Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Zunächst eine Mitteilung: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird die heutige Tagesordnung erweitert um die Beratung des Antrags der drei Fraktionen über die Wahl der Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses. — Das Haus ist einverstanden. Es ist so beschlossen.
Der Präsident ides Hauses bittet, noch folgendes bekanntzugeben: Heute nachmittag werden folgende Ausschüsse konstituiert: Finanzausschuß, Ausschuß für Sozialpolitik, Innenausschuß, Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen, Haushaltsausschuß und Rechtsausschuß.
Die Ausschüsse haben dann morgen Gelegenheit zu tagen. Für Freitag, den 3. Dezember, ist Präsenzpflicht allerdings nicht angeordnet. Es wird aber .gebeten, daß die Ausschüsse, die dringende Vorlagen zu bearbeiten haben, diese Sitzungsmöglichkeiten ausnutzen.
Wir fahren fort mit der Fragestunde , zunächst die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Ich rufe die Frage XI/35 — des Herrn Abgeordneten Matthöfer — auf:
Wann wird über den Antrag der Stadt Frankfurt auf Anerkennung der in Bauvorbereitung befindlichen Nordweststraße als Zubringerstraße einer Bundesstraße — der vom Hessischen Minister für Wirtschaft und Verkehr befürwortend weitergeleitet wurde — entschieden?
Bitte, Herr Minister!
In den zurückliegenden Verhandlungen mit der Stadt Frankfurt am Main und der Hessischen Auftragsverwaltung über die Straßenbauplanungen im Großraum Frankfurt wurde bisher übereinstimmend mit der Gesamtverkehrsplanung der Stadt Frankfurt am Main, zu deren Durchführung seitens des Bundes im Vorfeld der Stadt und auf anbaufreien Strecken einschließlich von Zuschüssen nach den 'bisher geltenden Richtlinien nicht weniger als 750 Millionen DM erwartet werden, die Auffassung vertreten, der Bau der Nordweststraße diene der
Erschließung der neuen Nordweststadt und sei daher eine städtische Aufgabe. Daher bedarf der dem Bundesminister für Verkehr erst unter dem 18. Oktober vorgelegte und nicht vorbesprochene Antrag der Stadt auf Anerkennung dieses neu zu bauenden Straßenzuges als Zubringerstraße zu einer Bundesstraße einer eingehenden Prüfung der hierfür erforderlichen haushaltsrechtlichen und finanziellen Voraussetzungen, zumal für den überörtlichen Verkehr zwischen Frankfurt am Main und dem Raum Oberursel/Feldberg auch die beiden Landstraßen 3267 und 3004 zur Verfügung stehen. Ich bin bestrdbt, die Entscheidung über den Antrag, zu der ich der Zustimmung des Herrn Bundesministers der Finanzen bedarf, so schnell wie möglich herbeizuführen. Für den Fall, daß die Entscheidung positiv ausfällt, muß ich darauf hinweisen, daß die Haushaltsenge nur im Wege des Mittelausgleiches erlaubt, Zuschüsse—es werden 34 Millionen DM gefordert — für den Bau dieser neuen, bisher nicht eingeplanten Nordweststraße zu gewähren. Zusätzliche Mittel für derartige Aufgaben können über die bestehenden Straßenbaupläne hinaus ganz allgemein voraussichtlich erst in Durchführung des Enquetegutachtens eingeworben werden.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Matthöfer.
Herr Minister, werden Sie und der Herr Finanzminister bei Ihrer Entscheidung die Bemerkung des Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung über die Bedeutung der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden gebührend in Betracht ziehen?
Selbstverständlich werden wir das tun. Im Augenblick kann ich nicht dazu Stellung nehmen, was der Herr Finanzminister tut, weil mir die Angelegenheit erst jetzt unterbreitet worden ist. Aber das tun wir selbstverständlich. Nur ist es natürlich erstaunlich, daß bei einer solchen engen Zusammenarbeit, wie wir sie mit der Stadt Frankfurt haben, die noch vor wenigen Monaten zu einer eingehenden Diskussion über die Pläne in und um Frankfurt geführt hat, von dieser Nordweststraße kein Ton gesagt wird und jetzt plötzlich über Nacht der Antrag kommt.
340 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965
Keine weitere Frage.
Frage XI/36 — des Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Emmert —:
Wird der Bundesverkehrsminister darauf hinwirken, daß entsprechend der im Sommer 1965 abgeschlossenen Vereinbarung zwischen dem Land Rheinland-Pfalz und der Deutschen Bundesbahn die sogenannten Als-ob-Tarife im potentiellen Wettbewerb gegen den geplanten Saar-Pfalz-Kanal beschleunigt für das Gebiet der Pfalz eingeführt werden?
Herr Minister!
Der Bundesminister für Verkehr hat keine Handhabe, auf die Deutsche Bundesbahn wegen der Einführung von Als-ob-Tarifen für Rheinland-Pfalz einzuwirken. Nach den Verkehrsgesetzen liegt die Tarifinitiative ausschließlich bei den Verkehrsträgern. Im übrigen konnte die Deutsche Bundesbahn bisher noch keine Anträge auf Genehmigung von Als-ob-Tarifen für das Gebiet der Pfalz stellen, weil zur Errechnung der einzelnen Frachtsätze zunächst maßgebliche Fragen geklärt werden mußten. Die Tarifanträge der Deutschen Bundesbahn sind nunmehr in Kürze zu erwarten. Falls keine gesetzlichen Ablehnungsgründe vorliegen, werde ich sie möglichst umgehend genehmigen. Ich darf aber darauf hinweisen, daß die Frage der Als-ob-Tarife grundsätzlich noch nicht mit Luxemburg und mit Brüssel geklärt ist.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, bis wann wird mit einer Genehmigung der Als-ob-Tarife in Brüssel und Luxemburg zu rechnen sein?
Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Wir haben uns bisher bemüht, die Ablehnung zu verhindern.
Eine weitere Frage.
Herr Minister, ist es richtig, daß die Als-ob-Tarife in der Pfalz — im Gegensatz zum Saarland — bisher deshalb noch nicht eingeführt sind, weil Meinungsverschiedenheiten zwischen Ihrem Ministerium und der Landesregierung von Rheinland-Pfalz bezüglich der Wasserfrachten dadurch bestehen, daß die Beamten Ihres Ministeriums von fiktiven Wasserfrachten ausgehen und die echten Marktfrachten vernachlässigen?
Verzeihung, die Situation ist so, daß die Fragen noch nicht ganz geklärt sind. Die Als-ob-Tarife können höchstens kanalgleich sein, sonst würden sie nicht als Wettbewerbstarife anerkannt werden können. Dazu ist es notwendig, diese Wasserfrachten exakt zu ermitteln. Hier bestehen natürlich gewisse Schwierigkeiten wegen verschiedener Auffassungen. Da wir aber mit dem Saarland bezüglich der Wasserfrachtsätze klargekommen sind, ist nicht einzusehen, daß man nicht auch bei der Pfalz zu einer Übereinstimmung kommen kann.
Frage XI/37 — des Herrn Abgeordneten Dr. Müller-Hermann —:
Ist die Bundesregierung bereit, bis zur Installierung eines entsprechenden Flugdienstes für die Lufthansa die Aufrechterhaltung der für die bremische Wirtschaft außerordentlich wichtigen Spätflugverbindung der KLM von Amsterdam nach Bremen zu gewährleisten, die im Zusammenhang mit einer vom Bundesverkehrsministerium geforderten Reduzierung des Zwei-PunkteVerkehrs der KLM innerhalb der Bundesrepublik am 1. Dezember d. J. eingestellt werden soll?
Die Bundesregierung ist darum bemüht, diejenigen Flugverbindungen ausländischer Flugliniengesellschaften, wie das die anderen Länder bei unserer Lufthansa auch tun, bei denen zwei Punkte im Bundesgebiet angeflogen werden, weiter abzubauen, weil wir grundsätzlich den Punkt-zu-PunktVerkehr anstreben, der im Zeitalter der Düsenflugzeuge zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Nachdem bereits mehrere ausländische Gesellschaften auf die Ausübung solcher Rechte verzichtet haben, sind Verhandlungen auch mit der niederländischen Regierung und der KLM mit dem Ziel einer stufenweisen Reduzierung der Zweipunktbedienungen geführt worden. Für den Winterflugplan 1965/66 konnte eine Verringerung der bisherigen 64 wöchentlichen Zweipunktbedienungen auf 58 ab 1. Dezember 1965 erreicht werden. Hierbei lege ich Wert auf die Feststellung, daß der KLM hinsichtlich der im Bundesgebiet auszulassenden Punkte die freie Wahl gelassen wurde. Der Ausfall der von Ihnen genannten Spätverbindung nach Bremen beruht daher auf eigenem Entschluß der KLM.
In Anbetracht dessen, daß diese Strecke der KLM für die Wirtschaft in Bremen eine wichtige Spätverbindung darstellt, habe ich die KLM ersucht, die Zwischenlandungen in Bremen weiter aufrechtzuerhalten und dafür eine andere Zweipunktibedienung in der Bundesrepublik fortfallen zu lassen. Die KLM hat in Aussicht gestellt, Bremen weiter zu bedienen, lehnt es aber ab, dafür eine andere Zweipunktbedienung aufzugeben.
Im übrigen ist geplant, daß vom Sommerflugplan 1966 an die für Bremen wichtige Abendstrecke Amsterdam—Bremen—Hamburg von der Lufthansa geflogen wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller-Hermann.
Herr Minister, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß bis zur Installierung der neuen Lufthansa-Linie die KLM-Verbindung in bisherigem Umfang aufrechterhalten bleiben wird?
Jawohl.
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 341
Herr Präsident, darf ich die ersten drei Fragen im Zusammenhang beantworten?
Bitte. Ich rufe auf die Fragen XII/1, XII/2 und XII/3 — des Herrn Abgeordneten Dr. Rinderspacher —:
Trifft es zu, daß die Versandstelle für Sammlermarken der Deutschen Bundespost bei nur 2 Millionen DM Unkosten einen Reingewinn bis 28 Millionen DM jährlich erzielt?
Hält die Bundesregierung das gestaffelte Aufgeld, das die Abonnenten für Sammlermarken zu zahlen haben, für gerechtferfertigt, da die Post für Sammlermarken in der Regel keine postalische Leistungen zu erbringen hat?
Welche Beträge nimmt die Versandstelle für Sammlermarken jährlich aus dem Aufgeld ein?
Die Antwort auf die Frage 1 lautet: nein.
Die Antwort auf die Frage 2 lautet: Die Annahme, daß die Deutsche Bundespost für Sammlermarken in der Regel keine postalischen Leistungen zu erbringen hat, entspricht nicht den Tatsachen. Die Masse der von der Versandstelle abgegebenen Sonderpostwertzeichen wird von den Postkunden dazu benutzt, ihren Briefen eine werbliche Note zu geben. Auch die Briefmarkensammler verwenden einen großen Teil der bezogenen Marken für ihre Korrespondenz. Eine Einnahme ohne postalische Leistung entsteht nur durch solche Postwertzeichen, die postfrisch in den Alben der Sammler verschwinden. Jahrelange Beobachtungen haben ergeben, daß dieser Sammlerbedarf bei etwa einer Million Stück je Marke liegt. Er stellt also nur einen kleinen Bruchteil des Umsatzes von 28 Millionen DM dar. Das Aufgeld ist also schon aus diesem Grund gerechtfertigt.
Die Antwort auf die Frage 3 lautet: Der Betrag macht rund 920 000 DM aus.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, hat die Bundesregierung Vorstellungen darüber, welche Beträge durch ähnliche Praktiken der Zone jährlich aus der Bundesrepublik zufließen?
Nein, wir haben hierüber kein statistisches Material.
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, diese zweifellos erheblichen Summen zu verringern? Sie erbringen nämlich der Zone praktisch ohne Gegenleistung einen Zufluß an D-Mark, woran die Bundesrepublik doch kein Interesse haben kann.
Die bisherige Regelung gewährleistet ungefähr den Aufwand, den wir zu erbringen haben. Wir haben nicht die Absicht, daran etwas zu ändern.
Ich rufe auf die Frage XII/4 — des Herrn Abgeordneten Cramer —:
Wann ist mit der Austsrahlung des 3. Fernsehprogramms für Ostfriesland zu rechnen?
Bitte, Herr Minister!
In dieser Frage ist schon Herr Abgeordneter Conring bei mir vorstellig geworden. Ich möchte auf die inhaltlich gleiche Frage auch die inhaltlich gleiche Antwort geben.
Mit dem Aufbau der Fernsehsendeanlage zur Versorgung von Ostfriesland mit dem 3. regionalen Programm des Norddeutschen Rundfunks wird im Frühjahr 1966 begonnen werden. Das Gebäude zur Aufnahme der bereits in Auftrag gegebenen technischen Einrichtungen ist bereits fertiggestellt. Mit der Inbetriebnahme der Fernsehsendeanlage einschließlich der zugehörigen Modulationsleitungen für Bild und Ton kann bis Ende des nächsten Jahres gerechnet werden.
Keine Zusatzfrage. Ich rufe auf die Frage XII/5 — des Herrn Abgeordneten Herold —:
Bis wann werden im Zonengrenzgebiet in Bayern bzw. im Grenzland längs der deutsch-tschechischen Staatsgrenze alle deutschen Fernsehprogramme empfangen werden können?
Die Fernsehsender zur Ausstrahlung des 2. Programms Rhön, Coburg, Bamberg, Bayreuth, Hof, Amberg, Regensburg, Hoher Bogen, Deggendorf und Passau sind bereits alle in Betrieb. Obwohl in diesem Gebiet die Dichte der in Betrieb befindlichen Fernsehsender doppelt so groß ist wie im übrigen Bundesgebiet, entspricht die geschätzte Versorgung nur dem derzeitigen Bundesdurchschnitt von 76 %. Wegen der gebirgigen Struktur und der weitläufigen Besiedelung wird ein Bedarf von etwa 100 Fernseh-Frequenzumsetzern kleiner und mittlerer Leistung geschätzt, mit deren Fertigstellung nicht vor 1972 gerechnet werden kann.
Die Versorgung mit dem 3. Programm wird sich zeitlich ähnlich entwickeln.
Zur Versorgungslage mit dem 1. Fernsehprogramm und dem beabsichtigten Ausbau müßte der Bayerische Rundfunk Stellung nehmen. Ich schätze, daß das Gebiet zur Zeit durch die Fernsehsender des Bayerischen Rundfunks zu 90 % der Einwohner versorgt wird.
Eine Zusatzfrage.
Herr Minister, Sie haben hier jetzt festgestellt, daß bis 1972 mit einer ausreichenden Versorgung zu rechnen sei. Würden Sie angesichts dieser Umstände den Bau von Gemeinschaftsantennen, wie Sie sie für Waischenfeld in Aussicht gestellt haben, unterstützen? Diese Gemeinschaftsantennen werden in der Zwischenzeit von Privatleuten erbaut, um den Fernsehempfang zu verbessern.
342 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965
Ja, ich habe mich damals bereit erklärt und stehe zu diesem Wort, daß Gemeinschaftsantennen, die Umsetzer der Deutschen Bundespost überflüssig machen, durchaus von der Bundespost gefördert werden können. Ich hatte auch darum gebeten, entsprechende Vorschläge beim Ministerium einzureichen.
Eine weitere Frage.
Herr Minister, habe ich Sie richtig verstanden, wenn ich annehme, daß Sie unter Förderung die finanzielle Bezuschussung dieser Gemeinschaftsantennenanlagen verstehen?
Ja; aber ich mache sie davon abhängig, daß die Gemeinschaftsantennenanlagen ein vollwertiger Ersatz für zu erstellende Umsetzeranlagen sind. Beides tue ich auf keinen Fall; ich fördere nicht gleichzeitig die Gemeinschaftsantennenanlagen und baue dann noch einen Umsetzer. Das ist nicht unsere Aufgabe. Wenn ich durch die Förderung des einen das andere ersparen kann, halte ich eine solche Maßnahme für vertretbar.
Bitte, eine weitere Frage.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß trotz der nunmehr erfolgten Installierung des Senders „Am hohen Bogen" im Landkreis Kötzting die Versorgung dieser Gegend, insbesondere rund um den Arber und um den Lamer Winkel, nach wie vor völlig ungenügend ist?
Sicher. Die Versorgungsschwierigkeiten in diesem topographisch ungünstigen Gebiet sind außerordentlich groß; ich weiß das. Wir können aber erst dann Umsetzer bauen, wenn wir den „Muttersender" haben. Der „Muttersender" ist die Voraussetzung für den Bau von Umsetzern. All das habe ich in diesem Hause schon häufig erläutert. Ich darf mir deshalb heute eine Wiederholung ersparen.
Herr Abgeordneter Fritsch, eine weitere Frage.
Herr Minister, wären Sie bereit, die Fernsehversorgung in diesem Gebiet unter den 'besonderen politischen Gesichtspunkten zu sehen, daß es sich hier um Grenzland und Zonenrandgebiet handelt, und wären Sie deshalb bemüht, für die endgültige Versorgung dieses Gebiets einen früheren Termin als den des Jahres 1972 zu finden?
Nur unter dem Gesichtspunkt der besonderen Förderung dieses Gebietes ist es überhaupt möglich, bis 1972 zu einem Abschluß zu kommen. Das Grenzlandgebiet wird heute mindestens um das Doppelte mehr ausgebaut als das übrige Bundesgebiet. Das ist die volle Kapazität, die wir zur Verfügung haben.
Frage XII/6 — des Abgeordneten Bühler —:
Ist dem Bundespostminister bekannt, daß infolge der topographischen Verhältnisse im südwestlichen Schwarzwald der Rundfunk- und Fernsehempfang sehr schlecht oder völlig unmöglich ist und daß auch nach Fertigstellung des Hochrheinsenders bei Bergalingen und nach Aufnahme des Sendebetriebes die Bevölkerung im mittleren und hinteren Wiesenthal nur dann an Rundfunk und Fernsehen in befriedigender Weise teilhaben kann, wenn über die Errichtung des Füllsenders „Hohe Möhr" bei Schopfheim bald die nötige Einigung zwischen Schwarzwaldverein, Naturschutz, Südwestfunk Baden-Baden und Bundespost erzielt und der Füllsender im kommenden Frühjahr erbaut wird?
Darf ich die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Bühler gemeinsam beantworten, da sie in Zusammenhang miteinander stehen?
Ja. Ich rufe dann auch die zweite Frage — Frage XII/7 — des Abgeordneten Bühler auf:
Ist der Bundespostminister in der Lage und bereit, in allernächster Zeit in die in Frage XII/6 genannten Verhandlungen federführend einzugreifen, nachdem die Sitzung des Südwestfunk-Verwaltungsrates in Baden-Baden am 15. Oktober 1965 wiederum keinen Beschluß über dessen weitere Pläne zeitigte, indessen die Bevölkerung nicht nur ungeduldig, sondern allmählich mit Mißtrauen auf diese Verschiebung reagiert?
Ihre erste Frage geht von der Annahme aus, daß die Hohe Möhr als Standort für einen Fernseh-Füllsender optimal sei. Diese Annahme ist unzutreffend. Das gesamte Wiesenthal kann aus technischen Gründen von der Hohen Möhr aus nicht versorgt werden. Außerdem würde die Schweiz wegen Störung ihrer Fernsehkanäle Einspruch gegen diesen Sender erheben.
Erst nach der endgültigen Inbetriebnahme des bereits im Bau befindlichen Fernsehsenders Hochrhein — voraussichtlich Ende 1966 — können die Vorermittlungen für die Fernsehversorgung des oberen Wiesenthales mit dem 2. Fernsehprogramm abgeschlossen werden.
Diese Tatsachen sind dem Südwestfunk bekannt. Er wird daher wahrscheinlich auf der Hohen Möhr nur ein Provisorium für die Ausstrahlung des 1. Fernsehprogramms errichten und sich später so weit wie möglich der Planung der Deutschen Bundespost für die Ausstrahlung des 2. und 3. Programms anschließen. Eine Beteiligung der Deutschen Bundespost am Provisorium Hohe Möhr entfällt, weil keine Anschlußmöglichkeiten für einen Füllsender in diesem Gebiet vor Inbetriebnahme des Senders Hochrhein gegeben sind.
Auf Ihre zweite Frage darf ich in Ergänzung der Antwort auf die erste Frage folgendes sagen: Der Südwestfunk hat im März dieses Jahres einen Antrag auf Genehmigung zum Errichten und Betreiben der Rundfunksendestelle Hohe Möhr gestellt. Die Zuteilung der vorgesehenen Frequenzen an diese Rundfunksendestelle ist zur Zeit noch nicht geklärt. Die notwendigen Verhandlungen mit den
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 343
Bundesminister Stücklen
beteiligten ausländischen Fernsehverwaltungen über die Frequenzkoordinierung konnte bisher noch nicht erfolgreich abgeschlossen werden. Ein Termin über den Abschluß positiver Verhandlungen ist gegenwärtig leider noch nicht vorauszusehen.
Keine Zusatzfrage? - Ich danke Ihnen, Herr Minister. Wollen Sie noch die Fragen III/1 und III/2 des Herrn Abgeordneten Lenz auf Drucksache V/57 beantworten? Ist der Abgeordnete Lenz (Brühl) da? — Nein. Dann werden die Fragen schriftlich beantwortet.
Wenn ich nur ein kurzes Wort dazu sagen darf, dann sind die Fragen beantwortet.
Ich rufe die Fragen III/1 und III/2 — des Abgeordneten Lenz — auf :
Ist dem Bundespostminister bekannt, daß durch das Verhalten nachgeordneter Postdienststellen mittelständische Betriebe in ihrer Existenz erheblich beeinträchtigt und gefährdet werden?
Wird der Bundespostminister bei nachgewiesenem Verschulden der Bundespost den durch das in Frage III/1 erwähnte Verhalten betroffenen Unternehmen Schadensersatz leisten?
Zur Frage III/1: Nein. Zur Frage III/2: Das kommt auf den Sachverhalt und auf die Rechtslage an.
Danke sehr.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wohnungswesen und Städtebau auf, zunächst Frage XIII/1 — des Herr Abgeordneten Dröscher —:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der § 33 des Bundesbaugesetzes bedeutungslos geworden ist, wenn die Baugenehmigungsbehörden künftig nach dem Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 1965 verfahren, wonach eine Anwendung des § 33 des Bundesbaugesetzes voraussetzt, daß der beschlossene Bebauungsplan bereits genehmigt ist?
Bitte, Herr Minister!
Herr Kollege Dröscher, die Sorge, die aus Ihrer Frage spricht, ist nach dem Wortlaut des Beschlusses berechtigt. Aber ich glaube, Sie dahin beruhigen zu können, daß die Auffassung, die hier ausgesprochen wurde, nicht in die ständige Rechtsprechung eingehen wird. Der Fall war ja so: Der Kläger hatte außerhalb eines Bebauungsplanes ohne Genehmigung gebaut. Gegen eine Abbruchverfügung hatte er den Verwaltungsrechtsweg beschritten und dabei den Standpunkt vertreten, § 33 des Bundesbaugesetzes ermögliche es ihm, dort zu bauen, weil ein Flächennutzungsplan vorliege. Das Bundesverwaltungsgericht hat eindeutig festgestellt, daß diese Auffassung unrichtig ist. Es hat dann — ich stehe nicht an zu sagen: leider — noch die zweite Begründung hinzugefügt, daß außerdem erst der Bebauungsplan genehmigt sein müsse. Diese zweite Begründung trägt aber die Entscheidung nicht; sie ist ein obiter dictum. Ich glaube, sicher zu sein, daß sie nicht zur ständigen Rechtsprechung wird.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dröscher.
Herr Bundesminister, ist Ihnen bekannt, daß eine Reihe von Dienststellen, z. B. die Bezirksregierung Koblenz, auf Grund dieses Urteils angeordnet hat, daß sich die Vorlage von Bauanträgen erübrigt, die den Erfordernissen des oben zitierten Beschlusses des Bundesverwaltungsgerichts nicht entsprechen, und daß damit genau der umgekehrte Tatbestand gegeben ist, den Sie hier dargestellt haben?
Ich hoffe, daß die Diskussion, die wir hier heute führen, dazu beiträgt, diesen Standpunkt der Verwaltungsbehörden zu ändern. Ich werde jedenfalls Gelegenheit nehmen, wenn sich eine solche bietet, den gegenteiligen Standpunkt durch den Vertreter des öffentlichen Interesses vortragen zu lassen.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Dröscher.
Wäre es nicht zweckmäßig, Herr Bundesminister, wenn von Ihrem Ministerium aus ein Erlaß an die zuständigen Stellen erginge, der eine klare Rechtssituation schafft, damit der in § 33 vom Gesetzgeber beabsichtigte Erleichterungseffekt tatsächlich wiederhergestellt wird?
Ehrlich gesagt, ob das möglich ist, muß ich mir überlegen. Es ist etwas delikat, weil es sich um das Urteil eines Gerichts handelt. Aber ich will die Frage gern prüfen, in welcher Form eine Aufklärung möglich ist.
Herr Abgeordneter Krammig zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, sind Sie der Meinung, daß der § 33 so ausgelegt werden darf, daß überhaupt nur von den Ausnahmen Gebrauch gemacht wird und daß es die Regel wird, daß überhaupt kein Bebauungsplan vorliegt?
Das sicher nicht. Das soll nicht die Regel sein.
Ich rufe auf die Frage XIII/2 — des Abgeordneten Hörmann —:
In welchem Umfange haben private Bauherren öffentliche Mittel des sozialen Wohnungsbaues vorzeitig abgelöst, um von der Zweck- und Mietpreisbindung freizukommen?
Nach den Berichten der Wohnungsbauressorts der Länder haben seit Inkrafttreten des Zweiten Wohnungsbaugesetzes, also vom 1. 7. 1956 bis Ende 1964, insgesamt etwa 141 000 Eigentümer
344 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965
Bundesminister Dr. Bucher
von Familienheimen die öffentlichen Mittel abgelöst. Angaben über die Anzahl der vorzeitig zurückgezahlten Darlehen, die für die Erstellung von anderen Wohnungen, also Mietwohnungen, gewährt wurden, waren von den Ländern bisher nicht zu erhalten. Abgelöst wurden öffentliche Mittel in Höhe von 786 Millionen DM; vorzeitig zurückgezahlt wurden Darlehen in Höhe von 284 Millionen DM. Es handelt sich also um insgesamt 1070 Millionen DM. Davon wurden den Familienheimeigentümern Schuldnachlässe auf Grund der Ablösungsvorschriften in Höhe von 330 Millionen DM gewährt. Diese 330 Millionen DM sind also abzuziehen von den zuerst genannten 786 Millionen DM, so daß insgesamt effektiv 456 Millionen DM zurückgezahlt worden sind, wozu dann wieder die vorhin genannten 284 Millionen DM, die Mietwohnungen betreffen, hinzukommen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Rinderspacher.
Herr Bundesminister, besteht Aussicht, daß die Zahlen, die — wie Sie sagen — bisher von den Ländern nicht geliefert wurden, noch nachgeliefert werden?
Ich werde mich darum bemühen.
Ich rufe auf die Frage XIII/3 — des Abgeordneten Hörmann —:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß private Bauherren, die ihre Häuser oft größtenteils mit öffentlichen Mitteln erstellt hatten, nach der Ablösung Mieten verlangen, die vielfach um weit über 100 Prozent über den bisherigen Mietpreisen lagen?
Der Bundesregierung ist durch amtliche Mitteilung seitens der Länder nichts darüber bekannt, daß in großem Maße nach der Ablösung Mieten verlangt werden, die mehr als 100% über dem bisherigen Mietpreis liegen. Wohl sind uns Veröffentlichungen in der Presse hierüber bekannt. Es ist dazu zu sagen, daß auch nach der früheren Rechtslage, wie sie bis zum 1. September gegolten hat, eine unbegrenzte Mieterhöhung durch einseitige Erklärung des Vermieters nicht zulässig war. Zwar hatte die Rückzahlung der öffentlichen Mittel zur Folge, daß die Wohnungen sofort von den Bindungen frei wurden, insbesondere also auch Mietpreisbindungen nicht unterlagen. Bei bestehenden Mietverhältnissen konnte der Vermieter jedoch nach der Rückzahlung der Mittel ohne die Zustimmung des Mieters rechtswirksam nur bis zur sogenannten Kostenmiete erhöhen.
Inzwischen ist die gesetzliche Situation geändert worden. Um zu verhindern, daß die Sozialwohnungen nach vorzeitiger Zurückzahlung der Mittel sofort von den Bindungen frei werden, ist durch das Gesetz zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen vom 1. September 1965 an die bekannte Fünfjahresfrist eingeführt worden, innerhalb deren die Wohnungen nach wie vor der Bindung unterliegen.
Ich rufe die Fragen IV/1 und IV/2 — des Herrn Abgeordneten Strohmayr — aus der Drucksache V/57 auf:
Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Verwaltungskosten, die Städten und Landkreisen im Zusammenhang mit der Bearbeitung der Anträge für Wohngeld entstehen?
Teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß ,die Antragsformulare für Wohngeld so schwierig auszufüllen sind, daß selbst Verwaltungsfachleute Mühe haben, die Fragen korrekt zu beantworten?
Bitte, Herr Minister!
Herr Abgeordneter, ich habe, seit ich im Amte 'bin, auch den Eindruck gewonnen, daß die Ausfüllung dieser Formulare außerordentlich schwierig und umständlich ist. Bereits mein Amtsvorgänger ist dafür eingetreten, daß diese Formulare so kurz und einfach wie möglich gestaltet werden sollen. Ich darf bemerken, daß die Formulare von den Ländern gefertigt werden, da das Gesetz von den Ländern ausgeführt wird. Ich werde mich aber dafür einsetzen, daß möglichst einheitliche Formulare im gesamten Bundesgebiet Verwendung finden. Nur stößt man damit sicher an Grenzen, nämlich an die Grenze des Gesetzes selber. Wenn Formulare perfektionistisch sind, ist es ja im allgemeinen so, daß dieser Perfektionismus nicht auf einer Böswilligkeit oder auf falscher Einstellung der Behörden beruht, die die Formulare machen, vielmehr beruht der Perfektionismus meistens auf dem Gesetz.
Herr Abgeordneter Strohmayr zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß beispielsweise in München eine Überprüfung der Formulare vorgenommen worden ist und daß der Herr Oberbürgermeister in München festgestellt hat, daß es notwendig ist, hochqualifizierte Beamte einzusetzen, um diese Fragebögen zu ergänzen?
Ich habe mit Aufmerksamkeit verfolgt, daß Herr Oberbürgermeister Vogel von „katastrophalen Erfahrungen" gesprochen hat, die dort gemacht worden seien, und daß er auch Zahlen zum Verwaltungsaufwand genannt hat. Ich halte es für dringend notwendig, diese Sache zu überprüfen.
Herr Abgeordneter Strohmayr zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, ist Ihnen auch bekannt, daß durch die Verwaltungsarbeit bei der Durchführung des Wohngeldverfahrens ein Viertel an Verwaltungskosten entsteht, daß also beispielsweise in München 4,5 Millionen DM ausbezahlt worden sind und hierfür die Verwaltungskosten 1 Million DM betrugen?
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 345
Diese Relation von beinahe 25 % Verwaltungskosten, die von München angeführt wurde, ist mir bekannt. Ich habe veranlaßt, daß hierüber amtliche Zahlen gefertigt werden, die bis jetzt aber noch nicht vorliegen.
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Strohmayr.
Herr Bundesminister, glauben Sie, daß die Vereinfachung der Fragebögen alsbald durchgeführt werden kann?
Ich habe die Befürchtung, daß das nur nach einer Änderung des Gesetzes möglich ist. Wie ich vorhin schon andeutete, habe ich bis jetzt den Eindruck, daß die Kompliziertheit der Fragebögen eine Folge des Gesetzes ist.
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, halten Sie es für möglich, daß die Tatsache, daß zum Teil erst geringe Beträge ausgezahlt wurden, darauf zurückzuführen ist, daß das ganze Antragssystem so kompliziert ist, daß die Antragsteller draußen gar nicht in der Lage sind, mit den Antragsformularen zurechtzukommen?
Das ist möglich.
Frau Abgeordnete Meermann zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß selbst in kleinen Städten von 25 000 bis 30 000 Einwohnern oft ein besonderer Bearbeibeiter für diese Anträge eingestellt werden muß, wenn man nicht riskieren will, daß sie in Paketen von 100, 200 und mehr Exemplaren unerledigt liegen bleiben, wie das zur Zeit in manchen badenwürttembergischen Städten der Fall ist?
Davon habe ich schon gehört. Leider.
Haben Sie die Absicht, Herr Bundesminister, den Versprechungen nachzugehen, die Herr Bundesminister Lücke im Wahlkampf zur Vereinfachung dieses Gesetzes gemacht hat, und auf diese Weise zu erreichen, daß der Überperfektionismus abgebaut wird, was natürlich bedeuten würde, daß in dem einen oder anderen Fall das Gesetz ein bißchen teurer wird, auf der anderen Seite aber die Ausgaben, die den Gemeinden entstehen, höchstwahrscheinlich erheblich verringert werden könnten?
Ich habe nicht den Eindruck, daß mein Vorgänger, Herr Minister Lücke, in dieser
Sache nur Versprechungen gemacht hat. Vielmehr hat er, wie ich vorhin sagte, bereits Bemühungen unternommen, hier Abhilfe zu schaffen. Mir liegt selbstverständlich daran, diese Bemühungen fortzusetzen.
Frau Abgeordnete Meermann, wollen Sie noch eine Zusatzfrage stellen? — Bitte!
Herr Minister, sollten Sie nicht gelesen haben, daß Herr Bundesminister Lücke z. B. von einer Aufhebung der Einkommensbegrenzung gesprochen hat?
Das habe ich gelesen. Mit dem Problem habe ich mich auch schon befaßt. Ich habe mich sogar schon dazu geäußert.
Herr Abgeordneter Czaja.
Herr Minister, darf ich Ihre Äußerung über eventuelle Reformen beim Wohngeld so verstehen, daß aber nicht daran gedacht ist, die Sozialfreibeträge zu schematisieren oder ihre Wirksamkeit zu senken?
Nein, ich glaube, so weit wird man nicht gehen können.
Noch eine Frage, Herr Dr. Czaja.
Herr Minister, würden Sie es nicht vielleicht angesichts der Komplikationen, die in Bayern aufgetreten zu sein scheinen, für richtig halten, auf die verhältnismäßig sehr einfachen Fragebogen zu verweisen, die in BadenWürttemberg üblich sind und die sich sehr bewährt haben?
