Protokoll:
18240

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 240

  • date_rangeDatum: 22. Juni 2017

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 00:42 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/240 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 240. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Inhalt: Gedenken an Bundeskanzler a. D. Dr. Helmut Kohl Präsident Dr. Norbert Lammert . . . . . . . . . . . 24479 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24530 D Absetzung der Tagesordnungspunkte 13, 14 c, 14 d und 15 b. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24484 A Zur Geschäftsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 24484 B Tagesordnungspunkt 7: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufereformge- setz – PflBRefG) Drucksachen 18/7823, 18/12847 . . . . . 24484 C – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12848 . . . . . . . . . . . . . 24484 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein- Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Eine Lobby für die Pflege – Arbeitsbe- dingungen und Mitspracherechte von Pflegekräften verbessern Drucksachen 18/11414, 18/12841 . . . . . . . 24484 D Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 24484 D Pia Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 24486 D Dr. Katarina Barley, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24488 A Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24489 A Hermann Gröhe, Bundesminister BMG . . . . . 24491 B Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 24493 A Dr. Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 24493 D Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU) . . . . 24495 A Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 24496 B Erich Irlstorfer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 24497 A Petra Crone (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24498 A Tagesordnungspunkt 8: a) Unterrichtung durch die Bundesregie- rung: Bericht zur Umsetzung der High- tech-Strategie – Fortschritt durch For- schung und Innovation – Stellungnahme der Bundesregierung zum Gutachten zu Forschung, Innovation und techno- logischer Leistungsfähigkeit Deutsch- lands 2017 Drucksache 18/11810 . . . . . . . . . . . . . . . . 24499 C b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Gutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2017 Drucksache 18/11270 . . . . . . . . . . . . . . . . 24499 D c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Aktionsplan Nanotechnologie 2020 der Bundesregierung Drucksache 18/9670 . . . . . . . . . . . . . . . . . 24499 D d) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bericht über die Programme zur Inno- vations- und Technologieförderung im Mittelstand in der laufenden Legisla- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017II turperiode, insbesondere über die Ent- wicklung des Zentralen Innovationspro- gramms Mittelstand (ZIM) für das Jahr 2016 Drucksache 18/12442 . . . . . . . . . . . . . . . . 24500 A e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, Oliver Krischer, Katja Dörner, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Innovationspolitik neu ausrichten – Forschen für den Wandel befördern Drucksachen 18/8711, 18/12776 . . . . . . . . 24500 B Michael Kretschmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 24500 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 24501 D René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24503 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24504 C Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24506 C Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 24508 C Dr. Daniela De Ridder (SPD) . . . . . . . . . . . . . 24509 C Patricia Lips (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 24510 C Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . 24511 C Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU) . . . . . . . . 24512 D Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jetzt mit wirksamem Klimaschutz die ökologi- sche Modernisierung angehen und die Klimaschutzlücke schließen Drucksache 18/12796 . . . . . . . . . . . . . . . . 24514 D b) Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: CO2-Bremse einführen – Klimabilanz in Gesetzesfolgenabschätzung aufnehmen Drucksache 18/10640 . . . . . . . . . . . . . . . . 24515 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, Peter Meiwald, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Klimaschutzplan 2050 – Echter Klimaschutz beginnt heute Drucksachen 18/8876, 18/10387 . . . . . . . . 24515 A d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Christian Kühn (Tübingen), Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Klimaschutz in der Wärmeversor- gung sozial gerecht voranbringen – Ak- tionsplan Faire Wärme starten Drucksachen 18/10979, 18/11651 . . . . . . . 24515 A e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Stephan Kühn (Dresden), Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Frakti- on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klare CO2-Reduktionen im Flugverkehr schaffen Drucksachen 18/9801, 18/11244 . . . . . . . . 24515 B f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klimaschutz stärken – Energiesparen verbindlich machen Drucksachen 18/12095, 18/12633 . . . . . . . 24515 B g) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Klimaschutzplan 2050 – Klimaschutz- politische Grundsätze und Ziele der Bundesregierung Drucksache 18/10370 . . . . . . . . . . . . . . . . 24515 B Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24515 C Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 24518 A Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 24519 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 24520 A Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24521 A Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24522 C Andreas Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 24523 D Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 24525 B Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24526 A Dr. Thomas Gebhart (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 24527 A Andreas Rimkus (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24528 B Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) . . . . . . . . 24529 A Tagesordnungspunkt 36: a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 III Gesetzes zur Verbesserung der Rechts- durchsetzung in sozialen Netzwer- ken (Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG) Drucksache 18/12727 . . . . . . . . . . . . . . . . 24531 A b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Förderung von Mieterstrom und zur Änderung weiterer Vorschriften des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Drucksache 18/12728 . . . . . . . . . . . . . . . . 24531 A c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines … Ge- setzes zur Änderung des Strafgesetzbu- ches – Wohnungseinbruchdiebstahl Drucksache 18/12729 . . . . . . . . . . . . . . . . 24531 B Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fremdrentengesetzes (FRG) Drucksache 18/12718 . . . . . . . . . . . . . . . . 24531 B b) Erste Beratung des vom Bundesrat ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung zwecks Anerkennung der Gemeinnützigkeit von Freifunk Drucksache 18/12105 . . . . . . . . . . . . . . . . 24531 C c) Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Nicole Maisch, Steffi Lemke, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Umweltverschmutzung durch Mikroplastikfreisetzung aus Kos- metika und Waschmitteln beenden Drucksache 18/10875 . . . . . . . . . . . . . . . . 24531 C d) Antrag der Abgeordneten Lisa Paus, Kordula Schulz-Asche, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rechtssi- cherheit für bürgerschaftliches Engage- ment – Gemeinnützigkeit braucht klare Regeln Drucksache 18/12559 . . . . . . . . . . . . . . . . 24531 C e) Antrag der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Geschlechtliche und sexuelle Menschenrechte gewähr- leisten Drucksache 18/12783 . . . . . . . . . . . . . . . . 24531 D f) Antrag der Abgeordneten Kordula Schulz- Asche, Dr. Konstantin von Notz, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Freiwilligendienste ausbauen und weiterentwickeln, Engagement anerken- nen und attraktiver machen Drucksache 18/12804 . . . . . . . . . . . . . . . . 24531 D h) Antrag der Abgeordneten Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gesellschaftliche Teilhabe und gute Bildung für alle Kinder und Jugendlichen sicherstellen Drucksache 18/12795 . . . . . . . . . . . . . . . . 24532 A Zusatztagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Beate Müller- Gemmeke, Kerstin Andreae, Katja Keul, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Schutz vor Mobbing am Arbeitsplatz Drucksache 18/12097 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24532 A Zusatztagesordnungspunkt 4: g) Antrag der Abgeordneten Kordula Schulz- Asche, Irene Mihalic, Maria Klein- Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das freiwillige und ehrenamtliche En- gagement im Bevölkerungsschutz und in der Katastrophenhilfe stärken Drucksache 18/12802 . . . . . . . . . . . . . . . . 24532 B Tagesordnungspunkt 37: a) Zweite und dritte Beratung des von den Ab- geordneten Tabea Rößner, Dr. Konstantin von Notz, Hans-Christian Ströbele, wei- teren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zum Aus- kunftsrecht der Presse gegenüber Bun- desbehörden (Presseauskunftsgesetz) Drucksachen 18/8246, 18/12603 . . . . . . . . 24532 D b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Deutschen Wetter- dienst Drucksachen 18/11533, 18/12836 . . . . . . . 24533 A c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Eu- ropäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdiens- te für elektronische Transaktionen im Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017IV Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG (elDAS-Durch- führungsgesetz) Drucksachen 18/12494, 18/12833 . . . . . . . 24533 B d) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Übereinkommens über den internationalen Eisenbahnverkehr ( COTIF) vom 9. Mai 1980 Drucksachen 18/12513, 18/12717, 18/12815 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24533 C e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts Drucksachen 18/9534, 18/10025, 18/10307 Nr. 4, 18/12830 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24533 D g) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hofabgabe als Voraussetzung für den Zugang zur Altersrente für Landwirte abschaffen Drucksachen 18/2770, 18/3455 . . . . . . . . . 24534 A h) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Kommunen stärken – Kommunalisierung und Rekommunali- sierung unterstützen Drucksachen 18/10282, 18/11019 . . . . . . . 24534 B i) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Caren Lay, Herbert Behrens, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Abschaffung der Zeitumstel- lung Drucksachen 18/10697, 18/11809 . . . . . . . 24534 B j) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Birgit Menz, Eva Bulling- Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Illegalen Elfenbeinhandel stoppen – Afrikanische Elefanten schützen Drucksachen 18/10494, 18/11815 . . . . . . . 24534 C k) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirt- schaft zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verbrauchertäuschungen beenden – Klare Lebensmittelkenn- zeichnung durchsetzen Drucksachen 18/10861, 18/11823 . . . . . . . 24534 D l) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kinder- und Jugendhilfe – Beteiligungsrechte stärken, Beschwer- den erleichtern und Ombudschaften einführen Drucksachen 18/5103, 18/11886 Buchsta- be b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24534 D m) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Kreis der Anspruchsberechtigten und die Be- zugsdauer in der Arbeitslosenversiche- rung erweitern Drucksachen 18/11419, 18/12167 . . . . . . . 24535 A n) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Tabea Rößner, Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nutzungsrechte digitaler Güter für Ver- braucherinnen und Verbraucher verbes- sern Drucksachen 18/11416, 18/12629 . . . . . . . 24535 B o) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Land- wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordne- ten Karin Binder, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Informationsrechte der Verbraucherinnen und Verbraucher stärken – Hygiene-Smiley für Lebens- mittelbetriebe bundesweit ermöglichen Drucksachen 18/4214, 18/12636 . . . . . . . . 24535 B p) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Land- wirtschaft zu dem Antrag der Abgeordne- ten Nicole Maisch, Harald Ebner, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rechtssicherheit und Transparenz bei Lebensmittelkontrollen endlich herstel- len Drucksachen 18/9558, 18/12837 . . . . . . . . 24535 C q) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frau- en und Jugend zu dem Antrag der Abge- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 V ordneten Beate Walter-Rosenheimer, Kai Gehring, Ulle Schauws, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Jung, queer, glücklich in die Zukunft – Lesbische, schwule, bisexu- elle, trans- und intergeschlechtliche Ju- gendliche stärken Drucksachen 18/8874, 18/12849 . . . . . . . . 24535 D r) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-Rosenheimer, Katja Dörner, Dr. Franziska Brantner, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Stark ins eigene Leben – Wirksame Hilfen für junge Menschen Drucksachen 18/12374, 18/12851 . . . . . . . 24535 D s)–w) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 444, 445, 446, 447 und 448 zu Petitio- nen Drucksachen 18/12561, 18/12562, 18/12563, 18/12564, 18/12565 . . . . . . . . . 24536 A Tagesordnungspunkt 22: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Sigrid Hupach, Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Diskriminierung bekämpfen – Verbandsklagerecht ein- führen Drucksachen 18/10864, 18/11448 . . . . . . . 24536 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Beate Müller-Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: 10 Jahre nach dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsge- setzes – Eine Reform ist überfällig Drucksachen 18/9055, 18/11639 . . . . . . . . 24536 D Zusatztagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Schnelle Hilfe für die in Russland verfolgten Lesben, Schwulen, Bisexuel- len, Transpersonen und Intersexuellen (LGBTI) Drucksache 18/12801 . . . . . . . . . . . . . . . . 24536 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Ab- geordneten Harald Petzold (Havelland), Stefan Liebich, Jan Korte, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bise- xuellen, Transpersonen und Intersexu- ellen (LGBTI) in Tschetschenien entge- gentreten Drucksachen 18/12091, 18/12824 . . . . . . . 24537 A c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ver- teidigungsausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rekrutierung von Minder- jährigen für die Bundeswehr sofort beenden und keine Ausbildung von Jugendlichen an Waffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Keine Rekrutierung Minderjähriger in die Bundeswehr Drucksachen 18/10241, 18/981, 18/10543 24537 B d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale In- frastruktur zu dem Antrag der Abgeordne- ten Matthias Gastel, Tabea Rößner, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Fahrverbot für laute Güterwagen Drucksachen 18/10033, 18/11144 . . . . . . . 24537 C Zusatztagesordnungspunkt 6: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Europapo- litik der Bundesregierung zwischen Grie- chenland-Krise, Brexit und Europäischem Rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24537 C Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24537 D Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 24539 A Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 24540 B Angelika Glöckner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 24541 C Carsten Körber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 24542 D Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 24543 D Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . . 24544 C Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24545 C Matern von Marschall (CDU/CSU) . . . . . . . . 24546 D Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24547 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017VI Alexander Radwan (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 24549 A Ronja Kemmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 24550 A Tagesordnungspunkt 10: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än- derung des Grundgesetzes (Artikel 21) Drucksachen 18/12357, 18/12846 . . . . . . . 24551 A – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ausschluss verfassungsfeindlicher Par- teien von der Parteienfinanzierung Drucksachen 18/12358, 18/12846 . . . . . . . 24551 A – Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung des Grundgesetzes zum Zweck des Ausschlusses extremisti- scher Parteien von der Parteienfinanzie- rung Drucksachen 18/12100, 18/12846 . . . . . . . 24551 B – Zweite und dritte Beratung des vom Bun- desrat eingebrachten Entwurfs eines Be- gleitgesetzes zum Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes zum Zweck des Aus- schlusses extremistischer Parteien von der Parteienfinanzierung Drucksachen 18/12101, 18/12846 . . . . . . . 24551 B Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . . 24551 C Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 24552 C Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 24553 B Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24554 B Helmut Brandt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 24555 D Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . 24557 A Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 24557 D Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 24558 C Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24559 A Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 24559 D Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24560 C Tagesordnungspunkt 11: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der interna- tionalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Verein- ten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Technischen Abkommens zwischen der internationalen Sicher- heitspräsenz (KFOR) und den Regie- rungen der Bundesrepublik Jugoslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Repu- blik Serbien vom 9. Juni 1999 Drucksachen 18/12298, 18/12694 . . . . . . . 24563 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12695 . . . . . . . . . . . . . . . . 24563 C Dr. h. c. Gernot Erler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 24563 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 24565 C Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 24566 D Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24568 C Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 24569 C Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 24570 D Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24572 D Tagesordnungspunkt 12: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Schulen fördern – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Bildung in der beruflichen Bildung umsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias W. Birkwald, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Bildung in der Kinderta- gesbetreuung umsetzen – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Inklusi- ve Bildung für alle – Ausbau inklusi- ver Hochschulen fördern Drucksachen 18/8420, 18/8421, 18/8889, 18/9127, 18/12409 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24571 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 VII b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeord- neten Dr. Rosemarie Hein, Diana Golze, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Schulsozialar- beit an allen Schulen sicherstellen Drucksachen 18/2013, 18/11803 . . . . . . . . 24571 B Xaver Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 24571 C Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . 24575 B Elfi Scho-Antwerpes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 24576 C Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24578 B Uwe Schummer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 24579 C Martin Rabanus (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24581 A Christina Schwarzer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 24582 B Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . 24583 C Christina Schwarzer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 24584 A Zusatztagesordnungspunkt 7: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur effektiveren und pra- xistauglicheren Ausgestaltung des Straf- verfahrens Drucksachen 18/11277, 18/12785 . . . . . . . 24584 C – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Straf- gesetzbuchs, des Jugendgerichtsgeset- zes, der Strafprozessordnung und weite- rer Gesetze Drucksachen 18/11272, 18/12785 . . . . . . . 24584 D Bettina Bähr-Losse (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 24584 D Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 24586 C Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24587 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24589 A Dr. Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 24590 B Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . 24591 C Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 24592 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24593 D Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . 24594 B Tagesordnungspunkt 14: a) Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wege zur Pestizidreduktion in der Landwirtschaft Drucksache 18/12382 . . . . . . . . . . . . . . . . 24595 A b) Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bienengif- tige Insektizide vollständig verbieten – Bestäuber, andere Tiere und Umwelt wirksam schützen Drucksache 18/12384 . . . . . . . . . . . . . . . . 24595 B in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 37: f) Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Marktkonzen- tration im Agrarmarkt stoppen – Ar- tenvielfalt und Ernährungssouveränität erhalten Drucksache 18/12797 . . . . . . . . . . . . . . . . 24595 B Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24595 B Peter Bleser, Parl. Staatssekretär BMEL . . . . . 24596 B Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . 24597 D Rita Hagl-Kehl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24599 A Ingrid Pahlmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 24601 A Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24602 B Artur Auernhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 24603 A Zusatztagesordnungspunkt 8: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur strafrecht- lichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verur- teilten Personen und zur Änderung des Einkommensteuergesetzes Drucksachen 18/12038, 18/12379, 18/12641 Nr. 1.1, 18/12786 . . . . . . . . . 24604 C – Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Volker Beck (Köln), Renate Künast, weite- ren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten gemäß den §§ 175, 175a Nummer 3 und 4 des Straf- gesetzbuches und gemäß § 151 des Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017VIII Strafgesetzbuches der DDR ergange- nen Unrechtsurteile Drucksachen 18/10117, 18/12786 . . . . 24604 C – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12828 . . . . . . . . . . . . . 24604 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz zu dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Katja Keul, Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Individuelle und kollektive Entschädi- gung für die antihomosexuelle Strafver- folgung nach 1945 in beiden deutschen Staaten Drucksachen 18/10118, 18/12786 . . . . . . . 24604 D Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 24605 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 24606 A Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) . . . . 24607 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24609 A Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24611 A Gudrun Zollner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 24612 A Tagesordnungspunkt 16: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundeswei- ten Aktionsplan für eine gemeinnüt- zige Wohnungswirtschaft auflegen – zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Britta Haßelmann, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Frakti- on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die neue Wohnungsgemeinnützigkeit – Fair, gut und günstig wohnen Drucksachen 18/7415, 18/8081, 18/10928 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24613 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz – zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kündigungsschutz für Mieterinnen und Mieter verbessern – zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Hans-Christian Ströbele, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zu- sammenhalt stärken – Mietrecht re- formieren Drucksachen 18/11049, 18/10810, 18/12632 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24613 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Lisa Paus, Christian Kühn (Tübingen), Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Spekulation mit Immobilien und Land beenden – Keine Steuerbegünstigung für Übernahmen durch Share Deals Drucksachen 18/8617, 18/12818 . . . . . . . . 24614 A Florian Pronold, Parl. Staatssekretär BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24614 A Heidrun Bluhm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 24615 C Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . . 24616 D Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24618 B Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . 24619 B Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag des Bundesministeriums der Finanzen: Portugal: Vorzeitige teilweise Rückzahlung der IWF-Finanzhilfe; Einholung eines zu- stimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes Drucksache 18/12733 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24621 A Jens Spahn, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . 24621 A Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 24622 B Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24623 A Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24623 C Alois Karl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24624 C Tagesordnungspunkt 18: a) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Claudia Roth (Augsburg), Omid Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ein In- stitut für humanitäre Angelegenheiten schaffen Drucksache 18/12530 . . . . . . . . . . . . . . . . 24625 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und hu- manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abge- ordneten Tom Koenigs, Omid Nouripour, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Eine Menschheit, gemeinsame Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 IX Verantwortung – Für eine flexible, wirk- same und zuverlässige humanitäre Hilfe Drucksachen 18/8619, 18/10627 . . . . . . . . 24625 C Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24625 D Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) . . . . 24626 D Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 24628 C Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) . . . . . . . . . . . . 24629 B Tagesordnungspunkt 15: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bun- desnaturschutzgesetzes Drucksachen 18/11939, 18/12845 . . . . . . . 24630 B Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24630 C Birgit Menz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 24631 B Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 24632 A Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24633 B Carsten Träger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24634 B Tagesordnungspunkt 20: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Ab- geordneten Roland Claus, Stefan Liebich, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Beendigungs- gesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz Drucksachen 18/8130, 18/12620 . . . . . . . . . . 24635 C Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöf- fentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehin- derungen (Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfah- ren – EMöGG) Drucksachen 18/10144, 18/12591 . . . . . . . . . 24635 D Tagesordnungspunkt 19: Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der ta- rifvertraglichen Sozialkassenverfahren und zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes Drucksachen 18/12510, 18/12827 . . . . . . . . . 24636 B Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern Drucksache 18/12780 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24636 C Eckhard Pols (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 24636 C Birgit Wöllert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 24637 C Ulrike Bahr (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24638 C Beate Walter-Rosenheimer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24639 D Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 24640 D Tagesordnungspunkt 23: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale In- frastruktur zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung: Gesamtkonzept Elbe: Strategisches Konzept für die Entwick- lung der deutschen Binnenelbe und ih- rer Auen Drucksachen 18/11830, 18/12181 Nr. 1.3, 18/12844 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24642 A b) Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Stephan Kühn (Dresden), Dr. Valerie Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ein ökologisches Gesamtkonzept Elbe auf den Weg bringen – Sohlerosion stop- pen Drucksache 18/12787 . . . . . . . . . . . . . . . . 24642 B Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24642 B Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 24643 B Ulrich Petzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 24644 A Dagmar Ziegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24644 C Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24645 B Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 24646 C Gustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24647 C Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 24647 D Dagmar Ziegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 24648 B Tagesordnungspunkt 24: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zu- lässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten Drucksachen 18/11240, 18/11617, 18/11822 Nr. 5, 18/12842 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24649 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017X Tagesordnungspunkt 25: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Be- rufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter von Wohnungseigentum Drucksachen 18/10190, 18/12831 . . . . . . . 24650 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wohneigentumsrecht umfassend refor- mieren und modernisieren Drucksachen 18/8084, 18/12831 . . . . . . . . 24650 A Marcus Held (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24650 B Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 24651 A Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 24652 A Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24653 A Barbara Lanzinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 24654 A Tagesordnungspunkt 26: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Schorn- steinfeger-Handwerksgesetzes Drucksachen 18/12493, 18/12832 . . . . . . . . . 24655 C Tagesordnungspunkt 27: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu der am 19. Juni 1997 beschlossenen Urkunde zur Abänderung der Verfassung der Internationalen Arbeits- organisation Drucksachen 18/12331, 18/12716, 18/12820 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24655 D Tagesordnungspunkt 28: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr und digitale In- frastruktur – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Kooperations- modelle im Nachtzugverkehr stärken – zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Die Nachtzüge retten – Klimaverträglichen Fernrei- severkehr auch in Zukunft ermögli- chen Drucksachen 18/12363, 18/7904, 18/12775 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24656 B b) Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Markus Tressel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nacht- zugverkehr als Teil moderner und kli- mafreundlicher Mobilität ausbauen – Zehn-Punkte-Plan für ein europäisches Nachtzugnetz Drucksache 18/12560 . . . . . . . . . . . . . . . . 24656 B Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24656 C Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 24657 C Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 24658 C Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24659 D Daniela Ludwig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 24660 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24661 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 24663 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Emmi Zeulner (CDU/CSU) zu der Abstim- mung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufereform- gesetz – PflBRefG) (Tagesordnungspunkt 7 a) . . . . . . . . . . . . . . . . 24663 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Nicole Gohlke, Christine Buchholz, Birgit Menz, Cornelia Möhring, Martina Renner und Hubertus Zdebel (alle DIE LINKE) zu der namentlichen Abstimmung zu dem von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ände- rung des Grundgesetzes (Artikel 21) (Tagesordnungspunkt 10) . . . . . . . . . . . . . . . . 24664 A Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- chen Abstimmung zu dem von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent- wurf eines Gesetzes zur Änderung des Grund- gesetzes (Artikel 21) (Tagesordnungspunkt 10) . . . . . . . . . . . . . . . . 24664 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 XI Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . 24664 D Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 24665 B Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Stefan Liebich, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Beendigungs- gesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz (Tagesordnungspunkt 20) . . . . . . . . . . . . . . . . 24665 C Josef Rief (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24665 C Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU) . . . . . . . 24666 B Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . 24667 A Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . . 24667 D Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24668 C Ulrich Kelber, Parl. Staatssekretär BMJV . . . 24669 A Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) zu der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Stefan Liebich, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Beendigungsge- setz zum Berlin/Bonn-Gesetz (Tagesordnungspunkt 20) . . . . . . . . . . . . . . . . 24669 D Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderun- gen (Gesetz über die Erweiterung der Medien- öffentlichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG) (Tagesordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . . . . . 24670 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 24670 B Dietrich Monstadt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 24670 D Dr. Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 24671 D Dr. Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . 24672 B Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 24673 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 24673 C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Sicherung der tarifvertraglichen Sozialkas- senverfahren und zur Änderung des Arbeitsge- richtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . 24674 B Wilfried Oellers (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 24674 C Tobias Zech (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 24675 D Bernd Rützel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24676 C Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 24677 B Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24678 A Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Brähmig und Andreas G. Lämmel (bei- de CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Si- cherung der tarifvertraglichen Sozialkassen- verfahren und zur Änderung des Arbeitsge- richtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . 24678 C Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stär- kung des Selbstbestimmungsrechts von Be- treuten (Tagesordnungspunkt 24) . . . . . . . . . . . . . . . . 24679 A Dr. Silke Launert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 24679 A Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) . . . . 24680 A Dr. Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 24681 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 24682 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24683 B Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes (Tagesordnungspunkt 26) . . . . . . . . . . . . . . . . 24684 A Lena Strothmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 24684 A Sabine Poschmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 24685 D Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 24686 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017XII Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24687 A Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der am 19. Juni 1997 beschlossenen Urkunde zur Abänderung der Verfassung der Internationalen Arbeitsor- ganisation (Tagesordnungspunkt 27) . . . . . . . . . . . . . . . . 24687 D Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 24687 D Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . . . 24688 C Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 24689 A Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24689 C (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24479 240. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Beginn: 9.00 Uhr
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    Daniela Ludwig (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24663 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 22.06.2017 Bellmann, Veronika CDU/CSU 22.06.2017 Dehm, Dr. Diether DIE LINKE 22.06.2017 Ernstberger, Petra SPD 22.06.2017 Färber, Hermann CDU/CSU 22.06.2017 Gottschalck, Ulrike SPD 22.06.2017 Kömpel, Birgit SPD 22.06.2017 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 22.06.2017 Mortler, Marlene CDU/CSU 22.06.2017 Müller, Bettina SPD 22.06.2017 Nietan, Dietmar SPD 22.06.2017 Obermeier, Julia CDU/CSU 22.06.2017 Schlecht, Michael DIE LINKE 22.06.2017 Stritzl, Thomas CDU/CSU 22.06.2017 Terpe, Dr. Harald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 22.06.2017 Timmermann-Fechter, Astrid CDU/CSU 22.06.2017 Troost, Dr. Axel DIE LINKE 22.06.2017 Veit, Rüdiger SPD 22.06.2017 Vries, Kees de CDU/CSU 22.06.2017 Wawzyniak, Halina DIE LINKE 22.06.2017 Zimmermann, Pia DIE LINKE 22.06.2017 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Emmi Zeulner (CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Pflegeberufe (Pflegeberufereformge- setz – PflBRefG) (Tagesordnungspunkt 7 a) Ich werde heute dem Gesetz zur Reform der Pflegebe- rufe (Pflegeberufereformgesetz – PflBRefG) – Drucksa- che 18/7823 – zustimmen. Dies jedoch mit Bedenken, die ich in dieser persönlichen Erklärung darlegen möchte. Zentral zu nennen ist hierbei, dass wir kein Gesetz zu den Pflegeberufen verabschieden wollten, ohne dass die entscheidende Ausbildungs- und Prüfungsordnung als Grundlage und Bezugspunkt vorliegt. Doch nun wird die genaue Ausgestaltung den Parlamentariern der nächs- ten Wahlperiode überlassen. Wir geben also ein großes Stück zentraler Weichenstellungen aus unserer Hand und können nicht gewiss sein, dass unsere Ziele dann noch berücksichtigt werden. Diesem Umstand sehe ich mit großen Bedenken entgegen. Ein weiterer Punkt ist, dass die gemeinsame genera- listische Ausbildung durch mehr generelle Inhalte be- sonders die Kinderkrankenpflege in ihrer Spezialisierung schwächt. Der Grundgedanke hinter einer Zusammenle- gung der Alten- und Krankenpflege war es, dass Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpfleger künftig dieselbe Ausbildung genießen und flexibler einsetzbar sind. Das Ziel der Flexibilität ist weiterhin ein gutes. Das Hauptargument für die Generalistik ist der Um- stand, dass sich die Anforderungen in der Kranken- und Altenpflege immer weiter angleichen. So nimmt zum Beispiel die Anzahl der an Demenz erkrankten Men- schen in der Krankenpflege immer weiter zu, und um- gekehrt müssen sich die Altenpflegekräfte zunehmend mit den Problemen der Wundversorgung beschäftigen. Denn dadurch, dass die Menschen immer älter werden und aber auch immer später in die Pflegeheime gehen, steigt die Pflegebedürftigkeit dort weiter an. Die Kompe- tenzen, die gefordert sind, überschneiden sich bei diesen beiden Berufsbildern spürbar. Doch im Umkehrschluss zeigt sich auch ganz deutlich, dass die Anforderungen und die Bedürfnisse an und in der Kinderkrankenpflege ganz andere sind – und sich diese durch die demografi- sche Entwicklung auch nicht gewandelt haben. Eine ge- meinsame Ausbildung ist hier nicht zielführend. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Ausbildung in der Kin- derkrankenpflege abgetrennt von der generalistischen Ausbildung erfolgen sollte. Letztlich war es eines der zentralen Ziele, mehr Men- schen für den Beruf der Pflege zu begeistern und die Pfle- ge flächendeckend zu sichern. Dieses Ziel werden wir aber nur erreichen, wenn wir auch die kleinen Schulen in der Fläche erhalten. Denn Studien zeigen, dass vor al- lem dort, wo ausgebildet wird, die Arbeitskräfte gehalten werden können. Durch die Generalistik werden gerade die kleinen Schulen vor große Herausforderungen ge- stellt. Wir werden von politischer Seite hier genau beob- achten müssen, wie sich das entwickelt, um dann, wenn es nötig wird, diese Schulen zu unterstützen und ihnen nicht die Existenzgrundlage zu entziehen. Auch wenn ich diese Bedenken habe, so haben wir durch das Gesetz in vielen Bereichen Verbesserungen er- reicht, und diese gilt es zu würdigen. Gut ist, dass die drei Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 201724664 (A) (C) (B) (D) Berufsabschlüsse – insbesondere die der Alten- und Kin- derkrankenpflege – erhalten bleiben und gleichberechtigt nebeneinanderstehen. Damit haben wir die Wahlfreiheit der Auszubildenden gesichert und die Ausbildung für die Zukunft attraktiver gemacht. Auf diese Weise haben wir sichergestellt, dass jeder Auszubildende, egal ob Gym- nasiast, Real- oder Hauptschüler, den Ausbildungsgang wählen kann, den er für sich selbst am geeignetsten emp- findet. Daneben sind auch die Zwischenprüfung und die bessere finanzielle Aufstellung durch den Ausbildungs- fonds wichtige Schritte gewesen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Nicole Gohlke, Christine Buchholz, Birgit Menz, Cornelia Möhring, Martina Renner und Hubertus Zdebel (alle DIE LINKE) zu der namentlichen Abstimmung zu dem von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grund- gesetzes (Artikel 21) (Tagesordnungspunkt 10) Wir enthalten uns bei der Abstimmung zur Änderung des Grundgesetzes. Die NPD ist eine neofaschistische Partei, die in der programmatischen Tradition der NSDAP steht. Sie ist eine antisemitische, islamfeindliche, rassistische und menschenverachtende Partei. Sie ist organisch mit rech- ten Kameradschaften und rechten Schlägertruppen ver- woben. Sie gehört auf allen Ebenen politisch bekämpft. Die politische Bedeutungslosigkeit, in der sie heute verschwunden ist, ist das Ergebnis der unermüdlichen, jahrelangen Arbeit Tausender Antifaschistinnen und Antifaschisten in diesem Land. Die Kampagne zum NPD-Verbot leistete dabei einen zentralen Beitrag für antifaschistische Mobilisierung und Aufklärung. Die einstigen Erfolge der NPD wären ohne die po- litische Aufbauarbeit der V-Leute des Bundesamtes für Verfassungsschutz nicht möglich gewesen. Allein in der NPD-Spitze führte der Verfassungsschutz mindestens elf V-Leute. Nach Angaben zahlreicher enttarnter Spitzel wurden ihre Honorare, die letztlich aus Steuergeldern bezahlt wurden, massiv für den Aufbau der neofaschisti- schen Partei eingesetzt. In den NSU-Untersuchungsaus- schüssen wurde deutlich, dass die Verfassungsschutzbe- hörden einen maßgeblichen Anteil am personellen und materiellen Aufbau militanter rechter Strukturen haben. Sollte es das tatsächliche Anliegen der Bundesregierung sein, die militante Neonazi-Szene nicht mit weiteren Steuergeldern zu versorgen, sollte sie das gescheiterte V-Leute-System beenden und das Bundesamt für Ver- fassungsschutz auflösen, anstatt diesem immer weitere finanzielle Mittel und Befugnisse einzuräumen. Während das Bundesverfassungsgericht in seinem NPD-Urteil die Verfassungsfeindlichkeit an inhaltli- che Kriterien – Menschenwürde, Demokratieprinzip, NS-Verherrlichung – gebunden hat, steht hinter dem Verdikt der Verfassungsfeindlichkeit in der Änderung des Grundgesetzes immer auch der alte „Extremismus- ansatz“. In der Begründung des Gesetzentwurfes des Bundesrates wird gar vom Ausschluss „extremistischer Parteien von der Parteienfinanzierung“ gesprochen. Ge- mäß dieser These gibt es innerhalb demokratischer Staa- ten eine politische Mitte sowie rechts und links davon extremistische Ränder, die eine Gefahr für den Rechts- staat darstellen würden und dementsprechend bekämpft werden müssen. Doch dabei wird zum einen ignoriert, dass innerhalb der sogenannten politischen Mitte eben- falls „rechte“ und menschenfeindliche Orientierungen zu finden sind. Die „Mitte“-Studien der Universität Leipzig haben diesen Befund immer wieder empirisch unter- stützt. Zum Zweiten wird mit dem „Extremismusansatz“ eine unzulässige Gleichsetzung von Linken und Rechten betrieben. Auch wenn es mit der NPD die richtige Par- tei trifft, ist nicht ausgeschlossen, dass sich die „Verfas- sungstreuepflicht“ nicht auch gegen linke Parteien rich- ten kann. Immer wieder stellen CDU- und CSU-Politiker die Verfassungstreue der Linkspartei in Frage. Die NPD verlor bei den letzten Landtagswahlen die einstigen Hochburgen, unter anderem weil unzählige Neofaschistinnen und Neofaschisten in der AfD eine po- litische Heimat gefunden haben – insofern gilt es auch die AfD aktuell in den Fokus zu nehmen. Rassistische Einstellungen werden nicht durch Ver- bote gestoppt, sondern indem sich Menschen solidarisch dagegen organisieren. Letztlich müssen soziale Verhält- nisse geschaffen werden, in denen rassistisches Gedan- kengut gar nicht erst gedeihen kann. Der Kampf gegen Rechts wird nicht im Gericht, son- dern auf den Straßen, in den Schulen und Betrieben ge- wonnen. Anlage 4 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung zu dem von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grund- gesetzes (Artikel 21) (Tagesordnungspunkt 10) Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Ich werde mich bei der Abstimmung der Stimme enthalten. Der Bun- destag wird heute eine Änderung des Grundgesetzes be- schließen, deren Ziel der Entzug der staatlichen Mittel für die Parteienfinanzierung für Parteien ist, die als ver- fassungswidrig eingestuft worden sind. Ich enthalte mich bei der Abstimmung der Stimme, weil ich den Entzug von finanziellen Mitteln für ein untaugliches Mittel der Auseinandersetzung mit verfassungsfeindlichen Parteien halte, die nur aus Gründen der Erfolglosigkeit bei Wah- len nicht dem Parteienverbot unterliegen. Erstens. Ich verstehe zutiefst die Empörung, dass rechte Parteien wie die NPD staatliche Mittel, die sie nach Wahlen erhalten, einsetzen können, um ihre offen oder verdeckt verfassungsfeindliche Politik weiter zu be- treiben. Die Hoffnung aber, dass das Wirken der NPD durch den Entzug von staatlichen Mitteln behindert oder gar verhindert werden könnte, ist trügerisch. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24665 (A) (C) (B) (D) Zweitens. Die staatliche Finanzierung von Parteien auf der Grundlage des Grundgesetzes ist ein Grund- pfeiler der Parteiendemokratie, der – wie alle demokra- tischen Grundrechte – nicht aus Opportunitätsgründen eingeschränkt werden darf. Demokratie gilt für alle glei- chermaßen, oder es ist keine Demokratie. Die Einschrän- kung demokratischer Rechte beschädigt demokratische Grundwerte, auf die die Bundesrepublik zu Recht stolz ist. Drittens. Wir wissen alle, dass rechtsextremes Denken und Angriffe auf die freiheitlich-demokratische Grund- ordnung und demokratische Werte durch Parteien und andere politische Strukturen bis in die Mitte der Gesell- schaft hinein auf erschreckende Zustimmung stoßen. Ver- bote und der Entzug demokratischer Rechte helfen nicht, rechtes Denken in der Gesellschaft zurückzudrängen und wirkungslos zu machen. Dagegen zeigt das Staatsversa- gen bei der Aufklärung der NSU-Morde, dass es andere rechtliche Möglichkeiten der Auseinandersetzung und Sanktionierung gibt, die allerdings konsequenter zu ver- folgen sind. Wir brauchen eine konsequente Strafverfol- gung bei rechtsextremen Straftaten, gleich, ob sie „nur verbal“ oder als offene Gewalt daherkommen. Darüber hinaus brauchen wir eine deutliche Stärkung demokrati- scher Strukturen. Wir brauchen den Schutz und die Sen- sibilität der Öffentlichkeit und eine stärkere Resilienz der demokratischen Öffentlichkeit gegen nationalistische und rassistische Äußerungen. Wir brauchen mehr politi- sche Bildung, mehr Mitsprache- und Entscheidungsmög- lichkeiten und eine bessere Unterstützung all jener Struk- turen, die das demokratische Gemeinwesen ausmachen. Das wird langfristig helfen, rechtes Denken und demo- kratiefeindliche Gesinnungen zurückzudrängen und wir- kungslos zu machen. Aus diesen Gründen enthalte ich mich der Stimme. Thomas Lutze (DIE LINKE): Heute stimmt der Bun- destag namentlich über eine Grundgesetzänderung ab, bei der es um die Parteienfinanzierung geht. Ich werde dem Antrag nicht zustimmen, ich werde mit Stimment- haltung votieren. Die NPD ist eine offen faschistische und rassistische Partei, die verboten sein sollte. Zweimal lehnte aber das Bundesverfassungsgericht einen Verbotsantrag ab, was ich politisch für falsch halte. Nun versuchen große Teile der Politik, der NPD durch Mittelentzug den Garaus zu machen. Ich bleibe dabei: Entweder wird eine Partei verboten, was ich im Falle faschistischer und rechtsextremer Par- teien wie der NPD absolut begrüße. Oder man muss sich politisch mit ihnen auseinandersetzen, damit sie keine Wähler mehr bekommen. Der Entzug der Parteienfinan- zierung lässt sie als Opfer dastehen. Eine Opferrolle ha- ben sie aber nicht verdient. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Natur- schutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Stefan Liebich, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz (Tagesordnungspunkt 20) Josef Rief (CDU/CSU): In diesen Tagen trauern wir um Helmut Kohl und sprechen überall darüber, was sein Verdienst war und was von ihm bleibt. Ganz sicher ist es neben der deutschen Einheit auch die Entscheidung, Ber- lin wieder zur deutschen Hauptstadt zu machen. Helmut Kohl hat stets dafür geworben – auch gegen viele Stim- men in seiner eigenen Fraktion. Wie sich heute zeigt, war das richtig. Sie wissen alle, das war auch für das Parlament eine schwere Entscheidung. Quer durch alle Fraktionen gab es Uneinigkeit. Die Gegner des Umzugs nach Berlin sa- hen vor allem die Kosten als Problem. In Bonn hatte man sich eingerichtet. Nicht wenige, die damals gegen den Umzug im Bundestag gestimmt hatten, sagen heute, dass sie es hätten besser wissen müssen. Auch ich halte es für eine kluge Entscheidung. Es war für das Zusammenwachsen von Ost und West von sehr großer Bedeutung, dass Berlin als neue, alte Hauptstadt inmitten der neuen Bundesländer lag. Was wäre aus der wiedervereinigten Stadt Berlin geworden, ohne dass sich hier wieder Parlament und Regierung angesiedelt hätten und mit ihnen die vielen Unternehmens- und Verbands- vertretungen, Botschaften, Organisationen und Vereine? Was hätte mit dem Reichstagsgebäude und den vielen leerstehenden Gebäuden passieren sollen? Heute sehen wir ein Berlin, das mit seinem Parlaments- und Regie- rungsviertel unser Land angemessen repräsentiert. Berlin ist beliebt bei innerdeutschen und internationalen Besu- chern. Wir dürfen auch die historische Bedeutung unserer Hauptstadt nicht vergessen. Berlin ist der Ort, an dem so viel gute, aber auch so viel abgrundtief böse Geschichte unseres Landes geschrieben wurde. Nur hier können wir angemessen den Lehren der Geschichte Rechnung tra- gen. Nur hier mahnt uns täglich der Verlauf der Mauer, der in das Straßenpflaster eingelassen ist, was es bedeu- tet, wenn wir Freiheit und Demokratie leichtfertig aufs Spiel setzen. In der ganzen Stadt spürt man die Folgen der beiden Diktaturen, die unser Land erleben musste. All dies ist unabhängig davon, ob noch ein Teil der Bun- desverwaltung in Bonn verblieben ist. Wir müssen die Diskussion also sachlich führen. Auch wenn Berlin unumstritten unsere Hauptstadt ist, haben wir uns gegenüber Bonn verpflichtet, einen großen Teil der Arbeitsplätze in Bonn zu erhalten. Schon vor fast zehn Jahren sind wir unter die Marke von 50 Prozent der Stellen gefallen, die in Bonn bleiben sollten. Seitdem hat sich einiges verändert. Bonn hat mithil- fe des Bundes das Beste aus der Situation gemacht und Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 201724666 (A) (C) (B) (D) viele neue Arbeitsplätze angesiedelt, sodass der Anteil von heute unter 40 Prozent verkraftbar erscheint. Bonn ist inzwischen eine Region der Qualifikation, Bildung und Forschung und ein bedeutender Kulturstandort. Zu- gleich ist die ehemalige Hauptstadt heute ein bedeuten- der Standort der Vereinten Nationen. Nicht zuletzt muss man auch die Beschäftigten von Post und Telekom hinzu- zählen, die ihren Hauptsitz in Bonn haben. Trotzdem sind wir es auch 26 Jahre nach dem Haupt- stadtbeschluss des Bundestages der Region Bonn und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Bundes- behörden schuldig, dass wir den Umzug mit Augenmaß machen und an die praktischen Erfordernisse anpassen. Im Haushaltsausschuss lassen wir uns alle zwei Jahre über den Stand und die Kosten der Verwaltung mit zwei Standorten berichten. Im Bundesbauministerium wurde ein Arbeitsstab eingerichtet, der die Entwicklung der vergangenen Jahre in eine ressortübergreifende Strate- gie überführen soll, um verlässliche Perspektiven und Planungssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen, ins- besondere für den Standort Bonn und die Beschäftigten dort. Im Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und SPD ver- einbart, dass wir am Berlin/Bonn-Gesetz festhalten wer- den. Bonn wird vorerst das zweite politische Zentrum in Deutschland bleiben. Aus diesem Grund lehnen wir den Antrag der Fraktion Die Linke ab. Es wäre interessant gewesen, wenn die Linke den An- trag vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ge- stellt hätte. So bleibt politisch ein schaler Beigeschmack. Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): Helmut Kohl gelang die Realisierung der deutschen Wiedervereinigung unter anderem deshalb, weil er die Interessen sowohl der Sowjetunion als auch der westlichen Partner ausreichend berücksichtigte und ihnen mit einer umfassenden Einbet- tung der Bundesrepublik in europäische Strukturen die Angst vor einem wiedervereinigten Deutschland nahm. Der Aspekt einer Berücksichtigung beiderseitiger Inte- ressen wohnt auch dem Berlin/Bonn-Gesetz inne, das die Grundlage für die beiden Regierungsstandorte Berlin und Bonn bildet. Das Berlin/Bonn-Gesetz ist aufgrund der vielverspre- chenden Entwicklung beider Städte als Erfolgsgeschich- te zu bezeichnen. Berlin ist heute anerkannte Hauptstadt Deutschlands, mit all den damit verbundenen positiven Effekten auf Bereiche wie Kultur und Tourismus. Die Stadt Bonn wiederum hat den Wegzug der Legislative sowie erheblicher Teile der Exekutive sehr gut verkraftet. Heute ist die Region ein Kompetenzzentrum in den Be- reichen Bildung, Wissenschaft und Forschung sowie Telekommunikation und Cybersicherheit. Zudem ist die ehemalige Hauptstadt seit über 20 Jahren UN-Standort und darüber hinaus Sitz von 20 Bundesbehörden sowie zahlreichen Nichtregierungsorganisationen. Gewisser- maßen unter der Flagge der Vereinten Nationen hat sich Bonn inhaltlich zu einem Schwerpunkt der Bereiche Nachhaltigkeit und Entwicklungszusammenarbeit he- rausgebildet. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass das noch immer in Bonn vorhandene Regierungsgeschehen eine zentrale Triebfeder für den gesamten politischen Cluster bildet. Ein im Antrag der Linken geforderter radi- kaler Umzug nach Berlin hätte daher unabsehbare Folgen sowohl für die Stadt als auch für die Region. Der Fraktion Die Linke argumentiert, dass zwei Re- gierungssitze ineffektiv, umweltschädlich und zu teuer seien. Es ist schon erstaunlich, dass über 25 Jahre nach dem Beschluss des Berlin/Bonn-Gesetzes diese Punk- te verwendet werden, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Die zusätzlichen ökonomischen und ökologi- schen Kosten sowie die Effizienzeinbußen waren schließ- lich schon im Jahr 1991 absehbar. Dennoch sprach sich nach umfangreichen und harten Debatten eine Mehrheit des Deutschen Bundestages für eine Teilung der Regie- rung auf zwei Standorte aus, eben weil eine Berücksichti- gung der Interessen beider Städte gegenüber den Kosten stärker gewichtet wurde. Zudem sollten sowohl Bonn als auch Berlin von der Regelung profitieren. Dieses Streben nach einem Kompromiss ist schließlich ein Merkmal der Demokratie. Sowohl in dem Antrag als auch in der öffentlichen Debatte wird immer wieder auf die durch die zwei Re- gierungssitze hervorgerufenen Kosten verwiesen. Dabei sind sie in den vergangenen Jahren stetig gesunken und haben aktuell mit 7,5 Millionen Euro einen Tiefstand er- reicht. Diese positive Entwicklung ist vor allem den um- fangreichen Fortschritten im Bereich der Digitalisierung zu verdanken. Ein Meinungs- und Informationsaustausch setzt heute dank vielfältiger Instrumente nicht mehr die gemeinsame Anwesenheit an einem Ort voraus. Mit Blick auf die finanziellen Aspekte ist es zudem äußerst fragwürdig, nur die aktuell durch die zwei Regierungs- sitze verursachten Kosten anzuprangern und gleichzeitig die Kosten für einen kompletten Umzug der Ministerien nach Berlin zu verschweigen. Es müssen alle Fakten ge- nannt werden; schließlich ist nur so eine objektive Be- wertung der Problematik möglich. Berechnungen gehen davon aus, dass ein Komplettumzug nach Berlin zwi- schen 2 Milliarden und 5 Milliarden Euro kosten wür- de. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht würden sich diese Kosten erst in mehreren Hundert Jahren amortisieren. Die Linke schwingt sich in ihrem Antrag zum Verteidi- ger der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler auf, fordert jedoch gleichzeitig solch ein staatlich finanziertes Mam- mutprojekt. Aus fiskalpolitischer Perspektive wäre es zu- dem sinnvoller, den Bau öffentlich finanzierter Projekte eines solchen Umfangs in konjunkturschwachen Zeiten vorzunehmen. Dieser scheinbar bei den Antragstellern unbekannte Haushaltsgrundsatz entstammt dem Stabili- täts- und Wachstumsgesetz aus dem Jahr 1967. Ein besonders kritikwürdiger Punkt des vorliegenden Antrags ist der geforderte Zeithorizont. Bis zum Jahr 2020 soll die Zusammenführung der Bundesministerien in Berlin erfolgen. In Anbetracht der über 7 000 Beschäf- tigten in Bonn ist die Zeitvorgabe von nur 2,5 Jahren mit Blick auf die Gebäudekapazitäten in Berlin eine immen- se Herausforderung. Darüber hinaus würden die Bonner Beschäftigten auf einen Berliner Wohnungsmarkt drän- gen, der schon heute durch eine Angebotsknappheit und deutliche Preisanstiege gekennzeichnet ist. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24667 (A) (C) (B) (D) Viel mehr als der leichtfertige Umgang mit den finan- ziellen Kosten irritiert jedoch, wie abgebrüht die Linke mit den sozialen Kosten umgeht. Schließlich haben sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teilweise schon vor vielen Jahren für Bonn als Arbeitsplatz entschieden. Sie haben sich ein persönliches Umfeld aufgebaut und Fami- lien gegründet. All dies soll nun nach Plänen der Linken in einer Art Hauruckaktion zerschlagen werden. Der vorliegende Antrag der Linken greift ein wichti- ges Problem auf, nur werden daraus die falschen Schlüsse gezogen. Es ist zutreffend, dass sich mittlerweile 65 Pro- zent der ministeriellen Arbeitsplätze in Berlin befinden, obwohl das Berlin/Bonn-Gesetz eine Mehrheit der Mi- nisteriumsmitarbeiter in Bonn vorsieht. Zudem erfolgen heute fast drei Viertel der Neueinstellungen in Berlin. Es ist somit offensichtlich, dass sich der Schwerpunkt schleichend immer mehr hin zur Hauptstadt verlagert. Diese Entwicklung wird sich aufgrund der Altersstruktur der Bonner Belegschaft und der überwiegend in Berlin stattfindenden Schaffung neuer Planstellen in den nächs- ten Jahren fortsetzen. Ein solcher nur indirekt gesteuer- ter Vorgang muss zukünftig in einen geplanten Prozess überführt werden. Es darf dabei allerdings nicht heißen Bonn oder Berlin, sondern es muss ganz im Geiste des Berlin/Bonn-Gesetzes eine Debatte angestoßen werden, in der die Interessen beider Städte ausreichend Berück- sichtigung finden. Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Liebe Kollegin- nen und Kollegen von der Fraktion Die Linke, lassen Sie mich zunächst sagen, dass ich als Berliner Abgeordneter durchaus Sympathien für die Intention ihres Antrages „Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz“ hege. Gleichwohl – das wird Sie kaum überraschen – komme ich zu der Erkenntnis, dass ich ihren Antrag im Ergebnis ablehnen werde. Doch lassen Sie uns zunächst mit dem Positiven beginnen. Der vollständige Umzug aller Ministerien nach Ber- lin ist sinnvoll. Dies ist augenscheinlich. Vordergründig werden oft die Reisekosten als erstes Argument aufge- führt. Es ist zwar richtig, dass diese dann nicht mehr anfallen würden, aber dies ist nur das schwächste Argu- ment. Viel wichtiger ist aus meiner Erfahrung als ehe- maliger Mitarbeiter eines Bundesministeriums in Berlin, dass derzeit die formale Arbeitseffektivität erheblich lei- det. Aufgaben lassen sich an getrennten Orten nun mal schlechter lösen. Nicht zu unterschätzen sind aus meiner Sicht weiterhin die informellen Gespräche unter Kolle- ginnen und Kollegen auf den Fluren oder in den Kanti- nen. Informelle Kontakte haben auch in Behörden eine ausgesprochen wichtige Funktion. Diese fallen bei der derzeitigen Arbeitsteilung häufig weg, und dies allen modernen Errungenschaften wie E-Mail, Telefonkon- ferenz oder Ähnlichem zum Trotz. Hinzu kommt, dass ich in meinem Berliner Wahlkreis sehr häufig auf das Thema des vollständigen Regierungsumzuges nach Ber- lin angesprochen werde. Bürgerinnen und Bürger haben kaum Verständnis dafür, dass die Bundesregierung ihre Aufgaben noch immer an zwei mehr als 600 Kilometer voneinander entfernt liegenden Orten wahrnimmt. Ein vollständiger Umzug wäre effektiv, kostengünstig und umweltfreundlich. Jedoch gibt es auch gewichtige Gründe, die gegen Ih- ren Antrag sprechen. Der wichtigste Grund – wir haben das schon in der ersten Lesung thematisiert – ist, dass Sie für den kompletten Umzug einen extrem kurzen Zeit- raum gewählt haben. Binnen eines Zeitraums, der im Jahr 2020 abgeschlossen sein soll, einen solchen Umzug durchzuführen, ist aus Sicht der betroffenen Beschäftig- ten nur eines: Wahnsinn – mich erstaunt sehr, liebe Kol- leginnen und Kollegen von den Linken, dass Sie ausge- rechnet die Interessen der Beschäftigten überhaupt nicht in den Blick genommen haben. Jede Arbeitsorganisation braucht Zeit, um solch einen Umzug zu planen und ihn dann sozialverträglich durchführen zu können. Weiterhin spricht gegen Ihren Antrag, dass die Kos- ten für einen Umzug, insbesondere wenn er so schnell durchgeführt werden soll, immens sein werden. Unter dem Strich müssen wir konstatieren, dass die Amortisati- onsphase extrem lang sein wird. Darum bin ich sehr zufrieden, dass die Beauftrag- te der Bundesregierung für den Berlin-Umzug und den Bonn-Ausgleich einen hervorragenden Statusbericht vorgelegt hat. Dieser ist eine ehrliche Grundlage, um die notwendige Diskussion über einen sozialverträglichen Umzug anzustoßen. Lassen Sie uns in der nächsten Le- gislaturperiode hieran gemeinsam arbeiten. Susanna Karawanskij (DIE LINKE): In der ersten Lesung zu unserem Antrag stellte ich fest, dass es in 2015 fast 21 000 teilungsbedingte Dienstreisen zwischen Bonn und Berlin gab. Dazu machte Herr Kollege Lengsfeld den spöttischen Zwischenruf: „Was das an CO2 kostet!“. Ich finde es erschreckend, wie schnell die CDU/CSU mit Hohn und Spott bei der Sache ist, wenn es um Umwelt- schutz und Ökologie geht. Natürlich sind teilungsbeding- te Flüge nicht alleinige Ursache des Klimawandels. Aber es bleibt dabei: Die Teilung der Regierung ist unöko- logisch. Dies sollte Sie eher zum Nachdenken als zum Spotten anregen. Denn die miese Ökobilanz in Sachen Bonn-Berlin ist ein Abziehbild der politischen Bilanz dieser Regierungskoalition. Dabei tut die Teilung der Regierung in zwei Regie- rungssitze schon lange nicht mehr not. Das Berlin/ Bonn-Gesetz, das seit 1994 in Kraft ist, hat seinen Sinn, seine Aufgabe erfüllt, indem die Bundesstadt Bonn be- sonders gefördert wurde und heute wirtschaftlich, kul- turell und politisch gut aufgestellt ist. Die Region Bonn droht nicht, Einöde zu werden. Da haben manche Kom- munen in NRW ganz andere Sorgen. Zudem sind einige wenige Ausnahmen sinnvoll: Wir wollen zum Beispiel nicht, dass Einrichtungen, die in ihrem Wirken explizit der Region Köln/Bonn verbun- den sind, nach Berlin umziehen müssen. Dies trifft unter anderem auf das Haus der Geschichte zu. Wir fordern des Weiteren, dass bei einem Umzug des Bonner Regie- rungssitzes die Mitbestimmungsrechte der Belegschaften beachtet werden. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 201724668 (A) (C) (B) (D) Fast 40 Prozent der Regierungsstellen sind noch in Bonn – ein absurd hoher Wert! Dabei ist eine Arbeits- teilung zwischen Bonn und Berlin längst nicht mehr angezeigt, erst recht nicht, wenn es um zukunftsfähiges Regierungshandeln geht. Wir brauchen doch viel eher schnelle Reaktionen, gezielte, auch persönliche Abspra- chen, kurze Reaktionszeiten. Die Teilung steht dem ent- gegen und ist schlicht ineffektiv. Selbst wenn die Arbeitsstellen der Regierung sich sehr, sehr langsam zugunsten Berlins bewegen, ist die Tren- nung der Regierungstätigkeit aus drei weiteren Gründen äußerst ineffektiv: Die Zweiteilung der Bundesregierung schwächt erstens die Rolle Berlins als Bundeshauptstadt. Zweitens wird die Koordinierung zwischen Regierung und Parlament erschwert, was nicht gut für unsere De- mokratie ist. Da ferner junge Menschen viel eher nach Berlin als nach Bonn ziehen würden, wird drittens auf- grund der zwei Standorte die Nachwuchsarbeit in den Bundesministerien erschwert. Die anhaltende Trennung der Regierungsstellen ist nicht nur unökologisch und besonders ineffektiv, sondern vor allem auch teuer. Gewiss kostet ein Komplettumzug der Regierungsstellen von Bonn nach Berlin auch Geld. Doch das ist ein einmaliger Akt über einen überschauba- ren Zeitraum hinweg. Im Vergleich dazu bleiben die jähr- lichen Kosten für die Regierungsteilung mit fast 7,5 Mil- lionen Euro in 2016 relativ konstant auf hohem Niveau. Die Kosten für die bereits erwähnten umweltschädlichen Zehntausenden von Dienstreisen pro Jahr beliefen sich in 2015 auf stolze 4,7 Millionen Euro. Und das sind jährli- che Kosten! Wie wollen Sie diese Kosten vor den Steu- erzahlerinnen und Steuerzahlern weiterhin rechtfertigen? Selbst in einigen Ministerien wird ja schon mehr oder weniger laut über eine Beendigung der Aufteilung der Regierungsstandorte nachgedacht. Vielleicht gibt es Ih- nen einen weiteren Ruck, wenn Sie berücksichtigen, dass gemäß einer repräsentativen Umfrage 83 Prozent der Be- völkerung einen Komplettumzug befürworten. Schließlich schwächt eine Zweiteilung der Regie- rungstätigkeit sogar das föderale System. Wenn das föde- rale System durch Verteilung einzelner Ressorts, Behör- den und sonstiger Einrichtungen auf Standorte außerhalb Berlins wirklich gestärkt werden soll, dann müsste man aber mehrere Standorte in den alten Bundesländern und insbesondere auch in Ostdeutschland wählen. Das Um- weltbundesamt in Dessau oder das Biomasseforschungs- zentrum in Leipzig bleiben da jedoch leider Ausnahmen. Knapp 40 Prozent der Regierungsangestellten sind statt- dessen in einer einzigen Stadt angestellt, in Bonn. Damit wird die Grundidee des Föderalismus entwertet. Viele gute Gründe sprechen also für einen Komplett- umzug nach Berlin; deshalb brauchen wir ein Beendi- gungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz. Damit muss der Zustand der Regierungszweiteilung bis 2020 endgültig aufgehoben werden. Ich hoffe, dass die Bonner Repu- blik somit in ihren wohlverdienten Ruhestand geschickt wird und alle, die immer noch für zwei Regierungssitze sind, endlich in der Jetztzeit und in der Berliner Republik ankommen, damit wenigstens diese Zweiteilung in unse- rem Land endlich beendet wird. Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich finde, das Bonn/Berlin-Gesetz taugt nicht zum parteipolitischen Streit, weder hier im Bun- destag noch im Bundestagswahlkampf. Denn hier geht es um Regionen: einerseits Berlin, andererseits die Regi- on um Bonn. Und diese beiden Regionen gegeneinander auszuspielen, da machen wir Grüne nicht mit. Ich glaube, wenn man hier einen solchen Antrag auf den Weg bringt, dann muss der Blick auf beide Regionen gerichtet sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition, wir haben doch ein Problem mit dem Berlin/ Bonn-Gesetz. So wie es jetzt ist, kann es nicht bleiben, weder in Berlin noch in Bonn. Ich habe sehr wohl wahrgenommen, was Ministerin Hendricks, die Beauftragte für den Umzug von Bonn nach Berlin, dazu in dieser Wahlperiode gemacht hat: Sie hat mal wieder einen Bericht vorgelegt, eine „ergebnisof- fene Bestandsaufnahme“. Was soll das denn sein? Das ist doch nur ein Synonym für Untätigkeit. Hinter solch ei- nem Bericht kann man sich natürlich bestens verstecken und eine weitere Bild-Zeitung-Schlagzeile produzieren. In dem Bericht steht, es gibt Effizienzverluste, die wir lösen müssen. – Wie soll das konkret gestaltet werden? Wie soll die Struktur unter Berücksichtigung aller Inte- ressen neu geordnet werden? Dazu schweigt das BMUB. Dazu schweigen die Mi- nisterin und auch die Bundesregierung. Am Ende hat Hendricks auch hier wieder nicht geliefert. Und ich sage Ihnen eins: Sie ist die zuständige Ministerin, und das hät- te sie in dieser Wahlperiode liefern können. Die Große Koalition hat sich in dieser Frage weggeduckt. Eine neue Bundesregierung muss sich wirklich ernst- haft mit diesem Thema beschäftigen, aber nicht in der Form wie der vorliegende Antrag der Linken. Er ist schlicht zu kurz gegriffen und spielt die Regionen gegen- einander aus. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, bei einer ernsthaften Debatte wären wir auch dabei gewesen. Aber glauben Sie denn im Ernst, dass diese Bun- desregierung hier noch was macht? Was soll die Große Koalition denn in den nächsten eineinhalb Wochen zum Berlin/Bonn-Gesetz noch vorlegen? Nichts. Und sie wird auch nichts vorlegen. Deswegen macht dieser Antrag in der Form heute auch keinen Sinn. Die Forderung umzusetzen, dass der Umzug komplett bis 2020 stattfinden soll, ist schlicht unmöglich. Wo sol- len denn die ganzen Liegenschaften und Wohnungen in Berlin herkommen? Wie sollen alle Personalfragen ge- klärt werden? Dieses Datum ist ein Hauruckdatum. Und da machen wir Grüne nicht mit, denn das produziert Ängste, und damit machen wir keine Politik! Wir Grüne werden uns auch in der nächsten Wahlperi- ode sehr ernsthaft damit auseinandersetzen, weil wir die Probleme wirklich lösen wollen. Wir werden uns so darum kümmern, dass nicht eine Region in die Röhre guckt. Wir suchen nach einer ver- antwortungsvollen Lösung für alle. Wir werden dafür sorgen, dass auch die ökologischen Aspekte nicht hinten Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24669 (A) (C) (B) (D) runterfallen, und wir werden dafür sorgen, dass es auch eine finanzpolitisch sinnvolle Lösung ist. Deswegen lehnen wir Ihren unausgegorenen Antrag heute ab. Ulrich Kelber, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Mehr Einwohner, mehr Jobs, junge Bevölkerung. Diese Be- schreibung gilt für Bonn, und diese Beschreibung gilt für Berlin. Berlin ist Hauptstadt mit internationaler Ausstrahlung. Bonn ist zweites politisches Zentrum und Kompetenzzentrum Deutschlands für bestimmte Politik- felder. Beides ist gut für Deutschland. Beides nutzt den Bürgern und Bürgerinnen im ganzen Land. Die Linkspartei dagegen startet jährlich eine Neidde- batte gegen die Region Bonn und den Westen Deutsch- lands. Die Linkspartei redet über Arbeitnehmer in meiner Heimatregion wie über Bürobedarfsartikel. Lebenspla- nung, Familien, weitere abhängige Arbeitsplätze: Kein Wort darüber von der Linkspartei. Und schaut man genau in den Antrag der Linkspartei, geht es keineswegs nur um die rund 6 000 Jobs in den Bonner Ministerien. Die Linkspartei will auch Tausen- de weitere Arbeitsplätze in anderen Behörden aus West- deutschland und Bonn abziehen. Die Linkspartei gibt damit den Anspruch auf, Arbeitnehmerpartei zu sein. Sie will nur regionalen Neid schüren, um sich Stimmen zu sichern. Rund um die verbliebenen ministeriellen Arbeitsplät- ze und andere Bundesbehörden ist in Bonn ein Kompe- tenzzentrum für Deutschland entstanden. Drei Beispiele: Die Vereinten Nationen und eine große Zahl von in- ternationalen Regierungs- und Nichtregierungsorgani- sationen suchen die Nähe zu den Gesprächspartnern der Bundesregierung und der Europäischen Union im nahen Brüssel. Nationale und internationale Wissenschaftseinrich- tungen profitieren vom Cluster der dichtesten Wissen- schaftsregion Europas (Aachen, Bonn, Köln) und den Gesprächspartnern im Forschungsministerium, im Ge- sundheitsministerium und weiteren nationalen Behörden. In der Region Bonn ist Deutschlands Cluster für Cy- bersecurity entstanden: Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, Kommando Cyber- und Informa- tionsraum der Bundeswehr, Cyber Defense Center der Deutschen Telekom, Start-ups, mittelständische Firmen, Wissenschaftseinrichtungen sowie die Regulierungsbe- hörden Kartellamt, Bundesnetzagentur und Bundesan- stalt für die Finanzdienstleistungsaufsicht. Die Linkspartei will dieses Kompetenzzentrum auf- brechen und damit schwächen. Das ist der falsche Weg und schadet dem ganzen Land. Ihren Antrag begründet die Linkspartei mit nachweis- lich falschen Zahlen und Behauptungen. Die Arbeitstei- lung sei ineffizient, behauptet die Linkspartei. Es sei ein „Wanderzirkus“ zwischen Berlin und Bonn notwendig, so die Linkspartei. Machen wir doch einen Faktencheck: Mehr als die Hälfte der rund 6 000 Ministeriumsmitarbeiter in Bonn muss überhaupt keine Dienstreise nach Berlin unterneh- men. Ihre Ansprechpartner sitzen in anderen Regionen Deutschlands und in Brüssel. Nebenbei: Eine Dienstreise von Berlin nach Brüssel ist laut Auswertung 125 Prozent teurer als die gleiche Dienstreise von Bonn aus. Die an- dere Hälfte der Bonner Beamten macht weniger als eine Dienstreise im Vierteljahr nach Berlin. Ein Wanderzirkus sieht wahrlich anders aus. Obwohl die Ausgaben für die Arbeitsteilung zwischen Berlin und Bonn stetig sinken, behauptet die Linkspartei, diese Arbeitsteilung sei unbezahlbar. Auch hier ein Faktencheck: Die Arbeitsteilung kostet weniger als 8 Millionen Euro pro Jahr, ein Umzug allein der Ministerien schon bis zu 5 Milliarden Euro, die Kos- ten für Umzüge weiterer Bundesbehörden nicht einmal mitgerechnet. Hält die Europäische Zentralbank ihre Nullzinspoli- tik bis zum Jahr 2642 durch, würde sich der Umzug à la Linkspartei rechnen. Rückt die EZB aber noch vor dem Jahr 2550 von der Nullzinspolitik ab, sind allein schon die Zinsen für die Umzugskosten höher als die Ausgaben für die Arbeitsteilung. Der Umzug wird sich also nie rechnen. Das haben alle verstanden, nur die Linkspartei nicht. Im Koalitionsvertrag haben sich SPD und CDU/CSU darauf geeinigt, dass Bonn zweites politisches Zentrum bleibt, so wie es das Berlin/Bonn-Gesetz vorsieht. Die Linkspartei dagegen will – so hat Frau Karawanskij bei der Einbringung des Antrags gesagt – „die Bonner Republik in den Ruhestand … schicken“. Bonner Re- publik, das steht für erfolgreiche Demokratie, Freiheit, Rechtsstaat, soziale Verantwortung, Ausgleich der Inte- ressen. Diese Errungenschaften werden wir nicht in den Ruhestand schicken. Diese Erfahrung wollen wir für die Politikbereiche nutzen, in denen sich Bonn zum Kompe- tenzzentrum Deutschlands entwickelt hat. Deswegen lehnen wir den Antrag der Linkspartei ab. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) zu der Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Umwelt, Natur- schutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Stefan Liebich, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz (Tagesordnungspunkt 20) Meine Fraktion bringt heute einen Antrag in den Bundestag ein, der die Bundesregierung auffordert, ei- nen Gesetzentwurf vorzulegen, mit welchem das 1994 geschlossene Berlin/Bonn-Gesetz beendet werden soll. Ich stamme selbst aus dieser Region und vertrete den Rhein-Sieg-Kreis, den ein solches Gesetz unmittelbar und nachteilig betreffen würde. Ich kann diesem Antrag Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 201724670 (A) (C) (B) (D) daher nicht mit gutem Gewissen zustimmen und werde es daher auch nicht tun. Diese Entscheidung möchte ich wie folgt begründen: Mit der Verlegung des Regierungssitzes von Bonn nach Berlin sind Tausende von qualitativ hochwertigen Arbeitsplätzen aus der Region Bonn nach Berlin verla- gert worden. Die dafür erfolgten Ausgleichsleistungen waren gut angelegt, sie trugen dazu bei, einen Abstieg der Region zu verhindern. Nun ist seit Jahren zu beob- achten, dass auch die verbliebenen 50 Prozent der Ar- beitsplätze Stück für Stück nach Berlin abwandern. Die- ser Trend wird auch von der Bundesregierung und allen Parteien massiv vorangetrieben. Ein Komplettumzug ist in Planung und aller Voraussicht nach auch nicht mehr zu verhindern. Die Menschen vor Ort werden aller Voraus- sicht nach die Leidtragenden sein, wenn nicht rechtzeitig Maßnahmen ergriffen werden, die den Umzug für die Region sozialverträglich gestalten. Da der Komplettumzug in absehbarer Zeit unumgäng- lich ist, beharre auch ich nicht, wie viele Abgeordnete der Region aus den anderen Fraktionen, auf Einhaltung des Berlin/Bonn-Gesetzes – es wurde sowieso schon in meh- reren tausend Fällen gebrochen –, sondern darauf, dass dieser Umzug sozialverträglich, sowohl gegenüber der Region, als auch gegenüber den direkt Betroffenen, ge- staltet wird. Es muss nun geprüft werden, welche Projek- te geeignet wären, um den in den letzten Jahren bereits vollzogenen und den anstehenden Arbeitsplatzverlust in der Region aufzufangen. Über die Finanzierung und wei- tere Ausgleichszahlungen für die Region muss mit dem Bund verhandelt werden. Letztendlich hat der Bund den Menschen der Region mit dem Berlin/Bonn-Gesetz zur damaligen Zeit ein Ver- sprechen gemacht, sie mit den negativen Auswirkungen des Umzuges nicht allein zu lassen. Wenn man nun of- fenbar beschließt, sich nicht weiter an das eigene Gesetz zu halten, dann hat dies nicht nur wirtschaftliche Folgen, sondern stellt für die vor Ort betroffenen Menschen auch einen herben Vertrauensbruch demokratischer Werte da. Daher ist es umso wichtiger, jetzt schnellstmöglich über adäquate Ausgleichzahlungen zu verhandeln. Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen (Gesetz über die Erweiterung der Medienöffent- lichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG) (Tagesordnungspunkt 17) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Gerichtsver- handlungen sind öffentlich. Der Rechtsstaat will jedem Bürger die Gelegenheit geben, sich vom Funktionieren rechtsstaatlicher Mechanismen zu überzeugen. Ton- und Fernsehaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vor- führung oder Veröffentlichung sind bereits seit 1964 unzulässig. Damals hatte man Liveübertragungen sicher noch nicht so sehr im Fokus. Es sollte vielmehr kein öf- fentliches An-den-Pranger-Stellen geben, zumal natür- lich Ton- und Fernsehaufnahmen auch das Verhalten von Richtern, Anwälten, Parteien, Zeugen und Beschuldigten beeinflussen können. Andererseits haben sich bis heute die technischen Möglichkeiten verändert – zumal nicht wegzudiskutieren ist, dass bestimmte Prozesse durchaus von einer Bedeu- tung sein können, die es rechtfertigt, die Medienöffent- lichkeit zu erweitern. Ich freue mich deshalb, dass der vorliegende Gesetz- entwurf maßvolle Anpassungen in diesem Bereich vor- nimmt. Im Zeitalter der Internetberichterstattung, von Internetblogs und anderen neuen Kommunikations- und Informationsformen müssen auch für Transparenz und Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren neue Grund- sätze gelten. Dennoch müssen diese Änderungen mit Augenmaß vorgenommen werden, denn es geht daneben auch im- mer noch um die Wahrung der Beschuldigtenrechte. Zudem muss sichergestellt sein, dass Aufzeichnungen aus dem Gerichtsverfahren nicht im Nachhinein neue Anfechtungsgründe generieren. Dieser Herausforderung wird die Neuregelung gerecht. Ich will aber auf keinen Fall an dieser Stelle unter- schlagen, dass wir mit dem heutigen Beschluss auch weitere, ganz wesentliche Optimierungen auf den Weg bringen. So schließen wir eine Regelungslücke, die die Kostentragung für das gerichtliche Verfahren außerhalb der mündlichen Verhandlung betrifft, wenn Personen mit Sprach- oder Hörbehinderung bei anderen gerichtlichen Verfahren außerhalb des Strafverfahrens eine Sprach- oder Übersetzungshilfe beigeordnet bekommen. Diese Lücke entstand durch die Tatsache, dass im Strafverfah- ren die Beiordnung einer Sprach- oder Übersetzungshil- fe für das gesamte Verfahren vorgesehen ist. In anderen Gerichtsverfahren ist das jedoch nur für die mündliche Verhandlung der Fall. Sie sehen also, insgesamt ist es ein Gesetz, welches das Gerichtsverfassungsgesetz und die StPO zeitgemäß und mit Augenmaß modernisiert. Deshalb bitte ich um Zustimmung. Dietrich Monstadt (CDU/CSU): Die Demokratie – zum Beispiel auch der Deutsche Bundestag – hat ein ele- mentares Interesse, ihre Entscheidungen bürgernah und aktuell einer großen Öffentlichkeit zugänglich zu ma- chen. Transparenz und öffentliche Berichterstattung sind für die Wahrnehmung der Rechtsstaatlichkeit in unserem demokratischen Gemeinwesen herausragend wichtig. Nur wenn die Bürgerinnen und Bürger die Entschei- dungen der Judikative verstehen, wenn Hintergründe, Abläufe und tragende Gründe der Entscheidung erklärt werden, nur wenn über sie berichtet wird, besteht die Chance, aber auch die Erwartung, diese Entscheidungen zu akzeptieren, bis hin zu deren Umsetzung auf allen sie betreffenden Ebenen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24671 (A) (C) (B) (D) Schon heute sind an den obersten deutschen Bundes- gerichten zahlreiche Journalisten akkreditiert. Presse- sprecherinnen und Pressesprecher der Gerichte erklären die getroffenen Entscheidungen und stehen den Medien- vertretern zur Verfügung. Und auch die Onlineangebo- te unserer Gerichte haben in den letzten Jahren deutlich aufgeholt. Das zeigt: Die Notwendigkeit, das Bedürfnis, komplexere Angebote zuzulassen, ist immanent. Mit dem von der Bundesregierung eingebrachten Gesetz zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Ge- richtsverfahren und zur Verbesserung von Kommunika- tionshilfen für Sprach- und Hörbehinderte kommen wir dieser Notwendigkeit nach. Im Kern geht es dabei da- rum, die Abläufe an unseren obersten Bundesgerichten an die Praxis des Bundesverfassungsgerichtes anzuglei- chen. Das vorliegende Gesetz sieht hierfür eine Reform der §§ 169 und 186 Gerichtsverfassungsgesetz sowie eine Neufassung des §§ 17a Bundesverfassungsgerichts- gesetz vor. Damit werden die strengen Regelungen, die seit 1964 für Fernsehübertragungen in Gerichtssälen gel- ten, gelockert. Mit Blick auf eine erweiterte Medienöffentlichkeit wollen wir das durch folgende Maßnahmen erreichen: Erstens. In § 169 Absatz 1 Gerichtsverfassungsgesetz werden wir die Möglichkeit schaffen, Tonübertragungen der mündlichen Verhandlung sowie der Urteilsverkün- dung in einen Nebenraum für Medienvertreter zu er- möglichen. Ausgestaltet wird diese Regelung als Ermes- sensentscheidung des zuständigen Gerichtes. Auch ein Untersagen der Tonübertragung wird ermöglicht, sollte dies zur Wahrung schutzwürdiger Interessen von Betei- ligten oder Dritten angezeigt sein. Zweitens. § 169 Absatz 2 Gerichtsverfassungsgesetz sieht darüber hinaus vor, Tonaufnahmen der Verhand- lung einschließlich der Entscheidungsverkündung zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken zu ermög- lichen. Gelten wird dies ausschließlich für Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland. Auch hier gibt es eine Ermessensentscheidung des zuständigen Gerichts. Die Aufnahmen dürfen nicht zur Akte genommen und auch nicht herausgegeben oder zu Verfahrenszwecken genutzt werden. Außerdem müssen sie nach Verfahrensabschluss dem zuständigen Bundes- oder Landesarchiv zur Über- nahme angeboten werden. Diese entscheiden dann, ob den Aufnahmen bleibenden Wert zukommt oder ob sie vom Gericht zu löschen sind. Drittens. Schließlich ermöglicht § 169 Absatz 3 Ge- richtsverfassungsgesetz die Übertragung von Entschei- dungsverkündungen an den obersten Bundesgerichten im Fernsehen oder Hörfunk. Auch hier gelten entsprechen- de, gegebenenfalls einschränkende Ermessensentschei- dungen des jeweiligen Gerichts. Durch dieses Bündel an Maßnahmen erweitern wir die Medienöffentlichkeit deutlich. Wir verlieren in diesem Zusammenhang nicht aus dem Auge, dass ein Gerichts- verfahren eine höchst sensible Angelegenheit ist und bleibt. Abzuwägen war und ist das öffentliche Interesse gegen gewichtige Persönlichkeitsrechte von Beteiligten oder Dritten. In der Praxis wird beispielsweise zu prü- fen sein, ob sich der Charakter einer Verhandlung ändert, wenn die Kamera mitläuft. Darüber hinaus müssen wir zu 100 Prozent ausschließen, dass es zu einem Miss- brauch der gefertigten Archivaufzeichnungen kommt. Außerdem sollten und werden wir die Bundesländer er- mutigen, die entsprechenden Landesarchivgesetze anzu- passen. Gerade mit Blick auf die besondere Sensibilität der zu archivierenden Aufnahmen kann ein Flickentep- pich unterschiedlicher Bestimmungen nicht in unserem Interesse sein. Wie bereits eingangs angedeutet, zielt das vorliegende Gesetz jedoch nicht ausschließlich auf eine Erweiterung der Medienöffentlichkeit. Auch beim Thema Kommuni- kationshilfen für Sprach- und Hörbehinderte setzen wir ein klares Zeichen. In § 186 Gerichtsverfassungsgesetz stärken wir den barrierefreien Zugang zu Gerichtsverfah- ren. Wir erweitern die Leistungen für hör- und sprachbe- hinderte Menschen, die nach jetziger Rechtslage Gebär- densprachdolmetscher zwar im gesamten Strafverfahren, in allen anderen Verfahren jedoch nur im Rahmen der mündlichen Verhandlung in Anspruch nehmen können. Künftig soll eine Beiordnung von Kommunikationshil- fen auch in den übrigen gerichtlichen Verfahren möglich sein. In Sachen Bürgernähe und Transparenz geben wir un- seren obersten Bundesgerichten damit Instrumente an die Hand, die eine Medienöffentlichkeit und einen barriere- freien Zugang auf der Höhe der Zeit sicherstellen. In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung. Dr. Matthias Bartke (SPD): Vor kurzem ist bei der ARD eine neue Serie gestartet: Die Sofa-Richter. Privat- personen sitzen bei sich zu Hause auf der Couch und dis- kutieren über Rechtsfragen mitten aus dem Leben. Der ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam ordnet die Argu- mente und löst auf, wie die Gerichte wirklich entschieden haben. Die Sendung will den Zuschauern Recht und Justiz näherbringen. Ob die Gerichtsshows auf den Privatsen- dern ebenfalls dieses Motiv verfolgen, sei mal dahinge- stellt. Fakt ist aber, dass diese Gerichtsshows bisher im ganz besonderen Maße unser Bild von Gerichten geprägt haben. In den letzten Jahren sind Stimmen laut geworden, die behaupten, den „wahren Willen“ des Volkes zu vertreten. Gleichzeitig beobachten wir eine gefährliche Tendenz, etablierte Institutionen zu verachten. Es ist aktuell des- wegen ganz besonders wichtig, unsere Gerichte sichtbar zu machen. Gerichtsurteile, die eben nicht nur individu- elle Gerechtigkeit schaffen, sondern für die Allgemein- heit von Belang sind, müssen kommuniziert werden. Dafür schafft der vorliegende Gesetzentwurf die not- wendigen moderaten Öffnungen. Verkündungen von Entscheidungen der obersten Bundesgerichte sollen in den Medien übertragen werden können. Dieser Vorschlag ist durchaus auf Skepsis gestoßen. Ich teile diese Skepsis nicht. Die Urteilsverkündungen des Bundesverfassungsgerichts können schon seit 1998 übertragen werden. Es würde wohl niemand so weit ge- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 201724672 (A) (C) (B) (D) hen, hier von Clowns und Showmastern zu sprechen. Im Gegenteil: Das Bundesverfassungsgericht genießt zu Recht hohes Ansehen. Die Praxis der Fernsehübertragun- gen hat dazu beigetragen. Auch die oberste Bundesjustiz muss sich nicht verste- cken. Schon heute bereiten sich die Vorsitzenden auf die Urteilsverkündungen wichtiger Verfahren akribisch vor. Sie wissen schließlich, dass vor ihnen die Presse sitzt und jedes einzelne Wort mitschreibt. Der Gesetzentwurf sieht außerdem vor, dass mündli- che Verhandlungen und die Urteilsverkündung in einen Arbeitsraum für Medienvertreter übertragen werden kön- nen. Den Bedarf für diese Regelung hat nicht zuletzt der NSU-Prozess mehr als deutlich gemacht. Nach viel Hin und Her sind die Medienplätze damals verlost worden. Und selbst damit war keine zufriedenstellende Lösung gefunden. Mit der Übertragung in den Medienraum ste- hen nach Bedarf zusätzliche Plätze für Journalisten zur Verfügung. In der Richterschaft gab es in Bezug auf diese Rege- lung anfänglich Bedenken. Ich denke, die haben wir aus dem Weg räumen können. Ein Urteil kann nicht aufge- hoben werden, weil im Nebenraum etwas nicht richtig funktioniert hat. Und auch die Vorsitzenden werden nicht abgelenkt sein; denn im Nebenraum ist die Justizverwal- tung für die Organisation zuständig. Insofern konzentrierte sich unsere parlamentarische Arbeit besonders auf eine weitere Neuregelung. Der Gesetzentwurf sah vor, dass Gerichtsverfahren von he- rausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung in Ton und Bild dokumentiert werden können – wohlgemerkt nur für wissenschaftliche und historische Zwecke. Wir haben uns geeinigt, dass doch nur Tonaufnahmen möglich sein sollen; Bildmaterial entsteht also keines. Wir haben auch noch mal klargestellt, dass die Tonauf- nahmen für kein Gerichtsverfahren verwertet werden dürfen. Die Persönlichkeitsrechte werden damit gewahrt und die Wahrheitsfindung nicht beeinflusst. Die vorgesehene Öffnung ist weit von einem Damm- bruch entfernt und ganz klar im Interesse des Rechts- staats. Wir sollten es nicht den Sofarichtern und überzo- genen Gerichtsshows überlassen, Akzeptanz für unsere Justiz zu schaffen. Dr. Johannes Fechner (SPD): Ich freue mich, dass wir heute mit dem Gesetz zur Erweiterung der Medien- öffentlichkeit in Gerichtsverfahren einen wichtigen und richtigen Schritt zu mehr Transparenz in der Justiz gehen. Wir wollen, dass die Urteile der obersten deut- schen Gerichte auch bei den Bürgerinnen und Bürgern unmittelbar und direkt ankommen. Diese Urteile haben oft weitreichende Auswirkungen. Deshalb ist es wichtig, dass eine schnelle und unmittelbare Information über die Rechtsprechung nunmehr erfolgen kann und somit mehr Transparenz und Bürgernähe entsteht. Mit Inkrafttreten des Gesetzes ist es möglich, dass Ur- teilsverkündungen der Bundesgerichte live aufgezeich- net und übertragen werden, so wie dies beim Bundesver- fassungsgericht schon heute möglich ist. Ebenso wird es nun möglich sein, dass bei zeitge- schichtlich herausragenden Gerichtsverfahren Tonauf- nahmen angefertigt werden, um als Dokumentations- grundlage für die wissenschaftliche und historische Aufarbeitung zur Verfügung zu stehen. Dabei hat die SPD-Fraktion gegen viel Widerstand in den parlamenta- rischen Verhandlungen zumindest die Tonaufzeichnun- gen durchgesetzt. Viele Kritiker des Gesetzes hatten die Befürchtung, dass durch TV- bzw. Filmaufzeichnungen, sei es live oder zur Dokumentation, die Wahrheitsfindung gestört werden könnte sowie die Persönlichkeitsrechte der Ver- fahrensbeteiligten und die Rechte des Beschuldigten auf ein faires Verfahren verletzt werden könnten. Wir haben im parlamentarischen Verfahren darauf be- sonders geachtet und sind deshalb zu dem Schluss ge- kommen, dass wir bei der – dauerhaften – Aufzeichnung während der gesamten Verhandlung zu historischen und wissenschaftlichen Zwecken noch einmal nachbessern und dass nur Tonaufzeichnungen zugelassen werden sollten. Im Hinblick auf die Urteilsverkündung sehen wir die Persönlichkeitsrechte bei TV- bzw. Filmaufzeichnungen gewahrt. Denn zum einen sind Richter der Bundesge- richte bereits erfahren im Umgang mit den Medien und mit dem Publikum vertraut; denn ein solches gibt es ja in der Regel bei Urteilsverkündungen. Zum anderen sind die Verfahren bei Aufzeichnung bzw. Übertragung des Urteils ja bereits abgeschlossen, sodass die Wahrheitsfin- dung und auch der Prozessablauf nicht gestört und die Rechte der Beteiligten berücksichtigt werden. Dass es hier nicht um Fernsehgerichte à la Barbara Salesch geht, sollte allen klar sein. Denn das Gericht legt selbst fest, ob und wie eine Urteilsverkündung übertra- gen werden kann und wann ein Verfahren von herausra- gender zeitgeschichtlicher Bedeutung vorliegt. Und ein Kachelmann-Prozess dürfte meines Erachtens deshalb auch nicht unter den Begriff des Verfahrens von heraus- ragender geschichtlicher Bedeutung fallen. Wir schaffen mit dem Gesetz eine moderate Öffnung für die Medienöffentlichkeit der Gerichtsverfahren von Bundesgerichten, die sich auch bereits seit 1998 beim Bundesverfassungsgericht bewährt hat. Entgegen vieler Befürchtungen ist nicht eine der übertragenen Urteilsver- kündungen des Bundesverfassungsgerichts bei der heu- te-show oder bei YouTube gelandet – und das entgegen vieler Befürchtungen im Vorfeld! Wir wollen erreichen, dass die Justiz stärker bei den Bürgerinnen und Bürgern ankommt und ein Bewusstsein für unseren Rechtsstaat geschaffen wird. Der Gesetzentwurf schafft auch eine Lösung für die überfüllten Gerichtssäle, weil nunmehr die Tonübertra- gung in einen Nebenraum für Medienvertreter vom Ge- richt zugelassen werden kann. Wichtig ist uns auch, noch einmal klarzustellen, dass der Gesetzentwurf einen barrierefreien Zugang zu Ge- richtsverfahren regelt. Dazu soll die Inanspruchnahme von Gebärdensprachdolmetschern oder anderen geeig- neten Kommunikationshilfen in gerichtlichen Verfahren Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24673 (A) (C) (B) (D) für Personen mit Sprach- und Hörbehinderungen besser verankert werden. Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Wir be- schließen heute ein Gesetz zur Erweiterung der Medien- öffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen. Seit 1964 gibt es in der Bundes- republik ein Verbot von Ton- und Fernseh- sowie Rund- funkaufnahmen zum Zweck der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung. Paragraf 169 Satz 2 des Gerichts- verfassungsgesetzes, GVG, erklärt dies für unzulässig. Dieses Verbot wird heute vielfach kritisch hinterfragt, und das zu Recht. Die Entwicklung der Rechtsprechung und die Veränderung der Verbreitung von Nachrichten in den Medien haben die Diskussion verstärkt, ob das strikte gesetzliche Verbot von Bild- und Tonübertragun- gen angesichts der technischen und gesellschaftlichen Veränderungen insgesamt noch zeitgemäß ist. Der heute zu beschließende Gesetzentwurf dient dazu, mit geeig- neten Maßnahmen wenigstens eine moderate Lockerung des bisherigen Verbots der Medienübertragung aus der Gerichtsverhandlung zu erzielen. Es handelt sich im We- sentlichen um eine Ergänzung des § 169 Gerichtsverfas- sungsgesetz, GVG, sowie um Folgeänderungen. Schließ- lich sollen mit dem Gesetz Verbesserungen für Personen mit Sprach- und Hörbehinderungen zur barrierefreien Zugänglichmachung des Gerichtsverfahrens, bei der In- anspruchnahme von Gebärdensprachdolmetschern oder anderen geeigneten Kommunikationshilfen in gerichtli- chen Verfahren gesetzlich verankert werden. Für Die Linke bleibt es ein Grundprinzip, dass Ge- richtsverfahren in der Öffentlichkeit, aber nicht für die Öffentlichkeit stattfinden. Die geplanten Änderungen des § 169 GVG tragen dem Rechnung. Sie sind moderat und verfolgen lediglich das Ziel, die Gerichtsverfahren in der Öffentlichkeit besser wahrnehmbar zu machen. Dass es dafür ein hohes gesellschaftliches Interesse gibt, hat bei- spielsweise das große Medieninteresse und gesellschaft- liche Interesse an den NSU-Prozessen gezeigt. Einer medialen Massenverwertung wird durch die geplanten Änderungen des § 169 GVG aber nicht Tür und Tor ge- öffnet. Und das ist gut so. Gegen eine ausschließliche Übertragung von Urtei- len oberster Bundesgerichte durch die Medien ist nichts einzuwenden. So werden auch Entscheidungen des Bun- desverfassungsgerichts bereits jetzt von den Medien übertragen, ohne dass dies die Unabhängigkeit des Bun- desverfassungsgerichts bislang gefährdet hätte oder das Bundesverfassungsgericht zu einer Showbühne verkom- men wäre. Auch gegen eine gerichtsinterne Übertragung von Ge- richtsverhandlungen bei erheblichem Medieninteresse, das heißt eine Einrichtung von Arbeitsräumen für Me- dienvertreterinnen und -vertreter in demselben Gerichts- gebäude, ist nichts einzuwenden. Der NSU-Prozess in München hat eindrucksvoll aufgezeigt, dass das Medien- interesse durchaus – und berechtigterweise – beträchtlich sein kann. Um zu vermeiden, dass Teile der interessier- ten Öffentlichkeit ausgeschlossen werden – zum Beispiel bei Losverfahren, wie sie beim Landgericht München im NSU-Prozess praktiziert wurden –, ist die gerichtsinter- ne Übertragung von Gerichtsverhandlungen bei erhebli- chem Medieninteresse ein legitimer Weg. Der Ermöglichung audiovisueller Dokumentationen von Gerichtsverfahren, die eine herausragende zeitge- schichtliche Bedeutung besitzen, kann nur dann zuge- stimmt werden, wenn dies in engen Grenzen erfolgt. Denn eine audiovisuelle Aufzeichnung des gesamten Prozessverlaufes kann durchaus Auswirkungen auf das prozessuale Verhalten von Verfahrensbeteiligten haben. Daher ist es unabdingbar, genau zu definieren, wann eine „herausragende geschichtliche Bedeutung“ zu bejahen ist und von wem sowie wofür genau die Aufzeichnun- gen verwendet werden dürfen. Die Änderungen, die von den Koalitionsfraktionen im Rahmen der Beratungen des Rechtsausschusses eingebracht worden sind, bringen keine genauere Definition, als bei der ersten Lesung be- reits kritisiert. Alles in allem geht das Gesetz aber in die richtige Richtung. Meine Fraktion wird deshalb zustimmen. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vor- liegende Gesetzentwurf will eine Öffnung der Gerichts- verfahren gegenüber Öffentlichkeit und Presse bewirken. