nach dem Bundesurlaubsgesetz allen Arbeitnehmern zustehende jährliche Mindesturlaub von 15 bzw. 18 Werktagen für Arbeitnehmer über 35 Jahren wird durch das Schwerbeschädigtengesetz um 6 Tage — das ist mindestens ein Drittel des allgemeinen gesetzlichen Urlaubs — verlängert. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die meisten Schwer-
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Staatssekretär Kattenstroth
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969 12163
Sie haben keine Zusatzfrage mehr, Herr Borm, aber der Protest ist angebracht, und sicher tut er eine gewisse Wirkung, wenn es nötig sein sollte.
Dann rufe ich die Frage 87 des Herrn Abgeordneten Schultz auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, der aus Theologenkreisen vorgetragenen Anregung zu folgen, in Zukunft auch Pfarrer und Theologiestudenten zum Wehrdienst heranzuziehen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Nach § 11 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 des Wehrpflichtgesetzes sind Geistliche kraft Gesetzes vom Wehrdienst befreit. Wehrpflichtige, die sich auf das geistliche Amt vorbereiten, werden nach § 12 Abs. 2 des Wehrpflichtgesetzes auf Antrag vom Wehrdienst zurückgestellt. Es ist zwar richtig, daß einzelne evangelische Theologen eine Aufhebung dieser Vorschriften wünschen. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland, auf dessen Wunsch die Befreiungs- und Zurückstellungsvorschriften für evangelische Geistliche und Theologiestudenten in das Wehrpflichtgesetz aufgenommen wurden, hat aber bisher keine anderen Wünsche oder Vorschläge vorgelegt. Es ist deshalb zur Zeit nicht beabsichtigt, diese Vorschriften zu ändern.
Eine Zusatzfrage, Herr Schultz.
Schultz (FDP) : Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, in der nächsten Sitzung des Beirats für innere Führung, die nach der Konstituierung des Beirats ja wohl bald stattfinden wird, die Erörterung dieser Frage vorzuschlagen, weil ja noch etwas mehr dahintersteckt, als hier in einer Fragestunde dargelegt werden kann?
Ich bin gerne bereit, das zu veranlassen.
Ich rufe die Frage 88 des Herrn Abgeordneten Felder auf:
Kann die Bundesregierung darüber berichten, wie viele Soldaten der Bundeswehr bisher am Telekolleg des Bayerischen Rundfunks teilgenommen haben?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, bisher ist die Teilnahme von 170 Soldaten auf Zeit am Telekolleg des Bayerischen Rundfunks bekannt. Die Zahl ergibt sich aus den bisher gestellten Anträgen auf Kostenerstattung. Nicht enthalten sind Wehrpflichtige, Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit, die keinen Anspruch auf Besuch der Fachschule haben. Es ist vorgesehen, im Rahmen berufsfördernder Maßnahmen auch den Wehrpflichtigen eine solche Weiterbildung kostenlos zu ermöglichen.
Eine Zusatzfrage, Herr Felder.
Herr Staatssekretär, diesen Anträgen auf Erstattung der Kosten wird also stattgegeben?
Diesen Anträgen wird mit den Ausnahmen, die ich Ihnen eben hier vorgetragen habe, stattgegeben.
Die Frage 89 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx wurde schon anderweitig beantwortet.
Wir kommen dann zu den Fragen 90 bis 92 des Herrn Abgeordneten Dröscher. Können sie im Zusammenhang beantwortet werden?
Herr Präsident, ich schlage vor, die beiden ersten Fragen im Zusammenhang und die dritte Frage gesondert zu beantworten.
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Einverstanden. Dann rufe ich zunächst die Fragen 90 und 91 des Herrn Abgeordneten Dröscher auf:
Erscheint es möglich, daß Wehrpflichtige, die als Studenten an staatlichen Ingenieurschulen nach Absolvierung eines Semesters zum 1. April 1969 einberufen werden, nach Beendigung ihres Grundwehrdienstes infolge der z. Z. in Gang befindlichen Umstrukturierung der Ingenieurschulen nicht weiterstudieren können, weil bis dahin das Studium nur nach abgelegtem Abitur zugelassen wird?
Falls Frage 90 mit Ja beantwortet wird: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um jede Benachteiligung der den Grundwehrdienst ableistenden Wehrpflichtigen durch eine solche Entwicklung unmöglich zu machen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, es ist nicht zu befürchten, daß Studenten an staatlichen Ingenieurschulen, die vor Ihrer Einberufung zum 1. April 1969 bereits ein Studium aufgenommen hatten oder nach dem Wehrdienst erst aufnehmen wollen, Nachteile in ihrem Studiengang erleiden werden. Nach einer Mitteilung des Sekretariats der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder vom 11. Februar 1969 sollen die Ingenieurschulen und höheren Wirtschaftsfachschulen voraussichtlich erst im Jahre 1971 in Fachhochschulen umgewandelt werden. Im übrigen sind Übergangsregelungen mit dem Ziel des Erwerbs der Fachhochschulreife bzw. der Gleichstellung für diejenigen, die vor dem Besuch einer Akademie stehen oder eine Akademie besuchen, vorgesehen.
Zusatzfrage, Herr Dröscher.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, den in Frage kommenden höheren technischen Lehranstalten diesen Sachstand mitzuteilen, weil, wie Sie ja wissen, zum Teil Bescheinigungen ausgestellt worden sind, die die von mir hier angeschnittene Frage zum Gegenstand einer Belehrung an die Studenten gemacht haben?
Dazu sind wir gern bereit.
Eine Zusatzfrage, Herr Moersch.
Herr Staatssekretär, halten Sie es nicht für sinnvoll, diese ganze schwierige Frage des Ingenieurschulstudiums und des Grundwehrdienstes einmal mit den gewählten Vertretern der Ingenieurschulstudenten, dem Verband der Ingenieurschulstudenten, zu besprechen und vielleicht auch Vorschläge von dieser Seite entgegenzunehmen, wie diese zum Teil sehr ärgerlichen Regelungen künftig verbessert werden können?
Herr Kollege, wir sind gern bereit, alle Möglichkeiten zu prüfen, die zu einer guten Lösung führen.
Dann rufe ich die Frage 92 des Herrn Abgeordneten Dröscher auf:
Warum wurden zum 1. April 1969 soviel Wehrpflichtige erst als Studenten mit einem Semester und nicht unmittelbar nach dem Abitur einberufen?
Nach dem ersten Semester werden regelmäßig nur solche Abiturienten einberufen, die das Abitur bereits zu einem Zeitpunkt abgelegt haben, an dem sie wegen ihres Alters noch nicht wehrpflichtig waren. Das sind etwa 10% eines jeden Abiturientenjahrgangs. Diese Abiturienten werden zu Beginn jedes Jahres so rechtzeitig gemustert, daß sie zum April, also nach Absolvierung eines Semesters, einberufen werden können. Zu diesem Zeitpunkt ist das Studium nach den Zurückstellungsvorschriften des Wehrpflichtgesetzes noch nicht weitgehend gefördert, so daß in der Einberufung keine besondere Härte zu erblicken ist. Das ist auch gerecht, weil andernfalls diese jüngsten Abiturienten, die ein Studium aufgenommen haben, in der Regel nach Abschluß ihres Studiums wegen ihres dann fortgeschrittenen Alters nicht mehr zum vollen Grundwehrdienst herangezogen werden können.
Eine Zusatzfrage, Herr Dröscher.
Würden Sie es, Herr Staatssekretär, nicht für richtiger halten, solchen jungen Abiturienten eine richtige Beratung bei den Kreiswehrersatzämtern zuteil werden zu lassen und ihnen nicht — wie es in einem nachweisbaren Fall z. B. in Mainz geschehen ist — von seiten der Bundeswehrbehörden zu sagen, es bestünden keine Bedenken, mit dem Studium anzufangen?
Ich müßte diesen Sachverhalt nachprüfen lassen; im allgemeinen ist aber den Abiturienten durchaus bekannt, welche Möglichkeiten und welche Rechte sie haben.
Noch eine Frage, Herr Dröscher.
Würden Sie mit mir übereinstimmen, Herr Staatssekretär, daß es angesichts des damit zwangsläufig verbundenen Zeitverlustes eine zu große Zahl ist, wenn beispielsweise von 40 Chemiestudenten, die in Mainz betroffen werden, neun nach dem ersten Semester einberufen werden?
Herr Abgeordneter, wir wissen, daß das Abiturientenproblem sehr schwierig ist, und wir sind im allgemeinen bei der Behandlung dieses Fragenkomplexes auch sehr großzügig. Schon mit Beginn des zweiten Semesters wird das Studium von uns als weitgehend gefördert angesehen, und die Studenten werden dann auch zurückgestellt. Aber aus den eben dargelegten Grün-
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Parlamentarischer Staatssekretär Adornoden — und hier handelt es sich im allgemeinen um die jüngsten Abiturienten — können wir zur Zeit in unseren Vergünstigungen nicht noch weitergehen, als wir das bisher schon getan haben.
Eine Zusatzfrage, Herr Müller .
Ist es zutreffend, daß von den 19jährigen Wehrpflichtigen nur etwa 45 % eingezogen werden?
Der Herr Bundesminister der Verteidigung hat vor wenigen Tagen aus Anlaß der zweiten Lesung des Einzelplans 14 darauf hingewiesen, daß zu den eingezogenen 47 % noch weitere 14% hinzukommen, wenn die Zurückstellungsgründe weggefallen sind, sofern das 23. Lebensjahr noch nicht überschritten ist.
Noch eine Frage, Herr Müller.
Würde nicht die Möglichkeit bestehen, diejenigen jungen Leute, die sich hinsichtlich ihrer Berufsausbildung für ein Studium an einer Ingenieurschule vorbereitet haben und die zum 1. April angenommen sind, das Studium, das etwa drei Jahre dauert, absolvieren zu lassen, um sie nachher, wenn sie 22 Jahre alt sind, einzuberufen?
Diese Möglichkeiten werden durchaus auch wahrgenommen, aber es handelt sich hier um die Fixierung der Grenze von 23 Jahren und nicht von 22 Jahren. Wenn der Betreffende ein Alter von 23 1/2 Jahren überschritten hat, kann er nicht mehr eingezogen werden, weil er vor Ableistung der 18 Monate das 25. Lebensjahr erreicht. Im übrigen, Herr Kollege, wissen Sie, daß die Fragen des Wehrdienstausgleichs — und dazu gehört auch die Frage der Einziehung der Abiturienten und des rechtzeitigen Anschlusses an das Hochschulstudium — zur Zeit im Verteidigungsausschuß zur Prüfung anstehen und daß sowohl die Regierung als auch dieses Hohe Haus die Möglichkeit haben, hier gesetzliche Initiativen zu ergreifen.
Eine Zusatzfrage, Herr Moersch.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß dieser Schnitt, den Sie in Ihrer Definition zwischen dem ersten und dem zweiten Semester machen, an einigen Hochschulen gar nicht mehr gemacht werden kann, weil es keine Semester mehr gibt, sondern nur Studienjahre, wie z. B. in Konstanz? Und was gedenkt die Bundeswehr dann zu tun, wenn jemand an einer Hochschule studiert, die gar keine Semester mehr kennt, sondern nur noch Studienjahre?
Ich habe schon darauf hingewiesen, Herr Kollege Moersch, daß vielfältige Überlegungen im Gange sind, mit diesem schwierigen Problem fertig zu werden. Aber wir müssen dann unter Umständen auch eine Ergänzung oder Änderung oder Novellierung des Wehrpflichtgesetzes ins Auge fassen, und das in Zusammenarbeit mit diesem Hohen Hause.
Noch eine Frage, Herr Moersch.
Haben Sie, Herr Staatssekretär, mit der Kultusministerkonferenz auch über das Problem gesprochen, daß sich der Einzugstermin 1. April beispielsweise nur um wenige Wochen mit dem Abschluß des Abiturs überschneidet, und welche Möglichkeiten bestehen, daß man die Wehrpflichtigen sofort nach Ableistung des Abiturs einzieht, um Zeitverluste zu vermeiden?
Wir haben auch diese Möglichkeit mit der Ständigen Konferenz der Kultusminister erörtert. Leider haben wir bisher noch keine Übereinstimmung in dieser Frage gefunden.
Noch eine Frage, Herr Jung.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zu überprüfen, ob diejenigen, die das Studium an einer höheren Wirtschaftsfachschule aufnehmen wollen, bereits als weitgehend gefördert angesehen werden können, wenn sie die besonderen Bedingungen, die dort gestellt werden, erfüllen — nämlich die Lehre und dann das Praktikum als Teil dieser Ausbildung —, und sind Sie bereit, zu überprüfen, ob sie dann so lange zurückgestellt werden können, bis sie diese berufliche Ausbildung abgeschlossen haben? Die Befürchtungen des Kollegen Dröscher sind nämlich in der Tat berechtigt, weil diese höheren Wirtschaftsfachschulen demnächst und zum Teil bereits jetzt schon das Abitur als Voraussetzung für das Studium ansehen, so daß der Personenkreis die begonnene Berufsausbildung möglicherweise nicht mehr beenden kann, wenn er nicht zurückgestellt wird.
Herr Kollege, ich habe schon darauf hingewiesen, daß im Zusammenwirken mit der Ständigen Konferenz der Kultusminister Übergangsregelungen angestrebt werden. Wir sind aber selbstverständlich gerne bereit, auch die Überlegungen, die Sie soeben vorgetragen haben, in unsere Prüfungen einzubeziehen.
Ich rufe die Frage 93 des Herrn Abgeordneten Schlee auf:In welchem Verhältnis werden in der Verpflegung der Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland Butter und Margarine verwendet?
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Vizepräsident Dr. MommerDie Frage wird auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet. Die Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Adorno vom 21. März 1969 lautet:Das Verhältnis des Verbrauchs von Butter und Delikateßmargarine in der Truppenverpflegung der Bundeswehr beträgt normalerweise 40 % zu 60 %. Im Einvernehmen mit dem Herrn Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ist den Wirtschaftstruppenteilen und Standortverwaltungen seit 1. 12. 1967 bis auf weiteres jedoch gestattet, anstelle von Delikateßmargarine verbilligte Butter als Aufstrichfett über die Einfuhr- und Vorratsstellen zu beziehen. Der Preis der verbilligten Butter entspricht dem Durchschnittspreis von Delikateßmargarine. Der Verbrauchsanteil an Frischbutter zum Marktpreis wird dadurch nicht beeinflußt.Die Wirtschaftstruppenteile und Standortverwaltungen, die selbst entscheiden können, ob sie Delikateßmargarine oder verbilligte Butter verbrauchen wollen, nützen diese Möglichkeit weitgehend aus.Ich rufe die Frage 94 des Herrn Abgeordneten Rollmann auf:Teilt die Bundesregierung die Meinung des Gesamtverbandes niedersächsischer Lehrer in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, daß nach dem Grundgesetz der Ersatzdienst als Kriegsdienstverweigerung und der Wehrdienst gleichwertig sind und es aus diesem Grunde „in unserer Demokratie unmöglich ist: denjenigen zu loben, der sich für den Dienst in der Bundeswehr entscheidet"?Die Frage wird von Herrn Abgeordneten Damm übernommen.Bitte, Herr Staatssekretär!
Der Gesetzgeber hat durch das Wehrpflichtgesetz jeden jungen Mann der Bundesrepublik Deutschland zur Ableistung seines Wehrdienstes aufgerufen. Der anerkannte Kriegsdienstverweigerer hat statt des Wehrdienstes einen zivilen Ersatzdienst zu leisten. Der Ersatzdienst ist eingeführt worden, um die Gewissensentscheidung der anerkannten Kriegsdienstverweigerer zu achten. Wehrdienst und ziviler Arbeitsdienst sind mithin juristisch gleichwertig, aber nicht gleichartig. Die Sicherheits- und Bündnispolitik der Bundesregierung hat eine wesentliche Grundlage in der allgemeinen Wehrpflicht. Es muß in diesem Zusammenhang auch noch darauf hingewiesen werden, daß die Ableistung des Wehrdienstes durch den weit überwiegenden Teil der deutschen wehrpflichtigen Jugend es überhaupt erst ermöglicht, auch einen Ersatzdienst einzurichten. Schon aus diesem Grunde gebührt demjenigen mehr Lob, der sich für den Dienst in der Bundeswehr entscheidet.
Zusatzfrage, Herr Damm?
Angesichts dieser Antwort habe ich keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 95 des Herrn Abgeordneten Peiter auf:
Darf ich in Verfolg der Antwort auf meine Frage in der Sitzung des Deutschen Bundestages vom 5. Dezember 1962 nunmehr annehmen, daß das bisher in Neuwied provisorisch untergebrachte Kreiswehrersatzamt Montabaur in der Stadt Montabaur untergebracht wird, nachdem dort große Räumlichkeiten durch Auflösung der Bezirksregierung frei geworden sind?
Die Frage wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort des Staatssekretärs von Hase vom 19. März 1969 lautet:
Es ist richtig, daß das seinerzeitige Kreiswehrersatzamt Montabaur, das in Montabaur und Diez untergebracht war, zunächst nur provisorisch nach Neuwied verlegt worden und als endgültiger Sitz Montabaur geplant war. Inzwischen hat sich die Sachlage aber insoweit verändert, als heute wesentliche Argumente für ein Verbleiben des KWE in Neuwied sprechen. Dort ist ein bundeseigenes Gebäude vorhanden, das mit erheblichen Kosten erworben und hergerichtet wurde und für das keine andere Verwendungsmöglichkeit gegeben ist. Außerdem hat sich seit 1956 ein eingearbeiteter Stamm von Angestellten in Neuwied gebildet, der erfahrungsgemäß nur zum kleinen Teil umzugsbereit ist. Nicht von der Hand zu weisen ist auch, daß die Bevölkerung sich in der Zwischenzeit auf ein Kreiswehrersatzamt in Neuwied eingestellt hat, und daß starke Bevölkerungskreise in Neuwied kein Verständnis für eine Verlegung des Kreiswehrersatzamtes nach Montabaur hätten, die zudem noch mit einem erheblichen Kostenaufwand verbunden wäre.
Es bedarf daher der Prüfung, ob unter diesen Umständen von dem Angebot des Landes Rheinland-Pfalz auf käufliche Übernahme des — durch Auflösung der Bezirksregierung freigewordenen — Schlosses Montabaur Gebrauch gemacht werden oder ob das Kreiswehrersatzamt in Neuwied verbleiben soll.
Von dem Ergebnis der Prüfung werde ich Sie unterrichten.
Können die Fragen 96 und 97 des Herrn Abgeordneten Damm zusammen beantwortet werden?
— Dann rufe ich beide Fragen zusammen auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die seit einiger Zeit regelmäßig von Unbekannten an den Kasernentoren der Kampfschule I in Hammelburg vom „Rat der Gruppe Frankfurt des Verbandes der Kriegsdienstverweigerer" an Soldaten verteilten Flugblätter im Hinblick auf Sinn und Zweck der Bundeswehr, die Ziele der Ausbildung unserer Soldaten und im Hinblick auf die Artikel 4 und 5 des Grundgesetzes?
Teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß der Inhalt dieses Flugblattes die Soldaten der Bundeswehr diffamiert und diese daher einen Anspruch darauf haben, durch geeignete Maßnahmen aller staatlichen Organe der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder vor einer solchen Diffamierung geschützt zu werden?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, die Bundesregierung beobachtet die Aktionen gegen die Bundeswehr mit großer Aufmerksamkeit und zunehmender Sorge. Sie muß jetzt feststellen, daß dieses organisierte Vorgehen weniger dem Ziele dient, auf den Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes aufmerksam zu machen, als überwiegend „unter Ausnutzung des Grundrechts der Meinungsfreiheit" den soldatischen Dienst in Mißkredit zu bringen.
Insbesondere ist die Bundesregierung der Ansicht, daß das in Hammelburg verteilte Flugblatt die Soldaten der Bundeswehr und deren Auftrag, die Freiheit der Bundesrepublik Deutschland zu verteidigen, in besonders entwürdigender Weise diffamiert.
Dieses Flugblatt enthält u. a. folgende Passagen — ich zitiere mit Genehmigung des Herrn Präsidenten —:Krieg ist ein gutes Geschäft, investiere Dein Leben! Um das richtig zu tun, mußt Du lernen, wie man Bäuche aufschlitzt,
wie man Schädel zertrümmert,
wie man Frauen plattwalzt wie man Kinder verbrennt und Familienväter erschießt! ...
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969 12167
P
Hast Du dazu Lust?
Soweit das Zitat.
Es ist Aufgabe nicht nur der Bundesregierung, die Bundeswehr vor solch niederträchtigen Unterstellungen rechtswidrigen Handelns nachhaltig zu schützen.
Darüber hinaus sind auch die Länder und alle gesellschaftlichen Gruppen, ja, jeder Bürger der Bundesrepublik Deutschland aufgerufen, zusammenwirkend die Armee in der Demokratie vor solchen üblen Diffamierungen zu bewahren. Die Bundesregierung ist bereit, dem Verteidigungsausschuß über die eingeleiteten Maßnahmen zu berichten.
Eine Zusatzfrage, Herr Damm.
Herr Staatssekretär, schließt Ihre Antwort, die eine klare und notwendige Verurteilung dieser unerhörten Diffamierung der Bundeswehrsoldaten enthält, für die ich dankbar bin, ein, daß die Bundesregierung ihre Antwort erstens allen betroffenen Soldaten der Kampftruppenschule in Hammelburg, zweitens der Bundeswehr insgesamt und drittens in größtmöglichem Maße auch der Öffentlichkeit überhaupt bekanntmachen wird?
Wir werden das veranlassen.
Eine zweite Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, bedeutet der letzte Absatz Ihrer Antwort, daß die Bundesregierung jederzeit bereit und in der Lage ist, dem Verteidigungsausschuß ausführlich über die Einzelheiten der eingeleiteten Maßnahmen zum Schutze der Soldaten vor derartigen Diffamierungen zu berichten?
Herr Kollege Damm, nach Terminabsprache sind wir dazu selbstverständlich gern bereit, wie ich das schon ausgeführt habe.
Eine Zusatzfrage, Herr Schultz.
Schultz (FDP) : Herr Staatssekretär, teilt die Bundesregierung die Ansicht des
Wehrbeauftragten, die er in seinem letzten Bericht dargelegt hat, daß die von Ihnen soeben zitierten Flugblätter zum Gegenstand des Unterrichts und der Belehrung innerhalb des staatspolitischen Unterrichts gemacht werden sollten? Darf ich weiter fragen: Geschieht das schon von seiten der Einheitsführer, Bataillonskommandeure usw.?
Die Bundesregierung ist derselben Auffassung wie der Wehrbeauftragte, und sie ist für diese Anregung dankbar. Teilweise wird das bereits durchgeführt.
Eine Zusatzfrage, Herr Porsch.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, daß die bestehenden Gesetze genügen, um unsere Soldaten in Zukunft vor solchen Diffamierungen zu bewahren?
Herr Kollege, ich habe soeben darauf hingewiesen, daß sehr intensive Überlegungen in unserem Hause im Gange sind, daß ich aber hier im Plenum dazu aus verständlichen Gründen nicht Stellung nehmen möchte, ehe der Verteidigungsausschuß informiert ist.
Noch eine Frage, Herr Porsch.
Herr Staatssekretär, wird die Unterrichtung des Hauses durch Sie sehr bald erfolgen?
Ich habe schon darauf hingewiesen, daß das nach Terminabsprache erfolgen wird.
Ich rufe die Frage 98 des Herrn Abgeordneten Dr. Marx [Kaiserslautern] auf:
Wer entscheidet über die Wiederaufnahme eines Prüfungsverfahrens und die evtl. Aberkennung der Eigenschaft als Kriegsdienstverweigerer, wenn sich herausstellt, daß der vom Kriegsdienst Befreite in seinem weiteren Lebenslauf sich in einer Weise verhält, die es sehr fraglich erscheinen läßt, ob die bei seinem Prüfungsverfahren festgestellten Gewissensgründe noch fortbestehen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Kollege, im Verfahren auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer wird nur festgestellt, daß im Zeitpunkt der Entscheidung die Voraussetzungen für eine Anerkennung vorliegen. Ergeben sich aus dem späteren Verhalten des Kriegsdienstverweigerers hinreichende Anhaltspunkte dafür, daß die Gewissensgründe
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12168 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969
Parlamentarischer Staatssekretär Adornogegen den Waffendienst nicht mehr fortbestehen, hat der Prüfungsausschuß für Kriegsdienstverweigerer in einem neuen Verfahren die anerkennende Entscheidung zu überprüfen und gegebenenfalls zu widerrufen. Solche Verfahren sind allerdings bisher nicht häufig gewesen, da die Behörden der Bundeswehrverwaltung nur ausnahmsweise von einer veränderten Einstellung des Kriegsdienstverweigerers gegenüber dem Waffendienst erfahren.
Eine Zusatzfrage, Herr Marx.
Können Sie, Herr Staatssekretär, vielleicht einige Beispiele nennen, wo solche Überprüfungen stattgefunden haben, und welches Ergebnis hatten sie?
Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vielleicht drei solche Beispiele zitieren.
Erstens. Ein anerkannter Kriegsdienstverweigerer ist in die USA verzogen und hat dort Wehrdienst geleistet. Sein dortiger Aufenthalt ist nicht bekannt. Bei einer Wohnsitzrückverlegung in die Bundesrepublik wird die Anerkennung zu überprüfen sein.
Ein zweites Beispiel. Ein anerkannter Kriegsdienstverweigerer trat in den Bundesgrenzschutz ein. Die Anerkennung wurde widerrufen.
Das dritte Beispiel. Ein anerkannter Kriegsdienstverweigerer trat in den Polizeivollzugsdienst ein. Die Anerkennung wurde widerrufen.
Noch eine Frage, Herr Marx.
Herr Staatssekretär, ist die Überwachung, ob die im Prüfungsausschuß geltend gemachten Kriegdienstverweigerungsgründe anhalten, durch Gesetz oder Verordnung sichergestellt, und besteht eine gesetzliche Regelung, aus der eine Verpflichtung der Behörden abzuleiten ist, den Wehrersatzbehörden mitzuteilen, .daß Anerkennungsgründe weggefallen sein könnten?
Herr Kollege, solche gesetzlichen Regelungen bestehen nicht; sie müßten erst geschaffen werden, wobei die Initiative auch aus diesem Hohen Hause kommen kann.
Eine Zusatzfrage, Herr Moersch.
Herr Staatssekretär, sind Sie sich dessen bewußt, daß zumindest ihr zuletzt genanntes Beispiel ,des Mannes, der dann in den Polizeidienst eingetreten ist, zu Fehlschlüssen über den Aufgabenbereich der Polizei führen kann, zu Fehlschlüssen, die wir in diesem Hause jedenfalls bisher vermieden haben?
Adorno, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung. Ich kann diese Auffassung nicht teilen.
Ich schätze, die Polizeigewerkschaft wird da anderer Meinung sein.
Bitte, Herr Staatssekretär. — Keine Antwort darauf.
Ich rufe dann noch die Fragen 99 und 100 ,der Frau Abgeordneten Dr. Heuser auf, die sicher im Zusammenhang beantwortet werden können:
Zu welchem Zeitpunkt wird mit der Fertigstellung des Neubaus für den Sanitätsbereich am Fliegerhorst Porz-Wahn gerechnet?
Sind der Bundesregierung die seit 1958 dort herrschenden unzumutbaren Arbeits- und Unterbringungsmöglichkeiten bekannt?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Frau Kollegin, die dem Bundesverteidigungsministerium bekannten schlechten Arbeits- und Unterbringungsverhältnisse im Sanitätsbereich des Flugplatzes PorzWahn haben zum Neubau eines Sanitätsbereiches Anlaß gegeben, der im August 1968 begonnen wurde. Mit ,der Fertigstellung wird im März 1970 gerechnet.
Zusatzfrage, Frau Dr. Heuser.
Herr Staatssekretär, da ich bei meinen dortigen Besuch feststellen konnte, daß dieses neue Gebäude bis auf das Dach im Rohbau steht, werden Sie mir zugeben können, daß man sich geradezu Mühe geben muß, um mit der Fertigstellung erst bis 1970 zu rechnen.
Verehrte Frau Kollegin, ich habe darauf hingewiesen, daß nach den bisherigen Planungen mit der Fertigstellung im März 1970 zu rechnen ist. Von unserer Seite wird alles getan, um diesen Termin auch einzuhalten.
Noch eine Frage, Frau Dr. Heuser.
Herr Staatssekretär, ich glaube, Sie haben mich mißverstanden. Ich wollte Sie fragen, ob Sie nicht mit mir der Meinung sind, daß man sich unter Berücksichtigung der Zeiträume, in welchen sonst Bauwerke fertiggestellt werden können, beim derzeitigen Stand des Rohbaues Mühe geben muß, um bis 1970 zu brauchen.
Gnädige Frau, ich glaube, daß nicht nur der Rohbau, sondern auch die Einrichtung eines solchen Objektes eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt und wir alle Mühe haben werden, die Arbeiten bis 1970 zu vollenden.
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Noch eine Frage, Frau Dr. Heuser.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zubilligen, daß ich einige Erfahrungen darin habe, wie lange es etwa dauert, ein Krankenhaus zu bauen — ein solcher Bau ist sehr viel komplizierter als dieser Sanitätsbereich —, und daß ich Sie fragen muß, ob Sie der Meinung sind, daß das Verteidigungsministerium in seiner Zweigleisigkeit in diesem Falle vielleicht nicht doch ein bißchen schneller voranschreiten könnte?
Gnädige Frau, ich darf natürlich auch hier Ihren großen Erfahrungsschatz unterstreichen und gerade deshalb um Verständnis dafür bitten, daß der Termin 1970 nicht sehr leicht realisiert werden kann, daß es vielmehr aller Anstrengungen bedarf, damit der Neubau bis zu diesem Zeitpunkt übernahmebereit ist.
Die Fragen 101 und 124 wurden zurückgezogen.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. Alle nicht mündlich beantworteten Fragen werden schriftlich beantwortet. Vielen Dank für die Beantwortung dieser Fragen, Herr Staatssekretär.
Wir kehren dann zur Haushaltsberatung zurück. Ich rufe auf:
Einzelplan 06
Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern
— Drucksache V/3926 — Berichterstatter: Abgeordneter Bremer
Im Zusammenhang damit rufe ich auf: Einzelplan 36
Zivile Verteidigung
— Drucksache V/3949 —Berichterstatter: Abgeordneter Wellmann Weiter gehört dazu:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betr. Deutscher Sportrat
— Drucksache V/3804 —
Ich frage, ob das Wort in der allgemeinen Aussprache über die Einzelpläne 06 und 36 gewünscht wird. — Das Wort wird gewünscht. Bitte, Herr Kollege, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sir mir, als Berichterstatter für den Einzelplan 06 einige wenige Bereiche näher zu erläutern und noch etwas deutlicher anzusprechen. Es handelt sich um folgende Punkte, die ich gern erwähnen möchte: die Sportförderung des Bundes, die Institution des Oberbundesanwalts, den zivilen Ersatzdienst und schließlich als Punkt 4 :die Bemühungen der Bundesregierung um eine Reform der Verwaltung und des öffentlichen Dienstes.Zur Sportförderung darf ich in Erinnerung rufen, daß sich die Zuständigkeit ides Bundes bislang — und wahrscheinlich auch in Zukunft — auf die Spitzenfinanzierung von bestimmten Leistungszentren des Turn- und Sportstättenbaus — so heißt der Titel im Moment — und zum zweiten auf die Förderung des Hochleistungssports beschränkt. Die Bundesregierung hat im Zuge der mittelfristigen Finanzplanung die Ansätze 'für diese beiden Förderungsgebiete im Jahre 1969 gegenüber 1968 zum Teil erheblich gesenkt. Im Bereich der Spitzenfinanzierung des Turn- und Sportstättenbaus ist der Ansatz von 37 Millionen DM auf 23 Millionen DM ermäßigt worden. Im Bereich des Goldenen Plans — zentrale Maßnahmen auf dem Gebiet des Sports und der Leibesübungen — ist der Ansatz von 11 Millionen DM auf 8,3 Millionen DM zurückgenommen worden.Dabei ist allerdings nicht zu verkennen, daß auf der anderen Seite zunehmend zusätzliche Mittel für die Vorbereitung der Olympiade 1972 in München aufgebracht werden. Insgesamt jedoch — auch dies muß hervorgehoben werden — sind die Mittel für die Sportförderung einschließlich der Olympia-Vorbereitungen gegenüber 1968 niedriger.Es ist im Verlauf der Haushaltsberatungen im Haushaltsausschuß gelungen, den Titel „Spitzenfinanzierung des Turn- und Sportstättenbaus" durch Abdeckung in anderen Bereichen des Einzelplans 06 wieder auf 37 Millionen DM anzuheben. Dabei hat sich der Haushaltsausschuß von der Überlegung leiten lassen, daß anderenfalls ein sehr fühlbarer und abrupter Einbruch in die bisherige Größenordnung der Finanzierung dieser Maßnahmen die Folge gewesen wäre.Dabei, meine Damen und Herren, kann nicht übersehen werden, daß hinter dieser Spitzenfinanzierung Ides Turn- und Sportstättenbaus unter dem Gesichtspunkt der Finanzreform ein Fragezeichen steht. Dennoch haben wir uns nicht der Methodik der Länder angeschlossen, die sich zum Teil unter Vorgriff auf die frühestens 1970 in Kraft tretende Finanzreform aus ihrem Engagement in verschiedensten Bereichen der bisherigen Mischfinanzierung zwischen Bund und Ländern zurückgezogen haben, sondern wir haben im Hinblick auf die Bedeutung gerade dieses Bereiches gemeint, nach wie vor einen entscheidenden Beitrag zur Förderung des Sports leisten zu sollen.Der Haushaltsausschuß hat jedoch gewissen Bedenken über die Finanzierungsmethodik dieser Mittel für die Spitzenfinanzierung dadurch Rechnung getragen, daß er die Bundesregierung aufgefordert hat, ihm Einzelheiten über die Verwendung der Mittel in den Ländern mitzuteilen. Der Bericht der Bundesregierung ist dem Haushaltsauschuß unter dem 7. März zugegangen. Er läßt vor allem erkennen — das scheint mir bemerkenswert zu sein —, daß im
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12170 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969
Bremerletzten Jahr, für das Vergleichszahlen zwischen Bund und Ländern vorhanden sind, die Finanzierung durch den Bund für diesen Bereich mit 41 Millionen DM — so hoch war damals der Posten — zu 258 Millionen DM in den Ländern unter dem Gesichtspunkt einer Spitzenfinanzierung ein sehr günstiges Verhältnis aufweist. Es wird auch deutlich, daß die Ländermittel von 1963 bis 1967 praktisch nicht höher geworden sind, während der Bund sie stetig erhöht hat. Im Interesse einer stärkeren Konzentration der vom Bund für diese Zwecke zur Verfügung gestellten Mittel begrüßen wir es, wenn die Bundesregierung ausführt, daß sie in Zukunft darauf achten wird, daß nur noch solche regionalen und überörtlichen Mehrzwecksportanlagen gefördert werden sollen, die — auch — dem Leistungssport dienen. Die Finanzierung anderer, kleinerer Einrichtungen soll in Zukunft allein den Ländern und Kommunen überlassen werden.Es scheint uns auch richtig zu sein, wenn die Bundesregierung in Zukunft Angaben darüber verlangen wird, welcher Fehlbedarf nach den Grundsätzen des Goldenen Plans in der Umgebung einer geplanten Neuanlage besteht. Des weiteren wird sie sich zu Recht vor Baubeginn Angaben über Standort und Größe des Vorhabens mitteilen lassen und sie mit den für die Raumordnung zuständigen Landesdienst-stellen abstimmen.Die Mittel für den Goldenen Plan konnten, wie gesagt, um 1 Million DM auf 9 260 000 DM erhöht werden. Auch hier erscheint mir der Hinweis angebracht, daß schon bislang vom Bund 32 hauptamtliche und acht nebenamtliche Trainer bei den Bundes-Sportfachverbänden bezahlt wurden. Von den zusätzlichen 1 Million DM, die jetzt noch vom Haushaltsausschuß bewilligt worden sind, sollen 0,8 Millionen DM dazu benutzt werden, weitere Trainer, und zwar 30 an der Zahl, einzustellen. Die restlichen 200 000 DM sollen zur Aufstockung des bisher mit 700 000 DM dotierten Titels „Talentförderung" Verwendung finden.Wir können nur hoffen, daß es dem DSB gelingen wird, bald eine genügende Anzahl dafür geeigneter Kräfte zu finden. Denn hier und weniger in der Finanzierungsfrage scheint uns der entscheidende Engpaß zu liegen.Um das Bild der Bemühungen des Bundes auf dem Gebiete des Sports abzurunden, sei schließlich noch auf einen Ansatz von zunächst bescheidenerweise 25 000 DM für vorbereitende Maßnahmen zur Errichtung einer zentralen Einrichtung für angewandte Sportwissenschaft und -dokumentation hingewiesen. Hier handelt es sich zweifellos um eine typische dem Bund zustehende Aufgabe, die nicht von den Ländern funktionsgerecht wahrgenommen werden kann. Auch dieser Schritt der Bundesregierung kann nur begrüßt werden.Auf diesem Gebiet der zentralen Maßnahmen sollte nach Meinung des Haushaltsausschusses auch in Zukunft der Schwerpunkt der Bundesförderung auf dem Gebiete des Sports liegen. Dabei möchten wir die Bundesregierung bitten, im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung, die ja demnächst wieder angepaßt werden soll, die notwendigen Vorkehrungen für eine ausreichende Dotierung dieser Titel im Haushalt 1970 und in den Folgejahren schon zu treffen. Es kann nicht immer als sicher angenommen werden, daß es wie in diesem Jahr gelingt, zu einem Ausgleich innerhalb des Einzelplans 06 zu kommen.Der zweite Punkt, meine Damen und Herren, den ich ansprechen möchte, ist die Institution des Oberbundesanwalts. Diese Einrichtung beruht auf einem Bundesgesetz. Der Oberbundesanwalt ist danach zur Vertretung des öffentlichen Interesses beim Bundesverwaltungsgericht in Berlin berufen. Der Bundesrechnungshof hat vor geraumer Zeit eine Überprüfung der Institution vorgenommen. In dem Ergebnis dieser Überprüfung stellt er die deutliche Frage nach der Existenzberechtigung dieser Einrichtung. Ohne allerdings die Konsequenz in vollem Umfange zu ziehen, hat er statt dessen nur eine Reduzierung des Personals um etwa zwei Drittel vorgeschlagen. Der Haushaltsausschuß hat sich nicht dazu verstehen können, dieser Empfehlung zu folgen. Er hat statt dessen eine Reduzierung des Personals beim Oberbundesanwalt um etwa die Hälfte vorgenommen. Er hat aber zugleich wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser Frage den Rechtsausschuß um eine Stellungnahme gebeten. Diese Stellungnahme ist dem Haushaltsausschuß nicht mehr rechtzeitig zugegangen und konnte deshalb in seinen Beratungen nicht mehr berücksichtigt werden. Sie wird bei den Beratungen des nächstjährigen Haushalts mit zur Diskussion stehen. Ich darf hinzufügen, daß die Kürzungsbeschlüsse des Haushaltsausschusses jedenfalls im Bereich des beamteten Personals durch Ausbringung von kw-Vermerken mit einer einzigen Ausnahme erst in den Jahren ab 1970 wirksam werden. Hier ist also noch kein irreparabler Schaden entstanden, sofern es überhaupt ein Schaden sein sollte.Ein Wort zum zivilen Ersatzdienst. Wie erinnerlich, hat der Deutsche Bundestag in seiner Sitzung am 15. Januar 1969 die Bundesregierung aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, daß eine ausreichende Anzahl von Stellen für den zivilen Ersatzdienst bereitgestellt werden kann. Angesichts der Schwierigkeit, zu einer sehr schnellen Vermehrung der Stellen zu gelangen, ist das Nahziel zunächst auf 3500 solcher Stellen abgesteckt worden. Ich erwähne das, weil mir auf der anderen Seite die personellen Konsequenzen einer solchen Maßnahme bedeutungsvoll erscheinen. Die Aufstockung von bisher 2000 auf in Zukunft 3500 Stellen für den Ersatzdienst hat eine Vermehrung des Personals beim Bundesverwaltungsamt von 61 Stellen zur Folge. Allerdings ist es dem Innenministerium gelungen, die notwendige Personalvermehrung durch Wegfall von kw-Vermerken und durch Streichung von Sperrvermerken auf den Umfang von nur 26 Stellen zu beschränken. Das ist zu begrüßen, und ich sehe darin ein gutes Beispiel für die Selbsthilfe innerhalb eines Ministeriums, wenn solche starken Personalanforderungen infolge zusätzlicher Aufgaben zu bewältigen sind.Nun zu den Bemühungen der Bundesregierung um eine Reform der Verwaltung und des öffentlichen Dienstes. Dazu ist zunächst anzumerken, daß die
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Bremervom Bundestag seit langem geforderte Intensivierung der Ausbildung des öffentlichen Dienstes nunmehr im Haushalt des Innenministeriums durch einen Ansatz von 300 000 DM für vorbereitende Maßnahmen zur Errichtung einer Akademie für öffentliche Verwaltung ihren ersten Niederschlag gefunden hat. Sie werden sich erinnern, daß die Bundesregierung beabsichtigt, in dieser Einrichtung qualifiziertes Nachwuchspersonal auszubilden, aber auch schon vorhandene Führungskräfte fortzubilden. Die 300 000 DM sollen für Modellversuche bereitgestellt werden. Ich halte das für einen richtigen Weg. Man soll hier nichts überstürzen, sondern zunächst einen zutreffenden Modellfall für die Arbeit innerhalb dieser Einrichtungen entwickeln.Die Bundesregierung hat eine Projektgruppe „Kabinettsreform" eingesetzt und sich dabei in sehr pragmatischer und unkonventioneller Weise der Mithilfe von außerhalb der Verwaltung stehenden Einrichtungen bedient. Ich halte diesen Weg für zukunftweisend. Es genügt nicht, solche auf eine Reform der Verwaltung gerichteten Bemühungen allein mit Kräften der Verwaltung selbst bewältigen zu wollen. Wir können hier die Bundesregierung nur ermuntern, auf diesem Wege fortzufahren. Sicherlich wird der Haushaltsausschuß den Vorschlag, dafür Mittel bereitzustellen, in vollem Umfang unterstützen.Ebenso begrüßenswert sind die Bemühungen des Innenministeriums, sozusagen einmal modellartig zu versuchen, einen funktionsgerechten Verwaltungsablauf zu praktizieren. Ich meine, auch diese Bemühungen sind in jeder Hinsicht unterstützenswert.Ein kleiner, etwas unscheinbarer Titel mag verdeutlichen, daß die Bundesregierung auch in anderen Bereichen um eine moderne Verwaltung bemüht ist. In Tit. 631 01 findet sich ein Ansatz in Höhe von 150 000 DM für „Abgeltung von Leistungen der Bundespost". So heißt es hier. Dahinter verbirgt sich eine Vereinbarung mit der Bundespost, nach der die Bundespost die in ihrem Posttechnischen Zentralamt in Darmstadt bereits gewonnenen Erfahrungen auf dem Gebiet der Bürotechnik und der Büroorganisation der gesamten Bundesverwaltung zur Verfügung stellt.Eine letzte Bemerkung! Dem Haushaltsausschuß ist vor einiger Zeit die Planung für den Bau neuer Ministerien vorgelegt worden. Eine solche Planung findet deshalb, weil bislang mehrere Ministerien in sehr unrationeller Weise auf eine Vielzahl von Dienstgebäuden in Bonn und Umgebung verstreut sind, durchaus die Unterstützung des Haushaltsausschusses. Wir sollten aber rechtzeitig darauf hinweisen, daß bei der Errichtung und insbesondere bei der Planung solcher neuer Ministerien die modernen Erkenntnisse, die vor allen Dingen in der Wirtschaft, aber auch in verschiedenen Bereichen der öffentlichen Hand, mit modernen, funktionsgerechten Verwaltungsgebäuden bereits gewonnen worden sind, genutzt werden. Ich denke hier vor allem an das Vorhaben der Bundesregierung, zur Information der einzelnen Dienststellen der Bundesregierung zentrale Datenbanken zu errichten. Die Verwirklichung und erfolgreiche Praktizierung solcher Maßnahmen setzt entsprechende Einrichtungen in den einzelnen Verwaltungsgebäuden voraus, die nachträglich nur unter sehr großem Aufwand erstellt werden können. Hier sollten in der Planung bereits rechtzeitig die notwendigen Vorkehrungen getroffen werden.Auch sollte der inzwischen fast unumstrittene Grundsatz, daß bei Verwaltungsgebäuden die eigentlichen Baukosten viel weniger Gewicht haben als die späteren Unterhaltungskosten, Eingang in die Planung dieser Gebäude finden. Es muß gewährleistet werden — und das Bundesinnenministerium sollte hier sehr eng mit dem federführenden Schatzministerium zusammenarbeiten —, daß auch diese modernen Erkenntnisse bei Objekten, die eine Größenordnung von fast 120 Millionen DM erreichen, Berücksichtigung finden. Ich würde es jedenfalls sehr begrüßen, wenn wir bei der Suche nach modernen, verwaltungsgerechten Bauten in Zukunft nicht sozusagen auf die Dörfer gehen müßten, wie das heute noch weitgehend der Fall ist — heute sind in Landkreisen oder auch in kleineren Städten teilweise bereits sehr fortschrittliche Verwaltungsbauten errichtet, von der Wirtschaft gar nicht zu reden —, sondern wenn die Bundesregierung es als eine ihrer Verpflichtungen ansähe, sich auch in der funktionsgerechten Gestaltung solcher Verwaltungsbauten von keiner anderen Stelle den Rang ablaufen zu lassen, und in der Gestaltung dieser Gebäude ein fortschrittliches Denken dokumentiert.
