Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.
Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung in den stenographischen Bericht aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 9. November 1962 beschlossen, zum
Gesetz zu dem Internationalen Fernmeldevertrag vom 21. Dezember 1959
einen Antrag gemäß Artikel 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß des Bundestages vom 23. Februar 1962 die nachstehenden Verordnungen überwiesen:
Achtunddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 — Drucksache IV/729 — an den Außenhandelsausschuß
Neununddreißigste Verordnung zur Änderung des Deutschen Zolltarifs 1962 — Drucksache IV/730 — an den Außenhandelsausschuß.
Der Präsident hat am 13. November 1962 gemäß § 76 Abs. 2 GO den Bericht der Bundesregierung über die Prüfung der Anrechnungsbestimmungen in den verschiedenen Zweigen des sozialen Leistungsrechts — ,Drucksache IV/446 — dem Ausschuß für Sozialpolitik — federführend — und dem Ausschuß für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen — mitberatend — überwiesen.
Der Herr Staatssekretär des Bundesministeriums für Wirtschaft hat unter dem 8. November 1962 die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD betr. Förderung der deutschen Filmwirtschaft — Drucksache IV/675 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache IV/731 verteilt.
Ich rufe auf Punkt 1:
Fragestunde .
Wir beginnen mit der Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen — der Frage des Herrn Abgeordneten Drachsler —:
Wann ist mit den Finanzmittelzuteilungen und den notwendigen Bescheiden über die planmäßige Fortführung des verstärkten Ausbaues von Straßen, Brücken und Wegen in den Randgebieten des Übungsplatzes Grafenwöhr und Hohenfels zu rechnen?
Lenz, Bundesschatzminister: Herr Abgeordneter, ich darf an Stelle des Herrn Bundesfinanzministers Ihre Frage beantworten.
Für den verstärkten Ausbau von Straßen, Wegen und Brücken in den Randgebieten der Truppenübungsplätze Grafenwöhr und Hohenfels hat das Bundesministerium der Finanzen für Ausbaumaßnahmen im Rechnungsjahre 1962 Bundesfinanzhilfen im Betrage von 17,2 Millionen DM bewilligt und die erforderlichen Mittel dem bayerischen Staatsministerium der Finanzen zugewiesen. Für das Rechnungsjahr 1963 sind Bindungsermächtigungen für bereits bewilligte Ausbauvorhaben in dem genannten Gebiet für rund 14 Millionen DM erteilt worden.
Für das nach den Vorschlägen des Landes Bayern durchzuführende weitere Ausbauprogramm beabsichtige ich, zu Lasten des Rechnungsjahres 1963 weitere Mittel in Höhe von 5 Millionen DM bereitzustellen, sobald das Haushaltsgesetz für 1963 in Kraft getreten und der Haushaltsansatz entsprechend den Vorschlägen der Bundesregierung von dem Hohen Hause gebilligt worden ist.
Die erforderliche Abstimmung über die im Rahmen des Ausbauprogramms durchzuführenden Maßnahmen mit den amerikanischen Streitkräften konnte noch nicht abgeschlossen werden. Das Bundesministerium der Finanzen wird aber die entsprechenden Bescheide für das Rechnungsjahr 1963 so rechtzeitig erteilen, daß die Baumaßnahmen, wie vorgesehen, im Jahre 1963 begonnen und in den folgenden drei Rechnungsjahren fortgeführt und abgeschlossen werden können.
Eine Zusatzfrage!
Können Sie mir, Herr Minister, in Vertretung des Herrn Finanzministers vielleicht sagen, was unternommen wird, damit die entsprechenden Verhandlungen mit den Amerikanern bald zu einem Abschluß kommen, und zwar vor allem unter dem Gesichtspunkt, daß seit April 1961 an Hilfe für die Randgebiete praktisch nichts Neues geschehen ist, sondern diese Summen, die Sie anführen, nur in Fortführung der Programme früherer Jahre aufgewandt werden?
Lenz, Bundesschatzminister: Herr Abgeordneter, ich wäre Ihnen dankbar, wenn das Finanzministerium Ihnen diese Frage schriftlich beantworten könnte. Ich könnte Ihnen nur von mir aus sagen, was ich tun würde; aber das wird Sie nicht interessieren.
Der Fragesteller ist einverstanden.Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung, zunächst zu der Frage II/1 — des Herrn Abgeordneten Dr. Mommer —:Hält es die Bundesregierung für tragbar, daß nach dem Altershilfe-Gesetz Landwirte zu Beitragsnachzahlungen gezwungen werden, obwohl sie nach der Novelle von 1961 von der Beitragspflicht befreit werden?Bitte, Herr Minister.
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2096 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Ich darf die Frage wie folgt beantworten:
Der Einzelfall, der, wie ich annehme, Ihrer Anfrage zugrunde liegt, ist mir nicht bekannt. Ich kann deshalb Ihre Frage nur allgemein beantworten. Das Gesetz zur Neuregelung der Altershilfe für Landwirte vom 3. Juli 1961 hat den Kreis der von der Beitragspflicht zu befreienden Landwirte gegenüber der Regelung von 1957 erweitert. Die neue Vorschrift eröffnet diese Befreiungsmöglichkeiten vom 1. Januar 1962 an für die Zukunft. Eine rückwirkende Befreiung sieht das Gesetz, auch in seinen Übergangsvorschriften, nicht vor. Daher müssen die landwirtschaftlichen Alterskassen Landwirte, die nach dem früheren Gesetz für die Zeit vor dem 1. Januar 1962 beitragspflichtig waren, für die vorausgegangene Zeit zur Beitragszahlung heranziehen. Die Alterskassen haben keine Möglichkeit, von der Beitragsforderung abzusehen. Auch eine Niederschlagung der Forderung wäre, wie im gesamten Bereich der Sozialversicherung, nur dann möglich, wenn die Forderung endgültig uneinbringlich wäre.
Ich glaube auch nicht, daß eine Lücke im Gesetz vorliegt; denn bei einem Umlagesystem, wie es in der landwirtschaftlichen Altershilfe besteht, ist eine Änderung des Beitragsrechtes nur für die Zukunft möglich. Bei den in Rede stehenden Fällen dürfte es sich aber darum handeln, daß Beiträge rückständig waren. Diese Landwirte können nicht anders behandelt werden als diejenigen, deren Beiträge rechtzeitig entrichtet worden sind. Die Bundesregierung sieht daher auch keine Gründe dafür, das vom Hohen Haus beschlossene Gesetz nicht für tragbar zu halten.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Mommer!
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, ,daß es Fälle gibt, in denen es sich nicht um ein Zurückbleiben in der Beitragszahlung durch persönliches Verschulden handelt und dann der Fall eintritt, daß ein Bauer jetzt von der Beitragszahlung freigestellt wird, also keine Aussicht hat, je etwas aus der Altershilfe zu bekommen, und doch für mehr als vier Jahre Beiträge nachzahlen muß?
Der Fall mag möglich sein. Aber, Herr Kollege, das Gesetz hatte es damals so befohlen, daß der Mann beitragspflichtig ist. Wenn er die Beiträge bisher nicht geleistet hat — und nur darum kann es sich handeln —, muß natürlich dieser Zweig der Sozialversicherung sehen, wie er die Beiträge einzieht. Er kann nur dann darauf verzichten, wenn die Einbringung unmöglich ist. Wollte man anders handeln, so würde man diejenigen bestrafen, die ihre Beiträge pflichtgemäß bezahlt haben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schmidt!
Herr Bundesminister, es gibt doch nach dem ersten Gesetz gewisse Grenzfälle, in denen es zu Prozessen geführt hat wegen der Streitfrage, ob ein Beitrag zu zahlen war oder nicht. Wie werden die Alterskassen jetzt nach der Neuregelung in diesen Fällen verfahren können?
Wenn es zu Prozessen kommt, dann haben nicht die Alterskassen, sondern die Gerichte zu entscheiden. Ich weiß nicht, wie dm vorliegenden Falle entschieden worden ist. Das muß ich der Rechtsprechung überlassen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ritzel!
Herr Bundesminister, würden Sie bereit sein, zu prüfen, ob es hier nicht eine große Zahl von Fällen gibt, die man als Grenzfälle im Rahmen dieser gesetzlichen Regelung bezeichnen darf und in denen ein Unrecht gegenüber denjenigen vorliegt, die niemals einen Rechtsanspruch auf diese Altersversorgung erheben können, aber nun zum großen Teil nachträglich als beitragspflichtig erklärt werden? Sind Sie nicht der Auffassung, daß hier eine Art von Übergangsregelung gesetzlich notwendig sein würde?
Herr Kollege Ritzel, ich bin nicht dieser Meinung; denn als wir das Gesetz neu faßten, sind diese Fragen in den zuständigen Ausschüssen sicherlich eingehend und, wie ich glaube, mit höchstem Pflichtbewußtsein beraten worden. Ich bin dennoch der Meinung, man könnte noch einmal eine solche Nachprüfung vornehmen. Ich glaube aber nicht, daß Anlaß gegeben sein wird, das bestehende Recht zu ändern. Aber das würde ich der Prüfung überlassen, wenn wir diese Fälle, die Sie im Auge haben, einmal einer Gesamtnachprüfung unterziehen.
Eine weitere Frage des Herrn Kollegen Ritzel!
Darf ich das dahin verstehen, Herr Minister, daß Ihr Haus wegen der grundsätzlichen Regelung von Härtefällen gegebenenfalls selbst initiativ werden würde, um einen Härteausgleich herbeizuführen?
Das möchte ich zunächst nicht mit Ja oder Nein beantworten. Denn wenn der Wunsch an mich herangetragen wird, etwas zu prüfen, kann ich meine Entschlüsse natürlich erst vom Ergebnis der Prüfung abhängig machen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Geiger.
Herr Minister, sind Sie nicht bereit, für die Alterskassen der Landwirtschaft die gleiche Regelung einzuführen, die man bei der Invalidenversicherung hat, nämlich die Beiträge dann zurückzuzahlen, wenn kein Leistungsanspruch besteht?
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2097
Herr Kollege, ich kann gar nichts einführen. Bestenfalls könnte ich dem Hause einen Gesetzesvorschlag der Bundesregierung unterbreiten. Es bliebe dann dem Hohen Hause überlassen, ein Gesetz zu beschließen oder abzulehnen.
Keine weitere Frage. Ich rufe auf die Frage 11/2 — des Herrn Abgeordneten Josten —:
Wie weit sind die Verhandlungen wegen der Sonntagsruhe auf dem Rheinstrom fortgeschritten?
Bitte Herr Minister!
Die Mannheimer Akte vom 17. Oktober 1868 gewährleistet die freie Rheinschiffahrt für Fahrzeuge aller Nationen auf dem Rhein. Die Bundesrepublik Deutschland bedürfte daher für Regelungen der Arbeitsbedingungen auf dem Rhein, die für alle Schiffe gelten sollen, .der Zustimmung der übrigen Vertragsstaaten. Maßnahmen, die sich nur gegen deutsche Schiffe richten würden, wären theoretisch zwar zulässig, würden aber die Lage der deutschen Rheinschiffahrt im Wettbewerb beeinträchtigen.
Die Arbeitsbedingungen auf dem Rhein sind durch das Pariser Abkommen, das am 1. Dezember 1959 in Kraft getreten ist, geregelt. Nach diesem Abkommen sollen 26 Sonntage im Jahr arbeitsfrei bleiben. Zur Zeit wird eine Revision des Pariser Abkommens vorbereitet. Durch diese Revision soll insbesondere die Möglichkeit geschaffen werden, die Einhaltung der Bestimmungen des Abkommens wirksam zu überwachen. Insbesondere sollen Verfahren festgelegt werden, um Verstöße gegen die Ruhezeiten festzustellen und zu ahnden. Die Vorarbeiten hierfür sind unter Förderung durch das Internationale Arbeitsamt weit fortgeschritten. Ich rechne damit, daß im Jahre 1963 eine dreigliedrige Konferenz der Vertragsstaaten den neuen Text des Abkommens festlegen wird. In dieser Konferenz wird auch die Frage der Sonntagsruhe eingehend erörtert und versucht werden, die unterschiedlichen Meinungen der beteiligten Staaten zu koordinieren.
Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Josten.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß auch in der Rheinschiffahrt ein großer Personalmangel besteht, daß das Fehlen der Sonntagsruhe viele Jugendliche davon abhält, den Schifferberuf zu ergreifen, und daß es daher sehr zu begrüßen wäre, wenn man auf der von Ihnen genannten Konferenz zu einem besseren Ergebnis käme?
Jawohl, Herr Kollege, und ich hoffe auch, daß wir dieses Ergebnis erzielen werden. Aber Sie wissen, bei allen diesen internationalen Verhandlungen ist es außerordentlich schwierig, die sehr unterschiedlichen Auffassungen auf einen Nenner zu bringen. Die Bundesregierung wird ihr möglichstes tun.
Keine weitere Frage. Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich frage die Bundesregierung, ob die Informationen richtig sind, denen zufolge in diesem Jahr .am 1. Weihnachtstag die Paketzustellung wieder erfolgen soll und dadurch zusätzlich vielen Postbeamten die Möglichkeit genommen wird, den 1. Weihnachtsfeiertag mit ihren Familien zu verbringen.
Bitte, Herr Minister!
Die Information ist richtig. Die Durchführung der Paketzustellung am ersten Weihnachtsfeiertag ist nicht zu umgehen. Sonst würden nicht zu vertretende Verzögerungen in der Ankunft der Paketsendungen eintreten. Außerdem wären unübersehbare Betriebsstörungen während der Feiertage bei den Zustellämtern wegen des starken Posteingangs und der vielfach unzulänglichen Raumverhältnisse nicht zu vermeiden. Es ist dabei auch zu berücksichtigen, daß die zu den Festtagen versandten Geschenksendungen vielfach leicht verderblichen Inhalt haben, so daß eine um Tage verzögerte Zustellung erhebliche Schäden verursachen könnte. Die Deutsche Bundespost muß außerdem dem besonders dringenden Wunsch aller Postbenutzer auf schnellste Zustellung der Festtagspost, der aus vielen Zuschriften immer wieder zu erkennen ist, Rechnung tragen, zumal sie auf diese Weise mit dazu beitragen kann, die Festtagsfreude in den Familien zu erhöhen.
Es ist nicht zu übersehen, daß die Zusteller, die über Weihnachten Pakete zustellen, nur ein geringer Teil des Postpersonals sind, das in seiner Gesamtheit an ungewöhnlichen Zeiten zu erhöhten schweren Leistungen herangezogen werden muß. Die Eigenart des Postdienstes bedingt es, daß z. B. auch der gesamte Postbeförderungsdienst an allen Sonn- und Feiertagen sowie am Weihnachtsabend und am Silversterabend fortgesetzt werden muß und daß zahlreiche Frauen und Männer zu diesen Zeiten im Fernsprech-, im Telegraphendienst und in der Eilzustellung tätig sind. Ähnlich liegen die Verhältnisse in allen anderen Verkehrsbetrieben.
Eine Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Hahn!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Minister, halten Sie es für möglich, daß durch eine rechtzeitige Unterrichtung die Öffentlichkeit auch dazu erzogen wird, ihre Pakete so frühzeitig abzusenden, daß die Familien der Postbeamten doch die Möglichkeit haben, das Fest miteinander zu begehen?
Was auf diesem Gebiete an Werbung zur rechtzeitigen Aufgabe von Paketen und anderen
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2098 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Bundespostminister StücklenBriefsendungen für Weihnachten möglich war, haben wir getan. Wir haben aber die Erfahrung, daß in allen Jahren noch am Heiligen Abend Paketsendungen in größerer Zahl eingetroffen sind, die aus den Gründen, die ich angegeben habe, noch zugestellt werden müssen.
Keine weitere Frage; ich danke Ihnen, Herr Minister.
Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte — des Herrn Abgeordneten Fritsch —:
Wann ist mit der Vorlage einer 3. Novelle zum Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz durch die Bundesregierung zu rechnen?
Herr Minister!
Der Referentenentwurf eines Dritten Änderungs- und Ergänzungsgesetzes zum Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz ist mit den beteiligten Bundesressorts abgestimmt worden. Wegen der Änderung einiger verfahrensrechtlicher Vorschriften findet am 20. November 1962 noch eine Besprechung mit den durchführenden Stellen der obersten Landesbehörden statt. Mit der Zuleitung des Regierungsentwurfs an die gesetzgebenden Körperschaften kann in den nächsten Wochen gerechnet werden.
Eine weitere Frage? — Nein. Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesschatzministers — des Herrn Abgeordneten Dr. Bucher —:
Ist die in Nr. 41 Seite 66 des „Spiegel" aufgestellte Behauptung richtig, daß die Bundesrepublik für ein Lager des, Bundesgrenzschutzes in Untergrombach bei Bruchsal ein Anwesen für 460 000 DM gekauft hat, obwohl bereits vorher 'ein anderer Kaufinteressent das Grundstück für 255 000 DM vom Verkäufer erhalten sollte?
Herr Minister!
Lenz, Bundesschatzminister: Herr Abgeordneter, es trifft zu, daß die Bundesrepublik ein Anwesen in Untergrombach bei Bruchsal für Zwecke des Bundesgrenzschutzes zu einem Kaufpreis von 460 000 DM erworben hat. Ob vorher ein anderer Kaufinteressent das Grundstück für 255 000 DM erhalten sollte, war der mit dem Erwerb der Grundstücke beauftragten Oberfinanzdirektion Karlsruhe nicht bekannt. Nach den jetzt von mir angestellten Ermittlungen sind die Grundstückseigentümer niemals bereit gewesen, ihr Grundstück zum Preis von 255 000 DM zu veräußern. Ihr sind zwar Angebote, die sich zwischen 250 000 DM und 400 000 DM bewegten, gemacht worden. Diese sind aber nicht angenommen worden. Die Eigentümer hatten bei ihren Verhandlungen mit der Oberfinanzdirektion Karlsruhe zunächst einen Kaufpreis in Höhe von 520 000 DM gefordert. Sie stützten sich dabei auf ein von ihnen eingeholtes Gutachten. Die Oberfinanzdirektion Karlsruhe bot dagegen — vorbehaltlich meiner Genehmigung — auf Grund einer von ihr angestellten Wertermittlung einen Kaufpreis von 460 000 DM, mit dem sich die Eigentümer einverstanden erklärten. Da dieser Kaufpreis nach den Ermittlungen meiner Bauabteilung angemessen war und das Grundstück sich für die Zwecke des Bundesgrenzschutzes voll eignete, habe ich dem vereinbarten Kaufpreis zugestimmt.
Es mag zwar zutreffen, daß die Eigentümer anfänglich auf Grund besonderer Umstände einen Verkauf zu einem geringeren Preis in Erwägung gezogen hatten. Für die Ermittlung des vom Bund zu zahlenden Kaufpreises wäre jedoch nicht — und darauf möchte ich ausdrücklich hinweisen — die besondere Situation der Eigentümer, sondern ausschließlich der von den zuständigen Baudienststellen ermittelte Verkehrswert maßgebend gewesen.
Keine Zusatzfrage. — Ich danke Ihnen, Herr Minister.
Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern! Frage VI/1 — des Herrn Abgeordneten Fritsch —:
Ist die Bundesregierung bereit, die Nachtdienstzulage für die Bediensteten der Deutschen Bundesbahn von bisher 0,40 DM pro Stunde ,angemessen zu erhöhen?
Bitte, Herr Minister!
Ich darf die Frage wie folgt beantworten. Eine Nachtdienstzulage erhält nicht nur das Personal der Deutschen Bundesbahn, wie man aus der Frage entnehmen könnte, sie wird vielmehr allgemein für Nachtdienstzulagen im Bundesdienst gezahlt. Bei den Beamten beruht die Zulage auf § 22 des Bundesbesoldungsgesetzes, bei den Angestellten und Arbeitern auf tarifvertraglichen Regelungen. Diese Nachtdienstzulage ist erst vom 1. Juli 1961 an von bisher 25 Pf auf 40 Pf pro Stunde erhöht worden. Sie ist eine pauschalierte Entschädigung für den durch den Nachtdienst entstehenden Mehraufwand, insbesondere an Ernährung. Bei der letzten Erhöhung bedurfte es noch eines besonderen Beschlusses der Bundesregierung nach § 3 Nr. 12 des Einkommensteuergesetzes dahingehend, daß die Nachtdienstzulage voll als Aufwandsentschädigung anzuerkennen sei, da die Finanzämter einen solchen Aufwand ursprünglich nicht anerkennen wollten. Seit der letzten Erhöhung am 1. Juli 1961 sind nach Ansicht der Bundesregierung keine so wesentlichen Veränderungen eingetreten, daß eine weitere Erhöhung der Nachtdienstzulage vorgeschlagen werden müßte.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Fritsch.
Herr Bundesminister, würden Sie nicht der Meinung sein, daß es sozial gerecht wäre, die Nachtdienstzeit anders zu gestalten bzw. auszudehnen, etwa so, daß man die Nachtdienstzeit auf 8 Uhr abends oder 9 Uhr abends — mindestens während der Winterzeit — festlegt?
Ich werde das überprüfen, Herr Kollege.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2099
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Brück.
Herr Bundesminister, darf ich ich in dem Zusammenhang die gleiche Bitte an Sie richten: einmal zu prüfen, ob der Begriff „Nachtdienst" in der in Frage kommenden Rechtsverordnung überhaupt noch unseren heutigen Auffassungen entspricht? Wenn Sie das überprüften, wäre ich Ihnen sehr dankbar.
Das wird geschehen, Herr Kollege.
Frage VI/2 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut —:
Wieviel Lehrkräfte kommen auf je hundert Studenten an deutschen Universitäten und Technischen Hochschulen?
Nach den Erhebungen des Statistischen Bundesamts kamen im Wintersemester 1960/61 — andere Unterlagen liegen naturgemäß nicht vor — an den wissenschaftlichen Hochschulen der Bundesrepublik einschließlich Berlin insgesamt 4,8 Lehrpersonen auf 100 Studenten. Dabei teilen wir die Lehrpersonen in folgende Gruppen auf: 1,4 sind Lehrstuhlinhaber — ordentliche und außerordentliche Professoren —, 1,7 habilitierte Nichtordinarien — das sind außerplanmäßige Professoren und Privatdozenten — und 1,7 sonstige Lehrpersonen — Honorarprofessoren, Lehrbeauftragte, Lektoren, sonstige nichthabilitierte Beamte und Angestellte des wissenschaftlichen Dienstes —. Die wissenschaftlichen Assistenten sind in dieser Zahl nicht enthalten.
Zu einer Zusatzfrage Herr Dr. Kohut.
Bestehen bei diesen von Ihnen genannten Durchschnittszahlen in den einzelnen Ländern erhebliche Abweichungen nach oben oder unten?
Ja, Herr Kollege. Wir haben eine Gesamtberechnung angestellt. Eine Aufgliederung nach Ländern wurde nicht vorgenommen, weil davon in der Frage nichts enthalten war. Falls Sie sie wünschen sollten, wäre ich gern bereit, das nachzuholen.
Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Herr Minister.
Frage VI/3 — des Abgeordneten Dr. Kohut —:
War die Zunahme der Bundesbeamten im höheren Dienst von 1840 im Jahre 1950 auf 7878 im Jahre 1960 unvermeidbar?
Ich muß die Frage mit Ja beantworten, und zwar aus ganz einfachen Gründen.
Die Bundesverwaltung befand sich im Jahre 1950 im Aufbau. Bundesverwaltungen mit großem Personalkörper — z. B. der auswärtige Dienst und die Bundeswehrverwaltung — sind erst nach diesem Zeitpunkt neu errichtet worden. Der Bundesverwaltung sind seit 1950 darüber hinaus durch den Bundesgesetzgeber in erheblichem Umfang neue Aufgaben übertragen worden, deren Erledigung zwangsläufig eine Personalvermehrung erforderte.
Schließlich ist noch ein weiterer Gesichtspunkt zu beachten. Inwieweit durch Aufgabenzuwachs eine Vermehrung der Planstellen für Beamte notwendig ist, wird durch den Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages bei der Erörterung des Entwurfs des Haushaltsplans für das jeweilige Rechnungsjahr eingehend geprüft. Die letzte Entscheidung fällt das Plenum in den Haushaltsberatungen. Wir sind also der Meinung, daß sich sowohl die Regierung wie das Parlament in der Ausstattung mit höheren Planstellen durchaus einig waren.
Keine Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage VI/4 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut — auf:
Wie ist das ziffernmäßige Verhältnis zwischen Lehrkräften und Studenten an den Universitäten in den Ländern der EWG und der EFTA?
Internationale Vergleiche über die Zahl der Hochschullehrer sind problematisch, und zwar aus den bekannten Gründen der Definition des Begriffs „Hochschullehrer". Sie ist nach den Ländern außerordentlich verschieden. An dem Beispiel der vorletzten Frage haben Sie gesehen, .daß wir z. B. die wissenschaftlichen Assistenten nicht dazurechnen, andere Personengattungen aber doch; denn die Zulassungsvoraussetzungen sind überall verschieden. Zusammenfassende Übersichten über die Länder der EWG und der EFTA — diese Begriffe existieren erst seit einiger Zeit — fehlen. Wir haben uns aber bemüht, uns Angaben aus statistischen Jahrbüchern dieser Länder zu besorgen, und sind auf folgende Zahlen gekommen: In Frankreich kommen auf 100 Studenten 3,1 Lehrpersonen — das war 1960 —, in Italien 1959/60 2,3 Lehrpersonen, in Dänemark 1961 3,6 Lehrpersonen, in Schweden 1960 3,7 und in der Schweiz 1961/62 8,7 Lehrpersonen — eine sehr hohe Zahl —. Nach einer anderen Erhebung kamen 1958 auf 100 Studenten in den EWG-Ländern in Belgien 7,1, in Frankreich 2,2, in Italien 2,2, in den Niederlanden 5,0 Lehrpersonen. In den EFTA-Ländern: Dänemark 7,9, Großbritannien 11,4 — eine der höchsten Zahlen —, Österreich 6,6, Schweden 11,1, in der Schweiz wären es nach dieser Studie, von der wir innerhalb der kurzen Zeit nicht nachprüfen konnten, inwieweit sie zuverlässig ist, sogar 12,1 Lehrpersonen, Norwegen 6,6. Für Portugal und Luxemburg konnten wir in der kurzen Zeit keine Zahlen ermitteln; die Zahlen für die Bundesrepublik habe ich schon in der Antwort auf Ihre erste Frage bekanntgegeben.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Kohut.
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2100 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Ist es nicht auffällig, Herr Minister, daß die Bundesrepublik mit Lehrkräften ziffernmäßig ziemlich am schlechtesten versehen ist?
Herr Kollege, die Zahl bei uns beträgt 4,8 Lehrkräfte je 100 Studenten. Danach würden wir im west- und zentraleuropäischen Bereich ungefähr in der Mitte liegen, während einige Länder, vor allem im nordischen Bereich, erheblich mehr haben. Ich bin Ihrer Meinung, Herr Kollege, daß da noch einiges zu tun ist. Es ist aber zu beachten, daß bei uns eine ganze Reihe von Lehrstühlen, und zwar interessanterweise insbesondere im technischen Bereich, Architektur, Bergbau usw., aus den bekannten Gründen nicht besetzt sind. Dort gibt es Unterbesetzungen bis zu 25 %, weil es offenbar an geeigneten oder, ich möchte sagen, eintrittswilligen Lehrkräften fehlt.
Noch eine Zusatzfrage!
Herr Minister, liegt das vielleicht an der Honorierung der Lehrkräfte, ist diese zu gering?
Im technischen Bereich dürfte das der Fall sein. Sie wissen, daß es eine besondere Besoldungsordnung für Hochschullehrer gibt. Von den derzeitigen Besoldungsverhältnissen bei den Hochschullehrern, die natürlich durch die Hörgeldregelung differenziert sind, möchte ich annehmen, daß sie im allgemeinen ausreichen. In gewissen Bereichen gibt es keine Schwierigkeiten. In denen, die von der wirtschaftlichen Konjunkturentwicklung besonders umkämpft sind, sind die größten Fehlstellen. Darauf dürfte es wohl zurückzuführen sein.
Ich danke, Herr Minister.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Ich rufe auf die Frage VII/1 — des Herrn Abgeordneten Dr. Dörinkel —:
Ist der Bundesregierung das im Auftrag der EWG-Kommission ausgearbeitete Gutachten der Professoren Wessels, Pernis und Mortara bekannt, nach welchem die Stromtarife für industrielle Verbraucher 'in der Bundesrepublik erheblich über denen in den anderen EWG-Mitgliedstaaten liegen?
Ist Herr Abgeordneter Dr. Dörinkel anwesend? — Wird er vertreten? — Die Frage wird schriftlich beantwortet.
Die Frage VII/2 — des Herrn Abgeordneten Dr. Dörinkel — lautet:
Ist die Bundesregierung bereit, den in Frage VII/1 dargelegten Sachverhalt zu überprüfen, insbesondere im Hinblick darauf, daß die Elektrizitätsversorgungsunternehmungen in der Bundesrepublik eine durch Konzessionsverträge und Demarkattonsabsprachen geschützte Monopolstellung haben?
Sie wird ebenfalls ¡schriftlich beantwortet.
Ich rufe auf 'die Frage VII/3 — des Herrn Abgeordneten Brand —:
Warum ist dem .aus der in- und ausländischen Bankpraxis kommenden Wunsch nach einem größeren Geldschein von 500 DM oder 1000 DM immer noch nicht entsprochen worden?
Das Wort zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zu der neuen Serie der Bundesbanknoten, von der bisher die Noten zu 20, 50 und 100 DM zur Ausgabe gelangt sind, gehören auch Scheine zu 500 und 1000 DM. Diese Scheine sind in Bearbeitung. Mit ihrer Ausgabe kann allerdings erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1963 gerechnet werden, da die übrigen Abschnitte im Zahlungsverkehr wesentlich dringender benötigt wenden und die Gesamtkapazitäten der Druckereien voll ausgelastet sind. Die Gesamtserie wird sich dann aus Noten zu 5, 10, 20, 50, 100, 500 und 1000 DM zusammensetzen.
Keine Zusatzfrage.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Brand, Nr. VII/4:
Wird bei der graphischen Gestaltung der Banknoten ein künstlerischer Beirat, wie ihn die Deutsche Bundespost für die Briefmarkengestaltung hat, herangezogen?
Herr Staatssekretär!
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2101
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede von: Unbekanntinfo_outline
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2102 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2103
Wie hat sich die Verkehrsbelastung der Autobahn Frankfurt—Mannheim—Heidelberg in den letzten Jahren entwickelt?
Herr Kollege, die Verkehrsbelastung der Bundesautobahn Frankfurt—Mannheim—Heidelberg hat in den letzten Jahren, wie die Verkehrsbelastung auf all unseren Straßen, weiter erheblich zugenommen. Das Jahresmittel 1962 auf der Strecke Frankfurt—Mannheim erreichte das Dreifache des für 1952/53 festgestellten Mittelwertes. Der Abschnitt Mannheim—Heidelberg nimmt dabei als Flaschenhals eine Sonderstellung ein. Die Werte für die Strecke Frankfurt—Mannheim schwanken geringfügig für die verschiedenen Zählstellen.
Für diese Strecke werden folgende Jahresmittelwerte für den durchschnittlichen täglichen Verkehr festgestellt: 1952/53 10 000 bis 12 000 Kraftfahrzeugeinheiten in 24 Stunden, 1958 21 000 bis 23 000 und 1962 27 000 bis 30 000 Kraftfahrzeugeinheiten in 24 Stunden. In Prozentzahlen ausgedrückt bedeutet dies bei Annahme der Verkehrsbelastung im Jahre 1952/53 mit 100 eine Zunahme bis 1958 auf 200 %, bis 1962 auf 260 %. Die bei der Dauerzählstelle Darmstadt ermittelten Spitzenwerte betrugen 1956 das 1,7fache des Jahresmittelwertes, nämlich 32 000 Kraftfahrzeugeinheiten in 24 Stunden, und stiegen bis 1962 auf das 2,2fache des Jahresmittelwertes, also proportional nicht so stark wie der Jahresmittelwert selbst, nämlich auf 62 500 Kraftfahrzeugeinheiten in 24 Stunden. Bei dieser zuletzt genannten Spitzenbelastung entfielen zwei Drittel, nämlich 38 500 Kraftfahrzeuge in 24 Stunden, allein auf den Nord-Süd-Verkehr.
Für den durch den zwischenstädtischen Verkehr noch zusätzlich belasteten Abschnitt Mannheim—Heidelberg betragen die einzelnen Jahresmittelwerte 1952/53 19 000 Kraftfahrzeugeinheiten in 24 Stunden und 1960 37 000 Kraftfahrzeugeinheiten in 24 Stunden. 1962 wurde hier eine Sonderzählung nicht durchgeführt. Die Jahresmittelwerte liegen somit für diesen Flaschenhals in den einzelnen Jahren um rund 8- his 11 000 Kraftfahrzeugeinheiten je 24 Stunden höher als auf der Strecke Frankfurt—Mannheim.
Wegen dieser Entwicklung befinden sich die Entlastungsautobahnstrecken Mainbrücke bei Rüsselsheim—Groß Gerau—Darmstadt und MannheimSchwetzingen—Walldorf—Wiesloch im Bau. Dadurch werden vor allem die Teilstrecken Frankfurt—Darmstadt und Mannheim—Heidelberg entscheidend entlastet. Die Strecke Darmstadt—Mannheim soll durch den Bau des Main-Neckar-Schnellweges, der den Raum Darmstadt direkt mit Heidelberg verbindet, entlastet werden. Wir hoffen, den Bau dieser Straßenzüge im Laufe des zweiten Vierjahresplanes durchführen zu können.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Mommer.
Herr Minister, wie hoch wird die Durchlaßkapazität einer Autobahn innerhalb 24 Stunden geschätzt, und ist diese nicht schon überschritten?
Herr Kollege, das ist natürlich verschieden, je nachdem, wie die Autobahn ausgebaut ist. Diese alten Autobahnstrecken haben wir früher mit etwa 40 000 Kraftfahrzeugeinheiten in 24 Stunden bewertet. Wir haben in der Zwischenzeit an dieser Strecke, wie Sie ja wissen, eine Reihe von Verbesserungen eintreten lassen durch den Bau von Leiteinrichtungen, von Abstellstreifen und anderen Einrichtungen, soweit das bei der vorhandenen Strecke möglich war. Dadurch ist die Kapazität sicherlich gesteigert worden. Wir sind aber der Meinung, daß durch diese Zahlen, die ich soeben angegeben habe, die Kapazität nunmehr in der Spitze übertroffen wird und daß die Zahlen sich in den normalen Belastungen der gegebenen Kapazität bereits nähern. Deswegen haben wir uns entschlossen, diese Entlastungsstrekken zu bauen.
Eine weitere Frage, Herr Dr. Mommer.
Ist es nicht so, daß sich also noch auf Jahre hinaus die Schere zwischen der Kapazität der Straße und der Belastung weiter öffnen wird?
Ich fürchte, daß Sie recht haben. Aber ich glaube, daß wir dann, wenn wir die genannten Entlastungs-
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2104 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohmstrecken in Betrieb nehmen können, also im Laufe der nächsten drei bis vier Jahre, in erheblichem Maße die Belastung der Hauptstrecke kappen können, insbesondere bei diesen stark überbelasteten Strecken zwischen Mannheim und Heidelberg und zwischen Frankfurt und Darmstadt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Baier.
Herr Minister, hat sich auf dieser Strecke die zeitweise eingeführte Geschwindigkeitsbegrenzung bewährt, und ist etwa daran gedacht, diese in Zukunft beizubehalten?
