Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht aufgenommen:
Die Fraktion der SPD hat ihren Antrag betr. Errichtung einer Entwicklungs- und Forschungsgesellschaft für Luft- und Raumfahrttechnik GmbH — Drucksache V/2245 — zurückgezogen.
Der Bundesminister der Justiz hat am 9. November 1967 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Rollmann, Dr. Even, Dr. Klepsch, Köppler und Genossen betr. Entwurf eines Strafgesetzbuches der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands — Drucksache V/2209 — beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache V/2263 verteilt.
Zu der in der Fragestunde der 131. Sitzung des Deutschen Bundestages am 8. November 1967 gestellten Frage des Abgeordneten Strohmayr, Drucksache V/2236 Nr. 2 5), ist inzwischen die schriftliche Antwort des Staatssekretärs Dr. Ehmke eingegangen:
Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat, nachdem ihm das Abhandenkommen einer Sidewinder-Rakete vom Bundeswehrflugplatz Neuburg a. d. Donau bekanntgeworden war, sofort ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt eingeleitet, da der Verdacht eines Verbrechens des Landesverrats besteht . Mit den Ermittlungen hat er die Sicherungsgruppe des Bundeskriminalamtes beauftragt. Derzeit ermitteln Beamte der Sicherungsgruppe am Tatort in Neuburg/ Donau; diese Ermittlungen sind in vollem Gange.
Sie haben sicher Verständnis dafür, daß ich mich zu diesem schwebenden Ermittlungsverfahren nicht näher äußern kann.
Wir beginnen mit der
Fragestunde
— Drucksachen V/2236, zu V/2236, V/2244 —
Zunächst die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Frage 4 des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen — die Frage wird von dem Abgeordneten Hübner übernommen —:
Ist es richtig, daß der Erfolg des Bundesfahndungstages weitgehend von der Geheimhaltung des Zeitpunktes abhing?
Herr Staatssekretär Benda, bitte!
Ich wäre dankbar, Herr Präsident, wenn ich — mit Einverständnis der Herren Fragesteller Schmitt-Vockenhausen, Hübner und Hansing — die drei Fragen, die im Sachzusammenhang stehen, zusammen beantworten könnte.
*) Siehe 131. Sitzung, Seite 6617 B.
Besteht Einverständnis? — Ich rufe auch die Fragen 5 und 6 auf. Frage 5 des Abgeordneten Hübner:
Hat die Bekanntgabe von Ergebnissen des Bundesfahndungstages schon vor Abschluß der Anfangsphase den Erfolg negativ beeinflußt?
Frage 6 des Abgeordneten Hansing:
Wie beurteilt die Bundesregierung das bisherige Ergebnis des Bundesfahndungstages?
Alle drei Herren Kollegen fragen nach dem sogenannten Bundesfahndungstag. Wenn ich eine Vorbemerkung wegen dieses Namens machen darf, weil ihm ja liebevolle Betrachtungen in der Öffentlichkeit gewidmet worden sind: ich weiß nicht, wem wir die Bezeichnung zu verdanken haben. Die amtliche Bezeichnung ist sehr viel nüchterner. Auf Grund einer Vereinbarung zwischen den Landeskriminalämtern und dem Bundeskriminalamt und mit Zustimmung der Herren Innenminister der Länder wurde die Durchführung eines allgemeinen Fahndungstages verabredet, der dann auch durchgeführt wurde. Der vielfach gebrauchte Name „Bundesfahndungstag” ist also nicht unbedingt die amtliche Bezeichnung. Aber das ist natürlich der Komplex, über den wir jetzt reden.Ein Überblick über das Gesamtergebnis dieses Bundesfahndungstages kann zur Zeit noch nicht gegeben werden, weil dem Bundeskriminalamt die abschließenden Meldungen der Länder noch nicht vorliegen. Allgemein kann man wohl sagen, daß diese große Fahndungsaktion erfolgreich war, weil sie zu zahlreichen Aufgriffen und zu einer Bereinigung des Fahndungsbuches geführt hat. Auch die Fülle von Erfahrungen, die bei der Durchführung der Aktion gesammelt wurden und die bei künftigen Aktionen ähnlicher Art berücksichtigt werden können, möchte ich als positives Ergebnis werten.Es ist ein selbstverständliches kriminaltaktisches Bedürfnis, daß Zeitpunkt, Zeitplan und Methoden einer solchen kriminalpolizeilichen Aktion nicht vorzeitig bekanntwerden sollten. Aus diesem Grunde war bei der Vorbereitung des Fahndungstages in der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter mit dem Bundeskriminalamt vereinbart worden, daß keine Mitteilungen an die Presse über Beginn und Zeitplan des Bundesfahndungstages gegeben werden sollten. Es ist nicht auszuschließen, daß eine vorzeitige Bekanntgabe den Erfolg des Fahndungstages ungünstig beeinflussen konnte, weil die gesuchten Rechtsbrecher gewarnt wurden und sich unter Umständen einer Festnahme entziehen konnten.
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6728 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967
Zusatzfrage!
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die Tatsache, daß es den Pressestellen der verschiedenen Polizeien einschließlich des Bundeskriminalamtes gelungen war, mit der Presse gewissermaßen ein Stillhalteabkommen zu treffen — man kann ruhig sagen, ein Gentleman's Agreement —, mit dem erreicht wurde, daß auch dort, wo der Presse dieser Zeitpunkt bekannt war, zunächst keine Veröffentlichungen darüber erfolgten und daß dann durch das Vorprellen eines Ministers ein gewisser Vertrauensschwund zwischen den Pressestellen der Polizei und der Presse schlechthin selbstverständlich entstanden sein muß?
Herr Kollege Hübner, ich kann nur zu dem ersten Teil Ihrer Frage eine Beurteilung geben. Eine Vereinbarung zwischen den zuständigen Behörden und der Presse über Stillschweigen ist ein positives und erfreuliches Ergebnis. Das Verhalten eines Mitglieds einer Landesregierung zu beurteilen steht mir von dieser Stelle aus nicht zu.
Herr Hübner!
Herr Staatssekretär, halten Sie es für möglich, in irgendeiner Form Vorkehrungen dafür zu treffen, daß für eine spätere gleichartige Veranstaltung das Stillschweigen unter den Beteiligten gewahrt wird?
Herr Kollege Hübner, es hat an sich, wie ich angedeutet habe, ganz klare und ausreichende Absprachen darüber gegeben. Sie müssen dann nur durchgeführt werden.
Herr Hübner!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen auch bekannt, daß bei den beteiligten Behörden, insbesondere bei den beteiligten Kriminalpolizeibeamten, eine starke Hemmung, um nicht zu sagen, eine Resignation eingetreten ist, als bekannt wurde, daß durch voreilige Veröffentlichungen der bedeutendere Teil dieser Veranstaltung gefährdet war, daß nämlich, nachdem die Ermittlungen gesuchter Personen abgeschlossen waren, die Festnahmen nicht mehr mit der notwendigen Nachhaltigkeit erfolgen konnten, weil vorher von einer bestimmten Stelle die Warnung ergangen war?
Ich möchte in der Beurteilung der Ursächlichkeit sehr zurückhaltend und vorsichtig sein. Ich habe vorhin gesagt, es sei natürlich nicht auszuschließen, daß durch vorzeitiges Bekanntwerden der Aktion Rechtsbrecher, die gesucht wurden, nicht gefunden werden konnten. Aber beweisen kann ich das natürlich nicht. Solange nicht einer derjenigen, die wir in diesen Tagen ganz gerne bei uns gesehen hätten, eine Ansichtskarte aus Capri oder sonstwo schickt — das würde ich als einen gewissen Beweis ansehen —, glaube ich nicht, daß man eine solche Kausalität beweisen kann. Man kann sie nur vermuten. Daß auch eine vermutete Kausalität eine vielleicht berechtigte Verstimmung bei den Herren auslöst, die praktisch die Arbeit haben, verstehe ich natürlich vollkommen, Herr Hansing!
Zur Abwechslung möchte ich einmal einen anderen Fragesteller mit einer Zwischenfrage kommen lassen.
Herr Staatssekretär, stimmt es, daß fünfmal mehr gesuchte Personen ermittelt wurden, als festgenommen werden konnten?
Ich habe keine abschließende Zahl. In der Presse sind bereits eine ganze Reihe von Zahlen bekanntgegeben worden. Ich nehme an, daß Sie darauf verzichten, Herr Kollege, daß ich sie jetzt vorlese. In der Tat ist eine erheblich größere Anzahl von Personen mit ihrem karteimäßigen Wohnsitz ermittelt worden — wo sie also normalerweise eigentlich anzutreffen sein müßten —, als dort tatsächlich angetroffen und ergriffen worden sind. Ob das Zahlenverhältnis von 1 : 5, das Sie genannt haben, mathematisch exakt zutrifft, vermag ich im Augenblick nicht zu sagen. In der Größenordnung dürfte es stimmen.
Herr Hansing!
Herr Staatssekretär, was müßte ein Innenminister eines Landes tun, wenn ein Polizeibeamter bzw. Kriminalbeamter eine Großfahndung, die geheim gehalten werden soll, vorher bekanntgibt?
Dies ist eine Frage, Herr Kollege Hansing, von der ich meine, daß sie in dem Parlament erörtert werden sollte, das das Recht und die Pflicht hat, den betreffenden Minister politisch zu beurteilen. Ich glaube nicht, daß es mir zusteht, von hier aus solche Bewertungen vorzunehmen.
Immerhin hat Herr Hansing eine interessante theoretische Frage gestellt.
Ich habe sie auch mit Interesse gehört, Herr Präsident.
Herr Hübner noch einmal!
Herr Staatssekretär, dann darf ich konkreter fragen: Hätte sich ein Beamter des Bundeskriminalamtes strafbar gemacht — und wonach —, wenn er dieses Schweigen durchbrochen und
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967 6729
Hübnerdadurch diese geheimzuhaltende Fahndungsmaßnahme vorzeitig der Öffentlichkeit preisgegeben hätte?
Wenn wir begründeten Verdacht gehabt hätten oder in der Zukunft bei ähnlichen Fällen haben würden, daß ein einer Bundesbehörde unterstehender Beamter sich eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das unter disziplinaren oder strafrechtlichen Gesichtspunkten zu würdigen ist, dann wäre es selbstverständliche Pflicht der zuständigen Stelle, einem solchen Verdacht nachzugehen und, wenn er sich bestätigt, daraus Konsequenzen zu ziehen.
Herr Brück!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in dem Parlament, wo dieser Minister auch Abgeordneter ist, ebenfalls eine in diese Richtung gehende Frage eingebracht worden ist, und sind Sie nicht mit mir der Meinung, a) daß wir hinsichtlich des Verhaltens des Ministers die Beantwortung dieser Frage abwarten sollten und daß es b) zweckmäßig ist, über das Ergebnis dieses Fahndungstages dann Auskunft zu geben — vielleicht in dem zuständigen Ausschuß —, wenn alle Erfahrungen bzw. Meldungen vorliegen?
Herr Abgeordneter, ich glaube, die Frage bezüglich des Ministers gehört nicht in dieses Haus; der zweite Teil Ihrer Frage ja.
Ich bin gern bereit, zu bestätigen, Herr Kollege Brück, daß, soweit mir bekannt ist, der Landtag von Nordrhein-Westfalen oder eine Fraktion die Absicht hat, diese Vorgänge zu erörtern.
Bezüglich des zweiten Teils Ihrer Frage bin ich in der Tat der Meinung, daß sich nach Ablauf einer gewissen Zeit, wenn eine wirkliche Analyse des Ergebnisses, das der Fahndungstag insgesamt gehabt hat, möglich ist, das Hohe Haus oder der zuständige Ausschuß damit beschäftigen sollte. Denn zweifellos ist das ein wichtiger und lehrreicher Vorgang.
Ich glaube, wir sollten in anderen Parlamenten ablaufende Vorgänge nicht in dieses Haus bringen.
Eben, Herr Präsident; ich wollte das hier heraushaben.
Herr Mertes!
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß ein großer Teil der für den Bundesfahndungstag vorgesehenen Maßnahmen so selbstverständlich sind, daß man zu deren Erledigung keinen Bundesfahndungstag braucht?
Dieser Meinung bin ich in gar keiner Weise. Aber ich müßte das sehr eingehend begründen. Es gibt darüber sehr lange Überlegungen der zuständigen Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamts, Besprechungen in dem zuständigen Arbeitskreis der Konferenz der Innenminister der Länder mit dem völlig übereinstimmenden Ergebnis, daß die zeitlich und sachlich koordinierte Durchführung dieser Maßnahmen für den Erfolg von ausschlaggebender Bedeutung ist.
Herr Mertes!
Herr Staatssekretär, sind Sie der Meinung, ,daß es eines Bundesfahndungstages bedarf, um z. B. die Karteien ,der Einwohnermeldeämter durchzusehen? Sollte das nicht eine regelmäßige Aufgabe der zuständigen Stellen sein?
Ganz und gar nicht. Natürlich muß man laufend versuchen, das, was notwendig ist, zu tun. Aber ich wiederhole, daß der Erfolg unendlich viel größer ist als der Erfolg der normalen Arbeit der Kriminalpolizei und der anderen Behörden, wenn man eine solche Aktion zeitlich und auch sonst koordiniert durchführt. Das war der Sinn dieser Aktion, die insoweit auch durchaus erfolgreich war.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zunächst die Frage 45 des Abgeordneten Bühler:
Ist die Bundesregierung bereit, die Gewerbeordnung durch die Bestimmung zu ergänzen, daß an Automaten künftighin haltbare Schilder anzubringen sind, die sowohl die genaue Adresse des Besitzers wie des Betreuers angeben, damit die Käufer bei Störungen am Automaten sich an diese verantwortlichen Personen wenden können?
Herr Staatssekretär, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, ich darf die Frage wie folgt beantworten. Die Gewerbeordnung ist bereits in Ihrem Sinne ergänzt. Durch Bundestagsbeschluß vom 28. Juni 1967 wurde in § 15 a Abs. 5 der Gewerbeordnung die Voraussetzung dafür geschaffen, daß sich ,der Käufer bei Störungen am Automaten oder bei sonstigen Beanstandungen an die ihm gegenüber verantwortliche Person wenden kann, ohne weitere Nachforschungen anstellen zu müssen. Nach der genannten Vorschrift ist künftig jeder, der Automaten außerhalb seiner eigenen Betriebsräume aufstellt, verpflichtet, an dem Automaten seinen Familiennamen mit mindestens einem ausgeschriebenen Vornamen sowie seine genaue Anschrift in deutlich lesbarer Schrift anzubringen.
Herr Bühler!
Herr Staatssekretär, wer überwacht, daß diese Anordnung tauch wirklich ausgeführt wird? Es ist nämlich an vielen Orten festzustellen, daß !dem nicht nachgekommen wird.
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6730 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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— Ja.
Frage 47 des Abgeordneten Dr. Jahn :
Kann die Bundesregierung Pressemeldungen bestätigen, daß die durch den Nahostkrieg und die anhaltende Krise eingetretene Preiserhöhung bei der Öleinfuhr der Volkswirtschaft bis Ende des Jahres eine Belastung von 4 Milliarden DM bringen wird?
Herr Staatssekretär, bitte!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung kennt Pressemeldungen, wonach internationale Ölexperten die durch die Nahostkrise verursachte zusätzliche Frachtkostenbelastung der Mineralölwirtschaft in der gesamten westlichen Welt auf ca. 4 Milliarden DM veranschlagen. Entsprechende Zahlen für die in der Bundesrepublik tätigen Gesellschaften liegen nicht vor und lassen sich aus dieser Kostenerhöhung auch nicht ableiten, da die westlichen Länder
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967 6731
Staatssekretär Dr. Schöllhornin sehr unterschiedlichem Maße von der Krise betroffen waren.
Keine weitere Frage mehr.
Ist die Bundesregierung in der Lage, im Rahmen ihrer mittelfristigen Finanzplanung eine Vorausschau zu geben über den Devisenbetrag, der im Jahre 1970 für die Einfuhr ausländischer Energie bereitgestellt werden muß?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Im Jahre 1966 lag dieser Einfuhrwert bei etwa 6,3 Milliarden DM. Er wird 1970 bei einem angemessenen wirtschaftlichen Wachstum und bei stabilen Preisen zwischen 8 und 9 Milliarden DM liegen. Damit ist Ihre Frage allerdings nur formal beantwortet; denn erstens exportiert die Bundesrepublik Deutschland auch Erzeugnisse der Energiewirtschaft, und zweitens sind auch im allgemeinen Warenaustausch Energiekosten enthalten. Bis 1970 wird sich der Direktexport zweifellos erhöhen. Gleichfalls wird von der Bundesregierung ein aktiver Außenhandelssaldo im gesamten Warenverkehr erwartet und auch angestrebt. Die auf diese Weise, direkt wie indirekt, exportierte und reexportierte Energie dürfte wohl kaum geringer sein als der Import der Bundesrepublik — direkt wie indirekt — an ausländischer Energie. So — das ist richtiger gesehen — wird per Saldo kein Devisenbedarf entstehen.
Herr Abgeordneter Dr. Jahn !
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch der Meinung, daß, wenn die Devisenkosten für die Einfuhr ausländischer Energie weiterhin in dem Maße wie bisher ansteigen, sich eine Gefährdung für die Einfuhr von Rohstoffen, die die deutsche Industrie benötigt, wie Eisenerz, Kupfer, Zinn, Zink, Mangan usw. ergeben kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wenn sich diese Einfuhrsteigerung isoliert bei einem sonst stagnierenden Außenhandel vollziehen würde, könnte ich mir eine solche Gefahr vorstellen. Nur können wir mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß die außenwirtschaftliche Entwicklung weiter im Rahmen der Expansion der Weltwirtschaft läuft. Dann werden sich die Relationen nicht verändern. Im übrigen ist, wie Sie aus verschiedenen Berichten und Bekundungen wissen, das Problem der deutschen außenwirtschaftlichen Situation nicht das eines Defizits oder eines drohenden Defizits, sondern es ist eher in umgekehrter Richtung gegeben.
— Wenn ich noch ergänzen darf: das ist seit sehr langen Jahren so, unterbrochen von einer kurzen Periode im Jahre 1965.
Frage 49 des Abgeordneten Dr. Meinecke:
Treffen Pressemeldungen zu, nach denen sich deutsche Firmen der Datenverarbeitungsindustrie geweigert haben, einen OECD- Fragebogen zur Feststellung der Ursachen und des Ausmaßes technologischer Rückstände in diesem Industriebereich zu beantworten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Da die Ausfüllung der Fragebogen der OECD im Rahmen einer freiwilligen Aktion erfolgte, ist die Formulierung „sich geweigert haben" zu schroff, um von der Bundesregierung übernommen werden zu können. Es stimmt aber, daß der kleinere Teil der Firmen der Datenverarbeitungsindustrie die Fragebogen nicht beantwortet hat und der größere Teil nicht zu allen Fragen Stellung nehmen konnte oder wollte. Deshalb hat der deutsche Berichterstatter mitgeteilt, das Ergebnis der Umfrage sei lückenhaft, so daß sich keine zusammenfassende Antwort zur Weitergabe an die OECD ableiten lasse.
Herr Dr. Meinecke!
Herr Staatssekretär, hält es die Bundesregierung für sehr geschickt und sehr glücklich, als offiziellen Berichterstatter für die Beantwortung des OECD-Fragebogens den Vertreter einer Firma zu berufen, die selber Bundesmittel zur Förderung der Forschung und Entwicklung im Bereich der Datenverarbeitung erhält?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, es waren kaum Experten zu finden, die nicht in diesen Industrien ansässig gewesen wären oder mit ihnen in Verbindung gestanden hätten. Das ist bei jeder Auswahl von Experten die große Schwierigkeit.
Herr Staatssekretär, Sie haben mit Recht gesagt, daß die Bundesregierung den Ausdruck, den ich hier geprägt habe, natürlich nicht übernehmen kann. Aber ich darf Sie einmal fragen: Betrachten Sie das Verhalten dieser Firmen als politisch sehr geschickt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wir wollten die OECD selbstverständlich unterstützen. Ich bedaure, daß die Meldungen nicht so gegeben worden sind, wie sie die OECD erwartet hat. Auf der anderen Seite muß man in jedem einzelnen Fall wohl auch die Motive prüfen, die dazu geführt haben. Es steht mir nicht zu, hierüber im Augenblick ein Urteil abzugeben. Ich kann mir aber vorstellen, daß die Neuartigkeit der Fragestellungen dazu beigetragen hat, einen gewissen Widerstand oder eine Zurückhaltung auszulösen. Wir machen mit freiwilligen Umfragen und freiwilligen laufenden Befragungen der Industrie sonst an sich gute Erfahrungen, insbesondere was die Forschungsinstitute angeht.
Herr Raffert!
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6732 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967
Herr Staatssekretär, können Sie das Haus darüber unterrichten, ob wenigstens die Firma, aus der Sie den Berichterstatter genommen haben, den Fragebogen beantwortet hat?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bin im Augenblick überfragt, das kann ich jetzt nicht sagen.
Herr Matthöfer!
Herr Staatssekretär, wird nicht durch die Tatsache, daß andere Firmen dem Berichterstatter Auskünfte gegeben haben, während sich die Firma, der der Berichterstatter angehört, weigert, selber Auskünfte zu geben, dieser Firma ein Wettbewerbsvorteil verschafft, der vom Urheber der Befragung keineswegs beabsichtigt war?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich stimme Ihnen völlig zu, daß so etwas nicht beabsichtigt war. Ich kann auch die Möglichkeit einer solchen Benachteiligung anderer Firmen nicht konkret ermessen. Ich glaube, daß man die Problematik so, wie Sie sie angesprochen haben, durchaus sehen kann.
Herr Matthöfer!
Wird denn nicht durch das Verhalten der betreffenden Firma, Herr Staatssekretär, das Vertrauen in die Diskretion und Nützlichkeit künftiger Befragungen ganz erheblich erschüttert werden?
Dr. Schöllhorn, Staatssekretär im. Bundesministerium für Wirtschaft: Man kann bei solchen Vorgängen selbstverständlich nie ausschließen, daß ein Soupcon und eine Zurückhaltung übrigbleibt.
Herr Stark!
Herr Staatssekretär, vermuten Sie hinter der Tatsache, daß die betreffenden Firmen in der Mehrzahl die Fragen nicht beantwortet haben, eventuell eine „konzertierte Aktion"?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann eine solche Vermutung nicht bestätigen.
Ich rufe die Frage 50 des Abgeordneten Dr. Meinecke auf:
Treffen Pressemeldungen zu, nach denen „niemand genau weiß, wo und wie groß der Rückstand" im Bereich der Datenverarbeitung ist, und daß die OECD-Untersuchung erstmalig eine Analyse der „technologischen Lücke" ermöglicht hätte?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für den quantitativen Teil Ihrer Frage — „wie groß?" — treffen diese Pressemeldungen sicherlich zu; denn niemand wird dies bei derart komplexen Produkten wie Datenverarbeitungsanlagen befriedigend beantworten können. Auch der erste Versuch der OECD, auf diesem Gebiet des internationalen Vergleichs zu Aussagen zu kommen, zielt nicht auf das Ausmaß technologischer Unterschiede, sondern auf die Bestimmungsfaktoren für diese Unterschiede.
Der qualitative Teil Ihrer Frage — „weiß niemand, wo diese Rückstände vorhanden sind?" — kann verneint werden. Die Bundesregierung ist informiert und hat diese Informationen ihrem Programm zur Förderung der technischen Entwicklung in der elektronischen Datenverarbeitung zugrunde gelegt.
Herr Dr. Meinecke!
Herr Staatssekretär, würden Sie mit mir theoretisch darin übereinstimmen, daß es für die Verweigerung der Antworten auf diese Fragen zwei Denkmodelle gibt? Denkmodell A: Der technologische Rückstand ist größer als allgemein vermutet. Denkmodell B: Der technologische Rückstand ist geringer als allgemein vermutet.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In dieser theoretischen Fragestellung stimme ich mit Ihnen überein. Nur ist der technologische Rückstand dort, wo die Bundesregierung eine Förderung vornimmt, zweifellos so groß, daß wir im Augenblick und für absehbare Zeit mit unseren bescheidenen Förderungsmitteln nicht an einen Punkt kommen, von dem wir glauben . könnten, daß eine darüber hinausgehende Förderung nicht mehr gerechtfertigt sei.
Herr Dr. Meinecke!
Herr Staatssekretär, muß man, wenn man die mittelfristige Finanzplanung betrachtet und die Summen bis 1971 addiert, nach Ihrer Meinung nicht auch zu dem Schluß kommen, daß der Ausdruck „bescheidene Förderungsmittel" ein ganz klein wenig untertrieben ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich gebrauchte den Ausdruck „bescheidene Förderungsmittel" im Hinblick auf das Stadium, mit dem wir angefangen haben, und im Hinblick auf die gewaltigen Förderungsmittel, die in den anderen Ländern gegeben werden.
Herr Raffert!
Herr Staatssekretär, da ich Ihren Antworten entnommen habe, daß es offenbar sehr schwierig ist, hier zu fixieren, wie der Tatbestand wirklich ist, darf ich Sie fragen, auf welchen Untersuchungen die entsprechenden Feststellungen im Bundesforschungsbericht II basieren, nach denen eben in den Bereichen der elektronischen Datenverarbeitung ein technologischer Rückstand besteht.
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967 6733
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung und die öffentliche Verwaltung insgesamt sind selbst, wenn auch noch nicht im großen Umfange, Käufer und Konsument von solchen Anlagen. Das ist der eine Bereich, aus dem sie eigene Kenntnisse ziehen.
Zum zweiten gibt es eine ganze Menge wissenschaftlicher Beobachtungen und Aussagen von Experten, die viele Anhaltspunkte dafür geben. Drittens gibt es — das ist vor allem aus wirtschaftspolitischer Sicht entscheidend — die Marktanalysen und die Beobachtungen des Vordringens bestimmter Anlagen, die auch viele Aussagen darüber zulassen, daß .ein Rückstand vorhanden ist.
Herr Raffert!
Können Sie, wenn es alle diese Möglichkeiten gibt, sich einen Überblick zu verschaffen, verstehen, daß wir ein bißchen darüber verwundert sind, daß Ihre Antworten vorhin diese Klarheit noch nicht erkennen ließen, die sich hätte schaffen lassen müssen, wo ein solches Angebot von Auskunftsmaterial vorhanden ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das Angebot von Auskunftsmaterial bezog sich nicht speziell auf ,die Fragen, die in der OECD gestellt werden. Ich darf noch einmal sagen, ,es ging hier weniger oder fast gar nicht um das Ausmaß einer Lücke als um Bestimmungsfaktoren, die diesen Unterschied ausmachen. Die deutschen Berichterstatter in der OECD werden der OECD zweifellos alles, was ihnen an Informationen zur Verfügung gestellt .wird, zur Vervollständigung der Arbeiten der OECD liefern, .die ja mit diesem Fragebogen und mit dieser erstmaligen Untersuchung 'keineswegs abgeschlossen sind.
Frage 51 des Abgeordneten Dr. Meinecke:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Firmen, die eine Beteiligung an der in Frage 49 erwähnten OECD- Untersuchung abgelehnt haben, doch noch zu einer Mitarbeit zu bewegen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Untersuchung der OECD steht vor ,dem Abschluß; das Sekretariat und Vertreter ,der beteiligten Mitgliedstaaten arbeiten inzwischen an der Abfassung ,des Schlußberichts.
Die Durchführung der Untersuchung scheint nicht dadurch beeinträchtigt worden zu sein, daß der Fragebogen im Bereich der elektronischen Rechenanlagen nicht vollständig beantwortet wurde. Die Mitwirkung des deutschen Sachverständigen in dieser Expertengruppe sowie die Tatsache, daß die Expertengruppen sich auf Grund ihres Sachverstandes weitgehend von den schwer vergleichbaren Ergebnissen der Umfragen unabhängig machten und die Rechenanlagen nur ein Aspekt der auf sechs
Sektoren gestützten Untersuchung waren, haben diesen Mangel anscheinend wettgemacht.
Die Bundesregierung wird den Schlußbericht der OECD abwarten, bevor sie die Zweckmäßigkeit einer etwa gewünschten Intervention prüft.
Herr Geiger!
Herr Staatssekretär, sehen Sie keine Möglichkeit, das Umfrageergebnis dadurch zu verbessern, daß ein firmenunabhängiger Berichterstatter bestellt wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich möchte das nicht ausschließen. Nur kann ich nicht ganz beurteilen, wie stark die Eingrenzung der Untersuchungs- oder Auskunftsmöglichkeit eines firmenunabhängigen Sachverständigen ist. Zum Teil waren es Fragen, die in der Tat in die Kalkulation und sehr weit in die Betriebssituation der Firmen eingedrungen -sind, so daß. die Möglichkeiten eines unabhängigen Experten wahrscheinlich ziemlich gering gewesen wären.
Keine weiteren Fragen.Ich rufe die Fragen 52, 53 und 54 des Abgeordneten Felder auf:Ist es richtig, daß die Bundesregierung Rumänien ein besonderes Einfuhrverfahren zubilligt, in dessen Rahmen die regional breit gestreute und mit einem hohen Frauenanteil arbeitende bundesdeutsche Textil- und Bekleidungsindustrie neue schwere Belastungen zu erwarten hat?Wie kann durch ein wirksames Preisprüfungsverfahren dafür Sorge getragen werden, daß unsere Textilindustrie, die einen beachtlichen Beitrag zur Preisstabilität geleistet hat, nicht etwa durch staatlich manipulierte Preise aus dem Ostblock in weitere Bedrängnis gerät?Besteht nicht ein Widerspruch zwischen der wiederholt betonten Notwendigkeit einer leistungsfähigen deutschen Textilindustrie und dem wirklichen Verhalten des Bundeswirtschaftsministeriums unseren Außenhandelspartnern gegenüber?Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antworten des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Arndt vom 9. November 1967 lauten:Von der Rumänien autonom gewährten erweiterten De-FactoLiberalisierung der Wareneinfuhr sind auf Grund einer Entscheidung der Bundesregierung die Erzeugnisse der Textil- und Bekleidungsindustrie vollständig ausgenommen, dafür allerdings die Einfuhrkontingente für diese Waren erhöht worden. Die von Ihnen befürchteten neuen schweren Belastungen der deutschen Textil- und Bekleidungsindustrie sind damit vermieden worden. Im übrigen sind die Textilexporte der Bundesrepublik nach Rumänien höher als die entsprechenden Gegenlieferungen.Durch die Aufrechterhaltung der Kontingentierung gegenüber dem Ostblock ist sichergestellt, daß die Textil- und Bekleidungseinfuhren aus diesen Ländern einen bestimmten Umfang nicht überschreiten können, wodurch zugleich gewährleistet ist, daß etwaige ungerechtfertigte Preisunterbietungen in Grenzen gehalten werden. Davon abgesehen sind mit Runderlaß Außenwirtschaft Nr. 17/1966 vom 20. April 1966, der die Beobachtung der Einfuhr und die Preisprüfung für Ostblockwaren zum Gegenstand hat, Möglichkeiten geschaffen worden, mit denen die Bundesregierung glaubt, störenden Entwicklungen rechtzeitig entgegenwirken zu können.Die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie ist gegenüber Einfuhren, insbesondere aus Niedrigpreis- und Ostblockländern, weit mehr 'abgeschirmt als jeder andere Bereich der verarbeitenden gewerblichen Industrie. Die Bundesregierung glaubt, wie die Regelung im Falle Rumäniens zeigt, auch in letzter Zeit unter Beweis gestellt zu haben, daß ihr durchaus an der Erhaltung einer leistungsfähigen Textil- und Bekleidungsindustrie gelegen ist.