Wir danken Herrn Bremer für die mündliche Ergänzung seines Schriftlichen Berichts.
Wir kommen zur allgemeinen Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dorn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir Freien Demokraten freuen uns ganz besonders, den Innenminister heute ausnahmsweise einmal im Parlament zu sehen, — —
— Sie müssen doch wenigstens in der Lage sein, eine freundliche Bemerkung auch noch zu Ende hören zu können, Herr Hermsdorf. Sie waren doch gestern hier so erregt, und ich dachte, Sie hätten sich wenigstens über Nacht wieder einigermaßen beruhigen können.
— Ich habe gar nicht gewußt, daß ich für Sie so aufregend sein kann, Herr Hermsdorf.Wir freuen uns also, nachdem wir in den vergangenen Monaten fast bei jeder Frage, die das Innenministerium anging, mit dem Parlamentarischen Staatssekretär vorliebnehmen mußten.
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DornI Ich hatte daher im Januar, Herr Kollege Niederalt, von dieser Stelle den Kollegen Köppler gebeten, er möge doch dem Innenminister ausrichten, daß wir ihn zur Haushaltsplanberatung seines Ministeriums ganz gern selbst einmal hier begrüßen möchten. Wir freuen uns also, daß das erfolgreich gewesen ist.
— Nein, wir überschätzen uns gar nicht. Wir wissen natürlich, daß es ihm ein inneres Anliegen war, heute selbst zu kommen.
!
Der Innenminister hatte dieses Amt vor einem Jahr übernommen, und als Sprecher der Opposition habe ich im vergangenen Jahr für eine Schonfrist von einem Jahr plädiert, damit er selbst die Möglichkeit haben sollte, seine eigenen politischen Vorstellungen durch seine Amtsführung sichtbar zu machen. Ich habe mich daher im vergangenen Jahr zusammen mit der Fraktion bei der Verabschiedung des Haushaltes der Stimme enthalten und nicht, wie bei seinem Vorgänger, von vornherein gegen ihn und seinen Haushalt gestimmt.
— Ich weiß, daß Sie das natürlich alles, Herr Lücke, — —
— Nein, Sie können mich auch gar nicht irritieren, ich bin nicht nur Westfale, ich bin sogar Sauerländer
und mit einem Naturell ausgestattet, das Ihnen ja nicht ganz unbekannt sein dürfte.
— Nein, mit Sicherheit nicht.An Stelle einer kritischen Auseinandersetzung mit der Innenpolitik dieser Bundesregierung habe ich im vorigen Jahr ganz bewußt die innenpolitischen Vorstellungen der Freien Demokraten vorgetragen, um dem Innenminister unserer Konzeption als mögliches Alternativprogramm zu seinen eigenen Überlegungen hier vorzutragen.Was ist nun in diesem einen Jahr der Amtstätigkeit des Bundesinnenministers Benda geschehen? Seine erste Entscheidung von Bedeutung war die Berufung des Kollegen Köppler zum Parlamentarischen Staatssekretär.
Diese Entscheidung ist auch aus der Sicht der Opposition nur zu begrüßen.
— Eben, wir wissen durchaus zu werten, auch unterschiedlich zu werten. — Leider blieb das aberfast die einzige Entscheidung des Ministers in seinerbisherigen Tätigkeit, die wir unterstützen können.Ich will aber nicht verschweigen, daß er auch bei einigen anderen Anlässen, Interviews und Veröffentlichungen Meinungen vertreten hat, die wir anerkennen und auch von uns aus begrüßt haben.Die berechtigte Frage lautet also für uns: Was hat der Innenminister in den vergangenen zwölf Monaten an politischen Vorstellungen entwickelt? Dies ist für uns gleichzeitig das Kriterium seiner Arbeit. Am Beginn einer solchen Untersuchung muß zwangsläufig die Frage stehen: Was konnten wir Freien Demokraten eigentlich von ihm erwarten? Wir erinnern uns an die Veröffentlichungen im Deutschland-Union-Dienst vom 2. April 1968 — ich will nur drei Sätze daraus vorlesen —, dort klang es so:... ein Mann, der sich bereits überzeugend qualifiziert hat. Er hat große Fähigkeiten bewiesen. Er hat sich um die Verwirklichung bedeutsamer Gesetzgebungswerke verdient gemacht; das gilt vor allem für die Notstandsgesetzgebung.Und in der CSU-Korrespondenz vom gleichen Tage hieß es:Die Unterstützung der CSU-Landesgruppe wird dem tatkräftigen jungen CDU-Politiker in allen politischen Sachfragen immer zuteil werden.
- Ich habe es auch gar nicht anders erwartet, Herr Niederalt. Nur bin ich nicht ganz sicher, ob Sie sich am Schluß meiner Bilanz in allen politischen Sachfragen wirklich zu dem bekennen, was er getan hat. Aber die Frage werden Sie selbstverständlich nachher an dieser Stelle für Ihre Landesgruppe selber beantworten können.In seiner Amtszeit hat die zahlenmäßig große Koalition die Notstandsgesetzgebung verabschiedet. Wenn ich so an das Schicksal der Finanzreform vom gestrigen Tage denke, möchte ich fast sagen: im Augenblick scheint es noch so zu sein — es sei denn, das Kabinett und der Kreßbronner Kreis und der Bundeskanzler in Anwendung seiner Richtlinienkompetenz werfen alles wieder über den Haufen, was gestern hier auch von seiner eigenen Partei mit beschlossen wurde —, als ob die Notstandsgesetzgebung das einzige große Reformwerk dieser Koalition ist. Bisher sieht es wenigsten so aus. Aber damals war das alles so eilig.
— Ja, Herr Kollege Genscher, ich spreche eigentlich immer nur von der zahlenmäßig großen Koalition; denn wo sie wirklich groß hätte sein können, z. B. gestern bei der Bewältigung ihrer Probleme, ist sie kläglich gescheitert.
CDU und SPD waren seinerzeit der Ansicht, die Entscheidung in der Notstandsgesetzgebung sei so kurzfristig erforderlich, daß man nicht einmal die dritte Lesung um 14 Tage verschieben könne, wie
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Dornwir Freien Demokraten es vorgeschlagen hatten und wie es bei viel weniger wichtigen Gesetzen in diesem Hause in letzten Jahren permanent geschehen ist. Man stellt sich doch zwangsläufig die Frage, ob dise Eile damals wirklich notwendig war.Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Koalitionsmannschaft, wie sieht das eigentlich heute, fast ein Jahr danach aus? Das Notparlament, damals von den Sozialdemokraten als das wichtigste Kernstück gegen „die Stunde der Exekutive" gefordert, besteht nicht. Nicht einmal auf eine Geschäftsordnung haben sich die Koalitionspartner bis heute verständigen können, damit dieses Notparlament überhaupt funktionsfähig werden kann. Wir haben Entwürfe von den Sozialdemokraten und Ideenentwürfe von der Bundestagsverwaltung bekommen. Bisher ist kein Ergebnis sichtbar.Eines allerdings wird immer klarer, vor allen Dingen auch schon in Anbetracht der hier gestern vom Kollegen Gewandt auf der einen Seite und vom Kollegen Westphal auf der anderen Seite geführten Wahlkampfauseinandersetzungen über die Konjunkturpolitik: die Parteien dieser Koalition wollten diese Notstandsgesetze im vergangenen Jahr so schnell verabschieden, um im Wahlkampf dieses Jahres nicht darüber reden zu müssen.Ich habe an die Vertreter der Regierungsfraktionen die Frage: Was halten Sie denn nun heute wirklich von Ihrer damaligen Eile? Welch seltsames verfassungsrechtliches Verhalten ist es eigentlich, daß Sie mit der Bildung des Notparlaments nicht weiterkommen? Tun Sie nur deshalb nichts, weil Sie eine neue Diskussion um die Notstandsgesetzgebung fürchten? Oder wollen Sie jetzt womöglich gar kein Notparlament und daher den jetzigen, von Ihnen herbeigeführten Zustand beibehalten, daß der Notstand doch die Stunde der Exekutive ist? Nun, wir Freien Demokraten sind sehr gespannt, wie die Regierung und die Koalitionsparteien sich verhalten werden, wenn es um die Sicherung der parlamentarischen Kontrollfunktion in diesem Hause geht.Besondere geistige Initiativen löste der Verfassungsminister allerdings auch bei der Behandlung anderer Fragen aus. Wenn das Interview, das der Journalist Krems am 20. April 1968 mit dem Bundesinnenminister durchführte, so wie es in der „Welt" veröffentlicht wurde, richtig ist, haben wir von ihm eine interessante verfassungspolitische Frage aufgeworfen bekommen. Unter der Überschrift „Der SDS ist verfassungsfeindlich" hat der Bundesinnenminister angekündigt, er werde in Kürze eine Entscheidung bekanntgeben, ob er rauf Grund der Bestimmungen des Vereinsgesetzes ein Verbot aussprechen werde oder nicht. Die „Kürze" ist durch Zeitablauf wahrscheinlich inzwischen passé. Ich brauche hier nicht darauf hinzuweisen, daß wir Freien Demokraten ein Verhältnis zum SDS haben, — —
— Nein, Herr Kollege Martin, wenn Sie die Veröffentlichungen und Reden der SDS-Funktionäreüber die Liberalen in unserem Lande hören würden, könnten Sie gar nicht davon ausgehen, daß es zufriedenstellend ist.
— Aber entschuldigen Sie mal, Sie nehmen doch sicher nicht für sich in Anspruch, daß Sie zu den Liberalen in diesem Lande gehören.
— gewesen Fund geworden ist — —
— Ach, Herr Lücke, Sie sagen uns, wir seien nach links abgerutscht? Das ist doch der beste Witz, den Sie überhaupt über Ihre politische Vergangenheit hier machen können. Entschuldigen Sie mal! Sie stehen doch so weit links an der Wand, daß da niemand mehr Platz hat auf der anderen Seite nach links.
— Entschuldigen Sie mal, ich nehme es als humorvolle Bemerkung Ihrerseits. Darüber kann man doch nicht ernsthaft diskutieren.
Unser Verhältnis zum SDS ist so, wie unser Verhältnis zu jeder Organisation und zu jeder Partei ist, die auf Grund ihrer inneren Struktur und auf Grund ihrer politischen Konzeption von sich aus von vornherein zu den ärgsten Gegnern einer freiheitlichen Gesellschaftspolitik, einer freiheitlichen Politik überhaupt gehört. Daß wir Freien Demokraten mit dem SDS weder ideologisch noch politisch identisch sein können, das ist doch eindeutig schon auf Grund der politischen Auseinandersetzungen zwischen ihm und uns klar.
Der Herr Bundesinnenminister hat in den vergangenen Monaten überhaupt ständig etwas angekündigt. Man könnte fast meinen, er legte Wert auf eine Änderung seiner Dienstbezeichnung und wollte künftig „Bundesankündigungsminister" heißen. So kündigt er seit einem halben Jahr permanent neu und zu ständig anderen Terminen an, die Frage des NPD-Verbotsantrages durch die Bundesregierung würde nunmehr kurzfristig entschieden, — genauso kurzfristig wie die andere Sache wahrscheinlich. Erst sollte das Kabinett nach seinen Äußerungen im Oktober entscheiden, dann im Dezember, dann im Januar, und jetzt?
— Ist Frühlingsanfang, und nichts ist geschehen. Andere Kabinettsmitglieder haben erklärt, daß sie die Vorschläge des Bundesinnenministers für absurd hielten.
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12174 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969
DornDer Herr Innenminister selbst erweckte erst den Eindruck, als käme er mit seinen Ideen, die NPD durch das Verfassungsgericht verbieten zu lassen, zum Zuge. Als es brenzliger wurde für seine Mehrheit, fragte ihn ein Journalist, ob er zurücktreten würde, wenn er mit seiner Auffassung unterliege. Der Innenminister verneinte diese Frage eindeutig. Von da an wußten die ,eingeweihten Thebaner, daß aus den ständigen Androhungen und Ankündigungen nichts wurde. Daß der Innenminister eine komplette Bruchlandung mit seinen politischen Vorstellungen erreichte, wurde spätestens am 18. Dezember des vergangenen Jahres klar, als im Deutschland-Union-Dienst folgende Erklärung stand:Im Zusammenhang mit der aktuellen Frage eines Verbotes der NPD weist CDU-Generalsekretär Dr. Bruno Heck darauf hin, daß keine andere demokratische Verfassung eine solche Möglichkeit vorsieht. Die Möglichkeit, Parteien zu verbieten, entspreche im Grunde auch nicht mehr dem demokratischen Standard der Bundesrepublik. Der Extremismus sei eine Randerscheinung, die in allen Demokratien auftritt, ohne sie zu erschüttern. In kritischen Situationen mag bei Wahlen das Pendel einmal etwas stärker nach rechts oder links ausschlagen. Gefährliche Größenordnungen seien nicht zu erwarten. Die NPD werde nicht an die Macht kommen. Die Bevölkerung werde mit den ,extremistischen Erscheinungen auf demokratische Weise fertig werden.
- Bitte schön!
Herr Kollege Dorn, möchte die FDP jetzt ein Verbot der NPD haben?
Die Antwort haben Sie an dieser Stelle von meinem Kollegen Genscher und mir bereits mehrfach gehört. Wir wollen weder jetzt noch überhaupt ein Verbot der NPD, sondern wir sind der Meinung, daß die politischen Auseinandersetzungen mit den radikalen Kräften in unserem Lande ausgetragen werden müssen. Insofern unterscheiden wir uns mit Ihnen weitgehend von den Vorstellungen des Innenministers.
Gestatten Sie jetzt eine Zwischenfrage von Herrn Hermsdorf?
Bitte schön!
Bitte, Herr Hermsdorf!
Herr Kollege Dorn, sind Sie auf Grund der Erfahrungen, die wir in der Weimarer Republik gemacht haben, nicht auch der Meinung, daß man sich mit Organisationen — gleich welcher politischen Richtung —, die die Unterhöhlung oder Aushöhlung oder sogar die Beseitigung des Grundgesetzes auf ihre Fahne geschrieben haben, nicht nur politisch auseinandersetzen muß, sondern daß man zum Schutz der Demokratie eventuell auch andere Maßnahmen als die Auseinandersetzung ins Auge fassen muß?
Herr Kollege Hermsdorf, es ist im Grundgesetz ja absichtlich vermerkt, daß auch die Parteien verboten werden können. Die Frage, die Sie angesprochen haben — bitte gedulden Sie sich noch wenige Minuten —, wird in meinen Ausführungen eingehend behandelt werden.Wie war nun der Weg bis zu dieser Erklärung des Generalsekretärs der CDU/CSU Heck? UPI meldete am 17. Dezember 1968: „Benda wird dem Kabinett Antrag auf Verbot der NPD vorschlagen." In der „Welt" stand am 18. Dezember 1968: „Benda will auch das Parlament für Verbot der NPD gewinnen." Am 19. November 1968 stand in der „Welt" : „Kabinett vertagt die Entscheidung über Antrag auf NPD-Verbot" ; Unterzeile: „Diehl: Benda hat die Regierung im Prinzip überzeugt."Am 18. Dezember 1968 wurde im Deutschlandfunk — ich möchte aus diesem Kommentar nur einen Satz vortragen — u. a. folgendes gesagt:Das allmählich unerträglich gewordene politische Ratespiel „Wird Bonn ein Verbot der NPD beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe beantragen oder nicht?" steht vor dem Ende.Damals hoffte der Kommentator im Deutschlandfunk noch, das Kabinett würde sich entscheiden können. Aber das Kabinett hat sich auch in dieser Frage wie in vielen anderen Fragen nicht zu einer Entscheidung durchringen können.Bei der Deutschen Presse-Agentur heißt es am 19. Dezember 1968:Der CSU-Vorsitzende Strauß hat am Donnerstag in Bonn betont, daß sich die Bundesregierung in ihrer Entscheidung über einen Verbotsantrag gegen die NPD noch nicht festgelegt hat. Durch Pressemitteilungen über die Kabinettsitzung vom Mittwoch sei in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, das Bundeskabinett habe einem Verbotsantrag gegen die NPD zugestimmt und den Innenminister nur noch mit der Ausarbeitung näherer Einzelheiten beauftragt. Dieser Eindruck sei falsch.Nun könnten wir Freien Demokraten natürlich genauso wie die Öffentlichkeit fragen: Was sagt denn eigentlich der Sprecher des Bundespresseamtes, Diehl, dazu, der ja am Tage vorher in der Pressekonferenz genau das Gegenteil von dem erklärt hat, was Herr Strauß vorgetragen hat? Aber vielleicht ist das ein Bestandteil der konzertierten Politik dieser Regierung, daß man ständig nicht weiß, was wirklich beschlossen worden ist.Meine Damen und Herren, die Lage, in die der Innenminister diese Bundesregierung hineinmanövriert hat, ist, was diese Frage angeht, wirklich kaum noch zu ertragen.Zur NPD selbst möchte ich nur noch wenige Worte sagen, Herr Kollege Hermsdorf. Daß die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der NPD unser
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DornVolk in eine neue Arbeitslosigkeit führen und daß die finanzpolitischen Vorstellungen dieser Partei die Stabilität unserer Währung gefährden, ist inzwischen eindeutig klar. Jeder, der sich nur etwas um die Dinge kümmert, weiß, was er von diesen Rechtsextremisten zu erwarten hat. Wir wissen, daß die außenpolitischen Vorstellungen der NPD die Bundesrepublik Deutschland in die Isolation treiben und daß ihre verteidigungspolitischen Vorstellungen für uns das Ende aller Sicherheit bedeuten.Ich selbst habe vielleicht von allen Kollegen in diesem Hause die härteste politische Auseinandersetzung mit der NPD geführt und kann nicht in den Verdacht geraten, mit ihr zu sympathisieren. Aber das Verfahren, meine Damen und Herren, das der Verfassungsminister unseres Staates hier anwendet, ist nach Auffassung der Freien Demokraten verfassungspolitisch mehr als bedenklich.
Mein Freund Genscher hat das vor wenigen Wochen in einem Artikel einmal so formuliert — und damit komme ich gleichzeitig zur Beantwortung Ihrer Frage, Herr Kollege Hermsdorf —:Die politische Auseinandersetzung mit allen Kräften, auch mit den extremen, gehört zum Wesen der parlamentarischen Demokratie. Diese Demokratie würde selbst Schaden leiden, wenn an die Stelle dieser politischen Auseinandersetzung ohne weiteres der Verbotsantrag tritt. Der Verbotsantrag kann immer nur eine Ultima ratio als letztes Mittel sein,
— natürlich, als letztes Mittel, Herr Kollege Schlager. Aber hören Sie aufmerksam weiter zu, dann werden Sie nämlich feststellen, wann wir dieses letzte Mittel für angebracht halten:
um eine unmittelbar drohende Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung abzuwenden. Vor jedem Verbotsantrag sollte die entschlossene Auseinandersetzung mit den wirklichen oder vermeintlichen Gegnern der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Die Verbotsmöglichkeit sollte aber auch den Wählern nicht ihr Recht nehmen, durch ihr Votum über das Schicksal extremer Gruppierungen selbst zu entscheiden. Bei der Ausübung des Antragsrechts müssen sich die drei Verfassungsorgane Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat ihrer hohen verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Verantwortung bewußt sein. Sie müssen sich vor der Versuchung hüten, die Stellung des Antrags oder auch nur die Drohung mit einem Verbotsantrag als Mittel der politischen Auseinandersetzung anzuwenden und damit zu mißbrauchen. Sie müssen sich jederzeit der Tatsache bewußt sein, daß in der Drohung mit einem Verbotsantrag eine politische Diskriminierung liegt. Eine solche Diskriminierung kann aber in der Öffentlichkeit den Eindruck der Manipulation erwecken und imErgebnis zu einem Vertrauensschwund für die parlamentarische Demokratie führen.Die Forderung nach einem Verbot sollte deshalb nur erhoben werden,— Herr Kollege Schlager —
wenn das Beweismaterial für die Verfassungswidrigkeit offensichtlich zulässig und unwiderleglich erscheint, die politische Auseinandersetzung ohne Erfolg versucht wurde und die Gefahr für den Bestand der freiheitlichen Ordnung unmittelbar droht.
— Ja, aber wenn wir das, was sich in den letzten Monaten an Erklärungen ergeben hat, werten, ist nach unserer Auffassung dieser Tatbestand bei der Beurteilung und der Eröffnung des Verfahrens leider nicht immer gegeben gewesen.
Herr Kollege Dorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Hermsdorf?
Herr Kollege Hermsdorf, darf ich dieses Zitat vielleicht noch mit einem kurzen Abschnitt zu Ende bringen:
Gemessen an diesen Grundsätzen verdient die seit Monaten anhaltende Verbotsdiskussion der Bundesregierung Kritik. Das Hin und Her um den Verbotsantrag läßt den peinlichen Eindruck entstehen, daß man die Verbotsdiskussion zu einem Bestandteil der politischen Auseinandersetzung mit der NPD machen bzw. diese Auseinandersetzung sogar auf die Erörterung der Verbotsmöglichkeit beschränken will. Der Eindruck ist verstärkt worden durch die Forderung des Bundesgeschäftsführers der SPD, notfalls das Grundgesetz zu ändern, um diesem speziellen Verbotsantrag zum Erfolg zu verhelfen.
Nun die Zwischenfrage von Herrn Hermsdorf.
Herr Kollege Dorn, ich bitte um Entschuldigung, wenn ich eine Bemerkung hinzufüge, bevor ich ,die Frage stelle. Es wird sich niemand in diesem Hause und bei diesen drei demokratischen Parteien weigern, die Auseinandersetzung mit radikalen Kräften rechts oder links zu führen; das ist gar keine Frage. Aber die Entscheidung der Frage, wann eine Organisation — ganz gleich, ob links- oder rechtsradikaler Art — gefährlich ist und wann sie verboten werden müßte, halte ich für eine politische Spekulation. Es wird festgestellt, daß eine Organisation links- oder rechtsradikaler Art entweder gegen unsere ,freiheitliche Grundordnung oder gegen die Freiheit generell zum Marsche angetreten ist. Aus den Erfahrungen warne ich Neugierige. Wenn sie da nicht früh genug zugreifen, werden sie dann, wenn sie endlich
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Hermsdorfzum Verbot kommen wollen, die Sache wahrscheinlich bereits als verloren ansehen müssen.
Herr Kollege Hermsdorf, ich vermag Ihrer Argumentation deshalb nicht zu folgen, weil das, was bisher in der Verbotsauseinandersetzung durchgeführt und auch an Argumenten vorgetragen wurde, eindeutig offenläßt, ob diese politische Auseinandersetzung wirklich so geführt worden ist, wie sie von den Parteien auch dieses Hauses hätte geführt werden müssen. Ich nehme davon keine Partei aus, Herr Kollege Hermsdorf, damit wir uns recht verstehen. Aber das ist nur der eine Punkt.
Der zweite Punkt ist der: Auf Grund des Verfahrens gegen die Kommunistische Partei wissen wir alle, daß sich ein solches Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, bis es zur Entscheidung kommt, möglicherweise über viele Jahre hinzieht. In dieser Zeit — auch das haben gerade die Führer der NPD bewiesen — kann man ständig neue Parteien gründen, die alte Partei, gegen die das Verfahren schwebt, auflösen, sich neu betätigen. Im Führungskorps der NPD ist es doch geradezu eine Ausnahme, wenn jemand nur in zwei oder drei Parteien war. Viele sind in fünf, sechs, sieben verschiedenen Parteien gewesen. Sie weichen auf diese Weise all dem aus, was Sie vielleicht aufbauen können. Wir sollten uns mit ihren politischen Argumenten auseinandersetzen, um die Wähler davon zu überzeugen, daß es der Anfang eines furchtbaren Endes ist, wenn sie dieser Partei heute erneut ihr Vertrauen schenken und ihre Stimme geben. Da muß man ansetzen. Das ist nach meiner Auffassung auch verfassungsrechtlich, nicht nur verfassungspolitisch viel wirksamer in der Auseinandersetzung als das, was der Bundesinnenminister bisher vorgetragen hat.
Noch eine kurze Frage, Herr Hermsdorf.
Herr Abgeordneter Dorn, geht nicht aus Ihren Ausführungen geradezu in die Augen springend und logisch hervor, daß die Ankündigung der Regierung, eine staatsfeindliche Partei eventuell verbieten zu lassen, legitim ist, um der Bevölkerung zu sagen, welche Gefahren darin liegen?
Nein, da bin ich völlig anderer Meinung. Verfassungspolitisch sieht das für uns genau gegenteilig 'aus. Man kann den Kampf gegen diese Gruppe und die politische Auseinandersetzung mit ihr nicht in der Weise führen, daß man das Damoklesschwert der Verbotsandrohung dauernd aufhängt, sondern man muß genau gegenteilig operieren und die politische Auseinandersetzung in unser Volk hineintragen.
— Nein. Wir sind davon überzeugt, Herr Kollege
Hermsdorf, daß, wenn die politische Auseinandersetzung wirklich geführt wird, der größte Teil der
Wähler in unserem Volke, weit mehr als 95 %, erkennen wird, ,daß man \\diesen Verführern auf der politischen Ebene nicht Vertrauen schenken darf und nicht nachlaufen darf.
Herr Kollege Dorn, jetzt möchte Herr Petersen noch eine Zwischenfrage stellen. Gestatten Sie?
Bitte schön!
Herr Kollege Dorn, warden Sie Mit mir darin übereinstimmen, daß es die Pflicht des Innenministers ist, ständig zu untersuchen, ob eine Partei oder eine Organisation verfassungswidrig ist oder nicht, und sind Sie nicht auch der Auffassung, daß gerade Sie sich am schärfsten dagegen wenden würden, wenn diese Untersuchung geheim hinter verschlossenen Türen und nicht, wie Herr Benda es getan hat, auch unter Hinzuziehung der Parteien und der Öffentlichkeit veranstaltet würde?
Herr Kollege Petersen, die Untersuchung, ob das Material ausreicht, ist etwas völlig anderes als die ständige Verbotsandrohung, die in der Öffentlichkeit erhoben wird. Hier unterscheiden wir uns in unseren verfassungspolitischen Vorstellungen. Es hat keinen Sinn, diese Frage hier weiter zu diskutieren. Sie sind in der Mehrheit, so wie es aussieht, wahrscheinlich anderer Meinung als wir. Deswegen tragen wir unsere Meinung hier vor; denn wir sind der Auffassung, daß der Weg, den der Bundesinnenminister gehen will, falsch ist.
Herr Dorn, jetzt möchte Herr Moersch noch eine Frage stellen.
Herr Dorn, könnten Sie den Kollegen Hermsdorf vor allem darüber informieren, daß, bevor die Verbotsdrohung des Bundesinnenministers ständig diskutiert wurde, bei der Kommunalwahl in Baden-Württemberg in großen Städten die politische Auseinandersetzung mit der NPD geführt wurde, z. B. durch Aufdeckung der Vorbestraftenlisten ihrer Kandidaten, und daß die NPD in keiner dieser Städte ins Kommunalparlament gekommen ist, wenige Monate nach ihrem Erfolg bei der Landtagswahl?
Herr Kollege Moersch, Herr Kollege Hermsdorf wird das inzwischen zur Kenntnis genommen haben. Ich habe in meiner Rede sowieso noch ein Beispiel, allerdings ein makabres Beispiel — das will ich gleich sagen —, wie sich die Koalitionsfraktionen hier gegenseitig vorwerfen, daß sie in der politischen Auseinandersetzung mit der NPD gerade in Baden-Württemberg versagt haben. Aber darauf komme ich gleich zu sprechen.Nach unserer Meinung wird hier eindeutig klar, daß die Methoden des Bundesinnenministers in dieser Frage von uns nicht akzeptiert werden können. Wie völlig durcheinandergeraten ist eigentlich diese
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969 12177
Dornzahlenmäßig große Koalition in dieser Frage, wenn es im Deutschland-Union-Dienst vom 2. April 1968 unter der Überschrift „Falsch informiert oder böswillig?" heißt:Verwunderung und Ärger haben jüngste Äußerungen des SPD-Vorsitzenden Willy Brandt und des SPD-Staatssekretärs im Bundesjustizministerium Professor Ehmke über das Verhältnis der CDU zur NPD in Baden-Württemberg erregt. Ehmke hat in einem Artikel im „Vorwärts" die CDU aufgefordert, sie solle sich klar von der NPD distanzieren. Der baden-württembergische Ministerpräsident Dr. Hans Filbinger konterte sofort mit der Erklärung, daß die CDU in Baden-Württemberg, dem Land der nächsten Landtagswahl, in klarer Frontstellung zur NPD stehe und dies — im Gegensatz zur badenwürttembergischen SPD — auch in ihrem Wahlprogramm deutlich ausgesprochen habe. Auch der vielbeschäftigte Staatssekretär, der neben seinen dienstlichen Aufgaben als eine Art „Horst Ehmke in allen Gassen" vielfältige Parteiarbeit betreibe, hätte sich die Zeit nehmen können, solche entschiedenen Äußerungen zur Kenntnis zu nehmen.Nun könnte ich, um das Zitat zu unterbrechen, sagen: Aus dem „Horst Ehmke in allen Gassen" ist inzwischen ein Horst Ehmke in der Einbahnstraße auf dem Weg zur Rosenburg geworden, wenn ich dem Beschluß der sozialdemokratischen Fraktion folge.
— Keine Einbahnstraße? Sie meinen also, er käme bald wieder zurück? Ich hatte gedacht, es sei eine Einbahnstraße, Herr Kollege Raffert. Aber wenn Sie das bestreiten, haben Sie selber wahrscheinlich sehr große Befürchtungen.
— Ich bin nicht ganz sicher, ob der Weg des Herrn Ehmke dem seines Vorgängers gleichen wird, Herr Kollege Raffert. Aber das ist eine Frage, die Sie wahrscheinlich eines Tages selbst beantworten müssen.Ich will jetzt das Zitat aus dem DeutschlandUnion-Dienst fortsetzen:Es muß nun allen Ernstes die Frage gestellt werden, ob hier Brunnenvergiftung betrieben werden soll. Entweder sind Willy Brandt und Horst Ehmke erschreckend uninformiert, oder sie ignorieren böswillig die klare Abgrenzung, die die CDU gegenüber den radikalen Splittergruppen rechts und links der Demokratie längst vorgenommen hat. Das „klare Wort der Union zur NPD", das Willy Brandt fordert, muß nun auch ein klares Wort der Union gegenüber einer Verdächtigungspolitik des SPD-Parteivorsitzenden sein, die dieser aus unerfindlichen Gründen für ratsam hält.Sehen Sie, meine Damen und Herren, das ist etwas von der Sorge, die uns bedrückt, daß Sie sich hier in der politischen Auseinandersetzung nicht in gemeinsamer Frontstellung gegen die Rechtsradikalen betätigen, sondern daß Sie selbst sich gegenseitig in dem ernsthaften Willen zu dieser Auseinandersetzung ständig in Zweifel ziehen. Nutznießer einer solchen Auseinandersetzung können niemals demokratische Parteien sein; auch das sollte Ihnen bekannt sein. Deswegen meinen wir eben, daß der Weg, den Sie bisher in dieser Auseinandersetzung eingeschlagen haben, völlig unzureichend ist.Zu diesem Punkt könnte man noch eine Fülle von Zitaten bringen. Denken Sie an die Beurteilung durch den „Bayern-Kurier" vom 19. März 1969 — von dieser Woche also —, denken Sie daran, wie dort Ihr Koalitionspartner Ihren Bundesaußenminister in einer persönlich kaum noch erträglichen Weise abqualifiziert. Da kann ich nur sagen: Wie wollen Sie denn überhaupt, miteinander auf Gedeih und Verderb verbunden, draußen die Politik der Großen Koalition noch vertreten und glaubhaft machen? Dies ist eine Frage, die Sie auch selbst beantworten müssen. Ich meine, die Erklärung, die diese Woche im „Bayern-Kurier" steht, sollte für beide Seiten Anlaß zum Nachdenken sein.Aber wie immer bei solchen Auseinandersetzungen kommen dann auch ganz findige Journalisten auf ganz kuriose Ideen. So liegt vor mir der „Rheinische Merkur" vom 21. März 1969, der sich unter der Überschrift „Leider im Alleingang" mit der Auseinandersetzung der Freien Demokraten im Kampf gegen die NPD befaßt. Ein Journalist namens Reddemann, der schon mehrfach den Beweis dafür geliefert hat, daß er zur objektiven Darstellung nicht fähig ist, schreibt hier unter anderem, daß wir Freien Demokraten beim Bundespresse- und Informationsamt 500 000 DM angefordert hätten, um im Wahlkampf gegen die NPD unsere Auseinandersetzung unabhängig von der SPD und CDU zu führen, weil wir um die Sympathien in Kreisen der sogenannten APO Sorge hätten. Nun könnte man sagen: solange das nur im „Rheinischen Merkur" steht, ist das kein Problem. Ich selbst gehöre zu seinen ständigen Lesern und weiß auch, wie hoch die Auflage ist.
Ich bin sicher, daß die Nationaldemokraten auch das noch zum Anlaß nehmen, daraus eine neue Aktion zu starten. Um jeglicher Legendenbildung vorzubeugen, erkläre ich daher im Namen meiner Partei und Fraktion an dieser Stelle, daß wir Freien Demokraten weder einen Antrag gestellt haben, diese 500 000 DM zu bekommen, noch daß wir auch nur einen einzigen Pfennig bekommen haben. Ich will auf diese Verunglimpfungen nicht weiter eingehen.Ich sage in allem Ernst, sowohl an die Adresse der Fragesteller vorhin als auch an die Adresse der beiden Koalitionsfraktionen und des Innenministers: Bei der Frage „Wie hältst du es eigentlich mit der NPD und der Auseinandersetzung mit der NPD?" scheiden sich die Geister. Bei der Frage:
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Dorn„In welchem Umfang bist du bereit, auch Hilfestellung der NPD für die Durchsetzung deiner eigenen Ziele mit in Anspruch zu nehmen?" scheiden sich ebenfalls die Geister. Das gilt auch für die Wahl des Bundespräsidenten in ganz besonderem Maße.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich könnte zu den Ankündigungen, die der Bundesinnenminister in den letzten Monaten von sich gegeben hat, noch eine Fülle von politischen Fragen an ihn richten. Ich darf nur einige Überschriften zitieren: „Benda läßt Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde gegen das Abhörgesetz bis zum 31. März 1969 ausarbeiten." — Natürlich wären wir dankbar, Herr Minister, wenn auch das Parlament im Laufe der nächsten Woche diese Stellungnahme bekommen könnte, damit wir uns darüber informieren können. „Benda kündigt Stipendienentzug bei Studenten an." Auch hier, meine Damen und Herren, sind wir der Meinung, daß mit Sicherheit wieder die Falschen getroffen werden. — „Benda kündigt an, daß die Entfernung von Studenten von den Hochschulen überlegt werden muß."