Nach unserer Auffassung, Herr Kollege, hat sich die Geschwindigkeitsbegrenzung bewährt; aber sie ist ja nicht eine Maßnahme des Bundesministers für Verkehr, sondern der zuständigen hessischen Landesbehörden. Sie ist damals von dem Herrn Hessischen Minister des Innern eingeführt worden. Dann ging die Zuständigkeit auf den Herrn Hessischen Minister für Wirtschaft und Verkehr über. Dieser hat die Maßnahme wieder aufgehoben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kübler.
Herr Minister, ist Ihnen bekannt, daß eine Sonderzählung des Ferienverkehrs Ende August, Anfang September über 42 000 Fahrzeuge im Raum Mannheim—Heidelberg bei Friedrichsfeld feststellte?
Ich weiß nicht, ob das eine amtliche Zählung gewesen ist; sie ist mir nicht als amtliche Zählung bekannt. Aber daß die Zahl etwa zutrifft, ergibt sich aus den von mir genannten Zahlen. Ich sagte ja, daß die Jahresmittelwerte auf der Strecke Heidelberg—Mannheim um etwa 10 000 Kraftfahrzeuge höher liegen als die Jahresmittelwerte der Strecke Frankfurt—Mannheim, gesagt wurde allerdings „Mannheim"! Das ergäbe entsprechend schon einen Jahresmittelwert von etwa 40 000. In der Spitze steigt der Wert noch entsprechend an.
Die Frage VIII/5 — des Herrn Abgeordneten Müller —:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung getroffen, um eine möglichst wirkungsvolle Brandbekämpfung auf der Bundeswasserstraße Weser zu erreichen?
Bitte schön, Herr Minister!
Herr Kollege, die Brandbekämpfung gehört nicht zu den gesetzlichen Aufgaben des Bundes, sondern ist Sache der Länder, die ihrerseits damit die Gemeinden beauftragt haben. Dazu gehört also auch die Brandbekämpfung auf den Bundeswasserstraßen.
Die Wasser- und Schiffahrtsverwaltung ist jedoch trotzdem bemüht, dazu beizutragen, daß die vorhandenen Feuerlöscheinrichtungen im Bedarfsfalle zu möglichst wirkungsvollem Einsatz gelangen und, wenn nötig, vorbeugend mit ergänzenden Einrichtungen versehen werden. Sie ist schon seit längerer Zeit dazu übergegangen, auf den verwaltungseigenen Schiffen Wasserspritzen, die zur Fremdhilfe geeignet sind, einzubauen. Auf der Unterweser sind 13 Fahrzeuge so ausgerüstet worden.
Nach den Feststellungen der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Bremen befinden sich neben den örtlichen Feuerlöschstationen und Feuerlöscheinrichtungen im Hafen Bremen 3 und im Hafen Bremerhaven 2 hafeneigene Feuerlöschboote. Ferner sind auf der Weser 30 Bugsierschlepper des Norddeutschen Lloyd und der Unterweser-Reederei-AG mit leistungsfähigem Feuerlöschgerät ausgerüstet.
Da sich Katastrophen auf den Wasserstraßen erfahrungsgemäß über die Ufer hinaus erstrecken und die anwohnende Bevölkerung gefährden können, wird es von uns für richtig gehalten, daß die zuständigen Landesbehörden einen Katastrophenplan aufstellen, um einen möglichst erfolgreichen Einsatz aller Abwehrmittel an einer entsprechenden Notstelle sicherzustellen. Die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Bremen ist angewiesen, sich an der Aufstellung eines solchen Planes der beiden beteiligten Länder Bremen und Niedersachsen zu beteiligen und ihn mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen.
Zusatzfrage.
Herr Minister, ist Ihnen die Entschließung des Kreistages des Landkreises Wesermarsch vom 25. September 1962 vorgelegt worden?
Herr Kollege Müller, nicht alle Entschließungen der Kreistage können zu meiner Kenntnis gelangen. Wenn sie mir oder meinen Mitarbeitern zugeschickt worden ist, dann haben mindestens diese sie sicher zur Kenntnis genommen. Mir selbst ist die Sache nicht vorgelegt worden, also ist sie wohl auch nicht an mich persönlich geschickt worden.
Keine weitere Frage?
Dann kommt die Frage VIII/6 — ebenfalls von dem Abgeordneten Müller —:
Warum lehnt die Bundesregierung, vertreten durch die Wasser- und Schiffahrtsdirektion Bremen, die weitere Unterhaltung der Sommerdeiche auf den durch Erbpachtverträge landwirtschaftlich genutzten etwa 60 ha großen Außendeichsländereien zwischen km 24 und km 29 der Unterweser ab?
Herr Minister!
Herr Kollege, das ist eine etwas schwierige Angelegenheit. Bei den Außendeichsländereien zwischen km 24 und km 29 an der Unterweser handelt es sich um die sogenannten Weserdeicher Sände im Bezirk der Großgemeinde Berne am linken Weserufer.Als das Deutsche Reich in den Jahren vor 1930 die Unterweser für 8 m tiefgehende Seeschiffe ausbaute, befürchteten die Eigentümer der genannten
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2105
Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm Außendeichsländereien, daß ihre Grundstücke infolge der neugeschaffenen Verhältnisse häufiger als bisher durch höher auflaufende Fluten beeinträchtigt werden würden, und so erhoben sie im wasserrechtlichen Ausbauverfahren Ansprüche auf entsprechende Schutzmaßnahmen. Die oldenburgische Auslegungsbehörde erster Instanz kam im Jahre 1937 diesem Verlangen nach. Sie ordnete durch Beschluß an, daß das Deutsche Reich zum Schutz dieser Außendeichsländereien Sommerdeiche errichte und erhalte.Es ist nun die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland zu der dem Deutschen Reich damals auferlegten Unterhaltung der Sommerdeiche verpflichtet ist. Die Wasser- und Schiffahrtsdirektion Bremen hat ein Schreiben des Wasserverbandes „Weserdeicher Sände" vom 19. April 1962 erhalten. Darin wird gebeten, die Bundesrepublik Deutschland solle entsprechende Unterhaltungsansprüche erfüllen und solle Entschädigungsansprüche wegen nicht erfolgter Unterhaltung anerkennen. Gemäß § 27 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes hat die Wasser- und Schiffahrtsdirektion Bremen das Schreiben zuständigkeitshalber der Oberfinanzdirektion in Hannover zugeleitet. Die Oberfinanzdirektion hat mit Entscheidung vom 23. Oktober dieses Jahres die Forderungen des Wasserverbandes abgelehnt, nicht nur, weil sie verspätet angemeldet seien, sondern vor allem deshalb, weil die Forderungen auch bei rechtzeitiger Anmeldung nach § 1 Abs. 1 und nach § 2 Nrn. 1 und 3 in Verbindung mit § 1 Abs. 1 des Allgemeinen Kriegsfolgengesetzes erloschen seien. Der Wasserverband kann gegen diese Entscheidung — worauf die Oberfinanzdirektion hingewiesen hat — binnen 6 Monaten Klage vor dem zuständigen Gericht gegen die Bundesrepublik Deutschland , vertreten durch die Oberfinanzdirektion in Hannover, erheben. Die Oberfinanzdirektion hat jedoch in ihrer Entscheidung schon darauf hingewiesen, daß nach ihrer Auffassung bei der gegebenen Rechtslage eine gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche wenig Aussicht auf Erfolg habe.Wir sind also an der Sache selbst gar nicht beteiligt.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.
Herr Minister, treffen die Behauptungen nicht zu, daß die Schäden, die jetzt an den Deichen verursacht werden, nicht nur vom 8-m-Ausbau herrühren, sondern auch vom 8,70-m-Ausbau?
Das kann nur durch eine Tatsachenuntersuchung und ein Gutachten entschieden werden. Vor dem 8,70-m-Ausbau sind seinerzeit auch entsprechende Untersuchungen bei den zuständigen Instituten durchgeführt worden. Damit ist aber der Anspruch bisher nicht begründet worden.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Müller.
Herr Minister, sind Sie bereit, dieses Gutachten erstellen zu lassen, wenn der Anspruch so begründet wird?
Wenn das erforderlich ist, werden wir das tun. Aber wahrscheinlich hätten die Betreffenden bei der Auslegung der Unterlagen für den Ausbau schon Einspruch einlegen müssen. Ich kann im Augenblick nicht beurteilen, ob ihre Möglichkeiten, Entschädigungen zu bekommen, nicht dadurch erschöpft sind, daß sie nicht rechtzeitig Einspruch eingelegt haben. Das will ich aber gern überprüfen lassen, wenn entsprechende Anträge eingereicht werden.
Frage VIII/O — des Herrn Abgeordneten Dr. Ramminger —:
Was gedenkt die Bundesregierung gegen die von der Bundesbahn-Direktion Regensburg angekündigte dauernde Einstellung des Personenzugverkehrs auf der Nebenbahnstrecke ObernzellWegscheid zu tun, da diese Bahnlinie eigens zur Förderung und Erschließung dieses marktfennen Grenzgebietes einst gebaut wurde und der Omnibusverkehr auf der Straße in den Berufsverkehrszeiten am Morgen und Spätnachmittag nach Passau und zurück derart überlastet ist, daß dieser Zustand laut ProtestBürgerversammlung in Wegscheid am 18. Oktober 1962 nur mit den Verhältnissen in den Nachkriegsjahren zu vergleichen ist?
Herr Abgeordneter, die Deutsche Bundesbahn teilt mir zu dieser Frage folgendes mit: Bei der Nebenbahn Obernzell—Wegscheid handelt es sich um eine Bergstrecke mit schwierigen Steilstreckenabschnitten. Infolgedessen hat die Strecke nur eine ganz geringe Reisegeschwindigkeit. Seit dem Sommer 1962 verkehrt werktags nur noch ein Personenzugpaar, das in geringem Umfang dem Berufsverkehr dient. Der weitaus größte Teil des Personenverkehrs wird mit Bahnbusfahrten abgewickelt. Die Bevölkerung hat sich seit 1945 weitgehend dem Bahnbusverkehr zugewandt, der sich als eine bessere Verkehrsbedienung erwiesen hat. Die Bahnbuslinie schließt über Wegscheid hinaus das Gebiet bis zu dem 15 km entfernt liegenden Ort Breitenberg zusätzlich auf. Mit dem Zug fahren zwischen Obernzell und Wegscheid nur noch 40 Reisende täglich, mit dem Bus dagegen 1540 Reisende. Aus diesem Grunde ist von der Bundesbahn beabsichtigt, auch das letzte Zugpaar auf die Straße umzulegen, weil hier die Reisezeiten erheblich günstiger sind und damit die Verkehrsbedienung besser ist.Zu der von Ihnen erwähnten Überlastung der Straßenomnibusse im Berufsverkehr ist folgendes zu sagen: Unmittelbar nach der Protestversammlung, und zwar am 23. und am 24. Oktober, wurden von der Bundesbahndirektion Regensburg Zählungen in den Hauptverkehrszeiten durchgeführt. Dabei hat sich ergeben, daß in keinem einzigen Falle Reisende zurückbleiben mußten. Ich werde mir jedoch auf Grund Ihrer Frage erneut von der Deutschen Bundesbahn über den Sachverhalt berichten lassen. Eine Entscheidung über den vom Verwaltungsrat der Deutschen Bundesbahn unter dem 9. Oktober genehmigten Antrag des Vorstandes auf Stillegung des Reisezugverkehrs auf der Strecke durch mich ist bisher noch nicht erfolgt.
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2106 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ramminger.
Ist Ihnen nicht berichtet worden, Herr Bundesminister, daß dieser einzige noch verkehrende Schienenbus zu einer Zeit verkehrt, die ganz verkehrsungünstig ist, nämlich 13.15 Uhr ab Passau und 16 Uhr wieder zurück von Wegscheid nach Passau, und an Samstagen und Sonntagen überhaupt nicht verkehrt? Wäre es denn nicht besser, die Zeit für den Schienenbus zu ändern, um eine Entlastung des Straßenbus-Verkehrs zu erreichen? Es kann wohl stimmen, daß niemand zurückbleibt; aber die Leute sind so eingepfercht, daß man es für absolut unmöglich hält, auf diese Weise weiterzumachen.
Herr Kollege, das muß ich leider der Bundesbahn überlassen. Fahrplangestaltungen sind ausschließlich Aufgabe der Bundesbahn; wir haben darauf keinen Einfluß. Ich habe die Bundesbahn schon oft gerügt, daß bei den Strecken, auf denen sie den Personenzugverkehr einstellen will, vorher eine sogenannte „Austrocknung" stattfindet. Ich bin aber nicht in der Lage, über diese Rüge hinaus der Bundesbahn Einzelweisungen in diesen Fällen zu erteilen. Das Hohe Haus hat das seinerzeit bei der Abfassung des Bundesbahngesetzes ausdrücklich abgelehnt.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Ramminger.
Ist Ihnen bekannt, Herr Minister, daß die Bundesbahn diese Verkehrseinstellung deshalb vornehmen will, weil sie weder die beiden altersschwachen Spezial-Loks mit Zahnradgetriebe unter hohen Kosten reparieren noch neue anschaffen will, andererseits aber auch eine Diesel-Lok, z. B. die V 60, diese Steilstrecke ohne weiteres bewältigen würde, allerdings irgendeine elektromagnetische Bremse eingebaut werden müßte, die etwa 50 000 DM kosten soll? Ist der Bund nicht bereit, hier, wenn die Bundesbahn nun in Schwierigkeiten kommt, helfend einzugreifen?
Herr Kollege, darf ich vielleicht, damit wir uns nicht zu weit verlieren, Ihre beiden anderen Fragen mit beantworten, weil zum Teil das Problem darin angesprochen ist. Wenn der Herr Präsident erlaubt, würde ich zuerst auf die beiden anderen Fragen antworten. Dann kann ich auf diese Zusatzfrage noch eingehen.
Ich hoffe, daß sie nicht zu ausführlich sind, weil wir sonst in Zeitnot geraten.
Ich werde mich bemühen.
Ich rufe die Fragen VIII/8 und VIII/9 des Herrn Abgeordneten Dr. Ramminger auf:
ist der Bundesregierung bekannt, daß die Bundesbahn-Direktion Regensburg Vorbereitungen zur Einstellung des gesamten Güterverkehrs auf der Nebenbahnstrecke Obernzell-Wegscheid trifft, indem sie die im Landkreis Wegscheid vorhandenen Fuhrunternehmen aufgefordert hat, Angebote zur Verfrachtung der Güter mit Kraftlastwagen in diesem Grenzgebiet abzugeben?
Ist die Bundesregierung nicht der Ansicht, daß die Verkehrseinschränkungen der Deutschen Bundesbahn auf der Nebenbahnstrecke Obernzell-Wegscheid im Widerspruch stehen zur wirtschaftlichen Grenzlandförderung durch Mittel des Bundes und des Landes Bayern, weil dieses Grenzgebiet dadurch wirtschaftlich abgedrosselt wird und durch eine nachfolgende Verteuerung der Frachten die bereits angelaufene und staatlich geförderte Industrieansiedlung gehemmt und wieder abgestoppt wird?
Die Deutsche Bundesbahn zieht auch die Einstellung des Güterzugbetriebes auf der Nebenbahnstrecke Obernzell–Wegscheid in Erwägung. Ein Antrag ist jedoch bisher bei mir noch nicht eingegangen. Die Deutsche Bundesbahn teilt zu dieser Frage folgendes mit:Im Gegensatz zum Reisezugbetrieb kann der Güterzugbetrieb wegen der Neigungsverhältnisse der Strecke nur mit Hilfe von Zahnraddampflokomotiven durchgeführt werden. Hierfür steht nur eine einzige betriebsbereite Lokomotive zur Verfügung. Mit Rücksicht auf das hohe Alter dieser Speziallokomotive hat die Deutsche Bundesbahn Vorerhebungen bei Fuhrunternehmern über eine etwaige Beförderung der Güter mit Lastkraftwagen angestellt.Diese vorsorglichen Ermittlungen der Deutschen Bundesbahn sollen die Beförderung der durchschnittlich täglich nur noch aufkommenden drei Wagenladungen für den Fall sicherstellen, daß die Zahnraddampflokomotive plötzlich ausfallen sollte.Der Bundesminister für Verkehr ist bei der Genehmigung von Anträgen der Deutschen Bundesbahn auf Stillegung unwirtschaftlicher Nebenbahnen stets bemüht, den besonderen Verhältnissen im Zonenrandgebiet Rechnung zu tragen. Im vorliegenden Fall haben sich jedoch in den letzten vier Jahren die Erwartungen der Deutschen Bundesbahn auf Belebung des Güterverkehrs auf der Schiene durch Ansiedlung von Industrie- und Gewerbebetrieben in diesem Raum leider nicht erfüllt. Die Struktur des Verkehrs hat sich klar gewandelt; denn auch im Güterverkehr haben sich in diesem Gebiet die Verkehrtreibenden weitgehend dem Kraftwagen zugewandt.Unter dem Gesichtswinkel der wirtschaftlichen Grenzlandförderung ist die Deutsche Bundesbahn, wie ich betont habe, bereit, den Güterzugbetrieb weiterzuführen, wenn das Land oder der Bund ihrerseits sich zu finanziellen Beteiligungen bereiterklären könnten. Eine Frachtenverteuerung wird nicht eintreten, weil der Güterfernverkehr im allgemeinen die gleichen Frachten erhebt wie die Eisenbahnen und im Güternahverkehr sogar niedrigere Sätze angewendet werden.Der Bundesminister für Verkehr kann den Stillegungsantrag nur ablehnen, wenn die Ausgleichspflicht des Bundes gegenüber der Deutschen Bundesbahn nach § 28 a des Bundesbahngesetzes erfüllt
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Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohmwird. Dazu ist die Zustimmung des Herrn Bundesministers der Finanzen einzuholen. Nach Lage der Verhältnisse und unseren bisherigen Erfahrungen ist mit dessen Zustimmung nicht zu rechnen. Wenn also das Land sich nicht bereit findet, hier einen Zuschuß zu geben, dürfte leider nichts zu machen sein.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ramminger!
Herr Bundesminister, glauben Sie nicht, daß doch eine Frachtverteuerung insofern eintreten muß, als z. B. Kohletransporte per Bahn dann in Obernzell umgeladen werden müssen und mit Lastwagen extra den Berg hinauf, etwa 20 km, befördert werden? Ebenso ist es zum Teil bei landwirtschaftlichen Produkten. Das würde bei dieser doch sehr schwachen Wirtschaftslage eine erhebliche Belastung ergeben.
In Einzelfällen ist das möglich, Herr Kollege. Im allgemeinen muß aber auch von Wegscheid aus das Material vom Bahnhof zu den Verbrauchsstellen gefahren werden, und man muß es dann natürlich auch umladen. Es ist also nur die Frage, ob der Transport auf der Zwischenstrecke tatsächlich billiger ist und ob der Bundesbahn zugemutet werden kann, eine solche völlig unrentable Strecke bei drei Wagenladungen am Tag noch aufrechtzuerhalten.
Wir kommen zur Frage VIII/10 — des Herrn Abgeordneten Drachsler
Kann der Herr Bundesverkehrsminister dem Parlament mitteilen, welche Einsparungen die Deutsche Bundesbahn dadurch erzielen könnte, wenn sie ihre Bahnsteigsperren vor den Reisezügen auflassen würde?
Die von der Deutschen Bundesbahn mehrfach durchgeführten Untersuchungen haben immer wieder zu dem Ergebnis geführt, daß durch die Aufhebung der jetzt noch bestehenden Bahnsteigsperren auf den mittleren und größeren Bahnhöfen im Endergebnis keine Ersparnisse erzielt würden. Soweit nicht der Sperrendienst von den Angehörigen sonstiger Dienstzweige nebenbei besorgt wird, sind in großem Umfang, vor allem auf den großen Bahnhöfen, Schwerbeschädigte eingesetzt, für die eine andere Verwendungsmöglichkeit nicht besteht. Die Sperreschaffner sind, wo immer möglich, mit zusätzlichen Aufgaben betraut. Sie haben auf den mittleren Bahnhöfen die Funktion des Auskunftsbeamten und ähnliche Aufgaben.
Ein finanzieller Erfolg bei einer Aufhebung der Sperren würde nach Auffassung der Bundesbahn vor allem aber deshalb nicht eintreten, weil zusätzliche Aufwendungen entstehen müßten für eine dann notwendige Verstärkung des Zugbegleitpersonals, vor allem in den Zügen des an allen Stationen haltenden Bezirkspersonenzugverkehrs, und weil außerdem durch den Fortfall von Bahnsteigkarten Einnahmeausfälle entstehen würden. Ein nur schlecht abzuschätzendes Risiko an möglichen Fahrgeldhinterziehungen ist dabei außer acht gelassen. Wir haben allerdings bei einem Versuch in erheblichem Maße diese Fahrgeldhinterziehungen feststellen müssen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Drachsler.
Können Sie uns sagen, Herr Minister, wie im Ausland die Fahrkartenkontrolle gehandhabt wird? Weiter möchte ich fragen, ob Sie nicht auch der Meinung sind, daß diese Auskunft, die zweifellos von der Bundesbahn erteilt wurde, gar nicht den Kern der Angelegenheit trifft. Es trifft nämlich nicht zu, daß in großem Umfang Schwerbeschädigte an den Kontrollbahnsperren sitzen, sondern, wie man namentlich in den großen Bahnhöfen der Bundesrepublik beobachten kann, voll auslastbare Arbeitskräfte.
In den anderen Ländern ist es ja vielfach so, daß es keine . Bahnsteigsperren gibt, mit Ausnahme bei Spezialzügen, wie z. B. in Paris. Aber die Kontrolle in den Zügen ist dann wesentlich schärfer. Und wenn Sie das Personal, das als Begleitpersonal eingesetzt ist, mit dem Personal an den Bahnsteigsperren vergleichen, kommen Sie natürlich kaum zu ungünstigeren Verhältnissen als bei uns. Es ist ferner richtig, daß das Zugbegleitpersonal teurer ist als die Mitarbeiter an den Bahnsteigsperren. Außerdem hat das Zugbegleitpersonal einen ständigen Dienst mit Dienstbereitschaft an den Wechselstationen, der keineswegs besonders angenehm ist. Auch das führt natürlich zu Verteuerungen und zu ähnlichen Folgen. Die Bundesbahn ist vom Verwaltungsrat seit Jahren mit dieser Frage befaßt und hat durch ihre Dienststellen immer wieder mitgeteilt, daß sie sich nicht entschließen könne, die Bahnsteigsperren aufzuheben.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ritzel!
Herr Bundesverkehrsminister, hat die Deutsche Bundesbahn in jüngster Zeit Vergleiche gezogen zwischen ihrem System und dem System der Schweizerischen Bundesbahn, wo ja keine Bahnsteigkontrolle erfolgt?
Herr Kollege Ritzel, die Bundesbahn hat seinerzeit auf Veranlassung des Verwaltungsrates, in dem gerade auch auf die Schweizer Verhältnisse hingewiesen wurde, den Versuch gemacht, in einigen Stationen auf der Strecke München—Rosenheim die Bahnsteigsperren fallen zu lassen. Dabei hat sich — so hat die Bundesbahn berichtet — herausgestellt, daß in großem Umfang die Leute Fahrkartenunterschleife begangen haben. Das ist in der Schweiz nicht ,der Fall. Offenbar ist dort eine andere Disziplin bei der Bevölkerung gegeben ,als bei uns. Aus diesem Grunde hat die Bundesbahn damals dem
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2108 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Bundesverkehrsminister Dr.-Ing. Seebohm Verwaltungsrat vorgetragen, man möge es bei den bisherigen Verhältnissen belassen. Der Verwaltungsrat hat dann so beschlossen. Die Frage ist in den letzten Jahren, etwa vor zwei Jahren, nochmals im Verwaltungsrat mit dem gleichen Ergebnis behandelt worden.
Eine weitere Frage des Herrn Abgeordneten Ritzel!
In Erinnerung an eine Unterhaltung mit dem früheren Präsidenten der Bundesbahn, Herrn Hilpert, darf ich fragen: Sind für die Bundesbahn heute noch die gleichen Überlegungen für die Aufrechterhaltung der Sperren ausschlaggebend? Damals wurde gesagt, entscheidend sei vor allem die Beschäftigung von schwerbeschädigten Kriegsversehrten, die anders bei der Bundesbahn nicht beschäftigt werden könnten.
Das wird von der Bundesbahnverwaltung stets als wesentliches Argument für die Aufrechterhaltung der Sperren angegeben, und es wird darauf hingewiesen, daß in anderen Ländern der Zwang, daß ein bestimmter Anteil der Belegschaft Schwerbeschädigte sein müssen, nicht gegeben sei.
Ich danke Ihnen, Herr Minister. Die Fragestunde ist beendet.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um zwei Punkte ergänzt werden, zunächst um die
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes .
Das Haus ist damit einverstanden, daß das geschieht. Ich rufe dann diesen Punkt auf. — Begründung erfolgt nicht. Aussprache ist nicht vorgesehen.
Der Entwurf soll an den Finanzausschuß als federführenden Ausschuß und an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. — Einverständnis des Hauses; es ist so beschlossen.
Weiter soll in die Tagesordnung aufgenommen werden die
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes .
Auch damit ist das Haus einverstanden. Der Entwurf soll ohne Debatte an den Finanzausschuß überwiesen werden. — Ich stelle das Einverständnis fest; es ist so beschlossen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll zunächst der Tagesordnungspunkt 12 aufgerufen werden:
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über die von der Bundesregierung vorgelegte Verordnung über die Senkung von Abschöpfungssätzen bei der Einfuhr von geschlachteten Gänsen (Drucksachen IV/703, IV/717).
Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Reinhard. Es liegt ein Schriftlicher Bericht vor. Ich danke dem Herrn Berichterstatter. — Herr Abgeordneter Dr. Reinhard hat das Wort als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat eine Verordnung über die Senkung der Abschöpfungssätze bei der Einfuhr von geschlachteten Gänsen vorgelegt. Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat sich sehr eingehend mit dieser Vorlage beschäftigt. Er ist mit Mehrheit zu dem Beschluß gekommen, diese Vorlage abzulehnen. Dafür waren mehrere Gründe maßgebend.Erstens sind die Abschöpfungsbeträge nicht etwa ausgehandelte, sondern auf Grund der unterschiedlichen Erzeugungskosten errechnete Beträge. Auf dem Abschöpfungssystem beruht eigentlich die gesamte Marktordnung nach Aufgabe der Kontingente und der Zölle. Deshalb kann man nicht einfach eine Senkung vornehmen. Das bedeutet ein Verlassen des Grundsatzes. Das muß ausdrücklich gesagt werden.Zum zweiten hat sich der Ernährungsausschuß von der Überlegung leiten lassen, daß die Gänsehaltung in der Landwirtschaft hauptsächlich in klein-, kleinst- und mittelbäuerlichen Betrieben erfolgt. Wenn eine Senkung des Abgabepreises erfolgte, so bedeutete das eine Schädigung gerade der bäuerlichen Kreise, die besonders gefährdet sind. Man kann nicht einfach einen Grundsatz verlassen, der mit sehr viel Mühe erreicht worden ist. Eine neue Wettbewerbsverzerrung wäre die Folge.Noch eine dritte Überlegung ist angestellt worden. Die Rindfleischpreise liegen 10 bis 15 % niedriger als im vergangenen Jahr. Angesichts der Abhängigkeit der Preise bei den einzelnen Fleischsorten untereinander würde ein weiterer Verlust auf die Landwirtschaft zukommen.Dazu kommt noch, daß vor Inkrafttreten der gemeinsamen Marktordnung große Mengen Jungmastgeflügel eingeführt worden sind, die es verhindern, daß die normalen Preise für Jungmastgeflügel wieder erreicht werden. Auch aus diesem Grunde hat die Mehrheit .des Ausschusses die Regierungsverordnung abgelehnt.Die Minderheit wandte dagegen ein, daß aus preispolitischen Gründen im Interesse des Verbrauchers auf einen Teil der Abschöpfungen verzichtet werden sollte. Die Mehrheit hat diesen Einwand sehr ernst genommen; denn auch sie war der Überzeugung, daß man an den Verbraucher denken müsse. Nach Lage der Dinge sind aber die einzuführenden Mengen bereits gehandelt und befinden sich zum Teil schon gar nicht mehr in ,der Hand der Importeure, so daß, wenn eine Senkung deis Abschöpfungsbetrages erfolgen würde, sich dies keinesfalls zugunsten der Verbraucher auswirken würde.Außerdem ist noch zu sagen, daß sich die Handelsspanne in den letzten Jahren sehr stark erweitert hat, während der Abgabepreis bei den Bauern rückläufig war. Sie müssen bedenken, meine Da-
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Dr. Reinhardmen und Herren, daß gegenüber 1960 die Lebendpreise für Gänse um 1 DM je Kilo gesenkt worden sind und daß, wenn man die vorjährigen Verbraucherpreise als gerecht empfände, sogar der Abschöpfungsbetrag noch in dieser Spanne Platz hätte. Der Verbraucher wird nichts davon haben, wenn diese Verordnung Rechtskraft erlangt. Aber der Bauer, der Erzeuger, wird einen Nachteil halben.Deshalb bitte ich, dem Antrag des Ausschusses zu folgen und die Verordnung abzulehnen.
Mitberatend waren der Außenhandelsausschuß und .der Wirtschaftsausschuß. Werden diese Ausschüsse über ihr Votum berichten? An sich ist es ja ihre Pflicht.
Das Wort hat zunächst Frau Abgeordnete Strobel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Darf ich eingangs feststellen: das war ein etwas eigenartiger Bericht; es war nämlich bereits der Diskussionsredner der CDU, der hier gesprochen hat, und nicht der Berichterstatter.
Ich werde mich mit den einzelnen Argumenten des Herrn Reinhard noch auseinandersetzen.Natürlich ist es richtig, daß dieses Problem drei Aspekte hat. Die erste Frage ist: Wie wirkt sich die Senkung der Abschöpfungsbeträge für die Erzeuger in der Bundesrepublik aus? Die zweite Frage ist: Wie wirkt sich die Senkung entsprechend der Regierungsvorlage für die Verbraucher aus, und was bedeutet ihre Ablehnung für die Verbraucher? Die dritte Frage lautet: Wie wirkt sich die hohe Abschöpfung, also die volle Erhebung, auf die handelspolitische Seite der Angelegenheit aus?Wir Sozialdemokraten haben uns immer als ein ehrlicher Makler zwischen den Interessen der Erzeuger und der Verbraucher betätigt und suchen den Ausgleich.
Wir suchen den Ausgleich zwischen den echten Interessen der Erzeuger und der Verbraucher. Sie haben ja an den Beratungen sowohl im Außenhandelsausschuß als auch im Wirtschaftsausschuß und im Ernährungsausschuß teilgenommen. Die Regierung hat dort den Standpunkt vertreten, daß die Eigenerzeugung von etwa 12 000 t Gänsen in der Bundesrepublik einem echten Marktanteil nicht gleichzusetzen ist; daß die Eigenerzeugung am allerwenigstens zum Großhandel kommt, sondern daß sie meist direkt im Rahmen des örtlichen Handels an den Verbraucher verkauft wird und daß deswegen der Preis für das eingeführte Gefriergeflügel bzw. die eingeführten Gefriergänse den Preis für die einheimischen Frischgänse nicht in dem Maße beeinflußt, wie es Herr 'Reinhard gesagt hat.Sie sagen, daß die Erzeuger in Anbetracht der hohen Futtermittelpreise vor nicht vertretbaren Preisen geschützt werden müßten. Ich darf Sie in diesem Zusammenhang auf folgendes aufmerksammachen. Als hier die Getreidepreise beschlossen wurden, haben wir Sozialdemokraten, gerade um niedrigere Futtermittelpreise für die Erzeuger zu haben, beantragt, die Reports nicht, wie Sie beschlossen haben, in Höhe von 4,50 DM, sondern nur in Höhe von 4 DM monatlich zu erheben. Das hätte bedeutet, daß die Futtermittelpreise nicht in dem Maße gestiegen wären, wie sie jetzt gestiegen sind. Wir hatten außerdem beantragt, die Großhandelsspanne, in der sich bekanntlich eine Spanne von 8 DM für Fracht befindet, um den Teil der Frachtermäßigung, also um 4 DM, zu senken. Sie haben auch diesen Antrag abgelehnt und damit dazu beigetragen, daß diese Großhandelsspanne heute voll auf die Futtergetreidepreise aufgeschlagen wird und daß tatsächlich die Erzeuger heute mehr für das Futtergetreide bezahlen müssen, als notwendig gewesen wäre. Wir haben damals schon versucht, die Erzeuger zu schützen. Leider sind Sie uns nicht gefolgt.
Herr Reinhard, Sie haben gesagt, daß die Ermäßigung der Abschöpfung eine Durchbrechung des Prinzips sei. Man muß hier vielleicht etwas zu der chronologischen Seite der Angelegenheit sagen. Als das Abschöpfungsprinzip für Geflügel in Brüssel beschlossen wurde, hat die Bundesregierung beantragt, die Gänse aus dieser Abschöpfung herauszulassen. Das ist in Brüssel abgelehnt worden. Aber die EWG-Kommission hat schon im Mai dieses Jahres in diesem Zusammenhang den Beschluß gefaßt, einem Antrag der Bundesregierung auf Ermäßigung dieser Abschöpfung stattzugeben. Nicht umsonst steht in den Verordnungen über die Abschöpfung auf Veredelungsprodukte, daß die Regierungen ermächtigt sind, solche Anträge zu stellen, wenn die Gefahr von zu hohen Preiserhöhungen auf dem einheimischen Markt besteht. Das ist ein Teil dieser Verordnungen. Das ist ein Teil der Einführung der Abschöpfung, weil es sich dabei zunächst einmal um eine Neueinführung handelt und weil man zu Beginn dieser neuen Regelungen gewisse nicht gewollte Folgen zu neutralisieren versuchen muß.Warum hat die Bundesregierung diesen Antrag gestellt? Eigentlich müßte sie ja hier als Regierung gegen die Regierungsparteien ihren Antrag vertreten. Ich hoffe, daß das der Herr Bundesernährungsminister oder das Wirtschaftsministerium noch tut.
Warum ist dieser Antrag gestellt worden? Ich denke, doch deswegen, weil heute bereits die Verbraucherpreise für Gänse wesentlich höher sind als im vorigen Jahr. Die Preise haben sich bereits von 4,32 DM auf 4,80 DM, also um 12 %, erhöht.
Das ist eine nicht unbeträchtliche Steigerung. Meine Damen und Herren, eine Regierung, die sowohl von diesem Podium aus als auch in der Öffentlichkeit dauernd die Auffassung vertritt, das Preisstabilität eines ihrer wichtigsten wirtschaftspoltischen Ziele sei, muß hier ja schließlich auch einmal handeln;
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Frau Strobelin diesem Zusammenhang ist die Vorlage gemacht worden.Ich darf für die Damen und Herren, die nicht an den Ausschußsitzungen teilnehmen konnten, heute aber hier entscheiden müssen, folgendes sagen. Im vorigen Jahr hatten wir Importeurpreise von etwa 2,50 bis 2,60 DM. Dazu kamen 15 % Zoll und die Umsatzausgleichsteuer. Das führte zu einem Großhandelseinstandspreis von 3,10 DM. Wenn in diesem Jahr die Abschöpfung voll erhoben wird, dann wird eine Abschöpfung plus Umsatzausgleichsteuer von 1,14 DM je Kilo auf den Importpreis draufgeschlagen. Der Importpreis ist aber bereits von 2,57 auf 2,90 DM erhöht worden, weil im Rahmen dieser EWG-Verordnungen ein Einschleusungspreis von 2,90 DM eingeführt worden ist. Das heißt, die 1,14 DM würden voll auf die 3,10 DM vom vorigen Jahr draufgeschlagen werden, und wir müßten dann mit einem Großhandelseinstandspreis von über 4 DM und mit einem Verbraucherpreis von 5,26 für das Kilo Gänse rechnen.Meine Damen und Herren, das ist gegenüber dem Vorjahr eine Erhöhung des Gänsepreises um 25 %!