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6734 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967
Vizepräsident SchoettleWir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, zunächst zu den Fragen 61 und 62 des Abgeordneten Folger:Hält die Bundesregierung die Arbeitszeitordnung vom 26. Juli 1934/30. April 1938, die in ihrem Ursprung auf die Demobilmachungs-Verordnung vom November 1918 zurückgeht, noch für zeitgemäß?Wenn die Frage 61 verneint wird, wann wird die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag einen Entwurf vorlegen, der den jetzigen und zukünftigen Verhältnissen entspricht?Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Staatssekretärs Kattenstroth vom 9. November 1967 lautet:Die Frage, ob die Arbeitszeitordnung vom 30. April 1938 noch zeitgemäß ist, läßt sich generell weder bejahen noch verneinen. Einige Vorschriften sind noch zeitgemäß, z. B. die Vorschrift über den Grundsatz des Achtstundentages; andere Vorschriften sind es nicht mehr, z. B. die Vorschriften, die nationalsozialistische Begriffe wie Gefolgschaftsmitglieder u. a. enthalten. Im einzelnen muß jede Vorschrift daraufhin überprüft werden, ob sie noch zeitgemäß ist. Dies ist eine umfangreiche und schwierige Aufgabe, insbesondere weil die inzwischen eingetretene soziale, wirtschaftliche, technische und rechtliche Entwicklung sowie die inzwischen gewonnenen Erkenntnisse der Arbeitsmedizin berücksichtigt werden müssen.Diese Auffassung vertreten auch die Herren Arbeitsminister und Senatoren für Arbeit der Länder. Sie haben in ihrer 38. Arbeitsministerkonferenz empfohlen, zur Erarbeitung einer präzisen Darstellung der Problematik und der Lösungsmöglichkeiten eine Kommission einzusetzen. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat sich dieser Empfehlung angeschlossen.Die Kommission soll ,aus Vertretern der Sozialpartner sowie der beteiligten Bundes- und Länderministerien bestehen. Zur Vorbereitung der Arbeiten der Kommission ist ein Arbeitskreis aus Fachreferenten der Arbeitsministerien der Länder und des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung gebildet worden.Frage 63 des Abgeordneten Dr. Schellenberg:Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung die in der Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 angekündigte und durch einstimmigen Beschluß des Deutschen Bundestages vom 14. Juni 1967 geforderte Mitbestimmungskommission immer noch nicht berufen?Bitte, Herr Minister Katzer, wollen Sie die Frage beantworten.
Herr Präsident, ich bitte, die beiden Fragen von Herrn Professor . Schellenberg gemeinsam beantworten zu dürfen.
Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 64 des Herrn Abgeordneten Dr. Schellenberg auf:
Warum hat das Bundeskabinett die dem Bundeskanzler im Juni vom Bundesarbeitsminister zusammen mit dem Bundeswirtschaftsminister unterbreitete Vorlage über Zusammensetzung und Aufgabenstellung der Mitbestimmungskommission immer noch nicht verabschiedet?
Mit Ihren Fragen, Herr Kollege Professor Schellenberg, beziehen Sie sich auf die in der Regierungserklärung angekündigte Mitbestimmungskommission. Die Bildung dieser Kommission hat die Bundesregierung in ihrer letzten Sitzung am 8. November 1967 beschlossen.
Nach dem Beschluß der Bundesregierung wird die Kommission aus neun Persönlichkeiten bestehen, welche über die für die Beurteilung der Mitbestimmung erforderlichen Erfahrungen und wissenschaftlichen Kenntnisse verfügen. Als Berater nehmen an den Arbeiten der Kommission je drei Vertreter der Sozialpartner teil.
Die Mitglieder der Kommission werden von der Bundesregierung ernannt; die Berater werden auf Vorschlag der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften von der Bundesregierung bestellt.
Die Kommission wird sich eine Geschäftsordnung geben. Sie kann Vertreter der Sozialpartner sowie sachkundige Personen, darunter auch solche aus Kreisen der Kirchen, befragen oder zur gutachtlichen Stellungnahme auffordern. .
Die Bundesregierung unterstützt die Kommission bei ihren Arbeiten; sie behält sich vor, der Kommission Einzelfragen zu benennen, deren Beantwortung erwünscht oder vordringlich ist.
Die Kommission wird die Ergebnisse ihrer Arbeit der Bundesregierung vorlegen. Vertritt eine Minderheit eine abweichende Auffassung, so hat sie die Möglichkeit, diese in der Stellungnahme zum Ausdruck zu bringen.
Herr Dr. Schellenberg!
Herr Bundesarbeitsminister, nachdem Sie mir in einer früheren Fragestunde mitgeteilt haben, Sie hätten die Vorlage über die Mitbestimmungskommission gemeinsam mit dem Herrn Bundeswirtschaftsminister im Juni dem Bundeskanzleramt zugeleitet, frage ich Sie: Muß nicht die lange Zeit, in der die Angelegenheit dort lag, als Verzögerungstaktik aufgefaßt werden?
Nein, Herr Professor Schellenberg; ich glaube nicht, daß man darin eine Verzögerungstaktik erblicken kann. Sie selbst wissen, vor welcher Fülle von Aufgaben die Bundesregierung im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung gestanden hat. Ich darf nur an den Terminplan der Bundesregierung für die letzten Wochen erinnern. Sie kennen ihn und wissen, daß wir unter einem unerhörten Zeitdruck gestanden haben. Außerdem geht es bei der Bildung der Mitbestimmungskommission natürlich um gewichtige Fragen, die der sorgfältigen Klärung und Prüfung bedurft haben.
Herr Dr. Schellenberg!
Was sind, Herr Bundesarbeitsminister, im einzelnen die Gründe, weshalb es fünf Monate gedauert hat, bis die dem Bundeskanzleramt zugeleitete Vorlage nun endlich im Zusammenhang mit der Ankündigung der Großen Anfrage meiner Fraktion verabschiedet wurde?
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967 6735
Herr Professor Schellenberg, es hat eine sehr intensive Diskussion gegeben, z. B. über die Frage der Zusammensetzung dieser Kommission. Bei der Frage, ob die Sozialpartner als Mitglieder der Kommission bestellt werden sollten oder ob sie, wie es jetzt geschehen ist, als fachkundige Berater hinzugezogen werden können, ging es um eine sehr wichtige Entscheidung. Sie bedurfte einer längeren Beratung innerhalb der Regierung.
Eine weitere Zusatzfrage.
Nachdem Sie mitgeteilt haben, Herr Bundesarbeitsminister, das Kabinett habe eine Fülle anderer Dinge beraten und verabschieden müssen, möchte ich Sie fragen: Hat sich das Kabinett nicht nach Ihrer Auffassung in der Zwischenzeit mit manchen anderen Dingen beschäftigt, die im Vergleich zur Einsetzung der Mitbestimmungskommission gesellschaftspolitisch doch weit weniger bedeutungsvoll sind?
Herr Professor Schellenberg, ich glaube, die erste und wichtigste Aufgabe der Bundesregierung war es — das wissen Sie selbst am allerbesten aus dem sozialpolitischen Bereich —, Ordnung in unsere Finanzen zu bekommen. Das hat uns in der Tat Monate beschäftigt.
Herr Professor Schellenberg zu einer weiteren Zusatzfrage.
Herr Bundesarbeitsminister, wurde nicht die Einsetzung von anderen Sachverständigenkommissionen, die ebenfalls sehr wichtige Aufgaben zu bearbeiten hatten, vom Bundeskanzleramt viel zügiger vorangebracht?
Herr Professor Schellenberg, ich kann nur wiederholen, daß wir uns wirklich redlich bemüht haben, zu einer Lösung zu kommen, und ich möchte meinen, Sie sollten eigentlich sehr glücklich darüber sein, daß ich auf Ihre in der vergangenen Woche gestellten Fragen heute schon eine positive Antwort habe geben können.
Das Kontingent ist erschöpft. — Herr Abgeordneter Matthöfer!
Herr Minister, kann man erfahren, wie die Kommission zusammengesetzt ist und welche Namen vom Kabinett vorgeschlagen worden sind?
Herr Kollege Matthöfer, die Namen kann ich noch nicht nennen, aus dem sehr einfachen Grunde, weil ich auf Grund des vorgestrigen Kabinettsbeschlusses erst mit den Persönlichkeiten Verbindung aufnehmen muß. Namen kann ich erst nennen, wenn die in Aussicht genommenen Persönlichkeiten zugesagt haben, in dieser Kommission mitzuwirken.
Herr Matthöfer!
Herr Minister, nach dieser unerklärlichen und eigentlich gar nicht zu verantwortenden Verzögerung der Bildung der Kommission darf ich Sie fragen: Was wird die Bundesregierung jetzt unternehmen, um die Arbeitsfähigkeit der Kommission so schnell wie möglich herzustellen, sie bei ihrer Arbeit zu unterstützen und sicherzustellen, daß der Bericht diesem Hause noch rechtzeitig in dieser Legislaturperiode vorliegt, damit Beschlüsse gefaßt und etwaige Konsequenzen gezogen werden können?
Herr Kollege Matthöfer, Sie. können davon ausgehen, daß ich auf Grund der Beschlüsse, die die Bundesregierung vorgestern gefaßt hat, sofort Verbindung mit den in Frage kommenden Persönlichkeiten aufnehme und mit größter Beschleunigung versuche, die Persönlichkeiten, die wir ins Auge gefaßt haben, zu fragen, ob sie bereit sind, die Aufgabe zu übernehmen. Das scheint mir die wichtigste Voraussetzung zu sein, um die Arbeit der Kommission in Gang zu setzen.
Herr Schmidt .
Herr Minister, ist mein Eindruck richtig, daß ein sehr enger Zusammenhang zwischen der in der vorigen Woche vorgelegten Frage und der plötzlichen Entscheidung im Kabinett zu sehen ist?
Herr Kollege Schmidt , selbstverständlich reagiert die Bundesregierung auf Anregungen des Parlaments immer positiv.
Herr Kollege Schmidt !
Herr Minister, darf man diese positive Anregung des Parlaments als eine gewisse Schützenhilfe ansehen, um gewisse Spannungen zu überwinden?
Das ist keine Schützenhilfe, um Spannungen zu überwinden. Denn ich möchte dies sagen,
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6736 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967
Bundesminister Katzer
Die Bundesregierung hat sich in ihrer Regierungserklärung klar für die Bildung dieser Kommission ausgesprochen. Es ist verständlich, daß dann aus dem Parlament auch die Frage gestellt wird: Wann kommt die Kommission? Ich betrachte das nicht als eine Schützenhilfe, sondern als eine Hilfe zur Erfüllung dessen, was in der Regierungserklärung zu dieser Frage gesagt worden ist.
Herr Wolf!
Herr Minister, hat die Bundesregierung eine Vorstellung über den Zeitpunkt, zu dem die Mitbestimmungskommission ihren ersten Bericht vorlegen wird?
Herr Kollege, das kann ich im Augenblick noch nicht beantworten. Sobald die Kommission ihre Arbeit aufgenommen hat, werde ich abwägen können, welche Zeit sie benötigt.
Herr Minister, wird die Bundesregierung Einfluß darauf nehmen, daß der erste Bericht möglichst in dieser Legislaturperiode vorgelegt wird?
Ich habe mich in ähnlichem Sinne bereits
I auf eine Frage von Herrn Professor Schellenberg ausgesprochen.
Herr Genscher!
Herr Bundesminister, muß ich Ihre Antwort auf die zweite Frage des Kollegen Matthöfer so verstehen, daß die Bundesregierung entgegen den Ankündigungen von Mitgliedern der Regierung, z. B. auch des Herrn Bundeskanzlers, doch beabsichtigt, in dieser Legislaturperiode noch das Mitbestimmungsrecht zu ändern?
Herr Kollege Genscher, ich habe auf die Frage von Herrn Kollegen Matthöfer geantwortet, daß wir natürlich bestrebt sind, das Ergebnis der Kommission noch in dieser Legislaturperiode zu bekommen.
Herr Genscher.
Herr Bundesminister, vorausgesetzt, Sie bekommen das Ergebnis der Kommission, muß ich dann Ihre jetzige Antwort so verstehen, daß Sie in diesem Fall, daß Sie es also rechtzeitig bekommen, entgegen den Ankündigungen von maßgeblichen Mitgliedern der Bundesregierung, die Ihrer Partei angehören, doch noch in dieser Legislaturperiode Änderungen zum Mitbestimmungsrecht vorschlagen werden?
Herr Kollege Genscher, ich kann verstehen, daß Sie sehr interessiert sind, hier einen gewissen Gegensatz zu konstruieren. Aber er entbehrt jeglicher Grundlage. Es hängt doch ganz entscheidend davon ab, was das Egebnis der Kommision sein wird. Wir werden uns, wenn das Ergebnis der Kommision vorliegt, darüber unterhalten müssen, was auf Grund dieses Ergebnisses praktisch zu tun ist. Es hätte gar keinen Zweck, eine Kommission einzusetzen, wenn ich jetzt schon wüßte, was ich tun wollte. Jetzt, in diesem Augenblick kann darüber gar nichts gesagt werden.
Herr Geiger!
Herr Bundesminister, Sie sind glücklich, daß Sie auf eine Anfrage in der vergangenen Woche schon heute eine Antwort geben konnten. Ist Ihnen nicht mehr im Bewußtsein, daß die Angelegenheit schon am 13. Dezember des letzten Jahres angekündigt worden ist, und finden Sie das nicht eine lange Zeit bei einer gesellschaftspolitisch so wichtigen Frage?
Herr Kollege Geiger, ich glaube, ich habe diesen Fragenkomplex schon sehr eingehend beantwortet. Ich darf nochmals zusammenfassend sagen: ich bin sehr glücklich, daß wir endlich diesen Beschluß der Regierung haben.
Die Frage ist genügend breitgetreten. Ich glaube nicht, daß es weiterer Zusatzfragen bedarf.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung, zunächst zu Frage 65 des Abgeordneten Jung. Ist der Abgeordnete Jung anwesend? — Herr Abgeordneter Jung ist nicht anwesend. Dann wird die Frage schriftlich beantwortet.
Frage 66 des Abgeordneten Berlin — Herr Abgeordneter Berlin ist anwesend —:
Nach welchen Gesichtspunkten bzw. Maßstäben wird Schmerzensgeld berechnet, wenn Personenschaden bei. Zivilisten durch das Verschulden der Bundeswehr oder ihrer Einrichtungen entstanden ist?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Herr Abgeordneter, sofern Zivilpersonen durch eine unerlaubte Handlung von Bundeswehrangehörigen Personenschäden erleiden, für die die Bundesrepublik Deutschland einzustehen hat, können sie nach § 847 BGB auch wegen des Schadens, der keinen Vermögensschaden darsiellt, eine billige Entschädigung in Geld verlangen. Durch das Schmerzensgeld sollen vor allem die nachteiligen Folgen für die körperliche und seelische Verfassung des Verletzten ausgeglichen werden. Seine Berechnung erfolgt
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967 6737
Parlamentarischer Staatssekretär Adornonach den allgemein geltenden Grundsätzen. Die Höhe des Schmerzensgeldes bestimmt sich in erster Linie nach Art und Schwere der im Einzelfall erlittenen Verletzungen. Ertragene körperliche Schmerzen, Entstellung, langes Siechtum sowie Beeinträchtigung der Lebensfreude sind angemessen zu berücksichtigen. Neben Ausmaß und Schwere der physischen und psychischen Störungen des Verletzten sind für die Bemessung des Schmerzensgeldes aber auch der Grad des Verschuldens sowie die Vermögensverhältnisse des Verletzten bedeutsam.Unter diesen Gesichtspunkten haben die Gerichte in zahlreichen Entscheidungen Wertmaßstäbe und Grenzen des im Einzelfall angemessenen Schmerzensgeldes abgesteckt. Nach diesen von der Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätzen wird auch bei der Bundeswehr verfahren. Dabei bieten in der Praxis für den Bearbeiter die sogenannten Schmerzensgeldtabellen, die eine systematische Auswertung der Gerichtsentscheidungen enthalten, wertvolle Anhaltspunkte, um im Einzelfall die Höhe des Schmerzensgeldes bemessen zu können.
Herr Abgeordneter Berlin!
Habe ich Sie richtig verstanden, Herr Staatssekretär, wenn ich feststelle, daß die Maßstäbe, die die Bundeswehr anlegt, denen entsprechen, die allgemein gültig sind?
Sie haben mich richtig verstanden.
Eine weitere Frage.
Meinen Sie nicht, daß in einem Fall, auf den ich mich hier beziehe, nämlich einen Starfighter-Absturz am 28. April in Bad Meinberg, wo eine Frau fast tödlich verletzt wurde — sie hat bisher ein Schmerzensgeld von 2000 DM bekommen, obwohl die Bundesregierung bzw. das Verteidigungsministerium erklärt haben, da großzügig verfahren zu wollen —, und auch in anderen solchen Fällen eine Ausnahme von den allgemeinen Maßstäben möglich wäre, die Sie eben genannt haben?
Herr Abgeordneter, der von Ihnen angesprochene Fall ist mir im einzelnen nicht bekannt. Wenn Sie ihn mir schriftlich darlegen, bin ich gern -zu einer Überprüfung bereit.
Das will ich gern tun. Aber ich darf vielleicht noch die Frage stellen, ob Sie meinen, daß es den Umständen entspricht, wenn die schwerverletzte Frau, die seit April im Krankenhaus war und bis heute nicht erwerbsfähig ist, einen Betrag von 2000 DM als Schmerzensgeld erhalten hat.
Wir werden die Frage prüfen.
Einen Moment, Herr Staatssekretär! — Herr Berlin, Sie haben Ihr Konto überzogen. Ich konnte Sie nicht bremsen.
Herr Staatssekretär, vielleicht beantworten sie die Frage trotzdem!
Ich werde den Fall gern im einzelnen prüfen lassen, das führte ich schon aus. Wenn der Fall sich in die Maßstäbe und Grundsätze einordnen läßt, die ich hier vorgetragen habe, dann wird auch eine angemessene Schmerzensgeldgewährung erfolgt sein.
Frage 67 des Abgeordneten Haar übernimmt Frau Abgeordnete Meermann:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß Militärtransporte, wenn irgend möglich, von der Straße auf die Schiene verlagert werden sollten?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Frau Kollegin, Ausbildungsgrundsätze und Wirtschaftlichkeitsberechnungen sind die Faktoren, die bei den Entscheidungen berücksichtigt werden, ob Militärtransporte auf der Straße oder auf der Schiene durchgeführt werden sollen. Kettenfahrzeuge haben einen hohen Betriebsstoffverbrauch, bedürfen nach längeren Märschen umfangreicher Instandsetzung des Fahrwerks und behindern unter Umständen wegen ihrer besonderen Fahrweise den allgemeinen Verkehr. Deshalb werden Kettenfahrzeuge in der Regel im. Eisenbahntransport verlegt.Die Fähigkeit zur schnellen und disziplinierten Bewegung auf der Straße spielt bei modernen Streitkräften eine entscheidende Rolle. Deshalb werden Verbände mit Räderfahrzeugen zu und von Truppenübungsplätzen grundsätzlich im Straßenmarsch verlegt, um gleichzeitig die sich dabei ergebenden Ausbildungsmöglichkeiten zu nützen. Gesonderte Marschübungen können meist aus Zeitmangel nicht durchgeführt werden.Kostenvergleiche haben ergeben, daß Märsche von Kettenfahrzeugen etwa viermal teurer sind als deren Transporte auf der Eisenbahn. Dagegen sind Eisenbahntransporte von Räderfahrzeugen etwa doppelt so teuer wie deren Verlegung auf der Straße. Die Relation gilt für Entfernungen bis zu 300 km. Bei größeren Entfernungen kann der Eisenbahntransport von Räderfahrzeugen wirtschaftlicher sein.Die laufenden Versorgungstransporte sind kurzfristig an den Versorgungsrhythmus der Truppe gebunden und dienen in hohem Maße der Ausbildung, so daß auch diese Transporte meist auf der Straße durchgeführt werden.
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6738 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967
Frau Meermann!
Herr Staatssekretär, gibt es Feststellungen darüber, ob infolge der Stilllegung von gewissen Eisenbahnstrecken Militärtransporte, sowohl Personen- als auch Gütertransporte, in verstärktem Maße auf die Straße verlagert werden müßten?
Diese Frage wird zur Zeit in meinem Hause geprüft.
Frau Abgeordnete Meermann.
Herr Staatssekretär, mir fällt auf, daß ich in südwestdeutschen Zügen häufig französische Soldaten treffe, dagegen fast nie deutsche Soldaten. Ich möchte daher fragen, ob die Franzosen da einen anderen Maßstab anlegen als wir.
Ich glaube nicht, Frau Kollegin, daß die Franzosen hier einen anderen Maßstab anlegen. Dies hängt wohl mit der Entfernung von den Heimatorten zusammen.
Herr Abgeordneter Josten!
Herr Staatssekretär, würden Sie von Ihrem Ministerium aus darauf hinwirken, daß soweit wie möglich Militärtransporte nicht in den Zeiten des Spitzenverkehrs auf der Straße stattfinden, wie dies z. B. in unserer größten Garnisonstadt Koblenz schon vorkam?
Ich werde diese Frage gern prüfen lassen.
Frage 68 stellt der Abgeordnete Dr. Häfele:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß es für weite Teile des Volkes unbefriedigend ist, wenn infolge der Musterungsergebnisse nur ein Teil der Wehrpflichtigen eingezogen und dem anderen Teil keine besondere Verpflichtung für die Allgemeinheit auferlegt wird?
Herr Staatssekretär, bitte!
Herr Kollege, mit Genehmigung des Herrn Präsidenten würde ich wegen des inneren Sachzusammenhangs Ihre drei Fragen gern zusammen beantworten.
Der Fragesteller ist einverstanden.
Ich rufe auch die Fragen 69 und 70 des Herrn Abgeordneten Dr. Häfele auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Möglichkeit, durch die Einführung einer Wehrsteuer den in Frage 68 erwähnten Zustand zu ändern?
Welche Erfahrungen haben andere Länder mit einer Wehrsteuer gemacht?
Bitte!
Der Bundesregierung ist bekannt, daß nur knapp die Hälfte der gemusterten Wehrpflichtigen eines Geburtsjahrgangs zum vollen Grundwehrdienst herangezogen werden kann. Einmal stehen 30 v. H. der Gemusterten aus gesundheitlichen Gründen nicht für den Grundwehrdienst zur Verfügung. Bei rund 20 v. H. liegen Wehrdienstausnahmen wie Zurückstellungen, Befreiungen und Unabkömmlichstellungen vor. Zum anderen kann die Bundeswehr, zumal wenn die Jahrgangsstärken in den nächsten Jahren größer werden, nicht alle verfügbaren Wehrpflichtigen einziehen.
Die Bundesregierung prüft daher bereits, Wie ein Ausgleich dafür geschaffen werden kann, daß nur ein Teil der verfügbaren Wehrpflichtigen zum Wehrdienst einberufen wird. Die Untersuchungen sind jedoch noch nicht abgeschlossen.
Ob die Einführung einer Wehrsteuer ein geeignetes Mittel darstellt, um einen gerechten Ausgleich herbeizuführen, erscheint zweifelhaft. Die Abgrenzung des steuerpflichtigen Personenkreises und die verwaltungsmäßige Durchführung einer solchen Abgabe würden nicht unerheblichen Schwierigkeiten begegnen. Abgesehen davon blieben die Nachteile unverändert bestehen, die sich für die zum Wehrdienst Einberufenen durch die damit verbundene Verzögerung ihrer weiteren Berufsausbildung oder des Aufbaus einer Existenz ergeben.
Die gegenwärtigen Überlegungen erstrecken sich daher auch darauf, diese Nachteile für die Einberufenen zu mildern. Die Bundesregierung ist bemüht, die vielschichtige und auch rechtlich schwierige Frage beschleunigt zu klären. Sie wird über das Ergebnis dem Verteidigungsausschuß des Bundestages berichten.
Soweit bekannt, erhebt seit mehreren Jahrzehnten nur noch die Schweiz eine als Militärpflichtersatz bezeichnete Wehrsteuer. Da dort grundsätzlich alle Tauglichen einschließlich der beschränkt Tauglichen zum Wehrdienst herangezogen werden — etwa 85 bis 88 v. H. des Jahrganges —, ist das Aufkommen aus der Abgabe relativ gering. Es beträgt jährlich etwa 15 bis 20 Millionen Franken. Die Verhältnisse der Schweiz sind jedoch wegen des milizartigen Charakters der Streitkräfte mit den Verhältnissen der Bundesrepublik nicht ohne weiteres vergleichbar.
Herr Abgeordneter Häfele!
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967 6739
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, sich energisch dafür einzusetzen, daß die Bundesregierung in dieser Frage rasch eine Entscheidung trifft?
Ich persönlich bin gern dazu bereit, Herr Kollege.
Wird die Bundesregierung diese Entscheidung nicht nur dem Verteidigungsausschuß, sondern dem ganzen Bundestag mitteilen?
Wenn die Entscheidung nach Beratung im Verteidigungsausschuß gefällt ist, wird das natürlich dem gesamten Hause mitgeteilt werden.
Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Meinung, daß es sich hier für die Bevölkerung draußen um ein echtes Anliegen handelt, weil sich vielfach die Leute, die gezogen werden, oder die Angehörigen derer, die gezogen werden, im Verhältnis zu den anderen als die Dummen vorkommen?
Ich teile Ihre Auffassung, daß das ein echtes Anliegen ist. Die Bundesregierung ist deshalb bestrebt, rasch eine gute Lösung zu finden.
Herr Strohmayr!
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß junge Menschen, die gemustert worden sind, aber noch nicht einberufen wurden bzw. zurückgestellt werden, oft Schwierigkeiten haben, wenn sie den Arbeitsplatz wechseln wollen? Im allgemeinen heißt es dann: Sie haben ja Ihren Wehrdienst noch nicht abgeleistet, wir können Sie deshalb nicht einstellen.
Diese Schwierigkeiten sind mir nicht bekannt.
Herr Strohmayr!
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, die Sache zu untersuchen und gegebenenfalls dafür zu sorgen, daß solche Dinge nicht mehr vorkommen?
Wenn Ihrer Frage ein bestimmter Einzelfall zugrunde liegt, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie ihn mir schriftlich darlegten. Ich bin dann gern zu einer Überprüfung bereit.
Herr Dr. Ritz!
Herr Staatssekretär, spielt bei den von Ihnen skizzierten Untersuchungen auch die Frage eine Rolle, ob man, falls sich die Wehrersatzsteuer als nicht praktikabel erweisen sollte, eventuell statt dieser Wehrersatzsteuer in irgendeiner Form einen sozialen Ersatzdienst — ähnlich wie bei den Wehrdienstverweigerern — einführen sollte?
Bei der Frage, wie hier zu einem echten Ausgleich zu kommen ist, spielen viele Erwägungen eine Rolle. Diese Erwägungen sind aber noch nicht abgeschlossen. Ich kann daher zu meinem Bedauern noch nichts Konkretes dazu sagen.
Herr Schwabe!
Herr Staatssekretär, zwei Komponenten, nämlich die Stärke der Bundeswehr und die Stärke der Geburtsjahrgänge, sind doch seit geraumer Zeit bekannt. Ist es daher nicht sehr schmerzlich, daß wir uns erst jetzt mit dieser Frage befassen? Gibt es dafür eine Erklärung?
Herr Kollege, wir befassen uns nicht erst jetzt, sondern schon seit geraumer Zeit mit dieser Frage. Die Schwierigkeiten, zu einer guten Lösung zu kommen, sind bekannt.
Herr Schwabe!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, da nur etwa die Hälfte der zur Verfügung stehenden Dienstpflichtigen wirklich eingezogen wird, frage ich Sie: Wie können Sie die verantwortlichen Stellen gegen den Verdacht abschirmen, nicht nur nach Ermessen, sondern geradezu willkürlich den einen zu ziehen und den anderen nicht zu ziehen?
Ich habe schon bei der Beantwortung der Frage darauf hingewiesen, daß von den etwa 50 %, die nicht eingezogen werden, 30 % aus gesundheitlichen Gründen nicht für den Grundwehrdienst zur Verfügung stehen und bei etwa 20 % Wehrdienstausnahmen wie Zurückstellungen, Befreiungen und Unabkömmlichstellungen vorliegen.
Das ist ein Mißverständnis; aber ich kann nicht mehr fragen.
Frau Abgeordnete Meermann!
Herr Staatssekretär, gehen Sie bei Ihren Überlegungen über die eventuelle Einführung einer Wehrdienstersatzsteuer auch
Metadaten/Kopzeile:
6740 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967
Frau Meermanndavon aus, daß eine solche Steuer nicht für den einen ein schweres Opfer, dagegen für den anderen bestenfalls einen Teil seines Taschengeldes bedeuten darf?
Das wird bei den Überlegungen selbstverständlich berücksichtigt. Ich habe auf die Schwierigkeiten, die mit der Einführung einer Wehrsteuer verbunden sind, aufmerksam gemacht und deshalb auch zum Ausdruck gebracht, daß andere Möglichkeiten in Erwägung gezogen werden, wie Entlastungen derer, die den Wehrdienst haben ableisten müssen.
Herr Dr. Marx!
Herr Staatssekretär, im Hinblick auf Ihre zuerst gegebene Antwort frage ich, ob Sie uns sagen können, wie hoch etwa der prozentuale Anteil derjenigen Wehrpflichtigen ist, die einen Zurückstellungsantrag stellen.
Ich kann diese Frage im Augenblick nicht genau beantworten. Von den 20 % Wehrdienstausnahmen sind der größte Teil — etwa 90 % — Wehrpflichtige, die aus Ausbildungsgründen oder aus häuslichen Gründen zurückgestellt werden. Die geringe Zahl von Befreiungen betrifft z. B. einzige letzte Söhne, wenn die weiteren Voraussetzungen des § 11 des Wehrpflichtgesetzes erfüllt sind.
Herr Dr. Marx!
Herr Staatssekretär, da ich Anlaß habe zu glauben, daß der prozentuale Anteil der Wehrpflichtigen insgesamt noch höher ist, frage ich, ob Sie bereit sind, auch dieses Problem — man sagt ja, man könne heute von einer allgemeinen Wehrpflicht überhaupt nicht mehr sprechen — im Verteidigungsausschuß mit den entsprechenden Unterlagen zur Diskussion zu stellen.