Meine Damen und Herren, wenn wir dann noch an den letzten Plan denken, der von den Koalitionsfraktionen, vor allen Dingen im Kreise der bayerischen CSU-Kollegen zusammen mit dem bayerischen Innenminister ernsthaft diskutiert wird, nämlich das Ordnungsrecht an den Universitäten primär zu verabschieden, müssen wir feststellen, daß uns doch vieles von dem, was wir hier als politische Vorstellungen zur Kenntnis nehmen müssen, bedrückt.Der Innenminister hat im vergangenen Jahr dem Beispiel seines Bundeskanzlers folgend keine Politik der dringend notwendigen Reformen durchgeführt. Seine Politik bestand vielmehr in einer Fülle von Ankündigungen und Androhungen von Verboten. Er vertritt damit eine Politik, die wir Freien Demokraten ablehnen. Sein Demokratieverständnis liegt auch abseits von unseren eigenen Vorstellungen dazu. Seine verfassungspolitischen Ideen können von freiheitlich eingestellten Menschen in unserem Staat nicht akzeptiert werden.Wir Freien Demokraten lehnen daher den Haushalt des Innenministeriums ab, da wir zu der Politik des Innenministers kein Vertrauen haben können.
Das Wort hat Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Sprecher der Opposition, Herr Kollege Dorn, hat hier eingehende Ausführungen über die Politik des Herrn Innenministers gemacht. Ich habe das Gefühl, Herr Kollege Dorn, Sie haben die Arbeit des Innenministers zu sehr nach gelegentlichen Leistungen und auch Fehlleistungen seines Public-Relations-Büros statt nach den politischen Tatsachen beurteilt. Die Dinge sehen — das muß ich doch hier sagen — ein bißchen anders aus.
-- Herr Kollege, man kann sich bei Gefühlen — das wissen Sie ja am besten— täuschen. Aber Sie können mir auch zutrauen, daß ich in der Lage bin, ein bißchen zu den Sachfragen zu sagen, die mit diesem Ressort zusammenhängen. Und das will ich gerade tun.
— Ja, Gott, ich pflege mich nicht so überzubewerten, wie das manchmal bei solchen Fragen geschieht. Deswegen habe ich gesagt: nur ein bißchen.
Meine Damen und Herren, ich beginne zunächst einmal mit dem Hinweis darauf, daß unter dem Amtsvorgängers des Herrn Bundesinnenministers, Herrn Minister Lücke, im Bereich der Innenpolitik die Lösung einer großen Anzahl wichtiger Aufgaben eingeleitet worden ist, die zum Teil noch in dieser Legislaturperiode verwirklicht werden können oder doch zu weiteren günstigen Ausblicken Anlaß geben. Das sollte man hier feststellen.Das Innenministerium war dabei auf Grund der Haushaltsenge in einer schwierigen Lage. Man muß, meine ich, das auch zugeben. Wir wären beispielsweise in den Fragen der Besoldungs- und Beamtenrechtsreform sicher ein großes Stück weitergekommen, als es tatsächlich geschehen konnte. Ich erinnere an die fruchtbare Debatte im April 1966, in der zwischen der damaligen Koalition und der Opposition die Grundlagen 'für die weitere Gesetzgebung gelegt worden sind.Im Innenministerium ist schon unter Ihrem Amtsvorgänger, Herr Minister, deutlich geworden, daß das Innenministerium heute offener als früher für das Gespräch ist. Ich möchte Sie herzlich darum bitten, dafür zu sorgen, daß diese offene Art des Gesprächs auch beibehalten wird und wir unsere Meinungen offen austauschen, weil .das insgesamt zweifellos zu besseren Ergebnissen führt.Wir Sozialdemokraten haben dazu eine Reihe von Beiträgen leisten können. Ich möchte hier deutlich machen, daß in der nun fast am Ende stehenden Legislaturperiode auf vielen Gebieten zahlreiche Aufgaben gelöst werden konnten.Es begann mit dem Ersten Besoldungsneuregelungsgesetz. Das Zweite Besoldungsneuregelungsgesetz steht jetzt nur noch vor der Hürde des Bundesrats. Das gibt uns die Chance, in Ruhe zu überdenken, wie die weitere beamten- und besoldungsrechtliche Entwicklung sein wird. Ich hoffe, Herr Minister, Ihr Haus hat die Größe dieser Aufgabe erkannt und ist dabei, sich Gedanken für die Zukunft zu machen.Wir haben für die Mitarbeit der Frauen im öffentlichen Dienst das Gesetz über die Teilzeitbeschäftigung verabschiedet. Auf dem Gebiet des Personal-
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Dornvertretungsrechts sind wir leider nicht vorangekommen. Ich wäre dankbar, wenn Ihr Haus in dieser Frage die weiteren Entwicklungen, insbesondere in bezug auf den § 94 des Bundesbeamtengesetzes — Beteiligung der Gewerkschaften — ,unterstützen würde.Auf einem weiterem wichtigen Gebiet ist die Diskussion mit den Anfragen meiner Fraktion zur Verbrechensbekämpfung in Ganggekommen. Auch hier hat das Innenministerium mit allem Nachdruck unsere gemeinsamen Bemühungen, Herr Kollege Dorn, unterstützt; auch Sie haben ja sehr aktiv mitgewirkt. Wir haben jetzt mehrere Gesetzesvorschläge vorliegen. Wir haben viele Widerstände auch in der Frage der elektronischen Datenverarbeitung für die Arbeit der Kriminalpolizei zu überwinden. Ich hoffe, daß wir auch auf diesem Gebiet zu guten Ergebnissen kommen und die eingeleitete Entwicklung weitergeführt werden kann.Das Innenministerium hat in den letzten Jahren — ich muß sagen: nach langer Zeit — auch erkannt, daß, wenn es nicht selber zentral die Probleme der Einführung der EDV und der Rationalisierung der öffentlichen Verwaltung stärker in Angriff nimmt, es einer zentralen Aufgabe innerhalb der Bundesverwaltung nicht nachkommt. Auch auf diesem Gebiet sind, glaube ich, die Ansatzpunkte gut. Wir jedenfalls haben auch von uns aus nachdrücklich alles getan, um diese Entwicklung zu unterstützen und in die richtige Richtung zu bringen; ich darf Sie, Herr Kollege Dorn, an den gemeinsamen Entschließungsantrag auf Grund der Berichterstattung des Herrn Kollegen Gscheidle erinnern. Trotz der knappen Mitarbeiterzahl im Ministerium sind fruchtbare Ansätze für die weitere Entwicklung da, und die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft hat einen Entschließungsantrag vorbereitet, der im wesentlichen mit den Arbeitsergebnissen des Inenausschusses übereinstimmt. Dieser Antrag liegt leider noch beim Haushaltsausschuß fest. Ich hoffe, daß das Hohe Haus demnächst die weiteren Beschlüsse fassen kann.Auch in der Frage der Fortbildung und Weiterbildung der Beamten ist nach jahrelanger Stille ein Anfang gemacht worden. Wir hatten eine öffentliche Anhörungssitzung. Meine Damen und Herren, ich weiß, das alles ist noch nicht das, was es sein soll. Aber wie sollte denn — nachdem auch dieses Problem über viele Jahre nicht in Angriff genommen worden war — eine Lösung kurzfristig möglich sein! Herr Minister, wir hoffen, daß die Ergebnisse der öffentlichen Anhörungssitzung auch in Ihre Überlegungen einbezogen werden und wir damit ein weiteres Stück vorankommen.Einen großen Raum haben die Auseinandersetzungen über die politische Bildung eingenommen. Ich darf an die sehr fruchtbare Debatte in diesem Hause erinnern. Ich habe die Hoffnung, daß auch auf diesem Gebiet die Konsequenzen gezogen werden. Die Bemühungen jedenfalls sind im Gange, auf einer breiten Grundlage die notwendigen Nutzanwendungen zu ziehen.Das gilt auch für die Sportförderung. Auch wenn wir dafür nur in einem bestimmten Umfange zuständig sind, haben unsere Bemühungen, die von der breiten Mehrheit dieses Hauses gemeinsam getragen werden, zu Ergebnissen geführt. Wir haben nicht nur die Sportdebatte im Dezember 1967 gehabt, sondern wir haben permanente Bemühungen des Ministeriums und der Fraktionen und auch zwischen den Fraktionen gehabt, diese Aufgaben - nicht zuletzt im Hinblick auf die Olympiade 1972 — zu fördern. Meine Fraktion kann für sich in Anspruch nehmen, daß wir dabei immer als Motor gewirkt haben, um die Dinge weiterzubringen. Wir sind mitten in der Diskussion; das hat auch Ihr Kollege Bremer heute deutlich gemacht. Ich würde mich freuen, wenn wir auch hinsichtlich der organisatorischen Zusammenarbeit zwischen Sport und Bundesregierung zu Lösungen kämen, die der Selbständigkeit des Sports entsprechen, die aber auch klarmachen, daß, wenn in großem Umfange öffentliche Mittel eingesetzt werden, auch eine Verantwortung gegenüber dem Steuerzahler besteht.Ich will nicht bestreiten, meine Damen und Herren, daß es ein Gebiet gibt, das uns Sorgen macht. Wir werden in der dritten Lesung vielleicht in einem Entschließungsantrag gemeinsam darauf zurückkommen: Herr Minister, das ist der Zivilschutz. Der Bericht der Bundesregierung hat deutlich gemacht, daß es da nicht zum besten steht. Der Zivilschutz ist dem Rotstift in einem Umfang zum Opfer gefallen, den wir bedauern, und die weiteren vorgesehenen Einschränkungen müßten fast zum Erliegen dieser Aufgabe führen.
Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie Ihre Energie auch darauf verwenden würden, daß diese Aufgabe nicht vernachlässigt und in der Zukunft nur unzureichend erfüllt wird. Wir müssen uns darum gemeinsam kümmern.Noch eine allgemeine Bemerkung zu dem Fragenkreis der Bekämpfung des Links- und Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik. Herr Minister, Sie haben die Unterstützung unserer Fraktion, wenn Sie dem Links- und Rechtsradikalismus in unserem Lande bekämpfen. Damit schließt sich der Kreis. Ich habe damit begonnen, daß nicht immer alle PublicRelations-Bemühungen ins Schwarze treffen. In dieser Frage würde mir sehr daran liegen, daß wir in der Demokratie überlegter handeln und gelegentlich auch weniger reden. Das täte der Auseinandersetzung auch über den Radikalismus gut, um das einmal ganz offen zu sagen.
Wir glauben, daß wir auf dem Felde der Innenpolitik ein gutes Stück weitergekommen sind und wir hoffen auf weitere gute Gespräche zur Lösung vielfältiger innenpolitischer Aufgaben mit Ihnen. Wir werden dem Haushalt des Bundesinnenministers zustimmen.
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Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Entgegen meiner ursprünglichen Absicht habe ich mich an dieser Stelle gemeldet, weil ich mich insbesondere mit den Ausführungen des Herrn Kollegen Dorn zur Frage der Bekämpfung des Radikalismus auseinandersetzen möchte, und da ich höre, daß Herr Kollege Genscher, dessen Auffassung in dieser Frage für mich eine wichtige und interessante ist, nicht mehr lange bei uns sein kann, bitte ich um Ihr Verständnis, wenn ich an dieser Stelle spreche.Herr Kollege Dorn, auf Ihre Ausführungen zu den übrigen Punkten möchte ich im Augenblick nicht eingehen. Vielleicht wird im weiteren Verlauf der Debatte noch Gelegenheit sein, sich zu dem einen oder anderen zu äußern. Zudem fehlt mir, wenn ich das pauschal zu dem letzten Teil Ihrer Ausführungen sagen darf, doch einiges an Detailkenntnis darüber, wie Sie Ihre Behauptung begründen wollen, daß mein Demokratieverständnis — ich weiß nicht, welches Verständnis Sie von meinem Demokratieverständnis haben — etwas abseits von dem Ihrigen liege.
— Na schön, vielleicht haben Sie noch Gelegenheit, das etwas zu interpretieren. Ich halte solche Vorwürfe — wenn es ein Vorwurf sein soll — nicht für besonders gravierend, aber natürlich ist das ein Punkt, der mich interessiert und zu dem ich etwas mehr hören möchte, abgesehen von den Fragen, die ich jetzt ausklammern will.Im Mittelpunkt der Ausführungen des Herrn Kollegen Dorn stand die Frage, ob sich der Bundesminister des Innern, ob sich die Bundesregierung insgesamt in der Frage eines eventuellen Verbots der NPD richtig verhalten hätte. Ich stimme Ihnen uneingeschränkt zu, Herr Kollege Dorn, wenn Sie sagen, daß mit der Drohung, eine für verfassungswidrig gehaltene Partei — das gleiche gilt für eine Organisation nach Art. 9 des Grundgesetzes — zu verbieten, von der dafür zuständigen Stelle nicht manipuliert werden darf.
Das ist eine völlig richtige Ausgangsposition, und ich bestreite ganz entschieden — falls dieser Vorwurf auf mich bezogen sein sollte —, daß ich jemals die Auffassung vertreten hätte, man könne mit einer solchen Verbotsandrohung — „Damoklesschwert" nennt sich das ja wohl in der feuilletonistischen Behandlung dieses Themas — einen politischen Erfolg erzielen, und dies sei unter verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Gesichtspunkten das richtige oder überhaupt das zulässige Mittel. Dieser Meinung bin ich in der Tat nicht. Wie ich dankbar immer wieder feststelle, sind Sie ein sehr fleißiger Leser alles dessen, was ich irgendwo sage oder schreibe. Es ist erfreulich, wenn man so aufmerksame Leser und Zuhörer hat. Ich nehme an, daß Sie auch das gelesen haben, was ich in einem Gesprächmit dem „Spiegel" — ich weiß jetzt das Datum nicht mehr genau, vielleicht im September des vergangenen Jahres — gesagt habe. Ich habe gesagt: in der ersten Stufe, wenn sich die Frage stellt, muß eine strenge rechtliche Prüfung angestellt werden, die sich lediglich an der Rechtsfrage — natürlich gestützt auf das Tatsachenmaterial, das man hat oder zu haben glaubt — auszurichten hat: Ist die Partei oder Organisation im Sinne des Art. 21 bzw. Art. 9 des Grundgesetzes und der dafür einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nach Überzeugung desjenigen, der ein solches Verfahren in Gang bringen könnte, verfassungswidrig oder nicht? In diesem Stadium gibt es nach meiner Überzeugung zunächst überhaupt keine Überlegungen der politischen Opportunität, sei es für, sei es gegen, sondern nur eine streng rechtliche Prüfung.
Genau in dieser Weise ist schon von meinem verehrten Amtsvorgänger, dem Kollegen Lücke, und von mir selbst — praktisch in den Jahren 1967/68 — das Verfahren durchgeführt worden.Die eigenen Analysen, die die zuständigen Stellen meines Hauses und die nachgeordneten Behörden angestellt haben, haben mich im September des Jahres 1968, also vor einem runden halben Jahr, in der Tat zu der rechtlichen Überzeugung — ich unterstreiche das Wort „rechtlich" — gebracht, daß die NPD in dem Erscheinungsbild, das uns als Material vorliegt und das wir auch für beweiskräftig halten, die Voraussetzungen des Art. 21 Abs. 2 des Grundgesetzes erfüllt.In dem zweiten Stadium — das ist das, was in Ihren Überlegungen und in Ihren Darlegungen einen wesentlichen Raum eingenommen hat — stellt sich 'die politische Frage. Ich weiß — ,das steht ja in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, etwa 'im KPD-Urteil, und das habe ich bei einer Reihe von Gelegenheiten auch öffentlich bestätigt —, daß die Bundesregierung als einer der möglichen Antragsteller rechtlich frei ist, unter Abwägung auch politischer Gesichtspunkte nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob sie glaubt, daß es im wohlverstandenen Interesse des Staates und des Gemeinwesens liegt, einen solchen Antrag zu stellen oder nicht. Daß man hierüber im Einzelfall, auch in Sachen NPD oder in bezug ,auf Vorgänge auf dem Gebiete des Linksradikalismus, sehr lange diskutieren und unter Umständen streiten kann? Wem sagen Sie das? Das weiß ich selber! Sie haben den Zeitablauf, der nun in der Tat von Diskussionen angefüllt war, ja dargestellt. Ohne das jetzt im einzelnen diskutieren zu wollen, weiß und bestätige ich natürlich, daß eine solche Diskussion möglich ist.Ich bestreite die Richtigkeit, Herr Kollege Dorn — und ich schließe Sie, Herr Kollege Genscher, ein —, Ihrer grundsätzlichen verfassungspolitischen Position, die Herr Dorn, wenn ich ihn an der betreffenden Stelle seiner Ausführungen richtig verstanden habe, dahin charakterisiert hat: Wir — die FDP — wollen weder jetzt noch überhaupt ein Verbot der NPD.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969 12181
Bundesminister BendaNatürlich sind Sie berechtigt, eine Meinung dazu zu äußern, wie sich die entscheidenden Stellen verhalten sollten. Soweit Sie damit sagen wollen, Sie würden 'das Ermessen in diesem Sinne ausüben, mag diese Auffassung richtig oder falsch sein — ich halte sie für falsch —, es steckt aber nichts Unzulässiges darin.Für falsch aber halte ich eine Position, die sagt: was immer sich ergeben möge, wie immer auch das Material, das etwa das Bundesministerium des Innern dem Bundeskabinett vorgelegt hat — das Sie ja gar nicht kennen und auch gar nicht kennen können —, aussehen mag, wir sind dagegen, daß ein solcher Antrag gestellt wird.
— Ich kann nur das zitieren, was ich hier gehört habe. Wenn ich es falsch verstehe, wäre ichdankbar für eine Interpretation; denn das ist eine ganz wichtige verfassungspolitische Grundfrage, und es kommt mir schon darauf an, eine solche Frage zu klären.Herr Kollege Genscher ist, glaube ich, richtig zitiert worden. Ich kenne natürlich Ihren Aufsatz, den Sie vor kurzem veröffentlicht haben und in dem Sie sagen, daß ein Verbotsverfahren nur in Frage käme bei einer unmittelbar drohenden Gefahr für das Gemeinwesen. Das ist, wenn ich es verfassungsgeschichtlich richtig sehe, die immer in der amerikanischen Verfassungsrechtsprechung, etwa in der des Richters Justice Homes, entwickelte Doktrin der "clear and present danger", die er aber angewendet hat — dem amerikanischen Verfassungsrecht ist ja das Institut des Parteiverbots fremd — auf die Frage, in welchem Umfang der Staat etwa durch Hoheits- oder Gesetzgebungsakte in das Recht der freien Meinungsäußerung eingreifen dürfe. Da hat sich also eine geschichtlich interessante und auch das deutsche Verfassungsrecht fruchtbar beeinflussende Doktrin entwickelt, die eben besagt: nur im Falle der — wie die amerikanische Rechtsprechung sagt — clear and present danger, also der unmittelbar drohenden Gefahr.Herr Kollege Genscher, dies ist — wenn ich darauf aufmerksam machen darf — nicht die Position des Bundesverfassungsgerichts.
Es ist nach meiner Überzeugung nicht die Position des Art. 21 des Grundgesetzes.Das Bundesverfassungsgericht selbst hat sich mit unserer Frage in dem KPD-Verbotsurteil auseinandergesetzt, weil damals von der Partei, gegen die sich der Antrag richtete, die Behauptung aufgestellt worden war, daß der Art. 21 Abs. 2, also das Institut des Parteiverbots selbst, verfassungswidrig sei, weil er gegen immanente, übergeordnete Grundsätze der Verfassung verstoße. Dieses Argument gab dein Gericht Veranlassung, sich mit diesem Gedanken auseinanderzusetzen. Ich will nicht viel zitieren, um Sie nicht aufzuhalten, aber ich darf zusammenfassend sagen: das Gericht hat sich mit der historischen Entwicklung dieser Frage auseinandergesetzt. Das ist Ihnen natürlich alles bekannt, und ich brauche das jetzt nicht vorzutragen. Es hat auf die besondere, die geänderte verfassungsrechtliche Position der politischen Parteien hingewiesen, die ja erstmalig überhaupt in einer deutschen Verfassung erwähnt werden und die in eine besonders hervorgehobene Position als eine verfassungsrechtlich anerkannte und priviligierte Institution nach Art. 21 gesetzt werden. Das Gericht sagt dann, aus dieser gewandelten Situation und aus den geschichtlichen Erfahrungen der Weimarer Zeit müsse man Konsequenzen ziehen, und die Konsequenzen, die das Grundgesetz gezogen habe, seien eben Inhalt des Art. 21 Abs. 2. Das Gericht sagt, daß selbstverständlich das Grundgesetz der traditionellen freiheitlich-demokratischen Linie folge, die den politischen Parteien gegenüber grundsätzliche Toleranz fordere, daß es aber nicht mehr so weit gehe, aus bloßer Unparteilichkeit auf die Aufstellung und den Schutz eines eigenen Wertsystems überhaupt zu verzichten.Es— also das Grundgesetz —nimmt aus dem Pluralismus von Zielen und Wertungen, die in den politischen Parteien Gestalt gewonnen haben, gewisse Prinzipien der Staatsgestaltung heraus, die, wenn sie einmal auf demokratische Weise gebilligt sind, als absolute Werte anerkannt und deshalb entschlossen gegen alle Angriffe verteidigt werden sollen. Soweit zum Zwecke dieser Verteidigung Einschränkungen der politischen Betätigungsfreiheit der Gegner erforderlich sind, werden sie in Kauf genommen. Das Grundgesetz hat also bewußt den Versuch einer Synthese zwischen dem Prinzip der Toleranz gegenüber allen politischen Auffassungen und dem Bekenntnis zu gewissen unantastbaren Grundwerten der Staatsordnung unternommen. Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz steht somit nicht mit einem Grundprinzip der Verfassung in Widerspruch. Er ist Ausdruck des bewußten verfassungspolitischen Willens zur Lösung eines Grenzproblems der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, Niederschlag der Erfahrung eines Verfassungsgebers, der in einer bestimmten historischen Situation das Prinzip der Neutralität des Staates gegenüber den politischen Parteien nicht mehr rein verwirklichen zu dürfen glaubte, Bekenntnis zu einer in diesem Sinne streitbaren Demokratie.Diese Position des Bundesverfassungsgerichts, die ich für zutreffend und wegen des Gewichts des Verfassers natürlich ohnehin für eine besonders bedeutsame Interpretation des Art. 21 des Grundgesetzes halte, unterscheidet sich, wenn ich mich nicht täusche, Herr Kollege Genscher, von Ihrer Position in grundsätzlicher und einschneidender Weise. Diese Position des Grundgesetzes geht also dahin, daß es dort, wo politische Parteien — natürlich nachweisbar, auch rechtlich nachweisbar — verfassungswidrige Bestrebungen verfolgen, nicht im Belieben der zur Antragstellung zuständigen Organe steht, ob sie die Frage prüfen wollen, ob ein
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12182 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969
Bundesminister Bendasolcher Antrag gestellt werden solle oder nicht. Freilich sind sie frei — und ich will das noch einmal wiederholen, weil ich hier nicht mißverstanden werden möchte —, nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen unter Abwägung aller Umstände von der Antragstellung abzusehen oder sich für eine Antragstellung zu entscheiden. Nicht frei sind sie, und nicht frei ist — das ist meine Konsequenz — die Bundesregierung gegenüber der Frage, ob sie die Prüfung einer solchen Frage überhaupt aufnehmen soll oder nicht.
— Ja, Herr Kollege Moersch, ich komme jetzt unmittelbar zu Ihrer Bemerkung.Wie ist der Zeitablauf gewesen? Ich muß bei dieser Gelegenheit — so im Vorbeigehen, Herr Kollege Dorn — Sie in Ihren historischen Betrachtungen in einem Punkte berichtigen. Sie haben in der Frage SDS, die ja ein Parallelproblem ist, gesagt, ich hätte in einem Interview, das Herr Krems am 20. April 1968 in der „Welt" veröffentlicht habe, angekündigt, in Kürze werde eine Entscheidung über die Frage der Verfassungswidrigkeit ergehen, aber das sei ja wohl durch Zeitablauf passé. Damit haben Sie unterstellt, es sei dabei geblieben. Zehn Tage später, am 30. April 1968, habe ich mich vor diesem Hohen Hause zu dieser Frage geäußert und sie hier beantwortet. Möglicherweise waren Sie an diesem Tage nicht hier, bzw. ich weiß nicht, was immer war, jedenfalls bitte ich Sie, einmal das Protokoll des Deutschen Bundestages vom 30. April 1968 nachzulesen. Da finden Sie die Antwort auf eben Ihre Frage.In Sachen NPD habe ich Ende Oktober — wenn ich mich nicht täusche; es mag auch einer der ersten Novembertage gewesen sein — in einem Brief an den Herrn Bundeskanzler mitgeteilt, daß das Ergebnis der Überlegungen meines Hauses abgeschlossen sei und daß ich den Wunsch hätte, mit ihm darüber zu sprechen. Das ist auch alsbald geschehen. Dann hat sich nach einer Reihe von politischen Gesprächen, die hier und dort geführt worden sind, das Bundeskabinett am 18. Dezember 1968 — ich glaube, das war der Termin — mit dem Thema beschäftigt. Es hat damals nicht in der Sache entschieden, sondern hat mich beauftragt, in einer Reihe von Einzelfragen dem Bundeskabinett Material vorzulegen. Das ist mittlerweile geschehen. Das Material befindet sich bei den Mitgliedern der Bundesregierung. Es ist sehr umfangreich. Ich habe selbst darum gebeten, daß die einzelnen Mitglieder der Bundesregierung eine gewisse Zeit und Gelegenheit haben sollten, sich mit dem sehr umfangreichen Material im einzelnen zu beschäftigen, damit darüber dann eine Detaildiskussion stattfinden kann. Das ist die Situation.Ich sehe nicht ganz, was daran zu beanstanden ist. Ich bin nicht der Meinung, Herr Moersch, daß es richtig wäre, in einer solchen Frage sehr viel anzukündigen oder anzudrohen. Ich wäre sehr dankbar, wenn mir — die Argumente des Herrn Kollegen Dorn sollen sich ja, wenn ich es richtig sehe, in erster Linie gegen mich richten — hier einmal vorgetragen würde, an welcher Stelle ich etwas Derartiges getan haben soll, was Sie mir hier vorwerfen. Ich habe in der Tat zum Terminablauf in ähnlicher Weise, wie ich das jetzt eben zum gegenwärtigen Stadium tue, klar gesagt: Die zeitliche Situation ist so. Nachdem über den Inhalt meiner Auffassung in der Sache etwas in die Presse gebracht worden ist — nebenbei gesagt: nicht von mir, sondern von anderer Seite, was ich bedaure; ich weiß auch, von welcher Seite —, habe ich es natürlich nicht dementiert; darin habe ich keinen Sinn gesehen. Seitdem ist meine eigene Auffassung, daß die Bundesregierung einen solchen Antrag stellen sollte, hier und da immer wieder zitiert worden. Ich finde das auch nicht besonders schön. Aber ich kann es nicht hindern, und ich finde es auch nicht so furchtbar tragisch.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Moersch?
Ist das eine Distanzierung vom Bundespresse- und Informationsamt, die Sie eben vorgenommen haben, oder gar vom Bundeskanzler in seiner Öffentlichkeitsarbeit?
Nein, Herr Moersch, das ist keine Distanzierung von irgend jemand. Ich weiß auch nicht, welcher Grund dafür sein sollte. Sie müßten mir schon freundlicherweise eine Äußerung der dpa oder vielleicht des Herrn Bundeskanzlers nennen, auf die Sie sich beziehen.
— Darf ich eben mal hören, was er erklärt hat? Das würde meine eigene Einsicht in Ihr Argument wesentlich erleichtern. — Aber vielleicht nehmen sie Gelegenheit, das noch einmal nachzulesen und es mir dann zu sagen, wenn Sie so weit sind. Im übrigen ist es nicht meine Sache, Äußerungen von Herrn Staatssekretär Diehl hier zu kommentieren. Aber ich würde das, was er im Anschluß an die Kabinettssitzung vom 18. Dezember gesagt hat, soweit ich sehe, gar nicht beanstanden; denn das ist eine Wiedergabe des Eindrucks, den Staatssekretär Diehl als Sprecher der Bundesregierung von dem Verlauf der Kabinettssitzung gewonnen hatte. Ich sehe keinen Anlaß, das in irgendeiner Weise zu kommentieren.Ich fasse in diesem Punkt zusammen und auf die Erörterung dieses Punktes möchte ich mich im Augenblick beschränken:Ich weiß selber ganz gut — ich bin lange genug in der Diskussion über .die Frage eines Verbots in Sachen Rechts- oder Linksradikalismus —, daß man in einer solchen Frage höchst unterschiedlicher Auffassung sein kann, und ich weiß, daß es hierüber gültige und gute Argumente auf beiden Seiten gibt. Meine eigene Position habe ich umrissen. Ich bleibe bei .dieser Position. Ich bin nicht der Auffassung — darin glaube ich auch mit Herrn Dorn übereinzustimmen—, daß es in einer ,solchen Frage zulässig oder glücklich ist, eine Entscheidung nicht zu treffen.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969 12183
Bundesminister BendaIch bin schon der Meinung — das ist der Inhalt meiner entsprechenden Vorschläge und Anträge gegenüber dem Bundeskabinett gewesen —, daß dann, wenn sich das Kabinett eine hinreichende Möglichkeit verschafft hat, sich eine Meinung über ein solches Thema zu bilden, die Entscheidung fallen sollte. Das ist der Stand des Verfahrens. Ich nehme an, daß eine solche Entscheidung in absehbarer Zeit und, wie ich hoffe, in naher Zukunft erfolgen wird. — Bitte schön, Herr Dorn, wenn Sie noch eine Frage stellen wollen.
Bitte, zu einer Zwischenfrage !
Ich hatte noch eine Frage, Herr Minister. Sie sagen jetzt wieder „in absehbarer Zeit" und „in naher Zukunft". Können Sie denn einmal konkret umreißen, bis zu welchem Zeitpunkt — Sie halben das Material ja ausführlich gesammelt und allen Kabinettsmitgliedern vorgelegt —die Bundesregierung nun endlich eine Entscheidung treffen will?
Herr Kollege Dorn, da bin ich — das werden Sie selber wissen — natürlich überfragt; denn ich bestimme weder die Tagesordnung des Bundeskabinetts — das tut der Bundeskanzler bzw. auf Vorschlag der einzelnen Ressorts der Chef des Bundeskanzleramts —, noch vermag ich natürlich zu sagen, wie der Ablauf einer solchen Beratung im Kabinett sein wird. Natürlich ist es denkbar, daß von der einen oder 'anderen Seite der Wunsch besteht, in Details noch mehr zu wissen oder etwas Bestimmtes — aus welchen Gründen auch immer — zu tun. Ich kann nur sagen: meiner Auffassung nach ist die Sache zur Entscheidung reif und sollte entschieden werden. Wann sie entschieden wird, das wird in diesem Stadium Ihnen niemand zu sagen vermögen.
— Herr Moersch, das ist ein Einwurf, der liegt sogar unter Ihrem Niveau, finde ich.
Das ist eine Frage, bei der niemand verkennen kann, daß sie ein schwieriges Problem beinhaltet und daß sie die Überprüfung einer Fülle von Tatsachen erforderlich macht. Das ist auch keine Frage, Herr Kollege Moersch, von der Sie annehmen können, daß sie auf der Entscheidung eines Mitglieds der Bundesregierung, sei es auch des Bundeskanzlers, beruhe, sondern wenn es überhaupt eine der aktuellen politischen Fragen, jedenfalls aus dem Geschäftsbereich meines Hauses, gibt, dann ist diese Frage eine solche, bei der sich jedes einzelne Mitglied der Bundesregierung seine persönliche Meinung bilden muß und dann seine Entscheidung vor sich selbst mitverantworten muß. Wer das nicht sieht, verkennt die Wichtigkeit und die Schwierigkeit eines solchen Problems völlig.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Genscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin dem Herrn Bundesinnenminister zu Dank verpflichtet, daß er in dieser Phase der Debatte das Wort ergriffen hat und mir damit Gelegenheit gibt, zu seiner Auffassung vom Parteienverbot noch ein Wort zu sagen.
Ihm gebührt auch Dank dafür, daß er heute durch die Art, wie er seinen Haushalt vertritt, gezeigt hat, wie eigentlich eine Haushaltsberatung ablaufen sollte, nämlich: daß zunächst das Parlament spricht und dann dazu der Minister Stellung nimmt, und nicht: daß drei Stunden zunächst einmal Regierungsstatements abgegeben werden.
Die Tatsache, daß die Bundesregierung, daß die Parteien der Regierungskoalition und daß die Opposition die Frage eines Parteienverbots hier in dieser Gründlichkeit und Breite erörtern, ist aber auch ein Zeichen für die Sauberkeit und für den Ernst, mit denen wir Grundfragen unserer Demokratie in diesem Hause erörtern und wie wir sie begreifen.
Hier macht sich niemand die Frage des Verbots einer Partei leicht. Das sollten jene nationalen Spätheimkehrer wissen, die draußen diesen Staat und die Parteien herunterzuziehen versuchen, die diesen Staat aufgebaut und die Verantwortung für das tragen, was wir bis heute erreicht haben.
Auch das muß an der Spitze einer Debatte über das Verbot von Parteien stehen.
Nun, Herr Bundesminister, zu der Frage, wie wir das Problem der Parteienverbote sehen. Herr Kollege Dorn hat sich schon durch ein Zitat die Auffassung zu eigen gemacht, daß wir das Verbot einer Partei nicht grundsätzlich ausschließen. Wir beanstanden nicht das Institut des Parteienverbots, sondern wir wollen es als letztes Mittel erhalten wissen. Aber wir glauben, daß der Begriff der „abwehrbereiten Demokratie" nicht darin bestehen kann, daß diese Abwehr in einem schnellen Zugriff zum Verbotsantrag liegt, sondern darin liegen sollte, daß vorher eine umfassende politische Auseinandersetzung geführt wird. Und welche Gelegenheit wäre dazu besser geeignet, sich mit einer Partei wie der NPD auseinanderzusetzen, als der Bundestagswahlkampf dieses Jahres? Nehmen Sie den Wählern, den reifen Wählern der Bundesrepublik Deutschland, die bereits im Begriffe sind, diese Partei fallenzulassen, doch nicht die Chance, durch ihr Urteil am 28. September zu zeigen, daß alle Verleumdungen dieses Staates und der Reife unseres Volkes abwegig sind.
Deshalb wünschen wir nicht, daß überhaupt die Frage eines Verbots in dieser Phase ernsthaft diskutiert wird.
Erlauben Sie eine Zwischenfrage von Herrn Schulze-Vorberg?
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12184 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969
Herr Genscher, gerade weil ich im Prinzip mit Ihnen übereinstimme, darf ich dennoch fragen: hätte nicht diese Frage oder diese These, die Sie aufgestellt haben, auch ein Parlamentarier in der Weimarer Zeit, etwa 1930 oder 1929, aufstellen können?
Herr Kollege Schulze-Vorberg, Parallelen sind immer sehr problematisch. Aber wenn Sie etwa der Illusion sein sollten, daß es Ihnen in den Jahren 1930 bis 1933 gelungen wäre, mit Verboten die damaligen extremen Parteien zu überwinden, so ist das, muß ich sagen, doch eine totale Illusion. Sie können mit einem Verbot nicht die Grundstimmungen beseitigen, die dazu führen, daß radikale Parteien gewählt werden. In diese Richtung muß die politische Auseinandersetzung gehen. Sie können eine Parteiorganisation zerschlagen. Herr Kollege, Sie können Funktionäre am Ende als Folge des Parteiverbots sogar inhaftieren, wenn sie sich strafbar machen. Aber die zugrunde liegende Stimmung, die Ablehnung der Demokratie durch breite Kreise des Volkes, wenn diese Parteien eine große Resonanz haben, können Sie durch ein Verbot in keiner Weise beseitigen. Hier liegt das wirkliche Problem der Auseinandersetzung mit den extremen Parteien.
Erlauben Sie eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Dr. SchulzeVorberg?
Ja.
Herr Genscher, gerade weil ich Ihre Auffassung teile, daß Verbote ein unwirksames Mittel sind: glauben Sie nicht, daß die Demokratie alle ihre Möglichkeiten nutzen sollte, um nach den leidvollen Erfahrungen, die wir in diesem Lande gemacht haben, radikale Strömungen unter Kontrolle zu bringen, und müßten wir nicht darauf achten, was die Welt über uns denkt? Ist es nicht tatsächlich so — entspricht das nicht auch Ihren Erfahrungen? —, daß hier womöglich Menschen — wiederum irregeleitete Menschen — darangehen, uns großen Schaden zuzufügen? Ich möchte ausdrücklich dazu sagen, sie wollen das wahrscheinlich gar nicht, sie ahnen womöglich nicht einmal, wie sie diesem Deutschland in der Welt durch neuen Rechtsradikalismus nach all dem, was gewesen ist, schaden.
Herr Kollege Schulze-Vorberg, ich stelle nach dem, was Sie ausgeführt haben fest, daß wir uns in der Beurteilung eines Parteienverbots grundsätzlich unterscheiden. Für mich kann die Frage, wie irgend jemand im Ausland das Auftreten oder Nichtauftreten der NPD in Deutschland beurteilt, überhaupt keine Grundlage meiner Entscheidung in der Frage des Verbots sein.
Wir müssen uns abgewöhnen, das Ausland darüber zu konsultieren, was wir tun. Es geht darum, diese Demokratie in Ordnung zu halten. Das können Sie nur — ich wiederhole es noch einmal —, wenn Sie dieser Gruppierung durch eine politische Auseinandersetzung den Boden entziehen. Meine Damen und Herren, wir sind doch dabei, ihr diesen Boden zu entziehen. Das haben doch die Wahlen dort, wo es sich um Wiederholungswahlen handelte, längst bewiesen.
Eine weitere Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Hermsdorf.
Herr Kollege Genscher, ich bin mit Ihnen in der Beurteilung, was 1930 und danach angeht, und auch in der Beurteilung, wie man radikale Gruppen behandeln sollte, völlig einig. Aber wenn Sie durch Herrn Schulze-Vorberg schon gezwungen sind, eine Parallele zu ziehen, die sich schwer ziehen läßt, muß ich Sie offen fragen: glauben Sie nicht, daß es ein Fehler war, daß dieses Problem erst im Jahre 1930 und später erkannt wurde und daß die Weichen Anfang der 20er Jahre in der Weimarer Demokratie falsch gestellt wurden?