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden – solan- ge die Rechte der Verfahrensbeteiligten und die Funkti- onsfähigkeit der Rechtspflege und der Gerichte gewahrt bleiben. Da dies nach unserer Einschätzung der Fall ist, werden wir diesem Gesetzentwurf unsere Zustimmung geben. Die Umsetzung und die Auswirkungen werden wir trotzdem genau beobachten müssen, um gegebenen- falls nachzusteuern. Letztlich wird es im Einzelfall vor allem Aufgabe der Gerichte und natürlich auch der Me- dienvertreter sein, die Regelungen verantwortungsvoll umzusetzen und einen rücksichtsvollen Umgang mit den neu eingeräumten Möglichkeiten zu etablieren. Natürlich wäre es wünschenswert, wenn die Justiz durch dieses Gesetz in der Öffentlichkeit mehr wahr- genommen und Wert geschätzt werden würde. Denn die Wertschätzung der dritten Gewalt könnte in unserer Republik durchaus höher sein. Viele halten den funkti- onierenden Rechtsstaat irrigerweise für eine Selbstver- ständlichkeit, obwohl wir derzeit in anderen Ländern sehen, wie schnell es damit vorbei sein kann. Mehr Wert- schätzung tut also not. Dazu dürfte dieses Gesetz zwar nur einen sehr begrenzten Beitrag leisten, aber es könnte immerhin ein Signal sein. Es gibt aber auch noch einige Kritikpunkte, die nicht ganz unerheblich sind. So soll bei Prozessen mit zeitge- schichtlicher Bedeutung zwar eine Dokumentation erfol- gen, diese darf aber eben gerade nicht zu Beweiszwecken dienen. Das ist nicht ganz so trivial. Die Verlockung, Film- oder Tonaufnahmen im Zweifelsfall auch für Be- weiszwecke heranzuziehen, wenn sie denn erst einmal in der Welt sind, liegt auf der Hand. Außerdem kritisiert der Deutsche Richterbund, dass eine solche Dokumentation eine weitere Belastung für große und bedeutsame Verfah- ren darstellen könne. Der eigentliche Zweck der Straf- verfahren, nämlich die individuelle Schuldfeststellung, laufe so nämlich Gefahr, durch andere Interessen überla- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 201724674 (A) (C) (B) (D) gert zu werden. In jedem Fall muss dafür Sorge getragen werden, dass die Dokumentation nicht dazu dient, dass sich die Prozessbeteiligten eine Plattform verschaffen oder Zeugen durch Kameras oder Mikrofone noch wei- ter eingeschüchtert werden. Es ist daher sinnvoll, dass die Dokumentation für wissenschaftliche und historische Zwecke aufgrund Ihres Änderungsantrages nur noch auf Tonaufnahmen beschränkt sein soll und keine Filmauf- nahmen angefertigt werden. Die öffentliche Anhörung zu dem Thema hat gezeigt, dass sowohl die Richterschaft als auch die Anwaltschaft ihre anfängliche Skepsis gegenüber dem Gesetzentwurf inzwischen überwiegend abgelegt haben. Letztlich sind es diese Berufsgruppen, die mit der Umsetzung der Re- gelungen maßgeblich befasst sein werden. Insofern ist es unerlässlich, dass solche Neuerungen nicht gegen sie, sondern mit ihnen umgesetzt werden. Eines möch- te ich jedoch noch anmerken: Der Verlockung, Tonauf- nahmen bei historischen Prozessen zu Beweiszwecken zu verwenden, kann auf einfachem Wege abgeholfen werden. Die Einführung von Wortprotokollen in sämt- lichen Strafverfahren würde helfen, die Beweisführung in jedem Stadium des Verfahrens besser nachvollziehbar und nachprüfbar zu machen. Potenzielle Fehlerquellen würden dadurch – gerade bei langen Hauptverfahren – ausgemerzt. Der Beweisstoff könnte so umfassend ge- sichert und nachträglicher Streit – zum Beispiel über den Inhalt von Aussagen – vermieden werden. Dank moderner Übertragungssysteme und moderner Technik bedeutet die Anfertigung solcher Aufzeichnungen und Wortprotokolle auch keinen unangemessenen Personal- aufwand oder hohe Kosten. Es gäbe damit nicht nur mehr Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit, sondern vor allem auch innerhalb des Strafverfahrens. Für Zivilrecht- ler wie mich ist es ohnehin nie verständlich gewesen, warum ausgerechnet im Strafrecht, wo es am Ende um den stärksten Eingriff des Staates in die Freiheitsrechte des Bürgers geht, auf ein Wortprotokoll verzichtet wird. Hier gibt es also noch Handlungsbedarf für die nächste Legislatur. Und wo wir schon einmal beim Thema Transparenz sind: Wäre es nicht schön, wenn wir nicht nur für mehr Transparenz in der Justiz, sondern auch im Bundestag sorgen würden? Das Live-Streaming öffentlicher Anhö- rungen im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz wird von den Koalitionsfraktionen ausnahmslos abge- lehnt. Da kann man sich in Sachen Transparenz doch zukünftig von den Gerichten eine Scheibe abschneiden. Für heute begnügen wir uns mit der Stärkung der Me- dienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren. Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Sicherung der tarifvertraglichen Sozial- kassenverfahren und zur Änderung des Arbeitsge- richtsgesetzes (Tagesordnungspunkt 19) Wilfried Oellers (CDU/CSU): Wir beraten heute den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen zur Sicherung der tarifvertraglichen Sozialkassenverfahren und zur Än- derung des Arbeitsgerichtsgesetzes. Das Bundesarbeitsgericht stellte im Jahre 2016 fest, dass die Allgemeinverbindlicherklärungen der Tarifver- träge, die dem Sozialkassenverfahren der Baubranche zugrunde liegen, Fehlern unterliegen. Hierbei handelte es sich um die Thematik einer fehlenden Ministerbefas- sung und um die Thematik der Feststellung der 50-Pro- zent-Grenze. Diese Gründe sind allgemeiner Natur und beziehen sich daher nicht nur auf das Sozialkassenver- fahren im Baugewerbe, sondern im Ergebnis auch auf alle Sozialkassenverfahren aller Branchen bzw. deren Ta- rifverträge, die ein solches Verfahren eingerichtet haben. Aus diesem Grunde ist es konsequent, auch die Tarif- verträge, die den Sozialkassenverfahren in anderen Bran- chen zugrunde liegen, entsprechend zu heilen und die Formfehler zu beseitigen. Bei den 11 Branchen, die be- troffen sind, handelt es sich um das Maler- und Lackierer- handwerk, das Dachdeckerhandwerk, das Gerüstbauer- handwerk, das Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk, das Betonsteingewerbe, die Steine- und Erdenindustrie nebst Betonsteinhandwerk und Ziegelindustrie, das Bä- ckerhandwerk, die Brot- und Backwarenindustrie, das Garten-, Landschafts- und Sportplatzbaugewerbe, die Land- und Forstwirtschaft und die Redakteurinnen und Redakteure von Tageszeitungen. In § 41 des Gesetzes wird auch die Tariffähigkeit der jeweiligen Branchenverbände angesprochen, und die Tarifverträge werden diesbezüglich für wirksam erklärt. Unabhängig davon, ob nun die hier in Rede stehenden Branchenverbände tatsächlich von dieser Regelung be- troffen sind, ist es nunmehr geboten und auch die Pflicht der jeweiligen Branchenverbände, genauestens zu über- prüfen, ob ihre Tariffähigkeit sich tatsächlich aus ihren Statuten ergibt und die Tariffähigkeit gerichtsfest ist. Darüber hinaus sind die hier angesprochenen Bran- chen auch in der Verpflichtung, bestehende Abgren- zungsprobleme zwischen ihnen zu beheben. Hier stehen die Branchen und die entsprechenden Verbände in mei- nen Augen nun in der Pflicht. Auch in den hier genannten Branchen gibt es ähnliche Abgrenzungsprobleme, die je- weils andersartig ausgestaltet sind. Hier erwarte ich nun einvernehmliche Lösungen, die allen Branchen gerecht werden. Mit dem heutigen Gesetz nehmen wir auch eine Än- derung des Arbeitsgerichtsgesetzes in § 98 Absatz 6 vor. Dort soll den Sozialkassen die Möglichkeit eröffnet werden, auf Antrag das betroffene Unternehmen zur vor- läufigen Leistung der Sozialkassenbeiträge zu verpflich- ten. Dies gilt für den Fall, dass die Allgemeinverbind- licherklärung in einem anhängigen Rechtsstreit in ihrer Wirksamkeit bestritten wird. In einem solchen Fall ist das Gericht dann gehalten, das Verfahren auszusetzen, bis über die Wirksamkeit der Allgemeinverbindlicherklä- rung entschieden worden ist. Dies führt zu einer Verlän- gerung des Rechtsstreits, bei der die Unternehmen bisher nicht verpflichtet sind, Zahlungen an die Sozialkasse zu leisten. Bevor das Unternehmen jedoch auf Antrag der Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24675 (A) (C) (B) (D) Sozialkasse durch das Gericht zur vorläufigen Leistung verpflichtet werden kann, ist die Erfolgsaussicht des derzeitigen Sach- und Streitstandes eingehend zu prü- fen. Wenn der bisherige Sach- und Streitstand zu der Erkenntnis führt, dass die Allgemeinverbindlicherklä- rung offensichtlich unwirksam ist, oder der Unternehmer glaubhaft macht, dass die vorläufige Leistungspflicht ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde, so unterbleibt die Anordnung, und der genannte Antrag ist abzulehnen. Überdies kann eine solche Zahlungsanordnung nur dann erfolgen, wenn alle weiteren anspruchsbegrün- denden Voraussetzungen tatsächlich gegeben sind, so auch der betriebliche Geltungsbereich des jeweiligen Tarifvertrags bezogen auf das betroffene Unternehmen geklärt ist. Es müssen quasi zunächst einmal alle Voraus- setzungen zur Anspruchsbegründung vorliegen, bevor die vorläufige Zahlungsanordnung durch das Gericht ge- genüber dem Unternehmen verfügt werden kann. Ob die Rechtsgrundlage, auf der das Unternehmen durch eine Sozialkasse in Anspruch genommen wird, also überhaupt rechtswirksam ist, wird erst ganz zum Schluss überprüft. Währenddessen soll allerdings schon eine vorläufige Zahlungsverpflichtung des Unternehmens gegenüber der Sozialkasse möglich sein. Diese Regelung stellt eine Abkehr vom bisherigen Grundsatz dar, dass eine Zahlung erst dann erfolgen muss, wenn auch ein entsprechender Titel (zum Beispiel Urteil) vorliegt. Daher ist hier auch sehr deutlich zu beto- nen, dass diese Ausnahmeregelung lediglich für die hier genannten Fälle gelten kann und nicht darüber hinaus bzw. nicht erweitert werden kann und darf. Aufgrund dieser Besonderheit ist mit einem solchen Antrag sehr sorgsam umzugehen. Hier ist der Gesetzge- ber gehalten, die Entwicklung aufmerksam zu beobach- ten und gegebenenfalls entstehenden Fehlentwicklungen entgegenzuwirken. Darüber hinaus sind die Sozialkassen in solchen Fäl- len auch verpflichtet, Rückstellungen zu bilden. Damit soll sichergestellt werden, dass die Unternehmen das von ihnen gezahlte Geld an die Sozialkasse sofort zurücker- halten, wenn sie das Verfahren im Ergebnis doch gewon- nen haben. In diesem Fall hätten sie zu Unrecht gezahlt und haben damit auch ein Recht darauf, das Geld unver- züglich zurückzubekommen. Außerdem dürfen sich die Sozialkassen in diesem Fall auch nicht auf die Einrede der Entreicherung berufen. Wenn sie also aufgrund der erhaltenen Zahlungen durch die Unternehmen Zahlungen an Dritte geleistet haben, zum Beispiel an die Arbeitnehmer des Unternehmens, dann trägt die Sozialkasse das Risiko, diese Beträge trotzdem an das Unternehmen zurückzuzahlen. Da die Abwicklung bzw. Rückabwicklung eines der- artigen Falles sehr aufwendig und kompliziert sein wird, ist hier den Sozialkassen zu raten, sehr behutsam und sorgsam mit den Möglichkeiten aus dem neuen § 98 Ab- satz 6 ArbGG umzugehen. Da diese Regelung eine Besonderheit ist, wird im neu- en § 113 ArbGG geregelt, dass die Bundesregierung sie drei Jahre nach Inkrafttreten auf den Prüfstand zu stellen hat. Die Auswirkungen sollen durch die Bundesregie- rung überprüft werden, und es soll eine Einschätzung ab- gegeben werden, ob an dieser Regelung in § 98 Absatz 6 Satz 2 ArbGG weiter festgehalten werden soll. Ich hoffe sehr, dass sich bis dahin die Situation um die Sozialkassen beruhigt hat. Hier sehe ich den Gesetzgeber in der Pflicht, die Ent- wicklungen im Rahmen der Gesamtsituation um die So- zialkassen herum aufmerksam zu verfolgen. Zum einen muss beobachtet werden, wie sich die Gesetzesände- rungen ausgewirkt haben. Zum anderen muss allerdings auch beobachtet werden, ob die Aufgaben, die die Bran- chen und Verbände aus dem gesamten Verfahren heraus noch zu erfüllen haben, auch tatsächlich erledigt und er- füllt worden sind. Damit spreche ich die Tariffähigkeit der Branchen an. Hier müssen die Satzungen entsprechend überarbeitet werden, und die Verbände müssen ihren Aufgaben nach- kommen. Es wäre dem Gesetzgeber sicherlich schwer zu vermitteln, dass er zukünftig noch einmal tätig werden müsste, um Versäumnisse an dieser Stelle zu reparieren. Der Gesetzgeber ist durch sein Handeln in Vorleistung getreten. Nun sind alle Betroffenen in der Pflicht, ihre noch ausstehenden Aufgaben zu erfüllen. Ergänzend dazu sind die Abgrenzungsschwierigkei- ten zu regeln. Daher müssen hier Branchenabsprachen getroffen werden. Insbesondere muss die Verbändever- einbarung im Rahmen des SokaSiG I umgesetzt werden. Dies sollte in meinen Augen nun zügig und ohne wei- tere Verzögerungen erfolgen. Wie gesagt: Der Gesetz- geber ist in Vorleistung getreten, in der Erwartung, dass die Branchen nun die ihnen obliegenden Aufgaben und Verabredungen erfüllen. Zur Abgrenzung der Branchen- zugehörigkeit von Unternehmen können sicherlich Kon- sultationsverfahren helfen. Diese sollten hier auch über die bisherigen Absprachen hinaus eingerichtet werden. Letztlich sollten die Sozialkassen ihre Herangehensweise in jedem Einzelfall auf den Prüfstand stellen. Dabei sollte auch immer berücksichtigt werden, dass die Sozialkassen keine staatlichen, sondern private, von den Tarifpartnern gegründete Einrichtungen sind. Ich persönlich werde die Entwicklungen jedenfalls aufmerksam verfolgen und mir auch als Teil der Gesetz- gebung erlauben, zu gegebener Zeit Nachfragen zu stel- len. Tobias Zech (CDU/CSU): Am 21. September 2016 und 25. Januar 2017 traf das Bundesarbeitsgericht Entscheidungen mit weitreichenden Folgen: Die All- gemeinverbindlicherklärung für das Sozialkassenver- fahren im Baugewerbe wurde aufgrund der fehlenden Ministererklärung sowie mangels Erfüllung des 50-Pro- zent-Quorums für ungültig befunden. Dies hatte nicht nur zur Folge, dass viele Unternehmen des Baugewer- bes ihre Zahlungen an die Sozialkassen einstellten und Rückzahlungen forderten, sondern stellte ebenfalls die Gültigkeit der Allgemeinverbindlichkeit weiterer Sozial- kassenverfahren infrage. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 201724676 (A) (C) (B) (D) Im Januar haben wir dementsprechend bereits auf- grund der großen Dringlichkeit das Sozialkassenver- fahrensicherungsgesetz im Baugewerbe verabschiedet und die SOKA-BAU vor einer möglichen Insolvenz ge- schützt. In der Konsequenz befassen wir uns nun mit den Sozialkassenverfahren elf weiterer Branchen, die infol- ge der BAG-Urteile zum Teil in ihrer Existenz bedroht werden bzw. werden könnten. Konkret handelt es sich um das Maler- und Lackiererhandwerk, das Dachdecker- handwerk, das Gerüstbauerhandwerk, das Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk, das Betonsteingewerbe, die Steine- und Erdenindustrie nebst Betonsteinhand- werk und Ziegelindustrie, das Bäckerhandwerk, die Brot- und Backwarenindustrie, den Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau, die Land- und Forstwirtschaft, die Redak- teurinnen und Redakteure von Tageszeitungen. Für diese Sozialkassen besteht also zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Rechtssicherheit. Mit dem Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz II schaffen wir eine eigenständige Rechtsgrundlage für Bei- tragseinzug und Leistungsgewährung: Die nach § 5 TVG in der bis zum 15. August 2014 geltenden Fassung für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge, die den So- zialkassenverfahren zugrunde liegen, werden beginnend mit dem 1. Januar 2006 kraft Gesetzes mittels statischer Verweisung für alle Arbeitgeber verbindlich angeordnet. Insofern handelt es sich also um ein Gesetz mit temporä- rer Wirkung. Die Bedeutung der Sozialkassen ist nicht zu unter- schätzen. Sie entstanden innerhalb der vergangenen 70 Jahre aufgrund branchenspezifischer Besonderheiten zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. So leisten sie für ihre Branchen wichtige Beiträge im Bereich der Aus- und Weiterbildung sowie der Alters- vorsorge und sorgen beispielsweise in Branchen mit witterungsbedingter Beschäftigungslosigkeit für kon- stante Einkommen. Neben der Sicherstellung guter Be- schäftigungsbedingungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer profitiert auch der Wirtschaftsstandort Deutschland von den hohen Qualitätsstandards, die die Unternehmen durch die branchenweit finanzierten Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten wahren können. Durch die Allgemeinverbindlicherklärungen werden diese Leis- tungen jeweils von der gesamten Branche getragen. Dies steht nicht zuletzt auch im öffentlichen Interesse. Trotz meiner Unterstützung für dieses Gesetz ist es mir wichtig, zwei Dinge zu betonen: Erstens stellt das Mittel der Allgemeinverbindlichkeit immer einen gesetz- geberischen Eingriff in die Tarifautonomie dar. Die Ta- rifautonomie ist ein wichtiger Grundpfeiler unseres wirt- schaftlichen Erfolgs. Sie ist schützenswert. Der Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Koalitionsfreiheit muss immer im öffentlichen Interesse stehen und ent- sprechend ausgiebiger Prüfung unterliegen. Zweitens sollte allen bewusst sein, dass es sich bei dem Sozialkassenverfahrensicherungsgesetz II um einen Sonderfall handelt, der dem für alle Beteiligten überra- schenden Urteil des Bundesarbeitsgerichts sowie der so- zialpolitischen Relevanz der Sozialkassen geschuldet ist. Ich bin froh, dass wir weitere negative Konsequenzen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der ent- sprechenden Branchen abwenden konnten. Sie können sich aber auch darauf verlassen, dass wir uns den Bericht der Bundesregierung, zu dem dieses Gesetz verpflichtet, genau ansehen werden. Bernd Rützel (SPD): Im Dezember letzten Jahres und im Januar dieses Jahres haben wir hier über die Ret- tung der Sozialkassen des Bauhauptgewerbes gespro- chen. Schon damals waren wir uns einig, wie wichtig die Sicherung der Sozialkassen ist. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass wir dabei über alle Fraktionsgren- zen hinweg für die Sicherung der Sozialkassen gestimmt haben. Heute stimmen wir über ein ebenso wichtiges Vorha- ben ab. Diesmal geht es um die gemeinsamen Einrichtun- gen von insgesamt 12 Branchen: – im Maler- und Lackiererhandwerk – im Dachdeckerhandwerk – im Gerüstbauerhandwerk – im Steinmetz- und Steinbildhauerhandwerk – im Betonsteingewerbe – in der Steine- und Erdenindustrie – im Betonsteinhandwerk und in der Ziegelindustrie – im Bäckerhandwerk – in der Brot- und Backwarenindustrie – im Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau – in der Land- und Forstwirtschaft sowie – für Redakteurinnen und Redakteure von Tageszei- tungen. Durch die Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts sind auch ihre gemeinsamen Einrichtungen nun bedroht. Ich möchte noch einmal herausstellen: Das Bundes- arbeitsgericht hat in seinen Urteilen nicht das Sozialkas- senverfahren in Abrede gestellt. Es hat lediglich Form- fehler beanstandet. Und diese korrigieren wir nun. Wir werden nicht zulassen, dass den Sozialkassen aus formalen Gründen nachträglich der Boden entzogen wird. Mit dem Gesetz treten wir rechtssicher und belast- bar den Bedenken des Bundesarbeitsgerichts entgegen. Die Sozialkassenverfahren erhalten damit die größtmög- liche demokratische Legitimation. Das wurde uns auch in der Anhörung am Montag von zahlreichen Sachver- ständigen bestätigt. Nun hat sich in diesem Gesetzgebungsverfahren ein neues Problem gezeigt: Viele Unternehmen verweigern den Sozialkassen die Beitragszahlungen. Die Klagen, die von den Sozialkassen dagegen erhoben werden, werden vom Arbeitsgericht nun häufig ausgesetzt. In dieser Zeit erhalten die Sozialkassen also nicht die ausstehenden Beitragszahlungen. Sie benötigen diese Zahlungen aber dringend, weil sie ja auch weiterhin ihre Leistungen an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zahlen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24677 (A) (C) (B) (D) Bisher hatte die Kasse in dieser Situation keine Mög- lichkeit, die ausstehenden Beiträge einzuklagen. Das än- dern wir nun mit diesem Gesetz. Werden Beitragsklagen der Sozialkassen ausgesetzt, sollen die Sozialkassen künftig die Schuldner gerichtlich zu einer vorläufigen Leistung verpflichten können. Ne- ben der Zahlungsfähigkeit der Sozialkassen stellen wir auf diese Weise auch sicher, dass Betriebe nicht Jahre später, wenn die Zahlungsverpflichtung wieder – und na- türlich auch nachträglich – gilt, insolvent sind oder dass sie aufgrund der Forderungen einem Insolvenzrisiko aus- gesetzt sind. Wir haben uns mit unserem Koalitionspartner darauf geeinigt, diese Regelung in drei Jahren zu überprüfen. Ich bin froh, dass es uns im parlamentarischen Verfahren gelungen ist, klarzustellen, dass sich diese Evaluierung auch auf eventuelle Arbeitnehmeransprüche bezieht. Falls von der Entscheidung über die Wirksamkeit ei- ner AVE auch allgemeine Tarifvereinbarungen betroffen sind, müssen diese auf jeden Fall ebenfalls berücksichtigt werden. Gerade in diesen Branchen – oft Niedriglohnberei- che – sind die Beschäftigten stark davon betroffen, wenn ihre Ansprüche für mehrere Jahre auf die lange Bank ge- schoben werden. Auch die Ansprüche der Beschäftigten in allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen müssen vorläufig befriedigt werden können. Insgesamt werden wir so den bedeutenden Aufgaben gerecht, die die Sozialkassen in Ausbildung, Altersver- sorgung und anderem wahrnehmen. Und diese Leistun- gen müssen dauerhaft auch für Beschäftigte gesichert werden, die nicht tarifgebunden arbeiten. Mit der Allgemeinverbindlicherklärung und mit der gesetzlichen Klarstellung, die wir heute verabschieden, sichern wir die Rechte Hunderttausender Beschäftigter. Sie leisten wichtige Arbeit. Dass sie dies weiterhin tun können – und zwar fair bezahlt, fair behandelt und fair abgesichert –, dafür sorgen wir heute. Das ist Verläss- lichkeit. Jutta Krellmann (DIE LINKE): Die Sozialkassen schaffen für die Beschäftigten in den Branchen, in de- nen es sie gibt, eine ungeheuer wichtige Sicherheit. Seit 60 Jahren verwalten diese Institutionen Urlaubsentgelte, organisieren die Berufsbildung, sichern Arbeitszeitkon- ten und Betriebsrenten. Das sind alles sozialpolitische Kernaufgaben, die sonst dem Staat überlassen werden müssten. Ich selbst kenne die Sozialkassen seit Anfang der 70er-Jahre. In vielen Diskussionen in der gewerk- schaftlichen Jugendarbeit schauten wir neidisch auf die guten Ausbildungsvergütungen in der Bauwirtschaft, die damals schon 1 500 DM betrugen. Selbst in der Industrie zu der Zeit undenkbar! Am 21. September letzten Jahres schien dieses Sicherheitsnetz für die Bauindustrie plötz- lich wegzufallen. Nach herrschendem Mainstream ist man im Laufe der letzten Jahre nicht mehr so ohne Wei- teres bereit, Tarifverträge als ein Element zu akzeptieren, das für alle Beteiligten gleiche Wettbewerbsbedingungen bei Löhnen schafft. Denn einige Unternehmen fochten vor Gericht die Allgemeinverbindlichkeit des Tarifver- trags für das Baugewerbe an und stellten ihre Beitrags- zahlungen ein. Wegen handwerklicher Fehler erklärte das Bundesarbeitsgericht die Allgemeinverbindlichkeit des Bundesarbeitsministeriums aus den Jahren 2008 bis 2014 für unwirksam. Durch diese Entscheidung kam das ganze Gefälle der sozialen Sicherheit in der Bauindustrie ins Wanken. Denn durch die Allgemeinverbindlichkeit entfalten die Tarifverträge auch für tarifungebundene Be- schäftigte und Unternehmen der Baubranche Wirkung. Um zu verhindern, dass die Sozialkassen in wirtschaft- liche Bedrängnis kommen, hat der Bundestag am 26. Ja- nuar diesen Jahres, mit dem SokaSiG I die Tarifverträge im Baugewerbe rückwirkend für allgemeinverbindlich erklärt. Damit können die Kollegen auf dem Bau wieder ruhig schlafen – und bleibt der hohe soziale Standard im Baugewerbe auch künftig erhalten. Doch die Entschei- dungen des Bundesarbeitsgerichtes vom 21. September 2016 und dem 25. Januar 2017 haben auch weitreichende Folgen für Sozialkassen in anderen Branchen. Im Maler- und Lackiererhandwerk, im Dachdecker- handwerk, im Gerüstbauerhandwerk, im Erde-, Stein- und Betongewerbe, im Bäckerhandwerk, in der Brot- und Backwarenindustrie, in der Land- und Forstwirtschaft, für Redakteurinnen und Redakteure von Tageszeitungen und viele andere mehr gibt es eine ähnliche Problematik wie im Baubereich. Das SokaSiG II soll den Inhalt von möglicherweise unwirksamen, in der Vergangenheit ab- geschlossenen Allgemeinverbindlicherklärungen erset- zen. Wie wir in der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montag erfahren haben, ist die Rückwir- kung zulässig. Denn das Bundesverfassungsgericht sieht in den stabilen Arbeitsbedingungen und Sozialversiche- rungen der abhängig Beschäftigten ein „hervorragend wichtiges Gemeinschaftsgut“. Dieses Gut wäre durch ein Zusammenbrechen der Sozialkassen in den betroffenen Branchen gefährdet. Genauso wie bei der Abstimmung zum SokaSiG I stimmt die Linke dem Gesetzentwurf zu. Der Gesetzge- ber hat mit diesen Gesetzen einen Schritt gemacht, der beispielhaft für andere Branchen sein könnte. Die Tarif- bindung im Einzelhandel wird immer schlechter. So sind nur noch 30 Prozent der Betriebe tarifgebunden. Gerade hat die Arbeitgeberseite in den aktuellen Tarifverhand- lungen schon mal präventiv erklärt, dass egal, was in den Verhandlungen herauskommt, sie einer Allgemein- verbindlicherklärung nicht zustimmen werde. So geht das nicht. Auch hier ist es im gesellschaftlichen Interes- se, dass die Kassiererin bei Lidl oder der Lagerist bei Amazon einen Lohn verdient, von dem man leben kann. Scharfmacher des Arbeitgeberlagers missbrauchen ihr Vetorecht zunehmend, um gleiche und gute Standards ei- ner Branche systematisch zu verhindern. Es ist deswegen überfällig, dass die Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen erleichtert wird. Die Linke will den Arbeitgebern ihr Vetorecht neh- men. Wir fordern die Bundesregierung auf, der Ver- bandsflucht der Arbeitgeber endlich einen gesetzlichen Riegel vorzuschieben. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 201724678 (A) (C) (B) (D) Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Anfang dieses Jahres musste die Sozialkasse der Bauwirtschaft gesetzlich abgesichert werden. Das war notwendig, weil das Bundesarbeitsgericht den allge- meinverbindlich erklärten Tarifvertrag für unwirksam er- klärt hat, aber nur aus rein formalen Gründen. Und weil solch ein Urteil „für und gegen jedermann“ wirkt, geht es jetzt weiter. In elf Branchen verweigern mittlerweile Betriebe ihre Beitragszahlungen aufgrund des BAG-Ur- teils, und deshalb rutschen auch andere Sozialkassen in eine finanzielle Schieflage. Niemand von uns hier macht gerne solche Gesetze – da bin ich mir sicher. Aber die So- zialkassen sind wichtig, und deshalb werden wir Grüne heute dem Gesetz auch zustimmen. Die Sozialkassen sind nicht nur historisch gewach- sen – sie sind auch politisch erwünscht. Sie garantieren den Beschäftigten vielfältige Ansprüche und sorgen für eine branchenweite soziale Absicherung. Dabei geht es um Altersvorsorge, Berufsunfähigkeit, Lohnfortzahlung bei Arbeitsausfall, Urlaub oder – ganz wichtig – um Aus- und Weiterbildung. Und das ist dann auch alles noch passend zugeschnitten auf die besonderen Arbeitsbedin- gungen in den jeweiligen Branchen. Die Sozialkassen entlasten damit die Betriebe. Sie haben auch eine wich- tige sozialpolitische Bedeutung und übernehmen quasi staatliche Aufgaben. Und deshalb müssen die Sozial- kassen – in diesem Fall jetzt eben gesetzlich – geschützt werden. Die Sozialkassen sind für die Beschäftigten wie auch für die Betriebe wichtig, aber sie funktionieren nur bran- chenweit, also nur mit allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen, die für alle Betriebe der Branche gelten – unabhängig von der Tarifbindung. Denn diese Leistun- gen könnten von einzelnen Betrieben gar nicht erbracht werden, und wenn sie es schaffen, dann würde das zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Zudem entsteht bei den Betrieben nur durch eine solidarische Finanzierung überhaupt Akzeptanz. Jetzt besteht aber Rechtsunsicher- heit bei den Allgemeinverbindlicherklärungen. Deshalb müssen wir gesetzlich handeln, denn ein Solidarsystem wie die Sozialkassen funktioniert nur solidarisch – mit allen. Aber natürlich stellt sich die Frage, ob das Gesetz tat- sächlich verfassungskonform ist, denn die Tarifverträge werden jetzt rückwirkend für alle Arbeitgeber gesetzlich angeordnet. Die Einschätzung der Sachverständigen bei der Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales am Montag war eindeutig. Es bestand Einhelligkeit – der Gesetzentwurf sei verfassungsrechtlich vertretbar, weil der Vertrauensschutz nicht verletzt wird. Denn niemand konnte bisher davon ausgehen, dass die Allgemeinver- bindlicherklärungen keinen Bestand haben. Im Gegen- teil – wir müssen das „schützenswerte Vertrauen“ der Betriebe und der Beschäftigten berücksichtigen, die schon lange auf die Tarifverträge und deren Leistungen vertrauen. Hier geht es tatsächlich um Vertrauensschutz. Voraussetzung dafür aber ist, dass bei den Regelungen alles beim Alten bleibt. Und das ist der Fall. Das Gesetz übernimmt den Anwendungsbereich der Tarifverträge. Der Kreis der betroffenen Arbeitgeber bleibt identisch. Es wird also nur formal eine andere Rechtsgrundlage für das Sozialkassenverfahren geschaffen. Vor diesem Hintergrund werden wir dem Gesetz heu- te zustimmen. Denn viele Beschäftigte, Auszubildende, Rentnerinnen und Rentner, Leistungsanwärterinnen und Leistungsanwärter profitieren von den Sozialkassen, und auch viele Betriebe. Sie alle vertrauen darauf. Die Leis- tungen der Sozialkassen sind deshalb aus unserer Sicht im öffentlichen Interesse. Sie müssen abgesichert wer- den – das ist politisch geboten. Anlage 9 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Brähmig und Andreas G. Lämmel (beide CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung der tarifvertraglichen Sozialkassenver- fahren und zur Änderung des Arbeitsgerichtsge- setzes (Tagesordnungspunkt 19) Die Entscheidung des Deutschen Bundestages, das SokaSiG II im Eilverfahren zu beschließen, halten wir weiterhin für höchst bedenklich. Die Situation nach dem Beschluss zum SokaSiG I am 26. Januar 2017 hat sich keineswegs geändert. Wir können daher auch dem SokaSiG II nicht zustimmen. Es ist zu befürchten, dass die Mitglieder vieler mo- mentan verhandelnder Verbände massiv betroffen und mit Beitragsforderungen potenziell bedroht sind, die ohne das Gesetz keinerlei Bestand hätten. Zudem ist die Problemlage mit dem Saarland unge- klärt – sollte die Grundlage der Malerkasse nicht mehr eine AVE sein, sondern ein Gesetz, muss entweder das Saarland komplett ausgenommen werden oder dem Saar- land eine Regelung aufgezwungen werden, die es bisher nicht hatte. Zur Verbändevereinbarung ist Folgendes zu sagen: Die Tarifvertragsparteien der Bauwirtschaft haben bis- her jeden Vorschlag zu einer einfachen und transparenten Abgrenzungsformel aus verschiedenen Gründen abge- lehnt. Man strebt anscheinend nach wie vor an, in einem juristischen Klein-Klein Abgrenzungsmodalitäten abzu- sprechen. Es ist festzuhalten, dass sich nun betroffene Verbände und Innungen an weiteren juristischen Auseinanderset- zungen bis hin zum Bundesverfassungsgericht beteiligen werden, wenn das SokaSiG I und das SokaSiG II in ihren Folgen durch Verbändevereinbarungen nicht abgemildert werden. Da dies aus heutiger Perspektive nicht im In- teresse der Sozialkassen ist, wird auch das SokaSiG II nicht zu einer Befriedung der Situation beitragen, son- dern weiteres Öl ins Feuer gießen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24679 (A) (C) (B) (D) Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten (Ta- gesordnungspunkt 24) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): „Fürsorglicher Schutz oder unangemessener Eingriff?“ – Diese Frage stellen sich Betreuungsrichter nahezu täglich und wan- dern dabei nicht selten auf einem ziemlich schmalen Grat. Wenn es um ärztliche Zwangsmaßnahmen geht, müs- sen sie ganz genau abwägen: Soll der psychisch Kranke wirklich gegen seinen Willen ein Medikament verab- reicht bekommen? Soll der geistig Behinderte wirklich medizinisch untersucht werden, obwohl er partout nicht einwilligen will? Oder sollen solche Maßnahmen unter- bleiben, obwohl wir wissen, dass die Patienten ohne die medizinisch indizierte Behandlung einen schwerwiegen- den gesundheitlichen Schaden erleiden oder gar verster- ben können? Hier gilt es für den Richter, das Recht jedes einzelnen, über seine Gesundheit und sein Leben selbst zu entschei- den, in Einklang zu bringen mit der staatlichen Schutz- pflicht, wonach die Gemeinschaft einen Hilflosen nicht sich selbst überlassen darf. 2013 hat der Gesetzgeber in § 1906 BGB eine Vor- schrift geschaffen, die genau dieses Spannungsfeld regeln soll, eine, die so wenig Zwang wie möglich vorschreibt und gleichzeitig so viel Schutz wie nötig gebietet. Der Gesetzgeber ist dabei sehr sorgsam vorgegangen und hat die Voraussetzungen für die Zulässigkeit ärztli- cher Zwangsmaßnahmen recht eng gestrickt. So dürfen sie unter anderem nur vorgenommen werden, wenn die Zwangsmaßnahme notwendig ist, um drohende erhebli- che Gesundheitsgefahren abzuwenden. Und sie sind auch nur dann zulässig, wenn sie im Rahmen einer Unterbrin- gung erfolgen. Im letzten Jahr hat das Bundesverfassungsgericht nun genau an dieser Stelle eine Schutzlücke aufgetan. Im konkreten Fall ging es um eine Patientin mit Suizid- absichten, die an Demenz erkrankt war und körperlich so geschwächt war, dass sie nicht mehr in einer geschlosse- nen Einrichtung untergebracht war und auch nicht unter- gebracht werden musste. Als sie an Brustkrebs erkrankte, lehnte sie die lebensnotwendige Behandlung ab. Was war in diesem Fall nun zu tun? Die Voraussetzun- gen des § 1906 lagen nicht vor, weil sie ja nicht unter- gebracht war. Gleichzeitig war aber eine Unterbringung nicht mehr möglich, denn sie konnte sich alleine nicht mehr fortbewegen. Die Zwangsbehandlung konnte folg- lich nicht durchgeführt werden. Tatsächlich gibt das aktuelle Recht vor, dass in Fällen, in denen sich der Betreute räumlich nicht entziehen will oder körperlich hierzu nicht in der Lage ist, eine ärzt- liche Zwangsmaßnahme nicht angeordnet werden kann. Sie kann wirklich nur dann angeordnet werden, wenn der Patient vorher untergebracht worden ist. Doch wo soll der Unterschied sein? Auf der einen Sei- te haben Sie eine hilflose Person, die in einer Einrichtung untergebracht ist und sich daher nicht entziehen kann. Auf der anderen Seite haben Sie eine hilflose Person, die freiwillig in einer Einrichtung ist oder die sich aufgrund eines Oberschenkelhalsbruchs nicht aus dem Kranken- haus fortbewegen kann. Es kann doch nicht sein, dass wir da einen Unterschied machen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, den wir heu- te verabschieden werden, schließen wir nun diese vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Schutzlücke im Betreuungsrecht, indem wir die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme von der freiheitsentziehen- den Unterbringung entkoppeln. Statt an eine freiheits- entziehende Unterbringung kann die Zwangsmaßnahme künftig auch an einen stationären Aufenthalt in einem Krankenhaus geknüpft werden. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem oben be- schriebenen Fall betont, dass der Staat aus Artikel 2 Ab- satz 2 Satz 2 Grundgesetz verpflichtet ist, Betreute, wenn notwendig, vor schweren gesundheitlichen Gefahren zu schützen. Dabei darf keiner durchs Raster fallen. Gleichzeitig stand der Gesetzgeber vor der schwieri- gen Aufgabe, auch das Selbstbestimmungsrecht der Be- treuten nicht zu sehr einzuschränken. Auch hier haben wir eine gute Lösung gefunden; denn der natürliche Wil- le des Betreuten muss als Ausdruck seines Selbstbestim- mungsrechts grundsätzlich akzeptiert werden. Darüber hinaus haben wir nach der ersten Beratung noch eine weitere wichtige Änderung an dem Gesetzent- wurf vorgenommen: So wollen wir die Möglichkeit einer Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde für den Verfah- renspfleger einführen. Ähnlich wie im Verwaltungsrecht soll dieser die Möglichkeit erhalten, gerichtlich feststel- len zu lassen, dass eine erledigte Maßnahme innerhalb eines Betreuungsverfahrens rechtswidrig war. Gemeint sind damit zum Beispiel solche Fälle, in denen Betroffe- ne ohne die erforderlichen Voraussetzungen in Pflegehei- men fixiert oder ruhiggestellt werden. Bislang wurde dies von der Rechtsprechung abge- lehnt, da der Verfahrenspfleger nicht in eigenen Grund- rechten betroffen ist. Lediglich die Beschwerde für eine andauernde Maßnahme war möglich. Wir sind aber der Ansicht, dass es keinen Unterschied für den Grundrechtsschutz des Betroffenen machen darf, ob die Maßnahme noch andauert oder sich bereits erle- digt hat. Entscheidend ist, dass die Betroffenen infolge ihrer psychischen oder geistigen Erkrankung meist nicht in der Lage sind, ihre Rechte selbst wahrzunehmen. Lassen Sie mich abschließend bitte Folgendes festhal- ten: Zwangsmaßnahmen dürfen immer nur die Ultima Ratio, also das letzte wirksame Mittel, sein. Wir sollten mit dieser Möglichkeit deshalb sehr bedacht umgehen. Wir schaffen heute als Gesetzgeber die notwendige rechtliche Grundlage, um alle Betreuten im Notfall best- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 201724680 (A) (C) (B) (D) möglich zu schützen. Vorrangig gilt es aber, die Betreu- ten durch Zeit und Worte von der Notwendigkeit einer Maßnahme zu überzeugen und ihnen dadurch so viel selbstbestimmtes Leben wie möglich zu lassen. Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU): Wir be- raten abschließend einen Gesetzentwurf, der sich mit der äußerst schwierigen und emotionalen Thematik der ärzt- lichen Zwangsmaßnahmen beschäftigt. Die Erfahrung einer medizinischen Zwangsbehandlung stellt für viele, die diese Situation erleben, eine unvorstellbar schwere Belastung, vielfach eine Grausamkeit, dar. Diese ein- schneidenden Erfahrungen, die uns Betroffenenverbände persönlich und eindrucksvoll geschildert haben, machen nachdenklich. Wir sehen hier im Gesetzgebungsverfah- ren eine gewisse Parallelität zur Diskussion in der letzten Wahlperiode. Die an uns herangetragenen Schilderun- gen haben uns dazu veranlasst, den Gesetzentwurf noch einmal zu überdenken und den Schutz und das Selbst- bestimmungsrecht der Betroffenen noch stärker in den Vordergrund zu stellen. Bevor ich aber auf die einzelnen Änderungen zu sprechen komme, möchte ich noch kurz auf eine Frage eingehen, die sich vor dem Hintergrund der uns geschilderten Erfahrungen stellt: Warum las- sen wir als Gesetzgeber ärztliche Zwangsbehandlungen überhaupt zu? Mit dieser Frage spreche ich zugleich die Kernforderungen einzelner Betroffenenverbände an, wo- nach jegliche Zwangsbehandlungen verboten werden sollten. Bitte stellen Sie sich die folgende Situation vor: Ein 21-jähriges Mädchen ist stark unterernährt, wiegt bei ei- ner Größe von 1,65 Meter nur noch 30 Kilogramm. Das Mädchen leidet an Anorexia nervosa, ebenfalls bekannt als Magersucht. Sie hat ein extrem gestörtes Essverhalten, eine falsche Körperwahrnehmung, nimmt sich als über- gewichtig wahr und verkennt ihre akut lebensbedrohli- che Situation. Sie lässt sich nicht behandeln, auch nicht auf Zureden ihres Vaters, der ihr Betreuer ist. Daraufhin wird mit seinem Einverständnis eine Zwangsbehandlung angeordnet, die dem Mädchen das Leben rettet. Eine sol- che Situation zeigt, dass wir in bestimmten Fällen die Möglichkeit zur zwangsweisen Behandlung – und das möchte ich an dieser Stelle besonders betonen – als letz- tes Mittel nicht ausschließen sollten. Wir müssen als Ge- setzgeber auch der sich aus dem Grundgesetz ergebenden staatlichen Schutzpflicht gerecht werden. Dabei müssen wir einerseits das Selbstbestimmungsecht des Betreuten im Blick behalten, andererseits auch seinen Schutz vor schweren Gesundheitsschäden. Diese Abwägung fand im Rahmen des Gesetzes zur Regelung der betreuungsrecht- lichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme im Jahre 2013 und auch im gegenwärtigen parlamenta- rischen Verfahren statt. Der uns heute zur abschließen- den Beratung vorliegende Gesetzentwurf der Bundes- regierung knüpft an die Reform vom Jahr 2013 an und schließt die vom Bundesverfassungsgericht im Juli 2016 festgestellte Regelungslücke. Diese Regelungslücke be- trifft betreute Personen, die sich freiwillig in einer Klinik befinden oder sich krankheitsbedingt räumlich nicht ent- fernen können. Sie können nach der geltenden Gesetzes- lage nicht ärztlich zwangsweise behandelt werden, selbst dann nicht, wenn sie lebensbedrohlich erkrankt sind und ihnen gute Genesungschancen prognostiziert werden, da sie nicht freiheitsentziehend untergebracht werden kön- nen. Daher sieht der Gesetzentwurf eine „Entkoppelung“ der ärztlichen Zwangsmaßnahme von der freiheitsent- ziehenden Unterbringung vor und lässt medizinische Zwangsbehandlung nun im Rahmen eines stationären Aufenthaltes im Krankenhaus zu. Zurückkommend auf den Anfang meiner Rede, möch- te ich nicht unerwähnt lassen, dass die im Gesetzentwurf vorgesehene Ausgestaltung der „Entkopplung“ nicht nur auf Kritik mancher Betroffenenverbände stieß, sondern auch auf Bedenken einzelner Sachverständiger in der öffentlichen Anhörung. Dabei wurde insbesondere die Sorge geäußert, der Gesetzentwurf könne ungewollt neue Türen für Zwang öffnen. Eine solche Folge war weder geplant noch beabsichtigt. Deshalb bin ich sehr froh da- rüber, dass wir diese Bedenken zügig und umfassend in einem Änderungsantrag umsetzen konnten. Die erste Änderung betrifft die Bindung an den Wil- len des Betreuten. Der Betreuer darf einer ärztlichen Maßnahme an Stelle des betreuten Patienten nun nur dann zustimmen, wenn die ärztliche Maßnahme dem zu beachtenden Patientenwillen entspricht. Für diese Entscheidung des Betreuers sind Patientenverfügung, Behandlungswünsche und der mutmaßliche Wille des Betreuten in dieser Reihenfolge maßgeblich. An dieser Stelle wird das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen erheblich gestärkt. Durch den Gesetzentwurf in seiner Ursprungsfassung kam die Bindung des Betreuers an den Patientenwillen hingegen nur unzureichend zum Ausdruck. Aus einer negativen haben wir eine positive Formulierung gemacht. Eine zweite fundamentale Änderung möchte ich be- sonders hervorheben. Nach geltender Rechtslage gibt es, wie bereits erwähnt, zwei Schritte, bis eine ärztliche Zwangsmaßnahme überhaupt stattfinden darf. Bei den zwei Hürden handelt es sich um zwei richterliche Geneh- migungsvorbehalte, die die Betroffenen schützen, aber auch ärztliche Zwangsmaßnahmen verhindern können. Konkret bedeutet das, dass gegenwärtig zunächst nur die freiheitsentziehende Unterbringung genehmigt wird. Verweigert der Betreute auch nach der Unterbringung die ärztliche Behandlung, würde in einem zweiten Schritt geprüft, ob eine ärztliche Zwangsmaßnahme genehmigt werden darf. Dieses zweistufige Verfahren, das auch die Betroffenenverbände als einen substanziellen Schutz zur Vermeidung von ärztlichen Zwangsbehandlungen verste- hen, führen wir auch für die zwangsweise Verbringung des Betreuten zu einem stationären Aufenthalt in ein Krankenhaus ein. Diese strengen materiellen und verfah- rensrechtlichen Anforderungen werden der befürchteten Ausweitung von ärztlichen Zwangsmaßnahmen effektiv entgegenwirken. Für die Anwendung von Zwang und dessen Aus- wirkungen für die Betroffenen, auch wenn er unter der Maßgabe, dem Wohl der Betreuten zu dienen, geschieht, muss der Gesetzgeber stets sensibilisiert sein. Das Bun- desministerium für Gesundheit hat zwei bundesweite Studien in Auftrag gegeben. Das erste Projekt zielt auf eine Erfassung und vertiefende Analyse von ärztlich an- geordneten Zwangsmaßnahmen in der psychiatrischen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24681 (A) (C) (B) (D) Versorgung ab. Im Rahmen des zweiten Projekts soll insbesondere untersucht werden, welche Maßnahmen geeignet sind, Zwang zu vermeiden oder zu vermindern. Sobald die Projekte abgeschlossen sind, werden wir uns ausführlich mit den Ergebnissen befassen und weitere Handlungsmöglichkeiten prüfen. Dr. Matthias Bartke (SPD): Der Gesetzentwurf, den wir heute beschließen wollen, regelt einen sehr sensi- blen Bereich. Im Mittelpunkt stehen dabei sowohl das Selbstbestimmungsrecht wie auch das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Das sind zwei Rechte, die in den weitaus meisten Fällen Hand in Hand gehen. In manchen Fällen müssen sie aber auch gegeneinander abgewogen werden. Es war nicht zuletzt die Anhörung zu dem Gesetz- entwurf, die wohl alle Anwesenden sehr nachdenklich gestimmt hat. Bei der Anhörung war unter anderem der Chefarzt einer psychiatrischen Klinik als Sachverständi- ger geladen, der von einer Zwangsbehandlung berichtete. Der Patient litt nicht nur unter einer psychischen Er- krankung, sondern auch unter einer lebensgefährlichen Schilddrüsenüberfunktion. Die Behandlung dieser Über- funktion lehnte er strikt ab; aber sterben wollte er auch nicht. Im Resultat wurde er mit Schilddrüsenmedikamen- ten zwangsbehandelt. Dieses Beispiel zeigt uns, dass es Umstände geben kann, die eine ärztliche Zwangsbehandlung notwen- dig machen. Zwangsbehandlungen sind daher bei psy- chisch Kranken grundsätzlich möglich. Sie stehen aber zu Recht unter sehr engen Voraussetzungen. Dazu zählt bisher, dass nur zwangsbehandelt werden darf, wer auch zwangsuntergebracht ist. Das hat aber zur Folge, dass hilfsbedürftige Men- schen, die stationär in einer nicht geschlossenen Einrich- tung behandelt werden und sich nicht aus eigener Kraft fortbewegen können, selbst notfalls nicht gegen ihren na- türlichen Willen ärztlich behandelt werden dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hat im vergangenen Jahr entschieden: Diese Rechtslage verstößt gegen das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Der Staat hat eine Schutzpflicht zu erfüllen. Dazu gehört im Zweifelsfall auch, Bürger vor sich selbst zu schützen. Das Bundesverfassungsgericht hat uns daher aufge- tragen, die festgestellte Schutzlücke unverzüglich zu schließen. Diesem Auftrag sind wir mit einem maßvol- len Gesetzentwurf nachgekommen: Wir entkoppeln die Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme von der freiheitsentziehenden Unterbringung. Ärztliche Zwangs- maßnahmen werden stattdessen an das Erfordernis eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus gebunden. In den vergangenen Wochen ist mir immer wieder die Sorge begegnet, dass es durch das neue Gesetz zu mas- siven Ausweitungen der Zwangsbehandlungen kommen wird. Und tatsächlich müssen wir ehrlich sagen: In Zu- kunft können theoretisch mehr Menschen zwangsbehan- delt werden. Schließlich kommen dann auch diejenigen infrage, die nicht untergebracht sind. Das liegt aber in der Natur des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Wür- den zukünftig nur dieselben Personen zwangsbehandelt werden können wie bisher, hätten wir unsere Aufgabe verfehlt. Davon abgesehen gibt es aber keinen Anlass, von ei- ner Ausweitung der Zwangsbehandlungen auszugehen. Im Gegenteil: Die materiellen Zulässigkeitsvorausset- zungen für die Einwilligung ebenso wie die strengen ver- fahrensrechtlichen Anforderungen bleiben erhalten. So muss die ärztliche Zwangsmaßnahme zum Wohl des Betreuten notwendig sein, um einen drohenden er- heblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden. Der Betreute muss aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln können. Die Zwangsmaßnahme muss dem nach § 1901a BGB zu beachtenden Willen des Betreuten entsprechen. Hier haben wir übrigens nachgebessert. Ursprünglich sah der Gesetzentwurf vor, dass der Wille des Betreuten der Maßnahme nicht entgegenstehen darf. Wir haben diese Voraussetzung im Interesse der Betreuten nun enger ge- fasst. § 1901a regelt, dass einer Patientenverfügung Aus- druck und Geltung verschafft werden muss. Wenn keine Patientenverfügung vorliegt, muss der Betreuer die Be- handlungswünsche oder den mutmaßlichen Willen fest- stellen. Gab es mündliche oder schriftliche Äußerungen? Was sind die ethischen oder religiösen Überzeugungen, was sind die persönlichen Wertvorstellungen des Betreu- ten? Vor einer ärztlichen Zwangsmaßnahme muss außer- dem versucht werden, den Betreuten von der Maßnahme zu überzeugen. An dieser Stelle haben wir die Vorschrift sogar ver- schärft: Wir haben ergänzt, dass das Gespräch ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzu- lässigen Drucks geführt werden muss. Wir wollen dem Überzeugungsgespräch damit zu mehr Wirksamkeit ver- helfen. Es reicht nicht, schnell zu sagen: „Das wäre aber wichtig“, und das Gespräch damit als erledigt anzusehen. Der Betreuer darf in die Zwangsmaßnahme außerdem nur einwilligen, wenn der drohende erhebliche gesund- heitliche Schaden durch keine andere, weniger belasten- de Maßnahme abgewendet werden kann. Und last, but not least: Der zu erwartende Nutzen muss die zu erwar- tenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegen. Wir haben übrigens noch zwei weitere Änderungen am Gesetzentwurf vorgenommen, um das Selbstbestim- mungsrecht der Betroffenen zu stärken: Zukünftig soll in einem ersten Schritt grundsätzlich nur über die zwangsweise Verbringung in ein Kranken- haus entschieden werden. Erst in einem zweiten Schritt soll darüber entschieden werden, ob die Genehmigung der Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme er- teilt werden darf. Der Gesetzentwurf sah vor, dass die Verbringung in das Krankenhaus zusammen mit der Maßnahme entschieden wird. Die Aufteilung in zwei Entscheidungen schafft eine zusätzliche Hürde und hilft so, ärztliche Zwangsbehandlungen zu vermeiden. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 201724682 (A) (C) (B) (D) Die andere Änderung betrifft die Verfahrenspflege. Bisher ist der Verfahrenspfleger zwar berechtigt, Be- schwerde einzulegen. Wenn die Maßnahme aber schon erledigt ist, kann er keinen Antrag stellen, um die Statt- haftigkeit der Beschwerde feststellen zu lassen. Bei ärzt- lichen Zwangsmaßnahmen liegt aber ein schwerwiegen- der Grundrechtseingriff vor, und regelmäßig ist auch eine Wiederholung nicht auszuschließen. Wir schaffen darum ein Antragsrecht auf Feststellung einer Rechtsverletzung für Verfahrensbeistand und Ver- fahrenspfleger. Damit stärken wir den Grundrechtsschutz der besonders schutzwürdigen Betroffenen. Ich habe schon in Bezug auf den zu beachtenden Wil- len die Patientenverfügung angesprochen. Eine Patien- tenverfügung vermeidet Unsicherheiten. Jede und jeder kann für sich selber regeln, welche Behandlungen vor- genommen und welche unterlassen werden sollen. Da- mit lassen sich im Resultat auch Zwangsbehandlungen vermeiden. Wir verpflichten Betreuer daher zukünftig, auf die Möglichkeit einer Patientenverfügung hinzuweisen und bei der Errichtung zu unterstützen. Es ist also keineswegs so, dass der Gesetzentwurf Patientenverfügungen aushe- beln würde. Stattdessen stärken wir die Patientenverfü- gung als wichtiges Instrument. Wir sind mit dem Gesetzentwurf den schmalen Grat zwischen Selbstbestimmungsrecht und Schutz der Be- troffenen gegangen. Wir haben dabei eine gute Lösung für das Schließen der Schutzlücke gefunden. Wir sind mit dem Gesetz aber noch nicht am Ende an- gekommen. Ich habe zu Beginn meiner Rede von dem Chefarzt der psychiatrischen Klinik und dessen Beispiel einer Zwangsbehandlung berichtet. Was ich da noch nicht gesagt habe: Seit 2011 war das die einzige Zwangs- maßnahme bei mehr als 7 000 Behandlungen in dieser Klinik. Das ist eine ungewöhnlich niedrige Quote. Sie zeigt uns: Wo ein Wille zur Vermeidung von Zwang ist, ist auch ein Weg. Ärzte und Pflegepersonal müssen sich Zeit nehmen für die Patienten. Sie müssen ihre Bedürfnisse und Probleme ernst nehmen. Die Zwangsbehandlung darf nur als letz- tes Mittel dienen, wenn wirklich alle anderen Lösungen versagen. Die unterstützte Entscheidungsfindung muss das oberste Ziel sein. Auch der Einsatz von Mitarbeitern, die als Patienten Erfahrung mit der Psychiatrie gemacht haben, ist ein vielversprechender Ansatz. Die strengen verfahrensrechtlichen Anforderungen und Zulässigkeitsvoraussetzungen sind ohne Frage wich- tig. Am Ende kommt es aber auf die Praxis an. Mir liegt daher auch die vorgesehene Evaluierung besonders am Herzen. Wir werden die Auswirkungen der Änderungen auf die Anwendungspraxis untersuchen. Die Art und Häufigkeit von Zwangsmaßnahmen und die Wirksamkeit der Schutzmechanismen werden dabei im Mittelpunkt stehen. Am Ende werden wir Bilanz ziehen und dort nachbessern, wo es nötig ist. Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Wir re- den heute abschließend über den Entwurf eines Geset- zes zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraus- setzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten. Es geht hier um die Frage, unter welchen Voraussetzun- gen gesetzliche Betreuer ärztlichen Zwangsmaßnahmen gegen den Willen von Betreuten zustimmen können. Ausgangspunkt dafür ist ein Urteil des Bundesverfas- sungsgerichts aus dem Sommer 2016. Schaue ich mir jetzt seine gesetzliche Umsetzung an, dann habe ich er- hebliche Bedenken, ob der Gesetzwurf zur Umsetzung des VerfG-Urteils tatsächlich beiträgt. Insbesondere sto- ßen Zwangsmaßnahmen grundsätzlich auf erhebliche Bedenken. Nach Aussage des von der Linken benannten Sachverständigen Dr. med. Martin Zinkler, Chefarzt der Psychiatrischen Klinik Heidenheim, sind Zwangsmaß- nahmen in den allermeisten Fällen gar nicht erforderlich. Mit diesem Gesetzentwurf besteht die Gefahr, dass von Zwangsmaßnahmen noch exzessiver Gebrauch gemacht wird, als es bisher der Fall war. Nicht ausreichend Rechnung trägt der Gesetzentwurf dem Grundrecht auf eine freie Lebensgestaltung. Es gibt über objektive Fakten und logisches Folgern hinaus ei- nen Bereich der Bewertung und Gewichtung dieser Fak- ten, der nichts mit mangelnden geistigen Fähigkeiten zu tun hat. Das Selbstbestimmungsrecht von Menschen, die unter gesetzlicher Betreuung stehen, ist aber auch in anderer Hinsicht eingeschränkt. Und ich bekomme das immer wieder zu spüren, wenn ich in meinem Wahlkreis Havelland/Oberhavel die Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtungen der Lebenshilfe besuche. Da werde ich zum Beispiel immer wieder gefragt: Na? Dürfen wir diesmal wählen gehen? – Was meine ich? Menschen, de- nen zur Besorgung aller Angelegenheiten ein Betreuer bestellt ist oder die eine Straftat im Zustand der Schuld- unfähigkeit begangen haben und wegen befürchteter Allgemeingefährlichkeit in einem psychiatrischen Kran- kenhaus untergebracht sind, sind in Deutschland vom aktiven und passiven Wahlrecht ausgeschlossen. Das heißt, sie dürfen weder wählen noch sich zur Wahl stel- len. Aufgrund dieser Regelungen sind etwa 85 000 Men- schen von Bundestags- und Europaparlamentswahlen ausgeschlossen. Die Begründung dafür ist, man müsse annehmen, diese Personen seien zu einer vernünftigen Wahlentscheidung nicht in der Lage, da ihnen die nötige Einsicht fehle. Dieses Argument ist gleich aus mehreren Gründen problematisch bzw. falsch. Einerseits kann bei den betroffenen Personen keineswegs von einer grundle- genden Unfähigkeit zum Treffen rationaler Entscheidun- gen ausgegangen werden. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Auftrag gegeben wurde. Andererseits han- delt es sich beim Wahlrecht um ein fundamentales poli- tisches Grundrecht, das allen Menschen gleichermaßen zugänglich sein muss. Dazu hat sich Deutschland durch die Ratifizierung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen im Jahr 2009 verpflichtet. Artikel 29 der Konvention verpflichtet die Vertragsstaaten, „Men- schen mit Behinderungen die politischen Rechte sowie die Möglichkeit, diese gleichberechtigt mit anderen zu genießen“, zu garantieren. Wählen ist Menschenrecht. Die menschenrechtswidrigen Wahlrechtsausschlüs- se müssen endlich abgeschafft werden. Statt Menschen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24683 (A) (C) (B) (D) mit Behinderungen von politischen Grundrechten auszu- schließen, muss es vielmehr darum gehen, die notwen- digen Unterstützungen zu schaffen, um möglichst vielen Menschen den Zugang zu Wahlen zu ermöglichen. Dazu gehört eine barrierefreie Ausgestaltung von Wahllokalen, dazu gehört vollständig einkommens- und vermögens- unabhängige persönliche Assistenz, die nicht bevormun- dend, sondern selbstermächtigend tätig ist, und dazu ge- hört eine barrierefreie politische Kommunikation. Gibt es beispielsweise umfassende Informationen zu allen politischen Themen in Leichter Sprache, können sich deutlich mehr Menschen tiefergehend mit Politik ausei- nandersetzen. In der vergangenen Woche hat meine Fraktion ge- meinsam mit der Grünenfraktion dazu einen Gesetzent- wurf in den Deutschen Bundestag eingebracht, der eine Streichung der menschenrechtswidrigen Wahlrechtsaus- schlüsse von Menschen mit Behinderungen noch vor der Bundestagswahl im September vorsieht. In dieser Wo- che hat die Große Koalition die Debatte im Ausschuss verhindert. Sie verhält sich damit genauso wie im Zu- sammenhang mit der durch drei Gesetzentwürfe einge- forderte Öffnung der Ehe für eingetragene Lebenspart- nerschaften. Erst plustert sich vor allem die SPD auf: „100 Prozent Gleichstellung nur mit uns.“ Und wenn es zu entscheiden ist, kommt nichts als heiße Luft. Dies ist Verweigerung gegenüber dem berechtigten Interesse der Bürgerinnen und Bürger, dass wir eine Lösung für ihre Probleme finden. In der kommenden Woche haben Sie, sehr geehrte Abgeordnete der SPD, die letzte Chan- ce, Ihren Worten auch Taten folgen zu lassen und die menschenrechtswidrigen Wahlrechtsausschlüsse vor der Bundestagswahl abzuschaffen. Nutzen Sie diese Chance! Dem zu beschließenden Gesetzentwurf zur Zulässig- keit ärztlicher Zwangsmaßnahmen können wir aus den eingangs genannten Gründen eine Zustimmung nicht ge- ben. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Dieses Gesetzgebungsverfahren ist aufgrund ei- ner Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Zwangshandlung bei Betreuten, die zwar stationär be- handelt werden, aber nicht geschlossen untergebracht werden können, weil sie sich der Behandlung räumlich nicht entziehen können, notwendig geworden. Das Bun- desverfassungsgericht hat den Gesetzgeber aufgefordert, unverzüglich eine Rechtsgrundlage für eine Zwangs- behandlung für diese Fallgruppe zu schaffen, da die Schutzlücke mit der aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflicht des Staates unvereinbar sei. Ziel muss sein, die vom Bundesverfassungsgericht festge- stellte Schutzlücke hinsichtlich der besonderen Perso- nengruppe zu schließen, ohne dabei die Voraussetzungen für Zwangsbehandlungen im Allgemeinen auszuweiten. Mit der Reform im Jahr 2013 scheint es – zumindest ers- ten veröffentlichten Zahlen zufolge – gelungen zu sein, Zwangsbehandlungen in der Psychiatrie zu reduzieren. Das ist ein wichtiger Erfolg, der nicht durch das Öffnen neuer Türen gefährdet werden darf. Je restriktiver die rechtlichen Möglichkeiten zur Zwangsbehandlung sind, umso mehr wird die Psychiatrie sich weiterentwickeln und auf Zwangsbehandlungen verzichten. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung birgt die Ge- fahr der Ausweitung der Anwendung von Zwang in der Psychiatrie über das Erforderliche und das vom Bundes- verfassungsgericht Geforderte hinaus. Deswegen können wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. Er erlaubt die Zwangsbehandlung auch für Betroffene, die sich frei- willig im psychiatrischen Krankenhaus befinden. Dies könnte ein Hemmnis für Menschen in Krisen darstellen, sich freiwillig in psychiatrische Behandlung zu begeben. Zwar können Personen, die nicht behandelt werden wol- len, das Krankenhaus wieder verlassen. Aber gerade bei Personen in schweren Krisen, bei denen eine Zwangs- behandlung infrage kommt, besteht die Gefahr, dass sie nicht in der Verfassung sind, das Krankenhaus zu verlas- sen, oder nicht wissen, wohin sie ansonsten gehen sollen. Anstatt die Zwangsbehandlung von der Unterbringung zu entkoppeln, wäre es besser gewesen, in § 1906 BGB eine entsprechende Anwendung des Absatzes 3 für sta- tionär behandelte Personen festzulegen, die sich einer Zwangsbehandlung räumlich nicht entziehen können. Denkbar wäre auch – in Abweichung zur Rechtspre- chung des Bundesgerichtshofes –, festzulegen, dass eine Unterbringungsgenehmigung nach § 1906 Absatz 1 BGB immer schon dann erforderlich ist, wenn der Aufenthalt des Betreuten seinem Willen widerspricht. Positiv finden wir, dass der Gesetzentwurf die Mög- lichkeit einer Zwangsbehandlung auf einen stationären Krankenhausaufenthalt beschränkt und eine ambulante Zwangsbehandlung ausgeschlossen bleibt. Menschen müssen sich zu Hause sicher fühlen können. Wir begrü- ßen auch den absoluten Vorrang des Patientenwillens und die Konkretisierung des Überzeugungsversuchs im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts („mit genügend Zeit und ohne Druck“). Sinnvoll, aber nicht ausreichend ist die im Gesetz- entwurf vorgesehene Evaluation der Auswirkungen der gesetzlichen Änderungen auf die Anwendungspraxis. Notwendig ist ein dauerhaftes Monitoring über Anzahl, Dauer und Durchführung von Zwangsbehandlungen, um Missstände in der Praxis und gesetzliche Fehlentwick- lungen zu erkennen und zu korrigieren. Zwangsmaß- nahmen sind schwere Eingriffe in die Grundrechte von Menschen, die, solange sie stattfinden, streng kontrolliert werden müssen. Mit der Änderung des § 1901a BGB werden Betreuer verpflichtet, Betreute in geeigneten Fällen auf die Mög- lichkeit einer Patientenverfügung hinzuweisen und sie auf ihren Wunsch bei der Errichtung einer Patienten- verfügung zu unterstützen. Wir hätten uns hier die aus- drückliche Erwähnung von Behandlungsvereinbarungen gewünscht, weil damit auch die Behandlerinnen und Behandler in die Pflicht genommen werden. Vorteil ei- ner Behandlungsvereinbarung ist außerdem, dass sie Be- handlungswünsche deutlich macht und nicht nur wie die Patientenverfügung Behandlungsauschlüsse formuliert. Auch wenn es in den psychiatrischen Krankenhäusern ein stärkeres Bewusstsein für den mit der Anwendung von Zwang verbundenen Grundrechtseingriff zu geben Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 201724684 (A) (C) (B) (D) scheint, sind wir noch weit entfernt von einem Ende des Zwangs in der Psychiatrie. Deshalb sind weitere Anstren- gungen nötig, um die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen und Betroffene in der Entscheidungsfindung zu unterstützen, anstatt ihre Entscheidung zu ersetzen. Maßgeblich ist, die psychiatrische-psychotherapeutische Versorgung so zu organisieren, dass stationäre Aufenthal- te und Zwang von vornherein vermieden werden. Hierfür braucht es neue Formen der akuten Krisenhilfe, mehr in- tegrierte Versorgungsangebote und genügend psychothe- rapeutische Plätze ohne lange Wartezeiten. Hilfreich sind zudem Nachsorgeangebote unter Einbeziehung von Psy- chiatrieerfahrenen und Angehörigen psychisch Kranker, die darauf ausgerichtet sind, das Auftreten einer psychi- atrischen Krise frühzeitig zu erkennen. Insgesamt muss die Versorgungsstruktur weiterentwickelt werden, hin zu einem personenzentrierten, gemeindenahen und sektor- übergreifenden Angebot. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Än- derung des Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes (Tagesordnungspunkt 26) Lena Strothmann (CDU/CSU): Seit 2003 bin ich Abgeordnete im Deutschen Bundestag, und fast so lan- ge begleitet mich auch schon die Diskussion um das Schornsteinfegergesetz. Als ich mich erstmals mit dem Thema beschäftigt habe, hätte ich nicht damit gerechnet, dass der Inhalt meiner letzten Rede heute hier im Plenum wieder Thema sein wird. Im Rahmen der parlamentari- schen Beratung der aktuellen Novellierung des Schorn- steinfegergesetzes haben mich viele Stellungnahmen von Schornsteinfegern, vor allem aber von Ofenbauern und Sanitär- und Heizungsbauern erreicht. Um die aktuelle Diskussion zu verstehen, ist ein Blick auf die Novellie- rung des Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes aus dem November 2008 und die zweite Stufe der Umsetzung Anfang 2013 notwendig. Mit der Neuregelung wollte die EU für Wettbewerb auf dem deutschen Schornsteinfeger- markt sorgen. In Deutschland gibt es etwa 14 Millionen kehr- und überprüfungspflichtige Heizungsanlagen, auf die circa 7 500 Schornsteinfegerbetriebe, Kleinstbetriebe, kommen. Laut altem Schornsteinfegerrecht war das ge- samte Bundesgebiet in Kehrbezirke unterteilt, in denen je ein Bezirksschornsteinfegermeister allein verantwortlich war. Der Staat hat dem Bezirksschornsteinfegermeister hoheitlich die staatlichen Grundaufgaben zur Messung und Überwachung der Feuerstätten, Heizungsanlagen etc. hinsichtlich Betriebs-, Brandsicherheit, Energie- einsparung und Klimaschutz übertragen. Frei werdende Kehrbezirke wurden nach bestimmten Kriterien – Wohn- ort im Kehrbezirk etc. – und einer Liste weiterbesetzt. Alternativ hätte eine staatliche Behörde diese Aufgaben übernehmen müssen. Die Länder haben die Zuständig- keitsübertragung auf die unteren Behörden im Zuge der Novelle 2008 abgelehnt. Diese Gesetzgebung verstieß laut EU-Kommission jedoch gegen die Dienstleistungs- und Niederlassungs- freiheit, da anderen europäischen Schornsteinfegern die Übernahme eines Kehrbezirkes verwehrt blieb. Die EU-Kommission hat daher ein Vertragsverletzungsver- fahren gegen Deutschland eröffnet, und das deutsche Schornsteinfegerrecht wurde auf den Prüfstand gestellt. Aus Sicht der Europäischen Kommission hat es die Re- geln eines freizügigen Marktes verletzt. Um die staatli- chen Aufgaben der Betriebs-, Brandsicherheit, der Ener- gieeinsparung und des Klimaschutzes ohne eine neue Behörde weiterhin durch das Schornsteinfegerhandwerk ausüben zu können, hat die Bundesregierung 2008 mit der EU-Kommission einen Kompromiss ausgehandelt. Danach wurde das sogenannte Schornsteinfeger-Mono- pol 2013 aufgehoben und die hoheitlichen Aufgaben der Schornsteinfeger auf einen Kernbereich zum Beispiel Abgasmessung laut Bundes-Immissionsschutzgesetz und Bundesimmissionsschutzverordnung beschränkt. Die üb- rigen Schornsteinfegerarbeiten wurden dem freien Wett- bewerb überlassen. Mit den jährlichen Abgasmessungen und Prüfungen kann man seitdem einen Kaminkehrer seiner Wahl beauftragen. Darunter fallen nun nicht nur alle freien Feger, die amtlich registriert sind, sondern auch Installateure/Heizungsbauer, SHKs, mit Zusatzqua- lifikation zum Kaminkehrer. Zentral für die heutige Diskussion: Nach dem Wegfall des Schornsteinfeger Monopols wurde zum Ausgleich das Nebenerwerbsverbot der Schornsteinfeger aufgeho- ben. Schornsteinfeger sind seitdem nicht mehr nur auf die jährlichen Kehrwochen beschränkt und können wei- tere Leistungen anbieten. Ist ein Schornsteinfeger in der Handwerksrolle eingetragen, darf er nun auch Öfen bau- en, Rauchmelder installieren und deren jährliche Prüfung durchführen oder die Heizungsanlage kontrollieren. Seit- dem beklagen einige Ofen-Luftheizungsbauer und der SHK-Verband, dass sich viele Schornsteinfeger nach dem Wegfall des Nebenerwerbsverbots im Ofenbauer-Hand- werk, dem Kompetenzbereich der SHKs, selbstständig gemacht haben und sie seitdem unter einem starken Konkurrenzdruck und einer Verzerrung des Wettbewerbs leiden. Daneben beklagen sie, dass die Schornsteinfeger durch die Feuerstättenschau und ihre Kehrbuchdaten über relevante Kundeninformationen verfügen und diese Daten zu eigenen Geschäftszwecken nutzen, um selbst Öfen zu verkaufen. Die Ofenbauer und SHKs fordern seitdem die Wiedereinführung des Nebenerwerbsverbots für Schornsteinfeger und setzen sich dafür ein, dass dies in die Novellierung des SchfHwG aufgenommen wird. Ich bin der Auffassung, dass hier unternehmerisches Denken und Handeln und keine Regulierung durch die Politik gefragt sind. Wir haben die Möglichkeit der Wie- dereinführung eines solchen Wettbewerbsverbots geprüft. Sie ist als faktisches Berufsverbot verfassungsrechtlich nicht zulässig und daher – abgesehen von inhaltlichen Gründen – rechtlich nicht möglich. Die Aufhebung des Nebenerwerbsverbots war zudem eine Bedingung des Vertragsverletzungsverfahrens der Europäischen Kom- mission gegen das alte Schornsteinfeger-Handwerks- gesetz im Jahr 2005 und wurde bei der Novelle des SchfHwG im Jahr 2008 umgesetzt. Die aktuelle Kritik und die Argumente des SHK-Handwerks und der Ofen- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24685 (A) (C) (B) (D) bauer sind nicht neu. Die Forderung, dass Schonsteinfe- ger im eigenen Bezirk keine Kaminöfen verkaufen sollen dürfen, wurde in den letzten Jahren bereits mehrfach dis- kutiert, aber nicht umgesetzt. Dabei wird es auch bleiben. Die Abnahme der neuen oder geänderten Feuerstätten seitens der bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger erfolgt nach den Landesbauordnungen der Länder. Zu- ständige Behörden sind die jeweiligen Bauaufsichtsbe- hörden. Sie sind verantwortlich und nicht die Politik. Es ist Sache der Länder und der jeweils zuständigen Sachaufsichtsbehörden von Land, Kreis oder Stadt durch entsprechende Verordnungen hier verlässliche Regelun- gen zu schaffen und zu deren Einhaltung zu überprüfen. Aus § 18 Absatz 2 SchfHwG ergibt sich bereits, dass kei- ne Abnahme durch den Schornsteinfeger erfolgen darf, wenn er die Anlagen selbst eingebaut oder verkauft hat. Und das ist auch richtig so. Eine Werkstatt darf ja auch nicht die Verkehrssicherheit eines selbst reparierten Au- tos feststellen; das macht der TÜV. Gleichzeitig ist der Bezirksschornsteinfeger verpflichtet, seine Aufgaben ordnungsgemäß, gewissenhaft und unabhängig durch- zuführen. Damit sollen Interessenskonflikte vermieden werden. Die Länder wurden in der Vergangenheit immer wie- der aufgefordert, im Rahmen der Aufsicht auf mögliche Interessenkollisionen zu achten und diese zu unterbinden. Wenn es schwarze Schafe gibt – und die gibt es leider im- mer und in fast allen Bereichen – sind den zuständigen Länderbehörden oder den Kartellbehörden der Länder die entsprechenden Fälle zu nennen, damit diese aktiv werden können. § 21 (3) enthält bereits entsprechende Sanktionsmechanismen. Nachdem ich jetzt viel darüber gesprochen habe, was das Gesetz nicht enthält – nämlich die seitens der SHKs und Ofenbauer geforderte Wiedereinführung des Ne- benerwerbsverbots der Schornsteinfeger –, möchte ich die verbleibende Zeit nutzen, um Ihnen von den Inhalten der Novelle zu berichten. Bei der Novelle 2017 geht es vor allem darum den, Vollzug der Länder zu erleichtern und die Verwaltung von Kehrbezirken zu vereinfachen. Da die Bestellung zum bevollmächtigten Bezirksschorn- steinfeger befristet ist, müssten Kehrbezirke nach dem Ablauf von sieben Jahren neu ausgeschrieben werden. Die neu vorgesehene Sammelausschreibung soll eine lückenlose Besetzung der Kehrbezirke sicherstellen. Da- neben sieht der Entwurf Änderungen vor, um die Kehr- bezirksverwaltung zu verbessern. Sie betreffen unter anderem das Vollstreckungsrecht, die Regelung der Ver- tretung und den Schutz von Kehrbuchdaten. So muss das Kehrbuch vom bevollmächtigten Bezirksschornsteinfe- ger elektronisch und nachvollziehbar erfasst werden und jährlich aktuell sein. Bei Verstößen sind nun hohe Geld- bußen festgeschrieben. Um die Neutralität weiterhin sicherzustellen, wird die Feuerstättenschau auch zukünftig ausschließlich vom bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger durchgeführt. Diese ist weiterhin zweimal innerhalb von sieben Jahren durchzuführen, jetzt jedoch frühestens alle drei Jahre. Die Unterscheidung von hoheitlichen Aufgaben in der Zuständigkeit öffentlich beliehener Schornsteinfeger und Tätigkeiten, die dem Wettbewerb unterliegen, wird damit beibehalten. Die Neuregelung verpflichtet neue Haus- und Wohnungseigentümer zudem, Eigentumswechsel am Grundstück an den zuständigen bevollmächtigten Be- zirksschornsteinfeger zu melden. Neu ist auch die Streit- wertfestsetzung auf 500 Euro bei gerichtlicher Auseinan- dersetzung zwischen Eigentümer und bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger. All diese Inhalte sind unstrittig. Ein wichtiger Punkt, der die Diskussion um das Ne- benerwerbsverbot aufgreift: Der Schornsteinfeger darf keine Bescheinigungen für Anlagen ausstellen, die er oder andere Mitarbeiter verkauft, eingebaut, zur Nut- zung überlassen haben. Das gilt auch für Gesellschaften die verkauft, eingebaut, zur Nutzung überlassen haben, an welcher der Bezirksschornsteinfeger rechtlich oder wirtschaftlich beteiligt ist. Hier haben wir mit unserem Änderungsantrag die Definition des Angehörigen noch einmal etwas präzisiert und verschärft. Demnach darf der Schornsteinfeger nicht nur keine Bescheinigungen für Anlagen ausstellen, die er verkauft/eingebaut hat, son- dern auch nicht für solche, die seine Angehörigen oder Angehörige seines Betriebs verkauft/eingebaut haben. Das gilt auch für Gesellschaften, an denen er selbst, seine Angehörigen oder Angehörige seines Betriebs rechtlich oder wirtschaftlich beteiligt sind. Damit ist klargestellt, dass der Schornsteinfeger auch keinen Ofen prüfen und abnehmen darf, der beispielsweise über die gemeinsame GmbH mit seiner Frau oder seinem Kollegen verkauft oder eingebaut wurde. Auch wenn ich bezweifle, dass in der Praxis eine große Zahl an Ehepartnern oder Mitarbei- tern Ofenstudio GmbHs gegründet haben, damit ihr Part- ner als Schornsteinfeger eigene Öfen verkaufen, einbau- en und prüfen und abnehmen kann, so haben wir diese rechtliche Lücke und Hintertür nun im Sinne der Ofen- bauer und SHKs, aber auch der Verbraucher geschlossen. Da dies heute meine letzte Rede hier im Plenum ist, möchte ich an dieser Stelle die die Gelegenheit nutzen, um mich zu bedanken und bei Ihnen zu verabschieden. Das gilt für die Kollegen aus der Fraktion, mit denen wir gemeinsam viel erreicht haben, aber auch für den Ko- alitionspartner, mit dem wir bei handwerkspolitischen Themen zumeist an einem Strang gezogen haben. Da ich dem Handwerk in meiner Funktion als Präsidentin der Handwerkskammer Ostwestfalen noch weiter erhalten bleibe, bin ich mir sicher, auch in der nächsten Legisla- turperiode weiter zu dem ein oder anderen Handwerks- thema zusammenzuarbeiten. Darauf freue ich mich. Sabine Poschmann (SPD): Im Jahr 2008 hat der Gesetzgeber das Schornsteinfegerwesen grundlegend reformiert. Seinerzeit ging es darum, ein Vertragsver- letzungsverfahren der EU-Kommission abzuwenden. Die EU-Kommission hatte die bestehenden Regeln als unverhältnismäßige Hemmnisse für die Niederlassungs- und die Dienstleistungsfreiheit in der EU kritisiert. Als Reaktion darauf wurde das Schornsteinfegermonopol abgeschafft. Im Gegenzug erhielten die Schornsteinfeger die Erlaubnis, Nebentätigkeiten auszuüben. Diese neue Situation verunsicherte damals viele Schornsteinfeger. Viele befürchteten, allein von ihrem Kerngeschäft nicht Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 201724686 (A) (C) (B) (D) mehr leben zu können. Daher haben sich viele in die Handwerksrolle eintragen lassen, um sich weitere Ein- kommensquellen zu erschließen. In der Praxis kam es dann aber anders als gedacht. Die meisten Schornstein- feger sind heute mit ihren eigentlichen Schornsteinfeger- tätigkeiten gut ausgelastet und haben ein verlässliches, solides Einkommen. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass die Menschen diesem Handwerk vertrauen und dessen Arbeit schätzen. Warum dann also eine Novelle des Schornsteinfe- ger-Handwerksgesetzes? Nun, zunächst einmal geht es uns darum, den Vollzug des Gesetzes durch die Länder zu vereinfachen. So wird bei der Verwaltung der Kehrbe- zirke klargestellt, dass die sogenannte Sammelausschrei- bung als Verfahren zur Neubesetzung von Bezirken ge- nutzt werden kann. Auf diese Weise wird eine lückenlose Besetzung der Kehrbezirke gewährleistet und der Pro- zess der Massenausschreibungen verschlankt. Dann wol- len wir die Kehrbuchdaten besser schützen. Dazu werden die Anforderungen an die Übergabe der Kehrbuchdaten konkretisiert. Zudem wurden die Pflichten der bevoll- mächtigten Bezirksschornsteinfeger bei der Übergabe von Bezirken an Nachfolger präzisiert. Darüber hinaus wollen wir die Anforderungen an die Neutralität der Bezirksschornsteinfeger verschärfen. Für die allermeisten Schornsteinfeger brauchen wir hier ei- gentlich keine Neuregelung, denn sie erledigen ihre Aufgaben auch so unparteiisch und zuverlässig. Leider gab es in der Vergangenheit aber auch einzelne Fälle, in denen bevollmächtigte Bezirksschornsteinfeger ihre Stellung ausgenutzt und sich die von ihnen eingebauten Öfen gegenseitig abgenommen haben. Dies darf natür- lich nicht sein. Bereits nach geltender Rechtslage dürfen bevollmächtigte Bezirksschornsteinfeger daher keine Bescheinigungen für Anlagen ausstellen, wenn sie die- se selbst oder Angehörige ihres Betriebes eingebaut oder verkauft haben. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gehen wir noch einen Schritt weiter. In Zukunft dürfen Schornsteinfeger auch dann keine Bescheinigungen für Anlagen ausstellen, wenn Angehörige des Schornstein- fegers rechtlich oder wirtschaftlich an der Gesellschaft beteiligt sind, die die Anlage verkauft oder eingebaut hat. Damit schließen wir aus, dass ein Bezirksschornstein- feger eine Anlage von jemandem abnimmt, mit dem er in einer verwandtschaftlichen oder nachweislichen wirt- schaftlichen Beziehung steht. Wir sind uns bewusst, dass damit noch nicht alle the- oretisch denkbaren Fälle von Wettbewerbsverzerrung zulasten der Ofenbauer ausgeräumt sind. Daher haben wir die vom Ofenbauerhandwerk geforderten weiteren Beschränkungen der Nebentätigkeitsbefugnis für Be- zirksschornsteinfeger geprüft, diese aber letztlich nicht in das Gesetz aufgenommen. Denn die damit verbundenen Eingriffe in die Berufs- und Gewerbefreiheit der Schorn- steinfeger wären, wenn überhaupt, verfassungsrechtlich nur schwer zu rechtfertigen gewesen. Es wird daher Auf- gabe der Handwerksvertreter vor Ort sein, Lösungen zu finden, die einen für beide Berufsgruppen fairen Wett- bewerb ermöglichen. Das klappt in vielen Regionen gut und ist auch in beiderseitigem Interesse. Abschließend lässt sich sagen, dass die aktuellen Än- derungen und die von 2008 wichtige und richtige Schrit- te für das Schornsteinfegerhandwerk sind. Denn dies ist eine Branche mit Zukunft. Während die Lehrlingszah- len in vielen Gewerken rückläufig sind, liegt die Aus- bildungsbereitschaft dort seit einigen Jahren auf hohem Niveau. Auch das Interesse an diesem Beruf ist gestie- gen: Mit der Ausschreibung der Kehrbezirke steigen die Chancen junger Menschen, frühzeitig bevollmächtigte Bezirksschornsteinfeger zu werden. Es ist somit gut, dass wir hier aktiv geworden sind. Thomas Lutze (DIE LINKE): Die Novelle zum Schornsteinfeger-Handwerkgesetz ist notwendig, da eini- ge Paragrafen und Passagen aus der Übergangszeit nach der Liberalisierung obsolet geworden sind. Ferner haben sich aus aktuellen Rechtsprechungen und Praxiserfah- rungen weitere Anpassungen ergeben. Schauen wir also auf die jeweils geplanten Änderungen. Die Bestellung zum bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger erfolgt befristet; nach sieben Jahren müssen die Kehrbezirke neu ausgeschrieben werden. Der Gesetzentwurf sieht nun vor, dass unter anderem Sammelausschreibungen zur Be- setzung von Kehrbezirken durchgeführt werden sollen. Dies ist sinnvoll, da mit der Möglichkeit der Sammelaus- schreibung eine lückenlosere Besetzung der Kehrbezirke sichergestellt wird. Auch die Präzisierungen hinsichtlich der obligatorischen Aufgaben wie Feuerstättenschau, Berichtswesen und Abnahmetätigkeiten sind sinnvoll. Selbiges gilt auch für die Festschreibung der unmittelba- ren Ausfertigung einer Duldungsverfügung durch die zu- ständigen Behörden, wenn Schornsteinfegern der Zutritt für Grundstücke und Gebäude zur Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten verweigert wird. Dass außerdem die Abnah- me von Anlagen und Feuerstätten nicht mehr durch Be- zirksschornsteinfeger, deren Angestellte und Vertreter vorgenommen werden dürfen werden soll, wenn diese an der Erstellung dieser Anlagen beteiligt waren, führt dazu, dass Erstellung und Überprüfung der Vorschriftsmäßig- keit zukünftig deutlicher als bisher getrennt werden. Im internationalen und europäischen Vergleich wer- den immer wieder der hohe Standard und das geringe Risiko deutlich, die durch die nach wie vor geltenden Regularien und Überwachung durch das Schornstein- fegerhandwerk gesichert werden. Das Niveau der Be- triebs- und Brandsicherheit kann in Deutschland trotz vereinzelter Missbräuche als hoch bezeichnet wer- den und wird durch die vorgesehenen Änderungen des Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes weiter verbessert. Die Innungsverbände unterstützen daher das Maßnah- menpaket grundsätzlich. Dass die Betreiber von Feuer- stätten in Deutschland selbst im europäischen Vergleich am sichersten leben, ist unzweifelhaft auch ein Verdienst des Schornsteinfegerhandwerks. Zugleich werden vom Gesetzgeber stets wachsende Vorgaben im Hinblick auf Baurecht, Betriebs- und Brandsicherheit, Umwelt- schutz, Energieeinsparung und Klimaschutz erlassen, deren Durchsetzung, Überwachung und Prüfung von den öffentlichen Behörden gar nicht übernommen wer- den können. Dies bedeutet, dass über das Schornsteinfe- ger-Handwerksgesetz viele der hoheitlichen Tätigkeiten dem Handwerk übertragen werden, womit nicht zuletzt Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24687 (A) (C) (B) (D) für die Sicherheit der über 30 Millionen bundesdeutschen Feuerstätten nur Fachkräfte mit einer Mindestqualifika- tion als Schornsteinfegergeselle zuständig sind. Hinzu kommt, dass immer mehr Schornsteinfeger inzwischen neben ihrer Schornsteinfeger-tätigkeit andere Gewerbe gegründet haben, unter anderem auch Ofenstudios. Es gibt Berichte, wonach einige Schornsteinfeger die ho- heitlichen Tätigkeiten nutzen, um ihr privates Gewerbe anzukurbeln, indem beispielsweise bei der Feuerstätten- schau oder Abnahme von Heizanlagen gleich noch Kun- den akquiriert werden. Diese Vermischung von hoheit- lichen Tätigkeiten und privatwirtschaftlichen Interessen ist nicht erlaubt und vor allem auch gefährlich. Betref- fenden Beschwerden muss daher vonseiten der Behörden intensiver nachgegangen werden. Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schornsteinfeger bringen Glück, weiß der Volksmund. Leider hatten Sie in der großen Koalition bei der Libera- lisierung des Schornsteinfegerwesens im Jahr 2008 kein besonders glückliches Händchen. Die damalige Reform ging nicht weit genug, was die zahlreichen Eingaben und Schreiben, die wir hierzu bekommen haben, zeigen. Es ist deutlich, dass es erheblichen Nachbesserungsbedarf gibt und die angestoßene Liberalisierung nicht durch- schlagend war. Leider geht die heute vorliegende Änderung des Schornsteinfegerhandwerks auf diese Problemstellung nicht ein. Das Gesetz beschränkt sich auf die Regelung praktischer Anwendungsschwierigkeiten beispielsweise bei Ausschreibung, Verwaltung und Übergabe von Kehr- bezirken oder auch auf die Sicherung der Kehrbuchdaten. Diese Anpassungen sind richtig, auch um die lückenlose Besetzung von Kehrbezirken zu gewährleisten. Deshalb stimmt meine Fraktion dem Gesetz zu. Auch im Aus- schuss hat der Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen, der Interessenkonflikte bei der baurechtlichen Abnahme neuer Heizungsanlagen verhindern soll, unsere Zustim- mung erhalten. Schornsteinfeger sollten ihre hoheitli- chen Aufgaben mit der größtmöglichen Unabhängigkeit erfüllen. Doch mit diesem Gesetz stellen Sie einmal mehr unter Beweis, dass Sie in der Regierung lediglich Dienst nach Vorschrift leisten. Einleitend schreiben Sie zwar, dass dieses Gesetz den Wettbewerb im Schornsteinfe- gerhandwerk verstärken soll. Doch Maßnahmen in diese Richtung sucht man im Gesetzestext dann ebenso ver- geblich wie den Gestaltungsanspruch der großen Koaliti- on in ihrer Regierungszeit insgesamt. Längst ist doch der Begriff „Schornsteinfeger“ mehr als irreführend. Schornsteinfeger selber bezeichnen sich als Experten der Energieerzeugung. Dabei spielen Fragen der Energieerzeugung in Hinblick auf Immissionen und der Energieeffizienz eine entscheidende Rolle. Längst müsste der Schornsteinfeger umbenannt werden zum „Energiewendemanager“, oder so ähnlich. Entsprechend fordern wir Grüne, das Thema viel breiter anzugehen. Dazu kommt die Forderung nach mehr Markttranspa- renz und fairem Wettbewerb. Deshalb fordern wir Grüne eine bessere Umsetzung der Liberalisierung bei nicht ho- heitlichen Schornsteinfegertätigkeiten. Hierzu braucht es eine neutrale Evaluierung der zurückliegenden Reform des Schornsteinfegerwesens. Ich fordere Sie auf: Wenn Sie schon keine Regelung zur Stärkung des Wettbewerbs in das Gesetz bringen, dann lassen Sie doch wenigstens die zurückliegende Reform gründlich prüfen. Diese Eva- luierung muss auf der einen Seite die wettbewerblichen Auswirkungen bewerten und auf der anderen Seite die Si- cherung der hohen Feuersicherheits- und Umweltschutz- standards bei Heizungsanlagen im Blick haben. Es ist zu prüfen, welche konkreten Maßnahmen den Wettbewerb stärken und dabei einen fairen Interessenausgleich zwi- schen Schornsteinfegern, Ofen- und Luftheizungsbauern und weiteren Akteuren erzielen können. Auch eine Ener- gieberatung kann stärker im Fokus der Überprüfungs- und Wartungsarbeiten stehen. Nicht zuletzt sollte geprüft werden, ob die mit der Reform beabsichtigte Kostenre- duktion im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher tatsächlich erreicht worden ist. Der vorliegende Entwurf ist zwar ein Hüpfer in die richtige Richtung, springt aber viel zu kurz. Die Regie- rungskoalition hat offensichtlich noch nicht begriffen, dass die Energiewende viel stärkere Veränderungen nach sich zieht, wobei die Digitalisierung und die damit ver- bundenen Möglichkeiten zur Überwachung und Steu- erung von Heizungsanlagen noch gar nicht betrachtet wurden. Hier bedarf es erheblicher Arbeiten und Verän- derungen, die sich sowohl an klaren Zielen des Klima- schutzes ausrichten als auch nachhaltige Veränderungen anstreben und offensichtlich nur von uns Grünen betrie- ben werden. Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der am 19. Juni 1997 beschlossenen Urkunde zur Abände- rung der Verfassung der Internationalen Arbeits- organisation (Tagesordnungspunkt 27) Dr. Martin Pätzold (CDU/CSU): Wir befassen uns heute mit einer Urkunde zur Abänderung der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation, die am 19. Juni 1997, also heute vor fast genau 20 Jahren, beschlossen wurde. Die Urkunde sollte und soll es den Mitgliedstaa- ten der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) noch heute ermöglichen, Übereinkommen, die veraltet oder nicht mehr relevant sind, aufzuheben, was bis dahin nur durch eine Neufassung der entsprechenden Abkommen möglich war. Seit ihrer Gründung im Jahre 1919 hat die IAO bereits über 180 Übereinkommen abgeschlossen. Im Laufe ihrer Geschichte gab es einen Weltkrieg, ei- nen Kalten Krieg und starke wirtschaftliche Veränderun- gen in der Welt. Wer hätte damals daran geglaubt, welch beeindruckende Geschichte die asiatischen Volkswirt- schaften zurücklegen würden, und wer hätte sich vor- stellen können, dass im einst so verfeindeten Europa ein riesiger Binnenmarkt entstehen würde? Da ist es nicht überraschend, dass unter den knapp 200 Abkommen auch welche existieren, die in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung verloren haben und keinen nützlichen Beitrag Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 201724688 (A) (C) (B) (D) zur Erreichung der Ziele der Organisation mehr leisten. An dieser Stelle ist es gut und richtig, dass es der Kon- ferenz der Delegierten der Mitgliedstaaten freisteht, Ab- kommen auf Vorschlag des Verwaltungsrats aufzuheben. Warum ist es richtig, diese Urkunde zu ratifizieren? Die IAO hat 187 Mitgliedstaaten und vereinigt dadurch fast alle Staaten der Welt. Die zehn Mitgliedstaaten, de- nen wirtschaftlich die größte Bedeutung zukommt, sind ständige Mitglieder der Allgemeinen Konferenz der IAO. Diese Staaten haben also eine große Verantwortung in- nerhalb der Organisation. Auch Deutschland zählt dazu. Über zwei Drittel der Mitgliedsländer haben die Urkunde bereits ratifiziert. Mit der nun geplanten Ratifizierung der Urkunde würde die Bundesrepublik ein klares, deutliches und wichtiges Signal aussenden, dass der Schutz der Ar- beitnehmerrechte und die Wahrung der Menschenrechte und der sozialen Standards unverzichtbar in der heutigen Welt sind. 70 bis 80 Prozent der Beschäftigten weltweit sind ohne oder nur mit unzureichender sozialer Absicherung beruflich tätig. Es ist eine der großen Aufgaben unseres Jahrhunderts, diesen Wert zu senken und nach Möglich- keit dahin gehend zu verändern, dass nach den nächsten 98 Jahren Existenz der IAO die Statistik lautet: 80 Pro- zent der Beschäftigten verfügen über eine sehr gute sozi- ale Absicherung. Die Internationale Arbeitsorganisation ist die einzige UN-Organisation, in der nicht nur Vertreter von Regie- rungen zu finden sind, sondern zu gleichen Teilen auch Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Diese Struktur mag vielleicht mit ein Geheimnis dafür sein, warum die IAO in den vergangenen Jahren so gut arbei- ten und effektiv gegen Kinderarmut und informelle Be- schäftigung vorgehen konnte. Sie ermöglicht es der IAO aber auch, eine Plattform zu sein, auf der alle Akteure diskutieren und gemeinsam realistische und langfris- tig orientierte Antworten auf die drängenden Probleme finden. Von dem ausgehend kann durch den Dialog der Beteiligten ein abgestimmtes Handeln garantiert werden. Die IAO wurde nicht umsonst mit dem Friedensnobel- preis geehrt; denn wie sie in der Präambel ihrer Verfas- sung festgeschrieben hat: „Der Weltfrieden kann auf die Dauer nur auf sozialer Gerechtigkeit aufgebaut werden.“ Und in den kommenden Jahrzehnten mangelt es inter- national betrachtet nicht an Baustellen, auf denen die soziale Gerechtigkeit ausgebaut werden muss. Dabei hat die IAO eine herausragende Position bei der sozialen Ge- staltung der Globalisierung. Es müssen gemeinsam nach- haltige Instrumente gefunden werden, um internationa- le Standards zu erhöhen und das Leben von Milliarden Menschen zu verbessern. Die IAO ist dafür gut gerüstet. Vielleicht werden Sie sich nun fragen, wo die Verbin- dung zum heutigen Tagesordnungspunkt zu finden ist. Ich möchte es Ihnen erklären: Obsolete Abkommen können eine unnötige bürokra- tische Hürde für die wirtschaftliche Entwicklung der un- terentwickelten Länder, aber auch für die Entwicklung Deutschlands darstellen. Nicht jede Regierung der Mit- gliedstaaten der IAO verfügt wie die deutsche Bundes- regierung über einen Koordinator für Bürokratieabbau, der in den letzten vier Jahren mit Erfolg dazu beigetra- gen hat, dass das Wirtschaftswachstum in Deutschland im europäischen Vergleich überdurchschnittlich ist. Der französische Präsident Emmanuel Macron hat ebenfalls erkannt, dass veraltete Arbeitsmarktgesetze die Volks- wirtschaft hemmen können. Es kann nur von europäi- schem Interesse sein, dass Frankreich innerhalb der EU mit Reformen zu alter Stärke zurückfindet, und auch, dass die Länder Afrikas außerhalb der EU eine Wirt- schaftskraft entwickeln, die den Menschen vor Ort eine Zukunftsperspektive bietet und sie nicht zur Migration zwingt. Ich bin fest davon überzeugt, dass eine Aufhebung überalterter Abkommen dazu beitragen kann, die Le- bens- und Arbeitssituation vieler, vieler Menschen weltweit zu verbessern, und bitte deshalb im Namen der CDU/CSU-Fraktion um Ihre Stimme. Unterstützen Sie die Ratifizierung, und geben Sie der Internationalen Arbeitsorganisation den Handlungsspielraum, den sie benötigt, um auf die schnell wechselnden Rahmenbedin- gungen unserer heutigen und unserer zukünftigen Welt reagieren zu können. Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD): 1921 hat die Internationale Arbeitsorganisation das Mindestalter von Kohlenziehern und Heizern auf Dampfschiffen festge- legt. Auf Schiffen dürfen seither dazu keine Jugendlichen unter 18 Jahren beschäftigt werden. Ausnahmen gibt es an Häfen, wenn nur Jugendliche zur Verfügung stehen: Dort können statt eines Erwachsenen auch zwei Jugend- liche unter 16 eingesetzt werden. Die Technik von Schiffen hat sich seit 1921 stark ver- ändert. Mit dem Einzug der Dieselmotoren verloren die Berufe des Kohlenziehers und des Schiffsheizers an Be- deutung. Auch die Rechtsetzung der ILO ist fortgeschrit- ten: Das Übereinkommen Nr. 138 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung von 1973 hat das Übereinkommen Nr. 15 (Kohlenzieher und Heizer) in- haltlich ersetzt. Man höre und staune: In Kraft war es aber immer noch. Dieses Übereinkommen Nr. 15 ist eines von sechs Abkommen, auf das die 106. Internationalen Arbeitskon- ferenz der ILO letzte Woche die Verfassungsänderung, die wir heute ratifizieren, angewandt hat. Die Änderung der Verfassung der Internationalen Ar- beitsorganisation sieht ein Verfahren vor, mit dem veral- tete und nicht mehr relevante ILO-Übereinkommen auf- gehoben werden können. Das macht inhaltlich Sinn; es gibt jedoch ein völkerrechtliches Problem: Völkerrecht- lich vertretbar wäre eine Aufhebung eines Übereinkom- mens dann, wenn alle Staaten, die das jeweilige Über- einkommen ratifiziert haben, der Aufhebung zustimmen. Die Verfassung der ILO regelt das nun anders: Sie sieht vor, dass die Konferenz der ILO mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen der anwesenden Delegierten Übereinkommen aufheben kann. Deutschland hat wegen dieser völkerrechtlichen Ein- schätzung die Ratifizierung der Verfassungsänderung lange nicht eingeleitet. Die überwiegende Mehrheit der ILO-Mitgliedstaaten teilt diese Auffassung jedoch nicht. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 240. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 22. Juni 2017 24689 (A) (C) (B) (D) Die Änderung der ILO-Verfassung trat am 8. Oktober 2015 für alle ILO-Mitglieder in Kraft, weil eine ausrei- chende Anzahl an Mitgliedstaaten die Änderung ratifi- ziert hat. Damit gilt sie auch für Deutschland. Mit der Ratifizierung vollziehen wir nun die bereits in Kraft getretene Änderung nach. Dies ist nach unserer Verfassung geboten. Die Alternative wäre nur der Aus- tritt aus der ILO. Das aber – und das versteht sich von selbst – kommt für uns alle absolut nicht infrage. Klaus Ernst (DIE LINKE): 1997 wurde von der All- gemeinen Konferenz der Internationalen Arbeitsorgani- sation (IAO) ein Verfahren beschlossen, mit dem veralte- te und nicht mehr relevante Übereinkommen aufgehoben werden können. Bisher waren dazu zwei Schritte not- wendig. Zuerst wurde das alte Übereinkommen durch eine Neufassung der IAO aktualisiert. Diese Neufassung enthielt eine entsprechende Kündigungsklausel, die dazu führte, dass bei der folgenden Ratifizierung durch die Mitglieder der IAO das Übereinkommen automa- tisch gekündigt wurde. Einzelne Mitglieder hatten so die Chance, eine Neufassung nicht zu ratifizieren und somit dessen Kündigung zu umgehen. Die vorliegende Änderung sieht vor, dieses Verfahren zu vereinfachen. Zukünftig soll die Allgemeine Konfe- renz auf Vorschlag des Verwaltungsrates veraltete Ab- kommen direkt aufheben können. Dazu ist nur noch eine Zweidrittelmehrheit der anwesenden Delegierten erfor- derlich. Die im bisherigen Verfahren notwendige Ratifi- zierung durch die Mitgliedstaaten der IAO fällt weg. Wie Sie wissen, hat die Bundesrepublik die Abände- rungsurkunde bisher wegen völkerrechtlicher Bedenken nicht ratifiziert. Nach Auffassung der Bundesregierung wäre eine Aufhebung eines veralteten Übereinkommens völker- rechtlich nur vertretbar, wenn alle Staaten, die das betref- fende Übereinkommen ratifiziert haben, der Aufhebung zustimmen. Es müsste aus Sicht der Bundesregierung wenigstens für diese Vertragsstaaten die Möglichkeit geschaffen werden, dass das Übereinkommen zwischen ihnen weiter angewandt wird. Dieser Auffassung ist die Mehrheit der Mitglieder (unter anderem Dänemark, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Schweiz, Spanien, Vereinig- tes Königreich) nicht gefolgt. Zwei Drittel der Mitglieder der IAO haben der Abänderungsurkunde zugestimmt, wie es Artikel 36 der Verfassung der IAO erfordert. Die- se ist am 8. Oktober 2015 in Kraft getreten. Um keinen verfassungswidrigen Zustand herbeizuführen, muss die Bundesrepublik Deutschland nun ein Zustimmungsver- fahren durchführen, unabhängig jedweder Bedenken. Als Alternative würde nur die Kündigung der IAO-Verfas- sung in Betracht kommen. Dies ist weder wünschenswert noch eine realistische Perspektive. Eine Gefahr, dass ein veraltetes Übereinkommen ge- gen den Willen von Mitgliedstaaten aufgehoben werden kann, ist äußert gering. Zum einen können nur Überein- kommen aufgehoben werden, die sich als grundsätzlich hinfällig darstellen. Zum anderen müssen zwei Drittel der Mitglieder der Konferenz der Aufhebung zustimmen. Die in der Abänderungsurkunde festgeschriebene Ver- fahrensänderung ist in einem demokratischen Verfahren von zwei Dritteln der Mitglieder der IAO beschlossen worden. Aus unserer Sicht scheint das neue Verfahren zur Aufhebung veralteter Abkommen zudem praxistauglich. Die Linke begrüßt den Gesetzentwurf daher und stimmt ihm zu. Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Es hat 20 Jahre gedauert hat, bis die 1997 von der Internationalen Arbeitsorganisation IAO beschlossene Urkunde heute dem Bundestag zur Ratifikation vorgelegt wird. Die Urkunde sieht eine Abänderung der IAO-Ver- fassung vor. Sie macht es möglich, dass der Verwaltungs- rat der Allgemeinen Konferenz vorschlagen kann, veral- tete und nicht mehr relevante Übereinkommen der IAO aufzuheben. Die bisherigen Bundesregierungen waren mit der Änderung der IAO-Verfassung aus gutem Grund nicht einverstanden. Deswegen hat es 20 Jahre gedauert, bis der Bundestag damit befasst wurde. Es wurde befürchtet, dass die Aufhebung einzelner Übereinkommen wichtige internationale Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmer außer Kraft setzt. Und wir, die Bundestagsfrakti- on von Bündnis 90/Die Grünen, teilen diese Befürchtung. Die bisherigen Bundesregierungen waren der Auffas- sung, dass die Aufhebung von IAO-Übereinkünften völ- kerrechtlich nur unter zwei Bedingungen vertretbar wäre. Erstens. Alle Staaten, die einer Übereinkunft beigetreten sind, müssten der Aufhebung zustimmen. Und zweitens. Für die Vertragsstaaten muss es die Möglichkeit geben, die Übereinkommen auf freiwilliger Basis anzuwenden. Dafür warben die unterschiedlichen Bundesregierungen seit 1997 in den IAO-Gremien. Doch viele IAO-Staaten sind der deutschen Auffassung nicht gefolgt. Zwei Drit- tel der IAO-Staaten haben die Urkunde im Oktober 2015 ratifiziert. Deswegen bleibt jetzt nur noch die Wahl: Ent- weder wir kehren der IAO den Rücken, oder der deutsche Gesetzgeber ratifiziert die Urkunde. Denn wenn wir nicht ratifizieren und trotzdem in der IAO bleiben würden, wäre dies ein verfassungswidriger Zustand. Natürlich müssen wir diese Urkunde ratifizieren, und deshalb werden wir Grünen heute auch zustimmen. Denn wir stehen ohne Wenn und Aber hinter der IAO. Für uns ist sie eine enorm wichtige, sinnvolle und schützenswerte Organisation. Gerade in Zeiten globaler Wertschöpfungs- ketten muss es auf globaler Ebene eine Verständigung über internationale Rechtsnormen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik geben. Die IAO ist damit beauftragt, soziale Gerechtigkeit sowie Menschen- und Arbeitsrech- te zu befördern und Menschenhandel zu verhindern. An dieser wichtigen Aufgabe hat sich knapp 100 Jahre nach der Gründung der IAO überhaupt nichts geändert. Im Ge- genteil – neue Entwicklungen, wie die Digitalisierung, machen sie wichtiger denn je. Die Internationale Arbeitsorganisation hat seit 1919 erheblich dazu beigetragen, dass im internationalen Arbeitsrecht wichtige Normen gesetzt werden konn- Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de ten. Beispielsweise hat das erste IAO-Übereinkommen Obergrenzen für die Länge von Arbeitstag und Arbeits- woche in der Industrie definiert. Inzwischen gibt es fast 190 solcher IAO-Konventionen, die sich unter anderem mit dem Mindestalter von Beschäftigten, mit der Versi- cherung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, mit den Rechten von Seeleuten oder von Migrantinnen und Migranten befassen oder mit dem Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz. Deshalb muss die IAO weiterhin unterstützt und gestärkt werden. Der IAO-Verwaltungsrat hat nun die Möglichkeit, einzelne Übereinkommen außer Kraft zu setzen. Die Risiken sind benannt. Aber es besteht auch die Chance, das internationale Arbeitsrecht transparenter und damit auch wirkungsvoller zu gestalten. Wir hoffen sehr, dass sowohl der IAO-Verwaltungsrat als auch die Allgemei- ne Konferenz sehr verantwortungsvoll handeln werden. Gleichzeitig fordern wir die Bundesregierung auf, sich intensiv an weiteren Übereinkommen zu beteiligen. Denn es gibt nicht nur in Entwicklungsländern, sondern auch in den Industriestaaten noch erhebliche Defizite bei den Arbeitsbedingungen und im Bereich der sozialen Si- cherheit. 240. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 7 Reform der Pflegeberufe TOP 8 Technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands TOP 9 Klimaschutzpolitik TOP 36, ZP 4, ZP 12 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 37, 22, ZP 5 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 6 Aktuelle Stunde zur Europapolitik der Bundesregierung TOP 10 Änderung des Grundgesetzes (Parteienfinanzierung) TOP 11 Bundeswehreinsatz in Kosovo (KFOR) TOP 12 Inklusive Bildung für alle ZP 7 Effektivere und praxistauglichere Strafverfahren TOP 14, 37 f Pestizidreduktion in der Landwirtschaft ZP 8 Strafrechtliche Rehabilitierung - Homosexualität TOP 16 Wohnungswirtschaft, Kündigungsschutz ZP 9 Portugal: Rückzahlung der IWF-Finanzhilfe TOP 18 Humanitäre Hilfe TOP 15 Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes TOP 20 Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz TOP 17 Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren TOP 19 Sicherung der tarifvertraglichen Sozialkassenverfahren TOP 21 Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern TOP 23 Gesamtkonzept Elbe TOP 24 Ärztliche Zwangsbehandlung bei Betreuten TOP 25 Berufszulassungsregelung für Immobilienmakler TOP 26 Änderung des Schornsteinfeger-Handwerksgesetzes TOP 27 Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation TOP 28 Kooperationsmodelle im Nachtzugverkehr Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1824000000