Wie verträgt sich das denn mit Ihren ständigen Behauptungen, daß Sie die Preisstabilität garantieren wollen? Wie verträgt sich das mit dem Appell maßzuhalten?
Wie verträgt sich das mit der Behauptung, die immer wieder aufgestellt wird, daß ausgerechnet die Verbraucher, weil sie nicht Rücksicht auf den Markt nehmen, die Preise in die Höhe trieben? Wer treibt denn hier die Preise in die Höhe? Es sind doch diejenigen, die eine Ermäßigung dieser hohen Abschöpfungen verhindern wollen.Herr Reinhard hat davon gesprochen, daß der Preis für Rindvieh gefallen ist. Herr Reinhard, Sie wissen, daß wir das mit Ihnen bedauern. Wir fragen in diesem Zusammenhang allerdings, wozu wir eigentlich Einfuhr- und Vorratsstellen haben. Wozu haben wir so viele Kühlhäuser geschaffen — auch über den Grünen Plan —, wenn jetzt nicht die Möglichkeit bestanden hat, dieses Vieh aus dem Markt zu nehmen und einzulagern, um das Fallen der Preise zu verhindern, zumal die Verbraucher von den gefallenen Preisen nichts haben?
Im Gegenteil, sie zahlen dafür mehr als früher!Herr Unertl war so liebenswürdig, im Außenhandelsausschuß zu sagen, wir mögen doch den Hausfrauen zuraten, wenn die Gänse so teuer würden, sollten sie auf billiges Rindfleisch ausweichen. Nun, Herr Unertl, sorgen sie erst einmal dafür, daß dieses billige Rindfleisch den Verbrauchern auch wirklich angeboten wird!
— Ja, aber bis es von Niederbayern zum Verbraucher kommt, wird es wesentlich teurer.
— Entschuldigen Sie, das ist eine Behauptung wider besseres Wissen.Bedenken Sie, daß die Weihnachtsgans heute der Weihnachtsbraten des kleinen Mannes ist!
Wollen Sie nun tatsächlich die kleinen Verbraucher um ihren Weihnachtsbraten bringen? Meine Damen und Herren, wer es sich leisten kann, der ißt heute zu Weihnachten keine Gans, sondern eine Pute. Wir aber möchten, daß die Verbraucher auch in diesem Jahr zu vertretbaren Preisen zu ihren Weihnachtsgänsen kommen.
In diesem Zusammenhang eine Bemerkung darüber, was das insgesamt kostet. Wir führen etwa 12 000 t Gefriergänse ein. Das sind 12 Millionen Kilo. Wenn diese 12 Millionen Kilo Gänse um 1 DM teurer werden, dann kostet das die Verbraucher 12 Millionen DM. Es ist also keine Kleinigkeit. Wenn sie um 50 Pf teurer werden — und sie werden auch bei Annahme der Regierungsvorlage um 50 Pf teurer —, dann sind das immerhin 6 Millionen DM, die die Verbraucher in diesem Jahr mehr ausgeben müssen. Das verdanken sie allerdings der Erhöhung der Futtergetreidepreise, die durch Sie beschlossen worden ist.
Noch einen Hinweis auf die handelspolitischen Folgen! Wir führen bekanntlich den größten Teil dieser Weihnachtsgänse aus Polen ein. Glauben Sie nicht, daß es sehr, sehr bedauerlich und politisch völlig unerwünscht wäre, wenn wir ausgerechnet jetzt den Außenhandel mit Polen auf diese Weise störten?
— Bitte, behaupten Sie nicht, daß das keine Folgen habe!Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß schon heute infolge der Neuregelung und infolge der Präferenz für den Gemeinsamen Markt die Geflügeleinfuhren aus dem EWG-Raum von 30 auf 65 % gestiegen sind. Um diese Zahl geht der Außenhandel mit Drittstaaten zurück. Die Eiereinfuhren aus dem EWG-Raum sind von 65 auf 85 % gestiegen; die Eiereinfuhren aus Drittstaaten sind praktisch zum Erliegen gekommen. Das kann doch handelspolitisch nicht erwünscht sein! Wir müssen wirklich alles tun, um diese nicht gewünschten handelspolitischen Folgen zu vermeiden.Zum Schluß noch eine Bemerkung zu der Tatsache, daß es sich um eine Regierungsvorlage handelt, eine Regierungsvorlage, die, wie man aus der Reaktion der Herren, die hier vorne rechts sitzen, merken kann, zumindest von einem Teil der CDU/CSU und der FDP, also der Regierungsparteien, abgelehnt wird. Das ist eine ganz pikante Illustration der Vorgänge: Wenn sich die Regierung ein einziges Mal dafür einsetzt, daß die Verbraucherpreise nicht um eine Mark pro Kilo, sondern nur um 50 Pf pro Kilo steigen, wollen Sie das illusorisch machen, indem Sie die Regierungsvorlage ablehnen! Dabei nützen
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2111
Frau StrobelSie den Erzeugern damit überhaupt nicht, denn ihre Preise werden davon nicht beeinflußt. Sie erreichen bloß wieder, daß die Verbraucher auf die Erzeuger schimpfen,
weil sie annehmen, die Bauern bekommen dafür mehr, was in Wirklichkeit gar nicht stimmt.Ich möchte aus diesem Grunde an die Damen und Herren in den Regierungsparteien, die nicht wie die Herren hier vorn dem Ernährungsausschuß angehören, appellieren, sich zu überlegen, ob es nicht aus volkswirtschaftlichen Gründen angebracht wäre, der Regierungsvorlage zuzustimmen und damit den Familien in unserem Lande zu ermöglichen, daß sie für die Gänse in diesem Jahr keinen unnatürlich hohen Preis bezahlen müssen. Sie haben das in der Hand. Wir stimmen für die Regierungsvorlage; wir wollen mal sehen, wieviel Damen und Herren aus der CDU/CSU und aus der FDP das auch tun!
Zunächst noch ein Wort zu der Notwendigkeit, den Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu ergänzen. Im Schriftlichen Bericht wird gesagt:
Bei Abfassung dieses Berichts lagen die Stellungnahmen des mitbeteiligten Außenhandelsausschusses und des mitbeteiligten Wirtschaftsausschusses noch nicht vor. Im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit dieser Verordnung werden die
Stellungnahmen dieser beiden Ausschüsse vom Berichterstatter mündlich vorgetragen werden.
Nach § 74 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung besteht die Notwendigkeit dazu. Wollen Sie, Herr Dr. Reinhard, in dieser Hinsicht den Bericht ergänzen? — Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Reinhard als Berichterstatter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist noch nachzutragen, daß sich der Außenhandelsausschuß dem Votum des federführenden Ausschusses angeschlossen hat. Der Wirtschaftsausschuß hat dagegen die Regierungsvorlage angenommen.
Das Wort hat der Abgeordnete Struve.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben aus der Berichterstattung entnommen, daß die Ansichten über diese Frage in den einzelnen Ausschüssen des Hohen Hauses auseinandergehen. In der Tat ist dies einzig und allein darauf zurückzuführen, daß wir im agrarischen Bereich auf Grund der EWG-Verordnungen bei einzelnen Dingen — so auch beim Geflügel — in eine völlig neue Rechtsphase eintreten. Ich glaube, daß es hier, wo es sich scheinbar nur um Gänse handelt, in der Tat auch um den Grundsatz geht, wie in Zukunft diese Dinge vom Hohen Hause im einzelnen gehandhabt werden sollen.So gesehen meine ich, daß es eigentlich keinen Streit darüber geben sollte, welche Partei oder welcher einzelne nun mehr für den Erzeuger oder mehr für den Verbraucher eintritt. Die CDU/CSU hat sich jedenfalls immer von dem Grundsatz leiten lassen, daß Erzeugerinteressen zu gleicher Zeit auch Verbraucherinteressen beinhalten.
Wenn Sie sich die in den verschiedenen Jahren für einzelne Produkte immer von der SPD zur Diskussion gestellten Anträge auf Zollermäßigung usw. ansehen, werden Sie feststellen, daß bei allen diesen Vorlagen, die unter der Überschrift „Für den Verbraucher" standen, die Auswirkung sich ins Gegenteil verkehrt hat. Immer dann, wenn die deutsche Produktion — entweder bei Frühkartoffeln, bei Obst und Gemüse oder bei anderen Veredelungsprodukten — sich unter die 50 %-Grenze bewegte, waren es nicht die Einfuhren, die dem Verbraucher den günstigen Verbraucherpreis brachten. Im Gegenteil, immer dann, wenn die deutsche Produktion gestört war und darniederlag, waren die Preise für den Verbraucher erheblich in die Höhe gegangen.Frau Kollegin Strobel, Sie können es nicht bestreiten: Sie gehen bei Ihren Überlegungen und Begründungen von dem Erzeugerpreis des vergangenen Jahres aus, und Sie haben leider verschwiegen, daß dieser Erzeugerpreis von 2,30 DM für ein Kilo Lebendgänse auf einem Tiefstand war, wie wir ihn in den Jahren davor — bis 1955 zurück — nie erlebt haben; er hat gelegen bei 3,12 DM, 3,35 DM, 3,30 DM, 3,30 DM, und dann kam der Sturz von 1 DM pro Kilo mit dem Ergebnis, daß Sie heute feststellen, daß alle mittel- und großbäuerlichen Betriebe diesen Zweig ad hoc haben fallenlassen. Sie stellen weiter fest, daß heute die Gänsefleischproduktion, die noch zu 50 % im Inland ist, bei den kleinsten Bauern und den kleinbäuerlichen Betrieben liegt, wo die Frau versucht, ein kleines Geld extra zu verdienen.
Die deutschen Bauern, die hier im Februar nächsten Jahres an Hand des Grünen Berichts um ihre Ertragslage kämpfen werden, sind bei der Gänsefleischproduktion so gut wie gar nicht berücksichtigt. Daran sind sie wenig interessiert. Es handelt sich um ein Geld, das sich die Frauen — und nicht nur Bauersfrauen, sondern auch in Nebenerwerbsstellen, bei Kleinbauern — nebenbei verdienen möchten.
Ich möchte deshalb ganz eindeutig der These widersprechen, es handele sich um ein Problem, bei dem die deutschen Bauern als Erzeuger aufmarschierten und ihnen die deutschen Verbraucher entgegentreten müßten. Wir sollten ein Interesse daran haben, daß die Produktion bei Gänsefleisch nicht noch weiter eingeschränkt wird.Ich meine — und das ist die die große Mehrheit meiner politischen Freunde bewegende Einstel-
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2112 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Struvelung —, daß wir bezüglich der EWG-Verordnung in der Tat vor der Grundsatzfrage stehen: Wollen wir die EWG mit allen Konsequenzen, wollen wir der deutschen Landwirtschaft einen Umstellungsprozeß — seit einigen Jahren eingeleitet und weiter bis 1970 — zumuten, so wie er klarer, präziser, als in dem sogenannten Professorengutachten zum Ausdruck kommt, eigentlich völlig unbestritten von der öffentlichen Meinung aufgefaßt wird? Oder wollen wir jetzt den Weg gehen, daß wir Stück für Stück bei einzelnen Produkten und bei einzelnen Positionen die Frage stellen: könnten hier unter Umständen Vorteile für diese oder jene Gruppe liegen? Nach meinem Dafürhalten wäre das Hohe Haus schlecht beraten, wenn es in einer solchen Frage jetzt gleich umfallen würde.
Frau Kollegin Strobel, Sie meinen, daß Sie den Käufern der ausländischen, aus dem Ostblock kommenden Gänse einen Gefallen täten. Ich möchte Ihnen darauf folgendes sagen: täuschen Sie sich nicht darüber, daß Sie damit für die ganze Geflügelhaltung, vor allem für die Eier- und Geflügelfleischproduktion, die Vertrauensgrundlage erheblich stören, die jetzt langsam wächst. Die Erzeuger könnten dann nicht mehr die Investitionen wagen, die notwendig sind, um eine vernünftige Eigenproduktion auf die Beine zu stellen.
Und verfolgen Sie einmal den Markt! Täuschen wir uns doch nicht darüber, daß gerade die deutsche Hausfrau ein Interesse daran hat, daß hochqualifizierte frische Eier genauso wie Geflügelfleisch von Hühnern, Enten und Gänsen laufend auf dem Markt bleiben.
Ich bin der Meinung, daß wir nicht zuletzt aus diesem Grunde diesen Produktionszweig mit allen Mitteln fördern müssen, damit ein großes Inlandsangebot — ein noch größeres als heute — auf den Markt kommt.
Dann wird die Produktion in diesem Zweig nicht nur manchem kleinbäuerlichen Betrieb und mancher Nebenerwerbsstelle einen zusätzlichen Gewinn bringen, sondern dann wird vor allem auch der Verbraucher mit bester deutscher Frischware bedient werden.Und nun zu Ihrem Zwischenruf: Futtergetreide! Dazu möchte ich sagen, daß wir auch hier ähnlich wie bei Schweinefleisch und bei Geflügel, wo die Verordnungen in Kraft getreten sind, vor völlig neuen Überlegungen standen. Es ist hier von dieser Stelle aus von unserem Bundesminister Schwarz schon zum Ausdruck gebracht worden, daß die vielen Befürchtungen, die vorgebracht worden sind, in keiner Weise eingetreten sind. Das Hohe Haus muß — in zunehmendem Maße ist das in allen Fach- und Tageszeitungen zu verfolgen — die Tatsache herausstellen, daß sowohl im Erzeuger- wie im Verbraucherbereich — mit allen dazwischenliegendenStufen — verhältnismäßig wenig Störungen entstanden sind. Das Verhältnis von Brot- und Futtergetreide ist in der Tat gestört. Den zuständigen Ausschüssen des Hohen Hauses liegen diesbezügliche Vorlagen vor. Ich bin überzeugt, daß wir in den. Beratungen dieser Ausschüsse einen Weg finden und dem Hohen Hause vorschlagen werden, um diese Unebenheiten zu bereinigen. Hinsichtlich der Frage der Getreidepreise gehen die Meinungen von Regierungskoalition und SPD — wenn ich es richtig sehe — nach wie vor auseinander. Was aber die Verhältnisse beim Futtergetreide anlangt, habe ich im Hohen Hause nie große Unterschiede festgestellt. Ich zweifle nicht daran, daß wir auch diese Dinge beheben werden.Ich möchte das Hohe Haus bitten, sich dem Votum des federführenden Ausschusses anzuschließen.
Das Wort hat der Abgeordnete Margulies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die bei uns allen so beliebten Weihnachtsgänse kommen hier, glaube ich, zu etwas unverdienten Ehren. Sie sind eigentlich nur der Prüfstein geworden für unsere Haltung zu dem, was wir vor knapp einem halben Jahr in Brüssel vereinbart haben und was hier jetzt durchgeführt werden soll. Wenn wir jedesmal dann, wenn sich irgendwelche Schwierigkeiten zeigen, den Konsequenzen ausweichen wollen, kommen wir aus dem Hin und Her nicht heraus.
Wenn es sich auch um ein Agrarprodukt handelt, so wollen wir doch nicht der These huldigen: Rin in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln!Wie liegen denn die Dinge? Wir haben am 14. Januar in erregenden Nachtsitzungen eine gemeinsame Agrarpolitik in Brüssel beschlossen. Ob sie gut oder falsch ist, möchte ich hier jetzt gar nicht untersuchen. Die einzelnen Regierungen haben sich hingesetzt und eine Fülle von Vorschriften ausgearbeitet, durch die sich jetzt noch kein Mensch hindurchfindet. Wir wollen einmal ganz klar und deutlich sagen, daß es einer gewissen Anlaufzeit bedarf, bis man mit diesem neuen Instrument arbeiten kann. Wenn wir aber dieses Instrument abrupt und jeden Tag erneut ändern, besteht überhaupt keine Möglichkeit mehr, diese Agrarpolitik durchzuführen.
Nun hätte ich natürlich sehr viel von dem, was uns Frau Strobel gesagt hat, sehr wohlwollend geprüft und aufgenommen, wenn das vor sechs oder acht Wochen gewesen wäre. Aber jetzt sind wir doch mitten im Verzehr drin. Es handelt sich doch gar nicht mehr darum, daß die Gänse eingeführt werden müssen; die liegen doch schon in den Läden, die sind doch schon abgemeldet. Wir laufen also hinter der Sache her. Wir haben schon ein paarmal kurz vor Weihnachten störend in den Markt eingegriffen, ohne daß der Verbraucher oder der Erzeuger etwas davon gehabt hätte, weil die Wirkung
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2113
Marguliesder angestrebten Maßnahme in der Eile überhaupt nicht mehr durchkommen konnte.Deshalb möchte ich Sie bitten, die Regierungsvorlage abzulehnen und sich dem Ausschußvotum anzuschließen, damit wir etwas Ruhe in die Dinge hineinbekommen und damit sich diese ganze Methode der Agrarpolitik erst einmal durchsetzen kann; damit wir erst einmal wissen, wie man mit diesem Instrument arbeiten kann, und damit wir nicht ständig störend in den Marktablauf eingreifen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmidt .
Meine Damen und Herren! Meine Vorredner haben hier einige Tatbestände verdreht, was man nicht unwidersprochen hinnehmen kann.
Erstens, Herr Kollege Struve, haben Sie von der Bedeutung der Gänsehaltung im Rahmen der Einnahmen der deutschen Landwirtschaft gesprochen, und zwar in einer Weise, als wenn nun damit der ganze Grüne Plan umfiele.
Die Gänsehaltung ist im Rahmen der Einnahmen der deutschen Landwirtschaft bedeutungslos, und das nicht nur von der EWG her, sondern seit eh und je. Das hängt damit zusammen, daß sich die Verbrauchergewohnheiten im Laufe der letzten Jahre geändert haben. Sie wissen ganz genau, daß die Gans, vor allem im westlichen Teil, nicht mehr die Bedeutung hat, die sie früher hatte.
Sie haben auch früher nicht an die Gänse gedacht, warum auf einmal jetzt?
Sie haben zweitens davon gesprochen, daß wir hier nicht umfallen sollten. Ich erinnere mich noch an die Verhandlungen in Brüssel vor dem 14. Januar. Es war die Bundesregierung, die in das Paket bereits die Forderung eingebaut hatte, daß sie im Rahmen dieser Verordnung im kommenden Winter eine besondere Herabsetzung der Abschöpfungen beantragen werde. Das gehörte zum Bündel. Nicht wir sind umgefallen, sondern die Bundesregierung hat das bereits vor einem halben Jahr in Brüssel angesprochen.
Und nun eine andere Bemerkung. Wir haben heute die Bundesregierung noch nicht gehört. Die Bundesregierung hat ja im Ernährungsausschuß diese Vorlage verteidigt. Ich bitte daher den Vertreter des Ernährungsministers, hier an dieser Stelle jetzt dazu Stellung zu nehmen, ob sie noch zur Vorlage steht oder ob sie auch bereits umgefallen ist.
Dieser Aufforderung wird offensichtlich nicht entsprochen.
Bitte, Herr Kollege Siemer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da sich die Bundesregierung zu dieser Frage nicht meldet, darf ich vielleicht zu der Vorlage der Bundesregierung noch etwas sagen.Verehrte Frau Kollegin Strobel, Sie haben, wenn ich das so sagen darf, gegen die Brüsseler Beschlüsse gesprochen.
Daher ist es nicht verwunderlich, wenn wir nunmehr einmal gegen die Regierungsvorlage Stellung nehmen.Ich muß das unterstützen, was der Vorredner, Herr Kollege Margulies, gesagt hat. Es geht hier sicherlich nicht nur um die fetten Gänse zu Weihnachten, die wir jeder Hausfrau zu einem möglichst billigen Preis gönnen. Es geht hier doch grundsätzlich darum, ob wir, obwohl wir überhaupt noch keinen Überblick über die Auswirkungen der Brüsseler Beschlüsse haben, beginnen, von uns aus da schon hineinzufunken. Nicht nur die Vorlage der Verordnung über die Herabsetzung der Abschöpfungsbeträge bei Gänsen, sondern auch die Vorlage über die Herabsetzung der Abschöpfungsbeträge bei Hühnern steht auf der Tagesordnung. Ferner ist eine Verordnung über die Herabsetzung bei Eiprodukten in Bearbeitung, und wer weiß, was noch alles kommen wird. Wenn wir nunmehr bei der nicht übermäßig wichtigen Angelegenheit der Herabsetzung des Abschöpfungsbetrages für Gänse beginnen, bringen wir praktisch das durcheinander, was wir als die neue Marktordnung im EWG-Raum gemeinsam beschlossen haben.Sie können doch nicht sagen, Frau Kollegin Strobel, daß durch die Herabsetzung des Abschöpfungsbetrages für Gänse, wenn es auch nur 50 Pf pro Kilo sind, der Markt für die Eigenerzeugung der kleinen und mittleren Landwirte nicht betroffen würde. Abgesehen davon wissen wir aus der Erfahrung der letzten Jahre, daß die Preise ganz anders gebildet werden, und wenn Sie den vorjährigen Preis zugrunde legen, diesen sogenannten Preis, von dem man wirklich sagen kann, daß er für die Geflügelwirtschaft geradezu eine Katastrophe war, dann können Sie allerdings erwarten, daß wir in einigen Jahren überhaupt keine eigene Mästung oder keine eigene Erzeugung mehr haben. Würden wir dies durchführen, so wäre die psychologische Wirkung auf unsere bäuerliche Bevölkerung katastrophal, das muß ich einmal ganz ausdrücklich feststellen.Frau Kollegin Strobel, daß die Regierung mit ihrem Maßhalteprogramm jetzt gerade bei uns Bauern anfangen müßte, entspricht keineswegs den Tatsachen. Wo haben wir stabile Preise? Seit 1950 haben wir auf dem gesamten Preisgebiet landwirtschaftlicher Erzeugnisse fast keine Änderung. Hier
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2114 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Dr. Siemerist das Wort vom Maßhalten wirklich nicht angebracht.
Wenn man sich vergegenwärtigt, meine Damen und Herren, daß wir vor einer strukturellen Krise oder vor einer Umstrukturierung in der Landwirtschaft stehen, wie das Professorengutachten ganz eindeutig nachweist, dann sollte man sich auch entschließen, dem Rat des Finanzministers Dr. Starke zu folgen, der in seiner letzten Haushaltsrede erklärt hat: Unsere Mittel, der Landwirtschaft zu helfen, sind wahrscheinlich schon im nächsten Jahre erschöpft. Wir müssen darauf umschalten, daß wir den Landwirten die entsprechenden Preise bewilligen. Der Finanzminister hat als Beispiel hierfür die Schweiz angeführt. Man kann daraus viele Konsequenzen ziehen. Aber eine Konsequenz müssen wir heute ziehen: Daß wir dort, wo es durchführbar ist, nicht Preisherabsetzungen gegenüber den Brüsseler Beschlüssen fordern. Das wäre ein Schlag ins Gesicht der Landwirte, die infolge der Integration in den EWG-Markt wahrscheinlich in den nächsten Jahren schwer um ihre Existenz ringen müssen.Ich bitte also, die Regierungsvorlage schon deswegen abzulehnen, weil sie einfach nicht in das Gesamtbild unserer neuen marktstrukturellen Maßnahmen, die von Brüssel vorgelegt werden, hineinpaßt. Darum, meine Damen und Herren, geht es hier nicht um die konkrete ad-hoc-Frage, die Gänse zu Weihnachten etwas zu verbilligen — was dem Konsumenten wahrscheinlich gar nicht zugute kommen würde —, sondern es geht um die grundsätzliche Frage, ob wir das gesamte Marktordnungssystem von Brüssel hier durchlöchern und damit die Vertrauensbasis der Landwirte zu einer normalen, echten Regierungspolitik erschüttern.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Strobel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da die Regierung offensichtlich nichts tun will, um ihre eigene Vorlage zu verteidigen, müssen wir uns halt noch einmal melden.
Ich 'wollte Herrn Dr. Siemer darauf aufmerksam machen, daß seine Behauptung, ich wendete mich gegen die Brüsseler Beschlüsse, einfach nicht stimmt. Ich würde Ihnen empfehlen, die Geflügel-Verordnung einmal zu lesen. In Art. 5 der Geflügel-Verordnung steht, daß die Kommission einen Mitgliedstaat ermächtigen kann, die Abschöpfungen zu senken, wenn es — —
natürlich. Warum soll man von einer KannBestimmung nicht Gebrauch machen? Sie ist ein Teil der Verordnung.
Im übrigen beweist die Tatsache, daß Sie, besonders Herr Margulies, die Diskussion einfach mit der Grundsatzfrage führen, sehr deutlich, daß Sie Ihr schlechtes Gewissen — weil Sie die Preise in die
Höhe treiben wollen - hinter solchen Grundsatzfragen verstecken wollen.
Denn mit den wesentlichen Preiserhöhungen für den Verbraucher haben Sie sich gar nicht auseinandergesetzt.
Da ist ein Teil dieser erhöhten Abschöpfungen schon einkalkuliert, nicht allein zu Lasten der Verbraucher, sondern auch zu Lasten der Erzeuger, die wesentlich höhere Futtergetreidepreise zahlen müssen. Ich muß Sie wieder daran erinnern, daß Sie, als wir den Versuch machten, diese Erhöhung der Futtergetreidepreise zu verhindern, nicht mit uns, sondern gegen unseren Antrag, also gegen 'die Erzeuger, gestimmt haben.
Heute wollen Sie sich darauf hinausreden, daß Sie die Erzeuger in Schutz nehmen wollen.
Noch ein Wort zu dem Argument, wenn heute die Senkung der Abschöpfungen beschlossen würde, käme das dem Verbraucher nicht zugute, weil die Importeure sie nicht an die Verbraucher weitergeben würden. Nun, 'das ist einfach eine Behauptung, die man nicht beweisen kann.
Im Gegenteil, meine Damen und Herren, es steht fest, daß sich 'der allergrößte Teil dieser Einfuhren noch in den Zollaufschublagern befindet. Das hat die Regierung in den Ausschüssen berichtet. Es ist klar, daß erst dann, wenn sie jetzt aus den Zollaufschublagern herauskommen, die Abschöpfung draufgegeben wird, und zwar entweder die ermäßigte oder die erhöhte, je nachdem, wie wir heute abstimmen werden, und das wird seine Folgen für den Preis haben.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2115
Das Wort hat der Abgeordnete Bauer .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedaure zutiefst, daß aus diesen so friedlichen Martini- und Weihnachtsgänsen offensichtlich Wahlkampfgänse geworden sind.
Das lassen Sie mich als erstes feststellen. Ich bedaure das um so mehr, als die Martinsgänse längst
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2116 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Bauer
verspeist sind und für die Weihnachtsgänse das Geschäft, mindestens bis zur Kleinhandelsstufe, bereits abgewickelt ist.Hier geht es, Herr Kollege Bading, in der Tat um eine Grundsatzfrage, die der Kollege Margulies und auch mein Kollege Struve schon angesprochen hat, nämlich um die Grundsatzfrage, ob wir uns zu dem Instrument Abschöpfung, das wir hier in diesem Hause gebilligt haben, nun auch bekennen, ob wir der Landwirtschaft, von der wir doch wissen, daß sie bei der Umstellung auf den Gemeinsamen Markt in der EWG mit größeren Schwierigkeiten als die übrigen Partner in unserer Volkswirtschaft zu ringen hat, nun die notwendige Ruhe geben, hier von diesem Hause aus, oder db wir ad hoc von Fall zu Fall, wie es gerade einmal paßt, einmal hü und einmal hott in dieser Entwicklung sagen.
Ich sage nun: diese Landwirtschaft braucht besonders in einer solchen Zeit unsere Unterstützung. Wir müssen uns von diesem Parlament aus zu den Brüsseler Verträgen und zu den daraus entstandenen Verordnungen bekennen und dürfen nicht — ich sage es noch einmal — nachtarocken; denn etwas anderes geschieht doch nicht als nachtarocken.Von Frau Strobel ist gesagt worden: Was bedeutet die Abschöpfung für den Verbraucher und was bedeutet sie für den Erzeuger? Lassen Sie mich doch einmal nur zwei Zahlen nennen. Der Erzeugerpreis lebend ab Hof — und hier bitte ich insbesondere diejenigen herzuhören, die glauben, dem Verbraucher helfen zu wollen und helfen zu sollen; ich habe volles Verständnis dafür — ist von 1955 bis 1960 durchweg zwischen 3 DM und 3,30 DM gelegen. Seit 1961 liegt er um 1 DM niedriger, nämlich bei 2,30 DM, und heuer bei 2,25 DM. Nun stellen Sie dem einmal den Verbraucherpreis gegenüber. Er lag von 1955 an bis 1960 zwischen 4,80 und 5,65 DM, und er lag 1961 bei 5,75 DM. Jetzt liegt er bei 5,80 DM. Ich frage Sie, ob hier in irgendeiner Form der Erzeugerpreis oder etwa die EWG einen Einfluß auf diese jetzige Preisentwicklung genommen hat. Im Gegenteil, der Erzeuger bekommt eine Mark weniger. Er bekommt auch keinen Pfennig, wenn Sie jetzt etwa noch eine Änderung in dieser Richtung treffen. Auch der Verbraucher bekommt nichts. Das ist die andere Seite, Frau Strobel. Ich sage Ihnen noch einmal: die Martinigans ist weg, sie ist verspeist, und die Weihnachtsgans ist weitestgehend im Geschäft abgewickelt. Wenn Sie jetzt etwas tun, dann rütteln Sie auf der einen Seite am Prinzip der Abschöpfung, zum anderen helfen Sie aber weder dem Erzeuger noch dem Verbraucher.
Es ist soviel von der Preisstabilität die Rede gewesen. Haben Sie denn dieser Tage nicht die Zeitungen gelesen? Dort steht, wir in der Bundesrepublik hätten wieder einmal feststellen können, daß wir im ersten Halbjahr gerade auf diesem Sektor unter allen vergleichbaren europäischen Ländern am besten abgeschnitten haben. Gott sei Dank herrscht hier in der Bundesrepublik immer noch die größere Preisstabilität.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schmidt?
Bitte sehr!
Herr Kollege Bauer, wäre es nicht besser, Sie würden sich an die Regierung wenden, die die Vorlage eingebracht hat?
Herr Kollege Schmidt, Sie betonen so oft, daß dieses Parlament souverän sein soll. Wenn wir hier von der Fraktion aus nun einmal der Regierung Widerstand leisten, weil wir es für richtig und notwendig halten, dann sollten Sie uns belobigen, statt uns zu kritisieren.
Frau Kollegin Strobel, Sie haben in geradezu rührender Weise unsere Regierung zu unterstützen versucht. Sie haben in rührender Weise gemahnt, wir sollten doch diese friedlichen Weihnachtsgänse durch unsere böse Politik nun nicht etwa so sehr verteuern. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß wir gar keinen Einfluß mehr auf diese Preisentwicklung nehmen. Ich bitte Sie ebenso herzlich, das doch einmal in aller Ruhe zu prüfen.
Wenn es wirklich so wäre, dann müßte sich immer noch die Frage stellen: Wer ,ist denn eigentlich derjenige, auf den wir mehr Rücksicht nehmen müssen, derjenige, der die Gänse zur Zeit noch züchtet und mästet und diese Arbeit übernimmt, oder derjenige, der in der glücklichen Lage ist, diese Gans verspeisen z14 dürfen?
Das Wort hat der Abgeordnete Margulies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaubte vorhin mich so kurz fassen zu können, um die Angelegenheit der Martini- und Weihnachtsgänse wieder auf die Bedeutung zurückzuführen, die ihr im allgemeinen politischen Geschehen zukommt. Aber nachdem sich jetzt eine große Debatte entwickelt hat, möchte ich doch einige Mißverständnisse beseitigen.Frau Strobel hat mir vorgeworfen, daß ich aus schlechtem Gewissen auf dem Prinzip herumreite. Nun sehe ich noch nicht recht ein, wieso es abträglich ist, einmal an einem Prinzip festzuhalten. Hier geht es aber noch um ein wesentlich bedeutsameres Prinzip, meine Damen und Herren. Es handelt sich darum, ob wir dulden wollen, daß der Staat jederzeit mit Maßnahmen in den Wirtschaftsablauf eingreift, oder ob wir der Meinung sind, wie wir Freien Demokraten, daß der Staat das nicht tun darf. Dieses Beispiel hier ist so wunderschön, wie man zum falschesten Zeitpunkt mitten in den Geschäftsablauf
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2117
Marguliesmit einer Maßnahme hineinplatzen kann, daß wir schon aus diesem Grunde die Vorlage ablehnen müssen.Ich habe aber auch nicht gesagt, die Importeure würden eine Senkung der Abschöpfungssätze nicht weitergeben. Das hört man zwar gelegentlich, aber wenn man überhaupt das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft erkannt hat, weiß man, daß es darin liegt, daß solche Preissenkungen einfach durch den Wettbewerb erzwungen weitergegeben werden. Daran kann überhaupt kein Zweifel sein.Hier geht es darum, daß in dieser Saison, die von Anfang November bis Mitte und Ende Dezember läuft, der größte Teil des Geschäfts bereits abgewickelt ist. Wenn wir jetzt mit dieser Maßnahme hineinplatzen, bringen wir die Leute, die die Ware schon durchgeschleust haben, die schon abgemeldet haben, in ein großes Durcheinander hinein. Das ist der Grund, weshalb ich mich jedenfalls dafür einsetze, der Ausschußvorlage zuzustimmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Baade.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie wissen, ich spreche selten in diesem Hause im Plenum und spreche nur, wenn ich das Gefühl habe, daß hier etwas sehr Prinzipielles zur Diskussion steht. Verschiedene Redner aus der CDU und auch Herr Margulies haben die Behauptung aufgestellt, das Prinzip des Schutzes der deutschen landwirtschaftlichen Märkte würde in Frage gestellt, wenn wir die Abschöpfungssätze für Gänse senkten. Meine Damen und Herren, die Konstruktion, die wir zum Schutz der deutschen Landwirtschaft errichtet haben, ist eine elastische Abschirmung gegenüber den Weltmärkten. Sie besteht im Prinzip der Abschöpfung. Ich darf hier sagen — und ich glaube, das wird nicht als eine Anmaßung empfunden werden —, daß ich mich zwar nicht als den Vater, aber mindestens als den Großvater dieser Konstruktion betrachten kann. Wir haben vor einem Vierteljahrhundert in der Weimarer Republik jahrelang darum gekämpft, das Prinzip der starren Zölle durch ein elastisches Instrument zu ersetzen, das wir heute die Einfuhrschleuse nennen. Ich war in der Weimarer Republik der Vorkämpfer für dieses Instrument, und es ist für mich eine leise Genugtuung, festzustellen, daß sich dieses Prinzip als das grundlegende Konstruktionsprinzip des landwirtschaftlichen Preisschutzes seither nicht nur in Deutschland, sondern in fast allen Ländern der Welt durchgesetzt hat und daß es auch das Prinzip des landwirtschaftlichen Markt- und Preisschutzes im größeren Europa sein wird: die Abschöpfung.