Herr Kollege Hermsdorf, es ist die Frage, ob diese falsche Weichenstellung der Weimarer Demokratie ganz damit erfaßt werden kann, daß Sie in Ihrer Fragestellung darauf hinweisen, man hätte damals schon früher Verbotsfragen erörtern müssen. Es ist die Frage, ob nicht vielmehr ganz entscheidende politische Fragen — auch das Verhalten der demokratischen Parteien gegenüber den Radikalen — dazu geführt haben, daß es zu einer Stärkung der radikalen Flügelgruppen kam. Ich würde auch das — auch was Weimar angeht - am Ende nicht als eine Frage von „Parteiverbot, ja oder nein?" sehen. Ich sage noch einmal, die Tatsache, daß es möglich war, daß im Jahre 1932/33 sowohl die Kommunistische Partei als auch die Nationalsozialistische Partei in der Bevölkerung eine so große Resonanz gehabt haben, ist nicht ein Problem, das Sie mit Entscheidungen eines Verfassungsgerichts bewältigen können. Hier ging es um ganz andere Dinge. Hier ging es einfach darum, diese Menschen für die parlamentarische Demokratie zurückzugewinnen. Das können Sie nie über ein Verbotsurteil.Herr Kollege Hermsdorf, wir haben es hier mit dem Grundsatzproblem eines Parteienverbots zu tun. Das Problem ist, daß die politische Gruppierung, die Sie bekämpfen wollen, zu einem bestimmten Zeitpunkt für ein Verbot nicht relevant genug erscheint. Dann kann aber eine bestimmte Phase eintreten, in der die Relevanz bereits beachtlich ist. Können Sie sich vorstellen, daß es möglich wäre, eine Partei zu verbieten, die z. B. über einen Stimmenanteil von 30 % in diesem Hause verfügt? Ich halte das für eine glatte Illusion. Wenn es nicht gelingt, dieser Partei durch die Politik der demokratischen Parteien den Boden zu entziehen, werden Sie mit einem Parteienverbot über das Verfassungsgericht überhaupt nichts
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969 12185
Genscherausrichten; im Gegenteil, Sie werden diese verbotene Gruppierung am Ende dann nur noch stärken.
Können Sie eine Frage des Abgeordneten Zoglmann beantworten?
Herr Kollege Genscher, würden Sie es als eine Bestätigung Ihrer soeben dargelegten Auffassung ansehen, wenn ich darauf hinweise, daß in den Jahren zwischen 1920 und 1930 eine ganze Reihe von extremen nationalen Parteien — unter anderem auch die, die 1933 an die Macht kam — verboten gewesen ist und daß diese Verbote eben am Ende nichts erreichen konnten?
Uneingeschränkt ja, Herr Kollege.
Eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Schmitt-Vockenhausen.
Herr Kollege Genscher, ist Ihnen bewußt, daß wir mit dem Verbot einer rechtsradikalen Partei Erfahrungen haben und daß diese Erfahrungen durchaus dazu berechtigen, solche Verbotsanträge für den Schutz der Demokratie zu stellen?
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, wenn Sie also der Meinung sind, daß die NPD eine rechtsradikale Partei ist, dann zeigt das, so würde ich sagen, daß das frühere Verbot nichts genützt hat.
Noch eine Zwischenfrage von Herrn Schmitt-Vockenhausen.
Herr Kollege Genscher, ist Ihnen bewußt, daß es zwölf Jahre gedauert hat, bis die Leute nach der Zerschlagung wieder eine neue Organisation aufbauen konnten, und daß man das auch sehen muß?
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, das scheint mir ein Mißverständnis, eine gewisse Unkenntnis zu sein, die Sie hier verraten. Diese Leute haben nämlich in diesen zwölf Jahren ununterbrochen neue Organisationen gegründet. Sie hatten nur keine Unterstützung beim Wähler. Daß sie diese Unterstützung vor 1966 bekamen, ist doch nicht das Ergebnis eines zwölf Jahre wirkenden Verbotes, sondern das ist das Ergebnis der Politik, die in diesem Lande gemacht worden ist.
Ich darf hier an dieser Stelle die Bemerkung anschließen, daß es doch das Interessante an dieser Gruppierung ist, daß sie versucht, in der Öffentlichkeit sich selbst das Image einer Partei zu geben, die neu ist. Dabei sind das ausschließlich Leute, die schon mindestens mit einer politischen Gruppierung in diesem Lande nach dem Krieg politisch Bankrott gemacht haben.
Meine Damen und Herren, ich glaube also, daß wir bei einem richtigen Verständnis des Begriffes der abwehrbereiten Demokratie diese Abwehr zunächst tatsächlich in der politischen Auseinandersetzung sehen müssen und auch in der Einholung des Urteils des Wählers über eine solche Partei. Deshalb halten wir es nicht für nützlich, wenn eines der drei legitimierten Verfassungsorgane, nämlich die Bundesregierung, die Frage des NPD-Verbots seit Monaten diskutiert. Und hier muß ich Ihnen, Herr Bundesinnenminister, leider sagen: wenn der Sprecher der Bundesregierung nach einer Kabinettssitzung der Öffentlichkeit — wie ich sehe, unwidersprochen — mitteilt, das Kabinett sei von Ihnen im Prinzip davon überzeugt worden, daß die rechtsextreme Partei verboten werden müsse und daß das vorliegende Beweismaterial für einen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht ausreiche, dann ist es für mich nicht mehr eine Frage des Terminkalenders der Bundesregierung, sondern eine zutiefst verfassungspolitische Frage, ob sich die Regierung in dieser Frage mit Ja oder Nein entscheidet.
Diejenigen, die die Verfassungsorgane in ihren Entscheidungen bestimmen, die Verfassungsorgane Bundesrat, Bundesregierung und Bundestag, nämlich die demokratischen Parteien, haben hier eine hohe Verantwortung zu bewältigen, und sie können sehr leicht in den Verdacht kommen, daß sie das legale Mittel des Verbotsantrages als Mittel der Drohung, als Ersatz der politischen Auseinandersetzung mißbrauchen. Und von diesem Verdacht müssen sie sich reinigen.
Es besteht doch gar kein Zweifel, daß nicht nur die Bundesregierung, sondern daß jeder von uns als Mitglied dieses Hauses die Frage der Auseinandersetzung mit radikalen Gruppierungen zu prüfen hat. Ich bin erstaunt darüber, daß Kollegen aus diesem Hause, die ein Verbot bejahen, hier nicht längst diese Frage angeschnitten haben. Das ist doch nicht ein Vorrecht der Regierung, verehrter Kollege Franke, sondern das können Sie auch, das kann auch Ihre Fraktion und können Gruppen aus diesem Hause. Wenn Sie der Meinung sind, daß diese Partei verboten werden sollte, könnten Sie hier qua Bundestag einen solchen Antrag stellen. Durch die Tatsache, daß Sie ihn nicht stellen, beziehen Sie hier ja fast schon eine Position.
— Diese Ausweitung ist gar nicht zuviel; ich kann das nicht ändern, das steht im Gesetz, Herr Kollege Niederalt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Niederalt?
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12186 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969
Herr Kollege Genscher, sind Sie denn von der Praxis schon so weit entfernt, daß Sie nicht wissen, daß der einzelne Abgeordnete, weil er sich erstens einmal mit vielerlei Problemen befassen muß und weil er zweitens nicht so im Besitz des speziellen Materials ist, nicht in der Weise in der Lage ist, zu dieser Frage Stellung zu nehmen, wie etwa der zuständige Ressortminister?
Herr Kollege Niederalt, ich rede ja nur von denjenigen, die sich ein Urteil anmaßen. Diese müssen ja wohl das Material gesehen haben. Sonst würden sie nicht behaupten, daß die Partei verfassungswidrig ist und verboten werden müßte.
Ich meine also, die Bundesregierung sollte noch einmal sehr gründlich prüfen, ob sie nicht einen Verbotsantrag fallen läßt und mit uns gemeinsam die politische Auseinandersetzung mit dieser Gruppierung führt.Aber da wir schon über Parteiverbote reden, will ich auch noch ein anderes Thema anschneiden, das uns sehr bedrückt: die Duldung der Deutschen Kommunistischen Partei. Wir haben in der Bundesrepublik ja nicht nur ein Urteil gegen die Sozialistische Reichspartei gehabt, sondern auch ein Urteil gegen die Kommunistische Partei. Dieses Urteil besteht fort. Ich werde nachher Ausführungen zu der Frage machen, ob das richtig ist. Es hat sich jetzt eine Partei gebildet, die DKP, die, wenn ich so sagen darf, mit Duldung der Bundesregierung ihre Arbeit aufnimmt. Wir kommen hier an eine Grundfrage des Parteienprivilegs. Die Gründung einer Partei ist völig frei. Wenn eine Partei aber ständig befürchten muß, sie werde als Nachfolgepartei eingestuft, wenn sie vielleicht über das hinausgeht, was sie bei Gesprächen mit der Bundesregierung angedeutet hat, dann ist das nicht mehr Gründungsfreiheit, sondern die indirekte Lizenzierung einer Partei.Nach unserer Meinung sollte hier ein offener Weg gegangen werden. Wir halten es für unbefriedigend, daß Parteienverbote nicht korrigierbar sind. Denn da es richtig ist, daß das Ermessen der Verfassungsorgane entscheidend ist, ist in dieses Ermessen über die Stellung eines Verbotsantrags auch die Erwägung einzubeziehen, ob etwa in einer bestimmten Situation das Verbot angemessen und notwendig ist. Diese Situation kann sich aber ändern. Es müßte deshalb möglich sein, durch eine Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht die Überprüfung eines Parteienverbots einzuführen.Wir sollten auch ernsthaft überlegen, ob man nicht überhaupt die Zeitdauer eines Parteienverbots begrenzen soll, sei es auf acht Jahre, sei es auf zehn Jahre. Damit würde nämlich ein Sachzwang auch für die demokratischen Parteien 'bestehen, eine politische Grundströmung, die einer solchen radikalen Partei zugrunde liegt, nicht aus Aden Augen zu verlieren. Sie würden wissen, diese Gruppierung kann sich wieder bilden, die Auseinandersetzung muß neu beginnen. Sonst könnte leicht die Gefahr entstehen, daß man sich Ilusionen darüber macht, ob eine solche Partei noch Unterstützung findet. Wir streben eine Änderung des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht an, um auf diese Weise z. B. das Verbot der Kommunistischen Partei auf verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch völlig einwandfreiem Wege überwinden zu können. Das erscheint uns die saubere Lösung, um den Weg freizumachen — ich wiederhole es — zur politischen Auseinandersetzung mit den Extremen links und rechts. Dieses Volk ist in der Lage, diese Auseinandersetzung zu bestehen. Geben wir ihm Gelegenheit, am 28. September sein Urteil über diese Gruppierungen zu fällen!
Da ich nun schon das Wort habe, lassen Sie mich, meine Damen und Herren, noch einige Bemerkungen zu einem anderen Thema anschließen. Vorab aber muß ich noch etwas sagen, was mich auch sehr bedrückt. Ich muß das noch einfügen. Das ist eine Meldung über die Wiederholung des Verbotsantrags bezüglich der NPD durch den Berliner Senat an die Alliierten in Berlin. Welches Mißverständnis auch hier in der Auseinandersetzung mit dieser Gruppierung! Der Senat von Berlin ist im Bundesrat vertreten. Er hat die Möglichkeit, über das Verfassungsorgan Bundesrat ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Nationaldemokratische Partei zu erwirken. Dieses Urteil würde dann zunächst einmal entscheiden, ob diese Partei, die ja eine Bundespartei ist, verfassungswidrig ist. Dann könnten die exekutiven Maßnahmen nach Berliner Recht erfolgen. Aber daß man hier nach den Alliierten ruft, halte ich fast für eine stille Propaganda für diese politische Gruppierung. Ich frage mich, ob die Meldungen richtig sind, daß dieser Antrag nach Konsultationen mit der Bundesregierung gestellt worden sei. Es würde mich interessieren, zu erfahren, welche Empfehlungen die Bundesregierung dem Senat von Berlin bei diesen Konsultationen gegeben hat.Nun noch ein Wort zu den Grundproblemen, die auch bei dem Etat des Innenministeriums angeschnitten werden sollten. Wenn wir nämlich die Auseinandersetzung der parlamentarischen Demokratie mit den sie bedrohenden Kräften, die es immer geben wird, führen wollen, dann müssen wir auch den Beweis liefern, daß diese parlamentarische Demokratie die ihr gestellten Probleme lösen kann. Das, was wir im Augenblick im Zusammenhang mit der sogenannten Finanzreform erleben, ist nicht gerade geeignet, das Vertrauen der Bürger in die Funktionsfähigkeit der Einrichtungen dieses Staates und in die Überzeugungskraft der führenden Männer in dieser Regierung zu stärken.
Ich muß offen sagen, ich habe gerade beim Innenministerium seit 1966 vermißt, daß es unter den Vorzeichen der Großen Koalition angesichts der wirklich breiten Mehrheit, über die Sie in diesem Hause verfügen, nicht eine umfassende Verfassungskonzeption entwickelt hat, die es uns bei dieser Mehrheit — in diesen Fällen sogar mit Unterstützung der Opposition — ermöglicht hätte, das Grundgesetz auf seine Funktionsfähigkeit zu überprüfen.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969 12187
GenscherHier ist ohne Zweifel ein Versäumnis vorhanden. Unsere Kritik, die sich in dieser Phase heute gegen den Bundesinnenminister Benda zu richten hat, kann sich natürlich nicht nur an ihn allein richten. Er ist, wenn Sie so wollen, wenn er die Verfassungspolitik seines Hauses seit 1966 zu vertreten hat, im wahrsten Sinne des Wortes ein „Lücke-Büßer". Er muß hier die Verantwortung für das mitttragen, was vor ihm war. Sie, Herr Kollege Lücke, haben als Bundesinnenminister, wie mir scheint, zu viel Aufmerksamkeit auf andere Fragen verschwendet — die dann am Ende auch zu Ihrem Rücktritt geführt haben —, aber zu wenig auf die eigentlichen Grundprobleme unserer Verfassung.
Theodor Heuss hat im Parlamentarischen Rat den Vorschlag unterbreitet, daß man schon nach zehn Jahren das Grundgesetz mit einfacher Mehrheit überprüfen sollte. Inzwischen sind zwanzig Jahre vergangen. Es wäre Zeit, daß wir in die große Verfassungsdiskussion eintreten, und ich bin sehr froh, daß heute Kollegen aller Fraktionen diesem Gedanken gegenüber aufgeschlossen sind, daß sie bereit sind, diese Frage ernsthaft zu erörtern. Wir möchten, daß auch durch die Diskussionen im bevorstehenden Bundestagswahlkampf in unserem Volk das Gefühl stärken, daß sich die demokratischen Kräfte um die Funktionsfähigkeit unseres Staates Sorgen machen und daß sie jene Reformen ernst nehmen, die unbedingt erforderlich sind. Wir wünschen, daß der kommende Bundestag wirklich in der Lage sein wird, die erforderlichen Reformen in diesem Staat durchzuführen; denn es sind doch ganz bedrohliche Erscheinungen vorhanden, die auch den Bundesinnenminister mit Besorgnis erfüllen sollten.Ich habe schon in einem anderen Zusammenhang auf das Problem der „grauen Zonen" zwischen Bund und Ländern hingewiesen, der Gebiete, die durch Konferenzen aller Art der parlamentarischen Kontrolle von Bund und Ländern entzogen sind. Mit Ihrer Finanzreform wollten Sie die Gemeinschaftsaufgaben hinzufügen. Denken Sie also auch an das Institut der konzertierten Aktion, das bis zu einem gewissen Grade gesetzlich begründet ist, das heute aber ausgeweitet wird, da es Ausschüsse über Gesetzgebungsfragen gibt, in denen man sich über Lohnfortzahlung und Vermögensbildung unterhält, obwohl das im Gesetz nicht vorgesehen ist. Hier werden im Grunde im vorparlamentarischen Raum nahezu verbindliche Entscheidungen für dieses Haus gefällt werden, die Sie dann nur noch, wenn ich so sagen darf, als Parlamentsnotare zu ratifizieren haben. Das ist eine Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie und eine Aushöhlung der Funktionen dieses Parlaments. Hier genügt es nicht, nur kritisch zuzusehen; hier muß man rechtzeitig die Grenzen aufzeichnen, wenn es nicht dazu kommen soll, daß wir durch die Hintertür eine Art Ständestaat einführen, von dem das Grundgesetz 1949 Gott sei Dank Abstand genommen hat.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schulte?
Bitte schön.
Herr Kollege Genscher, ist Ihnen nicht klar, daß auch in früheren Jahren Referentenentwürfe auf diese Weise zustande gekommen sind? Sind Sie da anderer Auffassung? Hat diese Gefahr nicht auch früher bestanden, und ist es nicht ein Grundübel überhaupt?
Herr Kollege Schulte, es ist ein Unterschied, ob die Regierung, was verständlich ist — auch die Fraktionen tun dies —, bestimmte Probleme mit den Verbänden, mit den Betroffenen erörtert, oder aber ob eine Institution geschaffen wird, die zu einem Kartell der Mächtigen wird, nämlich der mächtigen Verbände, die praktisch die Vorentscheidungen treffen. Die konzertierte Aktion ist mehr als eine Ad-hoc-Konsultation zu einer bestimmten Frage; sie ist eine ständige Einrichtung.
Eine weitere Zwischenfrage.
Muß ich Sie so verstehen, Herr Kollege Genscher, daß es Ihnen lieber wäre, wenn die Ministerien dann mit den Verbänden die Referentenentwürfe vorbereiten?
Herr Kollege, hier muß ich Ihnen sagen: Mir ist vor allen Dingen gar nicht lieb, daß die Verbände die Referentenentwürfe früher bekommen als das Parlament.
Das wäre für mich übrigens einer der ersten Schritte zur Parlamentsreform
und zur Reform des Verhältnisses der Regierung zum Parlament. Dabei möchte ich hier fairerweise sagen, daß das eine der wenigen schlechten Sachen ist, die nicht „Errungenschaft" der Großen Koalition sind.
Eine weitere Frage, Herr Kollege.
Glauben Sie denn nicht auch mit mir, daß wir diesem Übel nur dadurch abhelfen können, daß wir dieses Haus in den Stand setzen, in einem viel stärkerem Maße vom Initiativrecht Gebrauch zu machen?
Herr Kollege, in dieser Frage stimmen wir völlig überein. Gerade dieses Initiativrecht des Hauses wird aber noch zunehmend erschwert, wenn die politischen Vorentscheidungen in ständestaatlichen Gremien der Art, wie die konzertierte Aktion nun einmal eines ist, fielen, nicht legitimiert, nicht kontrolliert.
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12188 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969
GenscherIch sage noch einmal — damit wir uns da gar nicht mißverstehen —: ich meine die konzertierte Aktion, soweit sie sich selbst Aufgaben zuweist, die über die Aufgabenstellung, wie wir sie im Stabilitätsgesetz gedacht haben, hinausgehen.
Bitte schön, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen.
Herr Kollege Genscher, damit es uns plastisch wird: Können Sie uns sagen, an welchem Punkt sich die konzertierte Aktion Aufgaben zugewiesen hat, bei denen Sie verfassungsrechtliche Bedenken haben? Ich frage das, damit wir alle aus Ihren Ausführungen profitieren können.
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, ich habe schon zwei Beispiele genannt: Die konzertierte Aktion befaßt sich mit Fragen der Vermögensbildung, und sie befaßt sich mit Fragen der Lohnfortzahlung. Das hat mit ihrer Aufgabenstellung überhaupt nichts zu tun; das ist eine reine Frage der Gesetzgebung dieses Hauses. Diese Gefahr besteht einfach.
Wir sind ja erst am Anfang dieser gefährlichen Entwicklung des Systems der Kreise und Räte; Ihren Kreßbronner Kreis meine ich jetzt gar nicht. Da tun sich viele Institutionen auf, die am Ende unsere Handlungsfähigkeit in diesem Hause einschnüren. Das wissen Sie, meine Damen und Herren, doch selbst. Sie erinnern sich an die Beratungen des Finanzänderungsgesetzes; da haben Sie alle hier mit schlechtem Gefühl und eigentlich ohne Kenntnis der gesamten Auswirkungen ein Sammelgesetz verabschiedet, das ebenfalls vorher unter verschiedenen Gesichtspunkten ausgehandelt war.
Dieser Gesetzgebungsvorgang war eine wirkliche
Krise des Parlamentarismus; das wissen wir heute.
Eine weitere Frage.
Halten Sie es wirklich für bedenklich, daß es eine Gesprächsrunde bestimmter Partner gibt, in der versucht wird, eine gemeinsame Meinung zu wichtigen anstehenden gesetzgeberische Maßnahmen zu erarbeiten?
Herr Kollege, die Sozialpartner wiederum sind nun nicht mit der konzertierten Aktion zu verwechseln.
Die Sozialpartner sind eine Einrichtung, die wir als Liberale gerade als Träger der Tarifhoheit in besonderem Maße bejahen.
— Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, wir tun ja alles, um die Sozialpartner in ihrer Funktionsfähigkeit zu erhalten.
Das ist' z. B. der Grund dafür, warum wir Ihre Vorstellungen zur qualifizierten Mitbestimmung ablehnen. Wir meinen nämlich, daß der Sozialpartner auf der Arbeitnehmerseite durch Ihre Vorstellungen zunehmend die Möglichkeit verlieren wird, die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten.
Würden Sie eine weitere Frage zulassen?
Herr Kollege Genscher, dann kann ich das doch nur so verstehen, daß Sie der Meinung sind, die Gewerkschaften würden die Interessen der Arbeitnehmer nicht vertreten. Oder wie soll ich das anders verstehen?
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, die deutschen Gewerkschaften befinden sich bei ihrer Forderung nach Mitbestimmung aus unserer Sicht wirklich auf einem Irrweg, und es ist sicher kein Zufall, daß sehr viele freie Gewerkschaften in aller Welt diesen Weg auch für falsch halten.
Der Herr Bundesminister — das möchte ich an dieser Stelle gleich hinzufügen — hat unlängst bei seiner sehr eindrucksvollen Rede zur Europapolitik Klage darüber geführt, daß wir mit der Europäischen Handelsgesellschaft in Brüssel nicht weiterkommen. Er hat als Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei natürlich verschwiegen, warum das so ist. Wir brauchen diese Europäische Handelsgesellschaft dringend, damit wir endlich in Europa auch übernationale Unternehmenseinheiten schaffen können, die uns konkurrenzfähig auf dem Weltmarkt machen. Daß es aber nicht dazu kommt, liegt daran, daß eine Einigung über das Mitbestimmungsrecht in dieser Europäischen Handelsgesellschaft kaum möglich erscheint, weil die Vorstellungen auch der Gewerkschaften in den anderen Ländern der EWG grundsätzlich von denen der deutschen Gewerkschaften abweichen.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969 12189
GenscherSie können, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, das Modell einer Europäischen Handelsgesellschaft natürlich sofort haben, wenn man vorsieht, daß sich das Recht der Betriebsverfassung nach dem Sitz der Gesellschaft richtet. Das würde allerdings dazu führen, daß wir in der EWG ein Investitonsgefälle weg von der Bundesrepublik bekämen. Das wäre das Ende unserer Strukturpolitik und würde zu einem Verlust von Arbeitsplätzen in unserem Land führen.
Das ist nämlich der Grund dafür gewesen, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, warum Ihr Parteifreund — so sagt man jetzt bei Ihnen —, Herr Kollege Schiller, auf Ihrem Parteitag gegen die Beschlüsse Ihrer Partei gestimmt hat, weil er aus subtiler Kenntnis seines Ressorts diese Gefahr für die Strukturpolitik auf dem Gebiet der Bundesrepublik. Deutschland sieht.
Gestatten Sie eine Frage von Herrn Westphal?
Herr Genscher, sind Sie denn, was die qualifizierte Mitbestimmung betrifft, nicht der Meinung, daß man eigentlich den anderen Ländern den Vorschlag machen könnte, sie sollten schnellstens das nachholen, was wir hier längst praktizieren?
Denken Sie doch bitte mal an den enormen Aufschwung der deutschen Stahlindustrie, die seit dem Jahre 1952 eine mitbestimmte Industrie ist!
Herr Kollege Westphal, Sie können wirklich nicht verlangen, daß unsere Partnerländer in der EWG nun jeden Fehler, den wir machen, nachvollziehen.
Mir scheint die Entwicklung in den mitbestimmten Industrien alles andere als eine Empfehlung für die Einführung der qualifizierten Mitbestimmung auch in anderen Industriezweigen zu sein.
Sie haben ja einen Wahlkreis im Ruhrgebiet.
Sie wissen doch, wer dort die Strukturpolitik aufgehalten hat. Es wäre ungerecht zu sagen, daß das nur die Bergassessoren waren. Das waren doch auch diejenigen, die Angst davor hatten, daß zu viele Mitglieder der IG Bergbau zur IG Metall übertreten.
— Ja, Herr Kollege, ich würde das mit großem Vergnügen tun, wenn nicht durch meine Ausführungen
das Informationsbedürfnis ,der sozialdemokratischen
Kollegen zur Mitbestimmung in so starkem Maße geweckt worden wäre. — Schon wieder ist ein Kollege da.
Würden Sie zunächst eine Frage des Kollegen Zoglmann beantworten?
Ja.
Herr Kollege Genscher, würden Sie dem Kollegen aus 'dem Ruhrgebiet vielleicht den Rat geben, sich bei Herrn Sohl oder bei den Kollegen, die im DGB sitzen und Aufsichtsratsmitglieder in den Stahlgesellschaften sind, Auskunft über die tatsächliche Situation in der Stahlindustrie an der Ruhr geben zu lassen, um nicht hier den Eindruck zu erwecken, als ob sie im Geld schwimmen; denn sie wollen ja dauernd von uns Geld halben.
Herr Zoglmann, diese Ermahnung ist wirklich berechtigt; denn man muß ja bei allen diesen Problemen sehr genau prüfen, ob nicht aus einer alten Forderung nach Sozialisierung der Gewinne allmählich die Sozialisierung der Verluste geworden ist.
Ich komme nunmehr gern zu meinen Abschlußausführungen zur Verfassungspolitik zurück. Ich glaube, die Große Koalition und ihre Innenminister haben eine Chance vertan, den großen Wurf für eine Neufassung des Grundgesetzes diesem Hause vorzulegen, sowohl was das Verhältnis Bund—Länder angeht, als auch was die Frage angeht, ob wir nicht in diesem Staat der Möglichkeit der Einwirkung der Bürger auf diesen Staat mehr Raum geben könnten.
Die Bundesregierung hat auch bei der Regelung ihres ureigenen Problems versagt, bei der Frage der Kabinettsreform. Kabinettsreform war eine der Hauptankündigungen am Beginn der Großen Koalition. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, der gestrige Tag hat ihn gebracht: die Große Koalition, so schwer sie auf unserem Volk lastet, gewogen ist sie zu leicht befunden.
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wiederum möchte ich einen großen Teil der Ausführungen von Herrn Kollegen Genscher ausklammern; ich nehme an, daß Herr Kollege Dichgans, der sich gemeldet hat, wenn ich richtig unterrichtet bin, auch zu den verfassungspolitischen Fragen Stellung nehmen wird. Vielleicht gibt es nachher dann Gelegenheit, sich zu diesem Komplex noch einmal zu äußern.Ich komme für ein paar Minuten auf das Thema NPD-Verbot und auf das zurück, was Sie, Herr Kollege Genscher, zum Thema DKP gesagt haben. Ich muß noch eine Vorbemerkung machen. Wir beide sind von Beruf Anwälte. In Sachen NPD-Verbot be-
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12190 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969
Bundesminister Bendafinde ich mich ungefähr in der Rolle eines Anwalts, der seinem Mandanten, in diesem Falle der Bundesregierung, einen Vorschlag zu machen und zu sagen hat, ob und warum sie einen Prozeß führen soll oder nicht. Ich unterstelle niemandem in diesem Hause, daß er der Anwalt der Gegenseite sei. Aber da wir öffentlich tagen, hört der Anwalt der Gegenseite natürlich mit. Das macht es mir selbstverständlich unmöglich — wenn ich nicht ganz töricht handeln will —, hier im einzelnen meine rechtlichen und politischen Überlegungen darzulegen, und das erschwert, wie ich zugebe, auch den Mitgliedern dieses Hohen Hauses die Diskussion in den Details; ich kann natürlich nicht unterstellen — weil das nicht der Fall ist —, daß jedermann im einzelnen meine Unterlagen überhaupt kennt. Ich muß also dieses Thema ausklammern. Ich kann nur — und das war der Grund, warum ich mich noch einmal gemeldet habe — mich noch einmal kurz zu Ihren grundsätzlichen Ausführungen äußern.Ich weiß genauso gut wie Sie, Herr Kollege Genscher, daß ein Verbot, wenn es ausgesprochen wird, eine in der Bevölkerung vorhandene Grundstimmung nicht beseitigen kann. Das ist völlig klar. Ich würde mich sehr mißverstanden fühlen, wenn mir die Auffassung unterstellt würde, ein rechtliches Verfahren nach Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes würde die politische Auseinandersetzung in irgendeiner Weise überflüssig machen. Davon kann selbstverständlich überhaupt keine Rede sein. Im übrigen wird, wie immer und wann immer die Bundesregierung in dieser Frage entscheidet, selbstverständlich genau das eintreten — und ich begrüße das —, was Sie gefordert haben: daß der Wähler — der mündige Wähler, den auch ich für reif genug halte, in dieser Frage seine Meinung sich nicht nur zu bilden, sondern durch seine Wahlentscheidung auch zum Ausdruck zu bringen — sich am 28. September dieses Jahres nicht nur in Sachen der hier im Hohen Hause vertretenen Parteien, sondern auch in Sachen NPD äußert, und ich hoffe mit Ihnen, daß dies in einer eindeutigen und klaren Weise erfolgt. Darüber gibt es überhaupt keine Meinungsverschiedenheit. Ich glaube, daß, wer eine Alternative zwischen der Notwendigkeit der politischen Auseinandersetzung und der Frage des Verbots herstellt, die Fragestellung von vornherein falsch nimmt. Ich glaube, Herr Kollege Genscher, Sie müßten sich doch mehr, als Sie es soeben getan haben, mit meiner Argumentation auseinandersetzen, daß es nicht in unserem Belieben steht, darüber zu entscheiden, ob das in Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes zur Verfügung gestellte Instrument anzuwenden ist oder nicht. Eine Interpretation dahin gehend, daß, wie immer die Details liegen mögen, nur das Mittel der politischen Auseinandersetzung in Frage komme und daß die rechtliche Möglichkeit der Anwendung der Verbotsbestimmung auszuscheiden habe, berücksichtigt nicht gebührend den Grundgedanken des Art. 21 des Grundgesetzes.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Genscher? — Bitte.
Herr Bundesminister, Sie werden mir zugeben, daß meine Formulierung „äußerstes Mittel" schon deutlich macht, daß ich sie nicht grundsätzlich ausschließe.
Das habe ich gehört, Herr Genscher, und damit habe ich mich vorhin beschäftigt. Ich glaube aber, daß es falsch ist, zu sagen: als äußerstes Mittel. Ich habe das vorhin begründet und möchte das jetzt nicht wiederholen, um die Beratung nicht aufzuhalten. Ich gebe Ihnen zu, daß zwischen dem „zu früh" und „zu spät" die Entscheidung sehr, sehr schwierig ist.
— Ja.Die historische Parallele, die hier vorhin von Herrn Schulze-Vorberg gezogen worden ist, halte ich für problematisch. Ich stimme dein zu, was Sie gesagt haben, Herr Hermsdorf. Aber damals wie heute — ohne daß ich die historische Situation vergleichen will; sie ist glücklicherweise nicht vergleichbar — stellt sich die Frage — Herr Schmitt-Vockenhausen hat recht: das ist eben Teil der ständigen politischen Auseinandersetzung —: Wann ist der richtige Zeitpunkt? In dieser Frage kann es nicht nur ein „zu früh", sondern könnte es auch .ein „zu spät" geben. Das ist das Thema, mit dem man sich hier auseinanderzusetzen hat.Sie haben im Zusammenhang mit der NPD eine konkrete Frage an mich gerichtet. Ich will versuchen, sie zu beantworten. Herr Genscher, Sie haben gefragt, ob die Mitteilung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin zutreffe, daß die Bundesregierung vor dem Berliner Schritt konsultiert worden sei, und welches Ergebnis diese Konsultation gehabt habe. Als der zuständige Ressortminister kann ich nur sagen, daß mit mir keine Verbindung aufgenommen worden ist.
Ich bin also wie jeder von uns hier durch die Zeitung und durch den dpa-Fernschreiber erstmalig informiert worden. In den letzten Tagen habe ich mich bemüht, bei den anderen Ressorts und beim Bundeskanzleramt festzustellen, ob jemand anders „konsultiert" worden ist, soweit dieser Begriff überhaupt technisch zutreffend ist. Bisher ist das Ergebnis meiner Bemühungen negativ. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß es der Fall wäre, weil das zuständige Ministerium, nämlich mein eigenes Haus, dann ja wohl beteiligt worden wäre. Ich bedaure, Ihnen nicht mehr sagen zu können. Soweit es mein eigenes Haus angeht, ist damit wohl die Frage beantwortet. Für die anderen muß ich das mit einem Vorbehalt versehen, weil ich selbstverständlich nicht jeden einzelnen habe fragen können und keine Gelegenheit gehabt habe, die Frage im Bundeskabinett zu stellen. Aber ich vermute, daß es so ist, wie ich das meine.Schließlich ein letzter Punkt, bei dem mir ebenfalls an einer Klarstellung liegt. Herr Kollege Genscher, Sie haben die Frage aufgeworfen, warum die Bundesregierung die DPK dulde. Meine Antwort lautet:
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Bundesminister Bendadie Bundesregierung duldet nicht die DKP. Die DKP ist am 26. September des vergangenen Jahres gegründet worden. Jedenfalls hat sie an diesem Tag der Öffentlichkeit ihre Gründung mitgeteilt; das aktuelle Datum mag zwei, drei Tage vorher gelegen haben. Es handelt sich um eine neue Partei, die im Prinzip wie jede andere Partei nach den Bestimmungen des Grundgesetzes frei gebildet werden kann. Natürlich wird unter rechtlichen Gesichtspunkten die Frage aufgeworfen, ob diese „Deutsche Kommunistische Partei", wie sie sich nennt, nicht eine Nachfolgeoder eine Ersatzorganisation der durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts verbotenen Kommunistischen Partei ist.
— Ich gebe Ihnen gleich Gelegenheit, möchte aber gern meine zusammenfassende Darstellung zunächst zu Ende führen.Selbstverständlich haben die zuständigen Stellen der Bundesregierung, insbesondere mein Haus, alle Veranlassung gehabt, seit dem 26. September diese Frage zu stellen und sie zu beantworten. Auch hier gibt es eine Frage des „zu früh", nicht im Sinne irgendwelcher politischer Opportunitätserwägungen; denn natürlich benötigt man Material. Mittlerweile gibt es eine Fülle von Informationen, die nach meiner Auffassung die Bundesregierung in die Lage versetzen, sich in dieser von Ihnen gestellten Frage eine Meinung zu bilden. Schon in der vorhin erwähnten Sitzung des Bundeskabinetts am 18. Dezember habe ich nicht nur die Frage des Rechtsradikalismus, sondern auch die Frage radikaler Tendenzen auf der linken Seite aufgeworfen und darüber dem Kabinett sehr ausführlich vorgetragen. Mittlerweile habe ich auf Ersuchen des Kabinetts, das in dieser Sitzung ausgesprochen worden ist, in dem von Ihnen speziell erwähnten Thema und in einer Reihe von anderen Sachpunkten dem Bundeskabinett schriftlich Unterlagen zugeleitet, und ich hoffe, daß sie genauso wie das Thema NPD, zu dem ich ebenfalls dem Kabinett Material zugeleitet habe, in naher Zukunft vom Bundeskabinett behandelt werden. Dies ist der Stand des Verfahrens. — Jetzt können Sie gern Ihre Frage stellen.
Gestatten Sie jetzt eine Frage?
Bitte schön!
Um jedes Mißverständnis auszuschließen, frage ich Sie, Herr Bundesminister: Würden Sie mir darin zustimmen, daß ich mich in meiner Rede nicht etwa gegen die Tätigkeit dieser Partei ausgesprochen habe, sondern daß es mir darum ging, für das Problem früher einmal verboten gewesener Parteien einen sauberen Lösungsweg zu finden, nämlich durch die Aufhebung auch von Parteiverboten?
Ich nehme diese Interpretation gern zur Kenntnis.
Niemand kann besser sagen als Sie selber, Herr Genscher, welcher Meinung Sie sind. Es kommt also gar nicht so sehr darauf an, wie ich das gehört habe. Ich glaube aber auch gar nicht, daß ein Mißverständnis entstanden ist.
Zu diesem speziellen verfassungspolitischen Punkt darf ich als letztes noch eben folgendes sagen. Ich stimme Ihnen gern zu, Herr Genscher — ich habe das bei einer Gelegenheit vor drei oder vier Monaten auch einmal öffentlich gesagt, in Hamburg auf einer Veranstaltung vor dem Überseeclub —, daß man darüber nachdenken und reden kann und vielleicht auch sollte, ob das gegenwärtig prinzipiell mit Ewigkeitswirkung belegte Verbotsurteil des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 21 Abs. 2 GG nicht anders beurteilt werden könnte. Ich drücke das bewußt sehr zurückhaltend und sehr vorsichtig aus, weil dahinter eine Fülle von schwierigen Fragen steckt. Ich bin aber mit Ihnen der Meinung, daß man darüber reden sollte und daß hier wirklich eine Frage vor uns steht. Ich meine auch, daß man schon sauber nicht nur einerseits differenzieren, sondern andererseits auch gleichbehandeln sollte. Meine Erwägungen in Sachen NPD hängen auch mit dem Umstand zusammen, daß es Verbotsverfahren und -urteile gegen Parteien gibt, die nach gegenwärtiger Rechtslage rechtlichen Bestand haben und Bestand haben müssen nach der verfassungsrechtlichen Situation, wie sie heute ist. Vielleicht ist dies ein Argument, das in dem Gesamtkomplex auch eine gewisse Rolle spielen könnte.