Sehr geehrter Herr Bundespräsident! Frau Bundes-

kanzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Exzellen-
zen! Verehrte Gäste! Deutschland trauert um Helmut
Kohl. Am vergangenen Freitag ist unser langjähriger
Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner pfälzischen Hei-
mat im Alter von 87 Jahren verstorben.

Dass wir seiner an diesem Ort, im Reichstagsgebäu-
de in der Mitte Berlins, der Hauptstadt des vereinten
Deutschlands, gedenken, wäre undenkbar ohne die welt-
geschichtlichen Veränderungen, die sich untrennbar mit
seinem Namen verbinden. „Welches Haus wurde tiefer
gezeichnet von den Spuren der Geschichte?“, fragte
Helmut Kohl selbst an dieser Stelle, als neu gewählter
Bundeskanzler bei einer Veranstaltung im Januar 1983
hier im Reichstagsgebäude, als unmittelbar dahinter
Mauer und Stacheldraht Berlin noch teilten und damit
Deutschland und Europa. „Kein Haus“, so der Kanz-
ler damals, „verkörpert mehr als der Reichstag die Ge-
schichte der Deutschen und ihre Hoffnung, in einem
freien Europa in Frieden zu leben.“ Die Geschichte der
Deutschen und ihre Hoffnung, in einem freien Europa in
Frieden zu leben – Helmut Kohl hat diese Hoffnung nie
aufgegeben, und wir verdanken es wesentlich ihm, dass
sie heute Realität ist: die friedliche Einheit unseres Lan-
des in einem freien und befriedeten Europa.

Als sich 1989 die von manchen längst abgeschriebe-
ne Chance ergab, ergriff Helmut Kohl mit dem sicheren
Instinkt, der den großen Staatsmann auszeichnet, die Ini-
tiative: Mit seinem am 28. November 1989 vor dem Bun-
destag im Bonner Wasserwerk verkündeten Zehn-Punk-
te-Programm gab er der friedlichen Revolution in der
DDR ihre ehrgeizige politische Richtung: hin zur deut-
schen Einheit. Es war eine Sternstunde unserer Parla-
mentsgeschichte und seine politische „Glanzleistung“,
wie sein Amtsvorgänger Helmut Schmidt anerkennend
befand. Dessen Standfestigkeit als Bundeskanzler beim
für die weitere politische Entwicklung bedeutsamen und
zugleich hochumstrittenen NATO-Doppelbeschluss hatte
Helmut Kohl schon als Oppositionsführer voll mitgetra-
gen und später ausdrücklich bekräftigt, auch als er sich –
nun selbst im Amt – heftigen Protesten Hunderttausender
Demonstranten im Bonner Hofgarten ausgesetzt sah.

„Ein Politiker, der nicht ein Stück Utopie in seinen Zie-
len hat, ist ein armer Mann“, vertraute der junge Helmut
Kohl 1968 dem Spiegel an; damals ging das noch.


(Vereinzelt Heiterkeit)


Dass die Einheit Deutschlands und Europas keine Utopie
blieb, ist maßgeblich seiner Hartnäckigkeit in Grundsatz-
fragen und seinem entschlossenen Zugriff in der konkre-
ten historischen Situation zu verdanken.

Kohl bewies 1989 eine Weitsicht, die im Westen des
geteilten Landes vielen längst abhandengekommen war.
Die Anerkennung einer eigenen DDR-Staatsangehörig-
keit zum Beispiel, für die es auch in Teilen seiner eigenen
Partei zeitweise durchaus Sympathien gab, hat es mit ihm
nie gegeben. Was folgte, war die beispiellose Erfolgsge-
schichte einer ebenso besonnenen wie zielgerichteten Di-
plomatie, ihr Ergebnis die deutsche Einheit im Staaten-
und Werteverbund des Westens, im Einvernehmen mit
allen unseren Nachbarn und mit Unterstützung wichtiger
Partner in der Welt.

Kohl wusste, dass dieses große nationale Ziel nur über
die Einigung Europas zu erringen war. Die Union der
europäischen Staaten war ihm dabei aber nie allein ein
Mittel, sondern immer ihr eigener Zweck: das große Frie-
densprojekt auf dem ehemals verfeindeten Kontinent,
das er am Ende seiner Amtszeit auch über die gemeinsa-
me Währung unumkehrbar zu machen suchte.

Die große Anteilnahme in unseren Nachbarstaaten
und die weltweiten Reaktionen auf seinen Tod unterstrei-
chen die herausragende Leistung Kohls als Ehrenbürger
Europas. Ihm wird deswegen am Samstag der nächsten
Woche in Straßburg ein bislang einzigartiger Akt der
Würdigung zuteilwerden. Aber es versteht sich beinahe
von selbst, dass Art und Ort der Würdigung einer heraus-
ragenden politischen Lebensleistung in und für Deutsch-
land bei allem Respekt nicht nur eine Familienangele-
genheit sind. Und der Deutsche Bundestag ist dafür wohl
der bestmögliche Ort: in Anwesenheit des Bundespräsi-
denten und seiner Amtsvorgänger, der Kanzlerin und der
Mitglieder der Bundesregierung, zahlreicher Botschafter
und Vertreter des Diplomatischen Korps unter Führung
seines Doyens, des Nuntius.






(A) (C)



(B) (D)


Meine Damen und Herren, Helmut Kohl wurde 1930
genau an dem Tag geboren, als hier im Reichstagsgebäu-
de ein Misstrauensantrag gegen die damals neu gebilde-
te Regierung unter Heinrich Brüning eingebracht wurde
und scheiterte – die erste der Präsidialregierungen, die,
wie wir heute wissen, das Ende der Weimarer Republik
einläuteten und den Weg in die Diktatur wiesen. An de-
ren Ende standen der vollständige moralische Zusam-
menbruch und ein Krieg, der sich schicksalhaft in die
Familienbiografien von Generationen einschrieb, auch in
die Helmut Kohls. 1989 vor der Dresdner Frauenkirche,
als der Wille der Menschen zur Einheit für alle spürbar
war, erinnerte Kohl an seine Jugend im Krieg mit dem
nie ganz verwundenen Tod des älteren Bruders an der
Front, und vor der Kirche, die damals noch Ruine war,
erneuerte er das Versprechen, das sich seine Generation
gegeben hatte: Nie wieder Krieg!

Von deutschem Boden muß in Zukunft immer Frie-
den ausgehen – das ist das Ziel unserer Gemeinsam-
keit!

Ausdruck dieses bleibenden Auftrags und Symbol
der Aussöhnung zwischen Deutschen und Franzosen ist
der unvergessene Händedruck mit François Mitterrand
über den Gräbern von Verdun 1984. Zehn Jahre später
markierte der feierlich begangene, friedliche Abzug der
letzten russischen Soldaten aus Berlin den, wie Helmut
Kohl es damals nannte, „Schlusspunkt der Nachkriegs-
geschichte Europas“, und alle, die damals dabei waren,
haben es ganz genau so empfunden.

Eine Sowjetunion, in die die einst Rote Armee hätte
zurückkehren können, gab es schon nicht mehr, dafür
aber die allgemeine Erwartung auf einen dauerhaften
Frieden. Undenkbar schien damals jedenfalls, dass die
von Boris Jelzin ausgerufene „Periode der Freundschaft
und Zusammenarbeit“ zwanzig Jahre später von der heu-
tigen russischen Führung mutwillig aufs Spiel gesetzt
werden könnte – mit der völkerrechtswidrigen Annexion
der Krim und den andauernden militärischen Auseinan-
dersetzungen im Osten der Ukraine.

Helmut Kohl dachte in historischen Perspektiven;
denn er wusste um die identitätsstiftende Kraft der Ge-
schichte. Zitat:

Politik ohne Geschichte ist wurzellos, bleibt ziellos,
ohne Grund und Perspektive. Wer die Zukunft poli-
tisch gestaltet, muß aus der geschichtlichen Erfah-
rung leben, ohne bei ihr stehen zu bleiben.

Die politischen Akzente, die er mit dieser Begründung
in seiner Amtszeit – auch gegen Widerstand – zu setzen
wusste, werden bleiben; sie prägen unser Geschichtsbe-
wusstsein und unsere Erinnerungskultur: das Deutsche
Historische Museum in Berlin etwa und das Haus der
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn,
die unsere nationale Geschichte immer auch europäisch
einbetten, aber auch die Neue Wache Unter den Linden,
die uns als Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Ge-
waltherrschaft an die entsetzlichen Verirrungen der deut-
schen Geschichte im 20. Jahrhundert erinnert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrte Gäste, in
den vielen Nachrufen der vergangenen Tage dominieren

fast zwangsläufig die immer wieder gezeigten Bilder sei-
ner Kanzlerschaft, die mit 16 Jahren länger währte als alle
anderen, und zudem die viele Menschen berührende Tra-
gik seiner letzten Lebensjahre. Dahinter tritt aber auch die
Persönlichkeit Helmut Kohls wieder stärker hervor, die
fast niemanden gleichgültig lässt. Legendär sind seine in-
tegrierende Kraft wie seine polarisierende Wirkung – im
Übrigen zwischen den Parteien ebenso wie innerhalb der
Union. Ich denke an den leidenschaftlichen Parlamenta-
rier, an den in vielerlei Hinsicht wuchtigen Debattenred-
ner und Oppositionsführer im Bundestag, der in Zeiten
Herbert Wehners und Helmut Schmidts hart austeilte und
ebenso heftig einstecken musste – ein Mann, der zuvor
in seiner rheinland-pfälzischen Heimat der jüngste Par-
lamentarier im Landtag gewesen war, jüngster Fraktions-
vorsitzender und jüngster Regierungschef, ein kraftvoller
Modernisierer und mutiger Reformer, freilich zu einer
Zeit, als Studenten eher die Revolution erwarteten und
einforderten, und über den gleichwohl der Spiegel – aus-
gerechnet der Spiegel – 1969 schrieb – Zitat –:

Wann immer … alte Zöpfe abgeschnitten wurden –
Kohl … führte die Schere ...

Den Menschen zugewandt interessierte er sich auch
später, im Bundestag, sehr für neue, junge Abgeordne-
te, und ich weiß aus eigener Erfahrung: Er beobachtete
intensiver, als diese es sich oft hatten vorstellen können,
ob sie sich auch so entwickelten, wie er das von ihnen
erwartete. Sein Gedächtnis, in politischen wie privaten
Dingen, war dabei phänomenal. Und nicht selten ver-
blüffte er seine Gesprächspartner mit Nachfragen oder
Beschreibungen aus ihrem Verantwortungsbereich zu
Vorgängen, die sie noch gar nicht kannten, er aber wohl.

Die Christlich Demokratische Union, in der er fest
verwurzelt war, verstand er immer als seine Familie, ihre
Fraktion im Bundestag, die er 2012 noch einmal besuch-
te – wer dabei gewesen ist, wird sich daran immer erin-
nern –, bezeichnete er als „seine Heimat“, sie war sein
Zuhause. Bodenständig war er und blieb er, was die, die
ihn notorisch unterschätzten, als provinziell missverstan-
den. Ausgestattet mit einem deftigen Charme und einem
ausgeprägten, mitunter spöttischen Humor verbanden
sich in ihm Gestaltungsanspruch und Machtbewusstsein,
ein unbedingter Wille und die bemerkenswerte Bega-
bung, breite Bevölkerungskreise anzusprechen – dank
eines ganz besonderen Gespürs für Menschen.

Dabei gelang ihm, auch in den internationalen Bezie-
hungen politisch enge und persönlich freundschaftliche
Beziehungen zu den wichtigen Staatschefs in aller Welt
aufzubauen, in Frankreich genauso wie in den USA und
in Russland. Er war die „personifizierte vertrauensbil-
dende Maßnahme der Weltpolitik“, wie er dieser Tage in
manchen Medien treffend gewürdigt wurde.

Typisch dafür, und im Gedächtnis der Polen ver-
mutlich stärker verankert als bei uns, sind die Umstän-
de seines Staatsbesuchs in Warschau am 9. November
1989 – ein Besuch, den Kohl zwar unterbrach, um im
welthistorischen Moment in Berlin zu sein, aber eben
nicht abbrach, sondern zur Überraschung seiner Gastge-
ber am 11. November fortsetzte.

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, in seinen Weltge-
schichtlichen Betrachtungen schreibt der bedeutende
Schweizer Historiker Jacob Burckhardt:

Sprichwörtlich heißt es: „Kein Mensch ist unersetz-
lich.“ – Aber die wenigen, die es eben doch sind,
sind groß ... Der große Mann ist ein solcher, ohne
welchen die Welt uns unvollständig schiene, weil
bestimmte große Leistungen nur durch ihn inner-
halb seiner Zeit und Umgebung möglich waren und
sonst undenkbar sind; er ist wesentlich verflochten
in den großen Hauptstrom der Ursachen und Wir-
kungen.

„Undenkbar“? Helmut Kohl hat ebenso wenig alleine die
deutsche Einheit ermöglicht wie Otto von Bismarck den
deutschen Nationalstaat. Aber beide fundamentalen Ver-
änderungen der deutschen Geschichte lassen sich ohne
deren beider Namen schwerlich vorstellen.

Die Bonner Republik begann mit Konrad Adenauer;
und sie endete in der Kanzlerschaft Helmut Kohls, der
zugleich dazu beitrug, dass ihre Grundpfeiler auch die
Berliner Republik trugen. In bedeutenden Persönlichkei-
ten spiegeln sich regelmäßig ihre Epochen. Helmut Kohls
historische Größe wird darin deutlich, dass er nicht nur
eine Ära mitprägte, sondern das Verbindungsglied zwei-
er Epochen geworden ist: Die eine half er glücklich zu
überwinden, für die andere – unsere in einem vereinten
Europa – legte er die bleibenden Grundlagen. So war
für ihn auch geradezu selbstverständlich, was für viele –
auch für mich – damals durchaus diskussionsbedürftig
war: dass ein in Frieden wiedervereinigtes Deutschland
nicht länger von Bonn, sondern wieder von Berlin regiert
und parlamentarisch kontrolliert werden müsse.

Das viele Licht um große Persönlichkeiten wirft
Schatten. Das gilt auch für Helmut Kohl, der selbst sein
Leben als einen Weg von großen Erfolgen und schweren
Niederlagen beschrieben hat. 1976 hatte Kohl als Kanz-
lerkandidat die Union mit 48,6 Prozent der abgegebenen
Stimmen bei hoher Wahlbeteiligung zum zweitbesten Er-
gebnis aller bisherigen und, wie wir inzwischen wissen,
auch künftigen Bundestagswahlen geführt


(Unruhe)


– bis heute stattgefundenen Bundestagswahlen –


(Heiterkeit)


und wurde Oppositionsführer, weil es zu den ungeschrie-
benen Regeln einer parlamentarischen Demokratie ge-
hört, dass ein Land auch gegen die mit Abstand stärkste
Partei regiert werden kann, wenn es entsprechende parla-
mentarische Mehrheiten gibt.

Kohls Weg säumten nicht zuletzt Verletzungen, die er
selbst erlitt und die er anderen zufügte. Manche Fehler
räumte Kohl selbst ein. Dass sein Abschied nach dem
Verlust der Regierungsverantwortung auch aus der akti-
ven Politik so wurde, wie es – in der Formulierung sei-
nes Biografen Hans-Peter Schwarz – die Umstände der
„kreativen Verschleierung von Parteispenden“ am Ende
erzwangen, hängt wieder mit der außergewöhnlichen,
bisweilen auch außergewöhnlich sturen Persönlichkeit
Kohls zusammen.

Sein Tod bedeutet einen tiefen Einschnitt. Mit der Ge-
neration Schumacher, Heuss und Adenauer verschwan-
den einst die Biografien, die weit vor die NS-Zeit ins
Kaiserreich zurückreichten. Mit den verstorbenen Willy
Brandt, Walter Scheel, Helmut Schmidt, Richard von
Weizsäcker, Roman Herzog, Hans-Dietrich Genscher
und nun auch Helmut Kohl werden uns die Generationen
fehlen, für die die Epoche der Weltkriege keine Erzäh-
lung, sondern eine Erfahrung war – und Europa deshalb
immer auch eine Frage von Krieg und Frieden. Sich die-
ses Erbes zu vergewissern, ist offensichtlich notwendiger
denn je.

Helmut Kohl hat Konrad Adenauer, dessen Erbe er
sich maßgeblich verpflichtet fühlte, als einen – Zitat –
„Glücksfall für Deutschland“ bezeichnet. Er selbst war
es auch: ein Glücksfall für Deutschland und für Europa.
Wir Deutschen können uns glücklich schätzen angesichts
von Persönlichkeiten seines Formats, um die uns manche
Nachbarn beneiden.

Wir verneigen uns in Respekt und Dankbarkeit vor
dem Lebenswerk Helmut Kohls, dem Kanzler der Ein-
heit und Ehrenbürger Europas. Unser Mitgefühl gilt sei-
nen Angehörigen. Wir wünschen ihnen in ihrer Trauer
Kraft und Trost.

Ich möchte Sie bitten, sich als Zeichen des Respekts,
unserer Dankbarkeit und unserer Trauer im Gedenken an
Helmut Kohl von den Plätzen zu erheben.


(Die Anwesenden erheben sich)


– Ich danke Ihnen.


(Die Anwesenden nehmen wieder Platz)


Wir unterbrechen nun diese Sitzung und setzen sie
in wenigen Minuten mit der vereinbarten Tagesordnung
fort.


(Unterbrechung von 9.25 bis 9.30 Uhr)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1824000100

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die unterbrochene

Sitzung ist wieder eröffnet.

Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, nach der
die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste auf-
geführten Punkte erweitert werden soll:

ZP 1 Beratung des Antrags der Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Monika Lazar, Luise Amtsberg,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Antisemitismus entschlossen bekämpfen

Drucksache 18/12784

ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:

Kindern das Schwimmenlernen ermögli-
chen – Auswirkungen von Privatisierungen
und Schwimmbadschließungen

ZP 3 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Verlegung des Bundeswehrkontingents von
Incirlik nach Al Azraq zügig durchführen

Drucksache 18/12779


(ZP 1 bis 3 siehe 239. Sitzung)


ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren


(Ergänzung zu TOP 36)


a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Luise Amtsberg, Katja Keul, wei-
teren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Fremdren-
tengesetzes (FRG)


Drucksache 18/12718
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der
Abgabenordnung zwecks Anerkennung der
Gemeinnützigkeit von Freifunk

Drucksache 18/12105
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss Digitale Agenda

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Meiwald, Nicole Maisch, Steffi Lemke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Umweltverschmutzung durch Mikroplastik-
freisetzung aus Kosmetika und Waschmitteln
beenden

Drucksache 18/10875
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Lisa
Paus, Kordula Schulz-Asche, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Rechtssicherheit für bürgerschaftliches En-
gagement – Gemeinnützigkeit braucht klare
Regeln

Drucksache 18/12559
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, Matthias W.
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on DIE LINKE

Geschlechtliche und sexuelle Menschenrechte
gewährleisten

Drucksache 18/12783
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kordula
Schulz-Asche, Dr. Konstantin von Notz, Maria
Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Freiwilligendienste ausbauen und weiterent-
wickeln, Engagement anerkennen und attrak-
tiver machen

Drucksache 18/12804
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kordula
Schulz-Asche, Irene Mihalic, Maria Klein-
Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Das freiwillige und ehrenamtliche Engage-
ment im Bevölkerungsschutz und in der Kata-
strophenhilfe stärken

Drucksache 18/12802
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung
Federführung strittig

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin
Andreae, Dr. Franziska Brantner, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Gesellschaftliche Teilhabe und gute Bildung
für alle Kinder und Jugendlichen sicherstellen

Drucksache 18/12795
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung

ZP 5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache


(Ergänzung zu TOP 37)


a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Schnelle Hilfe für die in Russland verfolgten
Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transperso-
nen und Intersexuellen (LGBTI)


Drucksache 18/12801

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland),
Stefan Liebich, Jan Korte, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bise-
xuellen, Transpersonen und Intersexuellen

(LGBTI) in Tschetschenien entgegentreten


Drucksachen 18/12091, 18/12824

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(12. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert
Müller (Potsdam), Katrin Kunert, Wolfgang
Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Rekrutierung von Minderjährigen für die
Bundeswehr sofort beenden und keine
Ausbildung von Jugendlichen an Waffen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Tom
Koenigs, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka
Brugger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Rekrutierung Minderjähriger in die
Bundeswehr

Drucksachen 18/10241, 18/981, 18/10543

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Matthias Gastel, Tabea Rößner,
Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Fahrverbot für laute Güterwagen

Drucksachen 18/10033, 18/11144

ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Europapolitik der Bundesregierung zwischen
Griechenland-Krise, Brexit und Europäi-
schem Rat

ZP 7 – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur effektiveren und praxistaugli-
cheren Ausgestaltung des Strafverfahrens

Drucksache 18/11277

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Strafgesetz-
buchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der
Strafprozessordnung und weiterer Gesetze

Drucksache 18/11272

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/12785

ZP 8 a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur strafrechtlichen Rehabilitie-
rung der nach dem 8. Mai 1945 wegen ein-
vernehmlicher homosexueller Handlungen
verurteilten Personen und zur Änderung
des Einkommensteuergesetzes

Drucksachen 18/12038, 18/1237, 18/12641
Nr. 1.1

– Zweite und dritte Beratung des von den Ab-
geordneten Katja Keul, Volker Beck (Köln),
Renate Künast, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Aufhebung der nach 1945 in beiden deut-
schen Staaten gemäß den §§ 175, 175a
Nummer 3 und 4 des Strafgesetzbuches
und gemäß § 151 des Strafgesetzbuches der
DDR ergangenen Unrechtsurteile

Drucksache 18/10117

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/12786


(8. Ausschuss)


Drucksache 18/12828

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-
cherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Volker Beck (Köln), Katja Keul,
Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Individuelle und kollektive Entschädigung
für die antihomosexuelle Strafverfolgung
nach 1945 in beiden deutschen Staaten

Drucksachen 18/10118, 18/12786

ZP 9 Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen

Portugal: Vorzeitige teilweise Rückzahlung
der IWF-Finanzhilfe; Einholung eines zustim-
menden Beschlusses des Deutschen Bundesta-
ges nach § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisie-
rungsmechanismusgesetzes

Drucksache 18/12733

ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Tabea
Rößner, Ulle Schauws, Katja Dörner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen
zum Schutz von Journalistinnen und Journa-
listen ermöglichen

Drucksache 18/12803

ZP 11 Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Kerstin Andreae, Ulle Schauws, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Rückkehrrecht auf Vollzeit einführen

Drucksache 18/12794

Dabei soll wie immer von der Frist für den Beginn der
Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden.

Nach dem Tagesordnungspunkt 37 – hier geht es
um die abschließenden Beratungen ohne Debatte – soll
die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangte
Aktuelle Stunde mit dem Titel „Europapolitik der Bun-
desregierung zwischen Griechenland-Krise, Brexit und
Europäischem Rat“ aufgerufen werden. Der Tagesord-
nungspunkt 13 – Spitzensportförderung – soll abgesetzt
werden. Die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b – hier
geht es um Pestizidreduktion in der Landwirtschaft – sol-
len nunmehr in Verbindung mit dem bisher ohne Debatte
vorgesehenen Tagesordnungspunkt 37 f aufgerufen wer-
den. Die Tagesordnungspunkte 14 c und 14 d – hier geht
es um den Einsatz von Glyphosat – werden abgesetzt.

An der Stelle des nach hinten rückenden Tagesord-
nungspunktes 15 a – Bundesnaturschutzgesetz – soll
mit einer Debattenzeit von 38 Minuten der Entwurf ei-
nes Gesetzes zur strafrechtlichen Rehabilitierung der
nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homo-
sexueller Handlungen verurteilten Personen und zur
Änderung des Einkommensteuergesetzes auf der Druck-
sache 18/12786 in Verbindung mit dem Gesetzentwurf
auf der Drucksache 18/10117 und dem Antrag auf der
Drucksache 18/10118 abschließend beraten werden. Der
Tagesordnungspunkt 15 b soll abgesetzt werden. Der
Tagesordnungspunkt 22 – Bekämpfung von Diskrimi-
nierung – soll nunmehr in Verbindung mit dem Tages-
ordnungspunkt 37 ohne Debatte aufgerufen werden. Da-
rüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkteliste
dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs.

Sind Sie mit diesen Veränderungen der Tagesordnung,
die Ihnen vermutlich sofort einleuchten, in genau dieser
Reihenfolge einverstanden? – Das ist doch gut so. Dann
ist die neue Tagesordnung so beschlossen.

Bevor ich den ersten Tagesordnungspunkt aufrufe,
müssen wir noch einen Geschäftsordnungsantrag be-
handeln. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD
haben fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung
um die zweite und dritte Beratung der von der Bundes-
regierung eingebrachten Gesetzentwürfe zur effektiveren
und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfah-
rens auf den Drucksachen 18/11277 und 18/12785 und
zur Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichts-
gesetzes und der Strafprozessordnung auf den Druck-
sachen 18/11272 und 18/12785 zu erweitern und im
Anschluss an Tagesordnungspunkt 12 mit einer Debat-
tenzeit von 38 Minuten zu beraten.

Über diesen Geschäftsordnungsantrag stimmen wir
jetzt ab. Wer stimmt für diesen Aufsetzungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist jeden-
falls bei einer erkennbaren hinreichenden Mehrheit der
Aufsetzungsantrag gegen die Stimmen der Opposition
angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines

(Pflegeberufereformgesetz – PflBRefG)


Drucksache 18/7823

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Gesundheit (14. Ausschuss)


Drucksache 18/12847


(8. Ausschuss)


Drucksache 18/12848

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14. Ausschuss)

Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche,
Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Eine Lobby für die Pflege – Arbeitsbedingun-
gen und Mitspracherechte von Pflegekräften
verbessern

Drucksachen 18/11414, 18/12841

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Auch das ist
offenkundig einvernehmlich. Dann können wir so ver-
fahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Georg Nüßlein für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1824000200

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die

Reform der Pflegeausbildung ist der Schlussstein in einer
Reihe von Pflegegesetzen, mit denen wir die Pflege refor-
miert haben. Sie ist der Schlussstein, der am schwierigs-
ten zu setzen war. Wir hatten im Mai des letzten Jahres
eine Anhörung zu dem Thema und haben erleben müs-
sen, dass die Fachwelt tief gespalten bei der Frage ist, ob
wir in Zukunft die Ausbildung spezialisiert machen oder
generalistisch und breit halten wollen.

Wir haben in der Tat in der sich anschließenden Dis-
kussion innerhalb der Fraktionen auf die Bedenken, die
uns vorgetragen wurden, reagiert. Ich sage an dieser Stel-
le ausdrücklich, weil es Forderungen gab, noch einmal
eine Anhörung durchzuführen: Dieses Anliegen ist da-
durch obsolet, dass wir auf das eingegangen sind, was
uns damals vorgetragen wurde.

Ich möchte am Anfang meiner Rede ganz herzlich
meinem Kollegen Lauterbach für eine verlässliche Zu-

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


sammenarbeit – nicht nur in diesem Punkt – danken. Ich
weiß nicht, ob ich Ihnen, Herr Lauterbach, damit schade.


(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Natürlich!)


Das kann ich nicht beurteilen. Nehmen Sie es als unver-
meidbaren Kollateralschaden und nicht als bedingten
Vorsatz. Wir haben gemeinsam eine ganze Menge in der
Gesundheitspolitik bewirkt.

Wenn ich davon spreche, dass die Reform der Pflege-
ausbildung der Schlussstein ist, dann muss ich etwas aus-
holen, um auf das Gewölbe insgesamt einzugehen; denn
Pflege war das Topthema dieser Legislatur. Ich danke an
dieser Stelle ganz herzlich dem Gesundheitsminister da-
für, dass er die Akzente so gesetzt hat. Ich danke ihm
auch für seine Kompromissbereitschaft in diesem heute
zu beratenden speziellen Punkt. Ich möchte in den Dank
die Kollegin Schön einschließen, die Berichterstatterin
ist, sowie die Kollegen Irlstorfer, Rüddel und Riebsamen,
die ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass wir heute an
diesen Punkt kommen. Vielen herzlichen Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD] – Petra Crone [SPD]: Wir waren auch beteiligt!)


– Natürlich gilt das ganz genauso, Frau Crone, mit der
gleichen Herzlichkeit für die Arbeitsgruppe der SPD.


(Zurufe von Abgeordneten der SPD: Ah!)


Aber ich gehe jetzt einmal davon aus, dass der Kollege
Lauterbach, der dafür zuständig ist, in seiner Rede noch
entsprechend darauf eingehen wird.


(Zuruf von der SPD: Wir sagen dazu nichts!)


Ich gehe jetzt auf die Verbesserungen ein, weil sie eine
Rolle spielen, also entscheidend sind. Wir haben die Rah-
menbedingungen für die Pflege, insbesondere für diejeni-
gen, die täglich einen harten Job auf diesem Gebiet ma-
chen, deutlich und erkennbar verbessert. Wir haben dafür
gesorgt, dass im Krankenhausbereich ein Pflegeperso-
nalzuschlag von insgesamt 500 Millionen Euro bereitge-
stellt wird, um sicherzustellen, dass die Personalkosten in
Zukunft kein Steinbruch mehr sind, um Geld zu sparen.
Wir haben ein Pflegestellen-Förderprogramm mit einem
Umfang von 660 Millionen Euro aufgelegt. Wir haben
zur Tariflohnschere gesagt: Die Tariferhöhungen werden
zur Hälfte refinanziert. Wir werden gemeinsam mit der
Selbstverwaltung eine Personaluntergrenze definieren,
damit in pflegeintensiven Bereichen keine Unterbeset-
zungen vorkommen. Wir haben dafür gesorgt, dass die
Tarifbezahlung in der Altenpflege nicht mehr als unwirt-
schaftlich hingestellt wird.


(Mechthild Rawert [SPD]: Hart erkämpft! – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben dafür gesorgt, dass vorsätzliche personelle
Unterdeckungen sanktioniert werden. Da wir das ge-
meinsam mit der SPD gemacht haben, wundere ich mich
über die Zwischenrufe an dieser Stelle.


(Petra Crone [SPD]: Wir haben nur gelacht!)


Wir haben dafür gesorgt, dass die unterstellten Perso-
nalkosten von den Einrichtungen nicht nur angemessen
nachgewiesen, sondern auch tatsächlich gezahlt werden.
Außerdem haben wir dank dem Pflegebeauftragten auch
dafür gesorgt, dass es zu einer Entbürokratisierung in der
Pflegedokumentation kommt.

Warum erzähle ich das einleitend, bevor ich auf den
Gesetzentwurf als solchen eingehe? Mich hat in der Dis-
kussion vieles geärgert – das sage ich ganz ehrlich –,
insbesondere dass die, die ganz besonders für die Gene-
ralistik waren, eigentlich nur berufspolitische Argumen-
te vorgetragen haben, obwohl es doch viele gute andere
Argumente dafür gibt, eine Ausbildung, die sich in wei-
ten Teilen überschneidet, stärker zu verzahnen. Es gibt
auch gute Argumente dafür, übergeordnet auszubilden;
schließlich leben wir in einer Zeit, in der es immer mehr
Multimorbidität gibt, in der wir mehr Kenntnisse über
den Umgang mit Alten in Krankenhäusern brauchen. Für
all das gibt es Argumente.

Aber am meisten geärgert hat mich, dass man all jenen,
die kritisch mit dieser Thematik umgegangen sind, in die
Schuhe schieben wollte, sie wollten den Beruf nicht auf-
werten und nicht dafür Sorge tragen, dass die Löhne stei-
gen. Wenn das so wäre, dann hätten wir all die Dinge, die
ich gerade beschrieben habe, so nicht gemacht. Dass man
uns das so in die Schuhe schieben wollte, war unlauter.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt immer noch ein paar, die mit dem Kompro-
miss, der aus meiner Sicht das Thema „generalistische
Ausbildung“ schwerpunktmäßig im Bereich der klassi-
schen Krankenpflege intelligent verzahnt, und mit dem
Erhalt des Berufsbildes der Altenpflege und der Kinder-
krankenpflege kritisch umgehen. Ich sage Ihnen ganz
ehrlich: Diese Kritik, die die Opposition nachher in allen
Farben vortragen wird, kann eigentlich noch gar nicht
vorgetragen werden, weil man noch gar nicht wissen
kann, was am Ende kommt. Denn das Entscheidende ist
doch, meine Damen und Herren, dass wir hier nur einen
Rahmen vorgeben. Dieser Rahmen muss in der nächsten
Legislatur – so ist es halt – gefüllt werden mit der Verord-
nung zu den Lerninhalten, die der nächste Deutsche Bun-
destag festlegen wird. Wir haben dafür gesorgt, dass das
mit Zustimmung des Deutschen Bundestags stattfinden
wird, dass das also nicht alleiniges Regierungshandeln
bleibt, sondern dass der Bundestag bei dieser wichtigen
Frage auch im Boot bleibt. Es ist äußerst wichtig – so
glaube ich –, dass das so kommt.

Weiter haben wir dafür gesorgt, dass Hauptschüler
und Quereinsteiger mit an Bord bleiben. Das muss und
wird sich bei den Lerninhalten niederschlagen. In mei-
nem Bundesland arbeiten bis zu 40 Prozent Hauptschüler
in der Altenpflege. Es macht überhaupt keinen Sinn – wie
es uns der Deutsche Pflegerat nahegelegt hat –, die ganze
Ausbildung so hoch zu hängen, dass wir diese wichti-
gen Leute, die mit Fachkenntnis, aber auch mit Empa-
thie pflegen, am Schluss verlieren. Das war das eigent-
liche Anliegen, warum wir diese Reform, Herr Kollege
Lauterbach, so gestrickt haben, wie wir sie gestrickt ha-

Dr. Georg Nüßlein






(A) (C)



(B) (D)


ben. Ich glaube, das ist etwas, was man gar nicht massiv
und lange genug hervorheben kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD])


Nun wird es in den Grundzügen so sein, wie ich es
schon beschrieben habe: Die Krankenpflege wird durch
eine generalistische, breite Ausbildung ersetzt, sodass
derjenige, der eine Krankenpflegeausbildung gemacht
hat, am Ende beispielsweise auch in der Altenpflege tätig
werden kann. Die Alten- und die Kinderkrankenpflege
bleiben erhalten, es gibt aber zwei gemeinsame Jahre.
Nach diesen zwei gemeinsamen Jahren wählt der bzw.
die Auszubildende den weiteren Weg. Im dritten Jahr
kann man sich für eine Spezialisierung, etwa als Alten-
pfleger oder Kinderkrankenschwester, entscheiden oder
sich anders orientieren und eine generalistische Ausbil-
dung anstreben.

Diese Wahlfreiheit ist eigentlich der Kern dieses Kom-
promisses. Nicht die Politik entscheidet, sondern es ent-
scheidet der Arbeitsmarkt, es entscheiden insbesondere
diejenigen, die die Ausbildungen absolvieren. Ich glaube,
es liegt sehr nahe, das so auszugestalten, und es ist auch
richtig, das so zu machen.

Nun weiß niemand, wie diese Entscheidungen aus-
gehen, aber es gibt schon erste Vorwürfe. Deshalb sage
ich Ihnen: Es gibt keinen Automatismus im Gesetz, wie
immer behauptet wird. 2020 wird das Gesetz in Kraft tre-
ten, und das Ergebnis wird im Jahr 2026 evaluiert. Sechs
Jahre später wird also evaluiert, und dann entscheidet der
Deutsche Bundestag frei, wie er immer frei entscheidet,
in welche Richtung das Ganze gehen wird. Er entscheidet
ganz unabhängig, ob er das eine oder das andere fort-
setzen wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das
gegen den Arbeitsmarkt oder gar gegen die Auszubilden-
den entscheiden wird. Insofern ist mir gar nicht bange,
dass das, was in diesem Gesetz angelegt ist, tatsächlich
gelingt.

Die große, wichtige Botschaft in dem Zusammenhang
ist: Wir schaffen über den Ausbildungsfonds das Schul-
geld ab. Es ist unsäglich, dass es noch Bundesländer gibt,
die Schulgeld verlangen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Jetzt kann man sagen: Das dauert ja noch, bis das Ganze
in Kraft tritt. – Ich lege denjenigen, die es bisher noch
nicht abgeschafft haben – Nordrhein-Westfalen bei-
spielsweise unter der alten SPD-Regierung –, nahe, das
Thema entsprechend zu bearbeiten.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Schulgeld gibt es in Nordrhein-Westfalen nicht! Sie haben überhaupt keine Ahnung!)


– Das Schuldgeld gibt es nicht mehr?


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr Herr Laumann hat das Schulgeld hinterlassen!)


– Ja, dann sind wir ja froh – ich traue Ihnen das zu, dass
das stimmt –, wenn es abgeschafft worden ist. Wenn der
Herr Laumann das schon gemacht hat,


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, der hat es gerade nicht gemacht!)


dann ist das wunderbar. Dann nehme ich alles zurück.
Trotzdem bleibt der Hinweis an die Länder, die es noch
nicht getan haben


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerade NRW hat eine sehr gute Umlage! Das war das Beispiel! Das ist unverschämt, was Sie sagen!)


– ich bin ja nun nicht für die Länder zuständig –, es recht-
zeitig zu tun.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1824000300

Herr Kollege.


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1824000400

Ich bin der Meinung, wir sind hier einen richtigen

Weg gegangen. Wir sorgen für eine neue Finanzierungs-
grundlage, und wir sorgen für eine inhaltliche Reform.
Das wird letztlich von den Auszubildenden – nicht von
der Politik – sinnvoll entschieden. Und wenn ich mir das
Geschreie hier anhöre, ist es gut, dass das nicht die Po-
litik macht.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1824000500

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Pia

Zimmermann das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Pia Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824000600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen
Koalition! Mit dem Pflegeberufereformgesetz haben Sie
große Erwartungen geweckt. Sie haben eine Reform der
Pflegeberufe versprochen. Tatsächlich haben Sie jetzt
ein großes Durcheinander vorgelegt, und Sie nennen das
auch noch „Kompromiss“. Ja, und tatsächlich ist es ein
Kompromiss, aber auf rein politischer Ebene. Mit Fach-
lichkeit hat diese Gesetzesvorlage jedenfalls nicht viel zu
tun, und eine Reform ist es schon gar nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Vor über einem Jahr haben Sie uns einen Gesetzent-
wurf vorgelegt. Monatelang haben Sie nicht nur uns,
sondern vor allen Dingen auch die Betroffenen, also die
Schulen, die Auszubildenden, am Ende auch die Men-
schen mit Pflegebedarf und deren Angehörige, im Regen

Dr. Georg Nüßlein






(A) (C)



(B) (D)


stehen lassen. Kein Bild, kein Ton – meine Damen und
Herren, so geht das nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Was Sie jetzt im Eilverfahren vorgelegt haben, verbes-
sert gar nichts. Das wissen Sie offenbar selbst; denn Sie
haben eine bereits terminierte Anhörung mit den Stim-
men der SPD abgesagt.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Zehn Jahre Eilvorlage!)


Zwölf Stunden vor den Beratungen haben Sie uns 46 Än-
derungsanträge auf 81 Seiten vorgelegt, die bereits
14 Tage vorhanden waren. Nennen Sie das einen demo-
kratischen Prozess? Ich nicht!


(Beifall bei der LINKEN – Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Bleiben Sie bei der Wahrheit!)


Inzwischen haben Sie Ihr eigenes Gesetz so sehr ver-
ändert, dass nicht einmal mehr Ihre einstigen Unterstüt-
zerinnen und Unterstützer sich damit noch identifizieren
können. Ich habe Ihnen einige Zitate von Verbänden mit-
gebracht, die normalerweise Ihre Positionen vertreten:

Dieser Alternativvorschlag ist berufspolitisch rück-
ständig und pädagogisch unsinnig.

Das sagt der Bundesverband Lehrende Gesundheits- und
Sozialberufe.

Bereits jetzt ist absehbar,

dass die Kapazitäten für bestimmte Ausbildungsab-
schnitte nicht flächendeckend zur Verfügung stehen.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Woher wissen die denn das?)


Das birgt die Gefahr, dass sich die Ausbildungszeit
verlängert und der Fachkräftemangel eher verstärkt
wird.

Das sagt der Verband der Krankenhausdirektoren
Deutschlands.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Der disqualifiziert sich selber!)


Nach einem unvorstellbaren Gewürge gibt es jetzt
einen Kompromiss von Union und SPD.


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Politik lebt von Kompromissen, Frau Kollegin!)


Unsere Befürchtung bleibt: Dank dieses bürokrati-
schen Kuddelmuddels werden Unternehmen weni-
ger ausbilden. ... Die alten Menschen und die Alten-
pflege werden zum Opfer dieser Reform.

Das sagt der Arbeitgeberverband Pflege.


(Petra Crone [SPD]: Auf die Seite würde ich mich auch schlagen! Sehr erstaunlich! – Weitere Zurufe von der SPD)


Ich sage, meine Damen und Herren: Deutlicher geht es
nicht mehr.

Dieses Gesetz macht die Pflegeausbildung nicht at-
traktiver. Im Gegenteil: Durch die Unübersichtlichkeit

der verschiedenen Ausbildungsgänge und -abschlüsse
wird kaum noch jemand wissen, wofür sie oder er sich
entscheiden soll. Angesichts der schlechten Arbeitsbedin-
gungen, der geringen Bezahlung und der katastrophalen
Personalsituation gibt es dann nicht mehr viele Gründe,
sich überhaupt noch für den Pflegeberuf zu entscheiden.

Meine Damen und Herren, dieses Gesetz wertet den
Pflegeberuf auch nicht auf. Im Gegenteil: Es wird dazu
führen, dass die Altenpflege weiter abgehängt wird, statt
dass sie gefördert wird. Es wird im schlimmsten Fall so-
gar zu einer Deprofessionalisierung der Pflegekräfte in
allen Bereichen führen,


(Maria Michalk [CDU/CSU]: So ein Unsinn!)


weil die fachlichen Kompetenzen der verschiedenen
Pflegeberufe nicht gestärkt werden.

Dieses Gesetz verbessert die Ausbildungsbedingun-
gen nicht. Im Gegenteil: Die praktische Ausbildung wird
noch unübersichtlicher, als sie ohnehin schon ist. Bis
heute liegt keine Ausbildungs- und Prüfungsverordnung
vor – trotz Ihrer Zusicherung, diese Verordnung zur Ge-
setzesverabschiedung im Entwurf vorzulegen.

Die Finanzierung der Ausbildung ist bis heute nicht
vollständig geklärt. Nach seriösen Berechnungen wird
Ihr Finanzplan nicht aufgehen. Außerdem werden mit
Ihrem Entwurf die Ausbildungskosten auf Menschen mit
Pflegebedarf in stationären Einrichtungen umgelegt. Das
darf nicht sein. Was wollen Sie den Menschen denn ei-
gentlich noch zumuten?


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, dieses Gesetz ist keine
gute Entscheidung für die Pflege. Keine Entscheidung
wäre besser als das, was uns hier vorliegt. Mit diesem
faulen Kompromiss mit dem trügerischen Namen „Pfle-
geberufereformgesetz“ haben Sie einen Koalitionsstreit
auf dem Rücken der Pflegekräfte und der zu pflegenden
Menschen ausgetragen. Das ist unglaublich.


(Beifall bei der LINKEN)


Um den Pflegeberuf attraktiver zu machen, braucht es
nicht nur eine viel bessere Ausbildungsreform; man muss
vor allem die Rahmenbedingungen verbessern, und zwar
sofort. Die Pflege braucht eine feste Personalbemes-
sung – nicht erst nach 2020 in der Altenpflege und nicht
nur für ausgewählte Bereiche im Krankenhaus.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Pflege braucht eine allgemein verbindliche tarif-
liche Bezahlung in allen Bereichen, die von den Kassen
finanziert werden, und die Pflege braucht mehr Mitbe-
stimmung aller Beteiligten: der Pflegekräfte, der Ange-
hörigen und der Menschen mit Pflegebedarf.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, nur so kann eine gute Pfle-
ge gelingen, und dafür setzen wir Linke uns ein.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)


Pia Zimmermann






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1824000700

Für die Bundesregierung hat nun die zuständige Bun-

desministerin Frau Dr. Barley das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Katarina Barley, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Gerade gestern habe ich an dieser Stelle den
Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung
vorgestellt. Ein wichtiges Element darin war die Aufwer-
tung sozialer Berufe. Genau mit diesem Vorhaben ma-
chen wir Ernst.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn das so wäre!)


Das Gesetz zur Reform der Pflegeberufe ist ein großer
Schritt in Richtung einer Aufwertung der sozialen Beru-
fe.

Sehr geehrte Frau Zimmermann, wenn die Linke jetzt
anfängt, den Arbeitgeberverband Pflege und den Verband
der Krankenhausdirektoren Deutschlands zu zitieren,
dann sollten Sie sich einmal Gedanken darüber machen,
ob Sie da vielleicht nicht auf einer etwas schiefen Ebene
sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Maria Michalk [CDU/CSU]: Dann ist da was schief! – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Möglicherweise sind sie klüger geworden!)


Heute hat sich Annelie Buntenbach vom Deutschen
Gewerkschaftsbund dahin gehend geäußert, dass diese
Reform längst überfällig sei und insbesondere im Bereich
Mitbestimmung ganz große Fortschritte bringen werde.
Wer einmal Angehörige selbst gepflegt hat, der weiß, was
das für eine Herausforderung ist – emotional, körperlich,
mental –, aber auch wie bereichernd diese Tätigkeit sein
kann. Wer diese Tätigkeit als Beruf wählt, der wählt den
Dienst am Menschen mit all den Herausforderungen, und
das verdient erst einmal unseren allerhöchsten Respekt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Eine neue Struktur der Pflegeausbildung ist deswegen
vor allem eine Sache von Wertschätzung, von Gerechtig-
keit und von Weitsicht –


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Nur Worthülsen!)


Wertschätzung dafür, was diese Männer und Frauen je-
den Tag leisten, Gerechtigkeit, weil wir vor allen Din-
gen die Altenpflege deutlich aufwerten, und Weitsicht,
weil wir die Pflege attraktiver machen müssen. Denn wir
wissen: Nachwuchs wird schon heute dringend gesucht,
und wir müssen sicherstellen, dass die pflegebedürftigen
Menschen auch in Zukunft alle Unterstützung bekom-
men, die sie brauchen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU])


Wir brauchen eine generalistische Pflegeausbildung,
weil immer mehr ältere Menschen im Krankenhaus
liegen, die mehr pflegerische Zuwendung brauchen als
jüngere, weil in den Pflegeheimen eine steigende Anzahl
von Menschen lebt, die auch Krankenpflege brauchen,
und weil in der wichtigen ambulanten Pflege Akutpfle-
ge und Langzeitpflege beherrscht werden müssen, wes-
wegen diese Bereiche nicht getrennt werden können.
Was ist hieran nun das Neue? Wir reagieren darauf, in-
dem wir Krankenpflege und Altenpflege einander annä-
hern, indem Pflegekräfte eine moderne, generalistische
Ausbildung erhalten, die EU-weit anerkannt ist. Deren
Abschluss eröffnet sogar noch die Möglichkeit zum
Pflegestudium, das heißt, wir schaffen auch mehr Auf-
stiegschancen in der Pflege.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU])


Außerdem wird es eine Differenzierung im dritten Aus-
bildungsjahr geben. Ich gebe zu: Das ist nicht die von
mir favorisierte Lösung gewesen. Wir haben aber gehört,
dass es nach sechs Jahren eine Evaluierung geben wird,
und wir werden sehen, ob sich dann Änderungsbedarf
zeigt.

Einen Punkt, der mir besonders wichtig ist, möchte ich
noch ansprechen: Es gibt nur wenige Berufe, in denen
man zur Ausbildung noch Geld mitbringen muss und kei-
ne Ausbildungsvergütung erhält. Interessanterweise sind
das meistens Berufe, in denen überwiegend Frauen tätig
sind.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehr als Männer!)


Ich halte es für einen riesigen Erfolg, dass wir die Ausbil-
dungsfinanzierung neu regeln, das Schulgeld abschaffen
und einen Ausbildungsfonds einrichten, der eine siche-
re Finanzierungsgrundlage bietet. Alle Auszubildenden
werden eine angemessene Vergütung erhalten. Der Fonds
ist nicht gedeckelt, das heißt, es wird jeder Bedarf ge-
deckt werden, es wird keine Platzbegrenzung geben.
Eine solche moderne Pflegeausbildung, sehr geehrte
Damen und Herren, ist eine Frage von Wertschätzung,
von Gerechtigkeit und von Weitsicht. Wir brauchen gut
ausgebildete, motivierte, engagierte Menschen in den so-
zialen Berufen, die sich um andere Menschen kümmern,
die das – gerade in der Pflege – auch ein Stück weit als
Berufung empfinden, damit unser Land für alle lebens-
und liebenswert bleibt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich bedanke mich sehr, insbesondere – das vielleicht
zuletzt, da ich noch ein paar Sekunden Redezeit habe –
für die ausgesprochen gute Zusammenarbeit mit dem
Bundesministerium für Gesundheit. Das kann ich zwar
jetzt nicht aus eigener Anschauung sagen, weil der Groß-
teil des Prozesses unter meiner Vorgängerin Manuela
Schwesig abgelaufen ist, aber das gesamte Haus hat mir
versichert, dass es ein ausgesprochen produktives Zu-
sammenwirken gab. An dieser Stelle dafür herzlichen
Dank!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1824000800

Die zuletzt vorgetragene Vermutung kann der gleich

folgende Bundesminister für Gesundheit ja mögli-
cherweise bestätigen. Vorher hat aber die Kollegin
Scharfenberg für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach etwa ei-
nem Jahr Stillstand stolpert diese Koalition heute auf den
letzten Metern in die Reform der Pflegeausbildung,


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Stillstand? – Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist die Zielgerade, nicht stolpern! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Schlussspurt!)


über die mit äußerst harten Bandagen gestritten wurde
und eigentlich auch immer noch wird. Es geht nicht um
irgendetwas, es geht um die grundlegende Veränderung
dreier Berufsbilder. Sie betrifft Millionen von Menschen:
Pflegebedürftige, Patientinnen und Patienten zu Hause,
in Pflegeheimen, in Krankenhäusern. Sie betrifft natür-
lich auch die Pflegekräfte von morgen, nämlich die zu-
künftigen Auszubildenden. Ich frage Sie: Hält dieser Ge-
setzentwurf insgesamt das, wofür er angetreten ist,


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Ja!)


was Sie uns versprechen? Wird er die Pflegeberufe at-
traktiver machen, und wird er die Pflegeberufe aufwer-
ten?


(Mechthild Rawert [SPD]: Ja!)


Wird dieser Gesetzentwurf mehr Menschen für die pro-
fessionelle Pflege gewinnen?


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Ja!)


Wir Grünen sagen dazu ganz klar Nein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tino Sorge [CDU/CSU]: Das haben sie auch schon einmal differenzierter gemacht!)


Um die Ziele – Attraktivität und Aufwertung – zu er-
reichen, muss die Reform ein klares Berufsbild vermit-
teln und ein verlässliches Umsetzungskonzept liefern.
Von beidem sind wir ganz weit entfernt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben viel Unsicherheit sowie viele Fragen, die uns
von der Koalition und der Bundesregierung niemand ein-
deutig und schlüssig beantworten konnte und auch nicht
kann. An drei Beispielen möchte ich das gerne deutlich
machen.

Erstens. Wir brauchen eine neue Ausbildungs- und
Prüfungsverordnung. Diese Verordnung ist quasi der
Ausbildungslehrplan. Darin steht, was die Schulen den
Pflegeazubis beibringen sollen. Diese Verordnung liegt
uns noch nicht vor. Wir beschließen also heute ein Ge-
setz, dessen Inhalt wir eigentlich nicht kennen. Bei so ei-

ner umstrittenen Reform sollten jedoch alle von Anfang
an ganz genau wissen, was auf sie zukommt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Herr Nüßlein, Sie haben die Wahlfreiheit
angesprochen. Dieses Gesetz wirbt mit einer Wahlfrei-
heit. Konkret bietet es aber nur eine Scheinwahl. Azu-
bis, die sich für einen Abschluss in der Alten- oder in
der Kinderkrankenpflege entscheiden, können nach zwei
Jahren in die generalistische Ausbildung wechseln. Die-
se Wahlfreiheit funktioniert. Azubis aber, die sich für die
Generalistik entschieden haben, haben keine Wahl. Sie
können nach zwei Jahren nicht in die Alten- oder Kinder-
krankenpflege wechseln.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sie können wählen! Sie können am Anfang wählen!)


Ich frage Sie: Was ist das für eine Wahlfreiheit, die nicht
allen Azubis zusteht?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mechthild Rawert [SPD]: Das ist falsch!)


Es kann doch gut möglich sein, dass jemand nach zwei
Jahren lieber in die Alten- oder in die Kinderkrankenpfle-
ge wechseln möchte. Fehlanzeige, für diejenigen lässt
das Gesetz im Moment nichts anderes zu.

Es ist richtig und wichtig, dass wir Ende 2025 eine
Evaluierung vorsehen und schauen, wie viel Prozent der
Azubis sich für die spezialisierte Ausbildung der Alten-
und Kinderkrankenpflege entschieden haben. Meine Da-
men und Herren, aber diese blanken Zahlen dürfen nicht
das Entscheidungskriterium für oder gegen die Zukunft
eines Berufsbildes sein. Es muss die Qualität eine Rolle
spielen, und es muss geschaut werden, welche Qualitäten
die zukünftigen Pflegekräfte mitbringen. Es kann sein,
dass die Mehrheit der Krankenhäuser und Pflegeeinrich-
tungen im Jahr 2025 zurückmeldet, dass die generalis-
tisch ausgebildeten Kräfte nicht qualifiziert genug sind
und die spezialisierten Kräfte viel besser sind. Hier brau-
chen wir eine ehrliche Analyse.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Ja, macht der Bundestag immer!)


Drittens. Bei der praktischen Umsetzung ist noch ganz
vieles offen. Im Rahmen der zweijährigen generalisti-
schen Grundausbildung müssen alle Azubis praktische
Einsätze in allen Bereichen absolvieren. Das ist sehr am-
bitioniert. Grundsätzlich wird es schwierig, ausreichend
Praxisplätze in der Pädiatrie zu finden. Es steht immer
noch im Raum, dass auch Kinder- und Jugendhilfeein-
richtungen geeignete Praxisorte sein sollen. Das ist und
bleibt für die Pflegeausbildung einfach absurd.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


So schön Sie das auch reden, es drohen einige Schwierig-
keiten in der Umsetzung.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalition, an-
gesichts dieser Probleme wäre es notwendig gewesen, zu
diesem Kompromiss die Fachleute aus der Wissenschaft
und von den Fachverbänden noch einmal anzuhören.






(A) (C)



(B) (D)


Aber dem haben Sie sich kategorisch verweigert. Die
Probleme bleiben trotzdem ungeklärt. Das ist unverant-
wortlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Auswirkungen dieser Reform werden uns noch sehr
lange beschäftigen. Sie produzieren hier die eierlegende
Wollmilchsau, ein Fabelwesen, das alles können soll, und
das auf einen Schlag. Alles, woran es in der Pflege hakt,
soll auf einmal vom Tisch sein. Das ist ein Ding der Un-
möglichkeit.

Eine Reform der Pflegeausbildung ist nicht das All-
heilmittel gegen den Fachkräftemangel, gegen schlechte
Bezahlung, gegen den Pflegekräftefrust.


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist wahr! Das hat ja auch niemand gesagt! – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Haben wir das je behauptet, Frau Kollegin?)


– So wurde das immer kolportiert. – Eine Pflegeberufe-
reform macht noch keine Attraktivitätssteigerung des
Berufes aus. Gerade der Fachkräftemangel ist doch der
Dreh- und Angelpunkt, und hier brauchen wir eigene
Maßnahmen. Das haben Sie in dieser Wahlperiode nicht
wirklich und ehrlich angepackt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In unserem Antrag „Eine Lobby für die Pflege“, über
den heute ebenfalls hier abgestimmt wird, haben wir ei-
nige notwendige Maßnahmen genannt. Da geht es um
die schnellstmögliche Einführung eines Personalbemes-
sungsinstruments in der Altenpflege und im Kranken-
haus.


(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Da geht es um die Unterstützung familienfreundlicher,
mitarbeiterorientierter Arbeitsbedingungen. Da geht
es um die Unterstützung angemessener Gehälter in der
Pflege, zum Beispiel durch einen allgemein verbindli-
chen Tarifvertrag „Soziales“. Es geht um die Stärkung
der professionellen Pflege in den Gremien und in der
Selbstverwaltung. Es geht um eine nachhaltige und eine
gerechte Finanzierung der Pflege durch eine Bürgerversi-
cherung. – All das sind unerledigte Aufgaben.

So bleibt am Ende die bittere Erkenntnis: Die Pflege-
kräfte warten noch immer auf Hilfe, und es bleibt sehr
viel zu tun – für Sie. Denn das hier ist heute meine letzte
Rede im Deutschen Bundestag. Ich habe mich entschie-
den, nicht ein weiteres Mal zu kandidieren.


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das ist wirklich schade!)


Ich war hier zwölf Jahre Mitglied – drei Legislaturen, in
denen sehr viel passiert ist, und das meine ich nicht nur
politisch. Diese zwölf Jahre waren auch für mich persön-
lich sehr wichtige Jahre, und ich habe in dieser Zeit sehr
viel gelernt – über Politik, über Strategie, über menschli-

che Abgründe, über persönliche Grenzen und auch über
Grenzüberschreitungen,


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: So schlimm bei den Grünen?)


aber auch viel über Toleranz, über Verständnis und auch
über Empathie. Ich habe selbst manchmal umparken
müssen im Kopf, und dafür bin ich sehr dankbar.


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das hat aber gut funktioniert!)


Ich muss sagen – auch das gehört zu meinem Umpar-
ken im Kopf –: Es gibt in allen Fraktionen wunderbare
Kolleginnen und Kollegen. Ich bedanke mich ganz herz-
lich für die gute Zusammenarbeit. Wir alle treten für un-
sere Parteien und für unsere Fraktionen an, und jeder und
jede mit vollster Überzeugung.

Es gab viele harte politische Auseinandersetzungen,
und wir haben in dieser Legislatur eine Mehrheit, die für
mich persönlich und, wie ich glaube, für viele in der Op-
position eine echte Herausforderung war und auch noch
ist.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Soll es ja auch sein!)


Aber ich akzeptiere das; denn jeder und jede von uns ist
demokratisch gewählt und hat hier seinen Platz. Auch da-
für bin ich dankbar.

Ich bin dankbar dafür, Teil einer funktionierenden
Demokratie zu sein. Ich bin dankbar dafür, dass ich hier
morgens im Parlament beispielsweise den Gesundheits-
minister Gröhe sehr scharf kritisieren kann und trotzdem
sicher bin, dass ich mich abends deshalb nicht in irgend-
einem Gefängnis wiederfinde.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


– Ja. Es gibt jedoch viele Länder, die gar nicht weit von
uns entfernt sind und in denen das der Alltag und die Re-
alität ist. Wir nehmen das als viel zu selbstverständlich
hin.


(Beifall im ganzen Hause)


Ich bin dankbar dafür. Das muss uns bewusst sein, und
dafür müssen wir kämpfen.

In den zwölf Jahren war die Pflege mein zentrales po-
litisches Arbeitsfeld. Für mich ist und bleibt die Pflege
eine der wichtigsten politischen und gesellschaftlichen
Herausforderungen. Ich würde mir wünschen, dass Pfle-
ge noch viel, viel stärker in den Fokus rücken würde. Das
sehen meine pflegepolitischen Kolleginnen und Kollegen
Pia Zimmermann, Mechthild Rawert, Erwin Rüddel und
auch Erich Irlstorfer sicherlich genauso. Es war und es ist
schön, mit euch zu arbeiten, und wir haben alle gemein-
sam für eine gute Pflege gekämpft. Danke dafür!

Oben auf der Tribüne sitzt auch mein ehemaliger Kol-
lege Willi Zylajew. Ich freue mich, dass wir immer noch
über gute Pflege streiten. Wir haben das hier acht Jahre
lang gemacht, wir tun das immer noch. Und das zeigt
mir: einmal Pflege, immer Pflege. Das Thema lässt uns
einfach nicht los.

Elisabeth Scharfenberg






(A) (C)



(B) (D)


Ich möchte mich bei allen Akteuren bedanken, die
mich hier in Gesprächen, in Diskussionen, in Ausei-
nandersetzungen und insbesondere auch mit ihrer Kri-
tik weitergebracht haben. Stellvertretend nenne ich hier
natürlich an allererster Stelle die Pflegekräfte und die
pflegenden Angehörigen selbst. Da sind die Leistungs-
erbringer in all ihren unterschiedlichen Verbänden: die
Berufsverbände, die Gewerkschaften, das Bündnis für
gute Pflege und auch die Berufsgenossenschaft für Ge-
sundheitsdienst und Wohlfahrtspflege. Und ganz beson-
ders – das darf natürlich nicht fehlen; das wissen Sie alle
selbst – sind da meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
die ich erwähnen muss; denn ohne unsere Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeiter wären wir alle nichts. Mein wunder-
bares Büro hat immer für meine Arbeitsfähigkeit gesorgt,
und es hat mich jahrelang unermüdlich mit enormem
Fachwissen und mit unglaublicher Loyalität unterstützt
und begleitet.

Ganz zum Schluss möchte ich einen ganz großen
Dank – wahrscheinlich im Namen von uns allen – den
Plenarassistenten und -assistentinnen aussprechen, die
für einen reibungslosen Ablauf sorgen. Ich glaube, sie
haben den meisten Applaus verdient.


(Beifall)


Ich gehe heute mit einem lachenden und mit einem
weinenden Auge. Trotzdem ist es eine gute Entschei-
dung, auch mal loszulassen. Für mich ist es der richtige
Zeitpunkt.

Vielen Dank und allen eine gute weitere Zeit.


(Beifall)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1824000900

Liebe Frau Scharfenberg, den Dank für die gute Zu-

sammenarbeit und die guten Wünsche gebe ich im Na-
men des Hauses und auch persönlich gerne zurück. Wenn
jetzt noch der Bundesgesundheitsminister anschließend
feierlich versichert, dass er gelegentliche Kritik an der
Bundesregierung im Allgemeinen und womöglich an sei-
ner Amtsführung nie zum Gegenstand von Strafanzeigen
machen oder den Versuch unternehmen würde, Abgeord-
nete ins Gefängnis zu bringen,


(Heiterkeit)


dann würde diese Debatte einen zusätzlichen Höhepunkt
erreichen.


(Heiterkeit und Beifall – Tino Sorge [CDU/ CSU]: Dafür gibt es ja die Immunität!)


Hermann Gröhe hat das Wort.


Hermann Gröhe (CDU):
Rede ID: ID1824001000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Unser Präsident hat in gewohnt heiterer Weise einen sehr
ernsten Hinweis, nämlich dass wir dankbar dafür sein
können, uns in Freiheit zu streiten, aufgenommen.


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht selbstverständlich, ja!)


Ich finde, es sollte immer wieder daran erinnert werden:
Wir streiten uns – manches eint uns –, aber das tun wir
immer mit der Kraft des Arguments und aufgrund der
Mehrheit, mit der uns die Wählerinnen und Wähler aus-
gestattet haben, und wir brauchen keine Sorge vor Re-
pressalien haben, die in anderen Ländern der Welt not-
wendige Debatten erst gar nicht möglich machen.


(Beifall im ganzen Hause)


Im Beitrag der Kollegin Scharfenberg ist eines deut-
lich geworden: Das Fundament, auf dem wir streiten, ist,
dass wir gemeinsam den Pflegebedürftigen, ihren Ange-
hörigen und den Pflegekräften den Rücken stärken wol-
len. Es ist Aufgabe der Opposition, zu mahnen und zu
drängen. Unsere Aufgabe ist es, zu handeln. Ich sage sehr
selbstbewusst: In dieser Legislaturperiode ist so viel wie
in keiner zuvor für die Pflege getan worden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ab 1. Januar dieses Jahres wurde der neue Pflegebe-
dürftigkeitsbegriff umgesetzt. Endlich gibt es gleichbe-
rechtigten Zugang zu allen Leistungen der Pflegeversi-
cherung auch für demenziell Erkrankte. Zehn Jahre lang
wurde darüber gestritten. Noch in dieser Legislaturpe-
riode hat die Opposition im Zusammenhang mit dem
Pflegestärkungsgesetz I behauptet: Das Pflegestärkungs-
gesetz II wird nie kommen. – Am 1. Januar 2017 ist es
Realität geworden.

Auch über die Pflegeberufereform diskutieren wir
seit zehn Jahren. Deswegen ist es originell, dass man-
cher pendelt zwischen den Argumenten „zu viel Zeit
gelassen“ und „übers Knie gebrochen“. Seit zehn Jahren
diskutieren wir über die Frage, ob es nicht angemessen
ist – und ich bejahe dies eindeutig –, die Pflegeberufe in
einem einheitlichen Berufsbild – bei Vertiefung in spezi-
ellen Bereichen in konkreten Tätigkeitsfeldern – zusam-
menzuführen, weil es die Berufe aufwertet und weil es
die Einsatz- und Aufstiegsmöglichkeiten unserer Pflege-
kräfte erhöht. Darin weiß ich mich von vielen aus der
Pflegebranche unterstützt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Petra Crone [SPD])


Die Kollegin von der Linken spricht von einem Koa-
litionsstreit. Sie fordern eine zweite Anhörung. Mit Ver-
laub: Hätten Sie doch bei der ersten schon zugehört,


(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Das ist ja unglaublich!)


dann wüssten Sie, dass es nicht um ein Hakeln in der
Koalition geht, sondern dass diese umfassende Ausbil-
dungsreform mit ganz vielen Hoffnungen und auch mit
Sorgen verbunden ist, Sorgen zum Beispiel der privaten
Arbeitgeber – das haben Sie eindrucksvoll unterstri-
chen – und Hoffnungen zum Beispiel der Wohlfahrtsver-
bände, des Pflegetags und des Pflegerats. Jeder artikuliert
hier die Sorgen und zitiert die Verbände, denen er sich
besonders nahe fühlt. Ich habe beim Pflegetag einen gro-
ßen Rückenwind,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Elisabeth Scharfenberg






(A) (C)



(B) (D)


übrigens nicht nur in Bezug auf die Generalistik, sondern
ausdrücklich auch für den Kompromiss erfahren.


(Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU])


Ich will mit Dank an die Kollegen Nüßlein und
Lauterbach auch sagen, dass ich es für richtig halte, dass
in dieser Weise nach einem Kompromiss gesucht, ja ge-
rungen wurde, der das Ziel hat, die Hoffnungen wie die
Sorgen ernst zu nehmen. Wir wollten nicht rechthabe-
risch fragen, wer denn nun mit seinen Hoffnungen recht
hat, sondern haben gesagt: Die jungen Leute, die eine
Ausbildung beginnen, sind Expertinnen und Experten für
ihren eigenen Lebensweg. Sie werden – da bitte ich Sie,
sich die Regelungen zum Wahlrecht noch einmal anzuse-
hen – beginnen mit einer gemeinsamen Ausbildung und
werden dann nach einer Vertiefung in Alten- und Kinder-
krankenpflege nach zwei Jahren die Möglichkeit haben,
selbst zu entscheiden, ob sie den Abschluss in der Kin-
derkranken- und Altenpflege oder den generalistischen
Abschluss mit einem Vertiefungsschwerpunkt wählen.
Wir legen dies in die Hand der jungen Leute. Wir werden
uns nach einigen Jahren ansehen, wie die Erfahrungen
damit sind, dann wird der Bundestag erneut entscheiden.
Ich glaube, das ist eine gute Lösung, eine Lösung, die
Vertrauen zu denjenigen aufbaut, die wir für einen Pfle-
geberuf gewinnen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen, meine Herren, ich bin in der Tat davon
überzeugt, dass wir die Attraktivität der Berufe umfas-
send stärken, und zwar nicht nur durch die Generalistik,
den erweiterten Einsatz und die Aufstiegsmöglichkeiten.
Ich nenne beispielhaft, weil gerade von Wertschätzung
für die Pflege die Rede war, § 4, in dem es um vorbe-
haltene Tätigkeiten geht. Erstmalig entsprechen wir mit
diesem Gesetz dem klaren Grundsatz: Pflegen kann nicht
jeder.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Maria Michalk [CDU/CSU])


Es wird klar, dass bestimmte Tätigkeiten nur ausgebilde-
ten Fachkräften vorbehalten sind. Das ist ein deutliches
Zeichen der Wertschätzung und steht in dieser Klarheit
erstmalig in diesem Gesetz.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ein weiterer Punkt. Wir wollen die praktische Ausbil-
dung stärken. Deswegen gibt es erstmalig eine klare Re-
gelung zur Praxisanleitung. Das heißt, der Auszubilden-
de wird eben nicht allein in der Arbeit eingesetzt und soll
sich dort bewähren, sondern er erhält durch Fachkräfte
eine Praxisanleitung. Das ist ein großer Fortschritt hin zu
einer besseren Berufsausbildung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist ein Aberwitz – das ist schon angesprochen wor-
den –, dass wir uns angesichts des Mangels von Arbeits-
kräften in der Altenpflege in einigen Bundesländern noch

Schulgeld leisten. Das gehört dann endlich der Vergan-
genheit an. Das ist ein wichtiger Schritt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage sehr deutlich: Die Debatte muss weitergehen.
Wir haben im Gesundheitswesen auch andere Mangelbe-
rufe; ich denke an Physiotherapeuten, Ergotherapeuten,
Logopäden.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Absolut!)


Wir haben gestern im Rahmen der Gesundheitsminister-
konferenz mit den Ländern darüber gesprochen. Es bleibt
wahrlich genug Arbeit zu tun. Wie gesagt: In Mangel-
berufen des Gesundheitswesens sollte Schulgeld endlich
der Vergangenheit angehören.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Schließlich ergänzen wir die starke Berufsausbildung,
die wir mit diesem Gesetz schaffen, um eine aus der Pi-
lotphase in den Regelbetrieb überführte hochschulische
Pflegeausbildung, die an die Seite der Berufsausbildung
tritt und deren Ziel es ist, die Erkenntnisse der Pflegewis-
senschaften in den Pflegealltag hineinzutragen und so zu
einer guten Verbindung nicht zuletzt für hochkomplexe
Pflegebedarfe, für Leitungsaufgaben etc. zu kommen.
Auch das ist ein starkes Signal, dass wir in der Pflege die
Berufs- und Betätigungsfelder deutlich ausweiten.

Meine Damen, meine Herren, wir haben natürlich nie
behauptet – Kollegin Scharfenberg, da muss ich Ihnen
widersprechen –: Das ist der eine Weg, der den Fachkräf-
temangel behebt. – Aber – erstens – haben wir heute ei-
nen Ausbildungsrekord in der Alten- und Krankenpflege.
Das ist eine gute Nachricht. Das zeigt, wie viel Solidari-
tät in dieser Gesellschaft steckt, wie viele Menschen in
diesem Bereich tätig werden wollen. Zweitens ist diese
Ausbildungsreform eingebettet in eine umfassende Po-
litik: Wir haben in dieser Legislaturperiode die Zahlung
von Tariflöhnen gestärkt; zusätzliche Betreuungskräfte
werden eingesetzt; am 1. Januar dieses Jahres wurden in
elf Bundesländern bessere Personalschlüssel eingeführt;
wir bringen Personalbemessungsverfahren in Kranken-
und Altenpflege und Mindestpersonalvorgaben auf den
Weg. Im nächsten Jahr soll die Einigung in der Kran-
kenpflege erfolgt sein. Die Schlüsselverbesserungen in
der Altenpflege sind zum Jahresbeginn in Kraft getreten.
Also: Dieses Konzept ist ein Baustein, eingebettet in eine
Politik, die sich fest dem Ziel verschrieben hat, die Ar-
beitsbedingungen für die Pflegekräfte in unserem Land
nachdrücklich zu stärken.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und bitte
um Zustimmung zu diesem guten Gesetz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Bundesminister Hermann Gröhe






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1824001100

Harald Weinberg erhält nun für die Fraktion Die Linke

das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Weinberg (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824001200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Jetzt ist wieder ein Redner
der Opposition am Zuge, insofern wird es natürlich wie-
der etwas kritischer; das ist logisch.

Mehr als zehn Jahre Diskussion um eine notwendi-
ge Reform der Pflegeausbildung liegen hinter uns. Im
Mai 2016 wurde ein Gesetzentwurf vorgelegt. In der An-
hörung, die dann folgte, gab es massive Kritik an diesem
Gesetzentwurf; es wurde im Prinzip kein gutes Haar da-
ran gelassen.

Die Koalition – das hat man während der Anhörung
deutlich gemerkt – hat sich an dieser Stelle auch beharkt.
Es gab sehr unterschiedliche, fast unvereinbare Positio-
nen, und kurz vor Ende der Wahlperiode haben wir jetzt
einen Kompromiss, der uns im Ausschuss in Form von
sage und schreibe 46 Änderungsanträgen auf 80 Seiten
vorgelegt wurde,


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das ist gut! Eine Sternstunde des Parlaments!)


die wir einmal kurz durchgezogen bekommen haben.

Gestern ist der Ausschussvorsitzende, der leider heu-
te nicht da ist, wegen seiner Art und Weise, wie er den
Ausschuss geführt hat, sehr gelobt worden. Diesem Lob
möchte ich mich erst einmal ausdrücklich anschließen.
Es war wirklich eine sehr gute Arbeit, die Edgar Franke
da im Ausschuss gemacht hat. Aber an dieser Stelle, so
muss man sagen, war es keine Sternstunde des Ausschus-
ses, an dieser Stelle überhaupt nicht,


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


diese 46 Änderungsanträge auf diese Art und Weise
durchzuziehen und uns dann auch noch zu sagen, es habe
sich substanziell nichts geändert und deswegen gebe es
keine zweite Anhörung. Das war nicht in Ordnung, muss
ich ehrlich sagen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist klar: In der Politik muss es Kompromisse ge-
ben. Öfter wird dann gesagt, wenn alle unzufrieden seien,
dann sei der Kompromiss am besten gelungen. Nun, das
mag ja zwischen Herrn Irlstorfer und Bettina Müller, die
heute leider auch nicht da ist, zwischen Herrn Lauterbach
und Herrn Nüßlein stimmen. Aber das Problem hier ist
ein ganz anderes: Es lässt die vom Gesetz Betroffenen
ratlos und entsetzt zurück. Da gibt es eine gehörige und
auch nachvollziehbare Angst, dass diese Verschlimmbes-
serung, die wir jetzt in Gestalt dieses Kompromisses ha-
ben, in der Umsetzung enorme Probleme bereiten wird.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Etliche Einrichtungen der Pflegeausbildung fürchten
zu Recht, dass sie dabei auf der Strecke bleiben könnten.
Alleine die Organisation der Praxisphasen überfordert
vor allen Dingen kleinere Ausbildungseinrichtungen in
einer ganz besonderen Art und Weise,


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das können Sie doch gar nicht wissen!)


und das ist nicht in Ordnung.

Nahezu unvereinbare Ausgangspositionen sind zu
einem schlechten Kompromiss zusammengeschustert
worden; das muss man sagen. Dabei hätte mit unserem
Antrag ein Konzept einer integrierten Ausbildung vorge-
legen, deren nähere Betrachtung und Einbeziehung wirk-
lich sinnvoll gewesen wären. Das haben Sie allerdings
leider nicht gemacht.


(Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Das Konzept wollten wir ja auch nicht!)


Ich will allerdings noch deutlich sagen: Es gibt natür-
lich auch ein paar Punkte, die ich für positiv halte und
herausstellen möchte: Das Wegfallen des Schulgeldes ist
schon genannt worden. Die Möglichkeit der Interessens-
vertretung, über die Mitbestimmung auf die Ausbildung
Einfluss zu nehmen, ist ein weiterer positiver Punkt.
Auch die Ausbildungsumlage und den Fonds will ich als
positiven Punkt benennen.

Aber: Manchmal ist ein Kompromiss schlechter als
der bestehende schlechte Zustand. Das ist hier eindeutig
der Fall. Viele Verbände – damit meine ich jetzt nicht in
erster Linie die Arbeitgeberverbände, vielmehr andere –
sagen: Lieber kein Gesetz in dieser Wahlperiode als ein
solches Gesetz. – Das ist die Aussage einiger betroffe-
ner Verbände. Sie werden leider nicht gehört werden. Sie
werden das jetzt durchziehen, Sie werden das jetzt mit
Ihrer Mehrheit verabschieden. Unsere Stimmen werden
Sie dazu auf jeden Fall nicht bekommen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1824001300

Karl Lauterbach ist der nächste Redner für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Karl Lauterbach (SPD):
Rede ID: ID1824001400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Zunächst möchte ich noch einmal auf die Probleme
zu sprechen kommen, die dieses Gesetz lösen wird, wenn
sie auch nicht komplett gelöst werden; aber wichtige Bei-
träge zu einer Lösung werden geliefert.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Deutschland
zu den letzten Ländern in Europa gehört, in denen es die
geteilte Ausbildung noch gibt. Sie ist medizinisch nicht
mehr sinnvoll, weil wir mittlerweile in der Krankenhaus-
und der Krankenversorgung zunehmend geriatrische und
palliativ zu versorgende Patienten haben, die auch pfle-
gerisch betreut werden müssen. Wir haben in den Pflege-






(A) (C)



(B) (D)


einrichtungen zahlreiche Patienten, die auch akut krank
sind, die an Diabetes leiden, die psychiatrische Erkran-
kungen haben, die dement sind; auch die Demenz ist eine
Erkrankung. Das heißt, hier werden medizinische Kennt-
nisse in der Zukunft viel wichtiger werden.