Ich sagte ja, daß uns sehr daran liege, die Fragebogen möglichst zu vereinheitlichen, und wenn sie vereinheitlicht werden, dann natürlich in Richtung des Fragebogens, der am besten praktikabel ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Müller.
Herr Minister, wurden in Ihrem Hause Überlegungen angestellt, die Gemeinden für die hohen Verwaltungskosten zu entschädigen, die im Rahmen der Bearbeitung der Wohngeldanträge entstehen?
Diese Überlegungen sind bis jetzt noch nicht angestellt worden.
346 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, 'den 2. Dezember 1965
Noch eine Frage, Herr Abgeordneter Dr. Müller.
Glauben Sie nicht, Herr Minister, daß es angesichts der schwierigen Finanzlage der Gemeinden z. B. ein Betrag von 1 Million DM im Falle der Stadt München nötig machen würde, darüber Überlegungen anzustellen?
Ich sehe durchaus die Schwierigkeiten, die für die Finanzlage der Gemeinden entstehen — vorausgesetzt, daß solche Zahlen tatsächlich zutreffen. Aber ich möchte den Hebel mehr in Richtung auf eine Vereinfachung des Systems und damit eine Herabsetzung der Verwaltungskosten ansetzen.
Herr Abgeordneter Schwabe, eine Zusatzfrage.
Können Sie sich nicht schon jetzt entschließen, Herr Minister, eine Enquete darüber durchzuführen, wie hoch die Kosten tatsächlich sind? Denn das wäre ja die Voraussetzung für eine derartige Vereinfachung. Zur Zeit wissen wir das ja nur ungefähr. Sind Sie nicht auch der Ansicht, daß das jetzt festgestellt werden muß?
Jawohl, das soll sofort geschehen.
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheitswesen. Ich rufe auf die Frage XIV/1 — des Abgeordneten Dr. Schmidt —:
Reichen die Ausbildungsmöglichkeiten auf dem Gebiete der
Homöopathie für Mediziner quantitativ und qualitativ aus?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die vorgeschriebene Ausbildung eines Medizinstudenten bis zum Staatsexamen reicht nicht dazu aus, daß er sich als homöopathischer Arzt niederlassen kann. Der Arzt, der als Homöopath praktizieren will, muß sich nach den Richtlinien der Ärztekammern auf dem Gebiet der Homöopathie besonders weiterbilden. Dies kann geschehen unter der Anleitung eines homöopathischen Arztes oder durch Assistenzarzttätigkeit an einem homöopathischen Krankenhaus oder durch die Teilnahme an Fortbildungskursen oder an einem Lehrgang in der homöopathischen Therapie. Es gibt zur Zeit unseres Wissens zehn Krankenhäuser, an denen eine derartige Weiterbildung möglich ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Schmidt.
Herr Staatssekretär, halten Sie angesichts der Bedürfnisse
der Bevölkerung nicht die Einrichtung von Lehrstühlen für biologische Heilweise und Homöopathie insbesondere an unseren neuen Universitäten für ein dringendes Erfordernis?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, es handelt sich um zwei Fragen, die ich verschieden beantworten muß. Soweit es sich um ein wissenschaftliches Problem handelt, muß sich die Bundesregierung einer Stellungnahme enthalten. Was die Einwirkung auf die Zahl und die Besetzung der Lehrstühle angeht, so ist dies eine Ländersache; die Bundesregierung hat hier keine Möglichkeit der Einflußnahme.
Teilt die Bundesregierung im Ernst die Auffassung vieler Schulmediziner, daß die Homöopathie wissenschaftlich nicht vertretbar sei?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung teilt diese Auffassung durchaus nicht. Sie wird sich aber in der Frage der Ausbildung und der Prüfungsfächer für Mediziner, auf deren Gestaltung sie insbesondere durch die Bestallungsordnung für Ärzte Einfluß nehmen kann, begreiflicherweise an das Urteil der 'wissenschaftlichen Gremien halten müssen, auf deren Rat sie angewiesen ist. Gegen dieses Urteil zu votieren, würde bedeuten, daß sich die Bundesregierung eine wissenschaftliche Sachkunde anmaßt, was ihr nicht zukäme.
Würde es der Gesundheitsminister denn begrüßen, daß die Ausbildung qualitativ und quantitativ verbessert wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Eine Beantwortung dieser Frage würde mich nötigen, ein 'wissenschaftliches Urteil abzugeben, was ich nach den Darlegungen, die ich soeben gemacht habe, nicht tun kann.
Herr
Staatssekretär — —
Sie haben schon drei Fragen beantwortet bekommen.
Wir kommen zu den Fragen XIV/2, XIV/3 und XIV/4 — des Abgeordneten Müller —:
Wie ist der Stand der Planungen für den Bau eines Bodensee-Regulierwehrs?
Ist die Bundesregierung bereit, zunächst mit dem Land BadenWürttemberg und später mit der Regierung der Schweizerischen Eidgenossenschaft in Verhandlungen über den Bau eines Bodensee-Regulierwehrs einzutreten?
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Großen Rates des schweizerischen Kantons Thurgau, daß die Auswirkungen des Sommerhochwassers 1965 und der Niedrigwasserstände 1964 durch ein Regulierwehr entscheidend hätten beeinflußt werden können?
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, 'den 2. Dezember 1965 347
Vizepräsident Dr. Dehler
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beantwortung einverstanden erklärt. Die Antwort des Bundesministers Frau Dr. Schwarzhaupt vom 19. November 1965 lautet:
Zu Frage XIV/2:
Ein Stauwehr zur Regulierung des Bodensee-Wasserstandes ist in einer Reihe von Studien, darunter in dem von der „Deutschschweizerischen technischen Kommission für die Schiffbarmachung des Hochrheins" vorgelegten „Projekt 1961", untersucht worden.
Dieses Projekt enthält einen Entwunf für das BodenseeRegulierwehr bei Hemishofen. Baupläne liegen nicht vor.
Zu Frage X1V/3:
Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, von sich aus Verhandlungen über den Bau eines Bodensee-Stauwehrs einzuleiten.
Zu Frage XIV/4:
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß sich Hoch- und Niedrigwasserstände des Bodensees durch ein Regulierwerk bei gleichzeitiger Querschnittsvergrößerung des Seeauslaufs in gewissem Umfang beeinflussen ließen. Dies gilt, wie das Innenministerium Baden-Württemberg bestätigt hat, auch für die Niedrigwasserstände 1964/65 und die Hochwasserstände des Sommers 1965.
Ich rufe die von dem Abgeordneten Dr. Jungmann gestellte Frage XIV/5 auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, ob die vom Bundesverfassungsgericht anerkannte Stellung der Apotheke durch die Niederlassungsfreiheit für Apotheker gefährdet wird?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Gestatten Sie bitte — wenn der Herr Abgeordnete einverstanden ist —, daß ich die Fragen XIV/5 und XIV/6 gemeinsam beantworte.
Einverstanden. Ich rufe also auch die ebenfalls von dem Abgeordneten Dr. Jungmann gestellte Frage XIV/6 auf:
Ist die Bundesregierung gegebenenfalls bereit — wenn
Frage XIV/5 bejaht wird —, daraus gesetzgeberische Folgen zu ziehen?
Bitte, Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Frage, ob die vom Bundesverfassungsgericht anerkannte Stellung der Apotheken durch die Niederlassungsfreiheit für Apotheker gefährdet ist, muß im Augenblick verneint werden. Die Bundesregierung beobachtet mit turnusmäßigen Erhebungen, ob sich als Folgen der Niederlassungsfreiheit im Apothekenwesen Gefahren für die Arzneiversorgung der Bevölkerung ergeben. Eine vor zwei Jahren angestellte Erhebung bot keinen Anlaß zu Besorgnissen, wenn auch gewisse negativ zu beurteilende Tatbestände in Erscheinung getreten sind. Es bestand bis jetzt aber keine Veranlassung zu gesetzgeberischen Maßnahmen. Eine neue, vor etwa 2 Monaten eingeleitete Erhebung ist noch nicht abgeschlossen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Jungmann.
Ist der Bundesregierung bekannt, wieviel Einwohner durchschnittlich auf eine Apotheke kommen?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es kommen 5900 Einwohner auf eine öffentliche Apotheke.
Eine weitere Zusatzfrage!
Befürchtet die Bundesregierung, daß die wirtschaftliche Existenz der Apotheke dann, wenn die durchschnittliche Einwohnerzahl je Apotheke allgemein oder in bestimmten Gebieten auf Grund der Niederlassungsfreiheit noch weiter sinkt, gefährdet wird und daß dadurch die Gefahr besteht, daß sie die vom Staat übertragene Aufgabe der Arzneiversorgung der Bevölkerung nicht mehr in vollem Umfang wahrnehmen kann?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Ich würde vorschlagen, daß die Bundesregierung diesen Gesamtkomplex erst 'beurteilt, wenn die von ihr veranstalteten Ermittlungen, die ich soeben erwähnt habe, abgeschlossen sind.
Ich rufe die von dem Abgeordneten Dr. Jungmann gestellte Frage XIV/7 auf:
Welche Möglichkeit sieht die Bundesregierung, die rechtliche Gleichstellung des deutschen Apothekers mit den Apothekern in den anderen EWG-Staaten zu gewährleisten?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bei der rechtlichen Gleichstellung des deutschen Apothekers mit den Apothekern in den Mitgliedstaaten der EWG geht es zunächst um die gegenseitige Anerkennung der Apotheker-Diplome. Nach dem gegenwärtigen Stand der Verhandlungen in Brüssel kommt eine gegenseitige Anerkennung der Diplome erst dann in Frage, wenn man sich auf ein einheitliches Ausbildungssystem geeinigt haben wird. Hier sind die Auffassungen noch sehr unterschiedlich, und es ist noch nicht abzusehen, wann es zu einer Einigung hierüber kommen wird.
Eine zweite Frage ist die der Angleichung der Rechtsvorschriften über die Zulassung zur selbständigen Ausübung des Apothekerberufs. Hier besteht die Schwierigkeit darin, daß einerseits die übrigen Mitgliedstaaten nicht veranlaßt werden können, die unbeschränkte Niederlassungsfreiheit einzuführen, soweit sie sie nicht haben, andererseits die Bundesrepublik Deutschland durch das Grundgesetz gehindert ist, ohne weiteres ein Konzessionssystem einzuführen. Es geht also vor allem darum, einen Weg zu finden, der die rechtliche Gleichstellung auch bei unterschiedlichen Systemen gewährleistet, ohne daß es wegen der in der Bundesrepublik Deutschland bestehenden Niederlassungsfreiheit zu einem Gefälle zuungunsten der deutschen Apotheker kommt.
Zur Zeit ist die Frage einer Gefährdung der rechtlichen Gleichstellung nicht akut, weil entsprechende
348 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965
Staatssekretär Bargatzky
Richtlinien der EWG noch nicht ergangen sind. Die Bundesregierung wird aber in jedem Falle mit Nachdruck bemüht sein, die rechtliche Gleichstellung der Apotheker zu gewährleisten.
Ich rufe dann noch die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Jungmann aus der Drucksache V/57 auf:
Teilt die Bundesregierung die von Herrn Professor Bechert in der Öffentlichkeit vertretene Auffassung, daß eine akademische Ausbildung der Apotheker nicht erforderlich bzw. überflüssig ist?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf zunächst darauf hinweisen, daß Herr Professor Dr. Bechert, wie ich informiert zu sein glaube, Pressemeldungen über eine zu dem pharmazeutischen Studium geäußerte Auffassung inzwischen dementiert hat. Ich darf Ihre Frage daher so verstehen, daß Sie sich nach der Auffassung der Bundesregierung ohne Bezug auf etwaige Äußerungen des Herrn Professor Bechert erkundigen wollen. Hier darf ich erwidern, daß die Bundesregierung nach wie vor ein pharmazeutisches Studium, ein Hochschulstudium für unbedingt erforderlich hält.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bechert.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich — wie Sie ja soeben schon feststellten — diese Äußerung gar nicht getan habe — weder dem Wortlaut noch dem Sinn nach —, und zur Kenntnis zu nehmen, daß ich am Tage nach dieser ausgesprochenen Falschmeldung der United Press International veranlaßt habe, daß die SPD-Fraktion eine Erklärung von mir veröffentlichte, in der festgestellt wird, daß ich diese Äußerung weder dem Wortlaut noch dem Sinn nach, weder schriftlich noch mündlich, getan habe, daß in meinem Artikel, wie jeder feststellen kann, der ihn wirklich gelesen hat und nicht nur darüber redet, ohne ihn gelesen zu haben, wie Herr Jungmann zum Beispiel, der Vorschlag steht, alle Studienordnungen und Prüfungsordnungen der Hochschulen durch den Wissenschaftsrat überprüfen zu lassen, und daß ich das an verschiedenen Beispielen, z. B. auch an der Apothekerausbildung, die ich an den Hochschulen für notwendig auch erklärt habe, illustriert habe, damit der ungesunde Zustand aufhört, daß der Studierende der Pharmazie, also der Apothekerwissenschaften, heute jahrelang auf eine Zulassung in einem Hochschullabor warten muß?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, wir haben von all dem Kenntnis genommen, und ich habe geglaubt, dies in meiner Antwort an Herrn Abgeordneten Jungmann bereits zum Ausdruck gebracht zu haben. Wir freuen uns im übrigen über eine so weitgehende Übereinstimmung Ihrer Auffassung und der unsrigen.
Vielen Dank.
Wir kehren zur Drucksache V//38 zurück. Frage XIV/8 — des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen —:
Ist die Bundesregierung bereit, dafür zu sorgen, daß Lebensmittel, bei deren Herstellung bzw. Gewinnung besondere Methoden angewandt werden — wie z. B. Verwendung von Hormonen oder Pharmazeutika oder Eier aus Batteriehaltung oder helle Farbe bei Kalbfleisch durch künstlich erzeugte Blutarmut — besonders gekennzeichnet werden?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diese Frage, Herr Abgeordneter, kann nicht einheitlich beantwortet werden. Was etwa die Verwendung von Hormonen betrifft, so ist sie bereits nach den Vorschriften des § 4 b des Lebensmittelgesetzes verboten, wenn sie dazu dienen sollte, die Beschaffenheit \\des Fleisches oder den Fett- oder Fleischansatz zu beeinflussen. Handelt es sich um die Verabfolgung von Arzneimitteln, so ist diese zu einem wesentlichen Teil rezeptpflichtig, so daß .sie ohnehin durch den Tierarzt auf das fachlich notwendige Maß beschränkt bleiben kann. Die Beimischung von Wirkstoffen zu Mischfuttern unterliegt nach futtermittelrechtlichen Bestimmungen der Genehmigungspflicht. Eier aus Batteriehaltung sind, was den menschlichen Genuß angeht, nicht etwa schädlicher als Eier anderer Herkunft; das Entscheidende für die Qualität ist hier nicht so sehr die Art der Haltung der Hühner, als vielmehr die Zusammensetzung des Futters. Fleisch von Kälbern, bei denen künstlich Blutarmut erzeugt worden ist, würde infolge der strengen Untersuchungsvorschriften in der Schlachttier- und Fleischuntersuchung als zum Genuß für den Menschen nicht tauglich beanstandet werden.
Was ihre Besorgnisse angeht, daß im Zusammenhang mit den von Ihnen angesprochenen Methoden gegen Tierschutzbestimmungen verstoßen werden könnte — Besorgnisse, die ich durchaus verstehe —, so darf ich auf die Beantwortung Ihrer Fragen durch den Herrn Bundesernährungsminister verweisen.
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär, und rufe dann aus der Drucksache V/57 die Frage des Abgeordneten Dr. MüllerEmmert aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen auf:
Hat .der Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen entsprechend seiner Erklärung in der Fragestunde vom 23. Juni 1965 erreicht, daß die Zuschüsse für das Pfalztheater Kaiserslautern und das Pfalzorchester Ludwigshafen verdoppelt, zumindest aber erhöht werden?
Herr Minister!
Herr Kollege Müller-Emmert, bei meiner Antwort auf Ihre Frage über die vorgesehene Höhe der Zuschüsse für das Pfalztheater Kaiserslautern und das Pfalzorchester Ludwigshafen in der Fragestunde am 23. Juni 1965 habe ich bereits darauf hingewiesen, daß ich gern eine Erhöhung oder gar Verdoppelung der Zuschüsse an die genannten Institutionen vornehmen würde, wenn es haushaltsmäßig möglich ist. Die inzwischen eingetretene Entwicklung der Haushaltslage des Bundes wird im Rechnungsjahr 1966 eine Erhöhung oder gar eine Verdoppe-
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 349
Bundesminister Dr. Mende
lung der Zuschüsse an die beiden Kulturträger nicht zulassen. Die Frage ist noch schwieriger geworden, nachdem der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz die kulturelle Betreuung der Grenzräume seines Landes aus Mitteln des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen neuerdings ablehnt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Müller-Emmert.
Herr Minister, war Ihre Erklärung vom 23. Juni 1965, von heutiger Sicht her gesehen, nicht zumindest etwas voreilig, nachdem Sie doch wohl einräumen müssen, daß Sie mit Sicherheit zur damaligen Zeit die schlechte Haushaltslage des Bundes genauso kannten wie alle anderen Angehörigen der Bundesregierung?
Herr Kollege Müller-Emmert, das Gegenteil ist der Fall. Ich hatte allen Grund, optimistisch zu sein, nachdem dieses Haus die Mittel des gesamtdeutschen Ministeriums für die kulturelle Betreuung der Grenzgebiete von 13 auf 18 Millionen DM in diesem Haushalt aufgestockt hatte. Ich hatte und habe immer noch die Hoffnung, daß das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen weniger drastisch zu den Einsparungen herangezogen wird als andere Ressorts, die auch ein größeres Volumen haben, wo man also auch mehr holen kann.
Hinzu kommt — ich wiederhole es — insofern eine neue Situation, als der Ministerpräsident Ihres Landes der Meinung ist, Rheinland-Pfalz habe solche kulturelle Förderung aus meinem Hause nicht mehr nötig.
Eine weitere Frage!
Herr Minister, würden Sie trotz des Widerspruchs des Herrn Ministerpräsidenten des Landes Rheinland-Pfalz, der für mich ganz neu ist und der sicher gegen das Interesse des Pfalztheaters und gegen das Interesse des Pfalzorchesters ist, sich dafür einsetzen, daß zumindest die bisher gewährten Zuschüsse auch weiterhin gewährt werden?
Ich habe für das Jahr 1966 zunächst einmal den gleichen Betrag wie 1965 — der ja hoch ist, wie Sie wissen — eingesetzt, um den Institutionen, die dann 1967 möglicherweise Mittel aus dem gesamtdeutschen Ministerium nicht mehr bekommen, den Übergang auf die Mittel des Landes zu erleichtern. Denn ich sehe es als selbstverständlich an, daß das Land dann in jene Verpflichtungen eintritt, die bisher das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen hatte. Das Land Rheinland-Pfalz unterstützt ja die kulturellen Institutionen aus seinen Mitteln in erheblichem Umfang.
Herr Abgeordneter Leicht, eine Zusatzfrage!
Herr Minister, hat der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz kategorisch diese Bezuschussung seiner Grenzräume abgelehnt?
Er hat eine Reise des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen im Monat Juli zu einer Erörterung auch solcher kulturellen Grenzlandförderung zunächst als nicht zur Zuständigkeit des gesamtdeutschen Ministers zugehörig betrachtet. Er hat dann nachher zur Kenntnis nehmen müssen, daß seit 16 Jahren das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen auch für die Grenzgebiete des Westens in bezug auf kulturelle Förderung zuständig ist. Ein Brief von mir, daß ich aus der Absage der Reise unterstellen kann, daß eine Unterstützung der Grenzräume des Landes Rheinland-Pfalz aus Mitteln des gesamtdeutschen Ministeriums offensichtlich nicht mehr erwünscht ist, ist nicht abschlägig beantwortet worden. Aus dieser Haltung entnehme ich, daß dem so ist.
Herr Abgeordneter Leicht zu einer weiteren Frage.
Hängt die Nichtbeantwortung Ihres Schreibens, aus der Sie meiner Ansicht nach einen nicht ganz richtigen oder zumindest einen voreiligen Schluß ziehen, vielleicht auch damit zusammen, daß in Rheinland-Pfalz, insbesondere in Zusammenhang mit dem Bezirksverband der Pfalz für die kulturelle Unterstützung der Einrichtungen dieses Verbandes im Augenblick Überlegungen angestellt werden und versucht wird, diese Fragen im Landtag einer Entscheidung zuzuführen?
Das glaube ich nicht, Herr Kollege. Ich nehme eher an, daß der Ministerpräsident und der Kultusminister des Landes Rheinland-Pfalz der Meinung sind — wie übrigens auch Parlamentarier aller Fraktionen dieses Hauses —, daß jetzt schwerpunktmäßig im Zonenrandgebiet und im deutschtschechischen Grenzgebiet dringendere Aufgaben gestellt sind als im Grenzgebiet des Landes Rheinland-Pfalz. Das ist eine Überlegung, der man in der Tat zustimmen kann. Denn hier im Zonenrandraum und im deutsch-tschechischen Grenzgebiet sind dringendere Vorhaben zu unterstützen als im Land Rheinland-Pfalz.
Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, haben Sie nicht in diesen Sommermonaten in der Vorwahlzeit die Erfahrung machen können, daß es gut wäre, wenn Ihre Reisen in der Wahlkampfzeit mit den Dienstreisen des Bundesministers für gesamtdeutsche Angelegenheiten nicht allzu eng verflochten wären, und wären Sie bereit, für die nächsten Jahre daraus bestimmte Konsequenzen zu ziehen, damit solche Mißverständnisse nicht auftreten?
350 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, damit würden Sie die Reisetätigkeit der Mitglieder der Bundesregierung praktisch lahmlegen. Denn wenn ich mich nicht irre, haben wir. jedes Jahr irgendwo im Bundesgebiet Wahlen, wenn nicht im Bund, dann in den elf Ländern. Im übrigen können diese Reisen in keinem Zusammenhang mit dem Wahlkampf gesehen werden. Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, was für die Ministerpräsidenten der Länder und die Landesminister gilt, gilt gleichermaßen auch für die Bundesminister und den Bundeskanzler. Solche Reisen haben mit Wahlkampf nichts zu tun.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
Herr Minister, ist Ihnen nicht gerade in diesem Wahlkampf deutlich geworden, daß eine gewisse Interessenkollision bei manchen Ihrer Erklärungen, Rundbriefe usw. ganz offensichtlich zutage getreten ist, und sollten Sie diese Frage nicht doch noch einmal in camera caritatis überprüfen?
Dazu sehe ich keinen Anlaß, Herr Kollege.
Herr Abgeordneter Fritsch zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, steht zu erwarten, daß die in Aussicht gestellten Zuschüsse für das Theater in Trier und für die Matthias-Basilika in Trier gekürzt oder gestrichen werden?
Ich möchte hier zu einzelnen Objekten deswegen noch nicht Stellung nehmen, weil der Haushalt 1966 noch nicht bewilligt ist und ich vor allem nicht weiß, von welchen Kürzungsmaßnahmen auch der Haushalt des gesamtdeutschen Ministeriums betroffen wird.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß auch der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz für diese Vorhaben zunächst keine Mittel zur Verfügung hat und auch keine in Aussicht stellt?
Mir sind die Überlegungen des Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz im einzelnen nicht bekannt.
Herr Kollege Dr. Marx zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, darf ich fragen, ob Ihre Antwort an den Abgeordneten Leicht, wonach der größte Teil dieser Ihrer Zuwendungen jetzt in den Zonengrenzraum und in den Raum der Grenze zur Tschechoslowakei gegeben werden soll, bedeutet, daß der Grenzraum im Westen von Ihrer Seite nun völlig außer acht gelassen wird. Oder werden Sie ihm noch einen entsprechenden, angemessenen Platz einräumen?
Das Saarland beispielsweise wird selbstverständlich in der bisherigen Weise Anteil haben an den kulturellen Förderungsmaßnahmen. Das gleiche gilt für das deutsch-dänische Grenzgebiet. Inwieweit Rheinland-Pfalz noch einbezogen wird, wird von der Vorstellung des Landes Rheinland-Pfalz, also speziell des Ministerpräsidenten und des Kultusministers, abhängen. Möglicherweise werden hier einzelne Objekte noch weiter gefördert werden.
Eine weitere Frage, bitte!
Herr Minister, darf ich gerade im Hinblick auf den letzten Teil Ihrer Ausführungen fragen, ob Sie bereit sind, mit dem Ministerpräsidenten und dem Kultusminister des Landes in dieser Hinsicht weiterhin in Verhandlungen zu bleiben, da es für unser Land — ich darf das sagen — weiterhin sehr wichtig ist, auch aus Ihrem Hause eine entsprechende Förderung zu erhalten?
Ich warte noch immer auf die Antwort des Ministerpräsidenten auf meinen vor Wochen geschriebenen Brief, in dem ich die Einstellung der kulturellen Hilfe für Rheinland-Pfalz angekündigt habe.
Herr Abgeordneter Kaffka wollte eine weitere Frage stellen. — Bitte!
Herr Minister, hat der rheinland-pfälzische Ministerpräsident auch die Mittel für die St.-Matthias-Kirche in Trier und für das Theater in Trier, die vom Gesamtdeutschen Ministerium gezahlt wurden, abgelehnt?
Ich wiederhole, was ich eingangs sagte, daß nämlich Überlegungen im Gange sind, ob es noch zweckmäßig ist, Rheinland-Pfalz in die kulturelle Förderung des Bundesministeriums für gesamtdeusche Frage einzubeziehen. Die von Ihnen genannten Objekte sind gegenwärtig noch in die Förderung einbezogen. Ich halte es jedenfalls nicht für zweckmäßig, jetzt zu Einzelobjekten Stellung zu nehmen, bevor ich nicht die auch von Ihrem Kollegen gewünschte Besprechung mit dem Ministerpräsidenten des Landes Rheinland-Pfalz gehabt habe.
Deutscher Bundestag - 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 351
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Kaffka.
Herr Minister, sind diese Erörterungen aus eigener Überlegung des Gesamtdeutschen Ministeriums oder aus dem Verhalten des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten zu begründen?
Das ist etwas Motivforschung und ein Forschen nach der politischen Seelenlage. Ich muß sagen, daß ich mich überfordert fühle, wenn ich über die politischen Motive anderer Auskunft geben soll.
Herr Abgeordneter Dr. Klepsch zu einer Zusatzfrage.
Herr Minister, gibt es für diese Ihre Ausführungen bezüglich der Bezuschussung des Landes Rheinland-Pfalz und der dazu eingenommenen Haltung des Ministerpräsidenten einen anderen Anlaß als den, daß der Ministerpräsident zu einem bestimmten Zeitpunkt an einer Reise von Ihnen nach Rheinland-Pfalz nicht interessiert war?
Doch, es gibt den Anlaß des Bestreitens der Zuständigkeit; denn der Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz hat an den Bundeskanzler einen Brief gerichtet, aus dem hervorging, daß er das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen irrtümlich als für die westlichen Grenzräume nicht zuständig erachtet hat.
Eine weitere Frage, Herr Abgeordneter Klepsch.
Wenn ich Ihre Antwort recht verstehe, dann dreht es sich doch ausschließlich um diese Auseinandersetzung über Ihre Reise nach Rheinland-Pfalz im Juli dieses Jahres. Andere Auseinandersetzungen über diese Frage haben offensichtlich nicht stattgefunden.
Herr Kollege, es sind auch schon vorher in dem sogenannten Fünfer-Ausschuß des Parlaments Überlegungen darüber angestellt worden, ab es nach dem Anschluß des Saarlandes und nach einer wesentlichen Verbesserung der Lebensverhältnisse in den westlichen Grenzgebieten noch zweckmäßig sei, die frühere kulturelle Förderung in vollem Umfang aufrechtzuerhalten, oder ob es nicht besser sei, schwerpunktmäßig jetzt mehr das Zonenrandgebiet, das deutschdänische und deutschtschechische Grenzgebiet zu bedenken. Das sind Überlegungen, die nicht erst seit Juli, seit der beabsichtigten Reise, im Gange sind.
Herr Abgeordneter Dröscher zu einer Zusatzfrage.
Herr Bundesminister, haben Sie Verständnis dafür, daß nach den Erörterungen heute morgen in der Fragestunde doch leicht der Gedanke aufkommen kann, daß das auslösende Ereignis, das frühere Überlegungen nun wirksam gemacht hat, in der verhinderten Reise liegt?
Das glaube ich nicht. Wenn aber der Besuch des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen zu solchen kulturellen Förderungsstätten offensichtlich nicht erwünscht ist, dann fragt man sich, ob man sich dann noch weiter mit diesen Fragen befassen soll. Wo Hilfe nicht erwünscht ist, soll man mit der Hilfe auch nicht nachlaufen.
Eine weitere Frage.
Herr Bundesminister, verstehen Sie, daß es von der Bevölkerung sicher kaum verstanden wird, daß hier offenbar die sachlichen Erwägungen darüber, ob Hilfe gegeben wird oder nicht, hinter die Frage zurücktreten, ob persönlichen Animositäten und persönlicher Gekränktheit der Vorzug eingeräumt wird?
Kein Minister des Kabinetts wird jemals Entscheidungen nach Animositäten oder persönlicher Kränkung fällen können; denn dann würde er seinem Eid zuwiderhandeln.
Ich möchte aber darauf hinweisen, daß auch ich nach Bereisungen des Zonenrandraums und des deutsch-tschechischen Grenzraums der Auffassung bin, daß in diesen Räumen mehr nachzuholen ist als in den westlichen Grenzgebieten.
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Wir kommen zu II — Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz —. Ich rufe die Frage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen auf:
Hält es die Bundesregierung für richtig, daß Vormünder bei mittellosen Mündeln gegebenenfalls ihre Aufwendungen, die bei der Ausübung ihres Amtes erforderlich sind, nicht erstattet bekommen können, auch wenn die Vormünder selbst nur über geringe Einkünfte verfügen?
Bitte, Herr Minister!
Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, ich freue mich, Ihre Frage im wesentlichen befriedigend beantworten zu können. Die Bundesregierung hält es nicht für richtig, daß Vormünder und Pfleger vermögensloser Mündel ihre Auslagen nicht erstattet erhalten, vor allem wenn die Vormünder oder Pfleger selbst nur über geringe Einkünfte verfügen. Diese Frage war bereits 1956 Gegenstand eines Meinungsaustausches mit den Landesjustizverwaltungen und ist unlängst auf der 33. Justizministerkonferenz im Oktober dieses Jahres erörtert worden.
352 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965
Bundesminister Dr. Jaeger
Diese Beratungen führten zu folgender Entschließung — ich zitiere —:
Die Landesjustizverwaltungen treten mit den zuständigen Landesbehörden in Verbindung, um eine Einigung dahin zu erreichen, daß die Erstattungspflicht der Sozialhilfeträger für notwendige Auslagen des Vormundes und des Pflegers vermögensloser Mündel im Rahmen des § 12 des Bundessozialhilfegesetzes anerkannt wird. Die Landesjustizverwaltungen werden sich über die Ergebnisse ihrer Bemühungen gegenseitig unterrichten. Wenn die Bemühungen ohne Erfolg bleiben, soll eine gesetzliche Regelung dieser Frage geprüft werden.
So weit das Zitat.
Es ist zunächst abzuwarten, welchen Ausgang die Verhandlungen nehmen werden. Bei negativem Ergebnis wird die gesetzliche Regelung zu erwägen sein.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schmitt-Vockenhausen.
Kann ich Ihrer Antwort entnehmen, Herr Minister, daß Sie die Sache auch weiter verfolgen werden?
Jawohl.
Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts auf. Die Frage VI/1 wird vom Bundesminister für Verkehr beantwortet.
Ich rufe die Frage VI/2 — des Herrn Abgeordneten Dr. Marx — auf:
Welche Gründe haben die Bundesregierung veranlaßt, dem Abzug gewisser amerikanischer Streitkräfte in der Bundesrepublik und in Berlin zuzustimmen?
Bitte, Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Antwort lautet wie folgt: Die vom Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte in Europa am 23. November angekündigten Maßnahmen werden nicht zum Abzug amerikanischer Einheiten aus Deutschland führen. Das durch die Umgliederung freigestellte Personal wird in Deutschland bleiben und zur Besetzung von frei werdenden Stellen in anderen amerikanischen Einheiten verwendet werden. Die Bundesregierung hat aus folgenden Gründen keine Bedenken gegen diese Umgliederung geltend gemacht:
Erstens. Es ist zur Zeit nicht notwendig, die außerplanmäßige Verstärkung der amerikanischen Garnison in Berlin, die im August 1961 während der Berlin-Krise erfolgte, beizubehalten. Im Falle einer erneuten Berlin-Krise würden die amerikanischen Streitkräfte in Berlin kurzfristig verstärkt.
Zweitens. Durch die Umwandlung von zwei Infanteriebataillonen in Panzerbataillone wird die Kampfkraft der amerikanischen Streitkräfte in Deutschland verstärkt.
Drittens. Auch nach dieser Umgliederung entsprechen die amerikanischen Streitkräfte in Deutschland nach Zahl der Einheiten, Ist-Stärke und Ausrüstung voll den Anforderungen der NATO.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage VI/3 — des Herrn Abgeordneten Sänger — auf:
Wie hoch berechnet das Auswärtige Amt den ihm entstehenden Aufwand für die Heranbildung des gesamten Nachwuchses für den höheren auswärtigen Dienst insgesamt und im Durchschnitt für den einzelnen Bewerber?
Ist der Abgeordnete Sänger im Raum? — Die Frage wird von Herrn Abgeordneten Dr. Mommer übernommen.
Bitte, Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort lautet wie folgt: Die Kosten für die Ausbildung eines Attaché-Jahrgangs während der gesamten Dauer des Vorbereitungsdienstes sind mit rund 2,7 Millionen DM zu veranschlagen. Dabei ist die Stärke des einzelnen Ausbildungsjahrgangs mit 50 Anwärtern angenommen, von denen etwa zwei Drittel die große juristische Staatsprüfung abgelegt haben. Für den einzelnen Anwärter errechnen sich hiernach die durchschnittlichen Ausbildungskosten mit rund 54 000 DM. Da vom kommenden Jahr an die Ausbildungszeit um sechs Monate verkürzt wird, werden sich die eben genannten Zahlen auf rund 2,1 Millionen DM für einen gesamten Jahrgang und rund 42 000 DM im Durchschnitt für den einzelnen Anwärter ermäßigen.