Das Wort hat jetzt Herr Kollege Dr. Dichgans.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Freitagmittag um halb eins, das ist die klassische Zeit, in der sich der Bundestag mit den Problemen der Zukunft befaßt: unter Zeitdruck und mit einem nicht übermäßig gut besetzten Hause. Ich werde es kurz machen.Wenn man die Frage stellt, ob unser heutiges System der Verfassung und Regierung noch den Bedürfnissen unseres Staates, unserer heutigen Gesellschaft entspricht, so hört man eigentlich niemals eine bejahende Antwort. Aber die Einstellung, auch hier im Hause, geht meist in eine Richtung, die der Kollege Helmut Schmidt gestern hier beschrieben hat. Er hat gesagt: Wenn es uns nicht einmal gelingt, die Finanzverfassungsreform in einer Miniform zu verwirklichen, lohnt es sich dann überhaupt, größere Projekte in Angriff zu nehmen? Das ist eine sehr ernste Frage. Aber ich möchte sie anders beantworten als der Kollege Schmidt. Ich glaube, die großen Konzeptionen haben viel größere Chancen als kleine Vorstöße, die schwerlich unseren Wählern, in vielen Fällen nicht einmal den Nichtfachleuten dieses Hauses, verständlich zu machen sind. Wie sehr große politische Fragen unsere Wähler bewegen, haben wir ja immer wieder erlebt, etwa bei der Debatte über den Notstand. Wenn wir einmal mutig das Gesamtsystem unserer Verfassung zur
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DichgansDiskussion stellten, würden wir uns 'über die positive Reaktion unserer Bürger, insbesondere unserer jungen Bürger, erfreut wundern.Meine Damen und Herren! Den Pessimisten in diesem Hause möchte ich als Ferienlektüre Mommsens „Römische Geschichte" empfehlen. Sie lesen in diesem Buch, wie oft im alten Rom die Volkstribunen Anläufe machen mußten, ehe sie zum Erfolg kamen. Wir sollten das, was wir einleiten, nicht immer nur unter dem Aspekt sehen, ob wir nun sofort einen vollen Erfolg erwarten dürfen, sondern wir sollten anfangen. Steter Tropfen höhlt den Stein. Was im ersten Anlauf nicht gelingt, wird in späteren Vorstößen verwirklicht.Meine Damen und Herren, befürchten Sie nichts: ich werde Ihnen bei dieser vorgerückten Stunde keinen Vortrag über ,die Sachprobleme der Verfassungsreform halten. Wir kennen diese Probleme ja alle. Wir müssen dafür sorgen, daß Fragen, die bundeseinheitlich entschieden werden müssen, in einem wirksamen Verfahren — das braucht nicht die Übernahme auf den Bund zu sein — auch rationell entschieden werden. Wir müssen ferner dafür sorgen, daß die Verantwortung dieses Parlaments, die Verantwortung der Bundestagsabgeordneten, auf den Bereich begrenzt wird, den der Einzelne wirklich übersehen kann.Nunmehr wende ich mich an den Herrn Bundesinnenminister. Diese Fragen kann ein einzelner Abgeordneter nicht vorwärtstreiben. Um diese Fragen zu fördern, braucht man einen Apparat, den wir nicht haben, den aber Sie haben. Ich weiß, wie schwierig das ist, und ich habe auch Verständnis für die Bedenken des Innenministers, sich nun mit diesem oder jenem Vorschlag an die Öffentlichkeit zu wagen. Ich möchte Sie aber fragen, Herr Minister, ob es nicht doch nützlich wäre, daß Sie in einem Weißbuch die Möglichkeiten der Verfassungsreform nebeneinanderstellen, jeweils mit den Konsequenzen der verschiedenen Alternativen, möglichst auf Grund einer Fühlungnahme mit den Experten des vergleichenden Staatsrechts, damit wir, wenn die Diskussion wirklich in Gang kommt, ein solides Arbeitsmaterial haben. Ich meine, Herr Minister, dies Material sollte etwa im November dieses Jahres für die nächste Bundesregierung, für den nächsten Bundestag, verfügbar sein. Wir sollten dann im nächsten Winter hier in diesem Saale eine umfassende Debatte über Verfassungsreform führen. Ich habe mich gefreut festzustellen, daß dieser Gedanke, der schon einmal erörtert worden ist, die Zustimmung der Kollegen Hirsch und Genscher gefunden hat. Wir sollten uns einige Tage, notfalls einige Wochen Zeit nehmen, unter Beteiligung der Ministerpräsidenten, vielleicht mit eingeschobenen öffentlichen Anhörungen, das Problem einmal ganz breit zu diskutieren. Im kommenden Winter werden wir — diejenigen von uns, die noch bei uns sind — die Zeit haben werden, uns mit diesen Dingen zu befassen, weil die Ausschüsse ja im Anfang einer Legislaturperiode nicht sehr viel Material liefern.Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen noch einen anderen Gedanken nahebringen. Vor einigen Tagen halbe ich von einem Experten für das Grundgesetz, der einen Kommentar darüber geschrieben hat, gelernt, daß die verfassungsgebende Kompetenz unseres Volkes ständig weiterwirkt, auch jetzt, und daß wir, dieser Bundestag, das Recht haben, durch ein einfaches Gesetz, ein Gesetz, das nicht einmal der Zustimmung des Bundesrates bedarf, den nächsten Bundestag zugleich zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung zu erklären — ich freue mich, einige Kollegen nicken zu sehen — mit der Rechtsfolge, daß ein Bundestag, der auf Grund eines so veränderten Wahlgesetzes gewählt wird, eine neue Verfassung ausarbeiten könnte, die nur der Bestätigung durch das Volk bedürfte. Die meisten von Ihnen werden ebenso überrascht gewesen sein, wie ich es gewesen bin.
Würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Moersch erlauben?
Herr Kollege Dichgans, können Sie mir bei dem Gedanken zustimmen, daß eine solche Wahl ihrem Inhalt nach ausdrücklich schon vorher bekanntgegeben werden muß, daß also nicht erst nach der Wahl des Bundestages diese Umgestaltung in eine verfassunggebende Versammlung eintreten kann, und daß zweitens die Länderparlamente in angemessener Form an dieser verfassunggebenden Versammlung — etwa durch die Zuwahl von entsprechenden Delegierten — beteiligt sein müssen, weil ja der förderalistische Aufbau dieses Staates eine Grundlage unserer Überlegungen sein muß.
Herr Kollege Moersch, ich möchte jetzt nicht mehr in die juristischen Details gehen, zumal ich darin dem Herrn Bundesinnenminister die Vorhand lassen möchte. Ich stimme Ihnen aber in folgendem zu. Der neue Bundestag kann diese zusätzliche Kompetenz nur haben, wenn das im Wahlgesetz für diesen Bundestag ausdrücklich steht. Wenn Sie das interessiert, will ich gern versuchen, das einmal mit fachmänn'i'scher Hilfe zu Papier zu bringen. Vielleicht können wir dann noch in diesem Bundestag einen entsprechenden Initiativentwurf von allen Parteien einbringen und diskutieren, um die Debatte in Gang zu 'bringen.
— Soviel zur Verfassungsreform.
Nun noch einige Worte zur Verwaltungsreform. Auch diese Frage ist heute morgen kurz angesprochen worden. Unser Verwaltungssystem stammt im Prinzip bekanntlich aus der Zeit Friedrich Wilhelms I. Es ist also 250 Jahre alt. Damals wurde eine Militärverwaltung mit zivilen Aufgaben betraut. Das hat im ganzen gar nicht schlecht funktioniert. Zuweilen hat man den Eindruck, daß das Tabakskollegium Friedrich Wilhelms I. durchaus effizient war; aber trotzdem stellen sich doch Fragen: Ist es wirklich sinnvoll, daß wir 21 Ministerien haben? Ist es sinnvoll, daß die Angelegenheiten des Veterinärwesens gleich bei drei Bundes-Ministerien behandelt werden?
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DichgansNun ergibt sich natürlich die Frage: Wie kann man das ändern? Auch hier habe ich wieder Verständnis für die Bedenken, daß sich der Bundesinnenminister, der eine Art Organisationsminister ist, nicht allzuweit vorwagen sollte. Aber, Herr Minister, sollten Sie nicht für die kommende Bundesregierung, wie immer sie aussieht, ein Weißbuch — verfügbar also im Oktober dieses Jahres — vorbereiten, das die Problematik offenlegt? Wir erleben ja immer wieder folgendes: Zunächst wird im Trubel der Neubildung einer Regierung alles so übernommen, wie es bisher gewesen ist. Hinterher sagt man dann: Jetzt können wir nichts mehr ändern. Man sollte also in dem Augenblick, wo die Regierung gebildet wird, Herr Minister, allen Beteiligten Material in die Hand geben. Ich könnte mir denken, daß darin einige Vorschläge sind, die sich durch das Gewicht der Argumente rasch durchsetzen lassen.Aber damit ist es nicht genug. Wir müssen uns, Herr Minister, allgemein überlegen, ob wir nicht die modernen Methoden der Verwaltung stärker zur Geltung bringen können. Haben wir von der Tatsache, daß die Elektronik erfunden wurde, wirklich ernsthaft Kenntnis genommen? Sollten wir uns nicht überlegen, ob es möglich wäre, z. B. alle laufenden Zahlungen an Staatsbürger grundsätzlich nur einmal monatlich in einem Zahlungsvorgang zusammenzufassen? Das machen die Computer spielend. Es scheitert bisher lediglich an den Zuständigkeiten, die von den jeweiligen Ressorts erbittert verteidigt werden!Ich möchte mich den freundlichen Worten des Kollegen Bremer anschließen, der heute morgen schon die Arbeit der Planungsabteilung des Bundeskanzleramts gelobt hat. Sie liegt technisch ja wohl in Ihrem Hause, Herr Minister. Ich möchte vorschlagen: Können Sie nicht einmal gelegentlich für interessierte Bundestagsabgeordnete eine Führung durch die Planungsabteilung arrangieren? Das ist nämlich eine hochinterssante Sache. Dort sitzt in einem großen Saal der Ministerialdirektor mit seinen Referenten, seinen Schreibkräften, mit Vervielfältigungsanlagen, mit großen Wandkarten. Ich habe das Gefühl, daß diese Planungsabteilung eine der modernsten Einzeleinrichtungen dieser Art ist, die es in der Bundesrepublik gibt.Meine Damen und Herren, ich hatte eigentlich vor, jetzt noch etwas zu der Frage der Beamten zu saden *). Sie wissen, daß Bismarck einmal formuliert hat: Gute Beamte sind wichtiger als gute Gesetze. Das ist eine Meinung, die ich voll teile. — Ich füge mich jedoch dem Druck der Zeit und bitte um Ihr Einverständnis, daß ich das, was ich dazu sagen wollte, zu Protokoll gebe; ich habe es vorsorglich aufgeschrieben.
Das Wort hat jetzt Herr Picard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte ausdrücklich be-*) Siehe Anlage 7grüßen, daß wir uns in der zweiten Lesung Gelegenheit nehmen, zu den einzelnen Etats nicht nur direkt etatbezogen zu sprechen. Ich möchte mir die Anregung erlauben, bei einer nächsten Etatberatung darüber nachzudenken, ob es nicht für dieses Hohe Haus tunlich und dienlich wäre, wenn wir uns etwas mehr Zeit ließen, um mit etwas mehr Ruhe dem nachzugehen, was wir hier glauben zu sagen zu haben. Das Thema, das Kollege Dichgans eben angeschnitten hat, kann z. B. nicht unter Zeitdruck zur Erörterung gestellt werden. So geht es auch mit anderen Themen.In der Innenpolitik haben wir es mit Fragen zu tun, die nur äußerst selten eine Ad-hoc-Entscheidung mit spektakulärem Erfolg erlauben. Ich halte das für gut. Ich halte es für gut, daß die Innenpolitik unter Minister Benda eine kontinuierliche Fortsetzung dessen ist, was unter Minister Lücke eingeleitet und zum Teil auch schon von seinem Vorgänger eingeleitet worden ist. Ich möchte insbesondere darauf verweisen, daß wir in der Beamtenpolitik und bezüglich der Reform der Verwaltung durchaus nicht in dem Zustand des Tabakskollegiums stehengeblieben sind. Vielmehr haben wir nicht nur Überlegungen angestellt, sondern auch eine gewisse Entwicklung eingeleitet. Daß diese Entwicklung nicht das befriedigende oder notwendige Tempo hat nehmen können, liegt an mancherlei; das wissen wir.In der Beratung heute morgen ist aber doch deutlich geworden, daß die Innenpolitik innerhalb der Großen Koalition nicht sehr kontrovers ist und der Diskussion keine erheblichen Angriffspunkte bietet. Die Opposition hat nicht viel mehr als lediglich den Rechts- und Linksradikalismus gefunden, um Kritik zu üben. Ich meine, wir sollten uns nicht an diesem Aufwertungsprozeß für Radikale beteiligen, den wir heute morgen hier erlebt haben.
Wir sollten das tun, was der Kollege Genscher von dieser Stelle aus sehr richtig gesagt hat, nämlich gemeinsam die entsprechenden politischen Handlungen durchzuführen und Entscheidungen treffen. Das sollte man natürlich gemeinsam tun.Lassen Sie mich noch etwas als Nachtrag oder als Anmerkung zur Innenpolitik sagen. Wir haben in diesem Hohen Hause mehrmals über den Einsatz z. B. von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen, von der Modernisierung im Bereich des Bundeskriminialamtes, überhaupt von dem Problem der inneren Sicherheit gesprochen. Ich glaube, daß unter der Leitung des Innenministers — und man kann wohl auch sagen: mit einer entsprechenden und wirksamen Unterstützung des Parlaments, insbesondere im Innenausschuß — eine ganze Menge geschehen ist, was dazu gedient hat, zu einer Beruhigung und tatsächlich zu einem größeren Gefühl der Sicherheit in unserer Bevölkerung beizutragen. Das muß einmal anerkannt werden.Dazu möchte ich noch nachtragen, daß auch die Auseinandersetzung innerhalb unserer Jugend über die Fragen des Staatsaufbaues, das Demokratiever-
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Picardständnis, die Möglichkeiten, in unserer Gesellschaft Einfluß zu nehmen, ständiger Gegenstand der Diskussion in der Bundeszentrale für politische Bildung gewesen sind, die doch eine weithin anerkannte Arbeit leistet, wenn ich das einmal sagen darf. Daß das nicht ohne Einfluß und ohne Richtlinien des Ministeriums geschieht, versteht sich von selber.Ich bin etwas erschrocken gewesen, meine Damen und Herren von der FDP, als ich vernommen habe, daß der Grund für die Ablehnung des Einzelplans 06 in einem unterschiedlichen Demokratieverständnis zwischen Ihnen und uns liege. Ich glaube mich nicht getäuscht zu haben; natürlich konnte ich das Protokoll bis jetzt nicht nachlesen. Aber es wurde zum Ausdruck gebracht, daß das Demokratieverständnis der Freien Demokraten nicht das des Ministers sei und daß auch das Verständnis der Freiheit nicht das des Ministers sei. Ich meine, daß wir in dieser Großen Koalition auf dem Boden des Demokratieverständnisses des Grundgesetzes und des Verständnisses von Freiheit, wie es im Grundgesetz zu finden ist, stehen und daß das auch der Minister tut. Ich glaube, das ist auch die Grundlage unserer innenpolitischen Bemühungen.Noch eine kurze Schlußbemerkung. Herr Kollege Genscher hat mit pathetisch klagendem Ton davon gesprochen, daß die Große Koalition auf unserem Volke lastet. Meine Damen und Herren von der FDP, verwechseln Sie sich bitte nicht mit unserem Volk!
Das Wort hat Herr Kollege Moersch!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Picard hat einige Fragen gestellt. Ich möchte sie Ihnen gern ganz direkt beantworten, Herr Kollege Picard. Sie haben nach dem Demokratieverständnis in der Auseinandersetzung mit Rechts- und Linksradikalen gefragt. Ich stelle Ihnen jetzt die Frage — und ich bitte Sie um Antwort darauf —, ob Sie es für richtig gehalten haben, Stimmen der NPD für die Wahl Ihres Kandidaten zum Bundespräsidenten anzunehmen. Haben Sie es für richtig gehalten, eine Auseinandersetzung über das Verbot der NPD zu führen und sich gleichzeitig nicht zu scheuen, diese Stimmen entgegenzunehmen?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Kollege Moersch, erinnern Sie sich bitte daran, in welchem Wahlverfahren die Bundespräsidentenwahl durchgeführt wurde. Soweit ich es erlebt habe, war das eine geheime Wahl. Woher beziehen Sie Ihre kühne Behauptung?
Diese Behauptung beziehe ich aus einem Interview Ihres geschäftsführenden Parteioeneralsekretärs vor der Wahl, in dem er erklärt hat, daß er diese Stimmen nicht ablehnen würde. Ich war der Meinung, daß Ihr Kandidat die Mehrheit abzüglich der 22 Stimmen der NPD auf jeden Fall braucht, nachdem sich die NPD entsprechend erklärt hatte. Meine Damen und Herren, wir werden diese Auseinandersetzung, wenn Sie wollen, hier gerne führen.
— Herr Schlager, ich komme gleich noch auf ein paar andere Punkte zurück.
Sie haben vorhin die Frage gestellt, wie es wohl kommt, daß ein Boden z. B. für solche extremistischen rechtsradikalen Gruppierungen vorhanden sei. Darauf kann ich Ihnen nur sagen, Herr Schlager: Lesen Sie mal regelmäßig den „Bayern-Kurier". Dann haben Sie die Antwort. Dort wird dieser Boden bereitet, und zwar durch eine Argumentation, die an die Gefühle appelliert und die nicht rational ist. Wenn es nicht gelingt, in unserem Volk rationale Argumente in politischen Auseinandersetzungen zu finden, sind diejenigen, die im politischen Kampf Methoden wie der „Bayern-Kurier" enwenden, in Wahrheit die Wegbereiter der NPD, sonst niemand!
— Herr Kollege Schlager, ich habe den Eindruck, daß es in dieser Republik Kräfte gibt, die sich nicht scheuen, im politischen Leben zu ihrer eigenen Machterhaltung auch einige Dinge loszulassen, die dann dazu führen, daß die extreme Linke ebenfalls hochkommt. Es ist ganz sicher, daß es auf der extremen Linken Kräfte gibt, die geradezu darauf warten, Anhaltspunkte und Argumente zu finden, mit denen sie beweisen können, daß in dieser Demokratie eine Reform nicht möglich ist. Mit dem Gerede vom Sonderrecht für Hochschulen, mit dem Gerede, daß man in elf Staatsverträgen ein Sonderrecht strafrechtlicher Art für Hochschulen schaffen könne,
und mit dem Offenbarungseid, den Sie sich bei der Finanzverfassungsreform und in der Frage der Kompetenz des Bundes für Hochschulen geleistet haben, haben Sie doch bewiesen, daß Sie zu Reformen in der Sache unfähig sind, sich aber zu gewaltigen Strafandrohungen durchaus fähig fühlen, ohne daß Sie diese Strafandrohungen nachher in die Tat umsetzen können.
Herr Abgeordneter, würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Kollegen Dr. Althammer zulassen?
Herr Kollege, da Sie sich hier zum Zensor über gewisse Presseverlautbarungen machen, frage ich Sie, ob es nicht eine Veröffentlichung der FDP war, die im letzten Bundestagswahlkampf zurückgezogen werden und neu gedruckt werden mußte, weil darin beleidigende und unwahre Behauptungen über Herrn Minister Strauß enthalten waren.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969 12195
Herr Kollege Althammer, die Leistungsfähigkeit der CDU im Wahlkampf 1957 auf diesem Gebiet kann von niemandem übertroffen werden.
— Das ist meine Antwort auf Ihre Frage. Es steht doch fest, daß hier nicht irrational argumentiert worden ist, sondern daß es hier um Fragen ging, die ein Gericht in einer einstweiligen Verfügung entschieden hat, und das haben wir respektiert.
Sie hatten aber ein ganz anderes Malheur. Ich erinnere an die Anzeigen in Hessen, die 1957 erschienen sind und einiges andere mehr. Wenn Sie das hier alles aufgezählt haben wollen — ich kann Ihnen das alles aus dem Kopf zitieren; ich habe ein sehr gutes Gedächtnis.
Herr Rasner, „glauben" heißt in diesem Falle
— auch wenn Sie bei der CDU sind — „nicht wissen".
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Picard?
Bitte schön, Herr Picard!
Herr Kollege Moersch, sollte es Ihnen wirklich entgangen sein, daß die Diskussion um ein Ordnungsrecht an den deutschen Hochschulen bei weitem nicht das beinhaltet, was Sie darunter eben zu verstehen hier vorgegeben haben?
Herr Picard, Sie sind schlecht informiert. Ich hatte Gelegenheit, kürzlich auf bayerischem Boden eine Diskussion zu führen, an der u. a. auch der bayerische Kultusminister teilnahm. Und da ist auf die Frage nach dem Staatsverständnis
— und das gehört sehr eng dazu, Herr Picard; auch diese Fragen sind in Tutzing zusammen mit Studentenvertretern diskutiert worden — beispielsweise von Herrn Dr. Huber — zum Erstaunen vielleicht auch für seine Freunde vom RCDS, die ihn dann nicht mehr sehr freundlich behandelt haben, wie ich zu ihrer Ehre sagen muß — erklärt worden: „Der Staat umfaßt die Gesellschaft." — Wenn das Ihr Demokratie- 'und Staatsverständnis ist, dann habe ich ein .anderes. Das muß ich Ihnen ganz offen sagen. Und 'da brauchen Sie sich nicht zu wundern, daß 'Unruhen entstehen, wenn jemand als verantwortlicher Kultusminister eine solche Definition des Staates gibt.
Würden Sie eine weitere Frage des Kollegen Picard zulassen?
Herr Kollege Moersch, es gab doch keinen Anlaß, weder seitens des Herrn Ministers noch in dieser Diskussion, ein solches Demokratieverständnis einem von uns oder ihm zu unterstellen. Sollte Ihnen das auch entgangen sein?
Ich glaube, die Frage, auf welchem Boden von Demokratieverständnis Ihre Vorstellungen von Ordnung und Sicherheit in diesem Staat beruhen, und die lautstarken Ankündigungen, die Sie hier gegeben haben, wie Sie das in einem Staatsvertrag über die 'Sonderrechte von Hochschulen und anderes niederlegen wollten, die sind es ganz genau, die uns unterscheiden und die dazu führen, daß Sie den Kräften Auftrieb geben — ob Sie wollen oder nicht —, die in Wahrheit keine Reformen in diesem Lande wollen, sondern die beweisen wollen, daß die parlamentarische Demokratie nicht reformfähig sei. Wenn Sie sich das nicht selbst einmal klarmachen können, dann bedaure ich das allerdings sehr. Und dann nützt Ihnen auch die ganze politische Bildungsarbeit nichts.
Aber gleich zu diesem Punkt! Herr Minister, Herr Picard hat mit Recht gesagt — entschuldigen Sie, Herr Picard, ich muß da etwas Gutes sagen —,
daß die Bundeszentrale für politische Bildung eine durchaus nützliche Einrichtung sei. Diese Meinung teile ich. Ich habe aber bei der Amtseinführung des neuen Leiters aufgepaßt und habe auch in dem Protokoll der letzten Sitzung nachgelesen — ich war leider krank —, und ich muß Ihnen sagen: ich habe Zweifel, ob es richtig war, diese Personalentscheidung so zu treffen, wie sie getroffen worden ist. Ich hätte gewünscht, daß man der Anregung, die ich damals in der Diskussion gegeben hatte, gefolgt wäre und einen anerkannten Wissenschaftler der Politikwissenschaft, der Soziologie oder der Erziehungswissenschaften mit dieser Aufgabe betraut und auch eine andere Konstruktion gefunden hätte.
Zum zweiten, weil wir gerade bei Erziehungs- und Bildungsfragen sind: Herr Bundesinnenminister, Sie sind in der Bundesregierung für den Bildungsrat der zuständige Minister. Die Ergebnisse über die Vorstellungen zur Reform des gesamten Bildungs- und Schulwesens, die dort jetzt vorliegen und die uns bekanntgeworden sind, kann ich eigentlich nur als Ausdruck einer gewissen Hilflosigkeit ansehen. Ich muß Sie als den verantwortlichen Minister in der Bundesregierung für einen Kurs mitverantwortlich machen, der den sehr verschwommenen Deidesheimer Leitsätzen der CDU zu diesen Fragen zum Verwechseln ähnlich sieht. Ich glaube nicht, daß wir, wenn Sie diesen Kurs in der Bildungspolitik unterstützen und einschlagen wollen, in der inneren Reform unserer Demokratie und unseres Bildungswesens weiterkommen können.
Würden Sie eine Zwischenfrage von Herrn Abgeordneten Köppler zulassen? —
Gerne!
Herr Kollege Moersch, auf welche konkrete Empfehlung des Deutschen Bildungsrates stützen Sie Ihr Urteil, daß dort Hilflosigkeit herrsche?
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12196 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969
Ich habe nicht gesagt „Hilflosigkeit".
— Habe ich das gesagt? Dann entschuldigen Sie. Ich habe gemeint, daß der Kurs, der dort eingeschlagen werde, uns am Ende wiederum zu einem Schulsystem und zu einem Schulwesen führe und es uns empfehle, das uns nicht zu einer demokratischen Reform weiterhilft, weil es nämlich die Autoritätsstrukturen, die hier gegeben sind, nicht abbaut, sondern eher verfestigt. Das ist das, was ich befürchte angesichts der Empfehlungen, die hier unter Ihrem Einfluß vorbereitet sind. Entschuldigen Sie, wenn ich mich da mißverständlich ausgedrückt haben sollte.
Würden Sie eine weitere Frage von Herrn Abgeordneten Köppler zulassen?
Ja.
Herr Kollege Moersch, würden Sie es für richtig halten, ein solches Urteil lediglich auf politische Prognosen oder Befürchtungen zu stützen, oder wären Sie nicht doch in der Lage, hier anzugeben, auf welche konkrete Empfehlung, die der Deutsche Bildungsrat bisher verabschiedet hat, Sie dieses Ihr sehr hartes Urteil gründen?
Herr Köppler, ich habe dies Informationen entnommen. Das ist in der Tat noch nicht endgültig verabschiedet. Wir warten übrigens seit einem halben Jahr darauf, wie Sie wissen. Aber ich habe verschiedenen durchaus zuverlässigen Informationsquellen entnommen, daß die Richtung, die hier unter dem Einfluß der Bundesregierung eingeschlagen wird, genau die von mir als falsche Richtung charakterisierte ist. Wenn Sie dem hier widersprechen können,' werden wir es am Ergebnis messen.
Ich drücke hier die Befürchtung aus, daß es deswegen in die falsche Richtung geht, weil das, was dort herauskommen soll, wie gesagt, Ihren Deidesheimer Leitsätzen sehr ähnlich sieht.
Würden Sie eine Frage von Herrn Kollegen Schlager zulassen?
Ja, bitte.
Herr Kollege Moersch, weil Sie gerade den Begriff der Hilflosigkeit verwendet haben, darf ich Sie im Hinblick auf Ihre Polemik gegen das bevorstehende Ordnungsrecht fragen, wie Sie sich eigentlich vorstellen, daß man künftig die gewaltsame Störung des Lehrbetriebes an unseren Universitäten unterbinden soll?
Herr Schlager, jedenfalls stelle ich mir das ganz anders vor als Sie.
Ich stelle mir vor, daß man die bestehenden Gesetze anwendet.
Es kann doch wohl kein Zweifel sein, daß an bestimmten Universitäten mit ganz bestimmten Rektoren und einer bestimmten Leitung bisher überhaupt keine Notwendigkeit bestand, solchen Unruhen zu begegnen, daß es aber wunderbarerweise immer genau dort notwendig ist, wo Ihre politischen Freunde einen besonders großen Einfluß haben. Sie sollten daher einmal Ihre Freunde zu einem anderen Verhalten bringen. Dann könnten Sie auf die Polizei verzichten.
— Ich möchte mit Rücksicht auf die fortgeschrittene Zeit jetzt nicht mehr sehr viele Zwischenfragen zulassen. Die Kollegen haben ja Gelegenheit, sich zu Wort zu melden und ihre abweichende Meinung zu sagen.
Gar kein heißes Eisen!
— Da kann ich Ihnen eine ganze Stunde Rede und Antwort stehen.
— Ich habe gesagt: Repräsentanten der Universität, die Ihrer konservativen Auffassung sehr nahestehen, Herr Picard.
Habe ich das richtig verstanden, daß Sie keine weiteren Fragen mehr zulassen wollen?
Herr von Merkatz, bitte sehr!
Herr Kollege Moersch, wollen Sie im Ernst behaupten, daß es eine demokratische Staatsstruktur ohne die zugleich dem Menschen lebensnotwendigen Autoritätsverhältnisse geben könne?
Herr von Merkatz, ich behaupte daß es begründete Autoritäten geben muß und keine angemaßten.
Darum geht es hier. Dort, wo begründete Autorität vorhanden ist, gibt es merkwürdigerweise auch diese Unruhe nicht, die Sie hier beklagen und die Sie mit Sondergesetzen bekämpfen wollen. Wenn
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969 12197
MoerschSie die Struktur des Bildungswesens nicht entsprechend verändern, bekommen Sie natürlich diese Schwierigkeiten, die wir heute haben. Ich habe eben nicht das Vertrauen, daß unter dem Einfluß des Bundesinnenministers über den Bildungsrat diese Strukturen wirklich verändert werden sollen — das müssen Sie mir schon abnehmen —; denn die Ergebnisse der Arbeit, die bisher vorliegen, lassen das nicht erwarten. Sie können sich nachher dazu äußern.Zum Schluß will ich noch einmal zum Kollegen Dichgans kommen. Wir halten nach den Ergebnissen der gestrigen Beratungen über die Finanzverfassungsreform die Vorstellung, daß ein großer Verfassungskonvent stattfinden muß, für geradezu zwingend. Wenn an unserem föderalistischen Staatsaufbau, den wir aus Gründen der Machtverteilung in diesem Staat für notwendig halten, überhaupt noch etwas Vernünftiges zu retten ist, dann nur, indem wir noch einmal neu beginnen. Wir Freien Demokraten haben jedenfalls entsprechende Beschlüsse in unserem Bundesvorstand gefaßt. Wir werden sie unserem Bundesparteitag vorlegen, und ich hoffe, daß wir die Unterstützung aller vernünftigen und reformwilligen Kräfte in diesem Lande haben werden.
Das Wort hat Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Haben Sie keine Sorge! Ich werde mich sehr kurz zu den anstehenden Fragen äußern. Der Anlaß dafür, daß ich noch einmal das Wort ergreifen möchte, sind die Ausführungen der Herrn Kollegen Dichgans und Moersch.
Meine Damen und Herren, ich muß doch einmal eine Lanze für das Grundgesetz des Jahres 1949 brechen. Mit diesem Grundgesetz hat das deutsche Volk damals eine Verfassung erhalten, an der man nicht ohne Grund herumexperimentieren soll. Es ist die beste und demokratischste Verfassung, die dieses Land je hatte. Wir sollten uns hier nicht ohne Not in eine Grundsatzdiskussion begeben. Das heißt nicht, daß wir über Reformprobleme nicht reden sollten — ganz im Gegenteil. Die Diskussionen sollten aber jeweils von den einzelnen konkreten Problemen ausgehen, denen es mit begründeten Reformmaßnahmen zu begegnen gilt. Ich plädiere hier nicht für konservatives Beharren, sondern allein für vernunftgemäße Politik.
Wir sollten uns in den Grundfragen der Verfassung nicht einem modischen Aktivismus anschließen. Die demokratische Ordnung unseres Staates, die wir uns mit dem Grundgesetz gegeben haben, sollte nicht durch wenig fundierte und verschwommene „Reformideen" in Frage gestellt werden. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit sind doch zu bitter, als daß wir die Grundsätze unserer grundgesetzlichen Ordnung noch einmal leichtfertig aufs Spiel setzen sollten.
Ich wiederhole: Es müssen selbstverständlich einzelne Verfassungsbestimmungen daraufhin überprüft werden, ob sie den heutigen Anforderungen noch entsprechen. Wir haben bei der Finanzreform leider erlebt, daß wir gestern noch nicht zum Ziel gekommen sind. Aber wo hat .es denn das nicht gegeben, daß man das Ziel im ersten Anlauf noch nicht erreicht? Ich bedaure das Stocken dieses Reformwerkes. Nach den intensiven Vorarbeiten haben meine Fraktion und ich gehofft, daß ,es nunmehr verabschiedet werden könnte. Es ist bitter, daß die Ausführungsgesetze zur Finanzreform jetzt zum Teil in der Luft hängen. Ich kann nur an alle appellieren, die geringen Chancen zu nutzen, die sich aus der nochmaligen Anrufung des Vermittlungsausschusses ergeben.
Aber, Herr Dr. Dichgans, wir wollen doch keine Generaldebatte führen, die sich in die Breite verliert und dazu führen kann, daß die Kräfte für die hier und heute notwendigen konkreten Reformen gegebenenfalls nicht aktiviert werden. Es gilt immer noch das alte Wort: Wer alles will, wird am Schluß nichts erreichen. Konzentrieren wir uns auf die Reformaufgaben, die ja teilweise überlange zur Debatte stehen, die wir lösen müssen und — davon bin ich überzeugt — die wir mit dieser Verfassung lösen können. Es hängt allein von dem politischen Willen der in diesem Parlament vertretenen Parteien ab, ob uns dies gelingen wird.
Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Soweit ich sehe, sind wir am Ende der Aussprache über die allgemeinen Fragen meines Haushalts. Ich möchte diese Gelegenheit gern wahrnehmen, um mich kurz zu den an mich gerichteten Fragen und Anregungen zu äußern.
Herr Kollege Moersch, ich kann, wenn ich es ganz kurz und ehrlich sagen soll, mit alldem, was Sie gesagt haben:, eigentlich gar nichts anfangen. Was soll ich von Ausführungen unter der Überschrift halten, man sollte rational darüber argumentieren, daß der Bildungsrat vermutlich demnächst Empfehlungen herausgeben werde, von denen Sie selbst gesagt haben, Sie wüßten zwar noch nicht, wie ihr Inhalt sei, aber Sie wüßten mit Sicherheit, daß sie schlecht sein würden und daß dies alles nur unter dem unheilvollen Einfluß des Bundesinnenministers entstehen konnte, ohne daß Sie allerdings erklärt haben, welcher Art bei der Zusammensetzung und der Praxis des Bildungsrates dieser Einfluß des Bundesinnenministers eigentlich sein sollte. Ich wäre sehr glücklich, wenn ich den von Ihnen für unheilvoll gehaltenen Einfluß auf den Bildungsrat in dem Maße, in dem Sie es mir offenbar unterstellen, ausüben könnte, ohne daß ich damit die sehr verdienstvolle Arbeit des Bildungsrates irgendwie herabsetzen möchte, von der ich übrigens meine, daß zu ihren wesentlichen Bestandteilen ,ein hohes Maß an Unabhängigkeit der Persönlichkeiten, die dort tätig sind, gehört. Aber es ist einfach abwegig — um einen höf-
12198 Deutscher Bundestag — S. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969
Bundesminister Benda
lichen Ausdruck zu gebrauchen —, einer solchen Institution zu unterstellen, daß sie unter dem unheilvollen Einfluß des Bundesinnenministers arbeite.
Ich kann auch nichts mit Ausführungen anfangen, die eine Personalentscheidung — Leiter der Bundeszentrale für politische Bildung — ohne jede Begründung pauschal als falsch bezeichnen.
Der neue Leiter der Bundeszentrale, Herr Dr. Stercken, ist zum Anfang des Jahres in sein Amt eingeführt worden. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sich jemand von uns — ich tue es jedenfalls nicht — so viel Urteilsfähigkeit anmaßt, in diesem frühen Stadium über seine bisherige Arbeit irgendein abschließendes Urteil abzugeben. Und eine Personalentscheidung, die nur geraume Zeit zurückliegt, lediglich damit zu begründen, daß man an Stelle der betreffenden Persönlichkeit lieber einen anerkannten Wissenschaftler — eine Art Professor Moersch, nehme ich an — hätte berufen sollen, erscheint mir als Sachbeitrag zum Haushalt des Bundesinnenministers nicht von ausreichender Substanz.
Ich glaube also nicht, daß es sehr empfehlenswert ist, sich weiter mit Ihren Ausführungen zu beschäftigen, Herr Kollege Moersch. Mehr habe ich eigentlich nicht gehört, und ich habe mich sehr angestrengt, überhaupt Punkte zu hören, zu denen man etwas sagen kann. Ich schlage Ihnen vor, daß wir bei Gelegenheit die von Ihnen empfohlene Methode der rationalen Argumentation miteinander praktizieren; vielleicht kommen wir dann beide weiter.
Herr Kollege Dichgans hat eine Reihe sehr interessanter Sachbeiträge zum Thema Verfassungsreform gebracht. Ich würde wünschen, Herr Dichgans, daß wir alle miteinander die Zeit und auch die Geduld hätten, um darüber jetzt so zu sprechen, wie das Thema es rechtfertigt. Ich hoffe sehr, daß wir — vorbehaltlich der Entscheidung des Ältestenrates — in diesem Hohen Hause in der nächsten Woche bereits Gelegenheit haben, über die Große Anfrage zum Thema Föderalismus zu sprechen. Mir scheint, daß dies auch der richtige Platz ist, um vielleicht mehr im Detail über die Fragen zu sprechen, die Sie angeschnitten haben. Ich glaube, daß es sich lohnt, darüber zu sprechen. Ich möchte es Ihnen, Herr Dichgans, nicht antun, mich jetzt sehr kursorisch dazu zu äußern und damit Ihren interessanten und erwägenswerten Gedanken nicht den Respekt zu erweisen, den sie von der Sache her verdienen.
Gestatten Sie mir also, in Stichworten — vorbehaltlich einer eingehenderen Diskussion — sehr kurz folgendes auszuführen.
Erlauben Sie eine Frage von Herrn Schmitt-Vockenhausen, Herr Minister?
Bitte schön.
Könnten wir uns nicht darauf verständigen, daß es darauf an-
kommt, bestimmte Teilgebiete zu reformieren und nicht darauf, in eine Gesamtdiskussion des Grundgesetzes einzutreten?
Ich wollte eben, Herr Schmitt-Vockenhausen, zu diesem Punkt ganz kurz und, wie ich zugebe, sehr vereinfacht etwas sagen.Ich habe, Herr Kollege Dichgans, gegenüber der Rechtsauffassung eines, wie Sie sagten, der Kommentatoren des Grundgesetzes, die erst in den letzten Tagen geäußert wurde, die allergrößte Skepsis. Ich vermute, mich nicht in der Person des Betreffenden zu täuschen; er ist auch in der Literatur mit dieser Meinung hervorgetreten. Um es vereinfacht zu sagen: Ich halte diese Rechtsauffassung im Hinblick auf die Bestimmung des Art. 146 des Grundgesetzes für falsch. Sie haben sich, Herr Dichgans, in diesem Haus bei anderer Gelegenheit zu Ihrer Auslegung des Art. 146 geäußert. Ich vermag Ihre Auslegung des Art. 146 schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zu teilen.
Wenn dieser mein rechtlicher Ausgangspunkt richtig ist, worüber man im einzelnen reden müßte, ergeben sich natürlich für alle von Ihnen angeschnittene Fragen ganz andere, und, wie ich zugeben muß, sehr viel engere Aspekte. Wenn es rechtlich nicht möglich ist — ich glaube, daß es rechtlich nicht möglich ist; über die politische Frage sage ich noch einen Satz —, eine Art Verfassungskonvent in der von Ihnen vorgeschlagenen Weise einzuberufen, dann bleibt es schon aus Rechtsgründen natürlich bei dem gegenwärtig eingeschlagenen Weg der Grundgesetzänderung, die man zusammenfassen kann, bei der man sich auch über eine Konzeption im ganzen unterhalten kann und vielleicht auch unterhalten sollte. Das alles muß aber natürlich immer im Rahmen der Grenzen geschehen, die das Grundgesetz gegenwärtig, insbesondere in Art. 79 Abs. 3, zieht. Was das faktisch und politisch bedeutet, wissen Sie so gut wie ich; das brauche ich jetzt nicht näher auszuführen.Ich stimme aber Herrn Schmitt-Vockenhausen — das ist eine politische Bemerkung zu diesem Thema — .dahin gehend zu, daß unser Grundgesetz in der gegenwärtig vorliegenden Form zwar in Einzelpunkten durchaus neuer Überlegungen, Änderungen oder Ergänzungen bedarf — die Beantwortung der Großen Anfrage über das Thema des Föderalismus wird Gegelgenheit geben, die Auffassung der Bundesregierung dazu im Detail vorzutragen —, meine aber, daß sich das Grundgesetz im ganzen durchaus bewährt hat. Ich habe äußerste Skepsis gegenüber der Vorstellung, man müsse einen grundsätzlich neuen Weg einschlagen.
Ich darf es mit Ihrem Einverständnis, Herr Dichgans, für heute bei dieser sehr pauschalen Betrachtungsweise belassen. Ich hoffe, daß wir demnächst Gelegenheit haben werden, uns näher darüber zu. unterhalten.