Wir sind dazu gern bereit.
Herr Dr. Kliesing!
Herr Staatssekretär, nach Ihrer Feststellung, daß die kommenden Jahrgänge stärker werden und damit natürlich auch das Potential an zur Verfügung stehenden Wehrpflichtigen größer wird, möchte ich Sie fragen: Nach welchen Gesichtspunkten und Richtlinien gedenkt die Bundesregierung die Auswahl der Einzuberufenden in den kommenden Jahren zu treffen?
Die Richtlinien liegen fest. Sie werden laufend der jeweiligen Situation angepaßt. werden. Ich bin gern bereit, auch dazu im Verteidigungsausschuß zu berichten.
Herr Dr. Kliesing!
Darf ich dann fragen, ob in diese Überlegungen jene Gedankengänge einbezogen werden, die den Problemkreis Bildungsreform und Hochschulreform betreffen.
Selbstverständlich werden auch diese Überlegungen mit einbezogen.
Herr Dr. Enders!
Herr Staatssekretär, welche Aussichten hat ein junger Mann, der gemustert, aber noch nicht eingezogen wurde, eine längere Studienreise ins Ausland unternehmen oder im Ausland studieren oder dort einer Arbeit nachgehen zu können?
Das müßte im Einzelfall geprüft werden.
Herr Staatssekretär, von vornherein können Sie nicht sagen, ob die Genehmigung dazu erteilt werden kann?
Das hängt vom Einzelfall ab, Herr Kollege. Generell kann ich dazu im Augenblick nicht Stellung nehmen.
Herr Spitzmüller!
Herr Staatssekretär, darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß Ihr Haus nicht mehr die total ablehnende Haltung einnimmt, die mir Ihr Haus im Jahre 1963 bezüglich der Einführung einer Wehrsteuer mitgeteilt hat.
Herr Kollege, aus meinen Ausführungen geht hervor, daß wir ernsthaft prüfen, welche Möglichkeiten es gibt, zu einem gerechten Ausgleich zu kommen.
Herr Spitzmüller!
Herr Staatssekretär, sind Sie dann auch bereit, zu prüfen, ob es nicht sinnvoll wäre, das gesamte Aufkommen aus einer solchen Steuer dafür zu verwenden, daß beispielsweise zur Milderung sozialer Härten das Entlassungsgeld derjenigen, die den Wehrdienst abgeleistet haben, erhöht wird?
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967 6741
Auch dazu sind wir gern bereit.
Herr Josten!
Herr Staatssekretär, auf Grund Ihrer Ausführungen möchte ich Sie fragen: Ist die Bundesregierung bereit, zu überprüfen, wie nicht nur die für die eingezogenen Wehrpflichtigen vorhandenen Nachteile gemindert werden können, sondern wie den Wehrpflichtigen, die ihren aktiven Wehrdienst ableisten, einige besondere Vorteile eingeräumt werden können?
Auch diese Frage gehört in den Komplex unserer Überlegungen.
Jetzt noch Herr Maucher, dann wird die Fragestunde geschlossen.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht der Meinung, daß Steuererleichterungen im Grunde genommen nicht den Ausgleich schaffen, und ist Ihnen bekannt, daß vor allem in weiten Kreisen der Arbeitnehmerschaft die Meinung besteht, daß auf die Dauer ohne eine besondere Belastung derjenigen, die nicht herangezogen werden, nicht auszukommen ist, und wären Sie bereit, gerade im Hinblick darauf, daß in Zukunft ein größerer Teil nicht zur Ableistung des Wehrdienstes herangezogen wird, diejenigen Familien, die für Staat und Volk schon besondere Vorleistungen erbracht haben, großzügiger zu behandeln, z. B. indem nicht alle Söhne eines Geschädigten oder einer Kriegerwitwe eingezogen werden, sondern eine gewisse Rücksichtnahme erfolgt?
Die Überlegungen, die Ihrer Frage zugrunde liegen, Herr Kollege, haben uns gerade auch veranlaßt, diese Frage der Wehrdienststeuer oder Entlastung zu prüfen. Im Zusammenhang hiermit müssen eine solche Fülle von Problemen geprüft werden, daß es im Augenblick noch nicht möglich ist, eine definitive Antwort zu geben.
Keine weiteren Fragen mehr.
Ich stelle noch fest, daß die Fragen 103 des Abgeordneten Fritsch , 107 des Abgeordneten Josten und 114 und 115 der Frau Abgeordneten Meermann von den Fragestellern zurückgezogen worden sind. Die Fragestunde ist damit beendet.
Meine Damen und Herren, über die Abwicklung der Tagesordnung haben inzwischen eine Reihe von interfraktionellen Gesprächen stattgefunden, so daß ich von dem ursprünglich vorgesehenen Gang der Dinge etwas abweichen muß.
Ich rufe zunächst den Punkt 16 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Tag der Deutschen Einheit
— Drucksache V/1903 —
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Borm.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion der Freien Demokraten im Bundestag hat heute die Ehre, dem Hohen Hause einen Gesetzentwurf zur Änderung des bisherigen Gesetzes über den Tag der Deutschen Einheit vom 4. August 1953 vorzulegen. Das hat seinen guten Grund. Unzweifelhaft ist die Beurteilung der Geschehnisse, die sich am 17. Juni 1953 ereignet haben, im Zusammenhang mit den Problemen um die Wiederherstellung der deutschen Einheit inzwischen erheblich modifiziert worden, nicht nur durch den Gang der Ereignisse, sondern auch dadurch, daß das Verhalten anläßlich des 17. Juni nicht so gewesen ist, wie es seinerzeit vorausgesetzt worden ist.Ebenso unzweifelhaft ist es, daß der 17. Juni zum Bestand gesamtdeutscher Politik gehört. Insofern kann dieses Problem nicht gesondert betrachtet werden, sondern ist in diesen Zusammenhang hineinzustellen. Gerade in den Fragen der Wiedervereinigung als des Hauptanliegens unseres Volkes ist ein völliger Wandel eingetreten. Die Haltung ist nüchterner geworden. Wir denken in längeren Zeiträumen. Als Fernziel ist das Ziel der Wiedervereinigung bestehengeblieben. Als Nahziel wird mehr und mehr erkannt — und darauf kommt es jetzt an —, den Menschen drüben mehr Freiheit von ihrem Regime zu geben. Der 17. Juni sollte dem also in seinem Ablauf Rechnung tragen und in die gesamtdeutsche Wirklichkeit hineingestellt werden.Wie sieht nun diese gesamtdeutsche Wirklichkeit aus? Drüben ist es ein Tag der harten Arbeit. Man darf dort an diesem Tag nicht öffentlich dessen gedenken, was sich am 17. Juni 1953 ereignet hat. Nicht einmal im stillen darf man daran denken. Noch heute sitzen drüben in den Zuchthäusern Menschen, die wegen ihres Verhaltens am 17. Juni 1953 dorthin gelangt sind. Wer, wie manch einer unter uns, die Erinnerung an diesen Tag als an einen Tag hat, an dem er selber dort im Zuchthaus saß, der weiß, wie unterschiedlich die Betrachtung drüben einerseits, hier andererseits ist. Hier ist dieser Tag ein Feiertag, ein arbeitsfreier Tag schlechthin geworden. Die Fahrten ins Grüne sind der Hauptzweck. Anachronistische Sonntagsreden werden gehalten, und es breitet sich mehr und mehr eine Skepsis aus. Wir sollten nicht die Rückwirkungen vergessen, die ein solches Verhalten in der Bundesrepublik auf die Deutschen drüben in der DDR hat. Dieses Verhalten ist nicht positiv zu werten.Auch in der Öffentlichkeit wird die Art und Weise, wie man diesen Tag begeht, mehr und mehr als unzeitgemäß angesehen. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich einige kurze Zitate aus Presse-
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6742 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967
Bormäußerungen bringen. So schreibt die „Deutsche Tagespost" am 16. Juni 1967, daß der 17. Juni nicht zum Tag der deutschen Einheit wurde, wie es seinerzeit den Parlamentariern vorgeschwebt habe. Der „Rheinische Merkur" schreibt, ebenfalls im Juni 1967, dieser Tag sei ein falsch genannter Feiertag; er müßte Tag der deutschen Freiheit heißen, und es sollte die Identität und die Solidarität mit den Menschen drüben zum Ausdruck kommen; auch allmähliche Freiheit drüben im Osten sei vorstellbar. Der „Südwestdeutsche Merkur" schreibt:Der 17. Juni ist ein verlängertes Wochenende geworden. Wenn man trotzdem an ihm festhält, so aus einem gewissen schlechten Gewissen heraus und weil man sich daran gewöhnt hat.So ist es, meine Damen und Herren. Aber Gewohnheit in einer solchen Sache, in einem solchen Hauptanliegen unserer Nation scheint mir nicht die rechte Begründung zu sein, das Bisherige beizubehalten.Es gibt auch Beispiele praktizierten Gegenteils. So hat z. B. die Kirchliche Hochschule Wuppertal in diesem Jahr beschlossen, und zwar in Übereinstimmung der Professoren, der Verwaltung und der Studentenschaft, den 17. Juni wie einen normalen Arbeitstag mit Vorlesungen zu begehen. In Hamburg haben 17 000 junge Menschen den letzten 17. Juni in ihrer Schule mit ihren Lehrern als Unterrichtstag begangen, und nur in Gedenkstunden sind sie der Bedeutung dieses Tages gerecht geworden.Aber diesen positiven Beispielen stehen natürlich auch Gegenstimmen gegenüber, und wenn ein solcher Zwiespalt durch unser Volk geht, so darf sich der Bundestag nicht der Verpflichtung entziehen, eine Entscheidung darüber zu treffen, wie dieser Tag in Zukunft den Zeitläuften und den Umständen gemäß begangen werden soll. Hier liegt es nahe, die Stimme eines Kollegen aus dem Bundestag zu zitieren. Ich betone, daß dieser Kollege nicht meiner Partei angehört, so daß er nicht als befangen angesehen werden kann. Er stellte fest, daß ein Unbehagen über die heutige Praxis nicht wegzuleugnen sei. Er erkennt, welche Schwierigkeiten es macht, wohlerworbene Rechte wieder abzubauen. Er hält Arbeit und Opfer am 17. Juni für zweckentsprechender als jene Ausflüge ins Grüne. Er schlägt vor, den 17. Juni zum Tag der Besinnung zu machen. Wenn meine Freunde die Große Koalition auch nicht immer mit Freude begrüßen, in diesem Falle sind sie allerdings der Meinung, daß gerade die Große Koalition berufen wäre, dieses heiße Eisen anzufassen und zusammen mit der Opposition dem deutschen Volk einen 17. Juni vorzuschlagen und durch Gesetz festzulegen, der der Bedeutung des Tages entspricht.Deshalb schlagen wir vor, das Gesetz vom 4. August 1953 zu ändern und den Paragraphen, der den 17. Juni als gesetzlichen Feiertag festlegt, durch die Bestimmung zu ersetzen, daß dieser Feiertag so lange ausgesetzt wird, bis wir am Ende unseres Weges sind und bis ein gesamtdeutsches Parlament diesen Feiertag — wenn wir unser Ziel erreicht haben, mit Recht — wieder installiert. Wir bitten also, diesen unseren Antrag dem zuständigen Ausschuß zu überweisen. Dort wird Gelegenheit sein, die Probleme nüchtern und leidenschaftslos zu betrachten.Man könnte sich vorstellen, daß dort auch über die Form gesprochen werden muß, in der dieser Tag begangen werden soll. Ich wiederhole, daß unser Kollege gesagt hat, Arbeit und Opfer seien zweckentsprechender als die Fahrten ins Grüne. Manche irrige und liebgewordene Meinung wird revidiert werden müssen, und man könnte sich sehr wohl überlegen, ob man nicht die Bevölkerung aufrufen sollte, einen Teil ihres Arbeitslohnes an diesem Tag einem Fonds zuzuführen, der angereichert werden könnte durch entsprechende Dotationen seitens der Arbeitgeber. Man könnte sich überlegen, ob man aus diesem Fonds nicht ein Institut schaffen könnte, das die Entwicklung in der DDR einmal nüchtern und leidenschaftslos nicht nur vom materiellen und ökonomischen Standpunkt, sondern auch vom sozialen, gesellschaftspolitischen und kulturellen Standpunkt, kurzum umfassend, betrachtet. Ein solches Institut könnte durchaus segenbringend wirken. Es würde den Politikern, insonderheit aber der deutschen Öffentlichkeit auch ein klares Bild über die Aufgaben geben, die vor uns liegen, und über die Bedingungen, unter denen diese Aufgaben anzupacken sind. Wir wüßten uns dann auf Grund der wissenschaftlichen Untersuchung wenigstens annähernd frei von Illusionen. Nur so, meine Damen und Herren, ist es möglich, in dieser schwierigen, kaleidoskopartig wechselnden Situation den Kurs beizubehalten, der auf die Wiederherstellung der Einheit unseres Volkes steuert.Ich bitte, diesen unseren Antrag dem zuständigen Ausschuß zu überweisen, und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Der Antrag ist begründet. Wird das Wort begehrt? — Das ist nicht der Fall.
Es wird vorgeschlagen, den Antrag dem Ausschuß für gesamtdeutsche und Berliner Fragen zu überweisen. — Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe außerhalb der Reihe Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion der FDP betr. Umwandlung von Unternehmen
— Drucksache V/1994 —
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Dr. Staratzke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will versuchen, eine sehr kurze Begründung zu diesem Antrag zu geben. Meine Freunde von der Fraktion' der Freien Demokraten und ich bezwecken mit diesem Antrag nicht mehr und nicht weniger, als daß die Bundesregierung möglichst bald den Entwurf eines umfassenden steuerlichen Umwandlungsgesetzes vorlegt, damit die freie Wahl der wirtschaftlich zweckmäßi-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967 6743
Dr. Staratzkegen Unternehmensform nicht durch steuerliche Hindernisse beeinträchtigt wird. Durch dieses Gesetz soll also erreicht werden, daß die praktisch in Betracht kommenden Umwandlungsfälle steuerneutral werden, d. h. daß die Umwandlungen ohne Begünstigung, aber auch ohne Nachteile erfolgen können. Heute sind zwingend notwendige Umwandlungen einfach deshalb nicht möglich, weil sie von der steuerlichen Seite her zu teuer sind. Bei diesen Umwandlungen soll es sich unter anderem handeln — um einige praktische Fälle darzulegen — um die Umwandlung eines Personenunternehmens in eine Kapitalgesellschaft und umgekehrt, die Übertragung des Vermögens einer Kapitalgesellschaft auf einen Gesellschafter, die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften sowie etwa auch die Einbringung von Unternehmen oder Teilbetrieben in ein inländisches Unternehmen.Zu diesem Problem liegt eine Kleine Anfrage der Fraktion der CDU/CSU vor. Dazu hat die Bundesregierung bereits — allerdings vornehmlich zur handelsrechtlichen Problematik von Umwandlungen — erfreulicherweise bekanntgegeben, daß sie einen Gesetzentwurf vorbereite, durch den über das Gesetz über die Umwandlung von Kapitalgesellschaften und bergrechtlichen Gesellschaften vom 12. November 1956 hinausgehend auch die Umwandlung von Personengesellschaften und Einzelunternehmen in Aktiengesellschaften erleichtert werden soll. Leider hat bei der Beantwortung dieser Anfrage die Bundesregierung die Umwandlung von Personalgesellschaften in eine GmbH nicht einbezogen. Sie hat dies als fraglich bezeichnet. Eine Begründung hierfür ist mir nicht geläufig. Wir möchten nun diesen Antrag so verstanden wissen, daß, sofern nicht ein erheblicher Zeitverlust eintreten sollte, in dieses neue Umwandlungsgesetz auch die Gesellschaften mit beschränkter Haftung einbezogen werden.Hinsichtlich der steuerlichen Fragen bei den Umwandlungen, die in dem vorliegenden Antrag vornehmlich gemeint sind, hat die Bundesregierung in der erwähnten Antwort auf die Kleine Anfrage der CDU/CSU ihr Bestreben zum Ausdruck gebracht, bei den Steuern vom Einkommen und Ertrag befriedigende Regelungen zu finden, um allgemein sicherzustellen, daß die Auflösung stiller Reserven vermieden wird. Die Zusage der Bundesregierung in der Antwort auf die Kleine Anfrage, gemeinsam mit den Ländern die Frage zu prüfen, ob auch bei den Kapitalverkehrsteuern — Gesellschaftsteuer, Börsenumsatzsteuer usw. — Erleichterungen für die Umwandlung vorgesehen werden können, ist gleichfalls begrüßenswert.In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen besonderen Punkt hinweisen. Die Bundesregierung sollte prüfen, ob und gegebenenfalls wieweit die Mehrwertsteuer in der Übergangszeit Umwandlungen erschweren könnte. Ich denke beispielsweise an die Möglichkeit, daß durch die Übertragung von Anlagegütern Steuern auf den Selbstverbrauch entstehen, die keine Durchlaufposten sind, sondern zu einer zusätzlichen Kostenbelastung bei der Umwandlung führen könnten.Ein besonders schwieriges Hindernis bei diesen Umwandlungsvorgängen stellt die Grunderwerbsteuer dar. Schon sie allein kann von vornherein wirtschaftlich sinnvolle Änderungen der Unternehmensform verhindern. Die Gesetzgebung für diese Steuern liegt, wie wir wissen, bei den Ländern. Ein Umwandlungssteuergesetz würde aber entscheidend an Wirkung verlieren, wenn sich nicht gleichzeitig die Länder bereit erklären würden, die wirtschaftlich sinnvollen Umwandlungen von Unternehmen dadurch zu unterstützen, daß auch bezüglich der hohen Grunderwerbsteuer eine steuerliche Neutralisierung vorgenommen wird.Soviel zu einigen Details. Nun zum Schluß! Die beschleunigte Verabschiedung eines solchen Gesetzes wird von der Wirtschaft, wie Sie sich vorstellen können, dringend erwartet. Ein solches Gesetz ist auch im Hinblick auf die wünschenswerte Entwicklung des Gemeinsamen Marktes, wo wir ja baldmöglichst binnenmarktähnliche Verhältnisse anstreben, dringend notwendig. Ich darf bemerken, daß die Kommission der EWG hier bereits in einem dem Ministerrat vorgelegten Arbeitsprogramm gefordert hat, daß die zur Entwicklung des Gemeinsamen Marktes notwendig erscheinenden Struktur- und Konzentrationsvorgänge nicht durch steuerliche Bestimmungen erschwert werden dürfen.Lassen Sie mich noch ein Wort zum Steueraufkommen sagen, damit auch das von vornherein klar ist. Ich glaube nicht, daß mit einem steuerlichen Umwandlungsgesetz irgendwo ein nennenswertes Steuerminderaufkommen verbunden wäre. Die Unternehmen in der neuen Form bleiben nicht nur als Steuerquelle erhalten, sondern sie würden mit Sicherheit infolge ihrer dann günstigeren Betriebsstruktur zu einer Erhöhung des Steueraufkommens beitragen.Wir bitten also — der Appell geht hier vornehmlich an den Bundesfinanzminister —, diesen von der Fraktion der Freien Demokraten eingebrachten Antrag schnellstmöglich zu behandeln.
Der Antrag ist begründet. Die Aussprache ist eröffnet. — Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stecker.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Anliegen, .das der Antrag der FDP zum Inhalt hat, ist auch unser Anliegen, nämlich die steuerlichen Barrieren gegenüber einer vernünftigen Wahl derjenigen Betriebsform abzubauen, die für das Unternehmen die beste ist. Es handelt sich ja um Fälle, in denen insbesondere Familienbetriebe aus einem familiären Rahmen herauswachsen, wo es besser ist, daß man Betrieb und Familie voneinander trennt. Das ist ein Anliegen, dem wir auch schon dadurch gerecht geworden sind, daß wir Kleine Anfragen gestellt haben, daß wir im Finanzausschuß darüber gesprochen haben und daß wir in einem Kreis von Sachverständigen, Herr Kollege Staratzke, seit einigen Wochen mit den Herren vom Finanz- und vom
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Dr. Stecker
Justizministerium beraten. Dazu gehören von Ihrer Fraktion Frau Kollegin Funcke und von der SPD Frau Kollegin Kurlbaum-Beyer. Wir haben am 6. Dezember ein weiteres Gespräch über dieses Thema und hoffen, dann zu erreichen, daß hier eine vernünftige Lösung gefunden wird.
Insofern halte ich Ihren Antrag für im wesentlichen deklamatorischer Natur. Ich würde also nicht sagen, daß er Wesentliches fördern kann.
Ich meine aber eines hier noch ansprechen zu sollen. Das größte Hemmnis, das wir bei der Umwandlung zur Zeit haben, ist die Grunderwerbsteuer. Diese gehört in die Gesetzgebungskompetenz der Länder. Mein Appell geht eigentlich mehr an die Länder, hier zu einer Kooperation zu kommen, die in der Tat verhindert, daß sinnlos blockierende Steuermaßnahmen aufrechterhalten werden.
In diesem Sinne möchte ich beantragen, daß die Vorlage dem Finanzausschuß überwiesen wird.
Das Wort wird weiter nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen.
Der Antrag soll an den Finanzausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen sowie gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Ist das Haus mit diesen Überweisungsvorschlägen einverstanden? — Das scheint der Fall zu sein; dann ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf:
Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Lage der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie
— Drucksache V/1869 —
Wer begründet? — Herr Dr. Wörner!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Brauchen wir überhaupt eine nationale Luft- und Raumfahrtindustrie? Wäre es nicht billiger und besser, unser Luftfahrtgerät beispielsweise in ,den Vereinigten Staaten einzukaufen und uns allenfalls noch auf Lizenzbauten zu beschränken? Ist die Luft- und Raumfahrtindustrie für uns so eine Art nationales Prestigeobjekt? — Das sind Fragen, die seit dem letzten Herbst, als wir über tausend Beschäftigte in diesem Industriezweig entlassen mußten, die Diskussion beherrschen. Solange auf diese Fragen keine schlüssige, keine überzeugende Antwort gefunden worden ist, wird die Unsicherheit aus diesem Industriezweig nicht verschwinden. Das ist der eigentliche Anlaß und das eigentliche Anliegen dieser Großen Anfrage, daß wir nämlich von der Bundesregierung eine ganz klare und verbindliche Aussage erwarten: Wollen wir eine nationale Luft- und Raumfahrtindustrie oder wollen wir keine eigenständige nationale Luft- und Raumfahrtindustrie? Erst wenn diese Frage geklärt ist, können wir hoffen, die Luft- und Raumfahrtindustrie aus dem Schwebezustand zu erlösen, in dem sie sich im Augenblick befindet, in dem ihr zum Leben zuwenig, zum Sterben zuviel gegeben wird.Uns wäre mit einem bloßen Lippenbekenntnis nicht gedient. Wenn wir hier zu dieser Frage ein klares Ja sagen, wenn wir die Notwendigkeit der Luft- und Raumfahrtindustrie bejahen, dann müssen wir die nötigen führungstechnischen, die nötigen personellen und die nötigen finanziellen Konsequenzen zu ziehen bereit sein.Meine Damen und Herren, das Bekenntnis zur nationalen Luft- und Raumfahrtindustrie ist kein Luxus, sondern bitterste Notwendigkeit. Wir werden unseren Rang als viertgrößte Industriemacht dieser Welt, wir werden unseren Rang als die zweitgrößte Handelsmacht dieser Welt nur behaupten können, wenn wir eine kräftig entwickelte Luft- und Raumfahrtindustrie haben. Ich will gar nicht auf den wachsenden Weltluftverkehr eingehen, der enorme Chancen auch für den Export in sich schließt. Ich will einmal abheben auf die technologische Lücke, die zwischen Europa auf der einen Seite und den USA und der UdSSR auf der anderen Seite besteht. Wir reden ja sehr viel von dieser technologischen Lücke.Meine Damen und Herren, wir müssen uns darüber im klaren sein, daß die Tatsache, daß dieser Vorsprung der Amerikaner und der Russen fast täglich wächst, in erster Linie eine Folge des Vorsprungs der Luft- und Raumfahrtindustrie dieser Staaten ist. Denn diese Luft- und Raumfahrtindustrie ist nun einmal der Schrittmacher, einer der wesentlichsten Schrittmacher der Technologie. Erinnern Sie sich nur einmal an die zahlreichen Abfallprodukte dieser Forschung.
Es gäbe beispielsweise den Herzschrittmacher nicht; es gäbe nicht die Röntgengeräte, die wir heute haben; es gäbe Dutzende von Leichtmetallen, Farbanstriche, Gasturbinen, die Mikroelektronik, ein Verfahren des chemischen Fräsens beispielsweise, neue Formen der Energiegewinnung, Plasmaenergie, Kleinsttransistoren, nicht. Es gibt kaum einen Lebensbereich und es gibt kaum eine Industrie, die nicht aus diesen Erkenntnissen in der Luft- und Raumfahrtindustrie inzwischen sehr viel Nutzen gezogen hätten.
— Jawohl, sehr richtig!Ein anderes Beispiel. Die Amerikaner entwickeln im Augenblick zur Abgasbeseitigung, zur Reinhaltung der Luft ein Elektroauto aus einer Batterie, die sie für die Weltraumfahrt entwickelt haben.Es geht darüber hinaus auch in den Bereich des Managements, der Systemanalyse, der Systemintegration. Das PERT-Verfahren ist eine Erkenntnis, die aus der Luft- und Raumfahrt kommt und inzwischen auf alle Bereiche der Industrie übergegriffen hat. Die Amerikaner haben Untersuchungen darüber, wie ein Krankenhaus zweckmäßig organisiert wird, wie eine Stadt zweckmäßig organisiert wird, wie die Raumordnung zweckmäßig organisiert und koordiniert wird, nicht etwa einer anderen Industrie-
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Dr. Wörnerfirma, sondern einer Luftfahrtfirma, einer Raumfahrtfirma übertragen. Daraus wird Ihnen klar, welche Bedeutung das auch für diesen Bereich hat.Wir müssen uns einfach über folgendes im klaren sein: wenn wir, die Bundesrepublik, wenn wir, die Europäer, technologisch nicht absolut ins Hintertreffen geraten wollen, dann müssen wir die Luft- und Raumfahrtindustrie fördern und dann müssen wir uns zu einer solchen eigenständigen Luft- und Raumfahrtindustrie bekennen.Der Herr Professor Fucks hat das Wort von den „Formeln zur Macht" geprägt. Wenn es eine Formel zur Macht gibt, die wirklich wesentlich ist, dann ist das die Rolle der Technologie. Wir alle haben wohl inzwischen begriffen, daß sich der Wettlauf der Großmächte verlagert hat und daß das in erster Linie ein Wettlauf der Technologie geworden ist. Denken Sie nur an den Start der Raketen! Denken Sie an all die übrigen Entwicklungen, die wir täglich sehen! Das alles ist inzwischen ein Wettlauf der Technologie. Die Macht, der Verteidigungswert, der Bündniswert, das Wirtschaftspotential und letztlich der Lebensstandard eines Volkes hängen wesentlich von der Rolle der Luft- und Raumfahrtindustrie ab.Wir diskutieren so oft über die politisch unabhängige Stellung Europas. Wir werden politische Provinz bleiben, solange wir technologische Provinz bleiben. Das ist eine ganz schlichte Erkenntnis.
Die politische Unabhängigkeit ist eine Funktion auch einer gewissen technologischen Unabhängigkeit. Das heißt, ein Verzicht auf eine eigenständige Luft- und Raumfahrtindustrie würde praktisch unsere Abdankung als unabhängige Industriemacht bedeuten.