Wenn man sich aber zu diesem Prinzip bekennt und wenn man begriffen hat, daß angesichts der chaotischen Entwicklung auf den Weltmärkten der heimische Markt — sei es nun der kleine deutsche Markt oder der große europäische Markt — nicht durch starre Zölle, sondern nur durch eine elastische Abschirmung oder durch ein Schleusensystem mit der Möglichkeit der Erhöhung oder der Verringerung der Abschöpfung geschützt werden kann, so muß man einsehen, daß das, was hier Kollege Margulies und Kollege Struve gesagt haben, einfach nicht stimmt. Das Prinzip dessen, was wir in jahrzehntelanger mühsamer Arbeit aufgebaut haben — das darf ich wirklich aus eigener Erfahrung berichten —, besteht in der Elastizität und nicht in der Starrheit. Wenn die Situation eine Erhöhung des Schleusenniveaus verlangt, dann muß die Erhöhung eintreten, und wenn die Situation für eine Senkung des Schleusenniveaus spricht, so muß die Senkung eintreten. Nur dadurch wird das Prinzip der elastischen Abschirmung gewahrt.
Infolgedessen möchte ich insbesondere an die, Kolleginnen und Kollegen in der CDU und in der FDP appellieren, die sich noch überlegen, wie sie in dieser Frage abstimmen sollen. Ich freue mich, daß wir doch immer noch ein Haus mit denkenden Männern und Frauen haben. Ich möchte mich an sie wenden: stimmen Sie in diesem Falle für eine Ermäßigung der Abschöpfung! Dem Prinzip des elastischen Systems tragen Sie damit in der besten Weise Rechnung.
Herr Kollege Professor Baade, gestatten Sie noch eine Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Dresbach?
Bitte!
Ich möchte mich an der Weihnachtsgänse-Schnatterei nicht beteiligen. Aber ich wollte mal bei Ihnen Weisheit schöpfen. Wie kommt das Wort „Abschöpfung" eigentlich zustande? Man muß doch was draufzahlen.
Dann ist das Wort „Abschöpfung" doch eine contradictio in adjecto. Wenn Sie das auch erfunden haben, Herr Professor, dann brauchen Sie nicht stolz darauf zu sein.
Sehr richtig! Herr Dresbach, darf ich Ihnen gleich darauf antworten. Die Erkenntnis des Prinzips der Abschöpfung hat sich bei uns langsam gedanklich entwickelt. Zunächst — ich sprach von der Weimarer Republik — war die gesamte Landwirtschaft überzeugt, daß nur ein starrer und möglichst hoher Zoll ihr nützen könne, bis wir sie mühsam davon überzeugt haben, daß der Aufschlag auf die Weltmarktpreise je nach der Situation verschieden hoch sein müsse. In dem Begriff „Abschöpfung", lieber Herr Kollege Dresbach, liegt nicht nur die Möglichkeit, immer möglichst viel abzuschöpfen, sondern auch die Möglichkeit, manchmal ein bißchen weniger abzuschöpfen.
Darf Herr Kollege Struve noch eine Zwischenfrage stellen?
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2118 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Sichel.
Herr Kollege Baade, sind Sie der Auffassung, daß bei Befolgung Ihrer Empfehlung die schon im Sinken begriffene deutsche Produktion im nächsten Jahr angeregt wird?
Herr Kollege Struve, die Gans ist in Deutschland ein komischer Vogel geworden. Ich erinnere an das Wort von Fritz Reuter: „De Gans is en narrischer Vogel, en tom Fröhstöck is nick naugh, un eet man twee en Beeten groot, verdarft man sick dat Middagbrood." Sie ist auch ein merkwürdiger Vogel in dem Sinne geworden, daß der größere Teil der Gänseproduktion in Deutschland heute der landwirtschaftlichen Selbstversorgung und der Versorgung eines mit dem Lande sehr fest verwachsenen Teiles der Bevölkerung dient, während die Versorgung der großen Märkte heute ganz überwiegend über die Einfuhr geht. Ich bin mit Ihnen einer Meinung, Herr Struve, daß das keine erwünschte Entwicklung ist. Wir wünschen, daß sich die deutsche Landwirtschaft in stärkerem Maße an der Belieferung der großen Märkte auch mit Gänsen beteiligt. Aber wenn Sie das erreichen wollen, müssen Sie unseren Vorschlägen folgen und die Futtergetreidepreise senken und nicht die Gänse verteuern.
Noch eine Frage des Abgeordneten Struve!
Darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie also der deutschen Gänseproduktion keine Chance geben möchten, den alten Stand wieder aufzuholen?
Herr Struve, ich gebe der deutschen Gänseproduktion eine Chance, weil ich die Hoffnug nicht aufgegeben habe, daß man für eine konstruktive Agrarpolitik einschließlich der Futtergetreidepolitik auch in Ihren Kreisen Mitstreiter finden kann.
Das Wort hat der Abgeordnete Unertl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das spricht eigentlich doch dafür, daß der Niederbayer auch auf der linken Seite des Hauses willkommen geheißen wird.
Wir sollten dieses Thema zum Abschluß bringen. Halten wir uns doch vor Augen, daß wir heute den 14. November im Kalender verzeichnen. Aus der Praxis im Außenhandelsausschuß wissen wir, daß selbst bei Finanzzöllen die rückwirkende Anwendung von gesenkten Zollsätzen niemals den Verbrauchern dient. Das haben wir immer wieder erlebt. Bei der Rückzahlung bereits gezahlter Zölle gibt es Preisvorteile und -nachteile, die niemals dem Erzeuger und dem Verbraucher zugute kommen können. Auf Grund dessen möchte ich sagen, daß der Zug abgefahren ist und wir über etwas reden, was vor einem halben Jahr am Platz gewesen wäre.Die Argumente dafür und dagegen sind bereits so oft vorgetragen worden, daß ich es mir ersparen möchte, das Gesagte zu wiederholen.
Ich möchte nur darum bitten, gelten zu lassen, daß es in allen Fraktionen Sprecher für die eine wie die andere These gibt. Frau Strobel, Sie dürfen es mir abnehmen: ich bin Ihnen gar nicht böse, wenn Sie im Bundestag den Verbraucher mehr in Ihr Herz schließen als draußen in den Versammlungen bei unseren kleinbäuerlichen Wählern.
Meine Damen und Herren von der SPD, ich nehme Ihnen das gar nicht übel. Hier geht es nun einmal darum, daß wir den Großen nicht etwas geben sollten, wie Herr Struve sagte. Ich komme doch aus dem Bayerischen Wald. Ich kenne meine kleinen Bauern im Vilstal, ich kenne die kleinen Bauern und Landwirte in der Rhön. Ich denke an all die Bauern in den kleinbäuerlichen Gebieten, derer Sie sich gerade jetzt in Bayern so warm annehmen. Deswegen seien Sie doch jetzt mit uns so freundlich und geben Sie zu, daß bereits viel besser und treffender als der Niederbayer Unertl meine Vorredner hier gesagt haben, daß alles zu spät sei. Wenn wir die Abschöpfungsbeträge senken würden, hätte auf Grund der Tatsache, daß die Vielzahl der Gänse, die Martini- und Weihnachtsgänse bereits, wie gesagt, in den Läden sind, beim Einzelhandel genauso wie beim Konsumverein, in der Zwischenstufe niemand mehr den Nutzen davon, auch nicht der Verbraucher, sondern nur der Importeur, der beim Einkauf die Höhe der Abschöpfung kannte und entsprechend kalkuliert hat.Frau Strobel, ich weiche Ihrer Frage nicht aus, ohne jetzt einen Spannenkrieg und eine Debatte über Spannen herbeiführen zu wollen. Sie wissen ganz genau, was ich im Außenhandelsausschuß geantwortet und gesagt habe: Das Ausweichen auf andere von mir angeführte Lebensmittel, z. B. Rindfleisch, ist möglich, wir wissen aber, daß Löhne und soziale Belastungen, Versicherungsbeiträge und Strompreise und alles miteinander für den höheren Preis eine Rolle spielen; das ist nicht neu. Aber über dieses Thema können wir uns ein anderes Mal unterhalten.Heute möchte ich zum Schluß nur eines sagen. Gehen gerade Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei, die Sie sich immer so sehr um die kleinbäuerlichen Familien und die Familienbetriebe bemühen, mit uns und lassen Sie uns die Ausschußvorlage zum Tragen bringen. Es geht gar nicht darum, ob wir eine Regierungsvorlage verteidigen oder ablehnen. Hier hat der Bundestag auf Grund der Tatsache zu entscheiden, daß wir uns das Gesetz gegeben haben, selbst mitzure-
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Unertlden, wenn aus Brüssel die Änderung von Abschöpfungssätzen auf uns zukommt. Hier haben wir als Parlament die Mitsprachemöglichkeit, und da reden wir auch mit.Es wurde auch kurz die Frage der zu hohen Futtergetreidepreise angeschnitten. Ich habe im Außenhandelsausschuß gesagt und wiederhole es hier: Gerade das Sinken der Großviehpreise durch die forcierte Bullenmast hat gezeigt, wie schwierig und wie empfindlich dieser Markt und die Veredelungsproduktion sind. Wir wissen, daß dann, wenn wir Ihrem Antrag stattgeben würden, nämlich die Futtergetreidepreise zu senken, das Schreckgespenst aufkäme, von dem uns draußen überall ebenfalls vorerzählt wird, daß die Veredelungsproduktion dann industriell gemacht würde und die bäuerliche Veredelung aufhören müßte.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schmidt ? —
Glauben Sie denn, daß Sie mit Gänsen die Ochsen retten können?
Ja. Aber umgekehrt, lieber Herr Kollege Schmidt, haben die Gänse noch nicht die Bedeutung wie der Ochse. Im Prinzip hat der Ochse jedoch aufgehört, selbst als Gespannvieh; er ist vom Traktor ersetzt. Aber die Gänsemast wollen wir den kleinen Bauern und Landwirten erhalten. Darum bitte ich, dem Beschluß des Ernährungsausschusses zu folgen und die Ausschußvorlage anzunehmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Deist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige wenige kurze Bemerkungen, weil ich meine, diese Debatte ist ein Symptom für eine Haltung zu grundsätzlichen wirtschaftspolitischen Fragen, die nicht in interessanten und netten Unterhaltungen, die hier teilweise gepflogen worden sind, untergehen darf.
Zunächst einmal eine Feststellung. Einer der Herren Vorredner hat gemeint, wir dürften das grundsätzliche Bild der EWG-Konstruktion und dessen, was sich daraus ergebe, nicht verwischen, sondern sollten uns dazu bekennen. Meine Damen und Herren, das ist eine ganz gefährliche und irreführende Formulierung. Die Futtergetreidepreispolitik und ihre Auswirkungen auf die Veredelungswirtschaft haben mit den Grundsätzen der EWG-Politik nichts, aber alles mit der hier im Bundestag verfolgten Politik der Mehrheitsparteien zu tun.
Diejenigen Damen und Herren, die in ihren Fraktionen für europäische Gesinnung und für die Verwirklichung europäischer Gedanken wirken, sollten sich fragen, ob sie es zulassen können, daß auf diese völlig ungerechtfertigte Weise Inhalt und Tendenzen der europäischen Politik diffamiert werden.
Eine zweite Bemerkung. Der Herr Bundeswirtschaftsminister und die Bundesregierung gehen landauf, landab mit der Parole, das Preisniveau müsse stabilisiert werden. Es ist nicht uninteressant, diesen Gesichtspunkt in den Vordergrund zu rücken. In den Durchführungsgesetzen zur Agrarpolitik haben Sie Bestimmungen über die Handelsspanne getroffen, die auf der einen Seite ganz zweifellos zu Preiserhöhungen führen müssen, während sie auf der anderen Seite dem Erzeuger überhaupt nicht zugute kommen.
Heute legt Ihnen die Regierung eine Vorlage vor, die verhüten will, daß die durch Ihre Beschlußfassungen bedingten Preiserhöhungen in einem gewissen Ausmaß wieder beseitigt werden. Ich nehme an, die Bundesregierung hat ihre Gründe und weiß entgegen Ihren Darlegungen, daß das bäuerliche Interessen gar nicht entscheidend beeinträchtigt. Trotzdem nehmen Sie hier eine Haltung ein, die weitere Preiserhöhungen zur Folge hat.
Lassen Sie mich eines sagen, meine Damen und Herren. Die Wirklichkeit ist nach allen Feststellungen so, daß sich die Gänse heute noch in den Zolllägern befinden und infolgedessen eine Beschlußfassung entsprechend der Vorlage der Bundesregierung dafür sorgen würde, daß den Familien zu Weihnachten billigere Gänse zur Verfügung stehen.
Eine dritte Feststellung betrifft das Verhalten der Regierung. Wir haben es hier mit einer Frage zu tun, die doch wohl irgendwie mit dem Problem der Preisstabilisierung zusammenhängt. Wir stellen fest, daß zu diesem Punkt der Tagesordnung der Bundeswirtschaftsminister nicht erschienen ist, auch kein Vertreter seines Ministeriums.
Wir stellen weiter fest, daß der Bundesernährungsminister zwar durch seinen Staatssekretär vertreten ist, daß aber niemand von der Regierung einschließlich des Staatssekretärs des Bundesernährungsministers trotz unserer Aufforderung den Mut gefunden hat, die eigene Vorlage hier im Bundestag zu vertreten.
Meine Damen und Herren, Sie können sich nicht wundern, wenn die Öffentlichkeit daraus die Schlußfolgerung zieht, daß die Bekenntnisse der Bundesregierung zur Preisstabilität nicht immer ernst zu nehmen sind.
Das Wort hat der Abgeordnete Ertl.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sie sehen, wie in Wahl-
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Ertlkampfzeiten sogar Gänse zu Wahlgänsen werden können. Wir sind aus einer Gänseschlacht in eine Grundsatzschlacht eingetreten. Ich möchte nur noch zu zwei grundsätzlichen Fragen Stellung nehmen.Mit Recht wurde von Herrn Professor Baade betont, daß es bei der Abschöpfung um die Elastizität gehe. Ich möchte aber betonen, es geht auch darum, die heimische Landwirtschaft zu sichern. Die Elastizität darf nicht im Ausgangspunkt einer Agrar- und Wirtschaftspolitik stehen, die den landwirtschaftlichen Betrieb in der Produktion hemmt anstatt fördert. Wir sehen deshalb in der Abschöpfung ein Instrument, die heimische Landwirtschaft und ihre Produktion zu sichern.Bei der Behandlung der EWG-Gesetze und des anstehenden Problems wurde immer wieder betont, daß die deutsche Landwirtschaft sich sehr auf die Veredelungsproduktion einstellen sollte. Wir haben in diesem Hause immer wieder gehört, gerade auch von den Kolleginnen und Kollegen der linken Seite, wie notwendig die Erhaltung eines Kleinbauerntums ist. Die Gänsehaltung spielt für die Kleinbauern nicht zur Selbstversorgung, sondern für ihre wirtschaftliche Existenz immer noch eine Rolle, und wir sollten ihnen für die Zukunft ein Chance auf diesem Sektor erhalten. Das ist eine sehr soziale Politik und vor allen Dingen ein echtes Ja für die Kleinbauern.Wir sollten uns hüten, durch Experimente auf dem Sektor der Abschöpfung die Unsicherheit, die nicht nur die Verbraucher, sondern in noch weit höherem Maße auch die Erzeuger ergriffen hat, zu vergrößern. Wir sollten den Erzeugern demonstrieren — das ist die Meinung meiner Fraktion —, daß wir an einer stabilen Agrarpolitik festhalten und nicht von heute auf morgen auf Experimente ausweichen, die letzten Endes dem Erzeuger und dem Verbraucher nichts bringen.Die Martinsgans ist verzehrt, und ich bin felsenfest überzeugt, auch die Weihnachtsgans wird auf dem Markt nicht so sehr eine Rolle spielen. Ich möchte aber feststellen, daß die Wirtschaftspolitik, die wir seit 1949 mitgestaltet haben — und die Freien Demokraten sind stolz darauf —, immerhin dazu geführt hat, daß die Gans der Weihnachtsschmaus des kleinen Mannes geworden ist. Wir haben es gottlob recht weit gebracht, eine große soziale Tat! Das sollten wir anerkennen und sollten dabei nicht vergessen, daß es auch um die Gerechtigkeit geht.Wir wollen den einheimischen Markt in dieser Form für unsere Kleinbauern erhalten und ihnen sogar eine Ausweitungschance geben, und zwar zu Lasten der Importe aus dem Ostblock. Auch das ist eine vernünftige Agrarpolitik.In zehn Tagen ist in Bayern gewählt, und die Weihnachtsgans ist für alle vergessen.
Ich möchte meinen, nachdem hier soviel über die Gänse geredet, beinahe hätte ich gesagt, geschnattert worden ist: das Capitol ist gerettet, der Bundestag ist gerettet! Lassen Sie es bei der Lösung, die wir vorschlagen, nämlich die Regierungsvorlageabzulehnen, und Sie tun der Agrarpolitik einen guten Dienst!
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Reinhard.
— Dann der Abgeordnete Dr. Siemer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde Ihre Zeit nicht lange in Anspruch nehmen! Aber ich muß zwei Behauptungen und Erklärungen schärfstens widersprechen, weil sie nicht stimmen.
Herr Dr. Deist, Sie haben gesagt, die Abschöpfungsherabsetzung werde von der Regierung gemacht, weil wir eine falsche, wenn ich so sagen darf, Getreidepreispolitik betrieben hätten. Diese Herabsetzung der Abschöpfung wird ja nicht vorgenommen, weil zur Zeit die Futtergetreidepreise gestiegen sind, sondern die Abschöpfungserrechnungen sind von Brüssel vorgenommen worden zu einer Zeit, als die Getreidepreissteigerungen auf dem Futtermittelsektor überhaupt noch nicht bekannt waren. Es ist also wohl irrig, anzunehmen, daß diese Herabsetzung deswegen erfolgt, weil zur Zeit die Futtergetreidepreise steigen.
Zweitens möchte ich Herrn Professor Baade etwas sagen. Herr Kollege Professor Baade, Sie haben gesagt, die Abschöpfung sei elastisch.. Bis zur Vollendung der EWG-Gemeinschaft im Markt stehen uns noch sieben Jahre zur Verfügung. Die Vollendung aber hat gerade zur Voraussetzung, daß die Abschöpfungsbeträge jährlich abgebaut werden. Man kann also doch den Fall ad hoc nicht dazu benutzen, der landwirtschaftlichen Veredelungsproduktion vor der Zeit Schäden zuzufügen. Wie soll sie sich in den Gemeinsamen Markt einbauen, wenn wir die Abschöpfungen, deren Herabsetzung pro Jahr im Vertrag vorgesehen ist, vorwegnehmen? Daß die Abschöpfungen elastisch sind, ist eine Selbstverständlichkeit; sonst brauchte man sie nicht vorzunehmen. Sie sind ein Übergang zum Gemeinsamen Markt. Aber jetzt vorweg den Bauern dadurch Schaden zuzufügen, daß man von der Kann-Bestimmung Gebrauch macht, das liegt — das möchte ich auch den Hausfrauen sagen — doch nicht in unserem Interesse. Vergegenwärtigen wir uns doch, daß zur Zeit in Deutschland 22 Milliarden DM für Rauchmittel und Alkohol ausgegeben werden. Bei dem kleinen Mann, der die Gänse aufzieht, will man wegen 50 Pf feilschen. Ich bin der Auffassung, daß das eine Inkongruenz in unserem Denken ist, die wir uns nicht leisten können.
Es liegen keine Wortmeldungen mehr vor. Wir kommen zur Abstimmung.
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Vizepräsident SchoettleIch lasse abstimmen über die Verordnung, die dem Hause vorliegt.
— Nein, meine Damen und Herren,
— Die Verordnung ist dem Hause vorgelegt mit dem Ersuchen um Zustimmung. Das ist der Antrag, über den das Haus zu entscheiden hat. Ich lasse abstimmen. Wer der Verordnung der Regierung — Drucksache IV/703 — zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? Das Ergebnis ist offen. Wir können im Präsidium nicht feststellen, welches die Mehrheit ist. -Ich bitte, die Abstimmung durch Aufstehen zu wiederholen. Wer zustimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Eine Enthaltung. Das Präsidium kann sich nicht einigen. Es muß durch Hammelsprung entschieden werden. Ich bitte, den. Saal zu verlassen. —Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Mit Ja halben gestimmt 187 Abgeordnete, mit Nein 179.
Ein Abgeordneter hat sich der Stimme enthalten. Das Haus hat also der Vorlage der Regierung zugestimmt.Wir fahren in der Beratung fort. Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Fünften Gesetzes über die Anpassung der Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen aus Anlaß der Veränderung der allgemeinen Bemessungsgrundlage für das Jahr 1962 (Drucksache IV/702)b) Beratung des Berichts der Bundesregierung über die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie die Veränderungen des Volkseinkommens je Erwerbstätigen und über die Finanzlage der gesetzlichen 'Rentenversicherungen (Drucksache IV/641)c) Beratung der versicherungstechnischen Bilanzen der Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestellten für den 1. Januar 1959, des Gutachtens des Sozialbeirats und des Berichts der Bundesregierung hierzu .Das Wort zur Begründung des Entwurfs der Bundesregierung unter Punkt 2 a der Tagesordnung hat der Herr Bundesminister für Arbeit.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung legt — ihrer Verpflichtung gemäß — den Sozialbericht 1962 vor, in dem über die Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und der Produktivität sowie die Veränderung des Volkseinkommens je Erwerbstätigen in dem vorausgegangenen Kalenderjahr und über die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung berichtet wird. Der Aufbau des Sozialberichts folgt dem bewährten Schema: In Teil A wird über die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik im Jahre 1961 mit einem Ausblick auf die Jahre 1962 und 1963 berichtet. Der Teil B enthält die Darstellung der Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung. In Teil C sind die Schlußfolgerungen gezogen, die sich im Hinblick auf eine Rentenanpassung aus den Teilen A und B ergeben.Ich möchte nicht die einzelnen Daten des Berichts vortragen. Aber wichtig sind die Schlußfolgerungen aus dem erarbeiteten Zahlenmaterial. Auf sie möchte ich näher eingehen. Was die Daten selbst betrifft, so verweise ich auf den schriftlichen Bericht.Zunächst zur Finanzlage. im Sozialbericht 1961 ist vorausgeschätzt worden, daß außer der damaligen4. Rentenanpassung ohne Unterschreitung des vorgeschriebenen Rücklagesolls in der Rentenversicherung der Arbeiter mit Sicherheit noch einmal, wahrscheinlich sogar zweimal und in dier Rentenversicherung der Angestellten noch zweimal angepaßt werden könnte. Die Entwicklung der Beitragseinnahmen ist — ich stelle es mit Freude fest - auch diesmalwieder günstiger verlaufen, als in unseren Vorausschätzungen angenommen wurde. Die Gründe sind: einmal die Erhöhung der Löhne und Gehälter, zum anderen der Zuwachs an Beitragszahlern durch die wachsende Zahl der ausländischen Arbeiter. Die darauf beruhenden Mehreinnahmen erlauben, die Vorausschätzungen weiter zu verbessern, so daß die Folgerungen, die im .Sozialbericht 1961 getroffen wurden, jetzt erst recht mit noch größerer Sicherheit gezogen werden können. Es kann also außer der5. Rentenanpassung noch die 6. Rentenanpassung durchgeführt werden, ohne das Idas Rücklagesoll am 31. Dezember 1966 unterschritten wird.Die Bedeutung der Überschüsse der letzten Jahre, so erfreut wir darüber sind, darf jedoch nicht überschätzt werden. Ich werde auf die damit zusammenhängenden Fragen noch im einzelnen eingehen. Aber schon an dieser Stelle möchte ich auf folgendes hinweisen: für das Jahr 1962 ist im Sozialbericht 1962 ein Überschuß der Einnahmen über die Ausgaben von je 800 Millionen DM in der Rentenversicherung der Arbeiter und in der Rentenversicherung der Angestellten vorausgeschätzt worden. Die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung wird aber nicht nur durch die derzeitigen KassenÜberschüsse bestimmt, sondern auch durch die künftige Entwicklung der Ausgaben und der Einnahmen. Die Entwicklung der Ausgaben und der Einnahmen wiederum hängt von der Entwicklung der Anzahl der Rentner und der Anzahl der Beitragszahler ab.Dazu haben nun die ersten versicherungstechnischen Bilanzen festgestellt, daß sich das Verhältnis der Anzahl der Rentner zur Anzahl der Beitragszahler in den nächsten Jahren ständig vergrößern wird. Während 1960 auf 100 Pflichtversicherte der Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten 37 Versichertenrentner und Witwenrentner
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2122 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Bundesarbeitsminister Blankkamen, werden 15 Jahre später auf 100 Pflichtversicherte 48 Versichertenrentner und Witwenrentner kommen. Der Grund dafür ist, daß die besonders starken Geburtsjahrgänge zwischen 1900 und 1914 im Laufe der beiden nächsten Jahrzehnte von Beitragszahlern zu Rentnern werden und daß in die Gruppe der Beitragszahler immer mehr die schwächeren Geburtsjahrgänge seit dem ersten Weltkrieg hineinwachsen. Wenn sich aber das Verhältnis der Anzahl der Rentner zur Anzahl der Beitragszahler erhöht, wird sich auch das Verhältnis der Ausgaben zu den Einnahmen stark zu den Ausgaben hin verschieben. Diese Überlegungen muß man zusätzlich zu der Betrachtung der derzeitigen Kassenüberschüsse der gesetzlichen Rentenversicherung anstellen, wenn man sich zutreffend über die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung unterrichten will.Die zweite Frage, vor der wir stehen, ist, wie sich die diesjährige Rentenanpassung in den Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung einfügt. Der Sozialbeirat hat sich im Hinblick auf die gegenwärtige wirtschaftliche und konjunkturelle Lage in der Bundesrepublik nicht zu einer 'konkreten Empfehlung entschließen können. Ihrer Verpflichtung eingedenk, mit allen Kräften auf die Stabilisierung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts hinzuwirken, hat die Bundesregierung die diesbezüglichen Erwägungen des Sozialbeirats besonders sorgfältig gewürdigt. Sie verkennt nicht das Gewicht der konjunkturpolitischen Argumente, glaubt jedoch, ihren Vorschlag zur vollen Rentenanpassung auf folgende Tatsachen stützen zu können.Für die Auswirkungen der Rentenanpassung auf die Wirtschaft sind neben der voraussichtlichen Konjunktursituation im Zeitpunkt der Rentenerhöhungen vor allem die Höhe und die Verwendungsart der Anpassungsbeträge von Bedeutung. Die Anpassung der laufenden Renten an die allgemeine Bemessungsgrundlage des Jahres 1962 mit Wirkung vom 1. Januar 1963 an erfordert einen Jahresbetrag von 1070 Millionen DM. Aus verwaltungstechnischen Gründen kommt die erste volle Monatsrate der Anpassung erst im März 1963 zur Auszahlung. Die weiteren Raten verteilen sich über das ganze Jahr 1963. Der Gesamtaufwand von rund 1 Milliarde DM tritt daher nicht mit einem Schlag als Nachfrage in Erschienung, verteilt sich vielmehr über einen längeren Zeitraum, wobei wir aus Erfahrung wissen, daß ein Teil davon, wie auch bisher, gespart wird. Die Belastung, die sich für die Wirtschaft ergibt, wird also ohne nachteilige Folgen bleiben, wenn es unseren Anstrengungen um die Stabilisierung des wirtschaftlichen Gleichgewichts gelingt, die Ansprüche an das Sozialprodukt in den Grenzen seiner realen Steigerung zu halten.Die Rentenanpassungen sind ungeachtet ihrer Verflechtung mit den gesamtwirtschaftlichen Vorgängen in erster Linie ein sozialpolitisches Problem, und sozialpolitische Gründe sind es auch, die für die Bundesregierung den Ausschlag gegeben haben, auch diesmal wieder die volle Rentenanpassung vorzuschlagen. Sie befindet sich insoweit im Einklang mit dem Sozialbeirat; denn auch dieser hat erklärt, daß im Hinblick auf die Entwicklung der sonstigenEinkommen eine Anhebung der Bestandsrenten gerechtfertigt erscheint.Von der sozialpolitischen Seite her gesehen hat sich aber auch in diesem Jahr wieder die Frage nach einer nachholenden Rentenanpassung gestellt. Über ihre sozialpolitische Rechtfertigung besteht kein Zweifel. Auch der Sozialbeirat hat erklärt, daß eine nachholende Anpassung aus sozialpolitischen Gründen zu rechtfertigen wäre. Im Hinblick auf die Finanzlage sowie die derzeitigen wirtschaftlichen und konjunkturellen Gegebenheiten hat er jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt von ihr abgeraten. In Übereinstimmung mit ihm hat die Bundesregierung von einem Vorschlag abgesehen, die unterlassene Anpassung ganz oder zum Teil nachzuholen.Hierzu ist im einzelnen zu sagen: Durch die Anpassung der Renten um rund 6,6 v. H. erwachsen den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherungen Mehraufwendungen, wie ich bereits sagte, in Höhe von über einer Milliarde DM für das Jahr 1963. Würde man ab 1. Januar 1963 die nachholende Anpassung durchführen, so würden sich die Mehraufwendungen um etwa 1,5 Milliarden DM auf etwa 2,6 Milliarden DM erhöhen, von denen 1530 Millionen DM auf die Rentenversicherung der Arbeiter, 755 Millionen DM auf die Rentenversicherung der Angestellten und 305 Millionen DM auf die knappschaftliche Rentenversicherung entfallen würden. Der zusätzliche Mehrbedarf bei nachholender Anpassung in Höhe von insgesamt 1,5 Milliarden DM würde, soweit er mit 900 Millionen DM auf die Rentenversicherung der Arbeiter und mit 440 Millionen DM auf die Rentenversicherung der Angestellten entfällt, von den Trägern dieser Rentenversicherungen zu tragen sein, soweit er mit 180 Millionen DM auf die knappschaftliche Rentenversicherung entfällt, vom Bund zu übernehmen sein. Die Kosten einer nachholenden Rentenanpassung im Jahre 1963 sind also, mindestens in der Rentenversicherung der Arbeiter, von derselben Größenordnung wie die gesamten für das Jahr 1962 vorausgeschätzten Überschüsse der Einnahmen über die Ausgaben, die, wie ich bereits sagte, etwa 800 Millionen DM betragen dürften. Bei nachholender Rentenanpassung würde also bereits 1963 die Vermögensbildung der Versicherungsträger sehr beeinträchtigt, wenn nicht überhaupt gedrosselt werden.Noch ernster wird das Bild, wenn man wieder an die künftige Entwicklung der Ausgaben und der Einnahmen in den Rentenversicherungen denkt. Ich sagte vorhin, daß in den nächsten Jahren die Ausgaben der Rentenversicherungen im Verhältnis zu den Einnahmen außerordentlich ansteigen werden. Diese nicht sehr erfreuliche Zukunftsaussicht wird dadurch gemildert, daß wenigstens zur Zeit noch die Einnahmen beträchtlich über den Ausgaben liegen. Baut man aber den derzeitigen Einnahmeüberschuß durch eine nachholende Anpassung ab, so rückt der Zeitpunkt, an dem die Ausgaben der Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten über die Einnahmen hinauswachsen, erheblich näher.Bei der knappschaftlichen Rentenversicherung ist zu beachten, daß die zusätzlichen Mehraufwendungen für eine nachholende Anpassung in Höhe von
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Bundesarbeitsminister Blank180 Millionen DM im Jahre 1963 vom Bund übernommen werden müßten. Die äußerst angespannte Haushaltslage des Bundes ist bekannt. Es ist ausgeschlossen, den Bund neben den Mehraufwendunden in Höhe von 125 Millionen DM, die im Jahre 1963 durch die Rentenanpassung in der knappschaftlichen Rentenversicherung nach dem Gesetzentwurf ohnehin auf ihn zukommen werden, noch, mit zusätzlichen Mehraufwendungen von 180 Millionen DM zu belasten, für die keine Deckung geschaffen werden kann.Zu einer teilweisen nachholenden Anpassung, etwa um 4 v. H., möchte ich bemerken, daß sich der finanzielle Aufwand hierfür auf über 1,8 Milliarden DM erhöhen würde. Selbst wenn man vom Vermögensstand der Versicherungsträger zum 31. Dezember 1962 ausgeht, wie er sich aus dem Sozialbericht 1962 ergibt, und für die Entgeltsentwicklung an Stelle der Annahmen in den Bilanzen die tatsächlichen Zahlen für 1961 und 1962 setzt, so zeigt sich, daß bereits am Ende des 1. Deckungsabschnitts bei einer solchen teilweisen nachholenden Anpassung das Rücklagesoll erheblich unterschritten würde. Im nächsten Deckungsabschnitt müßten dann diese Fehlbeträge durch weitere zusätzliche Einnahmen gedeckt werden.Der Gesetzentwurf des Fünften Rentenanpassungsgesetzes, der gleichzeitig vorgelegt wird, schließt mit seinen Regelungen an die bisherigen Rentenanpassungsgesetze an. Er sieht eine Erhöhung sämtlicher Renten, die auf Versicherungsfällen beruhen, die im Jahre 1961 oder früher eingetreten sind, um 6,6 v. H. vor, d. h. um den Vomhundertsatz, um den die allgemeine Bemessungsgrundlage für die im Jahre 1962 neu zugegangenen Renten gegenüber dem Vorjahre erhöht worden ist. Das technische Verfahren der Anpassung wird den Versicherungsträgern nicht vorgeschrieben. Es wird nur noch das Ergebnis bestimmt, das durch die Anpassung erreicht werden soll. Die Masse der anzupassenden Renten kann wie in den vergangenen Jahren von den Rentenrechnungsstellen der Bundespost mit Hilfe elektronischer Rechengeräte umgerechnet werden, ohne daß die Versicherungsträger dabei tätig werden müssen.Auch von 1961 auf 1962 hat sich die Beitragsbemessungsgrenze in den Rentenversicherungen der Arbeiter und der Angestellten erhöht. Sie ist in diesem Zeitraum von 10 800 DM jährlich auf 11 400 DM jährlich gestiegen. Da sich die Beitragsbemessungsgrenze und damit die Höchstgrenzen erhöht haben, ändern sich auch in diesem Jahr — wie in dem vergangenen Jahr — die nach der Versicherungsdauer gestaffelten individuellen Rentenhöchstbeträge. Das bedeutet, daß z. B. die Renten, die 1957 auf 562,50 DM monatlich begrenzt waren, nunmehr vom 1. Januar 1963 auf 712,50 DM monatlich ansteigen werden.Die Renten werden — wenn das Gesetz noch in diesem Jahr in der vorgeschlagenen Fassung verabschiedet wird — nach dem eingespielten Verfahren umgerechnet. Jeder Rentenempfänger erhält bei der Auszahlung der Rente für den Monat Februar 1963 eine schriftliche Mitteilung über die Höhe seiner Rente. Die Post will versuchen, in diesem Jahr den Zeitraum für die Nachzahlung abzukürzen und die angepaßte Rente vom 1. März 1963 an zu zahlen. Die Nachzahlungen für die Monate Januar und Februar 1963 sollen dann ebenfalls mit der Rente für März 1963 ausgezahlt werden.Nun noch ein Wort zu den versicherungstechnischen Bilanzen. Gleichzeitig mit dem Entwurf eines Fünften Rentenanpassungsgesetzes und dem Sozialbericht 1962 legt die Bundesregierung die ersten versicherungstechnischen Bilanzen der Rentenversicherung der Arbeiter und der Rentenversicherung der Angestellten nach der Rentenversicherungs-Neuregelung vor. Dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, der diese Bilanzen aufzustellen hatte, war vom Gesetzgeber die Aufgabe gestellt, „die Bilanzen sollten für die drei auf den Stichtag folgende Jahrzehnte erkennen lassen, wie sich die Einnahmen, die Ausgaben und das Vermögen der Versicherungsträger voraussichtlich entwickeln werden". Die versicherungstechnischen Bilanzen der gesetzlichen Rentenversicherung unterscheiden sich — darauf möchte ich aufmerksam machen — deshalb grundsätzlich von den versicherungstechnischen Bilanzen in der Privatversicherung. Das ist auch im einzelnen in dem Gutachten des Sozialbeirates zu den versicherungstechnischen Bilanzen ausgeführt worden. Die künftige Entwicklung der Einnahmen, der Ausgaben und des Vermögens der gesetzlichen Rentenversicherung hängt von einer Fülle volkswirtschaftlicher, bevölkerungskundlicher, versicherungstechnischer und gesetzestechnischer Gegebenheiten ab. Wenn man die versicherungstechnischen Bilanzen der gesetzlichen Rentenversicherung aufstellen will, muß man über die Entwicklung jeder dieser vielen Gegebenheiten in den nächsten 30 Jahren irgendwelche Annahmen machen.Damit ist bereits gesagt, daß die Bilanzen nur folgendes aussagen können: Wenn sich alle Gegebenheiten, von denen die Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben abhängt, in der angenommenen Weise entwickeln werden, dann werden sich die Einnahmen und die Ausgaben in der vorausberechneten Weise entwickeln.Die Bilanzen können sich dagegen nicht anmaßen, zu prophezeien: Alle Gegebenheiten, von denen die Entwicklung der Einnahmen und der Ausgaben abhängen, und damit die Einnahmen und Ausgaben selbst werden sich in der und der Weise entwickeln.Um vor Trugschlüssen zu bewahren, habe ich schon einmal vor diesem Hohen Hause Gelegenheit genommen, darauf hinzuweisen, was solche Bilanzen überhaupt nur aussagen können. Welche Grundannahmen bei den Bilanzrechnungen gemacht worden sind und für welche von ihnen mehrere Varianten durchgerechnet worden sind, ist in der Bilanz selbst deutlich gesagt.Das Hauptergebnis der Bilanzen habe ich bereits in meinen Ausführungen über den Entwurf eines Fünften Rentenanpassungsgesetzes angedeutet. Der künftigen Bevölkerungsentwicklung entsprechend werden die Ausgaben der Rentenversicherung, die zur Zeit noch kleiner als die Einnahmen sind,
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2124 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Bundesarbeitsminister Blankwesentlich stärker anwachsen als die Einnahmen. Für die nächsten Deckungsabschnitte werden sich also ernsthafte Finanzierungsprobleme für die gesetzliche Rentenversicherung ergeben. Davor darf man die Augen nicht verschließen.