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Bundesminister BendaIch bin von daher auch skeptisch gegenüber dem Vorschlag, ein Weißbuch vorzulegen; denn dieses Weißbuch könnte eigentlich nicht mehr enthalten als .die Darstellung dieser Auffassung, die ich eben sehr verkürzt dargestellt habe. Wollte man in eine intensive Diskussion eintreten, dann würde man — so, wie Sie es vorschlagen — mit Sicherheit nicht bis zum Herbst 'fertig werden können, denn man müßte Forschungsaufträge an Wissenschaftler erteilen, und das würde wahrscheinlich eine längere Zeit in Anspruch nehmen, als sie uns jetzt zur Verfügung steht.Für Ihre Äußerungen, Herr Kollege Dichgans, zum Thema der Kabinetts- und Verwaltungsreform bin ich dankbar. Es ist kein Widerspruch zu dem, was Sie in der Sache gesagt haben, wenn ich hinzufüge, daß, wie ich glaube, die Arbeiten meines Hauses und der Bundesregierung insgesamt schon sehr viel weiter sind, als möglicherweise in der Öffentlichkeit und vielleicht auch in diesem Hohen Hause bekannt ist. Ich hoffe, daß sich auch insoweit bald einmal die Gelegenheit ergibt, über den Stand unserer Überlegungen zu berichten.Was die Kabinettsreform anlangt, über die in der von Ihnen erwähnten Projektgruppe, die in meinem Hause eingerichtet wurde, gesprochen wird, so glaube ich in der Tat, daß es nützlich wäre, der neuen Bundesregierung eine Reihe von grundsätzlichen Anregungen vorzulegen. Wir sind an dieser Arbeit. Ich hoffe, daß es möglich sein wird, das zu tun, was Sie vorgeschlagen haben.Ich glaube, daß wir auf dem Gebiet der Verwaltungsmodernisierung einschließlich des Einsatzes der elektronischen Datenverarbeitung sehr viel weiter sind, als vielleicht auch in diesem Hause bekannt ist. Insgesamt glaube ich, daß wir hier durchaus auf einem guten Weg zu einer modernen Gestaltung der Verwaltung sind. Die Notwendigkeit dazu sehe ich genau in gleicher Weise wie Sie.
Das Wort hat der Abgeordnete Schlager.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige wenige Bemerkungen zu den Ausführungen des Kollegen Moersch zu dem von ihm als „Sonderrecht" qualifizierten Ordnungsrecht der Universitäten, wie es jetzt in den elf deutschen Ländern zur Diskussion steht.
Meine Damen und Herren, wenn der Herr Kollege Moersch hier von einem „Sonderrecht" spricht, meint er mit diesem Recht natürlich sozusagen ein Recht der Willkür. Ich darf jedoch einmal darauf hinweisen, daß jede gesetzliche Regelung, die von den deutschen Landtagen getroffen werden wird, natürlich unter Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes steht. Die richterliche Kontrolle, die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Rechtmäßigkeit sind somit bei der Anwendung dieses Ordnungsrechts gewährleistet. Ich muß es also hier zurückweisen, wenn
Sie die bevorstehenden gesetzlichen Regelungen in der Öffentlichkeit als Sonderrecht abqualifizieren wollen.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Moersch meinte, man brauche das Ordnungsrecht nicht, weil die geltenden Gesetze ausreichten. In der Tat, Herr Kollege Moersch, enthalten die Satzungen der Universitäten ein Disziplinarrecht. Ich darf Sie aber darauf hinweisen, daß die Anwendung dieses Disziplinarrechts manchmal deshalb unmöglich geworden ist, weil die Studenten von ihrem Mitwirkungsrecht im Rahmen der Disziplinarkammern der Universitäten keinen Gebrauch machen und dadurch die Anwendung des Disziplinarrechts lahmlegen. Weil die Studenten, die sonst in allen Bereichen des Universitätslebens eine Mitwirkung verlangen, gerade hier von ihrem Recht und ihrer Pflicht keinen Gebrauch machen, sind wir eben dazu gezwungen, das Ordnungsrecht auch gesetzlich zu verankern.
Ich möchte Sie deshalb bitten, dieses Recht in der Öffentlichkeit nicht als ein Willkürrecht, als ein Sonderrecht im negativen Sinne, zu qualifizieren.
Das Wort hat der Abgeordnete Dichgans.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Ich habe eben meine Ausführungen im Hinblick auf den Zeitpunkt sehr stark komprimiert. Ich sehe jetzt deutlich, daß ich sie zu stark komprimiert habe. In der Tat läßt sich das Problem Grundgesetz nur schwer in zehn Minuten behandeln.
Ich möchte folgendes klarstellen. Herr Schmitt-Vockenhausen, ich habe niemals daran gedacht, daß wir etwa die Grundrechte erneut zum Gegenstand einer Diskussion machen sollten, sondern wir sollten uns über die Mechanismen unterhalten, die Entscheidungen produzieren. Ich glaube, diese Mechanismen sind auf allen Ebenen überholungsbedürftig. Ich glaube ferner, daß wir nur dann zu einer vernünftigen, guten Lösung kommen, wenn wir das Problem als Gesamtproblem sehen und nicht jeden Monat, zeitweise jede Woche einmal, das Grundgesetz ändern.
Herr Schmitt-Vockenhausen, ich teile Ihre Sorge, daß eine umfassende Diskussion möglicherweise auch Kräfte auf den Plan rufen könnte, die problematisch und gefährlich sind. Trotzdem, glaube ich, können wir uns einer umfassenden Erörterung dieses Problems nicht entziehen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller .
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! — Ich darf Sie noch einmal persönlich ansprechen, Herr Präsident. Ich hatte die
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12200 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969
Müller
Absicht, den Antrag der Fraktion der SPD betr. Deutscher Sportrat auf Drucksache V/3804 zu begründen. Ich möchte mit Rücksicht auf die gesamten Gegebenheiten darauf verzichten und Mit Ihrer Genehmigung, Herr Präsident, das, was ich zu sagen hatte, zu Protokoll geben *).Ich möchte mir nur eine kurze Bemerkung erlauben. Wir betrachten diesen Antrag als die Möglichkeit einer Diskussion. Er sollte anregend wirken. Ich bin nicht der Auffassung, daß hier und heute Entscheidungen fallen müssen. Ich bin allerdings der Meinung, daß das, was wir als Fraktion der Sozialdemokratischen Partei hier in die Diskussion einbringen, wert ist, gründlich im Innenausschuß diskutiert zu werden, damit wir möglichst noch in dieser Legislaturperiode zu einer Entscheidung darüber kommen können.
Das Wort hat der Abgeordnete Kubitza.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP begrüßt jede Bemühung, die Verbindung zwischen der Turn- und Sportbewegung und dem Staat zu verbessern. Dabei sollte staatlicher Dirigismus ebenso ausgeschaltet sein wie ein allzu engherziges Denken der sportlichen Führung in der Frage der staatlichen Mitwirkung bei der Erfüllung der Aufgaben des Sports.Der Deutsche Sportbund hatte beim Sport-Hearing einen „Runden Tisch" als Koordinationsstelle zwischen Staat und Sport empfohlen. Die FDP hat in ihrem Sportpolitischen Aktionsprogramm '69 die Schaffung eines Koordinationsausschusses vorgeschlagen. Die CDU empfahl die Berufung eines Sportbeirats beim Bundesministerium des Innern. Die SPD brachte am 5. Februar 1969 einen Antrag zur Konstituierung eines Deutschen Sportrates ein. Der Vollständigkeit halber führe ich auch noch die Bundeszentrale für Sport an, die vom Deutschen Sportbund und der Mehrheit der daran interessierten Öffentlichkeit im Sommer 1968 als Eingriff in die ureigenen Belange der Turn- und Sportbewegung abgelehnt worden ist.Wenn man jetzt die Vorstellungen der SPD für ihren Deutschen Sportrat genauer prüft, wird man erkennen, daß dieser Antrag weiter geht als die inzwischen aufgegebene Bundeszentrale-Konzeption. Vergleicht man die erste Fassung, vorgetragen beim SPD-Sportkongreß, mit dem vorliegenden Antrag, so stellt man fest, daß zwar eine gewisse Abschwächung erfolgt ist; käme aber der Sportrat in der empfohlenen Form durch, könnte man den Deutschen Sportbund getrost auflösen.Des weiteren hat man den Eindruck, daß die linke Hand der SPD nicht weiß, was die rechte tut, das heißt, daß die SPD-geführten Länder im Bundesrat ganz andere Vorstellungen haben als die SPD- Bundestagsfraktion. In der Bundesratsdrucksache 475/68 vom 4. Oktober 1968 wird die Streichung des Titels 685 53 — Vorbereitende Maßnahmen für die*) Siehe Anlage 8 Errichtung einer zentralen Einrichtung für angewandte Sportwissenschaft und Sportdokumentation — gefordert. Genau diese Einrichtung fordern Sie aber, meine Damen und Herren von der SPD, in Punkt 3 d Ihres Antrags.Unklar bleibt auch, wie der Deutsche Sportrat verfassungsrechtlich eingeordnet werden soll. In Ihrem Konzept werden nicht nur die Zuständigkeiten des Staates mit denen der freien Sportorganisationen vermischt, sondern auch die Kompetenzen von Bund, Ländern und Gemeinden.Schließlich ist auch zu fragen, ob wirklich eine neue Superbehörde, wie sie der Sportrat zu werden verspricht, benötigt wird. Dann hätte man auch gleich das Bundeszentrale-Konzept annehmen können. Die angestrebte gleichberechtigte paritätische Besetzung des Sportrates durch die autonomen Partner führt zwangsläufig zum Entstehen eines Wasserkopfes, der durch die vorgesehenen Ausschüsse noch vergrößert wird. Wer soll das bezahlen, wenn nicht andere Institutionen aufgelöst werden? Und wer soll aufgelöst werden? Der DSB, oder die Sportabteilung im Bundesministerium des Innern, oder beide? Klarheit ist geboten. Der Deutsche Sportrat bringt sie nicht.Solche Klarheit ist auch im Zusammenhang mit den im Antrag aufgeführten sieben bunt zusammengewürfelten Aufgaben wichtig.Die FDP bejaht einen Sportrat — oder wie immer wir es nennen wollen — als Koordinierungskomitee mit der Befugnis, Empfehlungen zu geben, wobei es sich um folgende Aufgaben kümmern sollte:1. eine Koordinierung aller der Maßnahmen, die eineeine Zusammenarbeit zwischen Staat und Sport auf allen Ebenen erfordert;2. durchgängige Empfehlungen für Zweckbestimmung und Zuweisung öffentlicher Mittel für die Sportförderung mit dem Ziel auch der klaren Abgrenzung der Kompetenzen in den einzelnen Bereichen, insbesondere in Fragen der Schaffung von Leistungszentren, der Traineranstellung, der sportwissenschaftlichen Forschung und des Sportstättenbaus;3. Belebung von Maßnahmen zur Verbesserung des Sports an Schulen und Hochschulen.Das sind drei wichtige Generalziele, die nur gemeinsam von Staat und Sport mit Aussicht auf Erfolg angegangen werden können.Der Sportrat kann nichts anderes sein als eine intermediäre Koordinationsstelle mit Empfehlungscharakter, paritätisch besetzt von Staat und Sport, wobei auch Organe der Wissenschaft, Bildung, Jugend und Gesundheit vertreten sein müßten. Wenn wir jeweils für den Bund 5, für die Länder 4, für die Gemeinden 4 und für die im Bundestag vertretenen Parteien 3 Vertreter zugrunde legen, so hätten wir je 16 Vertreter von Staat und Sport, also nicht mehr als 32 am runden Tisch. Eine besondere Administration wäre nicht nötig. Das Bundesministerium des Inneren und der Deutsche Sportbund könnten sie miterledigen und auch für die notwendigen Vorbereitungen sorgen.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969 12201
KubitzaWas wir für eine bessere Koordination zwischen Staat und Sport brauchen, sind keine neuen Zwischeninstanzen, sondern kleine arbeitsfähige Gremien und kurze Wege. Das eigentliche Problem in der Frage der verbesserten Zusammenarbeit zwischen Staat und Sport liegt meiner Meinung nach gar nicht so sehr im Verhältnis zwischen dem Bundesministerium des Innern und dem Deutschen Sportbund, sondern in der klaren Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern auf der einen und dem Deutschen Sportbund und seiner Mitgliederorganisation, insbesondere den Landessportbünden, auf der anderen Seite. Hierfür bietet ein Sportrat oder ein Koordinationsausschuß den besten Ansatz, wenn sich die Länder zu einer Beteiligung bereit erklären. Die weitere Entwicklung wird also wesentlich von den Ländern bestimmt, um so mehr als sie den siebenfachen Betrag des Bundes für die Sportförderung einsetzen.Meine Damen und Herren von der SPD, Sie werden daraus entnehmen können, daß wir den Konzeption in Ihrem Antrag nicht zu folgen vermögen.
Das Wort hat der Abgeordnete Bremer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stimme mit dem Vorredner von der sozialdemokratischen Fraktion darin überein, daß es nicht im Interesse der Sache liegen dürfte, wenn wir heute versuchten, diesen Antrag in der kurzen Zeit auszudiskutieren. Trotz erheblicher Bedenken in der Sache selbst stimme ich daher der Überweisung an den Ausschuß zu.
Wir halten die in dem Antrag vorgesehene Entscheidungsbefugnis für den Sportrat weder für zweckmäßig noch für verfassungsrechtlich zulässig. Auch die Zusammensetzung aus Vertretern der verschiedenen Parlamente scheint uns politisch nicht richtig zur sein. Nach unserer Meinung ist dieser Sportrat, wie er hier konzipiert ist, ein vielzu schwergewichtiges Gremium. Als Zielsetzung empfinden wir mehr eine Art ständige Sportkonferenz — der Gedanke ist von uns schon mehrfach in die Debatte geworfen worden — als eine Gesprächsplattform für einen Gedankenaustausch, für eine Koordination von Sport und Staat.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Kubitza hat zunächst einmal unseren Antrag mißverständlich interpretiert, um die Grundlage für seine Ablehnung zu haben und am Schluß zu dem Ergebnis zu kommen: was wir brauchen, ist die Koordinierung, ist ein Sportbeirat oder so etwas Ähnliches. Meine Damen und Herren, alles, was hier zu unserem Antrag gesagt worden ist — die Auflösung des Sportbundes sei notwendig, es solle eine Superbehörde geschaffen werden -, ist falsch. Ganz eindeutig handelt es sich beim Deutschen Sportrat um ein reines Koordinierungsgremium. Weil in der Frage der Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern die Länder auf ihrer Auffassung beharren, brauchen wir ein solches Koordinierungsgremium. Wie man dieses Gremium nun nennt, darüber werden wir uns, weil andere noch keine Konzeption vorgelegt haben, nicht streiten. Wir haben auch nichts gegen einen besseren Namen dafür. Nur, in der Sache kommen wir um eine solche Koordinierungsstelle zwischen Bund, Ländern, Gemeinden und der Sportselbstverwaltung nicht herum. Das bedeutet keine Einmischung in die Zuständigkeit des Deutschen Sportbundes. In diesem unserem Anliegen sind wir uns offensichtlich alle einig. Man sollte unseren Antrag hier nicht so mißverständlich interpretieren.
Es liegen jetzt keine weiteren Wortmeldungen mehr vor.
Wir kommen zur Verabschiedung des Einzelplans 06. Hierzu liegen Änderungsanträge vor, und zwar ein Antrag der CDU/CSU und der SPD auf Umdruck 604 *) und ein Antrag der FDP auf Umdruck 597 **). Wie ich sehe, handelt es sich in beiden Fällen um den Haushaltstitel 685 51. Ich unterstelle, daß der Antrag auf Umdruck 597 der materiell weitestgehende Antrag ist, so daß wir über ihn zuerst abstimmen. — Zur Abstimmung Herr Bremer!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf im Namen der beiden Koalitionsfraktionen bitten, diesen Antrag abzulehnen. Der in dem Antrag Umdruck 597 gemachte Deckungsvorschlag ist insofern kein echter Dekkungsvorschlag, als er abhebt auf die in diesem Jahre nicht voll ausgenutzten Mittel für die olympischen Bauten in München. Die Ausgabe dieser Mittel wird aber im kommenden oder im übernächsten Jahre nachgeholt werden müssen. Es ist also in Wirklichkeit keine echte Ersparnis bei diesem Titel zu verzeichnen. Deshalb ist das auch kein echter Deckungsvorschlag.
Zur Abstimmung Herr Kubitza.
— Bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann den Ausführungen des Kollegen Bremer nicht zustimmen, denn der Deckungsvorschlag, bei Tit. 893 15 — Baukosten Olympische Spiele 1972 — Einsparungen vorzunehmen, ist deswegen durchführbar, weil auf Grund des Standes der Bauarbeiten im Jahre 1968 ein erheblicher Ausgaberest verblieben und in das Haushaltsjahr 1969 übertragen ist. Die veranschlagten Mittel in Höhe*) Siehe Anlage 2 **) Siehe Anlage 3
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12202 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969
Kubitzavon 19 Millionen DM können daher ohne weiteres um 2 Millionen DM gekürzt werden.Meine Damen und Herren! Sie sehen in Ihrem Antrag vor, die Mittel zur Spitzenfinanzierung für den Turn- und Sportstättenbau um 2 Millionen DM zu kürzen. Der Haushaltsausschuß hat auf Drängen insbesondere auch der Opposition diese Mittel von 23 Millionen DM auf 37 Millionen DM erhöht. Ich' bedauere, daß Sie jetzt mit der linken Hand das wieder nehmen wollen, was Sie mit der rechten zu geben bereit waren. Der Sportstättenbau ist immer noch in hohem Maße förderungswürdig. Das haben Sie gestern auch aus einem Gespräch, das der bayerische Ministerpräsident mit dem Bayerischen Landessportverband geführt hat, entnehmen können. Allein in Bayern liegen Zuschußanträge in einer Höhe von 33 Millionen DM vor. Ich weiß auch, daß bei den jetzt durch den Bund gegebenen Mitteln in der Spitzenfinanzierung in Bayern z. B. pro Regierungsbezirk nur zwei Sportstätten überregionalen Charakters gefördert werden könnten. Alle Maßnahmen sind sinnlos, wenn der Sportstättenbau nicht mit Energie vorangetrieben wird.Ich halte unseren Deckungsvorschlag für den vernünftigeren und den saubereren.
Das Wort hat der Abgeordnete Bremer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf dem Kollegen Kubitza doch noch einmal folgendes entgegenhalten. Die Tatsache, daß aus dem Jahre 1968 Restmittel verblieben sind, besagt ja nicht, daß sie nicht insgesamt für die vorgesehenen Bauten in München gebraucht werden. Wenn wir sie in diesem Jahre für das verwenden, was im Antrag der FDP steht, dann müssen diese Mittel in späteren Jahren auf andere Weise neu aufgebracht werden. Deswegen bitte ich doch sehr, daß Sie dem Antrag nicht stattgeben.
Das andere, was hier von Herrn Kubitza noch hinzugefügt worden ist, kann meine Kommentierung nur dahin finden, daß ich diesen Vorschlag natürlich auch nicht mit großer Freude vertrete. Ich darf doch darauf hinweisen, daß die Länder — das habe ich vorhin schon ausführen dürfen — ihre Mittel für die Spitzenfinanzierung des Turn- und Sportstättenbaus seit einer ganzen Reihe von Jahren nicht erhöht haben, während der Bund sie stetig erhöht hat.
Ein Weiteres. Sie wissen, Herr Kollege Kubitza, daß die Zuständigkeitsfrage bei diesem Titel unter dem Gesichtspunkt der Finanzreform im Moment mit einem erheblichen Fragezeichen versehen ist. Der Schwerpunkt der Förderung des Bundes — das habe ich vorhin ausgeführt — muß in Zukunft bei der Förderung des Hochleistungssports und der Trainingszentren liegen. Dagegen erscheint es vertretbar, daß wir von den 14 Millionen DM, die wir hier aufgestockt haben, wieder 2 Millionen DM für diesen noch wichtigeren Zweck verwenden.
Meine Damen und Herren, die Sache wird am besten durch Abstimmung entschieden. Zur Abstimmung steht jetzt der Antrag auf Umdruck 597, Antrag der Fraktion der FDP, zu dem Herr Kubitza soeben noch einmal gesprochen hat. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen nun über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum gleichen Haushaltstitel ab. Wer stimmt diesem Antrag zu? — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Antrag ist mit großer Mehrheit angenommen.
Wir müssen nun über den Einzelplan 06 mit der soeben beschlossenen Änderung abstimmen. Der Antrag des Ausschusses liegt dem Hause auf Seite 1 der Drucksache V/3926 vor, die Vorlage anzunehmen — natürlich jetzt mit der Änderung; insofern wird der Antrag des Ausschusses geändert. Wer stimmt dem Antrag des Ausschusses mit dieser soeben beschlossenen Änderung zu? — Danke. Die Gegenprobe! — Der Einzelplan 06 ist gegen die Stimmen der FDP-Fraktion angenommen.
Wir müssen nun über den mit diesem Einzelplan 06 verbundenen Einzelplan 36 — zivile Verteidigung — abstimmen.
Dazu hat der Abgeordnete Dorn das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege SchmittVockenhausen hat in seiner Rede zum Einzelplan 06, der mit diesem Haushaltsplan 36 verbunden ist, schon darauf hingewiesen, daß er nicht mit dem zufrieden ist, was die Bundesregierung hier an Zivilverteidigungsvorstellungen und -möglichkeiten dem Parlament und dem deutschen Volk anbietet. Ich kann mich diesem Urteil nur anschließen. In einigen wenigen Einzelpunkten möchte ich das allerdings auch noch erläutern.Aber lassen Sie mich zuvor ein Wort der Entschuldigung an die Adresse des Bundesministers Carlo Schmid sagen. Bei der Beratung des Haushaltsplans vor zwei Jahren ist hier darüber diskutiert worden, ob das Zivilschutzkorps aufgestellt werden sollte oder nicht. Ich habe in meiner Rede damals Ausführungen zitiert, die Carlo Schmid vor dem Sozialdemokratischen Hochschulbund im Januar 1967 vorgetragen und mit denen er gesagt hat, das Zivilschutzkorps werde nicht aufgestellt. Ich hatte an dieser Stelle da bezweifelt, was er damals gesagt hatte, weil ich eine genau gegenteilige Erklärung des Bundesinnenministers Lücke vorliegen hatte und davon ausgehen mußte, daß der amtierende Innenminister über diese Frage, die in sein Ressort fällt, besser unterrichtet sein würde. Inzwischen hat sich herausgestellt, daß die Auffassung des Bundesministers Schmid die richtige ist; denn die Bundesregierung hat sich für die Auffassung Carlo Schmids und gegen die Auffassung Lückes entschieden. Daher möchte ich auch hier erklären, daß ich das, was ich vor zwei Jahren hier zum
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969 12203
DornHaushaltsplan ausgeführt habe, insoweit berichtigen muß.Das Haushaltsergebnis des Einzelplans für die Zivilverteidigung ist für die Regierung natürlich vernichtend, Herr Bundesinnenminister. Wir Freien Demokraten haben immer die Auffassung vertreten, daß die militärische und die zivile Verteidigung eine untrennbare Einheit sein müssen und daß das eine, ohne das andere durchgeführt, für unsere Bevölkerung völlig wirkungslos ist. Als wir damals nach der Fallex-Übung aus dem Eifelbunker auszogen, hat es an dieser Stelle eine sehr harte Auseinandersetzung zwischen dem heutigen Innenminister und mir über die Frage gegeben, ob die Vorstellungen in der Bundesregierung über die Möglichkeiten einer Zivilverteidigung nicht durch das, was sich in der Praxis ereignet hat, völlig in sich zusammengebrochen seien. So hatte ich es vorgetragen. Damals hatten der Innenminister und Kollege Benda dem energisch widersprochen. Wenn ich mir heute ansehe, was von den Vorstellungen der Zivilverteidigung übriggeblieben ist, und wenn ich das richtig werte, Herr Innenminister, was Ihr Abteilungsleiter Thomsen, der nun lange Jahre diese Abteilung leitet, veröffentlicht hat, dann muß ich allerdings sagen, daß Sie heute eigentlich den Offenbarungseid für die Zivilverteidigungsvorstellungen der Bundesregierung leisten müssen. Denn es ist jetzt tatsächlich gar nichts mehr übriggeblieben, was wirkungsvoll sein und hier ein Mindestmaß an Voraussetzungen für die Zivilverteidigung erfüllen könnte.Ich sage Ihnen gleich dazu, Herr Minister, daß wir Freien Demokraten nicht glücklich darüber sind, daß dies das Ergebnis der Politik der Regierung ist. Solange wir Freien Demokraten in der Bundesregierung waren, war das völlig anders. Aber ich will hier nicht werten — ich kann auch gar nicht werten —, wer von den Koalitionspartnern jetzt dafür gesorgt hat, daß das unbefriedigende Ergebnis dabei herausgekommen ist.
— Ja, Herr Kollege Matthöfer, ich glaube, Sie waren selber gestern abend noch anwesend, als diese Frage zwischen den Koalitionsfraktionen hier ausgiebig diskutiert wurde und der Herr Kollege Hermsdorf in einer verständlichen Reaktion auf das, was der Kollege Gewandt und andere von der CDU Ihnen dazu zu unterbreiten gehabt haben, erwiderte. Ich will mich in diesen Streit gar nicht einschalten. Ich bin davon überzeugt, daß Sie und die Christlichen Demokraten diesen Streit mit zum Höhepunkt des Wahlkampfes führen werden, so daß wir also in Ruhe abwartend dabeistehen und sehen können, was für Sie beide dabei herauskommt.Aber eines ist doch sicher: daß das Ergebnis der Politik dieser Regierung für diesen Bereich alles andere als befriedigend ist. Insofern verstehe ich auch den Kollegen Schmitt-Vockenhausen, daß er das heute morgen noch einmal vorgetragen hat. Ich kann nur eines sagen, Herr Bundesminister: das, was Ihr Haus und die Bundesregierung und die Koalition auf diesem Gebiete uns nun servieren, ist ein Gericht, das wir für ungenießbar halten. Es ist ein Gericht, von dem wir überzeugt sind, daß es auch niemandem, der davon seinen Anteil nehmen will, gut bekommen wird. Denn die Pläne, die Sie nun vortragen — ich will Sie hier gar nicht mit den Zahlen langweilen —, sind so vernichtend, utopisch und unwirksam, daß man nur den Kopf darüber schütteln kann, wie Sie überhaupt noch von Zivilverteidigung sprechen können. Ich würde Ihnen also dringend empfehlen, dieses Kapitel entweder ganz ad acta zu legen und zu sagen: „Wir sind nicht in der Lage, etwas zu tun", oder aber Sie müssen Ihre Politik völlig ändern. Mit den Maßnahmen einer Zivilverteidigung, die Sie vorgesehen haben, wird diese Bundesregierung nie glaubwürdig werden können.
Vizepräsident Schoettle Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache über den Einzelplan 36 geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer diesem Einzelplan zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan ist mit großer Mehrheit gegen die Stimmen der FDP angenommen.Wir haben noch über den zweiten Teil des Ausschußantrages zum Einzelplan 06 zu beschließen, die eingegangenen Petitionen durch die Beschlußfassung zu Ziffer 1 für erledigt zu erklären. Wird diesem Ausschußantrag widersprochen? — Das ist nicht der Fall; es ist so beschlossen.Ferner haben wir noch über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Deutscher Sportrat zu entscheiden. Hier ist vorgeschlagen, den Antrag an den Innenausschuß — federführend — und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik zu überweisen. Wird diesem Vorschlag widersprochen? — Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlossen.Ich rufe nun den Einzelplan 31 auf: 6. hier: Einzelplan 31Geschäftsbereich des Bundesministers für wissenschaftliche Forschung— Drucksachen V/3945, zu V/3945 —Berichterstatter ist Herr Dr. Althammer. Der Herr Berichterstatter verzichtet auf das Wort.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst Frau Abgeordnete Geisendörfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte diese Stelle des Bundestages jetzt nicht als Klagemauer benützen und Betrachtungen darüber anstellen, daß wir wieder einmal an einem Freitagmittag über so wichtige Dinge reden. Wir alle wissen, warum das so gekommen ist. Ich bitte auch die Presse,
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12204 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969
Frau Geisendörferdaraus nicht Schlußfolgerungen über die Einschätzung von Wissenschaft und Forschung im Bundestag zu ziehen.
— Man soll die Hoffnung nie aufgeben, Herr Kollege; ich bin da noch optimistisch.Ich möchte deswegen aber meine Kollegen, die an diesem Einzelplan interessiert sind, fragen, ob sie sich meinen Überlegungen anschließen könnten, der Öffentlichkeit verständlich zu machen, daß es wohl besser ist, wenn wir alle die Gedanken, die wir zu diesem Einzelplan haben, bei der geplanten großen Wissenschaftsdebatte am 23. oder 24. April gründlich besprechen und sie nicht heute unter Zeitdruck nur schnell und verkürzt abhandeln. Mit Herrn Kollegen. Raffert bin ich schon übereingekommen. Ich weiß nicht, ob Herr Kollege Moersch sich dieser Ansicht anschließen kann. Allerdings hoffe ich, daß die Wissenschaftsdebatte, die schon so oft verschoben worden ist — vom Februar auf den März und jetzt auf den April —, nachher nicht noch einmal verschoben wird. Ich möchte also noch einmal betonen: ich möchte hier jetzt keine Grundsatzdebatte führen. Ich möchte nur Anmerkungen anbringen, deren Prämissen ich auch nicht noch einmal expressis verbis ins Gedächtnis zurückrufen möchte, weil ich der Überzeugung bin, daß sie den hier Anwesenden längst geläufig sind.Wir sind alle überzeugt davon — das hat sich inzwischen herumgesprochen; das ist allmählich zu einem Allgemeinplatz geworden —, daß Leistungen für Wissenschaft und Forschung in der Zukunft Priorität haben müssen. Das hat sich auch wieder in dem positiven Akzent ausgedrückt, den Minister Stoltenberg vorgestern gesetzt hat, als er von den finanziellen Aufwendungen für Wissenschaft und Forschung gesprochen hat, die im Jahre 1968 14 Milliarden DM betragen und zu denen noch 4 Milliarden DM für das Schulwesen dazukommen. Insgesamt sind also 18 Milliarden DM vorgesehen.Wir müßten bei diesem Haushalt über eine ganze Reihe von Problemen sprechen: über das Hochschulwesen, über die technologischen Fragen und über die Aufwendungen für die Forschungen auf diesem Gebiet. Wir haben die Themen in dem Schriftlichen Bericht des Wissenschaftsausschusses aufgezählt, auf dessen Grundlage am 23. April ausführlich debattiert werden soll.Zunächst nur einige kurze Anmerkungen zum Hochschulwesen. Ich will dem Grundsatz treu bleiben, heute nur besondere Schwierigkeiten ins Visier zu nehmen. Der Bereich des Hochschulwesens steht im Mittelpunkt der Diskussion. Bei einem anderen Haushalt ist heute auch schon sehr eingehend über diesen Bereich gesprochen worden. Für einige unbestrittene Mißstände auf diesem Gebiet hat sich inzwischen ein idealer Prügelknabe gefunden. Dias ist der Föderalismus. Ich glaube, die überspitzten Vorwürfe gegen den Föderalismus haben berechtigte Einwendungen wieder zunichte gemacht, eben weil die Vorwürfe überspitzt vorgebracht worden sind.Wir wissen alle, daß eine ganze Reihe von Entwicklungen zu den Schwierigkeiten auf diesem Gebiet geführt haben, die wir in dieser Größe und in diesem Umfang vielleicht doch nicht voraussehen konnten. Wir kennen alle das Schlagwort von der Bildungsexplosion im Bereich der wetterführenden Schulen. Wir wissen, daß heute im Durchschnitt 50% der Volksschüler diese weiterführenden Schulen besuchen. Wir haben auch Verständnis dafür, daß diese Tatsache die Länder vor ein ganz großes Problem gestellt hat, sowohl Hinblick auf Schulhausbau als auch im Hinblick auf Personalvermehrung. Die Dauerkosten für die Länder würden etwa 25 Milliarden DM betragen. Das sind solch enorme Kostensteigerungen, daß wir genau wissen, daß gerade beim Schulhausbau und bei der Personalvermehrung manches einfach nicht zu realisieren eist. Wir könnten uns vielleicht noch überlegen, wie wir die finanziellen Leistungen erhöhen könnten; das Problem der Personalvermehrung ist aber nicht so schnell zu bewältigen.Der Bildungsrat hat für den gesamten Schulbereich für 1975 einen Bedarf von mindestens 22 Milliarden DM errechnet. Andere Schätzungen gehen maximal bis zu 30 Milliarden DM. Dabei haben, wie wir ja alle wissen, die Länder die finanzielle Hauptlast zu tragen, weil sie die laufenden Ausgaben allein zu bestreiten haben.Nun gibt es eine ganze Reihe von Vorschlägen zur Bewältigung dieser eben angedeuteten Misere. Wir haben alle Überlegungen grundsätzlicher Art angestellt, organisatorische Fragen diskutiert und auch Bildungspläne erarbeitet, auf die ich heute und hier an dieser Stelle ganz bewußt nicht eingehen möchte, weil dazu wirklich mehr Zeit gehört. Ich möchte nur die finanzielle Frage — aus der Sicht des Bundes und natürlich wiederum nur unter dem Gesichtspunkt des Einzelplans 31 — ansprechen. Der Haushaltsausschuß war bei allen Beschlüssen in bezug auf Ausgaben für Hochschulbauten mit dieser Situation, ,die ich vorhin nur angedeutet habe, konfrontiert. Er war mit der Tatsache konfrontiert, daß sich die Länder außerstande erklärt haben, 1969 730 Millionen DM für den Ausbau der bestehenden Hochschulen bereitzustellen. Sie wissen auch, daß der Haushaltsausschuß deswegen seinen Ansatz 'für diesen Zweck auf Grund der entsprechenden Bestimmungen auf 560 Millionen senken mußte. Er hat aber dafür den Ansatz für Neubauten auf 115 Millionen erhöht, und auch die verbleibende Differenz wird nach den Vorschlägen des Haushaltsausschusses .dem Hochschulbereich zukommen. Ich möchte hier ausdrücklich feststellen, daß dabei keine Kürzung vorgenommen worden ist.Um so schmerzlicher berührt es uns alle, daß im Rahmen der Konjunkturdämpfungsmaßnahmen vom Kabinett eine vorläufige Ausgabensperre von 125 Millionen verfügt worden ist. Wir können uns damit auf Grund der Wichtigkeit dieser ganzen Fragen nicht einverstanden erklären und möchten vorschlagen, daß man doch noch einmal sehr genau
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969 12205
Frau Geisendörferprüft, ob man nicht an Stelle der Streichung zunächst eine Sperre setzen kann.
— Das ist unsere Frage; es ist unser gutes Recht, diesen Vorschlag zu machen. Ich glaube, auf Grund der Erfahrung vergangener Jahre sind wir wohl berechtigt, einen solchen Vorschlag zu machen, denn es hat sich immer gezeigt, daß man, wenn man zu schnell resigniert, nicht mehr zu dem kommt, was vielleicht noch zu erreichen gewesen wäre.Hier möchte ich noch eine Zwischenbemerkung gerade aus der Sicht des Parlaments machen. Wir wissen, daß dieses Haus, das frühere Bundesministerium für Atomkernenergie, das jetzige Ministerium für wissenschaftliche Forschung, immer in der vordersten Reihe gestanden hat, wenn es getreu den Anweisungen des Kabinetts oder des Haushaltsausschusses an seinem eigenen Etat Streichungen vornehmen sollte. Andere Häuser und andere Verwaltungen waren nicht so schnell bei der Sache, sie konnten also später nachträgliche Streichungen — —
— Das kann ich Ihnen beweisen.
— Ich möchte aber meine Behauptung trotzdem aufrechterhalten; vielleicht können wir zu gegebener Zeit noch darüber sprechen. — Es ist also in diesem Hause, wenn diese Maßnahmen kommen, sehr viel weniger Polster drin. Ich möchte darum noch einmal vorschlagen, eine Sperre zu verhängen und bis Jahresende eventuell eine differenzierte Lösung zu ermöglichen. Dieser Vorschlag — Herr Kollege Hermsdorf, ich darf es Ihnen vielleicht hinter vorgehaltener Hand verraten — kommt nicht von einem Laien des Haushaltsausschusses, sondern diesen Vorschlag wollte eigentlich mein Kollege Althammer vortragen, dem Sie nicht gänzliche Unkenntnis oder mangelnde Sachkenntnis auf diesem Gebiet vorwerfen können.
— Ja, ich sage das deshalb, weil Sie sagten, Sie könnten beweisen, daß es nicht stimmt.Ich darf hier vielleicht auch noch sagen, daß der Kollege Althammer dringende Verpflichtungen hatte und deswegen dieses Anliegen nicht selber vortragen konnte.Um unserem Wunsch noch größeren Nachdruck zu verleihen, möchten wir auch noch daran erinnern, daß der Bundesfinanzminister Strauß bei der Freigabe der gesperrten Mittel doch die Priorität dieser Aufgaben berücksichtigen sollte, die er selber immer so überzeugend dargelegt hat, besonders in der Zeit, als er der Chef dieses Hauses war.Dann eine Anmerkung — nur eine Anmerkung, wie ich noch einmal betonen möchte — zur Atomforschung und zu Fragen der Forschung überhaupt. Heute hat eine Zeitung in einer Überschrift gefragt, ob die Forschung bei uns eine Zipfelmütze trage. Ich glaube, so vereinfacht man diese ganzen Fragen zu stark. Die Erfolge im Bereich der deutschen Atomforschung sind eindrucksvoll. Wir wissen zwar, daß wir vielleicht noch mehr hätten erreichen können, aber jeder, der die Materie etwas genauer kennt, weiß, daß nicht nur wir in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch andere Länder einige Umwege auf diesem ganz neuen Forschungsgebiet in Kauf nehmen mußten. Auf den Großforschungsgebieten gehörte ein Pioniergeist dazu, der auch einmal etwas wagte, bewußt Umwege riskierte und auch wagte, in angemessenem Rahmen finanzielle Aufwendungen à fonds perdu zu geben.Bis jetzt hat der Bund in diesem Bereich 215 Millionen DM aufgewendet. In enger Zusammenarbeit mit der deutschen Wirtschaft, die ihrerseits hohe Investitionen auf der Basis nationaler Förderung vorgenommen hat, wurde dieser Erfolg erreicht. In vergangenen Jahren haben wir oft an die deutsche Industrie und Wirtschaft von diesem Platz aus appeliert, ihre Bemühungen auf dem Forschungsbereich zu intensivieren. Dabei haben wir ihr als leuchtendes Vorbild immer besonders die Vereinigten Staaten vorgehalten.Ich glaube, es ist an der Zeit, heute und hier der Industrie und der Wirtschaft auch einen Dank dafür auszusprechen, daß sie ihre Bemühungen intensiviert haben. Gerade vor einigen Tagen habe ich mit Vertretern eines der größten deutschen Industrieunternehmen gesprochen. Dabei hat man mir glaubhaft versichert, daß die Zuschüsse des Bundes zu der firmeneigenen Forschung nur ein Viertel der gesamten Aufwendungen für Forschung betragen. Dem hohen Anteil der Industrie selbst gebührt Anerkennung, und wir möchten ihr Dank sagen. Wir haben Verständnis dafür, daß es auch hier einiger Anlaufzeit bedurft hat, bis es so weit war. Ich hoffe, daß Dank und Anerkennung — wenn Sie mir die Anmerkung nicht übelnehmen -- auch einen gewissen psychologischen Erfolg haben. Anerkennung und Dank bringen vielleicht manchmal mehr Ansporn als ständiger Tadel und Beschwerden.Es wäre sicher möglich, in diesem Zusammenhang noch einmal über den Atomsperrvertrag aus der Sicht der zivilen Fragen zu sprechen. Ich möchte es mir versagen. Ich habe dies nur deshalb angemerkt, damit Sie nicht etwa denken, wir sähen diese Zusammenhänge nicht. Aber ich habe immer wieder betont, daß wir uns heute zeitlich beschränken wollen.