Ferner haben wir schon bei Kindern Pflegebedürf-
tigkeit, so bei Kindern, die mit Stoffwechselstörungen
geboren werden und dann nach vier oder fünf Jahren
pflegebedürftig werden. Zusätzlich haben sie auch die
Krankheiten, die Erwachsene entwickeln. Der Altersdia-
betes bei Kindern ist zum Beispiel keine Seltenheit mehr,
und auch Suchterkrankungen, die wir in der Vergangen-
heit nur bei Erwachsenen gesehen haben, bekommen
schon Kinder. Damit ist klar: Die Bedarfe überschneiden
sich immer mehr. Die Ausbildung muss daher ganzheit-
lich sein.

Ich gebe zu, dass es richtig gewesen wäre, wenn wir
die Verordnung für die Lehrinhalte schon fertig gehabt
hätten; das ist ganz klar. Aber wir müssen hier auf die
Fachverbände vertrauen, die das vorbereiten. Ich stehe
mit einigen dieser Verbände in engem Kontakt. Ich bin
mir sicher, dass das Wichtigste die gemeinsame Ausbil-
dung ist. Auf dem Weg zur gemeinsamen Ausbildung
wird heute der wichtigste Schritt seit zehn Jahren unter-
nommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heute ist es die Ausnahme, dass jemand, der eine Aus-
bildung beginnt, weiß, was er in den nächsten 30, 40 Jah-
ren in einem Beruf machen will. Bei einer Ausbildung im
Bereich Pflege ist das derzeit aber notwendig: Wenn ich
eine Ausbildung im Bereich Kinderpflege absolviere, bin
ich festgelegt auf die Kinderpflege, und wenn ich eine
Ausbildung im Bereich Altenpflege absolviere, kann ich
nicht in der Krankenpflege arbeiten. Das ist nicht zeitge-
mäß. Durch diese Regelung verlieren wir Zahlreiche, die
eigentlich weiter in dem Beruf arbeiten wollen, aber nicht
in der Sparte, in der sie ausgebildet wurden. Mit diesem
Gesetz haben sie die Möglichkeit, in jedem Bereich der
Pflege zu arbeiten. Das ist erstens eine Erweiterung des
Spektrums und bietet zweitens bessere Möglichkeiten,
eine neue Arbeit zu finden, wenn man sich räumlich ver-
ändert, wenn man einfach eine andere Tätigkeit ausüben
oder das Gelernte in einem anderen Bereich anwenden
möchte. Das ist eine wesentliche Flexibilisierung der Be-
rufsausbildung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


In den nächsten Jahren haben wir jedes Jahr mit min-
destens 50 000 zusätzlichen Pflegebedürftigen zu rech-
nen, netto. Das entspricht einer halben Million in zehn
Jahren, und das ist eine ganz konservative Berechnung.
Daher muss der Beruf attraktiver werden. Der Beruf wird
aber nur attraktiver werden, wenn er auch besser bezahlt
wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Der Beruf des Altenpflegers zählt zu den zehn Berufen,
die am schlechtesten bezahlt werden.


(Mechthild Rawert [SPD]: Eine Schande! – Gegenruf der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


– Das ist eine Schande. – Das ist ein hochqualifizierter
Beruf, der zu schlecht bezahlt wird. Die Angleichung der
Ausbildung wird langfristig auch zu einer Angleichung
der Tarife führen.

Frau Zimmermann, es hat mich überrascht, dass Sie
sich hier ausgerechnet auf den Arbeitgeberverband Pfle-
ge beziehen. Er hat doch über Jahre hinweg diese Reform
nur bekämpft, damit die Altenpflege nicht zu teuer wird.
Das war doch der Grund.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist richtig, dass wir die Personalbemessung einge-
führt haben. Wir haben sie im Bereich der Krankenpfle-
ge eingeführt, für alle personalintensiven Bereiche. Wir
haben das nicht, wie Sie gesagt haben, ab dem Jahr 2020
vorgesehen, sondern ab dem Jahr 2018. Wir haben das
ebenfalls für den Bereich der Altenpflege vorgesehen.
Somit haben wir dann die entsprechenden Tarife und Per-
sonalbemessungen in fast allen bedeutsamen Bereichen
der Pflege, einschließlich der Intensivpflege. Das sind
doch wichtige Schritte nach vorne.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben den Pflegebedürftigkeitsbegriff geändert.


(Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Aber Sie stellen das Personal dafür nicht ein, um das umzusetzen! Das sind doch alles nur Worthülsen!)


Dadurch wird in den Vordergrund gerückt, was der Ein-
zelne noch kann. Auch daran haben wir zehn Jahre ge-
arbeitet.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso seid ihr nicht in der Lage, jetzt eine Verordnung vorzulegen, nach zehn Jahren?)


Es kann doch nicht abgestritten werden, dass dies, in
der Summe betrachtet – mit Mehrausgaben für die Pfle-
ge von insgesamt 6 Milliarden Euro pro Jahr; das sind
25 Prozent Mehrausgaben in einem Bereich der sozialen
Sicherung in einer Legislaturperiode –, eine sehr gute
Legislaturperiode für die Pflege – damit meine ich insbe-
sondere die Pflegebedürftigen – gewesen ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich komme zum Abschluss. Auch ich will danken. Ich
möchte mich bei Herrn Gröhe bedanken für die sehr gute
Zusammenarbeit. Herr Kollege Nüßlein, ich mache das
kürzer, um Ihnen nicht zu schaden, um uns beiden nicht
zu schaden.


(Heiterkeit des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU])


Dr. Karl Lauterbach






(A) (C)



(B) (D)


Ich möchte mich aber auch ausdrücklich bei unserer
Arbeitsgruppe bedanken. Wir haben einige Drehungen
und Wendungen vornehmen müssen. Der Prozess war
zum Teil, ich sage mal: spitzenlastig. Aber jetzt haben
alle mitgezogen, und wir haben alle gemeinsam ein gutes
Ergebnis gefunden. Auch dafür möchte ich ausdrücklich
danken.


(Abg. Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Ich wünsche uns eine gute Umsetzung dieser wichtigen
Reform.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1824001500

Da die Redezeit abgelaufen ist, kann ich jetzt keine

Zwischenfrage mehr zulassen.

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Nadine Schön
für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nadine Schön (St. Wendel) (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! 133 000 Menschen beginnen pro Jahr derzeit
eine Ausbildung im Bereich der Krankenpflege, der Al-
tenpflege oder der Kinderkrankenpflege – 133 000 Men-
schen, die für uns, für unsere Gesundheit bzw. für die
Pflege im Alter verantwortlich sind, die uns in schwieri-
gen Phasen des Lebens helfen, die betreuen, pflegen, den
Heilungsprozess unterstützen.

Wir alle sind darauf angewiesen, dass Menschen sich
mit Herz, mit Verstand, mit Sachkenntnis und mit Em-
pathie dieser anspruchsvollen Aufgabe widmen. Wir
sind darauf angewiesen, dass sich genügend Menschen
für diese Berufe entscheiden. Ja, wir wollen, dass mehr
Menschen diese Berufe ergreifen, damit die Situation in
den Heimen, bei den Pflegediensten und in den Kranken-
häusern besser wird, im Sinne der Beschäftigten und na-
türlich auch im Sinne der zu Pflegenden. Wir sind darauf
angewiesen, dass die Menschen, die in der Pflege arbei-
ten, eine gute, ja eine optimale Ausbildung erhalten. Dem
dient dieser Gesetzentwurf zur Reform der Pflegeberufe,
den wir heute verabschieden werden.

Der Gesetzentwurf hat mehrere Ziele:

Wir wollen die Ausbildung modernisieren. Alle, die in
der Pflege arbeiten, brauchen eine gute Ausbildung, und
zwar eine Ausbildung, die sich auf die geänderten An-
forderungen einstellt. Mein Vorredner hat es gesagt: Vie-
le Bewohner in Pflegeheimen sind mehrfach krank und
chronisch krank. Das ändert die Anforderungen an unse-
re Pflegekräfte. Sie brauchen mehr Krankenpflegekom-
petenz, mehr medizinische Kompetenz. Umgekehrt ist es
so, dass in den Krankenhäusern sehr viele alte und an De-
menz erkrankte Menschen sind. In den Krankenhäusern
gibt es also einen höheren Pflegebedarf. Die Kranken-
pfleger müssen daher mehr Fähigkeiten im Bereich der
Altenpflege erhalten. Deshalb legen wir heute eine Re-

form vor, die in den ersten zwei Jahren eine gemeinsame
Ausbildung vorsieht und auch eine komplett generalisti-
sche Ausbildung ermöglicht. Es gab hierzu viele Modell-
projekte in unserem Land. Auch in meinem Heimatland,
im Saarland, hat man die Generalistik erprobt, und zwar
mit sehr, sehr guten Ergebnissen, die teilweise auch sehr
überraschend waren.

Wir wollen die Ausbildung attraktiver machen. Das
gelingt uns durch mehr Durchlässigkeit in den verschie-
denen Bereichen. Es ist gesagt worden: Nicht jeder will
an dem Arbeitsplatz, an dem er sein Berufsleben begon-
nen hat, 40, 50 Jahre lang arbeiten. Wir erhöhen durch
die generalistische Ausbildung die Durchlässigkeit.


(Mechthild Rawert [SPD]: Hart erkämpft!)


Wir wollen mehr Möglichkeiten schaffen, in verschiede-
nen Bereichen zu arbeiten, und wir schaffen das Schul-
geld ab. Es ist wirklich verrückt, dass es das in einigen
Bundesländern noch gibt.

Wir machen die Ausbildung attraktiver und wollen so
für mehr Nachwuchs sorgen, wodurch auch der Pflege-
mangel in den Einrichtungen beseitigt werden soll.

Wir wollen die Finanzierung der Ausbildung auf siche-
re Beine stellen und sie vor allem zukunftsfest machen.
Was uns besonders wichtig ist: Wir wollen die Wahlfrei-
heit erhalten. In den Verhandlungen war immer ein gro-
ßes Thema – auch das ist zur Sprache gekommen –, wie
wir das schaffen können. Wie ist es mit denjenigen, die
eigentlich nur in der Kinderkrankenpflege arbeiten wol-
len, und wie ist es mit denen, die in der Altenpflege ar-
beiten und gerne nur in diesem Bereich arbeiten wollen?

Mit dem Gesetz, den Reformen und dem Kompromiss,
den wir heute vorlegen, gewährleisten wir, dass alle inte-
ressierten jungen Menschen eine generalistische Ausbil-
dung machen können, dass sie aber auch die Möglichkeit
haben, nur Kinderkrankenpfleger oder nur Altenpfleger
zu werden. Damit geben wir die Entscheidungsfreiheit in
die Hände der jungen Menschen. Sie entscheiden selbst,
wohin ihr Weg geht. Nach sechs Jahren werden wir eine
Evaluation vornehmen. Das, finde ich, ist eine sehr pra-
xistaugliche Lösung und ein guter Kompromiss, den wir
gemeinsam gefunden haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Es wird doch gar nicht evaluiert! Es wird doch nur gezählt, wer was macht!)


Als Unionsfraktion war uns wichtig, dass wir mög-
lichst vielen Menschen die Möglichkeit geben, im Be-
reich der Pflege zu arbeiten. Deshalb halte ich es für
wichtig, dass wir die Möglichkeit schaffen, nach zwei
Jahren mit einem Abschluss, nämlich dem Pflegeassis-
tenzabschluss, die Ausbildung zu beenden.


(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist falsch! – Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! – Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, da seid ihr euch wohl noch nicht ganz einig! Interessant!)


Dr. Karl Lauterbach






(A) (C)



(B) (D)


Dafür brauchen wir die Länder; das ist völlig klar. Wir
wollen, dass auch diejenigen, die vielleicht keine gene-
ralistische Ausbildung machen wollen, die Möglichkeit
haben, einen Abschluss zu erlangen. Deshalb schaffen
wir eine möglichst große Wahlfreiheit.


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie sich Ihr Paket lieber noch mal durch! Wir scheinen es besser zu kennen als Sie! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen hilft! – Gegenruf von der CDU/CSU: Ruhe, jetzt!)


Wir geben allen jungen Menschen, die in der Pflege
arbeiten wollen, die Chance, dies zu tun; dafür haben wir
viel verhandelt und sind viele Kompromisse eingegan-
gen. Wir wollen die Ausbildung zukunftsfest machen. Es
ist schon gesagt worden: Wir werden mit diesem Gesetz-
entwurf nicht alle Probleme lösen. Aber mit ihm und den
vielen anderen Gesetzentwürfen, die wir in dieser Legis-
laturperiode verabschiedet haben, haben wir in der Pflege
Meilensteine gesetzt. Es liegt noch Arbeit vor uns, und
wir haben noch viel zu tun. Aber dieser Gesetzentwurf
ist ein wichtiger Baustein. Deshalb danke ich allen, die
dazu beigetragen haben, dass wir zu einem Ergebnis ge-
kommen sind. Ich bin mir sicher, dass wir die Situation
an vielen Stellen verbessern werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1824001600

Das Wort erhält nun Mechthild Rawert für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1824001700

Herr Präsident! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Ich

möchte als Erstes diejenigen begrüßen, die die Pflege
sind, die Vertreterinnen und Vertreter von Berufsver-
bänden, Gewerkschaften und Pflegekammern. Seien Sie
willkommen! Nehmen Sie teil! Gestalten Sie mit!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich stehe hier stellvertretend für meine Kollegin
Bettina Müller, die heute nicht da sein kann. Ich möchte
ihr ganz herzlich für ihren Einsatz danken, den sie zur
Durchsetzung unserer Vorstellungen und während der
nicht ganz komplikationslosen Debatten in diesem Kon-
text geleistet hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich danke an dieser Stelle auch Petra Crone ganz beson-
ders; aber sie spricht ja gleich noch.

Frau Schön, wir wollen die Generalistik, damit nie-
mand mehr sagen kann, es gehe nur um die Kolleginnen
und Kollegen in der Altenpflege oder nur um diejenigen,
die in der Kinderkrankenpflege tätig sind.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Berufspolitik! Sage ich doch!)


Wir wollen das abschaffen. Dieses „nur“ ist genau das,
was Pflegefachkräfte nicht brauchen.


(Beifall bei der SPD)


Sie brauchen eine Aufwertung ihrer Berufe und keine
Dequalifizierung, wie Sie es vorhin mit diesem „nur“ in
Ihren Ausführungen dargestellt haben. Lesen Sie das im
Protokoll nach!


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Die Opposition sitzt auf der anderen Seite, Frau Kollegin!)


Richtigstellen möchte ich auch – der Begriff „Zwi-
schenprüfung“ ist irritierend; es erfolgt eine Wissensab-
frage –: Durch dieses Bundesgesetz wird es keinen Aus-
bildungsabschluss nach zwei Jahren geben. Wir halten
daran fest: Fachkraft ist mensch in Deutschland nach ei-
ner dreijährigen Ausbildung. Daran wird nicht gerüttelt,
schon gar nicht in der Pflege.


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen die Generalistik aus verschiedenen Grün-
den; einige sind schon erwähnt worden. Wir wollen sie
aufgrund der zusammenwachsenden Pflegesettings, mit
anderen Worten: für eine bessere Versorgungssicherheit.
Wir wollen sie auch, damit wissenschaftlich fundierte
Qualitäts- und Kompetenzzuwächse, die ja in der Wis-
senschaft Pflege zu verzeichnen sind, tatsächlich in der
Pflege ankommen.

Uns geht es aber auch um die professionell Pflegenden
selbst. Es geht um ihre Höherstellung, um Wertschätzung
und um eine andere Rolle in einem häufig hierarchischen
Gefüge im Bereich der Gesundheit und Pflege. Wir wol-
len in der Pflege Augenhöhe für die Pflegenden errei-
chen; das haben sie und auch wir, die Patientinnen und
Patienten und Pflegebedürftigen, verdient.


(Beifall bei der SPD)


Deswegen haben wir die Vorbehaltsaufgaben klar be-
nannt und die hochschulische Pflegeausbildung etabliert.

Wir wollen die Generalistik auch, damit die Pflege-
fachkräfte berufliche Chancen für einen breiteren Einsatz
ihrer Kompetenzen haben, und zwar von der Prävention
bis hin zur Palliative Care. Dafür brauchen wir eine ge-
neralistische Ausbildung.


(Beifall bei der SPD)


Und ja – ich liebe es, auf den schnöden Mammon zu
sprechen zu kommen –, auch Frauen bezahlen ihre Woh-
nungen nicht allein von Luft und Liebe.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen in diesen Bereich investieren. Wir sind die
Einzigen, die hier investieren und wirklich eine Gleich-
stellung dieser Berufe erreichen wollen. Katarina Barley
hat schon darauf hingewiesen – und der Zweite Gleich-
stellungsbericht der Bundesregierung macht es auch –:
Wir brauchen mehr öffentliche Investitionen in diesem
Sektor. Wir brauchen eine Aufwertung der Berufe, und
wir brauchen mehr Geld für diejenigen, die für uns und
unsere Gesundheit arbeiten. Danke an die Pflegenden!

Nadine Schön (St. Wendel)







(A) (C)



(B) (D)


Wir diskutieren diese Fragen mit Sicherheit weiter.
Lassen Sie uns nicht im Stich! Ich freue mich schon auf
die kritischen Auseinandersetzungen und darauf, wie es
weitergeht. Hauptsache, Sie sprechen mit einer Stimme
und bleiben an unserer Seite!

Danke.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1824001800

Erich Irlstorfer hat nun das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Erich Irlstorfer (CSU):
Rede ID: ID1824001900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

haben debattiert, diskutiert, gestritten und uns wieder
versöhnt. Heute bringen wir ein Gesetz auf den Weg, das
richtig, gut und ordentlich ist.

Selten prallten die Überzeugungen in der gesundheits-
und pflegepolitischen Debatte so stark aufeinander wie in
diesem Gesetzgebungsverfahren. Aber es ist mir wichtig,
zu unterstreichen, dass diese Diskussion in jeder Phase
immer mit hoher Fachlichkeit geführt wurde. Sowohl die
Befürworter einer spezialisierten Ausbildung als auch die
Verfechter der vollständigen Generalistik hatten gute Ar-
gumente für ihre jeweilige Position.

Was sich zu Anfang als klarer Weg angebahnt hatte,
stellte sich im Verlauf der Debatte, vor allem im Aus-
tausch mit den Betroffenen, den Akteuren der Szene, als
schwieriger und komplexer dar, als ursprünglich ange-
nommen. Spätestens nach der öffentlichen Anhörung im
vergangenen Frühjahr war uns Abgeordneten der Union
klar, dass wir noch einen deutlichen Änderungsbedarf an
dem Gesetz hatten. Klar war allerdings für alle Akteu-
re, dass die Pflege in Deutschland eine neue Ausrichtung
benötigt. Wir dürfen niemanden, keine einzige helfende
Hand, egal mit welchem Schulabschluss und mit welcher
schulischen Ausbildung, abweisen. Das war uns wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Genau!)


Eine gute Pflegepolitik ist und wird auch künftig eine tra-
gende Säule der Sozialpolitik in unserem Land sein.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, umso erfreu-
licher ist es, dass die Koalitionsfraktionen aus CDU/CSU
und SPD nun den Kompromissvorschlag, den die Union
eingebracht hat, umsetzen. Bundesminister Gröhe, Karl
Lauterbach, Georg Nüßlein und alle meine Vorredner
haben die neuen Regelungen für die Pflegeausbildung
bereits erläutert. Die abgeänderte Fassung des Gesetzes
berücksichtigt auch die kritischen Stimmen. Es ist mir
wichtig, das festzuhalten.

Ich möchte an dieser Stelle auch erwähnen, was wir
in unseren pflegepolitischen Debatten stets betont haben
und uns als Union besonders am Herzen liegt: Der Zu-

gang für Haupt- und Mittelschüler zur Pflegeausbildung
wird erhalten bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Carola Reimann [SPD])


Das ist ein Signal für den Ausbildungsmarkt und die Ju-
gendlichen in unserem Land. Die duale Ausbildung hat
Zukunft. Akademisierung und duale Ausbildung sind auf
Augenhöhe. Das ist die Basis für die Wertschätzung in
der Pflege, die wir benötigen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Schulabschlüsse allein sind nicht ausschlaggebend.

In diesem Zusammenhang haben wir erreicht, dass
die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung dem nächsten
Deutschen Bundestag zur Beschlussfassung zugeführt
wird. Das ist nicht selbstverständlich gewesen, wenn
wir auf andere Gesetzgebungsverfahren schauen. Damit
haben wir dem Parlament die Chance eingeräumt, ganz
genau zu schauen, ob alle Schülerinnen und Schüler die
neuen Prüfungsanforderungen bewältigen können. Wir
wollen mit diesem Gesetz keinen Bahnhof der Enttäusch-
ten erzeugen. Deshalb gehen wir ins Detail. Deshalb
braucht das Haus Zeit, und diese Zeit nehmen wir uns.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns ist klar, dass wir
auch den Einrichtungen, den Trägern und den Schulen
Zeit zur Vorbereitung geben müssen. Die neuen Anfor-
derungen in der Praxis umzusetzen, wird nicht einfach.
Deswegen hilft es zu diesem Zeitpunkt wenig, wenn die
Opposition versucht, ein Gefahrenszenario für die Pfle-
geschulen heraufzubeschwören. Wir müssen als Politik
der betroffenen Szene die Möglichkeit geben, die neue
Pflegeausbildung zu etablieren. Sollten wir hier wider
Erwarten Schwierigkeiten feststellen oder sollten Kom-
plikationen auftreten, steht es doch dem Gesetzgeber
frei – das haben wir selbst in der Hand –, nachzusteuern.
Wenn es Schwierigkeiten gibt, werden wir das machen;
da bin ich mir sicher.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In der ganzen Diskussion ist das Thema Bezahlung
immer wieder aufgepoppt. Ich kann nur sagen: Für das
Thema Bezahlung sind in erster Linie die Tarifpartner
zuständig und nicht die Politik. Das ist richtig so, und
das ist gut so.


(Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Na ja!)


Zum Schluss möchte ich mich für die Zusammenarbeit
bedanken. Wir haben in dieser Legislatur für die Pflege –
und somit für die Menschen in Deutschland – viel er-
reicht. Wir haben sie weiterentwickelt und zukunftsfest
gemacht. Dafür bedanke ich mich.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mechthild Rawert






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1824002000

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist

die Kollegin Petra Crone für die SPD.


(Beifall bei der SPD)



Petra Crone (SPD):
Rede ID: ID1824002100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-

legen und Kolleginnen! Endlich, endlich, nach langem
Ringen beschließen wir heute das Gesetz zur Reform der
Pflegeausbildung. Nein, es ist nicht die reine Lehre, die
ich mir gewünscht hätte. Aber ich freue mich trotzdem,
dass wir heute gemeinsam einen ganz großen Schritt ge-
hen.

Lange schon haben wir an diesem Gesetzentwurf gear-
beitet. Ich erinnere mich, dass schon darüber gesprochen
wurde, als die Gesundheitsministerin noch Ulla Schmidt
hieß. Eine überwiegend generalistische Ausbildung war
und ist unser Ziel, und das haben wir endlich erreicht.
Die Verhandlungen waren nicht leicht – das möchte ich
nicht verhehlen –, aber ich bin davon überzeugt, dass wir
am Ende überzeugen werden und sicherlich die meisten
die generalistische Ausbildung wählen werden.

Deutschland braucht einen Pflegeberuf, der auf die
wahren Bedürfnisse in der Pflege kranker Menschen je-
den Alters eingeht.


(Beifall bei der SPD)


Klar, wir wollen alle mit 100 Jahren kerngesund sterben.
Aber das Leben ist leider nicht so. Wer ältere Angehöri-
ge oder Freunde mit altersbedingten Handicaps wie etwa
Demenz in den Krankenhäusern begleitet hat, weiß von
großen Problemen zu sprechen. Diese Menschen werden
in Zukunft auf Pflegekräfte treffen, die auch in der Al-
tenpflege ausgebildet sind. Wenn sie dann, früh entlas-
sen, in die stationären Senioreneinrichtungen oder in die
ambulante Betreuung zurückkehren, treffen sie dort auf
Pflegekräfte, die sich auch in der Krankenpflege bestens
auskennen.


(Beifall bei der SPD)


Andererseits sind wir es den Pflegerinnen und Pfle-
gern unbedingt schuldig, bessere Bedingungen für sie zu
schaffen. Das machen wir mit diesem Gesetz. Das Schul-
geld wird im ganzen Land abgeschafft; stattdessen gibt
es für alle eine Ausbildungsvergütung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Pflegeberuf wird attraktiver, weil es nun viele Ein-
satz-, Wechsel- und Aufstiegsmöglichkeiten gibt. Alle,
die die generalistische Ausbildung durchlaufen haben,
egal mit welchem Schwerpunkt, werden gleich bezahlt.
Das kommt besonders denjenigen zugute, die in der Al-
tenpflege arbeiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zudem werden die Pflegeaufgaben in der Zukunft aus-
schließlich Pflegekräften vorbehalten sein.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht nirgendwo!)


Ich verhehle nicht: Das Gesetz gefällt nicht allen. Be-
sonders die privaten Pflegeanbieter haben sich immer
lautstark gegen eine Ausbildungsreform gewandt. An de-
ren Ende stehen nämlich besser und breiter ausgebildete
Pflegerinnen und Pfleger, und die müssen auch besser
bezahlt werden.


(Beifall bei der SPD)


Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Ich wundere mich
ein bisschen darüber, dass sich gerade die Linken und
auch die Grünen auf diese Seite schlagen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber die Gruppe der Befürworter ist wesentlich grö-
ßer – ich schaue an dieser Stelle hoch zur Besuchertri-
büne –: der Deutsche Pflegerat – der Deutsche Pflege-
tag hat das deutlich gezeigt –, die Wohlfahrtsverbände,
vorneweg die Caritas, die Diakonie, die AWO und viele
mehr. Ja, viele haben sogar sehnlichst auf dieses Gesetz
gewartet, wie die hervorragende und innovative Fortbil-
dungsakademie für Gesundheitshilfe in Olpe, in meinem
Wahlkreis.


(Elisabeth Scharfenberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!)


Sie alle haben erkannt: Wir werden die demografische
Entwicklung nicht aufhalten. Jeder und jede weiß um
den Mangel an Arbeitskräften in der Pflege, und es brennt
besonders in der Altenpflege. Darum, liebe Kolleginnen
und Kollegen, brauchen wir gut ausgebildete Pflegerin-
nen und Pfleger, und wir brauchen auch Pflegeassistenten
und akademisch ausgebildete Pflegekräfte.

Lassen Sie uns alles dafür tun, die jungen Leute zu un-
terstützen, die mit Begeisterung den Pflegeberuf wählen,
und dazu beitragen, dass es immer mehr werden. Lassen
Sie uns alle Register ziehen, dass sie diesen Beruf lieben
und dafür brennen, ohne auszubrennen.


(Beifall bei der SPD)


Deshalb bin ich auch begeistert von der Initiative unserer
Arbeitsministerin Andrea Nahles für eine bessere Bezah-
lung in der Pflege.


(Beifall bei der SPD – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Ich dachte, das ist Sache der Tarifparteien!)


Lassen Sie uns zusammen mit den Gewerkschaften dafür
kämpfen! Richten Sie in den Ländern Pflegekammern
ein!


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Rheinland-Pfalz ist schon mit gutem Beispiel vorange-
gangen.






(A) (C)



(B) (D)


Liebe Kollegen und Kolleginnen, auch wenn es über
zwei Legislaturperioden hinweg Diskussionen, Gesprä-
che, Verhandlungen und leider auch Stillstand gegeben
hat, bin ich alles in allem doch zufrieden. Es ist gut, dass
wir heute, kurz vor Ende meiner Zeit als Abgeordnete,
ein Gesetz verabschieden, das die Pflege in Deutschland
ein ganzes Stück zukunftsfester macht. Ich danke allen
Beteiligten, die beharrlich und mit großer Geduld daran
gearbeitet haben. Ich danke dem Ministerium für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Ministerium
für Gesundheit, übrigens auch den Staatssekretärinnen
Frau Ferner und Frau Widmann-Mauz für ihre Beharr-
lichkeit. Ich danke auch den Ländern, die alle mit einge-
bunden waren, und den Kolleginnen und Kollegen.

Letztendlich bedanke ich mich bei dem Präsidenten,
dass er mir noch eine Minute für meine letzte Rede ge-
schenkt hat, und ich danke allen dafür, dass sie meiner
letzten Rede gelauscht haben.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1824002200

Es waren genau anderthalb Minuten, Frau Kollegin

Crone, aber es hätten auch noch 10 oder 15 Sekunden
mehr sein können bei Ihrer letzten Rede hier im Deut-
schen Bundestag.


(Petra Crone [SPD]: Schade, dass Sie das jetzt erst sagen!)


Das ist eine gute Gelegenheit, Ihnen herzlich zu danken
für Ihre Arbeit hier im Hause und Ihnen alles Gute für die
nächsten Jahre zu wünschen.


(Beifall)


Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Reform der Pflegeberufe. Hierzu liegt mir eine Erklärung
zur Abstimmung der Kollegin Emmi Zeulner vor, die wir
wie üblich dem Protokoll beifügen.1)

Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf der Drucksache 18/12847, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksa-
che 18/7823 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzent-
wurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der Opposition angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen
zu erheben. – Wer möchte dagegenstimmen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist mit dem gleichen Stimmenverhält-
nis, mit der Mehrheit der Koalition gegen die Stimmen
der Opposition, dieser Gesetzentwurf angenommen.

1) Anlage 2

Unter dem Tagesordnungspunkt 7 b geht es um die
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit
zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Eine Lobby für die Pflege – Arbeitsbedingun-
gen und Mitspracherechte von Pflegekräften verbessern“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf der Drucksache 18/12841, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/11414
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Die Antragsteller. Wer
enthält sich? – Die Fraktion Die Linke. Damit ist die Be-
schlussempfehlung wiederum mit den Koalitionsstim-
men mehrheitlich angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 e auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Bericht zur Umsetzung der Hightech-Strate-
gie – Fortschritt durch Forschung und Inno-
vation

Stellungnahme der Bundesregierung zum
Gutachten zu Forschung, Innovation und
technologischer Leistungsfähigkeit Deutsch-
lands 2017

Drucksache 18/11810
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss Digitale Agenda

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Gutachten zu Forschung, Innovation und
technologischer Leistungsfähigkeit Deutsch-
lands 2017

Drucksache 18/11270
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss Digitale Agenda

c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Aktionsplan Nanotechnologie 2020 der Bun-
desregierung

Drucksache 18/9670
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung (f)


Petra Crone






(A) (C)



(B) (D)


Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss Digitale Agenda

d) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Bericht über die Programme zur Innovations-
und Technologieförderung im Mittelstand in
der laufenden Legislaturperiode, insbesonde-
re über die Entwicklung des Zentralen Inno-
vationsprogramms Mittelstand (ZIM) für das
Jahr 2016

Drucksache 18/12442
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss Digitale Agenda

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Kai Gehring,
Oliver Krischer, Katja Dörner, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Innovationspolitik neu ausrichten – Forschen
für den Wandel befördern

Drucksachen 18/8711, 18/12776

Nach dem dafür üblichen Schichtwechsel der Betei-
ligten und Interessierten möchte ich Ihr Einvernehmen zu
der Vereinbarung feststellen, dass auch diese Aussprache
60 Minuten dauern soll. – Das ist ganz offenkundig so.
Dann verfahren wir auch so.

Ich eröffne die Aussprache. Der Kollege Kretschmer
erhält als Erster das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Kretschmer (CDU):
Rede ID: ID1824002300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gut-

achten zu Forschung, Innovation und technologischer
Leistungsfähigkeit Deutschlands ist alle Jahre wieder
eine gute Gelegenheit, um zu schauen, wie die For-
schungspolitik und die technologische Leistungsfähig-
keit sich in unserem Land entwickelt haben. Wenn man
diesen Prozess über Jahre verfolgt, dann weiß man, dass
es Zeiten gibt, in denen in diesem Bericht kritisch und
mahnend aufgezeigt worden ist, wo die Defizite in der
Bundesrepublik Deutschland sind, wo wir zurückfallen
und wo andere besser und schneller sind als wir. Dann ist
es richtig, hier kritisch darüber zu diskutieren, Verände-
rungen anzumahnen und diese dann auch zu vollziehen.

Der EFI-Bericht des Jahres 2017 ist ein anderes Doku-
ment, ein Dokument, in dem deutlich beschrieben wird,
wie sich die Bundesrepublik Deutschland in den letzten
zehn Jahren im internationalen Wettbewerb zurückge-
meldet hat, wie wir in Forschung und Entwicklung in-

vestiert haben und wie wir am Ende eine große Leis-
tungsfähigkeit für unsere Wirtschaftsnation Deutschland
zurückgewonnen haben. Das ist ein gutes Signal.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir sind eben nicht durch Zufall Innovations- und
Exportweltmeister geworden, sondern durch eine kluge
Politik. Zu Beginn der 2000er-Jahre gab die Bundesrepu-
blik Deutschland, die Wirtschaft und der Staat, ungefähr
50 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung aus.
Wir haben es geschafft, diesen Betrag innerhalb von zehn
Jahren zu verdoppeln. Wir sind jetzt bei ungefähr 90 Mil-
liarden Euro.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD])


Diese 90 Milliarden Euro sind das Resultat einer ge-
meinsamen Kraftanstrengung; sie beruhen auf unserer
gemeinsamen Politik, die die Wirtschaft animiert und
Möglichkeiten geschaffen hat. Zum einen wurden wirt-
schaftliche Möglichkeiten durch Steuerpolitik und ande-
re Maßnahmen sowie durch eine gute Exportpolitik er-
öffnet, zum anderen waren es Möglichkeiten durch eine
Forschungsförderung, die es Unternehmen erleichtert,
sich in diesem Bereich zu betätigen und damit etwas Gu-
tes für sich selbst und für die eigenen Mitarbeiter zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD])


Diesen Weg gilt es fortzusetzen; denn das Wichtigste
in der Forschungspolitik ist, dass sie nachhaltig ist, kein
Strohfeuer, das in einem Jahr auflodert und schon im
nächsten Jahr wieder erlischt. Es hat nur Wert, wenn es
wirklich über Jahre und Jahrzehnte betrieben wird.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit 1998!)


Das werden wir in den nächsten Jahren fortsetzen; zu-
mindest ist das unser fester Wille.

Man darf Forschungs- und Entwicklungspolitik nicht
als Aufgabe eines einzigen Ressorts begreifen; das ist
eine Aufgabe der gesamten Bundesrepublik und der ge-
samten Gesellschaft. Das beginnt schon in den Schulen
und mit dem gesellschaftlichen Klima, das wir haben und
das entweder offen oder nicht offen für Innovationen ist.
Dieses Klima muss sich dann im Wirtschaftsministerium
und im Forschungsministerium sowie in anderen Res-
sorts wiederfinden. Es ist der große Erfolg dieser Bundes-
regierung, dass sie es geschafft hat, über Ressortgrenzen
hinweg Forschung und Entwicklung sowie Innovation zu
einem gemeinsamen Schwerpunkt zu machen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Aufgaben in der Zukunft sind klar. Die Projekt-
förderung, die im Bundesministerium für Bildung und
Forschung angesiedelt ist, die aber auch im ZIM und bei
der Industriellen Gemeinschaftsforschung wichtige An-
kerpunkte hat, muss als stabiles Fundament weiterentwi-
ckelt werden. Zusätzlich setzen wir uns für die steuerli-
che Forschungsförderung ein. Wir sind alle miteinander
der Meinung, dass dieses Projekt auch in der nächsten
Legislaturperiode gelingen wird. Ich halte das für einen

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


ganz wichtigen Beitrag, um international wettbewerbsfä-
hig zu sein. Wir kämpfen für die steuerliche Forschungs-
förderung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD])


Darüber hinaus gilt es, die wichtigen Instrumente,
die wir gemeinsam auf den Weg gebracht haben, wie
den Hochschulpakt, auch in den kommenden Jahren zu
sichern. Sicherlich bedarf es einer neuen Ausrichtung.
Man kann nicht einfach alles weitermachen wie bisher.
Die CDU/CSU ist der Meinung, dass wir darüber spre-
chen müssen, ob im Bereich der dualen Bildung mehr
geschehen muss. Ich bin entschieden der Meinung, dass
wir die duale Berufsausbildung stärken und das Konzept
der „Höheren Beruflichen Bildung“ durchsetzen müssen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – René Röspel [SPD]: Konsens überall!)


– Wenn die SPD Konsens andeutet, dann ist das schon
einmal die halbe Miete.


(René Röspel [SPD]: Habe ich schon früher gesagt!)


Trotzdem muss man auch im Bereich der akademi-
schen Bildung gemeinsam mit der Hochschulrektoren-
konferenz und dem Wissenschaftsrat darüber sprechen,
dass auch dort Veränderungen notwendig sind. Der Bolo-
gna-Prozess ist ein Erfolg, aber er ist in die Jahre gekom-
men, und es ist Zeit, darüber nachzudenken, ob man ihn
neu ausrichten muss. Das muss passieren, wenn wir über
die Frage sprechen, wie es mit dem Geld weitergehen
soll, wenn der Hochschulpakt ausgelaufen ist.

Wesentliche Träger unserer Forschung in Deutschland
sind die außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
Wir waren es, die gemeinsam mit den Ländern zunächst
eine Steigerung um 3 Prozent vereinbart haben und dann
um 5 Prozent, und wir als Bund haben uns in dieser Le-
gislaturperiode bereit erklärt, den Aufwuchs von 3 Pro-
zent alleine zu tragen, weil wir für Verlässlichkeit stehen.
Unser gemeinsames Anliegen muss sein, dass bei dem
Pakt für Forschung und Innovation in der kommenden
Legislaturperiode wieder eine gemeinsame Finanzierung
mit den Ländern erreicht wird, und zwar über das Niveau
von 3 Prozent hinaus.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur zu! Hat ja lang genug gedauert!)


Der Vorschlag, mit den Bundesländern einen Digital-
pakt zu schließen, ist aus meiner Sicht richtig.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Butter bei die Fische! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn das Geld dafür?)


Wir müssen in die digitale Bildung investieren. Es ist
ein gutes Ergebnis, dass es dem Bundesministerium für
Bildung und Forschung gelungen ist, mit den Ländern
gemeinsame Eckpunkte zu erarbeiten. Das ist die Voraus-
setzung dafür, dass es in diesem Punkt nach der Bundes-

tagswahl schnell losgehen kann. Der Digitalpakt ist eine
wichtige Angelegenheit.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann darf der Bund aber nicht fehlen!)


Wir haben heute Morgen an Helmut Kohl erinnert.
Ich bin als ehemaliger Ostdeutscher tief beeindruckt von
dieser Persönlichkeit und tief bewegt durch das, was
seit 1990 in den neuen Bundesländern passiert ist. Die
90er-Jahre waren davon geprägt, dass man investiert hat:
in die Infrastruktur, in Krankenhäuser, in Schulen, in
Straßen, in das, was in 40 Jahren DDR kaputtgegangen
ist. Aber spätestens seit den 2000er-Jahren ist das eigent-
liche Aufbau-Ost-Ministerium das Bundesministerium
für Bildung und Forschung, und zwar deswegen, weil
es mit einem ganz intelligenten Forschungs- und För-
derkonzept unter dem Namen „Unternehmen Region“ es
geschafft hat, Potenziale zu entwickeln und dazu beizu-
tragen, dass wir im Wettbewerb um Exzellenz bestehen
können. Wir haben mittlerweile eine solche Exzellenz er-
reicht, dass beispielsweise beim Digital-Gipfel der Bun-
desregierung in der vergangenen Woche ICCAS als das
Referenzprojekt für den digitalen Operationsraum ver-
wendet wurde. Das zeigt, dass wir in den neuen Ländern
erfolgreich gewesen sind. Ich wünsche mir sehr, dass wir
in der kommenden Legislaturperiode mit dem Programm
„Innovation und Strukturwandel“ diesen Forschungsan-
satz auf Gesamtdeutschland ausweiten, damit wir auch
in Regionen in den alten Bundesländern, die Probleme
haben und mit Strukturwandel konfrontiert sind, wie bei
der Braunkohle, mit diesen erfolgreichen Konzepten hel-
fen können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD])


Ich komme zum Schluss. Uns hat in den letzten Wo-
chen die Reform des Urheberrechts sehr bewegt. Ich
will es an dieser Stelle ganz deutlich sagen: Im Koali-
tionsvertrag ist vereinbart, die Wissenschaftsschranke
einzuführen. Die Gespräche darüber sind schwierig, die
Interessenlage ist sehr unterschiedlich. Wir wollen diese
Wissenschaftsschranke.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir auch!)


Wir arbeiten daran, und wir wollen sie noch in dieser Le-
gislaturperiode beschließen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – René Röspel [SPD]: Wir unterschreiben sofort! Dann muss man auf uns zukommen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1824002400

Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Ralph

Lenkert nun das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824002500

Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Das Wichtigste für technologische Leis-

Michael Kretschmer






(A) (C)



(B) (D)


tungsfähigkeit und Forschungsqualität sind Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler.


(René Röspel [SPD]: Das stimmt!)


Liebe Studenten, Doktorandinnen, Postdocs und Wissen-
schaftlerinnen und Ingenieure, ohne Sie, ohne Ihre Neu-
gier würde es keine Forschung geben. Regierungen, Po-
litiker, aber eben auch Unternehmen können bestenfalls
den Rahmen liefern. Entscheidend für jede Forschung,
für den Forschungsstandort sind Sie. Sie sind die Haupt-
triebkraft des wissenschaftlichen Fortschritts, und dafür
sage ich Danke.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei meinen Besuchen in Laboren, Instituten und
Hochschulen verstand ich nicht alles, was mir erklärt
wurde. Aber immer spürte ich die Leidenschaft der For-
schenden. Wenn es um ihre Idee geht, überwinden sie
alle Hemmnisse, auch das schlimmste, das kurzgefasst
lautet: Das war schon immer so; das haben wir immer
schon so gemacht. – Ich selbst arbeitete in der Entwick-
lung und bewundere, wie es viele von ihnen schaffen,
gefühlt rund um die Uhr im Labor zu sein und parallel
dazu zu publizieren. Dabei müssen sie auch häufig neue
Finanzierungsquellen zur Umsetzung ihrer Ideen finden.
Respekt!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle sehen und
fühlen die Einsatzbereitschaft des Forschungspersonals.
Trotzdem macht die Regierung der Wissenschaft das Ar-
beiten eher schwerer. Warum zwingen Sie Hochschulen
in aufwendige Exzellenzbewerbungen und Drittmittelbe-
schaffungen?


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Absolut richtig!)


Warum läuft so viel über befristete Projektfinanzierung?
Damit schränken Sie offensichtlich die Forschungsfrei-
heit ein, weil Sie die Forschung in Bahnen zwängen, für
die es extra Gelder gibt.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke steht für die Freiheit der Wissenschaft, für
eine Wissenschaft frei von politischen und finanziellen
Zwängen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir fordern für Studentinnen und Studenten, Doktoran-
dinnen und Doktoranden, Postdocs, Wissenschaftlerin-
nen und Wissenschaftler, Ingenieurinnen und Ingenieure
stabile, bessere Rahmenbedingungen, damit wir Lö-
sungsvorschläge auf bekannte Probleme wie Klimawan-
del und die Folgen, Digitalisierung, aber auch wachsen-
de Armut, soziale Ausgrenzung und daraus entstehende
Fluchtbewegungen erhalten, damit wir Fragen gestellt
bekommen, die unbequem sind, aber unausweichlich
auf die Gesellschaft zukommen. Deshalb fordern wir
eine höhere Grundfinanzierung für Hochschulen – ja –,
und dafür sollten wir den 13 Grundgesetzänderungen der
letzten Sitzungswoche eine 14. hinzufügen: Liebe CDU-

ler, ich sage heute einmal nicht „Aufhebung des Koope-
rationsverbotes“.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der GRÜNEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es wäre richtig!)


Ich fordere, für ein umfassendes Kooperationsgebot für
Bildung, Lehre und Forschung in Artikel 91 Grundgesetz
Änderungen vorzunehmen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo!)


Wir fordern längere Vertragslaufzeiten in der Forschung,
mehr Dauerstellen in der Wissenschaft, damit sich unser
forschender Nachwuchs ohne Existenzangst ganz auf die
Forschung konzentrieren kann.


(Zuruf von der LINKEN: Genau!)


Auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben
ein Recht auf planbare Perspektiven – beruflich und fa-
miliär.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Linke sagt, mit mehr Grundfinanzierung braucht
es weniger öffentliche Drittmittelprojekte. Das erspart
unserem wissenschaftlichen Nachwuchs und dem er-
fahrenen Personal das Schreiben von Projektanträgen,
stupide Projektabrechnungen und das Zittern vor Aus-
wahlkommissionen – Zeit, die heute für die eigentliche
Forschung fehlt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zuletzt noch zwei
Punkte, die den Betroffenen und mir sehr am Her-
zen liegen. Auch Sie erhielten Post von dem Präsiden-
ten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Professor
Strohschneider. Bitte folgen Sie der Bitte zum Urheber-
rechts-Wissensgesellschafts-Gesetz. Wenn Sie den For-
derungen der Verlagslobby nachgeben, steigern Sie nur
deren Profite und schaden unserem Forschungsstandort,
den Studierenden und der Wirtschaft außerhalb des Ver-
lagswesens.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der zweite Punkt betrifft das Institut für Gemüse- und
Zierpflanzenbau, IGZ, in Erfurt. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, mit überwältigender Mehrheit haben wir vor
wenigen Wochen die Stärkung des Gartenbaus mit seinen
700 000 Beschäftigten hier im Bundestag beschlossen.
Da ging es auch um die Sicherung der Forschung für den
Gartenbau. Der Freistaat Thüringen und das Thüringer
Landwirtschaftsministerium stehen für den Fortbestand
des Standortes in Erfurt. Thüringen hat alle Vorbedingun-
gen des Bundesministeriums für Ernährung und Land-
wirtschaft erfüllt.

Liebe Koalition, woran klemmt es denn noch?


(Zuruf von der CDU/CSU: Das erzählen Sie jetzt das fünfte Mal!)


Ralph Lenkert






(A) (C)



(B) (D)


Den Kolleginnen und Kollegen des IGZ läuft die Zeit da-
von. Gibt es bis Juli keine belastbare Vereinbarung, müs-
sen die Kündigungen ausgesprochen werden. Selbst wenn
der nächste Bundestag dann mit dem Haushalt 2018 die
Rettung des Standortes Erfurt beschließen sollte: Es wäre
zu spät. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition,
lassen Sie uns das Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft zum Handeln treiben, und zwar schnell.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824002600

Vielen Dank, Ralph Lenkert. – Schönen guten Mor-

gen, liebe Kolleginnen und Kollegen, von mir. – Nächster
Redner in der Debatte: René Röspel für die SPD-Frakti-
on.


(Beifall bei der SPD)



René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1824002700

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schönen

guten Morgen! Lieber Kollege Kretschmer, Sie haben
nichts Falsches gesagt, wenn Sie eingeführt haben, dass
in den letzten zehn Jahren deutlich mehr für Forschung
ausgegeben worden ist. Das ist auch gut so. Aber trotz-
dem ist es nicht wirklich wissenschaftlich, wenn man
eine Frage immer nur auf ein bestimmtes Intervall re-
duziert. Also: Wenn ich ein Blatt mit ganz vielen roten
Punkten vor mir liegen habe, und dabei ist ein schwarzer
Punkt, ich den schwarzen Punkt herausschneide und um
die Ecke gehe und sage, ich habe gerade ein Blatt mit
einem schwarzen Punkt gehabt, dann ist das richtig, aber
es ist eben auch nicht ganz richtig, weil dieses Blatt viele
rote Punkte gehabt hat. Deswegen ist es wissenschaftlich
nicht korrekt, nur einen bestimmten Zeitraum oder ein
Intervall herauszunehmen – die Mathematikerin Frau
Professor Wanka wird das ja vielleicht gleich auch noch
ausführen können –, sondern man muss einen breiteren
Zeitraum nehmen.

Ich habe das einmal gemacht, habe die letzten 40 Jahre
betrachtet. Wer das nachvollziehen will: Ich habe gleich
zur Ansicht den Bericht zur Technologischen Leistungs-
fähigkeit von 1998 für Sie vorliegen – von der damaligen
Kohl-Regierung noch gemacht. Da sieht man über die
Jahre, wie sich das mit den Investitionen in Forschung
und Entwicklung immer als Anteil am Bruttoinlands-
produkt entwickelt. Dabei sieht man ganz gut: In den
80er-Jahren gibt es mehr Investitionen in Forschung und
Innovation. – Jetzt ist Herr Riesenhuber weg. Ich hätte
ihn gelobt.


(Zurufe von der CDU/CSU: Nein! Da ist er! Erste Reihe!)


– Oh, Pardon! Wie konnte ich Sie, so ruhig sitzend, über-
sehen? – Herr Riesenhuber hat eine gute Tradition sozi-
aldemokratischer Forschungsminister übernommen und
weiter ausgebaut.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dann stellt man fest: 1988 bricht die Kurve ab, also
zwei Jahre vor der Wiedervereinigung – nicht dass das
als Argument kommt! Es geht runter auf das historische
Rekordtief in der Ära Kohl/Rüttgers, nämlich 1996/97,
wo so wenig wie nie in den Jahrzehnten vorher in For-
schung und Entwicklung investiert worden ist.

Dann kommt es wirklich mit der Regierungsübernah-
me von Rot-Grün. Ab 1999 gehen die staatlichen Aus-
gaben für Forschung und Entwicklung nach vielen Jahr-
zehnten endlich wieder nach oben.


(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Was richtig gut war!)


Das haben wir in den letzten zwei Jahrzehnten gemein-
sam in dieser Koalition bzw. mit den Grünen fortgesetzt.
Das ist die richtige Betrachtung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das hat also weit vor der Zeitrechnung 2005 angefangen.
Die SPD, die in den letzten zwei Jahrzehnten 16 Jahre
mitregiert hat, hat Deutschland wieder zu einem Standort
gemacht, an dem mehr Geld für Forschung und Entwick-
lung ausgegeben wird.


(Beifall bei der SPD)


Wir freuen uns über jeden, der dabei mitmacht.

Übrigens gab es vier Jahre, in denen wir nicht an der
Regierung beteiligt waren. Sie erinnern sich vielleicht
daran, was da passiert ist. Da hat die FDP die Möven-
pick-Hotelsteuer durchgesetzt, und es hat einen katastro-
phalen Wandel in der Energiepolitik gegeben. Die Lauf-
zeiten der Atomkraftwerke sind verlängert worden.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Sind Sie bei der falschen Novelle, oder wo sind wir jetzt?)


Das kostet den Steuerzahler heute 6 Milliarden Euro,


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: 7!)


weil die Brennelementesteuer zurückgezahlt werden
muss. Das zahlt leider nicht die Haftpflichtversicherung
der Kanzlerin; denn die leistet bei grober Fahrlässigkeit
und Vorsatz nicht.

Es geht aber nicht nur darum, mehr Geld zur Verfü-
gung zu stellen, sondern auch darum, Impulse für For-
schung und Entwicklung zu setzen. Tatsächlich war es
die SPD, die mindestens zwei wesentliche Impulse ge-
setzt hat. Noch unter der Forschungsministerin Edelgard
Bulmahn, in rot-grüner Zeit, ist der Pakt für Forschung
und Innovation, den Herr Kretschmer auch gerade er-
wähnt hat, auf die Gleise gesetzt worden – mit einem
großen Erfolg, weil erstmals seit vielen Jahren und Jahr-
zehnten sich die Forscherinnen und Forscher in den au-
ßeruniversitären Forschungseinrichtungen darauf ver-
lassen konnten, dass sie in jedem Jahr mehr Geld zum
Investieren bekommen: erst 3 Prozent, dann 5 Prozent,
jetzt 3 Prozent. Das war ein großer Anschub. Das hat
Deutschland wieder attraktiv gemacht, weil man wusste:
Hier wird Forschung verlässlich finanziert.

Ein zweiter wichtiger Impuls war die Exzellenzinitia-
tive – sie war sehr umstritten, auch unter einer sozialde-

Ralph Lenkert






(A) (C)



(B) (D)


mokratischen Bundesbildungs- und -forschungsministe-
rin auf den Weg gebracht –, die eine ungeheure Dynamik
in die deutsche Forschungs- und Hochschullandschaft
gebracht und Deutschland wieder zu einem sichtbaren
Standort von Wissenschaft und Forschung gemacht hat.
Auch das ist ein sozialdemokratischer Erfolg.


(Beifall bei der SPD)


Darüber, dass es uns 2007 in der Großen Koalition ge-
lungen ist, den Hochschulpakt auf den Weg zu bringen,
weil nämlich die Hochschulen dringend Unterstützung
brauchten, um mehr in Hochschulstudiengänge inves-
tieren zu können, freuen wir uns gemeinsam mit den
Kollegen von der Union. Die große Frage wird sein –
der EFI-Bericht 2017 bescheinigt uns nämlich, dass die
Grundfinanzierung der Hochschulen ein großes Problem
ist –: Wie werden wir diesen Hochschulpakt nach 2020,
wenn er nämlich ausläuft, weiter finanzieren? Wir sind
der Überzeugung, dass wir die Hochschulen weiter un-
terstützen müssen, damit mehr Studienplätze, vernünftig
ausgestattet, zur Verfügung gestellt werden können.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben auch in dieser Legislaturperiode eine Reihe
von Impulsen setzen können – mit den Kollegen von der
Union; ich danke Stefan Kaufmann und einigen anderen,
die das mitgemacht haben –, zum Beispiel für ein The-
ma, das sehr viele Menschen ihr Leben lang interessieren
wird, nämlich das Thema Arbeit. Das ist nicht nur eine
Frage des Geldverdienens; es geht auch darum, dass man
in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt sich selbst zu er-
arbeiten. Das ist auch eine Frage des Selbstwertgefühls.

Dabei ist die Frage zu stellen: Wie schaffen wir es
denn, in einer veränderten Arbeitswelt – Stichwort „Di-
gitalisierung der Arbeitswelt“ – Arbeit so zu gestalten,
dass Menschen möglichst lange zufrieden und gesund ar-
beiten können? Das ist eine der großen Herausforderun-
gen unserer Zeit. Es gab das Programm „Humanisierung
des Arbeitslebens“ in den 70er-Jahren, sozialdemokra-
tisch initiiert. Herr Riesenhuber, vielen Dank; Sie haben
es weitergeführt und ausgebaut. Aber auch das ist zum
Ende der 90er-Jahre hin reduziert worden. Wie schaffen
wir es also, dass Menschen arbeiten können, ohne dabei
kaputtzugehen? Das ist eine große Herausforderung. Wir
machen jetzt endlich wieder mehr Arbeitsforschung in
diesem Land und bauen ein Projekt auf, damit wir für die
Herausforderungen einer sich wandelnden Arbeitswelt
gewappnet sind.

Damit einher geht etwas, was uns auch im Bericht der
EFI seit Jahren vorgeworfen wird: dass wir zu schlecht
aufgestellt sind im Bereich der wissensintensiven Dienst-
leistungen. Auch das ist ein Bereich, den wir stärker be-
arbeiten und erforschen lassen wollen. Wie verändern
sich Dienstleistungen? Welches große Potenzial an Ar-
beit, Technologie und Wertschöpfung steckt darin?

Ein dritter Bereich ist die Produktionsforschung. Auch
hier gibt es einen großen Wandel. Wie wird künftig pro-
duziert? Welche Produkte kommen am Weltmarkt an?
Was bedeutet das für eine Fabrik? Was bedeutet das für
die Arbeitswelt? Auch hier werden wir mehr investieren.
Ich bin sehr froh, dass im Rahmen von ZIM – das ist

auch Bestandteil dieses Tagesordnungspunktes – gerade
für mittelständische Unternehmen ganz viel kleines Geld
zur Verfügung gestellt wird, um neue Produkte zu entwi-
ckeln und Material und Werkstoffe zu verbessern.

Am Ende kann man nur sagen: Das ist ein Erfolg, den
wir in den letzten Jahren gemeinsam – übrigens mit allen
Fraktionen hier – hinbekommen haben und der auch fort-
gesetzt werden muss. Deswegen schaue ich jetzt in die
Zukunft: Wir, die SPD, werden am kommenden Sonntag
unser Wahlprogramm beschließen. Wir haben konkrete
Vorschläge, wie es weitergehen soll. Gute Forschung ist
nur dann möglich, wenn es gut ausgebildete Menschen
in diesem Land gibt, und das fängt im Kindergarten und
in der Schule an. Insofern ist das Konzept, das Martin
Schulz vorgestellt hat, Vorrang für Investitionen in Kitas
und Bildung, der richtige Weg. Wir müssen mehr in
Schulen investieren, und wir sind sehr der Auffassung,
dass die Reichen in diesem Land einen größeren Teil
dazu beitragen können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824002800

Vielen Dank, René Röspel. – Nächster Redner in der

Debatte: Kai Gehring für Bündnis 90/Die Grünen.


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824002900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Danke an mei-
nen Vorredner, an die Aufwüchse bei Bildung und For-
schung seit 1998 zu erinnern. Wichtig ist: Dieses Wachs-
tum muss jetzt auch weitergehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich habe mich ja gefragt: Was will uns die Bundesre-
gierung eigentlich mit dieser Debatte kurz vor dem Ende
der Wahlperiode sagen? Aus ökologischer Sicht könnte
man Sie für die Wiederverwendung Ihrer Imagebroschü-
ren loben. Dabei haben Sie jedoch nicht auf deren poli-
tisches Verfallsdatum geachtet. So hat uns Wirtschafts-
staatssekretär Machnig kurz vor dieser Debatte Ihre
gestoppten Ideen zur steuerlichen Forschungsförderung
geschickt. Notwendig und überfällig wäre stattdessen ein
abgestimmter Gesetzentwurf des Kabinettstrios Zypries,
Wanka und Schäuble. Unser Innovationsstandort könn-
te schon so viel weiter sein, wenn Sie sich als Koalition
nicht ständig selbst blockieren würden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ohne steuerliche Forschungsförderung drosseln Sie
die Kreativität und Wettbewerbsfähigkeit der kleinen
und mittleren Unternehmen. Sie hemmen Innovation, wir
wollen Sie entfachen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn als Grüne im Bundestag waren wir die erste Frakti-
on, die einen sofort umsetzbaren Gesetzentwurf für einen
KMU-Forschungsbonus vorgelegt hat. Gestern hat der
Bundestag unseren Antrag zur Gründungsförderung de-

René Röspel






(A) (C)



(B) (D)


battiert – ein weiterer grüner Beitrag für mehr Innovation
in diesem Land. Bei Ihnen erleben wir hierbei Fehlanzei-
ge und Leerstellen, und das ist schlecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieses Unvermögen steht symptomatisch für Ihre in-
novationslose Innovationspolitik, Frau Wanka.

Beispiel Hightech-Strategie: Neues wird dort kaum
gewagt, altes Wachstumsdenken dominiert. Sie verhar-
ren bei einem engen wirtschafts- und technologiefixier-
ten Innovationsansatz. Wir wollen unsere Republik zum
Pionierland für technische und für sozialökologische In-
novation machen. Darin liegen Chancen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Das trifft es gerade nicht, Kollege!)


Nachhaltigkeit und die Ausrichtung auf große globa-
le Herausforderungen müssen endlich Leitschnur für die
Hightech-Strategie werden.

Beispiel Klimaforschung: Wir alle kritisieren, dass
Präsident Trump aus dem globalen Klimaschutz aus-
steigt. Warum lässt die Koalition aber seit Jahren die
Chance verstreichen, ein Rahmenprogramm zur Klima-
folgenforschung auf die Beine zu stellen? Wir haben
ein solches Rahmenprogramm eingefordert. Es wäre
ein ökologisches wie wissenschaftliches internationales
Leuchtturmprojekt. Die UN-Klimaschutzziele und das
Pariser Klimaabkommen machen das dringend notwen-
dig. Der Bedarf liegt auf der Hand. Sie sind auch hier
Tu-nichts-Koalition.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Beispiel Digitalisierung: Außer Reden wenig gewe-
sen. Wir sagen: Industrie 4.0 braucht Bildung 4.0. Mo-
derne digitale Infrastruktur ist in Schulen und Hochschu-
len leider weiter Mangelware. Unsere Republik wird seit
zwölf Jahren von CDU-Forschungsministerinnen regiert
und ist in dieser Zeit ein digitales Entwicklungsland ge-
blieben. Frau Wanka, Sie sind versetzungsgefährdet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das ist absurd, was du erzählst! – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Realitätsverweigerung!)


Genauso ist es beim wissenschaftsfreundlichen Urhe-
berrecht. Es wird seit Jahren diskutiert, wurde von der
Enquete-Kommission empfohlen. Die Wissenschafts-
community braucht endlich Schrankenregelungen und
keine Blockade der CDU/CSU-Rechtspolitiker auf den
allerletzten Metern. Geben Sie sich einen Ruck, anstatt
den Regierungsentwurf zu schreddern. Die Maas-No-
velle wäre für Lehrende und Lernende ein Schritt in die
richtige Richtung. Er muss jetzt kommen, und zwar ohne
weitere Verwässerungen der Union.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Beispiel finanzielle Prioritäten: Statt Klein-Klein muss
Forschungsförderung auf starke, von Neugier getriebene

Grundlagenforschung sowie große Herausforderungen
ausgerichtet sein, zum Beispiel Forschen gegen Klima-
wandel, gegen Hunger, gegen Fluchtursachen, gegen ar-
mutsassoziierte Krankheiten und Ressourcenknappheit.
Hier wären Gelder viel besser angelegt als in Milliarden-
gräbern wie ITER zur Kernfusionsforschung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen raus aus der Atomforschung und rauf mit
Forschung für erneuerbare Energiesysteme. So würden
Bundesmittel sinnvoll und verantwortungsvoll für die
Zukunft eingesetzt.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun!)


Mich macht in diesen Tagen fassungslos, dass Sie als
Koalition auf den letzten Metern hohe Milliardensum-
men für Korvetten-Kriegsschiffe und Panzer ausgeben
wollen


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


anstatt für Kitas, Schulen und Labore. Das ist ein Un-
ding, meine Damen und Herren.

Das sage ich auch, weil wir als Ausschussmitglieder
alle wissen, dass die Unionsfraktion seit Jahren, seit
zwölf Jahren, eine massive Stärkung der Friedens- und
Konfliktforschung verhindert. Auch das ist ein Unding.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU]: Die löst auch nichts!)


Wir sagen: Das umstrittene 2-Prozent-Ziel bei Ver-
teidigung darf doch nicht das wichtige 3,5-Prozent-Ziel
für Forschungs- und Entwicklungsinvestitionen in der
Bedeutung überholen. Investieren in unsere Investitions-
und Wissensgesellschaft muss klar Priorität haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was brauchen wir noch, um mehr Innovationen zu
entfachen?

Erstens – das wird vielleicht manche in der Union
verwundern –: mehr Bildungsgerechtigkeit. Bildung und
Teilhabe aller an unserer Wissensökonomie sind uner-
lässlich. Unser Land wird nicht nur gerechter, sondern
auch kreativer und innovativer, wenn wir niemanden zu-
rücklassen und wenn wir den Fachkräftemangel ernsthaft
bekämpfen, zum Beispiel bei den technischen Berufen.
Das steht jetzt an.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Zweitens: mehr Pluralität, Vielfalt und Interdisziplina-
rität in der Forschung. Das erweitert Horizonte. Beispiel:
Die Finanzwissenschaften haben bei der Vorhersage der
globalen Finanzkrise versagt. Deshalb tut mehr Pluralität
not.

Drittens. Wir brauchen mehr Forschung jenseits des
Mainstreams. Ein Beispiel: Wir wollen die Methoden

Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


zum Ersatz von Tierversuchen endlich massiv stärken,
um Tierleid zu reduzieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben die Ideen, mehr Bürgerwissenschaften, Ci-
tizen Science, zu puschen und einen Experimentiertopf
für die „Daniel Düsentriebs“ und Tüftler der Republik zu
schaffen, um auch unkonventionelle Ideen zu generieren.
Auch das wäre etwas Neues.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Viertens. Es braucht mehr Freiräume und eine garan-
tierte Wissenschaftsfreiheit. Dazu braucht es hierzulande
mehr Planungssicherheit, also eine verlässliche Grundfi-
nanzierung unserer Hochschulen, anstatt sich immer von
Pakt zu Pakt zu hangeln. International müssen wir gegen
jedwede Wissenschaftsfeindlichkeit und -diffamierung
ankämpfen, weil so etwas Kooperation erschwert. Ob
Massenentlassungen von Wissenschaftlern in der Türkei,
verfolgte Forscher in Despotien, Trumpismus, Brexit
oder Ungarn: Gängelungen von Forscherinnen und For-
schern dürfen nirgends um sich greifen, zum Grundrech-
teschutz und aus Innovationsgründen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. René Röspel [SPD])


Fünftens. Wir brauchen klare Karriereperspektiven für
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler statt ein wei-
teres Befristungsunwesen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Ihre Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: War ein voller Erfolg!)


wird alle Ziele verfehlen.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wider besseres Wissen so was zu behaupten!)


Schlechte Arbeitsbedingungen im Wissenschaftssystem
und die Frustrierung von Talenten sind aber auch inno-
vationsfeindlich, genauso wie die Unterrepräsentanz
von Frauen in Spitzenpositionen der Wissenschaft. Da-
her wollen wir einen Aufbruch für mehr Personal an den
Hochschulen und Forschungseinrichtungen, für „mehr
Dauerstellen für Daueraufgaben“ jenseits der Professur
und im Mittelbau sowie mehr Diversity und Geschlech-
tergerechtigkeit in der Wissenschaft. Denn Ideen, die un-
sere Welt verbessern, entstehen in klugen Köpfen, und
die brauchen bessere Bedingungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zusammengefasst: Unsere Republik muss zum Pio-
nierland für sozial-ökologische Innovationen werden.
Dazu gehören viele neue Impulse wie die genannten,
super Bedingungen für Wissenschaftsfreiheit, gute For-
scherkarrieren und Vielfalt sowie eine bessere Finanzie-
rung von Forschung und Entwicklung. Was diese Ko-
alition nicht geschafft hat, müssen wir in der nächsten
Wahlperiode mit einem Modernisierungsschub nachho-

len. Denn Zukunft wird aus Mut, Neugier und Kreativität
gemacht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824003000

Vielen Dank, Kai Gehring. – Nächste Rednerin: für

die Bundesregierung Ministerin Dr. Johanna Wanka.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Gehring, warum diskutieren wir das heute hier? Aus
Achtung vor dem Parlament. Sie haben beschlossen, dass
wir einen Bericht dazu zu machen haben. Den machen
wir gerne, und er ist gut.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Herr Lenkert, ich habe hier ja nur wenige Minuten zum
Reden. Deswegen habe ich eine große Bitte; ich assistie-
re gerne. Wir hatten vor einiger Zeit hier eine Debatte
zum Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den fanden Sie ja nicht so gut! Da haben Sie gesagt, die Daten sind schlecht!)


Da ging es darum, wie viele Dauerstellen wir geschaffen
haben und wie die Karriereverläufe sind. Zu all dem, was
Sie heute angesprochen haben, habe ich da Stellung ge-
nommen, habe die Fragen beantwortet. Ich bitte Sie, da
noch einmal nachzuschauen; Sie können auch gerne mit
mir darüber reden.

Herr Röspel, ich bin ja für lange Geschichtszüge. Man
muss aufpassen, ob man Legenden strickt.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Genau so ist es! – René Röspel [SPD]: Das ist keine Legende! Also, das ist klar!)


– Lassen Sie mich doch mal reden. – Wenn man jetzt
die Zeit von Rot-Grün betrachtet, dann stellt man fest,
dass ich diesbezüglich nicht nur – wie Sie mir positiv un-
terstellen – mit den Zahlen rechnen kann, sondern auch
Zeitzeugin bin.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt bin ich gespannt auf Ihre Legende!)


Ich hatte für unsere Institute zu sorgen – die ehemalige
Finanzministerin kann sich vielleicht noch erinnern –, als
der Bund nicht bereit war, Mittel zur Finanzierung von
Tarifsteigerungen zu zahlen. Wir mussten das dann er-
wirtschaften, und das im Osten.

Noch ein Fakt, was die Zahlen angeht: Die Steigerung
der Ausgaben für Forschung und Entwicklung war über
die gesamte Zeit von Rot-Grün hinweg in der Summe so
groß wie bei mir in einem Jahr.


(Beifall bei der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Es geht um den Anteil in Prozent! Das ist doch ein Aufwuchs!)


Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


– Das müssen wir jetzt nicht vertiefen. – Ansonsten habe
ich keine Lust, nur über die Vergangenheit zu reden. Da-
für ist mir die Zeit zu schade.


(René Röspel [SPD]: Ein richtiges Inter vall nimmt man schon! Sie kennen das aus der Mathematik, oder?)


– Herr Röspel, das geht von meiner Zeit ab. Tut mir leid.
So.


(Rainer Spiering [SPD]: Ah, so geht das!)


– Ja, das ist Strategie.

Wir haben heute als Thema: Wie sind wir aufgestellt?
Deutschland ist im Hinblick auf Dienstleistungen und
Produktion ein Spitzenstandort, gerade was die Produk-
tion von Hightechgütern anbetrifft. Die Hightech-Stra-
tegie, über die wir hier reden, ist ein ganz entscheiden-
des Instrument, eine Grundlage dafür. Nun ist es immer
schwierig, wenn man sich selber lobt; das kommt nicht so
gut an. Deswegen greife ich mal das auf, was diejenigen
sagen, die uns bewerten: die OECD. Ich mache jetzt fünf
Ausrufezeichen – Sie wissen, wie falsch uns die OECD
sonst an vielen Stellen einschätzt. An dieser Stelle spricht
uns die OECD – nachdem sie das mit der beruflichen Bil-
dung verstanden hat – ein großes Lob aus. Sie verweist
darauf, dass Länder wie Korea und Frankreich Anregun-
gen aus unserer Hightech-Strategie entnehmen, dass sich
Horizon 2020 an diesem Vorbild orientiert.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt machen Sie aber Rosinenpickerei!)


Im EFI-Bericht wird darüber hinaus eine Bilanz der gan-
zen Jahre, also nicht nur der letzten zwei oder drei Jahre,
gezogen, und sie fällt sehr positiv aus.

Sehr geehrter Herr Gehring, dass Sie und Ihre Frak-
tion uns mit Ihrem Antrag unterstützen und loben, kann
man auch mal erwähnen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie machen doch keine steuerliche Forschungsförderung!)


Denn jeden der Punkte, die Sie im Antrag genannt ha-
ben – mehr Forschung für Nachhaltigkeit, Reallabore,
soziale Innovationen –, sind wir angegangen. Da haben
wir viel vorzuweisen. Zu allen Wünschen, die Sie hier
aufgezählt haben – Nachhaltigkeit und anderes –, kann
ich Ihnen Dinge nennen, die wir gemacht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann nutzen Sie Ihre Chance!)


Solch einen positiven Impuls aus der Opposition kann
man ja auch mal aufnehmen.

Jetzt zu den Ergebnissen: 3 Prozent vom Bruttoin-
landsprodukt, lieber Herr Riesenhuber, für F und E ha-
ben wir jetzt in Deutschland als große Industrienation –
nicht als kleines Land – erreicht. Wir wollen und müssen
weitermachen. Wenn wir sagen, dass wir in Richtung
3,5 Prozent gehen, dann geht es um richtig viele Milli-
arden, die wir brauchen, die wir wollen und die wir auch
einstellen werden. Aber um die 3 Prozent zu erreichen,

müssen sich Wirtschaft und Wissenschaft gegenseitig
animieren.

Wir haben im Rahmen der Hightech-Strategie neue In-
strumente eingeführt, um die Wirtschaft zu Forschungs-
stärke anzuregen. Eines der Instrumente, gegen das nie-
mand etwas sagen kann, das allenthalben gelobt wird,
ist der Spitzencluster-Wettbewerb. Ohne den Standort
Dresden mit dem Spitzencluster Silicon Saxony, lieber
Michael Kretschmer, gäbe es nicht dieses Zentrum in Eu-
ropa und eine Investition von Bosch in Arbeitsplätze in
Milliardenhöhe.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, so ist es!)


Herr Gehring, Sie sagen, wir haben die Digitalisierung
verschlafen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, haben Sie!)


Ich habe vergessen, was Sie gelernt haben. Die Grundla-
ge für Digitalisierung ist die Mikroelektronik. Ohne die
Mikroelektronik sind wir nicht in der Lage, bei der Digi-
talisierung ganz vorne mitzuspielen.


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit der Ausbildung von Herrn Gehring zu tun?)


Wir haben es gemeinsam mit dem Wirtschaftsministe-
rium geschafft, die Bundesregierung insgesamt, für den
Bereich Mikroelektronik über eine Milliarde Euro zur
Verfügung zu stellen, und zwar so, dass es nicht bei-
hilfeschädlich ist. Wir haben die Chance, in Europa zu
investieren. Es muss nicht immer nur Deutschland sein.
Das ist die Basis unserer Initiative. Die Investition in die
Forschungsfabrik Mikroelektronik Deutschland in Höhe
von 350 Millionen Euro ist die größte Investition, die es
in diesem Bereich jemals gab.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Thema KMU haben wir analysiert. Das Motto lau-
tet: Vorfahrt für den Mittelstand! Die Effekte werden wir
im Moment noch nicht messen können. Eines ist klar –
hier waren wir schon bei den letzten Koalitionsverhand-
lungen nicht weit auseinander mit der Forschungs- und
Wissenschaftsseite –: Wir brauchen steuerliche FuE-För-
derung. Das kommt noch, das ist aus meiner Sicht sicher.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber am Sankt-Nimmerleins-Tag!)


– Nein. – Aber man kann dabei auch einiges falsch ma-
chen. Bei der Anwendung dieses Instrumentes kommt es
entscheidend darauf an, zu prüfen, ob es auf Deutschland
passt, ob es das Fraunhofer-Institut eher stört und ob es
die guten Mechanismen, die wir haben, befördert oder
nicht. Darüber muss man diskutieren,


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange diskutieren Sie denn schon?)


und das tun wir. Diese Entscheidung könnte eine Fehl-
entscheidung sein, wenn man sich jetzt nicht für die rich-
tigen Instrumente entscheidet.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwölf Jahre hätte die Union Zeit gehabt! Das Bundesministerin Dr. Johanna Wanka glauben Sie doch selber nicht, dass das jetzt kommt!)





(A) (C)


(B) (D)


Soziale Innovationen sind für uns ein besonderes The-
ma. Das zeigt unser großes Programm „Zukunft der Ar-
beit“. Ich kann es nicht ertragen, in den Reden immer
dieselben Fragen zu hören; denn wir sind schon bei den
Antworten.


(Beifall bei der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Die haben wir aber nicht! Wir haben das Programm gestartet! Mit großer Verspätung!)


Wir reden mit Frau Nahles darüber, wie man diese Ant-
wort übersetzen kann. Es geht stark darum, dass man alle
in der Bundesrepublik erreicht.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nutzen Sie die Chance!)


Mit unserem Programm „Innovative Hochschule“ gibt es
zum allerersten Mal ein Transferprogramm, das in jeder
Ecke Deutschlands, wenn ein überzeugender Antrag vor-
liegt, zu langfristigen Transfermechanismen und nicht zu
einseitigen Projekten führt. Damit wollen wir deutsch-
landweit einen Transfer von Ergebnissen erreichen. Der
Bund zahlt 90 Prozent. Das war unsere Initiative. – So
viel zu diesen Punkten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Man kann an dieser Stelle vieles sagen. Es liegen di-
cke Papiere und viele andere Materialien vor. Sehr zu
empfehlen sind unsere Informationsmaterialien, wobei
wir von unserem ursprünglichen Ziel nicht abgehen und
weitermachen.

Wir haben uns überlegt, dass es nicht nur darauf an-
kommt, Arbeitsforschung zu betreiben; das wird schon
seit vielen Jahren gemacht, dafür gab es auch immer Mit-
tel in Millionenhöhe. Wenn ich mir so anschaue, was die
Sozial- und Geisteswissenschaftler bei der EU an Mitteln
beantragen, muss ich sagen: Das ist viel zu wenig; dabei
sind die Mittel vorhanden. Laut unserem Programm ist es
nicht genug, ein neues Arbeitsforschungsprogramm, Pa-
pers und Artikel zu erstellen. Vielmehr ist das Programm
immer an den Praxisbezug gebunden, zum Beispiel mit
einem kleinen oder größeren Unternehmen.

Wenn Deutschland von außen eingeschätzt wird, dann
wird unsere Forschungsstärke genannt. Als Mangel wird
immer angeführt: Es müsste mehr Gründungen geben.
Für Gründungen ist nicht in erster Linie unser Haus zu-
ständig, aber natürlich interessiert uns dieses Thema.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist gut, dass Sie das interessiert!)


Unsere Maßnahmen bezüglich Wagniskapital und an-
deren Instrumenten haben in der Szene positiv gewirkt.
Trotzdem gibt es Potenziale, die wir nicht heben. Deswe-
gen sind wir dabei, einen Fünfpunkteplan zu erstellen,
um innovative Gründungen zu befördern.

Ich nenne ein Beispiel: Innovative Gründungen sind
sehr von der Branche abhängig. Im IT-Bereich braucht
man ganz andere Möglichkeiten als im Bereich der Le-
benswissenschaften. Deswegen sehen wir bei all unseren

Programmen eine Komponente vor, die Gründungen be-
fördern soll.

Validierung ist für uns ein weiteres wichtiges Thema.
Für Validierung gibt es, glaube ich, ausgefeilte Instru-
mente. Hier geht es aber auch darum, etwas für Sprung-
innovationen bereitzustellen. Das betrifft auch die Frage,
wie öffentliche Unterstützung für junge Menschen in
Deutschland aussehen kann, die ein hohes Risiko einge-
hen, um etwas zu erreichen.

Ich glaube, wir haben eine gute Bilanz vorzuweisen.
Es gibt trotzdem noch viel zu tun.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das ist richtig!)


Es gibt Stellen, an denen wir deutlich besser werden kön-
nen. Ich bin aber der Meinung, wir sind gut aufgestellt,
und danke allen, die sich in diesem Bereich engagieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824003100

Vielen Dank, Dr. Wanka. – Nächste Rednerin: Karin

Binder für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824003200

Liebe Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Meine Kol-

leginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren auf
der Besuchertribüne! Liebe Frau Wanka, ich spreche
hier heute als Verbraucherpolitikerin insbesondere zum
Aktionsplan Nanotechnologie 2020 aus Ihrem Ministe-
rium, zu dem Sie hier leider kein Wort verloren haben.
Aus verbraucherpolitischer Sicht ist Nanotechnologie
aber für mich eines der wesentlichen Themen, weil diese
Technologie nicht nur Chancen bietet, sondern auch eine
Menge an Risiken birgt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Seit elf Jahren wird die Forschung im Bereich Nano-
technologie mit rund 5 Milliarden Euro gefördert. Wenn
ich Ihren Aktionsplan aber richtig verstehe, geht es in
erster Linie um ein groß angelegtes Firmensponsoring.
Mittels der neuen Hightech-Strategie soll dafür gesorgt
werden, dass deutsche Firmen auf dem internationalen
Markt in dieser neuen Technologie wettbewerbsfähig
sind. Dabei stellen sich mir aber schon einige Fragen.
Diese Technologie hat eine Bedeutung, die annähernd an
die Bedeutung der Atomtechnologie oder der Gentech-
nologie herankommt. Es geht bei Nanopartikeln, die auf
künstlichem Wege erzeugt werden, um eine Vielzahl von
Stoffen, von denen jeder für sich eine andere Wirkung
entfaltet.

Das Beispiel Silber kennen Sie wahrscheinlich alle.
Silber ist als Stoff an sich völlig harmlos, wird als
Schmuck getragen. Silber in Nanopartikelgröße wirkt
toxisch.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Jetzt sprechen Sie doch einmal zum Thema! Was hat Bundesministerin Dr. Johanna Wanka das denn mit der Leistungsfähigkeit Deutschlands zu tun?)





(A) (C)


(B) (D)


Man hat mal gemeint, man könne durch den Einsatz von
Silbernanopartikeln eine Weile hinauszögern, dass So-
cken zu stinken beginnen, hat dann aber gemerkt, dass
Silber nicht nur antiseptische, sondern auch toxische
Wirkung hat, dass es gefährlich wird. Man musste also
wieder einen Schritt zurückgehen.

So kann auch jeder andere Stoff in Nanopartikelgröße
Risiken bergen, die wir heute noch nicht kennen. Hier
braucht man Langzeitforschung, eine Forschung, die
auch mehrere Generationen in den Blick nimmt. Denn
auf ein Kind wirkt eine Hautcreme, die künstlich erzeug-
te Nanopartikel enthält, längerfristig möglicherweise
gesundheitsschädlich, während es einem Erwachsenen
nichts ausmacht. Nanopartikel dringen in Zellen ein, und
diese verändern sich dadurch. Das alles haben wir noch
nicht im Blick, weil es noch kaum Messverfahren bzw.
Prüfverfahren gibt, die zumindest bei den Kontrollbehör-
den zum Einsatz kommen könnten.

All diese Risiken hat man noch nicht wirklich behan-
delt, hat sie noch nicht wirklich im Fokus, vielmehr geht
es in Ihrem Aktionsplan nur um Wettbewerbsfähigkeit.
Ich bin sehr wohl dafür, dass wir neue Technologien nut-
zen, gerade wenn es darum geht, Oberflächenbeschaffen-
heit und Ähnliches zu verbessern und für günstigere Pro-
duktionsprozesse zu sorgen. Ich denke aber, trotz allem
haben die Menschen das Recht darauf, zu wissen, welche
Risiken diese Technologie birgt. Da sehe ich noch ein
riesengroßes Problem. Es darf nicht sein, dass die einen
den Nutzen haben in Form von höheren Profiten und die
anderen die Risiken in Form von Gesundheits- und Um-
weltgefährdung.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb müssen wir hier viel mehr investieren, um die
Risiken zu erforschen. Das tun die Firmen nämlich nicht,
das kostet sie nämlich bloß Geld. Aber unsere Gesell-
schaft kostet ein vorschneller Einsatz Gesundheit und
Leben. Ich denke, hier müssen wir ran. Frau Wanka, da
sehe ich Sie in der Pflicht.

Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit. Ich
sage Tschüss. Es waren spannende zwölf Jahre. Ich dan-
ke vielen Menschen, auch Menschen, die nicht in diesem
Raum sind, für die angenehme Zusammenarbeit, für die
spannende Zeit. Ich wünsche allen viel Erfolg.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824003300

Vielen Dank, Karin Binder. – Ich glaube, das wün-

schen wir Ihnen auch. Vielen Dank für die gute Zusam-
menarbeit, nicht zuletzt in der Mitarbeiter- und Mitarbei-
terinnenkommission. Alles Gute! Wir denken an Sie.

Jetzt kommt als nächste Rednerin – sie steht schon
da – Dr. Daniela De Ridder für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1824003400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Gäste! Wir diskutieren heute über
die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands und
damit auch die Hightech-Strategie der Bundesregierung.
Frau Präsidentin, ich weiß nicht, woran Sie denken, wenn
Sie den Begriff „Hightech“ hören. Ich denke dabei unter
anderem ganz spontan an Haushaltsroboter, saisonal be-
dingt an Rasenmäherroboter.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber es geht dabei um sehr viel mehr.

Es geht dabei um die digitale Wirtschaft und die ent-
sprechenden gesellschaftlichen Prozesse, die damit ein-
hergehen.

Es geht um nachhaltiges Wirtschaften.


(Vizepräsidentin Claudia Roth hält ihr Smartphone hoch)


– Sie wollten mir die Antwort nicht schuldig bleiben.
Wunderbar. – Auch das gehört zum technologischen
Fortschritt. Beispielsweise beeinflusst das, was Sie gera-
de hochgehalten haben, unsere innovativen Arbeitswel-
ten; denn das trägt ja ebenfalls zum Fortschritt bei.

Es geht auch um gesundes Leben. Insofern hoffe ich,
dass Sie das Handy so benutzen, dass Sie nicht nur das
Ohr daran haben, sondern auch uns lauschen. Auch das
gehört ja mit zu diesen Prozessen.

Es geht aber ebenfalls um intelligente Mobilität.

Und nicht zuletzt geht es um zivile Sicherheit. Im
Zeitalter von Big Data und Fake News ist es unerlässlich,
dass wir uns auch damit befassen.

Letztendlich geht es darum, dass wir große gesell-
schaftliche Herausforderungen lösen; wir haben es eben
schon einmal gehört. Dies können wir nur, indem wir
innovativ sind, und dazu gehört ganz elementar die For-
schung in Zusammenarbeit mit KMUs und mit dem Mit-
telstand.

Ich bin sehr froh, dass ich die Chance habe, lieber Kai
Gehring, einmal darüber aufzuklären, dass das, was wir
schon entwickelt haben, keineswegs trivial oder unintel-
ligent ist. Ich will das anhand eines Beispiels deutlich
machen. Am Campus Lingen in meinem Heimatwahl-
kreis gibt es das Projekt „Dorfgemeinschaft 2.0“; es wird
mit 5 Millionen Euro vom BMBF gefördert, im Übrigen
eines von fünf Modellvorhaben. Da geht es um die Be-
antwortung folgender Frage: Wie entwickelt sich eigent-
lich der demografische Wandel im ländlichen Raum, was
tut sich da, und was muss zukünftig getan werden, damit
gerade auch ältere Menschen an der Gesellschaft partizi-
pieren können? Da geht es um Mobilität und ÖPNV, da
geht es um Smart Homes und intelligente Systeme, da
geht es aber auch um Pflege und damit ein Stück weit um
Robotik in der Pflege, aber auch um deren Akzeptanz bei
Älteren. Das ist ein Projekt, das an der Fachhochschule
angesiedelt ist.

Karin Binder






(A) (C)



(B) (D)


In der Tat gehören auch die Fachhochschulen zu den
innovativen Forschungseinrichtungen,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh ja!)


die wir in dieser Legislaturperiode sehr deutlich und sehr
weitgehend unterstützt haben. Ich nenne hier beispiel-
haft die Initiative FHprofUnt, in deren Rahmen Fach-
hochschulen und Hochschulen für angewandte Wissen-
schaften mit Unternehmen kooperieren. Ich nenne die
Förderlinie IngenieurNachwuchs für kooperative Promo-
tionen, ich nenne auch die Initiative FH-Invest, bei der
es um mehr Overhead für die Fachhochschulen geht, und
nicht zuletzt die Fördermaßnahme FH-Impuls, die mit
100 Millionen Euro – man höre und staune! – für acht
Jahre gefördert wird.


(Beifall des Abg. René Röspel [SPD])


– Vielen Dank. – Genannt sei aber auch das Programm
„Innovative Hochschule“. Das ist zugegebenermaßen
kein reines Fachhochschulprojekt, aber darin stecken
550 Millionen Euro bis 2027.

Ich wäre aber nicht Mitglied der SPD, würde ich mich
mit diesen Erfolgen schon zufriedengeben. Und würde
die SPD sagen, wir hätten schon genug getan, könn-
te man auch behaupten, morgen würde die Welt stehen
bleiben. Es gilt also die Losung Willy Brandts, der sag-
te: Wer morgen sicher leben will, muss heute schon für
Reformen sorgen. – Deshalb will ich noch einmal eine
Lanze für die Fachhochschulen und ihre Nachwuchsför-
derung brechen.

Es geht also darum, dass wir die Akteurinnen und
Akteure unterstützen müssen. Hier habe ich nicht ganz
verstanden, Frau Wanka, warum es uns in dieser Legis-
laturperiode nicht gelungen ist, ein gesondertes Nach-
wuchsprogramm für Fachhochschulen aufzulegen. Unse-
re SPD-Fraktion hat doch mit den Perspektivprofessuren
ein sehr gutes Konzept entwickelt; und wir glauben, dass
es nicht geht, ohne dies noch einmal deutlich zu flanki-
eren und auszubauen und mit 1 Milliarde Euro zu un-
terstützen. Denn gerade die angewandte Forschung, für
die Sie sich eben deutlich ausgesprochen haben, kommt
nicht ohne mehr Ressourcen, schon gar nicht ohne mehr
Personalressourcen aus.

Die Fachhochschulen haben bei ihrer Forschung oft
erlebt, dass sie durch das Raue gehen müssen. Um es auf
Latein zu sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: per as-
pera ad astra. Aber diesmal dürfen Sie vielleicht durch
das Smart Home gehen, wenn wir ihnen den Weg ein we-
nig ebnen. Es geht darum, dass wir deutlich machen: Die
Fachhochschulen und Hochschulen für angewandte Wis-
senschaften sind wie kaum eine andere Institution Träger
von Innovationen. Stärken und stützen wir sie!

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824003500

Vielen Dank, Dr. De Ridder. – Nächste Rednerin:

Patricia Lips für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD])



Patricia Lips (CDU):
Rede ID: ID1824003600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es
wurde schon vieles dazu gesagt, aber auch ich möchte
es noch einmal betonen: Über Deutschlands Grenzen
hinweg hören wir immer wieder, wie überragend positiv
unser Wirtschafts- und Forschungsstandort eingeschätzt
wird und wie attraktiv sich der Wissenschaftsbereich im
internationalen Wettbewerb um die besten Köpfe zeigt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Man zollt uns in hohem Maße mehr als nur Anerkennung
und Respekt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das EFI-Gutachten wurde bereits erwähnt. Auch ich
zitiere gerne daraus:

... beachtliche Verbesserungen in den Bereichen der
öffentlichen und privaten FuE-Ausgaben, bei der
Positionierung deutscher Forschungseinrichtun-
gen ... hinsichtlich Attraktivität und Exzellenz ...


(Beifall des Abg. René Röspel [SPD])


Die Autoren zitieren aber auch sehr pointiert unseren frü-
heren Bundespräsidenten Roman Herzog mit den Wor-
ten:

Die Welt ist im Aufbruch, sie wartet nicht auf
Deutschland.

Genau hier liegt unsere Aufgabe für die Zukunft. Wir
haben bereits viel erreicht; darauf können wir selbstbe-
wusst verweisen. Deswegen sollten wir uns hier nicht ge-
genseitig schlechtreden, wie es teilweise geschehen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Auf unseren Erfolgen dürfen wir uns aber nicht ausruhen.
Wir müssen besser werden, erst recht, weil andere Natio-
nen dieser Welt rasch aufholen. Wir sehen, dass sich die
Welt an anderen Orten in manchen Bereichen sozusagen
etwas schneller dreht als bei uns.

Ich denke zum Beispiel an die Bereiche Gesundheit
und IT-Forschung, an die Chancen, die Telemedizin und
Digitalisierung bieten. Ich denke vor allem an den inno-
vativen Gründergeist in anderen Ländern. Auch an dieser
Stelle haben wir viel getan, wir können aber noch eine
Schippe drauflegen.


(René Röspel [SPD]: Stimmt!)


Ich denke auch an die Konkurrenz in Fernost, die ihre
Ausgaben im Bereich Forschung und Entwicklung im-
mer mehr erhöht. Der globale Wettbewerb wird gerade
im digitalen Zeitalter immer schärfer und stellt eine im-
mer größere Herausforderung dar. Wir sehen: Es bleibt
noch einiges zu tun, um Deutschland nicht nur als Inno-

Dr. Daniela De Ridder






(A) (C)



(B) (D)


vationsmotor innerhalb Europas zu stärken, sondern auch
im globalen Kontext bzw. im globalen Wettbewerb seine
Spitzenposition zu erhalten.

Wir haben das 3-Prozent-Ziel hinsichtlich der Investi-
tionen in Forschung und Entwicklung gemeinsam erfolg-
reich umgesetzt. Natürlich, Kai Gehring, wollen wir uns
neue, ehrgeizige Ziele stecken. Wir peilen mittelfristig
natürlich ein Ziel jenseits der 3 Prozent an. Alles andere
wäre falsch. Konkret wird es dabei darum gehen, zusätz-
liche Mittel in zukunftsweisende Schlüsseltechnologien
zu investieren. Dabei geht es um Themen wie Digitali-
sierung, Mobilität, Gesundheitsforschung, Energie oder
autonome Systeme – Stichworte: Robotik und Stadtent-
wicklung –, um nur einige zu nennen. Dies sind bereits
wichtige Bausteine der Hightech-Strategie der Bundes-
regierung.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Klassenzimmer statt Korvetten!)