Gelegentlich wird gefragt: Warum kaufen wir uns nicht das Luftfahrtgerät und damit auch die Abfallprodukte in den Vereinigten Staaten? Käme das nicht doch letztlich billiger? Das ist eine sehr törichte Überlegung und würde nur dazu führen, daß wir im Grunde genommen die Forschung der Amerikaner finanzieren und von Tag zu Tag mehr in ein Satellitenverhältnis hineinschlittern. Ich brauche Sie nur an unsere Patentbilanz zu erinnern, die heute schon negativ ist, um Ihnen zu zeigen, daß ein solches Verfahren keinen Sinn hätte.Und dann drängt sich natürlich die andere Frage auf. Wenn man diesen Start der Saturn erlebt hat, dieses ungemein eindrucksvolle Bild, wenn man weiß, daß 300 000 Leute daran gearbeitet haben, über Jahre hinweg, dann drängt sich doch die Frage auf: Haben wir überhaupt eine Chance, in diesem Rennen noch mitzuhalten? Ist es nicht vermessen, hier überhaupt in den Wettbewerb einzusteigen? Wir haben in unserer Luft- und Raumfahrtindustrie 40 000 Beschäftigte. Die Franzosen haben 100 000, die Engländer 250 000 und die Amerikaner 1,4 Millionen Beschäftigte. Hat es dann überhaupt einen Sinn, sich in diesen Wettbewerb einzuschalten? Übersteigt das nicht die finanziellen, die ökonomischen, die personellen Kräfte unseres Staates und unserer Wirtschaft? Das ist bis zu einem gewissenGrade richtig. Aber daraus ergibt sich eine Konsequenz, und zwar eine Konsequenz, die sich die europäischen Staaten hinter die Ohren zu schreiben haben: nur aus einer stärkeren Zusammenarbeit der europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie kann die Chance erwachsen, in diesem Wettbewerb Schritt zu halten oder überhaupt nur erst einmal ein Partner, ein vernünftiger, respektierter Partner der Amerikaner zu werden. Nur eine gemeinsame europäische Luft- und Raumfahrtindustrie wird sich in dieser internationalen Konkurrenz behaupten können. Das bedeutet für die Bundesregierung wie für uns, daß wir einen ganz klaren Kurs auf eine Zusammenarbeit der europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie zu steuern haben, wobei ich sagen möchte, daß diese Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Raumfahrt bereits sehr weit gediehen ist. Sie ist allerdings nicht mängelfrei. Aber das bedeutet natürlich auch, daß wir gewisse Prioritäten setzen müssen. Das bedeutet nicht, daß wir uns etwa von den Amerikanern völlig separieren können. Ich wäre der letzte, der das fordern wollte; denn das wäre Unfug. Natürlich muß es auch eine Zusammenarbeit mit den Amerikanern geben. Aber Sie müssen sich im klaren darüber sein, daß nur eine auf eigenen Füßen stehende, kräftige europäische Luft- und Raumfahrtindustrie in der Lage ist, für die Amerikaner einen ernsthaften Partner abzugeben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich würde Ihnen allen ,die Lektüre eines Berichts empfehlen, ,den der Kollege Berkhan vor der Westeuropäischen Union über ,das Programm Intelsat erstattet hat, wo er bis ins Detail darstellt, wie die Geschäftspraxis gerade der Amerikaner in diesem Projekt aussieht und wie sie nun bis zu einem gewissen Grade versuchen, die europäischen Firmen hier aus dem einzigen bis jetzt, lukrativen Geschäft der Raumfahrt herauszuhalten. Das können wir nur dann ändern, wie .der Herr Kollege Berkhan auch dargestellt hat, wenn wir eigene Entwicklungen starten, mit denen wir uns mindestens ernsthaft ins Geschäft einkaufen können, nicht um die Amerikaner daraus zu verdrängen, aber um mit den Amerikanern besser kooperieren zu können.Wir haben keinen Grund zur Resignation. Natürlich werden ,wir nie den Markt der Amerikaner haben. Wir haben auch nicht die Finanzkraft der Amerikaner, selbst als vereinigte Europäer nicht. Wir werden also niemals den Standard der Amerikaner erreichen. Aber überlegen Sie sich einmal, was diese zersplitterte europäische Luft -und Raumfahrtindustrie immerhin geleistet hat, daß sie imstande war, das erste Überschall-Verkehrsflugzeug zu entwikkeln, die „Concorde", daß wir in Deutschland mit diesen wirklich bescheidenen Mitteln den ersten senkrecht startenden Überschalljäger entwickelt haben und daß wir den ersten senkrecht startenden Transporter entwickelt haben, die Do 31, übrigens ein Projekt, dem man für den zivilen Sektor eine gewisse Bedeutung auch in der Zukunft beimessen muß. Das heißt, unsere Ingenieure, unsere Wissenschaftler sind nicht zweitrangig. Sie sind in der Lage, vom Können her in diesem internationalen Wettbewerb Schritt zu halten. Man muß ihnen nur
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Dr. Wörnerdie gleichen Startchancen und einigermaßen gleiche Arbeitsbedingungen geben.Ich sehe Schwerpunkte, um die sich die künftige Entwicklung unserer Luft- und Raumfahrtindustrie in Europa gruppieren muß. Da ist zum einen auf dein zivilen Sektor der Airbus. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hoffe nur, daß die Entwicklung dieses Airbusses jetzt etwas schneller vor sich geht als 'das Zustandekommen dieses Projekts. Die Bundesregierung wäre gut beraten, wenn sie sich mit allem Nachdruck dahinterklemmen würde. Dabei muß ich sagen, das gilt natürlich auch für die Lufthansa. Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, daß die Lufthansa Projekte nur kaufen will, wenn sie eine gewisse Sicherheit hat. Aber auf der anderen Seite kann es natürlich nicht so sein, daß wir in einem Wettbewerb ein Projekt entwickeln und unsere eigene nationale Luftfahrtgesellschaft, an der wir selbst als Staat beteiligt sind, sich im Hintergrund hält und nicht eine eindeutige Option dafür abgibt. Darum müßte hier einmal, wie das nachher wohl auch gefordert werden wird ich habe das in einem Antrag gelesen —, innerhalb der Bundesregierung eine gewisse Klarheit geschaffen werden.Nur — und das als letztes zur Bedeutung der Luft- und Raumfahrtindustrie —, auch in diesem europäischen Geschäft können wir, die Bundesrepublik, nur dann mithalten, wenn wir eine eigenständige Luft- und Raumfahrtindustrie haben. Wir können darauf gar nicht verzichten.Meine Damen und Herren, wie steht es nun um diese deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie? Wie Sie wissen, ist das eine verhältnismäßig krisengeschüttelte Industrie. Sie ist im Augenblick wieder an einem Punkt angelangt, wo man befürchten muß, daß der technische Stand und die Zukunftsmöglichkeiten verspielt werden. Der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Luft- und Raumfahrtindustrie hat kürzlich in einer Pressekonferenz — wie ich glaube, zu Recht — festgestellt, daß, falls nicht innerhalb der nächsten Monate eine Entscheidung über die zu erwartenden militärischen Aufträge falle, die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie einer schweren Krise entgegengehe; schon jetzt seien bei den süddeutschen Firmen nur 50 % der Fertigungskapazität ausgelastet. Das wirft ein Bild auf die Situation dieser Industrie, auf die Unsicherheit, die sie beherrscht. Das dürfen wir nicht zulassen. Denn wir schulden, glaube ich, den beteiligten Ingenieuren, Studenten und Wissenschaftlern nicht nur Dank, sondern auch eine gewisse Sicherheit; sonst werden sie uns dort nicht bleiben. Es gibt schon Alarmmeldungen über die Zahl der Studenten usw.
Sie können nicht erwarten, daß sich ein Student zur Mitarbeit, zum Studium entschließt, wenn Sie ihm nicht ganz klar sagen und auch beweisen, daß dieser Industriezweig von uns nicht verspielt wird, sondern von uns gefördert wird.
Wo liegen die Ursachen dieser Krise der Luft- und Raumfahrtindustrie? Diese Ursachen haben wir in unserer Großen Anfrage in drei Punkten zusammengefaßt. Da ist zunächst einmal die unzulängliche Struktur der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie. Die beteiligten Firmen sind zu klein, ihre Kapitaldecke ist zu gering. Im Verhältnis zu ihrer Kapitaldecke ist das Risiko zu groß. Dann haben wir eine ganze Menge nebeneinander laufender Entwicklungsteams und Entwicklungen. Auf der anderen Seite sind die Entwicklungsteams der einzelnen Firmen, die wir für die Zukunft brauchen, nicht groß genug. Wir haben beispielsweise fünf verschiedene Entwicklungsteams, die sich mit Hubschrauberentwicklung befassen, die Franzosen eines. Dazu kommt, daß keine gemeinsamen oder nur beschränkt gemeinsame Versuchsanlagen da sind, daß keine geschlossene Systemführung erfolgt.Meine Damen und Herren, diese Struktur kann nicht bleiben. Die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie muß die Konsequenzen daraus ziehen, sie muß sich zusammenschließen. Die Bundesregierung sollte alles tun, um diesen Zusammenschluß der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie zu fördern. Man wird es nicht stur, man wird es nicht dogmatisch machen können. Ich will mich auch gar nicht dazu äußern, ob wir eine oder zwei Gesellschaften brauchen. Ich meine nur, wir sollten die Mainlinie überschreiten. Wir sollten uns offenhalten für europäische Zusammenschlüsse. Aber ich gebe ganz offen zu, wir sind enttäuscht darüber, daß erste Anläufe zu einer solchen Fusion — Bölkow/ VFW — gescheitert sind. Ich hoffe, daß die Bundesregierung sich damit nicht zufrieden gibt, sondern daß sie in ihrer Auftragsvergabe in Zukunft eine Politik einschlägt, die den beteiligten Firmen es attraktiv erscheinen läßt, mehr und enger zusammenzuarbeiten. Wir müssen Organisationsformen in der Luft- und Raumfahrtindustrie schaffen, die Doppelgleisigkeit vermeiden, eine gemeinsame Ausnutzung von Anlagen und die volle Auslastung der Entwicklungsteams sicherstellen.Aber auch die Bundesregierung ist in ihrer Führungsstruktur meines Erachtens der Lage nicht so ganz gewachsen. Der Staat ist fast zu 90 % Auftraggeber der Luft- und Raumfahrtindustrie. Bis heute hat die Bundesregierung kein Führungsorgan für den Bereich der Luft- und Raumfahrtindustrie entwickelt. Das ist ein Beispiel für die überholte Führungsstruktur, die wir in unserem staatlichen Apparat heute noch haben. Die Zuständigkeit ist auf vier verschiedene Ressorts aufgeteilt. Jedes Ressort hat seine eigenen Perspektiven — muß sie haben —, seine eigene Politik, seinen eigenen Haushalt. Es fehlt die Zusammenschau des gesamten Bereichs. Man fragt sich nicht, was die Verteidigungskonzeption, was die wirtschaftspolitische Konzeption erfordert, man bringt das nicht in eine Zusammenschau, man errechnet daraus nicht das Potential und den Bedarf, um danach die Mittel zu verteilen. Nein, man verteilt die Mittel auf die Ressorts — das ist Ihnen kein Geheimnis —.auch unter Umständen nach dem politischen Gewicht des Ministers usw. usf. Und dann, wenn man die Mittel erhalten hat, schaut man, welche Projekte man verwirklichen kann. Also fehlt eine Abstimmung unter übergeordneten Gesichts-
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Dr. Wörnerpunkten. Daraus ergibt sich ein Nebeneinander, auch manchmal ein Gegeneinander. Das kann der bestehende Koordinierungsausschuß nicht ausräumen. Darin sind sehr fähige Beamte, die ihr Möglichstes versuchen. Aber die Ebene ist schon falsch angesetzt. Das ist die Minitesrialdirektorenebene. Da kann man wohl die gröbsten Schnitzer beseitigen, aber die Zusammenschau fehlt. Meines Erachtens müßte die Regierung sich überlegen, ob sie nicht irgendwo an einer Stelle — ich will mich gar nicht festlegen — eine Führungsentscheidung fällen muß.Als Beispiel nehme ich die Vereinigten Staaten von Amerika, wo in dem Executive Office des Präsidenten erstens einmal ein National Aeronautic Space Council, also ein beratendes Gremium, und dann aber auch ein Office of Science and Technology existiert. In diesem Office werden die wissenschaftlichen und Entscheidungen vorbereitet. Ich weiß nicht, ob sich dieses Beispiel bei uns anwenden läßt. Ich weiß nur, daß die Amerikaner erkannt haben, daß sie hier ein Führungsinstrument, das übergeordnet ist, brauchen. Ob nun die Bundesregierung das Kanzleramt funktional gliedern will, ob sie eine Behörde schaffen will, ob sie beispielsweise das Wissenschaftskabinett viel stärker einschalten will, das muß man ihr überlassen. Das geht uns, die Parlamentarier, nichts an. Wir können nur die Forderung erheben.Schließlich zur dritten und letzten Ursache, der, wie ich meine, ernstesten Ursache! Die Luft- und Raumfahrtindustrie macht uns da mit Recht Vorwürfe. Es fehlt bis jetzt ein mittelfristiges oder gar längerfristiges Rahmenprogramm, aus dem die Luft- und Raumfahrtindustrie für einen bestimmten Zeitraum ersehen könnte, welche Aufgaben man ihr stellt, was man von ihr erwartet. Für die Raumfahrt haben wir das. Hier gilt mein Kompliment dem Herrn Wissenschaftsminister, der das mindestens für einen Teilbereich geschaffen hat. Es gilt jedoch, für den gesamten Bereich in der Zusammenschau ein solches Programm zu entwickeln. Nur dann wird in der Industrie die nötige Sicherheit einkehren. Nur dann — und nur dann! — werden uns die Ingenieure, die Techniker, die Wissenschaftler dort bleiben, wenn man sie von dieser Unsicherheit erlöst.Ich verkenne nicht, daß das schwierig ist. Wir alle wissen um die Unsicherheit der verteidigungspolitischen Konzeption, die nicht von uns ausgeht, die wir ertragen, erdulden, erleiden müssen. Aber man muß sich im klaren darüber sein, daß, wenn man hier nicht einen klaren Rahmen für die jahrelangen Entwicklungsarbeiten steckt, wir aus der Krise nicht herauskommen. Darum werden wir die Bundesregierung auffordern, ein solches längerfristiges Rahmenprogramm auszuarbeiten und vorzulegen. das sich zu den Fragen zu äußern hat, die wir in Punkt 4 unserer Großen Anfrage detailliert aufgeführt haben, die vorzulesen ich mir aus Zeitgründen erspare.Noch kurz einige weitere Forderungen. Der Anteil von Forschung und Entwicklung im Verteidigungsministerium muß erhöht werden.
Wir stehen bei 3 %. Frankreich steht bei 25 %, eignet sich aber aus verschiedenen Gründen hier nicht als Beispiel. Großbritannien steht bei 12 %. Der Durchschnitt der westlichen Welt liegt immerhin bei 14 %, wir liegen bei 3 %. Wir verschenken also jedes Jahr ein Stück technologischen Fortschritts. Das darf nicht so weitergehen. Ferner muß die Kooperation, die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Industrie verstärkt werden. Wir müssen die Forschung gerade in diesem Bereich industrienäher gestalten. Weiter haben wir dafür zu sorgen, daß die Verwertung der Forschungsergebnisse überzeugender wird, daß also die Umsetzung der Abfallprodukte in die anderen Industriezweige hinein verbessert wird.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe versucht, mich kurz zu fassen und auch verhältnismäßig frei zu reden,
da wir ja bestrebt sind, in diesem Parlament eine etwas lebendigere und kürzer gefaßte Aussprache zustande zu bringen. Die Regierungserklärung spricht sich für eine Förderung der Schlüsselindustrien aus, die für die Zukunft maßgebend sind. Hier haben wir eine solche Schlüsselindustrie. Hier wird die Regierung und hier werden wir alle an unseren Taten gemessen werden. Ich kann Ihnen nur sagen, wenn wir den politischen Handlungsspielraum, den wir haben, wenn wir die Verteidigungskraft, die wir haben, nicht verschenken wollen, dann müssen wir diesen Industriezweig fördern und nochmals fördern. Noch ein anderer Aspekt! Wollen wir uns als Volk, sollen sich unsere jungen fähigen Wissenschaftler von einer Entwicklung ausschließen, die in den Weltraum hineindringt, die doch Aufgaben stellt, die jeden. Menschen und jedes Volk begeistern müssen, wir, die wir mit Schrittmacher dieser Entwicklung waren? Ich meine, diese Frage beantwortet sich von selbst.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schober.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Wörner hat nach meiner Meinung sehr treffend dargelegt, warum es notwendig ist, daß wir in der Luft- und Raumfahrtindustrie und -forschung den Anschluß an die internationale Entwicklung nicht verlieren. Ich möchte das jetzt nicht mehr im einzelnen ausführen.Lassen Sie mich nur ein Wort dazu sagen, wie sich die Zeiten geändert haben. Das deutsche Volk, das Deutsche Reich, ist einmal auf diesen Gebieten führend gewesen. Sie werden sich erinnern, daß wir sowohl auf dem Gebiet der Luftfahrt als auch auf dem Gebiet der Raumfahrt die Pionierarbeit geleistet haben, von der jetzt andere profitieren. An nichts zeigen sich deutlicher die verheerenden Folgen des Krieges als daran, daß wir hier jetzt einen so starken Rückstand haben. Ich möchte zu der
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Dr. Schobertechnologischen Bedeutung in diesem Zusammenhang nichts weiter sagen.Herr Kollege Dr. Wörner hat eine stärkere Zusammenarbeit sowohl auf internationaler europäischer als auch auf weltweiter Basis gefordert. Ich glaube, daß man das unterstützen sollte. Aber einen besonderen Akzent möchte ich hier doch setzen: Wir müssen zwar bestrebt sein, Europa zwischen den großen Mächten auch technologisch zum Zuge zu bringen, dürfen aber, glaube ich, die Verbindung vor allen Dingen zu Amerika nicht abreißen lassen. Wir müssen uns nach wie vor ,der großen Forschungskapazitäten, die dort vorhanden sind, bedienen.
Herr Abgeordneter Schober, darf ich Sie einen Moment unterbrechen. Der amtierende Präsident hat einen groben Verstoß gegen die Geschäftsordnung begangen. Er hätte nach der Begründung der Regierung das Wort geben müssen. Ich begreife jetzt Ihren etwas erstaunten Blick, als ich Ihnen das Wort erteilte. Frage: Läßt sich dieser Verstoß gegen die Geschäftsordnung korrigieren, indem Sie jetzt abbrechen und ich dem Herrn Bundeswirtschaftsminister das Wort gebe?
Herr Präsident, mein Blick war in der Tat erstaunt.
Sie haben sich in das unvermeidliche Schicksal gefügt.
Da der Herr Präsident hier zu sagen hat, habe ich mich dann gefügt und bin ans Rednerpult gegangen. Ich bin aber selbstverständlich bereit, dem Herrn Wirtschaftsminister jetzt das Wort zuzugestehen.
Danke schön. Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß der Bundesregierung die Möglichkeit gegeben wird, auf die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zur Lage der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie hier sogleich zu antworten. Es wäre mir ein besonderes Vergnügen, wenn ich genauso frei und punctum contra punctum auf die Begründung des Herrn Abgeordneten Wörner antworten könnte. Aber im Rahmen der gegebenen Führungsstruktur und der gegebenen Tradition bin ich gehalten, die zwischen den Ressorts abgestimmte Antwort der Bundesregierung im Namen der Bundesregierung wie folgt zu verlesen: -
Zu Frage 1! Die Bundesregierung hat zur Situation der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie bereits früher ausführlich Stellung genommen, zuletzt in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion zur deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie vom 29. Mai 1967 . Die Antwort auf die vorliegende Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion wird deshalb gewisse Wiederholungen der seinerzeit abgegebenen Stellungnahme bringen.Erstens: Die Bedeutung der Luft- und Raumfahrtindustrie für die wirtschaftliche und technologische Entwicklung: Bei Einschätzung der wirtschaftlichtechnologischen Bedeutung der Luft- und Raumfahrtindustrie geht die Bundesregierung von folgenden Erwägungen aus. Wie wir alle wissen: der Weltluftverkehr dehnt sich stark aus. Die jährliche Zuwachsrate beträgt zur Zeit rund 12 % für die Personenbeförderung und rund 20 bis 30 % für die Beförderung von Fracht. Diese Expansion wird sich voraussichtlich im nächsten Jahrzehnt fortsetzen. Es besteht also ein wachsender Bedarf an Fluggerät.; an dessen Leistungsfähigkeit immer höhere Anforderungen gestellt werden. Großflugzeuge von morgen werden mehr als 100 Millionen DM je Einheit kosten gegenüber einem Preis von 30 Millionen DM für die heute benutzten großen Verkehrsmaschinen.Eine Industrie, die diesen Bedarf deckt, ist natürlich von großer volkswirtschaftlicher Bedeutung gerade im Hinblick auf die Zukunft und die weitere Entwicklung.Umfangreiche industrielle Kapazitäten können auch für die Vorhaben der Raumfahrt erforderlich werden. Allein die wissenschaftlichen Projekte der Raumfahrt haben in weltweitem Umfang eine so große Bedeutung erlangt, daß sie in wachsendem Maße Kapazitäten der Luft- und Raumfahrtindustrie beanspruchen. Diese Tendenz wird sich um so mehr verstärken, als die wirtschaftliche Anwendung von Satelliten umfangreiche Entwicklungsarbeiten erfordert. In diesem Zusammenhang sind insbesondere Nachrichten-, Navigations- und Wettersatelliten zu erwähnen.Der militärische Bedarf an Luftfahrtgerät wird sich auf absehbare Zeit nicht verringern, zumal die Waffensysteme infolge der schnellen Fortentwicklung der Technik in wenigen Jahren veralten und durch neue zu ersetzen sind.Die Luft- und Raumfahrtindustrie muß neuartige und schwierige Aufgaben bewältigen. Diese zeichnen sich zudem durch außergewöhnliche Vielfalt aus. Bei den der ganzen Industrie zugute kommenden zahlreichen Ergebnissen moderner Entwicklungen aus diesem Bereich ist vor allem auf neue Werkstoffe und Bauweisen sowie auf Elektronikkomponenten hinzuweisen.Von der Luft- und Raumfahrttechnik geht über die meßbaren technischen Ergebnisse hinaus ein starker Ansporn zu Höchstleistungen und zur Suche nach neuartigen Lösungen auf Wissenschaftler und Ingenieure aus.Es stellt sich die Frage, ob auch die kleine deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie mit ihren zur Zeit 38 000 Beschäftigten die hier angedeuteten Mög-
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Bundesminister Dr. Schillerlichkeiten technologischer Entwicklung verwirklichen kann.Es liegt auf der Hand — und es wurde ja in der Begründung angedeutet —, daß die mächtige amerikanische Luft- und Raumfahrtindustrie, die oft als Beispiel angeführt wird, kein realistisches Modell für die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie sein kann. In den USA ist bekanntlich dieser Wirtschaftszweig durch militärische Aufträge und Raumfahrtprogramme mit Mitteln aufgebaut worden, die aus der Sicht der Bundesrepublik eine auch, ökonomisch und finanziell astronomische Größenordnung haben.Die Bundesregierung ist nach Prüfung aller hier in Betracht kommenden Gesichtspunkte der Auffassung, daß die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie trotz ihres geringen Umfanges und trotz der begrenzten zu ihrer Förderung zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel eine wichtige Rolle als Impulsgeber und Schrittmacher für Technik und Wirtschaft der Bundesrepublik spielen kann. Diese positive Bewertung durch die Bundesregierung wird durch die technischen Erfolge der nach dem Kriege neu erstandenen deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie gestützt. Es sei hier vor allem der international anerkannte hohe Entwicklungsstand deutscher Firmen auf dem Gebiet der Senkrechtstarttechnik erwähnt.Die Bedeutung der Luft- und Raumfahrtindustrie für das Verteidigungssystem ist der zweite Punkt. Meine Damen und Herren, die deutsche Luft- und Raumfahrtindustrie lebt zur Zeit zu knapp 80 % von Aufträgen des Bundesministers der Verteidigung; und das ist der springende Punkt, Herr Kollege Wörner. Bei diesem Übergewicht militärisch orientierter Aufgaben liegt es nahe, die Notwendigkeit dieser Industrie auch mit Erfordernissen der Verteidigung zu begründen. Die hochentwickelte Industrie der Verbündeten ist bereit und in der Lage, den deutschen militärischen Bedarf zu decken, sei es im Wege des Verkaufs, sei es im Wege der Lizenzvergabe zum Nachbau oder der Beteiligung an der Fertigung einschließlich der Überlassung der Endmontage. Es kommt aber darauf an, durch eigene Entwicklung oder auch durch Beteiligung an Gemeinschaftsentwicklungen das geistig-technologische Potential der Bundesrepublik zu engagieren und dadurch gleichzeitig zu vermeiden, daß die deutschen Steuerzahler ausländische Entwicklungskapazitäten in einem nicht vertretbaren Ausmaß mitfinanzieren. Damit soll aber keineswegs dem Gedanken einer aus militärischen und technologisch-wirtschaftlichen Gründen weder möglichen noch erwünschten Autarkie auf dem Gebiete der Luftrüstung das Wort geredet werden.Nichtsdestoweniger wird ,das politisch-militärische Gewicht der Bundesrepublik im Rahmen des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses von dem Bestehen einer leistungsfähigen Luft- und Raumfahrtindustrie wesentlich bestimmt. Das Bestehen einer deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie macht es möglich, bei einer deutschen Beteiligung an der Entwicklung und Fertigung von Luftfahrtgerät die militärischen Forderungen der Bundeswehr hinsichtlich des benötigten Fluggeräts wirksamer zur Geltung zu bringen. Im übrigen wird die deutsche Position bei derartigen Gemeinschaftsprojekten, auch was das Ausmaß der wirtschaftlichen und finanziellen Beteiligung anlangt, gestärkt, wenn die Alternative einer eigenen deutschen Entwicklungs- und Fertigungskapazität gegeben ist. Schließlich ist eine eigene industrielle Kapazität auf diesem Gebiet in der Bundesrepublik Deutschland auch deshalb erforderlich, um die anfallenden umfangreichen Aufgaben bei der Betreuung, Instandsetzung und Reparatur des militärischen Fluggeräts erfüllen zu können.
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6754 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967
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Der Bundestag wolle beschließen, die Bundesregierung zu ersuchen,1. in einem Rahmenprogramm für einen längeren Zeitraum die Entwicklungs- und Produktionsaufgaben festzulegen, die die Bundesregierung der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie zu stellen gedenkt,2. alle Bestrebungen zu unterstützen, die den Zusammenschluß der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie in geeigneten Rechts- und Organisationsformen zum Ziele haben,3. eine Zusammenkunft der zuständigen Minister der Westeuropäischen Union anzuregen, um über eine stärkere Zusammenarbeit der europäischen Luft- und Raumfahrtindustrie zu beraten.Meine Damen und Herren, der erste Punkt, das Rahmenprogramm, ist vom Herrn Bundeswirtschaftsminister eben schon angesprochen worden. Natürlich bestehen Planungen und Programme auf den drei großen Teilbereichen, auf dem militärischen Bereich, auf dem Bereich des zivilen Flugzeugbaus*) Siehe Anlage 2 und auf dem Bereich der Raumfahrtforschung und -technik. Uns liegt an der großen Zusammenarbeit auf diesem Gesamtgebiet, das die Nation als Ganzes betrifft und das wir, glaube ich, auch als Ganzes sehen sollten.Über den zweiten Punkt habe ich gesprochen. Dazu erübrigen sich weitere Ausführungen.Der dritte Punkt betrifft die Frage, ob es nicht möglich ist, in Europa zu einer noch effektiveren Zusammenarbeit auf dem Gebiete der Raum- und Weltraumforschung, -wissenschaft und -industrie dadurch zu kommen, daß wir die Westeuropäische Union anregen, sich dieser Dinge anzunehmen und durch eine Zusammenkunft der zuständigen Minister dafür zu sorgen, daß Europa zwischen den großen Blöcken Ost und West, zwischen den großen Mächten im Osten und im Westen nicht völlig den Anschluß an die Zukunft verliert.Meine Damen und Herren, jetzt der Schlußsatz: Es war in früheren Jahren nicht sehr populär, in Deutschland über Weltraumforschung und Luftfahrtforschung und die entsprechende Technik zu sprechen. Das deutsche Volk ist aber wissenschaftsbewußter geworden. Ich glaube, die Notwendigkeit, auf diesem Gebiete etwas zu tun, wird heute in vielen Volksschichten eingesehen. Sorgen wir dafür, daß der Bundestag und die Bundesregierung das Ihre auf diesem Gebiete tun, damit wir den Anschluß an die Zukunft nicht verpassen!
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß hier Kürze und Würze gut zusammengekommen sind. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Junghans.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion begrüßt es, daß die Große Anfrage der CDU/CSU-Fraktion Gelegenheit gibt, hier über die schwierige Lage der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie und vor allem der in dieser Industrie Beschäftigten zu debattieren. Herr Minister Schiller hat schon darauf hingewiesen, daß sich die Antwort der Bundesregierung zum großen Teil mit der Antwort deckt, die die Bundesregierung auf die von uns im Mai gestellte Kleine Anfrage erteilt hat. Aber es geht hier nicht um Prioritäten. Es geht unserer Auffassung nach um die Frage, wie es nun in der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie weitergehen soll. Wir erwarten von einer solchen Debatte natürlich keine Patentlösungen, aber wir erwarten eindeutige Weichenstellungen. Und deshalb darf diese Debatte auch nicht ohne konkrete Ergebnisse enden. Wir möchten durch unseren Antrag auf Umdruck 298 *), in dem wir die Errichtung einer Entwicklungs- und Forschungsgesellschaft für Luft- und Raumfahrttechnik GmbH anregen, einen Beitrag hierzu leisten. Ich werde auf diesen Antrag später noch eingehen.Zunächst aber noch einige Bemerkungen zur wirtschaftlichen Bedeutung dieses Industriezweiges! Herr Minister Schiller hat mit Recht auf die Zuwachs-*) Siehe Anlage 3
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Junghansraten im Luftverkehr hingewiesen: jährlich 12 % in der Personenbeförderung und 20 % in der Frachtenbeförderung. Man wird ihm auch in der Annahme zustimmen können, daß sich diese Raten vielleicht sogar noch erhöhen werden. Wir brauchen nur an den steigenden Bedarf an hochentwickelten Ersatzteilen und an den Charter-Verkehr zu denken. Schon heute wird ein Flug in die USA und zurück für 560 DM angeboten. Die Luftverkehrsgefäße werden größer, und damit wird natürlich auch der Bedarf an Fluggerät, besonders an Großfluggerät, steigen.Es ist deshalb nicht einzusehen, warum sich ausgerechnet die deutsche Luftfahrtindustrie nicht an dem wachsenden Markt beteiligen sollte, warum wir nicht die Chance wahrnehmen, nach einer Konsolidierungsphase wieder zu einer expandierenden Luftfahrtindustrie mit neuen krisensicheren Arbeitsplätzen zu kommen. Wirtschaftliches Wachstum ist nun einmal der Wohlstand von morgen; und hier handelt es sich um eine Wachstumsindustrie. Aber nicht nur die Wachstumschancen dieser Industrie selber sind es, die uns hier für eine nachhaltige Verbesserung der Lage in dieser Industrie auch mit staatlicher Hilfe eintreten lassen; mindestens gleichwertig sind die sogenannten Abfallprodukte. Es ist hier von verschiedenen Rednern darauf hingewiesen worden. Das reicht ja sogar bis in das Gebiet der Medizin hinein. Ein anhaltendes und hohes Wachstum unserer Volkswirtschaft wird nur erreicht werden können, wenn die deutsche Industrie über die fortschrittlichsten Technologien und Organisationsformen verfügt.Wenn die Antwort der Bundesregierung richtig gedeutet wird, ist die derzeitige kritische Lage in der deutschen Luftfahrt- und Raumfahrtindustrie auf folgende Tatbestände zurückzuführen:erstens auf die Diskontinuität der Auftragserteilung, besonders im Bereich der Wehrtechnik — hierzu wird mein Kollege Richter noch einige Bemerkungen machen —;zweitens auf die Zersplitterung der Entwicklungs-, Forschungs- und Produktionskapazitäten der Luftfahrtindustrie selber;drittens auf die mangelnde Verbindung zwischen Wissenschaft und Forschung auf der einen Seite und der Industrie auf der anderen Seite;viertens auf die nicht den Anforderungen entsprechenden Ausbildungssysteme an den Hochschulen und in der Industrie;fünftens auf die mangelnde Kapitalkraft der betroffenen Industrie undsechstens auf die mangelnde internationale Zusammenarbeit und den mangelnden internationalen Austausch von Forschungsergebnissen.Auch auf die wissenschaftspolitische Komponente ist hier eingegangen worden; vielleicht wird auch noch ein Kollege von mir ein paar Minuten etwas dazu sagen. Hier droht ein Bruch im Aufbau eines wachstumsträchtigen Industriezweiges einzutreten, der nicht ohne Folgen für die Wachstumsmöglichkeiten in der Volkswirtschaft, insbesondere aber auch für die Beschäftigungsmöglichkeiten hockqualifizierter Fachkräfte sein wird.Meine Damen und Heren, gestatten Sie mir hier eine Bemerkung. Ich bin kein Experte für Luft- und Raumfahrt, habe mich allerdings seit geraumer Zeit mit der wirtschaftlichen Lage in diesem Industriezweig beschäftigt. Ich habe auch persönlich etwas gegen den Ausdruck „Experte". Das Parlament ist nun einmal — obwohl wir leider freitags immer den Eindruck haben, als ob es so wäre, aber ich möchte doch davor warnen — keine Summierung von Fachexperten. Wir haben uns alle um das Ganze zu kümmern und immer wieder dafür zu sorgen, daß der Zusammenhang zum Ganzen, zum Gesamten hergestellt wird.
Ich will damit nichts gegen den Sachverstand sagen, Herr Kollege Dr. Schober. Auch der ist nötig. Aber bitte keine Expertendebatten! Die machen wir ohnehin in den Ausschüssen mehr, als uns lieb ist.