Dann rufe ich die Frage VI/4 — des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer — auf:
Ist der Fall des Herrn Dr. Frank, Ministerialdirigent im Auswärtigen Amt, mit seiner Erklärung gegenüber dem „Luxemburger Wort" erledigt, nach deren Wortlaut er gesagt hat: „Von einem politischen Gewissenskonflikt könne man, besonders pointiert gesagt, nur sprechen, wenn man aus dem Keller die Schreie der Gefolterten höre."?
Bitte, Herr Minister!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Antwort auf diese Frage ist sehr viel kürzer. Sie lautet: ja.
Meine Zusatzfrage ist: Wie?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Meine Antwort darauf ist: Erledigung bedeutet Erledigung.
Herr Außenminister, jetzt müssen Sie mir doch mehr sagen. Herr Außenminister: Betrachten Sie die Sache als ungeschehen, so daß der Beamte aus dieser Sache jetzt heraus ist
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 153
Dr. Mommer
.) und Sie keine Maßnahmen ergreifen, keinen Grund haben, mit ihm zu sprechen, keinen Grund haben, ihn zu versetzen oder dergl. mehr?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe gesagt: Erledigung ist Erledigung, und ich sage das in Würdigung aller Umstände. Ein großer Teil der Umstände ist Ihnen aus dem ausführlichen Brief des Betreffenden selber — das „Luxemburger Wort" hat diesen Brief abgedruckt — bekannt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hein.
Herr Bundesminister, ist es richtig, daß die Äußerung des Herrn Ministerialdirigenten Dr. Frank mehrmals, und zwar jeweils einem anderen Beamten gegenüber, bei verschiedenen Gelegenheiten getan wurde?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das kann ich nicht bestätigen. Soweit mir bekannt ist, ist das ein einziges Mal — wohlgemerkt in einem Gespräch unter vier Augen — gesagt worden, leider aber dann in sehr wenig schöner Weise weitergetragen worden.
Ich danke Ihnen, Herr Minister. Wir sind am Ende der Fragestunde. Die Fragen VII/5, VIII/2, XI/2, XI/3 und XI/4 sind vom Fragesteller zurückgezogen. Die nicht behandelten Fragen werden schriftlich beantwortet.
Wir setzen die gestern unterbrochene Beratung der Tagesordnungspunkte 2 und 3 fort:
Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung des Haushaltsausgleichs — Drucksache V/58 —
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da Herr Kollege Dr. Luda nach mir sprechen will, will ich an den Anfang meiner Ausführungen nicht die Fragen, die gestern abend eine Rolle gespielt haben, sondern den Bereich setzen, zu dem ich mich gemeldet habe, nämlich die sozialpolitischen Fragen.
Die Kollegen von der sozialdemokratischen Fraktion — auch Herr Professor Schellenberg — haben sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, welche Punkte in der Regierungserklärung nicht oder zu wenig angesprochen seien. Es ist dann von der Vorrangigkeit bestimmter Projekte gesprochen worden. Wenn ich all diese Punkte zusammennehme, die seit Montag mittag bis gestern abend von der Opposition als vorrangig bezeichnet worden sind, dann scheint es mir etwas einfacher zu sein, einmal danach zu fragen, was nachrangig ist. Denn alles das, was als vorrangig bezeichnet worden ist, ergibt einen solchen Umfang, daß man eigentlich zur Feststellung kommen muß, es sei alles gleichgewichtig.
Wir sind selbstverständlich entschlossen, gewisse Schwerpunkte zu setzen. Das setzt aber voraus, daß man den Mut hat, zu sagen: anderes muß zurückstehen. Was zurückstehen muß, haben wir bisher von der 'sozialdemokratischen Fraktion leider noch nicht hören können.
Die Einzelfragen, die vom Kollegen Schellenberg und in der Antwort des Herrn Bundesarbeitsministers angesprochen worden sind, sind nicht geeignet, im Augenblick schon im Detail hier diskutiert zu werden. Eines verstehe ich allerdings nicht. Herr Kollege Schellenberg hat gefragt, ob der Herr Bundesarbeitsminister überhaupt darauf warten müsse, bis die Sozialenquete vorliege; es sei doch eigentlich alles klar und bekannt. Ich kann mich sehr genau entsinnen, Herr Kollege Schellenberg, daß Ihre Fraktion zu den verschiedensten Fragen die Einsetzung von Beiräten, Ausschüssen, Kommissionen usw. gefordert hat, um Tatbestände klarzulegen. Ich verstehe nicht recht, wieso dann, wenn von der Regierung eine Sozialenquete verlangt wird, es wirklich nicht mehr notwendig sein soll, die Dinge zu untersuchen.
— Natürlich ist es „verständlich", Kollege Stingl. Wir sind überzeugt, daß selbstverständlich für den einen oder anderen Fachmann in seinem speziellen Bereich nichts Neues kommen wird. Die Gesamtübersicht wird aber denjenigen Kollegen, die in dieser Materie nicht zu Hause sind, die Überzeugung geben, daß in vielen Bereichen noch manches zu geschehen hat. Dann werden wir die notwendigen Mehrheiten eher finden können. Vor allen Dingen bin ich überzeugt, daß die Sozialenquete deutlich werden läßt, daß im Bereich der Kriegsfolgengesetzgebung noch vieles zu erledigen sein wird. Es kommt uns gerade mit darauf an, klarzulegen, wo noch ein Nachholbedarf ist und wo schon eine Überschneidung eingetreten ist, die wir beseitigen müssen.
— Bitte sehr, Herr Kollege!
Herr Kollege Mischnick, ich wollte Sie fragen, welche Probleme in bezug auf die Lohnfortzahlung nach Ihrer Meinung durch die Sozialenquete noch erforscht werden sollen?
Verehrter Herr Kollege Schellenberg, ich kann einfach nicht glauben, daß Sie nicht wissen, daß zwischen Lohnfortzahlung und Krankenversicherung ein Zusammenhang besteht, und die Sozialenquete wird zur Krankenversicherung etwas sagen.
Das ist so selbstverständlich, daß ich Ihre Frage nicht verstehe.
354 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965
Mischnick
Im Rahmen der sozialpolitischen Debatte ist auch die Frage .des Gemeinschaftswerkes aufgeworfen worden. Wir stehen diesen Überlegungen — das ist schon mehrfach zum Ausdruck gekommen — bis zu einem gewissen Grade skeptisch gegenüber. Wir meinen: das Problem des Gemeinschaftswerkes muß im Zusammenhang milt der Finanzreform diskutiert werden, wo es ja nicht nur darum geht, die Steuerverteilung zu überprüfen, sondern auch die Aufgabenverteilung in die Debatte mit einzubeziehen. Allerdings wehren wir uns dagegen, daß eben mit dem Gemeinschaftswerk vielleicht eine Art Nebeneinrichtung, eine Institution neben dem Bundeshaushalt und den Haushalten der Länder entsteht, was nach unserer Überzeugung nur zu Schwierigkeiten führen kann. Aber das sollte im einzelnen diskutiert werden, wenn uns die entsprechenden Vorlagen zur Finanzreform zur Verfügung stehen.
Mit Recht hat Kollege Schellenberg darauf hingewiesen, daß wir uns in der Frage ,der Ausbildungsförderung um eine gezielte Förderung bemühen müßten. Deshalb auch die Überlegung, wie man Mängel der Gesetzgebung dieses Jahres aus der Welt schaffen kann. Nur kann ich mich sehr gut daran erinnern, daß die Bemühungen, ein gezieltes Ausbildungsförderungsgesetz zu schaffen, leider mit daran gescheitert sind, daß z. B. das Land Hessen dagegen Einspruch erhoben hat, weil das nicht Bundesangelegenheit sei.
Das sind doch die Probleme, die uns hier immer wieder Schwierigkeiten bereiten! Ob dieser Einspruch berechtigt oder unberechtigt ist, will ich jetzt gar nicht im einzelnen untersuchen; nur ist es schlecht, aus dem gleichen Lager zu sagen: „Ihr dürft es nicht!" und uns gleichzeitig vorzuwerfen: „Ihr habt es nicht getan!" Das ist unlogisch.
Herr Kollege Liehr möchte eine Zwischenfrage stellen.
Bitte!
Herr Kollege Mischnick, ist Ihnen nicht bekannt, daß die sozialdemokratische Fraktion schon zu Beginn des Jahres 1962 dem Hause den Entwurf eines Ausbildungsförderungsgesetzes vorgelegt hat und daß das Ministerium bis zum Ende der vorangegangenen Legislaturperiode nicht die Möglichkeiten genutzt hat, um mit den Ländern z. B. die Frage zu klären, ob die hessische Auffassung dazu verfassungskonform ist oder nicht?
Herr Kollege, zunächst einmal sind wir der Überzeugung gewesen, daß diese Vorlage eben nicht dem entspricht, was die Koalition für richtig hält. Zum anderen haben natürlich Gespräche stattgefunden. Sonst wäre ja das Nein zu den anderen Vorschlägen nicht gekommen. Das kam doch nicht aus dem luftleeren Raum!
Ein weiterer Gesichtspunkt, der hier in dieser, wie ich bedauernd sagen muß, kurzen Debatte über das Gebiet der Sozialpolitik behandelt wurde, war die Frage der Arbeitszeitverlängerung. Kollege Leber stellte diese Frage. Auch Professor Schiller hat dazu Stellung genommen. Wir Freien Demokraten haben unseren Standpunkt sehr deutlich umrissen. Eines verstehen wir allerdings nicht: Warum wehrt man sich immer wieder und auch jetzt noch dagegen, die Frage einer Lohnsteuer- und Sozialabgabenbefreiung der Überstunden erneut zu diskutieren, meldet aber gleichzeitig die Sorge an, daß mit der Automation eines Tages schwierige Probleme auf uns zukommen könnten?
Mir scheint es sehr viel sinnvoller zu sein, die Frage der Lohnsteuerbefreiung der Überstunden zu diskutieren, um im Falle eines Falles sehr schnell reagieren zu können, als langfristige Gastarbeiterverträge abschließen zu müssen, die in einer Krisensituation, die vielleicht durch die Automation eintreten könnte, sehr viel weniger schnell aufgelöst werden könnten und uns sehr viel mehr Mühe machen würden. Ich bitte also auch diese Frage zu berücksichtigen.
Mit Recht ist angeregt worden, bis zur Mitte des nächsten Jahres eine Art Denkpause eintreten zu lassen. Wir haben uns sehr darüber gefreut, daß der Herr Bundesarbeitsminister diese Denkpause will, um im Zusammenhang mit der Erstellung der Sozialenquete neue Überlegungen über die noch offenen Fragen der Krankenversicherungsreform, der Lohnfortzahlung und der Eigentumsbildung anzustellen und dabei auch die Frage zu prüfen, welche anderen Formen man wählen kann. Wie richtig eine solche Denkpause ist, zeigt sich gerade in diesen Wochen, wo in zunehmendem Maße das eintritt, was wir anläßlich der Beratung des 312-DMGesetzes vorausgesagt haben. Wir haben damals gesagt, daß es eigentlich nur des § 4 des Gesetzes bedarf, weil damit jedem Arbeitnehmer die Möglichkeit gegeben wird, 312 DM lohnsteuer- und sozialabgabenfrei anzulegen. Wir stellen heute fest, daß gerade diese Möglichkeit von Arbeitern, Angestellten und Beamten bereits in erfreulich hohem Maße genutzt wird. Wir glauben, daß dadurch die Diskussion über die Frage, ob die Tarifvertragsfähigkeit verfassungsrechtlich vertretbar ist oder nicht, allein durch die Entwicklung erledigt wird, weil die Arbeitnehmer von selbst von dieser Möglichkeit Gebrauch machen und es gar keines Tarifvertrages mehr bedarf.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß des sozialpolitischen Teils meiner Ausführungen noch einmal feststellen, daß wir bereit sind, mit dem Herrn Bundesarbeitsminister auf der Grundlage, die er hier in groben Zügen dargestellt hat, aufs engste zusammenzuarbeiten. Wir wissen natürlich, daß es in Einzelfragen Meinungsunterschiede geben wird; wir werden sie jedoch gemeinsam auszutragen wissen. Wir sollten aber die Gesetzgebung im sozialpolitischen Bereich in den nächsten vier Jahren nicht zuletzt unter
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 355
Mischnick
dem Gesichtspunkt sehen, daß die Gruppen und die Bereiche der Kriegsfolgengesetzgebung, die nachhinken, die noch nicht auf den heutigen Stand gebracht sind, Anschluß finden.
Mit großer Befriedigung haben wir deshalb zur Kenntnis genommen, daß die Zusage der Bundesregierung hinsichtlich der Kriegsopferversorgung vom Sommer dieses Jahres nicht nur eingehalten werden soll, sondern daß bereits die Vorarbeiten für ein entsprechendes Gesetz im Gange sind. Wir müssen uns immer bewußt sein, daß die Entscheidung für eine dynamische Rentenversorgung — in der Arbeiter-, Angestellten- und Unfallrentenversicherung — automatisch dazu führt, daß wir laufend alle Kriegsfolgeleistungen überprüfen müssen, um sie entsprechend anzupassen. Dem kann sich niemand entziehen. Wir halten es nicht für richtig, die gleiche Automatik in diesen Gesetzen einzuführen, halten aber die laufende Überprüfung für notwendig. Die Ankündigung des Herrn Ministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte, daß die Gleichstellung der Sowjetzonenflüchtlinge Schritt für Schritt weiter erfolgen soll, ist ein Beweis dafür, daß diese Erkenntnis schon 1961 richtig war und daß auch hier ein Nachholbedarf zu befriedigen ist. Allerdings muß dies im Rahmen der Möglichkeiten des Bundeshaushalts geschehen.
Insoweit ist festzustellen, daß die Nachkriegszeit leider noch nicht ganz zu Ende ist. Aber wir sind uns ja dessen bewußt, daß sich die Kriegsfolgen nicht auf einen Tag terminieren lassen, sondern ihre Auswirkungen noch eine gewisse Zeit dauern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte um Ihr Verständnis, wenn ich nunmehr zu einigen Fragen Stellung nehme, die gestern abend hier eine große Rolle gespielt haben.
Ich bin zwar der gleichen Meinung wie Herr Kollege Erler: man sollte die Schlacht möglichst nicht im falschen Saale stattfinden lassen. Aber wir haben in diesem Hohen Hause doch schon mehrfach erlebt, wie unsere sozialdemokratischen Kollegen die Entwicklung in Hessen und hessische Maßnahmen als Vorbild hingestellt haben.
Nun, wenn man uns hier im Bundestag etwas als Vorbild hinstellt, müssen wir natürlich prüfen, ob dieses „Vorbild" für den Bund übernehmenswert ist.
Deshalb diskutieren wir hier darüber. Mit einem gewissen Stolz hat Herr Minister Osswald darauf hingewiesen, daß das, was der Große Hessenplan an Überlegungen enthält, im Bundesfinanzministerium darauf hin geprüft werde, ob und inwieweit es übernommen werden kann. Ich weiß, daß auch andere Länder diesen Großen Hessenplan studieren,
— übrigens eines der wenigen Dokumente der SPD, die noch in rot eingebunden sind.
Ich weiß, daß dieser Große Hessenplan eine Art Grundlage für die Gesamtgestaltung oder, wenn ich es mit einem anderen Begriff bezeichnen will, für die Raumordnung in der Bundesrepublik werden soll. Das ist ein sehr verdienstvolles Unternehmen. Allerdings muß man sich dabei auch ansehen, welche finanziellen Konsequenzen daraus entstehen sollen.
In diesem Großen Hessenplan wird für die Zeit von 1965 bis 1974 davon gesprochen — ich zitiere wörtlich Seite 86 —:
Bis zu dem Gesamtbetrag von 13 1/2 Milliarden, mit dem sich das Land an der Finanzierung des Hessenplanes beteiligen will, bleiben noch 2,5 Milliarden. Dieser Betrag muß für den Großen Hessenplan über Kreditaufnahme beschafft werden. Um jedoch für den Schuldendienst ordentliche Einnahmen freizubekommen, muß ein weiterer Betrag in dieser Höhe über Kredit beschafft werden, so daß sich der erforderliche gesamte Kreditbetrag auf rund 5 Milliarden stellen wird.
Das heißt: Für den Großen Hessenplan sind nach Ausführungen der hessischen Landesregierung für 10 Jahre rund 5 Milliarden DM Kreditmittel vorgesehen. Das heißt nach Adam Riese: pro Jahr 500 Millionen. Ich will noch zugestehen, daß eine Steigerung drin ist, mit 400 Millionen beginnend und vielleicht bei 600 Millionen endend. Wenn Sie das als Vorbild für die gesamte Bundesrepublik ansehen und Hessen etwa 10 % des Bundes — über den Daumen gepeilt — ausmacht, würde das bedeuten, daß die Länder allein pro Jahr einen Kreditbedarf von 4 'bis 5 Milliarden DM hätten.
- Nur für diese Strukturfragen. Wenn ich dann überlege, was den Gemeinden, was dem Bund, was den Sonderfonds übrigbleibt, dann ist das sehr schwierig.
Nun hat Minister Osswald davon gesprochen, das Ganze solle beweglich sein. Diese Klarstellung ist sehr verdienstvoll. Das bedeutet natürlich gleichzeitig, daß man nicht für das Jahr 1965 und 1966 sagen kann: Wir werden mit 500 Millionen DM herangehen und diese Aufgaben erfüllen, man wird also mit einem niedrigeren Betrag herangehen müssen. Insoweit interessiert es uns natürlich hier, inwieweit die Länder bereit, gewillt oder gezwungen sind, an den Kreditmarkt heranzugehen und damit die Möglichkeiten des Bundes für den Lastenausgleich, bei der Bahn und bei der Post zu beschränken. Das ist eine Frage, die hier diskutiert werden muß.
Mit einer gewissen Freude und innerer Genugtuung, die ich durchaus verstehen kann, hat Herr
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Mischnick
Minister Osswald davon gesprochen — wörtlich hieß es —:
Bringen Sie die Finanzen des Bundes in Ordnung; bei uns sind sie in Ordnung.
Wir gestehen durchaus zu, daß das Land Hessen als Land, nachdem es — wenn ich richtig orientiert bin — heute die höchste Zuwachsrate bei den Steuereinnahmen hat, in einer sehr günstigen Position ist und daß der Landeshaushalt und auch die Schuldenaufnahme des Landes sich durchaus in einem überschaubaren und vertretbaren Rahmen bewegen. Aber interessant war bei Ihrer gestrigen Entgegnung auf die Ausführungen des Kollegen Luda, daß Sie leider die gewichtige Ausnahme Frankfurt am Main völlig aus Ihren Ausführungen herausgelassen haben. Nun wird der eine oder andere geneigt sein, zu sagen: Ist das nicht schon wieder zu speziell?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir uns hier bemühen, die Ausgaben der öffentlichen Hand in einem sinnvollen Rahmen zu halten, kann es uns einfach nicht gleichgültig sein, ob in einer Stadt wie Frankfurt am Main eine Verschuldung von über 1,4 Milliarden DM vorhanden ist.
Dann kann es uns nicht gleichgültig sein, daß in dieser Stadt für 1966 ein Etat von 868 Millionen DM und ein außerordentlicher Etat von 828 Millionen DM vorgelegt werden.
Zugestanden, daß darin viele Dinge enthalten sind, die nur wiederveranschlagt sind. Aber es bleibt doch ein Betrag für die Neuverschuldung übrig, der in seiner Höhe von 200 bis 300 Millionen DM für uns sehr interessant ist. Denn wir ringen doch darum, zusätzlich 200 Millionen DM für den Lastenausgleichsfonds zu bekommen, um ihn flüssig zu machen. Wenn dann eine Stadt allein 200 Millionen DM in einem Jahr an Krediten aufnehmen muß, um ihre eigenen dringendsten Bedürfnisse zu befriedigen, dann ist das für uns ein Anlaß, zu überlegen, wo hier die Fehler liegen.
Da wird es doch recht — ich muß schon fast sagen — makaber. Warum sind denn diese Schulden entstanden? Weil das Land Hessen das einzige Land ist, das bisher noch einer Stadt zumutet, eine Universität zur Hälfte aus eigenen Mitteln zu finanzieren,
weil das Land Hessen jetzt erst bereit ist, diese Frage zu prüfen. Das macht allein für die Stadt Frankfurt am Main bis heute eine Verschuldung in Höhe von 500 Millionen DM aus.
Kreditmittel in Höhe von 500 Millionen DM, durch eine Stadt aufgenommen, bedeuten aber, daß die entsprechenden Tilgungs- und Zinsbeträge im ordentlichen Haushalt erscheinen müssen. Das bedeutet, daß diese 500 Millionen DM anderen nicht zur Verfügung gestanden haben, und zwar nur deshalb nicht, weil sich das Land gegenüber der Stadt Frankfurt nicht so verhalten hat, wie das in allen anderen Ländern gegenüber den Universitätsstädten geschehen ist.
Noch ein weiteres Beispiel.
— Lieber Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, auf diesen Zwischenruf habe ich gewartet. Aber weil Sie gestern und vorgestern davon sprachen, müssen natürlich auch gewisse Dinge aus dem Wahlkampf hier erwähnt werden. Nachdem Ihre Freunde in Frankfurt die Broschüre „Zum Beispiel Frankfurt" als Modell für den Bund herausgebracht haben, kann ich nur sagen: Warnung, Warnung vor diesem Beispiel!
Der Abgeordnete Schmitt-Vockenhausen möchte eine Frage stellen.
Wollen Sie freundlicherweise den Kollegen der CDU sagen, daß der Mann, der die finanzielle Verantwortung trägt und Stadtkämmerer ist, der CDU angehört?
Diese Feststellung, Herr Kollege Schmitt-Vockenhausen, ist nicht falsch; aber Ihre Freunde haben seit 1956 in Frankfurt am Main die absolute Mehrheit.
Herr Abgeordneter Matthöfer möchte noch eine Frage stellen.
Herr Kollege Mischnick, sind Sie der Meinung daß die Investitionen der Stadt Frankfurt — etwa auf dem Gebiete des Krankenhausbaus oder auf dem Gebiete der Wirtschaftsförderung —, die dazu beigetragen haben, daß sie heute die steuerstärkste Stadt der Bundesrepublik ist, so schlecht waren und so gar kein Beispiel geben können?
Verehrter Herr Kollege Matthöfer, ich bin der Überzeugung, daß diese Investitionen notwendig waren.
Ich bedauere, daß das Land Hessen mit der absoluten Mehrheit der SPD die absolute Mehrheit der SPD in Frankfurt am Main so im Stich gelassen hat.
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Herr Abgeordneter Mischnick, Herr Schmitt-Vockenhausen möchte noch eine Frage stellen.
Wäre es nicht eine gute Möglichkeit gewesen, einen wirklichen Beitrag zu der Debatte zu leisten, wenn Sie beispielsweise den Herrn Verkehrsminister festgenagelt hätten, daß Frankfurt endlich etwas für seine U-Bahn bekommt? Damit hätten Sie der Stadt Frankfurt helfen können.
Herr Kollege Schmitt, Sie können gar nicht begreifen, wie dankbar ich Ihnen dafür bin, daß Sie das auch noch gesagt haben; denn hier ist die Sache ja leider etwas anders. Wir haben erstens feststellen müssen, daß der Antrag für den U-Bahn-Bau sehr viel später da war als die Kritik, daß nichts gezahlt worden ist,
und zweitens konnten wir heute wieder hören, daß der Antrag bezüglich des Ausbaus der Nordweststraße erst am 18. Oktober hier eingegangen ist und deshalb noch keine Stellung bezogen werden konnte. Sie können sicher sein, daß wir uns genauso wie Ihre Kollegen und auch die Kollegen der CDU bemühen werden, durchzusetzen, daß der Bund die Projekte mitfinanziert, die er in anderen Städten auch mitfinanziert. Wir sollten aber nicht in den Fehler verfallen, die Mängel hessischer Finanzierung dem Bund aufhalsen zu wollen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nur noch ein Hinweis. Neben diesen 500 Millionen DM sind noch weitere rund 70 Millionen DM laufende Ausgaben in dieser Stadt für Aufgaben notwendig, die die Stadt erfüllen muß. Ich denke da an Polizeikosten usw., die in anderen Ländern das Land übernimmt. Warum habe ich diese Punkte im einzelnen aufgeführt? Lassen Sie mich noch einmal mit wenigen Sätzen zusammenfassen. Wenn man uns hier im Bund und der Bundesregierung vorwirft, die Finanzpolitik sei falsch gewesen, und wenn man Hessen als Vorbild bringt, muß man auch den Mut haben zuzugeben, daß man im eigenen Bereich Finanzstrukturmaßnahmen — wenn ich es einmal so bezeichnen darf — -getroffen hat, die nach unserer Überzeugung kein Vorbild sind.
Ein zweiter Gesichtspunkt. Wenn man hier sagt, wir müßten bei der Ausweitung des Haushalts entsprechend dem Wachsen des Sozialprodukts verfahren, wir müßten bei der Aufnahme der Kreditmittel für die öffentliche Hand usw. entsprechend beispielgebend sein, dann müssen wir von Ihnen erwarten, daß Sie in den Landesregierungen, in denen Sie die Verantwortung tragen, dafür sorgen, daß nicht nur das Land, sondern auch die Gemeinden das Entsprechende tun. Die Kommunalaufsicht in Hessen hätte längst gegenüber Frankfurt ihr Veto einlegen müssen, nicht erst im Jahre 1965. Das konnte sie aber nicht, weil sie ja selbst mit schuld daran war, daß die Schwierigkeit entstanden ist.
Und ein letzter Punkt! Wir haben sehr deutlich gemacht, daß wir den Willen haben, unseren Bundeshaushalt durch Einsparungen auszugleichen, und daß wir alles, was mit Steuererhöhungen zusammenhängt, nicht nur skeptisch betrachten, sondern als ein nicht taugliches Mittel für einen Haushaltsausgleich ansehen. Wohin aber die Politik führt, die von Ihren SPD-Mehrheiten getrieben worden ist, sehen Sie an der Tatsache, daß Frankfurt am Main vor der Notwendigkeit steht, die Gewerbesteuer zu erhöhen, so daß sie insgesamt — mit Lohnsummensteuer — auf einen Satz von 336 kommt. Auf diese Weise wird natürlich ein Preisauftrieb bewirkt; denn diese Steuer geht in die Preise. Das wissen Sie genauso gut wie wir. Wir wollen das nicht.
Zunächst eine Mitteilung: Die Herren Abgeordneten Struve, Dr. Schmidt und Ertl wollen ihre agrarpolitischen Erklärungen uns zuliebe zu Protokoll geben.*) Sie verdienen unseren Dank.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Luda.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Tatsachen, welche ich gestern vormittag von dieser Stelle aus vorgebracht habe und .die gestern abend auch von dem Herrn hessischen Staatsminister der Finanzen Osswald hier zum Gegenstand der Debatte gemacht worden sind, sind von großer Bedeutung für die konjunkturpolitische und preispolitische Debatte, die in diesem Hause seit nunmehr drei Tagen stattfindet. Diese Dinge, die heute nunmehr, Herr Minister Osswald, zwischen uns in rein tatsächlicher Hinsicht endgültig klargestellt werden müssen und sollen, sind nicht nur bedeutsam; sie sind darüber hinaus auch recht diffizil. Deshalb ist es, um heute zu einem Schlußstrich zu kommen, erforderlich, daß wir die Dinge in großer Sachlichkeit Punkt für Punkt abhandeln.
Ich werde aus diesem Grunde hier zu sämtlichen Punkten, die der Herr Staatsminister Osswald gestern geglaubt hat beanstanden zu müssen, eine Entgegnung verlesen, deren Inhalt und Wortlaut ich gestern nacht mit der Statistischen Abteilung des Bundesministeriums der Finanzen ausgearbeitet habe.
Weil die Dinge. so bedeutsam und so diffizil sind,
muß ich darauf bestehen, daß diese Punkte hier von
*) Siehe Anlagen 4, 5
358 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965
Dr. Luda
mir im Zusammenhang vorgetragen und im wesentlichen verlesen werden können.
Erstens. Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich hatte gestern hier, vorgetragen, daß die Haushaltsausweitung des Bundeslandes Hessen in den ersten drei Vierteljahren des Jahres 1965 statt der im Juni 1964 mit dem Herrn Bundeskanzler vereinbarten Quote von 6 % auf 20 % angewachsen sei. Der Herr Staatsminister der Finanzen Osswald hat geglaubt, das bestreiten zu müssen. Ich verlese die Klarstellung, die sich auf Grund des Studiums der Statistiken heute nacht eindeutig ergeben hat:
Die Reinausgaben des Landes Hessen im ersten bis dritten Rechnungsvierteljahr 1965 sind im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum um 20 % gestiegen.
Die dieser Zuwachsrate zugrunde liegenden absoluten Beträge sind von dem Finanzministerium dieses Landes, Hessen, dem Bundesministerium der Finanzen gemeldet worden und werden in dieser Form in Kürze auch veröffentlicht werden.
Wenn Herr Staatsminister Osswald als Zuwachsrate der Landesausgaben von Hessen in dem vorgenannten Zeitraum eine Zahl von 10,5 % genannt hat, so liegt das daran, daß er Unvergleichbares miteinander verglichen hat.
Im Jahre 1965 hat sich der Aufbau des Landeshaushalts von Hessen in seiner formalen Gestaltung gegenüber 1964 erheblich geändert. Insbesondere sind 1965 die Ausgaben im Länderfinanzausgleich als Minderausgaben nachgewiesen, während sie 1964 noch als Ausgaben, nämlich brutto, dargestellt wurden. Insofern sind die Abschlußdaten über das Haushaltsvolumen des Landes Hessen von 1964 und 1965 nicht mehr miteinander vergleichbar.
Wenn man die Ausgaben eines Landes, mehrerer Länder oder auch aller Gebietskörperschaften miteinander vergleichen will, muß man Unterschiede im systematischen Aufbau der einzelnen Haushaltspläne, die teilweise von Jahr zu Jahr vorgenommen werden, ausschalten. Diese Vergleichbarkeit ist aber von Herrn Minister Osswald in seinen gestrigen Ausführungen nicht herbeigeführt worden. Für die Zahlen, die Herr Staatsminister Osswald über die Länder Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Saarland genannt hat, gilt das gleiche, nämlich daß der Zuwachs der Ausgaben nach den formalen Abschlußsummen der Haushalte errechnet worden ist, ohne daß aber die notwendigen
Bereinigungen zur Herstellung der Vergleichbarkeit von Jahr zu Jahr und von Land zu Land vorgenommen worden wären.
Herr Staatsminister Osswald hat in seiner Rede geäußert, daß die Zuwachsraten für das Land Hessen vom Statistischen Bundesamt genannt worden seien. Dazu ist zu bemerken,
— Herr Staatsminister, Sie wissen das, aber ich muß es auch dem Hause mitteilen —
daß das Statistische Bundesamt von den Finanzministerien der Länder und in diesem Falle auch von Hessen lediglich eine Durchschrift der Meldungen bekommt, die die Länder dem Bundesministerium der Finanzen zuleiten. Insofern kann das Statistische Bundesamt generell. in seinen Auskünften nicht von denen des Bundesministeriums der Finanzen abweichen.
Ich möchte hier im Stegreif noch ergänzen: Das, was der Herr Staatsminister Osswald bei seiner gestrigen Rückfrage beim Statistischen Bundesamt erfahren haben könnte, kann also nur das sein, was Hessen, sein eigenes Ministerium, selber nach Bonn und Wiesbaden gemeldet hat.
In der Ausarbeitung heißt es wörtlich weiter:
Die statistischen Gremien und die für die Finanzstatistik zuständigen Stellen, also das Statistische Bundesamt, das Bundesministerium der Finanzen und die Finanzministerien der Länder, sind sich darin einig, daß ein Vergleich des Wachstums der Ausgaben nur nach bestimmten Bereinigungen vorgenommen werden kann. Diese Methode ist bisher auch nicht angegriffen worden. Herr Staatsminister Osswald hat aber gestern diese allgemein übliche notwendige Bereinigung nicht vorgenommen.
Es bleibt also dabei, meine sehr geehrten Damen und Herren — vor allem auch von der Opposition —: in den ersten drei Vierteljahren des Haushaltsjahres 1965 hat die Wachstumsrate des Haushalts im Bundeslande Hessen nicht die vereinbarten 6 %, sondern die von mir gestern schon behaupteten 20 %betragen.
Die gleiche Art und Weise, in der gestern Herr Staatsminister Osswald die Dinge hier darzustellen versucht hat, zeigte sich auch in der Methode, die er in der Sitzung des Bundesrates vom 12. März 1965 angewendet hat. Ich beginne jetzt wiederum wörtlich zu zitieren:
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine Herren! Die Ausführungen des Herrn Hessischen Staatsministers der Finanzen erfordern, glaube ich, nur eine verhältnismäßig kurze Erwiderung.
Herr Kollege Osswald, Sie haben gesagt, Sie identifizierten sich nicht mit den Vorwürfen der Unredlichkeit und der Unsolidität, die mir gemacht worden sind; aber Sie haben sie sehr
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 359
Dr. Luda
nett und breit hier zitiert. Ich behaupte nicht, daß Sie ein Pharisäer sind, wenn ich jetzt sage, daß derjenige, der im Glashaus sitzt, am allerwenigsten mit Steinen werfen soll. Es ist doch gar kein Zweifel, Herr Kollege Osswald, daß solche Vorwürfe gerade gegen den Haushalt des Landes Hessen berechtigt sind.
Sie haben in Ihrer Haushaltsrede gesagt, der Haushaltszuwachs betrage in Hessen 6,1 %; damit habe Hessen den Empfehlungen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in Richtung auf eine antizyklische Finanzpolitik entsprochen. Ich darf Ihnen sagen, daß das nur durch die Verschleierung der wahren Ausgabenhöhen erreicht worden ist.
Die Dinge haben in der Öffentlichkeit schon genügend Staub aufgewirbelt. Ich hätte sie bestimmt hier nicht vorgebracht, wenn Sie, Herr Kollege Osswald, nicht diesen recht harten Angriff gestartet hätten.
Und jetzt kommt die fachmännische Klarstellung:
Es ist doch gar kein Zweifel, daß Sie Ihren Haushalt 1965 gegenüber 1964 erheblich verändert haben, um zu verhindern, daß sichtbar wird, daß Sie nicht 6,1 %, sondern 10,8 % Zuwachs haben, davon nachfragewirksam 10,4 %, womit Sie an zweiter Stelle aller deutschen Länder stehen.