Für die Gegenwart dagegen vertritt die Bundesregierung in ihrem Bericht zu den Bilanzen die Ansicht, daß die Ergebnisse der versicherungstechnischen Bilanzen gesetzgeberische Maßnahmen zur Zeit noch nicht erforderlich machen; die Bundesregierung wird jedoch prüfen, ob solche Maßnahmen bis zum Ablauf des ersten zehnjährigen Dekkungsabschnitts noch erforderlich werden. Die Bundesregierung hat sich dabei auch von der Erwägung leiten lassen, daß die Ergebnisse der versicherungstechnischen Bilanzen zuverlässiger und wertvoller werden, wenn erst einmal mehrere im Abstand von zwei Jahren aufeinanderfolgende Bilanzen vorliegen werden. Denn von Bilanz zu Bilanz werden die statistischen Unterlagen breiter und tragfähiger werden.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte Sie herzlich, bei Ihren Beratungen im Ausschuß — ich bin mir darüber klar, daß man ein so umfangreiches Werk wie die versicherungstechnischen Bilanzen nicht in allen Details im Plenum auseinanderlegen kann — diesen Bilanzen Ihre höchste Aufmerksamkeit zu widmen. Die Sorge um den Bestand der Ansprüche, die 8 Millionen Rentner gegenwärtig an diesen Sozialversicherungszweig haben, bewegt mich zu dieser Bitte; denn was wir heute vielleicht falsch machten, würden wir später nur sehr schwer wieder regulieren können. Ich möchte, daß die Rentner auch in der Zukunft den Glauben haben dürfen, daß sich ihre Renten im gleichen Ausmaß weiterentwickeln, wie sie sich bisher, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, mitentwickelt haben entsprechend der Entwicklung der Löhne.
Zum Schluß möchte ich nicht verfehlen, dem Sozialbeirat für seine beiden, nach eingehender und sorgfältiger Beratung erstatteten Gutachten zur Rentenanpassung und zu den versicherungstechnischen Bilanzen zu danken. Ich möchte nicht verfehlen, auch einmal all den vielen Tausenden zu danken, die im Bereich der Selbstverwaltung als Arbeiter, Beamte und Angestellte bei den verschiedensten Rentenversicherungsträgern tätig waren; denn auch ihrer unermüdlichen Arbeit ist es zu danken, daß die Versorgung dieser 8 Millionen Rentner doch im großen und ganzen reibungslos vonstatten ging.
Damit ist die Begründung der Vorlagen zu Punkt 2 der Tagesordnung erfolgt. Wir treten in die Aussprache ein.
Bevor ich jedoch das Wort erteile, möchte ich dem Hohen Hause Kenntnis geben von einer interfraktionellen Vereinbarung, die der Geschäftslage des Hauses entspricht. Es soll nicht, wie ursprünglich vorgesehen, durchgetagt werden, sondern nach der Rede des Herrn Abgeordneten Schellenberg soll eine Mittagspause von einstündiger Dauer gemacht werden. Das ergibt die Aussicht, daß wir dann wenigstens noch zu einer Zeit mit den Beratungen fertig werden, die es ermöglicht, daß die Ausschüsse anschließend tagen.
Ich erteile dem Abgeordneten Schellenberg das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zur Beratung stehen heute drei Vorlagen, das Fünfte Rentenanpassungsgesetz,. der Sozialbericht 1962 und die langerwartete versicherungstechnische Bilanz.Das Fünfte Rentenanpassungsgesetz entspricht im wesentlichen den früheren Prinzipien, und wir haben deshalb zu diesem Gesetzentwurf im wesentlichen die gleichen Bemerkungen zu machen wie zu den früheren. Unsere Kritik bezieht sich nämlich erstens auf die Anrechnung der Anpassungsbeträge auf sonstige Sozialleistungen, zweitens darauf, daß die Bezieher der Sonderzuschußrenten, d. h. der kleinsten Renten nicht einmal in den vollen Genuß der Anpassung kommen, und drittens bedauern wir, daß die Benachteiligung der sogenannten Altrentner auch noch nicht einmal schrittweise beseitigt werden soll. Wir werden auf diese wichtigen Fragen bei den Ausschußberatungen näher eingehen und behalten uns für die zweite und dritte Lesung gegebenenfalls Anträge vor.Als Begründung dafür, daß diese Härten im Fünften Rentenanpassungsgesetz beibehalten werden sollen — von den Härten und Ungerechtigkeiten der Rentenversicherungsgesetze im ganzen will ich heute nicht sprechen —, beruft sich die Bundesregierung auf die Finanzlage der Rentenversicherung. Über diese Finanzlage der Rentenversicherung sollen die beiden anderen Vorlagen, die wir zu beraten haben, der Sozialbericht 1962 und die versicherungstechnische Bilanz, Auskunft geben.Die versicherungstechnische Bilanz, die nach dem Gesetz — der Bundesarbeitsminister hat darauf hingewiesen — Vorausberechnungen oder -schätzungen bis 1986 über Einnahmen-, Ausgaben- und Vermögensentwicklung enthalten soll, ist auf den Stichtag — auch das entspricht dem Gesetz — 1. Januar 1959 bezogen. Seit dieser Zeit haben wir, meine Damen und Herren von den Regierungsparteien — Sie werden es nicht bestreiten —, Verständnis für die Schwierigkeiten bei der Erstellung dieser Bilanzen bewiesen. Wir haben die Regierung nicht unter Zeitdruck gestellt, sondern wir haben im Gegenteil jeder Terminverlängerung zugestimmt.Nun liegt die versicherungstechnische Bilanz vor. Nach Durcharbeitung müssen wir leider, feststellen, daß sie in keiner Weise den Anforderungen entspricht, die für eine auch langfristige Beurteilung der Finanzentwicklung bei der Rentenversicherung unerläßlich sind.Einen solchen Vorwurf muß ich und will ich begründen. Erstens. Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß seit der Vorlage der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze nicht nur hier im Hause,
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Dr. Schellenbergsondern auch in der Öffentlichkeit harte Auseinandersetzungen über die Finanzgrundlagen der sogenannten dynamischen Renten geführt werden. Es ist auch unbestritten, daß die Bundesregierung die Finanzentwicklung — sie sagt, für kurzfristige Zeiträume — stets negativer beurteilt hat als wir Sozialdemokraten. Ich will für diese viel zu negativen Vorausberechnungen einige Beispiele geben. Dann komme ich auch noch auf die Mängel in der langfristigen Beurteilung zu sprechen.a) In dem ersten Entwurf der Rentenneuregelungsgesetze rechnete die Bundesregierung auf der Einnahmenseite mit einer jährlichen Steigerung von 2 %, die sich aus einer Zunahme der Beschäftigtenzahlen plus Lohn- und Gehaltsentwicklung zusammensetzt. Das Bundesarbeitsministerium rechnete mit einer Einkommensentwicklung von 2 %. Das Bundesfinanzministerium und das Bundeswirtschaftsministerium legten aber, als im Jahre 1956 die Gesetzesvorlage erstellt wurde, ihren Prognosen Steigerungsraten von 6 % bis -8 % zugrunde. So wurde schon zu Beginn der Auseinandersetzung über die Rentenreform sozialpolitisch einerseits und wirtschafts- und finanzpolitisch andererseits mit zwei verschiedenen Maßstäben operiert.b) Im ersten Sozialbericht, der eine Vorausschau bis zum Jahre 1966 enthielt, wurde für dieses Jahr 1962 von der Bundesregierung ein Defizit von 220 Millionen DM vorausgeschätzt. Nach dem Sozialbericht, den wir jetzt für 1962 vorliegen haben, wird nicht nur kein Defizit aufgeführt, sondern ein Überschuß von rund 1,6 Milliarden DM erwartet. Der Deutschland-Union-Dienst hat für 1962 ganz andere Zunahmen prophezeit, aber darauf will ich gar nicht eingehen. Ich beziehe mich lediglich auf das offiziell vorliegende Material.c) Bei diesem ersten, und zwar eingehendsten Sozialbericht, den wir bisher erhalten haben, wurde von der Bundesregierung erklärt, daß, abgesehen von der vorgeschlagenen Anpassung für die Rentenversicherung der Arbeiter, noch höchstens drei und für die Angestelltenversicherung aber nur höchstens eine weitere Anpassung möglich seien. Bei jedem weiteren Sozialbericht mußte dann die Bundesregierung ihre Vorausberechnungen korrigieren. Sie korrigierte bei jedem weiteren Bericht die Vorausberechnung dahin, daß jeweils noch eine Anpassung für ein weiteres Jahr möglich sei, und zwar vom ersten bis jetzt zum 5. Rentenanpassungsgesetz und Sozialbericht. Meine Damen und Herren, ich muß sagen, das ist ein Spiel, das sich alljährlich wiederholt hat. Ich muß diesen Ausdruck deshalb gebrauchen, weil man hätte erwarten sollen, daß die Regierung, nachdem sie sich einmal, zweimal, dreimal in den Vorausschätzungen geirrt hat, daraus bei den weiteren Berichten doch die erforderlichen Konsequenzen zieht. Sie hat sich aber selbst in die Lage gebracht, im nächsten Jahr immer wieder erklären zu müssen: Wir haben uns doch in der Vorausberechnung verkalkuliert. Meine Damen und Herren, das ist eine schlechte Praxis, denn die Vorausberechnungen sollen der Wirklichkeit doch möglichst nahekommen.Unter dem Datum 29. September dieses Jahres wurden uns die berühmten zwei Vorlagen vorgelegt, nämlich einmal der Sozialbericht 1962 und zum anderen die versicherungstechnische Bilanz. Beide Vorlagen weichen in ihren Rechnungsgrundlagen, soweit sie sich auf die gleichen Zeiträume beziehen, erheblich voreinander ab. Auch dafür möchte ich Ihnen einige Beispiele geben.a) Die Rentenversicherung kennt nicht die Zahl ihrer Versicherten. — Das ist ein Mangel. — Deshalb werden in der versicherungstechnischen Bilanz Berechnungen über die Zahl der Versicherten angestellt. Dieser Bilanz können wir das erstaunliche Ergebnis entnehmen, daß die Zahl der Pflichtversicherten der Rentenversicherung von 1960 auf 1961 um 48 000 gesunken sein soll. Das wurde uns im September 1962 berichtet. Dagegen nennt der Sozialbericht vom gleichen Tage für den gleichen Zeitraum — Entwicklung von 1960 auf 1961 — zwar nicht die Zahl der Pflichtversicherten, sondern die der Erwerbsbevölkerung und gibt deren Erhöhung mit 310 000 an.Nun, meine Damen und Herren, sind nicht alle Erwerbstätigen pflichtversichert, das wissen wir. Aber ein erheblicher Teil dieser Erwerbstätigen sind auch Pflichtversicherte. Die Zahlen beider Regierungsvorlagen — ich muß nochmals betonen, daß sie 'dem Hause am gleichen Tage zugeleitet wurden— widersprechen sich also in Angaben über gleiche zurückliegende Zeiträume.
— Für mich ist das ein Widerspruch. Wenn ich in zwei Regierungsvorlagen vom gleichen Datum über die Zahl der Beschäftigten für das gleiche Jahr, nämlich 1961, das man annähernd überschauen kann, finde, daß die eine Vorlage sagt, die Zahl der Pflichtversicherten sei 1961 zurückgegangen, und die andere, die Zahl sei gestiegen — was man auch aus dem Statistischen Jahrbuch hätten entnehmen können -, dann ist das für uns ein Widerspruch, undzwar bin beachtlicher Widerspruch,
— Herr Kollege Schütz, gestatten Sie, daß ich diesmal ausnahmsweise keine Zwischenfragen beantworte. Ich will Ihnen dafür eine Erklärung geben: Ich möchte eine Gesamtkonzeption auch hinsichtlich der langfristigen Vorausschätzungen darlegen. Herr Kollege Schütz, ich erkläre mich aber bereit, daß ich mich sofort zu Wort melden werde, wenn Sie eine Wortmeldung abgegeben haben werden, um Ihnen dann zu antworten. Deshalb möchte ich darum bitten, daß ich jetzt erst meine Auffassung vortragen darf.b) Ein weiteres Beispiel. Für die Einnahmen der Rentenversicherung haben, wie wir alle wissen, die durchschnittlichen Arbeitsverdienste eine erhebliche Bedeutung. In der versicherungstechnischen Bilanz wird für 1961 als durchschnittlicher Arbeitsverdienst der Versicherten ein Betrag von 6534 DM jährlich angegeben. Die Bundesregierung hat jetzt eine Sechste Verordnung über eine Änderung der Bezugsgrößen in der Rentenversicherung beschlossen, die für die weitere Beitrags- und Leistungsgestal-
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Dr. Schellenbergtung der Rentenversicherung maßgebend ist. Darin wird der durchschnittliche Arbeitsverdienst der Versicherten mit einem Betrag festgelegt, der um 189 DM jährlich höher ist.Nun sagen Sie nicht, das sei noch ein kleiner Betrag. In der finanziellen Auswirkung bedeutet die Differenz zwischen der Rechnung, auf die sich die versicherungstechnische Bilanz stützt, und jener Rechtsverordnung der Bundesregierung eine Einnahmenminderung für 1961 um rund 450 Millionen DM. Berücksichtigt man dann weiter, daß die Zahl der Pflichtversicherten in ,der Bilanz für 1961 offensichtlich zu niedrig angenommen worden ist, dann ist zu erkennen, daß man bei der ersten Phase der langfristigen Berechnung, nämlich für 1961, in der versicherungstechnischen Bilanz mit einer um rund 700 Millionen DM geringeren Beitragseinnahme rechnet, als sie sich aus den anderen Unterlagen der Bundesregierung ergibt.c) Noch ein Beispiel! Der Sozialbericht enthält eine Vorausschätzung der Rechnungsergebnisse für 1962. Der Herr Bundesarbeitsminister hat gesagt: je rund 800 Millionen DM für beide Versicherungen gleich 1,6 Milliarden DM insgesamt an Überschuß. Aus der versicherungstechnischen Bilanz ergibt sich dagegen für das Jahr 1962 ein voraussichtlicher Überschuß von insgesamt 800 Millionen DM. Das heißt, für 1962, also einen annähernd überschaubaren Zeitraum, ergibt sich zwischen den neuesten Erkenntnissen des Sozialberichts und den Grundlagen der versicherungstechnischen Bilanz eine Differenz in der Vermögensentwicklung von etwa 100 %.
Wir Sozialdemokraten sind im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Zwischenrufer, der Meinung — und damit komme ich zu meinen dritten Punkt —, daß zwei Vorlagen, die uns die Bundesregierung am gleichen Tage zur gleichen Materie für die gleichen Zeiträume unterbreitet, übereinstimmen müssen. Erhebliche Differenzen, die ich Ihnen darlegte, sind unseres Erachtens nicht zu verantworten.Nun kommen Sie wahrscheinlich mit dem Hinweis, die versicherungstechnische Bilanz sei per Stichtag 1. 1. 1961 aufgestellt.
— Entschuldigen Sie, 1959! Es war ein Sprechfehler, der aber begründet war, weil nämlich beispielsweise bezüglich des Vermögensstandes nicht das Ergebnis 1. 1. 1959, sondern 1. 1. 1961 zugrunde gelegt wird. Da hat sich die Regierung also schon korrigiert, sonst wären die Abweichungen zwischen Vorausberechnung und tatsächlicher Entwicklung noch verheerender geworden. „Stichtag 1. 1. 1959" ist daher auch nicht ganz richtig, sondern man hat praktisch das Material nach dem einen Stand, den man für die versicherungstechnische Bilanz noch meinte verwerten zu können, herangezogen und dann rückwirkend auf den Stichtag 1. Januar 1959 abgestellt. Aber der Hinweis auf den Stichtag der versicherungstechnischen Bilanz — 1. Januar 1959 — geht deshalb an der Sache vorbei, weil wir in dieser Bilanz Angaben für 1961 finden, beispielsweise über die Zahl der Versicherten, über Durchschnittseinkommen der Versicherten, und auch Angaben über Vermögenszuwachs 1962. Wir müssen feststellen, daß diese Bilanz nicht von den neuesten Feststellungen der Bundesregierung ausgeht, sondern von Unterlagen, die im Zeitpunkt der Vorlage der Bilanz durch eigene Berichte der Bundesregierung überholt sind.Der Sinn der versicherungstechnischen Bilanz, die in der Öffentlichkeit ein weites Echo gefunden hat, worauf ich noch eingehen werde, kann doch wohl nicht sein, gewissermaßen frühere Fehleinschätzungen der Bundesregierung zu illustrieren, damit wir uns nun ausrechnen können, wie sehr sich die Bundesregierung in ihren Vorausschätzungen geirrt hat. Der Sinn dieser Bilanz ist doch, möglichst exakte Unterlagen für die weitere Entwicklung der Finanzlage zu bieten.Wer nun meint — das könnte ein weiterer Einwand sein —, leider hätten die neuesten Erkenntnisse wegen der vielfältigen Rechenarbeiten, die mit dieser Bilanz zu erledigen sind, nicht berücksichtigt werden können, der kennt nicht moderne Rechengeräte.
Ich habe das große Vergnügen gehabt, in bestimmten Jahren an solchen Maschinen arbeiten zu können. Die Rechnerei ist bei einer versicherungstechnischen Bilanz der geringste Teil der Sache. Die grundsätzliche Konzeption, die Programmierung, die Thesen oder Hypothesen, die man ihr zugrunde legt, sind das Entscheidende, nicht die Rechnereien. Das ist eine verhältnismäßig sehr wenig Zeit beanspruchende Angelegenheit, ich möchte sagen, bei entsprechenden Maschinen eine Angelegenheit von wenigen Tagen.Deshalb erheben wir den Vorwurf: es wurden den versicherungstechnischen Bilanzen nicht nur überholte Zahlen zugrunde gelegt, sondern es wurde offensichtlich mit Methoden gerechnet, die altertümlich sind. Gestatten Sie, daß ich eine persönliche Erfahrung einschalte. Als ich Lehrling in der Sozialversicherung war, mußten wir, wie wir sagten, „mit der Kaffeemaschine orgeln", nämlich an der alten „Brunsviga" drehen, um Rechenergebnisse zu erreichen. Ich erkläre hier nach genauer Durchsicht. der Bilanz: diejenigen, die sie errechnet haben, kennen nicht die modernen technischen Geräte, kennen nicht, um ein Beispiel zu nehmen, die „IBM 1401". Damit haben diese Persönlichkeiten noch nicht gearbeitet. Das merkt jeder Sachkenner. Sonst hätte man einfach die letzten Daten, die man in dem anderen Sozialbericht genannt hat, durch die Maschine geschickt und die Bilanz auf den neuesten Stand gebracht.Deshalb müssen wir den Vorwurf erheben, daß man bei Anwendung moderner Hilfsmittel — wozu wir der Bundesregierung jede Hilfe zu bieten bereit wären — ein Zahlenmaterial auch der versicherungstechnischen Bilanz erhalten hätte, das dem gegenwärtigen Erkenntnisstand mehr entsprochen hätte als die gegenwärtige Vorlage. Die Folgen dieser Mängel sind, daß die Fehler der ersten Jahre — 1961/62 — sich bei der Weiterführung der Rechnung bis 1986 zwangsläufig vervielfachen müssen.
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Dr. SchellenbergDenn wenn man schon von falschen Hypothesen ausgeht, dann müssen die Ergebnisse so langer Vorausberechnungen fehlerhaft sein. Deshalb muß ich leider erklären: das Ganze ist ein hochinteressantes Werk für diejenigen, die deutsche Sozialgeschichte studieren wollen; aber es ist unbrauchbar für die Entscheidungen, die wir zu treffen haben.
Dennoch wollen wir die Bilanz im Ausschuß gern beraten, Sachverständige hinzuziehen, damit Lehren gezogen werden können und jeder daraus lernen kann.
— Selbstverständlich auch wir!Aber im Grundsatz müssen wir feststellen: es ist in dieser Sache ein großer Aufwand nutzlos vertan worden, denn die Bilanzen sind für sinnvolle Überlegungen nicht verwertbar.Viertens machen wir der Bundesregierung den Vorwurf, daß sie in dieser versicherungstechnischen Bilanz Zahlen herausgegeben hat, von denen man bei Zugrundelegung neuester Erkenntnisse wissen mußte, daß sie Fehler enthalten. Gewissermaßen als Trost wird in dem Geleitwort zu den versicherungstechnischen Bilanzen erklärt — der Herr Bundesarbeitsminister hat das bestätigt —, daß der Aussagewert der versicherungstechnischen Bilanzen wachse, wenn erst einmal eine Reihe solcher Bilanzen vorliegen werde.
1 Aber was heißt das praktisch für die Öffentlichkeit? Erst nach der dritten oder vierten Bilanz, d. h. nach vier bis sechs Jahren, wird die Entwicklung genauer zu übersehen sein. Aber entscheidend — auch politisch entscheidend — ist folgendes:
— Dazu komme ich, Herr Kollege Ruf. Entscheidend ist, daß dann für Jahre die Menschen, um die es geht, die Rentner von heute und die von morgen, in den Irrtümern über Vorausberechnungen gehalten werden.Wie sind die Irrtümer entstanden? Den Anstoß gab, und gewiß unbeabsichtigt, der Herr Bundesarbeitsminister in jener bekannten Rundfunkerklärung vom September 1961, in der er im Zusammenhang mit der vierten Rentenanpassung sagte: „Wir hinken bei den Altrenten in der Anpassung um ein Jahr nach". Er fuhr dann fort: „Die Frage, ob man nicht den Weg gehen könnte, nicht bei dieser Anpassung, sondern vielleicht bei der nächsten" — also derjenigen, die wir jetzt zu behandeln haben — „und bei der übernächsten das jeweils um die Hälfte nachzuholen, so daß man vielleicht bei der sechsten Rentenanpassung jenes fehlende Jahr aufgeholt hätte". „Hätte" hat er gesagt. Das war eine Meinungsäußerung.Aber diese Meinungsäußerung hat natürlich nicht nur bei den Rentnern gewisse Hoffnungen erweckt, sondern auch Widerspruch bei denen hervorgerufen, die erste Teilergebnisse der pessimistischen Vorausschätzungen des Bundesarbeitsministeriums kannten. Ein Arbeitgebervertreter des Beirats hat gewissermaßen als Antwort auf die Meinungsäußerung des Herrn Bundesarbeitsministers, man könnte das doch vielleicht — die fehlende Anpassung — einmal nachholen, auf die ungünstigen Perspektiven jener Teilergebnisse vor der Presse hingewiesen. Der Herr Bundesarbeitsminister hat sich mit Recht gegen die vorzeitige Bekanntgabe solcher Teilergebnisse gewandt. Aber er konnte nicht die Richtigkeit jener ungünstigen Tendenz bestreiten. Damit war schon vor einem Jahr der Kampf um den Inhalt der versicherungstechnischen Bilanzen, die wir heute beraten, eröffnet.Nach Fertigstellung dieser Bilanzen hat dann eine sehr angesehene deutsche Tageszeitung, die nicht der SPD nahesteht, ausführlicher über den Inhalt berichten können.
— Herr Ruf, jetzt wende ich mich an Ihre Koalitionspartner. Eine der FDP nahestehende Korrespondenz teilte wenige Tage später unter der Überschrift „Erschreckende Bilanz" weitere Einzelheiten mit und schrieb unter anderem: „Sollen die Bundeszuschüsse auf der derzeitigen Höhe gehalten werden, müssen im ersten Deckungsabschnitt bis 1966 die Renten um 5 % und ab 1966 um 25 % gekürzt werden." Schnell folgte dann eine Pressemitteilung des Deutschen Industrieinstituts, in der u. a. unter Bezugnahme auf die Bilanz erklärt wurde, die Beiträge zur Rentenversicherung müßten ab 1. Januar 1962 zwischen 5 und 11 % erhöht werden.Meine Damen und Herren, mit diesen Mitteilungen, konkret gehalten, war das Stichwort für all diejenigen gegeben, die seit 1956/57 gegen die Rentenanpassung in der Öffentlichkeit gekämpft haben. Ich will nur wenige Beispiele anführen, wie auf Grund dieser Mitteilung über die Bilanzen gegen das System unserer Rentenversicherung polemisiert wurde. Im Deutschen Volkswirt vom 20. Juli fiel im Zusammenhang mit der Rentendynamisierung das Wort „aufgelegter Schwindel". Der „Kurier" — Herr Kollege Stingl, eine Ihnen sehr nahestehende Zeitung; sie nennt Sie den Rentensepp — brachte am 7. September eine eingehende Darstellung des Inhalts der Bilanzen unter der Überschrift: „Ernste Warnung vor Erhöhung der Renten". Am gleichen Tage schrieb die „Deutsche Zeitung" unter Bezugnahme auf die dynamischen Renten von einer „automatisch inflationistischen Methode". Schließlich erklärte am 27. September, auch unter Hinweis auf die Bilanzen, der „Industriekurier": „Spätestens in diesem Jahr ist auch naiven Gemütern ersichtlich geworden, welches Kuckucksei der Bundestag in die soziale Landschaft gelegt hat."
Meine Damen und Herren, diese Zitate veranschaulichen doch, daß sich diejenigen, die schon früher die Rentenanpassung kritisiert haben, in ihrer Kritik bestätigt fühlen und dem drastisch Ausdruck gegeben haben.
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2128 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Dr. SchellenbergAber nicht nur diese Kreise, sondern die gesamte deutsche Öffentlichkeit war außerordentlich besorgt über das Ergebnis der versicherungstechnischen Bilanzen. Die gesamte deutsche Presse - das war ihre Pflicht — hat in Auszügen darüber berichtet. Das hat nicht nur die Rentner, sondern auch manchen Beitragpflichtigen und freiwillig Versicherten, der vor der Entscheidung steht, ob er sich weiter versichern soll, in Unruhe versetzt und erschreckt.
— Herr Kollege Schütz, falls Sie das bezweifeln wollen, kann ich Ihnen praktische Beispiele dafür nennen, welche Sorgen sich die Menschen auf Grund der Berichterstattung über die Bilanzen gemacht haben. Ich habe einen ganzen Stoß von Pressemitteilungen darüber hier.Die Presse hat über den beunruhigenden Inhalt der Bilanzen berichtet, aber die Bundesregierung bzw. das Bundesarbeitsministerium sah keine Veranlassung, durch die ihnen zur Verfügung stehenden Publikationsmöglichkeiten dem irgendwie entgegenzuwirken. Sie ließen diese Seite der Angelegenheit leider schleifen. Die Bundesregierung hat untätig zugesehen, als sich auf Grund ihrer, ich muß sagen, unausgegorenen Vorausberechnungen die Menschen Sorgen um ihre wirtschaftliche Sicherung im Alter machten.Ich will hier kein Urteil darüber abgeben, ob die Zurückhaltung des Bundesarbeitsministers in erster Linie im Wandel der Pressepolitik seines Ministeriums oder darin begründet ist, daß der Minister zuerst vor dem Parlament ein Wort zu den Dingen sagen wollte.
— Ich weiß es nicht; es bleibt jedem überlassen, sich ein Urteil darüber zu bilden,
Aber ein Minister hat sich zu Wort gemeldet, nämlich der Bundesvertriebenenminister, und zwar schon sehr frühzeitig, am 1. Juni, ausgerechnet in Berlin, lange vor Übersendung der versicherungstechnischen Bilanzen. Er sagte: „Wenn die gegenwärtige Rentenversicherung noch vier bis fünf Jahre beibehalten wird, dann muß der Beitrag um 5 % erhöht oder die Rente um 20 % gekürzt werden." Das war, in Berlin gesprochen, eine sehr bedenkliche Berner-kung des Bundesvertriebenenministers.
— Ich weiß nicht, welche Motive der Herr Vertriebenenminister gehabt hat. Vielleicht wollte er nur der Kritik seiner Freunde an der Rentenreform Ausdruck geben, oder vielleicht wollte er seine Forderungen als Vertriebenenminister zum Sozialpaket durch eine Kritik an der Rentenversicherung unterstreichen. Das weiß ich nicht; ich habe hier nur die Äußerung des Minister festzustellen.Fünftens. Nach dem Gesetz hat die Bundesregierung uns nicht nur die versicherungstechnischen Bilanzen zuzuleiten, sondern sie hat darüber hinaus noch einen besonderen Bericht zu den versicherungstechnischen Bilanzen zu erstatten. Dieser ist sehr kurz gehalten. Er findet sich auf der letzten Seite der Drucksache. Das, was in dem kurzen Bericht der Bundesregierung steht, ist sehr interessant. Die Bundesregierung verweist nämlich ausdrücklich auf die Abschnitte 2 a und 2 b des Geleitworts zu den Bilanzen. Ich muß Ihnen daraus deshalb vorlesen, meine Damen und Herren, weil nicht alle von Ihnen die Zeit gehabt haben werden, ein so kompliziertes Werk im einzelnen durchzuarbeiten.
— Nein, das konnte nicht Aufgabe jedes einzelnen Kollegen sein. Aber weil die Bundesregierung ausdrücklich auf die Abschnitte 2 a und 2 b Bezug nimmt, muß ich das aus dem Bericht zitieren:Wollte man— so heißt es —weder den Beitragssatz noch den allgemeinen Bundeszuschuß erhöhen, im übrigen aber die Art des Leistungssystems grundsätzlich aufrechterhalten, so wäre man — wie aus den Bilanzergebnissen leicht zu errechnen ist — gezwungen, im I. Deckungsabschnitt— d. h. in der Zeit vom 1. Januar 1962 bis 31. Dezember 1966 —alle Renten um 5 v. H. zu kürzen, im II. und im III. Deckungsabschnitt- also ab 1. Januar 1967 —alle Renten um rund 25 v. H. zu kürzen.Das ist genau das gleiche, was schon am 1. Juni jene der FDP nahestehende Korrespondenz berichtet hatte.Abschließend hat die Bundesregierung, wie der Bundesarbeitsminister erwähnt hat, darauf hingewiesen, daß sie es noch nicht für erforderlich hält, bestimmte Maßnahmen vorzuschlagen, jedoch prüfen wird, ob solche Maßnahmen bis zum Abschluß des I. Deckungsabschnitts, also bis Ende 1966, noch erforderlich werden.Auf diese versicherungstechnischen Bilanzen weist u. a. auch der Finanzbericht der Bundesregierung 1963 hin, auch der Bericht der Bundesbank aus den letzten Tagen. Beide Berichte nehmen die Bilanzen zur Grundlage ihrer Überlegungen.
— Ja, Herr Ruf, darüber sind wir leider sehr unterschiedlicher Meinung, und ich hoffe, Sie noch durch weitere Ausführungen überzeugen zu können. — Im Finanzbericht der Bundesregierung wird nämlich praktisch erklärt, daß ab 1. Januar 1967 der Beitragssatz um 30 bis 44 % oder an seiner Stelle der Bundeszuschuß um 96 bis 120 % erhöht werden müsse. Diese Ankündigung erfolgt in der Annahme, daß die versicherungstechnischen Bilanzen ausreichend fundiert sind. Aber gerade das bestreiten wir natürlich sehr nachdrücklich.Jetzt komme ich zum Punkt 6, nämlich zu der Frage, wie es nicht nur kurzfristig, von 1957 bis
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Dr. Schellenberg1962, sondern langfristig um die Bevölkerungsstruktur, die Veränderung des Rentnerstandes usw. bestellt ist. Die Beanstandungen der Sozialdemokratischen Partei richten sich nicht nur gegen die erwähnten Rechenfehler. Wir haben bei unserer Kritik auch zu bemerken, daß ,die „demografischen Daten" der Bilanzen, die Angaben über Bevölkerungsaufbau, Struktur des Rentnerstandes, Verhältnis der Arbeitenden zu den Rentnern problematisch sind, ich will mich sehr vorsichtig ausdrücken.Wir erkennen gern an, daß sich die Verfasser der versicherungstechnischen Bilanzen mit diesen Dingen Mühe gemacht haben. Aber eines ist doch erstaunlich; das wird jeder, der die Bilanzen auch nur durchblättert, erkennen. Man stellt verschiedene Berechnungen, Variationsrechnungen über dieses und jenes an. Die Ergebnisse der Variationen bezüglich des Zinssatzes sind zwar von gewisser Bedeutung, aber finanzwirtschaftlich nicht von so entscheidender Bedeutung wie die Auswirkungen der Bevölkerungsstruktur; darüber sind wir uns doch wohl einig.Deshalb ist es ein ernsthafter Mangel, daß die versicherungstechnischen Bilanzen bezüglich dieser wichtigen Daten — Bevölkerungsstruktur, Verhältnis der Arbeitenden zu den Rentnern — keine Alternativrechnungen durchführen. Für alle anderen Dinge werden die verschiedensten Hypothesen durchgerechnet, aber für diese wichtigste Grundlage einer langfristigen Vorausschau gibt es praktisch in den Bilanzen nur ein Hypothese. Das ist zu dürftig für die Dinge, um die es geht.Meine Damen und Herren, wir wissen wie Sie —darüber gibt es unter uns keine Meinungsverschiedenheit —, daß die Probleme der Bevölkerungsstruktur, des Verhältnisses Arbeiter und Rentner sehr vielschichtig sind. Wir werden uns sicher im Ausschuß zu gegebener Zeit darüber nicht nur unter uns aussprechen, sondern. auch Sachverständige bitten, uns ihre Auffassung darzulegen zu gegebener Zeit; ob das jetzt geschehen muß oder bei der nächsten Bilanz, wird der Ausschuß entscheiden.Ich muß aber dennoch auf vier Fragen, die mit dieser Bevölkerungsstruktur zusammenhängen, kurz eingehen, weil die Formulierung, die auf Grund dieser Bilanzen in die Öffentlichkeit gelangt ist: „Wir sind auf dem Weg zum Rentnerstaat", nicht unwidersprochen bleiben darf. Das ist eine bedenkliche Formulierung. Deshalb möchte ich einige Bemerkungen zur Bevölkerungsstruktur machen.a) Wir alle wissen, daß unser Bevölkerungsaufbau durch die Auswirkungen beider Kriege bestimmt wird, und zwar einerseits durch das Fehlen derjenigen, die im Kriege ihr Leben lassen mußten, und andererseits durch das, was man nüchtern Geburtenausfall nennt. Volkswirtschaftlich gesehen wären das „Kriegsfolgelasten". Kriegsfolgelasten dieser und jener Art — dieser und jener Art, sage ich auch mit gutem Grunde — verlieren für so lange Zeiträume, für die solche Bilanzen aufgestellt werden müssen, allmählich, sehr allmählich, an Gewicht oder könnten an Gewicht verlieren.b) Unser Bevölkerungsaufbau ist bestimmt durch die Umschichtung dessen, was ich „Familienstruktur" nennen möchte; Sie können auch sagen: „Geburtenhäufigkeit je Ehe". Da ergeben sich sehr weitgehende Wandlungen. Immerhin muß ich, wenn von der Geburtenhäufigkeit zu sprechen ist, doch erwähnen, daß der Sozialbericht mitteilt: „Der Geburtenüberschuß des Jahres 1961 von 7,4 auf Tausend übertraf nicht nur den des Vorjahres, sondern stellt auch gegenüber den Geburtenüberschüssen aller anderen Jahre seit 1950 einen neuen Höchstwert dar."