Wir haben uns ja auch kurz gehalten. Ich erinnere aber an Debatten über letzte Schrauben und HWF senkrecht und was da alles an Fachausdrücken kam,
Fachausdrücken, wo keiner hier mithalten kann. Ich frage nur: wer von den Kollegen hatte schon etwas von Symphonie gehört? Ich habe es heute zum erstenmal gehört, ich gebe es gern zu; man lernt nie aus.Wir müsesn aber auch nüchtern sehen, daß die deutsche Luftfahrt- und Raumfahrtindustrie — Herr Minister Schiller hat darauf hingewiesen — mit ihren Belegschaftszahlen ein Zwerg ist. Den Vergleich der Beschäftigungszahlen hat Herr Minister Schiller hier gegeben. Bei den Umsatzzahlen sind die Unterschiede noch größer. Die USA hatten im Jahre 1966 in diesem Bereich einen Umsatz von 23,8 Milliarden, davon, wenn ich richtig schätze, etwa 45 % im zivilen Bereich, während die Bundesrepublik einen Umsatz von — umgerechnet -250 Millionen Dollar hatte. Ohne den Ostblock hatten die USA also einen Anteil von rund 85 % am Weltumsatz.Zur Struktur unserer Industrie auf diesem Gebiet sind vorhin einige Bemerkungen gemacht worden, und Herr Minister Schiller hat ebenfalls Ausführungen dazu gemacht. Danach haben wir zur Zeit mindestens sieben bedeutende Firmen und dazu noch etliche voneinander unabhängig operierende Forschungs- und Entwicklungsinstitutionen. Damit haben wir nicht nur einen Zwerg, sondern Minizwerge, etwa in der Form der Miniausgabe von Gartenzwergen, die man in wohlreputierten Häusern auf den Kaminsims stellt.
— Ja, es gibt diese Minigartenzwerge, Herr Kollege. Die großen stellt man in den Garten und diekleinen auf den Kaminsins zum Sammeln. Es gibt
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Junghanssicherlich in diesem Haus auch für diese Dinge Sammler.Die Folgen waren, meine Damen und Herren, Doppel- und Fehlentwicklungen, Auftragsschwankungen, die nicht aufgefangen werden konnten, und vor allem eine schwache Marktposition insgesamt. Hinzu kommt die weitgehende Abhängigkeit von Aufträgen der öffentlichen Hand von — wenn ich es richtig zusammengerechnet habe — rund 85 %. 80 % entfallen auf den Wehrsektor, und dann kommen noch 5 % aus anderen Bereichen der öffentlichen Hand hinzu. Ich will nicht die Notwendigkeit einer Partnerschaft zwischen Staat und Industrie auf diesem besonderen Feld leugnen. Aber eine marktwirtschaftliche Korrektur wäre erforderlich. Man spricht von dem „zivilen Bein". In Anlehnung an die USA meine ich, 50 : 50 wäre eine Zielvorstellung — sie ist natürlich noch nicht in den ersten Jahren zu erreichen —, um im Bilde zu bleiben: damit nicht ein Bein zu kurz und das andere zu lang ist. Wenn ein Bein zu kurz ist, humpelt man nämlich. Diese marktwirtschaftliche Korrektur mit dem zivilen Bein scheint mir und meinen Fraktionsfreunden dringend erforderlich zu sein. In der betroffenen Industrie gibt es dafür Ansatzpunkte, die wir durchaus anerkennen. Aber der entscheidende Durchbruch blieb bisher aus.In diesem Zusammenhang ist auch unser Antrag auf Errichtung einer Entwicklungs- und Forschungsgesellschaft für Luft- und Raumfahrttechnik GmbH zu sehen. Sie haben ihn vorhin kritisiert, Herr Kollege Dr. Schober. Damit soll ein erster Schritt getan werden, aus den vielen — um im Bilde zu bleiben — Minigartenzwergen zunächst einen ausgewachsenen Zwerg zu machen. Wir meinen, ein kräftiger Zwerg kann schon etwas tun, besonders auf dem Felde der Entwicklung und Forschung, wie ja die Geschichte über David und den Riesen Goliath erzählt. Die Gesellschaft soll in Form einer gemeinsamen Betriebsführungsgesellschaft geführt werden, deren Gesellschafter die einzelnen deutschen Firmen und der Bund sind. Als Geschäftsführung stellen wir uns ein fähiges und unternehmerisches Management vor.
— Vielleicht darf ich unsere Vorstellung zuerst noch entwickeln. Sie können dann nachher fragen. — Das gesamte Forschungs- und Entwicklungspotential, das zivile, ,das wehrtechnische und das öffentliche, muß auf diese Gesellschaft übertragen werden.Die Gesellschaft wäre damit auch ein Partner gegenüber dem interministeriellen Lenkungsausschuß der Bundesregierung, .der nach unserer Auffassung — Herr Kollege Wörner hat zu dem bisherigen Koordinierungsausschuß schon ein Wort gesagt — für .die gesamte Planung und Mittelvergabe der beteiligten vier Ressorts verantwortlich sein sollte. Wir sind — vielleicht im Gegensatz zur Auffassung der Bundesregierung — für einen solchen Lenkungsausschuß. Die Gesellschaft könnte gleichzeitig Partner ausländischer Firmen und Zusammenschlüsse sein. Alle Aufträge, sowohl auf dem staatlichen wie auf dem zivilen Sektor, sind von dieser Gesellschaft zu erteilen. Die Beteiligung des Bundes wäre auch ein kleiner Schritt, um die Kapitalbasis zu verstärken.Damit wäre, Herr Kollege Dr. Schober, .ein mutiger Anfang gesetzt. Ich betone: ein Anfang. Nichts hindert eine spätere Übertragung auch von Produktionsaufträgen, z. B. Airbus, an diese Gesellschaft.
— Warum nicht?
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Junghans? — Bitte, Herr Wörner!
Herr Kollege, bei aller Würdigung des sachlichen Anliegens, wie stellen Sie sich das vor, wenn aus der Forschung und Entwicklung, wie das der normale Verlauf ist, ein Prototyp entsteht? Wer soll den fertigen?
Haben Sie sich einmal die Airbus-Konstruktion angesehen, wie die das machen? Die haben doch räumliche Schwierigkeiten zu überwinden! Da gibt es also erhebliche organisatorische Schwierigkeiten. Ich komme noch darauf.Ich stelle mir das nicht so schwierig vor. Wenn hier wirklich eine räumliche Zusammenfassung der Entwicklungs- und Forschungskapazitäten erfolgt — ich sage ausdrücklich: als erster Ansatz —, halten wir das für richtig. Wir wollen damit einen Anfang setzen, um die nachteilige Zersplitterung der deutschen Luftfahrt- und Raumfahrtindustrie zu beseitigen.Aber nun zu dem Airbus-Projekt, das im Zusammenhang mit dem zivilen Bereich eine besondere Bedeutung hat. Wir wissen, daß eine Absprache zwischen Großbritannien, Frankreich und Deutschland besteht, wonach im Jahre 1973 etwa ein sicherer Markt für den Absatz von 75 Flugzeugen bei den nationalen Luftlinien und voraussichtlich 50 weiteren bei anderen Luftlinien besteht. Es steht schon heute fest, daß der europäische Airbus, der unter Beteiligung französischer, englischer und deutscher Firmen gebaut werden soll, mit einer amerikanischen Entwicklung von Lockheed konkurrieren wird. Lockheed glaubt, daß der außeramerikanische Markt bis 1980 300 Airbus-Flugzeuge aufnehmen kann. Deshalb sollten sich die an dem europäischen Airbus-Projekt beteiligten Firmen bzw. die entsprechenden Regierungen dieser Konkurrenz voll bewußt sein und möglichst schnell die Phase der Vorklärung, der sogenannten Projekt-Definition, beenden.Die Ziele des gemeinsamen Airbus-Baues werden in der Regierungsvereinbarung über ein europäisches Airbus-Projekt genannt. Hier heißt es:
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JunghansDie Regierungen der Bundesrepublik Deutschland, des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland und der Französischen Republik, im folgenden als die assoziierten Regierungen bezeichnet, werden mit dem Ziel, die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Luftfahrt zu verstärken und damit den wirtschaftlichen und technologischen Fortschritt in Europa zu fördern, Maßnahmen für die gemeinsame Fertigung eines Kurz- und Mittelstrecken-Großraum-Transportflugzeuges „Airbus" ergreifen.Meine Damen und Herren, wir begrüßen dieses Projekt. Aber eine kontinuierliche Zusammenarbeit auf diesem Gebiet kann nicht aus einer Reihe von Einzelprojekten entwickelt werden. Eine europäische Zusammenarbeit auf diesem Gebiet hat angesichts der großen Konkurrenz nur dann Zukunftsaussichten, wenn sie projektunabhängig ist. Vielleicht ist das im Ergebnis das gleiche wie das, was Herr Minister Schiller hier gesagt hat. Ich habe es noch einmal sehr deutlich zusammengefaßt.Entwicklung und Produktion von Großfluggerät für den zukünftigen Markt über das Airbus-Projekt hinaus hat für Großbritannien, Frankreich und Deutschland gegenüber den amerikanischen Wettbewerbern nur gemeinsam eine Chance — man vergegenwärtige sich einmal den Umfang der Investitionen, praktisch 100 Millionen für ein Großfluggerät und natürlich der entsprechende Ausbau der Kapazitäten , auch im Hinblick auf das jeweilige nationale Wirtschaftswachstum.Der Airbus-Vertrag — das muß man hier einmal kritisch anmerken — hat noch viele Lücken und Mängel in bezug auf den Austausch der gewonnenen technologischen Erkenntnisse und die Organisation. Da geht es von der assoziierten Regierungsebene über eine allgemeine Geschäftsführung des Lenkungsausschusses zum Exekutivausschuß, darunter die assoziierten Unternehmen für Zelle und Triebwerk. Als Beispiel für diese meiner Meinung nach tolle Bürokratie zitiere ich aus Art. IV der Regierungsvereinbarung:Die assoziierten Regierungen werden die allgemeine Geschäftsführung für die ihnen im Rahmen des Programms zufallenden Aufgaben einem Lenkungsausschuß aus Regierungsbeamten übertragen, der folgendes Mandat erhält:a) Regelmäßige Überprüfung des technischen und finanziellen Fortgangs auf der Grundlage schriftlicher Berichte über die erledigten Arbeiten und einer Vorausschau für Zeitplan und Kosten für die Fertigstellung des Projekts, seitens Sud Aviation und Rolls-Royce.b) Entscheidung von Grundsatzfragen im Zusammenhang mit dem Projekt oder, falls die Vertreter einer assoziierten Regierung mit einer vorgeschlagenen Entscheidung oder Maßnahme nicht einverstanden sind, Aufschub diesbezüglicher Maßnahmen und Bitte um Weisung an die assoziierten Regierungen.Der Lenkungsausschuß wird mindestens viermal jährlich zusammentreten. Er wird den assoziierten Regierungen bis zum 15. Juni 1968 Bericht erstatten.Der Lenkungsausschuß wird in einer für alle assoziierten Regierungen annehmbaren Form einen dreiköpfigen Exekutiv-Unterausschuß einsetzen, der ihm vom Lenkungsausschuß übertragene Aufgaben wahrnimmt und insbesondere die Durchführung des Programms durch die ausführenden Organe und die assoziierten Unternehmen koordiniert und überwacht. Die ausführenden Organe und die assoziierten Unternehmen tragen in ihrem Zuständigkeitsbereich für eine umfassende Unterrichtung der bestellten Vertreter der assoziierten Regierungen Sorge.Meine Damen und Herren, ich habe das absichtlich einmal so ausführlich vorgelesen. Sie haben es nicht verstanden; ich habe es beim dritten Durchlesen auch nicht verstanden. Wenn man nämlich so die sogenannte technische Lücke von Europa gegenüber den USA ausfüllen will, dann kriegen zwar die Juristen Arbeit, aber . . . Das andere überlasse ich Ihrem Urteil, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen. Wir werten deshalb das Airbus-Projekt auch nur als ersten Schritt zur europäischen Zusammenarbeit auf .dem Gebiete der Entwicklung und Produktion von Großfluggerät und fordern die Bundesregierung auf, alles zu tun, daß weitere, aber auch — wie wir meinen — sinnvollere Schritte folgen.Wir verweisen -- das ist auch mit Recht schon geschehen — auf das lehrreiche Beispiel der Europäischen Organisation für Weltraumforschung und der Europäischen Organisation für die Entwicklung und den Bau von Raumfahrzeugen (ELDO) .Die Vorteile einer weiterentwickelten und entbürokratisierten Zusammenarbeit bestünden erstens in einer internationalen Verteilung der Risiken, zweitens in einer Zusammenfassung der nationalen Finanzierungsmöglichkeiten, drittens in der Sicherung eines breiten Absatzes, viertens in einem intensiven und raschen Erfahrungsaustausch auf technologischem Gebiet, fünftens in einer Beschränkung auf erfolgversprechende Schwerpunktprojekte und sechstens in einer Vereinheitlichung der Instandhaltung und Wartung der produzierten Flugzeuge.Hierzu noch eine Anregung: Die von uns vorgeschlagene Entwicklungs- und Forschungs GmbH könnte durch Übertragung der Einzelbeteiligungen der Firmen — sie sind ja einzeln beteiligt — bei der Airbus-GmbH zur Weiterentwicklung einer gemeinschaftlichen europäischen Produktion von Großfluggerät beitragen.Aber nun noch eine Bemerkung — das ist hier schon angesprochen worden — zum Airbus-Projekt selber, und zwar in bezug auf die Lufthansa. In der Regierungsvereinbarung heißt es:Die assoziierten Regierungen haben diese Vereinbarungen in der Erwartung unterzeichnet, daß BEA, Air France, Air-Inter, Lufthansa und
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JunghansCondor dieses Programm unterstützen werden. In der ersten Phase des Programms werden die assoziierten Regierungen keine finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, mit denen diese Luftlinien andere Flugzeuge mit der Kapazität und den sonstigen Kenndaten des Airbus kaufen könnten. Die assoziierten Regierungen werden sich nach Kräften bemühen, daß bis zum 30. Juni 1968 Abnahmeverpflichtungen für das Flugzeug, das Gegenstand dieser Vereinbarungen ist, von diesen Luftlinien vorliegen.Die Abnahmeverpflichtungen liegen von allen anderen vor, soweit wir unterrichtet sind. Das ist eine klare Verpflichtung der Bundesregierung. Bisher liegen aber noch keine eindeutigen Optionen der Lufthansa vor. Deswegen möchte ich auf die vom Deutschen Bundestag bei der Verabschiedung der Optionsanleihe der Deutschen Lufthansa am 28. Juni 1967 einstimmig gefaßte Entschließung verweisen, in der es wörtlich heißt:Der Bundestag erwartet, daß die Bundesregierung bedacht darauf nimmt, ihren Einfluß im Aufsichtsrat der Deutschen Lufthansa stärker zum Ausdruck zu bringen.Im Zusammenhang mit der Verpflichtung der Bundesregierung und ihrem Einfluß genügt dieses Zitat wohl.Gestatten Sie mir zum Schluß noch ein allgemeines Wort zu Forschungs- und Entwicklungsaufgaben. Das ist nämlich kein Automat, in den man oben die D-Mark hineinsteckt und bei dem dann unten das gewünschte Ergebnis herauskommt. Ich finde, das ist eher so wie bei den Hühnern, die erst manches Korn picken müssen, um ein Ei legen zu können. Damit aber möglichst viele Körner zur Verfügung stehen, muß man einige Zäune beseitigen. Das will unser Antrag. Zuweilen muß auch der Hahn den Hühnern zeigen können, wo das Futter liegt; das muß hier der Staat tun.
Zum technischen Fortschritt als der Quelle wirtschaftlichen Wachstums, zum Wohlstand von morgen gehört eine entscheidende Voraussetzung: der Wille zum Wandel. Auf diesen Willen zum Wandel wird es auch bei der raschen Lösung der technischen und organisatorischen Probleme der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie bei allen Beteiligten — ich betone, bei allen Beteiligten — ankommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Jung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute von der Bundesregierung aus dem Munde des Bundeswirtschaftsministers und von Vertretern der Koalitionsfraktionen viele und schöne Worte über die Bedeutung der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie gehört. Wir haben auch etwas über allgemeine Vorstellungen und Ziele der Regierung erfahren. Wenn man sich vergegenwärtigt, daß diese Regierung ja durch die Koalition der großen Mehrheit in diesem Haus getragen wird, dann könnte man in der Tat versucht sein, zu glauben, daß bald alles zum Besten der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie bestellt sein wird.
— Sie haben aber auch sehr, sehr viel herausgestellt. Ich komme noch auf das Gute und auf das Schlechte, Herr Wörner.Diese Beruhigung hat ohnehin die große Mehrheit dieses Hauses erfaßt, wie man sieht. Die Kolleginnen und Kollegen haben darauf vertraut, daß der Bundeskanzler, wie er schon in seiner Regierungserklärung gesagt hat, die Förderung von Schlüsselbereichen — und dazu zählt die Raum- und Luftfahrtindustrie — wichtiger findet als die Subventionierung stagnierender Bereiche. Hoffentlich gelingt es, in diesen Punkten einen größeren gemeinsamen Nenner zwischen den Koalitionsfraktionen zu finden als z. B. in der Ost- und Sozialpolitik. Ich selber hoffe das auch, zumal ich seit vorgestern weiß, daß es Kollegen gibt, die sogar bereit sind, ihr Herz für die eine oder andere Sache in die Waagschale zu werfen.Nun zurück zur Antwort des Herrn Ministers. Herr Minister, Sie haben das Programm — Herr Dr. Wörner, nun komme ich auf das Positive — des Bundeswissenschaftsministers erwähnt. Herr Schober hat den Dank an die verschiedenen Institutionen mir schon vorweggenommen. Lassen Sie mich aber von seiten der Opposition dem Herrn Bundesminister für wissenschaftliche Forschung Lob zollen; denn er hat sich seit der Übernahme des Ministeriums für wissenschaftliche Forschung — das war allerdings noch in der Zeit der Koalition mit den Freien Demokraten — sehr stark für die in seine Zuständigkeit fallende Komponente, nämlich für die Sache der Raumfahrtforschung eingesetzt. Dafür möchte ich ihm auch namens meiner politischen Freunde sehr herzlich danken.
: Herr Kollege,
vergessen Sie nicht ,die Minister Straußund Balke!)— Natürlich. Ich habe mich aber jetzt auf dieses mittelfristige Programm bezogen, das der Herr Minister heute erwähnt hat, und das ist einwandfrei von Herrn Minister Stoltenberg vorgelegt worden. Ich tue das um so lieber, als er damit die Bemühungen seiner Vorgänger im Amt — nun möchte ich .allerdings auch seinen Amtsvorgänger, nämlich unseren Freund Lenz, erwähnen —
bisher zielstrebig weiterverfolgt und mit großem Nachdruck vertreten hat.Vielleicht hat das gewisse Fluidum, das von der Raumfahrt ausgeht, vielleicht auch die gute Zusammenarbeit auf übernationaler Basis in ELDO und ESRO dazu beigetragen, daß für das mittelfristige Raumfahrtforschungsprogramm ohne allzugroßes Murren 500 Millionen DM bis zum Jahre 1971 be-
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Jungreitgestellt werden. Natürlich reicht dies bei weitem nicht aus, um das „spin off", die Nebenprodukte, die Herr Dr. Wörner eben anführte, der Raumfahrtwissenschaft und -technologie völlig zu erschließen und die Erkenntnisse daraus auf andere Industrien zu übertragen. Aber es scheint uns doch eine Grundlage für ein erfolgversprechendes Weiterarbeiten zu sein.Angesichts ,der Liste der praktischen Ergebnisse des amerikanischen NASA-Programms, welche eine Unzahl von Auswirkungen haben — z. B. auf die nationale Sicherheit durch die Beobachtungsmöglichkeiten, auf Industrie und Fabrikation durch neue Erkenntnisse z. B. über Material für Kälte- und Hitzeschutz, auf die Bauindustrie durch Leichtbautechniken und neue statische Erkenntnisse, auf die Nachrichtenverbindungen, Telefon und Fernsehen, auf die Wetterbeobachtung, auf Energiequellen, ja auf Gesundheit und Medizin, auf Bodenschätze, Ernährung und Landwirtschaft, auf Transport und Handel und nicht zuletzt auf die Naturwissenschaften und auf das Erziehungswesen, um nur die Hauptgruppen zu nennen, wo die praktische Nutzanwendung Generationen dient —, muß schon jetzt eine langfristige Planung für die Zeit nach 1971 einsetzen.Auch dem technisch-wissenschaftlichen Nachwuchs muß die Gewißheit gegeben werden, daß die Berufsaussichten in ,der deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie nicht hoffnungslos sind. Die Abwanderung dieser Kräfte ist ein unersetzlicher Verlust und für die Länder, in die sie zuwandern, ein enormer Gewinn.Auf dem AICMA-Symposium — AICMA heißt Association Internationale des Constructeurs de Matériel Aérospatial —, das vor kurzer Zeit in London stattfand, wurde z. B. eine UNO-Schätzung bekanntgegeben, wonach die Vereinigten Staaten allein durch die Einwanderung von Nichtamerikanern mehr als 4 Milliarden Dollar an Ausbildungskosten gespart haben. Das haben dann aber die anderen Länder bezahlt! Die auf diesem Symposium veröffentlichten Zahlen sind überhaupt außerordentlich interessant. Zeigen sie doch, daß sowohl hinsichtlich des Anteils am Sozialprodukt als auch hinsichtlich des Umsatzes und der Gesamtzahl der Beschäftigten, wie schon von meinen Vorrednern erwähnt und durch Zahlen belegt, die Vereinigten Staaten in der Luft- und Raumfahrtindustrie mit großem Abstand vor Europa führen und daß eine Kooperation der europäischen Staaten auf diesem Sektor unumgänglich ist, wenn Europa im Luft- und Raumfahrtsbereich mit den Vereinigten Staaten oder mit der UdSSR auch nur annähernd noch Schritt halten will.Was kann da von unserer Seite z. B. auf dem Gebiet der Raumfahrt getan werden? Da die Zusammenarbeit mit den anderen Industrien als geachteter Partner eine eigene Grundlagenforschung voraussetzt, ist ein nationales Basisprogramm erforderlich, das sich auf die Schwerpunkte konzentriert, die wir mit unseren vorhandenen Teams — das sind zur Zeit etwa 3000 Personen in einem Dutzend Firmen — durchführen können. Solche Schwerpunkte wären etwa — Herr Minister Schiller hat sie aufgezeigt — die Weiterentwicklung der Trägerraketen in ELDO, insbesondere aber die Forschungssatelliten und die Nachrichtensatelliten, die elektronische Entwicklung, aber auch die Entwicklung der Raumtransporter und die Treibstoffentwicklung.In diesem Programm müßten auch der Ausbau der wissenschaftlichen Institute, die Ausbildung der Luft- und Raumfahrtingenieure — möglichst an wenigen Technischen Hochschulen konzentriert — und die fachliche Weiterbildung der Wissenschaftler und Ingenieure erfaßt werden. Da auch die technologische Entwicklung der Kernenergie als Antrieb oder als stationäre Energie im Raum in diesen Bereich gehört, muß eine Kommission für Luft- und Raumfahrttechnik als Clearing-Stelle alle Kompetenzen in einer Hand im Wissenschaftsministerium vereinen.Ich habe das Gebiet der Raumfahrt lobend erwähnt und gesagt, daß wir auf diesem einen Bein — dieses „Bein" wurde hier schon öfters erwähnt — erste zaghafte, erfolgversprechende Schritte machen. Ich möchte aber auch die kritische Feststellung treffen, daß wir auf dem anderen „Bein", der Luftfahrt nämlich, außerordentlich stark hinken. Als ehemaliger Leichtathlet — heute bin ich ja etwas mehr Schwerathlet — weiß ich aber auch, daß man echte Leistungen nur erzielt, wenn man beide Beine stärkt. Hier bin ich der Meinung, daß die Bundesregierung trotz der Lippenbekenntnisse noch immer nicht die Bedeutung der deutschen Luftfahrtindustrie für den wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt in der. Bundesrepublik richtig einschätzt. Zumindest hat sie aus ihren Erkenntnissen noch nicht die richtigen Folgerungen gezogen. Erfolgversprechende Entwicklungen z. B. wurden gestoppt, obwohl — wie alle Redner schon betont haben — gerade Forschung und Entwicklung auf dem Luft- und Raumfahrtsektor von entscheidender Bedeutung für viele andere, darüber hinausgehende Zweige der Technik sind.Das technische Know-how auf dem Gebiet der Antriebe, der Elektronik, der Werkstoffe und Fertigungsverfahren, der Steuerung, Regelung, der Automation und vielem anderen mehr, benötigen wir dringend, um ganz allgemein für das Ausland auf technischem und wissenschaftlichem Gebiet interessant zu sein und unserer Position als drittstärkste Industrienation der Welt gerecht zu werden. Mit Lizenzbau und Offsetkäufen allein meistern wir die Zukunft nicht.
Herr Kollege Wörner hat in der Begründung vor Lippenbekenntnissen gewarnt. Nun, ich kenne ihn viel zu gut, um nicht zu wissen, daß er der Luftfahrt eng verbunden ist und daß er es wirklich ehrlich meint. Aber wie hält es denn nun die ganze Fraktion? Ist nicht im vergangenen Jahr gerade unsere Koalition daran gescheitert, daß die CDU die seit Jahren betriebene Finanzierung amerikanischer Luftfahrtindustrien über das Offset-Abkommen fortsetzte, während die FDP-Fraktion sich mit allem Nachdruck gegen den Devisenausgleich in dieser Höhe wandte, weil wir der Meinung waren, daß wir bei uns viel mehr tun müßten?
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967 6761
JungWenn sich die Bundesrepublik hier nicht schleunigst zu entscheidenden Maßnahmen aufrafft, sind wir binnen kurzem auf den Stand eines Entwicklungslandes abgesunken. In unserem Entschließungsantrag, der Ihnen vorliegt, zeigt die FDP Mittel und Wege auf, wie die Bundesregierung der zum Teil katastrophalen Lage in der deutschen Luftfahrtindustrie wirksam begegnen kann. Eine der ersten Aufgaben muß es sein, die Beschäftigung der rund 36 000 Wissenschaftler, Techniker und Arbeiter im deutschen Flugzeugbau sicherzustellen. Das ist nur möglich, wenn die deutsche Flugzeugindustrie im Rahmen einer europäischen Zusammenarbeit auch als gleichberechtigter Partner eingesetzt ist.Eine solche Zusammenarbeit ist, wie von allen Sprechern erwähnt, beim europäischen Airbus-Projekt möglich. Obwohl die Luftverkehrsgesellschaften des Vereinigten Königreichs und der französischen Republik ihren good will bereits erklärt haben, steht die Deutsche Lufthansa immer noch in Wartestellung. Hier müßte die Bundesregierung endlich einmal ihren ganzen Einfluß auf die Deutsche Lufthansa — und der ist ja sowohl hinsichtlich der bisherigen Förderung als auch nach der prozentualen Beteiligung nicht gering — dahin gehend geltend machen, daß diese das sehr wirtschaftliche — und darauf kommt es an — Airbus-Projekt durch die Option auf eine ausreichende Anzahl von Flugzeugen unterstützt.Die Bundesregierung wird auch darauf verzichten müssen, das Bauprogramm der Transall-Transportmaschinen zu kürzen, da inzwischen feststeht, daß dadurch keine nennenswerte Kostenersparnis erzielt werden kann. Der Stückpreis würde sich bei der Kürzung auf 60 Flugzeuge von rund 15 Millionen auf rund 25 Millionen DM — ohne die Ersatzteilerstausstattung —, also um rund 10 Millionen DM pro Stück, erhöhen.Es ist bedauerlich genug, daß das Transall-Projekt für die Bundesrepublik eine Abnahmeverpflichtung von 110 Maschinen vorsieht, obwohl feststeht, daß die Bundeswehr soviel gar nicht braucht. Diese Fehlplanung des Bundesverteidigungsministeriums ist aber jetzt nicht mehr zu reparieren. Für uns kommt es jetzt nur noch darauf an, zu verhindern, daß dieser Panne in der Planung nicht auch noch ein Existenzverlust in der deutschen Flugzeugindustrie folgt.An diesem Beispiel — es gibt deren noch mehrere — wird sichtbar, wie dringend notwendig die Vorlage einer den künftigen Realitäten gemäßen Verteidigungskonzeption ist, um Fehlplanungen und Fehlinvestitionen größten Ausmaßes zu vermeiden. Gerade auf dem Gebiet der Luftfahrtgeräte ist nun einmal die Bundeswehr eben Hauptauftraggeber. Wir haben vorhin vom Herrn Bundesminister gehört, daß der militärische Anteil immerhin 80 % beträgt. Der zivile Bereich ist dagegen leider sehr klein. Deshalb fordern wir unverzüglich klare Vorstellungen der Regierung über die künftige Verteidigungsplanung, insbesondere auf dem Gebiet der Luftfahrttechnik.Die überzähligen Transall-Maschinen könnten übrigens über die von uns beantragte Verkaufsorganisation und Exportbank an interessierte Länder weiterverkauft werden. Diese Einrichtung zur langfristigen Finanzierung von Flugzeugverkäufen wird notwendig, weil die Erfahrungen in der Vergangenheit gezeigt haben, daß ein Verkauf von Flugzeugen oft nur an mangelnden Finanzierungsmöglichkeiten scheitert. Die deutsche Flugzeugindustrie ist den kostspieligen Anforderungen, welche Exportgeschäfte in großem Umfang stellen, einfach nicht gewachsen. Deshalb unsere Forderung und Empfehlung an die Bundesregierung, einmal über die Grenzen zum westlichen Nachbarn zu schauen, um zu sehen, wie man es dort zum Wohl der eigenen Luftfahrtindustrie macht.Mit Fusionen, die zwangsweise herbeigeführt werden, wird nichts erreicht. Sinnvolle Fusionen entstehen nur auf der Basis sinnvoller Rahmenprogramme und eigener deutscher Projekte.Auch sollte man von seiten der Bundesregierung das derzeitige Vorfinanzierungssystem, z. B. bei zivilen Projekten, nicht starr im Verhältnis 60 : 40 aufrechterhalten, sondern je nach Projekt flexibel gestalten. Ich erinnere z. B. an das Vorfinanzierungssystem beim Airbus. Auch mit den Vorschriften der altehrwürdigen Reichshaushaltsordnung kann schon lange keine progressive Luftfahrtpolitik mehr gemacht werden, viel weniger noch eine wirtschaftliche Verteidigungspolitik. Es gibt eine Unmenge von Problemen, die man gern ansprechen möchte, wenn man wie ich vor jetzt 30 Jahren die ersten Rutscher gemacht hat und seitdem nicht mehr von der Luftfahrt loskam. Eine kleine Hoffnung besteht ja jetzt, da einen der — entschuldigen Sie bitte, Herr Minister — brothers jetzt das Fliegen gepackt hat. Vielleicht kommt mein Hinweis auf die Reichshaushaltsordnung und auf das Vorfinanzierungssystem an die richtige Adresse. Der deutschen Luftfahrtindustrie würde damit ein großes Hindernis aus dem Wege geräumt.Über all diese verhältnismäßig kurzfristig durchführbaren Maßnahmen hinaus muß sich aber die Bundesregierung jetzt endlich zu einer langfristigen Konzeption entschließen. Wenn sie den Zuständigkeitswirrwarr auf dem Gebiet der Forschungs- und Entwicklungsaufgaben innerhalb der Bundesregierung beseitigt — Herr Minister, ich weiß wohl, daß die Koordinationsstelle in Ihrem Ministerium ganz gut arbeitet; aber, wie gesagt, den Zuständigkeitswirrwarr innerhalb der Bundesregierung in den Forschungs- und Entwicklungsaufgaben gilt es schnellstens zu beseitigen —, dann müßte es auch binnen kurzem möglich sein, sich über die weiteren Entwicklungsaufträge zu einigen.