Die 6;1 % sind nur dadurch erreicht worden, daß Sie Ausgaben, die noch in 1964 als Ausgaben erschienen sind, in 1965 als Mindereinnahmen veranschlagt und daß Sie Leertitel für Bundesmittel erstmalig im Jahre 1965 in Ihren Haushalt eingebaut haben. Die Ausschaltung von Doppelzählungen usw. kommt noch hinzu. Im einzelnen sieht es so aus: Gemeindefinanzausgleich 11,2 %, Bauinvestitionen 49,9 % — die Erhöhungen betreffen also Wirtschaftsbereiche, in denen ohnehin schon Überhitzungserscheinungen bestehen, in besonders starkem Maße —, Personalausgaben 9,7 %. Trotz der Besoldungsverbesserung bleiben diese hinter der Zunahme der Gesamtausgaben zurück.
Dieser eindeutigen Klarstellung des Bundesministers der Finanzen in der Bundesratssitzung vom 12. März 1965 ist insbesondere auch im Vergleich mit den Ereignissen von gestern hier in diesem Hause nichts hinzuzufügen.
Der zweite gestern von Herrn Staatsminister Osswald gegen mich gerichtete Angriff betraf die Frage der Pro-Kopf-Verschuldung im Bundesland Hessen und ihre Entwicklung innerhalb des Zeitraums von zwölf Monaten. Ich verlese hierzu das Ergebnis unserer gestrigen Feststellungen im Bundesministerium der Finanzen, in seiner Statistischen Abteilung. Ich zitiere:
Herr Staatsminister Osswald hat geäußert, daß die in der Debatte von mir genannten Zahlen für den Schuldenstand des Landes Hessen von 28 DM je Einwohner am 30. 9. 1964 und von 94 DM je Einwohner am 30. 9. 1965 keinen Bezug zu irgendwelchen tatsächlichen Gegebenheiten hätten. Stellt man es auf die Gesamtschulden des Landes Hessen ab, so könnte die von Herrn Minister Osswald genannte Schuldenzahl von 440 DM je Einwohner für Ende 1964 stimmen. Man sollte aber nicht verkennen, daß finanzpolitisch und konjunkturpolitisch gesehen nicht alle Schulden der Länder — und das gilt auch für Hessen — dieselbe Bedeutung haben. Der größte Teil der Schulden der Länder entfällt nämlich auf Schulden gegenüber dem Bund und dem Lastenausgleichsfonds. Die Länder sind zwar in diesem Fall formell Schuldner gegenüber dem Bund und dem Lastenausgleichsfonds, finanzwirtschaftlich bringen diese Schulden aber keine echte Belastung für die Haushaltswirtschaft der Länder mit sich, da der Schuldendienst durch entsprechende Zins- und Tilgungseinnahmen gedeckt wird.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Herr Präsident, ich hatte eingangs gesagt, daß ich diese diffizilen und bedeutsamen Fragen im Zusammenhang vortragen muß.
Herr Dr. Luda will eine Zwischenfrage jetzt nicht zulassen.
Zum Schluß!
Wenn man also die finanzwirtschaftlich bedeutsame Höhe der Schulden der Länder errechnen will, kann man nur von den eigentlichen Kreditmarktschulden ausgehen. Diese betragen für das Land Hessen nach den amtlichen Unterlagen von Hessen für Ende September 1965
— das war der von mir zitierte Zeitpunkt — 94 DM je Einwohner.
— Das war der von mir behauptete Betrag. —
Insofern habe ich die Zahlen genannt, die für uns hier im Bundestage konjunkturpolitisch und finanzwirtschaftlich entscheidend sind. Die von Herrn Staatsminister Osswald genannten Zahlen sind insoweit irrelevant.
Jetzt kommt ein Weiteres. Von Herrn Minister Osswald — —
360 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965
Dr. Luda
Ich verlese:
Wenn der Herr Staatsminister Osswald gestern die von mir genannte Zahl der Kreditmarktschulden der hessischen Gemeinden nach Durchführung — —
Herr Abgeordneter Dr. Luda hat nach der gestrigen Diskussion das Recht, hier jedenfalls seine Feststellungen zu treffen.
Es ist bedauerlich, daß diese Dinge einen so großen Raum bei uns schon eingenommen haben. Aber ich kann jetzt die Erörterung nicht abschneiden. Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Luda, fahren Sie fort!
Meine Damen und Herren, ich bin zutiefst davon überzeugt, daß auch Sie ein Bedürfnis haben, daß diese wichtigen Dinge hier objektiv debattiert und klargestellt werden.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn Herr Minister Osswald gestern die von mir genannte Zahl der Kreditmarktschulden der hessischen Gemeinden nach Durchführung des Großen Hessenplans im Jahre 1974 mit etwa 7,7 Milliarden DM als falsch bezeichnet hat, so ist das absolut unverständlich. Die Kreditmarktschulden der hessischen Gemeinden beliefen sich Ende 1964 auf 3 Milliarden DM. Das Land geht selbst davon aus, daß für die Durchführung des Großen Hessenplans von den Gemeinden zusätzlich 3,5 Milliarden DM durch Kreditaufnahmen beschafft werden müssen. Abgesehen davon, daß diese Angabe sicherlich zu niedrig gegriffen ist, wie sich selbst bei einer vorsichtigen Schätzung ergibt, dürften die Gemeinden auch noch Kreditaufnahmen für solche Zwecke machen müssen, die nicht im Großen Hessenplan veranschlagt sind, wie das ja von Jahr zu Jahr immer notwendig ist. Somit erscheint der geschätzte Schuldenstand der hessischen Gemeinden im Jahre 1974 von mindestens 7,7 Milliarden DM auf jeden Fall gerechtfertigt.
Es kommt nun der nächste Punkt. Ich verlese:
Herr Staatsminister Osswald hat auf die Frage des Herrn Kollegen Hofmann, ob die hessischen Gemeinden im Schnitt die am meisten verschuldeten in der Bundesrepublik seien, mit Nein geantwortet und konkrete Zahlen angekündigt,
diese aber nicht genannt. Tatsächlich ergibt sich über den Schuldenstand der Gemeinden folgendes. In DM je Einwohner beliefen sich die inländischen Gesamtschulden in Hessen Ende Dezember 1964 auf 643 DM bei einem Bundesdurchschnitt von 463 .DM.
Hessen liegt damit weitaus an der Spitze. Als nächstes Land folgt Niedersachsen mit großem Abstand gegenüber Hessen mit 489 DM je Einwohner. Nimmt man nur die Kreditmarktverschuldung, so ergibt sich für die Gemeinden in Hessen ein Betrag von 592 DM je Einwohner gegenüber 389 DM je Einwohner im Bundesdurchschnitt. Selbst wenn man differenziert zwischen rentierlichen und unrentierlichen Schulden, ergibt sich immer noch, daß die unrentierlichen Schulden der hessischen Gemeinden aus Kreditmarktmitteln mit 268 DM je Einwohner weit über dem Bundesdurchschnitt von 159 DM je Einwohner liegen.
Der Versuch des Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen, den Durchschnittsatz dadurch herunterzudrücken, daß er bei seiner Berechnung die Stadt Frankfurt mit einem relativ hohen Schuldenstand ausschließt — siehe Kollegen Mischnick —, ist methodisch unmöglich. Frankfurt liegt nun einmal im Bundesland Hessen. Mit dem gleichen Recht könnte man gegebenenfalls bei Nordrhein-Westfalen das ganze Ruhrgebiet ausklammern, um zu einem angeblich günstigen Bild zu gelangen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich habe mich damit bemüht, in einer möglichst minuziösen Art und Weise
sämtliche Anwürfe, die der Herr hessische Staatsminister der Finanzen Osswald gegen mich gerichtet hat, hier zu entkräften. Ich darf jetzt abschließend das folgende hinzufügen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein. — Wir haben gestern und in den Tagen davor über die überhitzte Konjunktur in unserer Volkswirtschaft gesprochen. Wir müssen heute hinzufügen: es hat gestern abend hier in diesem Saal eine überhitzte Atmosphäre gegeben.
Aufgabe unserer heutigen Vormittagssitzung sollte es sein, die Auseinandersetzung von gestern, die sehr überhitzt gewesen ist, auf ihren sachlichen Kern zurückzuführen.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 361
Gestatten Sie eine Frage des Herrn Abgeordneten Erler?
Bitte sehr!
Bitte, Herr Abgeordneter Erler.
Herr Kollege Luda, ich bin sehr froh, daß Sie mir Gelegenheit zu einer Zwischenfrage geben. Meinen Sie nicht, daß es der Atmosphäre der Debatte gedient hätte, wenn Sie, obwohl Sie das Recht haben, Zwischenfragen abzulehnen, angesichts der Verlesung eines im Ministerium ausgearbeiteten Textes bereit gewesen wären, an solchen Stellen Zwischenfragen zuzulassen, wo Sie ohne Mühe den Text nachher hätten weiter lesen können?
Herr Kollege Erler, darf ich Ihnen dazu in voller Ruhe das folgende antworten. Gestern ist nach meiner Rede, die ich gestern mittag von dieser Stelle aus gehalten habe, der Kollege Schäfer zu mir gekommen und hat mich gefragt: Sind Sie außer der Reihe bereit, zu gestatten, daß sofort das unkorrigierte Protokoll Ihrer Rede der SPD-Fraktion zur Verfügung gestellt wird, damit wir Zeit haben, das sofort zu überprüfen? Ich habe mich erkundigt, es ist an sich nicht üblich, eine solche Genehmigung zu geben.
Ich habe sie sofort gegeben, damit Sie zu einer sachlichen Erwiderung möglichst unverzüglich in die Lage versetzt würden. Genauso hat jetzt der Herr hessische Staatsminister der Finanzen die Möglichkeit, das, was ich soeben hier vorgetragen habe, sofort aus dem Protokoll herauszulesen, um heute noch Gelegenheit zu nehmen, dazu im einzelnen seine Antwort hier vorzutragen.
Herr Abgeordneter Dr. Möller zu einer Zwischenfrage.
Herr Kollege Luda, darf ich der Tatsache, daß Sie hier Material, das von Beamten des Bundesfinanzministeriums erarbeitet wurde, vorgetragen haben, entnehmen, daß Sie selbst nicht in der Lage gewesen sind, auf Grund Ihrer Unterlagen . . .
Meine Damen und Herren, wir werden Anlaß haben, die Art dieser Fragestellung einmal zu überprüfen. Gestern ist in einem Bericht festgestellt worden, daß von zehn Fragen neun nicht ernsthaft seien. Das ist, glaube
ich, ein Vorwurf, den wir wirklich zu erwägen haben. Zwischenfragen sollen der Klärung der Sache dienen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Obwohl ich der Feststellung des Herrn Präsidenten eigentlich nichts hinzuzufügen hätte, möchte ich doch eines sagen. Gestern abend, nach den Ausführungen des Herrn Staatsministers Osswald ist der Herr Bundesfinanzminister spontan bierhergekommen und hat erklärt, daß die Zahlen, die ich in bezug auf Hessen gestern vormittag hier vorgetragen habe, aus dem Bundesministerium der Finanzen stammten. Es war deshalb eine Selbstverständlichkeit, daß ich mich gestern abend nach der Rede des Herrn Staatsministers Osswald wiederum mit der statistischen Abteilung des Bundesministeriums der Finanzen in Verbindung gesetzt habe
und gemeinsam mit den Herren der statistischen Abteilung des Bundesministeriums der Finanzen — bis viertel nach zwei diese Nacht — die Dinge ausgearbeitet habe, die ich Ihnen soeben hier vortragen durfte.
Ich glaube, das genügt. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen sehr für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Wehner, wenn bei Ihnen etwas schief läuft, werden Sie aufgeregt. Machen Sie das nicht; es schadet Ihrer Gesundheit.
— Seien Sie ganz ruhig; Ihretwegen komme ich nämlich hier herauf.
Ich will zu den letzten Erklärungen von Herrn Kollegen Luda und zu den Zwischenrufen von Ihnen, Herr Kollege, hier folgendes erklären. Das Bundesministerium der Finanzen steht im Rahmen seiner Möglichkeiten und nach seinen Kräften
jeder Fraktion und jedem Abgeordneten dieses Hauses zur Verfügung.
362 Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965
Bundesminister Dr. Dahlgrün
Ich stelle auch fest, daß sich keineswegs nur Abgeordnete der Regierungsfraktionen helfen lassen. Wir haben selbstverständlich und haben gern auch Abgeordneten der Opposition mit konkretem, nüchternem Material geholfen. Dasselbe, meine Damen und Herren, gilt auch für Mitglieder des Bundesrates und gilt auch für Herrn Kollegen Osswald, dem wir heute ebenfalls Zahlen zur Verfügung gestellt haben.
Herr Abgeordneter Dr. Mommer möchte eine Zwischenfrage stellen.
Herr Minister, halten Sie es für richtig und stilvoll, daß das Ergebnis der Nachtarbeit Ihrer Beamten hier von einem Abgeordneten vorgelesen wird? Oder würden Sie es nicht für richtiger halten, daß — wenn Ihr Haus etwas zu sagen hat — Sie, Herr Minister, das dem Deutschen Bundestag vortragen?
Erstens, Herr Kollege Mommer, habe ich selber mit dem Material, das ich bei mir hatte, und aus dem Gedächtnis das gleiche gestern abend bereits mit anderen Worten gesagt.
Zweitens steht in keiner Weise fest — und es ist auch von Herrn Luda nicht behauptet worden —, daß das, was dort geschrieben stand, von meinen Herren ausgearbeitet worden ist.
Es ist mit meinen Herren in bezug auf sachliche Richtigkeit und hinsichtlich der Zahlen abgestimmt worden. Das dient meiner Überzeugung nach der Sache.
Das Wort hat der Herr Staatsminister der Finanzen des Landes Hessen als Mitglied des Bundesrates.
Osswald, Minister des Landes Hessen: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin natürlich sehr darüber erfreut, daß dem Lande Hessen eine so große Ehre zuteil wird, im Rahmen der Debatte über die Regierungserklärung der Bundesregierung vielfältig mit seiner Politik und auch mit seinen finanzwirtschaftlichen Maßnahmen hier zitiert und zu bundespolitischen Maßnahmen in Vergleich gesetzt zu werden. Das ist für uns eine Ehre und Auszeichnung; davon können Sie überzeugt sein.
Ich habe außerdem — das kann ich Ihnen, Herr Kollege Luda, sagen — heute nacht mit meinen Zahlen sehr ruhig geschlafen.
Die Debatte, die von Ihnen gestern mit den genannten Zahlen eröffnet wurde, hat ja einen Hintergrund. Sie versuchen hier durch Ausführungen über die Finanzpolitik des Landes Hessen etwas zu beweisen, um mit diesem Beweis über die Lage, in der Sie sich finanzwirtschaftlich in der Bundesrepublik befinden, hinwegzutäuschen. Sie versuchen auf das Land Hessen abzulenken. Das ist doch die Absicht.
Sie wollen Ihre eigene Situation in einem anderen Licht erscheinen lassen, indem Sie hier feststellen, in Hessen oder in den Gemeinden dort sei dieses oder jenes geschehen.
Ich war seither der Meinung, daß wir überall dort, wo wir die politische Verantwortung tragen — wie ich z. B. im Lande Hessen —, im Sinne einer Stabilisierung handeln sollten und nicht nur reden sollten. Wir haben das in unserem Lande getan. Ich nehme an, daß Sie es hier auch tun werden.
Das ist doch das Entscheidende! Sie können nicht einfach die finanzwirtschaftlichen Fakten Hessens herausstellen, um alsdann über die finanzwirtschaftlichen Fakten der Bundesrepublik in bezug auf die finanzielle Einbettung der Gemeinden parallel in einer Debatte zu diskutieren, die von der Verschuldung Frankfurts bis zur Verschuldung Bonns — das könnte man dann auch nennen, genau wie Mainz oder irgendwelche anderen Städte - reicht. Meine Damen und Herren, ich möchte bezweifeln, ob das der Sinn dessen ist, was hier im Hause zur Debatte stand.
Nun zu den konkreten Zahlen. Herr Dr. Luda, Sie haben sich in Ihrem Angriff, Ihren ersten Formulierungen viel exakter und wesentlich anders geäußert als vorhin bei den Texten, die Sie hier vorgelesen haben,
wesentlich anders geäußert in zum Teil sehr diffamierend klingenden Worten, soweit meine Person von Ihnen angesprochen wurde.
— Hier ist nichts zurückzuziehen. Meine Zahlen stimmen, und ich bleibe dabei.
Zu den Zahlen: Fangen wir zunächst einmal wieder beim Großen Hessenplan an. Ich habe Ihnen gestern dargelegt — und ich möchte das jetzt wiederholen —, daß die Gesamtleistungen der Gemeinden zur Erfüllung des Großen Hessenplans für die Laufzeit von zehn Jahren 7,5 Milliarden DM betragen werden; die Gesamtleistungen des Landes werden 13,5 Milliarden DM betragen, die Leistungen der übrigen Träger 12 Milliarden DM. Insgesamt handelt es sich also um 33 Milliarden DM. Ich habe gestern hier erklärt, der Große Hessenplan sei eine Globalbetrachtung der Gesamtinvestitionen des
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Landesminister Osswald
Landes Hessen, der in seiner Handhabung dem jeweiligen Konjunkturzyklus und der Kapitalmarktlage angepaßt werde. Ich möchte das noch einmal mit allem Nachdruck sagen, damit Sie hier keine falschen Vorstellungen über diese Konzeption des Landes entwickeln. Ich würde empfehlen, den ganzen Text zu lesen, Herr Kollege Mischnick, insbesondere auch im Hinblick auf Ihre vorherigen Berner-kungen. Wenn Sie eine gewisse Stelle zitieren, sollten Sie auch das Buch lesen.
Dabei werden Sie feststellen, daß im Hinblick auf die Finanzierung davon gesprochen worden ist, daß wir uns bei der Durchführung flexibel, d. h. an der jeweiligen Konjunkturlage orientiert verhalten werden und daß wir bei dieser Durchführung dafür sorgen werden, daß einzelne Jahresabschnitte eventuell Beschränkungen oder Einengungen in Kauf nehmen müssen. Siehe Haushalt 1966!
Ihre Parteifreunde in Wiesbaden wissen, daß Maßnahmen für 90 Millionen DM aus den von mir hier skizzierten konjunkturellen Gründen nicht zur Durchführung gelangen.
— Nein.
Gestatten Sie eine Frage, Herr Minister?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatsminister, haben Sie überhört, daß ich vorhin gesagt habe, Sie hätten eingeräumt, daß das entsprechend angepaßt werden kann? Nun die Frage: Warum ist dann in der Gesamtäußerung über den Hessen-Plan immer für 10 Jahre von 5 Milliarden die Rede?
Osswald, Minister des Landes Hessen: Darf ich Ihnen darauf folgende Antwort geben: Wenn Sie eine Globalbetrachtung anstellen — Sie werden sicher in Bonn auch noch dazu kommen; ich bin überzeugt —,
dann müssen Sie davon ausgehen, daß die Ausführung eines solchen Planes Preisentwicklungstendenzen unterworfen ist. Dieser Plan ist auf der Preisbasis 1964 aufgestellt. Er bedarf während seines Ablaufes gewisser Korrekturen. Sie werden den Plan je nach Kapitalmarkt- und Konjunkturlage korrigieren müssen. Wenn heute eine Steigerung des Sozialprodukts von 5 oder 6 % festzustellen ist und in drei Jahren die Steigerung nur noch 3 % beträgt, dann müssen Sie einen auf 10 Jahre fixierten Plan eben auf 12 Jahre strecken, um ihn durchführen zu können.
— Ich komme noch auf die Frage.
Darf ich fragen, mit welcher Preissteigerungsquote Sie bei Ihrem Zehnjahres-Plan gerechnet haben?
Osswald, Minister des Landes Hessen: Wir haben den Plan zunächst unbereinigt auf der Preisbasis von 1964 aufgestellt. Wir sind davon ausgegangen, daß die Situation, wie sie zur Zeit gegeben ist, in Hessen anhalten wird, daß also das Land mit etwa zwei bis drei Punkten über der Sozialproduktsteigerung in der Bundesrepublik liegt. Wir haben deshalb für die gesamte Laufzeit eine reale Sozialproduktsteigerung von 5 bis 5,5 % angenommen.
Sie müssen sich mit diesem Plan befassen. Er enthält eine Konzeption, die sich empfiehlt, wenn man wirklich etwas tun will, um das Ganze in den Griff zu bekommen; daran kann man sich dann bei den Tages- und Jahresentscheidungen orientieren.
Der Präsident gibt keine Zwischenfragen mehr.
— Mitglieder des Bundesrates werden nach der Geschäftsordnung nicht durch Zwischenfragen unterbrochen.
Osswald, Minister des Landes Hessen: Meine Damen und Herren, damit können wir das Thema Großer Hessenplan und seine Vollstreckung, den Vollzug dieser Konzeption, als abgeschlossen betrachten.
Kommen wir zu den Zahlen zurück! Die von Ihnen genannte Zahl einer Verschuldung von 7,6 Milliarden DM ist falsch und nicht zutreffend. Sie haben jetzt diese Zahl wie folgt interpretiert: Heute haben die Gemeinden und Städte in Hessen soundso viel Schulden; sie werden, wenn dieser Hessenplan durchgeführt ist, weitere Schulden in dem und dem Ausmaß haben, und dabei kommt die und die Summe heraus. Wenn Sie gestern Ihrer Zahl eine solche Erläuterung gegeben hätten, indem Sie deutlich gemacht hätten, daß es nicht darum geht, eine Verschuldung in dieser Höhe aus dem Hessenplan abzuleiten, dann hätten wir uns hier sachlich unterhalten können. Ich war zu diesem Zeitpunkt noch nicht da. Es ging Ihnen in Wirklichkeit aber um andere Probleme, die Sie mit der Erörterung dieser Zahl in die Diskussion bringen wollten. Ihre Zahl ist falsch.
Kommen wir zu den Schulden!
— Ich darf Ihnen folgendes sagen: Die h ier genannte Zahl ist effektiv falsch.
— Beweis: Der Herr Abgeordnete führt zur Begründung dieser Zahl folgendes an. Er sagt: Heute ist eine Verschuldung in Höhe von X — sprich 3,5 Mil-
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Landesminister Osswald
liarden DM — bei den Gemeinden vorhanden. Wenn dies oder jenes eintritt, wird in 10 oder 15 Jahren — sagen wir: 10 Jahren — eine Verschuldung — sagen wir: 7,6 Milliarden DM — vorhanden sein. Er leitet davon ab, daß das der Konzeption des Großen Hessenplans zu entnehmen sei. Das ist falsch.
— Meine Damen und Herren, ich empfehle Ihnen, das Buch genau durchzulesen; sonst hat die Diskussion keinen Zweck.
Zu der Frage 2: Verschuldung. Meine Damen und Herren, ich habe hier gestern abend ausgeführt, daß die Gesamtschulden des Landes Hessen 2271,3 Millionen DM betragen. Der Herr Abgeordnete hat heute morgen hier vorgetragen: Mir geht es ja nicht um die Gesamtschulden des Landes Hessen, sondern ich habe mir nur die Neuschulden aus Kreditmarktmitteln herausgenommen.
Alsdann habe ich bei der Betrachtung der Neuverschuldung aus Kreditmarktmitteln meine Leitlinie aufgestellt mit den genannten Marktzahlen.
— Ja, „wie es euch gefällt", könnte man dazu sagen; ich nehme diesen Zwischenruf gern auf.
Lassen Sie mich Ihnen exakte Zahlen nennen, da es ja hier um einen exakten Nachweis geht. Wir haben Altschulden aus Kreditmarktmitteln in Höhe von 755,8 Millionen DM. Wir haben Neuschulden — nun hören Sie bitte zu; das ist jetzt das, was der Herr Kollege hier vergleicht — aus Kreditmarktmitteln in Höhe von 301,2 Millionen DM. Außerordentlich interessant! Wir haben Neuschulden aus öffentlichen Sondermitteln in Höhe von 32,4 Millionen DM. Wir haben Schulden aus Gebietskörperschaften, Lastenausgleichsfonds und ERP-Sondervermögen in Höhe von 1207 Millionen DM. Ich weiß nicht, was ein solcher Vergleich bedeuten soll, bei dem aus diesen Schulden ein Teil herausgenommen wird, um dann zwei Zahlen in den Raum zu stellen und davon abzuleiten, wir verhielten uns nicht konjunkturgerecht. Das ist mir unverständlich.
Das ist für mich unerfindlich.
Und nun kommen wir zu der anderen Zahl, die ich hier genannt habe.
Der Herr Abgeordnete hat heute morgen hier vorgetragen, nach der Überprüfung der statistischen Unterlagen sei festgestellt worden, daß, wenn man einen echten Vergleich herbeiführen wolle, die Haushaltspläne 1964 und 1965 erst bereinigt werden müßten. Diese Bereinigung habe man heute nacht vorgenommen. Soweit mir erinnerlich ist, sind aber die Zahlen schon gestern vorgetragen worden.
Nun, diese Bereinigung wurde also heute nacht vorgenommen. Dabei wurde folgendes festgestellt — und nun hören Sie zu: Sie haben gestern kritisiert: aus konjunkturellen Gründen —: Um einen echten Vergleich zu haben, sei es notwendig, die Leistungen des Landes Hessen für den Länderfinanzausgleich zu berücksichtigen, das heißt die Leistungen für die anderen Länder, die also dort ausgegeben werden, wo wir sie hinzahlen, die als bei uns gar keine konjunkturelle Wirkung haben können — —
— Entschuldigen Sie bitte, Geld, das Sie nicht im eigenen Lande ausgeben, hat nicht bei Ihnen, sondern in dem Land, das es empfängt und wo es ausgegeben wird, seine konjunkturellen Wirkungen.
— Aber, meine Damen und Herren, das sind doch
Regeln, über die wir nicht mehr streiten wollen.
(:
Wenn das nicht verständlich ist, dann weiß ich
wirklich nicht, was ich Ihnen dazu noch sagen soll.
Nun, meine Damen und Herren, man hat dann bereinigt. Ich habe gestern die Zahlen für alle Länderhaushalte genannt und vorgetragen: diese Zahlen sind mir von dem Statistischen Bundesamt mitgeteilt worden auf Grund der Meldung der einzelnen Länder als Einnahme- und Ausgabeposten für das Jahr 1964 und 1965 im Vollzug. Was Sie hier mitteilen wollen — das haben Sie ganz klar und deutlich zum Ausdruck gebracht —, sind bereinigte Zahlen, bei denen Sie außerhalb oder innerhalb der einzelnen Zahlen Umsetzungen oder Verlagerungen vornehmen, um so zu Ergebnissen zu kommen, wie Sie sie für Ihre Statistik und Ihren Nachweis hier benötigen.
Dieses Verfahren sollte zumindest nicht hier bei einer solchen Deibatte Platz greifen.
Sie haben den Versuch gemacht, daraus etwas abzuleiten für die hessische Gesellschafts- und Finanzpolitik; insbesondere auch im Hinblick auf die Verschuldung, die hier genannt ist. Ich habe es schon gestern hier gesagt: Die Investitionen liegen in Hessen ebenfalls höher! Wenn die übrigen Länder das an Investitionen nachholen würden, was im Lande Hessen mehr investiert worden ist als in
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Landesminister Osswald
anderen Ländern — ich habe es gestern hier stark
betont —, dann würde ihre Verschuldung im Vergleich zu .der Hessens noch ganz anders aussehen.
Nun, meine Damen und Herren, ich möchte den Sitzungsverlauf nicht aufhalten.
Ich glaube, daß man über die Probleme, die hier angesprochen worden sind,
gemeinsam sehr sachlich und nüchtern beraten sollte, um für die Zukunft sicherzustellen, daß wir mit geringeren Finanzmitteln und damit, daß wir Schwerpunkte setzen, das Effektvollste und Wirtschaftlichste tun. Danach sollten Sie suchen und sollten nicht kritisieren, daß die Gemeinden Schulden haben. Schulden haben die Gemeinden, weil sie nicht ausreichend Geld bekommen halben; sie haben sie nicht aus Lust gemacht.
Die Gemeinden haben die Schulden nicht aus Lust am Schuldenmachen gemacht, sondern um der Not der Gemeindebürger abzuhelfen.
Dieser Bundestag möge Wege finden, wie die Dinge, die zur Zeit nicht zum Besten stehen, finanzwirtschaftlich geordnet, langfristig eingefangen
und in Formen ¡geregelt werden können, die dieses Hauses würdig sind.
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn Herr Kollege Osswald die Zuweisungen im Rahmen des Länderfinanzausgleichs nicht in seinem Haushaltsplan veranschlagt, weil er auf dem Standpunkt steht, das Geld werde ja nicht in Hessen, sondern woanders ausgegeben, dann glaube ich, daß hier nicht ,der Ort ist, darüber zu streiten, ob das finanzpolitisch, haushaltspolitisch eine richtige oder eine falsche Maßnahme ist.
Das Wesentliche, was Herr Osswald hier nicht gesagt hat, möchte ich nachholen.
Wenn er das im vorigen Jahr anders gemacht hat,
dann muß er mir wenigstens zugeben, daß die Zahlen des Vorjahres 1964 mit denen des Jahres 1965 nicht mehr vergleichbar sind.
Herr Bundesminister, darf ich fragen, ob Ihnen bekannt ist, daß die Summen für den Länderfinanzausgleich erst seit zwei Jahren nicht mehr im hessischen Haushaltsplan ausgewiesen werden, daß sie früher immer ausgewiesen wurden, daß sie aber jetzt erst eliminiert worden sind und daß dieser Umstand im hessischen Landtag Gegenstand heftigster Kritik gewesen ist?
Herr Kollege Haase, ich habe gesagt, daß hier nicht der Platz sei, um darüber zu streiten, ob das richtig oder falsch war;
man mag das meinetwegen im Landtag von Hessen diskutieren. Aber die Tatsache, daß es anders gemacht wird, hindert die Vergleichbarkeit zweier Zahlen aus 1964 und 1965.
Wer das nicht begreift, der will es nicht begreifen,
der will ablenken von den wichtigen Fragen, die ich gestern hier der SPD gestellt habe
und die ihr von anderen Kollegen gestellt worden sand. Wie hält es die SPD mit überhöhten Lohnforderungen,
Rückt sie davon ab oder nicht?
Was nützt mir der Rat oder die Kritik des Herrn Kollegen Schiller, ich hätte im vorigen Jahr 3 Milliarden DM sparen sollen? Ich frage ihn: Macht er die Einschränkungsmaßnahmen in diesem Jahre mit oder nicht?
Meine Damen und Herren, davon kann man auch mit dem Großen Hessenplan nicht ablenken.
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich gestehe, daß ich es als sehr bedrückend empfinde, nach dieser Entwicklung der Debatten den Versuch machen zu wollen, auf die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers und auf die Vorhaben, für die dieses Haus die Verantwortung und über die es die Kontrolle hat, zurück-
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Wehner
zukommen. Es ist für mich deshalb bedrückend, weil Sie, meine Damen und Herren, ja gar nicht gesonnen zu sein scheinen, über eine Gesamtvorstellung zur inneren Stabilisierung wirklich zu diskutieren und — meinetwegen — zu ringen.
Sie halte es für angebracht, hier in der Weise über die Vorhaben einer Landesregierung zu reden, wie Sie es eben getan haben. Das ist für mich so bedrückend. Selbstverständlich müßte im Rahmen einer solchen Gesamtdebatte über die innere Stabilisierung zur Sache und sachlich geredet werden können. Aber Sie haben doch versucht, sich bedenkenlos und in Verkennung der durch die Bestimmungen des Grundgesetzes geregelten Zuständigkeiten in eine Debatte um die Politik der verfassungsmäßigen Organe eines Bundeslandes zu stürzen. Und das halten Sie für angemessen?
Wo Sie, meine Damen und Herren, nicht selbst die Mehrheit bilden, dort versuchen Sie — koste es, was es wolle —, sich sogar über Grundgesetzbestimmungen hinwegzusetzen.
Zwar hat der Herr Bundesfinanzminister zu erklären versucht, sein Haus stehe Tag und Nacht offen für alle,
vor allem wahrscheinlich nachts. Trotzdem muß ich sagen, hier hat sich leider etwas abgespielt, was den sonst oft von dem Herrn Bundeskanzler — der ja der Regierungschef dieses Finanzministers ist — gebrauchten Ausdruck verdient, man wolle mal feststellen, wer eigentlich Koch und wer Kellner ist. Hier hat man festgestellt, daß Köche aus einem Bundeskoalitionspropagandaministerium ein Gericht zusammengebraut haben, das dann die Kellner hier auftischen.
— Ich werde Ihnen gleich einmal sagen, was mich schmerzt. Was mich schmerzt, ist, zu sehen, wie Sie Ihre sachlichen Schwierigkeiten in einer Weise abzureagieren versuchen, die unser ganzes Volk bezahlen muß.
Das ist alles, was mich schmerzt.
Und daß Sie das mit lachenden Physiognomien können, schmerzt mich noch mehr,
das gestehe ich Ihnen offen, weil ich enttäuscht bin über Ihre Physiognomien in einer ernsten Angelegenheit.
Herr Abgeordneter, wollen Sie eine Zwischenfrage zulassen?
Meine Damen und Herren, es sind in großen Zügen die Auffassungen der Bundestagsfraktionen zur Regierungserklärung dargelegt worden, und sie sind auch auf Teilgebieten eingehender erklärt und vertieft worden. Ich möchte hier nicht versuchen, in einer Art neuen Anlaufs eine neue Zusammenfassung oder eine Spezialdarlegung zu geben. Ich möchte vielmehr durch einige Bemerkungen noch einige Akzente setzen, wobei ich mir darüber klar bin, daß bei der dem Ende zugehenden Debatte nicht noch einmal neu angefangen werden kann.
Herr Kollege Schulze-Vorberg. Ich werde es mir verbitten, daß man von mir verlangt, einen Redner mitten im Satz zu unterbrechen, bloß weil irgendein anderer eine Zwischenfrage stellen will. Das mache ich niemals mit, und von Ihnen lasse ich mir nicht sagen, wie ich zu verfahren habe.
Herr Abgeordneter Wehner, gestatten Sie eine Frage?
Nein. Der Verlauf dieser Debatte zeigt ja wohl, daß niemand Sorge zu haben braucht, es könnte sich hier Mangel an Diskussionslust oder Diskussionsfähigkeit oder auch an Diskussionsstoff ausbreiten; fehlt er im Bund, holen Sie ihn sich aus einem Land.
Vielleicht wird man nun sogar erreichen, daß die Mitglieder des Bundeskabinetts sich in der Regel persönlich der Debatte stellen. Allerdings sind wir in der zugegeben schwierigen Lage, daß sich zwischen Bundesregierung und parlamentarischer Opposition wie eine Wand — auch mit dem Proporz sozusagen — die Koalitionsfraktionen schieben, so daß die direkte, die wirkliche Konfrontation mit den Fragen, wie die Regierung sie stellt, nur komplizierter wird, sicher auch für den, der unsere Debatten von außen verfolgen soll und verfolgen will.