Der Bund hat in den letzten Jahren seinen Beitrag zu
einem weiteren Aufwuchs der Forschungsausgaben im
Rahmen dieses Ziels geleistet. Wir dürfen aber, Kolle-
ginnen und Kollegen, eines nicht vergessen: Den größ-
ten Teil dieser Ausgaben trägt die Wirtschaft selbst. Ein
Aufwuchs bedeutet somit eine weitere große Herausfor-
derung für unsere Betriebe. Lassen Sie mich Folgendes
sagen: Es gibt rund 3,6 Millionen kleine und mittlere
Unternehmen in Deutschland; das sind rund 99 Prozent
aller Betriebe in unserem Land. Viele von ihnen sind un-
glaublich innovativ. Das sind diese Daniel Düsentriebs,
von denen heute schon gesprochen wurde. Deren Leis-
tungskraft kann uns gerade deshalb nicht egal sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Förderung der Entwicklungsarbeit dieser Un-
ternehmen hat einen historischen Höchststand erreicht.
Dennoch ist die Innovationsquote in der Fläche gesun-
ken. Damit müssen wir uns befassen. Dieser Rückgang
der Innovationsquote mag damit zu tun haben, dass auf-
grund der guten Konjunkturlage der eine oder andere Be-
trieb den Druck, etwas verändern zu müssen, nicht spürt.
Hier müssen wir die Unternehmen ermuntern. Gerade
im Bereich der Digitalisierung tun sich manche Betriebe
noch immer schwer damit, die Dimension der Heraus-
forderungen zu erkennen und entsprechende Maßnah-
men umzusetzen. Ich bin dem Ministerium mit Johanna
Wanka an der Spitze dankbar, dass es gemeinsam mit uns
frühzeitig reagiert und gezielt Programme auf den Weg
gebracht hat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch die bisherige Projektförderung für und in in-
novative Unternehmen hat sich bewährt. Wir wollen sie
weiterentwickeln. Wir wollen sie als Forschungspoliti-
ker aber um das Element einer steuerlichen Förderung
ergänzen, wo immer es um den Einsatz von innovativen
Entwicklungen geht. In der Tat sehen wir hier ein ganz
wichtiges Element.

Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen vor allem
Unterstützung – nicht nur aus der Politik, sondern auch

aus der Gesellschaft –, wenn wir unser einzigartiges In-
novationsmodell erfolgreicher Geschäftszweige in klei-
nen, mittleren und großen Unternehmen mit tollen neuen
Ideen, aber auch unseren Ruf in Verbindung mit Qualität,
Präzision und Gründlichkeit in Zeiten eines massiven
Wandels erfolgreich weiterentwickeln wollen. Wir haben
in diesem Hause in der vergangenen Legislaturperiode
viel bewegt. Lassen Sie uns in den Bemühungen nicht
nachlassen – als Voraussetzung für den wirtschaftlichen,
sozialen und gesellschaftlichen Wohlstand in diesem
Land.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824003700

Vielen Dank, Patricia Lips. – Nächster Redner:

Dr. Ernst Dieter Rossmann für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1824003800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ja, Frau Lips, wir sind auf das, was wir in den letzten vier
Jahren bewegen konnten, genauso stolz wie Sie.


(Beifall des Abg. René Röspel [SPD])


Ich knüpfe an die letzte Bemerkung von Herrn Kretschmer
an: In der nächsten Woche wollen wir uns wiedersehen,
und dann wollen wir hier einen guten Gesetzentwurf ver-
abschieden, der die Austauschmöglichkeiten in der Wis-
senschaft fördert. Da sind Sie in der Bringschuld.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn Sie es schaffen, dann freuen wir uns. Wenn Sie es
nicht schaffen, tragen Sie die Verantwortung.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wir schaffen das!)


Wir wollen gerne mitgehen, wenn es um das 3,5-Pro-
zent-Ziel geht. Wir wollen gerne mitgehen, wenn es
darum geht, die außeruniversitären Forschungseinrich-
tungen, die Hochschulen und die Fachhochschulen zu
stärken. Wir gehen selbstverständlich auch mit, wenn es
in der nächsten Legislaturperiode – gerne unter unserer
Führung – darum geht, kleine und mittlere Unternehmen
zu stärken. Wir haben nämlich die Grundauffassung, dass
die Hightech-Strategie ein Element der gesamten Wis-
senschafts- und Bildungsstrategie ist; beides denken wir
ja in Deutschland zusammen. Diese Wissenschafts- und
Bildungsstrategie hat ein breiteres Spektrum; man darf
sie nicht nur auf Hightech beziehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Zum Abschluss zwei allgemeine Bemerkungen dazu.

Erstens. Hightech ist gut. Aber sind wir nicht immer,
wenn wir an Hightech denken, dazu verpflichtet, genauso
auch im Zuge der Vermittlung an Lowtech zu denken?

Patricia Lips






(A) (C)



(B) (D)


Um es anschaulich zu machen: Der afrikanische Konti-
nent hat bestimmt mehr Hightech-Produkte in Form von
Handys als Toilettenanlagen, die der Gesundheit der afri-
kanischen Bevölkerung dienen würden.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Das stimmt!)


Wenn dieses Thema von der Bill-Gates-Stiftung aufge-
griffen wird, dann ist das gut. Aber noch besser wäre
es, wir würden unseren Minister Müller und andere un-
terstützen, in ihrer Afrika-Strategie genau das zu trans-
portieren, was bei uns von höchstem Menschenverstand
erarbeitet wurde und unter einfachsten Bedingungen
umsetzbar ist. Auch dies ist ein Element einer Wissen-
schaftsstrategie: Hightech und Lowtech.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir werben immens dafür, dass wir dies zusammen den-
ken.

Ich kann es auch konkreter machen: Wenn die wunder-
baren Humboldt-Preise, mit 5 Millionen Euro ausgestat-
tet, vergeben werden, dann hört man ganz aufmerksam
zu, wenn es um Proteinforschung geht. Aber die Freude
im Herzen ist erst recht groß, wenn es zum Beispiel um
Immunologie, um Infektionsforschung, um Impfstrategi-
en und Ähnliches geht; denn dies hat für die Menschen
großen Nutzen. Wenn wir es als Konsens betrachten
können, Hightech und Lowtech in Verantwortung für die
großen Gestaltungsaufgaben in der Zukunft zusammen
zu denken, dann haben wir hier ein gutes nationales Si-
gnal gesetzt.


(Beifall bei der SPD)


Ein zweiter Gedanke. Hier geht es um eine nationale
Hightech-Strategie. Aber wir als SPD werben dafür –
wir wissen, dass auch die Regierung versuchte, das zu
erreichen –, dass dies auch auf der europäischen Ebene
als Gemeinschaftsaufgabe stärker in den Vordergrund
gestellt wird. Ich darf polemisch fragen: Weshalb ist die
Europäische Kommission darauf gekommen, die Zu-
kunft Europas in fünf Büchern zu beschreiben, die sich
mit dem Binnenmarkt, der Migration, der Verteidigung,
der Währungsunion und dem EU-Haushalt auseinander-
setzen? Warum fehlt das sechste Buch? Weshalb gibt es
kein Buch über Wissenschaft, Forschung und Bildung,
also über das, was gemeinsam in der Lissabon-Strate-
gie im Jahre 2000 als die Zukunftsvision für Europa be-
schrieben worden ist?

Es geht nicht an, dass es einen bildungs- und for-
schungsstarken Norden und einen bildungs- und for-
schungsschwachen Süden gibt. Griechenland zum
Beispiel stellt weniger als 0,5 Prozent seines Bruttoin-
landsprodukts für Wissenschaft und Forschung zur Ver-
fügung. Wie soll Europa zusammenwachsen, wenn wir
nicht eine europäische Gesamtstrategie entwickeln? Wie
soll es denn in Europa weitergehen, wenn wir das Bre-
xit-Problem nicht so lösen, dass es nach wie vor auch
eine Zusammenarbeit im Bereich Bildung und Forschung
über Europa hinaus – also egal ob Großbritannien in der
EU ist oder nicht – gibt? Wie soll denn die europäische
Idee weitergetragen werden, wenn wir nicht in Europa

eine Zukunftsidee mobilisieren? Das könnten wir doch
tun, indem wir bei den jungen Menschen mit Wissen-
schafts-, Forschungs- und Bildungsaustausch eine Vision
aufmachen. 9 Millionen Menschen haben von Erasmus
profitiert. Das muss der Europäischen Kommission doch
eine Vision wert sein.

Deshalb sei hier zum Schluss ganz direkt gesagt: Ja,
wir haben eine gute deutsche Hightech- und eine gute
deutsche Wissenschaftsstrategie, aber es muss erst recht
darum gehen, dass wir in Europa zu einer solchen Zu-
kunftsvision finden, die alle Menschen mitreißt, weil sie
darin einen Nutzen für sich und die Zukunft sehen kön-
nen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824003900

Vielen Dank, Dr. Dieter Rossmann. – Jetzt gebe ich

das Wort unserem so jung gebliebenen Alterspräsidenten,
einem Kollegen, der – man glaubt es gar nicht, wenn man
ihn sieht – seit 1976, also seit 41 Jahren, die deutsche
Politik und deren Häuser mitgeprägt hat. Ich könnte jetzt
noch lange reden, aber er ist jetzt dran.

Zu seiner letzten Rede gebe ich Professor Dr. Heinz
Riesenhuber das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1824004000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich be-

danke mich für die herzliche Begrüßung und freue mich,
dass sie nicht von meiner Redezeit abgeht.


(Heiterkeit)


Ich habe mich über diese Debatte gefreut. Es gab hier
durchaus – und das ist auf dem Weg zu den richtigen Zie-
len notwendig – Dissense, und es wurden verschiedene
Akzente gesetzt. Es gab eine breite Diskussion über das,
was wir noch zu erledigen haben.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh ja!)


Wenn wir nichts mehr vor uns hätten, dann könnten wir
aufhören und uns zur Ruhe setzen. Einige tun das.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Für diese Debatte charakteristisch war aber: Viele
sprachen über die Erfolge, und jeder hat sie sich zuge-
schrieben. Gell, Herr Röspel?


(René Röspel [SPD]: Ja, stimmt ja auch!)


Das finde ich prima. Wenn jeder von den Erfolgen be-
geistert ist, dann muss das, was wir gemeinsam hinge-
kriegt haben, eine gute Sache sein.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Ernst Dieter Rossmann






(A) (C)



(B) (D)


Das haben wir jetzt in dieser Debatte in einer wirklich
vorzüglichen Weise gesehen.

Uns liegt eine Reihe von Vorlagen vor, die wir heute zu
diskutieren haben. Die Hightech-Strategie – Frau Wanka
hat darüber gesprochen – ist wirklich eine interessante
Weiterentwicklung dessen, was wir über die Jahre an
Förderung von einzelnen Techniken gehabt haben. Aus
der ungeheuren Fülle von Möglichkeiten, die ständig neu
aus der Grundlagenforschung entstehen, wird das gebün-
delt und herausgelöst, was hilft, die Probleme auf dieser
Welt zu lösen, und zwar in vielen Bereichen: Gesundheit,
Kommunikation, Umwelt, Mobilität. Daraus entsteht
eine umfassende Strategie, die Neues schafft, ohne dass
der Staat sich anschickt, Einzeltechniken auszuwählen.

Der Staat kann die Forschung nicht erfinden und die
Zukunft nicht bauen. Er kennt die Vergangenheit, die Zu-
kunft aber nur begrenzt. Der Staat hat schon eine große
Leistung vollbracht, wenn er die Leute nicht bei der Ar-
beit stört.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Er muss aber flankierend Möglichkeiten aufbauen, so-
dass jeder eine Nische finden kann, wo seine Arbeit hi-
neinpasst. Das leistet die Hightech-Strategie.

Wir haben die Grundlagenforschung, die Quelle allen
Wissens, stetig weitergeführt. Dafür, dass sie sich in Frei-
heit entwickeln kann, braucht sie einen verlässlichen und
dauerhaften Rahmen. Diesen haben wir über die Jahre
stetig weiterentwickelt. Und die Grenzen zwischen der
Grundlagenforschung und der angewandten Forschung
werden immer offener. Schauen Sie sich nur die Biotech-
nologie oder die Materialforschung an.

Das ZIM, das Zentrale Innovationsprogramm Mittel-
stand, ist gepriesen worden. Das ist ein großartiges Sys-
tem, das wir immer weiter ausgebaut haben – finanziell
und übrigens auch intellektuell. Die Kooperation zwi-
schen Wissenschaft und Wirtschaft bleibt natürlich wei-
terhin eine Aufgabe.

Frau Binder, Sie haben hier über die Nanotechnologie
gesprochen. Wenn Sie den vorzüglichen Aktionsplan der
Bundesregierung durchlesen, dann sehen Sie, dass die
Risiken und der Umgang mit diesen Risiken in einer ver-
antwortlichen Weise Seite um Seite überzeugend darge-
stellt werden. Es war in den letzten 40 Jahren – und schon
länger – immer unsere Stärke, dass wir zwar neue Tech-
niken wollten, die hilfreich und erfolgreich sind, dass wir
dabei aber Rücksicht auf die Natur genommen haben, die
Gefährdungen und Risiken im Blick hatten und uns be-
wusst waren, dass wir verantwortlich für die Einhaltung
der ethischen Grundsätze sind, nach denen wir leben.
Das war die große Stärke unserer umfassenden Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, die EFI,
die Expertenkommission Forschung und Innovation, be-
gleitet uns nun seit zehn Jahren – ich möchte Professor

Harhoff und seinen Kollegen für diese vorzügliche Ar-
beit danken –,


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


und zwar zielbewusst und mit Entschlossenheit und Sen-
sibilität für das Mögliche. Diese Arbeit führte zu einer
Diskussion über Chancen und über ungehobene Potenzi-
ale, aber auch über Defizite. Dies alles gehört dazu. Die
EFI soll nicht das Parlament in seiner Weisheit preisen,
obwohl uns das beglücken würde,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


sondern die EFI soll zeigen, wohin man gehen kann.

Ein Blick auf die Paradigmen für die kommenden Jah-
re zeigt mir: Es gibt viele einzelne Bereiche, an denen
wir zu arbeiten haben. Die Informationstechnik ist an-
gesprochen worden. Die EFI macht hier konkrete Vor-
schläge zu einem ZIM-ähnlichen Projekt für die mittel-
ständischen Unternehmen ausschließlich auf dem Gebiet
der Informationstechnik. Aber es scheint mir doch eine
faszinierende Sache zu sein, dass wir bei dem, was wir
für die nächsten Jahre vorgesehen haben, auch mit neuen
Instrumenten arbeiten.

Indem wir bei den Investitionen für Forschung auf ei-
nen Anteil von 3,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
kommen wollen, und zwar spätestens 2025, bieten wir
das Potenzial für eine stetige Weiterentwicklung der Pro-
jektförderung. Damit haben wir das Potenzial für neue
Schwerpunkte, insbesondere in der Informationstechnik.
Aber wir haben damit auch das Potenzial, neue steuer-
liche Instrumente zur Forschungsförderung einzuführen.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Los geht’s!)


Wir fördern mit unserem großartigen Steuersystem
alles: von der Familie bis zur Schnittblume. Das ist eine
großartige und differenzierte Leistung.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber wenn die Zukunft von einer Wissensgesellschaft,
die wir aufbauen, von einer Innovationsgesellschaft, die
wir brauchen, und von einem zuversichtlichen Unterneh-
mungsgeist geprägt sein soll, dann ist die sehr grundsätz-
liche Frage: Wie organisieren wir es, dass das, was an
Neuem entsteht, auch im Steuersystem so gefördert wird,
dass die Bereitschaft wächst, Neues zu entwickeln?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sehe hier voller Respekt unseren innovativen Fi-
nanzminister, dessen Dynamik ich immer bewundert
habe. Wir haben kürzlich über die geschätzten 600 Mil-
lionen Euro pro Jahr entschieden, die der Finanzminister
im letzten Herbst für den Erhalt der Verlustvorträge im
Falle eines Anteilseignerwechsels bei innovativen Unter-
nehmen bereitgestellt hat. Das ist eine Ermutigung für
Bereiche, in denen wir noch besser werden können: Bei

Dr. Heinz Riesenhuber






(A) (C)



(B) (D)


der Gründung von Wagniskapitalfonds und der Grün-
dung von technikorientierten Unternehmen sind wir weit
unter unserem Potenzial. Auch hinsichtlich des Aufbaus
von Forschung in mittelständischen Unternehmen hat die
Innovationsfreude des Mittelstands in den letzten Jahren
nicht sehr dynamisch zugenommen; das ist eine der höf-
licheren Aussagen. Das heißt, es gibt eine Fülle von Fel-
dern, in denen wir uns engagieren können. In Deutsch-
land gibt es 5 000 Business Angels, in den USA sind es
300 000. Die Mischung aus Erfahrung, die sie innovati-
ven Start-ups zur Verfügung stellen, und aus dem Geld,
das sie für die Gründung neuer Unternehmen von jungen
Leuten mitbringen, ist eine großartige Kombination, aus
der wir mehr machen können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, über mehr
als 40 Jahre hatte ich die Freude und die Ehre, diesem
Hohen Haus in den Bereichen Forschung, Innovation,
Energie und Umwelt zu dienen. Das war immer eine
großartige Zeit. Die Situationen waren verschieden, die
Herausforderungen jeweils anders. Aber ich muss sagen:
Die großartigste Zeit war die Zeit der deutschen Einheit,
als deutsche Beamte, über die man manchmal Kritisches
sagt, wirklich gearbeitet haben, ohne dass man sie da-
rum gebeten hat, und zwar aus der Begeisterung für das,
was wir gemeinsam entwickeln wollten. Das Ganze ist
zu einem großartigen Erfolg geworden, trotz allem, was
noch in den Wissenschaftsgebieten in den neuen Ländern
offen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Kordula SchulzAsche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Jetzt wollen wir in die Zukunft gehen. Wir haben die
letzten 40 Jahre, die ich näher miterlebt habe, mit Freu-
den und mit Erfolg bestanden. Es war eine Freude, im-
mer wieder tüchtige Leute in allen Fraktionen zu finden,
die mit Begeisterung, Neugier und Leidenschaft an un-
seren Themen gearbeitet haben. Und es war immer wie-
der eine gute Sache, was für tüchtige Regierungen aus
diesem Parlament hervorgegangen sind, die oft sogar mit
Weisheit regiert haben.


(Heiterkeit)


Jetzt wollen wir in die nächsten 40 Jahre aufbrechen.
Da wollen wir mal sehen, was aus Deutschland wird.
Dann setzen wir uns wieder zusammen und reden da-
rüber, was wir hier in Deutschland gemeinsam erreicht
haben


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


als unseren Beitrag für eine friedliche Welt mit Lebens-
chancen für alle Menschen. Dafür arbeiten wir alle, jeder
an seinem Platz.


(Anhaltender Beifall im ganzen Hause – Die Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN erheben sich)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824004100

Vielen Dank, Professor Dr. Heinz Riesenhuber. Vielen

Dank für 41 Jahre intellektuelle Brillanz. Vielen Dank für
Ihre Lust und Leidenschaft an der klugen Kontroverse,
am klugen Streit. Ich weiß aus der Grünenfraktion, dass
es immer Spaß gemacht hat, sich mit Ihnen auf hoher
Ebene klug zu streiten, und ich möchte mich – ich glau-
be, im Namen aller – bei einem legendären Gastgeber
bedanken, der die Parlamentarische Gesellschaft in einer
Zeit von Stress, Streitereien und Hektik zu einem Ort der
Ruhe, einem Sehnsuchtsort für manche und einem Ort
der Heimat gemacht hat.


(Heiterkeit)


Auf jeden Fall können Sie heute Abend die nächsten
40 Jahre vorbereiten.

Vielen Dank auch für die große Leidenschaft, mit der
Sie dem Parlament ein ganz besonderes Gesicht gegeben
haben. Ich danke Ihnen von Herzen.


(Beifall)


Ich schließe damit die Aussprache.

Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 d Interfraktionell
wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksa-
chen 18/11810, 18/11270, 18/9670 und 18/12442 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. – Sie sind damit einverstanden. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 8 e. Wir kommen zur Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung zum Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Innovationspoli-
tik neu ausrichten – Forschen für den Wandel befördern“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/12776, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8711 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/
CSU und SPD, dagegen war Bündnis 90/Die Grünen,
und enthalten hat sich die Linke.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 g auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel
Höhn, Annalena Baerbock, Oliver Krischer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Jetzt mit wirksamem Klimaschutz die ökolo-
gische Modernisierung angehen und die Kli-
maschutzlücke schließen

Drucksache 18/12796

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Dr. Valerie
Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Dr. Heinz Riesenhuber






(A) (C)



(B) (D)


CO2-Bremse einführen – Klimabilanz in Ge-
setzesfolgenabschätzung aufnehmen
Drucksache 18/10640

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn,
Annalena Baerbock, Peter Meiwald, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Klimaschutzplan 2050 – Echter Klimaschutz
beginnt heute
Drucksachen 18/8876, 18/10387

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab-
geordneten Dr. Julia Verlinden, Christian Kühn

(Tübingen), Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter

und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Klimaschutz in der Wärmeversorgung sozi-
al gerecht voranbringen – Aktionsplan Faire
Wärme starten
Drucksachen 18/10979, 18/11651

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Annalena
Baerbock, Stephan Kühn (Dresden), Bärbel
Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Klare CO2-Reduktionen im Flugverkehr
schaffen
Drucksachen 18/9801, 18/11244

f) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab-
geordneten Dr. Julia Verlinden, Oliver Krischer,
Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Klimaschutz stärken – Energiesparen ver-
bindlich machen
Drucksachen 18/12095, 18/12633

g) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Klimaschutzplan 2050 – Klimaschutzpoliti-
sche Grundsätze und Ziele der Bundesregie-
rung
Drucksache 18/10370
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-

schätzung
Ausschuss für Tourismus

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort zu-
nächst Bärbel Höhn – nach der Rede sage ich auch noch
etwas zu ihr – für Bündnis 90/Die Grünen.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824004200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

So, wie Professor Riesenhuber das hier gemacht hat,
schaffe ich das nicht. Ganz interessant ist, wie er seine
Reden immer vorträgt. Man könnte sagen: Das ist der,
der mit der Luft oder mit dem Pult tanzt. Insofern: Al-
les Gute für Professor Riesenhuber. Ich werde mich aber
gern seiner Idee anschließen, in 40 Jahren hier noch ein-
mal vorbeizugucken, um zu sehen, was dann sein wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich würde mich auch gern seiner Freizügigkeit bezüg-
lich der Redezeit anschließen wollen. Ansonsten werde
ich meine Rede aber ein bisschen anders halten; jeder ist
eben anders, und das zeigt die Vielfalt des Parlaments.

Ich möchte diese Klimadebatte mit Bezug auf eine
Klimakonferenz beginnen, die am Anfang dieser Le-
gislaturperiode, 2013, in Warschau stattgefunden hat.
Überschattet wurde diese Klimakonferenz durch die
Zerstörung, die der Taifun „Haiyan“ damals auf den Phi-
lippinen ausgelöst hat. A. G. Saño hat uns erzählt, wie
er diesen Taifun wirklich nur durch Zufall überlebt hat.
10 000 Menschen sind gestorben, 4 Millionen Menschen
sind obdachlos geworden, sehr viele Millionen Men-
schen haben ihr Hab und Gut und ihre Arbeit verloren
und leben immer noch in einem Provisorium. Das, meine
Damen und Herren, sind die Folgen der Klimakrise. Des-
halb verlangen diese volatilen Staaten, dass wir, die In-
dustrieländer, die Ursachen für diese Klimakrise endlich
angehen und beseitigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Über 90 Prozent der Klimaerwärmung sind bisher
in die Meere gegangen. Das führt dazu, dass die Was-
seroberfläche sich erwärmt und dass die Wirbelstürme
durch dieses Mehr an Energie sehr häufig die schlimme
Kategorie von 4 oder 5 erreichen und entsprechende Zer-
störungen nach sich ziehen. Neben diesem millionenfa-
chen Leid der betroffenen Menschen hat uns der Ökonom
Nicholas Stern mit seinen Klimastudien sehr deutlich
und klar gemacht: Die Überwindung der Klimakrise ist
billiger, als die Schäden zu bezahlen, die passieren und
immer gravierender werden, wenn wir nichts tun. Das
bedeutet: Wir müssen endlich anfangen, etwas zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


Momentan gibt es in Afrika eine der schlimmsten Dür-
ren, die wir je erlebt haben. 23 Millionen Menschen sind
vom Hungertod bedroht. Das betrifft den Osten Afrikas
und den Tschadsee. Betroffen sind Millionen Menschen,
die auf der Flucht sind und sterben. Laut Berliner Zeitung
hatte – das macht es vielleicht deutlich – der Tschadsee
einmal die Größe Deutschlands; jetzt hat er die Größe
Berlins. Es herrschen Temperaturen von über 55 Grad.
Weil es kein Wasser mehr gibt, können die Menschen
nicht mehr fischen, sie können keine Landwirtschaft
mehr betreiben, sie können kein Einkommen mehr erzie-
len. Deshalb hungern sie, und deshalb fliehen sie.

Wer die Möglichkeit und das Geld hat, also die Wohl-
habenderen unter diesen Menschen, der flieht nach Eu-
ropa. Die meisten bleiben in Afrika. Wenn wir diese
Klimakrise nicht stoppen, dann haben wir, wie uns der
Bundesentwicklungsminister sehr deutlich gesagt hat, in
Zukunft mit 100 Millionen Klimaflüchtlingen zu rech-
nen. Da tragen wir eine Verantwortung. Deshalb müssen
wir hier in Deutschland endlich handeln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Warum hier in Deutschland? Unser CO2-Ausstoß pro
Kopf ist im Jahr zehnmal höher als der einer Person auf
den Philippinen, und er ist 200-mal höher als der eines
Menschen, der im Tschad lebt. Das heißt, wenn wir al-
lein die letzten 25 Jahre zusammenzählen – und wir ha-
ben schon vorher sehr viel CO2 in die Atmosphäre ge-
schickt –, dann haben wir in dieser Zeit pro Person in
Deutschland 5 000-mal mehr CO2 in die Atmosphäre
geschickt als die Menschen in diesen Dürrregionen Afri-
kas. Dieses CO2 bleibt Hunderte von Jahren in der Atmo-
sphäre. Das heißt, je später wir handeln, desto drastischer
müssen wir den Strukturwandel vollziehen. Das bedeutet
andersherum: Wir haben keine Zeit zu verlieren, liebe
Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Deshalb macht es mich in einer solchen Situation
fassungslos, wenn Abgeordnete der CDU, der Berliner
Kreis, jetzt Chancen in der Klimaerwärmung sehen.


(Andreas Rimkus [SPD]: Unerträglich ist das!)


Sie stellen eine eisfreie Nordpassage, neue Fischfang-
möglichkeiten und Rohstoffabbau in den Vordergrund.
Meine Damen und Herren, das ist zynisch angesichts der
Dürrekatastrophen und Überschwemmungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Das Öl unter dem Nordpol muss im Boden bleiben.

In diesem Monat hat in New York die erste UN-Oze-
ankonferenz stattgefunden. Die UN-Botschafterin von
Mikronesien sagte: „Stirbt der Ozean, sterben wir.“ Ein
Wirtschaftssystem, das auf kurzfristigen Profit setzt
und die Nachhaltigkeit unserer Lebensgrundlagen nicht
berücksichtigt, ruiniert uns und sich selbst. Die Überfi-

schung, die Vermüllung, die Erwärmung der Meere müs-
sen aufhören.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb ist es so wichtig, dass wir hier in Deutschland
handeln. Wir haben international durchaus einen guten
Ruf, weil wir auf Klimakonferenzen eine positive Rolle
spielen. Aber in Deutschland haben wir Stillstand. Wir
haben seit zwei Legislaturperioden, von 2009 bis 2016,
den CO2-Ausstoß nicht mehr reduzieren können. Wir
haben ein Plateau. Seit acht Jahren ist nichts mehr pas-
siert. Das geht nicht so weiter. Da helfen die schönsten
Reden nichts. Es ist blamabel, dass Deutschland seinen
CO2-Ausstoß nicht mehr reduziert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Letztes Jahr ist der Klimaschutzplan aufgestellt wor-
den. Das war eine Aufgabe, die aus dem Paris-Beschluss
resultierte. Der Plan war am Ende eine Ansammlung von
„könnte“, „müsste“, „prüfen“ und „verstetigen“. Am An-
fang hat die Bundesumweltministerin richtige Forderun-
gen aufgestellt. Sie hat damals sogar den Kohleausstieg
innerhalb von 25 bis 30 Jahren und eine Abgabe für Koh-
lekraftwerke gefordert. Am Ende aber standen Subven-
tionen von 1,6 Milliarden Euro für Methusalem-Kohle-
kraftwerke. Das war ein großer Fehler. So können wir
nicht weitermachen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Am Ende ist die Politik vor der Demo der IG BCE
und dem Braunkohlefreund Laschet eingeknickt. Das
können wir nicht weiter so betreiben, weil das am Ende
schlimme Folgen für die Menschen in den betroffenen
Regionen hat. Wir reden im Zusammenhang mit Groß-
britannien vom harten oder weichen Brexit. Wir müssen
das bei dieser Strukturänderung genauso sehen. Je we-
niger Zeit wir für den Strukturwandel haben, weil wir
am Anfang die Probleme nicht anpacken, desto härter ist
dieser Strukturwandel und desto schlimmer ist er für die
Betroffenen in den Regionen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen klimaschädliche Subventionen abbauen
und dürfen sie nicht permanent erhöhen. Allein in den
vier Jahren von 2008 bis 2012, im wesentlichen unter
Schwarz-Gelb, sind die umwelt- und klimaschädlichen
Subventionen laut UBA von 48 Milliarden Euro auf
57 Milliarden Euro in Deutschland angestiegen. Das
sind fast 10 Milliarden Euro in vier Jahren. Das muss ein
Ende haben. Wir können nicht auch noch die Klimakrise
subventionieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Kohle- und Atomkonzerne können sich momen-
tan wirklich nicht über die Entscheidungen der Bun-
desregierung beklagen. Eine schlecht gemachte Brenn-
elementesteuer ist gerade von den Gerichten kassiert
worden. Das kostet uns 6,3 Milliarden Euro plus Zinsen

Bärbel Höhn






(A) (C)



(B) (D)


in Höhe von 6 Prozent. – Wo kriegt man eigentlich 6 Pro-
zent Zinsen? Hat der Finanzminister so viel Geld, dass
er 6 Prozent Zinsen zahlen kann? – Das hat die Aktien-
kurse der Atomkonzerne hochschnellen lassen. Das geht
in eine falsche Richtung, weil es die falschen Strukturen
zementiert. Damit muss wirklich Schluss sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Kanzlerin Merkel hat sich beim Petersberger Dialog
klar zum Klimaschutz bekannt. Sie hat gesagt, nichts
könne und werde sie bei der Durchsetzung aufhalten. Ich
habe mich gefragt, was sie damit eigentlich gemeint hat.
Ich kann mich an eine Kanzlerin erinnern, die persön-
lich nach Brüssel geeilt ist und dort schon beschlossene
ehrgeizige Grenzwerte für Pkws aufgeweicht und den
Autobauern in Deutschland damit das Zeichen gegeben
hat: Macht weiter so, ihr braucht nichts zu ändern. – Das
war verheerend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Seit dieser Zeit wird der Unterschied zwischen The-
orie und Praxis beim Spritverbrauch der Autos immer
größer. 2009 betrug der Unterschied noch 10 Prozent,
mittlerweile sind es 40 Prozent. Das heißt, auch wenn sie
es nicht gewollt hat, so war es doch ein Zeichen an die
Automobilhersteller: Ihr könnt jetzt anfangen, zu trick-
sen und zu schummeln. – Das war ein schwerer Fehler,
weil dadurch die notwendige Umstrukturierung der Au-
tomobilindustrie nicht eingeleitet wurde und weil damit
mittelfristig Hunderttausende von Arbeitsplätzen hier
gefährdet werden. Das darf in Zukunft nicht mehr sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen Planungssicherheit, was den Kohleausstieg
angeht, und wir brauchen eine Verkehrswende und keine
vagen Umschreibungen.

Meine Damen und Herren, ich komme an das Ende
meiner letzten Rede hier im Bundestag. Ich möchte nach
27 Jahren, die ich als Parlamentarierin und als Ministe-
rin gearbeitet habe, noch einen ganz wichtigen Punkt an-
sprechen. Ich habe eben mehrfach von Langfristproble-
men gesprochen. Ich glaube, ein Problem unserer Politik
ist, dass wir viel zu häufig viel zu kurzfristig entscheiden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)


Wir befinden uns in Zeiten von vierteljährlich stattfin-
denden Bilanzpressekonferenzen der Wirtschaft und so-
zusagen im Dauerwahlkampf, und das gibt den Takt vor.
Das ist ein ganz großer Fehler, weil wir immer wieder
danach handeln: Das Hemd ist uns näher als die Jacke.
Es ist ja noch Zeit. Die Langfristprobleme brauchen wir
nicht anzugehen.

Ich kann einfach nur sagen: Ich sehe das mit großer
Sorge. Ich habe Kinder, und ich habe Enkelkinder. Ich
möchte, dass wir unseren Kindern und Enkelkindern –
die meisten von Ihnen haben ebenfalls Kinder und En-
kelkinder, und wenn Sie keine haben, kennen Sie Leute,

die welche haben – diese Welt so übergeben, wie wir sie
selber vorgefunden haben. Wir können nicht den uns
nachfolgenden Generationen die Konsequenzen aus den
Fehlern, die wir machen, aufbürden. Das geht nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was mir Hoffnung gemacht hat: Wir haben auch auf
diesen Feldern durchaus Erfolge gehabt, und zwar immer
dann, wenn wir fraktionsübergreifend, über Legislatur-
perioden hinweg und unabhängig von Mehrheitsverhält-
nissen gearbeitet haben. Das war lange Zeit beim EEG
so, das war vor zehn Jahren beim Klimaschutz so, und
das war in dieser Legislaturperiode bei der Suche nach
einem Atommüllendlager der Fall. Insbesondere den Ab-
geordneten, die dabei mitgemacht haben und die in ih-
ren eigenen Fraktionen – häufig anders als wir Grünen –
wirklich harte Arbeit leisten mussten, möchte ich meinen
ganz großen Dank aussprechen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der Linken)


Ansonsten möchte ich mich dem anschließen, was
Elisabeth Scharfenberg heute Morgen gesagt hat. Sie
hat all den Mitarbeitern gedankt. Mir fehlt dazu jetzt die
Zeit. Darüber hinaus fand ich es gut, dass diejenigen, die
nicht meiner Meinung waren, mir trotzdem zugehört ha-
ben. Auch dafür herzlichen Dank! Ich fand es gut, dass
ganz viele der Kollegen meiner Meinung waren und dass
wir gemeinsame Projekte auf den Weg gebracht haben,
die sehr viel Spaß gemacht haben. Dass so etwas auch
möglich war, war gerade für mich als Oppositionsabge-
ordnete gar nicht so schlecht.

Ich möchte mich natürlich insbesondere bei den Mit-
gliedern des Umweltausschusses bedanken. Sie haben
mir die Arbeit als Vorsitzende erleichtert. Die Arbeit mit
Ihnen war wirklich sehr angenehm.

Ich möchte mich auch beim Ministerium und bei der
Ministerin bedanken, weil wir gerade auf internationa-
len Konferenzen wirklich sehr gut zusammengearbeitet
haben und auch erreicht haben, Deutschland dort gut zu
repräsentieren.

Also herzlichen Dank allen, die in diesem Sinne hier
ihre Arbeit geleistet haben. Ich wünsche für die Zukunft
nachhaltige und weise Entscheidungen zum Wohle unse-
rer Bevölkerung.

Ich habe noch eine Info – sie wird viele von Ihnen
interessieren –: Auch wenn ich gehe, werden die Bun-
destagsbienen, wenn Sie es wollen, hierbleiben können.
Insofern: Machen Sie es weiterhin gut.

Danke schön.


(Anhaltender Beifall im ganzen Hause – Die Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen, der CDU/CSU und der SPD erheben sich)


Bärbel Höhn






(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824004300

Vielen Dank, Bärbel Höhn. Wir danken von ganzem

Herzen. Ich danke im Namen des ganzen Hauses einer
streitbaren Kämpferin gegen die Klimakrise, einer lei-
denschaftlichen Politikerin für Umwelt, für Naturschutz,
für die bäuerliche Landwirtschaft und einer sehr partei-
ischen Ausschussvorsitzenden – ich weiß, wovon ich
rede –, parteiisch für die Interessen der Mitglieder des
Umweltausschusses in diesem Haus. Vielen herzlichen
Dank! Alles, alles Gute! Wie hat Trude Herr gesungen:

Niemals geht man so ganz
Irgendwas von mir bleibt hier ...

Es bleibt viel hier. Wir werden uns wahrscheinlich in
Bonn bei der großen UN-Klimakonferenz im November
dieses Jahres wiedersehen. Bärbel, vielen Dank und alles
Gute!


(Beifall)


Ganz schön wehmütig heute. Ich muss wohl Taschen-
tücher verteilen.

Nächste Rednerin: Dr. Anja Weisgerber für die CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1824004400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen

und Kollegen! „Bedauern“ und „Ärger“ sind die Worte,
die beschreiben, was ich fühlte, als Trumps Drohungen,
aus dem Pariser Klimaabkommen auszusteigen, Realität
wurden. Diejenigen, die in Paris dabei waren, haben das
sogenannte Momentum von Paris gespürt. Alle waren
mit an Bord. Einer ist jetzt von Bord gegangen.

Mit dieser Entscheidung des zweitgrößten Treibhaus-
gasemittenten schadet Trump nicht nur dem Klima, son-
dern er schadet auch seinem eigenen Land. Er hat sogar
der US-Wirtschaft damit eigentlich einen Bärendienst
erwiesen.

Ich erinnere mich gut an die Worte des damaligen
US-Außenministers Kerry in Marrakesch bei der Klima-
konferenz. Er sagte: Der Markt in den USA will dieses
Abkommen, der Markt will die Entwicklung von Um-
weltinnovationen, von erneuerbaren Energien.

Schon längst hat die US-Wirtschaft die Chancen ei-
ner nachhaltigen Energie- und Industriepolitik erkannt,
und Investitionen werden verstärkt von fossilen Ener-
gien in erneuerbare Energien und Umwelttechnologien
gelenkt. Ich bin überzeugt: Viele Menschen, Kommu-
nen, US-Bundesstaaten und die Wirtschaft in den USA
denken anders. Es gibt ja schon einzelne Bundesstaaten,
zum Beispiel Kalifornien und Colorado, die sich dis-
tanziert haben. Auch über 82 Bürgermeister haben sich
zusammengeschlossen und trotzen der Antiklimapolitik
Trumps. Sie verfolgen weiterhin den Klimakurs, der un-
ter Obama eingeschlagen wurde, und das 2-Grad-Ziel,
und das ist gut so.

Meine Kolleginnen und Kollegen, warum rede ich
über die USA? Weil die Welt seit dem 1. Juni in Sachen
Klimaschutz noch enger zusammengerückt ist. Es ist

eine noch stärkere Jetzt-erst-recht-Stimmung entstanden.
Unmittelbar nach der Bekanntgabe des Austritts gab es –
das ist ebenso ein gutes Signal gewesen – eine gemeinsa-
me Klarstellung Deutschlands, Italiens und Frankreichs,
dass es mit ihnen keine Neuverhandlungen des Abkom-
mens geben wird. Das ist aus meiner Sicht nur konse-
quent.

Klimaschutz wird ohne die politische Spitze der USA
sicherlich schwieriger, aber er wird auch ohne sie gelin-
gen. Das Gute ist, dass wir die wirtschaftlichen Vorteile
haben werden, wenn wir uns bei der Entwicklung von
Umweltinnovationen an die Spitze der Bewegung setzen.

Bei mir im Wahlkreis wurde das weltweit größte Prüf-
zentrum für Großkugellager eingeweiht. Solche Projek-
te müssen in Deutschland stattfinden. Das schafft und
sichert Arbeitsplätze, das verbindet Umwelt- und Kli-
mapolitik mit Chancen für die Wirtschaft, meine Damen
und Herren.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt jemand von der CSU!)


Der Klimaschutz wird gelingen, weil Staaten wie
Deutschland voranschreiten. Wir machen die „German
Energiewende“, wie es auf internationaler Ebene heißt.
Alle Staaten schauen gespannt, wie wir das bewältigen.

Ein Beispiel dafür, wie wir es bewältigen, ist der Kli-
maschutzplan 2050. Sie waren dabei. Wir haben auf der
internationalen Klimakonferenz in Marrakesch dafür
Lob und Anerkennung geerntet. Wir waren die Ersten,
die einen solchen Langfristplan vorgelegt haben. Das
müssen Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, von der
Opposition, auch einmal anerkennen.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Kennt den Herr Dobrindt auch?)


An dieser Stelle möchte ich sagen – das möchte ich
auch im Namen der Union sagen –: Die Berliner Erklä-
rung, werte Kollegin Höhn, ist eine Erklärung von ganz
wenigen Abgeordneten. Ich möchte mich als Klimapoli-
tikerin ganz klar davon distanzieren.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sage das auch im Namen der meisten Kollegen hier
im Saal, auch der Union.

Meine Damen und Herren, wir wollen Klimaschutz-
politik, die sich ambitionierte Ziele setzt. Diese Zie-
le müssen aber auch erreichbar sein. Dabei müssen
wir immer die Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft
Deutschlands, unsere Wettbewerbsfähigkeit und die Ar-
beitsplätze beachten. Wir nehmen damit unsere Verant-
wortung sowohl gegenüber dem Klima und der Umwelt
als auch gegenüber den Menschen, den Unternehmen
mit ihren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wahr.
Unsere Schlagworte, die wir auch in den Klimaschutz-
plan hi neingebracht haben, sind dabei: Technologie- und
Innovationsoffenheit, Europakonformität, Anreiz statt
Zwang, Versorgungssicherheit, Kosten-Nutzen-Analyse.
Denn mit jedem eingesetzten Euro müssen wir schauen,
dass wir so viel CO2 wie möglich einsparen.






(A) (C)



(B) (D)


Wenn wir Festlegungen für die kommenden Jahrzehn-
te treffen, dann müssen diese gut überlegt sein. Deswe-
gen ist es gut, dass die Bundesregierung intensiv um den
Plan gerungen hat. Der Klimaschutzplan zeigt den Weg
hin zu einer weitgehenden Treibhausgasneutralität im
Jahr 2050 auf. Dazu gehört auch der schrittweise, sozi-
alverträgliche und durch Strukturmaßnahmen begleitete
Ausstieg aus der Kohlenutzung.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824004500

Frau Kollegin Weisgerber, lassen Sie eine Zwischen-

frage oder -bemerkung von Frau Leidig von der Linken
zu?


Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1824004600

Ja, bitte.


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824004700

Frau Kollegin Weisgerber, ich habe gerade vernom-

men, dass ein zentrales Anliegen Ihrerseits ist, dass mit
jedem investierten Euro möglichst viel Klimaschutz ge-
macht werden kann. Nun arbeite ich als verkehrspoliti-
sche Sprecherin der Linken im Verkehrsausschuss. Dort
haben wir in dieser Legislatur und in diesem Jahr mit
dem Bundesverkehrswegeplan 2030 das größte Investiti-
onsprogramm der Bundesregierung, sozusagen ein akti-
ves Investitionsprogramm, verhandelt, und Sie haben es
mehrheitlich beschlossen. Ich würde gern von Ihnen wis-
sen, wie Sie es einschätzen, dass für 55 Milliarden Euro
neue Autobahnen gebaut werden sollen, dass mit diesem
Plan, den Sie mit Ihrer Mehrheit beschlossen haben, auf
40 Prozent mehr Lkw-Verkehr auf unseren Straßen ge-
zielt wird und wie dort das Verhältnis zum Klimaschutz
ist.


Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1824004800

Zum Bundesverkehrswegeplan ist ganz klar zu sagen:

Wir brauchen die Infrastruktur. Wir brauchen die Investi-
tionen in die Straßen. Wir müssen in dem Zusammenhang
auch auf alternative Antriebsarten setzen. Deswegen ha-
ben wir im Verkehrssektor mit der Bundesregierung im
letzten Jahr ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Elek-
tromobilität verabschiedet: steuerliche Abschreibungen
für Dienstwagen, 300 Millionen Euro für Ladesäulen, die
Kaufprämie. Die Ladesäuleninfrastruktur wird insgesamt
vorangebracht. Wir brauchen nämlich die alternativen
Antriebsarten. Wir brauchen natürlich den Bahnverkehr,
aber auch die Investitionen in die Straßen sind für den
wirtschaftlichen Aufschwung und für unsere wirtschaft-
liche Situation in Deutschland wichtig.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Fürs Klima aber schlecht!)


Meine Damen und Herren, ich fahre mit meiner Rede
fort. – Ich habe gerade über den Kohleausstieg gespro-
chen. Die Kommission „Wachstum, Strukturwandel und
Regionalentwicklung“ soll in dem Bereich den Struk-
turwandel letztendlich gestalten. Es ist wichtig, dass die
Kommission schnellstmöglich die Arbeit aufnimmt. Da-
bei müssen auch die Auswirkungen auf die gesamte Wert-
schöpfungskette betrachtet werden. Zum Beispiel wird

heute weit über die Hälfte des Gipsbedarfs in Deutsch-
land in Form von REA-Gips aus Rauchgasentschwefe-
lungsanlagen von Kohlekraftwerken gedeckt. Fällt der
REA-Gips als wichtiger Baustoff weg, wird mehr Gips
in der Natur abgebaut. Sie sehen: Die Frage des Kohle-
bergbaus und des Strukturwandels betrifft nicht nur den
Kohlesektor, sondern hat auch Auswirkungen auf die
verschiedensten Sektoren und Bereiche.

Ein weiteres Novum des Klimaschutzplans ist, dass
er ein neues nationales Klimaziel von 55 Prozent Treib-
hausgasminderung bis 2030 festlegt. Dazu wird zum
ersten Mal auch ganz konkret festgelegt, wie die Minde-
rungsziele in den einzelnen Sektoren sind: in der Ener-
giewirtschaft, im Gebäudebereich, im Verkehr, in der
Industrie, aber auch in der Land- und Forstwirtschaft.
Zudem skizziert der Klimaschutzplan auch schon erste
Maßnahmen. Im nächsten Jahr werden wir ein umfassen-
des Maßnahmenpaket bekommen, das letztendlich dann
auch den weiteren Weg beschreibt. Dieses Maßnahmen-
paket wird alle fünf Jahre fortgeschrieben.

Wir haben in den einzelnen Sektoren in den letzten
Jahren schon wichtige Maßnahmen auf den Weg ge-
bracht; ich kann jetzt nur einige nennen. Was den Ver-
kehrsbereich betrifft, so habe ich die Maßnahmen zur
Elektromobilität dank der Zwischenfrage bereits er-
wähnt. Im Gebäudebereich haben wir das Gebäudesanie-
rungsprogramm bis 2018 verstetigt und auf 2 Milliarden
Euro aufgestockt. Außerdem sage ich – das sagen auch
die Grünen in einem ihrer Anträge, die ich umfassend
studiert habe –,


(Beifall der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


dass wir dringend die steuerliche Förderung der energe-
tischen Gebäudesanierung brauchen. In dieser Aussage
sind wir uns einig. Zudem gibt es das Marktanreizpro-
gramm für die erneuerbaren Energien im Wärmebereich.
In der Landwirtschaft haben wir die Energieberatung
für landwirtschaftliche Unternehmen eingeführt. Die
Düngeverordnung ist durch Bundestag und Bundesrat
beschlossen worden. In der Industrie setzen wir auf das
europäische Instrument des Emissionshandels, das durch
eine umfassende Reform gerade auf neue Füße gestellt
und gestärkt wird. Insgesamt ist es uns gelungen – das
muss an der Stelle auch einmal gesagt werden –, das
Wirtschaftswachstum vom CO2-Ausstoß zu entkoppeln;
das ist auch eine Leistung. Wir brauchen aber auch die
Akzeptanz der Bürger. Deswegen ist es aus meiner Sicht
gut, dass zum Beispiel eine Forderung wie die Halbie-
rung des Fleischkonsums aus dem Klimaschutzplan ge-
strichen wurde; denn das wäre eine Bevormundung der
Bürger gewesen.

Meine Damen und Herren, werte Präsidentin, ich
komme zum Schluss. Der Klimaschutzplan ist ambitio-
niert. Er gibt der Wirtschaft einen klaren Pfad vor, und er
gibt ihr damit auch die notwendige Planungssicherheit.
Lassen Sie uns gemeinsam in den nächsten Jahren an
der Umsetzung des Klimaschutzplans arbeiten. Wenn im
nächsten Jahr das Maßnahmenpaket vorliegt, haben wir
wiederum eine Möglichkeit, die Klimapolitik aktiv mit-

Dr. Anja Weisgerber






(A) (C)



(B) (D)


zugestalten und der Welt zu zeigen, dass es Deutschland
weiterhin ernst meint mit dem Klimaschutz.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824004900

Vielen Dank, Dr. Weisgerber. – Nächste Rednerin:

Eva Bulling-Schröter für die Linksfraktion.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824005000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Stellen Sie sich vor, Deutschland hat einen Klimaplan,
und keiner hält sich daran. Genau das ist nämlich der Zu-
stand der deutschen Klimapolitik. Es klafft eine riesige
Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Seit 2009
steht die deutsche Klimapolitik nämlich so gut wie still,
und das ist ein Skandal.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In all diesen Jahren sitzen Christdemokraten, Sozi-
aldemokraten und Wirtschaftsliberale im Kanzleramt.
Sie sind verantwortlich für das Verfehlen der deutschen
Klimaschutzziele. Trotzdem – und besonders gerne im
Wahljahr – geht Kanzlerin Merkel mit einem Sauber-
frauimage hausieren und behauptet, Deutschland sei ein
Vorzeigeland in Sachen Klimaschutz. Beim anstehenden
G-20-Gipfel in Hamburg wird sie sich vor Trump und der
Staatenwelt wieder als große Klimaretterin aufplustern.
Ich sage Ihnen: Das ist Wahlkampfheuchelei auf Kosten
der Umwelt und auf Kosten der Menschen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn die Wirklichkeit sieht ganz anders aus: Seit acht
Jahren stößt Deutschland fast dieselbe Menge an Klima-
gasen in die Luft. 2009 waren es 907 Millionen Tonnen
CO2, 2016 waren es 906 Millionen Tonnen CO2. Der
Verkehr verursachte sogar noch mehr Emissionen als
1990. Klimasauerei also seit dem Mauerfall.

Deutschland wird seine Klimaziele verfehlen, und
zwar krachend, obwohl wir seit Jahren vom Abriss der
schmutzigen DDR-Industrien profitieren; denn ein Groß-
teil der deutschen Emissionsminderungen geht auf das
Konto der ostdeutschen Deindustrialisierung. Das sollten
wir nicht vergessen, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der LINKEN)


Und was macht die Regierung? Sie stellt sich ernsthaft
hin und klopft sich auf die Schulterpolster. Sie lobt sich
für eine Klimaschutzpolitik, die ihren Namen wirklich
nicht verdient hat. Ich sage Ihnen: Das ist Verrat am Pari-
ser Klimaschutzabkommen.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist keine Klimaschutzpolitik nach Plan, das ist
Klimaschmutzpolitik. Wir alle wissen, dass die Zeit, die
Klimaveränderungen aufzuhalten, immer knapper wird.

Ein Jahr mit Hitzerekord jagt das nächste. 2015 und
2016 waren die wärmsten Jahre seit Beginn der Wetter-
aufzeichnung. Schlimme Hitzewellen stehen an, um nur
eine Folge zu nennen. Ein Drittel der Menschheit ist von
lebensbedrohlich ansteigenden Temperaturen betroffen.
Machen wir weiter wie bisher, sind im Jahr 2100 drei
Viertel der Erdbevölkerung an mindestens 20 Tagen im
Jahr lebensgefährlichen Hitzewellen ausgesetzt. Und es
trifft eben nicht nur Menschen in Pakistan oder Nigeria:
In Europa hat die Hitzewelle von 2003 über 70 000 Men-
schen das Leben gekostet – 70 000 Menschen. Das heißt
also: Die deutsche Klimaschutzlücke kostet Menschen-
leben. Wer das nicht versteht, der hat seinen Auftrag als
Politikerin oder Politiker eben nicht verstanden, der han-
delt grob fahrlässig und auch unmenschlich.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ihren Beruf verfehlt haben auch die hier im Hause, die
sich gegen eine Klimaschutzgesetzgebung stellen. Das
muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen:
Mitglieder des Bundestages, die gewählt sind, um Ge-
setzgebung zu betreiben, weigern sich, ein Gesetz zum
Klimaschutz zu erlassen. Der Klimaschutzplan ist ja nur
ein Ersatz für ein Gesetz. Nichts davon, was in dem Pa-
pierchen steht, ist verbindlich. Das muss man wissen.
Nichts von diesem weichgespülten Dekarbonisierungs-
fahrplan hat Gesetzeskraft. Was hören wir aus Nord-
rhein-Westfalen? CDU und FDP machen den Trump, und
kassieren Deutschlands erstes Landesklimaschutzgesetz.
Da kann ich nur sagen: Pfui!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was ist das? Das ist ein Dienst am Kapital, an Privat-
profiten von wenigen und ein Angriff auf die Allgemein-
heit. Wir aber sind Politikerinnen und Politiker und dem
Grundgesetz verpflichtet. Artikel 20a fordert den Schutz
der natürlichen Lebensgrundlagen, also auch des Kli-
mas, gerade auch für die kommenden Generationen, und
zwar – ich zitiere – „durch die Gesetzgebung“. Daher:
Geben Sie sich endlich einen Ruck, und hören Sie nicht
mehr auf die Lobbys der Autohersteller, der Kohle-Di-
nosaurier, der Erdölindustrie. Verabschieden Sie endlich
ein Klimaschutzgesetz, das seinen Namen auch verdient.
Steuern Sie um.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum Schluss: Im November findet die Weltklima-
konferenz in Bonn statt. Ich denke, es wird viele NGOs,
viele Initiativen geben, die dort ihre Meinung sagen und
demonstrieren. Ich fordere schon heute, dass wir ge-
meinsam dort demonstrieren und sagen: Wir wollen kei-
ne Klimaveränderungen. Wir wollen eine konsequente
Klimapolitik. – Wir sehen uns also spätestens in Bonn
wieder.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Anja Weisgerber






(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824005100

Vielen Dank, Eva Bulling-Schröter. – Nächste Red-

nerin für die Bundesregierung: Ministerin Dr. Barbara
Hendricks.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst, Frau Kollegin Höhn, herzlichen Dank für al-
les. Frau Bulling-Schröter, auch Ihnen herzlichen Dank.
Ich will Ihnen aber auch versichern: Ich habe gar keine
Schulterpolster.


(Heiterkeit bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die letzten vier Jahre waren gute Jahre für den Klima-
schutz. Als eines der ersten Länder überhaupt haben wir
eine Langfriststrategie in Richtung Treibhausgasneutra-
lität verabschiedet, mit klaren Zielen für das Jahr 2030
und mit einer klaren Orientierung in Richtung 2050,
nämlich weitgehende Treibhausgasneutralität. Das ist
eines der ambitioniertesten Vorhaben in der Geschichte
unserer Volkswirtschaft. Es ist auch ein wirklich ambiti-
oniertes Vorhaben im Vergleich zu dem, was die anderen
Industrie länder bisher geliefert haben.

Natürlich: Es geht immer noch mehr. Das sage ich
auch mit Blick auf das 2020-Ziel. Aber auch diesem Ziel
sind wir ein großes Stück näher gekommen. Das Akti-
onsprogramm „Klimaschutz“ hat die Lücke, die uns die
Vorgängerregierung dort überlassen hat, deutlich verrin-
gert. Wie gesagt, wir sind noch nicht am Ziel – das ist
richtig –, aber das Ziel ist und bleibt erreichbar. Davon
bin ich nach wie vor überzeugt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben den Ein-
stieg in den Ausstieg aus der Braunkohle gemacht. Wir
haben begonnen, die schmutzigsten Kraftwerke abzu-
schalten. Wir haben die Mittel für den Energie- und Kli-
mafonds um über 50 Prozent auf über 3 Milliarden Euro
erhöht. Wir geben damit mehr Geld für den Klimaschutz
aus als je zuvor. Wir haben die Untätigkeit bei der Ener-
giewende beendet. Vor allem haben wir etwas wirklich
Großes, etwas Entscheidendes für die Zukunft des Plane-
ten erreicht: das Abkommen von Paris, das erste weltweit
bindende Klimaschutzabkommen. Das ist deutlich mehr,
als wir vor vier Jahren zu hoffen gewagt hätten.

Falls Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen, nicht immer ganz zufrieden sind: Pragmatische
Schritte sind allemal mehr wert als bloße Worte.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das stimmt!)


In den Ländern, in denen Sie, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von den Grünen, mit der CDU regieren – in Hes-
sen und in Baden-Württemberg –, ist Ihr Eifer durchaus
überschaubar.


(Beifall bei der SPD)


Fakt ist: Unsere Klimapolitik wirkt – national und in-
ternational. Das habe ich gerade auch in den vergangenen
Wochen wieder erlebt: in New York bei der UN-Konfe-
renz zum Schutz der Meere – dies haben Sie schon an-
gesprochen, Frau Kollegin Höhn –, auch in Kalifornien,
wo wir eine engere Zusammenarbeit beim Klimaschutz
vereinbart haben, und beim G-7-Umweltministertreffen
in Italien.

Die Ankündigung von Präsident Trump, aus dem
Pariser Abkommen auszusteigen, hat uns natürlich ent-
täuscht. Selten wurde eine politische Entscheidung auf-
grund so vieler falscher Annahmen getroffen. Diese An-
kündigung übergeht all jene Menschen, die schon heute
unter dem Klimawandel leiden, und all diejenigen, die
nach uns kommen. Sie haben eindrücklich in Ihrer Rede
darauf hingewiesen, Frau Kollegin Höhn.

Fakt ist aber auch: Diese Entscheidung hat die übrigen
Länder enger zusammengebracht – von China über Indi-
en bis hin zu Kanada und auch Russland. Das gibt dann
auch wieder neue Motivation für die Klimakonferenzen
in Bonn und in Polen.

Paris ist kein Selbstläufer – ja, das ist klar, das haben
wir auch nie geglaubt. Aber wir wollen Paris zum Erfolg
führen. Ich habe die Hoffnung, dass die klare Botschaft
der anderen Staaten, die schon vom G-7-Gipfel ausging,
auch vom G-20-Gipfel in Hamburg ausgehen wird. Den
Kampf gegen den Klimawandel werden wir als Weltge-
meinschaft gemeinsam führen und auch gemeinsam ge-
winnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Welt ist doch
auf ihrem Weg in Richtung Treibhausgasneutralität nicht
mehr aufzuhalten. Die Frage für uns ist nur, ob wir dem
Fortschritt auf diesem Weg hinterherlaufen oder ob wir
voranschreiten. Wir brauchen eine langfristig verläss-
liche Politik, die klare Signale gibt. Das liegt natür-
lich auch im Interesse der betroffenen Branchen – eine
Selbstverständlichkeit.

Die schlechteste Wirtschaftspolitik ist eine, die Ver-
änderungen aus dem Weg geht, die auf kurzfristigen Ge-
winn anstelle von nachhaltigem Wohlstand setzt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das mit Ihrer Politik zu tun? Das verstehe ich nicht!)


Das hat aber noch nicht jeder verstanden; ich dachte
wirklich, wir wären da weiter. Die Art und Weise, wie
Umweltpolitik von der zukünftigen Koalition in NRW
allem Anschein nach begriffen wird, überrascht mich
schon. Die Kolleginnen und Kollegen in Düsseldorf
scheinen zu glauben, es reiche aus, sich auf die Mindest-
vorgaben aus Brüssel zu beschränken. Sie hoffen, dass
der Emissionshandel dann schon alles richten wird. Das
ist nicht genug für ein Bundesland, das zu den innova-
tivsten Wirtschaftsräumen ganz Europas gehört.


(Beifall bei der SPD)


Beim Lesen des Koalitionsvertrages hatte ich den Ver-
dacht, dass die Thesen des Berliner Kreises in der Union
doch mehr Beachtung finden, als man annehmen möchte.
Ausgerechnet dem IPCC, also gerade dem Gremium, das






(A) (C)



(B) (D)


politikwissenschaftlich zu Klimafragen berät, zu unter-
stellen, es betreibe einen „Weltrettungszirkus“, ist schon
erstaunlich.


(Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Das ist nicht gesagt worden!)


Wenn der Berliner Kreis – Herr Kollege Lengsfeld, viel-
leicht nehmen Sie das zur Kenntnis – vorschlägt, die wis-
senschaftliche Beratung auszudünnen und das IPCC nur
noch alle zehn Jahre zu Wort kommen zu lassen, dann
sage ich: Willkommen, Herr Kollege, im postfaktischen
Zeitalter!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva BullingSchröter [DIE LINKE])


Unsere Antwort auf den Klimawandel kann nicht sein,
die Wissenschaft zu ignorieren. Ich danke Ihnen, Frau
Kollegin Weisgerber, dass Sie hier sehr deutlich eine an-
dere Position der Union vertreten haben. Meine Hoch-
achtung dafür!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist an der Zeit,
dass wir Klimaschutz als eine Komponente unseres poli-
tischen Handelns insgesamt begreifen. Der Energiesektor
und der Gebäudesektor sind hier ja in den vergangenen
Jahren in eine beachtliche Vorleistung getreten. Es wird
Zeit, dass der Verkehrssektor und die Landwirtschaft
folgen. Der Umweltschutz ist eben kein Gegner unserer
Automobilkonzerne oder der Landwirte. Im Gegenteil:
Nur wenn sich die deutschen Autobauer von Diesel und
Benzin nach und nach verabschieden, werden sie in Zu-
kunft erfolgreich sein. Nur wenn die Landwirtschaft ihre
Umweltprobleme in den Griff bekommt, ist sie zukunfts-
fähig. Klimaschutz ist kein Gegner – er ist Partner.

Zugleich gilt: Wir müssen die Akzeptanz beim Klima-
schutz im Auge behalten. Die Unterstützung für eine ehr-
geizige Klimaschutzpolitik in Deutschland ist hoch. Aber
auch das ist nicht für alle Zeit gesichert. Es wäre Augen-
wischerei, wenn wir davon ausgingen, der notwendige
Wandel geschähe, ohne dass Interessensgegensätze auf-
treten. Es kommt insofern darauf an, die Akzeptanz im-
mer wieder aufs Neue durch eine breite Beteiligung zu
fördern. Der Klimaschutzplan 2050 bietet da eine Fülle
von Anknüpfungspunkten. Uns kommt es darauf an, die
Chancen und die Lasten dieses Wandels fair zu verteilen.
Wir brauchen einen gerechten Wandel.

Ich glaube übrigens, das wollen auch Sie, liebe Kol-
leginnen und Kollegen von den Grünen. Aber man muss
eben auch mit den Menschen reden, die zum Beispiel
Angst haben, ihre Arbeit zu verlieren, und man muss ver-
lässlich sein. Sie beschließen im November auf der Bun-
desdelegiertenkonferenz in Münster das Kohleausstiegs-
jahr 2025, im Januar in der Bundestagsfraktion 2037, und
im Wahlprogramm steht jetzt 2030. Sie haben Klima-
schutz und Kohleausstieg zu Ihren wichtigsten Themen
für die nächste Legislatur erklärt. Kann man dann derart
beliebig damit umgehen?


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie haben ja auch 25 bis 30 gesagt! Da sind doch auch fünf Jahre dazwischen!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824005200

Frau Ministerin, erlauben Sie eine Zwischenfrage

oder -bemerkung von Annalena Baerbock?

Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:

Ja.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824005300

Gut.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich habe Ihrer Rede
jetzt sieben Minuten gelauscht. Sie haben in alle Rich-
tungen ausgeteilt und beschrieben, wer alles etwas falsch
macht.

Nun befinden wir uns gerade weltweit in einer drama-
tischen Situation. Der Klimakollaps schreitet immer wei-
ter voran. Trump tritt aus dem Klimaabkommen aus. Wir
haben uns schon gefragt, wie die Antwort der Bundesre-
gierung darauf lautet, außer Empörung nach dem ersten
Tag. Ich hatte gehofft, dass Sie hier und heute im Deut-
schen Bundestag kurz vor dem G-20-Gipfel eine klare
Ansage machen, wie die Bundesregierung, vor allem Sie
als Bundesumweltministerin, auf diesen Zustand in der
Welt reagiert.

Wir hatten schon gestern im Ausschuss eine Diskus-
sion darüber geführt, in der ich Sie gefragt habe: Was
ist mit dem Emissionshandel? Sie wollten ihn doch vom
Kopf auf die Füße stellen; das war Ihre Ansage. Jetzt
folgt die Tagung des Europäischen Rates. Von Deutsch-
land kommt nichts, um den Emissionshandel wirklich
anzuschärfen. Man unterstützt manchmal irgendwelche
Länder, aber eigentlich will man die Stahlindustrie si-
chern.

Eine andere Frage ist: Was ist mit dem Kohleausstieg?
Sie hatten mehrere Jahre angekündigt, dass da etwas
kommen muss. Jetzt soll 2018 eine Kommission ihre Ar-
beit aufnehmen. Gestern habe ich dazu im Ausschuss die
Frage gestellt: Wenn Trump jetzt aussteigt, müssen wir
Europäer dann nicht sagen: „Jetzt erst recht“?


(Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Haben wir doch!)


Macron hat dazu einen Aufschlag gemacht. Auch hier
stellt sich die Frage: Was sagen eigentlich die Bundes-
regierung und die deutsche Umweltministerin dazu?
Wollen wir gemeinsam mit Macron das Thema angehen
und die europäischen Klimaziele, den Ausstoß um min-
destens 40 Prozent zu mindern, anschärfen? Dazu haben
Sie nichts gesagt.

Jetzt werfen Sie uns auch noch vor, dass wir einen
ganz konkreten Vorschlag machen, wie wir aus der Koh-
le aussteigen können. Sie haben das in den letzten vier
Jahren nämlich nicht gebacken gekriegt. Ich kann Ihnen
unseren Vorschlag genau erklären. Wir haben es durchge-
rechnet: Wir müssen ein CO2-Budget für jedes Kraftwerk
erstellen, aus dem hervorgeht, welche Werte es erreichen

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks






(A) (C)



(B) (D)


muss, damit die Pariser Klimaziele eingehalten werden.
Außerdem müssen 20 Kraftwerke abgeschaltet werden,
damit wir das Klimaziel – das war der Auftrag Ihrer Bun-
desregierung – für das Jahr 2020 erreichen können, und
zwar gemeinsam mit den Regionen, damit es sozialver-
träglich abläuft. Sie können unsere Vorschläge gerne ko-
pieren. Dann erreichen Sie auch das deutsche Klimaziel.
In den letzten vier Jahren haben Sie das nicht geschafft.

Herzlichen Dank


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:

Frau Kollegin Baerbock, nehmen Sie zur Kenntnis,
dass wir auch in den Klimaschutzplan 2050 hineinge-
schrieben haben, dass wir im Jahr 2018, also im nächsten
Jahr,


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist alles immer komischerweise im nächsten Jahr!)


die Kommission einsetzen werden, die einen sozial-
verträglichen Kohleausstieg vorbereiten wird, der die
Menschen mitnimmt. Selbstverständlich werden wir un-
sere Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele in Eu-
ropa umsetzen. Wir wissen auch, dass es „mindestens“
40 Prozent heißt.

Selbstverständlich werden wir spätestens bis zum Jah-
resende die Erneuerung des europäischen Emissionshan-
dels hinbekommen, verbunden mit einem Burden Sha-
ring zwischen den europäischen Ländern. Natürlich gibt
es unterschiedliche Interessenlagen – das ist klar –, aber
das werden wir hinbekommen und die Menschen mitneh-
men; denn – wie ich eben schon ausgeführt habe – die
Akzeptanz für den Klimaschutz wird man nur erhalten,
wenn man die Menschen mitnimmt. Es geht um einen
gerechten Klimaschutz.

Sie versprechen zum Beispiel einen Beteiligungspro-
zess, verschicken aber das Ausstiegsdatum gleich mit. So
gelingt Beteiligung nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie sagen: Wir können über alles reden, aber 2030 ist
Schluss. Das ist also nur die Illusion einer Beteiligung.
Sie nehmen die Menschen nicht ernst.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Über Klimaschutz kann man nicht verhandeln! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ankündigungsministerin!)


Sie entscheiden auf Parteitagen über die Köpfe der Men-
schen hinweg.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen doch auch raus! Sie haben doch auch „25 bis 30 Jahre“ gesagt!)


Andersherum wird ein Schuh draus: Wir müssen – und
zwar direkt nach der Bildung der neuen Regierung – alle
Akteure an einen Tisch holen: die Gewerkschaften, die
Arbeitnehmervertreter, die Unternehmen, die Regionen,
die Umwelt- und die Wirtschaftsverbände. Wir müssen
gemeinsam einen sozialverträglichen Ausstieg erarbei-
ten. Wir brauchen jetzt keine Debatten über Jahreszahlen,
sondern eine Debatte über neue Chancen für die Men-
schen und Regionen, wenn der Braunkohleabbau und die
Kohleverstromung einem Ende zugeführt werden. Die
Akzeptanz unseres Weges zur Treibhausgasneutralität
hängt an der Frage der Gerechtigkeit. Das scheinen Sie
manchmal aus dem Blick verloren zu haben.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein!)


Dieser Prozess ist der Lackmustest für unsere Klima-
schutzpolitik.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Und nur wenn wir den Kohleausstieg sozialverträglich
organisieren, werden wir glaubhaft den Transformati-
onsprozess unserer Volkswirtschaft insgesamt angehen
können.


(Zurufe von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nur wenn wir in Deutschland einen sozial gerechten Weg
in Richtung Treibhausgasneutralität finden, werden an-
dere Länder uns folgen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der britische Philo-
soph Alfred North Whitehead hat einmal gesagt:

Die Kunst des Fortschritts besteht darin, inmitten
des Wechsels Ordnung zu wahren und inmitten der
Ordnung den Wechsel zu wagen.

Ich denke, das haben wir in den vergangenen vier Jahren
geschafft.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit Stillstand!)


Daran werden wir anknüpfen können, in welcher Rollen-
verteilung auch immer.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824005400

Vielen Dank, Barbara Hendricks. – Nächster Redner

in der Debatte: Andreas Jung für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andreas Jung (CDU):
Rede ID: ID1824005500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst einmal möchte ich mich den guten Wünschen
und dem Dank an die ausscheidende Kollegin anschlie-
ßen. Liebe Bärbel Höhn, ich sage es mit Respekt vor Ih-
rer Arbeit: Ich bin mir sicher, dass Sie hier mehr Spuren

Annalena Baerbock






(A) (C)



(B) (D)


hinterlassen werden als den von Ihnen initiierten Bundes-
tagsbienenstock. Alles Gute weiterhin!


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Honig ist gut!)


– Der Honig ist exzellent. Wir werden ihn weiterhin ge-
nießen.

Ich will ganz bewusst, weil es mehrfach angesprochen
wurde, die fraktionsübergreifenden Gemeinsamkeiten
und den Konsens, den wir in vielen Fragen haben, an den
Beginn meiner Rede stellen. Es ist so, wie schon Anja
Weisgerber betont hat: Ja, wir haben in diesem Haus
einen breiten Konsens darüber, welch große Herausfor-
derung, welch große Bedrohung unserer Zeit der Kli-
mawandel im globalen Maßstab ist. Der Klimawandel
bedroht viele Menschen in ihren Lebensgrundlagen. Es
geht um die Veränderung unserer Welt, es geht um unsere
Lebensgrundlagen. Deshalb haben wir allen Grund, ge-
meinsam dafür zu ringen, zu mehr Klimaschutz zu kom-
men. Für uns Christdemokraten geht es dabei auch um
die Bewahrung der Schöpfung. Deshalb halten wir es für
ein ganz wichtiges Ziel, hinter dem wir, CDU, CSU und
unsere gemeinsame Fraktion, in großer Geschlossenheit
stehen.

Uns ist es in besonderer Weise wichtig gewesen,
dass die Unterzeichnung des Klimaabkommens erreicht
wurde. Es gibt auch da, wie ich finde, beim Eintreten
für die Ziele eine große Kontinuität der verschiedenen
Bundesregierungen unterschiedlicher Farben. Es war
wichtig und richtig, dass es gelungen ist, im Jahr 2015
in Paris das Weltklimaabkommen zu erreichen. Das war
ein Durchbruch. Jetzt muss es darum gehen, es in allen
Ländern konsequent umzusetzen, es damit zum Erfolg
zu machen und so den Klimaschutz gemeinsam voran-
zubringen.

Deshalb eint uns auch die Ablehnung und die Em-
pörung über den amerikanischen Präsidenten Donald
Trump, der quasi mit einem Federstrich aus dem Klima-
schutzabkommen aussteigen will, nicht mehr mitmachen
will nach dem Motto „America first – und nach mir die
Sintflut“ und Klimaschutz den anderen überlassen möch-
te. Das können wir nicht akzeptieren. Deshalb ist es un-
sere Haltung, die Bundesregierung auch in Vorbereitung
des G-20-Gipfels in Hamburg darin zu unterstützen, all
diejenigen zu überzeugen, zu sammeln und zu bestärken,
die dieses Abkommen unterschrieben haben. Wir brau-
chen hier ein klares und starkes Signal für den Klima-
schutz. Die Bundesregierung arbeitet dafür. Dafür hat sie
die Unterstützung, wie ich glaube, des ganzen Hauses.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Selbstverständlich stellen wir uns der Diskussion, was
es für Deutschland bedeutet. Ich möchte Ihnen wider-
sprechen, Frau Höhn, wenn Sie sagen, wir müssten end-
lich beginnen, Klimaschutz zu machen. Das wird, wie ich
finde, unserer Klimapolitik nicht gerecht. Es wird übri-
gens auch der Politik Ihrer eigenen Regierungszeit nicht
gerecht. Deutschland hat längst begonnen, Deutschland

gehört zu den prägenden Kräften, Deutschland gehört
zu den Vorreiterkräften. Jetzt gilt es, darauf aufzubauen
und das, was wir in dieser Legislaturperiode auf den Weg
gebracht haben, in den nächsten Jahren konsequent um-
zusetzen.

Ich will ausdrücklich anknüpfen an die Ausführun-
gen der Bundesumweltministerin und auch von Anja
Weisgerber, die beide den Klimaschutzplan 2050 genannt
haben. Dieser Plan ist die Grundlage für unser Bemühen
und Bestreben in den nächsten Jahren. Deshalb müssen
wir bei den Themen Kohle, Verkehr, Landwirtschaft,
Energieeffizienz und Wärme konsequent vorangehen.
Ja, ich halte es für richtig und notwendig, dass wir da
eine Schippe drauflegen, dass wir alles versuchen, diesen
Prozess zu beschleunigen. Wir dürfen nicht warten. Wir
müssen hier engagiert und konsequent vorangehen.

Deshalb halte ich es auch für notwendig, dass wir das
Thema Kohleausstieg angehen und, so wie es verabredet
ist, die Kommission sofort zu Beginn der nächsten Legis-
laturperiode einsetzen. So können wir mit den Beteilig-
ten zu einem Ergebnis kommen, und so können wir unter
Berücksichtigung der Strukturfragen in den Regionen,
unter Berücksichtigung der Belange der Menschen, die
in diesem Bereich arbeiten, schrittweise aus der Kohle
aussteigen und damit schrittweise den Umbau zu einer
dekarbonisierten Energiewirtschaft schaffen. Das ist not-
wendig, und ohne das wird es überhaupt gar nicht gehen.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, dann mal los!)


Ich bin auch der Meinung, dass wir den Verkehrssek-
tor in den Blick nehmen müssen;


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gute Idee!)


Ich bin da allerdings anderer Meinung als die Kollegin
Leidig. Ich glaube, man sollte das nicht allzu sehr gegen-
einander ausspielen. Natürlich brauchen wir den Ausbau
von Schiene. Wir brauchen aber auch den Ausbau der
Straße – und zwar dort, wo wir Stauschwerpunkte ha-
ben –, weil Stau kein Beitrag zum Klimaschutz ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Weniger Verkehr!)


Gerade im ländlichen Raum brauchen wir neben dem
Ausbau von Schienen auch den Ausbau von Straßen. Wir
brauchen aber auch umweltfreundliche Autos, die auf
diesen Straßen fahren.


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)


Deshalb unterstützen wir die Bemühungen, die die
Bundesregierung im Bereich des Nationalen Aktions-
plans ja schon angestoßen hat: Elektromobilität, Elektro-
autos, Ökostrom als Benzin von morgen – das ist unser
Ziel, das müssen wir auf die Straße bringen; in diesem
Bereich muss es auch noch schneller gehen. Aber da ist ja
vieles schon auf den Weg gebracht worden, worauf man
jetzt aufbauen kann.

Unsere Antworten sind nicht die Verbote und Befris-
tungen, die die Grünen jetzt beschlossen haben – das
ist übrigens auch die Meinung des baden-württember-

Andreas Jung






(A) (C)



(B) (D)


gischen Ministerpräsidenten –; vielmehr sind wir der
Überzeugung, dass man auch da mit allen Beteiligten,
gemeinsam mit der Automobilindustrie und mit der For-
schung, alles dafür tun muss, damit das Auto der Zu-
kunft, das Ökoauto, made in Germany ist, das wir dann
in alle Welt exportieren. So leisten wir einen Beitrag zur
Reduzierung der Treibhausgase in unserem Land.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wir sind gespannt darauf!)


Letzte Bemerkung. Ich bin sehr dankbar, dass die
Bundeskanzlerin in dieser Woche angekündigt hat: Ja,
wir wollen einen neuen Versuch unternehmen, um die
steuerliche Förderung der Gebäudesanierung auf den
Weg zu bringen. – Wir haben es hier im Bundestag ja
schon beschlossen. Es ist an den Ländern und am Bun-
desrat gescheitert. Jetzt unternehmen wir einen neuen
Anlauf. In NRW, so habe ich gesehen, steht es im Koali-
tionsvertrag. Sie wollen es jetzt wie viele andere Länder
auch unterstützen. Dann sollte es doch eine Chance ge-
ben. Das müssen wir schaffen; anderenfalls werden wir
der Verantwortung, die wir hier für Klimaschutz haben,
und der besonderen Bedeutung, die Energieeffizienz da-
bei hat, nicht gerecht.

Es gibt also viel zu tun. Ich freue mich darauf, gemein-
sam mit Ihnen mit der Leidenschaft, die ja bei allen hier
zum Ausdruck gekommen ist, daran weiter zu arbeiten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824005600

Vielen Dank, Andreas Jung. – Nächste Rednerin:

Heike Hänsel für die Linksfraktion.


(Beifall bei der LINKEN)



Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824005700

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Von den Folgen der Erderwärmung sind bereits
jetzt diejenigen Länder am härtesten betroffen, die am
wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben: die
Länder des Südens. Ganz aktuell erleben wir in Ostafri-
ka die größte humanitäre Katastrophe seit Gründung der
Vereinten Nationen. Über 25 Millionen Menschen sind
vom Hungertod bedroht. Auch die Klimazerstörung hat
mit der von ihr ausgelösten langanhaltenden Dürre dazu
beigetragen. Es ist die ökologische Schuld des Nordens,
und deswegen braucht es nicht nur mehr Hilfsgelder von
hier, sondern es braucht endlich eine ernsthafte, echte
Klimaschutzpolitik.


(Beifall bei der LINKEN)


Es wurde auch angesprochen: Die Warnungen vor
dreistelligen Millionenzahlen von Klimaflüchtlingen in
den nächsten Jahrzehnten häufen sich. Diese Klimazer-
störung ist auch eine der großen Fluchtursachen, die end-
lich bekämpft werden muss.

Für uns ist aber auch Folgendes wichtig: Klimaschutz
ist nicht nur eine Frage alternativer Technologien, alter-

nativer Energieträger, sondern wir müssen uns auch mit
diesem herrschenden Wirtschaftssystem und seiner glo-
balen Handelsordnung auseinandersetzen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn wir nicht aus dieser neoliberalen Globalisierung
herauskommen, die auf Ausbeutung der Rohstoffe, auf
Profitmaximierung für wenige setzt, können wir die Kli-
maschutzziele nicht erreichen. Dazu gehört auch der zer-
störerische Freihandel, der Land Grabbing vorantreibt,
der kleinbäuerliche Existenzen zerstört und der Mono-
kulturen von Palmöl und Soja fördert, soweit das Auge
reicht. All das muss endlich aufhören. Freihandel ist kein
Beitrag zum Klimaschutz.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen keinen grünen Kapitalismus, sondern
endlich internationale solidarische Zusammenarbeit. Da-
für haben wir Vorschläge unterbreitet, zum Beispiel den
Vorschlag, auf UN-Ebene zugunsten der Länder des glo-
balen Südens einen Fonds zur Kompensation der Folgen
des Klimawandels und des Kolonialismus einzurichten,
der von den Industriestaaten finanziert wird.

Diese Maßnahme muss verbunden sein mit einem so-
lidarischen Wissens- und Technologietransfer, um eine
globale Energiewende zu ermöglichen. Die Energiewen-
de muss als globales Gemeinschaftsgut angesehen wer-
den. Sie darf nicht länger als Handels- und Renditeob-
jekt oder als neuer finanzieller Exportschlager angesehen
werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Wichtig ist auch, dass wir die sogenannten Klimafi-
nanztransfers für den Süden nicht mit den Mitteln der
Entwicklungsfinanzierung verrechnen. Wir brauchen
eine eigenständige Finanzierung der Anpassungsmaß-
nahmen. Die soziale und die ökologische Entwicklung
müssen zusammengehen.

Für den G-20-Gipfel werden bereits Zeichen gesetzt.
Angela Merkel rüstet sich für das Treffen mit Donald
Trump. Sie ist extra nach Rom gefahren, um sich den Se-
gen des Papstes dafür zu holen. Ich möchte aber davor
warnen, Angela Merkel in Hamburg als Klimaretterin zu
betrachten; denn sie hat gesagt, sie will, dass in Hamburg
ein Bekenntnis zum Freihandel abgegeben wird. Was für
eine fatale Ankündigung! Genau das wollen wir nicht.
Wir wollen nicht noch mehr Freihandel und noch mehr
Ausbeutung, sondern endlich eine international gerechte
Handelsordnung. Das ist der beste Beitrag zum Klima-
schutz.


(Beifall der Abg. Karin Binder [DIE LINKE])



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1824005800

Frau Kollegin, achten Sie bitte auf die Zeit.


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824005900

Frau Roth, da sind Sie ja vielleicht auch dabei.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Andreas Jung






(A) (C)



(B) (D)


– Entschuldigung, der Vorsitz hat gewechselt. – Dafür
werden am 8. Juli dieses Jahres in Hamburg viele auf die
Straße gehen. Es gibt ein breites Bündnis für mehr Kli-
maschutz und gegen Freihandel. Sie alle sind eingeladen,
hinzukommen.


(Beifall bei der LINKEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1824006000

Frau Kollegin, man ist vor so mancher Überraschung

nicht gefeit. – Als Nächster hat das Wort: Frank Schwabe
für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Die Ähnlichkeit ist frappierend!)



Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1824006100

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Verehrte Damen und Herren! Viele Dankesworte
sind schon gesagt worden. Ich will mich anschließen
und mich bedanken bei Bärbel Höhn, aber auch bei Eva
Bulling-Schröter und Josef Göppel, der heute leider nicht
anwesend sein kann. Eure Arbeit ist beeindruckend. Ihr
habt ganz viel getan für den deutschen und den europäi-
schen Klimaschutz. Ihr habt das mit voller Leidenschaft
gemacht. Ich glaube, wir haben das fraktionsübergreifend
gut gemacht. Dafür noch einmal ganz herzlichen Dank!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit dem Klimaschutz ist das so eine Sache, liebe Kol-
leginnen und Kollegen. In der Tat kommt man sich oft so
vor wie bei der Echternacher Springprozession. Das ist
aber auch bei anderen politischen Themen der Fall. Das,
was Trump an Realitätsverweigerung betreibt, schlägt
dem Fass aber in der Tat den Boden aus. Die entscheiden-
de Frage ist, wie wir damit umgehen, wie wir darauf re-
agieren. Es ist richtig, sich dagegen zu positionieren; das
stimmt. Noch viel richtiger und wichtiger ist es aber, mit
stärkeren Ambitionen in Europa und in Deutschland da-
rauf zu reagieren. Daher brauchen wir für den G-20-Gip-
fel in Hamburg eine klare Position. Wir und die anderen
19 Staaten müssen sagen: Wir wollen weitermachen mit
einem ambitionierten Klimaschutz. Ich glaube, das ist
unsere gemeinsame Erwartungshaltung.

Was wurde in den letzten vier Jahren eigentlich er-
reicht? Man muss sich immer wieder klarmachen – das
vergisst man in der aktuellen Debatte gerne –, dass das
für 2020 angestrebte Klimaschutzziel – bis 2020 minus
40 Prozent gegenüber 1990 – im Jahr 2007 entwickelt
wurde, rund um die Klimakonferenz auf Bali. Dieses
Ziel haben wir seit langem, aber wir haben lange nichts
getan, um dieses Ziel zu erreichen. Zum Teil wussten
wir zwischendurch gar nicht mehr, wo wir auf dem Weg
zur Erreichung dieses Ziels stehen. Es ist das Verdienst
dieser Bundesregierung, insbesondere dieser Bundesum-
weltministerin, dass wir uns ehrlich gemacht haben, dass
wir uns klargemacht haben, wo wir stehen, dass wir uns
klargemacht haben, dass das, was wir bisher gemacht ha-
ben, nicht ausreicht, um unsere Ziele zu erreichen.

Hier im Deutschen Bundestag wurden Programme
dieser Bundesregierung verabschiedet, die aber am Ende
nicht ausgereicht haben. Das muss man ehrlicherweise
sagen. Wir sind zwar einen Schritt weitergekommen auf
dem Weg zur Erreichung des 40-Prozent-Ziels; aber es ist
dringend notwendig, dass die neue Bundesregierung und
die neue Koalition, wie auch immer sie sich zusammen-
setzen werden, schon in den Koalitionsverhandlungen
neue Maßnahmen beschließen und diese zu Beginn der
Legislaturperiode umsetzen, damit wir dieses 40-Pro-
zent-Ziel noch erreichen können.

Das Thema Kohleausstieg ist angesprochen worden.
Es ist schwierig. Wenn es konkret wird, wird es immer
sehr schwierig. Aber ich glaube, es ist mittlerweile über
alle Fraktionsgrenzen hinweg Konsens, dass es eine Be-
endigung der Nutzung von Kohle in diesem Land geben
wird. Die Frage ist, in welchen Zeiträumen und wie wir
das so machen – das ist jedenfalls das zentrale Anliegen
meiner Fraktion –, dass, wie es bei uns heißt, die Men-
schen nicht ins Bergfreie fallen. Das wird zu organisie-
ren sein. Dazu gibt es viele Hinweise, in den Ministerien,
aber auch im Wahlprogramm der SPD. Das wird eine
Aufgabe, vielleicht eine zentrale Aufgabe der nächsten
Legislaturperiode sein.

Bei vielen Zielen, die zu erreichen gewesen wären,
sind wir leider nicht in der Spur – das muss man ehrli-
cherweise sagen –, weder mit Blick auf 2020 noch mit
Blick auf 2050. Da muss noch vieles dazukommen. Am
Dienstag haben wir in der SPD-Fraktion ein Papier ver-
abschiedet – Klaus Mindrup hat das über alle Arbeits-
gruppen hinweg koordiniert –, in dem wir zum Beispiel
deutlich gemacht haben, dass die Ausbauziele im Er-
neuerbare-Energien-Bereich nicht ambitioniert genug
sind. Wenn wir andere Sektoren im Wärme- und im Ver-
kehrsbereich mit einbeziehen wollen, dann müssen diese
Ziele deutlich angehoben werden.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir machen in unserem Wahlprogramm deutlich, dass
es nicht ausreicht, von einer Senkung der Treibhausga-
semissionen um 80 bis 95 Prozent bis 2050 zu reden,
sondern dass wir uns mehr am oberen Ende orientieren
müssen. Wir brauchen ein Klimaschutzgesetz, allerdings
nicht, um die Wirtschaft zu gängeln, sondern – ganz im
Gegenteil – um verlässliche Rahmenbedingungen zu
schaffen. Wir brauchen auch Hilfestellungen für den eu-
ropäischen Emissionshandel. Wenn der Emissionshan-
del das zentrale Instrumentarium sein soll, dann muss er
auch beweisen, dass er es kann. Wenn er es eigenständig
nicht kann, dann braucht er Hilfestellungen. Das sind
aus unserer Sicht CO2-Mindestpreise, die möglichst im
EU-Kontext, zumindest aber mit einer Reihe europäi-
scher Staaten zu verabreden sind.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und Glück auf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heike Hänsel






(A) (C)



(B) (D)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1824006200

Vielen Dank, Herr Kollege Schwabe. – Als Nächster

hat Dr. Thomas Gebhart für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Thomas Gebhart (CDU):
Rede ID: ID1824006300

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Es ist gut, dass wir gegen Ende der Wahlperiode
noch einmal Gelegenheit haben, grundsätzlich über die
Frage des Klimaschutzes miteinander zu debattieren und
deutlich zu machen: An welchen Stellen gibt es Gemein-
samkeiten und Schnittmengen, und an welchen Stellen
unterscheiden sich unsere Positionen?

Zunächst: Als Christdemokrat ist mir der Klimaschutz
ein Kernanliegen. Es geht um den Erhalt der natürlichen
Lebensgrundlagen, und es geht um die Bewahrung der
Schöpfung. Das ist eine ethische Frage. Es ist aber auch
eine Frage der Vernunft, auch der ökonomischen Ver-
nunft, dass wir den Klimawandel auf ein verantwortbares
Maß begrenzen.

Meine Damen und Herren, der Klimaschutz ist eine
globale Herausforderung. Deswegen war es so wichtig,
dass es in Paris gelungen ist, diesen internationalen Ver-
trag abzuschließen. Das war ein riesiger Fortschritt. Aber
wir wissen eben auch: Der Vertrag steht zunächst einmal
nur auf dem Papier. Die 29 Artikel von Paris sind teil-
weise sehr vage und weich formuliert. Der Vertrag bietet
viele Schlupflöcher. Dahinter steckt schlicht und ergrei-
fend der Umstand, dass wir es mit unterschiedlichen In-
teressen zu tun haben. Es gibt Länder, die für weitgehen-
den Umwelt- und Klimaschutz streiten. Aber es gibt eben
auch Länder, die ganz andere Ziele haben, die vor allem
auf mehr Wohlstand und Wachstum setzen. Deswegen
wird die Umsetzung dieses Vertrages alles andere als ein
Selbstläufer werden.

Ich bin zutiefst überzeugt: Wir werden bei der Umset-
zung umso besser vorankommen, je besser es uns gelingt,
diese Interessengegensätze zu überwinden, also Umwelt-
und Klimaschutz auf der einen Seite und Wirtschaft und
Wohlstand auf der anderen Seite zusammenzubringen.
Diesen Weg müssen wir gehen. Schaffen werden wir
das nur mit neuen Technologien, mit Innovationen, mit
Forschung und Entwicklung, mit marktwirtschaftlichen
Instrumenten und Anreizen. Da haben wir eine ganze
Menge gemacht.

Ich will nur ein Beispiel nennen. Wir haben hier vor
kurzem ein neues Verpackungsgesetz beschlossen. Die-
ses Gesetz setzt ganz konkrete Anreize, Verpackungen
mehr als bisher zu recyceln und zu neuen Rohstoffen zu
machen. Das heißt, dass mehr von dem, was die Bürger
in den Gelben Sack sortieren, recycelt wird und weniger
verbrannt wird. Auch das ist ein ganz konkreter Beitrag
zum Klimaschutz. Das ist ein schönes Beispiel, das zeigt,
wie Umweltschutz und Wirtschaft vernünftig zusammen-
gehen können.

In diesem Weg stecken erhebliche wirtschaftliche
Chancen. Es geht um die Märkte der Zukunft. Das ist
sicherlich auch ein wesentlicher Grund dafür, dass der

amerikanische Präsident Donald Trump mit seiner un-
säglichen Entscheidung, aus diesem Klimaschutzabkom-
men auszusteigen, bisher keine wirklichen Nachahmer
gefunden hat. Das war die eigentliche Sensation der
letzten Klimakonferenz in Marrakesch, und bis heute ist
es bemerkenswert, dass er keine wirklichen Nachahmer
gefunden hat.

Damit das so bleibt, ist es entscheidend, dass wir im-
mer wieder unter Beweis stellen: Klimaschutz und eine
starke Wirtschaft sind keine Gegensätze, sondern beides
geht zusammen. Das ist der Weg, den wir weitergehen,
unser Weg zur Umsetzung des Klimaschutzabkommens.

Die Grünen vertreten in dieser Frage zum Teil einen
anderen Weg. Das ist ein eher rückwärtsgewandter Weg,
der vor allem auf Verzichten, auf Einschränken, auf
Deindustrialisieren und auf Verbieten setzt. Sie wollen
zum Beispiel die Kohleverstromung ab einem bestimm-
ten Zeitpunkt verbieten.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Frau Weisgerber auch gesagt!)


Ministerin Hendricks hat darauf hingewiesen: Dafür
haben Sie ganz unterschiedliche Zeitpunkte genannt.
Zunächst haben Sie 2030 gefordert, im letzten Jahr war
es 2025. Heute liegt ein Antrag der Grünen zur Abstim-
mung vor, in dem steht, dass dies innerhalb der nächsten
zwei Jahrzehnte erreicht werden soll. Ich frage Sie: Was
gilt denn nun?


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Paris gilt!)


Diese ganze Unentschlossenheit, dieses Hin- und Her-
schwimmen in Bezug auf das konkrete Datum zeigt ei-
gentlich nur die ganze Misere Ihres Ansatzes.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Misere, weil Sie nichts machen!)