Die FDP meint, daß die Entwicklung von Senkrechtstartern mit Vorrang vorangetrieben werden muß. Trotz der großen Startschwierigkeiten nach mehr als zehnjähriger Zwangspause ist es der deutschen Flugzeugindustrie gerade auf diesem Gebiet gelungen, einen beachtlichen Vorsprung — ich erinnere hier z. B. an die Entwicklung der VJ 101 und der Do 31 — zu erkämpfen, der nicht verlorengehen darf. Das gilt um so mehr, als offenkundig ist,
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6762 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967
Jungdaß die Zukunft sowieso den senkrecht und kurz startenden, sogenannten V /STOL-Flugzeugen gehören wird. Ihre Vorteile im militärischen und im zivilen Bereich liegen auf der Hand. Sie brauchen keine nennenswerten Landebahnen und sind damit militärisch nur schwer verwundbar. Hier die Entwicklung voranzutreiben ist besser, als der „Phantom" nachzujagen.
Was die Zivil- und Militärluftfahrt anlangt, so erhoffen wir uns von den Senkrecht- und Kurzstartern auch eine erhebliche Minderung der Fluglärmbelästigung unserer Bevölkerung.Die Bundesregierung kann diesen Fragen, die uns allen auf den Nägeln brennen, nur gerecht werden, wenn sie nicht nur gründlich, sondern auch schnell arbeitet. Hier eine Initialzündung zu geben ist Sinn unseres Antrags*). Jetzt muß die Bundesregierung handeln! Machen Sie ruhig Gebrauch von Ihrer großen Mehrheit im Hause, Herr Minister. Die Opposition würde Sie in dieser Frage sehr gern unterstützen. Und bitte vergessen Sie nicht, das Haus regelmäßig, etwa jährlich, über das zu unterrichten, was die Regierung zur Förderung dieses progressiven Wirtschaftszweigs und damit zur Förderung hochwertiger Technologien getan hat.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Konstantin Prinz von Bayern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, Ihre Geduld zu wenigen Punkten noch zu strapazieren.Punkt 1. Weil auch ein schlechter besetztes Haus für das deutsche Volk, für die Öffentlichkeit spricht, bin ich der Meinung, daß wir eine Debatte über Raumfahrt nicht vorbeigehen lassen dürfen, ohne von dieser Stelle aus dem amerikanischen Volk zu seinem jüngsten Weltraumerfolg zu gratulieren.
Indem ich das tue, meine Kollegen, gratulieren wir uns gewissermaßen selber zu einem Mann namens Wernher von Braun. Wenn eine solche Debatte einen letzten Sinn haben muß, dann ist es doch der, daß wir uns nicht damit begnügen wollen und dürfen, historisch rückblickend festzustellen, daß aus dem Treibgut, aus dem Strandgut der deutschen Kapitulation der Treibsatz für den Start in das Raumzeitalter gefunden wurde. Es geht doch darum, daß auch die nächste und die übernächste Generation Wernher von Brauns hervorbringt und daß wir einen deutschen Beitrag weiter leisten können zu Projekten, die Menschheitsprojekte sind.Nächster Punkt! Herr Kollege Ertl, Sie machten vorhin einen Zwischenruf, Sie sagten „Zwang", Zwang im Hinblick auf unsere — der Union wie der SPD — Forderung, die Regierung solle, wie ich sage, einen legitimen Druck zur Konzentration von Luft- und Raumfahrtunternehmen ausüben. Ich kann*) Siehe Anlage 4 Ihren Empfindungen folgen, aber ich komme zu anderen Schlußfolgerungen. Wir haben einmal technologische Entwicklungen. Diese zwingen meiner Ansicht nach zu angepaßten politischen Führungsmethoden. Sie können uns sagen: Schön, wir fangen damit an; morgen konzentrieren wir mit Zwang z. B. die Textilindustrie. — Nein, der Bereich dieses legitimen staatlichen Drucks läßt sich genau umreißen und damit 'einengen. ,Es ist eben der Bereich jener technologischen Entwicklungen und ihrer organisatorischen Folgen. Wir brauchen also Lenkungssysteme. Natürlich werden diese Lenkungssysteme irgendwo zwischen Marktwirtschaft und Planwirtschaft angesiedelt sein. Wenn Sie mir nun sagen wollten: Daß wir solche Führungsmethoden brauchen und installieren müssen, ist schon ein Verstoß, eine Sünde wider den Geist der Marktwirtschaft, dann sage ich Ihnen: lassen Sie uns diese Sünde 'begehen, denn sie ist notwendig.
— Ach, wollen Sie sozusagen den konfessionellen Bereich jetzt 'hier einbeziehen?
— Der Ehrenvorsitzende der CDU beichtet vor seiner Partei und spricht am 24. in der Bezirksversammlung in München. Aber das gehört nicht dazu. Ich werde Sie auch ansprechen.Herr Bundesminister Schiller, Sie haben Zahlen genannt. — Ja, der Katalog, — Entschuldigung! Das bayerische Moment wurde durch Ertl hineingebracht.— Herr Minister, Sie haben Vergleichszahlen genannt. Dieser Vergleich kann den Eindruck erwekken: wenn wir verhältnismäßig so klein sind, dann ist die Masse, die Menge, die zu lenken wäre, nicht mehr des Lenkens wert. Ich nehme an, dieser Eindruck soll nicht hervorgerufen werden. Denn ich bin überzeugt, wenn wir aus ,dem Wenigen mehr machen wollen, muß eben in ,dem notwendigen Maße gelenkt werden.Wenn nun ein Abgeordneter sich bemüht, einen gewissen Druck — auch durch die öffentliche Meinung — im Interesse solcher Lenkungssysteme entstehen zu lassen, dann muß man natürlich den Druck auch in Leitungen, in Röhren kanalisieren. Ich glaube, 'dieses Leitungssystem, das wir brauchten, wäre eine 'deutsche NASA, eine deutsche „Aeronautic and Space Administration".Der nächste Funkt! Frau Kollegin Geisendörfer, ich kenne Sie als eine Gralshüterin — im guten Sinne meine ich das jetzt — europäischer Anliegen und Forderungen, auch der Forderung, daß Raumfahrtkonzentration auf europäischer Ebene stattfinden soll. Sie befürchten, wenn ich hier eine deutsche NASA verlange, daß {das eine Einengung der größeren, meiner Ansicht nach auch notwendigen europäischen Ebene bedeuten könnte.
— Meiner Ansicht nach nicht, sondern ich glaube, daß wir hier einen Fehler wieder und wieder begehen — vielleicht ist das ein sehr deutscher Feh-
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Prinz von Bayernler - indem wir „alles oder nichts" sagen. Ein Beispiel: Wenn wir das Europa der „Sieben Plus" nicht haben können, gefährden wir das Europa der Sechs. Ich glaube, daß diese falsche Vorstellung auch hier zugrunde liegt. Ich möchte sie ausräumen. Ich möchte sagen, auf europäischer Ebene wollen wir auch die Fusion der europäischen Raumfahrtbehörden, also ELDO und ESRO. Aber bevor es so weit ist, brauchen wir eine nationale Komponente, die .der Beitrag zu dieser fusionierten europäischen Raumfahrtinstitution sein sollte.
— Ja, aber dazu glaube ich, daß die Formierung dieser Partnerschaft, die Organisation, dem entspräche, was ich „deutsche NASA" nenne.Natürlich ergibt sich die nächste Frage: wohin mit einem solchen Lenkungssystem, einer deutschen NASA? Ich würde sagen: bestimmt nicht zum Verteidigungsministerium. Warum? Das kam hier in breiter Formulierung zur Geltung. Wir wollen ja die Rüstungsabhängigkeit der Luft- und Raumfahrtindustrie nicht noch mehr betonen oder stärken. Im Gegenteil, wir wollen, wie Kollege Jung sportlich sagte, das zivile Bein stärken.Der Airbus! Auch die CSU fordert, daß der Staat seine Einwirkung auf die Lufthansa selbstverständlich für eine Option geltend macht. Darüber besteht also keine Meinungsverschiedenheit mehr im Hause.
Ich sage: nicht zum Verteidigungsministerium mit diesem Lenkungssystem. Wohin? Zu Stoltenberg? Zu Leber? Ich meine, ins Bundeskanzleramt. Dr. Schober, Sie haben eine Befürchtung ausgesprochen, die meiner Ansicht nach ganz richtig ist. Sie sagten, ein solches System würde das Kanzleramt überfordern, überlasten, überbürden. Ich sage Ihnen, ja, in der heutigen Organisationsform des Kanzleramtes. Diese Betrachtung führt zur Frage der zukünftigen zweckmäßigen Organisationsform des Kanzleramtes, nicht nur von der Raumfahrtindustrie her, sondern auch von allen anderen Aspekten her. Es ist meiner Ansicht nach eine zentrale Forderung, daß der Mann, der die Richtlinienkompetenz ausübt und auszuüben hat, im Kanzleramt das Instrumentarium zur Aufbereitung der Richtlinienkompetenz auch unter seinem Dach hat, also eine funktionell geordnete — —
— Sicher.
— Genau. Ich meine aber, daß die Notwendigkeit für eine solche Gesamtreform des Kanzleramtes in dem von mir angedeuteten Sinne spricht: funktionelle Gliederung statt spiegelbildlicher Ressortorganisation. Diese Forderung wird wieder einmal von der Seite der Luft- und Raumfahrt her unterstrichen.Ein weiterer Punkt. Ich weiß nicht mehr, welcher Kollege oder welche Kollegin davon sprach, daß es notwendig sei, in der Öffentlichkeit, wo die technologischen Anliegen der Luft- und Raumfahrt nicht die nötige Popularität haben, das Verständnis für diese Notwendigkeit zu verstärken. Das ist in der Tat ein sehr wesentliches psychologisches Moment, das wir unterstreichen müssen. Was geschieht denn? Warum gibt es denn ein so unpopuläres Verhalten in der Öffentlichkeit gegenüber diesen notwendigen Anforderungen? Weil es zu einem gedanklichen Kurzschluß kommt, der meiner Ansicht nach folgendermaßen läuft: Atombombe ist gleich Rakete ist gleich Raumfahrt. Diese Vorstellung muß ausgeräumt werden. Es gibt nur eine technologische Forschung und Entwicklung, ob zivil oder militärisch. Erst in einer sehr späten Phase der Endproduktion kommt es in diesem Industriezweig zur Gabelung.Ein weiterer Punkt. Es wurde von dem Verhältnis der Luftfahrt zur Raumfahrt gesprochen. Dieses Verhältnis läßt sich sehr einfach darstellen. Die Luftfahrt ist quasi die untere Etage eines Gebäudes, sagen Sie heute zeitgemäß eine Stufe einer Rakete. In diesem Zusammenhang muß ich eines erwähnen. Dieses Gebäude hat ein Fundament, den Luftsport. Mir ist es deshalb so wichtig, diesen Zusammenhang aufzuzeigen, weil hier ein Mehr an technischer Potenz, ein Mehr an möglichem machtpolitischem Mißbrauch steckt. Sie brauchen also, um dem etwas entgegenhalten zu können, ein Mehr an Charakter. Dazu trägt gerade in dieser Sparte der Sport bei. Wenn wir schon von den notwendigen Förderungsbeiträgen sprechen, dann auf diesem Gebiet.Ein letzter Punkt. In diesen Zusammenhang gehören auch die Flugplätze. Sie sind Bahnhöfe von morgen. Der Auf- und Ausbau der Luftfahrtindustrie wird erst möglich, wenn wir entsprechende Verkehrsanschlüsse schaffen. Die Schaffung einer ausreichenden Flugplatzkapazität in der Bundesrepublik ist eine Gemeinschaftsaufgabe für Bund, Länder und Kommunen, die in diesem Zusammenhang auch erwähnt werden muß.Meine Damen und Herren, man hat mir gerade vorhin — man nennt das so schön kurz deutsch Clipping — einen Ausschnitt aus dem Unionsdienst gegeben, aber aus dem, der in Pankow erscheint. Dort bin ich z. B. als ein Lobbyist der Luft- und Raumfahrt und damit der deutschen Rüstungsindustrie angeführt. Ich bin kein Lobbyist für eine Firma und schon gar nicht für die Rüstungsindustrie. Aber ich werde immer ein Lobbyist dafür sein, daß durch .das Tor zum Weltraum, das uns offensteht, auch das deutsche Volk gehen kann und daß es dazu das nötige Wissen und die nötige Ausrüstung bekommt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Richter.
Herr Präsident Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung ist mit der kürzlich erfolgten Beantwortung der Kleinen Anfrage der Fraktion .der SPD zur Lage der
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Richterdeutschen Luft- und Raumfahrtindustrie und mit der heutigen Antwort auf die Große Anfrage der Unions-Parteien zum gleichen Thema auch ausführlich auf die Bedeutung dieser Industrien für das Verteidigungssystem eingegangen. Da zur Stunde immer noch 80% der vom Bund aufgebrachten Mittel der Luft- und Raumfahrtindustrie vom Verteidigungssektor her zufließen, möchte ich das heutige Thema aus dem Blickwinkel der Bündnis- und Verteidigungspolitik angehen.In den vergangenen Jahren sind aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung für wehrtechnische Forschung, Entwicklung und Erprobung recht ansehnliche Summen in den Aufbau \\der deutschen Flugzeugindustrie geflossen. Diese gemessen an der ausländischen Konkurrenz noch bescheidene Industrie wurde dadurch in die Lage versetzt, in den vergangenen Jahren das Waffensystem F 104 G nachzubauen, und sie hat damit Anschluß an die heutige Entwicklung in der Welt gefunden. Es folgte dann eine Reihe von hervorragenden Eigenleistungen. Erwähnt sei hier u. a. die VJ 101 C, mit der die deutsche Industrie nicht nur ihren ersten Senkrechtstarter, sondern überhaupt den ersten Überschalljäger der Welt gebaut hat, der senkrecht starten und landen kann. Die gleichen Start- und Landequalitäten hat der VTOL-Transporter Dornier DO — 31 E. Diese beiden Entwicklungen — man könnte weitere im Verteidigungsbereich anführen — sind als Beweis zu werten, daß die deutsche Luftfahrtindustrie für den Verteidigungsbereich vorbildliches Fluggerät entwickeln kann.Ich teile die Auffassung, die der Herr Bundeswirtschaftsminister vertreten hat, daß mit dem Leistungsstand der deutschen Luftfahrtindustrie das politische Gewicht der Bundesrepublik als Partner im Verteidigungsbündnis gestärkt wurde, daß es in Zukunft leichter sein wird, eigene militärische Forderungen bei der Ausstattung von Flugzeugen durchzusetzen, und daß mit einer eigenen industriellen Kapazität auf luftfahrttechnischem Gebiet in der Bundesrepublik Betreuungsaufgaben bei der Wartung von Flugzeugen besser erfüllt werden können.Ich will es kurz zusammenfassen und hier nur darstellen, daß es zu größeren Problemen im Verteidigungsbereich in der Zusammenarbeit mit der deutschen Luftfahrtindustrie erst in den letzten zwei Jahren gekommen ist, ,als mit den aus dem Verteidigungsetat zur Verfügung stehenden Beträgen die anstehenden Aufgaben bei der Industrie nicht mehr ausreichend abgedeckt werden konnten. Nach zähen Verhandlungen im Verteidigungsausschuß wurden 1967 für wehrtechnische Forschung und Entwicklung schließlich 981 Millionen DM bereitgestellt. Hiervon entfielen ,auf die Luftfahrtindustrie 38 %. Dieser Anteil dieser Industrie am Gesamtbetrag für Forschung ließ uns hoffen, daß weitere Personalverminderungen im Verlaufe dieses Jahres vermieden werden konnten.Das Bundesverteidigungsministerium hat 1967 neue Entwicklungsverträge mit der Luftfahrtindustrie in der Größenordnung von mehr als 150 Millionen DM abgeschlossen. Zur Erfüllung der Verträge waren allerdings seitens der Industrie in den letzten zwei Jahren Vorleistungen erforderlich, die diese ,an den Rand der Leistungsmöglichkeiten brachten. Im kommenden Jahr müßten diese Vorleistungen durch Auftragsvergabe rasch abgebaut werden. Wenn ich mir den Entwurf zum Haushaltsplan 1968 ansehe, bekomme ich allerdings größte Bedenken. Zuwachsraten im Entwicklungstitel sind nicht vorhanden. Das Haushaltsvolumen der zuständigen Unterabteilung des Verteidigungsministeriums, die die Mittel für die Flugzeugindustrie bereitstellt, wird von rund 436 Millionen DM in diesem Jahr auf 360 Millionen DM im kommenden Jahr abfallen. Ich befürchte, daß das Ergebnis absehbar sein wird: Am Ende des kommenden Jahres wird sich erneut eine große Bugwelle von Verpflichtungen, nicht abgeschlossenen Verträgen und Entwicklungslücken aufgebaut haben und den Haushalt 1969 belasten.Schwierigkeiten bereiten aber zur Stunde nicht nur die Geldsorgen. Hier sind noch einige andere Anmerkungen aus dem Blickwinkel der Verteidigungspolitik erforderlich:Erstens. Zu vermissen war bisher die ausreichende mittel- und langfristige Planung auch in diesem Bereich. Seitens der Industrie weiß man zur Stunde z. B. nicht, wie die Werke nach 1970 ausgelastet werden. Bei dem langen Vorlauf in der Flugzeugindustrie beim Bau von Fluggeräten müssen die notwendigen Entscheidungen alsbald fallen.Zweitens. Es fehlte bisher, wie der Antwort der Bundesregierung zu entnehmen war, die europäische Zusammenarbeit. Das gilt verstärkt besonders für den Verteidigungssektor.Drittens. Der Konzentrationsprozeß der Luftfahrtindustrie hat aus dem Blickwinkel der Verteidigung noch keine ausreichenden Ergebnisse gebracht.Anzustreben ist auch eine europäische militärische Konzeption in der Flugzeugindustrie. Die Bereitschaft dafür — das haben die Diskussionen in der Beratenden Versammlung des Europarates und bei der WEU gezeigt — ist nicht nur bei Großbritannien und Frankreich vorhanden. Europa und die Bundesrepublik werden auch in Zukunft in sehr vielen Bereichen mit Amerika zusammenarbeiten, doch es müssen die europäischen Schwerpunkte definiert werden. Wir brauchen einfache, robuste Waffensysteme, die von Menschen geführt werden, die weitgehend unabhängig sind von allzu komplizierten Bodeneinrichtungen. Für die ausgefallenen F 104 G und Fiat 91 sollten wir keine Zwischenlösungen suchen, sondern alsbald die Entscheidung, welche Nachfolgemuster nach 1970 mit Einschaltung der deutschen Luftfahrtindustrie gebaut werden. Der Wert der Ersatzbeschaffung für die jetzigen 3500 Jagdflugzeuge und etwa 2200 Jagdbomber in Westeuropa muß mit rund 50 Milliarden DM veranschlagt werden. _Diese Zahl nannte kürzlich ein Holländer bei einem Symposion der Luftfahrtindustrie in London. Unser deutscher Beitrag der kommenden Jahre muß alsbald gesichert werden. Ich will hier auf keine Typenvorschläge eingehen, aber erwähnen, daß das in München geplante Kampfflugzeug AVS mit variabler Flügelpfeilung und Hubtriebwerken modernsten An-
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Richterforderungen entspricht und daß den Briten und Franzosen mit dem „Jaguar" ein großer Wurf gelungen zu sein scheint.Einige Schwerpunkte möchte ich hier abschließend noch herausstellen und der Beachtung der Bundesregierung empfehlen.Erstens. Die Bundesregierung bemüht sich im Sinne der Empfehlung der Versammlung der Westeuropäischen Union vom 13. Juni um die europäische Zusammenarbeit.Zweitens. Die Bundesregierung legt alsbald ein Weißbuch zur Verteidigungsplanung vor, das der SPD-Abgeordnete Hans Hermsdorf bei der ersten Lesung des Haushaltes bereits anmahnte. Mit diesem Weißbuch wird für den Teilbereich militärische Entwicklung und Beschaffung ein Programm für die deutsche Luftfahrt- und Raumfahrtindustrie angeboten.Drittens. Der finanzielle Rahmen für die Durchführung der geplanten Projekte sollte von der Bundesregierung pauschal festgelegt werden, damit die Industrie sich anpassen kann.Viertens. Wie bereits im laufenden Jahr 1967, sollen auch in den kommenden Jahren Studienaufträge für Zukunftstechnologien vergeben werden. Diese Mittel — das sollte sehr beachtet werden — sind bisher in den Planungskatalogen des Verteidigungshaushalts nicht enthalten; sie müßten zusätzlich beantragt werden.Lassen Sie mich zusammenfassend sagen, daß wir unsere Mitgift, die wir in die europäische Gemeinschaft einzubringen gedenken, bald vorweisen müssen.Wenn unser Anteil an Technologie und industrieller Leistung bei unseren Partnern gewogen und zu leicht befunden wird — diese Probe steht für uns schon in den nächsten Jahren an —, wird die ganze Nation großen Schaden erleiden. Wir müssen dann von dem Geist leben, den uns das Ausland — auch auf dem Sektor der militärischen Fliegerei — verkauft.
Das Wort hat der Abgeordnete Ertl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Debatte ist eine Debatte der Hoffnung für die deutsche Luftfahrt- und Raumfahrtindustrie und insbesondere für alle Beschäftigten und Wissenschaftler.
Man hat bei der Beantwortung der Großen Anfrage gemerkt, daß die Koordination doch noch nicht ganz klappt. Man hat bei den Ausführungen des Herrn Ministers deutlich gespürt, daß hier offensichtlich die Führungseigenschaft, wie sie der Kollege Wörner wiederholt angeführt hat, doch noch sehr mangelhaft gewesen ist. Ich möchte nur noch von mir aus wünschen, daß den Hoffnungen, die hier geäußert worden sind und die hinsichtlich der Details im Zusammenhang mit der Frage 4 nicht ganz konkret waren, auf jeden Fall Taten folgen.
Eines kann man heute wohl sagen: Unsere Luftfahrtindustrie und auch unsere Raumfahrtindustrie haben bis jetzt beachtliche Leistungen mit bescheidensten Mitteln zuwege gebracht. Ich erinnere auf dem Luftfahrtsektor nur an die Entwicklung, die Dornier von Do 27 über Do 28 bis Do 31 gemacht hat, an die Entwicklung des Bölkow-Hubschraubers, an die Entwicklung von Hansa und ähnliches mehr. In der Tat hat unsere Industrie Beachtliches geleistet.
Damit komme ich zu einem wesentlichen Punkt, der hier auch im Zusammenhang mit der Konzentrationsforderung besprochen worden ist. Es ist selbstverständlich, daß ein so wichtiger Industriezweig nur auf der Basis höchstmöglicher Kooperation den besten Effekt erzielen kann. Muß man dabei aber gleich so weit gehen, lieber Prinz Konstantin, daß man sagt: Wir zwingen euch alle? Steckt nicht in der Vielfalt, zumindest bei der Forschung, auch eine Chance, bestmögliche Vergleichsmöglichkeiten zu haben? Gerade in der Entwicklung besteht heute schon eine weitgehende Kooperation.
— Ich hoffe, daß es so bleiben wird. Ich möchte gerade darauf hinweisen, daß es bei uns eine Firma gibt, die mit bestem Erfolg, sogar mit Verkaufserfolg, ohne wesentliche Hilfe des Staates eine selbständige Entwicklung erzielt hat. Dies ist, meine ich, außerordentlich beachtlich.
Mir geht es darum, daß man die Frage der Konzentration nicht zu einem Alibi benutzt. Was unsere Industrie im Augenblick braucht, sind Aufträge, Anschlußaufträge. Insbesondere unsere Firmen im süddeutschen Bereich brauchen sie.
Es muß auch ausgesprochen werden, daß die Koordinierung und die weitschauende Planung im Verteidigungssektor versagt haben. Mir ist klar, warum heute für den Verteidigungssektor keine Vorschläge gemacht werden konnten.
-- Ja, bitte!
Herr Kollege, kein Alibi! Das ist ganz klar. Es gibt keine Generalklausel — —
Ich bitte, eine Frage zu stellen und keine Behauptung aufzustellen.
Wir sollten nicht von dem ablenken, was wirklich notwendig ist. Auf lange Sicht — ich unterstreiche das — wird eine weitgehende Zusammenarbeit möglich und notwendig sein. Aber was jetzt notwendig ist, sind die Aufträge. Dafür gibt es viele Möglichkeiten. Wir haben bewußt den Punkt 7 hineingebracht, in dem wir dem Wunsch Ausdruck verleihen, eine Exportbank für die Luftfahrtindustrie ins Leben zu rufen. Hier ist der Kollege Leisler Kiep. Er weiß aus seiner Erfahrung, welche Möglichkeiten im Rahmen der Entwicklungshilfe bestehen
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Ertlund welche Möglichkeiten gerade in Entwicklungsländern für die Entwicklung der Luftfahrt gegeben sind. Dabei gibt es gerade deutsche Modelle, die sich besonders für diesen Raum eignen. Wir wissen aber aus der Erfahrung auch, daß die Finanzierungsschwierigkeiten so groß sind, daß diese Modelle, obwohl unser Gerät gewünscht wird, gar nicht in Entwicklungsländer verkauft werden können. Dafür gibt es konkrete Beispiele. Hier könnte man handeln, und hier muß die Bundesregierung neue Formen und neue Möglichkeiten finden.Ich unterstreiche auch, was Prinz Konstantin bezüglich der Sportfliegerei gesagt hat. Auch in diesem Bereich gibt es große Möglichkeiten, unserer Flugzeugindustrie zu helfen. Die Sportfliegerei ist bei uns in keiner Weise vergleichbar gefördert wie in anderen Ländern. Denken Sie nur daran, wie in Frankreich die Sportfliegerei gefördert wird! Auch diese Frage bedarf unbedingt der Überlegung.Auf andere Fragen, insbesondere auf die Beteiligung der deutschen Luftfahrtindustrie an supra- nationalen Programmen, möchte ich nicht eingehen. Hierzu hat Herr Kollege Jung mit Recht auf die Devisenausgleichsverpflichtungen und auf die OffsetKäufe hingewiesen. Die Lizenzbauten sind zum Teil für unsere eigene Wirtschaft sehr nachteilig verlaufen. Wir haben nur — so möchte ich beinahe sagen — Klempnerarbeit ausgeführt, während die hochwertigen und interessanten Teile aus anderen Ländern geliefert worden sind. All diese Fragen sollte man sich überlegen.Ich möchte noch einmal auf die Frage der Verantwortung eingehen. Prinz Konstantin hat sich mit den von Herrn Kollegen Wörner in bezug auf bessere Führungsentscheidungen geäußerten Wünschen befaßt. Das wurde ja nicht konkretisiert. Ich nehme an, in diesem Punkt wird es noch Koalitionsverhandlungen geben. Zu den Wünschen in bezug auf die Verankerung der Verantwortung im Bundeskanzleramt hätte ich beinahe gesagt: Wir werden dann einen Super-Raum-Kanzler mit dem entsprechenden Amt bekommen. Vielleicht hat er dann auch die Möglichkeit, bei Weltraumversuchen einmal einen unbeliebten Staatssekretär mitzuschikken.
Das wäre vielleicht auch eine Lösung dieser Frage. — Ich meine, wir sollten den Kanzler, der sicher sehr regierungsfreudig ist, in diesen Dingen nicht überfordern. Die Bundesregierung muß sich hier in der Geschäftsordnung auf eine klare Kompetenzregelung einigen. Ob das nur durch Einsetzen von Ausschüssen geht oder ob es besser wäre, die Federführung in diesen Dingen in einer Hand zu vereinigen, weiß ich nicht. Fest steht, daß es ein Vorteil war, daß die ganze Raumfahrt im Wissenschaftsministerium konzentriert wurde; das hat sich bisher gelohnt.Meine Damen und Herren, ich will Sie nicht länger aufhalten. Wir haben Ihnen auf Umdruck 297 einen Entschließungsantrag vorgelegt. Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie der Überweisung an den Ausschuß zustimmten, Ich darf zum Schluß noch einmal die Hoffnung aussprechen, daß nicht nur Hoffnungen geweckt wurden, sondern daß diese neue Regierung bald auch zu Taten kommt. Denn die Arbeitsmarktlage .in der Flugzeugindustrie ist im süddeutschen Raum sehr besorgniserregend. Hier bedarf es rascher Entscheidungen.
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist für den Bundeswirtschaftsminister naturgemäß sehr erfreulich, an einer so anregenden Debatte teilzunehmen und es dabei gleichzeitig mit einer Industrie des Wachstums und des technologischen Fortschritts zu tun zu haben und nicht mit einer Industrie, die sich in der Defensive befindet, wie wir das vor kurzem bei einer anderen Debatte gehabt haben. Dies ist eine Industrie, die der gesamten Entwicklung unserer Wirtschaft in einem besonderen Maße wissenschaftlich-technische Impulse geben soll. Sie durchschreitet gegenwärtig einige Schwierigkeiten, die hier ausführlich gekennzeichnet worden sind.Gleichzeitig wurde hier sozusagen vom Standpunkt der Luft- und Raumfahrt ein Ausflug in die Fragen der modernen Organisation der Bundesregierung bzw. des Bundeskanzleramtes gemacht. Das ist ein Problem für sich. Es ist nicht meines Amtes, hier Vorschläge zur Organisation des Bundeskanzleramtes zu machen. Ich kann Ihnen nur sagen, daß der Koordinierungsausschuß, der seit Anfang dieses Jahres besteht, gute Arbeit geleistet hat. Im übrigen werden alle wichtigen Fragen aus dem Gebiet der Luft- und Raumfahrtindustrie, die über diesen Koordinierungsausschuß hinaus gehen , müssen, im Wirtschaftskabinett oder im Wissenschaftskabinett behandelt.Es handelt sich hier um eine Industrie, die sich firmenmäßig nicht gerade in der Verfassung optimaler Unternehmenseinheiten befindet. Wir müssen in dieser Industrie in der Tat auf Fusionen hinsteuern. Diese Fusionen zu betreiben, ist, glaube ich, insonderheit Sache des Bundeswirtschaftsministers. Es ist seine Angelegenheit, mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln diese Industrie dahin zu bringen, daß sie sich in einer Form konzentriert und gruppiert, die ihre Weiterentwicklung erleichtert. Welche numerische Lösung auch gefunden wird, die Konzentration muß zugleich für Fusionen im europäischen Raum offen bleiben. Ich glaube, das ist ein weiteres wichtiges Kriterium.Bei der Beratung der verschiedenen Anträge, die hier von den Fraktionen des Hohen Hauses gestellt worden sind, und der Entschließungsanträge im Ausschuß muß wohl auch sehr genau überlegt werden, ob es wirklich angebracht ist, Forschung und Entwicklung von der Fertigung zu trennen.