Nun, meine Damen und Herren, zu Ihrem Ruf nach der Alternative zur Regierungspolitik. Die
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Aufgabe der Opposition ist es, hier die Forderungen und Vorschläge zu vertreten, von denen sie, die Opposition, überzeugt ist, daß sie dem Wohle des Volkes dienen oder Schaden von ihm abwenden können.
Das ist unsere Aufgabe. Die Regierung, ebenso wie die parlamentarische Opposition steht hier in der Verantwortung gegenüber dem Ganzen.
Je deutlicher wir — ich meine jetzt die parlamentarische Opposition — es machen, daß unsere Forderungen und Vorschläge den Notwendigkeiten entsprechen, wie wir sie sehen — die sind der Kritik unterworfen, unsere Ansichten und Einsichten wie auch die Ihren —, um so mehr werden wir damit —das ist wohl klar — die Regierung bedrängen. Es fällt mir schwer, aber ich sage es auch heute noch einmal: Das ist unser gemeinsamer Staat, und niemand drängt uns wieder an den Rand dieses Staates oder gar aus diesem Staat hinaus.
Niemand kann aber auch sozusagen für uns reden. Das tun wir selbst; denn wir sind die von 13 Millionen Deutschen gewählten Volksvertreter und sind verantwortlich — wie Sie auch — dem ganzen Volk gegenüber, dem Grundgesetz gegenüber.
— Sicher, sicher! Darüber wäre ja sehr ernst — —
— Ich wollte das sagen. Aber der Tisch ist zur Zeit voll Krümel, und Sie setzen sich auch nicht an einen Tisch, auf dem so viel Krümel sind.
Meine Damen und Herren, ich verstehe, daß — und das ist wechselseitig — die unmittelbar Beteiligten — ich meine hier beide Seiten — schwerlich das Vorbringen der jeweiligen Gegenseite als Alternative zum eigenen Vorhaben anerkennen wollen. Das ist menschlich sehr schwierig. Das können Sie kaum, zumal Sie noch beschwert sind durch die majestätische Wucht ihrer Vorstellung, eigentlich das Ganze darzustellen als Regierung und Union, dazu noch mit dem anderen Koalitionspartner.
— Mit uns nicht! Wir sind mit Ihnen nicht zusammen. Wir sind außerhalb von Ihnen. Wir gehören nicht zu Ihrer Regierung, wir opponieren gegen Ihre Regierung.
Aber das ist menschlich — das ist wieder wechselseitig festgestellt —: Wie es so zu gehen pflegt, werden die beiden, jeweils wenn es sich um das, was die andere Seite will, handelt, immer so tun — ja, sogar meinen —, das, was die Gegenseite wolle, sei doch bei ihnen selbst schon längst besorgt, oder
wie man heute sagt: längst gegessen. Sicher, auch das ist menschlich.
Um so wichtiger wird es auch für unsere Staatsbürger sein, daß hier klare Linien bei Entscheidungen erkennbar werden, also wer wofür und wer nicht wofür und weshalb er wofür und weshalb er nicht wofür ist. Das müssen wir hier versuchen, wohl deutlicher als in der vergangenen Periode versuchen.
Übrigens hat mein Freund Fritz Erler in seiner Antwot auf die Regierungserklärung deutlich gemacht, was es in diesen zwei Jahren der Probezeit des Herrn Bundeskanzlers an Rücksichten gab, die es nun nicht mehr gibt. Denn er ist jetzt der
— er hat es ja in seiner Weise ausgedrückt: mit Ausschluß der Extremitäten — von dem Volke gewählte Kanzler.
Ich möchte nur sagen: Keine Seite in diesem Haus, gleichgültig auf welcher Bank sie sitzt, kann Rechtens der anderen Seite vorschreiben: Deine Alternative, die du zu bieten hast, müßte so sein, wie ich es dir sage, aber so, wie du es selbst, ist das keine Alternative. Das geht nicht.
Ich verstehe es wohl — und das ist nicht nur menschlich, sondern das ist dann sogar politisch —, manche von Ihnen möchten eine SPD haben, die sie als die Verkörperung des Nein bequem abschütteln könnten. Es gibt andere, die haben sich auch in dieser Debatte besorgt gegeben und sogar geäußert, weil die Gefahr bestehe, die SPD könne sich dem Nein ergeben.
Natürlich gibt es bei der SPD selbst Neigungen, wodurch sie wohl stärker zu wirken vermöchte, so oder so zu probieren.
— Sicher! Sicher! Entschuldigen Sie mal, ich bin ja viel weniger in der Zwangslage, etwas vorspielen zu müssen, geschweige denn zu wollen. Das liegt mir gar nicht. Denn dann hätte ich meinen Beruf verfehlt.
Wir haben 13 Millionen Menschen, die ja zur SPD gesagt haben. Das ist zugleich ein Ja zu der von ihnen in uns als Verkörperung gesehenen KraFt, die die freiheitliche demokratische Ordnung unseres Staates gewährleistet. Wir wissen, was das heißt. Die SPD muß ihren eigenen Weg durch die Verhaue Ihrer — ich meine: der Regierungsseite — Absichten und Vorhaben hindurch suchen und wird ihn finden. Sie aber, meine Damen und Herren von der Regierungsseite, Sie müssen und Sie dürfen Farbe bekennen, nämlich welche Probleme Sie mit Ihrer addierten Kraft zu lösen imstande sind und welche nicht. Das ist der Sachverhalt.
Der Vorsitzende der CDU, Konrad Adenauer, hat im September 1965 in der Zeitschrift „Die politische
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Meinung" Gedanken veröffentlichen lassen, in denen, wie er betonte, aus Erfahrungen mit vier Regierungen — die er wahrlich hat — die für unsere Zeit maßgebenden Gesichtspunkte für die Politik unserer Bundesrepublik Deutschland dargestellt worden sind. Herr Dr. Adenauer hat in diesem lesenswerten Aufsatz die Meinung ausgedrückt, es gebe „Mängel in unserer Verfassungsstruktur, in unserem Sozialrechtssystem und in unserem Parlamentswesen, die behoben werden müssen, wenn nicht gewisse folgenschwere Notstände im einzelnen eintreten sollen".
Diese Mängel
— so fügte er hinzu, sicher aus der Erfahrung mit vier Regierungen, wie er selbst betont hat —
sind lange kaum beachtet worden, weil sie sich noch nicht sehr störend bemerkbar machten. Aber jetzt sehen wir immer klarer, wie gefährlich sie sind und wie dringlich deren Beseitigung geworden ist. Die erforderlichen Reformmaßnahmen können nicht mehr lange hinausgeschoben werden, sonst bringen wir durch unsere Säumigkeit selbst schweren Schaden über unser Land.
Die Erfahrungen des langjährigen Herrn Bundeskanzlers sind so gewichtig, daß ich es mir versage,
auch nur zu einem seiner Feststellungen jetzt — —
— wenn ich an Ihrer Stelle wäre, würde ich nicht „aha" zu den Erfahrungen Ihres Altbundeskanzlers sagen —,
daß ich es mir versage, dazu jetzt erläuternde Bemerkungen aus der Sicht eines Sozialdemokraten zu machen, weil ja manches von uns früher gesagt, auf manches von uns hingewiesen worden ist, wozu jetzt der Altbundeskanzler sagt: „Diese Mängel sind lange kaum beachtet worden, weil sie sich noch nicht sehr störend bemerkbar machten."
Aber jetzt werden wir in den Vorstellungen des Herrn Dr. Adenauer sozusagen zum Appell gerufen.
Jeder weiß,
— so hat er geschrieben —
was wir brauchen: eine Notstandsverfassung, die nicht bloß ein Pappschwert ist, strenge Sparsamkeit der öffentlichen Hand, des Bundes, der Länder, der Gemeinden,
— ich würde eine Weile warten; ich merke, Sie haben den Artikel nicht gelesen, sonst würden Sie jetzt nicht klatschen —
damit die Kaufkraft der Deutschen Mark nicht verfällt, eine vereinheitlichte und vereinfachte Sozialgesetzgebung, die sich an die Grenzen unserer wirtschaftlichen Möglichkeiten hält.
Viele Maßnahmen, die dazu nötig sind, können nur getroffen werden, wenn zuvor entsprechende Grundgesetzänderungen vorgenommen worden sind. Sie erfordern aber Zweidrittelmehrheit im Parlament, und das bedeutet, daß auch die Sozialdemokraten dafür stimmen müssen.
Sie können doch aber nicht erwarten, daß Sie die Sozialdemokraten zum Appell befehlen können.
Was denken Sie sich denn! Was glauben Sie denn!
Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer, der seine Arbeit mit der Unterüberschrift versehen ließ: „Aus vier Regierungen", der wußte das, was Sie jetzt glauben einfach sozusagen aus der „la main" machen zu können. Der Herr Adenauer sagte, es werde oft übersehen, daß nicht bloß für die Notstandsverfassung, sondern auch für die Finanzreform die Stimmen der Sozialdemokraten notwendig seien.
Die Grundlagen unseres Wohlstandes,
— so schilderte er —
unsere Position auf den auswärtigen Märkten, ja die geordnete Verwaltung unseres Staatswesens werden binnen kurzem aufs äußerste bedroht sein, wenn wir uns der Neuordnung unserer öffentlichen Finanzen noch länger entziehen. Sie verlangt
— so sah er es —
eine Selbstbeschränkung der Ausgabenkompetenz des Parlaments, aber auch eine bessere Abgrenzung der Bundes- und der Länderaufgaben sowie der Aufgaben der Gemeinden als Voraussetzung dafür, daß die Steuereinnahmen besser verteilt werden können. Die erforderlichen Grundgesetzänderungen sind jedoch ohne die SPD nicht möglich,
schloß der Herr Altbundeskanzler auch diesen Absatz.
Es ist ferner
— so schilderte er weiter —
kaum anzunehmen, daß man ohne Mitwirkung der SPD zu einer vernünftigen Mäßigung der Lohnpolitik und der Sozialausgaben kommen kann.
Hier habe ich ja eben einen — im Wartestand jetzt natürlich — Direktor eines großen Unternehmens gehört, der uns also mit dem Finger bedroht und sagt: „Wie halten Sie's mit den Lohnforderungen?" Darüber wollen wir gern reden; nur sind wir hier nicht die Sozialpartner, und wir möchten nicht, daß die FDP, so wie sie es schon einmal nach der Regierungserklärung 1961 gemacht hat, zwei Jahre lang auch das soziale Leben damit beunruhigt, daß sie bis zu möglichen Zwangsschlichtungsmaßnahmen in ihren Überlegungen die öffentliche Diskussion beeinflußt hat.
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- Aber, aber, aber! Sie wissen es doch noch genau; Sie haben doch noch Herrn Atzenroth im Ohr; ich auch und andere auch. Das hat sich geändert, das hat sich erfreulicherweise geändert.
Sie haben eine gewisse Umerziehung mit Erfolg erlebt bei ihrem Koalitionspartner,
und man kann ja wohl noch auf einiges gespannt sein.
— Was Sie wissen, weiß ich allerdings nicht.
Schließlich muß man die Möglichkeit ins Auge fassen,
— so hat der Herr Dr. Adenauer weiter erklärt — daß die amerikanisch-britische Entspannungspolitik, deren Friedensziel wir durchaus bejahen, Gefahren für unseren Rechtsbestand und unsere Sicherheit heraufführt. Zu deren Abwehr bedarf es des Zusammenstehens der tragenden politischen Kräfte. Vielleicht müssen auch sehr schmerzliche Entscheidungen gefällt werden,
- ich weiß nicht, an welche er denkt, aber er muß es ja wissen, an welche er denkt —
die unsere Zukunft auf lange Zeit bestimmen können. Vielleicht müssen wir Opfer bringen oder neue Lasten auf uns nehmen. Diese Verantwortung könnte so schwer sein, daß sie nur zu tragen ist, wenn sie alle oder wenigstens ,die beiden großen Parteien gemeinsam auf sich nehmen.
Meine Damen und Herren, der Herr Dr. Adenauer hat in seiner Arbeit gesagt, unser Volk werde ja — sie ist ja vor der Wahl erschienen — in Kürze über die Zusammensetzung des Bundestages entscheiden. Es verstehe sich von selbst, daß es in erster Linie davon abhänge, welche Richtung die Diskussionen in Koalitionsfragen nehmen werden. Kombinationen darüber anzustellen sei vorerst müßig. Es ist ja auch jetzt müßig. Insofern ist es eine Lage, die sich so sehr nicht von der damaligen unterscheidet.
Der Herr Adenauer, der es weiß, sagte: „Ein Kabinett bilden heißt immer, Weichen für die Zukunft stellen, und zwar oft unwiderruflich." Ich halte dieses Wort „und zwar oft unwiderruflich" fest. Sie haben hier Weichen gestellt, vielleicht unwiderruflich.
- Ich lache über diese Tragik nicht, weil mir das Ganze sehr schwerfällt.
Herr Adenauer hat weiter geschrieben:
Wir stehen wieder vor unpopulären Notwendigkeiten, und keine Regierung, wie immer sie beschaffen wäre, kann sich diesen Notwendigkeiten versagen, ohne Existenzinteressen unseres Landes zu verraten.
— Das Wort „verraten" ist das Wort des Herrn Dr. Adenauer. —
Ein Kabinett, das sich gegen den Widerstand, der zu erwarten ist, behaupten und die unerläßlichen Maßnahmen durchsetzen will, muß ein homogener Körper sein; es darf sich nicht in Fraktiönchen spalten; es darf nicht aus Ressortministern bestehen, die bloß koexistieren, aber nicht eng zusammenarbeiten.
Es darf nicht auf Koordination verzichten; es darf sich der Richtlinienbestimmung durch den Kanzler nicht entziehen wollen.
Ganz gleich,
— so schloß er —
aus welchen Parteien es zusammengesetzt ist, das Kabinett kann nur Erfolg haben, wenn es geschlossen für seine Ziele eintritt. Nicht die Parteienkombination an sich macht die Qualität einer Koalitionsregierung aus; gut ist sie, wenn sie weiß, was sie will.
Und nun gute Reise!
Denn, meine Damen und Herren, bei dieser Kabinettsbildung können ja diese Gedanken des langjährigen Bundeskanzlers, betitelt als „Erfahrungen aus vier Regierungen" keine Rolle gespielt haben, nehme ich an.
Entweder hat der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Union aus Erfahrungen mit vier Regierungen Gefahren gesehen — oder er hat sich geirrt. Jedenfalls solcher Art, wie hier geschrieben, ist ja wohl die Regierung, die uns der Herr Bundeskanzler Erhard, der Nachfolger des Bundeskanzlers aus vier Regierungen, vorgestellt hat, offenbar nicht. Oder ist es so, daß der Vorsitzende der ChristlichDemokratischen Union, so wie er die Notwendigkeiten nicht nur gesehen, sondern schriftlich niedergelegt hat, fundamental irrt? Denn von dem steht doch nichts in der Regierungserklärung. — Das verleitet mich zu Überlegungen, die ich allerdings noch für zu wenig ausgereift halte, als daß ich sie hier vor Ihren kritischen Ohren aussprechen möchte. — Vielleicht ist nur geblieben: Man muß die SPD und ihre Stimmen dazu haben. Nur: das ist keine Politik, das ist weit entfernt davon, Politik und Staatsmannskunst zu sein. Es ist Ihre Sache, meine Damen und Herren von dieser Bundesregierung und der sie tragenden Koalition — manchmal habe ich den Eindruck, Sie tragen sie nicht nur, sondern Sie schaukeln sie —,
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mit den Problemen fertig zu werden. Unsere Sache ist
es, Ihnen die Chance zu geben, sich nicht auf uns
berufen zu müssen. Tun Sie bitte, was Sie vermögen.
Bei diesen unausbleiblichen Auseinandersetzungen, wie bitter sie im einzelnen auch sein oder den einzelnen je nach Temperament und Neigung ankommen mögen, werden alte Klischees nicht helfen, werden Ihnen die alten, von Ihnen geliebten und gewohnten Klischees von der SPD nicht helfen und werden uns die leider auch auf unserer Seite recht beliebt gewesenen Klischees von Ihnen nicht helfen. Wenn Sie es dennoch versuchen sollten, dann werden Sie keinen Gewinn davon haben. Die SPD wird in der Lage, in der sie sich jetzt befindet, klug tun, damit zu rechnen, daß sie es mit einer Koalitionskombination zu tun hat, die zwar, wenn es an die Wahl geht, so tut, als handele es sich um selbständige Parteien, und zwar nicht nur um zwei, die eine mit dem C, die andere mit dem F, sondern dann auch noch die eine mit einem S und die andere mit einem D in der Mitte. Sie treten auf als eine Formation gegen uns, und so werden wir Sie zu nehmen haben, ohne dabei Ihre Interessenunterschiede außer acht zu lassen, die ganz menschlich und politisch sind. Wenn Sie an uns appellieren werden, dann bedarf jeder Appell, den Sie an uns richten, bei uns mikroskopischer Prüfung, was Sie eigentlich damit meinen. Dann bedarf es bei uns für unsere Überlegungen der Verstärkung, damit wir die Neben- und die Untertöne heraushören. Denn wir haben es bei Ihnen mit einer Gruppierung zu tun, die sich trotz der Ansichten des Vorsitzenden der CDU so gebildet hat, wie Sie sie gebildet haben. Infolgedessen werden wir aufpassen müssen, daß wir nicht, wie man so sagt im täglichen Leben, hereingelegt werden.
In dieser Legislaturperiode wird — das sieht man schon und hört man schon, und Sie haben sich auch darauf eingerichtet; das hat man gestern beim Entree des Herrn Kollegen Bundesminister Katzer miterleben können — Gesellschaftspolitik großgeschrieben werden. Das ist ganz interessant. Gerade weil keine der Parteien des Deutschen Bundestages auf eine soziale Schicht oder Gruppe beschränkt ist, wenn auch unleugbar ist, wo die eine oder die andere von Anbeginn an verankert ist oder wohin sie neigt, werden die großen Auseinandersetzungen um die bestmögliche Gesellschaftspolitik besonders spannend werden. Uns, den Sozialdemokraten, geht es darum, die gesellschaftliche Ordnung in Harmonie mit unserer freiheitlichen demokratischen Staatsordnung zu bringen. Das ist unsere erklärte Absicht.
In dieser Debatte, meine Damen und Herren, sind einige Ansätze dazu gemacht worden — und ich hatte da den Eindruck, man werde sehr streng gefragt und durchbohrt —, die Frage, ob die SPD für den Ausbau der Mitbestimmung sei, an uns so zu stellen, als käme es hier darauf an, daß einer eine Art Offenbarungseid leistet. Wollen Sie denn vergessen, meine Damen und Herren, was das damals bedeutet hat, als Hans Böckler sagte: Die deutschen Gewerkschaften wollen nicht wieder bloße Lohn-und Tarifmaschinen werden, sondern sie wollen da-
bei sein überall, wo gewirtschaftet wird? Das war doch das Bekenntnis zu Deutschland, als es am tiefsten niedergebeugt war und anscheinend hoffnungslos am Boden lag.
Das war doch die Hand zur Partnerschaft. Das war doch ein entscheidender Beitrag zum Wirtschaftsaufbau und hat ihm einen Impetus gegeben. Die Bergleute sind doch nicht daran schuld — darüber sind wir uns doch wohl einig —, daß der Kohlenbergbau inzwischen durch Entwicklungen und auch durch Versäumnisse, über die häufig gesprochen wird, in Schwierigkeiten gekommen ist.
Sicher, es gibt unterschiedliche Auffassungen über den Grad und über die Möglichkeiten zur Mitbestimmung. Die gibt es überall, und ich glaube, sie sollten zweckmäßigerweise sachlicher Prüfung unterworfen
und nicht wie weltanschauliche Unterscheidungsmerkmale behandelt werden. Da kommen Sie nämlich an Punkte, die der weiteren Erörterung dieses Themas sehr abträglich sein werden.
Es gibt — wer das miterlebt hat, weiß das und kann einiges davon erzählen — sozusagen Stufen der Versuche, die Mitbestimmung zu verwirklichen. Aber was es nicht gibt, was es offensichtlich auch auf der Arbeitnehmerseite — abgesehen vielleicht von irgendwelchen Nichtverantwortlichen — nicht gibt, das ist doch etwa die Hintertreppe zur kalten Übernahme der Unternehmen. Darauf hat mit Recht schon mein Freund Fritz Erler in seiner Antwort hingewiesen. Ich wollte es noch einmal angeleuchtet haben, weil Sie auf solche Dinge seltsamerweise nicht eingehen und an uns unbefangen Fragen stellen: Wie haltet Ihr's denn nun?
Manche Vorstellungen während der ersten Bundestagsperiode haben z. B. einen der berühmtesten Liberalen unseres Hauses dazu gebracht haben, damals davon zu sprechen, es hätten sich einige Leute „zuchthauswürdig" gemacht — ein Wort, das ihm bei aller Wertschätzung, die ich ihm persönlich schulde, nie vergessen werde —, weil sie dieses Gebot des verehrungswürdigen Kupferschmieds Böckler aufnahmen: Jetzt anders als in der Weimarer Republik, jetzt miteinander als Partner und nicht wie Hund und Katze und nicht einfach nur nach der Regel „noch mehr, noch mehr, noch mehr" für die jeweilige Seite! Das lag doch da alles drin. Entschuldigen Sie, das war doch ein anderer Start; das war doch nicht nur eine Geste. Übrigens war der damalige Bundeskanzler ja zu der Zeit auch am Rande der „Zuchthauswürdigkeit". Aber das werden Herr Dehler und er schon miteinander in einer gewissen Beichtstunde abgemacht haben. Ich muß mich da also nicht einmischen.
Ich meine, manche Vorstellungen aus der ersten Bundestagsperiode sind in dieser Hinsicht wohl nicht mehr aktuell. Für meinen Geschmack war damals schon die Sache mit dem Bundeswirtschaftsrat recht wenig — wie man heute sagt — praktikabel.
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Herr Wehner, gestatten Sie eine Frage?
Mit Vergnügen!
Darf ich Ihren historischen Irrtum einmal aufklären?
Gern! Das wäre nämlich die erste Gelegenheit.
Ich meine Ihre Behauptung, ich hätte die Gewerkschaften für „zuchthauswürdig" erklärt. Ich habe das schon so häufig aufzuklären versucht, auch Ihnen gegenüber. Wissen Sie nicht, daß der Sachverhalt so war: Die Gewerkschaften haben im Jahre 1952 den Generalstreik für den Fall angedroht, daß dieses Haus ihren Forderungen nach Mitbestimmung in der Montanindustrie nicht entsprechen würde. Wer das Parlament zu einer bestimmten Handlung nötigen will, wird nach unserem Strafgesetzbuch mit Zuchthaus bedroht.
Wissen Sie nicht, daß ich mich damals als Bundesjustizminister für verpflichtet gehalten habe, auf diese Rechtslage hinzuweisen?
Sie haben sehr rechts gelegen; da haben Sie recht.
— Ja sicher, das habe ich auch nie verhehlt.
Manche Vorstellungen von damals sind also heute nicht mehr aktuell. Ich gaube z. B., daß die Vorstellung vom Bundeswirtschaftsrat eigentlich nie recht brauchbar war, weil das eher eine Verschlimmerung der Immobilität als eine Verbesserung "sein würde. Aber warum sollten solche Überlegungen nicht so weit erörtert und abgeklärt werden, daß Mitbestimmungsfragen im Zusammenhang mit moderner Unternehmensverfassung gesehen, überlegt und behandelt werden, als Bestandteil moderner Unternehmensverfassung?
Meine Fraktion ist fest entschlossen — und ich möchte es Ihnen hier noch einmal sagen —, durchzuhalten und allen deutlich zu machen: Wir sind nicht der Ansicht, daß in die Betriebe und in die Unternehmen hineinregiert werden soll. Was wir aber wollen, ist, jene wirkliche Partnerschaft weiterzuentwickeln, von der auch in Zeiten, von denen gesagt worden ist, sie könnten unter Umständen sehr schwere Prüfungszeiten werden, eine Menge abhängen wird. Man sollte in dieser Beziehung jedenfalls die Diskussion entkrampfen.
Sie selber haben in der Regierungserklärung ja einerseits ein eisiges Nein gegen jeden Ausbau auf diesem Gebiet gesagt, zugleich aber die Aushöhlung nicht anerkannt, sondern Sie wollen diese verhindern — oder wie immer das gemeint sein mag; das ist hier von unserer Seite schon gewürdigt worden.
Ich habe es interessant gefunden, daß z. B. der Herr Prälat Hanssler davor gewarnt hat — wie er sich ausdrückte —, in dem Worte „Mitbestimmung" ein Schreckgespenst zu sehen. Er sagte, es bedeute eine ausgesprochen schlechte Ausgangsposition, wenn Unternehmer schon das Wort Mitbestimmung als rotes Tuch empfänden. Aus seiner Sicht hat er hinzugefügt, es gehe dabei um die Verwirklichung der christlich fundierten Partnerschaftsidee, und das sei nichts anderes als die praktische Anerkennung der Instritutionalisierung der partnerischen Idee. Ich meine, diese sachlichen und ruhigen Überlegungen sollten — wie der einzelne auch zu Einzelheiten oder zum Gesamten in diesem Punkte steht — doch wichtig genug sein, es mit dieser Methode der Beratung, des Gespräches zu probieren.
Ich zitiere einen anderen, den Chefredakteur der „Ketteler Wacht", der gesagt hat, die gegenwärtige Auseinandersetzung um die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Betrieb lasse einen erschreckenden Mangel an Willen zur Sachlichkeit erkennen. — Und das wird auch durchaus — sozusagen wechselseitig — praktiziert. Da ist eine Anleihe bei Herrn Barzel gemacht worden; es quietscht etwas mehr — Sie haben das anders gemeint. Im „Ruhr-Wort" wurde das — und ich finde das nicht unzutreffend — so charakterisiert: Man müsse zugeben, daß es für einen Redner wegen des garantiert tosenden Beifalls verlockend sei, vor seinen eigenen Leuten die Gegner einer solchen Mitbestimmungsforderung einfach als Reaktionäre abzustempeln, wie es auf der anderen Seite genauso publikumswirksam ist, die Verfechter einer solchen Mitbestimmung als verkappte Sozialisten zu diffamieren. Aber — so schreibt das „Ruhr-Wort" — das sind doch nur allzu billige Effekthaschereien. Man redet dem Anhänger nach dem Mund, und auf die Argumente des Gegners hört man erst gar nicht hin. — Das ist aber kein Bericht aus dem Bundestag, sondern aus solchen Versammlungen, von denen mit Recht ungefähr so berichtet worden ist.
Man kann nicht gegenüberstellen: entweder Mitbestimmung oder Eigentumspolitik. Aber wem erzähle ich das! Wenn ich mir den Herrn Katzer vorstelle ... Aber der ist gerade beim Herrn Balke; ich habe gehört, daß er dort Pflichten erfüllen muß; er wird meine Rede ja nachlesen. — Eigentumspolitik und diese Mitbestimmungsfrage, die durchaus ja keine dogmatische sein kann und sein soll, sind Teile der Gesellschaftspolitik. Ich habe immer mit Interesse festgestellt — und das ist ein Riesenunterschied zu der Zeit der Weimarer Republik —, wie die beiden konfessionellen Bereiche diese Seiten der Sache in sehr weitgehender Übereinstimmung, ungeachtet der Unterschiedlichkeit der Ursprünge ihrer Überlegungen, deutlich zu machen versuchen.
Meine eigene Partei hat auf ihrem Parteitag in Karlsruhe in einer Entschließung zu diesem Fragenkomplex darauf Bezug genommen, daß Anfang des Jahres 1964 ein Arbeitskreis evangelischer und katholischer Sozialwissenschaftler z. B. festgestellt hat: Persönliches Eigentum trägt dazu bei, die Freiheit des einzelnen, die seiner Familie zu sichern, ihn gegenüber den Auswirkungen wirtschaftlicher, ge-
Wehner
sellschaftlicher, staatlicher Macht unabhängig zu machen. Wir haben damals gesagt, dieser Feststellung, die wir uns zu eigen machten, brauche nichts hinzugefügt zu werden; sie bedürfe nur einer zu realisierenden politischen Aktion.
— Ich weiß, daß Sie da viel erfahrener sind.
Meine Damen und Herren, Sie dürfen das nicht lediglich unter dem Gesichtspunkt: Haushalt, Sparen sehen, sondern müssen auch berücksichtigen, wozu die Haushaltsanstrengungen und das Sparen
— wie immer es gemeint sein mag — dienen sollen, nämlich zur inneren Stabilisierung unserer Ordnung, zum richtigen Miteinanderleben der Menschen, zu der Krisenfestigkeit und zu der Festigkeit gegen Anfälligkeiten. Das kann man nicht mit einer Schutzimpfung erreichen, da gehört eben Gesellschaftspolitik dazu.
Ich will hier nicht aus den einzelnen lesenswerten Dokumenten — sei es der evangelischen, sei es der katholischen Seite — vorlesen. Aber wir meinen; genau wie in der Mitbestimmungsfrage geht es hier nicht nur darum, mit dem Blick auf das nächste Wahljahr etwas zu tun, sondern darum, Eigentum zu bilden, nicht Eigentum anzutasten oder zu nehmen; das ist jedenfalls unsere Ansicht und Absicht.
In dem Zusammenhang, Herr Dr. Gradl, der Sie gestern einige Bemerkungen über Fragen aus Ihrem Ressort gemacht haben, die die Flüchtlinge und Heimatvertriebenen angingen, darf ich folgendes sagen. Ich glaube, da geht es um gesellschaftspolitische Fragen erster Ordnung. Das, was mit dem Stichwort „rechtliche Gleichstellung der Flüchtlinge aus der sowjetischen Besatzungszone mit den Heimatvertriebenen" angesprochen ist, meinen wir so, wie es jeder wirklich ehrlich verstehen kann, und nicht einfach nur 'symbolisch. Ich habe mit Erstaunen festgestellt, daß in dieser Debatte einige Male — z. B. von der einen Stunde Arbeit mehr — gesagt wurde, das sei nur symbolisch gemeint. Ich muß sagen: mit Symbolen kann man wohl manches, aber nicht alles
— Sie wissen, das haben wir bei der Wahl wieder erfahren — machen; aber was man bestimmt nicht kann, ist, bestimmte Tatbestände zu verändern, auch wenn man Symbole drauftut. Das hilft nichts.
Hier geht es um die wirkliche rechtliche Gleichstellung. Für meine Fraktion geht es darum — ich muß das immer wieder sagen —, die Kluft zwischen dem, was Sie Beweissicherung und Leistung nennen, zu vermindern und schließlich abzubauen;
in bezug auf die Beweissicherung ist es mit der Symbolik nicht getan.
Ich weiß, daß das alles heute vom Haushalt her schwierig ist. Wir wären die letzten, die nicht verstünden, daß die Regierung nach Wegen suchen muß. Wir wollen sie darin auch nicht stören. Sie wird die Wege finden. Wenn sie das Finanzministerium für so viele phantastische Zahlenzusammenstellungen und Auskünfte offen haben, sollten Sie es auch für Ihre Ressortminister offen haben,
damit Wege zur Verwirklichung des inneren Ausgleichs gefunden werden.
„Die Vertriebenen in Gesellschaft und Kirche"; da heißt es:
Jeder Versuch, die Dinge darzustellen, ist allerdings bisher durch den Umstand erschwert, daß zureichende wissenschaftliche Untersuchungen, die das Problem in seiner ganzen Vielfalt ins Auge fassen, bis heute fehlen. Einzeluntersuchungen, die meist zehn oder mehr Jahre zurückliegen, arbeiten mit einer zu kleinen Zahl von Befragten, um . . . Aufschlüsse zu geben. Die laufende Vertriebenenstatistik läßt nur sehr allgemeine Schlüsse zu; sie vermittelt auch nur ökonomische Daten und gibt über den Stand der gesellschaftlichen Eingliederung keine Auskunft. Eine genauere Darstellung müßte berücksichtigen, daß die Vertriebenen keine durch gleichartige gesellschaftliche oder wirtschaftliche Merkmale bestimmbare Gruppe bilden, sondern sich wesentlich nach ihrer landsmannschaftlichen Herkunft, ihrem Lebensalter, ihrer früheren sozialen Stellung und nach dem Zeitpunkt und dem Hergang ihrer Vertreibung unterscheiden.
In dieser Denkschrift wird dann mit Bitterkeit festgestellt, daß man nur nach sehr unsicheren Indizien schätzen kann. Mit Recht wird dort gesagt, es müsse jedem am Herzen liegen, zuverlässig zu erfahren, wie es sich mit diesen wirklichen Entwicklungen und Sachangaben über sie verhält. Ich finde es schlimm, daß wir, die wir — ja, ich will vorsichtig sein — jedenfalls doch ein Volk von Statistikern sind, so große Lücken in unserer Statistik auf einem Gebiet haben, auf dem uns kein anderes Land helfen kann, weil das ganz eigene Nachkriegserfahrungen sind. Insofern ist die Nachkriegszeit für uns leider auch noch nicht zu Ende.
Ich glaube, die entscheidende Aufgabe, ja, wenn man so sagen darf, der Prüfstein dieser 5. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages wird sein — gerade im Hinblick darauf, daß „Gesellschaftspolitik" ganz groß geschrieben werden wird —, wie wir es fertigbringen, den Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, die große Finanzreform, bei dieser Sachlage und bei diesen Mehrheitsverhältnissen und bei dem Weg, den Sie gewählt haben, wenigstens einigermaßen sachlich zu erörtern. Heute und gestern ist hier über ein Land geredet worden. Ich bitte um Entschuldigung, aber es hilft doch kaum, daß Sie uns auf den Herrn Zinn oder wir Sie etwa auf Herrn Goppel hinweisen. Das macht die Sache nicht besser, als sie ist. Es wird auch kein Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sein, wenn Sie,
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etwa der Bundeskanzler und sein Finanzminister einerseits und Herr Zinn und Herr Goppel — falls sie dazu geneigt sind — andererseits, einen Kompromiß zwischen Bund und Ländern aushandeln. Dies muß ein Finanzausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden sein; denn bei aller Bitternis der heutigen und gestrigen Auseinandersetzung
ist doch wohl klar, daß es nicht ausreicht, mit dem Finger auf diejenigen zu zeigen, die in Schulden geraten sind. Das waren nämlich auch diejenigen, die damals zuerst, und zwar ohne Unterschied politischer oder anderer Präferenzen, die Ärmel aufgekrempelt und, als es weder Bund noch Land gab, aus Trümmern und Dreck die Grundlagen einer neuen Ordnung geschaffen haben.