—Ich habe ja gesagt, ich werde es nicht tun. Ich habe deswegen darauf angehoben, weil ein Sprecher der FDP bereits einen konkreten Fall dieser Problematik erwähnt hat. Damit möchte ich zum Ausdruck bringen, daß wir durchaus über diese Frage sprechen können, es aber heute und hier nicht tun wollen.Wir wissen z. B., daß 35 Millionen DM im Jahre 1968 für eine Gaszentrifuge neu bewilligt wurden, mit der wir zusammen mit England und Holland den Vorrat an angereichertem Uran für Ende der 70er Jahre erhöhen wollen. Ich spreche deswegen
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12206 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969
Frau Geisendörferin dem Zusammenhang davon, weil sich hier ein positiver Ansatz für deutsche und europäische Zusammenarbeit der Zukunftsindustrien zeigt.Allerdings könnte man an dieser Stelle auch von der Problematik dieser Zusammenarbeit sprechen. Wir wissen, daß diese Zusammenarbeit vordringlich ist; denn nach heutigen Erkenntnissen ergibt sich Ende der 70er Jahre für Europa die bekannte Vorratslücke bei angereichertem Uran, das für die Existenz der Atomkraftindustrie entscheidend ist. Wir wissen alle, daß der Export deutscher Reaktoren davon abhängt, ob wir eine Garantie dafür geben können, daß wir auch die Brennelemente für diese Reaktoren liefern.Im Rahmen von Euratom war eine Realisierung mancher Vorhaben nicht möglich. Zu Euratom hätte ich eine ganze Reihe von Anmerkungen zu machen. Sie wissen, daß wir zu den Eurotom-Fragen einen Entschließungsantrag für die dritte Lesung vorliegen haben. Ich darf mir vorbehalten, bei der Begründung dieses interfraktionellen Antrags in der dritten Lesung noch ausführlicher auf diese Fragen einzugehen.Schließlich noch eine Bemerkung über die anderen Aufwendungen im technologischen Bereich. Es ist interessant, die neuesten Ergebnisse einer OECD- Studie über die Aufwendungen für Wissenschaft und Forschung in Europa und das Verhältnis zu den USA zu lesen. Danach ist der Abstand keineswegs so hoffnungslos, wie das manchmal behauptet wird. Ich möchte sogar sagen, der Abstand verringert sich ständig. Dieienigen, die sich hier im Parlament und in dem Ausschuß von Anfang an mit diesen Fragen befaßt haben, wissen ein Lied davon zu singen und können bestätigen, daß wir damals nicht geglaubt haben und noch nicht einmal die Hoffnung haben konnten, daß wir im März 1969 so weit aufgeholt haben würden. Ich glaube, daß wir aufgeholt haben, — wenn wir auch noch nicht überall den Anschluß bekommen haben —, wurde möglich, weil wir allmählich gelernt haben, bestimmte Schwerpunkte herauszustellen, und nicht den Ehrgeiz hatten, alles zu machen, sondern die Lücken erkannt haben, wo wir etwas leisten konnten, und unsere ganzen Bemühungen darauf konzentriert haben. Ich möchte an dieser Stelle auch dem Herrn Wissenschaftsminister und seinen Mitarbeitern Dank sagen und zum Ausdruck bringen, daß wir das durchaus verfolgt haben und um diese Anstrengungen wissen. Wir möchten Sie ermutigen, diese Linie nachdrücklich weiter zu verfolgen.Es wären dann Betrachtungen darüber anzustellen, daß die Situation in den einzelnen Forschungsbereichen natürlich differenziert ist und daß wir in manchen Dingen weitergekommen wären, wenn eben die europäische Zusammenarbeit sehr viel intensiver gewesen wäre. Die technologische Zusammenarbeit ist in allgemeine politische Entscheidungen eingebettet, und dadurch sind manche Verzögerungen zu erklären.Die Bundesrepublik will nach der mittelfristigen Finanzplanung in diesem technologischen Bereich bis 1973 eine Verdoppelung von 3,8 auf 7,3 MilliardenDM erreichen. Es ist gut, daß der Wissenschaftsminister diese positive Bilanz vor einigen Tagen veröffentlicht hat. Wir hätten gern gesehen, wenn manche Dinge, die darin enthalten sind, bei dieser Debatte zur Kenntnis und in diesem Zusammenhang an die Öffentlichkeit gebracht worden wären. Ich möchte noch einmal feststellen, daß wir im nationalen Bereich aufgeholt haben, vor allem im Atombereich, bei der Weltraumforschung und auch bei der Datenverarbeitung; bei anderen Bereichen der neuen Technologie sind wir auf dem Wege.In diesen Tagen ist viel von den Möglichkeiten der Datenverarbeitung gesprochen worden. Ich möchte diese Überlegungen nur unterstreichen und in dem Zusammenhang auch sagen, daß sich unser Parlament die Hilfe dieser technischen Einrichtungen sehr viel mehr zunutze machen sollte, als es bisher geschehen ist. Ich hoffe, daß bei der Beratung des Einzelplans 02, unseres eigenen Haushalts, dazu noch etwas gesagt wird.Wenn wir in künftigen Jahrzehnten unter den Spitzenreitern der modernen Industriestaaten bleiben wollen, werden die nationalen Bemühungen allein aber nicht genügen. Wir werden uns, um das noch einmal zu unterstreichen, in der kurzen Zeit, die Europa noch zur Verfügung steht, sehr viel mehr Mühe geben müssen. Ich möchte noch einmal ganz deutlich betonen: es führt kein Weg an Europa vorbei. Wir wollen die technischen Probleme nicht gesondert betrachten; denn für die kommende Generation ist es eine Frage der politischen Existenz und ihres Lebensstandards, ob Europa zusammenfindet oder nicht. Es ist aber auch eine Frage, ob sich die kommende Generation an der Lösung technischer Probleme, die sie faszinieren, versuchen kann. Um deutlich zu machen, was ich damit meine, darf ich an den Wettbewerb „Jugend forscht" erinnern, der ganz erstaunliche Ergebnisse zeitigte. Daran zeigt sich, wie sich die Jugend, über die heute auch schon manches Negative ausgesagt wurde, an solchen Dingen begeistern kann.Wir sollten auch ein Wort der Anerkennung an diejenigen Gremien und Persönlichkeiten richten, die sich bemühen, die Jugend auf diesem Gebiet zu faszinieren. Unserer Delegation ist in Amerika, in Huntsville, erzählt worden, daß Kennedy die Weltraumforschung nicht nur mit technologischen, militärischen und industriellen Gesichtspunkten begründet hat, sondern auch dadurch, daß er der Jugend Amerikas, die scheinbar nichts mehr zu erobern hatte, ein ganz weitgestecktes Ziel gab. Das ist vielleicht ein Gedanke, der nicht ganz abwegig ist.
— Warum nicht?
Zum Schluß bleibt mir noch, dem Minister noch einmal dafür zu danken, daß er — soviel an ihm lag — jede MögLichkeit ausgenutzt hat, die bestehenden europäischen Gemeinschaften wie Euratom, ESRO, ELDO usw. zu erhalten. Wir wissen allerdings auch, daß die Erhaltung dieser Institutionen nicht genügt. Es ist dringend notwendig, daß wir neue Formen der Zusammenarbeit finden: entweder die Schaffung völlig neuer Organisationen oder das Be-
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Frau Geisendörfertrauen der bestehenden Organisationen mit anderen Aufgaben. Ich bin der Meinung, daß wir nicht um jeden Preis gerade auf diesem Gebiet, in dem der Wandel sich rascher als auf anderen Gebieten vollzieht, Bestehendes nur deshalb erhalten sollten, weil es sich in seinem Anfangsstadium einmal bewährt hat.Wir hoffen, daß der Herr Minister bei seinen Bemühungen vom Parlament jede finanzielle Unterstützung erhält; denn es genügen hier nicht nur die guten Programme, sondern mehr als auf anderen Gebieten ist die finanzielle Unterstützung notwendig. Ich bitte auch die anderen Kollegen, die sich auf diesem Gebiet nicht so intensiv betätigen, Verständnis dafür zu haben, daß wir hier mehr als auf anderen Gebieten wagen müssen; denn ein Rückschnitt auf dem Gebiet von Wissenschaft und Forschung würde auch ein Rückschritt bei Leistungen auf anderen Gebieten bedeuten, gerade auch auf sozialem Gebiet.Ich glaube, das muß einmal ganz deutlich ausgesprochen werden, weil in der Öffentlichkeit sehr oft auf die primitive Alternative vereinfacht wird: besser die sozialen Leistungen erhöhen und hier nicht Geld hinauswerfen. Wir müssen immer wieder betonen, daß hier ein ganz deutlicher funktionaler Zusammenhang besteht. Ich hoffe, daß sich das auch allmählich herumspricht.
Das Wort hat der Abgeordnete Moersch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Geisendörfer hat hier bereits eine kritische Wendung in bezug auf die Informationspolitik des Herrn Bundesministers gebraucht; weitere diesbezügliche Ausführungen kann ich mir ersparen. Ich muß aber dem Herrn Minister bescheinigen, daß er ein sehr guter Kenner des Parlamentsbetriebs ist; denn er hat natürlich in weiser Voraussicht dieser merkwürdigen Terminierung der Öffentlichkeit, nämlich den Zeitungen, rechtzeitig das übermittelt, was er heute vielleicht gar nicht mehr losgeworden wäre.
— Beispielsweise, ja; was er ungeprüft möglicherweise nicht hätte sagen können. — Aber, Herr Minister, wir haben ja vielleicht im April Gelegenheit, diese Diskussion zu führen. Ich sage: vielleicht. Denn wenn ich den Optimisimus hätte, den Frau Kollegin Geisendörfer, was den Termin betrifft, hier verströmt hat, könnte ich mich jetzt hier auch ganz kurz fassen. Ich habe aber heute morgen von den Fraktionsgeschäftsführern vernommen, daß inzwischen für diesen Tag auch eine andere wichtige Debatte fest versprochen worden ist, nämlich die deutschlandpolitische, mit der Zusage, daß wir dafür bei dieser Haushaltsdebatte keine Deutschland-Debatteführen. Ich bin einmal gespannt, wie dieser Ringkampf am Ende ausgehen wird.
— Die Zeit wird siegen, ja; Sie haben recht, Herr Hermsdorf.Nun zu dem Etat 31. Wir können ihn nicht betrachten, ohne uns gleichzeitig die anderen Etatmittel für Forschung im Bundeshaushalt anzusehen. Dabei kommen wir immerhin — ich bedauere, nur noch eine geringe Zahl von Kollegen hier zu sehen— auf einen Anteil im Bundeshaushalt von nahezu 5 % für Forschungs- und Wissenschaftsaufgaben. Meine Damen und Herren, das ist eine Summe, die wir zu verantworten haben. Das sind mit dem Verteidigungsforschungsetat über 4 Milliarden DM. Es sind die Mittel, die im gesamten Bundeshaushalt am ehesten disponibel und am wenigsten gesetzlich festgelegt sind. Man wird uns eines Tages mit Recht fragen, ob sie sinnvoll und vernünftig ausgegeben worden sind.Hier muß ich nun Zweifel anmelden; ich muß sie gegenüber den vergangenen Jahren sogar verstärken. Der Effekt der Verwendung dieser 4 Milliarden DM ist mir jedenfalls bei allem Bemühen, Klarheit zu schaffen, nicht in allen Fällen klargeworden. Die lange Liste der beteiligten Ressorts, die wir im Haushaltsplan aufgeführt finden, spricht ja auch nicht dafür, daß die Bundesregierung selbst in dieser Frage Klarheit schaffen konnte, sondern sie ist geradezu eine Aufforderung an Interessenten, sich der Möglichkeiten zu bedienen, die ihnen diese Vielfalt der Erscheinungen im Bundeshaushalt und in den einzelnen Ressorts bietet. Ich habe das Gefühl, daß hier das machtverteilende Prinzip in der Bundesregierung überstrapaziert worden ist, daß viel zu viele Ressorts die Finger in dieser Kasse haben und daß am Ende — vielleicht mit Ausnahme eines leidgeprüften Referenten in der Haushaltsabteilung des Finanzministeriums — niemand mehr einen wirklichen Überblick über die Möglichkeiten der Forschungsfinanzierung hat.Das ist. ein Ausweis für die Schwäche der Organisation der Bundesregierung. Es ist auch ein Ausweis dafür, daß der Regierungschef seine nun wirklich unbestrittene Organisationskompetenz in dieser Bundesregierung nicht wahrgenommen hat, daß er offensichtlich das Problem nicht erkannt hat. Herr Kollege Dichgans hat uns vorhin in leuchtenden Farben die fabelhafte Planungsabteilung geschildert, die es im Bundeskanzleramt gibt. Ich meine, es wäre die erste Aufgabe dieser Planungsabteilung, hier einmal für Ordnung zu sorgen und einen übersichtlichen Organisationsplan für die Bundesregierung selbst zu erstellen.Nun hat der Haushaltsausschuß selbst — als unverdächtiger Zeuge ist der Berichterstatter für das Wirtschaftsressort hier anwesend; er hat am Ende seines Berichts darauf hingewiesen — offensichtlich Sorge über die Effektivität der Ausgaben bei der Verwendung von Mitteln für die gleiche Sache in verschiedenen Ressorts, z. B. in der Datenverarbeitung beim Wirtschafts- und Wissenschaftsressort.
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MoerschDas überschneidet sich in vielen Fällen, weil die Aufgabenstellung immer mehr zusammengewachsen ist, die zum Ziel hat, eine wachstumsorientierte Forschungspolitik in diesen Bereichen zu betreiben. Hier muß eine andere Organisationsform, eine klarere Verantwortlichkeit innerhalb der Bundesregierung gefunden werden.Das Beispiel Datenverarbeitung ist inzwischen geradezu abschreckend geworden. Ich muß Ihnen ganz offen bekennen, alle Bemühungen, hier mehr Geld auszugeben, stoßen bei mir auf große Skepsis, solange ich nicht weiß, ob irgend jemand in der Lage ist, zu beweisen, daß das auch sinnvoll geschieht. Die Gründung neuer Gesellschaften in GmbH-Form mit undurchsichtiger Aufgabenstellung, etwa hier in der Nähe, ist auch nicht gerade dazu angetan, das Vertrauen in die Richtigkeit dieser Politik zu stärken.Die Frage ist eben: Wie will die Regierung fördern, hat sie überhaupt einen Überblick über die gestellten Aufgaben und kann sie entsprechend richtig disponieren? Die falschen Prognosen, die uns in diesem Parlament in der Vergangenheit gegeben worden sind, lassen sich ja leicht nachweisen. Ich darf nur an das besonders markante Beispiel des Rechenzentrums in Darmstadt erinnern. Hier wurde uns gesagt, daß das völlig in Ordnung gehe; das sei sachverständig geprüft, was man eben bei uns sachverständig nennt. Inzwischen erfahre ich, daß gar nichts geht, daß die Anlage dort, die wir aus nationalen Gründen angeschafft haben, offensichtlich noch nicht im nötigen Umfange betriebsbereit ist, ja, daß die Firma sogar Konventionalstrafen zahlen muß, weil sie den Vertrag nicht einhalten konnte.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Frage der Frau Abgeordneten Geisendörfer?
Herr Kollege, sind Sie darüber informiert, daß sich diese Rechenanlage noch im Stadium der Erprobung, der Installierung befindet und sie erst noch eingestimmt werden muß, bis sie so funktioniert, wie es endgültig gedacht ist, und daß man, glaube ich, erst Ende dieses Jahres ein Urteil wird fällen können?
Frau Kollegin, das habe ich soeben gesagt. Wenn ein Vertrag geschlossen worden ist, in dem steht, daß sie zu einem bestimmten Zeitpunkt funktionieren wird, und zwar deswegen, weil die deutsche Wissenschaft die Rechenkapazität braucht, wenn dann hier in diesem Parlament exakt vorausgesagt worden ist, daß diese Erwartung, die vertraglich niedergelegt und vom Ministerium uns gegenüber mit Emphase verteidigt worden ist, nicht eintreffen werde, und man hinterher feststellt, daß man recht behalten hat und das Ministerium unrecht, wird man das hier ja wohl noch sagen dürfen. — Bitte schön!
Würden Sie mir nicht zustimmen, daß es gerade auf diesem Gebiet, wo es ja doch keine vergleichbaren Anlagen gibt und man neue Erfahrungen sammeln muß, tatsächlich nicht immer möglich ist, genaue Fristen einzuhalten?
Frau Kollegin, verteidigen Sie doch keine unhaltbaren Positionen! Es geht um zwei ganz verschiedene Dinge. Ich habe gar nichts dagegen gehabt, daß man diese Anlage bestellt, aber nur unter der Bedingung, daß vorher für Rechenkapazität gesorgt worden ist. Man kann doch nicht gleichzeitig arbeiten und forschen wollen, nämlich über Dinge befinden wollen, die noch gar nicht geklärt sind. Hier geht es darum, daß die deutsche Wissenschaft diese Kapazität braucht und daß sie jetzt nicht vorhanden ist. Die Entwicklungsfinanzierung für andere Dinge hätte man auch so machen können. Man hat uns hier schlichtweg ein rosa Bild gemalt, das der Praxis eben nicht standgehalten hat. Das Merkwürdige ist, daß die völlig unsachverständigen Abgeordneten in diesem Hause die Situation richtiger gesehen haben als die ach so sachverständigen Berater der Bundesregierung in diesem Falle. Das muß man hier doch einmal sagen. Deswegen habe ich eben ein großes Mißtrauen gegenüber amtlichen Meinungen. Das ist mir vielleicht angeboren. Aber in diesem Falle sehe ich mich nun ausdrücklich bestätigt.Weitere Punkte, die ich hier erwähnen muß, um die Mängel im System aufzuzeigen, die wir doch alle beseitigen wollen. Ich bin nicht im Zweifel, auch der Minister selber hat ein Interesse, diese Mängel zu beseitigen. Als Sprecher der Opposition muß ich hier einige Anmerkungen machen, weil es zum Haushalt gehört. Das kann ich nicht auf April verschieben.Ich meine, bei uns ist noch nicht die richtige Form des Zusammenwirkens zwischen der industriellen Forschung und dem gefunden, was der Staat von sich aus an Forschungsprojekten zu fördern hat. Mir ist unklar, wie das im einzelnen vor sich gehen soll. Ich habe hier bisher kein Verfahren entdecken können, das für uns Abgeordnete, die wir den Haushalt mit zu verantworten haben, wirklich befriedigend wäre. Die Organisation der Bundesregierung und ihrer Ressorts ist meiner Ansicht nach für diese Zusammenarbeit in der jetzigen Form nicht bereit und nicht genügend geeignet. Die Bundesregierung und ihre Verwaltung ist eben von Anfang an anders konstruiert gewesen. Wir müssen bei diesem Bereich an die enge Verflechtung von Wissenschaft und Wirtschaft denken. Es hat sich herausgestellt, daß es z. B. Anlagen gibt, in denen eine sehr auf Rentabilität orientierte Beteiligung von Industrieunternehmen und eine praxisorientierte Erfahrung dieser Unternehmen zusammen mit den Wissenschaftlern offensichtlich eine größere Effektivität der Ergebnisse zeitigt als andere. Ich denke an das Beispiel Jülich und die Arbeiten, die dort weitergeführt werden. Das muß uns doch zu denken geben. Es kommt nicht darauf an, daß wir einen Haufen Geld ausgeben, es kommt darauf an, daß wir für dieses Geld am Ende einen vernünftigen Erfolg erzielen. Hier geht es schließlich nicht um
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Moerschdie Grundlagenforschung, hier geht es um angewandte Forschung, hier geht es um Entwicklung. Hier muß man mit dem Rechenstift vorangehen und sehen, welche Zukunftschancen die geförderten Projekte am Ende haben, das heißt, welches wirtschaftliche Potential darinsteckt.In diesem Zusammenhang ein Wort zum Kernforschungszentrum Karlsruhe. Ich win hier nicht das ganze Problem im einzelnen darstellen; aber einige bemerkenswerte Dinge muß man doch wohl einmal aussprechen.Wir haben im Februar Empfehlungen für die Weiterentwicklung unseres Programms der Brutreaktoren offiziell vom Ministerium bekommen, die erstellt worden waren auf Grund von Anhörungen, von Erwägungen, deren Sachlichkeit nicht bestritten werden soll, obwohl dazu im einzelnen noch etwas zu sagen ist. Die Öffentlichkeit mußte also den Eindruck gewinnen, daß hier von hoher Warte mit voller Überzeugung nach gründlicher Prüfung eine Entscheidung gefallen sei. Aber der aufmerksame Zeitschriftenleser konnte schon im September in der Fußnote eines Beitrags in einer energiewirtschaftlichen Zeitschrift lesen, daß damals gewisse Berater der Bundesregierung die Entscheidung gekannt haben, die der Minister erst im Februar gewußt hat, weil er sie nämlich erst im Februar getroffen hat. Das gibt doch Stoff zum Nachdenken. Wenn eine halbjährige Spanne zwischen dem liegt, was wir „Entscheidung" nennen, und dem, was schon längst als feststehende Tatsache in einem wissenschaftlichen Beitrag angekündigt worden ist, muß man sich doch fragen: Wie findet eigentlich der Entscheidungsprozeß in diesem Lande statt über Projekte, die in den nächsten zehn Jahren nicht nur Milliarden kosten können und werden, sondern die auch für die Existenz unserer Volkswirtschaft und unserer Industrie von außerordentlicher Bedeutung sind, nämlich für die Frage, ob wir auf einem bestimmten Gebiet in der Welt künftig mithalten können oder nicht? Das muß man doch wohl einmal zur Sprache bringen.Aber die Sache wird noch komischer durch eine Mitteilung auf diesem Gebiet, die ganz neu ist. Im Februar haben wir von der Entscheidung des Bundesministers für .den Schwerpunkt Natrium-Linie beim Brüter erfahren. Vor wenigen Tagen ist in einer amerikanischen Fachzeitschrift, in „Nucleonics Week", eine Nachricht — —
— Ja, ich habe es selber gelesen.
— Stellen Sie sich vor, Herr Dr. Martin, ich habe lesen gelernt!In dieser Zeitschrift steht die Mitteilung, daß ein Spitzengremium von Forschern in der ENEA nach anfänglichen Zögern 'der französischen und italienischen Vertreter nun einstimmig eine Empfehlung verabschiedet habe, wonach nicht die Natrium-Linie sozusagen das Bestmögliche sei, sondern der gasgekühlte Brutreaktor jetzt den Vorrang haben müsse, weil er sich als der eigentliche zukunftsorientierte Reaktor herausgestellt habe. Ich kann die Nachricht nicht nachprüfen; aber die Zeitschrift, die das gebracht hat, hat schon vor Monaten durchblicken lassen, daß wir von unserem ursprünglichen Programm mit dem Dampfreaktor abgehen würden. Insofern scheint sie mir eine ganz gute Quelle zu sein. Es wäre nützlich, das einmal aufzuklären. Es ist ja merkwürdig, daß man über ,so wesentliche Dinge durch Fachzeitschriften — hier handelt es sich um die angesehenste in der Welt 'auf diesem Gebiet — informiert wird und nicht hier im Parlament durch ,das Ministerium.
— Ja, aber die Frage ist nur, für was Sie am Ende Geld rausgeben. Wenn Sie nur für eine das Geld haben, müssen Sie sich eben auf eine konzentrieren, und wenn jetzt die Empfehlung fürgenau die kommt, die wiederum anders ist, als die, für welche hier im Februar entschieden worden ist, so gibt das wohl Stoff zum Nachdenken; denn so ,schnell haben sich die Zeiten und die wissenschaftlichen Erkenntnisse ja nicht geändert. Offensichtlich waren die Meinungen längst vorgeprägt und wurde das, was bei uns jetzt gerade für modern gehalten wird, doch nicht so ganz als das Modernste angesehen.Ich meine nur, wenn Wir hier Haushaltstitel verabschieden, muß das Parlament wissen, daß wir Mittel zur Förderung zukunftsorientierter Projekte einsetzen sollen, während man dann gleichzeitig erfährt, daß am Ende vielleicht doch die falschen gefördert werden, die gar nicht so ganz zukunftsorientiert sind. Deshalb habe ich große Bedenken gegen die Art, in der bei uns im Augenblick noch die Entscheidungen fallen, und gegen die Art der Information aller Beteiligten einschließlich des Ministeriums.
Ich schließe daraus, daß wir eine ganz andere Form der Entscheidungsfindung brauchen. Ich mache niemandem einen Vorwurf aus dieser Sachlage. In anderen Ländern mag das im Augenblick nicht viel besser sein. Wir brauchen eine breite Basis der fachlichen Diskussion, nach der dann die politischen Instanzen am Ende eben ihr Urteil fällen müssen. Es darf nicht so sein, daß Sachverständiger derjenige ist, der vom Ministerium oder von irgend jemandem für sachverständig erklärt wird. Vielmehr kann es doch nur so sein, daß alle am Wissenschaftsprozeß Beteiligten, die ihre Fachkenntnisse besitzen, auch die Möglichkeit haben, diese Fachkenntnisse in voller Offenheit kundzutun und sich zu den anstehenden Fragen zu äußern. Das darf nicht formal durch die Dienststellung oder ähnliches eingeschränkt werden. In dieser Frage gibt es keine Forscher erster oder zweiter Klasse. Es gibt auf jedem Gebiet Spezialisten, gleichgültig welchen Titel sie tragen, welche Dienststellung sie haben und welches Gehalt sie im einzelnen beziehen. Wir sollten uns in Deutschland einmal abgewöhnen, die Qualität der Beratung nach dem Titel und nach der jeweiligen Gehaltsstufe zu werten. Da müssen wir vielleicht noch ein bißchen umlernen und uns an an-
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Moerschdere Methoden gewöhnen; denn inzwischen sind Wissenschaft und Technik sehr differenziert.
— Ach, Herr Matthöfer, Sie geben mir ein Stichwort. Über die Beratungsverträge wird uns vielleicht der Minister eines Tages etwas sagen können. Auch das ist natürlich ein Problem.
— Herr Baier, es tut mir leid; den letzten beißen die Hunde. Ich bin mir dieser Tatsache bewußt. Aber ich habe, glaube ich, bekundet, daß es sich hier um einen wichtigen Etattitel handelt, und ich möchte als Oppositionssprecher die Gelegenheit nutzen, dieses in der Öffentlichkeit breit diskutierte Thema Ihnen hier einmal darzustellen, weil ich glaube, daß wir diese Basis einfach brauchen. Ich hoffe, daß Sie als Mitglied des Haushaltsausschusses wenigstens etwas Gewinn ziehen aus den Ausführungen, die nachher der Minister gegen mich machen wird; das ist mir vollkommen klar.
Was .die Beratungsverträge, die in einem Zwischenruf angesprochen wurden, betrifft, so ist mir unklar, wie es überhaupt angehen kann, daß etwa Mitglieder der Geschäftsführung einer vom Bund finanzierten Gesellschaft bei Industriefirmen, die für diese Gesellschaft arbeiten, gleichzeitig noch in einem Beratungsverhältnis stehen. Das mag in Deutschland Usus sein; für mich ist es jedenfalls überraschend. Wir wollen darüber einmal im einzelnen hören. Vielleicht erklärt sich dann auch manches von der „wunderbaren" Art, wie bei uns Entscheidungen getroffen werden. Das wäre doch ganz nützlich zu wissen. Herr Matthöfer, ich bin Ihnen dankbar für den Zwischenruf; Sie sind da offensichtlich auch ein wenig über die Zusammenhänge informiert.Nun, das Hearing damals im Auswärtigen Amt, das veranstaltet wurde, lag ja zeitlich ungünstig, und ich habe den Eindruck — bei aller Nützlichkeit dessen, was wir da gehört haben —, daß es ein programmiertes Hearing war, programmiert nämlich von seiten derer, die wir angehört haben. Da gab es sehr ausführliche Vorbereitungen, und es gab offensichtlich auch Sprachregelungen im einzelnen, wer nämlich gerade reden durfte und wer unter keinen Umständen reden sollte. Das müßte noch zu prüfen sein.
—Ja, ich habe diese Beweise. — Das hat vielleicht auch an der Organisationsform gelegen. Ich will nur sagen, künftig sollten wir es anders machen. Es sollte nämlich der Wissenschaftsausschuß bei der Etatberatung von sich aus einladen, und zwar jeden, den es betrifft, und er sollte sich so viel Zeit nehmen, jeden anzuhören, von dem er dazu etwas erfahren kann. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Ich habe volles Verständnis dafür, daß die Betroffenen sich hier vorbereiten. Das ist ihr gutes Recht. Wer jebeim Kommiß gewesen ist, weiß, wie Besichtigungen vorbereitet werden.
Das hierzu. Wissenschaftlich ist das natürlich nicht.Es besteht jedenfalls die Pflicht des Bundestages, zu anderen Informationsmethoden und zu einer anderen Verfahrensweise zu kommen. Dann können wir nähmlich mit besserem und ruhigerem Gewissen auch größere Risiken eingehen. Darauf komme ich jetzt.Es ist in der Tat vieles von dem ein Risiko, was hier getan wird. Das ist uns klar gesagt worden. Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit, daß das eine oder das andere Projekt richtig oder falsch ist. Ich möchte hier sagen, Herr Minister, daß das Ergebnis dieses Anhörungsverfahrens für mich u. a. die Erkenntnis ist, daß es sehr gut wäre, wenn wir jetzt den Schwerpunkt eben nicht nur auf eine Linie, auf die Natrium-Linie, konzentrieren müßten. Ich halte es vielmehr im nationalen Interesse und im Interesse unserer Konkurrenzfähigkeit in den 70er- und 80erJahren auf dem Weltmarkt für geboten, daß wir auch das Risiko eingehen, jetzt den Dampfbrüter zu bauen und möglichst rasch mit ihm weiterzumachen, und daß wir dieses Geld zusätzlich aufbringen, — —
— Entschuldigung, zunächst einmal wir. Wir müssen uns Verbündete suchen. Die Alleinvertretungsthese auf diesem Gebiet ist gar nicht so schlecht, Kollege Flämig. Warum eigentlich nicht den Versuch machen? Warum eigentlich nicht? Vielleicht bekommt man dann doch Verbündete dafür. Tatsache ist doch: wenn wir den Mut haben, eine Sache, bei der unsere Industrie im Bereich der Kraftwerksanlagen, des Dampfkraftwerks jedenfalls die allergrößten Erfahrungen in der Welt hat, ein solches Projekt dann durchzuziehen, haben wir auch die sehr große Chance, nachher einen großen Erfolg für uns zu buchen.Die Begründung, die für die andere Sache gegeben wurde, nämlich daß es mit vielen gemeinsam gemacht wurde, hat sicher auch sehr viel für sich. Es ist ein weiterer Gesichtspunkt auch dabei: Wenn das schiefgeht, geht es natürlich bei allen schief, und dann ist es nicht so peinlich. Aber ich muß Ihnen sagen, wir müssen auch das Risiko auf uns nehmen, daß eine Sache, die wir allein machen, am Ende schiefgeht, und das Parlament muß wissen, daß das Geld dann eben zum großen Teil falsch angelegt war. Wenn wir aber diesen Mut zum Risiko nicht haben, werden wir auch keine sehr großen und überzeugenden Erfolge erwarten können. Das ist die Frage, vor der Sie hier stehen; die müssen Sie auf lange Sicht beantworten.Ich kann nur sagen: Nach den neuesten Mitteilungen, die hier gegeben worden sind, scheint auf diesem Gebiet überhaupt nichts gesichert zu sein. Wenn wir nun schon auf einem ganz bestimmten technischen Gebiet in der Welt — das muß ich hier nicht im einzelnen ausführen — größere Erfahrungen tech-
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Moerschnischer Art haben als andere, dann sollten wir doch gerade dieses Gebiet jetzt nicht zurückstellen. Das wäre meine Empfehlung. Aber darüber kann man diskutieren. Das ist eine Aufforderung zum Mut zum Risiko, wenn Sie so wollen.
— Ja, natürlich, selbstverständlich, d. h. das kostet mehr Geld. Aber in einem Forschungs- und Wissenschaftsetat von insgesamt 4 Milliarden DM müßte es meiner Ansicht nach möglich sein, etwas umzuschichten. Wenn wir das schon beschlossen hätten, wäre es auch für die Bundesregierung sehr viel schwerer, dann wieder 125 Millionen DM beispielsweise zu sperren. — Das nur am Rande.Ich glaube, daß sich diese Investition lohnen könnte. Ich möchte das hier einfach erörtern. Es ist schwer für uns, zu sagen, das eine geht, das andere geht nicht. Aber eines ist sicher, daß es mindestens eine Chance gibt, bei einem Alleingang — wenn ich das einmal so formulieren darf — auch Verbündete zu bekommen und am Ende Erfolg zu haben. Nun, es ist noch nichts verdorben. Wir haben ja gehört, daß bestimmte Entwicklungen weitergemacht werden sollen. Ich möchte nur erreichen, daß wir den Anschluß nicht verlieren; denn nach den Nachrichten aus England und Amerika könnte es ja sein, daß das Natrium-Projekt eben doch nicht die gewünschten Erfolge bringt. Darin sind schließlich große Unsicherheitsfaktoren. Darum sollte man hier nicht auf einem, sondern auf zwei Beinen stehen.Ich glaube, daß manches in der Öffentlichkeit gar nicht so problematisch geworden wäre, wenn wir die innere Organisation unserer Forschungszentren anders aufgebaut hätten. Ich muß Ihnen ganz offen sagen, das, was dort an Organisationsformen geschaffen wurde, ist jedenfalls für uns nicht durchschaubar. Ich glaube Grund zu haben für das Verlangen, daß künftig derartige vom Bund fast voll finanzierte und von der Öffentlichkeit voll finanzierte Forschungsunternehmungen durch unabhängige Prüfungsgesellschaften gründlich auf ihre Wirtschaftlichkeit untersucht werden und daß auch Expertisen ausländischer Sachkenner hierfür angefordert werden. Ich glaube, da werden wir manche Überraschung erleben können. Allein die Ankündigung solcher Untersuchungen wird sehr viel zur Verbesserung innerer Strukturen beitragen können. Das ist mein ganz eindeutiger Eindruck, den ich hier an Beispielen erhärten könnte.Für mich ist die Organisationsform von Karlsruhe geradezu ein Symptom für die Notwendigkeit einer Strukturreform aller außeruniversitären Forschungseinrichtungen in Deutschland. Ich bin sicher, wir können mit dem System, das wir jetzt haben, auf die Dauer nicht weiterkommen. Wir müssen diese Forschungsgesellschaften, Fraunhofer-, Max-PlanckGesellschaft und andere mehr, auch die Forschungsgemeinschaft und das Kernforschungszentrum und die ganzen dem Bund gehörenden Institute, weiterentwickeln und müssen uns überlegen — das bitte ich zu prüfen —, ob wir sie nicht alle zusammenfassen können in einer Dachgesellschaft. Sie können sie mit einem schönen Namen versehen, z. B. Akademie der Wissenschaften, und dafür sorgen, daß diese Akademie der Wissenschaften dann eine innere Verfassung besitzt, die wirklich eine demokratische Entscheidungsfindung ermöglicht, die also ein modernes Modell zeitgemäßer Forschungseinrichtungen darstellt und die es uns erlaubt, vom Bund her besser Schwerpunkte der Forschung zu setzen, als das bisher in den jetzigen Formen möglich ist.Meine Damen und Herren, es ist auch ganz sicher, daß das, was in diesem Bundeshaushalt an Instituten steht, nicht deswegen darin steht, weil es sich um sinnvolle Forschungsschwerpunkte handelt. Sie stehen doch zum großen Teil nur darin, weil sie eben irgendwann zu irgendeinem Zwecke einmal gegründet worden sind, den in einigen Fällen aber heute niemand mehr so ganz genau kennt. Das ist doch eine Tatsache, die wir nur ändern können, wenn wir eine Verfassung für diese Forschungseinrichtungen schaffen, die uns eine solche Modernisierung, eine solche Reform, eine Weiterentwicklung erlauben.Ich glaube, wir brauchen eine öffentliche Diskussion über Entscheidungsvorschläge in diesen Forschungseinrichtungen, und wir brauchen die volle Öffentlichkeit der Entscheidungsargumente für ganz bestimmte Forschungsprojekte, damit sie nämlich von denen, die sachverständig sind, geprüft werden können, und nicht allein von denen, die irgendein Amt in irgendeinem Ministerium oder einer Forschungseinrichtung oder sonstwo haben. In dieser — wenn Sie so wollen — Akademie der Wissenschaften muß man dann natürlich auch, um manche Schwierigkeiten, die jetzt aufgetreten sind, zu vermeiden, etwa den Professorentitel verleihen können, man muß dort promovieren können, damit nicht die angestellten Forscher in einer solchen GmbH wie bisher gezwungen sind, nebenher noch Lehraufträge an einer Universität zu übernehmen und damit ihre Arbeitskraft zu teilen. Das sind Probleme, die man, wie ich glaube, auf diese Weise leichter lösen könnte.
— Ach, Entschuldigung, Herr Hammans, stolpern Sie nicht über Zwirnsfäden. Die Dinge sind längst anders geworden. Es ist doch so, daß wir hier Klarheit schaffen müssen. Wir haben doch die Tatsache, daß in Karlsruhe bisher Wissenschaftler aus dem einzigen Grunde an der TH gelehrt haben, weil sie dann eben auch Leute hatten, die sie promovieren konnten, daß sie den Professorentitel bekommen haben und ähnliches mehr. Das ist doch uralt und bekannt. Das können Sie auch niemandem verwehren. Ich finde es aber ziemlich sinnlos. Warum soll der Bund nicht die Möglichkeit haben, wenn er diese Einrichtung, wie ich sie mir vorstelle, schafft, eben selbst den Professorentitel zu verleihen? Dann werden Wissenschaftler nicht durch Lehrveranstaltungen abgelenkt, die sie eigentlich gar nicht machen möchten.
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12212 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969
MoerschDas ist doch eine Tatsache. Wir haben jüngst das Beispiel, daß sich jemand im Ausland habilitieren mußte, der aus dem Anlaß dort war, weil er dort weiterkommen wollte, obwohl diese Art von Arbeit nach unserer Überzeugung — wir werden darüber noch reden — nicht mehr so ganz sinnvoll sein kann, weil sie ihn von seiner Aufgabenstellung im Forschungszentrum möglicherweise ablenkt.Die Liste ließe sich verlängern. Mit anderen Worten: Wenn wir zu einer effektvollen Verwendung der Mittel, die wir in diesem Haushalt haben, kommen wollen, dann müssen wir auch zu einem gründlichen Umdenken in der gesamten Forschungsorganisation bereit sein, in der Art der Entscheidungsfindung. Dann müssen wir Forschungspolitik wirklich einmal neu durchdenken und den Mut haben, diese Forschungspolitik neu zu konzipieren.Ich meine, Herr Minister, das wäre doch eine Aufgabe, die Sie in diesem Lande übernehmen könnten: uns im Herbst, vor den Wahlen, noch einmal zu sagen, wie Sie sich die Zukunft der deutschen Forschungspolitik vorstellen. Das wäre unser Wunsch von der FDP an Sie als Wissenschaftsminister.Auf Grund der hier notwendig gewordenen Beanstandungen sehen wir uns nicht in der Lage, Ihrem Etat zuzustimmen.
Moersch Schoettle: Das Wort hat der Abgeordnete Raffert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es würde mir großes Vergnügen bereiten — aber ich will es mir verkneifen —, den Zankapfel, den Herr Moersch so ruhig in den Saal gerollt hat, von allen Seiten zu betrachten. Da würden ganz nette Widerspiegelungen erscheinen, und manches würde mir daran sicher auch bekannt vorkommen. Ein Teil der Debatte, die wir hier heute führen, ist ja schon in gedruckter Form geführt worden, teils im Pressedienst des Bundesministeriums für wissenschaftliche Forschung vom 19. März — darauf hat Frau Kollegin Geisendörfer hingewiesen —, teils in der Zeit vom 2. Februar 1969 mit den „15 Thesen zur Forschung", die der Kollege Lohmar in Erkenntnis dessen, daß sich der Minister schon schriftlich geäußert hat, zu Protokoll gegeben hat *). Sie sind dadurch Bestandteil der heutigen Debatte geworden. Da kann man manches nachlesen. Ich brauche also vielen Dingen nichts mehr zu sagen.Herr Moersch, bei Ihren Ausführungen habe ich natürlich gemerkt, daß Sie die „15 Thesen" meines Freundes Lohmar sehr genau gelesen haben, und Sie haben anschließend kaum etwas gefunden, mit dem sie nicht übereinstimmen könnten.