Ich persönlich habe aus meiner Erfahrung gerade inBerlin — in ganz anderen, aber auch wichtigen Be-
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Bundesminister Dr. Schillerreichen z. B, der Elektroindustrie — immer wieder gesehen, daß die Kombination von Forschung, Entwicklung und Fertigung der Expansion einer solchen Industrie sehr förderlich ist.
Aber das wird man im Ausschuß sicherlich noch sehr sachlich behandeln.
— Man wird auf diese besondere Problematik sicherlich auch noch zu sprechen kommen.Ich wollte noch ein paar Sätze sagen über das Tempo, in dein diese Fragen von der Bundesregierung behandelt werden. Ein Beispiel dafür bietet, glaube ich, die Airbus-Angelegenheit. Sie war seit 1963 in Vorbereitung. 1965 ist das Interesse der Bundesregierung angemeldet worden. Im Dezember 1965 haben die ersten Regierungsverhandlungen stattgefunden. Ich selber hatte die Ehre, das Vergnügen und die Pflicht zugleich, am 27. Januar dieses Jahres hier in Bonn in einer ganztägigen Verhandlung Herrn Stonehouse, meinen Kollegen in England, und Herrn Pisani, meinen damaligen Kollegen für diese Industrie in Frankreich, zu begrüßen. Wir haben damals sozusagen die letzte Phase der Vorbereitung des Airbus-Projekts eingeleitet, und dann ist, wie Sie alle wissen, am 26. September dieses Jahres, also nach achtmonatigen Verhandlungen, hier in Bonn der Vertrag geschlossen worden. Die Bundesregierung ist — das möchte ich ganz deutlich sagen — in dieser Angelegenheit nicht der Bremser gewesen, wie jeder weiß. Die großen Verzögerungen brachte der Zwiespalt zweier anderer Länder in der Frage der Triebwerke. Wir selber waren da ganz neutral und haben uns im Gegenteil, im Sinne des Auftrags dieses Hauses, für eine Beschleunigung des Projekts und für eine Einigung unserer beiden Partner, Frankreich und England, eingesetzt, die ja auch erfolgt ist.Meine Damen und Herren, ich habe mich sehr dafür zu bedanken, daß Sie uns in bezug auf eine gewisse Erwartung an die Deutsche Lufthansa unterstützen. Eine Option wird in absehbarer Zeit hoffentlich möglich und jedenfalls für den Vollzug der Angelegenheit förderlich sein. Dieses Haus hat heute auf allen Seiten sehr deutlich seinen diesbezüglichen Willen zum Ausdruck gebracht. Ich hoffe, daß. das den Haupteigentümer der Lufthansa beeindrucken und daß sich die Lufthansa selber auch so verhalten kann, wie das den Erwartungen, die dieses Haus hegt, entspricht.Meine Damen und Herren, im übrigen möchte ich für alle Anregungen, die zu diesem Thema gemacht worden sind, sehr danken. Ich glaube, diese Debatte hat deutlich gezeigt, daß es um eine Industrie geht, deren Zukunft nur im europäischen Rahmen zu gestalten ist. Allein können wir das alles nicht machen. Diese Industrie befindet sich aber in „Wachstumsschmerzen", und sie muß als private Industrie selber etwas dazu tun, daß diese „Wachstumsschmerzen" überwunden werden. Aber diese Industrie ist überwiegend von öffentlichen Aufträgen abhängig. Ein entscheidender Zeitpunkt für die Behebung der „Wachstumsschmerzen" in dieser Industrie wird daher die noch für dieses Jahr vorgesehene Verteidigungsdebatte in diesem Hause sein; denn diese Verteidigungsdebatte wird ja wesentlich zu einer Klärung der Verteidigungskonzeption dieses Hauses und dieser Bundesregierung beitragen. In dem Rahmen werden dann auch die Luftfahrtindustrie und die gesamte Industrie, die damit zusammenhängt, Klarheit über ihre zukünftig zu erwartenden Entwicklungsmöglichkeiten erhalten. Diesen Zeitpunkt der Klärung der Verteidigungskonzeption in diesem Hause müssen wir abwarten.Im übrigen danke ich Ihnen nochmals für die Anregungen, die hier gegeben worden sind.
Das Wort wird nicht mehr gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, den Antrag der Fraktion der FDP auf Umdruck 2971, den Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck 298 **) und den Antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 299 ***) zu überweisen an den Ausschuß für Wirtschafts- und Mittelstandsfragen — federführend — und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wissenschaft, Kulturpolitik und Publizistik, an den Verteidigungsausschuß und den Verkehrsausschuß.
Herr Abgeordneter Dr. Wörner!
Herr Präsident, bei unserem Antrag auf Umdruck 299 ist ein Versehen unterlaufen. Ich bitte die Ziffer 3 so zu ergänzen, daß es heißt: ... Minister der Staaten der Westeuropäischen Union . ...
Wird der Überweisung — mit dieser Berichtigung — widersprochen? — Das ist nicht der Fall; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes
— Drucksache V/2192 —
Zur Begründung erteile ich dem Herr Bundesminister für Vertriebene und Flüchtlinge das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung legt heute dem Hohen Haus den Entwurf eines Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes vor. Bevor ich diesen Entwurf in seinen wesentlichen Teil kurz erläutere, darf ich einige Vorbemerkungen machen.*) Siehe Anlage 4 **) Siehe Anlage 3 ***) Siehe Anlage 2
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Bundesminister von HasselDie Bundesregierung hat das Ziel, die Kriegsfolgengesetzgebung zum Abschluß zu bringen. Sie weiß, daß in vielen Bereichen noch Lasten abzutragen sind, die der letzte Krieg hinterlassen hat. Wir haben diesen Krieg so total verloren, daß die Heilung solcher Wunden selbst in zweiundzwanzig Jahren nach Kriegsende noch nicht erreicht, die materielle und soziale Eingliederung der Vertriebenen noch keinesfalls abgeschlossen werden konnte.Hinzu kommt, daß die Gleichstellung der Flüchtlinge aus dem anderen Teil Deutschlands mit den Vertriebenen noch nicht vollzogen werden konnte. Dieses Problem ist so ernst, daß sich der Bundestag in absehbarer Zeit damit wird beschäftigen müssen. Mit dem Herrn Bundeskanzler und meinen Kollegen in der Bundesregierung bin ich darin einig, daß die Solidarität mit den durch den letzten Krieg am härtesten Betroffenen sich nicht terminieren läßt, sondern bis zur Linderung der Not anzudauern hat.Im Rahmen unserer Bemühungen, die Kriegsfolgengesetzgebung als solche zum Abschluß zu bringen, wird sich die Bundesregierung in Kürze mit einem Leistungsgesetz für Sowjetzonenflüchtlinge beschäftigen, das allerdings auf die kargen finanziellen Möglichkeiten des Bundes Rücksicht nehmen wird.Dieser unserer Absicht entspricht es auch, wenn die Ihnen vorliegende 20. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz nach Meinung der Bundesregierung die letzte Novellierung vor einem endgültigen Abschluß sein sollte. Das Volumen des Lastenausgleichsfonds ist heute noch nicht endgültig überschaubar. Sobald dies möglich ist, werden abschließende Regelungen zu treffen sein. Die Kapazität des Fonds ist darüber hinaus begrenzt, so daß die 20. Novelle nicht allen Wünschen gerecht werden kann, zumal die — wenn auch nur indirekte — Belastung der öffentlichen Haushalte nach § 6 Abs. 4 des Lastenausgleichsgesetzes im Hinblick auf die finanzielle Situation des Bundes und der Länder nicht nach den Maßstäben des Wünschenswerten erfolgen kann.Der Zwang, die Ausgaben- und die Einnahmenseite des Bundeshaushalts deckungsgleich zu machen und in unserer Finanzpolitik Prioritäten für die Zukunft zu setzen, hat die Bundesregierung bisher leider daran gehindert, im Rahmen der Zwanzigsten Novelle insbesondere auch weitere Jahrgänge in die Altersversorgung der Unterhaltshilfe hineinzunehmen. Als der zuständige Ressortminister weiß ich, daß unsere Entscheidungen die Betroffenen enttäuscht haben. Ich erkläre hier nicht zum erstenmal, daß ich großes Verständnis für die Einlassung der älteren, bisher nicht berücksichtigten Jahrgänge habe. Zugleich darf ich bei dieser Gelegenheit aber auch sagen, daß die Ordnung der Staatsfinanzen vor noch so berechtigten Einzelforderungen den Vorrang haben muß. Die Bundesregierung dankt denen, die für unsere Lage weitgehend Verständnis zeigten. Sie wird aber gerade die Frage der Altersversorgung innerhalb der Abschlußgesetzgebung zum Lastenausgleich ganz besonders im Auge haben, sofern sich ergibt, daß der Ausgleichsfonds über die notwendigen Reserven verfügen wird.Meine Damen und Herren, der Ihnen zugeleitete Entwurf eines Zwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes folgt der Notwendigkeit, die Unterhaltshilfe des Lastenausgleichs wegen der seit 1965 eingetretenen bekannten Verbesserungen in anderen Sozialbereichen ebenfalls angemessen zu erhöhen. Die 20. Novelle soll durch die Anhebung der Unterhaltshilfe zugleich sicherstellen, daß die Rentenerhöhung auf Grund des Neunten Rentenanpassungsgesetzes, die ab 1. Juni 1967 voll auf die Unterhaltshilfe anzurechnen wäre, nicht zu einer wesentlichen Kürzung dieser Leistung oder gar zum Ausscheiden des Berechtigten aus der Unterhaltshilfe führt.Es ist vorgesehen, die Unterhaltshilfe für den alleinstehenden Berechtigten von 190 auf 205, für den zuschlagsberechtigten Ehegatten von 120 auf 135 und für das zuschlagsberechtigte Kind von 65 auf 70 DM zu erhöhen. Die hierdurch entstehenden Mehrkosten von etwa 737 Millionen DM für die gesamte Laufzeit der Unterhaltshilfe, also etwa über das Jahr 2000 hinaus, treffen nicht nur den Ausgleichsfonds, sondern wegen der vorhin schon skizzierten Regelung in § 6 Abs 4. des Lastenausgleichsgesetzes indirekt auch die Haushalte von Bund und Ländern. Die öffentlichen Haushalte werden allerdings erst ab 1968 zusätzlich belastet, und zwar zunächst mit etwa 15 Millionen DM. Die Obergrenze für die Zuschüsse der öffentlichen Haushalte zur Unterhaltshilfe in Höhe von jährlich 650 Millionen DM ist nämlich für 1967 nach geltendem Recht bereits erreicht.Über die Notwendigkeit, die Empfänger von Unterhaltshilfe nicht hinter den Empfängern anderer Sozialleistungen zurücktreten zu lassen, waren sich wohl stets alle Beteiligten einig. Gerade in diesem Hohen Hause ist der weiteren Anhebung der Unterhaltshilfe stets eine außerordentlich Bedeutung beigemessen worden, so daß ich über dieses Erfordernis hier kein weiteres Wort zu verlieren brauche.
In diesem Zusammenhang ist jedoch zu erwähnen, daß der Bundesrat in seiner Stellungnahme den Wunsch ausgesprochen hat, § 6 Abs. 4 des Lastenausgleichsgesetzes zu ändern. Der Bundesrat wünscht daß bei der Berechnung der Zuschüsse, die der Bund und die Länder zu den Kosten der Unterhaltshilfe zu leisten haben — jene 650 Millionen DM —, die Mehraufwendungen, die durch die Anhebung der Unterhaltssätze in dieser Novelle und in etwaigen späteren Gesetzen eintreten, unberücksichtigt bleiben, soweit es sich um die Länderzuschüsse handelt. Das würde bedeuten, daß entgegen der bisherigen gesetzlichen Regelung die Länder von der Erstattung ihres Anteils an der Unterhaltshilfe teilweise freigestellt würden. Der Bundesrat beruft sich hierbei auf das Grundgesetz und glaubt, Art. 120 Abs. 1 schließe die Beteiligung der Länder an diesem erhöhten Aufwand aus. Die Bundesregierung kann sich diesem Bedenken des Bundesrates nicht anschließen. Sie ist im Gegenteil der Ansicht, daß die vom Bundesrat vorgeschlagene Änderung des § 6 Abs. 4 des Lastenausgleichsgesetzes dem Grundgesetz widersprechen würde, und bittet die Länder zugleich nach-
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967 6769
Bundesminister von Hasselhaltig, sich der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Regelung nicht zu verschließen.Meine Damen und Herren, neben der Erhöhung der Unterhaltshilfesätze sieht der Regierungsentwurf noch eine Reihe weiterer Änderungen von Einzelbestimmungen des Lastenausgleichsrechts vor. Dem Ziel, eine Ermittlung des endgültigen Vermögensstandes des Ausgleichsfonds für eine Abschlußgesetzgebung zu ermöglichen, dient die Festlegung von Antragsfristen. Nur so kann ein genauer Überblick über die noch zu erbringenden Leistungen erreicht werden. Der Entwurf sieht daher für die Einreichung von Feststellungsanträgen eine Ausschlußfrist bis zum 30. Juni 1969 vor. Darüber hinaus wird allerdings die Möglichkeit eingeräumt, Antragsfristen für einzelne Ausgleichsleistungen durch Rechtsverordnung zu bestimmen, soweit dieses erforderlich ist.Die Abschlußgesetzgebung des Lastenausgleichs wird etwa in den Jahren 1972/73 zu erreichen sein. Bis zu diesem Zeitpunkt soll eine möglichst stetige und ungestörte Arbeit der Ausgleichsverwaltung sichergestellt werden. Aus diesem Grunde scheint es erforderlich, allzu häufige Novellierungen des Lastenausgleichsgesetzes zukünftig zu vermeiden.
Die Bundesregierung beabsichtigt deshalb, die zukünftigen Anpassungen der Unterhaltshilfe an die Sozialversicherungsrenten nur noch in auf diese Frage beschränkten Anpassungsgesetzen vorzuschlagen. Allgemeine Änderungsgesetze sollten vermieden werden.Im Hinblick auf diesen in Aussicht genommenen Verzicht auf Novellierungen ist es jedoch gerecht-. fertigt, in der 20. Novelle eine größere Zahl von Änderungen vorzunehmen, die teils durch die Rechtsprechung, teils durch zwischenzeitliche Entwicklungen in anderen Sozialbereichen zweckmäßig oder notwendig werden. In der Mehrzahl betreffen die Änderungen das Gebiet der Kriegsschadensrente. Sie werden im Einzelfalle spürbare Hilfe bringen. Im ganzen gesehen haben sie jedoch kein nennenswertes finanzielles Gewicht.Ich glaube deshalb, im Rahmen dieser ersten Lesung auf eine Erörterung dieser Vorschriften sowie der Änderungsvorschläge des Bundesrats, denen die Bundesregierung zu einem Teil zustimmt, verzichten zu können. Die Beratung in den Ausschüssen des Hohen Hauses wird Gelegenheit geben, die hier anstehenden Probleme zu vertiefen.Namens der Bundesregierung darf ich das Hohe Haus bitten, der Vorlage die Zustimmung zu geben.
Der Gesetzentwurf ist begründet. Ich eröffne die Aussprache. Ich möchte die Redner dabei bitten, auf die Zeit Rücksicht zu nehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Rehs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Zwanzigste Novelle zu einem Gesetz: das allein zeigt schon, daß es sich bei den durch dieses Gesetz zu regelnden Fragen um einen Sachverhalt von ungewöhnlicher menschlicher, sozialer und politischer Größenordnung und Bedeutung handeln muß. Es zeigt aber auch, daß es nicht gelungen ist, diesen Sachverhalt in einem Zeitmaß und in einer gesetzgeberischen Konzentration und Voraussicht zu ordnen, wie sie das dahinterstehende Schicksal von Millionen Staatsbürgern erforderte.Daß das Gesetz ohnehin von vornherein auf Korrekturen angelegt war und sein mußte, war bereits in seiner Präambel zum Ausdruck gebracht worden. Daß es schon in seinen zeitlichen Fixierungen Veränderungen und Anpassungen erforderte, ergab sich aus der Weiterwirkung der Vertreibungen, ihrer Folgen und der Tatsache, daß immer noch Jahr für Jahr Tausende Menschen aus der Unterdrückung im Osten in die Freiheit streben und zu uns kommen.Bei der Beurteilung und Behandlung der nun vorliegenden Zwanzigsten Novelle zum Lastenausgleichsgesetz muß dieser Hintergrund und müssen diese Zusammenhänge gesehen werden, wenn ihre Bedeutung — insbesondere nach der Meinung der Betroffenen — richtig erkannt und gerecht gewürdigt werden soll. Ich bin Ihnen, Herr Bundesminister von Hassel, insoweit für die Ausführungen, die Sie hier zu Beginn gemacht haben, besonders dankbar.Es geht nämlich bei dieser Novelle um mehr als nur um eine technische Weitergestaltung, um mehr als die Anpassung der Unterhaltshilfe an die gestiegenen Rentensätze. Natürlich geht es auch darum; aber es ist unvermeidlich, daß in der jetzigen Phase neuer finanzpolitischer Konzeptionen und Umgestaltungen auch die Grundprobleme des Lastenausgleichs aufstehen und daß alle Betroffenen und Beteiligten mit großer Sorge die Frage nach der Weiterbehandlung des Lastenausgleichs überhaupt stellen. Und hier gibt es offenbar noch sehr unterschiedliche Auffassungen.Die Frage stellt sich um so mehr, als wir von den zuständigen Ministerien wissen — auch Ihre Ausführungen, Herr von Hassel, haben dies sehr deutlich gemacht —, daß bezüglich des Lastenausgleichs die Vorstellung besteht, mit dieser Novelle einen vorläufigen Abschluß bis zunächst 1971 zu vollziehen.Es ist natürlich, daß dies bei allen denen Besorgnisse ausgelöst hat, die Jahre hindurch mit großer Geduld auf die kontinuierliche Weiterentwicklung nicht nur der rechtlichen Grundgedanken des Lastenausgleichs, sondern auch der entsprechenden materiellen Konsequenzen gehofft haben und nun wegen der veränderten allgemeinen Finanzsituation nicht das Opfer ihrer eigenen Geduld werden möchten.Zu dieser Besorgnis haben mancherlei Äußerungen beigetragen, die die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge aus Mitteldeutschland seit geraumer Zeit — nicht gerade immer liebevoll und auch nicht immer sehr sachverständig — zu hören bekommen haben, so die Äußerung, nach 22 Jahren müsse doch nun endlich Schluß damit sein usw. usw. Als ob mit solchen Formulierungen die ohne Zweifel außer-
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6770 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967
Rehsordentliche Last, aber auch die Tragik dieses Kapitels der Kriegs- und Nachkriegsfolge gebannt und unter den Tisch gebracht werden könnte! Diese Vorstellungen sind ja auch schon allein durch die tagesordnungsmäßige Behandlung der ganzen Problematik, nicht nur in diesem Augenblick, sondern auch bei anderen Gelegenheiten, durch den Ältestenrat und durch das Arrangement der Fraktionen wiederholt zum Ausdruck gekommen, und es besteht aller Anlaß, auch diesen Gesichtspunkt hier künftig anders und sorgfältig zu überprüfen. Ich sagte: als ob mit solchen Formulierungen und mit solchen Vorstellungen die Problematik wirklich befriedigend bewältigt werden könnte! Aber trotz all dieser Sachverhalte, trotz all der Äußerungen und trotz schon getroffener sehr einschneidender und harter Kürzungsmaßnahmen auf den verschiedensten Gebieten, z. B. im Haushalt des Bundesvertriebenenministeriums und bei der Siedlung für die vertriebenen und geflüchteten Bauern, haben die Heimatvertriebenen und andere geschädigte Gruppen bisher eine von keiner anderen Bevölkerungsgruppe gezeigte Zurückhaltung und staatspolitisches Verständnis für die Maßnahmen und Pläne zu einer finanziellen Neuordnung und Stabilisierung aufgebracht.Merkwürdigerweise wird das von manchen offenbar für selbstverständlich gehalten. Im Gegensatz zu Gruppen, die sich gesellschaftlich und einkommensmäßig mit jenen Geschädigten des 2. Weltkrieges überhaupt nicht vergleichen können, wird hierüber in der Öffentlichkeit mit Stillschweigen hinweggegangen.Ich will hier keine solchen anderen Gruppen nennen. Ich gönne jedem Verbesserungen seiner Lage; aber es ist doch erstaunlich und bitter genug für die Vertriebenen und Sowjetzonenflüchtlinge, festzustellen, von wie wenig Objektivität und Solidarität das Augenmaß bei vielen aus diesen anderen Gruppen bestimmt ist. Die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge sind jedenfalls ein Beweis gegen die oberflächliche Vorstellung, daß dort, wo am lautesten geschrien wird, auch immer die größten Schmerzen sind. Die Vertriebenen wollen nicht schreien, aber sie möchten auch nicht zum Schreien gezwungen werden, weil man in der Öffentlichkeit und auch in den Parlamenten und Regierungen von ihren Schmerzen und Sorgen nicht mehr die gebührende Kenntnis nehmen will.Ich möchte in diesem Zusammenhang und mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten nur einige wenige Sätze aus einer Denkschrift zitieren, um die es seinerzeit wegen anderer Teile sehr heftige Diskussionen gegeben hat, deren II. Kapitel ich aber — bis auf gewisse fremde theologische Einstreuungen — von vornherein als richtig und hilfreich anerkannt habe, nämlich aus der Ostdenkschrift der Evangelischen Kirche. Es heißt dort u. a. in diesem Artikel:Die Lastenausgleichsgesetzgebung wird mit Recht als eine bedeutsame Leistung angesehen, die eine hervorragende Wirkung auf die soziale und wirtschaftliche Eingliederung der Vertriebenen ausgeübt hat. Aber ein voller Ausgleichwar dieser Lastenausgleich nie. Da sich die Erfüllung der Entschädigungen aus mancherlei Gründen stark verzögert hat, sind die Vertriebenen auch weiterhin hinter der allgemeinen volkswirtschaftlichen Entwicklung zurückgeblieben und in ,der Vermögensverteilung benachteiligt worden. Es muß auch auf die große Unterschiedlichkeit der Entschädigung vergleichbarer Verluste in der Bundesrepublik und in den Vertreibungsgebieten aufmerksam gemacht werden, die von den Vertriebenen als ungerecht empfunden werden.Es ist doch bemerkenswert, daß diese Sätze im Gegensatz zu anderen Kapiteln jener Schrift in der Öffentlichkeit überhaupt keine Resonanz gefunden haben und daß selbst aus dem Bereich jener Autoren kein sichtbarer Versuch unternommen worden ist, auf die Konsequenzen aus diesen Feststellungen zu drängen.Ich will wegen .des Zeitablaufs die Richtigkeit dieser Feststellungen nur ,an zwei kurzen Beispielen sichtbar machen, die dankenswerterweise Herr Bundesminister von Hassel auf dem Mitarbeiterkongreß des Bundes der Vertriebenen in Kassel neulich angeführt hat und die aus einer Darstellung der Birger-Forell-Stiftung stammen.Danach hat ein Bauer aus Pommern für seinen Hof von 38,6 ha mit einem heutigen Verkehrswert von 280 000 DM als Entschädigung 6,3%, 17 660 DM, erhalten. Demgegenüber hat ein etwa vergleichbarer einheimischer Bauernhof nur eine Ausgleichsabgabe von 4,6% des derzeitigen Verkehrswerts zu leisten. Den Verlust der Heimatvertriebenen von 93,7% steht also eine Abgabe des ,analog nicht Geschädigten von 4,6 % gegenüber.Bei einem ostpreußischen Bauernhof mit 99 ha — ein anderes Beispiel — mit einem Verkehrswert von 930 000 DM beträgt die Hauptentschädigung ganze 2,83% des Verkehrswerts. Dem Verlust des Vertriebenen in Höhe von 97,17 % steht auf der einheimischen Seite eine Abgabe in Höhe von 4,51 % gegenüber.Diese Beispiel brauchen keinen Kommentar. Ich glaube, vor ihnen sollte alles verstummen, wenn nicht erröten, was an billigen Redensarten und an oberflächlichen Vorstellungen zu diesem Gesamtproblem in der Öffentlichkeit und auch in diesem Hause wiederholt laut geworden ist.Es ist danach jedenfalls erklärlich, meine Damen und Herren, daß die Betroffenen bei der jetzigen Novelle besonders kritisch sind und prüfen werden, wie es um die Berücksichtigung ihrer Erwartungen und um die Erfüllung jener Zusicherungen bestellt ist, die seinerzeit im Zusammenhang mit der damals am Unverständnis des Bundesrates gescheiterten 18. Novelle gemacht worden sind. Schon jetzt möchte ich an den Bundesrat, der diesmal — wir haben es auch vorhin gehört — dankenswerterweise einige beachtliche, andere abzulehnende Verbesserungen oder Veränderungen empfohlen hat, an die Herren Länderchefs und an die Herren Länderfinanzminister appellieren, im zweiten Durchgang
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967 6771
Rehsder jetzigen Novelle ungeachtet aller ihrer eigenen sonstigen finanziellen Sorgen mitzuhelfen, daß uns eine Wiederholung des unglücklichen Ganges der 18. Novelle erspart wird.Zu Einzelheiten des Regierungsentwurfs will ich Sie wegen der Kürze der Zeit nicht weiter in Anspruch nehmen. Ich möchte insoweit hier nur folgendes hervorheben, um wenigstens einige Richtlinien für die kommenden Ausschußberatungen zu geben.Ich halte es für ungerecht, Aussiedler nur deshalb von Ausgleichsleistungen auszuschließen, weil sie ihren Hof vor der Ausreise nicht an den polnischen Staat verschenkten, sondern ihn an irgendeinen erbberechtigten Deutschen übertrugen.Der Regierungsentwurf will dann nicht nur für die Schadensfeststellung und den Währungsausgleich Antragsfristen setzen, sondern auch bei der Kriegsschadenrente. Gegenüber der Fristsetzung beim Feststellungs- und Währungsausgleichsgesetz bedürfen die vorgesehenen Regelungen bei der Kriegsschadenrente meines Erachtens noch eingehender Überlegungen. Um die erforderliche Kontinuität zu wahren und Härten für die Vergangenheit zu vermeiden, sollte für alle Fälle eine Übergangsregelung geschaffen werden. Der Beginn der Fünfjahresfrist sollte daher auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Novelle und nicht rückwirkend festgelegt werden.Bei Geschädigten ferner, bei denen die Kriegsschadenrente deshalb ruht, weil sie noch berufstätig sind, muß meines Erachtens bei Aufgabe ihrer Tätigkeit die Antragsberechtigung für die Kriegsschadenrente auf jeden Fall erhalten bleiben. Es ist allein aus volkswirtschaftlichen Gründen völlig unvertretbar, die Geschädigten zur Aufgabe ihrer Tätigkeit zu zwingen, wenn sie sich den Anspruch auf Kriegsschadenrente erhalten wollen.Bei den Sowjetzonenflüchtlingen kann die Neufassung des § 264 Abs. 2 des Lastenausgleichsgesetzes meines Erachtens überhaupt keine Anwendung finden, weil sich die früher selbständigen Sowjetzonenflüchtlinge infolge des fast durchweg später liegenden Fluchtzeitpunkts keine ausreichende Altersversorgung schaffen konnten. Überdies ist zu berücksichtigen, daß sie keine der Hauptentschädigung entsprechende Ausgleichsleistung erhalten. Insoweit trifft die Begründung zu Nr. 8 Buchstabe b zu § 264 des Regierungsentwurfs nicht für Sowjetzonenflüchtlinge zu.Ich bin ferner der Ansicht, daß der Stichtag für die aus Mitteldeutschland gekommenen Vertriebenen um mehrere Jahre vorzuverlegen ist. Ebenso müssen meines Erachtens drei weitere Altersgruppen der ehemals Selbständigen in die Unterhaltshilfe und Entschädigungsrente hineinwachsen, weil sie mit 65 Jahren noch nicht einmal 120 % des Sozialhilfesatzes als Altersruhegeld erhalten.Nur noch ganz kurz! Weiterhin ist noch erforderlich, für zwei weitere Jahre Aufbaudarlehen zu gewähren, weil der Bedarf — auch für die Landwirtschaft — unverändert groß ist. Der Bundesrat und die Leiter der Landesausgleichsämter haben sich bereits für diesen Vorschlag ausgesprochen.Eine ganz besondere Sorge haben meine Freunde und ich schließlich wegen der Benachteiligung der ehemals Selbständigen unter den Flüchtlingen hinsichtlich der Alterssicherung. Hier sollten alle Anstrengungen unternommen werden, um zu einer Verbesserung zu gelangen, d. h. die den Flüchtlingen gewährte „besondere laufende Beihilfe" sollte den Sätzen der Vertriebenen angepaßt werden.Allein dieser sehr gekürzte kleine Katalog zeigt, daß neben der von mir eingangs schon angedeuteten grundsätzlichen Bedeutung dieser Novelle eine beträchtliche Anzahl von Einzelproblemen der Prüfung bedarf. Meine Freunde und ich werden an diese Prüfung mit Sorgfalt herangehen. Wir hoffen, daß es den gemeinsamen Anstrengungen und der guten Zusammenarbeit in den zuständigen Ausschüssen gelingen wird, diese 20. Novelle so zu gestalten, daß sie, wenn sie zur zweiten Lesung kommt, von dem Hohen Hause in dem Bewußtsein verabschiedet werden kann, daß wir auch auf diesem sehr schwierigen Gebiet ein beträchtliches Stück auf dem Wege zur weiteren Gerechtigkeit zurückgelegt haben.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rutschke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Anfang zwei Feststellungen treffen. Erstens. Das Lastenausgleichsvermögen — das Vermögen, aus dem die Entschädigungszahlungen geleistet werden — ist ein Sondervermögen. Es hat also mit dem Haushalt nur bedingt zu tun. Das muß man in Erinnerung rufen, weil nämlich sonst immer wieder die finanzielle Situation des Bundes auf dem Haushaltsgebietan die Wand gemalt wird, die mit dem Lastenausgleich nur sehr wenig zu tun hat.Die zweite Feststellung! Da, wo die öffentlichen Haushalte Zuschüsse leisten, insbesondere die Länder — was Sie, Herr Minister, angesprochen haben —, wird den Ländern eine Sozialhilfezahlung an die Geschädigten erspart. Deshalb sind die Länder auch verpflichtet, hier etwas zu tun, weil sie sonst 'einseitig begünstigt wären. Insofern, glaube ich, ist 'das Begehren .des Bundesrates oder der Länder — wie Sie gesagt haben, Herr Minister — ungerechtfertigt. Die Länder werden von Sozialhilfeleistungen entlastet, und deshalb ist es nur recht, wenn sie einen Teil der Kriegsschadenrenten und deren Kosten dann dem Bund ersetzen oder hier durch Zuschüsse beitragen.Nun, Herr Minister, ich bin darüber sehr enttäuscht, daß Sie als neuer Vertriebenenminis ter glauben, daß wir nun bis 1972/1973 keine Novellierung des Lastenausgleichsgesetzes mehr vornehmen sollten. Sie haben es zum Teil auch damit begründet, daß man die Verwaltungsarbeit scheue, daß man die Ämter in Ruhe arbeiten lassen wolle. Meine Damen und Herren, bei anderen Gesetzen
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6772 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967
Dr. Rutschkewurde dieser Einwand nicht gebracht. Da war klar— z. B. bei der Rentendebatte, die wir neulich hatten —, daß ganz erhebliche Verwaltungsarbeit auf die Verwaltung zukommen werde. Das spielte dort keine Rolle. Da hatten Sie andere politische Vorstellungen. Das immer beim LAG in den Vordergrund zu stellen halte ich nicht für sehr redlich. Das sollte man nicht tun. Im Lastenausgleich ist nämlich noch einiges zu tun.Ich kann mich durchaus dem ersten Teil Ihrer Ausführungen anschließen, Herr Kollege Rehs. Sie sagten, daß gerade dieser Personenkreis eine Geduld, ein Staatsbewußtsein bewiesen hat, die beachtlich sind; er solle jetzt dafür bestraft werden, daß er so ruhig gewesen ist, nicht demonstriert und nicht geschrieen hat.Zur 20. Novelle selbst kann ich nur sagen: sie ist eine Novelle von geringem Umfang. Andere Leistungsnovellen unter einer anderen Regierung waren in der Vergangenheit wesentlich, aber wesentlich großzügiger. Ich glaube, daß für diese 20. Novelle das folgende Wort 'zutrifft: Tant de bruit pour une omelette! Was hier gemacht wird, ist auf Grund der Entwicklung seit Jahrzehnten, möchte ich sagen, selbstverständlich. Einige weitere Verbesserungen in der 20. Novelle sind technischer Art und keine 'besonderen Leistungsverbesserungen. Wir haben in der Vergangenheit wesentlich mehr auf diesen Gebieten getan.Verehrter Herr Kollege Rehs, vor langer Zeit ist schon einmal aus einem Saulus ein Paulus geworden. Ich freue mich natürlich, daß jemand, wenn man das mit diesen Worten Saulus und Paulus verbinden kann, zur Seriosität kommt. Das ist sicherlich ein Fortschritt. Aber er muß sich dann gefallen lassen, daß man auch das erwähnt, was er früher gesagt hat. Ich kann mir vorstellen, daß Sie, verehrter Herr Kollege Rehs, bei der 16. Novelle oder bei einer anderen, der 12. Novelle, wo Verbesserungen im Umfang von Milliardenbeträgen geleistet wurden, hier standen und ganz andere Töne angeschlagen haben, wie wenig getan worden sei. Bei der 20. Novelle haben Sie sich in sehr liebenswürdiger Weise geäußert. Nun ja, die Zeiten ändern sich.