Hier stehen wir vor einer neuen Periode, für die wir neue Richtmaße schaffen müssen. Das ist etwas, was zur Reform der deutschen Demokratie gehört. Ich persönlich — aber das ist meine sehr private Auffassung — bin sogar überzeugt: Solch ein Finanzausgleich wird der deutschen Politik helfen, vieles, was heute auf dem Kopf steht, endlich auf die Füße zu stellen und die deutsche Politik von der Kopflastigkeit der Forderungen vieler Verbände zu befreien, denen nun je nach Unterschied der Sitzordnung in dem einen Fall akklamiert wird und die in dem anderen Fall entsprechend anders bewertet werden, sie zu befreien von der Tendenz, allmählich über die Möglichkeiten leben und den Bund sozusagen für alles herhalten lassen und verantwortlich machen zu wollen. Hier geht es um eine Neuaufteilung eines dadurch nicht größer werdenden — —
— Ja sicher, nicht nur „sehr gut"; das ist sehr simpel; Sie könnten das viel besser ausdrücken. Ich bin mit Ihnen einer Meinung. Ich finde nur, diese Kur wird interessant, weil wirklich darum gerungen werden muß, daß der Bürger dort, wo er dem Staat am nächsten ist, wo seine Interessen am unmittelbarsten mit den Dingen in Berührung kommen, die das Allgemeine brauchen oder fordern, wieder mehr Einfluß bekommt, daß er dort mit entscheiden kann, daß das Schwergewicht für die Durchführung dessen, was jetzt auch Sie — wir etwas vorher, aber das macht nichts — die Gemeinschaftsaufgaben genannt haben, dort liegt, wo der Bürger selbst mit entscheiden kann über das Ausmaß, und daß wir hier nicht allmählich zu einer Art von Automatenstaat kommen. Dazu gibt es bei uns durchaus den Bedingungen der Zeit und den Notwendigkeiten unseres Staates — dazu noch in einem geteilten Deutschland — entsprechende Vorstellungen.
Wir brauchen innere Verhältnisse — und das wird in diesen Jahren recht schwierig werden —, auf denen wir fest und sicher stehen können. Wir müssen unsere Verhältnisse in und mit einer Umwelt in Ordnung bringen, die heute zum großen Teil nicht mehr daran erinnert werden möchte, daß es aus dem vorigen Weltkrieg noch eine Menge
ungelöster Probleme gibt, von denen eines unser besonders schmerzliches ist.
Hier haben sich der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu diesen Fragen geäußert.
Herr Dr. Barzel hat einen kleinen Katalog dessen angeführt, worauf es ankomme: den Frieden erstreben, die Stabilität stärken, die Einheit der Deutschen erreichen, die Vereinigung Europas fördern, den sozialen Rechtsstaat ausbauen. — Ich fand, das waren interessante Wegweiser.
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Herr Strauß, hat einige Punkte mehr; bei ihm sieht das so aus: die nationale Einheit Deutschlands erreichen, Sicherheit und Freiheit der Bundesrepublik erhalten, die deutsche Politik zu einem Werkzeug der Einigung Europas machen, das atlantische Bündnis in neuen Formen stärken, mit den östlichen Nachbarn und der Großmacht Sowjetunion zu einer dauerhaften Regelung der guten Nachbarschaft gelangen — und dann: für den Frieden der Welt arbeiten. — Das sind Herrn Strauß' Punkte.
Es ist für Außenstehende, aber zum Parlament Gehörende sicherlich interessant festzustellen, ob nun auch in den beiden Listen — alle diese Punkte stehen ja auch wieder in Beziehung zueinander — die jeweiligen Punkte immer gerade so, wie es hier steht, in richtiger Beziehung zueinander stehen. Das können nur Sie wissen. Wir können das gelegentlich nur erfragen. Reizvoll wäre zu wissen, ob es sich bei der Reihenfolge um eine aus untergeordneten Gesichtspunkten so gefügte Reihenfolge handelt oder um die Umschreibung der Punkte hinsichtlich ihrer Bedeutung, ob es da Nuancen gibt oder nicht. Wenn nicht, um so besser.
Ich bin doch erschrocken gewesen, und sicher ist das manchem von Ihnen auch so gegangen, daß der Bundeskanzler, als er seine Regierungserklärung vortrug, sagte:
Die Nachkriegszeit ist zu Ende! Deutschland ist geteilt, ist zur Hälfte dem Machtanspruch einer Siegernation unterworfen.
Ich habe lange, in diesem Fall darf ich wohl sagen, mit mir gerungen — denn das ist ja ein Bild, das zum Bundeskanzler selbst auch paßt —: Wie schwer muß man diese Feststellung von der Nachkriegszeit, die sich wiederholt findet, nehmen? Ich gebe zu: da ist einiges drin, vor allem, wenn man die übrige Welt nimmt, die ja eine Welt ist, die am liebsten in Frieden leben möchte, was wir übrigens auch möchten, die aber zum Teil sogar manches, was die Kommunisten in diese Welt gebracht und auch zementiert zu haben scheinen, hinnehmen möchten, um in Frieden zu leben, was wir wieder nicht können. Darin unterscheiden sich dann unsere Interessen von denen vieler anderer, und das macht ja unsere spezifische Schwierigkeit aus.
Aber ich will an dieser Sache mit der Nachkriegszeit nicht herumfeilen. Das würde wohl nicht gut ausgehen bei einer solchen Debatte, die sich dem Ende zuneigt. Ich nehme es als eine Arbeitshypo-
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these. Der Bundeskanzler hat sicher sagen wollen: Deutschland ist geteilt; wir müssen also nun mit Verhältnissen leben, die nicht so bequem — bequem jetzt von mir in Anführungszeichen gesagt — sein können, als sie es waren, als wir uns unmittelbar zu berufen hatten auf: Ihr Sieger habt doch aber die Pflicht, die Verantwortung, das endlich in Ordnung zu bringen, daß wir jetzt zusätzliche Schwierigkeiten haben. So verstehe ich es wohl richtig; so ist das im wesentlichen gemeint. Sie sehen also, ich will hier gar keine Splitterrichterei betreiben. Ich halte das für einen bemerkenswerten Satz:
Die Wiedervereinigung Deutschlands wird nicht zuletzt von unserer Fähigkeit abhängen, die uns freundschaftlich verbundenen und die uns vorerst indifferent begegnenden, ja sogar gegnerischen Mächte an dieser Wiedervereinigung politisch und wirtschaftlich zu interessieren.
Das ist ein wichtiger Vorsatz. Ich habe dann schnell, als ich den schriftlichen Text hatte, nachgeblättert — es gibt doch hoffentlich dabei auch eine unmißverständliche Feststellung, ungeachtet aller Abschabungen, die die Zeit den Dingen zugefügt hat, über die Viermächteverantwortlichkeit. Die gibt es auch. Insofern ist beides wohl zusammenzusehen, nämlich das, was einleitend bei der allgemeinpolitischen Darlegung von dem Bundeskanzler über die Notwendigkeit gesagt wird, daß wir uns darüber klar sein sollten, die Wiedervereinigung Deutschlands werde „nicht zuletzt von unserer Fähigkeit abhängen, die uns freundschaftlich verbundenen und die uns vorerst indifferent begegnenden, ja, sogar gegnerischen Mächte an dieser Wiedervereinigung politisch und wirtschaftlich zu interessieren", und dann, wie es wohl im einzelnen notwendig ist, an die Dinge heranzugehen. Ich bin einverstanden, daß man in dieser Regierungserklärung ausdrücklich auf jene vor 10 Jahren von der sowjetischen Seite und von der deutschen Seite gegebenen Erklärungen in einem Kommuniqué zurückgegriffen hat. Wir dürfen das ja ebensowenig versäumen wie die Erinnerung an die Viermächteverantwortlichkeit. Insofern gäbe es also wohl einiges, von dem man sagen kann: darüber können wir weiter reden.
Aber der Herr Bundesminister des Auswärtigen, der ja derselbe ist wie in der vorigen Periode, obwohl es darum viel Hin und Her gegeben hat in der Zwischenzeit, so kurz vor Toresschluß, hat 1964 — widerwillig, wie mir schien, denn von sich aus hätte er das Wort nicht genommen, wie er überhaupt von sich aus selten das Wort nimmt — dazu gesprochen. Das war am Anfang seiner Tätigkeit etwas anders. Da war er informationsfreudiger, diskussionsfähiger, als er es mit der Zeit geworden ist. Das liegt wohl an der Vielbeschäftigung, an dem Terminkalender und an noch manchem anderen, außerdem an der Routine, der er ja auch schon einmal als Minister des Innern erlegen ist. Ich bedaure das. Damals also, im Januar 1964, hat er während einer Debatte, die ich — zugegeben — mit einigen etwas anzüglichen Bemerkungen heraufbeschworen habe, daß es mir vorkam, als schwebe er sozusagen frei im Raum, in einer Art Ring —
das ist ein Zirkuskunststück, aber das traue ich ihm auch zu —,
damals hat er also dann gesagt, was alles vorgehe und welche schrecklichen Stürme um das deutsche Haus wehen werden. Bei Gott, davon haben wir inzwischen jedenfalls einige „Vorgeschmäckles" bekommen. Der Herr Bundesminister des Auswärtigen hat seinerzeit von der Notwendigkeit von Reinigungskrisen gesprochen. Er hat von der Notwendigkeit eines Umstellungsprozesses gesprochen. Wir haben sogar einmal erlebt, daß hier, im Januar 1964, Vertreter der CDU und der CSU, die ja eine Fraktion sind, völlig entgegengesetzte Schlußfolgerungen aus demselben Sachverhalt gezogen haben. Nicht, als ob ich das im nachhinein tadeln wollte. Das ist eben ein Zeichen dieser Entwicklung und dieser Zeit.
Wir werden jetzt eine unserer Aufgaben darin sehen, mit der Verantwortung, die uns als einer staatsbewußten Opposition zukommt, hier einige Debatten — nicht nur in den Interviews und nicht nur verdeckt in den Fragestunden, bei denen wir den kürzeren Hebelarm in der Hand haben — zu führen, um vielleicht sogar eine gewisse Regelmäßigkeit in die Erörterung solcher Fragen zu bringen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mit Eleganz und rhetorischer Geschmeidigkeit allein — so wichtig sie sind — schaffen wir diese schwierigen Dinge nicht.
Wir brauchen eine Deutschlandpolitik, über deren Grundlagen eis sicher keine wirklichen, fundamentalen Gegensätze gibt, eine Deutschlandpolitik, die im Volk populär werden kann, weil wir das Volk dazu brauchen, daß es sie mit stützt.
Was jetzt kommt? Sie sehen das z. B. an der in diesen Tagen veröffentlichten Äußerung der polnischen Bischöfe, über die hier im einzelnen etwas zu sagen ich gar nicht für möglich halte; aber das zeigt doch, wie die Dinge um uns herum und in unseren eigenen schweren Problemen in Bewegung geraten. Das ist noch lange kein Tauwetter, aber es kann uns passieren, daß wir uns plötzlich zwischen Schollen eingeklemmt erkennen und dabei sehr viel mehr als nur Schrammen, vielleichtsogar gewisse Amputationen erleben werden.
Über diese Dinge müssen wir reden, und deswegen bedauere ich es so, daß weder jemand von der Regierungsbank noch jemand aus dem Kreise der Kolleginnen und Kollegen auf jene drei Vorschläge eingegangen ist, die mein Freund Professor Karl Schiller hier gemacht hat. Gut, das war Ihnen ungewohnt; Sie denken vielleicht so sehr in Expertenkategorien: Wieso kommt der eigentlich dazu, so etwas zu machen? Aber bitte, ich fand das gut, daß
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zu unserer gesamtdeutschen Lage, zu unserem gesamtdeutschen Elend in einem solchen Bericht über die Lage der Nation geschrieben und gesprochen werden sollte. Und das fehlte in der Erklärung. Ich will es noch einmal aufgreifen.
Herr Schiller hat sogar versucht — nicht Formulierungshilfe zu leisten, denn er ist ja insofern nicht ein Beamter den Parlamentariern gegenüber — zu zeigen, wie man so etwas machen könnte: Die Bundesregierung gibt also einen ausführlichen Bericht über die ökonomischen, die sozialen, die geistigen Lebensbedingungen unserer Landsleute in der Zone, über ihre Probleme, ihren Alltag, ihre Arbeitsverhältnisse, ihre Mühen, auch ihre kargen Fortschritte, ohne dabei die Machthaber dort auch nur mit einem einzigen Wort zu erwähnen. Übrigens — unter uns gesagt: Was, glauben Sie, würde sich davon positiv niederschlagen bei den Omas und Opas aus Dresden und Kamenz und Leipzig und Erfurt, die auf dem Wege der Rentnerbesuche, die seit einiger Zeit möglich sind, hier dann erleben, daß wir das würdigen, was ihnen geschieht und wie es ihnen geht? Das wäre schon etwas, was die Mühe wert wäre.
Und dann jener andere Vorschlag: Wir werden den Interzonenhandel so weit wie möglich ausbauen; der soll kein Mauerblümchen in unserem Wirtschaftsleben sein. Ich habe bedauert, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß Sie gesagt haben, darüber könne man hier doch nicht reden. Natürlich muß man sogar darüber reden, und wir werden das anders machen als bisher. Wir werden hier Anfragen stellen in dieser Sache. Dabei können Sie gewiß sein, daß wir Dinge, bei denen wir wissen: „Feind hört mit", nicht zur Sprache bringen. Aber einfach weil Feind mithört, auf das, was zu erörtern notwendig ist, totzuschweigen, das hört auf. Darüber müssen wir reden; solche Fragen müssen wir behandeln.
Sie haben leider in diesen Fragen unser Vertrauen nicht gerechtfertigt. Das muß ich mit Bitternis oder Betrübnis feststellen.
Und dann jener dritte Vorschlag: 20 Jahre sind genug; die Regierung sollte zur Mitarbeit auffordern und sollte sich an die Parteien wenden. Ich kann das sehr schwer hier wieder vorbringen; denn ich habe damals, nachdem die letzte Viermächtekonferenz auf Gipfelebene scheiterte, ehe sie zusammentrat, an dem 30. Juni 1960 versucht, Ihnen — noch aus einer Zeit, in der wir bittere Auseinandersetzungen geführt hatten — einen Weg mit gangbar machen zu helfen, damit in dieser Frage wie in der damals über uns hängenden — ein Jahr später wurde nämlich die Mauer errichtet — Frage Berlins mindestens gemeinsam überlegt würde. Auch dazu sind Sie heute nicht imstande, wenigstens mit einem warmen Wort in dieser Frage, in einer gesamtdeutschen Frage, bei der es an die Herzen geht, auch diejenigen, die nicht zu Ihrer Koalition gehören, in die Erörterung zu ziehen.
Meine Damen und Herren, ich war mit dabei, als vor dem Bundestagswahlkampf — damals dank der guten Dienste der Herren des Kuratoriums Unteilbares Deutschland — einige Punkte festgestellt
wurden, über die es zwischen den Parteien Einvernehmen gab. Ich will es hier nicht wieder zitieren.
Inzwischen hat der Herr Geschäftsführende Vorsitzende dieses Kuratoriums, Dr. Wolfgang Wilhelm Schütz, in einer lesenswerten Studie, die auch für Regierungsangehörige lesenswert ware — wir können ihr ja einen anderen Umschlag geben, wenn Sie meinen, es komme Ihnen nicht zu, solche Bücher zu lesen; das macht ja nichts —,
die Fragen nach einer politischen Strategie dargelegt. Ich glaube, Herr von Kühlmann-Stumm hat den Begriff nicht nur aufzugreifen versucht, er hat dazu auch etwas zu sagen und ihn zu entwickeln versucht. Über alle diese Dinge müssen wir reden, darüber kann man jetzt am Schluß der Debatte nicht mehr reden.
Meine Damen und Herren, keine sonstige Erinnerung! Aber hören Sie einmal genau mit: Die CDU sollte sich in der Darstellung der Wiedervereinigungspolitik durch nüchternen Realismus von der Wunschträumerei der SPD unterscheiden. Die CDU sollte deshalb offen sagen, daß die Wiedervereinigung nur im Zusammenhang mit einer grundsätzlichen Änderung der weltpolitischen Konstellation zu erreichen sei und daß die Bundesrepublik auf diese weltweite Entwicklung nur einen begrenzten Einfluß habe. Warum haben Sie das nicht früher gesagt? Das findet man nur in den Wahlkampfrichtlinien der CDU/CSU für die Kandidaten der CDU/ CSU. Ehrenwert — wenn Sie die Sache so sehen —, daß Sie es schreiben. Das ist aber eine Frage der Gesamtrichtung der Politik. Wenn der Herr Außenminister die Dinge damals auch nur andeutungsweise richtig ausgesprochen hat, dann war doch darin, daß in Ihrem eigenen politischen Lager und erst recht im Volk völlige Unkenntnis darüber herrscht, wo wir eigentlich stehen. Reicht es dann, daß Sie solche Erkenntnisse in zwei Sätzen für den inneren Gebrauch — und damit Sie uns von der SPD mit „Illusionen" abschmieren können — Ihrer Kandidaten zur Sprachregelung ausgeben? Denken Sie einmal darüber nach! Ich weiß genau, daß Sie zu dem Ergebnis kommen: Das reicht nicht.
Sie verlieren ja auch gar nichts, wenn Sie sich entschließen, die Karten in dieser Frage auf den Tisch zu legen. Wir können doch in dieser Frage nur gemeinsam etwas gewinnen oder nur gemeinsam etwas verlieren. Sie können uns nicht übertrumpfen, und wir können Sie in dieser Beziehung auch nicht übertrumpfen, weil ein Blinder und ein Lahmer, wie wir es sind, in der deutschen Frage noch lange keinen Normalen machen. Wir sind aber heute in dieser Situation.
Die Perfektion überlasse ich den Sektierern, den Blättchenschreibern und auch gewissen Praktikanten. Die können das so darstellen, als könnte man es so machen. Es ist Schwindel, wenn auch von ihnen häufig gar nicht als solcher erkannt. Aber hier
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kann man sich doch nicht gegenseitig etwas vormachen.
Hier geht es um viele Dinge, dabei auch darum, daß Berlin nicht nur eine Pflicht ist, sondern auch eine Möglichkeit.
Hier erlaube ich mir eine Bitte um Entschuldigung persönlich einzufügen, weil ich mich durch einige Dinge, die Berlin betrafen, so hart habe hinreißen lassen, daß sogar eine ganze Fraktion geglaubt hat, ich hätte die Worte, die ich in meiner Bitterkeit ausgestoßen habe, an eine ganze Fraktion ausgesprochen. Ich bitte Sie deswegen um Entschuldigung.
Ich habe ja für den Tatbestand selbst meinen Ordnungsruf nicht nur gekriegt, sondern auch genommen; der gehörte sich.
Gut! Aber Sie werden das verstehen: Ich kann nicht sagen, was das für mich hieß und sicher auch für viele, wenn sie das miterlebt hätten. Ich habe eben so reagiert, wie ich bin. Anders kann ich nicht.
Meine Damen und Herren, Sie haben angekündigt, daß die Regierung ein Weißbuch herausgeben werde. Ich bitte Sie, weil ich das für einen ganz guten Vorsatz halte, es tatsächlich zu tun. Wenn Sie es nicht tun sollten oder wenn es lange dauern sollte, müssen wir Sie leider daran mahnen. Ich wäre froh, wenn Sie mit der Ansicht übereinstimmten, die ich Ihnen jetzt sage: daß es am besten wäre — aber darüber ließe sich diskutieren —, wenn Sie nicht ein Weißbuch über die Deutschlandfrage schlechthin herausgäben, sondern wenn wir uns angewöhnten, etwas zu tun, was andere Regierungen aus einer anderen Tradition schon häufiger machen: ein solches Weißbuch über einen ganz bestimmten, über einen meßbaren Tatbestand abzufassen. Ich würde z. B. sagen: über die Entwicklung und die Behandlung der Deutschlandfrage in der Zeit vom Notenpaar November 1958/Januar 1959 bis zum Moskauer Abkommen Juni 1964 zwischen Moskau und Pankow. Haben Sie keine Angst; es kommen auch Sachen, die hinterher gekommen sind, noch zum Zuge, im Anhang oder sonstwo. Aber dies ist eine wesentliche Periode. Wenn Sie sich das überlegen, dann werden Sie finden: So schrecklich beide Daten sind, so geeignet sind sie — wenn wir es richtig, sauber, sachlich tun —, unser Volk, auf das es. vor allem ankommen wird, den Menschen in anderen Ländern und auch denen, die Sitz und Stimme in den United Nations und sonstwo haben, klarzumachen, so daß es jeder nachlesen kann: das und das ist in der Deutschlandfrage geschehen, das und das haben wir versucht. Es gibt gewisse Meinungsverschiedenheiten darüber, ob man alles Erdenkliche versucht hat. Aber bitte, der Rahmen ist ein Rahmen, den Sie versuchen sollten zu benutzen. Denn Sie werden sehen: da fällt dann bei vielen in der Welt der Groschen, da werden wir endlich zum Gegenstoß kommen gegen diese furchtbare erdrückende Offensive, die die sowjetische Propaganda unternimmt, — als ob wir gar nicht einen Friedensvertrag wollten, während sie, die Sowjets, ihn wollten. In Wirklichkeit wollen sie eine Teilungsurkunde, für die sie die Unterschrift des Westens haben möchten. Die Dinge laufen in einer Weise, die es uns schwermacht.
Meine Damen und Herren, da sind viele Sorgen; da sind die Sorgen in Europa, auf die man jetzt nicht mehr ausführlich zu sprechen kommen kann. Da sind die Sorgen, die sich aus dem Stillstand der Entwicklungen ergeben, von denen die meisten angeommen hatten — ich auch —, sie seien einfach nicht mehr rückläufig zu machen: die europäischen Entwicklungen. Ich denke daran, was der amerikanische Präsident seinerzeit — leider ohne offizielles Echo in den Regierungen des Westens — gesagt hat: was man allein nicht tun könne, selbst wenn man so stark wie Amerika sei, was man aber tun könne, wenn man es gemeinsam mit anderen tue. Um Himmels willen, was ist daraus inzwischen geworden! Die wenigsten erinnern sich noch an diese Feststellungen, die der amerikanische Präsident getroffen hat. Und jetzt haben wir Sorgen um Europa, um die atlantische Partnerschaft, um Entwicklungen, die leider in wesentlichen Punkten anders zu laufen scheinen als das, was der damalige amerikanische Präsident richtig ins Auge zu fassen alle nötigen wollte.
Wir müssen heute einiges versuchen — Sie werden sich vielleicht wundern, wenn ich das so ohne eingehende Begründung sage; ich verzichte darauf, weil ich Ihre Zeit schon über Gebühr in Anspruch genommen habe —, ohne von unseren Verpflichtungen und von unseren Überzeugungen in bezug auf die europäischen Gemeinschaften abzugehen oder unsere Haltung zu ändern. Die europäischen Gemeinschaften drohen, im nächsten Jahr in eine noch schlimmere Krise zu geraten, als wir sie bisher erlebt haben; lassen Sie uns da keiner Täuschung anheimfallen! Wir müssen also versuchen, dort unsere Haltung nicht zuungunsten dessen, was von den Gemeinschaften bewahrt werden muß, bewahrt werden kann, zu ändern.
Dasselbe 'gilt für das nordatlantische Bündnissystem. Deswegen bin 'ich so betrübt, daß der Herr Bundeskanzler eine so schulmeisterliche Antwort auf eine so wesentliche Frage gegeben hat
— wo sollen wir sie denn sonst anbringen, wenn nicht hier? — und uns einfach damit abgebürstet hat: Darüber werden wir in Washington reden. Niemand. zwingt Sie, Herr Bundeskanzler, hier über Sachen zu reden, von denen jeder weiß, daß jetzt nicht davon zu reden ist. Aber uns jetzt einfach abzuschmieren und zu sagen: Darüber reden wir überhaupt nicht!, das geht nicht, das müssen Sie sich abgewöhnen. Wir werden das nicht durchgehen lassen.
Wir wissen, daß Sie bei diesen Dingen, in nuklearen Fragen, in einer schwierigen Situation sind. Ich bin weit davon entfernt, darüber ironisch reden zu wollen. Nur — bitte, das sage ich ungern, in diesem Falle geht es aber um Deutschlandpolitik —: Ihre Position gegenüber den anderen draußen ist doch
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Wehner
stärker mit einer Opposition, der Sie sich in diesen Fragen stellen, als wenn Sie es so machen, wie Sie es hier versuchen.
Hier geht es mir gar nicht um Sie als Parteimann, hier geht es mir darum, daß das Maximum an Einflußmöglichkeit bei diesen schwierigen Verhandlungen, in denen versucht werden muß, den Schuttberg in Europa abzutragen, erreicht wird. Ich glaube nicht, daß Sie den Schlüssel zu atlantischer Sicherheit, auf die wir ja angewiesen sind, ohne die wir in diesen Zeitläuften überhaupt nicht Politik denken können, irgendwie mit einem Magneten herauskriegen. Washington wird auch erwarten, daß wir den Hauptteil unserer Kraft auf das Abtragen des europäischen Schuttberges konzentrieren.
So schwer das ist bei den besonderen Vorstellungen des französischen Staatspräsidenten und seines Regimes in bezug auf das, was wir Integration nennen, und das, was atlantische Partnerschaft heißt — in diesen Punkten können wir nicht Irrlichtern folgen. Denn wenn Sie Irrlichtern folgen, werden Sie, meine Herren, die Sie das versucht haben, erleben: Von Paris kriegen Sie nicht, was sie geglaubt hatten, von Washington fordern oder einhandeln zu können. Was wir unternehmen müssen, ist der Versuch, in Fragen, in denen es sich machen läßt — einige hat, glaube ich, mein Freund Erler und, wenn ich mich recht erinnere, ich habe dás inzwischen noch nicht alles nachlesen können, auch mein Freund Schmidt erwähnt; wenn es zunächst nicht mehr ist, ist es wenigstens etwas —, „faire quelques choses ensemble", zu zweit einige Dinge zu machen; was die Vorstellung des französischen Staatspräsidenten ist. Versuchen wir's, was sich da machen läßt. Das werden nie Dinge sein können, die Rechtens nur von den Gemeinschaften oder von der Sicherheitsorganisation, so wie sie ist — sie ist natürlich auch der Entwicklung unterworfen —, gemacht werden können. Aber wir sollten doch einiges versuchen und nicht glauben, wir könnten es ja von hier aus nicht ändern, was dort für ein Kurs herrscht; nicht glauben, das könnte man alles auf die leichte Schulter nehmen. Ich sehe da sehr viele weitere Schwierigkeiten.
Noch eine letzte Bitte. Es kommt jetzt wieder auf — damit meine ich weder Herrn Barzel noch die anderen, die hier offiziell die Auffassungen ihrer Fraktionen vertreten haben —, als ob wir eine Art Stufenplan oder so etwas in bezug auf die deutsche Frage und den Friedensvertrag hätten. Es hat schon einmal in früheren Jahren — es liegt nicht so sehr lange zurück — mit Recht den Begriff gegeben, manches könnte man „pari passu" tun. Da sollte man bei ernsthaften Überlegungen doch nicht verlorengehen lassen. Das gehört zu den wenigen Möglichkeiten, die aus alten Streitereien übriggeblieben sind. Aber wenn wir damals einer Meinung waren, gewisse Dinge könnten pari passu getan werden in der deutschen Frage und im Hinblick auf friedensvertragliche Regelungen usw., dann sollte man daran nicht nur denken oder darüber streiten, sondern daran arbeiten.
Ich bitte Sie um Entschuldigung, daß ich Sie so lange aufgehalten habe; aber ich danke Ihnen für Ihre Geduld.
Meine Damen und Herren! Ehe ich das Wort weitergebe, muß ich mir ein Urteil über den Ablauf unserer Diskussion bilden. Ich habe hier außer der des Herrn Bundeskanzlers noch drei Wortmeldungen, nämlich von den Herren Fraktionsvorsitzenden. Darf ich fragen, ob sich die Herren kurz zu fassen wünschen? —
— Das würde ich begrüßen; denn davon hängt erstens ab, ob wir eine Mittagspause machen — wenn ja, würde ich sie jetzt machen —,
oder ob wir durchdiskutieren mit der Absicht, das Plenum zwischen 14 und 15 Uhr zu schließen
und damit diese ganze Diskussion heute zu Ende zu bringen. Meine Herren Fraktionsvorsitzenden, ist das möglich?
Herr Kollege Erler, ist das möglich?
Herr Kollege von Kühlmann-Stumm?
— Gut. Herr Bundeskanzler, ich unterstelle, daß Sie den Wunsch haben, nunmehr zum Regieren zu kommen. Nun, meine Damen und Herren, dann werden wir jetzt ohne Unterbrechung diese Debatte zu Ende bringen. Zum Schluß der Debatte werde ich Herrn Dr. Pohle noch das Wort zu einer Erklärung nach § 36 der Geschäftsordnung geben.
Dann muß ich folgendes fragen. Als ich die Konstituierung einiger Ausschüsse ansetzte, ging ich davon aus, daß diese Ausschüsse während des Plenums konstituiert werden müßten. Dazu kann man nicht im ganzen Hause herumlaufen, sondern sie müssen hintereinander weg konstituiert werden. Wenn das Plenum fertig ist, können wir das anders machen und können die Ausschüsse mit etwas größerer Distanz in ihren Ausschußräumen konstituieren. Ich sage noch einmal: wenn das Plenum fertig ist. Deshalb verschieben sich die Termine für die Ausschußkonstituierungen um eine halbe Stunde, — also für jeden Ausschuß 30 Minuten später als mitgeteilt, und zwar erfolgt sie in den dafür zunächst vorgesehenen Räumen.
Ich höre, daß gleich nach dem Plenum Fraktionssitzungen stattfinden sollen. Ich hoffe, daß die Ausschußkonstituierung dadurch nicht unmöglich wird. Wir müssen eine Reihe von Ausschüssen heute auf jeden Fall konstituieren, damit sie möglichst schnell zusammentreten können. Ist das klar? — Meine Damen und Herren, ich frage noch einmal: Ist die
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Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Ausschußkonstituierung möglich, auch wenn Sie nach dem Plenum Fraktionssitzungen machen wollen?
Dann verschieben sich also die Termine für die Ausschußkonstituierungen um 30 Minuten, immer unter der Voraussetzung, daß wir zwischen 14 und 15 Uhr fertig werden.
Der Ältestenrat muß heute auch noch zusammentreten. Ich werde den Termin dafür noch durchsagen lassen.
Nun hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Barzel.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Zunächst zur Rede des Herrn Kollegen Wehner: Was so polemisch begann, ist dann doch noch eine große Rede und eine große Stunde für das ganze Haus geworden. Ich will deshalb mit Ihnen, Herr Kollege Wehner, auch nicht mehr streiten über Physiognomien; uns geht es allein um Deutschlands Wohl, und dafür ist uns jede Nase recht.
Sie waren so freundlich, Herr Kollege Wehner, in Ihrer Rede — und auch einige Ihrer Kollegen in der Debatte — zum Teil dem Kollegen Strauß und zum Teil auch mir — und man merkte die Absicht - ein paar besondere Blumen zu überreichen. Ich bedanke mich dafür und nehme sie zu dem bunten Strauß dieser CDU/CSU, von dem die schönste
Blume nach wie vor der Bundeskanzler Erhard ist und bleiben wird.
Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Wehner war so freundlich, uns allen einen — wenn ich das so sagen darf — Blick in ein gelobtes Land zu eröffnen. Dieser Blick war sehr interessant, dieser Blick war wichtig, und der Blick war zweifelsfrei von Verantwortung getragen. Wir fragen uns, Herr Kollege Wehner, ob wir dieses gelobte Land nicht auch gemeinsam erreichen können durch die von uns vorgeschlagene Kooperation aller in den großen Fragen; und dazu möchte ich im Verlauf dieser Antwort auf Ihre Rede ein paar Sätze sagen.
Ich muß aber zunächst noch, Herr Kollege Wehner — obwohl es jetzt kaum in die Stimmung paßt, weder in die aufgeregte Hektik der Geschäftslage, die hier entstanden ist, noch in die andere, welche die anderen Passagen Ihrer Rede mit Recht auch bei uns 'bewirkt haben —, ich muß der guten Ordnung wegen, und weil es mir ernst ist, den Vorwurf zurückweisen, wir versuchten, uns über das Grundgesetz hinwegzusetzen, indem wir hier hessische Probleme diskutierten. Herr Kollege Wehner, in aller Ruhe: wir haben nicht den Finanzminister Osswald gebeten, hierherzukommen. Wir haben das Recht nach Art. 43 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht bestritten. Wir haben die Art gerügt, in der er von diesem Recht Gebrauch gemacht hat. Ich denke, heute morgen ist jedem klargeworden, daß er wahrscheinlich auch selbst nicht ganz glücklich ist über das, was sich gestern abend hier vollzogen hat.
Das zweite, Herr Kollege Wehner. Sie haben uns — und das war sehr wichtig — mit einer Maxime der Opposition vertraut gemacht. Sie haben gesagt, Ihre Maxime sei, das Wohl des Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden. Wir danken sehr herzlich für diese Klarstellung. Ich denke, wir können feststellen, daß dies die gemeinsame Maxime ist. Ich sah, ehrlich gesagt, nicht recht den Anlaß, dies erneut zu 'betonen. Denn niemand, Herr Kollege Wehner, möchte das tun, was Sie als eine potentielle Gefahr bezeichnet haben: die Sozialdemokratie aus diesem Staat herauszudrängen.
Ich möchte deshalb, mit Genehmigung des Herrn Präsidenten, noch einmal die ersten Sätze der Rede verlesen, die ich zu Eingang dieser Debatte habe halten dürfen. Ich habe gesagt:
Uns allen hier, Koalition wie Opposition, wünschen wir den Geist möglichst weitgehender prinzipieller Übereinkunft und eine Praxis der Toleranz und loyaler Zusammenarbeit. Wir alle, Koalition wie Opposition, tragen Verantwortung für unser Volk.
Ich habe dann von Brentano zitiert mit den Worten:
Wir alle haben ein Mandat der Wähler. Wir zusammen vertreten das Volk,
und habe angeschlossen:
Die Kooperation aller in den großen Lebensfragen bleibt eine Notwendigkeit.
Hierzu stehen wir, und hieran erinnern wir, Herr Kollege Wehner, auch vor dem Hintergrund Ihrer bedeutenden Rede.