Meine Damen und Herren, das sagt der Sozialbericht der Bundesregierung. Bei weiteren versicherungstechnischen Bilanzen müssen doch auch diese Fakten positiver Art berücksichtigt werden.
Wenn Sie, Herr Kollege Ruf, sagen, — —
Wenn sich eine positive Entwicklung hinsichtlich der Geburtenhäufigkeit ergibt, soll man bei einer langfristigen Voraussage nicht nur alles Negative zusammenzählen, sondern muß versuchen, die Dinge zu bewerten. Deshalb habe ich gesagt, es wäre besser gewesen, man hätte auch bezüglich des Bevölkerungsaufbaues und dergleichen verschiedene Berechnungen angestellt
und nicht nur grau in grau gemalt.
c) Nun wird gesagt — wir wissen es alle —: die Lebenserwartung hat sich verlängert, und das werde sehr wesentliche Auswirkungen auf die Finanzen der Rentenversicherung haben. Auch dazu kann ich mich wieder auf Material der Bundesregierung beziehen; das tue ich am liebsten, weil das für Sie besondere Überzeugungskraft hat. Im Sozialbericht heißt es u. a., daß sich die Sterblichkeit nach den Altersgruppen weiter differenzieren wird. Die verlängerte Lebenserwartung ist im Entscheidenden begründet im Rückgang der Säuglingssterblichkeit — sie ist immer noch viel zu hoch, aber sie ist allgemein zurückgegangen — und im Rückgang der Sterblichkeit der jüngeren Jahrgänge. Aber leider hat sich die Alterssterblichkeit nicht so verringert, wie wir es eigentlich wünschen sollten. Im Sozialbericht heißt es: Eine schon im vergangenen Jahrzehnt beobachtete erhöhte Alterssterblichkeit — insbesondere der Männer — wird das statistische Bild bestimmen. So sagt es die Bundesregierung selbst. Deshalb sollte man nicht mit dem, ich möchte sagen, Schlagwort von der verlängerten Lebenserwartung aufwarten. Die Dinge sind sehr vielschichtig. Wir haben deshalb gesagt: wir wollen sie gemeinsam gründlich studieren; denn es liegt uns daran, möglichst genaue Erkenntnisse zu gewinnen.d) Noch eine andere Bemerkung über die, wie es heißt — der Herr Bundesarbeitsminister hat ausdrücklich darauf hingewiesen —, ungünstige Relation zwischen Arbeitenden und Rentnern. Die versicherungstechnischen Bilanzen sprechen von der so-
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Dr. Schellenberggenannten „Belastungsquote". Sie ist keineswegs nur naturbedingt, sondern 'da gibt es viele Faktoren, das zu beeinflussen, auch in positivem Sinne.
— Ach, Frau Kollegin Kalinke, ich könnte Ihnen Zitate aus der Zeit der ersten Auseinandersetzungen um die Rentenreform bringen. Ich will das nicht tun. Ich möchte bei meiner Darstellung über die Probleme bleiben.
Ich bitte doch, die Mittagspause nicht in Gefahr zu bringen.
Ja, Herr Präsident, ich bemühe mich; aber ich hatte von vornherein die Dauer meiner Redezeit genau angekündigt. Es geht bei den Bilanzen um eine bedeutende Sache. Wir wissen alle — ich wende mich vor allem an die Kollegen aus dem Bereich der Sozialpolitik —, daß es sich hier um ganz erhebliche Größenordnungen handelt. Schließlich wird in der Bilanz erklärt, für 1986 sei ein Deckungskapital bis 80 Milliarden erforderlich. Das sind ja Größenordnungen, die nicht nur sozialpolitisch ins Gewicht fallen, sondern unsere gesamte Volkswirtschaft entscheidend bestimmen.Nach der letzten Statistik der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten mußten von rund 389 000 neu bewilligten Renten 245 000, also 63 %, nicht wegen Erreichens der Altersgrenze, sondern wegen vorzeitiger Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit gewährt werden. Wenn man die Knappschaftsversicherung noch dazurechnet, so bedeutet das, daß heute rund zwei Drittel der Versicherten vorzeitig — vor der normalen Altersgrenze von 65 Jahren und in den Fällen, wo sie gesetzlich festgelegt ist, mit 60 Jahren — arbeitsunfähig — früher sagte man: invalide — werden, mit ihrer Gesundheit und Arbeitskraft verbraucht sind und wir ihnen deshalb Rente gewähren.Meine Damen und Herren, das ist nicht nur sozialpolitisch und nicht nur finanzwirtschaftlich, das ist. auch menschlich ein unbefriedigender Zustand.
Niemand bestreitet auch von uns, daß beispielsweise durch die Entwicklung 'des Heilverfahrens der Rentenversicherung Gutes getan worden ist, um der Frühinvalidität entgegenzuwirken. Aber, meine Damen und Herren, noch nicht genug auch in dieser Hinsicht. Der Tatbestand, daß zwei Drittel der Menschen vorzeitig arbeitsunfähig werden, darf nicht bis 1986 als naturgesetzlich hingenommen werden. Das akzeptieren wir nicht.
Deshalb sagen wir immer wieder: es muß mehr für die gesundheitliche Vorbeugung, es muß mehr für den Arbeitsschutz, es muß mehr für die Rehabilitation getan werden. Das sind schwierige Aufgaben, dafür gibt es kein Patentrezept. Das ist eine schwierige Aufgabe, aber eine gemeinsame Aufgabe unseres ganzen Volkes.
Wenn wir solche Anstrengungen unternehmen, dann werden sie auch positive Ergebnisse haben, und das. wird sich, auf die Dauer gesehen, langfristig auch auf die Finanzlage der Rentenversicherung positiv auswirken.Deshalb ist es nicht gerechtfertigt, vom jetzigen Stand der Rentner ausgehend unter Berücksichtigung des Altersaufbaues einfach weiterzurechnen und zu sagen: Die Relation zwischen Arbeitenden und Rentnern wird sich noch bedenklicher entwikkeln, und das dann zur Grundlage von düsteren Prognosen zu machen. Man kann auch hierauf einwirken.Ich habe mir die Frage gestellt — und vielleicht auch mancher andere —, weshalb eigentlich die Bundesregierung die Finanzlage der Rentenversicherung ständig, und zwar nicht nur kurzfristig, in den Sozialberichten von Jahr zu Jahr zu pessimistisch beurteilt, so daß sie sich immer wieder berichtigen mußte. Ich habe mir die Frage gestellt, weshalb die Bundesregierung auch bei der langfristigen Prognose die Möglichkeiten, jene Relation zwischen Arbeitenden und Rentnern positiv zu beeinflussen, faktisch gar nicht zur Kenntnis nimmt, sondern nur eine ungünstige Prognose weiterrechnet. Der Herr Bundesarbeitsminister hat, wie das seine Pflicht ist, von der besonderen Sorge und Verpflichtung der Bundesregierung gesprochen, auch langfristig für die Finanzierung der Rentenversicherung Sorge zu tragen. Das ist eine Sorge nicht nur des Herrn Ministers, sondern eine Verpflichtung von uns allen. Darüber sind wir uns doch wohl gemeinsam einig.Aber der Tatsache, daß die Bundesregierung ständig bei den kurzfristigen Prognosen und jetzt auch bei der ersten langfristigen Prognose von den pessimistischen Grundlagen ausgeht, liegen doch wohl auch gewisse politische Tatbestände zugrunde.
Wer an den Auseinandersetzungen um die Rentenreform 1956/57 teilgenommen hat, der weiß doch, daß es beispielsweise bei Ihnen in der CDU gerade in der Frage der Rentendynamisierung sehr erhebliche Meinungsverschiedenheiten gab und daß es Ihr Wirtschaftsminister und Vizekanzler war, der von dem „Gift der Rentendynamisierung" in der Öffentlichkeit gesprochen hat.
— Herr Kollege Schütz, Sie können das nachher tun. Ich habe Ihnen schon erklärt: Ich melde mich unmittelbar nach Ihnen zu Wort, dann können wir darüber sprechen. Ich sage nur, daß in der CDU — —
— Herr Kollege Schütz, ich verstehe gar nicht, weshalb Sie sich darüber aufregen, daß es bei Ihnen Meinungsverschiedenheiten über die Dynamisierung, gab. Interne Meinungsverschiedenheiten in der CDU gab es
und gibt es.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2131
Dr. SchellenbergDie Meinungsverschiedenheiten über dieses Problem innerhalb der Regierung sind sicher durch die Beteiligung der FDP, die ja die Rentenversicherungsgesetze abgelehnt hat
— ich gebe Ihnen gleich eine Antwort —, noch größer geworden. — Nun zu Ihrem Zuruf, Herr Kollege Weber, Sie hätten Ihre Stellungnahme präzisiert! Herr Kollege Weber, ich will Ihnen an Hand der Protokolle einmal folgendes sagen. Die Rentenreformgesetze vom. Januar 1957 haben Sie abgelehnt, dem Ersten Rentenanpassungsgesetz haben Sie zugestimmt, das Zweite Rentenanpassungsgesetz haben Sie wieder abgelehnt, dem Dritten Rentenanpassungsgesetz haben Sie wieder zugestimmt. Wenn Sie das als eine konsequente Haltung ansehen,
kann ich nur sagen: dem kann ich nicht folgen. Das waren die Fakten, die ich Ihnen protokollarisch belegen kann.Ich muß noch ein wichtiges Zitat des Herrn Bundesfinanzministers bringen. Nicht jetzt, aber beim Zweiten Rentenanpassungsgesetz hat er als Sprecher seiner Fraktion hier erklärt:Das Gesetz, das Sie— CDU und SPD —damals vor der Wahl gemacht haben und vor dem wir gewarnt haben, erzeugt draußen im Lande in zunehmendem Maße Unzufriedenheit, weil es eine ungeheure Mehrbelastung gebracht hat.Ich nehme an, daß Herr Dr. Starke seine damalige Überzeugung nicht geändert hat und sie in der Bundesregierung entsprechend zum Ausdruck bringen wird. Was also erklären, politisch erklären könnte, weshalb das Zahlenmaterial so einen pessimistischen Drall hat.
Nun komme ich zum Schluß, meine Damen und Herren.
— Ja, meine Damen und Herren, die Sozialpolitiker haben von vornherein beklagt, daß wir mit dieser so wichtigen finanzwirtschaftlichen Frage in der Tagesordnung hinter die Gänsepreise gerückt sind. Das hat das Haus bestimmt. Aber da wir zum erstenmal in den Bilanzen eine finanzielle Grundlage für die Rentenversicherung erhalten, muß man darüber auch eingehender sprechen können. Wir sind von der Bilanz enttäuscht, weil wir genaue Unterlagen über zukünftige Perspektiven erhofft hatten.
— Aber Herr Ruf, dieser Zuruf ist unangebracht. Ich habe Ihnen ja Fakten genannt und Ihnen aufgezeigt, wo grobe Irrtümer vorliegen. Sie haben auf die Redezeit verwiesen. Wir können auch noch beimzweiten und dritten Durchgang darauf zurückkommen.Angesichts des unzureichenden Materials dieser Bilanz wäre es eine reine Spekulation, heute eine Aussage darüber zu machen, wie die Vermögenslage der Rentenversicherung voraussichtlich in 5, 10 oder 25 Jahren sein wird. Das kann man auf Grund dieser Unterlagen leider nicht tun. Eines scheint sich aber für uns abzuzeichnen: daß auf Grund der Fakten, die ich hinsichtlich Bevölkerungsaufbau sowie Relation Rentner und Arbeitende genannt habe, auch langfristig gesehen die Entwicklungstendenzen günstiger sein könnten
— ich will vorsichtig sein; ich sage noch nicht: günstiger sein müssen, aber günstiger sein könnten — als nach der Bilanz. Auch geht die Bilanz schon für 1961/62 von sehr negativen Grundsätzen aus und läßt darüber hinaus manche positive Faktoren völlig außer Betracht. Damit will ich gar nicht sagen, daß es nicht einmal finanzielle Probleme für die Rentenversicherung geben könnte. Sie können doch nicht diejenigen schrecken, die sich klarmachen, welche finanziellen und sozialen Probleme unser Volk seit 1891 zu bewältigen hatte, als eine Rentenversicherung in Deutschland eingeführt wurde. Auch in der langfristigen Vorausschau werden wir Sozialdemokraten uns — das muß ich immer wieder betonen — hinsichtlich der finanziellen Sicherung der Rentenversicherung von niemandem übertreffen lassen.
Das geschieht selbstverständlich aus Verantwortung gegenüber den Menschen, die heute arbeiten, die Beiträge zahlen, und selbstverständlich auch gegenüber den Rentnern.Aber, um Sie ganz zu beruhigen, will ich auch einen realpolitischen Grund für unsere Haltung in der Finanzfrage anführen. Für die langfristigen Zeiträume, um die es bei diesen Vorausberechnungen geht, wird doch wohl auch der härteste Gegner der SPD keinen Zweifel daran haben können, daß wir politische Verantwortung in diesem Lande tragen werden. Niemand wird doch so töricht sein oder niemand sollte so töricht sein, anzunehmen,
daß wir Sozialdemokraten die Rentenversicherung finanziell in Schwierigkeiten bringen würden für eine Zeit, in der Sozialdemokraten auf der Regierungsbank sitzen.
Für so töricht werden Sie uns nicht halten.
— Die hessischen Wahlergebnisse werden Ihr Gemüt bewegen und Ihnen Sorge bereiten, deshalb habe ich volles Verständnis dafür, daß Sie sich hier mit Zurufen trösten wollen.
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2132 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Dr. SchellenbergIm Kern geht es bei all diesen Dingen darum, ob auch die ältere Generation auf die Dauer laufend an dem wachsenden Wohlstand, den die arbeitende Generation schafft, teilnehmen soll, laufend daran teilnehmen soll. Das ist das Kernproblem.
Wer das in Frage stellt — es gibt manche, die es in Frage stellen —, der hat wenig Vertrauen in die Zukunft unseres Volkes.Wir Sozialdemokraten erklären: unsere älteren Mitbürger haben nicht nur wirtschaftlich — durch ihr Leben der Arbeit, das hinter ihnen liegt — ein Recht auf Teilnahme an diesem Wachstum der Wirtschaft. Wir Sozialdemokraten erklären weiter: auch durch die Sozialpolitik sind mit die wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dies zu ermöglichen, durch eine aktive Gesundheitspolitik, durch konstruktive Familienpolitik und dadurch, daß bessere Möglichkeiten geschaffen werden, damit alle Schichten unseres Volkes ihre produktiven Fähigkeiten besser als bisher entfalten können. Schließlich entspringt die Verpflichtung, die Alten an der wirtschaftlichen Entwicklung dauernd teilnehmen zu lassen, Grunde — —
— Sagen Sie das mir oder Ihren Koalitionspartnern?
Meine Damen und Herren, deshalb möchte ich sagen: für uns — und ich hoffe, für uns alle — ist diese Verpflichtung auch ein Ausdruck der Ehrfurcht vor dem alten Menschen. Für unser ganzes Volk sollte es eine moralische Verpflichtung sein, unseren Mitbürgern die Gewißheit zu geben, daß sie auch im Alter gleichberechtigter Teil des Ganzen bleiben, auch wirtschaftlich.
Wenn wir dieses sittliche Gebot unseren Kindern und Kindeskindern vermitteln, dann haben wir keine Sorge um die Zukunft, auch nicht diejenige der deutschen Rentenversicherung.
Wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Bevor ich die Sitzung unterbreche, gebe ich bekannt, daß die Ausschüsse, die für heute nachmittag Sitzungen anberaumt hatten, mit ihren Sitzungen erst nach Schluß des Plenums beginnen sollten.
Wir fahren um 14.30 Uhr fort. Ich unterbreche die Sitzung.
Wir setzen die Sitzung in der Beratung des Tagesordnungspunktes 2 fort.
Das Wort hat der Abgeordnete Kühn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Professor Schellenberg hat sich bei der Rede, die er zu den Vorlagen der Bundesregierung über die Fünfte Rentenanpassung, über den Sozialbericht dazu und über die Sozialbilanz — gehalten hat, im wesentlichen mit der Sozialbilanz befaßt Soweit die Sozialbilanz in Rede steht, wind dazu mein Kollege Gaßmann nachher noch einige Worte von unserer Seite sagen. Ich habe mich mit der Frage der Rentenanpassung zu befassen, um die es ja zuerst und, wie ich meine, auch am dringlichsten heute geht.Da möchte ich mit zwei Feststellungen beginnen. Ich möchte zunächst, Herr Professor Schellenberg, die Unterstellung zurückweisen, die aus Ihren Worten hervorklang, als ob durch eine bewußte Manipulierung des Zahlenmaterials in der Sozialbilanz in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt werden sollte, die Situation der gesetzlichen Rentenversicherung sei katastrophal. Daß Sie das in dieser Form und mit dieser Härte — und immer wieder unterstrichen — hier getan haben, dient auch nicht dem Ziel, das Sie selber als eines Ihrer vordringlichsten bezeichnet haben, nämlich bei den Rentnern selber und bei den Rentenversicherten das Gefühl dafür zu wecken, daß wir in der Zukunft mit einer gesicherten Rentenversicherung und mit Zahlungen aus dieser gesicherten Rentenversicherung zu rechnen haben.
—Entschuldigung, ich habe ja gesagt: zu dem Zahlenspiel wird nachher Herr Kollege Gaßmann noch Stellung nehmen. Zunächst muß diese Methode zurückgewiesen werden, weil ich meine, sie ist in der Sache nicht (gerechtfertigt.
Hier ist doch festzustellen, daß, wenn diese Fünfte Rentenanpassung so, wie die Bundesregierung sie uns vorgelegt hat, Wirklichkeit geworden ist, gegenüber dem Rentenbestand am Stichtag des 31. Januar 1957 eine Erhöhung der Renten um über 100 % vorgenommen worden ist. Ich wäre dankbar gewesen, wenn wir dazu von der Seite der Opposition auch einmal ein anerkennendes Wort für die Regierung gehört hätten.
Ich glaube, daß das eine Leistung ist, die bei den Rentnern selber durchaus anerkannt wind und auch bekannt ist. Wir sollten sie deswegen so unterstreichen, weil wir damit deutlich gemacht haben, daß die Regierung, auch der Sozialheirat, durch eine sorgfältige Beobachtung der Entwicklung die Voraussetzung dafür geschaffen hat, daß nicht beim einen Mal eine besonders hohe Anpassung und dann
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2133
Kühn
infolge einer solchen Überzogenheit im nächsten Jahr nur eine niedrigere gewährt wird, daß wir eine Konstanz geschaffen haben, die wir auch in der Zukunft halten wollen.
— Ja sicher, Sie haben es schon oft gehört. Sie stellen aber die Forderung jedes Jahr wieder neu und zwingen uns, erneut dazu etwas zu sagen. Man kann ja das, was richtig ist, nicht deswegen verschweigen, weil trotz dieser Erkenntnis die Forderung immer wieder vorgebracht wird.Nun zur Frage der Anrechnung! Wir haben ganz bewußt in den Renten-Neuregelungsgesetzen — wie ich meine: auch mit Ihrer Unterstützung — bestimmt, daß die Rente Lohnersatzfunktion haben soll. Wenn sie ein Lohnersatz ist, dann kann sie nicht anders behandelt werden als jedes andere Einkommen auch; dann müssen selbstverständlich die Einkommen aus dieser Rente bei den sonstigen Sozialleistungen entsprechend berücksichtigt werden.
— Wir haben nicht vergessen, die Kriegsopferrenten anzuheben. Das kann kein Mensch behaupten. Sehen Sie sich doch einmal an, was in den vergangenen Jahren seit Verabschiedung des Bundesversorgungsgesetzes auf diesem Gebiet schon alles geschehen ist.
— Eben ruft es mir der Kollege Schütz hier noch einmal zu. Sie wissen, daß bei dem ersten Neuregelungsgesetz entgegen der ursprünglichen Absicht der Regierung, die ich für richtiger gehalten hätte, nicht ein sich wandelnder Freibetrag, sondern ein Fixbetrag von 50 DM eingesetzt worden ist; dieser Betrag ist sicherlich höher, als wenn wir in den vergangenen Jahren bei den Anrechnungen jeweils Prozentsätze zugrunde gelegt hätten. Das muß man doch in diesem Zusammenhang sehen und auch entsprechend werten.Nun zum Schließen der Schere! Wir haben uns schon im vergangenen Jahr darüber unterhalten, und wir haben damals das gesagt, was wir auch heute sagen müssen: Man muß die Entwicklung abwarten. Sie wissen, daß gegen den Sozialbericht auch in diesem Jahr aus den Kreisen der Mitglieder des Sozialbeirats erhebliche volkswirtschaftliche Bedenken geäußert worden sind. Diese Bedenken würden sich wesentlich verstärken, wenn wir über die in diesem Gesetzentwurf vorgesehene Anpassungsrate hinaus einen zusätzlichen Betrag für die Anpassung einsetzten.Es ist wohl — und damit könnte ich meine Bemerkungen zu dem, was hier zu Ihren Wünschen in bezug auf die Rentenanpassung gesagt worden ist, abschließen — folgendes zu sagen. Wir glauben, daß die Bundesregierung gut beraten war, als sie, wie in den vergangenen Jahren, auch in diesem Jahr durchaus von haushälterischen Überlegungen ausging. Ich glaube nicht, daß es zweckmäßig ist, sich bei diesen Dingen aus dem Gefühl heraus, im Augenblick eine etwas größere Dispositionsmöglichkeit zu haben, dazu verleiten zu lassen, höhere Zusicherungen zu machen, die uns eines Tages in erhebliche Schwierigkeiten bringen könnten.Meine Damen und Herren, eine sorgliche Sozialpolitik, — und ich möchte noch einmal unterstreichen: daß sie so betrieben wird, dafür sollten wir auch dem Bundesarbeitsminister danken —
hat nicht davon auszugehen, welche Höchstleistungen sie im Augenblick geben kann. Sie hat vielmehr davon auszugehen, welch bestmöglichen Leistungen sie für die Dauer gewähren kann. Das ist Sozialpolitik.
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2134 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Kühn
Wir sind dankbar, daß das bei diesem Entwurf berücksichtigt ist, und wir werden mit Ihnen gemeinsam, glaube ich, auf Grund dieses Entwurfes zu einer guten Lösung kommen.
Das Wort hat der Herr Bundesministerfür Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!Ich will nur auf einiges wenige von dem eingehen, was Herr Schellenberg heute morgen zu meinem Erstaunen hier gesagt hat. Ich bin seinen Ausführungen sehr aufmerksam gefolgt und werde versuchen, das, was er gesagt hat, einmal zu analysieren.Er baut sich für meine Begriffe, meine Damen und Herren, einen Popanz auf und beginnt, gegen den zu kämpfen.
— Ach, Herr Dr. Schäfer, warten Sie einmal ab, was ich ausführe! Ich weiß, was für einen Ärger es Ihnen bereitet hat, nachdem Sie mit dem Schlagwort von der sozial rückschrittlichen Koalition angetreten sind, daß das erste Gesetz, das diesem Parlament im vergangenen Jahr vorgelegt wurde, das Vierte Rentenanpassungsgesetz war und daß ich diesmal wieder fristgerecht mit der fünften Rentenanpassung bei der Hand bin.
— Das ist keine besondere Leistung? Ich bin der Meinung, daß ich das getan habe, was meines Amtes ist. Ich bin weiterhin der Meinung, daß das eine Leistung ist, die ich vor dem deutschen Volk vertreten kann und die ich vor dem deutschen Volke vertreten darf.
Nun ich will einmal versuchen, Ihnen zu schildern, wie dieser Popanz aussieht. Der Popanz sieht so aus: Das gegenwärtige System der Rentenversicherung ist in Gefahr, und da es in Gefahr ist, sagt Herr Schellenberg, hätten wir damit Zahlen politischen Charakters gegeben, also — sprechen wir es doch nackt und nüchtern aus — Zahlen gefärbt.Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, was zunächst einmal die Gefahr für dieses System betrifft, so lege ich hiermit, wie Sie ja wissen, das Fünfte Rentenanpassungsgesetz vor. Sie können es schnell verabschieden, und Sie haben dann wieder einen Meilenstein in der Entwicklung dieses Rentensystems gesetzt, Sie haben es weiterhin befestigt. Die Bundesregierung wird auch das nächste Rentenanpassungsgesetz wiederum zeitgerecht vorlegen, und Sie, Herr Schellenberg, hätten es in der Hand, mit tunlichster Beschleunigung eine noch festere Verankerung dieses Rentensystems herbeizuführen. Bemühen Sie sich um die Verabschiedung des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes, wo wir ja genau das gleiche Rentensystem einführen, das sich in unseren Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetzen befindet. Und weil das so ist — —
— Ach, Herr Schäfer, das habe ich gar nicht nötig, ich brauche dazu — —
— Oh, doch, ich habe ein sehr, sehr, gutes Gehör; aber ich will gar nicht mehr darauf eingehen.
— Nein, ich habe nicht falsch gehört.
— Ach, Herr Wehner, wenn ich an Ihre letzte Vorstellung denke, die Sie hier gegeben haben, glaube ich, daß Sie gar nicht Ursache haben zu lachen.
Herr Schellenberg sagte, diese Zahlen seien politisch bestimmt, sie seien gefärbt. Sind Sie der einzige, der nicht das Gutachten des Sozialbeirats auch zu diesen versicherungstechnischen Bilanzen gelesen hat? Wollen Sie die Ehrenhaftigkeit und Glaubwürdigkeit dieser Herren, von denen auch einige, wie Sie doch wissen, zu Ihnen gehören, irgendwie in Zweifel setzen?Darf ich Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, einmal ganz weniges daraus zitieren, wenn Sie, Herr Präsident, es gestatten. Darf ich Ihnen einmal sagen, was der Sozialbeirat in seinem Gutachten zu diesen versicherungstechnischen Bilanzen sagt. Er sagt u. a., daß die notwendigen Annahmen durch das Bundesarbeitsministerium bestmöglich erfaßt seien, daß die dafür erforderlichen Angaben von den jeweils zuständigen Stellen eingeholt, daß sie gemeinsam mit diesen erarbeitet seien und daß die versicherungsmathematische Methode durchdacht und mit großer Sorgfalt sowie nach Anhören einiger versicherungsmathematischer Sachverständiger im Bundesministerium für Arbeit rechnerisch durchgeführt sei.
Das ist nur ein Satz aus dem Gutachten des Sozialbeirats.Aber, Herr Schellenberg, der Vorwurf, den ich Ihnen jetzt mache, ist folgender. Sie unterscheiden nicht zwischen dem Sozialbericht und der versicherungstechnischen Bilanz. Beide haben zwei ganz verschiedene Aufgaben zu erfüllen: Der Sozialbericht gibt an Hand des neuesten statistischen Materials einen Überblick über die derzeitige, also sozusagen über die Augenblickslage bei den Finanzen der Rentenversicherungsträger, und er erlaubt dann auch, Maßnahmen zu beschließen, die von dieser Augenblickslage her gerechtfertigt erscheinen mögen. Deshalb ja auch der Vorschlag der Bundesregierung, ein Rentenanpassungsgesetz vorzulegen und nicht davon auszugehen, was längerfristige Aussagen, nämlich die der versicherungstechnischen Bilanz, bekunden.
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Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962 2135
Bundesarbeitsminister BlankDann, Herr Schellenberg, ist es etwas ganz anderes, und ich wundere mich, daß Sie das hier als eine Erkenntnis ausgeben wollen, daß das, was im Sozialbericht für die Jahre 1960/61 steht, nicht identisch sei mit dem, was in der versicherungstechnischen Bilanz stehe; denn dort sei ja ein um 2 Milliarden größerer Vermögenszuwachs ausgewiesen.Herr Schellenberg, ich muß versuchen, Ihnen die Unterschiedlichkeit der beiden Dinge auseinanderzulegen. Bei der versicherungstechnischen Bilanz handelt es sich um nichts anderes als darum, von Annahmen ausgehend, eine Reihe von Variationsrechnungen aufzumachen, um daran ablesen zu können, wie die Entwicklung wäre, wenn sich diese Annahmen als gerechtfertigt erwiesen. Niemand — weder die Verfasser der versicherungstechnischen Bilanz, noch ihre Überprüfer, noch ihre Kritiker — hat jemals — und das bringt das Gutachten des Sozialbeirats ganz klar zum Ausdruck — zu sagen gewagt, ob diese Annahmen auch im einzelnen Wirklichkeit werden. So basiert die eine dieser Variationsrechnungen, die es Ihnen angetan hat, Herr Schellenberg, auf der Annahme, daß die Entgelte um 6 % jährlich wachsen. Das ist eine Annahme. Wenn ich aber einmal eine Annahme mache, dann muß ich mit dieser Annahme bis zum Schluß durchrechnen. Ich kann mir zwar eine zweite, eine dritte, eine vierte, eine fünfte Annahme setzen und dann wiederum mit dieser Annahme weiterrechnen. Aber dann muß ich ebenfalls durchrechnen, und ich kann nicht in dieser Durchrechnung einen Sprung eintreten lassen und die Annahme selbst verändern. Um das und um nichts anderes handelt es sich hier.
Es hat sich gezeigt — ich schaue nicht einmal in meine Unterlagen, das habe ich im Kopf —, daß die Entgelte in Wahrheit nicht um 6 %, sondern um 10,2 % zugenommen haben. Bei dieser immerhin erstaunlich großen Zunahme der Entgelte wurden auch die Beiträge entsprechend höher, und damit wuchs das Vermögen in einem größeren Ausmaß, als wir erstens annehmen konnten und zweitens in dieser einen Annahme und ihrer folgerichtigen Durchrechnung enthalten ist.Wie absurd es wäre, anzunehmen, der Zuwachs von 10,2 % könne sich kontinuierlich wiederholen, will ich Ihnen damit dartun, Herr Schellenberg, daß es Ihnen, wenn Sie sich, wie ich annehme, genau wie ich noch an einige Schulkenntnisse erinnern, ein leichtes wäre, nachzurechnen, daß wir bei einem fortschreitenden Zuwachs von 10 % am Ende der 30 Jahre eine Versiebzehnfachung der Entgelte hätten. Daß solche astronomischen Zahlen nicht im Bereich irgendwelcher Möglichkeiten liegen, brauche ich, glaube ich, nicht ausdrücklich darzutun. So ist, Herr Schellenberg, gar keine Diskrepanz vorhanden. Sie müssen sich nur einmal mit der Eigenart der beiden Unterlagen vertraut machen, die Sie hier zur Hand haben. Das eine ist ein Ausweis des zur Zeit tatsächlich Gegebenen, und das andere ist nichts anderes als eine Rechnung, die uns zeigt, wie bei einer bestimmten Annahme am Ende die Entwicklung sein würde. Deshalb, Herr Kollege Schellenberg, gibt es auch keine Diskrepanz, wie Sie vermuten.Wogegen ich mich aber mit aller Entschiedenheit wehre, ist die Unterstellung, daß ich, um einmal den Kräften ein wenig vorzuarbeiten, die vielleicht daran denken, unser Rentensystem zu ändern, mich dazu hergegeben hätte, das Zahlenspiel entsprechend zu manipulieren. Das ist ein Vorwurf, Herr Schellenberg, den ich zurückweise. Denn er hat auch zum Inhalt, daß die Beamten des Ministeriums bereit gewesen seien, einer solchen Anordnung ihres Ministers zu folgen. Ich gebe niemandem eine Anordnung, von der Wahrheit abzuweichen, und ich glaube, ich kann zur Ehre der Beamten meines Ministeriums sagen, sie würden auch trotz Anordnung nicht von der Wahrheit abweichen.
— Herr Geiger, lassen Sie mich nur ausführen, was ich auszuführen für richtig halte.Worum es der Sozialdemokratie geht, ist doch die Frage, warum man nicht die noch fehlende Anpassung nachholt. Da darf ich daran erinnern, daß ich in meiner Einbringungsrede gesagt habe:Von der sozialpolitischen Seite her gesehen, hat sich auch in diesem Jahre wieder die Frage nach einer nachholenden Rentenanpassung gestellt. Über ihre sozialpolitische Rechtfertigung besteht kein Zweifel. Auch der Sozialbeirat hat erklärt, daß eine nachholende Anpassung aus sozialpolitischen Gründen zu rechtfertigen wäre.Aber sie ist eben leider nicht zu rechtfertigen — sehr zu meinem Schmerz nicht zu rechtfertigen —, wenn ich die gesamte finanzielle Entwicklung der Rentenversicherungsträger betrachte.Herr Schellenberg, Sie haben heute morgen im Hinblick auf die Hessen-Wahl gesagt, Sie hätten ja kein Interesse daran, die finanziellen Verhältnisse in der Sozialversicherung zu verschlechtern, denn Sie würden ja einmal hier stehen. Nun, ich bin der Meinung, daß Sie, wenn Sie heute hier schon stünden, Ihre Rede nicht gehalten hätten,
sondern sich mit meiner bescheidenen begnügt hätten;
und die geht auf folgendes hinaus:Ich habe dieses Rentensystem nicht erfunden. Ich halte es für gut, richtig und zweckmäßig. Ich habe mein Amt übernommen in dem festen Entschluß, das, was ich von meinem Vorgänger auf diesem Gebiet übernommen habe, zu bewahren und weiter auszubauen.