— Sehen Sie, das ist der Irrtum, verehrter Herr Schmitt. Sie müssen nicht von Sachen reden, von denen Sie nichts verstehen. Ich habe nämlich zu Anfang gesagt, daß das ein Sondervermögen ist, das nicht vom Haushalt beeinflußt ist. Das haben wir immer wieder gepredigt, und da kommen Sie immer wieder mit denselben Einwänden, die falsch sind.
— Herr Kollege Schmitt, ich kann Ihnen nur sagen, es lohnt sich nicht, auf Ihren Zwischenruf einzugehen, weil er absolut falsch ist. Sie haben ja einemittelfristige — — aber lassen Sie, ich komme schon noch darauf. Diese Frage werde ich auch noch erörtern.
Meine Damen und Herren, wir haben schon fast 2 Uhr. Ich bitte doch, die Beratung nicht durch — Zwischenrufe kann ich kaum noch sagen — Zwischenreden zu verlängern.
— Herr Präsident, ich weiß nicht, wollen Sie Herrn Schmitt das Wort geben?
Meine Damen und Herren, wir sind hier so wenige geworden, daß ich Verständnis dafür habe, daß der Umgangston so wird wie in einem Ausschuß. Trotzdem ist das nicht zweckmäßig. Ich bitte, den Redner einmal allein reden zu lassen, damit wir zu einem Ende kommen.
Danke schön, Herr Präsident. — Meine Damen und Herren, ich denke z. B. an die 18. Novelle, die seinerzeit wegen des Einspruchs des Bundesrates nicht sehr glücklich gelaufen ist. Dort hatte ein sehr prononcierter Sozialdemokrat — ich will den Namen hier verschweigen —
einen ganz erheblichen Anstoß gegeben. — Ich kann ihn gerne zitieren, wenn Sie es wünschen. Ich wollte es bisher nicht tun. Dieser Sozialdemokrat hat im Bundesrat erheblichen Anteil an der Stoppung. der 18. Novelle gehabt. Diese 18. Novelle wurde von diesem Hause einmütig beschlossen, und der Vermittlungsausschuß war nicht in der Lage, die Länder davon zu überzeugen, daß die vom Bundestag beschlossene 18. Novelle eine gerechte Lösung darstellte. Es kam also der Einspruch des Bundesrates, es folgte ein entsprechender Beschluß des Vermittlungsausschusses, und so wurden dann diese Leistungen ganz erheblich reduziert. Es war kurz vor einer Wahl. Das spielt hier wahrscheinlich eine gewisse Rolle.
— Ja, ja, es war so, Herr Kollege Kuntscher!
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Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967 6773
Dr. RutschkeBei der Verabschiedung dieser Novelle hat dann der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Herr Dr. Barzel, hier Erklärungen abgegeben, um zu begründen, weshalb die CDU/CSU-Fraktion dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses — Reduzierung dieser Novelle — zustimmen werde. Er hat zur Begründung folgendes gesagt — ich darf diesen Passus vielleicht mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vorlesen —:Der Beschluß des Bundestages zu dieser 18. Novelle, der zur Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat geführt hat, war und ist nach unserer Meinung vernünftig.— Der Beschluß des Bundestages, nicht der des Vermittlungsausschusses! —Sein finanzielles Volumen ist gedeckt durch die Schätzung der Bundesregierung. Wir bedauern das Votum des Bundesrates und auch einen Teil des Votums des Vermittlungsausschusses als zu weitgehend. . . .Wie legen . . . Wert darauf, festzustellen, daß dies nur ein Teil dessen ist, was wir selbst für nötig halten. Den Rest wird der nächste Deutsche Bundestag alsbald in Angriff nehmen müssen.Und später sagt er dann: Damit aber niemand — —
Herr Abgeordneter Dr. Rutschke, da Sie nur mit meiner Genehmigung verlesen dürfen — reden dürfen Sie ja eine Stunde —, bitte ich Sie doch, nicht den ganzen Artikel zu verlesen.
Entschuldigen Sie, Herr Präsident, das ist ein Zitat aus dem Bundestagsprotokoll.
Aber auch nicht die ganze Barzel-Rede, wenn ich bitten darf!
Nein. Entschuldigen Sie, ich bin ja gleich fertig.Herr Dr. Barzel sagt dann weiter:Damit aber niemand in den nächsten Wochen etwa meint, dies sei eine falsche Haltung, oder damit hier nicht falsch interpretiert wird, möchte ich noch einmal sagen: Der restliche Teil gilt für uns nach wie vor als eine vernünftige Sache, die nur im Augenblick angesichts der Lage der gesetzgebenden Körperschaften nicht realisiert werden kann.So der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU zur 18. Novelle! Wir haben inzwischen die 19. Novelle gehabt. Daran, daß er vor dem Deutschen Bundestag, vor aller Öffentlichkeit zugesagt hat, die fehlenden Teile der 18. Novelle nachzuholen, hat Herr Dr. Barzel nicht mehr gedacht. Und wir sehen es jetzt: in der 20. Novelle wird es genausowenig getan.Meine Damen und Herren, wenn sich jemand in der Öffentlichkeit so festlegt, muß er sich auch überlegen, ob er der Demokratie dadurch einen Gefallen tut, daß er, wenn diese Frage wieder auf die Tagesordnung kommt, meint, er könne sich einfach daran vorbeidrücken.
So kann man das nicht machen. Damit werten Sie das Parlament ab. Man wird Ihnen draußen sagen — und das wird uns oft genug gesagt, Herr Rehs —: „Was habt ihr seinerzeit versprochen?" Wir werden nämlich alle in einen Topf geworfen; wir sind eben „die aus Bonn". „Was habt ihr bei der 18. Novelle versprochen — und jetzt ist nichts daraus geworden!" Das ist mit zu bedenken. Es geht nicht nur um Leistungen.
— Nun, ich kann ja gern, Herr Schmitt, einige Zitate von Herrn Rehs bringen, der sich ähnlich geäußert hat und der heute nur sehr doucement das vertreten hat, was er früher mit sehr viel Stimmaufwand vertrat.Die Bundesregierung hat eine mittelfristige Finanzplanung vorgelegt. Wir vermissen darin die Berücksichtigung gerade der Fragen im Zusammenhang mit dem Lastenausgleich, die ja zum Teil auch wirtschaftliche Fragen sind, — Existenzaufbauhilfe usw. Uns wurde früher, wenn wir Forderungen im Rahmen des Lastenausgleichs zugunsten der Geschädigten erhoben, entgegengehalten, das wäre konjunkturanheizend, man könne das nicht machen, man würde damit die Währung verschlechtern. Nun gilt heute an sich das genau entgegengesetzte Argument. Nicht nur Herr Minister Schiller, sondern auch Herr Minister Strauß fordert ja geradezu auf, konjunkturwirksame Ausgaben zu machen. Ich glaube, es bestände sehr wohl die Möglichkeit, gerade auf dem Gebiet des Lastenausgleichs, der ja, wie uns damals entgegengehalten worden ist, konsumfördernd sein soll, durch Vorfinanzierung, insbesondere durch die Wiederherstellung der fehlenden Teile der 18. Novelle, etwas zu tun. Ich habe das in einem Brief auch Herrn Minister von Hassel zur Verfügung gestellt; Sie haben ja auch darauf geantwortet, Herr Minister.Diese Förderung des Lastenausgleichs hätte den Vorzug, daß zwar eine Vorfinanzierung erfolgte, die Rückzahlung dieser Beträge dann aber aus Mitteln des Lastenausgleichs vorzunehmen wäre. Es hätte also den Vorzug, daß nicht die Regierung weiter Schulden machen müßte, sondern nur in einem Vorgriff auf den Lastenausgleich Beträge zur Verfügung zu stellen hätte, die möglicherweise im Wege des Kredits aufgenommen werden bzw. aus dem Gesamtprogramm heraus genommen werden könnten und später aus den Lastenausgleichsmitteln, die einkommen — es ist ja nur eine Frage der Liquidität — zurückzuzahlen wären.Meine Damen und Herren, ich möchte Sie bitten, daß wir bei der Beratung dieser 20. Novelle im
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6774 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 133. Sitzung. Bonn, Freitag, den 10. November 1967
Dr. RutschkeKriegsfolgenausschuß auch diese Gesichtspunkte mit beherzigen. Wir behalten uns vor, einige Anträge zu stellen.Ich bitte um Überweisung der Vorlage der Regierung an den zuständigen Ausschuß.
Das Wort hat der Abgeordnete Kuntscher.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will mich an die Mahnung des Herrn Präsidenten halten und mich in der Erwiderung auf das, was besonders der Kollege Rutschke gesagt hat, so kurz wie möglich fassen.Auf der Tagesordnung steht die 20. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz. Meine Herren Vorredner, meine lieben Kollegen, haben natürlich eine allgemeine Vertriebenen- und Flüchtlingsdebatte daraus gemacht, sind auf alle Gebiete gereist. Es ist eben ein Zusammenhang, und man kann diese Dinge sehr schwer auseinanderhalten. Aber, meine Damen und Herren, in der vorletzten Sitzung des Kriegsfolgenausschusses hat Herr Minister von Hassel ein Konzept entwickelt, das von allen anwesenden Parteienvertretern in diesem Ausschuß dankbar begrüßt wurde. Zu diesem Konzept, das sich natürlich auf längere Zeitdauer erstreckt und selbstverständlich auch die Zonenflüchtlinge einschließt, hat sich auch der Vertreter der FDP — ich glaube, Kollege Rutschke war nicht im Ausschuß, aber Kollege Schmidt — lobend und anerkennend ausgesprochen.
— Das wollen wir ja hoffen. Herr Minister a. D., Sie haben ja gleichfalls das Ressort einige Zeit geführt, und Sie kennen die Schwierigkeiten, die in dieser kurzen Zeit auch auf Sie zugekommen sind.Aber ich will keine weiteren Ausführungen über das ganze Gebiet der Vertriebenen und Flüchtlinge machen, sondern ich möchte mich an das halten, was auf der Tagesordnung steht, an die 20. Novelle, und zwar mit einigen wenigen Sätzen.In dieser bescheiden so genannten 20. Novelle geht es um 56 Paragraphen, die zu ändern sind. Das ist allerhand. Mit einbezogen sind natürlich das Feststellungsgesetz, das Währungsausgleichsgesetz, das Beweissicherungsgesetz für die Zonenflüchtlinge, das BVFG und noch andere Begleitgesetze. In diesen 56 durch die Bestimmungen der 20. Novelle zu ändernden Paragraphen sind einige von sehr großer Bedeutung, auch wenn die Änderungen keine große finanzielle Belastung mit sich bringen. Ihre Auswirkungen werden wir uns im Ausschuß sehr wohl überlegen müssen.Ich begrüße, daß man in ,der 20. Novelle eine Ausschlußfrist setzt. Aber auch dabei werden wir uns noch genau ansehen müssen, wie diese Ausschlußfrist angewendet werden soll.Über die finanziellen Auswirkungen dieser Novelle ist vorhin schon gesprochen worden. Die Novelle bringt eine Erhöhung der Unterhaltshilfe und damit eine Erhöhung der Einkommensgrenzen für die Kriegsschadensrente, und zwar sowohl für diejenigen, die Kriegsschadensrente beziehen, als auch für diejenigen, die nur Entschädigungsrente haben, d. h. die nur ihre Entschädigung verrenten ließen und sie nun aufspeisen. Die Kosten — die Schätzung beläuft sich auf 730 Millionen DM — gehen fast ausschließlich zu Lasten des Ausgleichsfonds. Nur .der kleine Teil der Kriegsschadensrente wird auf die Landeshaushalte fallen, aber nicht jetzt, weil der Plafonds von 1300 Millionen DM für die Kriegsschadensrente weit überschritten ist und 'der Fonds als solcher die Lasten tragen muß, die über 1300 Millionen DM hinausgehen.Die technischen Änderungen in der Novelle sind verschiedenster Art. Sie sind zum Teil zu begrüßen. Zum Teil werden wir uns Gedanken machen müssen, ob wir den Vorschlägen des Regierungsentwurfs auf allen Gebieten folgen können. Besonders die Änderungen, die mehr oder weniger ohne Zusammenhang angehängt sind — die Änderung des Feststellungsgesetzes, die Änderung des Währungsausgleichsgesetzes und die Änderung des Bundesvertriebenengesetzes —, sind von außerordentlich einschneidender Bedeutung. Ich möchte fast sagen, die Väter dieser Änderungsvorschläge haben sich die Probleme, die darin stecken, wahrhaftig sehr leicht gemacht. Sie wären zu anderen Ergebnissen gekommen, wenn sie sich mit Leuten, die betroffen sind, oder Institutionen aus dem Osten, die 'betroffen sind — das gilt besonders für den Vorschlag zur Änderung des Währungsausgleichsgesetzes —, einmal zusammengesetzt und mit ihnen beraten hätten.Unsere Anliegen, die in dieser 20. Novelle nicht erfüllt worden sind, bleiben bestehen. Dabei handelt es sich einmal, wie vorhin schon gsagt wurde, um den Stichtag derjenigen Heimatvertriebenen, die in der Zone Zwischenstation gemacht haben und dann erst ins Bundesgebiet gekommen sind. Dieser Stichtag wurde seinerzeit, ich glaube in der 16. Novelle, auf den 31. Dezember 1961 festgelegt. Inzwischen sind sechs Jahre vergangen. Wir werden hierüber im Ausschuß Überlegungen anstellen.Die Fortführung der Aufbaudarlehen ist wichtig und notwendig. Diese Aufbaudarlehen belasten ja in keiner Weise den Bundeshaushalt, sondern kommen aus dem Fondsvermögen. Das gleiche gilt für die Hereinnahme weiterer Jahrgänge ehemaliger Selbständiger in die Kriegsschadensrente.Herr Kollege Rutschke, Sie haben in Ihren Ausführungen u. a. die Erklärung unseres Fraktionsvorsitzenden Dr. Barzel, die er in der Feriensondersitzung anläßlich der 18. Novelle am 23. Juli 1965 abgegeben hat, so hingestellt, als sei davon nichts erfüllt worden.
Ich stelle hier ganz klar und deutlich fest, daß bereits in der 19. Novelle, also in der zuletzt verabschiedeten Novelle eine bessere Regelung in bezug auf die Anhebung der Hauptentschädigung — das
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Kuntscherwar unser Hauptanliegen — enthalten ist, als sie in der 18. Novelle vorgesehen war.
— Stimmt das oder stimmt das nicht?
— Unser Hauptanliegen war die Anhebung der Hauptentschädigung. Ihr Hauptanliegen kenne ich: mit der Gießkanne noch jedem Hausratsentschädigten hundert oder zweihundert Mark dazuzugeben.
— Auf Grund Ihrer Verbandstätigkeit sind Sie natürlich verpflichtet, diese Dinge immer wieder anzuschneiden.
— Es tut mir leid, daß ich das in dieser Offenheit sagen muß, aber es ist eine Tatsache.Sie haben ferner von der Vorfinanzierung mit Krediten gesprochen. Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß wir, seit einigen Jahren erstmals wieder, für das Jahr 1967 500 Millionen DM von der Bundesregierung bewilligt bekommen haben. Diese 500 Millionen DM sind, wie der letzte Vierteljahresbericht des Präsidenten des Bundesausgleichsamtes besagt, fast vollständig besorgt. Wir sind in der Lage und werden das in der nächsten Kontrollausschußsitzung beschließen — der Termin liegt schon fest —, drei weitere Jahrgänge, die unter der gesetzlichen Altersgrenze von 65 Jahren liegen, voll in die Auszahlung der Hauptentschädigung einzubeziehen. Es wird also schon etwas getan, es geht vorwärts. Diese drei Jahrgänge werden also ihre Hauptentschädigung ganz erhalten. Angesichts dieser so erreichten Liquidität wird auch für die Spareinlagen die Regelung der Erfüllung von Hauptentschädigungen weiter ausgebaut werden, und es wird versucht werden, zu erreichen, daß über die Grenze von 500 Millionen DM hinausgegangen werden kann.Im übrigen möchte ich auf die einzelnen Probleme, die in dieser 20. Novelle stecken, jetzt nicht eingehen. Ich sagte einleitend schon, daß es sich um die Änderung von 56 Paragraphen handelt, in manchen Fällen mit sehr einschneidender Wirkung, so daß wir im Ausschuß grundsätzliche Überlegungen werden anstellen müssen. Sicher ist jedenfalls, daß wir uns im Ausschuß bemühen werden, so schnell wie möglich vorwärtszukommen, damit diese 20. Novelle dem Hohen Hause recht bald zur zweiten und dritten Lesung vorgelegt werden kann.Auf diese Bemerkungen will ich mich beschränken. Ich hätte zwar noch sehr vieles auf dem Herzen, aber bei der „Fülle" des Saales ist es wirklich eine Zumutung an die treu Dagebliebenen, sie noch länger aufzuhalten.
Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob es eine Zumutung ist. Jedenfalls scheint, nachdem die erste Runde beendet ist, eine zweite Runde anzuheben. Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Erster Satz: Wir bedauern, daß die Vereinbarung nicht zustande gekommen ist, die Debatte auf Mittwoch zu vertagen, so daß wir wirklich intensiv über die Probleme hätten sprechen können.
Zweiter Satz: Die Töne des Herrn Bundesvertriebenenministers waren heute anders als in der Regierungserklärung. Wir freuen uns, daß unsere Kritik Erfolg gehabt hat.
Dritter Satz: Die Zahl der Paragraphen allein sagt nichts über die Qualität des Gesetzes.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will versuchen, in weniger als zehn Minuten ein paar Gedanken zu dem zu äußern, was vorgetragen wurde.Nichts zu den Details! Was hier von dem Kollegen Rehs und von den anderen Sprechern der Fraktionen gebracht wurde, wird in ,den Ausschüssen behandelt werden. Es gibt manches, das durchaus mein Verständnis findet, es gibt manches, wo wir andere Argumente dagegensetzen müssen. Das wird in den einzelnen Beratungen vorgetragen werden.Das Zweite. Ich möchte ein paar Worte sagen zu dem Zwischenruf Ihres Kollegen Schmitt im Zusammenhang mit der Forderung auf Mehrleistungen in dieser Novelle oder in künftigen Novellen. Es gibt da eine Kontroverse zwischen Herrn Schmitt und dem Sprecher der Freien Demokraten, Herrn Dr. Rutschke. Tatsache ist doch folgendes: Der Lastenausgleich wird außerhalb des Haushalts behandelt mit der Ausnahme, daß dann, wenn die soziale Seite eine gewisse Marge überschreitet, die Länder mit eintreten müssen. Insofern ist eine Kombination zwischen dem Ausgleichsvermögen und den Haushalten der Länder vorhanden. Herr Kollege Rutschke, es ist für uns nur möglich, über feststellbare Reserven aus diesem Vermögen zu verfügen. Wenn wir glaubten, daß über Reserven gegenwärtig noch nicht verfügt werden kann, weil sie nicht sichtbar sind, wäre es von dem zuständigen Minister, glaube ich, leichtfertig, eine Vorlage zu machen, die diese Chancen, ,die das Vermögen vielleicht noch bringt, irgendwie antizipiert, und nachher würde dann festgestellt, die Reserven waren nicht 'da, und die Haushalte von Bund und Ländern müßten dann eintreten. Insofern hat der Zwischenruf des Herrn Kollegen Schmitt den Kern der Sache völlig getroffen.Das Dritte, verehrter Herr Kollege Rutschke. Sie zitieren die 18. Novelle, deren Schicksal Sie bekla-
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Bundesminister von Hasselgen, vergessen aber, hinzuzufügen, daß durch die exzessiven Vorschläge, die damals doch von Ihnen gekommen sind, diese Novelle einfach zum Scheitern verurteilt gewesen ist.
Das Vierte aus Ihrer Darstellung ist folgendes. Ich 'hoffe, daß wir aus diesem Punkt alle etwas lernen. Wenn nach der Verabschiedung einer solchen Novelle — damals war es die 18. Novelle — die Sprecher der Fraktionen noch einmal Idas Wort nehmen, sind sie in .einer miserablen Lage, weil vor einer Bundestagswahl niemand [die Dinge so richtig beim Namen zu nennen weiß, da er Befürchtungen hegt, im Zusammenhang mit der Wahl könnte es Schwierigkeiten geben. Dieser Vorwurf oder diese Betrachtung gilt allen Fraktionen. Ich habe .die Hoffnung, daß wir aus den vergangenen zwei oder drei Jahren gelernt haben und daß im Jahre 1969 derartige Aussagen vorher nicht gemacht werden. Das an uns selbst.Die Frage ist aber, Herr Kollege Rutschke, ob nicht auch jene ein gewisses Mitverschulden trifft — ich spreche nicht Sie an, sondern meine allgemein [die Verbände, die an die Parteien solche Forderungen auf Äußerungen richten —, [die die Lage vor einer Wahl dazu ausnutzen, die politischen Parteien mehr oder 'weniger unter Druck zu setzen, unter den Aspekten einer Vorwahizeit Versprechungen zu machen, die noch nicht ganz klar zu übersehen sind. Bei den Verbänden, die an die Parteien die Forderung richten, sich vorher zu äußern, liegt nach meinem Dafürhalten ein ganz wesentlicher Teil des Mitverschuldens an der Misere, die darin besteht, daß die Parteien Versprechungen gemacht haben, die sich nun bei anderen finanziellen Verhältnissen als nicht erfüllbar erweisen. Dadurch ist es zu diesen Schwierigkeiten gekommen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Rutschke?
Herr Minister, haben Sie vergessen, daß die Vorlage vom Bundestag einstimmig beschlossen worden war?
Sie wissen, daß die Vorlage der Bundesregierung seinerzeit ganz anders ausgesehen hat. Im Parlament sind dann nachher von der einen Seite die Vorschläge gekommen, und die andere Partei folgte; dann konnte sich die dritte gar nicht mehr entziehen. Insofern sollte man also nicht zwischen Schuld und Mitschuld oder Alleinschuld und Mitverantwortung unterscheiden oder darüber rechten.Zu den Ausführungen des Kollegen Rehs möchte ich drei Bemerkungen machen. In Ihrer Anfangsbetrachtung, Herr Kollege Rehs, haben Sie gesagt, man höre draußen das Wort: Wer nach 22 Jahren nichts bekommen hat, hat Pech gehabt. Man beklage sich, daß das Ganze mit einer großen Handbewegung vom Tisch gefegt werde. — Ich möchte nicht nur für mich persönlich, sondern für manchen, der in den letzten Monaten mitgewirkt hat, in Anspruch nehmen, daß wir draußen in der Öffentlichkeit diese Art der Betrachtung weithin haben eliminieren können, indem wir durch sachliche gute Argumente für die Sache geworben haben. Sie wurden in einer solchen Form des Vortrages gebracht, daß man sie hörte, weil sie nicht radikal und nicht in der Form des Auf-den-Tisch-Hauens gebracht worden sind. Dadurch ist heute draußen das Verständnis dafür vorhanden, daß man ungelöste Fragen nach 22 Jahren nicht löst, indem man sie in den Papierkorb schmeißt, sondern indem man versucht, eine faire Lösung zu finden. Insofern ist die Haltung der Regierung dadurch gekennzeichnet, daß sie die Frage nicht vom Tisch wischt, weil 22 Jahre vergangen sind. Sie wird sich vielmehr ernsthaft bemühen — wenn sie auch keine großartige Sache machen kann, weil uns das nicht möglich ist, — doch zu einer fairen Lösung zu kommen.Sie sprachen dann weiter über die Ostdenkschrift der Evangelischen Kirche und sagten zu dem .sozialen Teil der Denkschrift, daß sich — obwohl man von der Kirche entsprechende Konsequenzen hätte erwarten müssen — niemand so recht gerührt habe. Ich möchte Ihnen, Herr Kollege Rehs, hier erklären, daß meine Gespräche mit den Vertretern meiner eigenen Evangelischen Kirche mir gezeigt haben, daß dort ohne jeden Zweifel und ohne jedes Wenn und Aber die großen Fragen der Eingliederung — etwa der landwirtschaftlichen Siedler oder der Gleichstellung der Flüchtlinge — genauso wie bei Ihnen oder den übrigen Sprechern, die heute geredet haben, oder bei mir gesehen werden. Ich möchte anerkennen, daß wir auch die Hilfe der Evangelischen Kirche haben, diese Fragen, die noch nicht gelöst sind, einer Lösung zuzuführen. Im gleichen Atemzug möchte ich hinzufügen, daß der auf der katholischen Seite zuständige Bischof für die Betreuung der Vertriebenen und der Flüchtlinge, der Bischof von Hildesheim, Bischof Jansen, dies in einem Brief ebenfalls sehr deutlich dokumentiert hat, einem Brief, für den ich an dieser Stelle danken möchte.Nun zum dritten Punkt Herr Kollege Rehs. Sie sagen, die besondere Sorge gilt der Alterssicherung ehemals selbständiger Flüchtlinge. Ihnen wird vielleicht bekanntgeworden sein, daß der Herr Bundeskanzler in dieser Woche die Aktionsgemeinschaft der mitteldeutschen Flüchtlingsverbände zu einem Gespräch empfangen hat, bei dem außer dem Herrn Bundeskanzler der Gesamtdeutsche Minister und ich als zuständiger Fachminister zugegen gewesen sind. Der Herr Bundeskanzler hat bei diesem Petitum einer besseren Ordnung der Alterssicherung der ehemals selbständigen Flüchtlinge zu erkennen gegeben, daß er für dieses Anliegen wirklich Interesse hat. Er hat echte Anteilnahme an diesem Problem bekundet. Ich glaube, wir haben keine Schwierigkeiten, wenn im Ausschuß in dieser Richtung eine entsprechende Aktion unternommen wird.Das letzte ist nur eine Randbemerkung. Ich glaube, Sie stimmen mit mir darin überein, daß es nicht gut wäre, wenn aus der Leere dieses Saales draußen bei den betroffenen Vertriebenen- und
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Bundesminister von HasselFlüchtlingsverbänden etwa auf das Interesse des Bundestages an der Lösung des hier zur Debatte stehenden Problems geschlossen würde. Man könnte ja aus der gähnenden Leere schließen, daß das Parlament daran offensichtlich kein Interesse hat. Wir standen vor der Frage, ob wir diesen Punkt auf Mittwoch verschieben oder heute beraten sollten. In der nächsten Woche haben wir aber eine außergewöhnliche Geschäftslage, die es untunlich erscheinen ließ, die Behandlung auf die nächste Woche zu verschieben. Ich persönlich bin daher dankbar — auch wenn das Haus schlecht besetzt ist —, daß wir den Punkt heute erledigt haben, weil in der Zwischenzeit der verantwortliche Ausschuß sehr rasch an die Arbeit gehen kann. Es kann also im Sinne der Vertriebenen, der Flüchtlinge und der Kriegssachgeschädigten rasch mit der Arbeit begonnen werden. Ich glaube, daß die wenigen, die in dieser mittäglichen Stunde ausgeharrt haben, der ganzen Sache gedient haben.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Kriegs- und Verfolgungsschäden — federführend — sowie dem Ausschuß für Angelegenheiten der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge und dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung — letzterem auch gemäß § 96 der Geschäftsordnung — zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Entwicklungshilfe-Steuergesetzes
— Drucksache V/2197 —
Auf Begründung und Aussprache wird verzichtet. Der Abgeordnete Dr. Koch gibt eine Rede zu Protokoll *).
Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf an den Finanzausschuß — federführend — und an den Ausschuß für Entwicklungshilfe zur Mitberatung sowie gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. — Widerspruch erfolgt nicht; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den 15. November, 14 Uhr. Die Sitzung ist geschlossen.