Sie haben dann unseren Herrn Parteivorsitzenden, Bundeskanzler Adenauer, zitiert und seinen wichtigen Aufsatz in der „Politischen Meinung" noch einmal zur Sprache gebracht, — einen Aufsatz, der sich mit gewissen Mängeln unseres Grundgesetzes beschäftigte. Sie sehen unsere Politik, Herr Kollege Wehner: Wir bemühen uns erstens um die Kooperation aller in den großen Fragen. Zweitens haben wir die Bundesregierung ermuntert, durch die Art der Behandlung der Notstandsfragen, der Finanzverfassungsreform wie der Deutschland-Frage die Möglichkeit breiter Majoritäten zu erleichtern. So meine ich, Herr Kollege Wehner, Sie sollten hier nicht sagen — und es ist mir unverständlich, weshalb Sie es getan haben —, wir wollten die SPD etwa, jetzt weiß ich nicht genau: zum „Appell" oder zum „Befehlsempfang" antreten lassen. Nein, wir suchen die Kooperation aller in den großen Fragen bei Fortbestand dieser Koalition.
Ich möchte dies ganz klarstellen und deshalb ganz vorsichtig folgendes festzustellen versuchen, und ich hoffe, daß wir einer Meinung sind, wenn ich dies sage, Herr Kollege Wehner: Unsere Verantwortung für Deutschland ist nicht abhängig von dem Grad der Mitwirkung in der Bundesregierung. Ich glaube, das ist ein Satz, der ganz klar ist und der auch eine gemeinsame Maxime sein sollte.
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Dr. Barzel
Vor dem Hintergrund dieses Satzes fällt es mir leicht, Ihr Angebot anzunehmen, gegen Klischees zu sein, Klischees von uns gegen Sie und von Ihnen gegen uns. Die Wirklichkeit, die Gegenwart, gibt genug an Streitstoff, vielleicht auch genug an Gemeinsamkeit her, an tragfähiger Basis für große Lösungen, Herr Kollege Wehner. Auch wir ringen um diese Dinge. Sie sehen, wie Sie uns angesprochen haben mit disen Fragen. Ich meine deshalb, daß es gut wäre, wenn wir häufiger hier diskutierten und uns mehr an das hielten, was hier verantwortlich gesagt wird, als an das, was in dritten Blättern und an vierten Orten an politischer Diskussion geschieht.
Was Sie dann zur Mitbestimmung sagten, war für uns wichtig und interessant. Sie waren so freundlich, an Hans Böckler zu erinnern, dem in der Tat ein großes Verdienst gebührt. Ich hatte schon einmal an Karl Arnold erinnert, wie Sie wissen, und daran, daß die soziale Marktwirtschaft wie die soziale Partnerschaft für uns die Basis der bisherigen wie der zukünftigen Entwicklung sind. Ich bin dankbar, daß Sie wenigstens eingegangen sind auf meinen Gedanken des Zusammenhangs zwischen Mitbestimmung und Miteigentum. Sie waren ein bißchen nuanciert zu dem, was ich gesagt habe. Ich will es jetzt nicht fortsetzen. Wir haben früher einmal mit Herrn Kollegen Deist darüber an dieser Stelle debattiert. Es wird Gelegenheit geben, das zu tun. Es gehört nicht in diese knappe Stunde.
Was die beiden letzten Fragen aus Ihrer Rede betrifft, die ich in diesem mittäglichen Tempo noch behandeln kann, Herr Kollege Wehner, so möchte ich dazu, zur Frage der Reform der Finanzverfassung und des Weißbuchs, noch folgendes sagen. Ich glaube, daß wir für die Finanzverfassungsreform den Bericht der Sachverständigen, die gemeinsam von den Ländern und von der Bundesregierung eingesetzt worden sind, bald erwarten können. Der Bericht der Sachverständigen wird ganz objektiv sein. Ich nehme an, daß wir dazu alle ganz sachlich und allein nach dem Urteil und den Daten, die darin enthalten sind, Stellung nehmen. Das Urteil darüber und die Konsequenzen, die man daraus zieht, werden nicht etwa davon abhängig sein, ob man sich in der Bundesregierung befindet oder nicht.
Was das Weißbuch zur deutschen Frage betrifft, so haben wir schon festgestellt, daß wir der Bundesregierung für ihre Absicht dankbar sind. Es wäre in der Tat gut, wenn das Weißbuch bald erschiene. Wir begrüßen die Ankündigung und bitten, auch einmal zu prüfen, ob man nicht diesem Weißbuch, das sich zunächst notwendigerweise mit diplomatischen Vorgängen zu beschäftigen hat, noch ein zweites anhängt und — darauf kam ich bei Ihrer Rede, Herr Kollege Wehner — ob man nicht einen Anhang macht, der die Charta der Menschenrechte der Vereinten Nationen enthält und zu jedem Punkt die Verstöße durch die Wirklichkeit in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands. Dann hätten wir nicht nur ein Dokument für Diplomaten,
sondern ein Dokument, das die Menschen anspricht und das in der Welt wahrscheinlich Beachtung finden würde.
Nun ein Wort zu der Debatte, die wir hinter uns haben und die zu Ende geht. Auch wir glauben, daß es eine gute und eine nützliche Aussprache war. Vielleicht war das eine oder andere noch zu sehr aus der Vergangenheit und von hinten gesehen. Aber das ist sicherlich verständlich. Wir sollten uns künftig vielleicht kürzer fassen, unsere Aufmerksamkeit auf die Zukunft lenken und versuchen, mit der Gegenwart fertig zu werden.
Ich glaube, daß diese Debatte Klarheit über ein paar Punkte geschaffen hat. Es nun klar — mich überrascht es nicht, aber ich will es festhalten —, daß die Politik der Bundesregierung in wesentlichen Fragen der Außenpolitik eine sehr breite Mehrheit in diesem Parlament hat. Es ist klar — und niemand hat dies bestritten —, daß wirtschaftlich und sozial die Zeit des Wiederaufbaus zu Ende ist, daß wir in einer neuen Phase sind und daß der stürmische ökonomische Fortschritt der Vergangenheit wohl kaum wird wiederholt werden können. Auch dies scheint eine gemeinsame Auffassung zu sein.
Herr Bundeskanzler, ich glaube, es ist klar geworden — und dies ist sehr wichtig in bezug auf das, was Herr Schiller „kurzfristige Politik" nennen würde —, daß in diesem Hause eine große Bereitschaft besteht, eine an der Stärkung unserer Wirtschaft orientierte gesamtökonomische und soziale Politik durchzusetzen und durchzustehen, selbst wenn dazu ein paar Durststrecken gehörten. Ich bin sicher, daß wir das mit der Koalition zusammen schaffen können, Herr Bundeskanzler.
Ich glaube, man kann sagen, daß diese Debatte der letzten vier Tage der Bundesregierung die Möglichkeit und das Recht gegeben hat, sich gestärkt zu fühlen. Sie geht mit ihrer Politik aus dieser Debatte gestärkt hervor.
Ich möchte noch ein paar Punkte ausdrücklich festhalten. Ich bin sehr dankbar für die Klarstellungen — mich haben sie nicht überrascht; aber für einige von uns und für die Öffentlichkeit waren sie wichtig hinsichtlich der gesamtdeutschen technischen Kommission. Das ganze Haus ist sich also darüber im klaren, daß sie nur unter dem Dach der Vier Mächte und nur in einem Prozeß mit dem Ziel der Wiedervereinigung in. Frage kommen. Sie kommen nicht in Frage als Elemente der Stabilisierung des Status quo. Dies ist eine Klarstellung für die Öffentlichkeit; nur deshalb wiederhole ich sie noch einmal. Wir waren uns darüber schon früher intern völlig einig geworden, und ich stelle das — an die Adresse des Koalitionspartners — dankbar fest.
Ich möchte auch ein Wort des Dankes an den Herrn Kollegen Dahlgrün für einen Beitrag zu dieser Debatte richten. Er wird sich vielleicht
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Dr. Barzel
wundern, daß ich diesen Beitrag besonders lobend erwähnen möchte. Er hat nämlich — wenn ich es richtig im Ohr habe — eine Definition des Sparens geboten. Das schien mir notwendig zu sein; denn es bestand doch hier und dort die Gefahr, daß Sparen künftig definiert würde als „Verzichten auf das, was man ohnehin nicht hat".
Ich denke daran, daß die eine oder andere Verlautbarung von 12,9 Milliarden DM ausging, die gar nicht da waren, und daran, daß Sparen im Verzichten, im Abstreichen dessen, was ohnehin nicht da ist, bestehe; und ich denke an die von Herrn Althammer gerügte Methode der Opposition, Anträge einzubringen, die Geld kosten, sie zurückzuziehen, weil das Geld nicht da ist, und das dann als Sparen zu bezeichnen. Also finden wir zu der soliden Formulierung zurück, die der Bundesminister der Finanzen hier geboten hat.
Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Schmidt hatte die Liebenswürdigkeit, zunächst einmal das mangelnde Selbstbewußtsein der Sprecher der Koalition zu rügen. Dies ist ein Vorwurf, den ich weder zurückgeben kann noch möchte.
— Herr Luda hat ihn entkräftet, meinen Sie? Meine Damen und Herren, ich bin nicht so ganz sicher. Wir haben ja einiges erlebt.
Aber er hat dann gesagt — und darauf wollte ich zurückkommen —, daß für die Bundesregierung nicht zähle, was sie sage oder ankündige, sondern was sie tue. Einverstanden! Das gilt aber wechselseitig. Auch für die Opposition gilt nicht, was sie ankündigt — wobei sie andere Arten des Tuns hat als die Regierung, das wird eingeräumt —, auch für die Opposition gilt nur, was sie tut.
Sehen Sie, Herr Kollege Schiller, da habe ich gleich ein Betätigungsfeld für Ihren Tatendrang. Sie haben uns gesagt, das deutsche Volk frage: Da debattieren die vier Tage, und was tun sie gegen die Preise? — Ihnen kann geholfen werden, Herr Kollege Schiller. Stimmen Sie, nächste Woche dem Haushaltssicherungsgesetz zu! Das ist der Anfang für eine vernünftige Politik auf diesem Gebiet.
Ich will dem noch ein Stückchen nachschieben. Herr Kollege Erler, ich habe Ihre Frage an den Kollegen Althammer sorgsam gehört und sogar für diese Schlußbemerkung notiert, weil mir dies so wichtig war. Sie haben nach der Finanzlage des Bundes gefragt, die — ich zitiere nun — „zu beklagenswerten Beschlüssen der Mehrheit des Hauses führen wird und wahrscheinlich auch führen muß". Dies war eine bedeutsame Formulierung. Das heißt, die Mehrheit wird etwas herbeiführen, was man im Grunde kaum bestreiten kann — es wird wahrscheinlich so sein müssen, sagen Sie —, aber die Opposition wird sich daran eben nicht beteiligen. Hierzu, Herr Kollege Erler, muß ich Ihnen sagen: Das finde ich nicht gut, und das halte ich auch nicht für jenen Geist von Gemeinsamkeit, der hier beschworen worden ist, meine Damen und Herren!
In diesem Zusammenhang noch ein Punkt, der durch die Rede des Kollegen Wehner eine noch größere Bedeutung bekommen hat, als er vorher hatte. Es gab eine Debatte mit dem Kollegen Heinemann. Der Kollege Erler hatte das mit der Frage zur Ergänzung der Verfassung und solcher Dinge eingeleitet. Das heißt: Sie haben immer wieder darauf abgehoben, daß man sich über die Zeit und die Prioritäten der Politik überhaupt — das ist die Formulierung — verständige. Ich will nicht das ganze Zitat noch einmal vorlesen; die Zeit langt nicht. Was also diese Sätze wirklich bedeuten — das Sich-einig-Sein über die Priorität der Politik überhaupt als eine neue Voraussetzung für die anderen Dinge —, ist leider Gottes auch dem Kollegen Benda nicht gelungen, dem Kollegen Heinemann zu entlocken, der dazu gesprochen hat.
Herr Kollege Wehner, auch Sie haben natürlich im Grunde die ganze Zeit davon gesprochen, ohne aber wirklich eine präzise Antwort gegeben zu haben. Reißen wir keine Gräben auf! Überlassen wir das der Zukunft, und sehen wir durch die Tat, was hier zu machen ist. Es wird sicher gut sein, wenn die Bundesregierung die Fäden aufnimmt, die hier auf dem Tisch liegen. Bei der Notstandsverfassung wird man z. B. sehr schnell feststellen, ob es um die damals abgerissenen Fäden geht oder ob hier neue Bedingungen gestellt werden, ob hier andere Voraussetzungen erfüllt werden sollen.
Bevor ich zu einem Schlußgedanken dieser kurzen Intervention komme und abschließe, möchte ich, Herr Kollege Erler, noch etwas sagen. Sie haben sich neulich, wie ich glaube, mit Recht darüber erregt, als ich sagte, wir hätten wieder eine Opposition. Sie haben sich über das Wörtchen „wieder" erregt. Ich bin bereit, das zurückzunehmen. Wir haben eine Opposition. Aber an dem anderen muß ich festhalten: Wir haben keine Alternative, meine Damen und meine Herren.
— Herr Kollege Wehner, jetzt hören Sie doch einmal gut zu. Ich wollte weiter sagen, diese Feststellung, daß wir keine Alternative haben, kann man positiv werten, und man kann sie auch negativ werten, und diese Wertung möchte ich heute nicht vornehmen.
Meine Damen und meine Herren! Ich möchte ein Wort zum Stil dieser Debatte sagen. Ich möchte zunächst mit mir selber anfangen. Ich glaube, wir sollten den Vorsatz fassen — alle miteinander —, kürzer zu sprechen.
Ich habe selber die Redezeit der Geschäftsordnung
— 60 Minuten — voll ausgeschöpft. Ich glaube,
eigentlich kann man auch in 30 Minuten das sagen,
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Dr. Barzel
was dringend ist. Ich möchte für mich für diese Periode den Vorsatz fassen, nicht mehr länger als 30 Minuten zu reden.
— Sie können mich immer daran erinnern.
Eine andere technische Frage, über die wir miteinander sprechen müssen, ist, ob und wie wir das Fernsehen an solchen Debatten beteiligen sollten. Wir müssen darüber sprechen, weil es ein paar Dinge gegeben hat, die hinüber und herüber wahrscheinlich nicht als erfreulich gelten. Kommentierende Bemerkungen im Fernsehen gehören, glaube ich, nicht dazu, wenn ein objektives Bild gegeben werden soll.
— Herr Kollege Mommer, anderen ist ja auch etwas gegönnt worden. Ich kann mir erlauben, das zu sagen.
Ich möchte hier noch einige Gedanken beisteuern. Der Kollege Schmid hat gestern eine große Rede über geistige Dinge gehalten. Ich möchte einen Akzent setzen, der zu tun hat mit unserer Debatte, mit unserem Umgang untereinander und mit den Mißverständnissen, die auch angesprochen worden sind, zwischen uns und den Intellektuellen. Die Sache ist wichtig.
Max Scheler hat im Jahre 1925 eine ernste Prognose für unser Volk gestellt, und sie ist leider
1) eingetroffen. Er hat sie auf das gegründet, was er den „konstitutiven Gegensatz zwischen Macht und Geist" in unserem Lande nannte. Darum muß man sich kümmern, das darf nicht sein; denn es geht etwas kaputt, wenn das bleibt und wenn das vorhanden sein sollte.
Was wir brauchen, ist eine ständige Kommunikation zwischen Geist und Politik, wobei allerdings die Vertreter des Geisteslebens nicht für sich ein Monopol in Anspruch nehmen sollten; möglicherweise sitzen in diesem Raum auch einige, die mit dem Geist etwas zu tun haben.
Als Weiteres gehört dazu, daß wir Geist nicht monopolisieren lassen — dafür bin ich dem Kollegen Strauß sehr 'dankbar — als Indentifikation mit linker Lautstärke.
Wir sollten hier als Politiker miteinander wirklich vorangehen und sagen: Wir achten die Aussagen der Vertreter dieser Welt nicht nur in ihrem eigenen Bereich, sondern auch, wenn sie sich zu anderen Dingen äußern. Die Vertreter dieser geistigen Welt sollten allerdings auch das achten, was wir hier tun, und uns als mögliche Menschen und nicht als geistlose Banausen — bis zum Beweis des Gegenteils — betrachten.
Da auch das hier eine Rolle gespielt hat, möchte ich sagen: Daß Günter Grass sich im Wahlkampf beteiligt hat, find ich gut. Wie er es getan hat, ist seine
Sache, und darüber kann man Geschmacksurteile fällen.
Ich erwähne das alles, weil ich fürchte, daß wir in einem Dilemma leben: den Intellektuellen — wenn ich diesen nicht ganz klaren Begriff einmal gebrauchen darf — macht das Differenzieren aus, die Einsicht in die Problemgehalte, das Erkennen und Abwägen des Für und Wider und das Bedenken der Zwar und der Aber. Das ist der Intellektuelle. Dann kommt der Politiker. Der muß das zwar auch. Aber am Schluß muß er entscheiden, und da kann er nicht „zwar oder aber" sagen, sondern nur ja oder nein, und ,das auch noch zu einer mehrheitsfähigen Formel, von der viele Freunde zudem noch wünschen, daß sie publikationswirksam und massenverständlich sei. Eben dieses geht natürlich dem Intellektuellen leicht auf die Nerven. Dieses Dilemma muß man hier einmal hinstellen. Ich glaube, am Schluß einer solchen Debatte darf man das tun. Hier liegt sicher eine Wurzel vieler Mißverständnisse. Deshalb, meine ich, sollte das Parlament — wir alle miteinander — einen Beitrag dazu leisten, daß wir zu einem Mehr an Verstehen auch dadurch kommen, daß wir hier nicht nur die Ergebnisse, nicht nur die Formeln der Schlußabstimmung vortragen, sondern auch etwas von dem Gang der Beratungen in uns selber mitteilen, also einen Einblick geben in den Weg unserer eigenen Meinungsbildung, unserer Urteilsbildung, in das Ringen um das bessere Argument.
Das sollte hier im Deutschen Bundestag geschehen, der einen guten Start genommen hat. Hier sollte der erste Ort des politischen Gesprächs sein, der Ort des lebendigen aktuellen und verantwortungsvollen Gesprächs. Gespräch setzt voraus: Einander-Zuhören und Offensein für das bessere Argument; sonst hat Gespräch keinen Sinn.
Ich bin dankbar, daß Sie mir erlaubt haben, das so schnell und in Ruhe zu sagen. Auch damit, meine Damen und Herren, hätte man eine Stunde füllen können. Sie sehen, vielleicht schaffe ich es sogar unter 30 Minuten, und das wäre dann schon das erste Mal gelungen, Herr Kollege Mommer.
Ich komme zum Schluß: Herr Bundeskanzler, die deutschen Wähler haben Sie bestätigt. Die deutschen Wähler haben diese Koalition, zu der wir stehen, gewollt und gewählt. Wir haben dem Wählerwillen entsprochen, wir haben diese Koalition gebildet. Sie haben Ihre Regierungserklärung vorgetragen, der die Koalition zustimmt, der aber die Opposition nicht zustimmt. Damit ist die erste Phase nach den Wahlen abgeschlossen. Sie können jedoch, Herr Bundeskanzler, mit einer soliden Majorität zusammen mit uns an die Arbeit gehen. Wir hoffen und wünschen, daß es uns miteinander — der Koalition mit der Regierung — gelingt. Und ich wiederhole, was ich in meiner Rede auch an die Adresse der Koalition gesagt habe: wir wollen eine Partnerschaft, ein Verstehen, und das heißt, daß man nach gemeinsamen Beratungen auch miteinander klüger werden kann.
Herr Bundeskanzler, wir gehen mit Ihnen an die Arbeit, an die Arbeit für das ganze Deutschland, für Fortschritte auf die Einheit hin, für ein
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Dr. Barzel
Mehr auch an sozialer Gerechtigkeit und Menschlichkeit in diesem Lande. Auch uns ist erlaubt, unser Land zu lieben.
Das Wort hat der Abgeordnete von Kühlmann-Stumm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese viertägige Debatte ist mit wenigen Ausnahmen in einer bemerkenswerten Fairneß geführt worden. Leider hat der Herr Kollege Wehner diese Fairneß insofern durchbrochen, als er es für richtig befunden hat, unsere Partei als kapitalistische Partei zu verketzern, was ich hier in aller Form zurückweisen möchte.
Es ist zu einfach, diese Dinge auf die Fragen der Gewerkschaften zurückzuführen. Wir haben nicht etwa die Gewerkschaftsbewegung und die ganze soziale Bewegung in den ersten zwei Jahren der vergangenen Legislaturperiode blockiert. Wir haben auch niemals der Zwangsschlichtung das Wort geredet,
sondern wir haben lediglich den Versuch unternommen, zu erreichen, daß die letzten Möglichkeiten der Schlichtung ausgenützt werden.
Das war unser Vorschlag: keine Zwangsschlichtung, sondern die letzte Möglichkeit des Ausnützens der Schlichtung. Das war unser Anliegen.
Wir sind sehr dankbar, daß die Tarifpartner inzwischen zu eigenen Schlichtungsvereinbarungen gekommen sind und wir somit weiter festhalten können an dem, was uns am Herzen liegt, nämlich an der Hoheit der Tarifpartner. Wir Freien Demokraten haben diese Tarifhoheit immer besonders herausgestellt, weil sie uns ein wichtiger Faktor unseres Staates zu sein scheint. Dabei werden wir auch bleiben, und wir werden nicht dulden, daß an dieser Tarifhoheit in irgendeiner Form gesetzgeberisch Abänderungen vorgenommen werden.
Noch ein Wort zu dem „Direktor" Dahlgrün. Es ist sehr billig, wenn man einem Abgeordneten oder einem Minister seinen Titel oder seine Tätigkeit in einer großen Firma, die er ausgeübt hat, bevor er in dieses Parlament gekommen ist, zum Vorwurf macht. Ich darf Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposition, sagen, daß Sie für denselben Posten des Finanzministers in Ihrer Regierungsmannschaft sogar einen Generaldirektor vorgesehen hatten,
— und kein Mensch macht Ihnen das zum Vorwurf.
Es geht doch nicht an, einem Mann, der hier im
Parlament mitarbeitet, vorzuwerfen, welchen Beruf oder welche Tätigkeit er vorher ausgeübt hat. Es sollte auch dankbar vermerkt werden, daß diesem Parlament viele Selbständige angehören, und ihnen sollte man diese Selbständigkeit doch nicht zum Vorwurf machen.
Zum Thema Mitbestimmung brauche ich nichts mehr zu sagen. In dieser Beziehung ist unsere Haltung klar und einwandfrei. Wir wollen an der bestehenden Mitbestimmung nichts ändern; wir wollen auch nicht an ihr herumkritisieren oder irgendwelche kleinlichen Bemerkungen machen. Aber gerade auf Grund der Erfahrungen, die wir bei der Mitbestimmung auf dem Sektor von Kohle und Stahl gewonnen haben, glauben wir, daß es unzweckmäßig ist und nicht im Interesse der Arbeitnehmer liegt, diese Mitbestimmung auszudehnen. Die Arbeitnehmer, insbesondere die Betriebsangehörigen der betroffenen Unternehmen, sind nämlich nicht in genügender Form an der Mitbestimmung beteiligt.
Das ist der Punkt. Deshalb haben wir uns dagegen gewandt. Ich habe das ja hier in aller Breite ausgeführt.
Nun ein Wort zu der Zusammenarbeit in den großen Fragen. Man kann die Äußerungen doch wohl nicht so verstehen, daß die Opposition etwa die Zusammenarbeit bei den großen entscheidenden Reformwerken, die vor uns liegen, abgelehnt hätte. Ich habe den Kollegen Wehner auch nicht so verstanden. Ich bin im Gegenteil fest davon überzeugt, daß bei den entscheidenden Fragen, die wir in dieser Legislaturperiode zu beantworten haben — die nächsten vier Jahre werden Jahre der Reformen sein und sein müssen —, die Opposition ihre konstruktive Mitarbeit an den Reformen der Koalition nicht versagen wird. Deswegen hat es keinen Zweck, in diese Fragen eine harte Note hereinzubringen oder gar den Eindruck zu erwecken, man wolle mit einer solchen Beteiligung an den Reformen der Koalitionsregierung eine Regierungsbeteiligung der SPD in irgendeiner Form herbeiführen. Ich kann mir nicht denken, daß das der Sinn der Ausführungen des Herrn Kollegen Wehner gewesen ist,
sondern ich glaube im Gegenteil, daß die Opposition bereit ist, an der Lösung dieser Kernfragen, die uns in dieser Legislaturperiode bevorstehen, konstruktiv und positiv mitzuarbeiten. Ich glaube, wir werden in diesem Punkt nicht enttäuscht werden.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wehner.
Bitte sehr.
Herr Kollege von Kühlmann-Stumm, darf ich Sie fragen, ob Sie tatsächlich meinen, daß nach meinen Feststellungen, daß Sie ja
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Wehner
etwas Unwiderrufliches getan haben, die SPD noch in irgendeiner Weise versuchen sollte, sich in die Regierung hineinzudrängen? Haben Sie mich so mißverstanden?
Nein.
Haben Sie mich so mißverstanden? Das ist unwiderruflich, und Sie werden sehen, was das heißt. Das — —
Nein, das habe ich auch nicht gemeint.
— Nein, das ist nicht der Punkt, den ich meine, Herr Kollege Wehner. Ich sagte, man könnte Ihren Ausführungen entnommen haben,
daß Sie die konstruktive Mitbeteiligung, die ich Ihnen sowieso zubillige, nur unter der Bedingung des Eintritts der SPD in eine Regierung vornehmen wollten. Das ist alles.
— Das habe ich ja, glaube ich, in meinen Worten sehr deutlich gemacht.
— Ich habe ja nicht die Bücher oder die Memorien oder was sonst des Herrn Altbundeskanzlers zu verteidigen. Ich sage hier die Meinung der Freien Demokratischen Partei in aller Offenheit und in aller Deutlichkeit. Es liegt, glaube ich, im Interesse des gesamten deutschen Volkes, daß wir hier alle mit dem Ziele zusammenarbeiten, diese Reformwerke, die uns geradezu vorgeschrieben sind, in dieser Legislaturperiode gemeinsam zu vollenden.
Ich möchte nur noch auf die Punkte zu sprechen kommen, die mir besonders am Herzen liegen und die meiner Ansicht nach in dieser Debatte etwas zu kurz gekommen sind: das ist die Frage der Deutschlandpolitik, das ist die Frage der Außenpolitik, der Europapolitik, und das sind die Fragen der NATO. Ich glaube, ich habe in meinen Ausführungen sehr deutlich darauf hingewiesen, wie sehr diese Fragen uns Freien Demokraten am Herzen liegen und wie sehr wir Wert darauf legen, daß gerade in diesen nächsten vier Jahren auf diesen Gebieten Fortschritte, und zwar keine kleinen Fortschritte, erzielt werden. Wir erwarten, daß sich am Ende dieser Legislaturperiode auch ein Silberstreifen für die
Lösung unserer großen Frage, nämlich unserer Deutschlandfrage, abzeichnet.
Ich möchte hier z. B. in allem Freimut bekennen, daß ich es für gut gehalten habe, daß wir zu Weihnachten und Neujahr wieder Passierscheine haben werden. Wenn wir nicht den regelmäßigen Kontakt zu den Menschen in der Zone erhalten, wenn es uns nicht gelingt, diese Gespräche fortzuführen, wenn wir eines Tages nicht mehr die gleiche Sprache sprechen, wenn wir uns eines Tages nicht mehr persönlich verstehen, dann, meine Damen und Herren, sind die entscheidenden Voraussetzungen für die Wiedervereinigung Deutschlands nicht mehr gegeben.
Deswegen begrüße ich diese erneute Möglichkeit für die Westberliner, ihre Verwandten und Bekannten in Ost-Berlin zu besuchen. Ich begrüße die Wiedereröffnung der Härtestelle bis zum 31. März. Ich hätte es vorgezogen, wenn sie auf ein Jahr wieder geöffnet worden wäre. Ich kann überhaupt nicht verstehen, daß die SBZ so viel Unmenschlichkeit zeigen und diese Härtestelle schließen konnte, die ja nur in besonderen Härtefällen, nämlich bei Tod oder schwerer Krankheit, den Westberlinern die Möglichkeit gibt, die Mauer zu durchschreiten. Wir begrüßen auf jeden Fall die neue Passierscheinregelung.
Leider hat hier an diesem Pult weder der Bundesaußenminister noch der Minister für gesamtdeutsche Fragen gestanden, weil man in der Debatte anscheinend nicht genügend auf diese Dinge eingegangen ist. Es hätte uns zweifellos interessiert, mit welchen Grundgedanken die Bundesregierung die schwerwiegende Reise in die Vereinigten Staaten antreten wird. Das liegt uns allen am Herzen. Es ist hier klar zum Ausdruck gekommen, daß die Meinungen z. B. in der nuklearen Frage abgestimmt werden müssen, daß es einige gibt, die für die militärische Lösung eintreten, daß es einige gibt, die für die politische Lösung eintreten. Das hätte ausdiskutiert werden sollen. Es sind Kernfragen für unser deutsches Volk. Ich stehe auf dem Standpunkt und habe das in meinen Grundausführungen hier auch dargelegt, daß man nach den Vorschlägen des amerikanischen Verteidigungsministers McNamara die politische Lösung anstreben sollte. Man muß versuchen, diese politische Lösung zur Grundlage der Diskussion mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten zu machen.
Auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, liegt uns auch daran, Herr Bundeskanzler, daß Sie bei diesem Gespräch in Amerika die deutsche Frage mit allem Ernst wieder aufwerfen, daß Sie danach fragen, was mit dem Memorandum der Bundesregierung von 1963 geschehen ist und wie es weiter behandelt wird. Ich habe in meinen Ausführungen bereits festgestellt, daß wir seit 1959 nicht mehr über Deutschland verhandelt haben. Damals sind die für Deutschland verantwortlichen vier Mächte zum letzten Male zusammengetreten, mit Herrn Bolz am Konferenztisch und selbstverständlich auch dem Vertreter der Bundesrepublik Deutschland. Da-
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Freiherr von Kühlmann-Stumm
mals lag ein Plan auf dem Tisch des Hauses, der sich sehr konstruktiv mit der deutschen Frage beschäftigt hat. Er ist von den Russen leider vom Tisch gefegt worden. Das Paket wurde aufgeschnürt, wie Sie wissen, und es stand dann nur noch die Berlin-Frage zur Debatte. Aber auf diesem Plan des amerikanischen Außenministers Herter baut sich das Memorandum der Bundesregierung von 1963 auf. Es ist meiner Ansicht nach die einzige Ausgangsposition, die man für eine künftige Diskussion über Deutschland zugrunde legen kann. Wir müssen alles einsetzen, damit es uns gelingt, diese Debatte über Deutschland wieder in Gang zu bringen. Wir müssen alles daransetzen, zu erreichen, daß die vier Mächte sich wieder an den Verhandlungstisch setzen, um über Deutschland zu beraten. Am besten wäre es, wenn es eine ständige Kommission der vier Mächte für Deutschland gäbe, die sich nur mit der Deutschlandfrage genauso intensiv befassen sollte wie z. B. die Abrüstungskommission mit der Abrüstungsfrage. Das ist ein Wunsch der FDP. Ich möchte das hier noch einmal mit aller Deutlichkeit ausführen.
Ich brauche nicht zu betonen, daß es uns am Herzen liegt, daß die Europafrage nicht weiter stagniert, daß sie vorangebracht wird. Die Bundesregierung sollte zusammen mit den übrigen Partnern der EWG alles unternehmen, um die Franzosen ohne Vorleistungen wieder an den Konferenztisch zu bringen, damit diese EWG weiterarbeiten kann, damit es vorwärtsgeht. Denn diese Europäische Wirtschaftsgemeinschaft war auch ein wichtiges politisches Instrument. Ich glaube, es hat der Sowjetunion großen Eindruck gemacht, welche Wirtschaftskraft hier entwickelt worden ist und welche Dynamik in dieser Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gesteckt hat. Ich kann mir nicht denken, daß sich der französische Staatspräsident auf die Dauer diesen Fragen verschließen wird, zumal ich den Eindruck habe, daß die Franzosen aus dieser europäischen Gemeinschaft doch ganz beachtliche Vorteile gezogen haben. Ich kann mir nicht denken, daß sie wirklich die Absicht haben, diesem für uns alle so wichtigen europäischen Werk auf die Dauer fernzubleiben.
Dasselbe gilt für die NATO. Wir haben den Eindruck, daß sich hier einiges geändert hat, daß man die Verhältnisse im Bündnis neu überdenken sollte, daß man einem Land wie der Bundesrepublik, die durch die Bundeswehr einen so maßgeblichen Beitrag zur Verteidigung Europas geleistet hat, auf die Dauer das Mitspracherecht nicht verweigern kann, daß wir auch in den NATO-Stäben entsprechend berücksichtigt werden sollten. Ich glaube, auch das wird zu lösen sein.
Aber es hat keinen Zweck, sich jetzt von diesem Bündnis fernzuhalten, sich aus diesem Bündnis zurückzuziehen, es in irgendeiner Form zu unterminieren. Hier sollten wir vielmehr unseren deutschfranzösischen Freundschaftsvertrag dazu verwenden, diese Frage mit dem französischen Staatspräsidenten und seiner Regierung mit dem Ziel zu besprechen, daß sich auch der französische Staatspräsident wieder mehr als bisher der NATO zuwendet und in ihr mitarbeitet.
Das waren, kurz zusammengefaßt, die Fragen. die mir und meiner Fraktion besonders am Herzen lagen, gerade im Hinblick auf die Tatsache, daß der Herr Bundeskanzler demnächst nach Amerika fährt und sicher auch in andere Länder fahren wird, gerade im Hinblick darauf, daß sich in den nächsten Tagen entscheiden wird, wer der neue französische Staatspräsident sein wird. Ich habe keinen Zweifel, daß die Bundesregierung alles tun wird, um diese Entwicklungen voranzutreiben und die Dinge aus der Stagnation herauszuführen. Ich habe keine Bedenken, daß der Bundesregierung, der ich dazu Erfolg wünsche, die Lösung dieser Fragen gelingen wird.