Solange ich Minister für Arbeit und Sozialordnung bin, werde ich alljährlich, wie es das Gesetz befiehlt, fristgerecht diesem Parlament ein Rentenanpassungsgesetz vorlegen. Darauf können Sie sich verlassen. Was ich aber niemals tue, ist, daß ich
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2136 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
Bundesarbeitsminister Blankdurch unüberlegte Handlungen — und das ist das Entscheidende — das ganze System in Gefahr bringe. Denn höher als die Möglichkeit, ob ich die eine ausgebliebene Anpassung im Augenblick vornehmen kann oder vielleicht erst zu Zeiten, wo man annehmen darf, jetzt ist die finanzielle Basis gesicherter — höher als dieser Wunsch steht mir, daß ich das, was wir bisher erreicht haben, halte und den Rentnern — und das sind 8 Millionen — die Versicherung geben kann: wir werden Sie Jahr für Jahr teilhaben lassen an der Entwicklung der allgemeinen Produktivität, dem Zuwachs des Sozialprodukts, und wie diese Kriterien heißen. Nur darum geht es.Deshalb kam es mir darauf an, Herr Schellenberg, hier die Akzente wieder richtig zu setzen. Wir haben nicht mit Zahlen manipuliert — das weise ich weit zurück —, sondern wir haben nach bestem Wissen und Gewissen Ihnen eine Bilanz — wenn Sie so wollen: eine Vorausschau — gegeben, die zu geben uns das Gesetz verpflichtet. Ich glaube, wenn Sie im Ausschuß dieses umfangreiche Werk ins Detail gehend studiert haben werden, dann werden Sie mir recht geben, und dann werden Sie sagen: Der Bundesminister für Arbeit hat insofern seine Pflicht erfüllt, weil er sich bemüht hat, als echt sorgender Hausvater die finanzielle Basis der Rentenversorgung von 8 Millionen Versicherten nicht in Gefahr zu bringen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gaßmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schellenberg hat heute vormittag die uns heute vom Herrn Bundesarbeitsminister vorgelegte und mit sehr treffenden Worten eingeleitete sozialversicherungstechnische Bilanz in einer Art und Weise herunterzureißen versucht — ich sage ausdrücklich: versucht —, daß es schon notwendig ist, auf einige grundsätzliche Fragen im Zusammenhang mit dem, was er gesagt hat, noch einmal einzugehen.Daß Herr Professor Schellenberg damit auch den Sozialbeirat in seiner Gesamtheit — der Herr Bundesarbeitsminister hat soeben schon darauf hingewiesen — in gleicher Weise herabgewürdigt hat, also auch die im Sozialbeirat vertretenen prominenten Mitglieder des Deutschen Gewerkschaftsbundes, scheint dem Herrn Professor Schellenberg gar nicht zum Bewußtsein gekommen zu sein.Es geht doch bei der Kritik dieser versicherungstechnischen Bilanz wahrhaftig nicht nur darum, daß man die zurückliegenden verschiedenen Sozialberichte auswertet und sie dem, was hier in der Bilanz auf Grund einer langen Vorschau berechnet ist, gegenüberstellt. Der Herr Bundesarbeitsminister hat in seinen Einführungsworten dem Sinne nach ausdrücklich darauf hingewiesen, daß diese versicherungstechnischen Bilanzen doch keine Wahrsagungen darstellen sollen, die den Anspruch darauf erheben wollten, die tatsächliche künftige Entwicklung der Rentenversicherung widerzuspiegeln. Er hat ausdrücklich betont - und daran ist Herr Professor Schellenberg völlig vorbeigegangen —, daß es sich hier um Vorausrechnungen auf Grund bestimmter Annahmen handelt. Solche Annahmen sind in ihrem versicherungsmathematischen Wert unanfechtbar. Genauso wie ein Produktionsbetrieb auf Jahre hinaus plant und abwägt, ob z. B. in 10 Jahren der Markt für eine bestimmte Anzahl seiner Produkte aufnahmefähig sein wird, und auf Grund einer solchen Verkaufsanalyse dann seine Investitionspolitik aufbaut, genauso sind die versicherungstechnischen Bilanzen von bestimmten Annahmen ausgegangen. Es liegt doch auf der Hand, daß solche Vorausberechnungen über einen Zeitraum von nahezu drei Jahrzehnten zwar Möglichkeiten und Grenzen der künftigen Entwicklung erkennen lassen, andererseits aber nicht mit Sicherheit die künftige Wirklichkeit treffen können. Die versicherungstechnischen Bilanzen wollen also nur folgendes aussagen: Falls sich die Bevölkerungsentwicklung, die Entwicklung der Anteile von Versicherten und Rentnern an der Gesamtbevölkerung, die Entwicklung der Arbeitsentgelte, des Zinssatzes, des Beschäftigungsgrades, der Produktivität usw. in der angenommenen Weise vollzieht, dann wird die finanzielle Entwicklung der gesetzlichen Rentenversicherungen in der und der Weise verlaufen.Ich habe es deshalb außerordentlich bedauert, daß heute vormittag in so abwertender Form von den Bilanzen gesprochen worden ist. Herr Professor Schellenberg hat darauf hingewiesen, daß die Vorlage für ihn eine einzige Enttäuschung gewesen sei und daß sie in keiner Weise den Anforderungen entspreche, die für eine langfristige Vorausberechnung notwendig sei. Herr Professor Schellenberg, es geht hier nicht, wie Sie apostrophierten, um irgendein Spiel, sondern es geht wahrhaftig um ernst zu nehmende Berechnungen, an denen die ganze Zukunft der deutschen Rentenversicherung hängt.
Es ist völlig abwegig, wenn in einem gewissen Teil der Presse davon gesprochen wird, daß hier nun mit einem Riesenaufwand ein Schriftstück mit 160 Seiten verfaßt worden sei, es aber gar keinen rechten Wert habe. So ist ja auch heute morgen die Beurteilung des Herrn Professor Schellenberg zu verstehen gewesen. So ist das nicht, meine Damen und Herren, und eine solche Feststellung darf, wie ich glaube, in diesem Raum nicht unwidersprochen bleiben.
Ich halte es deshalb für meine Pflicht — da ich die Arbeit an den Bilanzen kenne und da ich als ehemaliges Mitglied des Sozialbeirats auch einigermaßen über desen Arbeitsweise im Bilde bin —, an dieser Stelle dem Herrn Bundesarbeitsminister herzlichst zu danken für die großartige Arbeit, die er und sein Haus mit der Aufstellung der versicherungstechnischen Bilanzen geleistet haben.
Ich spreche ihm und seinen Mitarbeitern, insbesondere dem Leiter seiner versicherungsmathemati-
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Gaßmannschen Abteilung, unsere Anerkennung und unser Lob aus — ich glaube das auch im Namen meiner gesamten Fraktion tun zu dürfen — für dieses Wunderweit an Zahlen — ein bewundernswertes Zahlenwerk —, das mit unendlicher Mühe und Gewissenhaftigkeit nach jahrelanger Vorarbeit und erstmalig wieder nach vielen Jahren aufgestellt worden ist.
Ich bin mir klar darüber, was ich jetzt sage, wenn ich feststelle, daß die versicherungstechnischen Bilanzen methodisch ganz großartig angelegt sind. Sie haben für jede Frage und für jede Unklarheit
eine Erklärung. Wer sich die Mühe macht, sie richtig zu lesen, der findet sie gar nicht mehr so geheimnisvoll, wie es heute morgen hier dargestellt worden ist. Im Gegenteil, die hier vorliegende versicherungstechnische Bilanz ist — davon bin ich überzeugt — ein Musterbeispiel für Bilanzen: durchsichtig und klar.
Es wurde der Vorwurf erhaben — der Herr Bundesarbeitsminister ist vorhin schon kurz darauf eingegangen —, .daß 'bereits der Sozialbericht 1962 eine Differenz von je etwa 500 Millionen DM gegenüber den Bilanzen ausweist, was eine Differenz von 3 bis 4 % der Gesamtsumme ausmacht. Damit ist über die Bilanzen als solche überhaupt kein Werturteil gefällt.Herr Professor Schellenberg glaubt auch die Annahmen bei der Frage der Bevölkerungsstruktur variieren zu können. Darauf muß ich sagen, daß geade diese Annahmen am allerwenigsten eine Variation nötig haben oder überhaupt dazu geeignet sind. Die künftige Bevölkerung errechnet sich aus der gegenwärtigen Bevölkerung, die doch genau ausgezählt ist. Um von der gegenwärtigen Bevölkerung zur zukünftigen Bevölkerung zu kommen, braucht man nur die Sterbewahrscheinlichkeiten und die Geburtenhäufigkeiten.
Die nach Alter abgestuften Sterbeziffern sind seit Aufstellung der letzten allgemeinen deutschen Sterbetafel von 1949/1951 Jahr für Jahr aus den statistischen Jahrbüchern bekannt. Aus dieser 12 Jahre alten Entwicklung kann die künftige Entwicklung 'der Sterbewahrscheinlichkeit mit ziemlicher Sicherheit vorausgeschätzt werden. Was die Geburtenhäufigkeiten anlangt, darf davon kein wesentlicher Einfluß auf die Ergebnisse der Bilanzen erwartet werden, bei denen ja eine gleichbleibende Geburtenhäufigkeit unterstellt war. Denn die in den letzten Jahren mehr geborenen Kinder werden erst gegen Ende des Vorausberechnungszeitraumes der Bilanzen in die gesetzliche Rentenversicherung eintreten. Sie sehen daraus, daß es höchst gefährlich ist, an solchen von vornherein feststellbaren Tatbeständen noch variieren zu wollen.Die Sorgfalt, mit der bei der Aufstellung dieses Berichts vorgegangen worden ist — auch darauf hat der Herr Bundesarbeitsminister schon hingewiesen —, ist vom Sozialbeirat einstimmig bestätigt worden. Ich brauche hier die Worte, die vor mir der Herr Bundesarbeitsminister vorgetragen hat und die in den Vorbemerkungen des Sozialbeirats zu seinem Bericht enthalten sind, nicht zu wiederholen.Niemand allerdings verkennt die Problematik, die darin steckt, daß Einnahmen und Ausgaben für 30 Jahre vorausgeschätzt werden müssen. Trotzdem sind solche Voraussetzungen für eine Versicherung, die es mit so langfristigen Risiken, wie sie die gesetzliche Rentenversicherung darstellt, zu tun hat, unerläßlich. Auch ein vorsichtiger Hausvater und erst recht ein verantwortungsbewußter Unternehmensleiter wird für seine Planungen weder ungezügelten Optimismus noch lähmenden Pessimismus gelten lassen, sondern er wird Krisenzeiten rechtzeitig schon mit einkalkulieren. Er richtet sich nach einem alten Erfahrungssatz: vorsichtig in der Einnahmenschätzung und realistisch in der Ausgabenberechnung!Über die Finanzlage einer solchen Versicherung kann man kein zutreffendes Bild gewinnen, wenn man sich darauf beschränkt, so wie das Herr Professor Schellenberg heute morgen getan hat, aus der Einnahmen- und aus der Ausgabenrechnung der letzten Jahre — und nur der allerletzten Jahre — festzustellen, daß etwa die Einnahmen ein gutes Stück über den Ausgaben gelegen haben, oder wenn man allenfalls Vorausberechnungen für einen kurzen Zeitraum macht, den man mit einiger Sicherheit schon im voraus übersehen kann. Es kann durchaus sein, daß auch die Vorausberechnungen für die nächsten zwei oder die nächsten drei Jahre noch ein ganz befriedigendes Bild ergeben werden. Trotzdem darf man sich dadurch nicht in Sicherheit wiegen lassen. Bei den langfristigen Risiken der Rentenversicherung, in der der Versicherungsfall in der Regel erst Jahrzehnte nach dem Beginn der Beitragszahlung eintritt, muß durchaus damit gerechnet werden, daß in zehn oder in fünfzehn Jahren das Finanzbild ganz anders sein wird, als es in den letzten beiden Jahren war oder für die nächsten Jahre vorausberechnet werden kann. Das wird insbesondere gerade dann eintreten, wenn die heute morgen genannte Belastungsquote der Versicherung, d. h. das Verhältnis der Anzahl der Rentner zur Anzahl der Beitragszahler, zur Zeit zwar noch ganz befriedigend ist, wenn aber aus der Betrachtung der Geburtenzahlen in den letzten Jahrzehnten schon jetzt mit Sicherheit zu erwarten ist, daß die Belastungsquote in den nächsten Jahrzehnten beträchtlich ansteigen wird.
Gerade in dieser Lage befindet sich die gesetzliche Rentenversicherung in der Bundesrepublik. Daraus ersieht man, von welcher Bedeutung für die gesetzliche Rentenversicherung langfristige Vorausschätzungen sind. Daß solche langfristigen Vorausschätzungen stets mit einer gewissen Unsicherheit behaftet sein werden, muß der Sache nach in Kauf genommen werden.
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2138 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
GaßmannDer Gesetzgeber hat gerade deswegen -
— Ja, gerade deswegen! Der Gesetzgeber hat deswegen auch vorgeschrieben, daß versicherungstechnische Bilanzen in kurzer Aufeinanderfolge, nämlich alle zwei Jahre, vorzulegen sind. Erkenntnisse aus den Erfahrungen, die seit Aufstellung der letzten Bilanz angefallen sind, können für die nächste Bilanz verwertet werden und zur Stützung oder zur Berichtigung der ersten Bilanz führen, je nachdem, wie der Fall liegt. Der Wert dieser Bilanzen steigert sich also mit jeder weiteren Bilanz. Auch daran muß man denken, bevor man ein Urteil über die uns hier vorgelegten Bilanzen abgibt.
Das Wort hat der Abgeordnete Spitzmüller.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Zum fünften Male beschäftigt sich dieses Hohe Haus mit einem Rentenanpassungsgesetz, aber zum ersten Male wird gleichzeitig eine versicherungstechnische Bilanz vorgelegt. Über diese versicherungstechnische Bilanz hat Herr Professor Schellenberg heute morgen sehr eingehende Ausführungen gemacht. Herr Kollege Schellenberg, Sie haben Zweifel geäußert, ob im Arbeitsministerium überhaupt moderne Rechenmaschinen vorhanden seien. Ihre Ausführungen gipfelten in der Feststellung — Sie wandten sich damit an den unvoreingenommenen Betrachter —, das Werk, das uns hier vorgelegt worden sei, sei nicht stichhaltig, das sei keine Unterlage, auf der man aufbauen könne. Sie haben dann vor unserem geistigen Auge ein neues Gebilde aufgerichtet — dies hatten Sie offensichtlich mit einer neuen Rechenmaschine oder nach altherkömmlicher Art in Ihrem Kopf ausgerechnet — und gesagt: Das ist die Grundlage, von der wir ausgehen.Lieber Herr Kollege Schellenberg, gestatten Sie mir die leicht ironische Bemerkung: ich hoffe doch, daß auch bei der neuartigen Rechenmaschine, von der Sie sprachen, immer noch nach dem Grundsatz gegangen wird, daß zweimal zwei vier ist, und daß da nicht etwas anderes herauskommt.
Ihren Ausführungen konnte man entnehmen, daß wir nicht nur die Rentenschere schließen, sondern daß wir darüber hinaus eine ganze Fülle von Härten beseitigen können, die wir und die Kollegen von der CDU/CSU auch alle recht gern aus dem Gesetz heraushaben möchten. Ich bin der Meinung, Herr Kollege Schellenberg, wir werden das, was Sie hier vorgetragen haben, mit unserem Koalitionspartner noch einmal sehr aufmerksam durchgehen,
und wir werden es mit dem Arbeitsministerium durcharbeiten. Ich glaube, niemand wäre glücklicher als wir von der FDP und unsere Koalitionsfreunde von der CDU, wenn sich tatsächlich ergäbe, daß alldas, was Sie hier als Möglichkeiten in den Raum gestellt haben, durchgeführt werden könnte, ohne daß wir uns in die Gefahr begäben, daß Sie zu einem Zeitpunkt, zu dem Sie vielleicht Arbeitsminister sind, in ganz große Schwierigkeiten hineingeraten.
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schon bei den Ansätzen der ersten überprüfbaren Jahre hinsichtlich des Vermögenszuwachses sich eine Differenz von 100 % ergibt.
Das sind doch die Tatsachen, und dazu hat der Bundesarbeitsminister, haben die Sprecher der Regierungsparteien nichts gesagt. Herr Kollege Kühn, Sie haben hier gewissermaßen die Ausschußberatungen über die Fragen des Sonderzuschusses und der Rückwirkung eröffnet.
— Ja. Lieber Herr Kollege Gaßmann, Sie lassen sich durch eine Fülle von Zahlen beeindrucken; ich nicht. Dazu habe ich in meinem Leben beruflich viel zuviel mit Zahlen zu tun gehabt.
Für mich isst die Bewertungsmöglichkeit der Zahlen in der Bilanz entscheidend.Politisch entscheidend — darauf haben Sie auch nicht geantwortet — ist die Wirkung, die durch die Veröffentlichung der Bilanzen und durch das bisherige Schweigen der Bundesregierung dazu in der Öffentlichkeit entstanden ist. Ich habe Ihnen heute morgen einige Zeitungen zitiert, die schon von vornherein gegen die Rentenanpassung auftraten. Was schrieben große deutsche Tageszeitungen, was sagt der Rundfunk? Da heißt es in den Überschriften: „Das Rentendilemma" —„Rentendynamik zwingt zu höheren Beitragen" — „Niedrigere Renten oder höhere Zuschüsse?" — „Vor einer Erhöhung der Rentenbeiträge" — „Auf dem Wege zum Rentnerstaat" — „Schon 1967 reicht das Geld für ihre Renten nicht mehr" usw. Wenn das in jeden Haushalt gelangt, dann hat doch die Bundesregierung die Verpflichtung, ein Wort zu solchen Auswirkungen der Bilanzen zu sagen. Das hat sie unterlassen, und das war ein schweres Verschulden.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat hier das Wort „Popanz" in den Munid genommen. Ich glaube, er hätte das unterlassen sollen.
Denn was ein Popanz ist, das wollen wir im Hinblick auf die Zahlen, die uns heute vorgelegt wurden, dahingestellt sein lassen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Schellenberg hat gesagt: Politisch verantwortlich ist die Bundesregierung, nur mit ihr haben wir die Diskussion zu führen; aber der Herr Minister hat versucht, sich abzudekken.Dazu möchte ich noch einmal Stellung nehmen. Sie haben, Herr Schellenberg, für jeden Zuhörer unmißverständlich hier in mehreren Variationen dargetan, daß die Zahlen der versicherungstechnischen Bilanz mit Absicht so gestaltet seien, um grau in grau zu malen, das heißt — so haben Sie gesagt, wenn ich das auch nicht mit gleichen Worten wiedergeben kann, aber dem Sinne nach —, um politisch den Boden vorzubereiten, um das derzeitige Rentengesetz aus den Angeln zu heben.Ich habe gesagt und wiederhole es, weil Sie das wieder angesprochen haben: Sie haben sich einen Popanz aufgebaut. Denn niemand in diesem Hause— ich kann das mit aller Deutlichkeit für meine Fraktion sagen, und der Sprecher der FDP hat ja soeben das seinige von der Auffassung seiner Fraktion her gesagt —
— Ihre Ansicht in Ehren, ich lasse sie Ihnen unbestritten — denkt daran, dieses Gesetzgebungswerk aufzuheben oder grundlegend zu ändern. Wir halten an dem Grundgedanken fest, die Rentenversorgung so zu gestalten, daß der arbeitende Mensch, der ein erfülltes Arbeitsleben hinter sich hat und mit seiner Beitragszahlung, die ja sehr hoch ist, da-
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Bundesminister Blankzu beigetragen hat, die derzeitigen Renten zu ermöglichen, später eine Rente bekommt, die in gleicher Relation zu den dann üblichen Verdiensten steht.
Deshalb, Herr Schellenberg, brauche ich mich gar nicht zu verstecken; denn dieser Ihr Vorwurf hat zum Inhalt, daß ich ja nicht nur das Parlament täusche. Nun braucht man den Vorwurf gar nicht so ernst zu nehmen; denn ich schätze die Intelligenz der Parlamentarier so hoch ein, daß sie bei der Beratung dieser Bilanzen recht bald entdecken würden, wo ich sie getäuscht hätte, und dieser Gefahr setze ich mich gar nicht aus.
Aber, Herr Schellenberg, ich verstecke mich nicht, sondern ich lege nur dar, was der Sozialbeirat gesagt hat. Ich kann Sie, Herr Schellenberg, nur noch einmal bitten: lesen Sie doch endlich einmal sehr gründlich durch, was der Sozialbeirat gesagt hat, und zwar nicht gesagt hat, um mir einen Gefallen zu tun, sondern gesagt hat, weil ihn das Parlament als Gesetzgeber dazu verpflichtet hat. Was er in seinem Gutachten, das er zu diesen versicherungstechnischen Bilanzen abzugeben hatte, gesagt hat, das muß, darf und kann nämlich Gegenstand der Debatte in diesem Parlament sein. Was hat er denn gesagt? Er hat diese Bilanzen sehr genau analysiert und gesagt, er sei überzeugt — nicht nur: er nehme an, sondern: er sei überzeugt —, daß die notwendigen Annahmen durch das Bundesarbeitsministerium bestmöglich erfaßt seien. Ich will gar nicht weiter zitieren. Er unterstellt nicht, daß wir mit höchst zweifelhaften Annahmen operierten, sondern er sagt, er sei überzeugt, daß das Bundesarbeitsministerium diese Annahmen bestmöglich erfaßt habe. Er geht also davon aus, daß man sich — menschlichen Irrtum natürlich eingeschlossen — im Bundesarbeitsministerium bemüht habe, so gut man das eben kann, alle Daten, die hier erforderlich sind, zu erfassen und mit ihnen die Rechnungen aufzumachen. Das, Herr Schellenberg, stelle ich noch einmal hier in den Raum, damit Sie mir nicht mit der Bemerkung ausweichen können: Jetzt will er sich hinter dem Beirat verstecken!Noch ein zweites, Herr Kollege Schellenberg. Ich weise so etwas auch von mir. Was ich von den versicherungstechnischen Bilanzen erwarte, habe ich, ohne daß sie hier zur Debatte standen, schon einmal vor Jahren gesagt, und das möchte ich heute dem Sinne nach wiederholen. Ich habe gesagt, es sei ein Irrtum, anzunehmen, wie es manche Leute tun, man mache eine versicherungstechnische Bilanz auf, wisse nunmehr, wie die ganzen Verhältnisse über 30 Jahre laufen, und sei dann jedes weiteren Nachdenkens darüber enthoben, was man im einzelnen zu tun habe. Das ist nicht so. Der Aussagewert dieser versicherungstechnischen Bilanz ist vielmehr ein sehr begrenzter. Das ist sehr genau im Vorwort niedergelegt. Das ist vom Sozialbeirat in seinem Gutachten sehr ins Detail gehend dargelegt worden. Ich will die drei Seiten, die das in der Drucksache umfaßt, natürlich nicht zitieren. Aber, Herr Kollege Schellenberg, wenn Sie die einmal gründlich durchlesen — ich glaube, daß Sie das auch tun werden, ich bin sogar davon überzeugt —, werden Sie diesen Ihren Vorwurf, ich hätte die Zahlen färben lassen, zurücknehmen.Denn was erwarte ich? Ich erwarte, daß uns diese versicherungstechnische Bilanz unter einer Reihe von Annahmen — ob diese zutreffen, weiß niemand von uns —, die man aber als möglich unterstellen muß, die man miteinander variieren muß, mit denen man eine Reihe von Rechnungen durchführen muß, eine gewisse Tendenz in der Entwicklung zeigt. Dieser Aufklärung bedürfen wir, weil wir von dort her entscheiden müssen, was zu tun ist.Nun hat, Herr Kollege Schellenberg — Sie haben eben gesagt, damals sei ich an dieser Sache nicht beteiligt gewesen; nun, ich war auch damals Abgeordneter des Deutschen Bundestages, ich habe mich auch damals mit dem Gesetz beschäftigt —, der Gesetzgeber — mit Ihrer Stimme — sogar in das Gesetz hineingeschrieben, was zu tun sei, wenn einmal die finanzielle Lage der Rentenversicherungsträger ein bestimmtes Kriterium zeige; ich will es im einzelnen nicht umreißen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind der Meinung, daß der derzeitige Sozialbericht die Bundesregierung berechtigt, guten Gewissens dem Parlament zu sagen: Für diesen Augenblick, glauben wir, können wir die Anpassung vornehmen, brauchen die vorgesehenen gesetzlichen Maßnahmen noch nicht ins Auge zu fassen, aber, auf lange Sicht gesehen, so scheint uns, ist die Entwicklung mit höchster Aufmerksamkeit zu beobachten.Wer dies nicht aus den Bilanzen herauslesen will, wer den gegenteiligen Weg gehen will, etwa zu sagen: Na, es wird schon nicht so schlimm werden, wir könen jetzt statt nur des einen Schrittes der Anpassung gleich auch noch den zweiten tun, der ist eben anderer Auffassung; denn das mag unter Umständen eine Frage der persönlichen Auffassung sein. Aber Herr Schellenberg hat doch mit Recht gesagt, wir alle hier in diesem Hause — nicht nur die Regierung — trügen gemeinsam die Verantwortung dafür — und er kämpft doch so leidenschaftlich um den Fortbestand dieses Systems —, daß die Rentenversicherungsträger finanziell gesund bleiben. Da will ich Ihnen mal etwas sagen, Herr Kollege Dr. Schellenberg — das ist doch Ihrem Scharfsinn sicher nicht entgangen, obwohl Sie es heute gar nicht behandelt haben —: mögen auch die einzelnen Annahmen, von denen wir ausgegangen sind, so oder so kritisiert werden können, eine ist hier überhaupt nicht behandelt worden: Wir sind davon ausgegangen, daß wir für die nächsten Jahrzehnte den derzeitigen Stand der Vollbeschäftigung hätten. Wer, meine Damen und Herren, weiß das denn!
Und wer von uns weiß nicht, daß, wenn nur ein einziges Mal, in einem einzigen Jahre, was Gott verhüten möge — wir wissen doch alle, daß es auch Dinge gibt, die wir gar nicht in der Hand haben, die von außen her auf die Entwicklung einwirken kön-
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Bundesminister Blanknen —, die bisherige Vollbeschäftigung sich abschwächen würde, schon das ganze finanzielle Gebäude sehr fragwürdig würde.Angesichts dieser Tatsachen glaube ich, aus meiner Verantwortung heraus dem Parlament sagen zu müssen, daß man, ohne daß man zu pessimistisch zu sein braucht, durchaus dazu raten kann: Jawohl, nehmen wir den Schritt der Anpassung um die 6,6 % vor.Ich bin so objektiv, zuzugeben, daß es beachtliche Stimmen gibt — man kann ja nicht jeden deshalb beiseite schieben, weil einem seine Meinung nicht paßt —, die auch daran Kritik üben. Aber ich glaube, guten Gewissens dem Parlament empfehlen zu können, diesen Schritt zu tun. Ob Sie ihn tun, haben Sie zu entscheiden. Aber ich glaube, ohne übertrieben pessimistisch zu sein, im Augenblick nicht empfehlen zu können, obwohl ich es sozialpolitisch, wie gesagt, für richtig, für gut hielte, nunmehr auch noch die fehlende Anpassung nachzuholen. Denn hier, meine Damen und Herren, scheint mir die versicherungstechnische Bilanz eines klar zu machen — wie ich einmal in der deutschen Öffentlichkeit gesagt habe; ich möchte den Satz wiederholen —: sehr erfreulich ist sie nicht. Sollten wir uns darin getäuscht haben und sollten wir demnächst einsehen — auch das sind nicht meine Worte, die ich jetzt gebrauche —, daß ihre Aussagen um so besser und zutreffender wären, je mehr solche Bilanzen kontinuierlich aufeinander folgten — das hat der Sozialbeirat ja gesagt —, sollten wir dann sehen, daß unsere jetzige Auffassung vielleicht doch nicht optimistisch genug war, nun, dann steht nichts im Wege, diesen Schritt zu vollziehen, den Sie heute schon tun könnten, den ich aber heute für noch nicht zeitgemäß halte.Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, bitte ich Sie, bei aller kritischen Würdigung der Ihnen gegebenen Unterlagen, folgen Sie dem Vorschlag der Bundesregierung!
Das Wort hat der Abgeordnete Stingl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schellenberg, ich glaube, Sie haben mit dem, was Sie vorhin über die versicherungstechnischen Bilanzen gesagt haben, unseren gemeinsamen Überlegungen zur Rentenversicherung keinen guten Dienst getan. Sie haben, Herr Kollege Schellenberg, in Ihren Ausführungen mehrfach darauf hingewiesen, daß die Zeitungsberichte, die teilweise recht alarmierende Überschriften hatten, beunruhigend gewirkt haben. Herr Kollege Schellenberg, ich kann nur sagen: Ihre Ausführugen hier haben mich außerordentlich beunruhigt. Sie haben mich deshalb beunruhigt, weil Sie am Rankenwerk einiger Zahlen aufzeigen wollen, daß man das ganze Rentenversicherungsgesetz unter ganz anderen Aspekten, viel optimistischer behandeln könne. Ich meine, das ist nicht richtig. Gewiß, man kann -- hier müssen wir einfach das akzeptieren, was der Herr Arbeitsminister gesagt hat — eine versicherungstechnische Bilanz nur aufstellen, wennman bestimmte Annahmen unterstellt. Diese Annahmen sind uns sehr klar, sehr nüchtern und eindeutig vom Ministerium dargelegt worden. Wir können die versicherungstechnischen Bilanzen, wenn Sie so wollen, mit anderen Annahmen anders gestalten; nur, meine Damen und Herren, ob dann das Resultat zu mehr Optimismus berechtigt, das bezweifle ich sehr.Ich will Ihnen das an einigen Beispielen deutlich machen. Der Herr Kollege Schellenberg hat uns dargetan, daß die Regierung Fehlkalkulationen begangen habe und sich im Sozialbericht jeweils gegenüber den Voraussagen habe korrigieren müssen. Meine Damen und Herren, forschen Sie doch nach den Ursachen! Woran liegt das? Es liegt daran, daß wir eine Lohnentwicklung haben, die wir selber nicht erwartet haben und die wir bei der Berechnung unserer Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze auch nicht für möglich gehalten haben. Ich will zu der Frage, ob die Lohnerhöhungen berechtigt waren oder nicht, gar nicht Stellung nehmen. Ich will nur eines sagen: gleiche Lohnerhöhungen vorausgesetzt und Ihr politisches Wollen damals verwirklicht, nämlich die Renten auf den jeweiligen Lohnstand gebracht ohne die Verzögerung, die in der allgemeinen Rentenbemessungsgrundlage liegt, und jährlich automatisch angepaßt, wären die damaligen Voraussagen der Regierung viel, viel zu optimistisch gewesen.
Wir wären längst pleite mit allen Rentenversicherungen.Man muß das sehr nüchtern sehen. Die günstige Entwicklung, die wir im Augenblick haben, ist allein darauf zurückzuführen, daß wir uns damals in vernünftiger Erkenntnis gegen Ihren äußersten Widerstand — ich erinnere mich genau — und nach Auseinandersetzungen in meiner eigenen Fraktion entschlossen haben, die Regierungsvorlage, wenn Sie so wollen, in einem Punkt etwas zu verschlechtern, weil wir die allgemeine Bemessungsgrundlage um ein Jahr zurückgeschraubt haben. Daher nämlich kommt es, daß die Entwicklung der Löhne der Entwicklung der Renten vorauseilt und damit ein höheres Einkommen in die Tüte hineinkommt, das wir nicht gleich ausgeben müssen.Das trifft für die ganze Entwicklung zu. Folgen Sie einmal dem Gedanken des Herrn Kollegen Schellenberg und projizieren Sie in die versicherungstechnischen Bilanzen anstelle der Größen, die die Regierung angenommen hat, einmal diese hinein! Wer es ernst meint mit der Stabilität unserer Währung, der muß sich doch auch einmal ansehen, ob denn die versicherungstechnischen Bilanzen nachweisen, daß wir die 1986 anfallenden Renten noch bezahlen können. Er soll aber einmal auch nachsehen, welche Größenordnungen das dann ausmacht. Sehen Sie sich doch einmal die Durchschnittsarbeitsverdienste an, die in der versicherungstechnischen Bilanz zugrunde gelegt sind, in der Rechnung bei Entgeltsannahme 1, also mit einem Steigerungssatz, den Sie ja geradezu als absurd bezeichnen müßten, da ja schon 6 % Steigerung Ihnen nicht genehm ist. Sehen Sie doch einmal in der
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StinglÜbersicht nach. Da wird unterstellt, daß die Durchschnittsentgelte im Jahre 1986 — meine Damen und Herren, hören Sie zu! — jährlich 26 400 DM betragen. Durchschnittsentgelte! Ist es tda nicht berechtigt, einmal zu fragen: Hat das noch etwas mit der Stabilität der Währung zu tun, wenn wir in diese Gefahr hineingeraten? Das muß doch berücksichtigt werden. Und nun unterstellen Sie einmal statt der Steigerung von 3,53 usw., wie es die Regierung getan hat, die 10,5 % die Sie vorschlagen. Was bekommen Sie denn dann für astronomische Zahlen! Kann einer von Ihnen mit gutem Gewissen behaupten, daß wir dann, wenn wir bei einer Steigerung von 10,5 % die siebzehnfachen Durchschnittsgehälter hätten, bis dahin auch das Sozialprodukt auf das Siebzehnfache erhöht haben können? So etwas könnte man nur in kommunistischen Ländern versprechen, nicht bei uns, meine Damen und Herren.
Herr Kollege Schellenberg, Sie haben auch immer wieder darauf hingewiesen, daß die Regierung zwar Variationen in der Frage des Zinssatzes angebracht habe; wobei ich Ihnen im übrigen gar nicht einmal so sehr böse bin, daß Sie gesagt haben, der Zinssatz spiele nicht eine so furchtbar große Rolle. Aber die Frage der Entgeltsentwicklung spielt eine große Rolle. Sie haben die Regierung angegriffen, weil sie zuwenig Erhöhung der Entgelte anstrebe. Meine Damen und Herren, wenn wir höhere Entgelte ansetzen, werden wir zwar, das ist richtig, zu höheren Einnahmen kommen, zu Einnahmen, die im ungünstigsten Falle, bei der 6-%-Annahme der Regierung, 109 Milliarden DM in einem Jahr ausmachen. Wenn wir 10 % unterstellen, wird diese Einnahme noch mehr steigen, und wir kommen wer weiß wohin in den Summen an Geldern. Wer kann denn dann sagen, daß er sich beruhigt dem Gedanken hingeben könne: „Ja, setzt nur die Prozentzahlen ein."Nun soll der Gegner einer Rentengesetzgebung — hier stimme ich Ihnen zu — nicht etwa auf den Gedanken kommen dürfen: „Na, dann sparen wir halt bei den Rentnern!" Hier bin ich mit Ihnen einig: die Stabilität der Währung und die Stabilität in unserem ganzen Wirtschaftsgeschehen erreichen wir nicht dadurch, daß wir die Renten nicht anpassen. Das ist sicherlich auch richtig.