Es macht nämlich wenig Sinn, heute politisch ein Aus-
stiegsdatum festzulegen, ohne zu wissen, wann und wie
dieser Ausstieg zu erreichen ist. Wir wissen heute nicht,
wann genau die Kohle in großem Stil durch saubere Al-
ternativen zuverlässig und zu vertretbaren Preisen ersetzt
werden kann, sodass an jedem Ort in Deutschland zu je-
dem Zeitpunkt des Jahres ausreichend Strom zur Verfü-
gung steht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wissen es nicht, und deswegen macht es nur wenig
Sinn, dieses Datum heute festzulegen.

Viel wichtiger ist es, dass wir die Alternativen voran-
bringen. Das ist die eigentliche Voraussetzung für den
Ausstieg aus der Kohle.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Voranbringung der Alternativen muss Hand in Hand
gehen mit der Reduzierung der Kohleverstromung.


(Zuruf der Abg. Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])







(A) (C)



(B) (D)


Meine Damen und Herren, wir müssen die Alterna-
tiven, die erneuerbaren Energien voranbringen und die
Stromnetze ausbauen, bei den Speichertechnologien ent-
scheidend vorankommen


(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vier verschenkte Jahre!)


und auf Forschung und Entwicklung sowie neue Techno-
logien setzen, und vor allem müssen wir für neue Tech-
nologien offen sein.


(Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das ist der Weg, den wir gehen und auch weiterhin gehen
werden. Dafür werbe ich, weil wir auf diesem Weg dem
weltweiten Klimaschutz mit Sicherheit einen besseren
Dienst erweisen, als wenn wir Ihren Weg gehen würden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Einen Bärendienst erweisen!)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1824006400

Vielen Dank, Herr Kollege Gebhart. – Als nächster

Redner spricht Andreas Rimkus für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Andreas Rimkus (SPD):
Rede ID: ID1824006500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Zuhörende auf den Rängen! Das
Ende einer Legislaturperiode ist für jeden von uns ver-
mutlich immer auch eine Gelegenheit für einen Rückblick
auf das Geschaffte. Für mich bietet heute der Antrag der
Fraktion der Grünen mit dem Titel „Jetzt mit wirksamem
Klimaschutz die ökologische Modernisierung angehen
und die Klimaschutzlücke schließen“ einen guten Anlass
dazu. Sie schreiben nämlich von einem Bekenntnis der
Kanzlerin zum Pariser Abkommen und knüpfen dann mit
den Worten an – ich zitiere –: „Doch den warmen Worten
folgen zu Hause keine Taten.“ Was für eine gute Gele-
genheit, gemeinsam mit Ihnen die letzten vier Jahre noch
einmal Revue passieren zu lassen.

Ziemlich zu Beginn der Legislaturperiode beschlossen
wir das Elektromobilitätsgesetz, das erstmals gesetzlich
festlegte, wie wir elektrische Antriebe definieren. Darü-
ber hinaus haben wir – besonders wir als SPD-Fraktion –
für die Ausfinanzierung des Nationalen Innovationspro-
gramms Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie
gesorgt und uns auch für seine Weiterführung starkge-
macht. Nicht unwesentlich ist dies verbunden mit dem
Vorankommen beim wichtigen Ausbau der Versorgung
mit Wasserstofftankstellen.

In dieser Legislatur haben wir außerdem verschiedene
Förderrichtlinien auf den Weg bringen können, die eins
deutlich machen: Elektrische Antriebe sind auf unseren
Straßen schon längst Realität. Projekte zu innovativen
Ideen, die Umrüstung des ÖPNV und den Ausbau der

Ladeinfrastruktur konnten wir mit diesem Geld voran-
bringen.

Und es geht weiter: Die Verlängerung der Regelung
im Hinblick auf Steuerbegünstigungen für Elektrofahr-
zeuge und die Kraftstoffe Erdgas und Autogas sind eben-
falls ein wichtiger Bestandteil einer technologieoffenen
Förderung. Auch weiterhin werden wir unseren Blick für
die unterschiedlichen technologischen Möglichkeiten of-
fenhalten. Nach schwierigen Verhandlungen konnte die
so wichtige Ladesäulenverordnung auf den Weg gebracht
werden. Sie bildet die Grundlage für die Schaffung eines
europäischen Systems. Denn was bringt mir ein Fahr-
zeug, das ich nach dem Verlassen Deutschlands nicht
mehr laden kann, weil der Stecker nicht passt?

Ein wichtiges Thema beispielsweise für Handwerks-
betriebe war die Anpassung der Gewichtsklassifizierung
bei der Fahrerlaubnis. Für Nutzende, die ihr Fahrzeug
gern bei ihrem Arbeitgeber laden, haben wir die Anrech-
nung als geldwerten Vorteil aufgehoben und die Rege-
lung sogar auf betriebliche Fahrzeuge erweitert. Letztlich
möchte ich die Beschaffungsinitiative des Bundes nicht
unerwähnt lassen. Immerhin haben wir uns gemeinsam
zum Ziel gesetzt, dass endlich 20 Prozent der Fahrzeuge
im Fuhrpark des Bundes mit elektrischen Antrieben aus-
gestattet sein sollen.

Zum Umweltbonus. Auch wenn der Verkauf von
Elektrofahrzeugen nur schleppend vorangeht, verzeich-
nen wir doch ein stetiges Wachstum. Es gilt wie so oft
im Leben: Wir müssen so geduldig sein, dass ein Kamel
hysterisch erscheint. – Das ist nicht von mir, sondern von
Rafik Schami. Aber es könnte von mir sein; denn ich
glaube, an diesem Spruch ist etwas dran.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Heiterkeit des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich könnte diese Liste fortführen. Ich möchte aber die
Zeit nutzen, um über das zu sprechen, was vor uns liegt.
Ich habe gerade isoliert die Maßnahmen im Verkehrssek-
tor beschrieben. Aber im Wesentlichen geht es doch da-
rum, die Maßnahmen für die Zukunft zu beschreiben, um
die Sektoren zusammenzubringen: Energie, Verkehr und
Immobilien. Diesen Prozess haben wir als SPD-Frakti-
on bereits begonnen und gemeinsam mit den Berichter-
stattern aus den Bereichen Verkehr, Wirtschaft, Umwelt
und Landwirtschaft das Positionspapier „Investieren für
Arbeit, Innovation, Klimaschutz und gutes Leben“ erar-
beitet. Ressortübergreifend konnten wir damit den Auf-
schlag für eine gemeinsame Vision machen.

Um es auf den Punkt zu bringen: In der Sektorenkopp-
lung liegt die Zukunft. Mobilität wird ohne das Strom-
netz künftig nicht mehr denkbar sein. Neben der Batte-
rietechnologie wird im Besonderen dem Wasserstoff eine
zentrale Bedeutung zukommen. Daher haben wir uns in
dem Papier speziell dem Thema der Anerkennung und
Förderung des grünen Wasserstoffs gewidmet.

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, für meine Fraktion
kann ich also sagen, dass es auch in der nächsten Legisla-

Dr. Thomas Gebhart






(A) (C)



(B) (D)


tur nicht bei warmen Worten bleiben wird. Ich freue mich
schon darauf, daran mitarbeiten zu dürfen.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Mal gucken!)


Vielen Dank fürs Zuhören.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1824006600

Vielen Dank, Herr Kollege. – Jetzt hat das Wort die

Kollegin Dr. Herlind Gundelach für die CDU/CSU-Frak-
tion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Herlind Gundelach (CDU):
Rede ID: ID1824006700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Politik findet nicht nur im Formulieren von Zielen und
Visionen statt – ich denke, darüber haben wir heute sehr
viel gehört, und wir sind uns in vielen Zielen sehr einig –,
sondern Politik findet auch sehr konkret statt.

Deswegen möchte ich heute nach vielen Diskussio-
nen, die ich vor allen Dingen mit den Kollegen und Kol-
leginnen von den Grünen hier im Plenum des Deutschen
Bundestages, im Wirtschaftsausschuss, aber auch bei
vielen Veranstaltungen geführt habe, Bilanz ziehen und
ein paar Sachen klarstellen.

Wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, und die Bun-
desregierung unter Führung unserer Bundeskanzlerin,
haben die Energieeffizienz immer als zweite Säule der
Energiewende verstanden und danach gehandelt. Wir
haben alleine für die Jahre 2016 bis 2020 rund 17 Milli-
arden Euro für Energieeinspar- und Energieeffizienzpro-
gramme zur Verfügung gestellt. Wir haben in den letzten
Jahren einen riesigen Strauß an Initiativen und Impulsen
auf den Weg gebracht. Dennoch muss ich mir heute an-
hören, dass wir immer noch nicht genug machen. Man
merkt: Wir sind schon ein bisschen im Wahlkampf.

Ich möchte heute ganz konkret auf den Antrag der
Grünen, der auf der Tagesordnung steht, zum Thema
„Klimaschutz in der Wärmeversorgung“ eingehen. Ich
habe bereits bei der ersten Beratung Ihres Antrags be-
tont, dass ich Ihrem Ziel einer nachhaltigen und sozial
gerechten Wärmeversorgung durchaus zustimme. Aber
es macht mich langsam ein bisschen ärgerlich, dass Sie
beim Klimaschutz und auch bei der Förderung der Ener-
gieeffizienz prinzipiell den Ansatz verfolgen: alles oder
nichts, schwarz oder weiß, gut oder böse. In der poli-
tischen Umsetzung bedeutet das dann: umfangreiche
Förderung mit Mitnahmeeffekten für die Guten und ein
Verbot für die Bösen. So können Sie auf lange Sicht –
aus meiner Sicht zumindest – keine Politik machen. Ich
vermisse da jeglichen Realitätssinn.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen möchte ich mir einmal einige Ihrer Forde-
rungen ganz konkret anschauen. Sie wollen mehr Geld
für energetische Sanierung. Um genau zu sein: Sie wol-
len 7 Milliarden Euro und würden damit die jetzigen

Mittel verdoppeln, obwohl diese Gelder schon in den
letzten Jahren gar nicht abgeflossen sind. Warum sollen
wir diese Mittel dann verdoppeln? Das leuchtet mir gar
nicht ein.

Sie wollen den CO2-Ausstoß stärker als Steuerungs-
größe verankern. Ich denke, das kann auch ein richtiger
Ansatz sein. Darüber lassen wir auch durchaus mit uns
diskutieren. Wenn der CO2-Ausstoß volkswirtschaftlich
für alle Sektoren einen Preis hätte, hätten wir ein einheit-
liches marktwirtschaftliches Instrument, durch das sich
die CO2-ärmste Technologie aufgrund ihres Preises auch
durchsetzen könnte. Aber für Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von den Grünen, gibt es eben Technologien,
die in dieser Marktwirtschaft nicht mitmachen sollen,
wie zum Beispiel auf fossilen Rohstoffen basierende
Heizungsanlagen. Sie wollen eine Erneuerbare-Energi-
en-Pflicht im Gebäudebereich und laufen damit Gefahr,
die negativen Erfahrungen aus Baden-Württemberg auf
das gesamte Bundesgebiet zu übertragen.

Außerdem, denke ich, sollte man seine Vorhaben auch
immer zu Ende denken. Nehmen Sie zum Beispiel das
Thema Batterien, die ja nach Ihren Plänen im großen
Umfang als Speicher in den Heizungskellern benötigt
würden und deren Herstellung noch mit unglaublich
hohen CO2-Emissionen verbunden ist. Hier muss eine
ordentliche Bilanz her, oder es muss – wie Sie immer
fordern – der ökologische Rucksack geschnürt werden.
Was wir aber auf alle Fälle brauchen – ich glaube, da
müssen wir uns einig sein –, ist noch viel Forschung und
Entwicklung auf diesen Feldern.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nach all dem, was wir in den letzten Jahren bei der
Energiewende angeregt und initiiert haben, stehen wir
heute offenkundig in manchen Bereichen vor Zielkon-
flikten. Wo wollen wir hin? Wollen wir vor allem CO2
einsparen oder wollen wir die erneuerbaren Energien nur
um ihrer selbst willen fördern? Und wie können wir das,
was wir wollen, kostengünstig erreichen?

Für mich ist ganz klar, dass wir unsere ambitionierten
Ziele nur dann erreichen, wenn wir als Gesetzgeber Rah-
menbedingungen schaffen – und das haben wir in die-
ser Legislaturperiode gemacht –, die sehr viel Raum für
Innovationen und verschiedene Lösungskonzepte lassen.
Ich bin der festen Überzeugung, dass wir aufgrund des
Tempos, in dem neue Technologien entwickelt werden,
keine Entscheidungen treffen dürfen, die Lock-in-Effek-
te nach sich ziehen. Frühzeitige technologische Festle-
gungen unterbinden nämlich Innovationen und treiben
die Kosten langfristig in die Höhe.

Wir alle wissen nicht, welche Möglichkeiten uns in
ein paar Jahren zur Verfügung stehen. Ist Gas in ein paar
Jahren vielleicht ausschließlich grün? Das wäre sehr
schön. Dann wäre es aber sehr schade, wenn die jetzt
existierende Infrastruktur bis dahin durch eine falsche
Politik Schaden genommen hätte, nur weil heute noch
ein fossiler Energieträger durch sie hindurchfließt.

Ich bin davon überzeugt, dass wir die Energiewende
als eine Herausforderung für Wissenschaft und Forschung
verstehen müssen. Die Politik muss diese Entwicklung

Andreas Rimkus






(A) (C)



(B) (D)


bestmöglich flankieren, zum Beispiel durch die schon in
der vorigen Debatte erwähnte steuerliche Absetzbarkeit
der Aufwendungen für Forschung auch in Unternehmen,
die hoffentlich in der nächsten Legislaturperiode tatsäch-
lich kommt. Technologieoffenheit ist für uns in der CDU/
CSU-Fraktion ein Muss, und diese Technologieoffenheit
muss auch für fossile Energieträger gelten.

Mit Blick auf die aktuellen Zahlen wird klar: Wir
könnten im Sinne des Klimaschutzes sehr viel auch re-
lativ einfach erreichen. Denn 54 Prozent der Heizungen
in Mehrfamilienhäusern und 50 Prozent der Heizungen
in Einfamilienhäusern sind 18 Jahre alt oder älter und
folglich nicht sehr effizient. Bei neuen Heizungen wären
Einsparungen bis zu 30 Prozent möglich.

Weshalb soll man das jetzt schlagartig verbieten?
Das leuchtet mir nicht ein. Es geht doch darum, dass wir
insgesamt mehr CO2 einsparen. Denn das ist eines der
entscheidenden Treibhausgase, und deswegen sind alle
Maßnahmen sinnfällig, die dazu beitragen, statt Maßnah-
men festzulegen, die darauf zielen, dass die Menschen
warten, bis es vielleicht in zwei, drei, vier oder fünf Jah-
ren eine andere Technologie gibt, die als optimal gilt und
deshalb eingesetzt wird.

Deswegen ist es aus meiner Sicht kontraproduktiv, die
Förderung solcher Heizungsumrüstungen – beispielswei-
se von alten Gas- auf neue Gasheizungen – jetzt einfach
abzuwürgen. Dies richte ich auch ganz bewusst an das
Bundeswirtschaftsministerium mit Blick auf seine jüngst
veröffentlichte neue Förderstrategie. Wir brauchen in Sa-
chen Klimaschutz und Energieeffizienz den größtmög-
lichen Instrumentenkasten, und wir müssen alle Wege
nutzen, um CO2 einzusparen. Deswegen bitte ich alle
Kollegen ganz herzlich, dass wir in diesem Sinne weiter-
machen. Lassen Sie uns alle Möglichkeiten nutzen und
vielleicht die etwas weniger vollkommenen jetzt schon
nutzen, statt auf die ganz vollkommenen in der Zukunft
zu warten. Denn das tut, glaube ich, dem Klima auch
nicht gut.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1824006800

Herzlichen Dank, Frau Kollegin. – Ich schließe die

Aussprache.

Tagesordnungspunkt 9 a. Wir kommen zur Abstim-
mung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 18/12796 mit dem Titel „Jetzt mit
wirksamem Klimaschutz die ökologische Modernisie-
rung angehen und die Klimaschutzlücke schließen“. Wer
stimmt für den Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es
Enthaltungen? – Nein. Der Antrag ist mit den Stimmen
der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Grünen
und der Linken abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 9 b. Abstimmung über den An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/10640 mit dem Titel „CO2-Bremse einführen –
Klimabilanz in Gesetzesfolgenabschätzung aufnehmen“.
Wer stimmt für den Antrag? – Wer stimmt dagegen? –

Gibt es Enthaltungen? – Der Antrag ist mit dem gleichen
Stimmenverhältnis wie eben abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 9 c. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen mit dem Titel „Klimaschutzplan 2050 – Echter
Klimaschutz beginnt heute“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10387,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/8876 abzulehnen. Wer stimmt für die-
se Beschlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
gen? – Gibt es keine. Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op-
position angenommen.

Tagesordnungspunkt 9 d. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel
„Klimaschutz in der Wärmeversorgung sozial gerecht
voranbringen – Aktionsplan Faire Wärme starten“. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11651, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10979 abzulehnen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegen-
probe! – Enthaltungen? – Gibt es keine. Die Beschluss-
empfehlung ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie
eben angenommen.

Tagesordnungspunkt 9 e. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Klare CO2-Reduktionen im
Flugverkehr schaffen“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11244, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/9801 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenprobe! – Enthaltungen? –
Gibt es keine. Die Beschlussempfehlung ist mit dem
gleichen Stimmenverhältnis wie eben angenommen.

Tagesordnungspunkt 9 f. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Kli-
maschutz stärken – Energiesparen verbindlich machen“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/12633, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12095 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Gibt es wieder keine.
Die Beschlussempfehlung ist erneut mit dem gleichen
Stimmenverhältnis angenommen.

Tagesordnungspunkt 9 g. Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 18/10370 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe keinen
Widerspruch. Dann ist das der Fall. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen.

Jetzt kommen wir zu den Überweisungen im verein-
fachten Verfahren.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Ta-
gesordnung um die Beratung des Antrags der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12097 mit

Dr. Herlind Gundelach






(A) (C)



(B) (D)


dem Titel „Schutz vor Mobbing am Arbeitsplatz“ zu er-
weitern und sofort als Zusatzpunkt 12 im vereinfachten
Verfahren ohne Debatte zu überweisen. – Ich sehe, Sie
sind damit einverstanden. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 c sowie
Zusatzpunkte 4 a bis 4 f und 4 h auf sowie den soeben
aufgesetzten Zusatzpunkt 12 auf:

36. a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in

(Netzwerkdurchsetzungsgesetz – NetzDG)

Drucksache 18/12727
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Förderung von Mieterstrom und
zur Änderung weiterer Vorschriften des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes
Drucksache 18/12728
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Haushaltsausschuss

c) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines … Ge-
setzes zur Änderung des Strafgesetzbu-
ches – Wohnungseinbruchdiebstahl
Drucksache 18/12729
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss

ZP 4 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Katja
Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Fremdrentengesetzes (FRG)

Drucksache 18/12718
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Erste Beratung des vom Bundesrat ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung der Abgabenordnung zwecks

Anerkennung der Gemeinnützigkeit von
Freifunk

Drucksache 18/12105
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss Digitale Agenda

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Peter
Meiwald, Nicole Maisch, Steffi Lemke, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Umweltverschmutzung durch Mikroplas-
tikfreisetzung aus Kosmetika und Wasch-
mitteln beenden

Drucksache 18/10875
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Lisa Paus, Kordula Schulz-Asche, Britta
Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rechtssicherheit für bürgerschaftliches
Engagement – Gemeinnützigkeit braucht
klare Regeln

Drucksache 18/12559
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach,
Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Geschlechtliche und sexuelle Menschen-
rechte gewährleisten

Drucksache 18/12783
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Kordula Schulz-Asche, Dr. Konstantin von
Notz, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Freiwilligendienste ausbauen und weiter-
entwickeln, Engagement anerkennen und
attraktiver machen

Drucksache 18/12804
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung

Vizepräsidentin Michaela Noll






(A) (C)



(B) (D)


Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung

h) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin
Andreae, Dr. Franziska Brantner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Gesellschaftliche Teilhabe und gute Bil-
dung für alle Kinder und Jugendlichen
sicherstellen

Drucksache 18/12795
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung

ZP 12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate
Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Katja Keul,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Schutz vor Mobbing am Arbeitsplatz

Drucksache 18/12097
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Die Vorlage auf Drucksache 18/12097 – Zu-
satzpunkt 12 – soll federführend an den Ausschuss für
Arbeit und Soziales sowie mitberatend an den Ausschuss
für Recht und Verbraucherschutz, an den Ausschuss für
Wirtschaft und Energie sowie an den Ausschuss für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen werden.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der die
Federführung strittig ist.

Zusatzpunkt 4 g:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Kordula
Schulz-Asche, Irene Mihalic, Maria Klein-
Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Das freiwillige und ehrenamtliche Engage-
ment im Bevölkerungsschutz und in der Kata-
strophenhilfe stärken

Drucksache 18/12802
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Federführung strittig

Interfraktionell wird Überweisung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/12802 mit dem Titel „Das freiwillige und ehren-
amtliche Engagement im Bevölkerungsschutz und der
Katastrophenhilfe stärken“ an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Fraktionen
der CDU/CSU und SPD wünschen Federführung beim
Innenausschuss, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
wünscht Federführung beim Ausschuss für Familie, Se-
nioren, Frauen und Jugend.

Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das heißt Federführung
beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Ju-
gend, abstimmen. Wer stimmt für diesen Überweisungs-
vorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Überweisungsvorschlag ist mit den Stimmen der
Regierungskoalition und den Stimmen der Fraktion Die
Linke gegen die Stimmen der Grünen abgelehnt.

Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, das heißt Feder-
führung beim Innenausschuss, abstimmen. Wer stimmt
für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag
ist mit den Stimmen der Regierungskoalition und den
Stimmen der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der
Grünen angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 a bis e, g bis w
sowie 22 a und b sowie Zusatzpunkte 5 a bis d auf. Es
handelt sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu de-
nen keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 37 a:

Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Tabea Rößner, Dr. Konstantin von Notz,
Hans-Christian Ströbele, weiteren Abgeordneten
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum
Auskunftsrecht der Presse gegenüber Bundes-
behörden (Presseauskunftsgesetz)


Drucksache 18/8246

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


Drucksache 18/12603

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/12603, den Gesetzent-
wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/8246 abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke
abgelehnt. Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung
die weitere Beratung.

Tagesordnungspunkt 37 b:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten

Vizepräsidentin Michaela Noll






(A) (C)



(B) (D)


Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den
Deutschen Wetterdienst

Drucksache 18/11533

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15. Ausschuss)


Drucksache 18/12836

Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12836, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/11533 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Regierungskoalition und bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke an-
genommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmergebnis wie eben
angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 c:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Durchführung der Verordnung (EU)

Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments
und des Rates vom 23. Juli 2014 über elektroni-
sche Identifizierung und Vertrauensdienste für
elektronische Transaktionen im Binnenmarkt
und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG

(elDAS-Durchführungsgesetz)


Drucksache 18/12494

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss)


Drucksache 18/12833

Die genannte, in der EU unmittelbar geltende Verord-
nung soll grenzübergreifende digitale Transaktionen wie
Vertragsabschlüsse und Einkäufe im Internet erleichtern
und zu einer europaweiten Akzeptanz von elektronischen
Signaturen, Siegeln und Zeitstempeln nationaler Vertrau-
ensdienste in allen EU-Mitgliedstaaten führen. Das jetzt
zu beratende Durchführungsgesetz erweitert die Anwen-
dungsmöglichkeiten für elektronische Vertrauensdienste,
insbesondere für das in der Verordnung erstmals gere-
gelte elektronische Siegel. Das Gesetz enthält außerdem
Regelungen zu Zuständigkeiten und Befugnissen der be-
teiligten Behörden sowie zu Ordnungswidrigkeiten. Die
Bundesregierung wird ermächtigt, Einzelheiten durch
Rechtsverordnung zu regeln.

Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12833, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/12494 in der Ausschussfassung an-

zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Regierungsfraktionen und der Fraktion Die
Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor
angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 d:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Über-
einkommens über den internationalen Eisen-
bahnverkehr (COTIF) vom 9. Mai 1980

Drucksachen 18/12513, 18/12717

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15. Ausschuss)


Drucksache 18/12815

Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12815, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/12513 und 18/12717 anzuneh-
men.

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 e:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Stärkung der Verfahrensrechte
von Beschuldigten im Strafverfahren und zur
Änderung des Schöffenrechts

Drucksachen 18/9534, 18/10025, 18/10307
Nr. 4

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/12830

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/12830, den Gesetzentwurf auf den Drucksa-
chen 18/9534 und 18/10025 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Regierungskoalition und den Stimmen der

Vizepräsidentin Michaela Noll






(A) (C)



(B) (D)


Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor
angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 g:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Friedrich Ostendorff, Harald Ebner, Bärbel
Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Hofabgabe als Voraussetzung für den Zugang
zur Altersrente für Landwirte abschaffen

Drucksachen 18/2770, 18/3455

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/3455, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2770 abzu-
lehnen. Wer ist für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 h:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij,
Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Kommunen stärken – Kommunalisierung und
Rekommunalisierung unterstützen

Drucksachen 18/10282, 18/11019

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/11019, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/10282 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenpro-
be! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Regierungskoalition und den Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
der Linken angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 i:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie

(9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Ralph Lenkert, Caren Lay, Herbert Behrens, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Abschaffung der Zeitumstellung

Drucksachen 18/10697, 18/11809

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/11809, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/10697 abzulehnen. Wer

stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenpro-
be! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 j:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Birgit Menz, Eva
Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE

Illegalen Elfenbeinhandel stoppen – Afrikani-
sche Elefanten schützen

Drucksachen18/10494, 18/11815

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/11815, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/10494 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 k:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung und Land-
wirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Sigrid
Hupach, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Verbrauchertäuschungen beenden – Klare
Lebensmittelkennzeichnung durchsetzen

Drucksachen 18/10861, 18/11823

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/11823, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/10861 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenpro-
be! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Regierungskoalition gegen die Stim-
men der Opposition angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 l:

Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Familie, Seni-
oren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-
Rosenheimer, Dr. Franziska Brantner, Katja
Dörner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kinder- und Jugendhilfe – Beteiligungsrechte
stärken, Beschwerden erleichtern und Om-
budschaften einführen

Drucksachen 18/5103, 18/11886 Buchsta-
be b

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11886, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-

Vizepräsidentin Michaela Noll






(A) (C)



(B) (D)


sache 18/5103 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Regierungskoalition gegen die Stimmen der Opposi-
tion angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 m:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W.
Birkwald, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Kreis der Anspruchsberechtigten und die Be-
zugsdauer in der Arbeitslosenversicherung
erweitern

Drucksachen 18/11419, 18/12167

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/12167, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/11419 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenpro-
be! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Regierungskoalition und den Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 n:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-
cherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Renate Künast, Tabea Rößner,
Dr. Konstantin von Notz, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Nutzungsrechte digitaler Güter für Verbrau-
cherinnen und Verbraucher verbessern

Drucksachen 18/11416, 18/12629

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/12629, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11416 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen
die Stimmen der Opposition angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 o:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung und Land-
wirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab-
geordneten Karin Binder, Caren Lay, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Informationsrechte der Verbraucherinnen
und Verbraucher stärken – Hygiene-Smiley
für Lebensmittelbetriebe bundesweit ermög-
lichen

Drucksachen 18/4214, 18/12636

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/12636, den Antrag der Frakti-

on Die Linke auf Drucksache 18/4214 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 p:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung und Land-
wirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Nicole Maisch, Harald Ebner,
Renate Künast, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rechtssicherheit und Transparenz bei Le-
bensmittelkontrollen endlich herstellen

Drucksachen 18/9558, 18/12837

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/12837, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9558 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltung? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 q:

Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Familie, Seni-
oren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-
Rosenheimer, Kai Gehring, Ulle Schauws, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Jung, queer, glücklich in die Zukunft – Lesbi-
sche, schwule, bisexuelle, trans- und interge-
schlechtliche Jugendliche stärken

Drucksachen 18/8874, 18/12849

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/12849, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8874 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition
gegen die Stimmen der Opposition angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 r:

Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Familie, Seni-
oren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Beate Walter-
Rosenheimer, Katja Dörner, Dr. Franziska
Brantner, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Stark ins eigene Leben – Wirksame Hilfen für
junge Menschen

Drucksachen 18/12374, 18/12851

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/12851, den Antrag der Fraktion

Vizepräsidentin Michaela Noll






(A) (C)



(B) (D)


Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12374 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen
die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses, Tagesordnungspunkte 37 s bis 37 w.

Tagesordnungspunkt 37 s:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 444 zu Petitionen

Drucksache 18/12561

Wer stimmt dafür? – Gibt es Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Die Sammelübersicht 444 ist einstimmig
angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 t:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 445 zu Petitionen

Drucksache 18/12562

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es
Enthaltungen? – Die Sammelübersicht 445 ist mit den
Stimmen der Regierungskoalition und den Stimmen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 u:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 446 zu Petitionen

Drucksache 18/12563

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 446 ist einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 37 v:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 447 zu Petitionen

Drucksache 18/12564

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 447 ist mit den Stimmen
der Regierungsfraktionen und der Fraktion Die Linke ge-
gen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 w:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 448 zu Petitionen

Drucksache 18/12565

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Sammelübersicht 448 ist mit den
Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen.

Tagesordnungspunkt 22 a:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-
cherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Cornelia Möhring, Sigrid Hupach,
Frank Tempel, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Diskriminierung bekämpfen – Verbandskla-
gerecht einführen

Drucksachen 18/10864, 18/11448

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/11448, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/10864 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenpro-
be! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit
den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen die Stim-
men der Opposition angenommen.

Tagesordnungspunkt 22 b:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-
cherschutz (6. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab-
geordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws,
Beate Müller-Gemmeke, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

10 Jahre nach dem Inkrafttreten des Allge-
meinen Gleichbehandlungsgesetzes – Eine Re-
form ist überfällig

Drucksachen 18/9055, 18/11639

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/11639, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9055 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
fehlung ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen
gegen die Stimmen der Opposition angenommen.

Zusatzpunkt 5 a:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Claudia Roth (Augsburg), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Schnelle Hilfe für die in Russland verfolgten
Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transperso-
nen und Intersexuellen (LGBTI)


Drucksache 18/12801

Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen
der Regierungsfraktionen gegen die Stimmen der Oppo-
sition abgelehnt.

Vizepräsidentin Michaela Noll






(A) (C)



(B) (D)


Zusatzpunkt 5 b:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland),
Stefan Liebich, Jan Korte, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bise-
xuellen, Transpersonen und Intersexuellen

(LGBTI) in Tschetschenien entgegentreten


Drucksachen 18/12091, 18/12824

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/12824, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/12091 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
ist mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Zusatzpunkt 5 c:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(12. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Norbert
Müller (Potsdam), Katrin Kunert, Wolfgang
Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Rekrutierung von Minderjährigen für die
Bundeswehr sofort beenden und keine
Ausbildung von Jugendlichen an Waffen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Tom
Koenigs, Dr. Franziska Brantner, Agnieszka
Brugger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Rekrutierung Minderjähriger in die
Bundeswehr

Drucksachen 18/10241, 18/981, 18/10543

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 18/10241 mit dem Titel
„Rekrutierung von Minderjährigen für die Bundeswehr
sofort beenden und keine Ausbildung von Jugendlichen
an Waffen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Regie-
rungsfraktionen gegen die Stimmen der Opposition an-
genommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/981 mit dem Titel „Keine Rekrutie-
rung Minderjähriger in die Bundeswehr“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit dem
gleichen Stimmenverhältnis wie bei der vorangegange-
nen Abstimmung angenommen.

Zusatzpunkt 5 d:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Matthias Gastel, Tabea Rößner,
Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Fahrverbot für laute Güterwagen

Drucksachen 18/10033, 18/11144

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/11144, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10033 abzu-
lehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Gegenprobe! – Enthaltungen? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Regierungskoalition gegen
die Stimmen der Opposition angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Europapolitik der Bundesregierung zwischen
Griechenland-Krise, Brexit und Europäi-
schem Rat

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat jetzt
Dr. Anton Hofreiter für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.


Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824006900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es ist schön, dass wir heute zumindest eine
Aktuelle Stunde zum Thema Europa haben. Eigentlich
hätte Frau Merkel heute hier stehen müssen, um eine Re-
gierungserklärung abzugeben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Aber Sie stehen doch da!)


Denn zur anständigen Beteiligung des Parlaments gehört
es, dass die Kanzlerin vor dem Europäischen Rat eine
Regierungserklärung abgibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das haben wir im Ausschuss schon gehört!)


Das hat sie nicht gemacht. Ich frage mich, warum. Liegt
es daran, dass die Bundesregierung keine Positionen hat,
dass die Bundesregierung nichts sagen kann, dass die
Bundesregierung nichts sagen will?


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir haben klarere Positionen als die Grünen!)


Dazu kann man nur sagen: Das ist ziemlich erbärmlich.
Damit werden Sie den Herausforderungen, vor denen die
Europäische Union steht, noch nicht einmal in Ansätzen
gerecht. Da hilft auch Ihr ganzes Geschrei nichts. Ihr Ge-

Vizepräsidentin Michaela Noll






(A) (C)



(B) (D)


schrei bestätigt es, dass Sie erbärmliche Positionen dazu
haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Themen und die
Debatten, die anstehen, sind gewaltig. Die begonnenen
Brexit-Verhandlungen, die Überwindung der ökonomi-
schen und sozialen Krise in Teilen Europas, die europäi-
sche Migrationspolitik, der Rückzug der USA vom Pari-
ser Klimaabkommen, der Kampf gegen den Terrorismus:
Das alles ist von elementarer Bedeutung für die Zukunft
der EU. Und was tut die Bundesregierung? Sie schweigt,
sie taucht ab, sie ist nicht vorhanden.

Nehmen wir Griechenland. Jeder weiß, dass es einen
Schuldenschnitt für Griechenland braucht, wenn wir die
Leiden der griechischen Bevölkerung und das ökonomi-
sche Elend beenden wollen.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist wohl war!)


Der IWF, den Sie mit dabei haben wollten, fordert ihn
auch. Und was tun Sie? Sie drücken sich, Sie verweigern
sich. Und warum? Weil die CDU/CSU, weil die Bun-
desregierung zu feige ist, den Bürgerinnen und Bürgern
vor der Wahl die Wahrheit zu sagen. Damit muss endlich
Schluss sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nehmen wir den Brexit. Die Bundesregierung sollte
sich für den Zusammenhalt der EU starkmachen, aber
eben nicht nur mit schönen Worten. Wenn Sie den deut-
schen Beitrag zum EU-Haushalt anteilig um 8 Prozent
erhöhen würden, dann wäre die finanzielle Lücke, die
durch den Brexit entsteht, geschlossen. Aber Ihnen ist
der Zusammenhalt der Europäischen Union noch nicht
einmal 8 Prozent Erhöhung wert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum Zusammenhalt gehört eben auch finanzielle Solida-
rität.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, am vergangenen
Freitag ist Altkanzler Helmut Kohl gestorben. Sie alle
wissen: Wir Grünen hatten viel Streit mit Helmut Kohl,
so viel Streit, dass ich mir – das gebe ich ganz offen zu –
früher nie hätte vorstellen können, einmal Teile seiner
Politik zu loben. Aber in einem entscheidenden Bereich
will ich das heute tun, nämlich Europa. Es war der grü-
ne Außenminister Joschka Fischer, der die Europapolitik
Helmut Kohls fortgesetzt hat, und es ist Helmut Kohls
eigene Partei, die hier sitzt und sein Lebenswerk demon-
tiert. Damit müssen Sie endlich aufhören.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Statt Kohl’scher Zurückhaltung und Achtung der Inte-
ressen der kleineren Länder erleben wir seit Jahren Mer-
kel’sche Ignoranz.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nur noch peinlich!)


Was das Einbinden der kleineren Länder angeht, erleben
wir seit Jahren einen Fraktionsvorsitzenden der CDU/

CSU, der triumphierend erklärt, in Europa werde jetzt
wieder Deutsch gesprochen, obwohl in der momenta-
nen Lage die Verhältnisse in der Europäischen Union so
schwierig sind. Hören Sie endlich auf, auftrumpfend auf-
zutreten. Fangen Sie endlich an, unseren europäischen
Partnerinnen und Partnern auf Augenhöhe zu begegnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD])


Die EU ist in einer Krise. Die Franzosen wählen ei-
nen überzeugten Europäer zum Präsidenten. Macron hat
große Visionen und konkrete Ideen für Europa: gemein-
sam mehr investieren, um die Jugendarbeitslosigkeit zu
senken, ein europäisches Budget, das diesen Namen auch
verdient, und – um das Ganze zu erreichen – einen eu-
ropäischen Finanzminister, der es steuert und verwaltet.
Was haben wir von Ihnen, von der Bundesregierung dazu
gehört? Die Kanzlerin blieb mal wieder wolkig, zögernd
und unklar. Jetzt kann man sagen: Das kennt man von
ihr, das ist die Art, wie sie sich ausdrückt. – Aber im Aus-
land ist das leider mit einigem Recht als Nein verstanden
worden,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Im Ausland ist die Kanzlerin anerkannt!)


zumal andere Mitglieder der Union in der üblichen pein-
lichen Art und Weise sofort anfingen, Macron munter zu
kritisieren. Es wurde ihm in den Mund gelegt, dass er für
Euro-Bonds geworben hat. Es gab wieder die schönen
typischen Aussagen, Herr Macron müsse einmal seine
Hausaufgaben machen, als wenn er ein Schuljunge wäre.
So begegnet man seinen Partnerinnen und Partnern auf
europäischer Ebene eben nicht auf Augenhöhe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Carsten Schneider [Erfurt] [SPD])


Europa hat durch die Wahl von Macron vielleicht eine
letzte Chance bekommen.


Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1824007000

Herr Kollege, achten Sie auf die Zeit.


Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824007100

Macron wirbt vor dem europäischen Gipfel für eine

Allianz des Vertrauens, wie sie Mitterrand und Kohl hat-
ten. Jetzt muss ein europäischer Aufbruch gelingen, um
diesem Kontinent endlich wieder Mut und Zusammen-
halt zu geben. Es sind Mut und Vision gefragt und nicht
Ihr weiteres peinliches Draufdreschen auf die europäi-
schen Partnerinnen und Partner. Reißen Sie sich endlich
zusammen. Erinnern Sie sich an Ihr europäisches Erbe,
und sorgen Sie dafür, dass diese Europäische Union zu-
sammenhält.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Anton Hofreiter






(A) (C)



(B) (D)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1824007200

Vielen Dank, Herr Kollege Hofreiter. – Das Wort

hat nunmehr der Kollege Thorsten Frei für die CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thorsten Frei (CDU):
Rede ID: ID1824007300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Herr Hofreiter, ich habe überhaupt nicht verstan-
den, worüber Sie eigentlich sprechen.


(Beifall des Abg. Max Straubinger [CDU/ CSU] – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist leider das Problem bei der Union, dass sie nicht versteht, was es bedeutet!)


Ich habe es wirklich nicht verstanden; denn die Themen,
die europapolitisch wichtig sind, diskutieren wir jede
Woche hier im Parlament und in den Ausschüssen.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube Ihnen, dass Sie das nicht verstanden haben! Das ist Teil des Problems! Es ist Teil des zentralen Problems, dass Sie das nicht verstehen!)


Die Positionierungen, die die CDU/CSU-Fraktion vorge-
nommen hat, sind klar proeuropäisch, weil


(Beifall bei der CDU/CSU)


wir glauben, dass wir in Europa gemeinsam bessere Er-
gebnisse erreichen als alleine.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön wäre es!)


Das ist der entscheidende Punkt. Ja, das letzte Jahr
war ein schwieriges Jahr. Wir stehen auch vor Krisen
und Herausforderungen. Sie haben den Brexit angespro-
chen. Zur Wahrheit gehört dazu, dass es die Bundesre-
gierung durch ihre Arbeit auch ermöglicht hat, dass die
Brexit-Verhandlungen erstens gut angelaufen sind und
dass wir zweitens die Situation 27 : 1 haben, also Ge-
schlossenheit in Europa. Das ist der effektive Beitrag der
Bundesregierung. So zu tun, als würde sich die Union
oder die Regierung in die Büsche schlagen, ist einfach
erbärmlich, um ihre Wortwahl zu wählen, lieber Herr
Kollege Hofreiter.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht ist es einfach die Wirklichkeit!)


Ich glaube umgekehrt: Aufgrund der Geschichte der
Europäischen Union kann man feststellen, dass sie sich
in den Krisen und aus den Krisen heraus entwickelt hat.
Sie hat es üblicherweise geschafft, aus den Krisen besser
herauszukommen, als sie hineingegangen ist. Wenn man
sich die Situation ehrlich anschaut, dann ist es doch ein
Zerrbild, nur von Problemen zu sprechen und die Chan-
cen zu übersehen. Sehen Sie nicht, dass es auch ein po-
sitives Momentum gibt? Ich nenne einmal die Gemein-
same Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Wir haben

Themen, bei denen wir erkennen, dass es einen europäi-
schen Mehrwert gibt.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Mehr Rüstung für alle!)


Wir haben Themen, bei denen wir erkennen können, dass
es überhaupt keine nationalen Lösungen mehr gibt, son-
dern dass wir zusammenarbeiten müssen.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Mehr Rüstung für alle? Toller Mehrwert!)


Weil Sie ein ganzes Tableau von Themen aufgetischt
haben, will ich heute nur zu einem sprechen. Es ist ein
Thema, von dem ich glaube, dass wir es nur gemeinsam
angehen können. Das ist die Bewältigung der Migra-
tions- und Fluchtherausforderungen. Ich glaube, wir
brauchen mehr europäische Zusammenarbeit. Wir müs-
sen schauen, wie wir die Dinge hinbekommen; denn sie
laufen derzeit nicht so, wie sie laufen sollen.

Ich will ausdrücklich sagen – ich habe das gestern
auch dem Staatsminister gesagt –: Ich halte es für rich-
tig, dass man vor dem Rat ein Stück weit die Themen
abgrenzt, von denen man weiß, dass man keine schnel-
le und einvernehmliche Lösung finden wird – wie etwa
den gemeinsamen Verteilmechanismus in Europa –, sie
eher etwas zurückstellt und zunächst die Themen heraus-
greift, bei denen man tatsächlich Lösungen finden kann.
Denn die Nutzung des Momentums, von dem ich vorhin
gesprochen habe, setzt eben auch voraus, dass wir nicht
einzelne Länder in Europa ausgrenzen, sondern gemein-
sam die Herausforderungen der Zukunft angehen und
bewältigen. Ich halte es also für wichtig, hier nicht das
Trennende herauszustellen, sondern, ganz im Gegensatz,
das Gemeinsame.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn wir die Migrationsherausforderungen bewäl-
tigen möchten, dann reicht es nicht, den Blick auf das
Heute und Jetzt zu werfen, auf den Bürgerkrieg in Syrien,
einem relativ kleinen Land mit gut 20 Millionen Einwoh-
nern, oder auf die zweitgrößte Flüchtlingsgruppe, die aus
Afghanistan, einem ebenfalls relativ kleinen Land mit
gut 30 Millionen Einwohnern. Die Herausforderungen
der Zukunft werden auf dem afrikanischen Kontinent lie-
gen. Er hat derzeit 1,2 Milliarden Einwohner, zur Mitte
des Jahrhunderts werden es 2,5 Milliarden, zum Ende des
Jahrhunderts 4 Milliarden sein. Insofern müssen wir uns
darüber im Klaren sein, wie wir diese Herausforderung
bewältigen können.

Wenn wir die Offenheit, denen zu helfen, die unse-
re Unterstützung wirklich benötigen, erhalten möchten,
dann setzt dies voraus, dass wir unsere Grenzen kontrol-
lieren und sicherstellen, dass diejenigen, die unberechtigt
in Europa sind, tatsächlich in ihre Herkunftsländer zu-
rückgeführt werden;


(Beifall bei der CDU/CSU)


es bedeutet, dass wir Fluchtursachen bekämpfen müssen,
dass wir besser werden müssen, als wir es beispielsweise
im Falle der Nigerianer sind. Dazu hat die Europäische
Stabilitätsinitiative aktuelle Zahlen veröffentlicht. Die
Nigerianer bilden eine der größten Gruppen der Flücht-






(A) (C)



(B) (D)


linge aus Westafrika. Letztes Jahr sind 19 000 Nigerianer
nach Europa gekommen. 520 sind als Flüchtlinge aner-
kannt worden, 4 200 haben subsidiären Schutz bekom-
men. Tatsächlich sind von den 14 000, die dann unbe-
rechtigt in Europa waren, 120 abgeschoben worden. Das
funktioniert so nicht.

Wir müssen deshalb schauen, dass wir den Außen-
grenzschutz hinbekommen, wir müssen schauen, dass
wir das gemeinsam und europäisch machen. Wir müssen
aber genauso schauen, dass diejenigen, die nicht bleibe-
berechtigt sind und keine Bleibeperspektive haben, nach
Möglichkeit gar nicht nach Europa kommen, dass wir
andere Möglichkeiten finden, beispielsweise in Nordafri-
ka, beispielsweise durch eine gemeinsame Anstrengung
an der Grenze zwischen Niger und Libyen. Wir müssen
uns darüber Gedanken machen, wie wir die Probleme an
der Wurzel packen, wenn wir doch konstatieren müssen,
dass wir die Auswirkungen am Ende kaum mehr im Griff
haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist genug zu tun. Ich glaube, die Herausforderungen
sind riesig. Aber gemeinsam werden wir das schaffen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1824007400

Herzlichen Dank, Herr Kollege Frei. – Als Nächster

hat der Kollege Alexander Ulrich für die Fraktion Die
Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824007500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die EU ist in der tiefsten Krise ihrer Geschichte. Ich
glaube, das kann man nicht mehr verleugnen. Der Brexit
war ein Ausdruck dessen. Wenn auch der neue französi-
sche Präsident heute in einem Interview sagt, er verstehe
die Angst, dass Europa zerfällt, ist das ein weiterer Beleg
dafür, in welch schlimmer Situation die EU ist.

Anstatt hier im Parlament eine Debatte darüber zu
führen, mit welcher Position die Bundesregierung in den
nächsten Rat geht, verweigert sich die Bundesregierung
Angela Merkel dieser Diskussion.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie weigert sich überhaupt nicht! Sie hat im Ausschuss informiert!)


Deshalb ist die Aktuelle Stunde dringend notwendig.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist schon ein symbolhaftes Zeichen, dass die Bundes-
kanzlerin sehr wohl vorgestern beim BDI über Europa
geredet hat, aber es hier im Bundestag zwei Tage später
nicht tun will.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Hier redet sie immer, aber nicht, wenn Sie reden wollen!)


Deutlicher kann man nicht zeigen, dass sich die Bun-
deskanzlerin als Lobbyistin der Wirtschaft und Industrie
versteht, wenn sie nicht hier dem Parlament Rede und
Antwort stehen will.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie hat hier mehr über Europa geredet als Sie!)


Warum will man es wohl nicht? Man müsste dann hier
vielleicht mal vor der Bundestagswahl die Tatsachen auf
den Tisch legen, zum Beispiel hinsichtlich der Griechen-
land-Rettung. Was haben Sie denn vor zwei Jahren be-
schlossen? Sie haben doch beschlossen: Ohne IWF-Be-
teiligung gibt es nichts. – Und was ist jetzt? Man kann es
doch fast nicht mehr verheimlichen, dass der IWF ausge-
stiegen ist und sich nicht mehr beteiligt.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wo steht denn das?)


Anstatt zu sagen: „Jawohl, wir haben den Bundestags-
beschluss gebrochen, der IWF macht nicht mehr mit“,
macht man vor der Bundestagswahl gar nichts.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!)


Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes werden se-
hen, dass man nach der Bundestagswahl sehr schnell sa-
gen muss: Der IWF ist nicht mehr dabei. – Wir sagen
ganz deutlich: Sie wollen der deutschen Bevölkerung
nicht die Wahrheit sagen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir, die Bundestagsfraktion Die Linke, haben immer
gesagt, dass die Griechenland-Rettung ein fatales Signal
ist. Die sogenannte Griechenland-Rettung war ja keine
Rettung der Griechen, sondern eine Rettung des Geldes
der Finanzwirtschaft, auch deutscher und französischer
Banken. Die griechische Bevölkerung hat von diesem
Milliardenregen nichts bekommen. Vielmehr folgte ein
Sozialabbau auf den nächsten, und dort, wo noch etwas
zu verdienen war, hat man die Griechen gezwungen, zu
privatisieren, zum Beispiel auch Flughäfen, Stichwort:
Fraport. Diese Griechenland-Rettung ist gescheitert, und
das müssen Sie auch so benennen. Es braucht unbedingt
einen Schuldenschnitt. Wir brauchen eine Schuldenkon-
ferenz in Europa, um diese Probleme politisch zu lösen.
Wir als Linke fordern Sie auf, dafür europäisch zu wer-
ben.


(Beifall bei der LINKEN)


Zur Frankreich-Wahl. Interessant ist ja, dass die
Kanzlerin und der SPD-Kanzlerkandidat sich fast schon
drängeln, wenn es darum geht: Wer ist der Partner von
Macron? Ich möchte daran erinnern: Ihre Partnerparteien
haben bei der französischen Wahl drastische Niederlagen
eingefahren. Macron gehört weder den Sozialdemokra-
ten noch der Union. Ihre Partnerparteien sind grandios
abgewählt worden.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Das ist wohl wahr!)


Thorsten Frei






(A) (C)



(B) (D)


Wenn jetzt aus Ihren beiden Parteien der Hinweis kommt,
Macron sollte jetzt mal schnell reformieren, dann sagen
wir als Linke ganz deutlich: Frankreich braucht alles,
aber keine französische Agenda 2010.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein französischer Präsident, der gerade einmal 20 Pro-
zent tatsächliche Zustimmung in der eigenen Bevölke-
rung hat, sollte sich gut überlegen, was er macht. Wir
als Linke sind eindeutig auf der Seite der französischen
Gewerkschaften und der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer, die deutlich machen: Dann sehen wir uns auf
der Straße wieder. – Widerstand ist angesagt gegen eine
Agenda 2010 in Frankreich.


(Beifall bei der LINKEN)


Dass die Sozialdemokratie diese Politik auch noch gut
findet, ist nicht nachzuvollziehen. Eigentlich sollte sich
die Sozialdemokratie an der Frage orientieren: Warum
hat Corbyn in England so gut abgeschnitten? Corbyn hat
mit einem progressiven linken Programm 40 Prozent er-
zielt; davon können Sie mit Ihrer Agenda-2010-Politik in
Deutschland nur träumen.

Wie Sie zu Corbyn und seinen Inhalten stehen, das
kann man heute noch auf der Internetseite der SPD-Bun-
destagsfraktion nachlesen.


(Zuruf von der LINKEN: Hört! Hört!)


In einem Interview mit der Welt wird Herr Oppermann
gefragt, wie er zu Corbyn, zur EU, zur Innenpolitik in
Großbritannien und zu Labour steht. Thomas Oppermann
sagt – ich zitiere –:

Jeremy Corbyn hat die einst bedeutende Labour
Party kampfunfähig gemacht. … Nach dem Brexit
ist die Partei zerrissen. Corbyn lehnt ein Plädoyer
für Europa ab. Labour ist deshalb völlig orientie-
rungslos und wird bei der Wahl voraussichtlich eine
katastrophale Niederlage erleiden. Corbyn ist ein
Alt-Linker, der ähnlich wie Wagenknecht Europa
als eine Festung des Kapitalismus betrachtet. Er
ist deshalb unfähig, die positiven Werte Europas –
Frieden, Demokratie, Wohlstand, Reisefreiheit –
angemessen zu würdigen. Ich kenne viele wirklich
gute Akteure bei Labour. Aber wenn ich mir Labour
heute ansehe, leide ich wie ein Hund.

Wenn ein SPD-Fraktionsvorsitzender bei 40 Prozent für
Labour leidet wie ein Hund, dann ist klar, für welche Po-
litik die SPD steht.


(Norbert Spinrath [SPD]: Bekennt ihr euch doch mal zu Europa!)


Sie sollten sich an Corbyn ein Beispiel nehmen und Ihre
unsoziale Politik beenden.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir in Europa brauchen dringend mehr Investitionen.
Deutschland ist nicht Lösung des Problems, sondern Teil
des Problems. Die riesigen Außenhandelsüberschüsse
sind ein riesiges Problem für die Euro-Zone. Das sagt der
neue französische Präsident, nicht nur Trump und andere.

Deswegen müssen die riesigen Außenhandelsüberschüs-
se endlich abgebaut werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1824007600

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächste hat das Wort

die Kollegin Angelika Glöckner für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Angelika Glöckner (SPD):
Rede ID: ID1824007700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich begrüße es, dass wir heute hier über Eu-
ropa reden und wir uns mit diesem aus meiner Sicht so
wichtigen Thema befassen. Wir alle wissen: Noch immer
ist in der EU vieles nicht so, wie wir es uns wünschen.

Ich danke an dieser Stelle Staatsminister Roth, der uns
gestern im Europaausschuss über die Themen, die heu-
te im Europäischen Rat anstehen, informiert hat. Vielen
Dank für die umfassenden und wie immer kompetenten
Informationen.

Ich teile die Auffassung einiger meiner Vorredner und
drücke mein Bedauern darüber aus, dass die Bundes-
kanzlerin heute nicht hier spricht, um uns ihre Positio-
nen zu verdeutlichen. Ich glaube, das wäre ein wertvoller
Beitrag gewesen, um der oft bemängelten Intransparenz
europäischer Politik ein Stück entgegenzuwirken.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Europa ist und bleibt ein wichtiges Gebilde; denn
nirgendwo auf der Welt – das möchte ich auch betonen,
Herr Ulrich – leben Menschen so frei, so friedlich und so
demokratisch wie in dieser EU.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In einer Zeit, in der andere Regionen in der Welt wachsen
und immer mehr an Bedeutung gewinnen, wie etwa in
Asien oder Lateinamerika, ist es wichtig, auch künftig
gehört zu werden. Die Menschen hier in Europa müssen
deswegen künftig geschlossen mit einer starken Stimme
sprechen. Dies wird nur dann gelingen, wenn die EU zu-
sammenhält und sich die Mitgliedstaaten nicht auseinan-
derdividieren lassen.

Wir wissen aber: Die Wirtschafts- und Finanzkrise, die
europäische Uneinigkeit während der Flüchtlingswelle
und zuletzt der Brexit haben das Vertrauen der Menschen
in die EU erschüttert und gefährden den Zusammenhalt
der EU. In vielen Gesprächen erzählen mir die Menschen
immer wieder, dass sie in erster Linie von der EU erwar-
ten, dass es ihnen wirtschaftlich gut geht und dass sie
hinreichend sozial abgesichert sind. Dafür braucht es auf
jeden Fall eine gute nationale Sozialpolitik der einzelnen
Mitgliedsländer in der EU.

Alexander Ulrich






(A) (C)



(B) (D)


Wir von der SPD-Fraktion, Herr Ulrich, haben in der
laufenden Periode vieles auf den Weg gebracht. Ich wür-
de mir wünschen, dass Sie das einfach einmal realisieren.


(Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Was denn? Das glauben Sie doch wohl selber nicht!)


Wir haben beispielsweise den Unterhalt für Alleiner-
ziehende auf den Weg gebracht. Wir haben geholfen,
finanzschwache Kommunen zu stärken. Wir haben die
Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes auf den Weg
gebracht und damit gerade für die unteren Lohnbereiche
das Lohnniveau erheblich angehoben.


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Was hat das denn mit Europa zu tun?)


Erkennen Sie das an, und blenden Sie diese Wirklichkeit
nicht immer aus! Diese Errungenschaften wollen wir
auch nach der Bundestagswahl ausbauen, verfestigen
und verbessern.


(Beifall bei der SPD – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Mit wem? Mit denen da drüben?)


Wir wissen aber auch – das dürfen wir nicht ausblen-
den –: Leider sieht die Realität in anderen Staaten der
EU anders aus. Auch wenn sich Europa insgesamt ge-
sehen langsam erholt, gibt es nach wie vor erhebliche
Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedsländern.
Anstatt dafür zu sorgen, dass sich soziale Standards für
die Menschen spürbar verbessern, werden vor allem in
den ärmeren Mitgliedstaaten weitere Einschnitte vorge-
nommen. Desolate Haushalte sollen durch konsequente
Sparvorgaben im Rahmen des Fiskalpakts aufgebessert
werden. Das führt zu weiteren sozialen und finanziellen
Einschnitten bei den Menschen. Aber genau das wiede-
rum – das wissen wir auch – bremst den Konsum und ver-
hindert, dass die Konjunktur anspringt. Dies zeigt einmal
mehr: Das Spargebot alleine führt in eine Wachstumsfal-
le. Ohne eine verstärkte unterstützende und solidarische
Rolle Europas werden die gebeutelten Mitgliedstaaten da
nicht mehr herauskommen. Deswegen muss ganz oben
auf unserer europäischen Agenda mit Blick auf die Zu-
kunft eine sozialere Europapolitik stehen.

Vor allem muss ganz oben auf der Agenda die Be-
kämpfung der Jugendarbeitslosigkeit stehen. Die Ju-
gendarbeitslosigkeit ist nach wie vor mit 40 Prozent in
einigen EU-Ländern erschreckend hoch. Die Jugendga-
rantie, die hilft, junge Menschen in den Arbeitsmarkt zu
integrieren, muss weiterhin finanziert werden und, wenn
nötig, nachgebessert werden. Vor allem aber muss die
Bildung in staatlicher Hand bleiben. Übertriebene Spar-
anforderungen anderer europäischer Mitgliedstaaten dür-
fen nicht dazu führen, dass Bildung vom Geldbeutel der
Eltern abhängig wird. Bildung in der EU muss für alle
zugänglich sein und zugänglich bleiben.

Die Regelungen zur Entsendung von Arbeitnehmern
müssen überarbeitet werden. Die Zahl der entsandten Ar-
beitnehmer steigt stetig an. Dabei kommt es besonders
in einigen Branchen zu gravierenden Problemen bei der
Einhaltung von Lohn- und Arbeitsstandards. Freizügig-
keit darf eben nicht zur Ausbeutung und zu schlechten
Arbeitsbedingungen führen und darf erst recht nicht dazu

genutzt werden, um Sozialdumping zu betreiben. Sozi-
aldumping, liebe Anwesende, ist ein Spaltpilz, deshalb
muss es unterbunden werden. Es bedarf der Umsetzung
des Prinzips: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am glei-
chen Ort.

Was wir aber insgesamt gesehen auf den Weg bringen
müssen, ist, dass wir Anreize schaffen für weitere Inves-
titionen vor allem in arbeitsplatzschaffende Infrastruktur-
projekte. Es muss gelingen, dass wieder mehr Menschen
vor allem auch in den wirtschaftlich schwächeren Län-
dern Europas erwerbstätig werden, dass sie mehr Geld in
der Tasche haben, damit konsumieren können, sodass so
die Konjunktur endlich wieder anspringen kann.


Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1824007800

Frau Kollegin.


Angelika Glöckner (SPD):
Rede ID: ID1824007900

Wir müssen auch – meine letzte Bemerkung – dafür

sorgen, dass wir insgesamt höhere soziale Standards
haben. Wir müssen wichtige Standortvorteile hier in
Europa schaffen, und deswegen bin ich Andrea Nahles
sehr dankbar dafür, dass sie versucht, eine europäische
Grundsicherung voranzubringen. Ich kann nur sagen:


Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1824008000

Das war ein schöner Schlusssatz.


Angelika Glöckner (SPD):
Rede ID: ID1824008100

Ich bin sofort fertig. – Der Proeuropäer Macron hat

eine neue Chance erhalten. Diese gilt es zu nutzen, und
ich wünsche mir für Europa, dass wir vieles auf den
Weg bringen werden. Die SPD hat viele gute Vorschläge
gemacht. Wir werden sie am Wochenende bei unserem
Bundesparteitag vertiefen und werden weiterhin Verant-
wortung für ein sozialeres Europa übernehmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1824008200

Als Nächster hat das Wort der Kollege Carsten Körber

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Carsten Körber (CDU):
Rede ID: ID1824008300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Morgen ist es genau ein Jahr her, dass
die Briten für den Brexit gestimmt haben. Mit dem Nein
zu Europa kehrt Großbritannien einem Staatenbündnis
den Rücken, das das erfolgreichste und das friedlichste
der Geschichte ist. Mit der Entscheidung zum Brexit hat
Großbritannien nach meiner festen Überzeugung den fal-
schen Weg eingeschlagen.

Wenn Sie mich Anfang des Jahres gefragt hätten, wie
es wohl 2017 mit der EU weitergeht, dann wäre ich mir

Angelika Glöckner






(A) (C)



(B) (D)


der Antwort nicht so sicher gewesen. Doch dann kamen
Trump, Erdogan und Putin,


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Putin war schon da!)


und man hat festgestellt, dass die Idee eines gemeinsa-
men Europas vielleicht doch nicht so schlecht ist. Ich bin
sehr dankbar, dass auch die Franzosen sich zum richtigen
Zeitpunkt daran erinnert haben.

Die Idee der europäischen Einigung ist so aktuell und
so wichtig wie nie zuvor. Auch deshalb stimmt es mich
zuversichtlich, dass die Zustimmung der Menschen zu
Europa in jüngster Zeit spürbar gestiegen ist. Gestiegen
ist auch die Einsicht in die Notwendigkeit einer engen
und guten Zusammenarbeit der europäischen Staaten.
Gute Politik braucht gute Argumente, einen klaren Kopf
und Besonnenheit, und genau das zeigt, meine sehr ge-
ehrten Damen und Herren, die Europapolitik unserer
Bundesregierung.

Aber was heißt das konkret? Schauen wir einmal nach
Portugal. Die portugiesische Regierung will einen Teil
ihrer IWF-Kredite vorzeitig zurückzahlen.


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Eine linke Regierung!)


Das Land kann sie zurückzahlen, weil es eben die not-
wendigen Reformen erfolgreich umgesetzt hat, und so
kann Portugal heute auf dem Kapitalmarkt günstigere
Kredite als beim IWF bekommen und somit Hunderte
Millionen Euro sparen.

Auch Griechenland hat nun endlich diesen erfolgrei-
chen Reformkurs eingeschlagen. Es hat seine Hausauf-
gaben gemacht und sich im letzten Jahr deutlich besser
entwickelt als zuvor noch prognostiziert. Allein von den
140 vereinbarten wirtschaftspolitischen Maßnahmen hat
Griechenland 136 umgesetzt, und die restlichen vier fol-
gen demnächst. Damit sind nun die Vorbedingungen er-
füllt, um im Rahmen des ESM-Anpassungsprogramms
die Tranche von 8,5 Milliarden Euro auszuzahlen.

Das dritte Griechenland-Hilfspaket hat ein Gesamt-
volumen von 86 Milliarden Euro. Davon sind dann gut
40 Milliarden Euro ausgezahlt; das heißt inklusive der
8,5 Milliarden Euro. Das sind circa 47 Prozent des Ge-
samtvolumens.

Wir befinden uns aktuell im zweiten von drei Pro-
grammjahren. Es ist derzeit nicht zu erwarten, dass zum
Ende der Programmlaufzeit diese 86 Milliarden Euro
vollständig ausgeschöpft werden.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Deswegen brauchen wir den IWF auch nicht mehr!)


Diese Gesamtsumme von 86 Milliarden Euro ist aber
bei der Berechnung der Schuldentragfähigkeit Griechen-
lands in vollem Umfang berücksichtigt. Das bedeutet:
Wenn diese 86 Milliarden Euro eben nicht ausgeschöpft
werden, dann verbessert sich auch die Schuldentragfä-
higkeit Griechenlands, und das bedeutet wiederum, dass
Griechenland die Chance hat, schneller wieder auf die
Beine zu kommen, als von uns angenommen. Jetzt ist es

an uns, unseren Teil zu tun und zu zeigen, dass wir eben
in Europa der zuverlässige Partner sind.

Europa ist unsere Zukunft. Europa ist unser Schick-
sal.

Ohne diese feste Überzeugung unseres jüngst verstorbe-
nen Altkanzlers Helmut Kohl würde ich als in der DDR
Geborener heute nicht in diesem Hohen Hause unseres
wiedervereinigten Vaterlandes sprechen können.


(Zurufe von der LINKEN: Oh! – Gegenruf von der CDU/CSU: Das war ja wohl peinlich!)


Die deutsche Einheit und die europäische Einigung wa-
ren für Kohl immer zwei Seiten derselben Medaille. Die
Worte Kohls sind für mich Mahnung und Auftrag zu-
gleich. Nehmen wir sie als Auftrag und Richtschnur un-
seres Handelns! Lassen Sie uns gemeinsam daran arbei-
ten, sein Werk, die Einheit unseres Vaterlandes, aber vor
allem die Einheit Europas, voranzutreiben und weiter zu
vertiefen, und zwar in seinem Sinne: in Frieden, Freiheit
und Wohlstand.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1824008400

Vielen Dank, Herr Kollege Körber. – Als Nächstes

spricht für die Fraktion Die Linke Andrej Hunko.


(Beifall bei der LINKEN)



Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824008500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese

Aktuelle Stunde zur Europapolitik der Bundesregierung
ist notwendig geworden, weil die Kanzlerin sich weigert,
hier vor Beginn des Europäischen Rats zu reden


(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Das ist doch absurd!)


– so ist es –, um zu verdecken, dass der IWF bei der Ver-
einbarung mit Griechenland nicht, wie versprochen, mit
an Bord geholt wurde,


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)


weil der IWF einen Schuldenschnitt fordert. Den gibt es
nicht. Dieser Schuldenschnitt ist aber notwendig.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch diese Debatte ist notwendig, und es ist ein Skandal,
dass die Bundeskanzlerin und die Bundesregierung hier
nicht angemessen vertreten sind.


(Beifall bei der LINKEN – Anja Karliczek [CDU/CSU]: Ein Zeichen, dass Sie keine Ahnung haben!)


Wir haben viele ganz wichtige Themen zu besprechen.
Ein ganz wichtiges Thema ist gerade schon von Herrn
Körber angesprochen worden: der Brexit. Wir müssen
darüber reden, wie die Brexit-Verhandlungen laufen und
was der Brexit für die Menschen in Großbritannien und

Carsten Körber






(A) (C)



(B) (D)


in Europa bedeutet, die hier bzw. dort leben. Herr Körber,
ich will Ihnen sagen: Großbritannien bleibt Teil Europas.
Diese Insel wird nicht verschwinden, sie wird europäisch
bleiben.

Wir brauchen Verhandlungen, die am Ende zu einem
guten Ergebnis für die Menschen in Großbritannien und
in der EU führen. Dazu gehören auch Regelungen für die
3 Millionen EU-Ausländer in Großbritannien und für die
Briten, die in der EU leben. Ich sage ganz deutlich: Wenn
man mit Drohszenarien arbeitet, wie das im Augenblick
auf beiden Seiten der Fall ist, wird es nicht oder nur sehr
schwer möglich sein, diese Regelungen zu vereinbaren;
denn dann wird das für beide Seiten zum Verhandlungs-
gegenstand. Auf britischer Seite findet das bereits statt:
Die 3 Millionen EU-Ausländer in Großbritannien wer-
den drangsaliert, bekommen 86-seitige Vorlagen zum
Bleiberecht usw. Das darf nicht sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen faire Verhandlungen. Wir brauchen keine
Drohszenarien. Wir brauchen vor allen Dingen Regelun-
gen für die Menschen hier und dort.

Die Situation in Großbritannien ist nach der Wahl sehr
offen. Es gibt keine feste, klare Regierung. Theresa May
hat die Wahlen verloren, sie hat keine Mehrheit mehr. Sie
versucht jetzt, die sehr fragwürdige nordirische DUP in
die Regierung einzubinden. Wir wissen nicht, wie sich
die Situation in Großbritannien entwickeln wird. Nach
den Wahlen liegt Labour in allen Umfragen vorne. Herr
Ulrich hat eben schon darauf hingewiesen, dass es ein
Phänomen ist, dass die Sozialdemokraten in Großbritan-
nien – also Labour – unter einem linken Vorsitzenden so
stark sind wie nirgendwo sonst in Europa. Herzlichen
Glückwunsch an Jeremy Corbyn zu diesem Ergebnis.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Situation in Großbritannien ist sehr fragil. Wir
brauchen hier keine Drohszenarien und keinen Zeit-
druck, sondern faire Verhandlungen über den Brexit, in
denen auch der künftige Status verhandelt wird. Alles
andere fände ich abenteuerlich.

Lassen Sie mich zu den Reaktionen auf den Brexit
und die Trump-Wahl noch ein paar Worte sagen. Es wird
viel darüber geredet, dass man die EU jetzt durch eine
stärkere Militarisierung zusammenhalten müsse. Ein
EU-Hauptquartier wird eingerichtet, in den europäischen
Staaten soll aufgerüstet werden, EU-Entwicklungsgelder
sollen in Gelder zur militärischen Unterstützung umge-
widmet werden, zum Beispiel in Afrika.

Wir halten das alles für völlig falsch.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist nicht der Weg, wie man die EU zusammenhalten
kann.

Was wir brauchen, ist mehr Kooperation. Ich will Ih-
nen ein Beispiel nennen, das zeigt, wo die Kooperation
fehlt. Ich komme aus Aachen. 50 Kilometer westlich
von Aachen, in Tihange, haben wir einen Schrottreaktor,
ein marodes Atomkraftwerk, und es gibt keine europäi-
schen Instrumente, um damit umzugehen. 30 Kilometer

nordöstlich haben wir den Klimakiller Nummer eins,
einen riesigen Braunkohleabbau von RWE. 50, 60 Kilo-
meter nordwestlich, in den Niederlanden, gibt es hoch-
moderne Gaskraftwerke, die stillgelegt worden sind, und
das, obwohl Gas noch am ehesten eine Brückentechnolo-
gie wäre. Hier gibt es überhaupt keine transnationale Ko-
operation. Aber hier würde ich sie zum Beispiel für sinn-
voll halten. Leider ist die Politik der Bundesregierung
nicht darauf ausgerichtet. Wir brauchen eine europäische
Kooperation – keine Frage –, aber kein militarisiertes Eu-
ropa als Block gegenüber anderen Regionen in der Welt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1824008600

Vielen Dank, Herr Kollege. – Jetzt hat Carsten

Schneider für die SPD-Fraktion das Wort. Ich bin sehr
zuversichtlich, dass der erfahrene Kollege von der
SPD-Fraktion weiß, dass jeder Redner in einer Aktuellen
Stunde fünf Minuten hat.


(Beifall bei der SPD)



Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1824008700

Vielen Dank, Frau Präsidentin, für den Hinweis; ich

habe das im Blick.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte
über die Europapolitik zeigt durchaus auch Unterschiede
zwischen den Parteien. Zwar geht es im Titel der von der
Fraktion Die Grünen beantragten Aktuellen Stunde um
die Haltung der Bundesregierung. Ich spreche aber für
die SPD-Fraktion und will sagen: Es gibt angesichts der
Herausforderungen, die wir in Europa haben, keine wich-
tigere Hausaufgabe für die nächste Bundesregierung und
den nächsten Bundestag, als Europa zusammenzuhalten,
es fortschrittlich zu gestalten und es demokratisch und
wirtschaftlich stärker zu machen; das ist gar keine Frage.


(Beifall bei der SPD)


Wir hätten hier und heute auch leicht eine andere De-
batte führen können, nämlich dann, wenn die Wahlen in
Österreich, in den Niederlanden und in Frankreich an-
ders ausgegangen wären. In allen drei Ländern wurde
uns prophezeit bzw. bestand die Möglichkeit, dass sehr
rechte und sogar rechtsextremistische Parteien die Mehr-
heit bekommen oder sogar den Präsidenten stellen. All
das ist an uns vorbeigegangen, aber es war möglich. Das
hätte unsere nationale Politik natürlich in enormem Maße
beeinflusst. Das heißt, Europapolitik ist im Kern Bundes-
tagspolitik, und Bundestagspolitik ist auch das, was wir
in Europa tun.

Ich finde, wir sollten das, was der Kollege Hofreiter
angesprochen hat, sehr ernst nehmen und nicht immer
mit dem Finger auf andere Parlamente und Nationen zei-
gen. Das sage ich sowohl mit Blick auf die CDU/CSU als
auch mit Blick auf die Linken. Ich fange mit den Linken
an.

Herr Ulrich – ich sehe ihn gerade nicht – hat darauf
hingewiesen, was der Präsident in Frankreich angekün-
digt hat – die Arbeitsmarktreform etc. –, und gesagt, wie

Andrej Hunko






(A) (C)



(B) (D)


furchtbar das alles sei und dass er das auf gar keinen Fall
umsetzen dürfe. Ich denke, wir können sehr froh sein,
dass Herr Macron Präsident geworden ist. Als er gewählt
wurde, fiel, glaube ich, uns allen ein Stein vom Herzen,
dass es nicht Marine Le Pen geworden ist. Sie hätte näm-
lich Frankreich aus der EU geführt.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die erste Reaktion namhafter Kollegen vonseiten der
Union war, darauf hinzuweisen, was alles nicht geht, dass
er Euro-Bonds wolle etc. Das alles ist Blödsinn. Das hat
Herr Macron nie gefordert. Im Gegenteil: Im Jahre 2015
hat er in einem Aufsatz mit dem damaligen Wirtschafts-
minister Sigmar Gabriel sehr deutlich gemacht, dass wir
eine reformierte Europäische Union bzw. Euro-Zone
brauchen, insbesondere im Bereich der Wirtschaftspo-
litik und der Finanzpolitik, eine gemeinsame Verschul-
dung aber nicht sinnvoll sei. Das ist nicht das Thema.
Ich finde, das Willkommenssignal, das da vonseiten der
Union gekommen ist, war absolut nicht in Ordnung. Es
entsprach eher dem, was der Kollege Hofreiter – ich will
ihn jetzt nicht zitieren – hier deutlich gemacht hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zu den Vorwürfen der Linkspartei will ich sagen: Herr
Macron hat vor der Wahl sehr klar gesagt, was er tun will,
und er hat ein sehr, sehr eindeutiges Mandat bekommen.
Man könnte fast meinen, er hat sogar ein zu starkes Man-
dat, wenn man sich die Sitzverteilung in der National-
versammlung ansieht. Aber das ist eine urfranzösische
Angelegenheit. Die Franzosen haben gewählt, wir haben
das zu respektieren, und sie werden ihre Probleme lösen.
Was wir tun können, ist, dass wir unseren gemeinsamen
Wirtschafts- und Währungsraum – das ist der Punkt – für
die Zukunft stärken.

Als meine Kollegin Glöckner vorhin den Mindestlohn
angesprochen hat, kam der Zuruf: Was hat das mit Euro-
pa zu tun? Ich sage Ihnen: sehr viel. Der Leistungsbilanz-
überschuss, den wir in Deutschland haben – der Kollege
von der Linkspartei hat ihn bereits angesprochen –, ist
nämlich in der Tat ein Problem. Es wäre kein Problem,
wenn er einmal auftauchen würde; aber er taucht jetzt
das x-te Mal in Folge auf. Wir haben gegenwärtig einen
Überschuss von 9 Prozent. Es kommt also dazu, dass in-
nerhalb der EU – aber auch weltweit – Schulden aufge-
baut werden, während wir Überschüsse haben.


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Ja, so ist es!)


Wir brauchen eine Abstimmung der Wirtschaftspoli-
tik in den nationalen Parlamenten der einzelnen Länder.
Die Franzosen erwarten, dass die Strukturreformen, die
sie im Inneren machen, mit Investitionen in Deutschland
gepaart werden. Ich glaube, das ist die richtige Antwort.
Sowohl die öffentliche Hand als auch die privaten Un-
ternehmen müssen ermuntert werden, mehr in den Be-
reich „Forschung und Entwicklung“ zu investieren. Da-
neben müssen wir die Binnennachfrage stärken, indem
es höhere Löhne gibt und indem wir – das haben wir
Sozialdemokraten vorgeschlagen – die Steuern senken
und den Solidaritätszuschlag halbieren, und zwar nicht

bröck chenweise, sondern in einem Schritt. Das würde die
Kaufkraft sofort stärken.


(Beifall bei der SPD)


Wir dürfen die einmalige Chance nicht verspielen,
das, was viele Staatsmänner in Deutschland, Frankreich
und ganz Europa aufgebaut haben – auch Helmut Kohl;
das sage ich hier ganz ausdrücklich –, weiterzuentwi-
ckeln. Dafür sind die nächsten fünf Jahre entscheidend.
Ich finde, die Bevölkerung hat das Recht, zu erfahren,
was welche Partei will. Ich warte noch auf die Vorschläge
der Union, weil ich von ihr heute noch nichts Konkretes
gehört habe.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1824008800

Vielen Dank, Herr Kollege. Meine Einschätzung war

richtig. – Als Nächster hat Sven-Christian Kindler für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Nächste Woche soll der Haushaltsausschuss
eine Tranchenzahlung an Griechenland freigeben. Wir
Grüne begrüßen das, wir halten das für notwendig, weil
wir im Gegensatz zur Bundesregierung hier im Bundes-
tag immer deutlich gemacht haben, dass Griechenland im
Euro bleiben soll.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Unionsfraktion hat aber ein großes Problem da-
mit. Wolfgang Schäuble hat ihr hoch und heilig verspro-
chen, dass sich der IWF am dritten Programm beteiligen
wird. Gleichzeitig hat er alles dafür getan, dass sich der
IWF jetzt de facto nicht beteiligen wird. Der IWF hat im-
mer klargemacht, dass es ohne Schuldenerleichterungen
keine finanzielle Beteiligung des IWFs gibt; trotzdem
hat Wolfgang Schäuble alle Schuldenerleichterungen
blockiert. Wir sagen: Das war ein großer Fehler. Grie-
chenland braucht Klarheit in Bezug auf Schuldenerleich-
terungen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Andrej Hunko [DIE LINKE])


Jetzt soll sich der IWF alibimäßig an der Seitenlinie be-
teiligen. Sie in der Union wissen aber selbst, dass das
nicht das ist, was Sie wollten. Liebe Kolleginnen und
Kollegen von der Union, an Ihrer Stelle wäre ich jetzt
ganz schön angefressen, weil Ihr Finanzminister Sie bei
dem Thema „IWF und Griechenland“ so hinter die Fichte
geführt hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist doch Blödsinn!)

Carsten Schneider (Erfurt)







(A) (C)



(B) (D)


– So ist es doch! Der IWF wird sich de facto nicht be-
teiligen.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sind Sie der IWF?)


Dabei hat sich die griechische Regierung an die Ab-
sprachen gehalten. Sie hat zum Teil schmerzhafte Re-
formen durchgeführt. Trotzdem gibt es keine Klarheit in
Bezug auf Schuldenerleichterungen. Warum ist das so?
Das ist so, weil Wolfgang Schäuble jetzt Wahlkampf in
Deutschland macht.


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: So ist es!)


Diese Schuldenerleichterungen wären extrem notwendig
gewesen für Investoren und für die wirtschaftliche Stabi-
lität in Griechenland, damit die Unsicherheit nicht weiter
steigt. Trotzdem macht Wolfgang Schäuble Wahlkampf
in Deutschland. Er will den Bürgerinnen und Bürgern
vor der Wahl nicht die Wahrheit erzählen. Das ist nicht
nur ein unehrlicher Wahlkampf in Deutschland, sondern
auch ein Wahlkampf auf dem Rücken Griechenlands und
Europas. Ich finde das schäbig und unehrlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Vergeblicher Profilierungsversuch der Grünen!)


Seit fast einem Jahrzehnt ist Europa in einer Wirtschafts-
und Finanzkrise und vor allen Dingen in Nord und Süd
gespalten, mit hoher Jugendarbeitslosigkeit und Arbeits-
losigkeit und vor allem auch großer Armut im Süden
Europas. Natürlich gibt es auch hausgemachte Proble-
me innerhalb Europas, in den einzelnen Mitgliedstaaten,
zum Beispiel die schlechte Justiz- und Steuerverwaltung
in Griechenland; wir haben auch gesehen, dass es in
Spanien und in Irland große Probleme im Banken- und
Immobiliensektor gab. Trotzdem muss man feststellen,
dass Angela Merkel und Wolfgang Schäuble seit 2010,
seit Beginn der sogenannten Euro-Krise, den ökonomi-
schen Kurs in Europa maßgeblich mitbestimmt haben.
Dieser harte Sparkurs hat Europa nachweislich nicht aus
der Krise geführt, sondern – im Gegenteil – Europa ge-
spalten und die Krise verschärft. Deswegen muss dieser
Kurs endlich beendet werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung kontert auf dieses Argument ja
gern, andere Länder hätten sich nicht an die Regeln ge-
halten. Nur verschweigen Wolfgang Schäuble und diese
Bundesregierung, dass sie sich selbst nicht an die euro-
päischen Regeln halten. Carsten Schneider hat es gesagt:
Seit vielen Jahren hat Deutschland einen extrem hohen
Leistungsbilanzüberschuss; er ist größer als in allen an-
deren Ländern der Welt.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Freuen Sie sich doch!)


Das verstößt gegen europäische Vereinbarungen und
Regelungen, weil unserer Leistungsbilanz in anderen
Ländern Defizite gegenüberstehen und das zu einem
massiven Ungleichgewicht in Europa führt. Ich finde, es
verbittet sich für Wolfgang Schäuble und diese Bundes-
regierung, andere Länder in Europa wie ein Schulmeister
zu belehren. Man sollte sich als Unionsfraktion und als

Bundesregierung an die eigene Nase fassen und etwas
mehr Demut und Zurückhaltung üben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Ein kraftvoller Beitrag zum Umfragetief!)


Sie wissen es selber: Überschüsse wie Defizite gefähr-
den Europa in seinem Kern; denn ohne eine gemeinsame
Finanzpolitik, ohne eine gemeinsame Wirtschaftspolitik
und ohne gemeinsame Sozialstandards wird keine Wäh-
rungsunion auf Dauer überleben können und der Euro
früher oder später gegen die Wand fahren. Deswegen
brauchen wir eine Weiterentwicklung Europas: einen
stärkeren EU-Haushalt, sozial-ökologische Investitio-
nen und eine Steuerbetrugsbekämpfung. Wir wollen eine
europäische Arbeitslosenversicherung, weil wir ein so-
ziales Europa wollen. All diese Punkte könnte man auf-
greifen und umsetzen. Das hieße, den Ball von Macron
aufzunehmen. Was machen Sie? Sie blockieren und sa-
gen Nein. Sie wiegeln ab. Ich finde, das ist keine verant-
wortliche Haltung gegenüber Europa, liebe Kolleginnen
und Kollegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass diese Bun-
desregierung vor allen Dingen auf nationale Interessen
setzt. Doch ich sage Ihnen klar: Germany first kann nicht
die Leitlinie der deutschen Europapolitik sein. Es wird
Zeit, dass ab Herbst eine deutsche Bundesregierung wie-
der auf Augenhöhe mit ihren europäischen Partnern ver-
handelt, europäische Interessen in den Vordergrund stellt
und für ein solidarisches Europa und ein europäisches
Deutschland eintritt.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1824008900

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nun hat der Kollege

Matern von Marschall für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Matern von Marschall von Bieberstein (CDU):
Rede ID: ID1824009000

Verehrte Frau Präsidentin, herzlichen Dank. – Damit

es einmal gesagt ist: Die Bundeskanzlerin trifft sich zu
dieser Stunde mit ihren Kollegen beim Europäischen
Rat. Deswegen kann sie nicht hier sein. – So weit zur
Kritik aus dem linken Spektrum des Parlaments.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich finde es bemerkenswert, Herr Kollege Hofreiter,
Herr Kollege Hunko, dass Sie den Mut haben – was die
Grünen angeht, gerade angesichts sinkender Umfrage-
werte –, transparent zu machen, was Ihr Wahlprogramm
ist, nämlich zulasten Deutschlands an andere europäische
Länder Geld zu zahlen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sven-Christian Kindler






(A) (C)



(B) (D)


Das verbirgt sich nämlich hinter dem Begriff „Schulden-
schnitt“. Es ist sehr bemerkenswert, dass Sie das so deut-
lich in Ihren Wahlkreisen sagen.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sagen das sehr deutlich in unseren Wahlkreisen!)


Ich bin sicher: Das wird die Umfragewerte noch weiter
nach unten treiben. Sagen Sie das nur deutlich genug.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja eine peinliche Rede!)


Ich komme zur europäischen Arbeitslosenversiche-
rung, einem Lieblingsthema auch von Teilen der SPD. Er-
klären Sie bitte einfachen Arbeitern in Ihrem Wahlkreis,
dass sie anderen Ländern in Europa, die ihre Hausauf-
gaben nicht gemacht haben und nicht wettbewerbsfähig
sind, zusätzlich die Arbeitslosenversicherung bezahlen
sollen. Ich bin ziemlich sicher, dass das ein willkomme-
ner Grund ist, die Umfragewerte Ihrer Parteien weiter
nach unten zu drücken.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für eine populistische, peinliche Rede! Diese Rede zeigt das ganze Europabild der Union!)


Also bitte: Kommunizieren Sie auch das!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Schneider, Sie haben völlig richtig gesagt, Herr
Macron habe nie die Einführung von Euro-Bonds gefor-
dert. Die Einführung von Euro-Bonds hat Herr Schulz
gefordert. Das sei in Erinnerung behalten!


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wissen Sie, was Sie machen? Sie bestätigen komplett meine Vorwürfe!)


Frau Kollegin Glöckner von der SPD, wenn Sie sagen,
das Spargebot führe in die Wachstumsfalle, dann erklären
Sie bitte den Wählerinnen und Wählern, was Sie damit
meinen, im Zweifelsfalle wohl eine Vergemeinschaftung
der Schulden, ebenfalls zulasten Deutschlands. Erklären
Sie bitte auch das Ihren Wählerinnen und Wählern, und
schauen Sie danach bitte erneut auf Ihre Umfragewerte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon mal was von Investitionen gehört? Kennen Sie den Unterschied zwischen Investitionen und Schulden?)


Und jetzt kommen wir zu Helmut Kohl, dem wir heute
Morgen in diesem Hause in großer Würde gedacht haben.


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hatte Mut!)


Herr Kollege Körber, ich finde es sehr bemerkenswert,
dass Sie dankbar an Helmut Kohl erinnert haben.


(Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer tut das nicht?)


Besonders unschön dagegen fand ich den Zwischenton
der schwäbischen Kollegin Hänsel, die das mit einer ge-

wissen Despektierlichkeit kommentiert hat. Das möchte
ich, auch wenn es nicht in Worte zu fassen ist, hier in
Erinnerung rufen. Das war mehr als peinlich. Sie ist aber
nicht mehr anwesend, um diese Anmerkung entgegenzu-
nehmen.

Die Welt hat sich, seit Helmut Kohl uns das Geschenk
gemacht hat, die deutsche Wiedervereinigung untrennbar
mit der europäischen Einheit zu verknüpfen, rasant verän-
dert. Wir müssen die Herausforderungen der Gegenwart,
die von der Digitalisierung gekennzeichnet ist – im Gu-
ten wie im Schlechten –, annehmen, und dazu brauchen
wir Stärke, Kraft und Geschlossenheit in Europa. Des-
wegen ist es für uns von außerordentlicher Bedeutung,
dass insbesondere unsere französischen Nachbarn – wir
erinnerten uns heute Morgen auch an das berühmte Bild
von Helmut Kohl und Mitterrand 1984 in Verdun – wie-
der an Kraft gewinnen, und das werden sie dank der von
Macron angekündigten Reformen können.

Von linker Seite ist schon kritisch angemerkt worden,
es könnte sich dabei um so etwas wie die Schröder’sche
Reformagenda handeln. Ich wäre ausgesprochen dank-
bar, wenn es sich um eine derartige Reformagenda han-
deln würde. Die parlamentarische Mehrheit dafür ist vor-
handen. Ob allerdings Macron in der Lage sein wird, den
erwartbaren Protesten auf der Straße kraftvoll zu begeg-
nen und seine Agenda durchzuhalten, bleibt abzuwarten.
Wir wünschen ihm das sehr. Wir würden uns im Übrigen
auch wünschen, dass die Kolleginnen und Kollegen von
SPD das so sehen und sich hinter die Reformen stellen,
weil sie genauso wie die Reformen, die Gerhard Schröder
seinerzeit mit großem Erfolg auf den Weg gebracht hat,
in Frankreich Erfolg bringen könnten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Denn nur ein gemeinsames starkes Europa, in dem wir
nicht alleine eine Führungsrolle übernehmen wollen,
sondern in dem wir „als gleichberechtigtes Glied in ei-
nem vereinten Europa dem Frieden der Welt“ dienen, wie
es in der Präambel des Grundgesetzes heißt, kann uns in
die Zukunft führen. Dafür werbe ich, ich hoffe, in Ihrer
aller Namen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1824009100

Herzlichen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster hat der

Kollege Christian Petry für die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1824009200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Marschall, danke für Ihren Redebeitrag,
aber ich habe selten so viel Unsinn gehört wie in den
letzten fünf Minuten.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matern von Marschall [CDU/CSU]: Die linken Kollegen klatschen besonders laut!)


Das kann man an ein paar Beispielen festmachen.

Matern von Marschall






(A) (C)



(B) (D)


Eines vorweg: Wenn Sie in Europa so auftreten, wie
Sie hier gerade aufgetreten sind, dann muss ich Herrn
Hofreiter recht geben. Das geht so nicht. Was Sie hier
vermitteln, ist keine Partnerschaft. Sie legen ein Sen-
dungsbewusstsein an den Tag, die deutschen Interessen,
die wir vertreten wollen, in den Vordergrund zu stellen.
Mit gleicher Augenhöhe und Partnerschaft hat das gar
nichts zu tun.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matern von Marschall [CDU/CSU]: Sie haben nicht zugehört!)


Sie haben die Eigenmitteldebatte als „Sozialisierung
der Schulden“ – ich habe dieses konservative Schlagwort
schon ein paar Mal gehört – bezeichnet. Eigenmittel sind
dafür da, Aufgaben der Europäischen Union zu erledi-
gen; das ist damit gemeint. Die Europäische Union soll
neue Aufgaben wahrnehmen. Sie soll die Außengrenzen
sichern. Sie soll die Flüchtlingsproblematik in den Griff
bekommen. Sie soll viele soziale Aufgaben übernehmen.
Dazu ist Geld notwendig, und dafür haben wir zurzeit
ein Umlagesystem. Wenn man wie der französische Prä-
sident darüber nachdenkt – auch Martin Schulz denkt da-
rüber nach –, dafür Eigenmittel einzusetzen, dann geht es
nicht um Schulden, sondern um die Frage der Aufgaben-
erledigung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn Sie Ihre Propaganda fortsetzen wollen, dann halte
ich das nicht für zielführend, sondern eher für schäbig.
Tut mir leid!

Aber zurück zum Thema. Hinter dem Titel der Aktu-
ellen Stunde verbirgt sich ja ein ganzer Bauchladen. Statt
uns über Griechenland, das dritte Paket, die 8,5 Milliar-
den Euro, zu unterhalten und darüber, dass wir dort auf
einem guten Weg sind, führen wir eine Scheindebatte
über den IWF, und es ist zusehends eine Scheindebatte.
Die Refinanzierung über den IWF ist für viele Länder
teurer als die Refinanzierung am europäischen Kapital-
markt; das wissen wir. Wir haben gestern gehört, dass
Portugal für 3 Prozent zehnjährige Anleihen bekommt
und beim IWF für 5 Prozent und dass man die Kredite
dort ablösen will. Wir müssen Griechenland in die Lage
versetzen, sich in diesem Sinne selbst zu refinanzieren.
Das ist viel wichtiger, als eine Scheindebatte über den
IWF zu führen. Es ist gut, dass der IWF mit im Boot
bleibt, auch wenn er sich etwas ausgeklinkt hat; aber
langfristig gesehen bin ich persönlich der Auffassung,
dass wir die Probleme europäisch lösen müssen. Das ist
mir ganz klar.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dazu gehört, die Volkswirtschaft entsprechend wie-
deraufzubauen. Nachdem nun beim Staatshaushalt viel
passiert ist und die Sanierung angelaufen ist, müssen Be-
schäftigung und Wachstum im Mittelpunkt stehen, um
Griechenland voranzubringen. Das bezieht sich aber auf
alle südeuropäischen Länder.

Macron wurde genannt. Ein weiterer Punkt ist die
Weiterentwicklung der Europäischen Union. In der Zeit
vom 17. Mai wird kommentiert:

Für einen europäischen Finanzminister muss die
Eurozone zu einer echten Fiskal- und Transferunion
werden – ähnlich wie sie in Deutschland und Öster-
reich bereits existiert.