Herr Kollege Barzel hat noch einmal die Koalition angesprochen. Ich glaube, ich brauche nicht zu wiederholen, daß wir diese Koalition angestrebt und gewollt haben, daß wir auf der Basis dieser Koalition den Wahlkampf geführt haben und daß wir auch bereit sind, sie fortzusetzen und konstruktiv mitzuarbeiten. Es ist nicht die Frage, ob einer klüger oder weniger klug aus einer Versammlung hervorgeht; es kommt in einer Koalition darauf an, daß man rechtzeitig, lange bevor die Dinge heranreifen, über die verschiedensten Fragen diskutiert und nicht unter Zeitdruck Fragen entscheiden muß, die zu Kontroversen führen. Ich appelliere auf jeden Fall an den Koalitionspartner, uns regelmäßig frühzeitig über alle Dinge zu orientieren, die ihm am Herzen liegen und mit denen er uns konfrontieren will.
Wenn das gewährleistet ist, werden wir auch erreichen, daß wir sehr leicht über Schwierigkeiten hinwegkommen und schon sehr rechtzeitig Beschlüsse fassen können.
Das ist besonders wichtig im Hinblick auf die Haushaltslage. Wir haben vier lange Jahre vor uns. Wir müssen einen Finanzplan, einen Haushaltsplan für diese vier Jahre machen, und da wird es notwendig sein, sich schon jetzt rechtzeitig mit dem Koalitionspartner zu besprechen, damit wir erreichen, daß in diesen vier Jahren eine Haushaltspolitik betrieben wird, die wir Freien Demokraten uns immer schon vorgestellt haben, nämlich ausgerichtet am Wachstum. des Bruttosozialprodukts.
Der Bundesregierung darf ich für die Reise in die Vereinigten Staaten nochmals Glück wünschen. Ich hoffe, daß wir bald Gelegenheit haben werden, in diesem Hohen Hause eine außenpolitische Aussprache zu haben, und ich hoffe, daß es Bundesregierung und Koalition gelingen wird, in diesen Fragen in den nächsten vier Jahren konstruktiv zusammenzuarbeiten. Ich hoffe, daß die Opposition bereit ist, an den großen reformerischen Aufgaben tatkräftig mitzuarbeiten, und ich erkläre für die Freie Demokratische Partei, daß sie zu dieser Zusammenarbeit voll und ganz bereit ist.
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
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Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Regierungserklärung stand im Zeichen der Notwendigkeit, Wirtschaft und Währung stabil zu erhalten. Vier Tage lang hat das Hohe Haus über diese Regierungserklärung diskutiert. Ich habe aufmerksam zugehört. Ich habe alle Anregungen und Gedankenbeiträge zur Lösung der schwierigen vor uns liegenden Aufgaben zur Kenntnis genommen. Ich habe berechtigte und unberechtigte Kritik gehört.
In einer kurzen Schlußbemerkung möchte ich allen Rednern dieser Debatte danken. Zu den wesentlichen Punkten der Regierungserklärung haben sie sich, jeder auf seine Weise — das gilt, wie ich feststelle, auch für die Opposition —, mit Ernst um die Sache bemüht. Bei dieser Feststellung übergehe ich ganz bewußt die auf mich gezielten politischen Angriffe einiger Oppositionsredner, die überaus durchsichtigen Motiven entspringen. Hoffentlich aber ist dem Hohen Hause deutlich geworden, daß die Problematik viel zu vielschichtig ist, als daß es wahrhaftig wäre, den Bundeskanzler für alles, was die neue Zeit gebiert, allein zum Prügelknaben stempeln zu wollen.
Ihr Versuch, meine Damen und Herren von der Opposition, die Szene — frei nach Schiller — zum Tribunal werden zu lassen, ist jedenfalls gescheitert. Die Sorge um unsere zukünftige Entwicklung bewegt alle Parteien, die in diesem Hohen Hause vertreten sind. Das hat diese Debatte erwiesen. Während aber die Opposition die Regierung auf die Anklagebank zu setzen versuchte und ihrerseits manche Vorstellungen, zum Teil sogar gefährliche Thesen entwickelte, darf ich hier noch einmal die Schritte aufzählen, die von der Bundesregierung unmittelbar nach ihrem Zusammentritt eingeleitet worden sind:
Erstens. Die Mehranforderungen für den Bundeshaushalt 1966 werden einschneided gekürzt.
Zweitens. Das Haushaltssicherungsgesetz ist eingebracht. Es wird zusammen mit den Streichungen den Ausgleich des nächsten Bundeshaushalts sicherstellen. Auf diese Weise wird der erste Schritt getan, um den Haushalt wieder zu einem wirksamen wirtschaftspolitischen Instrument zu machen. Wir sind uns alle darüber im klaren — das hat die Debatte in erfreulicher Eindeutigkeit und Einmütigkeit bestätigt —, daß es nicht genügt, den Bundeshaushalt auszugleichen und seine Ausweitung zu begrenzen. Länder und Gemeinden müssen folgen. Bund, Länder und Gemeinden müssen darüber hinaus zu einer aufeinander abgestimmten, stabilitätsbewußten langfristigen Haushaltspolitik kommen, um die großen Aufgaben unseres modernen Staatswesens zu meistern. Angesichts der Wichtigkeit dieser gesetzlichen Maßnahmen und angesichts der Bedeutung dieser Frage, die von allen Debattenrednern unterstrichen worden ist, bitte ich das Hohe Haus um die Zustimmung zum Haushaltssicherungsgesetz.
Drittens. Am 13. Dezember werde ich mit dem Sachverständigenrat das Gutachten über die wirtschaftliche Lage der Bundesrepublik beraten.
Viertens. Am 14. Dezember werde ich, wie in der Regierungserklärung angekündigt, ein erstes Gespräch mit Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern über die wichtige und verantwortungsvolle Rolle führen, die nicht zuletzt auch diesen bei der Erhaltung unserer wirtschaftlichen Leistungskraft und der Kaufkraft der Deutschen Mark zufällt. Grundlage dafür wird das Sachverständigengutachten bilden. Bei dieser Gelegenheit wird selbstverständlich auch die Frage der Arbeitszeit erörtert werden.
Niemand in diesem Hause hat die Richtigkeit unserer Politik der engen Zusammenarbeit mit allen unseren Verbündeten angezweifelt. Diese Zusammenarbeit ist auch die Grundlage unserer Deutschlandpolitik. Aus dieser Sicht müssen alle außenpolitischen Maßnahmen beurteilt werden, die in nächster Zeit zur Entscheidung anstehen.
In meiner Regierungserklärung habe ich dargelegt, daß Wiedervereinigungspolitik, Sicherheitspolitik und Außenpolitik eine Einheit bilden müssen. Festigung der NATO, deutsche Beteiligung an einer gemeinsamen nuklearen Verteidigung und Fortschritte in der europäischen Einigungspolitik sollen die Chancen für unsere Sicherheit und für die deutsche Wiedervereinigungspolitik auf lange Zeit sichtbar bessern.
Am 19. Dezember werde ich mit Präsident Johnson in den Vereinigten Staaten zusammentreffen. Zu Beginn des nächsten Jahres werde ich im Rahmen des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages mit Präsident de Gaulle Gespräche führen. Ihnen werden dann Gespräche mit dem britischen Premierminister Wilson folgen. Vieles, meine Damen und Herren, was im außenpolitischen Teil dieser Debatte ausführlich diskutiert worden ist, wird Inhalt dieser Gespräche sein. Seien Sie versichert, daß die Bundesregierung nach sorgfältigster Analyse der Gegebenheiten und Entwicklungen mit klaren Vorstellungen über die deutschen Lebensfragen die internationalen Gespräche aufnimmt.
Lassen Sie mich zum Schluß noch an einem Satz in meiner Regierungserklärung erinnern: Die Bezugspunkte unserer Politik liegen vor und nicht mehr hinter uns. Das bedeutet, daß unsere Sorgen nicht mehr allein die des Wiederaufbaues des freien Teiles Deutschlands sind. Dieser Abschnitt ist beendet. Jetzt gilt es, die Probleme einer modernen Industriegesellschaft neu zu überdenken und nach unseren Vorstellungen zu lösen, Das bedeutet gleichzeitig, daß unsere außenpolitischen Sorgen noch stärker als bisher auf die deutsche Wiedervereinigung gerichtet werden müssen. Das Vertrauensverhältnis zu den freien Staaten des Westens ist fest gefügt. Aber es zu erhalten, bedarf es auch immer neuer sorgfältiger Pflege.
Im ganzen hoffe ich, daß sich die zweifellos erkennbaren Ansätze, in Fragen nationaler Wichtigkeit zu einer gegenseitigen Annäherung der Standpunkte zu kommen, fruchtbar weiterentwickeln lassen. Das deutsche Volk hat ein Recht darauf, daß sich alle Parteien für seine Belange einsetzen. Es will, daß niemand nur in Kritik und Negation ver-
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Bundeskanzler Dr. Dr. h. c. Erhard
harrt. In diesem Sinne wird die Bundesregierung
handeln, in diesem Geiste wollen wir alle und so
weit wie möglich gemeinsam an die Arbeit gehen.
Ein letztes Wort gilt den Freunden meiner Fraktion und der Koalition, die mir ihr Vertrauen bekundet haben. Es ist der Ausdruck meines Dankes.
Wird weiter das Wort gewünscht? — Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war vorhin gesprächsweise angekündigt, daß der Herr Bundeskanzler einige unpolemische Schlußbemerkungen machen würde. Nun, abgesehen von dem Kapitel seiner Rede, das zeigte, auf wie vielen Gebieten in diesem Hause erfreulicherweise in der Wahrnehmung unserer Interessen nach außen Übereinstimmung besteht, haben die Eingangsbemerkungen des Bundeskanzlers wohl doch gezeigt, wie richtig es war, daß ich mich mit meiner Wortmeldung zunächst zurückhielt.
— Ja, sicher ist sicher.
Es ist nach unserer Geschäftsordnung nun einmal so, daß, wenn ein Regierungsmitglied spricht, die Debatte wieder eröffnet ist. Es gibt also kein institutionelles Schlußwort der Regierung, sondern das letzte Wort kommt aus dem Hause.
Diese viertätige Debatte über die Regierungserklärung hat, anknüpfend an einen verhältnismäßig dürren und unkonzisen Text, doch ein breites Gemälde enthüllt. Wir haben dabei gesprochen über die Lage unseres Volkes in seiner Umwelt, über seine Sorgen, Nöte und Probleme. Auch wurde dabei klar, wo es Meinungsverschiedenheiten gibt — das kann nicht anders sein, das ist das Salz der Demokratie —, aber auch, wo Übereinstimmung besteht, Probleme im gleichen Geist anzupacken. Manchmal loderten die Leidenschaften auf. Wir wollen da auch nicht gleich harte Zensuren erteilen. Wenn es um Lebensfragen eines Volkes geht, finde ich es verständlich, daß die innere Teilnahme der zu diesem Geschäft Berufenen mitunter ähnlich lebhaft wird, wie sie einen leidenschaftlichen Anhänger des Fußballspiels gelegentlich auf dem Fußballplatz befallen mag. Im Verhältnis zu dem, was man dort manchesmal erlebt, hat unser Parlament sich bei Problemen von großer Bedeutung doch immer noch in Zucht gehalten.
Leider muß ich feststellen, daß, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Sprecher der Koalition und auch der Regierungsbank sich entweder der Vergangenheit zugewendet oder ersatzweise über die klaren sozialdemokratischen Vorschläge — etwa meines Freundes Schiller — diskutiert haben, oder auch etwa in Ermangelung einer entsprechenden konkreten Vorarbeit der Bundesregierung über den Großen Hessenplan.
Einiges wurde in dieser Debatte sicher geklärt; aber vieles blieb leider auch dunkel. Von den in der Debatte an die Bundesregierung gestellten sehr präzisen Fragen ist kaum eine beantwortet. Wir wissen z. B. immer noch nicht, wie die formierte Gesellschaft aussehen soll und welche Maßnahmen zu ihrer Verwirklichung ergriffen werden sollen. Auch in seinem zweiten Diskussionsbeitrag hat es der Herr Bundeskanzler nicht präzisiert. Denn allein Verhaltensregeln in einer demokratischen Gesellschaft rechtfertigen doch noch keinen neuen Namen für eine solche Gesellschaft. Wir wissen nicht, wie das Gemeinschaftswerk aussehen soll, welche Zuständigkeiten es haben soll, wie es verwaltet werden soll, wie es finanziert werden soll, in welchem Verhältnis es zu der von uns allen als notwendig begriffenen Finanzverfassungsreform für Bund, Länder und Gemeinden stehen soll. Wir wissen immer noch nicht, wie die Bundesregierung das mit konkreten Absichten, mit konkreten Maßnahmen abzudecken gedenkt, was in der Regierungserklärung angekündigt ist als Hilfe, als Förderung oder auch als Priorität; denn die Prioritätenliste liegt nicht auf dem Tisch. Eine längerfristige Finanzpolitik, ein konjunkturpolitisches Instrumentarium wurden beide verschiedentlich gefordert, in der Debatte erwähnt, aber ebenfalls von der Regierungsseite in den Einzelheiten nicht vorgelegt.
Das sind die Lücken, an die ich hier erinnern muß.
Genauso ist auch geblieben der Widerspruch zwischen den Förderungszusagen in der Regierungserklärung auf der einen Seite und den Kürzungen des Haushaltssicherungsgesetzes zu den gleichen Themen auf der anderen Seite.
Lassen Sie mich dabei eine Bitte an den Herrn Bundeskanzler richten. Ich meine, daß er es nicht übelnehmen kann, wenn überhaupt gefragt wird. Das ist auch nicht unmoralisch; das ist das Recht und die Pflicht eines Parlaments
und insbesondere der Opposition.
Dem muß man sich halt stellen.
Ich möchte mir eine Anmerkung zu der sehr interessanten Ministerial-Jungfernrede unseres Kollegen Katzer erlauben. Darin war so viel Stoff — viel mehr als in der Regierungserklärung —, daß wir sicher noch manches darüber im einzelnen zu diskutieren haben werden. Nur bin ich allerdings neugierig, wieweit es Herrn Katzer gelingen wird, für seine Vorstellungen überhaupt Mehrheiten in der Regierungskoalition zustande zu bringen.
Daran sind nach den bisherigen Erfahrungen berechtigte Zweifel erlaubt.
Dann noch ein Kernpunkt der Debatte, heute erklärlicherweise in der großen Übersicht über die Lage unseres Volkes, seine Gesundheit, seine Stabilität, sein Verhältnis zur Umwelt wieder etwas in den Hintergrund getreten: jener Komplex der Frage, wie wir eigentlich in die finanzielle Lage des
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Erler
Bundes hineingeraten sind, die uns in Gestalt des Haushaltssicherungsgesetzes in der nächsten Woche noch einmal beschäftigen wird. Ich finde, seltsame Rechnereien über abgelehnte Wünsche der Opposition können doch die Opposition nicht davon ablenken, daß die Finanzmisere nicht von den abgelehnten Vorlagen der Opposition, sondern von den angenommenen Vorlagen der Regierung und der Koalition herrührt.
Wäre es anders, dann würde man sich so benehmen, als wäre der Bankrott einer Firma zurückzuführen auf die nicht durchgeführten Wünsche eines Kommanditisten und nicht etwa auf die tatsächlichen Entscheidungen und Ausgaben der persönlich haftenden Gesellschafter.
Mit einem großen Aufwand an Zahlen und Worten wurde versucht, davon abzulenken, daß immerhin von Regierung und Koalition vor der Wahl Finanzvorlagen eingebracht worden sind, die den Haushalt des nächsten Jahres mit etwa 6 Milliarden DM belasten, und daß man einen guten Teil davon nunmehr jetzt zurückzunehmen gezwungen ist. Dafür bleibt verantwortlich die Regierung; denn sie hatte nicht nur eine Mehrheit, dieses zu verhindern, wenn es ihr gepaßt hätte, sie hatte außerdem auch noch den Artikel 113 des Grundgesetzes, von dem sie keinen Gebrauch gemacht hat.
Nun, im Licht dieser vorher der Wählerschaft gegenüber beschlossenen Gesetze und gemachten Ankündigungen und der jetzt zu erwartenden Rücknahme nimmt sich das Wort des Bundeskanzlers geradezu gespenstisch aus, das er hier gesprochen hat, nämlich: „Was wir versprochen haben, das haben wir gehalten". Herr Bundeskanzler, diskutiert wird über das Jahr 1965 und darüber, was da passiert ist. Da helfen auch keine Ausflüge in die Vergangenheit, da hilft auch kein vergilbter Lorbeer drüber hinweg, meine Damen und Herren.
Schließlich hatte die Regierung sogar die Zahlen des Bundesfinanzministeriums zur Verfügung; sie hätte ja rechtzeitig in den Fraktionen oder auch hier im Hause davon Gebrauch machen können. Aber offenbar werden die Zahlen des Bundesfinanzministeriums für andere Zwecke gebraucht als für das richtige Regieren hier in Bonn.
Damals, als die Beschlüsse gefaßt wurden, hat der Kanzler zu diesen Beschlüssen im Parlament nicht das Wort ergriffen. Eine allgemeine Beschwörung in einem anderen Zusammenhang ist kein Ersatz für dieses konkrete Auftreten. Er hat sich auch — das muß ich aus seinem sonst unverständlichen Verhalten hier auf dieser Tribüne herleiten — im Kabinett nicht gegen jene Vorlagen gewehrt und auch in seiner Fraktion nicht dagegen gesprochen; sonst hätte er nicht so empfindlich auf die Frage danach reagiert. Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler — bei allem Respekt vor seinem Amte und seiner Person — muß zur Kenntnis nehmen, daß es das Parlament nicht nur angeht, was er redet, sondern auch, wie er regiert.
Richtig ist, daß es darauf ankommt, Bund, Länder und Gemeinden zum richtigen wirtschaftlichen und finanzpolitischen Verhalten zu veranlassen, alle zusammen! Die Verantwortung für das Zustandekommen der hierfür notwendigen Instrumente liegt natürlich bei der Bundesregierung. Auch diese Verantwortung kann sie nicht auf andere abwälzen. Das gilt auch für die notwendigen Instrumente des Umgangs mit den Sozialpartnern, der Orientierungshilfe, die man ihnen geben muß, wenn der schöne Satz von der informierten Gesellschaft nicht lediglich heißt, daß man für das Bundespresse- und Informationsamt eine notwendige Definition für dessen Parteipropaganda braucht.
Wenn nun in diesem Zusammenhang — Bund und Länder — ein Land angegriffen wird, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn sich dieses Land hier von der Bundesratsbank her zum Wort meldet und sich seiner Haut wehrt, und wenn allgemeine Fragen gestellt werden, dann darf man sich nicht über die Antworten auf solche Fragen wundern.
Dem Herrn Kollegen Barzel möchte ich sagen, daß sich die Ankündigung kürzerer Reden immer gut macht; warten wir es ab. — Ja, ich habe auch länger gesprochen. Aber ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen: das habe ich sogar absichtlich getan. Das habe ich ganz absichtlich getan, weil ich den Stil einer Debatte nicht für richtig halte, in der Sie den notwendigen Dialog zwischen Regierung und Opposition dadurch ersäufen, daß in einer Materialschlacht von Redezeit die eine Meinung viermal so lange zu Wort kommt wie die andere. Das ist kein Dialog.
Immerhin bin ich noch weit übertroffen worden vom Kollegen Strauß, der nicht so ganz unbeabsichtigt seine Redezeit überschritten hat. Denn auch sein Manuskript war vorher verteilt.
— Ich hatte sehr viele Fragen und außerdem — das kann der Redner vorher natürlich nicht genau wissen — überraschend starken Beifall. Das bitte ich nachzusehen. Das kommt auch vor.
Aber, meine Damen und Herren, wir alle sind Sünder und ermangeln des Ruhms. Ich bin bereit, über zwei ganz einfache Dinge mit mir reden zu lassen. Einmal darüber, daß wir uns bemühen, bestimmte Punkte schneller auszudiskutieren, indem man sich von vornherein auf einzelne Fragen konzentriert und auf die anderen später in der Debatte zurückkommt. Man kann sich ja mehrfach melden. Das belebt das Geschäft. Zweitens sollten wir darüber nachdenken,
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daß ein Dialog auch in dem Sinne geführt werden muß, daß Rede und Gegenrede möglichst rasch von verschiedenen Standpunkten her aufeinander folgen. Das können Sie nicht, wenn nach dem von mir geschilderten Grundsatz der Materialschlacht auf der einen Seite die Regierungskoalition, möglichst noch in dreifacher Ausgabe, und außerdem die ganze Regierung in voller Kabinettsstärke erscheint. Natürlich soll sich die Regierung hier äußern. Aber die Regierung ist Ihre erste Bank. Das ist doch kein Fremdkörper. Sie wird doch von den Regierungsparteien gestellt. Die müssen Sie also auch als die Sprecher der Regierungsmehrheit akzeptieren, die sich mit ihren Partnern und der Opposition auseinanderzusetzen haben.
— Nicht nur. Ich würde nicht einmal sagen: sollte es sein. Hierhin gehören zwei Dinge, die wir sehen müssen. Wir leben nicht in einem Staate mit so absoluter Gewaltenteilung, daß die Regierung ihr Mandat von .einer ganz anderen Legitimation herleitet als vom Parlament. Die Regierung wird aus dem Parlament heraus gebildet. So ist es bei uns. Das erklärt das nun einmal. In England z. B. sitzen .die parlamentarisch verantwortlichen Minister auf den ersten Bänken ihrer Parteien.
— Das alles weiß ich auch. Dennoch müssen wir über das Problem nachdenken, wie wir hier zu Lösungen kommen. Sie können nicht, wenn Sie von einem anständigen Verhältnis zwischen Regierung und Opposition sprechen, aus formalen Rechtstiteln, die ich zunächst einmal gar nicht bestreite, zu einer permanenten Benachteiligung der Oppositionsrolle im Parlament kommen und dann hinterher sagen, man höre zu wenig von der Opposition.
Natürlich ist Opposition unbequem. Es ist hier schon gesagt worden: Man muß sie nützen. Es ist auch für die Regierung gut, wenn sie der Umwelt gegenüber den Beweis für die Lebendigkeit der freiheitlichen Demokratie in unserem Lande immer wieder durch das Vorhandensein und das Wirken der Opposition bringt, wozu natürlich dann auch der Umwelt gegenüber eine möglichst objektive Darstellung der Leistungen und der demokratischen Zuverlässigkeit eben dieser Opposition gehört. Das verbreitert die Vertrauensbasis draußen in der Welt zu unserem Staat und zu unserem Volk.
Bundesminister Heinrich Krone hat zum 80. Geburtstag von Heinrich Brüning — —
— Nein, zum 80.! Entschuldigen Sie, zum 80. Geburtstag von Heinrich Brüning; Heinrich Krone ist selber 70 Jahre alt geworden, wozu ich ihm — zusammen mit meinen Freunden — meine herzlichen Glückwünsche übermittelt habe.
Er hat einen lesenswerten Aufsatz in der Ihnen hoffentlich nicht ganz unbekannten „Politisch-Sozialen-Korrespondenz" zum — ich wiederhole es — 80. Geburtstag von Heinrich Brüning geschrieben. Darin heißt es:
Heinrich Brüning ... hat in allem konsequent die Trennungslinie gezogen zwischen Demokratie und Unfreiheit. So ist es gerade ihm zu danken, daß das freiheitlich gesinnte Deutschland die Selbstachtung nicht zu verlieren brauchte und auch nicht verlor. Gewiß stand Brüning mit dieser Haltung nicht allein, viele andere haben ebenso gedacht und gehandelt, und das auch unter schweren Opfern. Viele haben ihre Haltung mit dem Tode bezahlt.
Über das Verhalten dieser Männer im In- und Ausland — Heinrich Brüning mußte bekanntlich in die Emigration gehen — heißt es dann weiter in Heinrich Krones lesenswertem Aufsatz, daß ihr Verhalten es trotz des Ausmaßes an Leid und Tod und Tränen des Krieges erleichtert habe, daß die Bande mit den freien Völkern wieder hätten geknüpft werden können.
Ich unterschreibe jeden Satz, möchte aber meine Meinung dazu äußern, indem ich sage, daß zu den vielen anderen, die Heinrich Krone gemeint hat, doch wohl mit Sicherheit auch der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gehört.
Ich komme nun zum Schluß noch zu einem anderen Komplex. Die Regierungsparteien setzen sich nur höchst ungern mit der Sozialdemokratie, wie sie wirklich ist, auseinander, und auch nur ungern mit dem, was die Sozialdemokratie tatsächlich vertritt. Statt dessen argumentieren sie gegen eine angebliche frühere SPD, wie sie sie sich zu Wahlkämpfen jeweils gewohnheitsmäßig aufputzen, und sie projizieren Vorschläge aus einer völlig anderen, vergangenen Umwelt in die Gegenwart, als würden sie noch heute gelten. Dabei ist es doch so, daß Sie, meine Herren — das hat die Debatte klargemacht —, gar keine Alternative zu den klaren sozialdemokratischen Vorschlägen entwickelt haben.
Sie rufen nach Alternativen zu dem in der Regierungserklärung nicht vorhandenen Programm.
Und warum tun Sie das? — Weil Sie insgeheim hoffen, sich selbst in einer Alternative als Spiegelbild zu erblicken. Das wäre keine Alternative. Sich morgens beim Rasieren im Spiegel zu erblicken, ist nicht unbedingt eine Alternative.
Ihnen kann ich nur sagen: Sie dürfen sich nicht zum Gefangenen Ihrer eigenen Wahlpropaganda machen, einer Propaganda, die die Sozialdemokraten — je nach Bedarf — entweder als die ewigen Nein-Sager
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oder als die Kopie der CDU hinstellt. Was davon nach Ihrer Meinung richtig ist, das müssen Sie sich endlich mal selber aussuchen. Keines ist richtig; beides ist eine Karikatur. Womit Sie sich beschäftigen müssen, das ist der konkrete Inhalt sozialdemokratischer Politik. Dazu werden wir Sie hier in diesem Hause — wie jetzt auch in dieser Debatte — zwingen.
Das andere, worauf Sie dann insgeheim hoffen — wenn Sie schon nicht den Spiegel wollen, weil Sie nur dann zufrieden sind, wenn der andere dem eigenen Konterfei genau gleicht —, ist eine SPD, die aus Lust an falschen Initiativen Gedanken vortrüge, die undurchführbar, schädlich oder gar für unser Volk gefährlich wären. Darüber würde sich manch einer freuen, dann hätte er die Alternative, aber jene, die es ihm gestattet, draußen in der Wählerschaft leichtes Spiel zu haben und die eigene Herrschaft für unabsehbare Zeit zu sichern. Diesen Ihren Wunsch nach solcher Art Alternative werden wir Ihnen nicht erfüllen.
Wir haben das Grundgesetz mitgeschaffen. Wir tragen diesen Staat mit. Wir bieten keinen anderen Staat an, sondern ringen darum, möglichst viele unserer Vorsellungen in diesem unserem Staat durchzusetzen und ihm zur gegebenen Zeit eine andere Richtung zu geben. Das ist das Recht der Opposition, danach zu streben.
— Natürlich ist es Ihr Recht, das zu verhindern. Es muß dann gerungen werden mit Argumenten und möglichst wenig mit der Vorgabe staatlicher Macht, denn staatliche Macht ist anvertraut und darf nicht zur Verlängerung der Parteimacht mißbraucht werden.
Herr Kollege Barzel hat eine Frage an mich gerichtet. Ich will sie ihm beantworten. Sie bezieht sich auf den Komplex der Verfassungsänderung. Es geht nicht, daß Sie sagen: Alles, was wir mit einfacher Mehrheit können, machen wir nach unseren Vorstellungen, aber wo wir die Zweidrittelmehrheit brauchen, oder wo es unpopulär wird, handelt es sich um „große Fragen", wo dann die Sozialdemokraten mitwirken müssen. — Wer uns braucht, darf nicht nur punktuell mit uns sprechen, sondern der muß über die Notwendigkeiten unserer Politik überhaupt mit uns in ein Gespräch eintreten.
Dort hinein gehört dann auch ein Gespräch — wie Sie es angedeutet haben — über den Standort der Regelung des schwierigen Problems der Vorsorge für Notfälle, für die Menschen und für unsere freiheitliche Ordnung überhaupt. Wir richten uns in all diesen Dingen nach der Sache, danach, was nach unserer Auffassung und im Interesse unseres Volkes erforderlich ist und getan werden muß.
Wir sagen am Ende dieser Debatte bei aller notwendigen kritischen Wachsamkeit und Distanz: Wir
gönnen der Bundesregierung jeden Erfolg für unser Land. Wir sind nicht so eng, Vorteile für die Partei aus Nachteilen für unser Volk und unseren Staat zu erwarten.
Allerdings sind — das darf ich hinzufügen — Zweifel erlaubt, ob die Regierung zu dem notwendigen kraftvollen Handeln so fähig ist, wie die Lage es gebietet. Wir werden es sehen. Wir jedenfalls wollen unserem Volk und seinem staatlichen Ausdruck im freien Teil unseres Vaterlandes, in dieser unserer Bundesrepublik Deutschland dienen.
Die Geschichte unserer, der ältesten, immer wieder verjüngten deutschen Partei ist ein Stück der Geschichte unseres Volkes überhaupt — in Glanz und Elend, in Höhen und Tiefen, mit Erfolgen und Niederlagen. Und so, wie unsere Partei nach völliger Zerschlagung und großen Opfern immer wiederstand, so hat unser Volk nach schwerer Zerstörung seinen Weg aus dunkler Nacht hindurch gefunden und bemüht sich, durch die Gegenwart hindurch in eine hoffentlich hellere Zukunft zu finden. Dies ist ein Auftrag für uns alle.
Meine Damen und Herren! Keine weiteren Wortmeldungen. Die Aussprache zu den Punkten 2 und 3 der Tagesordnung — Beratung der Regierungserklärung und Haushaltssicherungsgesetz — ist abgeschlossen.
Es ist vorgesehen, den Entwurf eines Haushaltssicherungsgesetzes — Drucksache V/58 — an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Ist das Haus damit einverstanden? — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Nun, meine Damen und Herren, schlage ich Ihnen vor, daß wir abweichend von der seitherigen Praxis in den früheren Legislaturperioden die Punkte 4 bis 18 sowie den Zusatzpunkt 1 zusammen aufrufen. Es steht dem keine Bestimmung der Geschäftsordnung zwingend entgegen. Ist das Haus damit einverstanden? — Das ist der Fall. Damit rufe ich diese Punkte auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes über die Erhöhung von Dienst- und Versorgungsbezügen (Drucksache V/55),
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achten Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen sowie über die Anpassung der Geldleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (Drucksache V/20),
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Umsatzsteuergesetzes (Drucksache V/48),
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
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Präsident D. Dr. Gerstenmaier
dem Übereinkommen vom 20. November 1963 zur Revision der am 17. Oktober 1868 in Mannheim unterzeichneten Revidierten Rheinschiffahrtsakte ,
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. Oktober 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesrepublik Kamerun über den Luftverkehr .
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 29. Oktober 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Senegal über den Luftverkehr ,
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. März 1965 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich über den Luftverkehr ,
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. November 1964 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung ,
Beratung der von der Bundesregierung beschlossenen Achtundzwanzigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksache V/4),
Beratung der von der Bundesregierung beschlossenen Zweiunddreißigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksache V/5),
Beratung der von der Bundesregierung beschlossenen Dreißigsten Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1965 (Drucksache V/6).
Beratung der von der Bundesregierung beschlossenen Verordnung über die Senkung von Abschöpfungssätzen bei der Einfuhr von geschlachteten Gänsen ,
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. Grundstückstausch mit dem Land Berlin ,
Beratung des Antrags des Bundesministers der Finanzen betr. nachträgliche Genehmigung der über- und außerplanmäßigen Ausgaben ,
Beratung der Entschließungen der 54. Jahreskonferenz der Interparlamentarischen Union .
Zusatzpunkt 1:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Protokoll vom 17. September 1965 zur Änderung des Abkommens vom 22. Juli 1954 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen .
Ich eröffnete die Beratung über alle diese Punkte und stelle fest, daß Wortmeldungen nicht vorliegen. Die Aussprache über alle diese Punkte ist geschlossen.
Für die "Überweisung der Vorlagen wird folgendes vorgeschlagen:
Punkt 4: Innenausschuß und Haushaltsausschuß — nach § 96 der Geschäftsordnung —. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 5: Ausschuß für Sozialpolitik — federführend —, Haushaltsausschuß — mitberatend und nach § 96 der Geschäftsordnung —. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 6: Finanzausschuß federführend, Haushaltsausschuß mitberatend und nach § 96 der Geschäftsordnung. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 7: Verkehrsausschuß federführend, Auswärtiger Ausschuß mitberatend. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 8: Verkehrsausschuß. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 9: Verkehrsausschuß. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 10: Verkehrsausschuß. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 11: Finanzausschuß. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 12: Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 13: Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen federführend, Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mitberatend. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 14: Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 15: Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen federführend, Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten mitberatend. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 16: Ausschuß für das Bundesvermögen federführend, Haushaltsausschuß mitberatend. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 17: Haushaltsausschuß. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Punkt 18: Auswärtiger Ausschuß. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Deutscher Bundestag — 5. Wahlperiode — 10. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 2. Dezember 1965 391
Präsident D. Dr. Gerstenmaier
Zusatzpunkt 1: Finanzausschuß. — Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe den zweiten Zusatzpunkt auf:
Beratung des Antrags der Fraktionen der
CDU/CSU, SPD, FDP betr. Wahl der Mitglieder des Wahlprüfungsausschusses .
Ich frage, ob hierzu das Wort gewünscht wird. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer der Vorlage zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist einmütig. Damit sind wir mit der Tagesordnung am Ende.
Bevor ich die Sitzung schließe, darf ich bekanntgeben, daß die Ausschüsse in folgender Reihenfolge zur Konstituierung zusammentreten:
Finanzausschuß um 15.30 Uhr in Zimmer 210 S,
Ausschuß für Sozialpolitik um 15.40 Uhr in Zimmer 206 S,
Innenausschuß um 15.50 Uhr in Zimmer 204 S,
Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung um 16 Uhr in Zimmer 214 S,
Ausschuß für Wirtschaft und Mittelstandsfragen um 16.10 Uhr in Zimmer 117 A,
Haushaltsausschuß um 16.20 Uhr in Zimmer 216 A, Rechtsausschuß um 16.30 Uhr in Zimmer 206 S.
Dann muß um 16.45 Uhr in meinem Büro eine Präsidialsitzung stattfinden, und um 18.00 Uhr tagt der Ältestenrat.
Wann die nächste Plenarsitzung stattfindet, kann ich jetzt noch nicht bekanntgeben, denn wir müssen das erst im Ältestenrat beschließen. Voraussichtlich wird das am Mittwoch nächster Woche der Fall sein.
Die Sitzung ist geschlossen.