Aber die Zahlen, die uns da vorgelegt werden, geben uns doch ein deutliches Bild davon, daß wir in der Gefahr stehen, das Maß zu verlieren, und daß wir uns einfach einmal beherrschen müssen, daß wir uns die Dinge nüchtern vor Augen führen müssen
und daß wir nicht darum herumreden können, als würde dabei gar nichts passieren.Ich kann nur unterstützen, was der Herr Minister soeben gesagt hat: Was ist denn, wenn wir einmal nicht mehr die Vollbeschäftigung haben? Wo geht's denn dann hin? Dann werden Sie, meine Damen und Herren, dankbar das Instrumentariumder jährlichen Anpassung der Rentenversicherung begrüßen, bitter nötig, weil wir dann nämlich die Renten in ihrem Ausgabesoll unter Umständen zu einer Konjunkturspritze machen können. Ich sage nicht, daß wir das unter allen Umständen werden machen müssen. Aber wir haben jedenfalls den Weg gewählt, daß dieses Haus sich jedes Jahr der Verantwortung bewußt werden muß in bezug darauf, was es zu tun hat und was es zu lassen hat.Meine Damen und Herren, wir haben wiederum festzustellen — ich habe es schon öfter hier feststellen müssen —, daß die Regierung und wir uns in einer guten Position befinden. Sie brauchen nur die Fachliteratur zu lesen. Ein Versicherungsmathematiker, Herr Heubeck, sagt: „Ja, was ist denn das für eine Regierung! Die ist ja von einem Optimismus befangen, der sich überhaupt nicht sehen lassen darf." Sie sagen, die Regierung sei von einem Pessimismus befangen, der sich nicht sehen lassen darf. Nun, meine Herren, gehen wir auf die Straße: Wir sind mittendrin; wir dürfen uns doch wohl nach beiden Seiten sehen lassen. Herr Kollege Schellenberg, es ist einfach zu billig — und es ist eigentlich etwas, was Sie nicht tun sollten —, zu sagen, die versicherungstechnische Bilanz hätte auf den neuesten Erkenntnissen aufbauen müssen. Wissen Sie: die IBM 1401 kann so gut rechnen, daß man sie mit dem Futter, das man ihr dabei geben kann, gar nicht ausnützen könnte. Man braucht sie dafür gar nicht. Aber man muß ja — und die Regierung ist dazu gezwungen — diese Dinge auf eine ganze Reihe von Jahren hindurch bewältigen und immer wieder auch den zuständigen Instanzen vorlegen. Es ist kein Geheimnis, daß die Frage der Methode der Aufstellung der Bilanz recht gründlicher Erörterungen bedurfte und daß uns die nächsten Bilanzen doch wohl etwas schneller vorgelegt werden können. Aber — ich kann nur wiederholen, was ich in diesem Hause schon mehrfach gesagt habe — auch die nächste versicherungstechnische Bilanz, auch die übernächste und die überübernächste werden uns nicht zu Propheten machen. Wir werden jedes Jahr vor neue Erfordernisse gestellt sein. Jede versicherungstechnische Bilanz wird mit Annahmen arbeiten müssen, die keiner im voraus als absolut sicher darstellen kann und wofür er, gerade er, dann das Monopol gepachtet hat, sie wissen zu können.Sie haben auch einige bevölkerungspolitische Daten angegriffen. Herr Kollege Gaßmann hat schon darauf erwidert, und Herr Kollege Spitzmüller hat auch etwas dazu gesagt. Ich will nur beides zusammenziehen. Herr Kollege Schellenberg, Sie sagen: Es ist die Geburtenhäufigkeit — die jetzt ja Gott sei Dank wieder festgestellt werden kann — nicht genügend berücksichtigt. Ist Ihnen eigentlich nicht aufgegangen, daß es Ihre Politik ist, diese Jugendlichen länger in der Schulzeit, länger in der Ausbildung zu halten, so daß sie in dem Zeitraum, der die rentenversicherungstechnische Bilanz angeht, im allgemeinen gar nicht zu Beitragszahlern werden oder, wenn sie es werden, nur geringe Beiträge zahlen?Wenn Sie es schon so wollen, so will ich es einmal billig machen und die Geschichte umkehren. Diese Geburtenhäufigkeit tritt im Raum der versicherungstechnischen Bilanz vielleicht in höheren
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StinglKindergeldzulagen oder höheren Waisenrenten in Erscheinung; denn als im Erwerbsleben Stehende und Beitragszahler stehen sie erst später wieder zur Diskussion.Ich darf Herrn Spitzmüller noch einmal unterstützen. Gerade in den Rechnungen für die Jahre 1978/ 79 sehen Sie, welches Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentenempfängern besteht, und diese Zahlen, Herr Kollege Schellenberg, sind nicht mehr durch die spätere Geburtenhäufigkeit beeinflußbar; diese Zahlen stehen jetzt schon fest. Wenn sich die Sterblichkeitszahlen ändern sollten, Herr Kollege Schellenberg, haben wir ein noch ungünstigeres Verhältnis von Arbeitenden zu Rentnern.Sie sagen, es sei erschreckend, daß zwei Drittel der heutigen Rentenzugänge auf Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit zurückzuführen seien. Ich stimme Ihnen darin zu. Genauso haben wir auch bei den Rentenversicherungsgesetzen der Ansicht zugestimmt — wir hoffen auf eine gemeinsame Zustimmung auch im Falle der Krankenversicherung —, daß eben mehr Vorsorge betrieben werden kann, damit der Rentenbeginn später liegt, aber damit auch die Sterblichkeit hinausgeschoben wird. Wir hoffen sehr, daß der spätere Rentenbeginn dadurch, daß wir die Menschen länger in Arbeit halten können, weil sie gesund sind, ein Pendant darin findet, daß die Menschen länger leben, wenn Sie Rentner sind. So wird das also praeter propter in der Bilanz sich doch wohl nicht allzusehr auswirken. Das jedenfalls hoffen wir. Wir sind wie Sie der Meinung, daß die Heilverfahren weiter ausgedehnt werden müssen; aber da kann es auch einen rein sozialdemokratischen Bundestag geben: befehlen, daß kein Mensch mehr krank wird, kann auch der nicht.
— Ich will damit nur sagen, Herr Schäfer, daß Ihre Argumentation zu billig ist. Ich habe vorhin ausdrücklich gesagt, daß ich manches umkehre, weil es so billig gesagt worden ist.
— Herr Kollege Schäfer, es ist wirklich so: man kann mit Gesetzen nicht die Gesundheit in der Welt für jeden garantieren. Das ist ausgeschlossen.
— Nein, man kann nur 'die nötigen Mittel zur Verfügung stellen, damit der allgemeine Gesundheitszustand gebessert wird. Aber auch bei besten wissenschaftlichen Erkenntnissen kann es immer noch manches geben, was sich unserer Beurteilung entzieht, und trotz aller wissenschaftlicher Erkenntnisse wird es doch immer wieder sehr zahlreiche Krankheiten geben.
Ich möchte sogar meinen, daß das in der Welt so gut ist.
Meine Damen und Herren, wir bejahen wie Sie die moralische und sittliche Verpflichtung, die wirden Rentnern gegenüber haben, die wir den heute Arbeitenden gegenüber haben. Aber weil wir diese moralische und sittliche Verpflichtung bejahen, weil wir dies alles wissen, darum sind wir der Meinung, daß die Regierung recht gehandelt hat, daß die Regierung die Annahmen, die sie zugrunde gelegt hat, zu Recht zugrunde gelegt hat. Meine Damen und Herren, wir würden die Regierung der Verantwortungslosigkeit zeihen, hätte sie es anders gemacht.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schellenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Stingl, eine Reihe von Fragen, die Sie hier angeschnitten haben, werden wir im Ausschuß behandeln müssen. Ich möchte nur ganz wenige Dinge klarstellen. Sie haben erklärt, wir Sozialdemokraten hätten den Wunsch, daß in der Bilanz höhere Entgelte angesetzt würden. Das habe ich nicht gesagt, sondern ich habe erklärt: Es sind nach einer Verordnung, die die Bundesregierung verabschiedet hat, für 1961 tatsächlich höhere Entgelte entrichtet worden, als sie für die Berechnungen der Bilanz zugrunde gelegt wurden. Ich habe weiter gesagt: Deshalb sind schon im ersten Jahr — und bei der Vermögensentwicklung habe ich erklärt: im zweiten Jahr — die Thesen, auf die die Bilanz sich stützt, unrichtig.Aber, Herr Kollege Stingl, im Grundsatz sind wir, so hoffe ich, gar nicht so weit auseinander.Wir wollen — und das war unsere Beanstandung — versicherungstechnische Unterlagen — ob sie nun Sozialberichte oder versicherungstechnische Bilanzen sind —, die der Wirklichkeit möglichst nahekommen. Wir haben beanstandet, daß da: heute vorgelegte Material der Wirklichkeit, soweit sie überprüfbar ist, in wichtigen Punkten widerspricht.Nun noch wenige Bemerkungen zu dem Herrn Bundesarbeitsminister. Herr Bundesarbeitsminister Sie haben gesagt, ich hätte behauptet, durch die Bilanzen solle politisch der Boden für eine Ände rung der Rentengesetze vorbereitet werden. Her] Minister, so habe ich das nicht genau gesagt. Ich will Ihnen aber etwas vorlesen, vielleicht klärt daß das Mißverständnis. Ich habe aus dem Bericht der Bundesregierung vorgelesen, in dem es wörtlich heißt:Die Bundesregierung ist der Ansicht, daß die Ergebnisse der Bilanzen zur Zeit noch nicht ge setzgeberische Maßnahmen erforderlich machen wird jedoch prüfen, ob solche Maßnahmen bis zum Ablauf des ersten zehnjährigen Deckungs abschnittes, d. h. bis 1966, noch erforderlich werden.Das hat die Bundesregierung erklärt. Im Finanz bericht ist für die Zeit ab 1. Januar 1967 sogar ge sagt, daß für dann auf Grund der Bilanzen ein schneidende Änderungen in den Finanzgrundlagen notwendig sein werden, wenn das Leistungssysten
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Dr. Schellenbergusw. aufrechterhalten werden soll. Das habe ich erklärt.Weiter muß ich, Herr Bundesarbeitsminister, um es ganz präzis zu sagen, erklären, daß die bisher vorgelegten Materialien auch dazu benutzt worden sind und benutzt werden, die Beseitigung der bestehenden Härten und Ungerechtigkeiten hinauszuschieben.Noch ein letztes Wort über den nun schon so viel zitierten Beirat! Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten haben im Ausschuß einmal beantragt, die Mitglieder des Beirates selbst in den Ausschuß zu bitten, damit wir mit ihnen gemeinsam die Probleme erörtern könnten. Das hat die Mehrheit leider abgelehnt.
Das war der Tatbestand. Wir können diesen Antrag gern wieder stellen und werden dann die Auffassungen hören. Ich wäre sehr dankbar, wenn der Herr Bundesarbeitsminister, der dem Ausschuß viel zu selten die Ehre seiner Anwesenheit gibt, dann dabei wäre.
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schellenberg, Ihr Vorbringen erheischt, daß man sofort und auf der Stelle antwortet. Ich wundere mich, daß Sie so wenig zu meinen Ausführungen über die Tätigkeit des Sozialbeirates sagen. Inzwischen ist Ihnen aufgegangen, wie schwerwiegend Ihr Vorwurf gewesen ist.
Nun sagen Sie, Sie hätten gar nicht den Vorwurf erhoben, daß wir das Zahlenmaterial, die Unterlagen, na, so in einer bestimmten politischen Tendenz ausgewählt hätten. Haben Sie wohl! Sie haben an diese Ihre Darlegungen eine ganze Reihe von Zitaten aus unterschiedlichsten Presseorganen angeknüpft, die FDP hat mal wieder herhalten müssen, und deren Minister haben Sie zitiert, um darzutun, warum man dieses Zahlenmaterial angeblich so aufgebaut habe. Diesen Eindruck, Herr Schellenberg, können Sie nicht verwischen, und wir werden es ja im Wortprotokoll der heutigen Sitzung nachlesen.
Jetzt beginnen Sie die Dinge etwas abzumildern und sagen, ja, die dazu vorgelegten Daten und Materialien seien aber prompt benutzt worden, um die Beseitigung von Härten und Unzuträglichkeiten in der Gesetzgebung weiter hinauszuschieben. Meine Damen und Herren, dafür, wozu irgend jemand unser Material benutzt, können Sie uns nicht verantwortlich machen, genausowenig wie wir Sie dafür verantwortlich machen können. Aber auch hier schwingt doch wieder mit, daß dieses Material in einer bestimmten Weise manipuliert sei,
um diesen Effekt zu erzielen. Dagegen habe ich mich verwahrt, und ich habe mich mit Recht auch auf das Votum des Sozialbeirates berufen.
Nun mache ich aber zum letztenmal einen Versuch; vielleicht gelingt es mir doch, Ihnen endlich einmal klar zu machen, was Sie nicht auseinanderhalten können. Sie sagen, bei dieser versicherungstechnischen Bilanz sei man nicht mit den modernsten, mit den letzten Zahlen an den Aufbau herangegangen. Herr Kollege Schellenberg, natürlich haben die Entgelte von 1960 auf 1961 eine durchschnittliche Erhöhung um 10,2 % erfahren, und sie werden sich nach dem bisher vorliegenden Material von 1961 auf 1962 vermutlich etwa im gleichen Ausmaß erhöhen. Aber, Herr Kollege Schellenberg, ich kann doch nun nicht eine versicherungstechnische Bilanz, für die wir die Materialien ja sehr sorgfältig sammeln mußten — ich will nicht mehr im einzelnen darstellen, was da alles notwendig war —, jetzt damit über den Haufen werfen, daß ich sage: Heute weiß, ich, daß die Entgelte von 1960 auf 1961 um 10,2 % gestiegen sind. Denn was sagt eigentlich eine Rechnung unter der Annahme, daß die Entgelte um 6 % steigen werden? Sie sagt doch nicht, Herr Kollege Schellenberg — und Sie sind doch, wie Sie eben sagten, in Ihrem Leben so viel mit Zahlen umgegangen —, daß das Jahr für Jahr so sein wird. Vielmehr besagt das für die Durchrechnung, daß man annimmt, ein solcher durchschnittlicher Zuwachs werde eintreten. Es würde auch meine Rechnung nicht wesentlich ändern, wenn dann einmal in dem einen Jahr eine Abweichung nach oben und in dem anderen Jahr eine Abweichung nach unten ist. Aber nun zu sagen „Du gehst mit falschen Voraussetzungen daran; du hättest ja von 10,2 % Zuwachs ausgehen müssen", heißt doch, Herr Schellenberg — ich bitte Sie, vielleicht kommen wir jetzt der Sache näher, Herr Kollege Schellenberg —, schlicht anzunehmen, über die ganzen 30 Jahre hinweg würde der durchschnittliche Zuwachs 10,2 % betragen. Daß das eine Utopie ist, habe ich eben in Erinnerung an die Zinseszinsformel darzustellen versucht, von der ich annehme, daß sie uns beiden noch in gleichem Maße geläufig ist. Das hätte aber zur Folge, wie ich eben schon sagte, daß nun die Entgelte den 17 1/2fachen Wert von dem hätten, was gegenwärtig hier angenommen worden ist. Deshalb, Herr Kollege, beruht Ihr Vorwurf, wir hätten die versicherungstechnische Bilanz mit falschem Zahlenausgangsmaterial aufgebaut, einfach auf einer fundamentalen Unkenntnis der Voraussetzungen und Zusammenhänge und auf einer fundamentalen Unfähigkeit, gegeneinander zu entscheiden, was ist Bericht und was ist Bilanz.
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Schellenberg.
Meine Damen und Herren, auf die letzte Bemerkung antworte ich nicht. Sie selbst tun es mit einer bezeichnenden Handbewegung ab.
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Dr. SchellenbergMeine Damen und Herren, nehmen Sie sich doch die Bilanzen vor. Auf Seite 5 wird die Berechnung für die Arbeitsentgelte keineswegs durchgehend nur mit 6 % durchgeführt. Da beginnt vielmehr beispielsweise die Rechnung 1 mit 7 % und wird dann variiert. Solche Möglichkeiten hat also die Bilanz gehabt, und man hat dies nicht entsprechend der Realität genutzt. Ich habe nur gesagt, daß die Zahlen, die wir für die ersten zwei Jahre überprüfen können, nicht der Realität entsprechen.Ich möchte noch einmal auf den Beirat zurückkommen. Wir stellen den Antrag, den Beirat in den Ausschuß zu bitten. Ich werde dann prominente Beiratsmitglieder bitten, mich von der Verschwiegenheitspflicht zu befreien, um Ihnen mitzuteilen, was ich an Näherem weiß.
Jetzt kann ich. wohl die Beratung schließen.
Es ist vorgesehen, die Vorlage unter Punkt 2 a) der Tagesordnung an den Ausschuß für Sozialpolitik und zusätzlich an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Die Vorlagen unter 2 b) und 2 c) der Tagesordnung sind an den Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen. Ist das Haus einverstanden? — Ich stelle das fest; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 3 a) :
Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Miessner, Brück, Dorn, Wagner, Ertl, Hübner, Mertes, Dr. Bieringer, Hammersen, Biechele und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes ;
aa) Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache IV/716)
bb) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Inneres (Drucksache IV/692)
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Hier liegen der Bericht des Haushaltsausschusses, erstattet durch den Herrn Abgeordneten Niederalt, und der Bericht des Ausschusses für Inneres, erstattet durch den Herrn Abgeordneten Wagner, vor. Ich danke den Berichterstattern.
Ich rufe weiterhin auf Punkt 3 b) :
Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Inneres über den Antrag der Fraktion der SPD betr. Überbrückungszulage für die Beamten und Versorgungsempfänger des Bundes (Drucksachen IV/509, IV/692).
Rede von: Unbekanntinfo_outline
— Rechtzeitig genug!
Die Deckung der erforderlichen Mehrausgaben kann nur haushaltsgerecht erfolgen. Der Haushaltsausschuß hat dafür Möglichkeiten aufgezeigt. Lassen Sie mich eine Zwischenbemerkung einfügen: Die Besorgnis, daß die Deckung bei den Haushaltsmitteln zur Förderung der Landwirtschaft gesucht werden wind, entfällt damit; diese Lösung hätte niemandem gedient.
Die CDUU/CSU bittet die Bundesregierung, dem Beschluß dieses Hohen Hauses trotz aller nicht zu verkennenden Schwierigkeiten zu folgen und für eine rasche Auszahlung der Ausgleichsbeträge an die Beamten unid Versorgungsempfänger des Bundes zu sorgen.
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2148 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 48. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 14. November 1962
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eisenmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Herr Kollege Iven, Sie haben ohne Zweifel sehr interessante Ausführungen gemacht, und ich glaube, daß die zuständigen Herren des Bundesverkehrsministeriums sich Gedanken über das machen werden, was Sie zu Fragen der Verbesserung der Luftsicherheit und des Luftlenkungsdienstes, hinsichtlich der Schaffung modernster Einrichtungen und der Koordinierung der Maßnahmen gesagt haben. Auch meine Freunde, die Freien Demokraten, begrüßen dieses Gesetz zum Übereinkommen über EUROCONTROL und sind der Auffassung, daß es dazu dient, eine bessere Koordinierung zwischen einigen europäischen Staaten — leider noch nicht zwischen allen europäischen Staaten — bei der Luftfahrtlenkung und der Verbesserung der Flugsicherheit vor allem auch im oberen Luftraum zu erreichen.Gerade in diesem Zeitabschnitt, wo immer mehr Düsenflugzeuge, sowohl vom militärischen wie vom zivilen Verkehrssektor her, in den Verkehr kommen, ist nach unserer Meinung eine bessere Lenkung im oberen" Luftraum notwendig. Sowohl vom Militärischen als auch vom Zivilen her muß eine Koordinierung und Zusammenarbeit erzielt werden, damit wir für die Passagiere ein Höchstmaß an Sicherheit beim Ablauf des Fluges erreichen. Insoweit begrüßen wir das vorliegende Gesetz. Auch wir meinen, daß es in der Tat notwendig war und weiter notwendig ist, der Luftverkehrskontrolle eine erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Die Zahl der Beinahe-Zusammenstöße in der Luft ist sehr hoch. Wir sollten daher gerade der Verbesserung der Luftfahrtlenkung im oberen Luftraum unsere volle Aufmerksamkeit schenken. Sie ist ohne Zweifel von primärer Bedeutung für die Sicherheit, für die Regelmäßigkeit und für die Wirksamkeit des Ablaufs des gesamten Luftverkehrs.Wir wünschen wie Sie, Herr Kollege Iven, daß man bei der Auswahl des Personals, sowohl der Piloten als auch der Leute beim Fluglenkungsdienst, auf entsprechend ausgebildeten Nachwuchs Bedacht nimmt, der hochmoderne Geräte bedienen kann, und daß die Stellen so dotiert sind, die Leute also so bezahlt werden, daß man sagen kann: Es ist in Ordnung. Sie haben es angedeutet: wir wissen um die Schwierigkeit der Frage, die einige Zeit gerade bei den controllers bestanden hat, meinen aber, daß doch eine einigermaßen befriedigende Lösung gefunden worden ist. Auch hier glauben meine Freunde und ich, daß man dieser Frage ihre volle Bedeutung zuerkennen muß.Auf die anderen Probleme, die hier aufgezeigt worden sind, brauche ich nicht einzugehen; Herr Kollege Iven, Sie haben sie angedeutet. Wir Freien Demokraten wünschen aber vor allem eine bessere Zusammenarbeit zwischen den militärischen und zivilen Luftfahrtstellen gerade in den Fragen der Luftverkehrslenkung. Wir meinen, daß hier noch Reserven vorhanden sind, die ausgenutzt werden können, daß man zu einer besseren Koordinierung kommen kann, daß man auch bei der Ausbildung des Personals für die Lenkung im oberen Luftraum zu einer besseren Zusammenarbeit gelangen kann; denn letzten Endes soll alles das der Verbesserung der Luftverkehrssicherheit dienen.Wir haben die Bitte an das Bundesverkehrsministerium, es möge durch Verhandlungen zu erreichen
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Eisenmannsuchen, daß sich die Staaten, die zur Zeit noch nicht angeschlossen sind, möglichst rasch anschließen. Gerade der Luftverkehr bewegt sich im internationalen Raum, so daß es dringend notwendig ist, daß sich Schweden, Italien, die Schweiz, Irland und Österreich EUROCONTROL anschließen. Ich glaube, daß es nicht nur im deutschen, sondern in der Tat auch im Interesse der von mir genannten Staaten liegt und der Sicherheit des Luftverkehrs im Raume dieser Staaten dient, wenn sie sich möglichst bald EUROCONTROL anschließen.Wir begrüßen dieses Gesetz als einen ersten Schritt zur Verbesserung der Luftverkehrslenkung und der Erhöhung der Luftverkehrssicherheit. Wir wünschen, daß alle europäischen Staaten die Notwendigkeit der Zusammenarbeit zur Verbesserung der Luftverkehrssicherheit begreifen. Möge man überall erkennen, daß das Gesetz zum Übereinkommen über EUROCONTROL im Sinne eines fortschrittlichen Denkens ein erster Schritt zur Verbesserung der Flugsicherheit ist!
Das Wort hat der Abgeordnete Wendelborn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf zunächst meiner Freude darüber Ausdruck geben, daß der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion, Herr Kollege Iven, trotz der von ihm hier vorgebrachten Bedenken die Zustimmung seiner Fraktion zu diesem Gesetz angekündigt hat.
Wir machen mit der Verabschiedung dieses Gesetzes einen ersten Schritt auf dem Wege zu einer europäischen Zusammenarbeit in der Frage der Überwachung der Luftsicherheit. Wir glauben, daß mit der Vorlage dieses Gesetzes viele Wege und Tore zu einer Verbesserung geöffnet sind mit dem Ziele, nicht nur die Luftsicherheit über den Verkehrsräumen der Staaten, die diesem Vertrag zugestimmt haben, zu verbessern, sondern auch, wie es die Bundesregierung in den Ausschußberatungen bekundete, weitere Länder zum Beitritt zu dieser Vereinbarung zu bewegen, so daß eines Tages der Erfolg der Bemühung der Bundesregierung von diesem Hohen Hause zur Kenntnis genommen werden kann.
Ich stimme im großen unid ganzen mit den Ausführungen des Kollegen Iven überein, darf aber doch zwei oder drei Punkte herausstellen, die von dem Herrn Kollegen Iven angesprochen worden sind. Selbstverständlich wird auch nach Verabschiedung dieses Gesetzes noch ein Nebeneinander der militärischen und der zivilen Luftfahrtüberwachung und -lenkung bestehen bleiben. Es ist auch unser Wunsch, daß beide Instrumente weitestgehend zusammenarbeiten und gegebenenfalls das eine oder das andere eingespart werden kann. Wir hoffen unter anderem auch, daß die Bemühungen der Bundesregierung, weitere Länder zum Beitritt zu diesem Vertrag zu bewegen, von Erfolg gekrönt sein werden.
Aber es ist, glaube ich, auch in den Ausschußberatungen mit aller Deutlichkeit gesagt worden, Herr Kollege Iven, daß der Herr Bundesverkehrsminister und seine Mitarbeiter in der Frage der Stellung der deutschen Fluglotsen mit äußerster Behutsamkeit vorgegangen sind. Wenn Sie den Satz, den Sie hier ausgesprochen haben, einmal nachlesen, dann, nehme ich an, werden Sie diesen Satz selbst korrigieren. Sie haben gesagt, der Minister habe durchgesetzt, daß eine beträchtliche Anzahl von Fluglotsen nunmehr bereit sei, in den Beamtenstatus überzutreten. Wenn man hier sagt, der Herr Minister habe diese Sache durchgesetzt, dann wird die Sache doch etwas einseitig betrachtet. Denn, Herr Kollege Iven, niemand, auch nicht die Bundesregierung, kann die Verantwortung dafür übernehmen, ob ein einzelner, der im Moment noch Angestellter ist, in den Bamtenstand übertreten oder in Zukunft als freier Mitarbeiter tätig sein will. Diese Entscheidung kann immer nur von den Betreffenden selbst, und zwar ganz allein, getroffen werden. Ich glaube, gerade die Verhandlungen der zuständigen Verwaltungen mit den beiden Gewerkschaften, der ÖTV und der DAG, haben Zeugnis dafür gegeben, daß auf beiden Seiten bei den Bemühungen, für die Fluglotsen nunmehr auch angemessene besoldungsrechtliche und sonstige arbeitsrechtliche Verhältnisse herbeizuführen, äußerste Loyalität geherrscht hat. Die Redewendung, die Sie hier gebraucht haben, paßt nicht ganz auf das, was wir auch selbst miterlebt haben und über das uns auch im Ausschuß Auskunft gegeben worden ist.
Ich glaube daher, im Namen meiner Fraktion sagen zu dürfen, daß wir die große Hoffnung haben, daß diesem Vertrag baldmöglichst auch noch andere europäische Staaten beitreten mit dem Ziel, die Luftsicherheit im Interesse unserer Mitbürger so weit wie möglich zu verbessern und zu erhöhen.
Das Wort hat der Herr Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige Bemerkungen zu den Ausführungen der Vertreter der drei in diesem Hohen Hause vertretenen Parteien.
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Wer diesem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, ich habe noch etwas nachzutragen. Bei der Behandlung des Punktes 3 der Tagesordnung ist übersehen worden, daß im Antrage des Ausschusses auf Drucksache IV/692 eine Ziffer 2 enthalten ist, nämlich, den Antrag der Fraktion der SPD — Drucksache IV/509 — abzulehnen. Ich war der Meinung, daß diese Ziffer des Ausschußantrages durch die Abstimmung zum Gesetzentwurf selbst erledigt sei; ich bin aber belehrt worden, daß trotzdem noch eine förmliche Erledigung notwendig sei. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. Ist das nun Teilnahme an der Abstimmung? — Ich bitte doch mitzustimmen. — Gegenprobe! — Meine Damen und Herren, ich komme in eine schwierige Situation.
Ich bin mir nicht ganz klar darüber, wie ich aus dieser Affäre am besten und ohne Schaden herauskomme. — Herr Brück!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag, der mit Drucksache IV/692 gestellt ist, lautet:B. Antrag des AusschussesDer Bundestag wolle beschließen,1. den Gesetzentwurf — Drucksache IV/673 — in der aus der nachstehenden Zusammenstellung ersichtlichen Fassung anzunehmen;2. den Antrag der Fraktion der SPD — Drucksache IV/509 — abzulehnen.Ich darf die Frage stellen: Ist denn nicht, nachdemim Plenum einstimmig beschlossen worden ist, den
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Brückunter Ziffer 1 genannten Antrag anzunehmen, damitautomatisch auch der Antrag unter Ziffer 2 erledigt?
Herr Abgeordneter, genau das war der Punkt, um den es ging. Wir haben nämlich nicht über den Antrag des Ausschusses im ganzen, sondern über das Gesetz abgestimmt. Der Antrag des Ausschusses unter Ziffer 2 war damit nicht erledigt. Ich stehe nun vor der Frage, ob ich durch die Abstimmung eine Situation schaffe, die tatsächlich in Widerspruch zu dem Beschluß des Hauses von vorhin steht. — Ich bin der Meinung, daß durch die Beschlußfassung zu Ziffer 1, also zum Gesetz selber, der Antrag unter Ziffer 2 erledigt ist.
Ist das Haus mit dieser Auslegung einverstanden? — Das ist der Fall. Immerhin ist es ganz interessant gewesen, an diesem Punkt einmal zu demonstrieren, was unter Umständen entstehen kann, wenn man dabei formal vorgeht.
Wir kommen zu Punkt 5 der Tagesordnung:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Flüchtlings-Notleistungsgesetzes ;
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Inneres (Drucksache IV/715)
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Berichterstatterin ist Frau Kettig. Wünscht die Berichterstatterin das Wort? — Die Berichterstatterin verzichtet.
Ich eröffne die Aussprache in der zweiten Beratung. — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe auf Art. 1, — Art. 2, — Art. 3, — Einleitung und Überschrift. — Wer den aufgerufenen Artikeln sowie der Einleitung und der Überschrift zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine Enthaltungen. Das Gesetz ist in der zweiten Beratung angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung.
Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz im ganzen zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Das Gesetz ist einstimmig verabschiedet.
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
— Ich muß die Entscheidung des Hauses herbeiführen. Besteht Übereinstimmung darüber, daß die Vorlage an den Innenausschuß als federführenden Ausschuß überwiesen werden soll?
— Gut, es ist so beschlossen.Soll der Haushaltsausschuß nach § 96 oder mitberatend beteiligt werden?
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Vizepräsident Schoettle— Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam, daß die Überweisung an den Haushaltsausschuß nach § 96 den Ausschuß von der wirklichen Mitberatung praktisch ausschließt. Wenn das die Absicht ist, dann muß das Haus diese Entscheidung herbeiführen.
— Hier sind also Anträge gestellt. Zunächst ist beantragt, nach § 96 zu überweisen.
— Herr Abgeordneter Jahn!
Meine Damen und Herren, es entspricht der Verabredung im Ältestenrat, Überweisungen an den Haushaltsausschuß uneingeschränkt zur Mitberatung zu beschließen. Ich bitte, dementsprechend zu verfahren.
Bitte, Herr Dr. Miessner!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich würde /bitten, doch auch eine Begründung dafür zu geben, warum hier seitens des Ältestenrates von der bisherigen Praxis abgewichen wurde. Denn ich muß darauf aufmerksam machen, daß bisher in solchen Fällen die Vorlagen dem Haushaltsausschuß nicht zur Mitberatung zugewiesen wurden. Eine „Mitberatung" würde nämlich bedeuten, daß die ganze Sache im Haushaltsausschuß noch einmal materiell geprüft werden kann, während sie bei Überweisung gemäß § 96 der Geschäftsordnung nur im Hinblick auf die finanzielle Auswirkung auf den Haushalt überprüft werden kann. Das ist zweifellos ein wesentlicher Unterschied. Ich halte daher meinen Antrag betont aufrecht.
Wir stimmen ab. Es ist beantragt, die Vorlage dem Haushaltsausschuß nach § 96 der Geschäftsordnung zu überweisen. Wer stimmt diesem Antrag zu? — Gegenprobe! — Das letzte ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.Ich nehme danach an, daß nach den Vorschlägen des Ältestenrats überwiesen werden soll, und zwar dem Haushaltsausschuß zur Mitberatung. — Ich darf feststellen, daß das so ist.Dann ist noch vorgeschlagen, den Ausschuß für Verteidigung mitberatend zu beteiligen. Darüber müssen wir nun abstimmen. Wer dafür ist, daß der Ausschuß für Verteidigung mitberatend beteiligt wird, den bitte ich um ein Handzeichen. — Es erhebt sich keine Hand; damit ist der Vorschlag des Ältestenrats abgelehnt. Der Gesetzentwurf ist an den Ausschuß für Inneres als federführenden Ausschuß und an den Haushaltsausschuß als mitberatenden Ausschuß überwiesen.Wir kommen zu Punkt 7 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Idem Vertrag vom 27. März 1961 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen .Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? — Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache.Der Gesetzentwurf soll an den Wirtschaftsausschuß als federführenden Ausschuß, an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten, den Ausschuß für Entwicklungshilfe und den Außenhandelsausschuß als mitberatende Ausschüsse überwiesen werden. Wird diesen Vorschlägen widersprochen? — Das ist nicht der Fall. Dann ist im Sinne des Vorschlages beschlossen.Ich rufe auf den Punkt 8 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ubereinkommen vom 24. Januar 1959 über die Fischerei im Nordostatlantik .Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen. Die Vorlage soll an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Überwiesen werden. Keine anderen Vorschläge! Das Haus stimmt diesem Überweisungsvorschlag zu? — Es ist so beschlossen.Ich rufe auf den Punkt 9 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der Vereinbarung vom 12. September 1961 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Königlich Dänischen Regierung über Gastarbeitnehmer .Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nicht gewünscht. Die Aussprache ist geschlossen. Es wird vorgeschlagen, die Vorlage an den Ausschuß für Arbeit zu überweisen. Ist das Haus mit diesem Vorschlag einverstanden?
— Das ist der Fall. Es ist so beschlossen.Ich rufe auf 'den Punkt 10 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 25. April 1961 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland über Soziale Sicherheit .Ich eröffne die Aussprache. — Das Wort wird nichtgewünscht. Die Aussprache ist geschlossen. Die Vorlage soll überwiesen werden an den Ausschuß für Sozialpolitik — federführend — und an den Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten.
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Vizepräsident SchoettleWird diesem Vorschlag widersprochen? — Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung:Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über das Zollkontingent für feste Brennstoffe 1963 und 1964 .Ich eröffne die Aussprache. — Keine Wortmeldungen; die Aussprache ist geschlossen.Überweisung soll erfolgen an den. Wirtschaftsausschuß — federführend — und an den Außenhandelsausschuß — mitberatend —. Wird diesen Vorschlägen widersprochen? — Das ist nicht der Fall; es ist so beschlossen.Ich rufe auf den Punkt 13 der Tagesordnung:Beratung des Schriftlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über die Entschließungsanträge der Fraktion der SPD und der Fraktionen der CDU/CSU, FDP zur dritten Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung Nr. 19 (Getreide) des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Abschöpfungserhebungsgesetzes, des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnungen Nr. 20 (Schweinefleisch), Nr. 21 (Eier) und Nr. 22 (Geflügelfleisch) des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft sowie zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der deutschen Eier- und Geflügelwirtschaft und des vonden Fraktionen der CDU/CSU, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Zollgesetzes .Berichterstatter ist der Abgeordnete Sühler. Wünscht der Herr Berichterstatter das Wort? — Das scheint nicht der Fall zu sein. Wird in der Aussprache das Wort gewünscht? — Auch das ist nicht der Fall. Die Aussprache ist geschlossen.Wir kommen zur Abstimmung. Der Antrag des Ausschusses ist auf der Drucksache IV/725 auf Seite 2 zu finden. Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. — Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Der Antrag des Ausschusses ist einstimmig angenommen worden.Ich rufe auf den Punkt 14 der Tagesordnung:Beratung des Antrags des Präsidenten des Bundesrechnungshofes betr. Rechnung und Vermögensrechnung des Bundesrechnungshofes für das Rechnungsjahr 1960 — Einzelplan 20 .Wird das Wort zur Aussprache gewünscht? — Das ist nicht der Fall; ich schließe die Aussprache.Die Vorlage soll an den Haushaltsausschuß überwiesen werden. Wird diesem Vorschlag widersprochen? — Das ist nicht der Fall; dann ist so beschlossen.Damit, meine Damen und Herren, sind wir amSchluß der heutigen Sitzung angelangt. Ich berufedie nächste Sitzung auf Freitag, den 16. November,9 Uhr.Die Sitzung ist geschlossen.