Das ist eine Forderung, die zu einer institutionellen Re-
form führen würde, und das ist letztlich auch das, was
Macron angekündigt hat, nämlich dass man darüber
nachdenkt. Aber das kann nicht nach der Marke von
Merkel und Schäuble sein, nämlich dass wir nur mit in-
tergouvernementalen Vereinbarungen arbeiten und keine
echten Kompetenzen des Parlamentes und keine echte
demokratische Kontrolle haben; denn nur so wird ein
Schuh draus, nicht anders.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möch-
te noch auf einen saarländischen Europaabgeordneten,
Josef Leinen, zu sprechen kommen. Josef Leinen hat
den europäischen Vertrag mit ausgearbeitet; 2004 ist er
vorgelegt worden. Leider ist die europäische Verfassung
nicht ratifiziert worden. Dort müssen wir wieder anset-
zen. Der Vertrag von Lissabon von 2009 hat das Ganze
weiterentwickelt, aber die Fehler sind immer noch da.
Der Europäische Rat ist mit seinem Einstimmigkeitsprin-
zip der Bremsklotz in Europa. Die Zusammenarbeit zwi-
schen Kommission, Rat und Parlament funktioniert, aber
letztlich sind die vielen nationalen Interessen im Euro-
päischen Rat – das werden wir jetzt wieder erleben – die
Ursache dafür, dass wir in weiten Teilen Stillstand haben.
Das wiederum können wir jetzt gemeinsam mit unserem
französischen Partner versuchen zu überwinden. Das
sollte unser Ansporn, unsere Aufgabe sein.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ein letztes Thema ist der Brexit; er steht ebenfalls im
Titel dieser Aktuellen Stunde. Wir sollten jetzt nicht in
das Spiel verfallen: mein Corbyn, dein Corbyn. Wessen
Corbyn ist er denn nun? Ist er der Corbyn der Linken
oder der der Sozialdemokratie? – Ich bin froh, dass sein
soziales Programm in Großbritannien gut angekommen
ist. Wir als SPD haben auch ein soziales Programm, und
das spornt uns selbstverständlich an.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe an der Überreaktion von Herrn Ulrich gemerkt,
dass Sie davor Angst haben, dass wir dies nun überneh-
men. Ich habe es gemerkt, weil Sie immer lauter und
lauter argumentiert haben. Letztlich sind wir auf einem
guten Weg.

Ein letzter Satz zu Europa. Ich bin froh, wenn wir ge-
meinsam an dieser Europäischen Union arbeiten, wenn
wir gemeinsam die Freiheit und die Freizügigkeit ver-
teidigen und ausbauen. Insofern ist das heute eine gute
Debatte, um daran zu erinnern, dass wir gemeinsam Eu-

Christian Petry






(A) (C)



(B) (D)


ropa stark erhalten und machen müssen. In diesem Sinne:
Glück auf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1824009300

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstem ertei-

le ich dem Kollegen Alexander Radwan für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1824009400

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir führen

heute eine Debatte über Europa, und wir haben schon
viel dazu gehört. Manches davon ist schwer vorstellbar,
zum Beispiel, wie Macron angeblich Deutschland und
Merkel sieht. Ich kann zum Fraktionsvorsitzenden der
Grünen nur sagen: Zum Glück hält Macron die deutsche
Bundeskanzlerin für eine der wichtigsten Verbündeten
für die Weiterentwicklung Europas, und es ist gut so,
dass er das so sieht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Letztendlich kam hier – wie auch beim letzten Mal – zum
Ausdruck, dass ein unterschiedliches Europabild exis-
tiert. Auch beim letzten Mal – und das war noch vor der
Wahl in Frankreich – wurde Macron massiv kritisiert.

Wir haben einen Gleichklang in Europa. Das eine ist
die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten – das bein-
haltet auch Reformen und, für sich selbst verantwortlich
zu sein –, und das andere ist europäische Solidarität.
Macron hat im Wahlkampf erklärt, dass er Reformen
will. Es gab viele hier im Parlament, die das für falsch
halten und die auch in Deutschland die Agenda 2010 zu-
rücknehmen wollen. Ich bin froh, dass Macron die Ei-
genverantwortung Frankreichs ernst nimmt, sich an die
Reformen macht und sich von der deutschen Opposition
dabei nicht bremsen lässt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zum Thema Solidarität: Wolfgang Schäuble und
Angela Merkel haben immer diesen Konnex hergestellt.
Schauen wir uns heute Griechenland an – vorher war es
ähnlich in Portugal, Spanien und Irland –: Das System
der Eigenverantwortung gepaart mit europäischer So-
lidarität hat Stück für Stück zum Erfolg geführt. Ihnen
stinkt nur, dass wir in Griechenland diese Fortschritte
gemacht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn man genau schaut, was Sie möchten, dann stellt
man fest, dass es Ihnen gar nicht darum geht, wie das
Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten und der Euro-
päischen Union ist. Sie akzeptieren nur ein Europa, das
zentral und links ist. Wenn es nicht zentral und links ist,
dann lehnen Sie Europa ab.


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Links wäre nicht schlecht!)


– Eben. Sie akzeptieren es nur dann. – Das ist der grund-
sätzliche Unterschied: Europa ist noch ein Zusammen-
schluss von 28 souveränen Staaten. Es gibt nun einmal
unterschiedliche Meinungen in den Ländern innerhalb
der Europäischen Union. Darum ist es sehr gut, dass wir
Angela Merkel an der Spitze haben, die hier ausgleicht
und im Gegensatz zu Ihnen die Eigenheit der Mitglied-
staaten respektiert.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch!)


Das ist der Unterschied zu Ihnen. Ihr Vorwurf, den Sie
gegen Angela Merkel erheben, richtet sich gegen Sie
selber. Sie wollen Ihre nationale Politik gegenüber den
anderen Staaten durchsetzen, ob sie es wollen oder nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn Sie eine europäische Arbeitslosenversicherung
oder andere Maßnahmen fordern, dann fordern Sie nicht
nur den Beitrag der Deutschen. Reden Sie doch einmal
mit den Bürgern und den Politikern der baltischen Staa-
ten. Sind die davon begeistert, wenn sie zukünftig in die
entsprechenden Kassen einzahlen müssen? Sie bringen
damit den Spaltpilz in die europäischen Völker hinein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gerade in der Zeit des Brexit bin ich froh, dass unsere
Bundeskanzlerin Angela Merkel sehr souverän reagiert
hat und den Fokus darauf legt, dass es in Europa wei-
tergeht. Ich möchte daran erinnern, wie die nationalen
Parteien in Deutschland darauf reagiert haben. Wie ein
beleidigtes Kind hat man gemeint, die Briten zur Raison
rufen zu müssen, mit allen Folgen. Wir haben zu dem
Zeitpunkt noch nicht gewusst, wie das Verfahren in Eu-
ropa ist.


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: War das Ihre Regierung?)


– Nein, das war nicht unsere Regierung. Haben Sie ver-
gessen, was Angela Merkel hierzu gesagt hat? Wenn sie
hier ist, sollten Sie, Frau Kollegin Brantner, auch zuhö-
ren. Wenn Sie das getan hätten, hätten Sie diese Frage
nämlich nicht gestellt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Angela Merkel hat klipp und klar dazu gesagt, dass
wir auf der einen Seite Großbritannien Brücken bauen
müssen, weil Großbritannien weiterhin ein wichtiger
Partner innerhalb der NATO und ein wirtschaftlicher
Partner sein wird, wir aber auch konkret an der Einheit
Europas weiterarbeiten müssen und keinen Blueprint
für andere Staaten machen dürfen. Das war die Positi-
on Angela Merkels, als sie hier im Deutschen Bundestag
geredet hat.

Meine Damen und Herren, Sie haben vorhin kritisiert,
dass sie hier nicht redet; aber wenn sie redet, dann hören
Sie nicht zu oder verstehen es nicht. Das ist natürlich sehr
schade. In der heutigen Phase sollten wir uns daran ori-
entieren, was andere europäische Regierungen und Völ-
ker eindeutig zum Ausdruck bringen. Sie sind froh, dass
Angela Merkel Kanzlerin ist, und sie sind froh, dass sie

Christian Petry






(A) (C)



(B) (D)


in der Tradition von Helmut Kohl an der Einheit Europas
weiterarbeitet.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie sich mal in Europa umgehört?)


Sie ist ein verlässlicher Partner, und das sehen die ande-
ren Europäer genauso.

Besten Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1824009500

Herzlichen Dank, Herr Kollege Radwan. – Als letzte

Rednerin in der Aktuellen Stunde spricht nunmehr die
Kollegin Ronja Kemmer für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ronja Schmitt (CDU):
Rede ID: ID1824009600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Natürlich haben wir in den letzten Mo-
naten hier im Haus über die Brexit-Verhandlungen und
die anderen Themen diskutiert. Im Europaausschuss tun
wir dies jede Woche. Da Sie die Kanzlerin angesprochen
haben, die hier zahlreiche Regierungserklärungen zum
Europäischen Rat und zu europäischen Themen gegeben
hat, ist Ihre Begründung, dass sie sich dieser Diskussion
nicht stellen würde, geradezu absurd.


(Beifall bei der CDU/CSU)


In puncto Brexit schreiten die Verhandlungen voran,
doch die Zeit drängt. Die Frist von zwei Jahren für die
Verhandlungen ist relativ knapp bei der Masse an The-
men, die es zu behandeln gilt. Die Neuwahlen in Groß-
britannien haben dieses Unterfangen nicht gerade er-
leichtert.

Natürlich stellt die EU keine Zwangsmitgliedschaft
dar, sondern ist in ihren Festen als Friedens- und Werte-
gemeinschaft begründet. Ihren Kern hat diese Gemein-
schaft in der Erkenntnis, dass die Herausforderungen in
einer komplexen und auch globalisierten Welt eben nicht
rein nationalstaatlich zu lösen sind. Die Briten haben
sich leider anders entschieden. Die Brexit-Verhandlun-
gen müssen nun in einem partnerschaftlichen Geiste ge-
führt werden; aber es muss schon klar sein, dass es keine
Rosinenpickerei an verschiedenen Stellen geben darf.
Denn der Grundstein der europäischen Idee ist, dass der
Mensch im Mittelpunkt steht. Dazu gehört insbesondere
die Wahrung der Rechte von EU-Bürgern, die in Großbri-
tannien leben. Deswegen kann es keinen freien Waren-
verkehr ohne Personenfreizügigkeit geben.

Großbritannien hat als wirtschaftsstarkes Mitglied
stets viele Sonderkonditionen für sich beansprucht.
Manch anderes Land hätte sich sicherlich auch über diese
Vereinbarungen gefreut. Eines ist klar: Die finanziellen
Verpflichtungen, die Großbritannien in der EU eingegan-
gen ist, müssen auch eingelöst werden. Schließlich haben
die europäischen Partner ihren Teil der Vereinbarungen
auch immer eingehalten. Hier geht es um Vertrauen, hier
geht es um Redlichkeit. Deswegen können wir nur ge-

meinsam an Großbritannien appellieren, der Verantwor-
tung gegenüber den europäischen Nachbarn gerecht zu
werden.

Meine Damen und Herren, das Referendum mit sei-
nen Folgen muss jedoch auch eine Mahnung sein. Die
EU steht vor einer ihrer größten Bewährungsproben. Das
zeigt sich, wenn wir zurückblicken. Dies veranschaulicht
uns auch, dass das europäische Projekt immer wieder
aufs Neue begründet werden muss. In den vergangenen
Tagen rückte durch den Tod von Bundeskanzler Kohl die
europäische Einigung wieder ganz stark in unser öffentli-
ches Bewusstsein. Seine herausragenden Verdienste, die
Einheit unseres Vaterlandes, die Aussöhnung mit Frank-
reich, aber auch die Sicherung des Friedens in Europa,
stehen für alle Zeiten für sich.

Ich selbst wurde 1989, im Jahr des Mauerfalls, gebo-
ren. Ich hatte das Glück, in einem friedlichen und freien
Europa aufwachsen zu dürfen. Stacheldraht und Schlag-
bäume kenne ich größtenteils nur aus Erzählungen. Ich
gehöre einer Generation an, die niemals einen Krieg er-
leiden musste. Doch gerade wir Jüngeren dürfen nicht
in eine Stimmung der Selbstverständlichkeit verfallen;
denn es hat sich leider gezeigt, dass dies zu fatalen Er-
gebnissen führen kann. Die längste Friedensperiode auf
unserem Kontinent seit über 70 Jahren hat keine Ewig-
keitsgarantie. Diese Errungenschaften müssen immer
wieder aufs Neue erarbeitet und verteidigt werden. Dies
ist eine permanente Herausforderung, die den Einsatz al-
ler Generationen fordert.

Viele junge Briten waren ja für den Verbleib in der
EU, haben aber kaum an der Abstimmung über den Bre-
xit teilgenommen. Insofern müssen wir selbstkritisch
festhalten: In Reden über Europa haben wir uns vielleicht
zu oft auf Erreichtes von gestern berufen und aktuelle
Herausforderungen ausgeblendet. Aber einfache Lösun-
gen für diese Herausforderungen gibt es eben nicht. Wir
brauchen die Europäische Gemeinschaft mehr denn je,
um die großen Fragen anzugehen. Regulierungen im
Klein-Klein, die zum Teil von Mitgliedstaaten, zum Teil
von Institutionen eingefordert werden, entfernen die
Menschen vom europäischen Projekt und fördern popu-
listische Strömungen.

Der Brexit zeigt also auch, dass nichts so bleibt, wie
es ist, wenn man nichts dafür tut. Insofern leben wir in
einer guten Zeit, in der es sich lohnt, politisch zu werden.
Wir brauchen aktive Menschen aller Generationen, per-
sönliches Engagement und auch ein offenes Bekenntnis
zu unseren Werten und Idealen. Auch diesbezüglich hat
das Wirken von Helmut Kohl ein wunderbares Zeugnis
abgelegt; denn Einigkeit und Recht und Freiheit sind für
das Schicksal unseres Landes und unseres Kontinents
von entscheidender Bedeutung. So löst der Brexit in vie-
len anderen Ländern eine hoffnungsvolle Gegenbewe-
gung für Europa aus, sei es Pulse of Europe, seien es die
Ergebnisse der Wahlen in unseren Nachbarländern, die
jüngst stattgefunden haben.

Zum Ende möchte ich der Opposition noch eines mit
auf den Weg geben: Ihre ständige Nörgelei an der Euro-
papolitik der Regierung führt auch zu einem Erstarken
der europakritischen Stimmen. Stattdessen sollten Sie

Alexander Radwan






(A) (C)



(B) (D)


einmal anerkennen, was die Kanzlerin jeden Tag, auch in
diesen Stunden, für diese Wertegemeinschaft und für den
Zusammenhalt in dieser Gemeinschaft leistet. Ich glau-
be, wir können es nur schaffen, wenn wir gemeinsam für
unsere Überzeugungen und für die kommenden Genera-
tionen eintreten und für die kommenden Generationen
ein Europa in Frieden und Freiheit gestalten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1824009700

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Damit ist die Aktuelle

Stunde beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf.

– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes (Artikel 21)


Drucksache 18/12357

– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zum Ausschluss
verfassungsfeindlicher Parteien von der
Parteienfinanzierung

Drucksache 18/12358

– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Grundgesetzes zum Zweck
des Ausschlusses extremistischer Parteien
von der Parteienfinanzierung

Drucksache 18/12100

– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Begleitgesetzes
zum Gesetz zur Änderung des Grundgeset-
zes zum Zweck des Ausschlusses extremis-
tischer Parteien von der Parteienfinanzie-
rung

Drucksache 18/12101

Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-
ausschusses (4. Ausschuss)


Drucksache 18/12846

Über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Grundgesetzes werden wir später namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
Dr. Stephan Harbarth für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Stephan Harbarth (CDU):
Rede ID: ID1824009800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen

und Kollegen! Meine Damen und Herren!

Gleis 17, Waggon 1, rein und ab.

Mit diesem Satz antwortete im Jahr 2015 ein Kreisrat der
NPD auf die Frage von Journalisten der Frankfurter All-
gemeinen Zeitung, was mit straffälligen Asylsuchenden
geschehen solle.

Das Gleis 17 im Bahnhof Berlin-Grunewald steht
heute symbolisch für die Deportation der Berliner Juden.
Von dort fuhr der erste Transport, mit dem in den Jahren
von 1941 bis 1945 rund 50 000 Berliner Juden vor allem
in das Konzentrationslager Theresienstadt und das Ver-
nichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurden.

Die widerliche Einlassung des NPD-Funktionärs steht
exemplarisch für das Denken und Handeln seiner Par-
tei. Sie missachtet die Menschenwürde, sie will unsere
freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen.
Ihr biologistischer Rassismus, ihr militanter Antilibera-
lismus, Antiindividualismus und Antisemitismus begrün-
den eine Wesensverwandtschaft zur NSDAP. Gleichwohl
wird die Arbeit dieser Partei bis heute ganz wesentlich
aus Steuergeldern finanziert. Denn nach dem Parteienge-
setz erhalten alle Parteien, die bei Parlamentswahlen ei-
nen bestimmten Anteil von Stimmen auf sich vereinigen,
staatliche Mittel zu ihrer Finanzierung. In den letzten
Jahren waren das im Falle der NPD mehr als 1,2 Millio-
nen Euro pro Jahr.

Mit dem Gesetz, das wir heute beschließen, werden
wir die Grundlage dafür legen, um der NPD diese Fi-
nanzierung entziehen zu können. Denn jeder Cent für die
NPD ist ein Cent zu viel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Lange Zeit ist sehr kontrovers diskutiert worden, ob
ein solcher Ausschluss von der staatlichen Teilfinanzie-
rung zulässig ist, weil er tief in die verfassungsrechtlich
gesicherte Stellung der politischen Parteien eingreift und
ihre Chancengleichheit beeinträchtigt.

Diese Kontroverse hat das Bundesverfassungsgericht
mit seinem Urteil vom 17. Januar 2017 entschieden, als
es darauf aufmerksam machte, dass es dem verfassungs-
ändernden Gesetzgeber sehr wohl freistehe, neben dem
Parteiverbot weitere Sanktionsmöglichkeiten gegenüber
Parteien mit verfassungsfeindlichen Zielen zu schaffen.

Der Bundesrat auf der einen Seite, die Fraktionen von
CDU/CSU und SPD auf der anderen Seite haben diesen
Hinweis mit zwei Gesetzesinitiativen aufgegriffen, die
die gleiche Zielsetzung verfolgen. Unser Gesetzentwurf
erscheint mir insbesondere deshalb vorzugswürdig, weil
er neben dem Wegfall der staatlichen Teilfinanzierung
und der steuerlichen Begünstigungen für Parteien auch
den Wegfall der steuerlichen Begünstigung von Zuwen-
dungen an verfassungswidrige, aber nicht verbotene Par-
teien regelt.

Klar ist dabei auch: Der Ausschluss verfassungsfeind-
licher Parteien kann nur eines von vielen Instrumenten

Ronja Kemmer






(A) (C)



(B) (D)


sein, mit denen sich die wehrhafte Demokratie gegen
jede Form von Extremismus verteidigen muss, und zwar
gleichgültig, ob dieser Extremismus vom linken oder
vom rechten Rand des politischen Spektrums kommt.

Die Möglichkeit des Ausschlusses von der staatlichen
Teilfinanzierung ist ein wichtiges Signal in einer Zeit,
in der das rechtsextremistische Personenpotenzial nach
einem jahrelangen Rückgang wieder Zulauf erhält und
sich sein linksextremistisches Pendant auf einem zu ho-
hen Niveau stabilisiert.

Der Ausschluss einer Partei von der staatlichen Teil-
finanzierung greift in gravierender Weise in die verfas-
sungsrechtlich gesicherte Chancengleichheit von Par-
teien ein. Es bedarf deshalb eines Verfahrens, das so
ausgestaltet sein muss, dass nicht einmal der Anschein
entstehen kann, dass ein solcher Ausschluss von anderen
Parteien instrumentalisiert werden soll, um sich misslie-
biger Konkurrenz zu entledigen. Es ist deshalb richtig
und wichtig, dass allein das Bundesverfassungsgericht
über den Ausschluss entscheiden wird und andere Ideen,
die zunächst ventiliert worden waren, nicht weiterver-
folgt wurden.

In den parlamentarischen Beratungen sind zwei Kor-
rekturen vorgenommen worden. Erstens. Der Gesetzent-
wurf sah ursprünglich eine Frist von vier Jahren vor, nach
deren Ablauf die sanktionierte Partei eine Überprüfung
verlangen kann. Wir werden diese Überprüfung nun so
ausgestalten, dass es nach einer Frist von sechs Jahren
zu einem automatischen Erlöschen des Ausschlusses von
der staatlichen Teilfinanzierung kommt – verbunden mit
der Möglichkeit für die antragsbefugten Stellen, eine
Verlängerung des Ausschlusses zu beantragen. Auf die-
se Weise bleiben Bundesrat, Bundesregierung und Bun-
destag Herren des Verfahrens. Darüber hinaus werden
wir – zweitens – durch den Änderungsantrag, den wir
im Ausschuss vorgelegt haben, den Ausschluss von der
Teilfinanzierung auch auf Ersatzparteien erstrecken, um
Umgehungsversuchen entgegenzutreten.

Ich wünsche dem Gesetzentwurf eine breite Zustim-
mung und würde mich freuen, wenn auch die beiden
Oppositionsfraktionen diesen Vorschlägen zustimmen
und wir damit gemeinsam die wehrhafte Demokratie in
Deutschland stärken können.

Als Unionsfraktion erwarten wir, dass nach Inkraft-
treten des Gesetzes mit einem gründlich vorbereiteten
Antrag zeitnah ein Verfahren zum Ausschluss der NPD
aus der Teilfinanzierung auf den Weg gebracht wird, und
ich persönlich möchte dafür werben, dass dies mit Betei-
ligung dieses Hohen Hauses geschehen kann.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824009900

Das Wort hat die Kollegin Ulla Jelpke für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824010000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Neofa-

schistische Parteien sollen vom Staat nicht länger geför-
dert werden. Das ist der Kern der Gesetzentwürfe, die
wir heute hier besprechen.

Ich will vorausschicken: Der Entzug der Parteienfinan-
zierung ist zweifellos ein schwerer Eingriff in die Chan-
cengleichheit der Parteien. Es geht im Fall der NPD – wir
haben es eben schon gehört – darum, dass sie mehr als
1 Million Euro im Jahr bekommt. Deren Verlust wird sie
schwer treffen. Da werden wir alle hier im Saal wahr-
scheinlich sagen: Recht so. – Aber wir müssen natürlich
die rechtlichen und politischen Fragen ernst nehmen, die
sich ergeben, wenn man eine Partei, die nicht verboten
ist, von der staatlichen Parteienfinanzierung ausschließt.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Linke hat es sich in der Tat nicht leicht gemacht.
Wir haben ausführlich darüber diskutiert, und wir haben
zur Sachverständigenanhörung sogar jemanden eingela-
den, der ein expliziter Kritiker dieser Neuregelung ist.
Herr Lichdi hat dabei betont, dass das Grundgesetz keine
„Verfassungstreuepflicht der Parteien“ kennt und demo-
kratiefeindliche Parteien deswegen nicht schlechterge-
stellt werden dürfen.

Für einen Teil meiner Fraktion ist dieses Argument so
gewichtig, dass sich einige Abgeordnete heute enthalten
werden. Eine Mehrheit in meiner Fraktion nimmt dieses
Argument ebenfalls sehr ernst, möchte ihm aber entge-
genhalten: Es gibt auch keine Pflicht der Gesellschaft,
Parteien zu finanzieren, die demokratische Grundrechte
einschränken wollen, die sogar ebendieser Gesellschaft
das Existenzrecht absprechen


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


und eine dermaßen faschistische Ideologie verbreiten.

Das Grundgesetz selbst kennt das Verbot einer Partei.
Von daher liegt es auf der Hand, dass man auch eine min-
derschwere Sanktion wie den Entzug staatlicher Wahl-
kampfkostenerstattung zulassen kann –


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


immer vorausgesetzt, dass das Bundesverfassungsgericht
diese Entscheidung trifft, und so steht es auch in der Ge-
setzesvorlage. Für mich jedenfalls ist Faschismus keine
Meinung im demokratischen Wettbewerb, sondern ein
Verbrechen, und Verbrechen dürfen sich nicht lohnen.


(Beifall bei der LINKEN)


Deswegen – das ist die mehrheitliche Meinung in meiner
Fraktion – sollen Naziparteien keinen Cent mehr vom
Staat bekommen, und niemand, der Naziparteien Geld
spendet, soll das von der Steuer absetzen dürfen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, ich möchte kritisch anmer-
ken, dass die jetzt vorgesehene Geltungsdauer eines Fi-
nanzierungsverbots von sechs Jahren sehr lang ist. Mein
Kollege hat das eben erläutert; das sind die Änderungen,
die vorgenommen wurden. Ich denke, dass nach vier Jah-
ren der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Da ja sowieso

Dr. Stephan Harbarth






(A) (C)



(B) (D)


das Bundesverfassungsgericht entscheidet, finden wir es
auch nicht richtig, dass nicht einmal mehr eine mündli-
che Anhörung stattfinden soll.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Abschließend möchte ich noch zu einem Punkt etwas
sagen, in dem wir uns in meiner Fraktion sehr einig sind:
Was wir heute beschließen, kann kein Ersatz sein für eine
entschlossene Politik gegen Rechtsextremisten und neo-
faschistische Parteien.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir müssen allen entgegentreten, die Menschen nach
zweierlei Maß messen und sie auf Grundlage von Re-
ligion, Herkunft oder anderen Äußerlichkeiten unter-
schiedlich behandeln wollen. Wir lehnen jede Form von
Rassismus, jede Form von gruppenbezogener Menschen-
feindlichkeit ab. Wir müssen auch jenen entgegentreten,
die zum Beispiel die Flüchtlingsfrage immer wieder zum
Anlass nehmen, dumpfe Wahlkampfparolen von sich zu
geben. Deswegen sage ich zum Schluss: Unsere heutige
Entscheidung muss Verpflichtung sein, endlich mehr in
dieser Gesellschaft gegen Rassismus und gegen Antise-
mitismus und Muslimfeindlichkeit zu tun, sonst werden
wir weder Demokratie noch Frieden haben.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824010100

Das Wort hat die Kollegin Gabi Fograscher für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Fograscher (SPD):
Rede ID: ID1824010200

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Die wehrhafte Demokratie bekämpft ihre Feinde
mit rechtsstaatlichen Mitteln, und sie hat das Recht und
auch die Pflicht, diese Mittel auszuschöpfen. Bei der
Parteienfinanzierung ist eine mehr als groteske Situation
entstanden: Wir finanzieren bis heute mit Steuermitteln
eine Partei, die NPD, die vom Bundesverfassungsgericht
als verfassungsfeindlich eingestuft wurde. In dem Urteil
des Bundesverfassungsgerichts vom Januar dieses Jahres
heißt es:

Ihre Ziele und das Verhalten ihrer Anhänger versto-
ßen gegen die Menschenwürde … und den Kern des
Demokratieprinzips …

Das Material, das für das Verbotsverfahren zusammen-
gestellt wurde, zeigt: Diese Partei hat menschenverach-
tende und rassistische Ziele. Sie lehnt unsere Demokratie
und unsere Werte ab. Sie wurde vom Bundesverfassungs-
gericht mit folgender Begründung nicht verboten:

Es fehlt jedoch an konkreten Anhaltspunkten von
Gewicht, die es zumindest möglich erscheinen las-
sen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt.

Das Bundesverfassungsgericht hat uns als verfas-
sungsänderndem Gesetzgeber aber in der Urteilsbe-
gründung den Hinweis gegeben, dass man verfassungs-

feindliche Parteien von der staatlichen Teilfinanzierung
ausschließen kann. Das werden wir heute tun. Die NPD
erhält mehr als 1 Million Euro jährlich aus der staatli-
chen Teilfinanzierung – mehr als 1 Million –, um ihr
menschenfeindliches Gedankengut und ihre antisemiti-
sche und rassistische Hetze zu verbreiten. Das ist uner-
träglich. Es ist auch für die Bürgerinnen und Bürger nicht
nachvollziehbar, dass eine Partei, die die staatliche Ord-
nung bekämpft, mit Steuermitteln finanziert wird. Jede in
Deutschland zugelassene Partei nimmt an der staatlichen
Teilfinanzierung teil. Für eingeworbene Spenden und für
erzielte Stimmen bei Wahlen ab einer bestimmten Gren-
ze erhält jede Partei Geld vom Staat. Zusätzlich sind die
Parteien von der Körperschaftsteuer befreit, und Zuwen-
dungen können Spenderinnen und Spender steuerlich
geltend machen.

Parteien haben Verfassungsstatus. Sie wirken an der
politischen Willensbildung mit. Sie sind unverzichtbare
Elemente in einer Demokratie. Für die vielfältigen Ak-
tivitäten braucht eine Partei Geld. Sie erhält dieses aus
Mitgliedsbeiträgen, aus Spenden, aus Einnahmen aus
wirtschaftlicher Tätigkeit. Das Parteiengesetz regelt, dass
sie Geld vom Staat erhält, um illegitime Einflussnahme
zu verhindern und Chancengleichheit im politischen
Wettbewerb zu ermöglichen. Es ist widersinnig, auf der
einen Seite Parteien, die gegen diesen Staat agieren, mit
Steuergeldern zu fördern und auf der anderen Seite nicht
genug Mittel für den Kampf gegen Extremismus zu ha-
ben.

Wir wollen, wie ich bereits gestern an einer anderen
Stelle der Debatte angekündigt habe, die Gelder, die wir
durch diese Gesetzesänderung der Partei entziehen, in
den Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitis-
mus investieren.


(Beifall bei der SPD)


Über den Änderungsantrag hat Herr Harbarth schon
gesprochen. Wir haben uns darauf geeinigt, dass das
Bundesverfassungsgericht den Ausschluss einer Partei
von der Finanzierung befristet für sechs Jahre feststellen
soll. Dieser Ausschluss kann auf Antrag der ursprüng-
lichen Antragsteller, also Bundestag, Bundesrat oder
Bundesregierung, verlängert werden. Über den Verlän-
gerungsantrag kann auch ohne mündliche Verhandlung
entschieden werden. Ein unbefristeter Ausschluss, so wie
er zunächst vorgesehen war, hätte so auf Antrag der be-
troffenen Partei alle vier Jahre überprüft werden können.
Durch die jetzt vorgenommene Änderung behalten aber
die Antragsberechtigten das Heft des Handelns in der
Hand. Die Feststellung des Ausschlusses von der staat-
lichen Finanzierung ist auf Ersatzparteien zu erstrecken.
Zur Begründung dieser Änderung erklärte der Sachver-
ständige Herr Volkmann in der Anhörung:

Man muss eine Regelung für Ersatz- und Nachfolge-
organisationen treffen. Sonst hat man das Problem,
dass sich die NPD auflöst, in PDN umbenennt – so
einen ähnlichen Fall hat es auch schon einmal ge-
geben –, und die kann dann staatliche Finanzierung
beanspruchen. Beim Parteiverbot erstreckt sich der
Rechtsfolgenausschluss zwingend auch auf etwaige
Ersatz- und Nachfolgeorganisationen. Das ist mei-

Ulla Jelpke






(A) (C)



(B) (D)


nes Erachtens etwas, was man für den Ausschluss
von der Finanzierung unbedingt aufnehmen müsste.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dies haben wir aufgenommen und entsprechend gere-
gelt. Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, dass eine
Partei die Bestrebungen einer von der Finanzierung aus-
geschlossenen Partei weiter verfolgt oder fortführt. So-
mit ist sie als Ersatzpartei ebenfalls von der Finanzierung
auszuschließen.

Für uns ist klar: Die heutigen Änderungen sind keine
Lex NPD. Die Änderungen werden für alle Parteien gel-
ten, die sich gegen unsere Verfassung und unsere Werte
stellen. Dieser Ausschluss ist für uns nur ein Baustein
im Kampf gegen Extremismus. Wir lassen nicht nach im
Kampf gegen Extremismus, wir dürfen auch nicht nach-
lassen. Für uns ist durch diese Gesetzesänderungen das
Problem des Extremismus ganz und gar nicht erledigt.
Im Gegenteil: Diese Koalition hat auf Initiative unserer
Familienministerin hin die Gelder für Prävention auf
über 100 Millionen Euro verdreifacht.


(Beifall bei der SPD)


Wir werden die Forderungen des Unabhängigen Ex-
pertenkreises Antisemitismus zügig umsetzen. Präven-
tion, politische Bildung, Unterstützung von Projekten
der Zivilgesellschaft, Extremismusforschung sind und
bleiben dauerhafte Aufgaben für die Politik und für die
Gesellschaft.

Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesen Änderungen,
damit die Unterstützung von Verfassungsfeinden mit
Steuermitteln endlich ein Ende hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist meine letzte
Rede in diesem Haus. Ich danke allen aus allen Fraktio-
nen, mit denen ich in den letzten Jahren zusammenarbei-
ten durfte, und allen, die mich in den letzten Jahren un-
terstützt haben. Ich wünsche Ihnen allen für die Zukunft
alles Gute.

Herzlichen Dank.


(Beifall im ganzen Hause)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824010300

Wir wünschen natürlich auch Ihnen, Frau Kollegin

Fograscher, für die Zukunft alles Gute bei der Umset-
zung Ihrer Pläne.

Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat die Kol-
legin Renate Künast für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824010400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich finde, wenn wir die Hand an das Grundgesetz legen,
dann obliegt es uns, wirklich seriös zu arbeiten, mit küh-
lem Kopf und klarem Verstand, weil es schließlich um

die Prinzipien der Demokratie geht. Ihre Vorlage ent-
spricht diesen Ansprüchen nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wissen Sie, zugegebenermaßen ist die NPD ein Feind
der Verfassung. Sie ist auf der anderen Seite aber auch
ein politischer Zwerg – das wissen Sie. Sie suchen sich
diesen politischen Zwerg isoliert aus dem Gesamtpaket
heraus – als Teil von Rechtsextremismus, Rechtsradika-
lität und Rechtsterrorismus in dieser Gesellschaft – und
wollen der Partei mal eben per Verfassungsänderung –
ich sage: mal eben per Verfassungsänderung – das Geld
streichen und suggerieren, damit wäre das Problem ge-
löst. Es ist damit aber nicht gelöst.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich habe eher den Eindruck, es geht um die Schmach der
Innenminister, die zweimal groß die Notwendigkeit eines
Parteiverbots begründet haben, wozu das Verfassungsge-
richt am Ende aber zweimal Nein gesagt hat.

Meine Damen und Herren, Sie suggerieren damit,
dass das Problem aus der Welt geschafft wird, wenn die-
se 1 Million Euro – oder demnächst noch weniger – nicht
an diese Partei gehen. Aber ich sage Ihnen: Wir haben
Pegida, wir haben die Nach-Lucke-AfD. Sie können uns
doch nicht ernsthaft verkaufen, dass damit jetzt ein Pro-
blem zu lösen wäre – und dann noch in diesem Tempo.
Ich finde, in so einer Situation braucht man einen wirk-
lich kühlen Kopf und Zeit; sonst kommen Fehlentschei-
dungen dabei heraus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich will zitieren, was Herr Voßkuhle in seinen einlei-
tenden Worten gesagt hat; es taucht später noch einmal
im Urteil an ein oder zwei Stellen auf. Er hat am 17. Ja-
nuar gesagt:

Ob in einer solchen Situation … andere Reaktions-
möglichkeiten sinnvoll sind, wie zum Beispiel der
Entzug der staatlichen Finanzierung, hat … der ver-
fassungsändernde Gesetzgeber zu entscheiden.

Meine Damen und Herren, das Gericht hat aber nicht
gesagt, dass sich daraus ein Zwang ergibt; es hat uns kein
Datum für irgendetwas gesetzt, sondern nur gesagt, dass
es abseits der Frage des Verbots oder Nichtverbots mil-
dere Mittel geben könnte, über die wir entscheiden könn-
ten. Das ist aber keine Aufforderung, dann mal eben zum
Ende der Legislaturperiode das Ganze zu schleifen.

Wir haben in unserer Verfassung, in Artikel 20 Ab-
satz 2, sozusagen als Grundlage unserer Demokratie die
freie und gleiche Willensbildung des Volkes. Dazu ge-
hört Artikel 21, der besagt: „Die Parteien“ – in Mehrzahl,
als Antwort auf das, was in diesem Haus, im Reichstag,
unter Herrschaft der NSDAP einmal stattfand, nämlich
die Ausgrenzung und Verhaftung – „wirken bei der …
Willensbildung … mit.“ Bei allem Ärger über die NPD:
An dieser Stelle machen Sie eine Lex NPD. Ein Einzel-
fallgesetz sollte es bei der Verfassung nicht geben. Wir
sollten uns stattdessen überlegen, was so eine Änderung

Gabriele Fograscher






(A) (C)



(B) (D)


eigentlich im historischen Kontext bedeutet. Man kann
ihr nicht zustimmen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


weil Artikel 21 tatsächlich Teil unserer Demokratie ist; er
ist wirklich die Basis. Auf dieser Grundlage organisieren
sich die Bürger.

Sie haben gesagt, die NPD erfülle verfassungsfeindli-
che Kriterien. Das Verfassungsgericht hat aber übrigens
auch gesagt, es brauche den präventiven Schutz durch ein
Verbot nicht, sondern die Kraft der freien Auseinander-
setzung. Da kann ich Ihnen sagen: Für die Demokratie
in diesem Land haben zum Beispiel – neben vielen ande-
ren – die Bürgerinnen und Bürger in Leipzig im Kampf
gegen Legida mehr getan, als Sie es heute mit dieser Re-
gelung tun;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


denn sie haben sich immer wieder aufgemacht und ge-
kämpft. Das ist die Kraft der freien Auseinandersetzung.
Diesen Rechtsextremismus lassen wir uns nicht gefallen,
meine Damen und Herren.

Sie setzen meines Erachtens ein fatales Zeichen mit
Blick auf die Demokratie. Sie wollen mal einfach ein
Grundprinzip abschaffen? Wir haben Hate Speech, wir
haben neue Parteien, neue Bewegungen. Die Frage lautet
doch: Wie können wir in der Demokratie mit diesen Din-
gen umgehen, wie können wir sie bekämpfen? Nicht mit
einer Lex NPD.

Ich finde, wir bräuchten in der nächsten Legislaturpe-
riode eine Kommission, die sich ausführlich mit dieser
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes befasst,
die sich mit dem Internet und dem Rechtsextremismus
dort befasst, die sich mit den Grenzen und dem Umfang
des Parteienverbots befasst, die sich bei allem Verdruss,
den die Menschen über Parteiendemokratie äußern –
manche behaupten, die Parteien würden sich den Staat
zur Beute machen –, mit der Frage befasst, wie man im
21. Jahrhundert Demokratie gestaltet, auch über das In-
ternet. Wer hier wählen darf, wenn er seinen Lebensmit-
telpunkt hier hat, ob Jüngere als 18-Jährige wählen dür-
fen – das alles müssten wir diskutieren, Sie tun es aber
nicht. Das würde Sinn machen und wäre angemessen.

Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen. Schauen Sie
einmal: So sieht der Artikel 21 Grundgesetz heute aus.


(Die Rednerin hält ein Schriftstück hoch)


Im Absatz 1 – „Die Parteien wirken … mit“; hier in grü-
ner Schrift – steht das Positive, Absatz 2 – hier in roter
Schrift – enthält die Verbotsregelung. 38 Wörter hat der
erste Absatz. Man sieht: Das Grüne steht in einem gewis-
sen Verhältnis zum Roten, dem Verbot. Wenn Ihre Än-
derungen durchkommen, bleibt das Grüne, das Positive,
zur Parteiendemokratie bestehen, aber aus 38 Wörtern
im zweiten Absatz werden bei einem Verbot 109 Wörter.

38 Wörter für die Demokratie, 109 Wörter dagegen. Das
sieht dann so aus.


(Die Rednerin hält ein weiteres Schriftstück hoch)


Das hat eine Schieflage.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann Ihnen das auch auf das digitale Zeitalter bezo-
gen erläutern: 275 Zeichen für die Demokratie, 855 Zei-
chen für Verbotsregeln.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie sind doch die Verbotspartei! – Burkhard Lischka [SPD]: Dann müsstest du den ganzen Absatz 2 streichen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824010500

Kollegin Künast.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824010600

Mein letzter Satz. – Es braucht einen aufrechten Gang

unsererseits, einen breiten Kampf gegen Rechtsextremis-
mus, eine gute Finanzierung.

Zu der 1 Million Euro, die Sie meinen der NPD ent-
ziehen zu können:


(Burkhard Lischka [SPD]: 1 Million für Nazis fordern Sie!)


Darüber müsste das Bundesverfassungsgericht entschei-
den. Schauen wir einmal, ob Sie entsprechend handeln
würden.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824010700

Kollegin Künast.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824010800

Machen Sie sich aber nichts vor: Diese Million geht

doch nicht in die Projekte, sondern die geht an eine an-
dere Partei, deren Namen Sie kennen. Sie müssen sich
schon dazu bekennen, Demokratie durchzuhalten und
neues Geld lockerzumachen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824010900

Das Wort hat der Kollege Helmut Brandt für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Helmut Brandt (CDU):
Rede ID: ID1824011000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich hoffe, ich kann mit meinem Beitrag wieder etwas
Sachlichkeit und Ruhe in diese Debatte bringen, sie hat
es auch nötig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Renate Künast






(A) (C)



(B) (D)


Mit der Verabschiedung der hier vorliegenden Ge-
setzentwürfe hat das bislang geltende „Alles oder
Nichts“-Prinzip in Sachen staatlicher Parteienfinanzie-
rung auch für verfassungsfeindliche Parteien ein Ende.
Das ist gut so, Frau Künast. Es ist ein Widerspruch, einer
Partei, die unsere Demokratie abschaffen will, Steuermit-
tel zu geben und sie damit noch in diesem Ziel zu unter-
stützen, während wir gleichzeitig Steuermittel für die Be-
kämpfung ebenjenes radikalen Gedankenguts ausgeben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit der AfD?)


Das ist ein Widerspruch, den wir hiermit auflösen wollen.

Kritiker der hier vorliegenden Gesetzentwürfe sehen
in dem Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von
der staatlichen Finanzierung einen unzulässigen Eingriff
in den Grundsatz der Chancengleichheit. Richtig ist, dass
unser Grundgesetz politischen Parteien eine besonde-
re Rolle einräumt. Als verfassungsrechtlich garantierte
Institutionen tragen sie zur politischen Willensbildung
maßgeblich bei, indem sie unterschiedliche Lösungsan-
sätze für gesellschaftliche Probleme anbieten. Die damit
verbundenen Auseinandersetzungen muss eine Demo-
kratie aushalten, um so einer möglichst großen Anzahl
von Menschen ein politisches Recht auf Teilhabe zu ga-
rantieren. Das ist die eine Seite. Aber – und das ist für
mich das Entscheidende –: Es ist auch Aufgabe der Poli-
tik, die Demokratie vor Bestrebungen, diese zu zerstören,
zu schützen.

Das Parteiverbot wurde von den Müttern und Vätern des
Grundgesetzes vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus
dem Dritten Reich als Instrument zur Bekämpfung ver-
fassungsfeindlicher Parteien eingeführt. Zu Recht stellen
Grundgesetz und Rechtsprechung hohe Anforderungen
an ein Parteiverbot. Im Zuge der Weiterentwicklung der
Rechtsprechung sowohl durch den Europäischen Ge-
richtshof für Menschenrechte wie auch durch das Bun-
desverfassungsgericht ist im Verlauf der letzten Jahre
noch das Erfordernis einer konkreten Gefahr hinzuge-
kommen. Damit sind die Anforderungen an ein Partei-
verbot noch weiter gestiegen; denn die Frage, welche Ge-
fahr von einer verfassungsfeindlichen Partei tatsächlich
ausgeht, ist nur schwer zu beantworten. Deshalb müssen
wir, muss die Politik zumindest unterhalb der Schwelle
eines Parteiverbots Sanktionsmöglichkeiten für extre-
mistische Parteien haben. Nur so sind wir in der Lage,
Instrumente der wehrhaften Demokratie zu erhalten.

Dieses Spannungsfeld, das unbestreitbar besteht, ha-
ben wir nach meiner Meinung mit dem Gesetzentwurf
gut aufgelöst. Wir haben Parteiprivilegien wie Versamm-
lungsrecht oder Werbung eben nicht angetastet, sondern
lediglich die staatliche Parteienfinanzierung. Damit blei-
ben wir weit hinter den Auswirkungen eines Parteiver-
botes zurück.

Eben weil aber das Recht auf politische Teilhabe hoch
ist und Parteien auch einem Wandel unterliegen, ist es nö-
tig, den Ausschluss von der Parteienfinanzierung zeitlich
zu begrenzen; dazu ist eben schon vorgetragen worden.
Die Regelungen hierzu haben wir mit Änderungsanträ-
gen angepasst. Mit der Regelung – diese wurde auch von

den Sachverständigen in der Anhörung vorgeschlagen –,
dass nach Ablauf einer Frist von sechs Jahren Bundestag,
Bundesrat oder Bundesregierung – diesen drei kommt
Antragsrecht zu – einen Antrag auf Verlängerung des
Ausschlusses von der Finanzierung stellen können, sind
wir nach meiner festen Überzeugung einen verfassungs-
festen Weg gegangen.

Lassen Sie mich festhalten: Ich denke doch, dass alle
demokratischen Parteien ein Grundkonsens verbindet,
dem das Wertesystem des Grundgesetzes und das Be-
kenntnis zu unserem demokratischen Rechtsstaat zugrun-
de liegen. Dies unterscheidet extremistische Parteien von
demokratischen Parteien. Und genau dieser Unterschied
rechtfertigt in meinen Augen auch – das haben die Sach-
verständigen eindeutig bestätigt – die jetzt von uns vor-
genommene Durchbrechung des Gleichheitsgebots und
stellt einen hinreichenden Grund für eine Differenzie-
rung in Sachen Parteienfinanzierung zwischen demokra-
tischen und extremistischen Parteien dar.

Lassen Sie mich abschließend noch eins klarstellen:
Keiner von uns, Frau Künast, ist so naiv, zu glauben, dass
sich extremistische Grundeinstellungen mit dem Entzug
der Teilfinanzierung für verfassungsfeindliche Parteien
erledigen würden. Längst schon stehen andere extremis-
tische Gruppierungen wie Kameradschaften, wie Anti-
fa-Gruppen bereit. Gerade auf kommunaler Ebene ist die
NPD in einigen Regionen stark verwurzelt. Politik und
Gesellschaft stehen deshalb auch weiterhin in der Ver-
antwortung.

Die öffentliche Auseinandersetzung mit extremisti-
schen Gruppierungen ist nicht nur ein wichtiges, sondern
mit Sicherheit das wichtigste Mittel überhaupt bei deren
Bekämpfung. Dafür geben wir – Frau Fograscher, Sie
haben das eben erwähnt – sehr viel Geld aus, allein in
2017 für die Initiative „Demokratie leben!“ vom Bun-
desfamilienministerium 104,5 Millionen Euro – ein stol-
zer Betrag. Da kann man doch nicht sagen, Frau Künast,
wie Sie das heute in der FAZ getan haben, wir würden zu
wenig gegen Extremismus tun. Nein, wir haben in den
letzten Jahren die Gelder verdreifacht.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht!)


Das beweist, dass wir die Probleme richtig erkannt haben
und bekämpfen.

Auch Ihren Vorwurf einer übereilten Verfassungsän-
derung muss ich entschieden zurückweisen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Die Grundgesetzänderung wurde gründlich vorbereitet
und durch die Änderungsanträge im Anschluss an die
Sachverständigenanhörung noch einmal optimiert. Ein
wirklich gutes Zeichen der gemeinsamen Bekämpfung
von Extremismus wäre es, wenn alle Fraktionen diesem
Gesetz ihre Zustimmung geben würden. Darum werbe
ich.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Helmut Brandt






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824011100

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir ei-

nen Hinweis. Wir befinden uns noch in der Debatte und
werden noch zwei Redner hören. Ich bitte also die Kol-
leginnen und Kollegen, die jetzt hereingekommen sind,
sich in den Reihen ihrer Fraktionen zu platzieren und
dafür zu sorgen, dass wir die Debatte geordnet zu Ende
führen können.

Dazu hat nun der Kollege Matthias Schmidt für die
SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Matthias Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824011200

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Es ist mir eine Freude,

vor vollem Haus reden zu können. Da kann es auch ruhig
ein bisschen unruhig und lebhaft werden. Das empfinde
ich jetzt gar nicht als so schlimm.

Meine sehr geehrten Damen und Herren auf den Zu-
schauertribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Las-
sen Sie mich zu Beginn der Debatte eine Sache feststel-
len, die mir wirklich sehr wichtig ist: Das Gesetz, das
wir heute beschließen wollen, ist ausdrücklich keine Lex
NPD. Aber im Fall der NPD haben wir nun einmal ein
Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar
dieses Jahres. Ich war sowohl bei der mündlichen Ver-
handlung als auch bei der Urteilsverkündung dabei. Ich
hätte mir sehr ein anderes Urteil gewünscht – wie mögli-
cherweise viele hier im Haus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Gleichwohl: Dieses Urteil ist ein wegweisendes Ur-
teil. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich festge-
stellt: Die NPD verfolgt verfassungsfeindliche Ziele,
nämlich die Beseitigung der freiheitlichen demokrati-
schen Grundordnung, aber die NPD besitzt keine Wirk-
mächtigkeit. – Salopp gesagt: Die wollen die Demokratie
abschaffen, aber sie schaffen es nicht einmal ansatzweise.

Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht einen
Weg eröffnet – Frau Künast hat schon zitiert, was es uns
mit auf den Weg gegeben hat –: Wenn wir einer verfas-
sungsfeindlichen Partei den Geldhahn zudrehen wollen,
dann ist das Parteienverbotsverfahren nicht die einzige
Möglichkeit dazu. Vielmehr hat der Verfassungsgesetz-
geber die Möglichkeit, hier eine Änderung herbeizufüh-
ren. Genau dies plant die Große Koalition heute durchzu-
führen, und das ist gut überlegt. Es stärkt im Übrigen die
wehrhafte Demokratie, die an vielen Stellen in unserem
Grundgesetz durchscheint, in Artikel 9 Absatz 2, in Ar-
tikel 18 und in Artikel 20 Absatz 4 und selbstverständ-
lich auch in Artikel 21 Absatz 2. Genau an dieser Stelle
werden wir heute ein wenig nachschärfen. Frau Künast,
Sie haben gesagt – ich habe mitgeschrieben –, wir wür-
den einfach mal ein Grundrecht abschaffen. Das ist kein
Grundrecht, was wir da abschaffen. Das ist es nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die SPD-Fraktion hat sich das, was sie hier macht, sehr
gut überlegt; denn zufällig heute jährt sich zum 84. Mal
das Verbot der SPD durch die Nationalsozialisten.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Am 22. Juni 1933 ist meine Partei verboten worden. Und
wir gehen hier ganz sauber, sachlich, ruhig und kühl vor.
Aber eine Partei, der das Bundesverfassungsgericht be-
scheinigt, die freiheitliche demokratische Grundordnung
beseitigen zu wollen, hat keine Unterstützung durch die
Demokratie verdient.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mir ist das unter anderem deshalb so wichtig, weil
bei mir im Wahlkreis die Bundeszentrale der NPD ist.
Ich habe mit den Kollegen von der NPD, mit den da-
maligen Bundesvorsitzenden Udo Voigt zusammen in
der Bezirksverordnetenversammlung gesessen, und wir
mussten uns da parlamentarisch auseinandersetzen. Das
war auch in Ordnung. Aber die NPD hat eben mehr ge-
macht. Sie hat das Geld genutzt, um Kiezfeste zu orga-
nisieren, um Demonstrationszüge durchzuführen, um
CDs vor Schulhöfen zu verteilen oder gar Kinderfeste zu
veranstalten. Genau dem wollen wir heute einen Riegel
vorschieben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mit uns, mit den Demokraten, hat immer die Zivilge-
sellschaft mit auf der Straße gestanden und hat mit uns
gegen die NPD und gegen deren Aktionen demonstriert.
Diese Zivilgesellschaft braucht unsere Unterstützung.
Sie muss wissen: Wir als Gesetzgeber stehen an ihrer
Seite, und wir tun alles, um rechtsextreme Bestrebungen
zu bekämpfen.


(Beifall bei der SPD)


Dies wollen wir heute tun. Wir fügen dem Grundgesetz
einen weiteren Mosaikstein hinzu: für eine starke, streit-
bare Demokratie.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824011300

Das Wort hat der Kollege Dr. Volker Ullrich für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1824011400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir beschließen heute aus guten Gründen eine
Änderung unseres Grundgesetzes. Zukünftig werden
verfassungsfeindliche, aber nicht oder noch nicht ver-
botene Parteien von der staatlichen Parteienfinanzierung
und der steuerlichen Begünstigung ausgeschlossen sein.
Dies folgt einem einfachen Motto: Der Staat muss nicht
diejenigen finanzieren, die ihn beseitigen wollen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(B) (D)


Das Ganze wird in Artikel 21 des Grundgesetzes veran-
kert. Artikel 21 ist mehr, Frau Kollegin Künast, als nur
ein Sammelsurium von Buchstaben. Es ist die zentrale
Norm der politischen Teilhabe in unserem Land.

Unsere Demokratie hält auch extreme und radikale
Parteien aus, mit denen wir uns im politischen Wettbe-
werb messen müssen. Aber unser Grundgesetz hat aus
historischen Erfahrungen heraus und aufgrund bitterer
Stunden ein Schutzschild um sich selbst gezogen: Das
Machbare wird nicht allein durch die Mehrheit bestimmt,
sondern auch durch den Kern unserer Verfassung: durch
Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Richtig!)


Wer Demokratie, Menschenwürde und Rechtsstaatlich-
keit angeht und sie nicht zur Grundlage seines Handelns
macht, der hat in unserer wehrhaften Demokratie keinen
Platz und darf auch nicht finanziert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


In diesem Zusammenhang möchte ich die wichtigste
Erkenntnis des Urteils vom 17. Januar 2017 in Erinne-
rung rufen: Nach ihrer Programmatik und Zielsetzung ist
die NPD eine verfassungsfeindliche Partei, welche unse-
re Ordnung beseitigen möchte. Ein Parteiverbot wurde
nicht ausgesprochen, weil sie nicht das Programm dazu
habe, sondern weil sie – ich möchte sagen: glücklicher-
weise – derzeit nicht in der Lage ist, Einfluss zu nehmen.
Damit hat das Bundesverfassungsgericht eine weitere
Kategorie definiert, nämlich die Kategorie der verfas-
sungsfeindlichen, aber derzeit nicht relevanten Partei.
Es ist uns, dem Gesetzgeber, unbenommen, auf diese
neue Kategorie zu reagieren und zu handeln. Ich meine,
wir müssen auch darauf reagieren, weil es niemandem
erklärbar ist, dass zukünftig Wahlwerbung in Form von
rassistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen Sprü-
chen und Plakaten, die den Wesenskern unseres Grund-
gesetzes verletzen, durch den Staat finanziert wird. Das
ist niemandem zu vermitteln.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ja, es geht auch um die Chancengleichheit der Par-
teien; das ist ein wichtiger Verfassungsgrundsatz. Aber
die Chancengleichheit findet dort ihre Grenzen, wo es
Ansatzpunkte für eine verfassungsrechtlich zulässige
Ungleichbehandlung gibt. Diese verfassungsrechtliche
Ungleichbehandlung hat ihren Kern in der Feststellung,
dass eine Partei verfassungsfeindlich ist. Wenn eine Par-
tei verfassungsfeindlich ist, muss niemand mehr ihre Fi-
nanzierung dulden. Das gilt für die NPD; das wird nach
dieser Grundgesetzänderung und weiteren Gesetzesän-
derungen aber auch für zukünftige extremistische Partei-
en gelten, egal ob im linken oder im rechten Spektrum.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, wir haben in der letzten
Sitzungswoche in diesem Hohen Hause viele notwendi-
ge und gute Grundgesetzänderungen beschlossen, von
denen einige im Detail vielleicht etwas technisch sind,

durch die aber viele Milliarden Euro bewegt werden und
durch die sicherlich das Zusammenwirken von Bund und
Ländern besser gestaltet wird. Heute geht es um eine
weitere, eine andere Grundgesetzänderung, bei der es
auf den ersten Blick nicht um viel Geld geht, die aber
wichtige Signale gibt, nämlich dass wir den Feinden un-
serer Verfassung keinen Meter Platz lassen, dass wir ein
wichtiges Symbol für unsere wehrhafte Demokratie set-
zen und dass verfassungsfeindliche Parteien, auch wenn
sie wenig Relevanz haben, nicht durch diesen Staat ge-
fördert werden.

Deswegen bitte ich Sie, und zwar die Abgeordneten
von allen Parteien in diesem Hause um Zustimmung zu
dieser notwendigen und guten Grundgesetzänderung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824011500

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wiederhole mei-

ne Bitte: Nehmen Sie bitte Platz. Wir sind noch nicht
ganz am Ende der Debatte.

Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Rolf
Mützenich das Wort.


Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1824011600

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Am Ende der Aus-

sprache muss ich persönlich, aber auch für meine Frak-
tion auf die grundsätzlichen Bemerkungen der Kollegin
Künast eingehen. Sie hat in ihrer Rede einen Zusammen-
hang zu dem zur namentlichen Abstimmung anstehenden
Gesetzentwurf konstruiert, den ich im Namen meiner
Fraktion eindeutig zurückweisen will.


(Beifall bei der SPD)


Sie haben behauptet, dass sich diejenigen, die die-
sen Gesetzentwurf heute unterstützen, der notwendigen
Auseinandersetzung mit dem Faschismus, mit der NPD
und mit anderen Extremisten entziehen. Sie haben hier
behauptet, dass diejenigen, die in Leipzig oder Dresden
demonstrieren, mehr für den Kampf dagegen tun als wir
heute als Parlamentarier. Ich weise das zurück, insbe-
sondere weil ich in meinen Reihen, in den Reihen der
Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, viele Kolle-
ginnen und Kollegen weiß, die von Mitgliedern der NPD
angegriffen worden sind.

Wir gehen auf dem Weg zu unserem Fraktionssaal
an den Namen derjenigen vorbei, die sich gegen das Er-
mächtigungsgesetz der Nationalsozialisten gestemmt ha-
ben. In dieser Tradition stehen wir.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sage Ihnen sehr eindeutig, liebe Kollegin: Wir las-
sen uns nicht absprechen, dass wir auch unabhängig von
diesem Gesetzentwurf weiterhin gegen die NPD arbeiten
werden.

Vielen Dank.


(Anhaltender Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824011700

Das Wort hat die Kollegin Renate Künast.


(Zurufe von der SPD: Entschuldigen!)



Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824011800

Herr Kollege Mützenich! Liebe Sozialdemokraten!

Ich habe vorhin gesagt, hier in diesem Saal sind Ent-
scheidungen getroffen worden, und in Erinnerung daran
sollten wir auch jetzt agieren. Ich habe schon gar nicht
der Sozialdemokratie abgesprochen, dass sie etwas erlit-
ten hat und dass sie weiß, was Rechtsextremismus heißt.
Aber an einem ändert das nichts: Ich bin nach wie vor
der Meinung, dass diese isolierte Grundgesetzänderung
weniger ist, als immer wieder und jede Woche mutig auf
die Straße zu gehen und sich der Debatte auszusetzen,
wie es zum Beispiel in Leipzig geschieht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der SPD – Zuruf von der SPD: Lieber wieder hinsetzen!)


Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, habe ich nie-
mandem von Ihnen abgesprochen,


(Glocke der Präsidentin)


auch bei diesen Demonstrationen dabei zu sein. Das weiß
ich von diversen bzw. sogar vielen Kollegen aus diesem
Haus; das habe ich gar nicht infrage gestellt.


(Burkhard Lischka [SPD]: Wir haben eine Tradition, die Sie offensichtlich nicht haben! Das ist das Problem! – Weiterer Zuruf von der SPD: Was maßen Sie sich an?)


Herr Lischka, ich mache mir am heutigen Tag Sorgen.


(Burkhard Lischka [SPD]: Ich mache mir im Augenblick Sorgen um die Grünen!)


– Er ruft gerade, er mache sich Sorgen um die Grünen.
Tun Sie das, fahren Sie dabei aber nicht mit einem Zug.


(Widerspruch bei der SPD – Zuruf von der SPD: Ach, hätte sie doch lieber geschwiegen!)


Herr Lischka, wir haben an dieser Stelle einen Kampf
zu führen, der mehr beinhaltet als nur die NPD-Finanzie-
rung. Sie wissen, dass viele dieser Menschen am Ende
woanders hingehen werden. Angesichts geringerer Par-
teibindungen, eines Verdrusses über demokratische Prin-
zipien mit der Folge, dass Menschen nicht wählen gehen,
in Anbetracht von Hate Speech und vielem anderen müs-
sen wir uns vor Augen halten, dass wir einen Beitrag zur
Demokratie leisten müssen. Die Menschen fragen sich:
Welche Spenden fließen an Parteien? Deshalb sage ich
noch einmal: Ich fände es richtiger, wenn dieses Haus
eine Kommission einsetzen würde, die sich grundsätz-
lich mit der Demokratie beschäftigt und dann auch diese
Frage klärt.


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)


Ich hielte das für einen echten Gewinn, meine Damen
und Herren.

Was ich nicht erleben will, ist, dass diese Regelung
gegen uns gewandt wird. Es hat Politiker gegeben, die
aufgrund von Hate Speech Menschen als „Mob“ und
„Pack“ bezeichnet haben. Am Ende standen diese Men-
schen mit dem Schild „Wir sind das Pack“ da und haben
sich noch mehr zusammengeschlossen.


(Burkhard Lischka [SPD]: Mit einem Galgen standen die da! Bleiben wir doch bei der Wahrheit!)


– Ja, zum Beispiel mit einem Galgen. – Auch ich habe
viel Hate Speech abbekommen. Aber auch der Hass ge-
gen die Ungerechtigkeit – so hat es Bert Brecht gesagt –
verzerrt die Züge. Wir müssen denen zeigen, dass wir zur
Demokratie, zu demokratischen Inhalten und demokra-
tischen Verfahren stehen. Diese Aufgabe ist größer als
dieser eine Satz des Bundesverfassungsgerichts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das war ja gründlich daneben! Aber total!)


– Ja, klar! Das müssen Sie ja jetzt rufen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824011900

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf

(Artikel 21)


Mir liegen zu dieser Abstimmung zahlreiche Erklärun-
gen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor.1) Entspre-
chend unseren Regeln nehmen wir diese zu Protokoll.

Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12846, den
Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD
auf Drucksache 18/12357 anzunehmen. Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung,
soweit wir das hier vorne feststellen können, mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion und
der Mehrheit der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung eini-
ger Abgeordneter der Linken angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass zur
Annahme des Gesetzentwurfes die Mehrheit von zwei
Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages er-
forderlich ist; das sind mindestens 420 Stimmen.

Wir stimmen nun über den Gesetzentwurf namentlich
ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Ist das an allen Ab-
stimmungsplätzen der Fall? – Das ist so. Ich eröffne die
Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf.

1) Anlagen 3 und 4






(A) (C)



(B) (D)


Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgeben konnte? – Das ist offensichtlich
nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen.

Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.


(Unterbrechung von 15.54 bis 16.00 Uhr)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824012000

Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Liebe

Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, Platz zu neh-

men, weil wir, wenn ich jetzt gleich das Abstimmungs-
ergebnis mitgeteilt habe, zu weiteren Abstimmungen
kommen.

Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-
führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung bekannt: abgegebene Stimmen 579. Mit Ja ha-
ben 502 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein
57 Kolleginnen und Kollegen, und 20 Kolleginnen und
Kollegen haben sich der Stimme enthalten. Der Gesetz-
entwurf hat die erforderliche Mehrheit erreicht

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 579;
davon

ja: 502
nein: 57
enthalten: 20

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Michael Donth

Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach

(Karlsru he-Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Rainer Hajek

Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr. Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann

(Dort mund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr. Mathias Edwin Höschel
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl

Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann

(Braun schweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel

Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder

(Wies baden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering

Christel Voßbeck-Kayser
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
HonD Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Jürgen Coße

Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe






(A) (C)



(B) (D)


Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski

Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese

(Wol mirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

DIE LINKE

Dr. Dietmar Bartsch
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Eva Bulling-Schröter
Sevim Dağdelen

Klaus Ernst
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Andrej Hunko
Ulla Jelpke
Kerstin Kassner
Jutta Krellmann
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Dr. Gesine Lötzsch
Niema Movassat
Thomas Nord
Harald Petzold (Havelland)

Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Pia Zimmermann

Nein

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Renate Künast

Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Enthalten

DIE LINKE

Herbert Behrens
Christine Buchholz
Roland Claus
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Sigrid Hupach
Susanna Karawanskij
Katrin Kunert
Stefan Liebich
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Dr. Alexander S. Neu
Petra Pau
Martina Renner
Frank Tempel
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel






(A) (C)



(B) (D)


Dann kommen wir nun zur Abstimmung über den
von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge-
brachten Gesetzentwurf zum Ausschluss verfassungs-
feindlicher Parteien von der Parteienfinanzierung. Der
Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/12846, den Ge-
setzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 18/12358 in der Ausschussfassung anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion
und großer Teile der Fraktion Die Linke gegen die Stim-
men der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion,
der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke gegen die
Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenom-
men.

Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp-
fehlung des Innenausschusses auf Drucksache 18/12846
fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe c seiner
Beschlussempfehlung, den Gesetzentwurf des Bundesra-
tes auf Drucksache 18/12100 zur Änderung des Grund-
gesetzes zum Zweck des Ausschlusses extremistischer
Parteien von der Parteienfinanzierung für erledigt zu
erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Be-
schlussempfehlung ist einstimmig angenommen.

Unter Buchstabe d empfiehlt der Ausschuss, auch das
Begleitgesetz auf Drucksache 18/12101 zu dem eben
genannten Gesetzentwurf des Bundesrates für erledigt
zu erklären. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist einstimmig angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses

(3. Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre-

gierung

Fortsetzung der deutschen Beteiligung an
der internationalen Sicherheitspräsenz
in Kosovo auf der Grundlage der Resolu-
tion 1244 (1999) des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und
des Militärisch-Technischen Abkommens
zwischen der internationalen Sicherheits-
präsenz (KFOR) und den Regierungen der

(jetzt: Republik Serbien)

vom 9. Juni 1999

Drucksachen 18/12298, 18/12694


(8. Ausschuss)


Drucksache 18/12695

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfeh-
lung werden wir später namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Gernot Erler für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1824012100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eigentlich muss man eine Debatte über die Verlängerung
des deutschen Anteils an der Kosovo Force einleiten mit
den Worten: Alle Jahre wieder. Tatsächlich reden wir hier
seit 18 Jahren – immer fast genau am gleichen Tag im
Juni – über diesen Dauereinsatz.

Das Einzige, was sich dabei wirklich ändert, sind die
Obergrenzen der Einsatzkräfte. Beim ersten Bundestags-
mandat lag diese noch bei 8 500 Mann. Im vergangenen
Jahr ging dann die Obergrenze runter auf 1 350 Soldatin-
nen und Soldaten. Damit belegt Deutschland Platz drei
bei den Truppenstellern für KFOR, die gegenwärtig eine
Gesamtstärke von 4 400 Kräften aufweist. Jetzt soll für
das bevorstehende Jahr die Obergrenze für die Bundes-
wehrsoldaten erneut herabgesetzt werden, nämlich auf
800, also gerade noch ein Zehntel der Startgröße von
8 500 Kräften.

Auch der Text von Antrag und Begründung der Bun-
desregierung zur KFOR-Verlängerung ist übrigens jedes
Jahr fast derselbe. Wir finden dort vertraute Formeln:
Die Lage im Kosovo sei überwiegend ruhig und stabil,
aber es gebe immer noch ein Konflikt- und Eskalations-
potenzial, und es könne zu unerwarteten Zwischenfällen
kommen. Ich füge hinzu: wie etwa zuletzt im Januar, als
plötzlich die Serben einen Zug nach Mitrovica schickten,
auf dem geschrieben stand: Kosovo ist Serbien.

Ja, es gibt die einheimischen Polizeikräfte der Kosovo
Security Force und auch die Einsatzkräfte der Kosovo
Armed Forces, aber es besteht eben ein Restbedarf an der
internationalen Streitmacht von KFOR, auch wenn sich
das Aufgabenspektrum immer mehr verschiebt: weg von
Eingreiffällen hin zu Aufklärungs- und Beratungsaufga-
ben.

Wer die Lage im Kosovo ein wenig kennt und dann
noch den Blick auf die Gesamtsituation in der Westbal-
kanregion richtet, der wird nicht der Aussage widerspre-
chen, dass KFOR tatsächlich immer noch gebraucht wird,
auch im 18. Jahr nach dem Kosovo-Krieg. Und weil das
so ist, wird die SPD-Fraktion dem Antrag der Bundes-
regierung zustimmen, wie alle Jahre wieder, und es ist
schon richtig: Das anerkennenswerte Engagement unse-
rer Soldatinnen und Soldaten im Kosovo liegt in unserem
ureigenen Sicherheitsinteresse, und es entspricht unserer
Verantwortung als Beteiligte an dem Kosovo-Krieg von

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


1999. Dieser Verantwortung müssen wir gerecht werden,
auch noch nach 18 Jahren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Also alles gut? – Nein, es ist nicht alles gut. Die Lage
im Kosovo bereitet uns Sorgen, und zwar erhebliche.
Am 11. Juni fanden vorgezogene Neuwahlen statt, nach
einem Misstrauensvotum der Opposition, das auch von
einer der Regierungsparteien unterstützt wurde. Als
stärkste Kraft ging aus den Wahlen die sogenannte Ko-
alition der Kommandanten hervor, eine Dreierkoalition
ehemaliger UCK-Kriegsherren. Ihr Kandidat für den
Regierungschef ist Ramush Haradinaj, ein mutmaßlicher
Kriegsverbrecher, der nur deswegen nicht hinter Gittern
sitzt, weil Zeugen ihre Aussage zurückzogen oder unter
ungeklärten Umständen ums Leben kamen.

Zweitstärkste Kraft wurde die linksnationalistische
Gruppierung Vetevendosje, auf Deutsch Selbstbestim-
mung, mit Albin Kurti als Premierministerkandidat. Die-
ser fordert öffentlich eine Vereinigung des Kosovo mit
Albanien und den Abbruch der Verhandlungen mit Serbi-
en, solange Belgrad nicht die Unabhängigkeit des Koso-
vo anerkannt hat. Einer dieser beiden Wahlgewinner ist
auf jeden Fall an der nächsten Regierung beteiligt. Da
bleibt es rätselhaft, wie die Hauptaufgaben des Kosovo
gelöst werden sollen, und die heißen: Bekämpfung von
organisierter Kriminalität und Korruption sowie Aufar-
beitung der Kriegsverbrechen.

Es ist deprimierend, dass trotz KFOR und der größten
Rechtsstaatsmission, die je von der EU entsandt worden
ist, nämlich EULEX Kosovo, der zwischenzeitlich bis
zu 2 000 Polizisten, Richter, Gefängnis- und Zollbeamte
angehörten, und trotz aller Anstrengungen der Fortschritt
so gering ist. Die Neue Zürcher Zeitung hat die Lage im
Kosovo kürzlich mit einem Satz auf den Punkt gebracht.
Dieser lautet – ich zitiere –: „Arbeitslosigkeit, Korrupti-
on und Auswanderung lähmen die Gesellschaft …“

Die Arbeitslosigkeit liegt bei 30 Prozent, die Jugend-
arbeitslosigkeit bei annähernd 70 Prozent. Die korrupten
Eliten plündern weiter das Land aus. Kritiker sagen: Sie
lassen sich ihr Stabilitätsversprechen teuer bezahlen,
auch aus den umfangreichen Hilfszahlungen, die aus
dem Ausland kommen. Wer soll sich da wundern, dass
vor allem junge Leute die Flucht ergreifen? Wir haben
in Deutschland nicht vergessen, wie viele Menschen im
Jahr 2015 aus dem Kosovo und anderen Westbalkanstaa-
ten nach Deutschland flohen, weil sie einfach in ihrem
eigenen Land keine lebenswerte Perspektive für sich er-
kennen konnten.

Man kann nicht über KFOR reden und beschließen,
ohne die Frage zu stellen, wie es eigentlich politisch im
Kosovo und in der ganzen Westbalkanregion weiterge-
hen soll und welchen Herausforderungen wir uns dort
stellen müssen. Seit 2014 gibt es den sogenannten Ber-
lin-Prozess, aber Beobachter vermissen da konkrete Fort-
schrittsprojekte. Eine neue Südosteuropastrategie der EU
wird immer dringlicher, nachdem die 2003 gegebene
EU-Beitrittsperspektive mit ihren quälend langsamen

Umsetzungsschritten längst nicht mehr die erhofften po-
sitiven Wirkungen erzielt.

Vor diesem Hintergrund hat der deutsche Außenminis-
ter Sigmar Gabriel am 31. Mai bei der Aspen-Südosteu-
ropa-Außenministerkonferenz einige sehr konkrete Vor-
schläge gemacht, die aus meiner Sicht die Unterstützung
dieses Hauses verdienen. Er hat dafür geworben, dem
Erweiterungsprozess mit den Westbalkanländern einen
neuen Push zu geben. Er fordert, mehr Mittel konkret zur
Linderung sozialer Notlagen einzusetzen. Es gehe darum,
in einem Berlin-Prozess reloaded die regionale Koopera-
tion zu stärken und dabei sichtbare Verbesserungen für
die Menschen zu erreichen. Große Infrastrukturprojekte
wie etwa die Autobahn, die Serbien, Kosovo und Alba-
nien verbinden soll, müssten beschleunigt werden, aber
auch die IT-Infrastruktur müsse verbessert werden, zum
Beispiel über einen regionalen IT-Gipfel. Schließlich
sollte ein Fonds aufgelegt werden, um die duale Ausbil-
dung, mit der Deutschland so gute Erfahrungen gemacht
hat, vor Ort zu etablieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aus solchen Bausteinen sollte eine neue EU-Strate-
gie für Südosteuropa errichtet werden. Europa konnte die
vier blutigen Balkankriege der 90er-Jahre nicht verhin-
dern. Die EU hat daraus aber gelernt und hat der ganzen
Region ab 1999 mit dem Stabilitätspakt für Südosteuro-
pa und 2003 mit der EU-Beitrittsperspektive das Tor zu
einer positiven Europazukunft aufgestoßen. Jetzt muss
eine Erosion dieser positiven Europavision in einer Regi-
on verhindert werden, in der sich längst andere Player an
einer offensiven Einflusspolitik alter Schule versuchen,
ohne dabei das Wohlergehen der Menschen in dieser
Region im Auge zu haben. Es ist jetzt Zeit, politisch zu
handeln – jenseits der Sicherungsaufgaben, für die wir
KFOR weiter brauchen. Aber das ist bereits eine Aufgabe
für den nächsten Bundestag.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dieser Rede ver-
abschiede ich mich nach mehr als 30 Jahren und nach
acht Wahlperioden aus dem Deutschen Bundestag. Ich
habe mich in dieser ganzen Zeit vor allem mit der inter-
nationalen Politik beschäftigt, mit dem Schwerpunkt auf
Russland, Osteuropa, Zentralasien und Südosteuropa.

Wir haben in Deutschland eine parlamentarische po-
litische Kultur mit bemerkenswerten Rechten des Bun-
destages bei internationalen Fragen entwickelt. Dabei
sprechen wir nur über einen Ausschnitt, wenn wir auf die
strikte Genehmigungspflicht jedes auch noch so begrenz-
ten Auslandseinsatzes der Bundeswehr verweisen. In
Wirklichkeit hat sich der Bundestag erhebliche Mitwir-
kungs- und Kontrollrechte auf allen Feldern der Außen-,
Sicherheits- und internationalen Politik unseres Landes
gesichert, und er hat bisher alle Versuche abgeschmet-
tert, diese Rechte einzuschränken. Solche Versuche hat
es durchaus gegeben.

Gerade die heutige 19. Debatte um den Einsatz im
Kosovo ist ein guter Hintergrund, um auf dieses Allein-
stellungsmerkmal unserer parlamentarischen politischen
Kultur hinzuweisen. Wer einmal einen Blick darauf
wirft, welche Rechte zum Beispiel unsere französischen

Dr. h. c. Gernot Erler






(A) (C)



(B) (D)


Kolleginnen und Kollegen bei der Pariser Außen- und
Sicherheitspolitik haben, weiß, wovon hier die Rede ist.
Ich plädiere nachdrücklich dafür, an diesem Alleinstel-
lungsmerkmal festzuhalten, so unbequem es für das Re-
gierungshandeln manchmal auch sein mag.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Noch nie waren parlamentarische Mitwirkung und
Kontrolle bei der Bewältigung internationaler Herausfor-
derungen so nötig und wichtig wie heute. Wir sind kon-
frontiert mit den Folgen von politischen Entscheidungen,
die sich über Regeln und Prinzipien einschließlich des
Völkerrechts hinweggesetzt haben. Der Kosovokrieg, so
hat es Kofi Annan einmal gesagt, bewegte sich in einer
Grauzone des Völkerrechts. Die Folgen beschäftigen uns
bis heute. Der Irakkrieg, an dem Deutschland zum Glück
nicht teilgenommen hat, war völkerrechtswidrig und hin-
terließ eine ganze Failing-State-Landschaft, die sich als
Biotop für den islamistischen Terror erwiesen hat. Der
Missbrauch der Bengasi-Resolution des UN-Sicherheits-
rats vom März 2011 hat uns letztlich vor schier unlös-
bare Probleme in Libyen gestellt, hat internationales
Vertrauen zerstört und nebenbei wahrscheinlich noch das
Prinzip der Schutzverantwortung auf Dauer diskreditiert.
Wer heute die russische Seite auf ihre Regelverletzungen
im Ukraine-Konflikt anspricht, bekommt immer dieselbe
Antwort: Und was habt ihr im Kosovo, im Irak und in
Libyen gemacht?


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!)


In dieser Falle stecken wir. Da herauszukommen und
neues Vertrauen zu schaffen, wird sehr viel Kraft kosten.
Eine Anstrengung, die ohne den konstruktiven und krea-
tiven Einsatz von Parlamentariern und Parlamenten nicht
gelingen wird. Eine Weltpolitik als Reparaturbetrieb hat
keine Zukunft. Unser Ziel muss die globale Verantwor-
tungspartnerschaft bleiben, in die wir alle relevanten
Staaten mit einbeziehen müssen. Dass es sich lohnt, sich
dafür einzusetzen, soll meine letzte Botschaft von diesem
Pult aus gewesen sein.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Anfügen möchte ich nur ein kurzes Wort des Dankes:
an meine Mitarbeiter, die ich sehr vermissen werde, an
die Beschäftigten dieses Hohen Hauses, die ihre Arbeit
ebenso lautlos wie effizient und freundlich verrichten,
und an alle Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich zu-
sammenarbeiten durfte, immer mit Respekt und immer
fair.

Ich danke Ihnen.


(Anhaltender Beifall bei der SPD, der CDU/ CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824012200

„... immer mit Respekt und immer fair“: Kolleginnen

und Kollegen des gesamten Hauses haben Ihnen eben mit
ihrem Beifall hier zugestimmt. Ich denke, ich spreche
im Namen aller Abgeordneten und auch der von Ihnen
angesprochenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Verwaltung, wenn wir Ihnen für Ihre weiteren Unterneh-
mungen – ich bin fest davon überzeugt, wir werden von
Ihnen hören – alles Gute wünschen.


(Beifall)


Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat die Kolle-
gin Sevim Dağdelen für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824012300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Lieber Herr Kollege Erler, auch ich bedanke
mich – auch im Namen meiner Fraktion – für die Zusam-
menarbeit und wünsche Ihnen vor allen Dingen für die
Zukunft alles Gute.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD – Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]: Danke schön!)


Aber eines erlauben Sie mir dann doch:


(Michael Brand [CDU/CSU]: Ich wusste es! Es ist ein vergiftetes Lob!)


Bei der Beurteilung des Jugoslawien-Kriegs war Ihr ehe-
maliger Bundeskanzler Gerhard Schröder etwas eindeu-
tiger. Er sagte: Ich habe als Kanzler damals mit dem Ju-
goslawien-Krieg gegen das Völkerrecht verstoßen. Das
sagte selbst Bundeskanzler Gerhard Schröder.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Sie haben das Putin-Zitat vergessen!)


Ich finde, das gehört bei der eindeutigen Einordnung der
Geschichte zur ehrlichen Debatte dazu.

Im Mandatstext für Ihren KFOR-Einsatz sagen Sie:
Der Auftrag und das Ziel sind die „Unterstützung zur
Entwicklung eines stabilen, demokratischen, multieth-
nischen und friedlichen Kosovo“. Dann schauen wir uns
das einmal an. Seit 18 Jahren steht die Bundeswehr mitt-
lerweile im Kosovo. Milliarden wurden für diesen Ein-
satz ausgegeben, Milliarden versickerten als Wirtschafts-
hilfe im Land. Das Ergebnis ist eine Katastrophe. War
die Lage im Kosovo schon immer politisch heikel, haben
jetzt die Extremisten im Kosovo endgültig Oberwasser
bekommen. „Radikale Parteien gewinnen Parlaments-
wahl im Kosovo“, so die Schlagzeile auf tagesschau.de.


(Zuruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU])


– Hören Sie mal lieber zu, Herr Kauder! – In der Tat
könnte die Bilanz des Engagements der Bundesregierung
nicht negativer sein.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn ich zuhören soll, müssen Sie besser werden! Sonst wird es nichts!)


Dr. h. c. Gernot Erler

http://www.tagesschau.de/





(A) (C)



(B) (D)


So wird mit dem ehemaligen UCK-Kommandanten und
mutmaßlichen Kriegsverbrecher – Ihr Verbündeter, Herr
Kauder – Ramush Haradinaj,


(Michael Brand [CDU/CSU]: Unverschämtheit!)


unterstützt von einem völkisch-nationalistischem Partei-
enbündnis, mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Antidemo-
krat erster Klasse künftig an der Spitze des Kosovo ste-
hen. Mit deutschen Truppen wird sozusagen ein Gebilde
geschützt, an dessen Spitze ein Mann – ja, man muss das
sagen – mit NPD-Ideologie steht, dessen Ziel es ist, den
gesamten Balkan in Brand zu setzen.

Diese Bundesregierung treibt gleichzeitig unverdros-
sen den EU-Beitritt dieses Kosovo voran. Gemeinsam
mit der Europäischen Union werden die eigenen Kriteri-
en einfach so in den Staub getreten.

Blicken wir zurück: Haradinaj und seine Gruppe wa-
ren wegen gewaltsamer Verschleppung von Zivilisten,
Entführung, Freiheitsberaubung, Folter, Mord, Verge-
waltigung angeklagt worden. Haradinaj wurde vom
Haager Gericht freigesprochen aus dem ganz einfachen
Grund, weil kein Zeuge mehr gegen ihn aussagen konnte
oder auch wollte.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Niemand im Parlament verteidigt Haradinaj! Niemand!)


Von den ursprünglich zehn Zeugen gegen ihn überlebte
nur ein einziger Zeuge. Dieser zog seine Aussage zurück,
nachdem er knapp einen Anschlag überlebt hatte.

Ich möchte an die anderen neun Zeugen erinnern, die
alle ums Leben gekommen sind oder ermordet wurden.
Einer wurde von einem Jeep überfahren, ein anderer mit
einem Messer erstochen, zwei wurden erschossen, die
anderen bei professionell organisierten Attentaten ge-
tötet. Eine eindrucksvolle Bilanz Ihres Verbündeten auf
dem Weg zum Rechtsstaat im Kosovo, würde ich sagen.

Das Schweigen der Bundesregierung zu diesen Vor-
gängen spricht Bände. Es untergräbt aber auch die Glaub-
würdigkeit der Europäischen Union insgesamt in Sachen
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.


(Beifall bei der LINKEN)


Haradinaj fordert ein Großalbanien. Mit Gewalt soll
bis zu einem Drittel des serbischen Territoriums annek-
tiert werden. Die Stadt Nis soll selbst dazugehören zu
diesem völkischen Albtraum. Ich finde, es ist wirklich
beschämend, dass diese Leute die Garanten der Bundes-
regierung für eine demokratische Entwicklung im Koso-
vo sein sollen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Diese Bundesregierung unterstützt nämlich im Rah-
men der KFOR-Soldaten solche Leute. Ich würde sagen,
jeder vernünftige Mensch würde die Unterstützung die-
ses Kosovo endlich einstellen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Zu dieser Schreckensbilanz kommt ja noch eines hin-
zu: dass sich unter den Augen deutscher Truppen das
Kosovo zu einem islamistischen Terrorzentrum entwi-

ckelt hat. So sagte die Bundesregierung in ihrer Antwort
auf meine Anfrage, dass durch saudische Gelder die För-
derung des Islamismus extremst vorangetrieben wird.

Die Konsequenzen sind wirklich verheerend. Auf die
Bevölkerung hochgerechnet, hat keine Region, keine
einzige Region in Europa so viele Leute zu den islamisti-
schen Mörderbanden nach Syrien gesandt wie der Koso-
vo. Wie gesagt: Ich finde, das ist eine Schreckensbilanz.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Es verwundert mich auch nicht, dass dies bei den Be-
ratungen zu KFOR nicht einmal Gegenstand im Kabinett
gewesen ist, wie mir die Bundesregierung mitteilte. Sie
agieren nach dem Prinzip der drei Affen: nichts hören,
nichts sehen, nichts sagen. Ich finde, damit muss Schluss
sein. Diese verheerende deutsche Politik auf dem Balkan
muss beendet werden.


(Beifall bei der LINKEN – Peter Beyer [CDU/CSU]: Was schlagen Sie denn vor?)


Es kommt noch hinzu: Serbien wollen Sie auch noch
zu einer völkerrechtswidrigen Anerkennung der einsei-
tigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo zwingen,
indem Sie mit dafür sorgen, dass dies unter Bruch des
europäischen Rechts zu einem Kriterium der Beitrittsver-
handlungen wird. Den Extremisten, den Nationalisten im
Kosovo rollen Sie im Gegenzug den roten Teppich aus.
Ich finde, die Förderung dieser großalbanischen Nationa-
listen auf dem Balkan muss aufhören.


(Henning Otte [CDU/CSU]: Wie viele Minuten sind das jetzt?)


Wir brauchen eine Umkehr in der deutschen Außenpoli-
tik: zurück zum Völkerrecht, zurück zur Rechtsstaatlich-
keit, zurück zur Demokratie. Deshalb sagen wir: Stellen
Sie Ihre Unterstützung ein, und ziehen Sie endlich die
Bundeswehr aus dem Balkan ab!


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Vom Balkan, nicht aus! – Gegenruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Ja, Herr Lehrer! Oberlehrer! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Bei Ihnen nötig! – Gegenruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Unterstützen Sie mal die Islamisten da!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824012400

Das Wort hat der Kollege Dr. Franz Josef Jung für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1824012500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Frau Kollegin Dağdelen, wenn man Ihre Ausfüh-
rungen hier hört, dann muss man schon deutlich sagen,
dass erstens die Angriffe auf die Bundesregierung mit
Nachdruck zurückgewiesen werden müssen


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Warum denn?)


Sevim Dağdelen






(A) (C)



(B) (D)


und zweitens Sie offensichtlich völlig vergessen haben,
dass auf dem Balkan durch Massenvergewaltigungen
und Massenhinrichtungen eine Situation von kriegeri-
scher Auseinandersetzung entstanden ist, die ohne das
Eingreifen der NATO und damit auch unserer Bundes-
wehr nicht wieder in Stabilität und Frieden übergegangen
wäre.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Rechtfertigen Sie den Völkerrechtsbruch? – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Hören Sie mit dieser Legende auf!)


Wir reden heute über die Verlängerung des KFOR-Man-
dats, um weiterhin eine Stabilisierung und eine friedliche
Entwicklung auf dem Balkan und konkret im Kosovo zu
ermöglichen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Was für eine friedliche Entwicklung? – Weitere Zurufe von der LINKEN)


Meine Damen und Herren, es liegt auch in unserem
Sicherheitsinteresse, dass sich die Region weiter stabi-
lisiert, dass die Länder auf ihrem Weg zur Europäischen
Union von uns unterstützt werden, dass wir vermeiden,
dass Konflikte neu ausbrechen.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Großalbanien! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/ CSU]: Jetzt sind Sie mal ruhig hier! – Gegenruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sie waren bei mir auch nicht ruhig! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sind ein bisschen sehr gewöhnlich hier! – Gegenruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Unverschämt!)


Da kann ich nur das unterstreichen, was Herr Erler gesagt
hat. Eine Provokation wie beispielsweise der Zug mit der
Aufschrift „Kosovo ist Serbien“ muss in Zukunft unter-
bleiben, weil dies nur zusätzliche Konflikte schürt und
nicht zu einer friedlichen und stabilen Entwicklung im
Kosovo beiträgt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, es ist zutreffend: Seit
18 Jahren ist KFOR auch mit unseren Soldatinnen und
Soldaten im Kosovo engagiert. Mittlerweile sind die
kosovarischen Sicherheitskräfte in der Lage, Sicherheit
herzustellen, beispielsweise bei Großdemonstrationen
oder gewaltsamen Ausschreitungen. KFOR stellt heute
eine Rückversicherung dar, falls die Lage wieder instabil
werden sollte. Hier denke ich insbesondere an das Nord-
kosovo.

Wir müssen auch sehen, dass die Stabilisierungserfol-
ge dazu geführt haben, dass die 50 000 Soldatinnen und
Soldaten, die ursprünglich im Kosovo waren – davon im-
merhin 6 440 Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten –,
auf insgesamt 4 400, davon 550 Bundeswehrsoldaten,
reduziert wurden. Deswegen können wir jetzt das Man-
dat von 1 350 Soldatinnen und Soldaten auf 800 zurück-
führen.

Aber ich denke, es bleibt unser Ziel, dass wir alle An-
strengungen unternehmen, um auch dieses Mandat zu

einem guten Abschluss zu führen. Dazu gehört, dass wei-
terhin die Normalisierung der Beziehungen mit Serbien
unterstützt wird, sodass alle Bürger des Kosovo in Frie-
den und in sicheren Grenzen leben können.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Mit Erpressungen!)


Kosovo muss ein stabiler multiethnischer Staat sein, in
dem alle Minderheiten, auch die Serben, in Frieden und
Freiheit gleichberechtigt leben können.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Großalbanien!)


Meine Damen und Herren, es braucht dazu auch wie-
der einen neuen Impuls. Es ist wahr, dass die illegalen
serbischen Doppelstrukturen im Bereich Justiz und Si-
cherheit abgebaut worden sind, dass beispielsweise die
Brücke in Mitrovica wieder geöffnet wurde, aber es be-
darf noch des serbischen Gemeindeverbandes – das muss
jetzt von kosovarischer Seite ermöglicht werden –, um
eine weitere stabile und friedliche Entwicklung im Koso-
vo zu bewirken.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Großalbanien!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach den
Wahlen ist noch nicht klar, wie die neue Regierung aus-
sehen wird. Aber eines muss klar sein: dass der Nor-
malisierungsprozess weiter intensiviert wird, dass die
Rechtsstaatlichkeit vorangebracht wird, dass organisierte
Kriminalität und Korruption bekämpft werden und dass
auch der Kampf gegen den IS im Kosovo entsprechend
intensiviert wird, weil das die Voraussetzung für eine zu-
künftig auch in wirtschaftlicher Hinsicht positive, stabile
und friedliche Entwicklung in dieser Region ist. Daher
wollen wir mit KFOR und mit unseren Soldatinnen und
Soldaten diesen Prozess intensiv unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Mit Kriegsverbrechern!)


Im Wahlkampf – es wurde angesprochen – sind ver-
schiedene Dinge artikuliert worden. Ich glaube, ei-
nes muss man sehr deutlich sehen: Eine Forderung zur
Schaffung von Großalbanien ist genau das Gegenteil von
dem, was friedliche Entwicklung und Stabilisierung be-
deutet. Deshalb müssen solche Forderungen in Zukunft
unterbleiben und möglichst schnell vom Tisch, weil dies
zu keiner positiven Entwicklung im Kosovo führen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Hört! Hört!)


Das gefährdet eine friedliche und europäische Entwick-
lung. Deshalb bleibt, glaube ich, der Einsatz unserer Sol-
datinnen und Soldaten hier notwendig.

Ich denke, man muss auch deutlich machen – ich habe
die Zahlen gerade noch einmal in Erinnerung gerufen –,
welchen Beitrag unsere Soldatinnen und Soldaten dort
geleistet haben. Im Übrigen haben – auch das gehört zu
einer solchen Debatte – Soldatinnen und Soldaten, die

Dr. Franz Josef Jung






(A) (C)



(B) (D)


sich dort für eine friedliche Entwicklung eingesetzt ha-
ben, ihr Leben gelassen. Deshalb gehört es im Rahmen
dieser Debatte auch dazu, unseren Soldatinnen und Sol-
daten für diesen Einsatz zu danken, den sie für Frieden
und Stabilität im Kosovo geleistet haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Was für eine Stabilität?)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, da dies auch
meine letzte Rede im Deutschen Bundestag sein wird,
will ich noch drei Bemerkungen machen.

Erstens. Ich habe meine Abgeordnetentätigkeit –
wenn ich die Mandate auf Kreis-, Landes- und Bundes-
ebene zusammenzähle, komme ich auf 45 Jahre – immer
mit großer Freude und Engagement wahrgenommen. Ich
bedanke mich für die gute und freundschaftliche Zu-
sammenarbeit, auch für die Unterstützung der Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter. Ich will hinzufügen: Ich glau-
be, unser System der repräsentativen parlamentarischen
Demokratie hat sich in Deutschland bewährt und sollte
auch in Zukunft unser Prinzip des Parlamentarismus in
Deutschland bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Ich sage auch, dass ich meine Regierungs-
funktionen, sowohl in Hessen als auch im Bund, gerne
wahrgenommen habe, am liebsten – das gebe ich zu –
das Amt des Verteidigungsministers. Mir war es immer
ein Herzensanliegen, mich für unsere Soldatinnen und
Soldaten einzusetzen. Ich habe das im Fall des Kosovo
erlebt. Es gibt keinen Berufsstand, der schwört, dass er
das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer,
das heißt unter Einsatz seines Lebens, verteidigt. Unse-
re Soldatinnen und Soldaten leisten hier einen wichtigen
Dienst für unsere Sicherheit, für eine friedliche Entwick-
lung, und deshalb haben sie auch unsere Unterstützung
und unseren Dank verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Einen dritten Punkt möchte ich gerne noch anspre-
chen: Zum Höhepunkt meines politischen Lebens gehört,
dass wir die Einheit unseres Vaterlandes in Frieden und
Freiheit, ohne dass ein Tropfen Blut vergossen wurde,
erreichen konnten. Unter der Verantwortung und Füh-
rung unseres damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl,
dem Kanzler der Einheit, haben wir dies geschafft. Ich
bin dankbar, dass ich damals die ersten Kontakte zu Re-
formkräften der Ost-CDU hatte, dass ich die Allianz für
Deutschland mitgründen durfte und dass ich die erste
Großveranstaltung von Helmut Kohl mit 160 000 Bür-
gerinnen und Bürgern in Erfurt mitorganisieren durfte.
Meine Damen und Herren, wenn die Allianz für Deutsch-
land am 18. März 1990 nicht erfolgreich gewesen wäre,
wäre der 3. Oktober 1990 so nicht erfolgt. Das ist meine

felsenfeste Überzeugung. Dafür bin ich umso mehr dank-
bar.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gerade am heutigen Tag verneige ich mich deshalb
in Verehrung und Dankbarkeit vor dem großen europäi-
schen und deutschen Staatsmann Helmut Kohl.