— Wir wollen da lieber nicht weitermachen, Herr Martin. Dann fiele uns von Ihnen etwas ein und dann noch von anderen. Aber nun gut!*) Siehe Anlage 9Eines, Herr Moersch, ist Ihnen entgangen bei der von Ihnen gestern offensichtlich geleisteten gewissenhaften Vorbereitung auf die Rede. Sie haben nicht an einem wesentlichen Vorgang zur Verbesserung des kooperativen Föderalismus teilnehmen können, den wir vollzogen haben, indem die Mitglieder des Wissenschaftsausschusses gestern zum erstenmal mit den Mitgliedern der Kultusministerkonferenz zusammengekommen sind. Auf Vorschlag von Dr. Lohmar, dem Vorsitzenden unseres Ausschusses, haben wir uns geeinigt, daß wir künftig regelmäßig in einem informellen Gesprächskreis zusammentreffen werden: einige Mitglieder des Wissenschaftsausschusses, einige Mitglieder der Kultusministerkonferenz. Die Kultusministerkonferenz — das ist wirklich lobenswert — hat heute morgen diesem Vorschlag zugestimmt. Wir werden also künftig einen solchen Gesprächskreis haben.
Da sieht man, daß auch gute Überlegungen und gute Vorschläge trotz der Schwierigkeit der Organisation der Kulturpolitik in der Bundesrepublik noch angenommen werden. Ich freue mich, Ihnen das heute erzählen zu können, Herr Moersch.
— Das kommt fast auf den Tag hin, Herr Dr. Meinecke.
— Ich möchte meinen, heute; denn daß von uns aus ein solcher Vorschlag gemacht wird, ist nicht „historisch". Aber daß ihn die Kultusminister der Länder annehmen, das ist ein historischer Vorgang. Ich glaube, das sehen Sie schon richtig.
— Es hat lange genug gedauert. Hier sieht man, daß das Parlament in diesen Fragen erfolgreich initiativ geworden ist und werden mußte, um die Dinge weiterzutreiben.Ich will es mir ersparen, auf einzelne Probleme hinzuweisen, obwohl ich das aus der Ausgangsposition gern hätte tun wollen, die ich als „Hilfsmitberichterstatter" bei Einzelplan 31 diesmal innehatte. Zu der Entwicklung des „Brüters" wird, so denke ich, mein Freund Flämig noch ein paar korrigierende, ergänzende Sätze sagen.Ich will nur das Ministerium an ein gegebenes Versprechen erinnern, das wir ihm im Haushaltsausschuß abverlangt haben — das möchte ich hier protokollnotorisch machen —, dem Parlament oder den zuständigen Ausschüssen einen Bericht über die Situation der Datenverarbeitung in allen Ressorts zusammenfassend und so umgehend wie möglich zu geben. Ich zweifle ein bißchen daran, daß der Termin zum 1. April eingehalten werden kann, den wir im Haushaltsausschuß gesetzt haben. Ich möchte aber bitten, das nicht zu weit fortzutreiben, damit wir Ende April, wenn wir hier unsere abschließende Wissenschaftsdebatte haben werden,
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Raffertmöglicherweise diesen Komplex gleich gemeinsam miteinander behandeln können.
— Wir werden das Ministerium in peinliche Situationen bringen müssen, wenn das bis dahin nicht vorliegt, Frau Kollegin; dazu werden wir schon in der Lage sein. Das wird aber, wie ich denke, nicht eintreten.Ich habe noch ein paar Bemerkungen zu den Anträgen zu machen, die von den beiden Fraktionen der Großen Koalition vorgelegt worden sind. Der Antrag Umdruck 608 *) beschäftigt sich mit der Umsetzung von 180 000 DM im Bereich der Kernforschungsanlage Jülich. Die sollen gegeben werden, um die Förderung der Forschung in Nuklearmedizin und -biologie dort besser betreiben zu können. Das heißt, es handelt sich um einen Teil der medizinischen Grundlagenforschung, die das Institut für Medizin betreibt und bei der es insbesondere darum geht, „neue nuklearmedizinische und zellenbiologische, analytische und diagnostische Techniken zu entwickeln" ; so jedenfalls heißt es in der schriftlichen Begründung zu diesem Antrag.Es soll eine vorübergehende Hilfsmaßnahme sein. In Jülich arbeiten wir als Bund mit dem Land Nordrhein-Westfalen zusammen, das künftig, wie ich hoffe, in diese Verpflichtung eintreten wird.Der nächste Antrag, zu dem ich ein paar Sätze sagen möchte, steht auf Umdruck 609 *). Hier geht es um eine Ergänzung der Erläuterung zu den Promotionsstipendien, die in Kap. 3102 ausgewiesen sind. Hier treten Bund und Länder in eine Maßnahme ein, die die Stiftung Volkswagenwerk eingeleitet hat, eine Initiative, für die bisher 10 Millionen gegeben worden sind. Wir haben den Ansatz im Bundesetat auf eine Million hochbringen können. Die Länder sollen auch eine Million geben. Wir möchten, daß wie bisher — während die Mittel von der Stiftung Volkswagenwerk gegeben worden sind — die Begabtenförderungswerke in die Vergabe dieser Stipendien einbezogen werden sollen. Ich denke, das ist eine vernünftige Entscheidung.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Flämig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein paar kurze Sätze zu einer Bemerkung unseres Kollegen Moersch, die nicht unwidersprochen bleiben kann. Er hat gesagt, es gehöre Mut dazu, und diesen Mut müsse man haben, die Reaktorentwicklung auf dem Gebiet der schnellen Brüter auch in der Heißdampflinie weiterzubetreiben. Meine Damen und Herren, die Diskussion darüber in einem Parlament ist ohnehin problematisch, denn Politiker sind immer überfordert, wenn sie in einer rein technischen Frage eine Aussage treffen sollen.
*) Siehe Anlage 4
*) Siehe Anlage 5
Aber wir haben uns schon vor Jahren in diesem Hause — ich erinnere mich an die Diskussion 1966 — mit dieser Frage beschäftigt. Da wurde uns gesagt: es gibt drei Möglichkeiten, die Heißdampflinie, die Natriumlinie und die Gaskühlung. Damals war schon die Rede von drei Linien. Ich finde, es war zu verantworten, die zwei zunächst sich anbietenden Linien zu vertreten, solange die Möglichkeit bestand, einen Markt zu eröffnen und insbesondere Verbündete für die Entwicklung zu finden. Ich glaube, wir hätten die Heißdampflinie auch weiter vertreten, Herr Moersch, wenn nicht alle anderen maßgeblichen Nationen von sich aus diese Entwicklung abgestoppt hätten. Denn jetzt ist es so, daß wir auf der einen Seite nicht nur keine Mitentwickler mehr haben, sondern wir haben im Moment dann ja auch keine Marktchance.
Ich finde, es ist schade, daß die Entwicklung — — Bitte schön!
Herr Abgeordneter Flämig, wem gestatten Sie zuerst eine Frage?
Die Opposition würde mich im Augenblick am meisten interessieren, Herr Präsident.
Gut, entscheiden Sie — Herr Moersch offenbar.
Woher wissen Sie denn, daß wir gar keine Marktchancen haben, wenn Sie noch nicht einmal die Ergebnisse der Entwicklung vorliegen haben?
Herr Moersch, weil die Marktchance eng damit zusammenhängt, ob ein Land diese Linie entwickelt. Wenn ein Land an dieser Linie kein Interesse mehr zeigt, wird es auch keinen Markt eröffnen auf dieser Linie.
Herr Kollege Flämig, stimmen Sie mir zu, wenn ich sage, daß in die zur Zeit abgebrochene Linie bisher ungefähr 330 Millionen DM förderungsmittel aus dem Bundeshaushalt geflossen sind?
Genau! Das soll der Abschluß meiner kurzen Intervention sein. Ich wollte sagen, Herr Moersch, da sind doch erhebliche Mittel hineingesteckt worden. Ich finde, solange die Chance bestand, mit diesen Mitteln etwas zu erreichen, ist das zu verantworten. Ich wende mich hier gegen die Kritiker im Lande, die sagen, für diesen Zweck sei vom deutschen Wissenschaftsministerium Geld „hinausgeschmissen" worden. Ich bin nicht dieser Auffassung. Herr Moersch, ich bedaure es sogar, daß wir das Programm stoppen müssen, denn die Bundesrepublik allein kann es nicht machen. Aber wir haben immerhin die Chance, diese Linie eines Tages wieder aufzugreifen; denn im Haushalt sind 1,8 Millionen DM für das Studium des Verhaltens von Brennelementen im Heißdampf vorgesehen. Es ist
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12214 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 223. Sitzung. Bonn, Freitag, den 21. März 1969
Flämigalso noch nicht alles aus dem Feld geschlagen für den Fall, daß sich die Natriumkühlung auch als undurchführbar erweist.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für wissenschaftliche Forschung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorredner haben alle auf die Debatte dm April oder etwas später — um auch den Zweifel von Herrn Moersch zu berücksichtigen — verwiesen. Ich möchte den Ankündigungen meiner Vorredner folgen und tatsächlich versuchen, kurz zu sprechen.
Nun ist es allerdings, vor allem auf Grund des Beitrags von Herrn Moersch, notwendig, noch auf einige Fragen einzugehen und auch einiges, wie ich glaube, zu korrigieren, was hier an kritischen Anmerkungen laut wurde. Ich möchte unterstreichen, daß der Etat 1969 für die Entwicklung der Wissenschaftspolitik des Bundes nach meiner Überzeugung einen klaren Fortschritt bedeutet, und zwar in der Höhe der Mittel, in der Möglichkeit, eingeleitete Programme auszugestalten und neue wichtige Programme — etwa im Bereich der neuen Technologie — erstmals zu beginnen. Ich möchte dem Bundestag und den beteiligten Ausschüssen meinen Dank für die konstruktive Behandlung dieses Etats aussprechen.
In der Zukunft wird es notwendig sein, in Deutschland zunächst einmal das allgemeine Potential in der Grundlagenforschung zu kräftgen. Dazu müssen wir ein breites Spektrum an Forschungsvorhaben fördern, auch in solchen Sektoren, in denen die unmittelbare Anwendung noch nicht direkt erkennbar ist. Die nächste Stufe der kostspieligeren Entwicklung und der Realisierung von Forschungsergebnissen setzt dann allerdings eine zusätzliche gründliche Prüfung und Auswahl und auch .das Erfordernis klarer Prioritätsentscheidungen voraus.
Wir werden — ich möchte das doch mit zwei Sätzen unterstreichen — in ,diesem Jahr 1969, wie ich hoffe, die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für ein wesentlich wirkungsvolleres System der Wissenschafts- und Forschungsplanung im Bereich der Hochschulen gewinnen, und zwar dadurch, daß Ausbau und Neubau der Hochschulen Gemeinschaftsaufgaben werden, daß wir endlich eine gemeinsame Rahmenplanung von Bund und Ländern verwirklichen können und damit über die Ländergrenzen hinweg zu einem Gesamtsystem des deutschen Hochschulwesens kommen. Schließlich müssen wir in besonders aussichtsreichen technischen Sektoren mit breiten Wirkungen für die öffentlichen Belange und für den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt unsere Anstrengungen verstärken.
Einige der Grundfragen, die Herr Kollege Moersch aufgeworfen hat, sind in der Tat schwierig zu beantworten. Wenn Sie die internationale Diskussion verfolgen, werden Sie feststellen, daß auch die anderen führenden Industrienationen es nicht leicht haben, objektive Kriterien für die Schwerpunktbildung und Schwerpunktauswahl in den einzelnen Gebieten der Wissenschaft und Technik zu finden. Wie verhalten sich Physik und Chemie zueinander? Wie verhalten sich die großen Bereiche der Physik untereinander? Was müssen wir in der Hochenergiephysik tun? Wie ist das Verhältnis von Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften? Dies alles erfordert eine ständige Reflexion. Man kann durch sie zwar die Entscheidungskriterien verbessern, aber man kann sie — ,auch im Zeitalter der Computer — nicht so objektivieren, daß ein unberechenbares Element eliminiert werden kann.
Gestatten Sie Herrn Moersch eine Zwischenfrage?
Ja, bitte sehr!
Herr Minister, teilen Sie meine Auffassung, daß es neben den schwierigen Entscheidungsfeldern auch ganz einfache gibt, z. B. dies, daß man in einem Land wie Baden-Württemberg nicht unbedingt vier neue Biologiezentren bauen muß, weil deren Kapazität vielleicht für die ganze Bundesrepublik ausreichend sein könnte?
Ich teile grundsätzlich Ihre Auffassung, ohne den konkreten Fall in Baden-Württemberg sofort aus dem Handgelenk bewerten zu können. Wenn es nicht auch einfache Entscheidungen gäbe, müßten wir unseren Stab verdoppeln, und ich müßte um eine erhebliche Entlastung bitten.
— Die Gefahr von Fehlinvestitionen ist ganz allgemein im bisherigen System der Hochschulplanung nicht auszuschließen, solange 40 Universitäten oder elf Länder autonom planen.
Hier liegt einer der großen Fortschritte der Finanzreform, den wir auch erreichen müssen.Meine Damen und Herren, ich darf aber jetzt doch zu den Einzelpunkten übergehen. Die Kritik, die Herr Kollege Moersch geübt hat, bezog sich auf sozusagen bekannte Themen, auf wichtige Themen; aber es sind eigentlich auch immer wieder dieselben zwei oder drei wichtigen Entscheidungen, die aus den Hunderten von Entscheidungen, die wir zu verantworten haben, wiederkehren. Daß er sich auf diese zwei, drei Punkte konzentriert, nehme ich doch auch als ein ganz gutes Zeichen für andere wichtige und schwierige Entscheidungen, die wir getroffen haben.Das Thema der Rechenanlage für Darmstadt hat uns schon mehrfach beschäftigt. Herr Kollege Moersch, ganz richtig war Ihre Darstellung hier nicht. Die TR 440 der Firma Telefunken ist in Darmstadt installiert, und sie arbeitet mit einer begrenzten
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Bundesminister Dr. StoltenbergKapazität. Man kann also nicht sagen — ich zitiere Ihre Wendung —, daß „gar nichts geht". Das trifft nicht zu. Eine Teilkapazität ist erreicht, und damit verfügt das Rechenzentrum Darmstadt über eine gegenüber der bisherigen verdoppelte Rechenkapazität. Ich räume Ihnen aber gerne ein, daß die Firma hier auf einem der, schwierigsten Gebiete moderner technischer Entwicklung die gesetzten Terminpläne nicht eingehalten und auch die volle technische Realisierung noch nicht erreicht hat und daß wir wahrscheinlich noch ein Jahr brauchen, um dieses Ziel zu erreichen.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Minister, könnten Sie diese Aussage dahingehend präzisieren, daß die Anlage noch nicht die nötige Schnelligkeit erreicht hat und daß man hofft, das bis zum Ende des Jahres noch zur Zufriedenheit in Ordnung bringen zu können, daß die übrigen Dinge aber jetzt schon programmgemäß eingesetzt werden?
Die Angaben der Firma und der Deutschen Forschungsgemeinschaft gehen dahin, daß wir in etwa einem Jahr die volle Kapazität erreichen können. Aber ich darf doch, um Ihr etwas düsteres Bild ein bißchen zu korrigieren, Herr Kollege Moersch, sagen, daß wir eine wesentliche Steigerung der Rechenkapazität in Deutschland durch neue Großanlagen erzielen, die in Jülich arbeiten, die in Garching im Begriff sind, ihre Arbeit aufzunehmen; dazu gehört auch das erste große Rechenzentrum, das in Stuttgart im Rahmen unseres Programms erstellt wurde. Durch dieses Programm der regionalen Rechenzentren werden Bundesregierung und Selbstverwaltung mit den zur Verfügung gestellten Mitteln, wie ich glaube, in der Lage sein, dem sprunghaft wachsenden Rechenbedarf nachzukommen.
Und nun kommt wieder das Lieblingsthema unserer wiederholten Debatten, das Thema des Kernforschungszentrums Karlsruhe und das der Weiterentwicklung des Programms für Brutreaktoren. Sicher ist das eine der ganz großen und schwierigen Entscheidungen, vor denen wir standen und die eine gründliche und kritische Erörterung rechtfertigen. Ich will mich auf Ihre heutigen Ausführungen beziehen, nicht auf manches, was wir in einer weniger angenehmen und sachlichen Weise in der publizistischen Diskussion auch an unqualifizierten Angriffen und an erweislich falschen Beschuldigungen gehört haben. Ich will das ausklammern und nur einiges zu Ihren heutigen Bemerkungen sagen.
Sie haben sich zunächst auf die Frage konzentriert, wie der Entscheidungsprozeß in diesem Falle sei oder sein sollte. Dabei haben Sie auf eine Äußerung hingewiesen, die mir im Augenblick nicht bekannt ist, daß nämlich schon im vergangenen September von Beteiligten gesagt worden sei, so werde diese Entscheidung fallen. Nun, das kann man, so glaube ich, sehr deutlich erklären.
— Das ist nun sicher nicht zutreffend. Ich kann nur unterstellen, daß Beteiligte gesagt haben, so werde sie fallen. Daß es nicht entschieden war, ist ja völlig evident. Es gab in der Tat sei dem Sommer vergangenen Jahres klare Voten der Projektgruppe und der Beratungsgremien für die später getroffene Entscheidung, und zwar in einer noch etwas weitergehenden Variante, weil die sehr begrenzten Arbeiten, die wir beim Dampfbrüter noch an einzelnen Problemen durchführen, auch teilweise zunächst nicht vorgesehen waren. Aber wir haben uns gerade bei der Schwere und Bedeutung dieser Entscheidung nicht darauf beschränkt, die Meinung der Projektgruppe und einzelner Berater zu hören, sondern haben eine besonders intensive Methode der fachlichen Diskussion geführt. Wir haben, was, glaube ich, niemand bestreiten kann, insbesondere auch die wenigen Kritiker dieses Vorschlags bewußt an dieser Diskussion beteiligt. Auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin sind alle Experten, deren Mitwirkung vorgeschlagen wurde, auch von Abgeordneten dieses Hauses vorgeschlagen wurde, zu der Anhörung, die wir gemeinsam durchgeführt haben, geladen worden,
Zuruf von der SPD: Und zu Wort gekommen!)
so daß der Vorwurf, hier sei manipuliert worden oder hier seien nur Leute von einem bestimmten Status gehört worden, nicht aufrechterhalten werden kann. Wir haben zwölf Einzelgutachten von den Mitgliedern des zuständigen Arbeitskreises der Atomkommission beschafft und ihnen zugänglich gemacht. Diese zwölf Gutachten sind mit geringen Varianten klar in der Richtung der später getroffenen Entscheidung geblieben.
Herr Minister, gestatten Sie eine Frage des Herrn Moersch? —
Herr Minister, ist Ihnen nicht bekannt, daß einer der Eingeladenen — ich hatte diesen Namen genannt — offensichtlich Weisung hatte, sich nicht zu Wort zu melden, und als er es dann aus eigenem Antrieb trotzdem getan hat, dafür von seinen Kollegen offensichtlich etwas zurechtgewiesen worden ist? Ich bin gerne bereit, Ihnen den Namen und den Vorgang zu nennen.
Mir ist das nicht bekannt, und ich habe auch nicht den Eindruck, daß irgend jemand, der sich dort geäußert hat, unter einem Druck stand, seine Meinung nicht klar zu äußern.Herr Kollege Moersch, Sie haben auf eine neue Meldung in „Nucleonics Week" und auf angebliche neue Beschlüsse der ENEA hingewiesen. Daß mein Ministerium gelegentlich schnell arbeitet, mag Ihnen zeigen, daß ich mir die Nummer von „Nucleonics
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Bundesminister Dr. StoltenbergWeek" in diesen Minuten besorgt habe, um das Zitat einmal im Original zu lesen. Es ist ein ganz klein bißchen anders als Ihre freie Darstellung. Ich will uns den englischen Text ersparen. Vor allem gibt diese Meldung — das kommt ja gelegentlich auch bei Zeitungen innerhalb und außerhalb Deutschlands vor — den Sachverhalt nicht ganz richtig wieder. Der Beschluß der ENEA-Gruppe läßt sich nämlich folgendermaßen zusammenfassen:Die Leitungsgruppe der ENEA hat mit großer Mehrheit erklärt, daß am Erfolg der Natriumlinie nach dem gegenwärtigen Stand der Erkenntnisse nicht zu zweifeln ist. Der Arbeitsgruppe wurde aber gleichzeitig empfohlen, für eine etwa wider Erwarten nötig werdende Reservelösung zunächst für ein Jahr Gasbrüterstudien zu betreiben.Dieser Beschluß ist für die innerdeutsche Kontroverse auch insofern interessant, als hier gar nicht mehr der Dampfbrüter als die Reservelösung angesehen wird, sondern der Gasbrüter. Insofern, muß ich offen sagen, ist der Hintergrund dieser früheren Kontroverse kein sehr gutes Argument in Ihrem Sinne.Aber wir wollen das nicht mehr vertiefen. Wir wissen, daß wir im Bereich moderner technologischer Entwicklung an der vordersten Front der Forschung und Entwicklung Risiken tragen, die keiner bagatellisieren sollte, daß der Zwang zu Entscheidungen im Einzelfall auch einmal die Enttäuschung oder den Fehlschlag beinhalten kann. Niemand in Wissenschaft, Industrie und Politik kann das bagatellisieren.Es ist aber ein falscher Eindruck, den Sie erneut erwecken, wenn Sie sagen, daß wir sozusagen die Zukunft unserer fortgeschrittenen Reaktoren auf einen Typ konzentrieren. Das deutsche Atomprogramm zeichnet sich gerade dadurch aus, daß wir in ungewöhnlicher Weise, stärker als fast alle anderen Staaten mit Ausnahme der USA, die moderne Reaktorentwicklung breit angehen. Wir haben die Entscheidung für den Natriumbrutreaktor gefällt und denken, daß wir 1970 den Prototyp in Auftrag geben können. Wir stehen, wie ich hoffe, kurz vor der Entscheidung über den Bau eines Prototyps für den Thorium-Hochtemperaturreaktor in Westfalen mit kugelförmigen Brennelementen auf der Basis des AVR-Reaktors in Jülich. Wir haben uns entschlossen, in Geesthacht einen kleinen Reaktor der Hochtemperaturlinie, aber mit stabförmigen Brennelementen, zu bauen. Wir haben neue deutsche Entwicklungen in der Industrie mit einer begrenzten Bundesförderung in der Weiterentwicklung des Schwerwasserreaktors. Schließlich arbeiten wir in Industrie und Forschung mit staatlicher Unterstützung an der Verbesserung der Technologie des Leichtwasserreaktors in zwei Varianten — Druck- und Siedewasser —, der in Deutschland wie in aller Welt als erster den kommerziellen Durchbruch erzielt hat.Das ist — so muß ich auch im Gesamtzusammenhang der wissenschaftlichen und technischen Aufgaben des Bundes sagen — ein ungewöhnlich anspruchsvolles, modernes und auch kostspieliges Programm. Dies war einer der Gründe, Herr Kollege Moersch, warum wir nach sorgfältiger Prüfung glaubten, daß es nicht richtig sei, einen weiteren Typ zusätzlich fortzusetzen, der nun doch in seinen Wettbewerbsaussichten von den Fachleuten ungünstig beurteilt wurde. Die These, daß wir hier alles auf eine Karte gesetzt hätten, kann nur von solchen Publizisten und ihren parlamentarischen Bundesgenossen vertreten werden, die nicht bereit sind, irgend etwas anderes als das Problem der Kontroverse Dampf oder Natrium noch in ihre unbefangene Betrachtung einzubeziehen.Im übrigen muß ich mich etwas gegen die Zahl von 300 oder 360 Millionen DM wenden. — Nein, sie sind aber von anderer Seite genannt worden. — Die spezifischen Kosten für den Dampfbrüter liegen bei etwas über 100 Millionen DM. Wir gehen dabei davon aus, daß die Arbeiten im Basisprogramm beiden Linien zugute gekommen sind und daß wir den Heißdampfreaktor, der erstellt ist, auch für andere Testversuche verwenden können.Zum Thema der Beratungsverträge kann ich Ihnen im Augenblick nur folgendes sagen. Mir ist nicht bekannt, daß die Geschäftsführer von Bundesanstalten oder Bundesgesellschaften mit Firmen, die mit ihnen geschäftlich zu tun haben, Beratungsverträge haben. Ich würde solchen Verträgen auch nicht zustimmen. Sollten Sie Kenntnisse darüber haben, bitte ich Sie, mir das mitzuteilen.Ihre Grundkonzeption für .die Neuorganisation der außeruniversitären Forschungseinrichtungen in einer Akademie der Wissenschaften kann mich, offen gesagt, nicht überzeugen. Wir müssen teilweise zu einer stärkeren Zusammenfassung kommen. Wir haben im letzten Jahr mit einiger Mühe die traditionsreichen Anstalten der Luft- und Raumfahrt fusioniert. Wir werden auch die stärkere Verbindung der Kernforschungszentren untereinander fördern; das ist notwendig. Aber 'der Gedanke, die fünf Zentren der Kernforschung, die neue Anstalt der Luft- und Raumfahrt mit ihren regionalen Zentren, die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung, Institute auf dem Gebiet der Meeresforschung und was wir sonst an Bundesgesellschaften haben, in einer Akademie der Wissenschaften zu fusionieren, ist, glaube ich, nicht förderlich. Das würde ein kaum arbeitsfähiges und administrierbares Mammutgebilde ergeben, in dem die Grundsätze der demokratischen Meinungsbildung der wissenschaftlichen Mitarbeiter wohl nicht praktizierbar wären. Ich glaube, daß damit noch nicht die neue Lösung, das neue Konzept gefunden ist, um dessen Realisierung wir uns bemühen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier abbrechen und Ihnen noch einmal für die erfreuliche und sachliche Art danken, in der wir im kleinen Kreis diskutiert haben, für die Art der Behandlung meines Einzelplans, und lassen Sie mich schließlich meiner Hoffnung Ausdruck geben, daß wir in wenigen Wochen eine breiter angelegte Wissenschaftsdebatte vor vollem Haus und einer stark besetzten Pressetribüne führen können.
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Damit ist die Aussprache über den Einzelplan 31 geschlossen.
Wir kommen zu den Abstimmungen. Zunächst müssen wir über die Änderungsanträge entscheiden, und zwar verfahre ich hier nach der Numerierung.
Zunächst der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Umdruck 608. Wer diesem Antrag zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Die Gegenprobe! - Enthaltungen? — Der Antrag ist einstimmig angenommen.
Wir stimmen ab über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Umdruck 609. Wer stimmt diesem Antrag zu? — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Auch das ist einstimmig beschlossen.
Wir stimmen nun über den Einzelplan 31 mit den soeben beschlossenen Änderungen ab. Wer dem Einzelplan 31 zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Die Gegenprobe! — Gegen die Stimmen der Fraktion der FDP ist der Einzelplan 31 verabschiedet.
Ich rufe nun auf:
Einzelplan 01
Bundespräsident und Bundespräsidialamt — Drucksache V/3921 —Berichterstatter: Abgeordneter Baier
Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das ist nicht der Fall.
Die Aussprache ist eröffnet. Das Wort wird nicht gewünscht. Dann schließe ich die Aussprache.
Wir stimmen über den Antrag des Ausschusses ab, den Entwurf des Einzelplans 01 mit den aus der nachstehenden Zusammenstellung ersichtlichen Änderungen und den sich daraus ergebenden Änderungen der Abschlußsumme, im übrigen unverändert nach der Vorlage anzunehmen. Wer stimmt dem Antrag des Ausschusses zu? — Danke. Die Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 01 ist einstimmig angenommen.
Ich höre, der Herr Bundespostminister sei von Düsseldorf unterwegs. Ich sehe ihn aber noch nicht. Ich muß also den Einzelplan 13 zurückstellen.
Ich rufe auf: Einzelplan 26
Geschäftsbereich des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte
— Drucksache V/3941 —
Berichterstatter: Abgeordneter Baier Wollen Sie das Wort?
— Sie wünschen das Wort nicht, sondern begnügen sich mit Ihrem Bericht.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Wir stimmen über den Antrag des Ausschusses ab, den Einzelplan 26 mit den aus der Zusammenstellung ersichtlichen Änderungen anzunehmen. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, den bitte ich um ein
Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Der Einzelplan 26 ist gegen die Stimmen der Fraktion der FDP angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 29
Geschäftsbereich des Bundesministers für Familie und Jugend
— Drucksache V/3944 —Berichterstatter: Abgeordneter Strohmayr
Der Herr Berichterstatter verzichtet auf eine mündliche Ergänzung seines Berichts.
Ich eröffne die Aussprache. Zu dem Einzelplan Liegt ein Änderungsantrag auf Umdruck 610 vor. Dazu hat das Wort der Abgeordnete Kubitza.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Ihnen auf Umdruck 610 vorliegende Antrag der FDP-Fraktion sieht eine Erhöhung der Mittel für den Bundesjugendplan um 1 Million DM auf 44 400 000 DM vor, und zwar bei gleichzeitiger Kürzung der Mittel zum Bau und zur Einrichtung von Familienferienstätten um 1 Million DM auf 3 840 400 DM.
Wie Sie dem Mündlichen Bericht zum Einzelplan 29 entnehmen können, standen 10 Millionen DM zur Umdisposition zur Verfügung, darunter 2 Millionen DM wegen geringerer Leistung an das Deutsch-Französische Jugendwerk. Der Ausschuß für Familien- und Jugendfragen hat in seiner Sitzung vom 6. Februar 1969 einmütig beschlossen, diese 2 Millionen DM dem Jugendsektor zu erhalten, und dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses eine entsprechende Aufteilung vorgeschlagen.Meine Damen und Herren, es ist empörend, daß die Berichterstatter des Einzelplans 29 über diesen einstimmig gefaßten Beschluß des Fachausschusses einfach hinweggegangen sind und ihre eigenen Vorstellungen durchgesetzt haben.
— Ich habe nichts dagegen, Herr Kollege Baier, wenn hier Berichterstatter und Haushaltsausschuß bei Mehrausgaben kraft ihrer besseren Kenntnis entsprechend verfahren. Es ist aber unerträglich, daß ein Fachausschuß stundenlang darüber berät, wie eine sachlich gerechte Aufteilung der Mittel erfolgen sollte, sein Ergebnis jedoch an der — gelinde ausgedrückt — Voreingenommenheit eines Berichterstatters scheitert.Der Ausschuß für Familien- und Jugendfragen hat auch in seiner Mehrheit beschlossen, den Mehransatz in Höhe von 100 000 DM für die Mitgliedsverbände des Deutschen Bundesjugendrings für Maßnahmen der sportlichen Jugendbildung zu verwenden. Das Ministerium hat dankenswerterweise zum erstenmal die sportliche Jugendbildung mit einem Leertitel in die Förderungsmaßnahmen des 20. Bundesjugendplans mit einbezogen.Damit hat eine jahrelange Auseinandersetzung um die Anerkennung des Sports als förderungswür-
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Kubitzadige Maßnahme im Rahmen der Jugendhilfe ihr Ende gefunden. Der neu geschaffene Titel kann von allen Jugendverbänden in Anspruch genommen werden, die sportliche Jugendbildung betreiben wollen, ist also nicht auf die deutsche Sportjugend beschränkt.Alle Fraktionen des Hauses haben sich zur Förderung des Sports bekannt, auch heute wieder in den Beiträgen zu dem Antrag der SPD-Fraktion bezüglich Deutscher Sportrat. Sie können heute beweisen, daß es sich nicht nur um Lippenbekenntnisse handelt.
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen Leicht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann es sehr schnell machen. Ich bitte, diesen Antrag abzulehnen. Im Haushaltsausschuß ist gerade über die Frage des Baus von Familienheimstätten eingehend gesprochen worden. Der Haushaltsausschuß hat die Mittel um 4,5 Millionen DM aufgestockt, und zwar mit der Begründung, es lägen dermaßen viele Anträge vor, daß auch dieses Volumen sicherlich nicht ausreichen werde, um alle begründeten Ansprüche zu erfüllen.
Darüber hinaus darf auch hier einmal festgestellt werden, daß die Mittel für den Bundesjugendplan im Ansatz 1969 gegenüber dem Vorjahr bereits um 2,6 Millionen DM aufgestockt worden sind, wobei noch hinzukommt, daß durch die Abgabe der regionalen Studentenprogramme an die Länder weitere 500 000 DM freigeworden sind. Die echte Verstärkung gegenüber dem Jahr 1968 beträgt demnach genau 3,1 Millionen DM, also fast 7 v. H.
Wir meinen von seiten unseres Hauses, daß der Bundesjugendplan damit ausreichend dotiert ist. Sollte dennoch in einem Teilbereich ein höherer Bedarf vorhanden sein, muß durch Schwerpunktbildung und Umschichtung der Mittel für den Bundesjugendplan ein Ausgleich herbeigeführt werden. Dies ist möglich, weil die Mittel für Teilmaßnahmen des Bundesjugendplans wegen ihrer geringer gewordenen Bedeutung gekürzt werden können.
Ich bitte Sie noch einmal, den Antrag abzulehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir scheinen zwei Dinge noch wichtig zu sein, einmal der Hinweis von Herrn Kollegen Kubitza, daß es empörend sei, wenn der Haushaltsausschuß Vorschläge der Fachausschüsse nicht akzeptiere. Herr Kollege Kubitza, mir scheint, daß diese Ihre Aussage Anlaß für den Präsidenten dieses Hauses sein sollte, wieder einmal grundsätzlich klarzustellen, was Aufgabe des Fachausschusses und Aufgabe des Haushaltsausschusses bei der Beratung des Bundeshaushalts ist. Bekanntlich wird ein Bundeshaushalt den Fachausschüssen überhaupt nicht zur Beratung zugewiesen. Wenn sie sich dennoch damit befassen, können sie das tun. Aber sie haben keine legale Möglichkeit, im federführenden Ausschuß, in diesem Fall im zuständigen Haushaltsausschuß, voll und ganz gehört zu werden. Deshalb ist Empörung hier völlig fehl am Platze, Herr Kollege Kubitza.Dennoch sind wir für jeden guten Ratschlag von seiten der Kollegen aus den Fachausschüssen dankbar, und ich möchte Ihnen sagen, daß wir, soweit Sie Umdisponierungen im Bundesjugendplan vorgeschlagen haben, dem zum großen Teil auch Rechnung getragen haben. Aber Sie müssen es uns im Haushaltsausschuß überlassen, dann bei der Betrachtung der Gesamtsituation die Akzente so zu setzen, wie wir es dort mit Mehrheit für richtig halten. Das wollte ich grundsätzlich 211 diesem Thema sagen.Ich möchte auch noch einmal auf folgendes hinweisen. Wir haben trotz der Kürzungen in Höhe von 2 Millionen DM, die sich zwangsläufig beim Deutsch-Französischen Jugendwerk ergeben haben, 1 Million DM für die Überbrückungsbeihilfen — ebenfalls ein Jugendbereich — und 1 Million DM beim Bundesjugendplan aufgestockt. Wenn wir mit anderswo eingesparten Mitteln die Förderung von Studentenwohnheimen mit 3,5 Millionen DM und die Förderung des Baus von Familienferienstätten mit 4,5 Millionen DM sehr kräftig aufgestockt haben, so haben wir das ganz bewußt getan, weil in beiden Bereichen eine Notwendigkeit für diese Aufstockung bestand.Ich möchte Ihnen noch eines sagen. Ihre Fraktion hat kürzlich hier auf Grund einer Anfrage eine Diskussion über den Fremdenverkehr entfacht. Mitglieder des Hauses und der Bundesregierung wiesen darauf hin, daß der Fremdenverkehr nicht nur ein ökonomisches Problem, sondern auch eine Aufgabe von gesellschaftspolitischer Bedeutung sei. In diesem Hause wurde klar, daß die Urlaubsintensität am stärksten bei Ehepaaren ohne Kinder, am schwächsten bei Ehepaaren mit vielen Kindern ist. Beispielsweise beträgt bei Ehepaaren ohne Kinder die Urlaubsintensität 41,2 %, bei Familien mit drei Kindern nur 25,5 %, und mit zunehmender Kinderzahl ist ein weiteres Absinken der Möglichkeiten gemeinsamen .Urlaubs gegeben. Deshalb ist es notwendig, daß hier auch von der öffentlichen Hand und vom Staat mehr getan wird. Es ist die vordringliche Aufgabe, auch den Mehrkinderfamilien einen gemeinsamen Ferienaufenthalt zu ermöglichen. Alle Möglichkeiten müssen erschöpft werden. Es ist eine Aufgabe des Bundes und der Länder, hier zu helfen. Ich bin dankbar, daß der Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen auf die große Zahl der unerledigten Anträge hingewiesen hat, die es zu bedienen gibt. Wir meinen, man sollte über Fremdenverkehr und seine gesellschaftspolitische Bedeutung nicht nur sprechen, sondern auch entsprechend handeln; und wenn wir handeln wollen, heißt das in diesem konkreten Fall: den Antrag der FDP abzulehnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Wuermeling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mir ist nur an einer ganz kurzen Feststellung für das Protokoll gelegen. Wenn in der heutigen Debatte die wichtigen Fragen des Familienlastenausgleichs nicht angesprochen werden, hat das für uns seinen Grund ausschließlich darin, daß wir beabsichtigen, sie durch eine Entschließung in der dritten Lesung anzusprechen, die dann begründet werden wird. Es ist aber gut, daß wir vor der Öffentlichkeit nicht so tun, als wenn die Dinge hier uninteressant wären, sondern klarstellen, daß nur eine zeitliche Verschiebung des Themas stattfindet.
Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zu den Abstimmungen.
Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der FDP ab. Wer will diesem Antrag zustimmen? Ich bitte um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Wir stimmen nun über den Antrag des Ausschusses ab, den Einzelplan 29 mit den aus der Zusammenstellung ersichtlichen Änderungen und den sich daraus ergebenden Änderungen der Abschlußsummen, im übrigen unverändert nach der Vorlage anzunehmen. Wer stimmt diesem Antrag zu? Ich bitte um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Gegen die Stimmen der Fraktion der FDP ist der Ausschußantrag und damit der Einzelplan 29 angenommen.
Ziffer 2 des Ausschußantrages! Wer stimmt dieser Ziffer 2 zu? Ich bitte um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Ziffer 2 ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe auf: Einzelplan 13
Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen
— Drucksache V/3933 —
Berichterstatter: Abgeordneter Müller
Der Herr Bundespostminister ist zum Glück gerade noch im letzten Augenblick eingetroffen, ehe ich den Einzelplan auf die nächste Woche verschoben hätte.
Der Berichterstatter wünscht das Wort nicht. In der Aussprache wird das Wort ebenfalls nicht begehrt. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 13 zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! —
Enthaltungen? — Der Einzelplan 13 ist mit Mehrheit angenommen.
Damit haben wir die Einzelpläne, die für heute noch zu erledigen waren, verabschiedet.
Ich rufe den Zusatzpunkt auf, der heute morgen auf die Tagesordnung gesetzt worden ist:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Artikel 8 des Achten Strafrechtsänderungsgesetzes
— Drucksache V/3994 —
Die Vorlage soll an den Gesamtdeutschen Ausschuß überwiesen. werden. — Das Haus stimmt diesem Überweisungsvorschlag zu.
Ich rufe dann noch Punkt VII der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Internationalen Übereinkommen vom 7. März 1966 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung
— Drucksachen V/3960, zu V/3960 —
Die Vorlage soll an den Auswärtigen Ausschuß — federführend — und an den Innenausschuß — mitberatend — überwiesen werden. — Diesen Überweisungsvorschlägen wird zugestimmt.
Die nächsten Punkte der Tagesordnung werden abgesetzt.
Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende unserer heutigen Beratungen. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 26. März 1969, 9 Uhr, ein und schließe die Sitzung.