Meine Damen und Herren, zum Schluss möchte ich
auch meiner Familie danken. Ohne meine Frau wäre all
das so nicht möglich gewesen. Herzlichen Dank. Und al-
les Gute dem Deutschen Bundestag.

Besten Dank.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE] – Die Abgeordneten der CDU/ CSU erheben sich)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824012600

Alles Gute auf dem weiteren Weg. – Wir fahren in der

Debatte fort. Das Wort hat die Kollegin Marieluise Beck
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lieber Kollege Erler, lieber Kollege Jung,
solche Abschiede gehören zum Wesen der parlamentari-
schen Demokratie; denn sie bedeuten Wechsel und Rota-
tion. Sie bringen immer etwas Wehmut mit sich. Deswe-
gen möchte auch ich an dieser Stelle Ihnen meinen Dank
dafür aussprechen, dass wir in den vergangenen Jahren
immer, und zwar ausnahmslos, mit Respekt miteinander
umgegangen sind und sehr fruchtbar miteinander arbei-
ten konnten. Schönen Dank dafür.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben wegen
der Parlamentsgebundenheit von Bundeswehreinsätzen
im jährlichen Rhythmus – das schon seit vielen Jahren –
immer wieder Debatten um Mandate. Das bringt das
Problem mit sich, dass manchmal die politische Kom-
plexität, die hinter diesen Mandaten steckt, ein wenig
unterzugehen droht. Deswegen möchte ich heute gerne
die Gelegenheit ergreifen, nicht nur über das Kosovo,
sondern über den gesamten Westbalkan zu sprechen.

Mit der Annexion der Krim, dem Krieg in der Ukrai-
ne, mit der noch größeren Katastrophe in Syrien, mit dem
Failed State Libyen scheint das Kosovo und der Westbal-
kan eigentlich eine Region zu sein, die relativ ruhig ist
und auf die wir nicht so stark schauen müssen. Hier, mei-
ne ich, sollten wir im Sinne eines vorsorgenden Blicks
etwas genauer hinschauen. Der Westbalkan ist in keiner
guten Verfassung. Leider muss ich sagen, dass ich mehr
Brisanz und mehr Sprengstoff in der Region sehe, als bei
uns öffentlich wahrgenommen wird.

Wenn wir uns noch einmal die Situation in den Folge-
republiken des ehemaligen Jugoslawiens anschauen, so

Dr. Franz Josef Jung






(A) (C)



(B) (D)


stellen wir fest: Slowenien ist auf einem guten Weg. Es
ist langjähriges Mitglied der Europäischen Union. Auch
Kroatien ist unter dem Dach der Europäischen Union, ob-
wohl es immer wieder starke innenpolitische Herausfor-
derungen gibt. Serbien stellt sich stabil dar. Darüber gibt
es bei uns eine große Erleichterung. Allerdings sollten
wir ehrlicherweise zugeben, dass diese Stabilität einen
politischen Preis hat; denn es gibt in diesem Land star-
ke autoritäre Tendenzen, die ausgehen von dem jetzigen
Präsidenten und ehemaligen Premier Vucic. Wir sollten
sehr entschieden bleiben und die Augen nicht verschlie-
ßen, weil wir Angst vor den Konsequenzen der Wahrheit
haben. Die innere Verfasstheit des heutigen Serbiens
passt nicht zum Wertekanon der EU. Es bleibt da also
noch sehr viel zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Bosnien und Herzegowina sind in einem dysfunktio-
nalen Staatsaufbau festgefahren, den die internationale
Gemeinschaft mit zu verantworten hat. Das Land findet
aber auch nicht die eigene politische Kraft, sich daraus
zu befreien. Es gibt nationalistische Tendenzen, und die
entsprechenden Kräfte nutzen diese Dysfunktionalität,
um ihre Machtposition zu stabilisieren. Es ist ein Land in
besorgniserregender Agonie. Die Jungen und gut Ausge-
bildeten verlassen das Land. Ich meine, wir sollten hier
ehrlich genug sein, um festzustellen, dass die Frage, wie
man diesem Land die positiven Impulse, die es eigentlich
bräuchte, von außen geben könnte, bei uns eine gewisse
Ratlosigkeit hinterlässt. Immer mal wieder droht Herr
Dodik mit einer Sezession, vielleicht nur spielerisch –
wir wissen es nicht so genau. Aber auch das destabilisiert
das Land immer wieder.

Mazedonien befindet sich im Würgegriff einer autori-
tären Clanstruktur. Der Weg in eine politische Transfor-
mation war durch ungeheuerliche Vorgänge im Land lan-
ge verstellt, und es droht immer das Wiederaufflammen
der ethnischen Konflikte in diesem albanisch-slawischen
Land. Es bleibt also bei der Fragilität dieses Landes.
Über all dem – das ist eben ausführlich dargelegt wor-
den – schwebt das Damoklesschwert der Fantasie von
einem ethnisch homogenen Großalbanien, und eine sol-
che Entwicklung würde das Land tatsächlich wieder in
Flammen setzen. Dass die Partei von Albin Kurti, einem
Nationalisten und erklärten Großalbaner, bei den Wah-
len im Kosovo zur zweitstärksten Kraft geworden ist und
Haradinaj, wie wir alle wissen, dem Haager Gerichtshof
nur aufgrund der Zeugensituation entkommen ist – das
alles ist nicht beruhigend.

Wir haben im Jahre 2014 viel von Christopher Clark
gehört und durch sein Buch Die Schlafwandler gelernt,
wie fragil der Westbalkan ist und wie wichtig er für uns
in Europa immer gewesen ist, welche explosive Kraft der
Balkan gehabt hat. Es kommt jetzt etwas Neues hinzu:
Russland drängt als Player auf den Westbalkan. Wir ha-
ben also eigentlich wieder die tektonischen Verhältnisse,
die zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges geführt haben:
eine serbische Orthodoxie, die sich gen Russland orien-
tiert, ein christlich-katholisches Kroatien mit der Ver-
bindung nach Rom und eine muslimische Bevölkerung

mit der Bindung an das Erbe des Osmanischen Reichs.
Wer sich mit diesen Fragen, mit den langen Linien der
Geschichte, nicht auseinandersetzt, wird die Schwierig-
keiten, die wir derzeit auf dem Balkan haben, nicht ver-
stehen können.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824012700

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Ich bin gleich fertig.

Nur noch eine Frage an Sie, Frau Dağdelen: Ist denn
dann die Konsequenz, zu gehen, was dazu führen würde,
dass die ganze Region wieder in Flammen aufgeht? Ich
meine, dass wir gerade wegen oder trotz der Schwierig-
keiten die Verpflichtung haben, zu bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824012800

Der Kollege Florian Hahn hat für die CDU/CSU-Frak-

tion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1824012900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mi-
trovica im Norden des Kosovo ist seit dem Kosovokrieg
eine geteilte Stadt: im Süden die Kosovo-Albaner, im
Norden die Kosovo-Serben. Die Brücke, die beide Sei-
ten verbinden sollte, ist ein Symbol für den Konflikt der
beiden ethnischen Gruppen im jüngsten Staat Europas.
Aus Sicherheitsgründen wird die Brücke von KFOR-Sol-
daten bewacht; sie ist nicht für den Verkehr freigegeben
und lediglich für Fußgänger geöffnet. Kontakt zwischen
Kosovaren auf beiden Seiten der Brücke gibt es nur ein-
geschränkt. Die Kosovo-Serben im Norden planen sogar
wieder, eine Mauer zu errichten, die erst Anfang dieses
Jahres eingerissen wurde. Das Beispiel der Stadt Mitro-
vica zeigt uns: Die Situation im Norden des Kosovo ist
weiter angespannt.

Obwohl man positiv bewerten muss, dass nach Aussa-
ge der OSZE die Neuwahlen im Juni dieses Jahres ohne
größere Vorkommnisse durchgeführt wurden, wird das
Ergebnis die Spannungen wohl weiter verschärfen. Aus
der Wahl sind Parteien und Bündnisse hervorgetreten,
die für wenig Kompromissbereitschaft stehen und die als
populistisch, nationalistisch und radikal gelten. Stärkste
Kraft wurde ein Zusammenschluss, der von drei ehemali-
gen UCK-Kommandeuren angeführt wird, mit dem sehr
umstrittenen Spitzenkandidaten Haradinaj. Das müssen
wir im Blick behalten.

Die Koalitionsverhandlungen werden wahrscheinlich
lange dauern, und das wird Zeit kosten, was dazu füh-
ren wird, dass sich wichtige Reformschritte im Kosovo
verzögern. Das ist für eines der ärmsten Länder Europas
fatal. Als Teil Europas, als potenzieller EU-Beitrittskan-

Marieluise Beck (Bremen)







(A) (C)



(B) (D)


didat braucht das Land weiterhin unsere Unterstützung,
zum Beispiel im Bereich der Entwicklungszusammenar-
beit.

Deutschland ist der größte bilaterale Geldgeber in der
Entwicklungszusammenarbeit. Im Zentrum steht die Be-
kämpfung der massiven Arbeitslosigkeit, insbesondere
von Jugendlichen. Wir stärken zudem kleine und mittlere
Unternehmen und Unternehmen in den Industriesekto-
ren, indem wir den Energienetzausbau und den Ausbau
der Abwasser- und Abfallentsorgung fördern. Darüber
hinaus beteiligt sich Deutschland an der EU-Rechtsstaat-
lichkeitsmission EULEX aktuell mit 23 Soldaten, die
Kosovo beim Aufbau von Polizei, Justiz und Verwaltung
unterstützen.

Wir leisten auch diplomatische Unterstützung. Für
eine langfristige Stabilität muss sich der Kosovo wieder
mit seinem Nachbarn Serbien verständigen. Deutschland
setzt sich für den Dialog der beiden Länder und für die
Umsetzung des Normalisierungsabkommens aus dem
Jahr 2013 ein, weil der Prozess auch hier von Spannun-
gen geprägt ist.

Aber wir brauchen eben auch militärische Unterstüt-
zung. Es besteht im Norden des Kosovo weiterhin Eska-
lations- und Konfliktpotenzial. Die kosovarische Polizei
verfügt zwar über immer bessere Fähigkeiten, und die
Lage ist im Moment grundsätzlich ruhig. Allerdings ist
sie nur schwer berechenbar. Kosovo braucht weiterhin
die KFOR-Truppen im Land. Das Engagement der Sol-
datinnen und Soldaten der Bundeswehr ist sehr wichtig.
Deutschland ist zusammen mit den USA und Italien der
größte Truppensteller. Durch die verbesserte Sicherheits-
lage können wir jedoch die Mandatsobergrenze auf jetzt
800 Soldatinnen und Soldaten weiter senken. Wir treiben
auch die Anpassung des deutschen Beitrags in Form von
Eingreifkräften sowie Aufklärungs- und Beratungskräf-
ten voran. Meine Damen und Herren, das ist ein vernetz-
ter Ansatz. So gestalten wir verantwortliche Politik.

An dieser Stelle möchte ich unseren Soldatinnen und
Soldaten danken, die wir seit 1999 Jahr für Jahr in den
Kosovo entsenden und die dort ihren Dienst tun.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Wie lange denn noch?)


Sie verdienen die beste Ausbildung und die beste Ausrüs-
tung. Deshalb geht an dieser Stelle mein herzlicher Dank
an Sie, Frau Ministerin. Sie haben sich genauso wie Ihre
Vorgänger, genauso wie du, lieber Franz Josef Jung, für
eine Verbesserung in diesem Bereich eingesetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die KFOR-Mission ist die tragende Säule des um-
fassenden vernetzten Ansatzes, den wir gemeinsam mit
unseren Partnern im Kosovo verfolgen. Nur in einem si-
cheren Umfeld sind politische Fortschritte und Entwick-
lungen möglich.

Meine Damen und Herren, lieber Franz Josef Jung,
sehr geehrter Dr. Erler, sehr geehrte Frau Beck, ich
möchte mich herzlich für Ihre Beiträge nicht nur in dieser
Debatte, sondern in den vielen anderen Debatten, die wir

geführt haben, bedanken. Man muss nicht immer einer
Meinung sein, aber Sie haben zumindest immer wichtige
Beiträge geliefert, um gemeinsam zu überlegen, welche
Lösungen es gibt. Unsere Frau Kollegin Dağdelen kann
sich davon ein Scheibchen abschneiden;


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist doch Kannibalismus! – Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist keine Scheibe, das ist ein Riesenstück! – Peter Beyer [CDU/CSU]: So viele Scheiben verkraftet sie gar nicht!)


denn sie hat heute nur dargestellt, was alles schlecht
läuft, und dafür nur die Bundeswehr verantwortlich ge-
macht. Das ist falsch. Sie haben keine einzige Lösung
präsentiert, Frau Kollegin.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)


Meine Damen und Herren, wir brauchen einen langen
Atem, damit in Zukunft Brücken in Mitrovica die Men-
schen verbinden und nicht trennen. Sie sollen auch nicht
durch Mauern getrennt werden. Daher bitte ich Sie, der
Verlängerung des KFOR-Mandats zuzustimmen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824013000

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswär-
tigen Ausschusses auf Drucksache 18/12694 zu dem An-
trag der Bundesregierung zur Fortsetzung der deutschen
Beteiligung an der internationalen Sicherheitspräsenz
in Kosovo. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Drucksache 18/12298 anzunehmen. Wir stimmen über
die Beschlussempfehlung namentlich ab. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze einzunehmen. – Sind alle Plätze an den Urnen be-
setzt? – Ich eröffne die Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung.

Ein kleiner Hinweis für die Kolleginnen und Kolle-
gen, die noch abstimmen wollen: Hier vorn ist das ohne
Probleme möglich.

Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, das seine Stim-
me nicht abgeben konnte? – Das ist nicht der Fall. Ich
schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt
gegeben.1)

Ich bitte diejenigen, die noch im Saale sind, um die
notwendige Aufmerksamkeit, um auch die folgende Ab-
stimmung nicht nur vornehmen zu können, sondern vor
allen Dingen das Ergebnis der Abstimmung zweifelsfrei
feststellen zu können. Dafür wäre es hilfreich, wenn die-
jenigen, die sich hier weiter an der Abstimmung beteili-
gen wollen, einfach ihren Platz einnehmen.

1) Ergebnis Seite 24572 D

Florian Hahn






(A) (C)



(B) (D)


Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/12819. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die SPD-Fraktion nimmt an dieser Abstimmung
bis auf eine Kollegin nicht teil. Der Entschließungsan-
trag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der
Fraktion Die Linke und einer Kollegin der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
abgelehnt.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias
W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusi-
ver Schulen fördern

– zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias
W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklu-
siver Bildung in der beruflichen Bildung
umsetzen

– zu dem Antrag der Abgeordneten
Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Matthias
W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklu-
siver Bildung in der Kindertagesbetreuung
umsetzen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole
Gohlke, Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusi-
ver Hochschulen fördern

Drucksachen 18/8420, 18/8421, 18/8889,
18/9127, 18/12409

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein,
Diana Golze, Nicole Gohlke, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE

Schulsozialarbeit an allen Schulen sicherstel-
len

Drucksachen 18/2013, 18/11803

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Xaver Jung für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Xaver Jung (CDU):
Rede ID: ID1824013100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wie wir alle wissen, beginnt Politik mit dem
Betrachten der Wirklichkeit. Wer sich die gesellschaftli-
che Entwicklung der vergangenen Jahre anschaut, sieht
erfreuliche Fortschritte hin zu mehr Inklusion. Vielen
Dank an alle, die dabei mithelfen.

Inklusion ist aber inzwischen bei Schülern, Eltern und
Lehrern auch ein sehr emotionsgeladenes Thema; denn
teilweise macht sich im Bildungsbereich ein unseliger
Aktionismus auf Kosten der betroffenen Kinder und Ju-
gendlichen breit. Wie schaut sie denn in der Praxis aus,
die oft übereilte, zwanghafte inklusive Beschulung von
Schülerinnen und Schülern in Regelschulen? Wir erhal-
ten inzwischen jede Menge negativer Erfahrungsberichte
aus den Ländern, und das Schlimme ist: Das alles war
vorhersehbar und vorhergesagt; Warnungen wurden in
den Wind geschlagen.

Kinder mit starken Verhaltensauffälligkeiten haben
keine Rückzugsräume mehr und belasten deshalb mit ex-
tremen Verhaltensweisen ihre Mitschüler und Lehrer. Sie
bekommen nicht die notwendige zusätzliche Betreuung,
sondern werden mit 25 weiteren Kindern in einer Klasse
unterrichtet. Kinder, die mit ihren Mitschülern nur be-
grenzt kommunizieren können, werden ausgeschlossen
und verbringen die Pause allein auf dem Schulhof. An-
dere lernbehinderte Schüler sind frustriert, weil ihnen die
Klassenkameraden im Leistungsvergleich immer voraus
sind. Lehrerinnen und Lehrer sind schlichtweg überlas-
tet, weil die notwendige permanente Doppelbesetzung
nicht erfolgt. Dafür vorgesehenes Personal wird stattdes-
sen oft für Krankheitsvertretungen eingesetzt, ich sage:
missbraucht.

Kurzum: Gut gemeint ist noch lange nicht gut ge-
macht. Hier wird ein ideologischer Ansatz, der in der
Theorie sehr schön erscheint, durch mangelnde Ressour-
cen in der Praxis zu einem negativen Szenario. Wer so
Inklusion betreibt, muss sich über Akzeptanzprobleme
nicht wundern.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer so redet, auch nicht!)


Wer Förderschulen so wie Sie, Herr Mutlu, schließt,
qualitativ gleichwertige Angebote in Regelschulen aber
nicht bereithält, der betreibt das Gegenteil von Inklusion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wer quantitative Standards statt qualitativer Standards
als Vergleichsmaßstab nimmt, der betreibt schlechte In-
klusion, und wer sich wie Sie aus politischer Ideologie
heraus


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie betreiben Ideologie, nichts anderes!)


Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


einem realistischen Blick auf diese Herausforderung
verschließt, der betreibt das Gegenteil von gelingender
Inklusion. Was Eltern, Schüler und Lehrer davon halten,
hat sich bei der NRW-Wahl gezeigt: gar nichts. Die Re-
gierung wurde auch deshalb abgewählt.

Wir hingegen wollen eine gelingende Inklusion. Das
schließt ein, dass jedes Kind, welches nicht die gleichen
Chancen auf eine freie geistige Entfaltung wie seine
Mitschüler hat, auf eine Schule gehen darf, die ihm ein
unbeschwertes Leben ermöglicht und keinen täglichen
Kampf bedeutet. Wie die Erfahrung zeigt, ist dies eben
nicht immer die Regelschule mit ihren Klassenverbän-
den; denn es gibt zum Beispiel Gehörlose, die sich lieber
mit anderen Gehörlosen in Gebärdensprache unterhalten,
statt isoliert auf dem Pausenhof zu stehen. Das müssen
wir respektieren, und dem müssen wir Rechnung tragen.

Für eine gelingende Inklusion braucht es ein System,
in dem es die Wahl zwischen allgemeinen Schulen und
spezialisierten Förderschulen gibt. Diese Förderschulen
garantieren eine liebevolle und individuelle Behandlung
für diejenigen, die nicht zwangsinkludiert werden wol-
len. So sehen das übrigens auch die Lehrerinnen und
Lehrer. Eine Forsa-Umfrage hat ergeben, dass 97 Pro-
zent fordern, dass Förderschulen erhalten bleiben. Die
Jugendlichen sehen das laut ihrer Erklärung von Lissa-
bon genauso. Es geht darum, jeden Schüler bestmöglich
individuell zu fördern und zu fordern, und zwar am Lern-
ort seiner Wahl. Dafür stehen wir als CDU/CSU.

Wie können wir das verwirklichen? Es braucht mehr
Ressourcen seitens der Länder, und es braucht einen rea-
listischen Blick auf die Chancen und Herausforderungen.
Dazu gehört, die Bildungsziele am einzelnen Schüler zu
orientieren. Das hat übrigens auch die Deutsche Kinder-
hilfe bei einem von mir organisierten Treffen zum Thema
Dyskalkulie und Legasthenie so gesehen; Frau Dr. Hein,
Sie waren dabei. Es wurde ausdrücklich gewünscht, dass
eine gesonderte Förderung möglich bleibt.

Bei alldem müssen wir behutsam vorgehen. Schritt
für Schritt muss evaluiert werden, ob wir noch auf dem
richtigen Weg sind. Wir haben bereits verschiedene gute
Maßnahmen auf den Weg gebracht. Zahlreiche Forde-
rungen aus dem Antrag haben wir bereits aufgenommen.
Wir sind dabei, diese umzusetzen. Wir fördern als Bund
die schrittweise Umsetzung der Behindertenrechtskon-
vention im Rahmen des Nationalen Aktionsplans.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit acht Jahren warten wir darauf!)


Der Bund betreibt Forschungsförderung und initiiert die
Weitergabe der Erkenntnisse an alle Beteiligten. Der Bund
finanziert und organisiert unter anderem die Weiterbil-
dungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte, die sich
ausdrücklich Fragen inklusiver Bildung im Bereich der
frühen Bildung widmet. Seit Beginn dieses Jahres regelt
das neue Bundesteilhabegesetz Fragen der Früh erkennung
und Frühförderung für Kinder mit Behinderungen. Be-
rufsbildungsgesetz und die Handwerksordnung sind schon
lange inklusiv aufgestellt. Davon abgesehen hat der Bund
die Länder im Bildungsbereich mittlerweile erheblich ent-
lastet, damit diese selbst tätig werden.

Wir gehen also schrittweise und mit Augenmaß vo-
ran, kontinuierlich, aber mit Bedacht. So werden wir ein
gutes System in ein noch besseres System überführen.
Dafür stehen wir als CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824013200

Vielen Dank. – Ich möchte Ihnen kurz das von den

Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergeb-
nis der namentlichen Abstimmung bekannt geben:
abgegebene Stimmen 573. Mit Ja haben gestimmt 513,
mit Nein haben gestimmt 55, Enthaltungen 5. Damit ist
die Beschlussempfehlung über die Fortsetzung der deut-
schen Beteiligung an der internationalen Sicherheitsprä-
senz in Kosovo angenommen.

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 573;
davon

ja: 513
nein: 55
enthalten: 5

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Sybille Benning

Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr. Maria Böhmer
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar

Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach

(Karlsru he-Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein

Dr. Hans-Peter Friedrich

(Hof)


Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund

Xaver Jung






(A) (C)



(B) (D)


Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr. Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann

(Dort mund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr. Mathias Edwin Höschel
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter

Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr. Dr. h. c. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. h. c. Hans Michelbach
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Volker Mosblech

Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller

(Braun schweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker

Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr. von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
HonD Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker






(A) (C)



(B) (D)


Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Dr. h. c. Edelgard Bulmahn
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner

Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Angelika Krüger-Leißner
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Ulli Nissen

Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack

Claudia Tausend
Michael Thews
Dr. Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff






(A) (C)



(B) (D)


Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Nein

SPD

Klaus Barthel
Dr. Ute Finckh-Krämer

Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


DIE LINKE

Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Klaus Ernst
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach

Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Dr. Alexander S. Neu
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel

Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Sylvia Kotting-Uhl
Hans-Christian Ströbele

Enthalten

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Monika Lazar
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Lisa Paus
Corinna Rüffer

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Rosemarie
Hein, Fraktion Die Linke. – Bitte schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824013300

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Wussten Sie eigentlich, dass gehörlo-
se Menschen nur in sehr wenigen Schulen in Deutsch-
land Abitur machen können? Ein Wissenschaftler des
Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik in Halle
hat das kürzlich in einer Podiumsdiskussion erklärt, und
einige im Auditorium waren darüber sehr verwundert.
Ohne Abitur zu studieren, ist nahezu unmöglich. Wir
wissen alle, dass die allermeisten Förderschulen jeder
Art nur den Hauptschulabschluss, im besten Fall den Re-
alschulabschluss anbieten und die allerwenigsten über-
haupt zum Abitur führen.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Geht es nur noch ums Abitur und nicht mehr um andere Schulabschlüsse?)


Es sind immer die wenigen Ausnahmebeispiele, die zei-
gen, dass es eigentlich doch geht. Das zeigt auch die en-
gagierte Arbeit der Behindertenbeauftragten der Bundes-
regierung in unserem Land.

An der Uni Halle hat sich ein Arbeitskreis Inklusi-
on gebildet, der sich auf die Fahnen geschrieben hat,
die großen und kleinen Hürden bei der Inklusion an
der Hochschule aufzuzeigen und um Abhilfe zu ringen.
Dabei betont man: Das Thema Inklusion ist ein Thema
für alle, und es geht um alle. Inklusion heißt nämlich,
alle sind drin: Kinder und Jugendliche, Studierende und
Auszubildende, mit und ohne Handicap, unabhängig von

Herkunft und Geschlecht, mit unterschiedlichen Interes-
sen und mit unterschiedlichem Leistungsvermögen. Nie-
mand ist außen vor.


(Beifall bei der LINKEN)


Darum muss auch niemand, wie man so häufig hört, in-
kludiert werden. Es geht darum, gute individuelle För-
derung für alle, für jeden Einzelnen, zu schaffen und die
notwendigen Hilfen für jeden bereitzustellen. Das kann
ein Rollstuhl sein, die Unterstützung durch Gebärden-
sprache, persönliche Assistenz oder ganz einfach die
Zeit, um im eigenen Tempo lernen zu können, langsamer
als andere oder aber auch schneller als andere.

Der Nationale Aktionsplan 2.0 zur Inklusion wirbt mit
dem Slogan „Einfach machen“. Das kann man sehr un-
terschiedlich auslegen. Na klar, Inklusion fängt im Kopf
an. Aber sie ist nicht voraussetzungslos. Wenn „einfach
machen“ bedeutet, dass die notwendigen Rahmenbedin-
gungen nicht im Ansatz bereitgestellt werden, dann geht
Inklusion schief. Dann werden Regierungen zu Recht ab-
gestraft, wie wir es in NRW gesehen haben. Das Problem
ist nur: Nun wird es wieder mehr Exklusion geben. Das
ist das eigentlich Schlimme an dieser Geschichte.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Wir haben super Förderschulen in NRW!)


Nun kommen Sie mir nicht wieder mit der Ausrede –
Herr Jung hat das eben nicht getan –, dafür seien die Län-
der zuständig. Die UN-Behindertenrechtskonvention hat
die Bundesrepublik als Ganzes unterschrieben, nicht nur
die Länder. Darum muss es auch eine gemeinsame Auf-






(A) (C)



(B) (D)


gabe sein, Inklusion umzusetzen. Warme Worte in Akti-
onsplänen reichen da nicht aus.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht zum Beispiel um die Räume, in denen gelernt
wird. Der Raum ist bekanntlich der dritte Pädagoge. Da
könnten Sie gleich einmal kreativ sein und die Mittel
für die Sanierung von Schulen an finanzschwache Kom-
munen so vergeben, dass daraus Schulen der Zukunft
werden, mit Raumkonzepten, die inklusives Arbeiten
erleichtern.


(Beifall bei der LINKEN)


Es geht dabei auch um Schalldämmung und breite Flure,
um flexible Raumkonzepte und bessere Arbeitsbedingun-
gen für Lehrende, für Schulsozialarbeit und Therapieräu-
me, wenn sie denn nötig sind.

Wir haben Ihnen im vergangenen Jahr und in diesem
Jahr insgesamt vier Anträge zur inklusiven Bildung vor-
gelegt, und zwar zu allen Bildungsbereichen, von der
Kita bis zur Hochschule. Viele Befunde treffen überall
gleichermaßen zu. Manches ist aber auch unterschied-
lich. Da ich nur fünf Minuten für alle Anträge habe, will
ich exemplarisch nur drei Dinge nennen:

Erstens. Inklusive Bildung kann nur gelingen, wenn
die Größen der Lerngruppen und Betreuungsgruppen
stimmen. In zu großen Schulklassen mit nur einer Lehr-
kraft ist Inklusion schwierig; das sehe ich ganz genauso.
Aber auch eine Erzieherin mit zwölf Kindergartenkin-
dern kann sich nicht allen gleichermaßen widmen.

Zweitens. Gute inklusive Arbeit erfordert nicht nur gut
ausgebildete und besser vorbereitete Lehrkräfte, sondern
auch Schulsozialarbeit, schulpsychologische Betreuung,
pädagogische Fachkräfte für die Ganztagsbetreuung, not-
wendige Assistenz oder Therapieangebote nach Bedarf.
Wir nennen das Multiprofessionalität in der Bildung. Da-
von sind die meisten Schulen noch weit entfernt.

Drittens. Vollständig verabschieden muss man sich –
das werden Sie gar nicht gerne hören – von dem Begriff
der Ausbildungsreife als Voraussetzung für die Aufnah-
me einer beruflichen Ausbildung.


(Beifall bei der LINKEN)


Jedem jungen Menschen muss die Möglichkeit gegeben
werden, berufliche Bildung zu erwerben. Dafür sind un-
ter Umständen individuelle Hilfen notwendig. Einige In-
strumente dafür gibt es bereits, etwa die assistierte Aus-
bildung. Sie müssen aber verbessert werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Lassen Sie mich zum Schluss noch etwas zur Schul-
sozialarbeit sagen. Den entsprechenden Antrag legen wir
nun schon zum zweiten Mal vor. Die zentrale Forderung
darin, nämlich die Aufnahme eines eigenständigen Pa-
ragrafen im Kinder- und Jugendhilferecht, hat es sogar
schon bis in die Koalitionsvereinbarung in Sachsen ge-
schafft. Deshalb bin ich guter Hoffnung, dass auch bei
Ihnen demnächst der Groschen fallen wird. Schulsozial-
arbeit leistet nämlich mehr, als zurzeit durch das Gesetz
möglich ist. Sie leistet mehr als Jugendarbeit und Jugend-

sozialarbeit, sie ist darüber hinaus direkt auf die Schule
bezogen. Sie kann dort ein dauerhaftes Angebot schaffen.


(Beifall bei der LINKEN)


Damit sie an allen Schulen bereitgestellt werden kann,
muss sie ins SGB VIII bzw. ins Kinder- und Jugendhilfe-
recht aufgenommen werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie werden in der nächsten Woche versuchen, hier
wieder etwas zu ändern, und es ist jetzt schon klar, dass
das unzureichend sein wird. Deshalb muss dieses The-
ma in der nächsten Wahlperiode wieder angefasst wer-
den. Ich hoffe, Sie sind dann so schlau und machen das
einfach. Das wird helfen, die Schulsozialarbeit an jeder
Schule anzubieten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824013400

Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Elfi Scho-

Antwerpes für die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Elfi Scho-Antwerpes (SPD):
Rede ID: ID1824013500

Danke schön. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Inklusion ist kein beliebiges Thema. Man
kann politisch über vieles streiten, zum Beispiel darüber,
ob wir Steuern senken oder erhöhen, Inklusion lässt sich
aber nicht verhandeln. Inklusion ist so etwas wie die See-
le einer Gesellschaft und sollte auch die Seele unserer
Gesellschaft sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sag das zur CDU/CSU!)


Das schließt die inklusive Bildung natürlich ein. Jedes
Kind ist einzigartig und muss die Förderung erhalten, die
es benötigt.

Nun hört man allenthalben großes Klagen darüber,
wie schlecht es um die inklusive Bildung in Deutschland
bestellt sei. Ich sage auch als überzeugte Paritäterin: Wir
sind auf dem Weg – nicht nur bei der Bildung, sondern
insgesamt bei der Teilhabe an der Gesellschaft.

Der Weg hin zur Inklusion ist zugegebenermaßen ein
langer und teilweise anstrengender Weg – das ist eine
Mammutaufgabe –, den wir alle gemeinsam gehen soll-
ten: Kinder, Eltern, pädagogisches Personal.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Müssen!)


Nur so können wir auch Ängste abbauen, damit der Lern-
ort an einer Schule zu einem Lebensort an der Schule
wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Rosemarie Hein






(A) (C)



(B) (D)


Es ist nicht hinnehmbar, dass es bei der inklusiven
Bildung für Kinder und Jugendliche ideologische Gra-
benkämpfe gibt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir brauchen eine Haltung zum Kind.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wie eine Oppositionsrede!)


Ich habe jetzt wahrgenommen, dass die neue Landes-
regierung in Nordrhein-Westfalen in Sachen inklusiver
Bildung im Gegensatz zu Rot-Grün auf der Bremse steht.
Das ist skandalös.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die schwarz-gelben Pläne werden die Anzahl der Son-
derpädagoginnen und Sonderpädagogen an Regelschu-
len weiter verringern; das ist nachzulesen. Dabei brau-
chen wir hier dringend mehr und nicht weniger sowie gut
ausgebildetes Personal, wie wir eben auch gehört haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! – Dr. Mathias Edwin Höschel [CDU/CSU]: Sie hatten Ihre Chance! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie haben sieben Jahre Zeit gehabt!)


Letztendlich ist das Landespolitik, wie übrigens vie-
les von dem, was Sie in Ihre Anträge geschrieben haben,
Frau Hein, auf Länderebene verhandelt werden müsste.
Richtig ist aber, dass das Personal an den Schulen schon
in der Ausbildung auf die Inklusion vorbereitet und vor-
handenes Personal konsequent weitergebildet werden
muss.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Richtig!)


Es ist gut, dass wir im Bundestag weiterhin intensiv
über Inklusion sprechen. Das Tor zu dem beschriebenen
Weg ist das von uns beschlossene Bundesteilhabegesetz,
in dem das Thema Bildung ein eigenes Kapitel bekom-
men hat.

Es ist nicht so, dass Kinder und Jugendliche mit ihren
Talenten und Ideen ein Problem in unseren Bildungs-
einrichtungen wären, wenn sie ein Handicap haben. Das
Problem lag immer in einem Bildungssystem, das diesen
Teil der Schüler und Schülerinnen sowie Studierenden
ausgeschlossen hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die vielleicht größte Leistung des Bundesteilhabege-
setzes ist es, die Gesellschaft in die Verantwortung zu
nehmen, allen eine Teilhabe am Leben zu gewährleisten.
Es geht nicht länger darum, dass der einzelne Mensch
seine möglichen Defizite ausgleichen muss. Das ist ein
Paradigmenwechsel. In Bezug auf die inklusive Bildung
hat es hier Verbesserungen gegeben.

Lenken wir unseren Blick auf die Hochschulbildung,
die Sie in Ihrem Antragskonvolut hervorheben:

Voraussetzung zum Studium ist fortan nur noch eine
Hochschulzugangsberechtigung. Das gilt nach dem Bun-
desteilhabegesetz jetzt auch für Menschen mit Behinde-
rung, die hier endlich gleichgestellt sind. Wir schaffen
Zugänge.


(Beifall bei der SPD)


Außerdem ist klar, dass der Erwerb einer solchen Be-
rechtigung durch den Besuch weiterführender Schulen
förderungsfähig ist.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Leistungen zur Teilhabe an Bildung dürfen nicht nur
dann gewährt werden, wenn das Teilhabeziel erreicht
werden kann.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Die Leistungen sind damit erfolgsunabhängig. Auch das
war vor unserem Gesetz nicht der Fall.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU])


Nehmen Sie als weiteres Beispiel die Eingliederungs-
hilfe an Schulen. Bisher war sie nur vormittags möglich,
jetzt auch ganztags; und das ist gut so.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr gut!)


Ich möchte es bei diesen Schlaglichtern belassen, um
zu verdeutlichen: Wir sind auf der Reise. Viele Kitas,
Schulen und Hochschulen sind schon lange erfolgreich
unterwegs. Jeden Tag stehen Pädagoginnen und Pädago-
gen, Erzieherinnen und Erzieher bereit und leisten her-
vorragende Arbeit. Sie sind die Helden.


(Beifall bei der SPD)


Von der Arbeit der Lehrer und Lehrerinnen und Erzie-
her hängt der Bildungserfolg in der inklusiven Bildung
erheblich ab.


(Zuruf des Abg. Xaver Jung [CDU/CSU])


Der Bund setzt mit der Qualitätsoffensive Lehrerbil-
dung erhebliche Anreize, Best-Practice-Beispiele zu im-
plementieren und innovativen Unterricht in Deutschland
zu ermöglichen. Das gilt insbesondere für inklusive Bil-
dung bzw. das Lernen und Lehren in heterogenen Grup-
pen. Entsprechende Projekte sind in der Qualitätsoffensi-
ve in einer deutlichen Mehrheit vertreten.

Neben den inhaltlichen Konzepten und der Befähi-
gung des pädagogischen Personals sei die Schulinfra-
struktur erwähnt, die der inklusiven Bildung ebenfalls
gerecht werden muss. In einem Wort: Barrierefreiheit!
Der Bund hat mit der Übernahme der BAföG-Kosten in
den Ländern Mittel freigesetzt, um hier zu investieren.
Diese Kosten belaufen sich auf jährlich 1,2 Milliarden
Euro.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Linksfraktion, während Sie Anträge schreiben,
sind wir schon längst unterwegs. Weil ich eine große Ver-

Elfi Scho-Antwerpes






(A) (C)



(B) (D)


fechterin der frühkindlichen Bildung bin – wie auch Sie,
Frau Hein; das weiß ich –, möchte ich noch eine Anmer-
kung machen. Wir haben den Kitaausbau stark forciert.
Manuela Schwesig hat in ihrer Zeit als Familienminis-
terin hier großartige Akzente gesetzt. Erwähnen möchte
ich auch Verena Bentele, die nicht nur unsere Behinder-
tenbeauftragte ist, sondern auch zwölffache Olympiasie-
gerin.


(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Paralympics!)


Sie ist vierfache Weltmeisterin im Skilanglauf und Biath-
lon. Sie ist ein Vorbild für die Kinder und Jugendlichen.
Das brauchen sie.

Kinder lernen Akzeptanz und Vielfalt vor allem im
Umgang untereinander. Auch in den Köpfen müssen die
Barrieren weg. Es hilft der Gesellschaft, wenn die Inklu-
sion schon in der Kita gelebt wird.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824013600

Frau Kollegin.


Elfi Scho-Antwerpes (SPD):
Rede ID: ID1824013700

Vielfalt ist Normalität.

Ich bedanke mich sehr herzlich fürs Zuhören.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824013800

Danke schön. – Als Nächster hat der Kollege Mutlu

von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824013900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber

Kollege Jung, gerne erinnere ich Sie daran, dass wir seit
acht Jahren zur Inklusion verpflichtet sind. Daher ist es
fehl am Platze, hier von „Aktionismus“ zu reden. Ich
kann Ihnen auch noch sagen: Inklusion ist für ideologi-
sche Grabenkämpfe ungeeignet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE] – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das müssen Sie sagen! – Max Straubinger [CDU/CSU]: So weit, so gut!)


Inklusion ist und bleibt eine echte Chance für jede
Schülerin und jeden Schüler. Inklusion ist ein Menschen-
recht, das wir nicht einfach nach Belieben oder nach
parteipolitischer Couleur aushebeln können. Mit der Ra-
tifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention 2009
in diesem Hause haben wir uns dazu verpflichtet, alle
Schülerinnen und Schüler gemeinsam zu unterrichten.
Diese Ratifizierung ist keine folgenlose Unterschrift. Sie
war eine Selbstverpflichtung, die wir im Bund und in den
Bundesländern gemeinsam umsetzen müssen.


(Beifall des Abg. René Röspel [SPD] – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Richtig!)


Meine Damen und Herren, die aktuelle Studienlage
ist eindeutig. Etliche wissenschaftliche Erhebungen und
Studien zeigen: Kinder, die inklusiv unterrichtet werden,
lernen besser als Kinder an Förderschulen. Sie erreichen
auch mehr als in Förderschulen.


(Beifall der Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] und Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE] – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist nicht richtig! – Xaver Jung [CDU/ CSU]: Das glauben Sie auch noch! Das ist Ideologie!)


Viele Eltern sind froh, dass ihre Kinder die Möglich-
keit haben, Regelschulen zu besuchen und dort indivi-
duelle Förderung zu erhalten. Denn im Jahr 2014 kam
jede zweite Schülerin bzw. Schüler ohne Hauptschulab-
schluss von einer Förderschule. Viele von ihnen kommen
von Förderschulen, an denen ein Schulabschluss nicht
vorgesehen oder gar nicht erst möglich ist.

Was soll aus diesen jungen Menschen werden? Diese
Frage richte ich insbesondere an die CDU, deren Kolle-
gen aus Niedersachsen in ihrem Wahlprogramm für 2018
erstmals eine Atempause von der Inklusion angekündigt
haben.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Atempause von einem Menschenrecht? Geht’s noch?
Wo leben Sie?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Inklusion gelingt nur mit Förderschulen!)


Natürlich ist Inklusion eine Herausforderung für die
Schulen und Lehrkräfte – das will auch keiner verheh-
len –, und es gibt etliche Fragen, die wir im Prozess be-
antworten müssen.


(Xaver Jung [CDU/CSU]: Ihr habt versagt bei den Grünen!)


Natürlich müssen auch die Rahmenbedingungen stim-
men, und natürlich kostet das alles auch mehr Geld. In-
klusive Bildung gibt es eben nicht zum Nulltarif, und das
sollten Sie von der CDU/CSU endlich lernen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die Bundesregierung hat ihr selbstgestecktes Ziel
vom Dresdener Bildungsgipfel, 10 Prozent des BIP für
Bildung und Forschung auszugeben, immer noch nicht
erreicht. Dieses Versprechen muss eingelöst werden. Wir
brauchen dringend mehr Investitionen in die Bildung
statt in die Rüstung, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der CDU/CSU.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Xaver Jung [CDU/CSU]: Populist!)


Der Bund muss seinen Teil dazu beitragen, inklusives
Lernen zu ermöglichen, ohne dass die Qualität verloren

Elfi Scho-Antwerpes






(A) (C)



(B) (D)


geht. Da sind wir, glaube ich, alle – auch die mit den
Scheuklappen – einer Meinung.

Lehrerinnen und Lehrer müssen dabei tatkräftig unter-
stützt werden. Wir dürfen die Lehrkräfte und die Schulen
nicht weiter im Regen stehen lassen. Inklusion ist näm-
lich eine von vielen Aufgaben, die sie vor Ort stemmen
müssen.

Deshalb brauchen wir auch eine neue Bildungsphilo-
sophie, eine neue Haltung, die das abbildet, was längst
Realität ist. Verschiedenheit und Pluralität sind nämlich
Normalität, auch wenn es manchen in diesem Hause lei-
der immer noch nicht passt.

Das Abwehrende, der Sonderstatus und die Andersar-
tigkeit befallen Menschen, die am inklusiven Unterricht
teilgenommen haben, viel seltener als andere. Es gibt
auch keinen Qualitätsverlust; denn jeder und jede wird
inklusiv gefördert. Das sollte auch die CDU/CSU endlich
lernen. So gelingt mehr Bildungsgerechtigkeit.

Wir dürfen auch nicht zulassen, dass die Uhr wieder
zurückgedreht und die Spaltung der Gesellschaft durch
eine separierende Bildungspolitik, die die Andersartig-
keit manifestiert, weiter verstärkt wird.

Zur Zementierung von Bildungsbenachteiligung trägt
auch das leidige Kooperationsverbot bei,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


auch wenn Sie das nicht hören wollen.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Tätä, tätä, tätä!)


Sie werden das so lange hören, bis dieses Kooperations-
verbot endlich der Geschichte angehört.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Schleswig-Holstein hat es schon erreicht!)


Wir brauchen – das sage ich als Gegensatz zu Ihren
Postulaten – eine gemeinsame Bildungsstrategie, egal ob
es um den Personalschlüssel in Kitaeinrichtungen, bun-
desweite Qualitätsstandards an Ganztagsschulen, Barrie-
refreiheit, die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften,
den Einsatz multiprofessioneller Teams oder die Schul-
sozialarbeit geht. Deshalb sage ich, liebe Kolleginnen
und Kollegen: Die Weiterentwicklung unseres Bildungs-
systems hin zu einem inklusiven und zukunftsfähigen
Bildungssystem ist eine Mammutaufgabe – da bin ich bei
dir, Elfi –, die aber einer zusätzlichen finanziellen Unter-
stützung bedarf. Es ist eine Aufgabe, die viele Bundes-
länder nicht alleine stemmen können. Deshalb brauchen
wir mehr Kooperationen und müssen weg vom Koope-
rationsverbot.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
legen Sie endlich Ihre ideologischen Scheuklappen ab,
und lassen Sie uns gemeinsam diese Mammutaufgabe
stemmen!

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE] – Zuruf von der CDU/CSU: So wird das nichts! Chance verpasst! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Inklusion gelingt nur mit der Förderschule!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824014000

Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Uwe Schummer,

CDU/CSU-Fraktion, das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Uwe Schummer (CDU):
Rede ID: ID1824014100

Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren!

Wenn jeder, der heute gefordert hat, die ideologischen
Scheuklappen abzulegen und keine Schlachten zu füh-
ren, das auch wirklich praktizieren würde, egal von wel-
cher Seite, dann gäbe es diese Debatte nicht. Vielleicht
sollten wir unseren eigenen Worten folgen und das nicht
zum Thema von Wahlkämpfen oder zu einem ideologi-
schen Thema machen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen gerade Sie sagen!)


Wir wissen das.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Witz war gut!)


– Wissen Sie, Herr Mutlu, Lautstärke hat mit Wahrhaftig-
keit wenig zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Erfahrung ist: Je lauter der Kehlkopf, umso gerin-
ger die Wahrhaftigkeit.

Das möchte ich nun aber beiseitelassen. Mir ist wich-
tig – und ich hoffe, das gilt über alle Fraktionsgrenzen
hinweg –, dass Bildung der Schlüssel zur Teilhabe ist,
um Inklusion sachlich und fachlich zu bewerkstelligen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann fangen Sie mal an!)


Deshalb haben wir im Bundesteilhabegesetz der
Teilhabe an Bildung ein eigenes Kapitel gewidmet, um
Teilhabe an allen Schulen zu organisieren, auch an den
Hochschulen. Wir finanzieren erstmals über die Einglie-
derungshilfe auch Assistenzleistungen, und zwar von
der Grundschule über die weiterführenden Schulen bis
zum Bachelor- und Masterstudium. Wir haben nicht nur
die Instrumente in einem Kapitel formuliert, sondern
wir haben vonseiten des Bundes im Zuge der Reform
der Eingliederungshilfe den Ländern und Kommunen
auch 5 Milliarden Euro an Entlastungen gewährt. Von
den 5 Milliarden Euro, die die Länder und Kommunen
einsetzen sollen, um die Reform der Eingliederungshilfe
umzusetzen, sind 2,5 Milliarden Euro bereits vor zwei
Jahren über Kosten der Unterkunft und Mehrwertsteuer-
punkte mobilisiert worden. Weitere 2,5 Milliarden Euro
werden 2018 vom Bund finanziert werden.

Özcan Mutlu






(A) (C)



(B) (D)


Herr Mutlu, ich mache mir große Sorgen um Sie.
Wenn es wirklich einmal kein Kooperationsverbot, wie
auch immer es formuliert sein mag, mehr geben sollte,
dann haben Sie doch gar kein Thema mehr, über das Sie
reden können.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da machen Sie sich keine Sorgen! Bei Ihren Fehlern machen wir viel gut! – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das wird Herr Mutlu auch noch überstehen!)


Seit Jahren haben Sie das eine Thema, das wie das Mons-
ter von Loch Ness immer wieder hochkommt. Wenn man
all dies aus Ihren Reden wegnimmt, dann bleibt nicht
mehr allzu viel an Substanz.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Noch nie hat der Bund mehr Geld, Milliarden Euro,
für die Finanzierung länderspezifischer Aufgaben an die
Länder und an die Kommunen geleitet wie derzeit.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das war ein harter Kampf mit Ihnen! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu mussten Sie getrieben werden!)


Dies sind die erwähnten 5 Milliarden Euro im Rahmen
der Reform der Eingliederungshilfe, aber auch weitere
800 Millionen Euro, die im Zuge der Verbesserung der
Eingliederungshilfe beispielsweise für das Budget für
Arbeit, für Ausbildung und andere Themen mobilisiert
werden. Das heißt, es gibt eine permanente Kooperation
zwischen Bund, Ländern und auch Kommunen. Ihr Ko-
operationsverbot ist eine Fiktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die brauchen Sie, damit Sie weiter Ideologie verbreiten
können.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie das Grundgesetz!)


– Ich kenne das Grundgesetz sehr gut, Herr Mutlu, und
ich brauche deshalb auch nicht herumzuschreien.

Das Wichtigste, was Schule angeht, ist, den Menschen
ernst zu nehmen. Und wer Menschen ernst nimmt, der
sagt vor allem: Es muss Wahlfreiheit geben, es muss Dif-
ferenzierung geben, es muss Optionen und Alternativen
geben.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gar nichts verstanden!)


Deshalb ist es eben nicht der richtige Standpunkt, zu sa-
gen: Nachts sind alle Katzen grau, es gibt nur noch ein
Modell der Schule,


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat keiner gesagt!)


sondern: So wie Menschen unterschiedlich sind, so brau-
chen wir auch differenzierte Schulangebote. Wir wollen

die beste Schule für jeden Einzelnen. Das ist der Ansatz,
den wir miteinander haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die inklusive Schule!)


Dann können sich Menschen auch für eine Förderschu-
le entscheiden, wenn es ihr freier Wille ist. Dann haben
auch Sie nicht vorzuschreiben: Das Kind geht nicht in die
Förderschule, es muss in der Regelschule aufgenommen
werden. – Nein, die Wahlfreiheit gilt für alle.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben mir gar nicht zugehört!)


Wir brauchen differenzierte Systeme in den Regelschu-
len, wir brauchen spezielle Förderschulen und auch die
Kooperation und das Zusammenwirken von Regel- und
Förderschulen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich kenne Förderschulen in Neubrandenburg, aus
denen Regelschulen entwickelt wurden, und ich kenne
auch entsprechende Kooperationsmodelle von Förder-
und von Regelschulen unter einem Dach. Wir sollten hier
ideologisch etwas abrüsten


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt der Richtige!)


und den Menschen, den Angehörigen und den Betrof-
fenen, mehr zutrauen und ihnen diese Wahlfreiheit zwi-
schen verschiedenen Schulformen zugestehen, mit dem
Gedanken, dass sie am besten wissen, was der beste Weg
für ihre Kinder ist.


(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um ein Menschenrecht! Verstehen Sie das nicht?)


Zum nordrhein-westfälischen Koalitionsvertrag. Der
nordrhein-westfälische Koalitionsvertrag ist nicht ge-
gen Inklusion. Das Problem in Nordrhein-Westfalen –
ich komme zufällig daher – war ein im Vergleich zu
fast allen anderen Bundesländern völlig unterfinanzier-
tes Bildungssystem. In einem völlig unterfinanzierten
Bildungssystem stellt sich natürlich richtigerweise die
Frage, ob die Aufgaben, deren Übertragung notwendig,
sinnvoll und richtig ist, auch übertragen werden können;
denn es braucht Räumlichkeiten, es braucht eine entspre-
chende Lehrerausbildung, es braucht entsprechendes zu-
sätzliches Personal, und es braucht kleinere Klassen. Das
bedeutet, dass auch die Voraussetzungen für die Inklusi-
on geschaffen werden müssen. Das ist etwas, was Bund,
Länder und Kommunen gemeinsam bewirken müssen.
Zuerst müssen die Voraussetzungen geschaffen werden.
Es darf aber nicht so vorgegangen werden, dass ein paar
Förderschulen geschlossen werden, die Personalstellen
und das Geld auf die Regelschulen übertragen werden
und dann geschaut wird, was passiert. Das war die Art
und Weise, wie in Nordrhein-Westfalen vorgegangen

Uwe Schummer






(A) (C)



(B) (D)


wurde. Das war ein Verbrechen gegen die Eltern, gegen
die Schüler und gegen die Lehrer.


(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht! Da haben Sie nicht zugehört!)


Wir sollten hier keine Schaukämpfe gegeneinander
austragen, sondern die Inklusion ernst nehmen. Sie ist
ein Prozess, den wir über das Bundesteilhabegesetz vo-
rantreiben werden.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben die Leute in die Irre geführt!)


Wir, Bund, Länder und Kommen, wollen die UN-Behin-
dertenrechtskonvention gemeinsam umsetzen. Koopera-
tion ist nicht verboten, sie wird vielmehr gelebt. Jeder
handelt nach seinen Kompetenzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten aufhören, zu reden! Sie sollten einfach mal handeln! Wir brauchen Taten!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824014200

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kolle-
ge Martin Rabanus das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Martin Rabanus (SPD):
Rede ID: ID1824014300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Kollege Schummer, das war schon ein
denkwürdiger Beitrag, den Sie hier gerade abgeliefert
haben. Das hätte ich, ehrlich gesagt, von einem Landes-
vorsitzenden der Lebenshilfe in Nordrhein-Westfalen
so nicht erwartet, zumal das Ganze ein bisschen durch-
einanderging.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und weil es weltfremd war!)


Entweder machen wir Inklusion und meinen das tat-
sächlich ernst, oder wir machen weiter wie bisher und
lassen die Sondereinrichtungen bestehen. Ich weiß nicht,
wie Sie es hinbekommen wollen, Inklusion und Exklusi-
on zusammenzubringen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geht nicht!)


Das finde ich schon erstaunlich.


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden hier über
inklusive Bildung, von der Kita über die Schule und die
berufliche Bildung – ich finde es gut, dass es dazu einen
eigenen Antrag gibt – bis hin zur akademischen Bildung.
Die SPD steht seit Jahren für die inklusive Bildung und
für die Inklusion. Ich bin froh, dass sich auch die CDU
heute – das war in dem Beratungsprozess in den letzten
Jahren nicht immer so – uneingeschränkt hinter das Bun-

desteilhabegesetz stellt. Es ist sehr schön, dass wir das
jedenfalls heute aus der Debatte mitnehmen können.


(Beifall bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wunder geschehen!)


Inklusion ist dabei natürlich mehr als Integration. Das
ist nicht nur Semantik. Wir reden über Teilhabe und nicht
nur über das Dabeisein. Wir reden davon, dass alle Men-
schen – lassen Sie es mich einmal so sagen – auf dem
Platz des Lebens stehen und mitspielen können und nicht
nur auf den Tribünen sitzen müssen.


(René Röspel [SPD]: Ein schönes Bild!)


Das ist es, worum es tatsächlich geht.

Die UN-Konvention – das ist gesagt worden – ist vor
über zehn Jahren von der Vollversammlung der UN be-
schlossen worden. Sie ist seit Ende März 2009 geltendes
Recht in Deutschland. Wo stehen wir? Ich bin bei denjeni-
gen, die sagen: Wir sind in den letzten Jahren wesentliche
Schritte vorwärtsgekommen. Das Bundesteilhabegesetz
ist genannt worden. In die Schul- und Hochschulgesetze
der Länder hat die Inklusion im Wesentlichen Eingang
gefunden. Wir haben im Bereich der Wissenschaft vieles
getan. Wir forschen, und wir haben einen Nationalen Ak-
tionsplan dazu. Inklusion ist Bestandteil der Bildungsbe-
richterstattung geworden.

All das, finde ich, darf man nicht verschweigen, soll
man nicht verschweigen; all das ist gut so, darf aber
nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir natürlich nicht
an einem Endpunkt sind und dass auch die Bundesländer
an ganz unterschiedlichen Positionen stehen. In Berlin
ist der Ressourcenvorbehalt bei der Inklusion gefallen.
Sorry, wenn ich das so sagen muss. In meinem Heimat-
land Hessen, schwarz geführt, grün mitregiert, ist der
Ressourcenvorbehalt im Schulgesetz leider nicht gefal-
len. Wir haben also unterschiedliche Konstellationen, die
wir zur Kenntnis nehmen müssen.

Ich will auf das Thema der beruflichen Bildung ein-
gehen; denn ich habe gesagt, dass ich es gut finde, dass
es diesen Antrag gibt. Auch hinsichtlich der beruflichen
Bildung haben wir einiges getan. Im Rahmen der Alli-
anz für Aus- und Weiterbildung haben wir die assistierte
Ausbildung eingeführt. Lassen Sie mich dazu sagen: Ich
würde mir wünschen, dass das ein Dauerinstrument wird
und wir über 2018 hinaus diese assistierte Ausbildung
anbieten können.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben im Bereich der Weiterbildung für Benach-
teiligte vieles getan. Wir haben die Dimension Inklusion
sogar beim Meister-BAföG eingeführt. Auch das ist gut
so.

Aber ich glaube, wir müssen uns entscheiden. Inklu-
sion ist etwas, worüber sich irgendwie alle einig sind,
wobei aber die letzte Konsequenz fehlt. Wenn das Recht
auf Inklusion ein Menschenrecht ist, dann muss die Um-
setzung auch mit letzter Konsequenz angegangen wer-
den. Wir als SPD wollen das. Wir wollen Verbindlich-
keit. Wir wollen Verlässlichkeit und Inklusion für alle im
Bildungssystem und darüber hinaus. Wenn wir das ernst
meinen, dann müssen wir an drei Punkten ansetzen.

Uwe Schummer






(A) (C)



(B) (D)


Erstens. Das Bildungssystem muss so umgebaut wer-
den, dass sich das System den Menschen anpasst und
nicht umgekehrt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist tatsächlich so: Wir stellen Ausbildungsreife fest.
Wir stellen Schulreife fest. Wir stellen Studienreife fest.
Aber was wir genau brauchen, ist ein Paradigmenwech-
sel: Das System muss sich auf den Menschen einstellen.

Zweitens. Wir brauchen ein Unterstützungssystem,
das stabil ist, das die Institutionen zum einen, zum ande-
ren aber auch die Pädagoginnen und Pädagogen – damit
meine ich nicht nur Lehrkräfte, sondern auch multipro-
fessionelle Teams – unterstützen kann.

Drittens. Wir brauchen die notwendigen Ressour-
cen dafür. Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Das, lie-
be Freunde von der CDU/CSU, liebe Koalitionspartner,
kann ich Ihnen nicht ersparen: Ja, das Kooperationsver-
bot im Bildungsbereich ist aufgebrochen. Jetzt müssen
wir es abschaffen.


(Xaver Jung [CDU/CSU]: Das gibt es gar nicht! Sie können es nicht abschaffen!)


Dafür werden wir als SPD auch in der nächsten Wahlpe-
riode werben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824014400

Vielen Dank. – Jetzt hat Christina Schwarzer, CDU/

CSU-Fraktion, das Wort. Bitte schön.


Christina Schwarzer (CDU):
Rede ID: ID1824014500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Das Thema Inklusion
ist natürlich auch mir als Mitglied des Landesvorstands
der Lebenshilfe Berlin besonders wichtig. Aber über In-
klusion, lieber Özcan Mutlu, haben wir uns genügend
ausgetauscht. Ich will meine Rede ausschließlich auf die
Schulsozialarbeit lenken; denn darum geht es nämlich
auch in Ihrem Antrag.

Ich sehe dieses Thema auch durch die Brille einer ehe-
maligen Kommunalpolitikerin. Ich weiß, viele von Ihnen
sind natürlich auch noch in der Kommunalpolitik tätig.
Dort habe ich 14 Jahre lang Politik im Bereich der Kin-
der- und Jugendhilfe gemacht. Das Thema Schulsozialar-
beit ist mir natürlich mehr als vertraut.

Sie hat für die Entwicklung unserer Kinder, aber auch
für das Bildungssystem selbst, einen immensen Stel-
lenwert, besonders an sogenannten Brennpunktschulen.
Schulsozialarbeiter sind Schnittstelle zwischen Eltern
und Schülern, Lehrern und den außerschulischen Akti-
vitäten. Sie unterstützen Kinder und Jugendliche bei ge-
sellschaftlicher Teilhabe und ebnen den Weg für gleiche
Startchancen bei der Bildung, um einen guten Schul-

abschluss zu ermöglichen. Die Lebens- und Entwick-
lungsbedingungen der Kinder und Jugendlichen werden
durch die pädagogische Arbeit der Schulsozialarbeiter
nachhaltig verbessert. Sie hilft, eigenverantwortlich ins
Berufsleben zu starten. Ich kenne keine Schule, die auf
die wichtige Arbeit der Schulsozialarbeiter jemals wieder
verzichten möchte, gerade weil die Sozialarbeiter an den
Schulen einen hervorragenden Job machen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Da haben wir was durchgesetzt! Späte Einsicht!)


Ich habe die Qualität der Arbeit der Schulsozialarbei-
ter als durchweg sehr gut wahrgenommen. Die Schüler
bringen oft vielfältige Probleme mit.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie in den letzten vier Jahren im Deutschen Bundestag für die Schulsozialarbeit getan?)


– Darüber können wir uns gleich unterhalten. Warten Sie
vielleicht erst einmal meine Rede ab, Kollege Mutlu. Re-
gen Sie sich nicht immer so auf, und dann erkennen Sie
irgendwann die Richtigkeit meiner Antwort.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich gebe Ihnen die Antwort: Sie haben nichts getan! – Zuruf des Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU])


– Genau, Kollege Schipanski. Sie kennen schon meine
Antwort.

Aber lassen Sie mich noch ausführen: In den Schu-
len gibt es vielfältige Probleme. Sie fangen bei kleinen
Streitigkeiten an, die man zu Hause hat, und reichen zum
Beispiel bei uns in Berlin, aber auch in anderen Bundes-
ländern bis hin zu kriminellen Karrieren. Von den The-
men her ist eben alles dabei.

An allen Schulen habe ich Schulsozialarbeiter erlebt.
Vor allen Dingen habe ich sie immer als Anwälte der Ju-
gendlichen erlebt, die sich mit vollem Einsatz und mit
bestem Wissen und Gewissen um die Kinder und Ju-
gendlichen bemühen und ihnen bei Bedarf auch Grenzen
aufzeigen. Dafür meine große Anerkennung und meinen
Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Aber unsere Erfahrung aus der Kommunalpolitik sagt
uns: Die Schulsozialarbeit funktioniert nur, wenn sie
möglichst kleinteilig und bedarfsgerecht organisiert ist.
Der Grund liegt auf der Hand. Zum Beispiel hat die So-
zialarbeit bei mir in Berlin-Neukölln ganz andere Aufga-
ben als in ländlichen Gebieten zu bewältigen. Sie steht
vor anderen Herausforderungen und muss andere Hilfe
leisten.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824014600

Frau Kollegin Schwarzer, gestatten Sie eine Zwi-

schenfrage der Kollegin Hein?

Martin Rabanus






(A) (C)



(B) (D)



Christina Schwarzer (CDU):
Rede ID: ID1824014700

Nein, ich möchte erst ausführen.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824014800

Danke.


Christina Schwarzer (CDU):
Rede ID: ID1824014900

Für diese Erkenntnis muss man nicht besonders weit

über den Tellerrand hinausschauen. Diese Unterschiede
gibt es allein schon hier in Berlin. Das heißt für mich,
die Schulsozialarbeit muss auf kleinstmöglicher Ebene
organisiert sein. Damit gilt: Dort, wo organisiert, gelenkt
und entschieden wird, muss die Finanzierung auch ange-
siedelt sein.

Dennoch: Obwohl wir bei der Schulsozialarbeit von
einer Aufgabe sprechen, die im föderalen System klar
den Ländern und den kommunalen Gebietskörperschaf-
ten zugeordnet ist, stellte der Bund in den Jahren 2011
bis 2013 zusätzliche Mittel zur Verfügung, um bei dieser
Aufgabe zu unterstützen.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


In Zahlen: In den Jahren 2011, 2012 und 2013 hat der
Bund jeweils 400 Millionen Euro für Schulsozialarbeit
und Mittagessen in Horten zur Verfügung gestellt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Stichwort heißt jedoch „Anschubfinanzierung“.
Gemeinsam wurde eben auch vereinbart, dass das Pro-
jekt 2013 – die Anschubfinanzierung – aufhört. Eine dau-
erhafte zweckgebundene Finanzierung der Schulsozial-
arbeit durch den Bund verbietet das Grundgesetz. Das
hatten wir schon.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil wir das Kooperationsverbot haben!)


– In der Tat. Herr Mutlu hat aufgepasst.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss abgeschafft werden!)


Durch die Forderung, die Finanzierung im SGB VIII
zu verankern – Frau Kollegin Hein, wir hatten das ja ges-
tern schon im Ausschuss –, umgehen Sie diesen Fakt.
Aber Tatsache ist doch: Schulsozialarbeiter arbeiten im
schulischen Raum, und ohne Wenn und Aber sind wir
hier im Bereich der Länderkompetenzen und der Kompe-
tenzen der Kommunen. Darum widerspricht eine dauer-
hafte Finanzierung der Schulsozialarbeit durch den Bund
dem Anspruch der Länder auf ihre Bildungshoheit. Die
Verantwortung der Länder für den Bildungsbereich spielt
auch bei der Finanzierung eine große Rolle.

Dennoch hat der Bund die Länder und die Kommu-
nen in den vergangenen Jahren sehr stark unterstützt.
Die Zahlen habe ich eben schon genannt. Wir sehen,
der Bund nimmt die Aufgabe, die Kommunen und die
Länder bei ihren vielfältigen Aufgaben zu unterstützen,
sehr ernst. Die Schulsozialarbeit ist aber auch aus gutem
Grund ureigene kommunale Aufgabe. Sie ist in den Re-

gionen am besten aufgehoben, weil dort die Bedarfe am
deutlichsten erkennbar sind, weil dort eben die Experten
sitzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824015000

Vielen Dank. – Die Kollegin Hein hat jetzt um das

Wort für eine Kurzintervention gebeten. Frau Kollegin
Hein, ich betone noch einmal „kurz“. – Ich möchte nur
alle darauf hinweisen: Wir sind schon über eine Stunde
in Verzug.


(Zuruf von der CDU/CSU: Eben!)


Ich bitte alle, sich an die Redezeiten zu halten und auch
einmal zu überlegen, ob jede Intervention nötig ist. Ich
bin wirklich für eine lebendige Debatte.

Frau Hein, Sie dürfen jetzt, aber kurz.


Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824015100

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Da ich selten eine

Kurzintervention mache, nehme ich sie heute auch ein-
mal für mich in Anspruch.

Zunächst einmal haben Sie sehr gut beschrieben, was
Schulsozialarbeit alles leisten kann an Schulen. Sie ha-
ben nur einen Fehler gemacht: Sie wissen zum einen
nicht, dass es nicht an jeder Schule Schulsozialarbeit
gibt. In Berlin ist das etwas anders, in einigen anderen
Bundesländern auch.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr habt ja auch Rot-Rot-Grün!)


Aber sie ist bei weitem nicht flächendeckend im Ange-
bot. Gerade weil der Pakt ausgelaufen ist, den die SPD
damals mit dem Bildungs- und Teilhabepaket initiiert
hat, weil das Geld nicht mehr da ist, kann sie auch nicht
mehr so finanziert werden.

Für die Jugendarbeit greift § 11 SGB VIII und für die
Jugendsozialarbeit an Schulen § 13 SGB VIII. Das sind
die beiden Paragrafen, nach denen die Finanzierung der
Schulsozialarbeit durch den Bund zurzeit möglich ist.
Die Maßnahmen sind zum großen Teil projektfinanziert,
also endlich.

Ich wollte Sie gern fragen, ob Sie nicht auch finden,
dass wegen der Eigenständigkeit der Schulsozialarbeit
diese im SGB VIII verankert werden sollte – als eigen-
ständiger Paragraf –, damit gesichert ist


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das können doch die Länder machen!)


– ich gebe Ihnen recht, die Kommunen und die Länder
sind zuständig –,


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Aha!)


dass an jeder Schule künftig Schulsozialarbeit angebo-
ten werden kann, die nicht zulasten der Jugendarbeit und
nicht zulasten der Jugendsozialarbeit geht.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824015200

Vielen Dank. – Frau Kollegin Schwarzer, möchten Sie

darauf antworten? – Bitte schön.


Christina Schwarzer (CDU):
Rede ID: ID1824015300

Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Hein, Sie haben sich

eben Ihre Antwort eigentlich selbst gegeben. Ich glaube,
ich habe das auch fünfmal in meiner Rede gesagt. Die
Kommunen und die Länder sind dafür verantwortlich.


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das kann man ja ändern!)


Und wenn die Kommunen und die Länder wollen, dass
Schulsozialarbeit an jeder Schule stattfindet – Berlin gibt
dafür sehr, sehr viel Geld aus;


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rot-Rot-Grün!)


im Übrigen auch zu Recht –, sollen sie dafür Geld ausge-
ben. Eine Änderung im SGB VIII, über die wir ja gerade
verhandeln, wird es nicht geben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824015400

Jetzt schließe ich diese Aussprache, und wir kommen

zu den Abstimmungen.

Tagesordnungspunkt 12 a. Der Ausschuss empfiehlt
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/8420 mit dem Titel „Inklusive Bildung für alle –
Ausbau inklusiver Schulen fördern“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Opposition angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Die Linke auf Drucksache 18/8421 mit dem Titel
„Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver Bildung
in der beruflichen Bildung umsetzen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi-
on angenommen.

Weiterhin empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8889 mit dem
Titel „Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver
Bildung in der Kindertagesbetreuung umsetzen“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Opposition angenommen.

Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe
d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des An-
trags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/9127 mit
dem Titel „Inklusive Bildung für alle – Ausbau inklusiver
Hochschulen fördern“. Wer stimmt für diese Beschluss-

empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Unter Tagesordnungspunkt 12 b liegt die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Schulsozialarbeit an allen Schu-
len sicherstellen“ vor. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11803, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2013
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Lin-
ke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.

Damit kommen wir zu Zusatzpunkt 7:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur effektiveren und praxistaugli-
cheren Ausgestaltung des Strafverfahrens

Drucksache 18/11277

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Strafgesetz-
buchs, des Jugendgerichtsgesetzes, der
Strafprozessordnung und weiterer Gesetze

Drucksache 18/11272

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/12785

Zu dem Gesetzentwurf zur Ausgestaltung des Straf-
verfahrens liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Debatte 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre hier kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. – Ich darf
Sie bitten, Ihre Plätze einzunehmen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Bettina
Bähr-Losse, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Bettina Bähr-Losse (SPD):
Rede ID: ID1824015500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Heute soll der Bundestag
eines der größten Gesetzesreformpakete dieser Legisla-
turperiode beschließen. Der vorliegende Entwurf sieht
vor, das Gesetz zur effektiveren Ausgestaltung des Straf-
verfahrens mit den Gesetzen zur Änderung des Strafge-
setzbuchs, der Strafprozessordnung, des Jugendgerichts-
gesetzes und weiterer Gesetze zu verbinden und um
Regelungen zur Schaffung von Rechtsgrundlagen für die






(A) (C)



(B) (D)


Onlinedurchsuchung und die Quellen-Telekommunikati-
onsüberwachung zu ergänzen.

Ich gebe zu: Wo viel Licht ist, da ist auch Schatten.
Man sollte vielleicht überdenken, ob es immer sinnvoll
ist, solche großen Gesetzespakete zu schnüren und im
Gesetzgebungsverfahren Einzelpakete als Junktim zu be-
handeln, oder ob es nicht transparenter wäre, die jewei-
ligen Gesetzentwürfe einzeln zu behandeln. Nichtsdesto-
trotz sehe ich in den nun vorliegenden Gesetzentwürfen
eine überwältigende Leistung an parlamentarischer Ar-
beit. Jeder einzelne Gesetzentwurf nimmt gezielt Verbes-
serungen vor, sei es im Bereich der Strafprozessordnung
oder sei es im Bereich der Strafverfolgung. Zum Ende
der Legislaturperiode wird damit zum Abschluss ge-
bracht, was sich die Koalition am Anfang vorgenommen
hat.

Das Vorhaben geht auf die Vereinbarung aus dem
Koalitionsvertrag zurück, das allgemeine und auch das
Jugendstrafverfahren effektiver auszugestalten. Der Ge-
setzentwurf basiert auf der Arbeit einer eigens eingesetz-
ten Expertenkommission.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur wurde nichts übernommen!)


Im Anschluss an die ersten Lesungen der Entwürfe gab
es intensive Beratungen, Berichterstattergespräche, Ge-
spräche auf Fraktionsvizeebene und auch Gespräche im
Koalitionsausschuss, und es gab zu allen – ich betone: zu
allen – Aspekten öffentliche Anhörungen:


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles für die Katz!)


zum Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren
Ausgestaltung des Strafverfahrens, zur geplanten Ände-
rung des Strafgesetzbuches, zur geplanten Änderung der
Strafprozessordnung, des Jugendgerichtsgesetzes und
weiterer Gesetze. Auch die sogenannte Quellen-TKÜ
und die Onlinedurchsuchung wurden intensiv erörtert.
Insbesondere die Bedenken kritischer Sachverständiger
sind in unsere Beratungen eingeflossen. Einige stellen
jetzt die Behauptung auf, dieses Gesetz oder Teilaspek-
te davon seien quasi über Nacht und durch die Hintertür
durchs Parlament gedrückt worden.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Montag!)


Diejenigen, die das tun, verkennen aber, dass es sich um
einen fast vierjährigen Prozess handelt,


(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Hört! Hört! – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Beweisen Sie das mal!)


an dem ich selber leider nur einige Monate teilnehmen
konnte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hierzu eine andere Auffassung zu vertreten, ist selbst-
verständlich legitim. Ich halte den Umstand, dass bis
kurz vor Ende einer Legislaturperiode um einzelne Po-
sitionen gerungen wird, aber für nachvollziehbar und
legitim, wenn es um den schmalen Grat zwischen der

Durchsetzung des Strafanspruchs des Staates einerseits
und der Wahrung und Gewährleistung von Grundrechten
andererseits geht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit einem Nacht-und-Nebel-Gesetz hat das aber rein gar
nichts zu tun.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber mit einem Hauruckverfahren!)


Nun zum Inhalt. Ich möchte nur die wichtigsten As-
pekte herausstellen.

Ein Teil des Paketes ist die sogenannte StPO-Reform,
die ein ehrgeiziges und wichtiges Ziel verfolgt, nämlich
die Vereinfachung und Beschleunigung von Strafverfah-
ren in allen Stadien.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist die geblieben?)


Es geht hier etwa um Ablehnungsverfahren bei Befan-
genheitsgesuchen, die Möglichkeit einer Fristsetzung für
Beweisanträge und die audiovisuelle Dokumentation von
Beschuldigtenvernehmungen, um nur drei Beispiele zu
nennen. Der Gesetzgeber begegnet ja häufig der Kritik,
dass viel zu viel Zeit zwischen Straftat und Gerichtsver-
fahren vergeht. Diesem Problem soll im Gesetzentwurf
auf der Ebene der Strafprozessordnung begegnet werden.

Ein zweites Ziel, das mit der Reform der Strafprozess-
ordnung verfolgt wird, ist die Anpassung an die rasan-
te technische Entwicklung der letzten Jahre. Hierzu ein
kurzer Blick in die Geschichte der Spurensicherung und
Strafverfolgung: 1897 überführte Scotland Yard den ers-
ten Täter anhand seiner Fingerabdrücke. Fingerabdrücke
als Beweismittel wurden erstmals 1896 in Argentinien
und 1901 in Großbritannien vor Gerichten zugelassen. In
Großbritannien und den USA ist der genetische Finger-
abdruck in Strafprozessen als Beweismittel zur Identifi-
zierung oder zum Ausschluss eines Tatverdächtigen seit
1987 zugelassen. 1997 ist in Deutschland erstmals eine
rechtliche Regelung der Voraussetzungen für den Einsatz
des genetischen Fingerabdrucks in Kraft getreten.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht hier ja gar nicht zur Debatte!)


Das liegt nun aber auch schon wieder 20 Jahre zurück,
und die Möglichkeiten der DNA-Analyse haben sich ra-
sant weiterentwickelt.

Die Forensik hat wesentliche Fortschritte auf dem Ge-
biet der DNA-Analyse erzielt. Augen-, Haar- und Haut-
farbe einer Person lassen sich mit hoher Wahrscheinlich-
keit bestimmen. Denjenigen, die meinen, dass dadurch
eine Stigmatisierung bestimmter Gruppen erfolge, halte
ich entgegen, dass zahlreiche andere Verdächtige demge-
genüber entlastet werden,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Bettina Bähr-Losse






(A) (C)



(B) (D)


die vielleicht vorher unter Generalverdacht gestanden
haben. Ist der Täter oder die Täterin blond und blauäu-
gig, werden nun einmal die Schwarzhaarigen und die
Braunäugigen entlastet. Das hat nichts mit Diskriminie-
rung zu tun. Im Übrigen wäre eine Öffentlichkeitsfahn-
dung ohne klare Benennung von Äußerlichkeiten wenig
erfolgversprechend.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Drittens wollen wir unseren Strafverfolgungsbe-
hörden mit den Regelungen zur Quellen-TKÜ und zur
Onlinedurchsuchung ermöglichen, darauf reagieren zu
können, dass auch Kriminelle neue technische Möglich-
keiten nutzen. Die vorgeschlagenen Regelungen halten
sich streng an die Vorgaben, die auch bei der Wohnraum-
überwachung gelten. Traf man sich vor 20 Jahren noch
in einer Wohnung, um kriminelle oder terroristische Ak-
tivitäten zu planen, kann man sich heutzutage in einem
Chatroom treffen. Der Gesetzgeber muss hierauf eine
Antwort finden. Strafverfolger dürfen Kriminellen nicht
hinterherhinken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Oft ist zu hören, dass die Polizei schon jetzt in der
Lage sei, die Kommunikation der Bürgerinnen und Bür-
ger zum Zwecke der Verhütung terroristischer Aktivitä-
ten zu überwachen und entsprechend auszuwerten. Das
stimmt aber gar nicht. Besonders schwierig wird es für
die Ermittler, wenn es um Datenmaterial geht, das durch
sogenannte Messengerdienste ausgetauscht wurde. Wenn
Behörden keinen Zugriff auf diese Daten haben, entste-
hen in der Folge Räume, in denen Strafverfolgung un-
möglich ist. Das ergibt sich dann von selbst.

Unser Ziel muss also sein, die Behörden überhaupt
erst in die Lage zu versetzen, ermitteln zu können. Die
technische Entwicklung erlaubt uns dies jetzt erfreuli-
cherweise. Deshalb treten wir mit unserem gemeinsa-
men Gesetzentwurf dafür ein, dass es künftig eine ge-
setzliche Regelung gibt, auf deren Grundlage besonders
schwere Straftaten durch den Einsatz der sogenannten
Quellen-TKÜ verfolgt werden können. Dabei möchte
ich einen Aspekt betonen, der uns besonders wichtig ist.
Diese Form der Überwachung, die vor der Verschlüsse-
lung von Daten ansetzt, muss den Vorgaben genügen,
die das Bundesverfassungsgericht in seinem BKA-Urteil
im letzten Jahr aufgestellt hat. Die entworfene Regelung
berücksichtigt also insbesondere den Verhältnismäßig-
keitsgrundsatz, ist begrenzt auf den Schutz hinreichend
wichtiger Rechtsgüter und gewährleistet dabei auch den
Schutz Dritter.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824015600

Frau Kollegin, denken Sie an die Zeit und kommen

Sie zum Schluss.


Bettina Bähr-Losse (SPD):
Rede ID: ID1824015700

Ich überspringe jetzt einfach einen Teil.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824015800

Ja, bitte bis zum letzten Satz.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)



Bettina Bähr-Losse (SPD):
Rede ID: ID1824015900

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf geben wir unse-

rer Justiz Mittel an die Hand, um auf die Herausforderun-
gen der Gegenwart überhaupt reagieren zu können. Ich
bitte deshalb um Unterstützung.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824016000

Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Jörn Wunderlich

für die Fraktion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Am besten bis zum letzten Satz!)



Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824016100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Führerscheinentzug als Hauptstrafe, Überwachung von
Anbahnungsgesprächen des Verteidigers mit inhaftier-
ten Mandanten, Blutentnahmen ohne richterlichen Vor-
behalt, Videoaufzeichnung der ersten Vernehmung eines
Beschuldigten – all das war Gegenstand des Gesetzes in
der ersten Lesung. Daneben gab es noch einige Regelun-
gen zur Veruntreuung von Arbeitsentgelt und zum Na-
turschutz; Naturschutz haben wir auch positiv gesehen.
Alles in allem Pillepalle im Vergleich zu dem, was uns
heute vorliegt.

Experten halten es für eines der invasivsten Überwa-
chungsgesetze der vergangenen Jahre. Heute soll hier in
diesem Haus dieses Gesetz mit nachträglichen Änderun-
gen verabschiedet werden, Änderungen, welche den Er-
mittlungsbehörden den Zugriff auf private Geräte, Han-
dys, Laptops und Tablets ermöglichen sollen – heimlich,
zur Strafverfolgung, ohne dass sich die Verdächtigen
wehren können. Die geplanten Maßnahmen sind noch
weitgehender als der große Lauschangriff aus den 90ern.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


– Genauso ist es. – Aber wieso findet sich dazu kaum
Resonanz in der Bevölkerung? Hier wird wieder einmal
mit einem Verfahrenstrick gearbeitet. Diese massiven
Grundrechtseingriffe wurden im Wege eines Änderungs-
antrages bezogen auf ein Gesetz mit ganz anderen Maß-
nahmen kurzfristig durchgebracht. Die einzige Schnitt-
menge ist das Wörtchen „StPO“. Das Thema soll eben
kleingehalten werden.

Was will die Bundesregierung erreichen? Bei der
Quellen-TKÜ wird eine Schadsoftware auf das Gerät ei-
nes Verdächtigen aufgespielt, ein sogenannter Staatstro-
janer, der die laufende Kommunikation mitliest. We-
sentlich eingriffsstärker ist die Onlinedurchsuchung.
Aber auch hier muss eine Software auf dem Gerät des
Verdächtigen installiert werden, allerdings kann dann auf
sämtliche gespeicherte Inhalte zugegriffen werden, also
die gesamte Festplatte ausgelesen werden.

Bettina Bähr-Losse






(A) (C)



(B) (D)


Wie wird die Software durch Ermittler installiert? In
vielen Fällen werden sie bestehende Sicherheitslücken
nutzen müssen, um sich von Ferne Zugriff auf das Ge-
rät zu verschaffen. Doch wenn solche Sicherheitslücken
notwendig sind, werden staatliche Stellen bestimmt we-
nig Interesse daran haben, sie den Softwareherstellern
zu melden, was wiederum auch Cyberkriminellen die
Nutzung dieser Lücken ermöglicht und diesen somit Vor-
schub leistet. Die Cyberkriminellen können sich vorab
schon einmal bei der Bundesregierung bedanken.

Aus einer Ausnahmemaßnahme zur Terrorabwehr soll
nun eine Standardmaßnahme der Polizei werden. Wo bis-
lang abgehört wurde, soll nun der Staatstrojaner einge-
setzt werden. Das Gesetz sieht nicht nur vor, die laufende
Kommunikation mitzulesen, sondern auch, den Zugriff
auf gespeicherte Kommunikation zu erlauben. Experten
befürchten daher, dass die Quellen-TKÜ so quasi zu ei-
ner Onlinedurchsuchung unter viel geringeren Vorausset-
zungen wird.

Beide Instrumente gibt es im Übrigen schon, sie wer-
den aber kaum angewandt: Die Onlinedurchsuchung darf
etwa nur zur Prävention von äußerst schweren Verbre-
chen, also beispielsweise zur Terrorabwehr, genutzt wer-
den. Auch die Quellen-TKÜ wurde bislang nur vereinzelt
zum Einsatz gebracht. Doch nun sollen diese Maßnah-
men nicht nur präventiv, sondern auch zur Strafverfol-
gung genutzt werden, in einem Anwendungsfeld, das sei-
nesgleichen sucht. Man hätte die Anwendung zumindest
auf schwerste Straftaten beschränken müssen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schon im Jahr 2008 hat der Erste Senat des Bundesver-
fassungsgerichts geurteilt, dass Onlinedurchsuchungen
nur zur Abwehr von Gefahren – ich zitiere jetzt mal – für
„Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Gü-
ter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen
oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der
Existenz der Menschen berührt“, dienen dürfe.


(Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Dass Drogenhandel und Verstöße im Asylverfahrens-
recht den Bestand des Staates oder die Grundlagen der
Existenz der Menschen bedrohen, das kann mir hier in
diesem Hause keiner erklären.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schon heute gibt es bei den Strafverfolgungsbehörden
Begehrlichkeiten – das wissen wir aus der Stellungnah-
me des Oberstaatsanwalts beim BGH –, die Eingriffs-
schwelle zu senken. Er sagte: Die Schwere des Eingriffes
kann man eigentlich erst feststellen, wenn man die Be-
weismittel gesichert hat. – Deswegen: Wenn ich es be-
antrage, kann ich noch gar nicht die Schwere bejahen.
Daher müsste die Regelung zur Schwere des Eingriffes
eigentlich aus dem Gesetz heraus.

Ich bin gespannt, was das Verfassungsgericht zu die-
sem Gesetz sagen wird. Es wird mit Sicherheit vor dem
Verfassungsgericht landen; denn es entspricht nicht den

Vorgaben der Entscheidung von 2008. Diese Regierung
wird aus den Watschen, die sie sich permanent vom Ver-
fassungsgericht holt, nicht klüger;


(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das waren die Grünen – die letzte Klatsche!)


aber das wundert mich nicht.

Bei der ersten Lesung des Ursprungsgesetzes, Herr
Fechner, hatte ich noch die Hoffnung, in den Beratungen
etwas retten zu können. Was heute hier von der Koalition
im Omnibusverfahren, im Übrigen am Bundesrat vorbei,
ohne Beteiligung der Bundesdatenschutzbeauftragten,
ohne Beteiligung der Verbände, ohne Diskussion in der
Öffentlichkeit, verabschiedet werden soll, ist mit Worten
jenseits der Fäkalsprache nicht mehr zu beschreiben.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/ CSU: Dann lassen Sie es auch sein!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824016200

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt Elisabeth Winkelmeier-Becker.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1824016300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Strafverfolgung ist ein wesentlicher Teil des rechtsstaat-
lichen Handelns. Wenn Straftaten begangen werden,
dann ist der Staat den Opfern schuldig, dafür zu sorgen,
dass die Täter ermittelt werden und dass spürbare Sankti-
onen verhängt werden. Das ergibt sich aus seinen Schutz-
pflichten, und dafür hat er auch das Gewaltmonopol. Da-
für sorgen eine unabhängige Justiz und handlungsfähige
Strafverfolgungsbehörden. Aber in der Praxis ist das
nicht so einfach, sondern es gibt da offenbar auch De-
fizite.

Die Praxis zeigt, dass wir da teilweise an den Belas-
tungsgrenzen angekommen sind. Taten werden nicht
aufgeklärt. Gestern haben wir in der Anhörung zum
Wohnungseinbruchsdiebstahl gehört, dass die Aufklä-
rungsquote bei diesem Delikt unter 20 Prozent liegt.
Gerichtsverfahren dauern lange. Es kommt vor, dass Be-
schuldigte aus der Untersuchungshaft entlassen werden
müssen, weil die sechsmonatige Frist nicht eingehalten
werden kann. Es werden viel zu viele Verfahren einge-
stellt, bei denen es eigentlich gut gewesen wäre, eine
Gerichtsverhandlung durchzuführen – damit sie einen
bleibenden Eindruck bei dem Täter hinterlässt, damit
das Opfer ihm in die Augen blicken kann, damit es einen
Ausgleich geben kann. Auch unter Gesichtspunkten der
Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit wäre es besser,
wenn nicht so viele Verfahren eingestellt würden.

Es wird kritisiert, dass Deals gemacht werden. Oft ist
der Hintergrund, dass die Arbeitsbelastung zu hoch ist,
dass sich abzeichnet, dass ein Verfahren rechtlich und
auch tatsächlich sehr kompliziert wird. All das trägt na-
türlich nicht dazu bei, dass sich die Akzeptanz gerichtli-
cher Entscheidungen in der Bevölkerung erhöht. Es trägt
auch nicht zu mehr Gerechtigkeit bei.

Jörn Wunderlich






(A) (C)



(B) (D)


Das Problem liegt in einer sehr hohen Arbeitsbelas-
tung der Gerichte, der Ermittler, der Staatsanwälte und
der Justizangestellten. Deshalb haben wir uns in Nord-
rhein-Westfalen für die neue Koalition vorgenommen,
hier à la longue ganz deutlich aufzurüsten, sowohl, was
die personelle Ausstattung angeht, als auch, was die tech-
nische Ausstattung angeht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


– Das ist schon mal einen Applaus wert; das finde ich
auch.

Dabei zeigt der Vergleich, dass wir mit der Anzahl von
24 Richtern pro 100 000 Einwohner gar nicht so schlecht
dastehen. Wir wissen auch, dass sich diese Zahlen nicht
beliebig steigern lassen. Deshalb müssen wir auf der
einen Seite die Ressourcen verbessern; auf der anderen
Seite wird es darauf ankommen, mit den knappen Res-
sourcen sorgsam umzugehen, diese Ressourcen sinnvoll
und vor allem effizient einzusetzen. Das ist ein Beitrag
zu mehr Rechtsstaatlichkeit, zu mehr Vertrauen in den
Rechtsstaat und auch zu mehr Gerechtigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist durchaus erkennbar, dass bei uns noch Potenzial
vorhanden ist. Ein Vergleich: Das Landgericht Hamburg
hatte einen Fall abzuurteilen, in dem es um Piraten ging,
die am Horn von Afrika ein deutsches Schiff angegrif-
fen hatten. Für das Verfahren waren 106 Hauptverhand-
lungstage angesetzt, die Kosten: 4,5 Millionen Euro.
Bei einem vergleichbaren Fall in Frankreich dauerte die
Hauptverhandlung drei Wochen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommt doch sehr auf die Beweislage an, Frau Kollegin! Man kann doch nicht Äpfel mit Birnen vergleichen!)


Da zeigt sich eine gewissen Unwucht und dass wir in die-
sem Bereich auf jeden Fall noch Potenzial haben; denn
Frankreich wird man sicherlich nicht nachsagen können,
dass dort der Rechtsstaat nichts gilt; ganz im Gegenteil.
Wir haben deshalb schon im Koalitionsvertrag verein-
bart, dass wir in den Strafverfahren, in den Jugendstraf-
verfahren, unter Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze
selbstverständlich, die Verfahren praxistauglicher ausge-
stalten wollen. Das ist der rote Faden, der sich durch die
Regelungen zieht, die wir Ihnen heute zur Abstimmung
vorlegen.

Es beginnt beim Ermittlungsverfahren. Wir schaffen –
die Kollegin Bähr-Losse hat es schon dargestellt – damit
eine sichere Rechtsgrundlage für Quellen-TKÜ und On-
linedurchsuchungen. Es ist einfach Unsinn, wenn die Er-
mittlungsbehörden bei ihrer Arbeit nicht die Möglichkeit
haben, sich daran zu orientieren, wie Täter und Banden
heutzutage agieren. Derzeit heißt es zu oft, dass wir dem
Täter nicht auf die Spur kommen können. Mit Telekom-
munikation herkömmlicher Art bekommen wir eigentlich
nur noch mit, wer gerade welche Pizza bestellt, wir er-
fahren aber nicht mehr, was die Bandenmitglieder verab-
reden, um ein Verbrechen oder einen Angriff zu begehen,
möglicherweise sogar einen terroristischen Anschlag zu
planen.

Es ist aus den genannten Gründen notwendig, dass wir
für die Maßnahmen eine klare Rechtsgrundlage schaffen.
Sie beinhalten zugegebenermaßen schon auch Eingriffe
in die Grundrechte, aber sie sind an klare Voraussetzun-
gen gebunden, nämlich dass Tatsachen den Verdacht be-
gründen, dass jemand Täter oder Teilnehmer einer schwe-
ren Straftat ist. Ein paar Beispiele dafür, um welche Taten
es gehen kann: Terrorismus, Geldwäsche, Abgeordneten-
bestechung, Kinderpornografie, Mord, Bandendiebstahl.
In solchen Fällen können die Maßnahmen wichtige und
unverzichtbare Anhaltspunkte liefern, und dann sind sie
auch verhältnismäßig, und dann sind sie auch gerechtfer-
tigt. Es sind die hohen rechtlichen Hürden und auch die
hohen technischen Hürden, die dafür sorgen, dass eine
Maßnahme nie und nimmer zu einer Standardmaßnahme
werden kann. Vielmehr handelt es sich um sehr gezielte
Maßnahmen, die allenfalls in wenigen Einzelfällen zum
Einsatz kommen.

Ich weiß nicht, woher Sie nehmen, dass eine Maßnah-
me zu einer Standardmaßnahme werden könnte. Weder
die rechtlichen Voraussetzungen lassen diesen Schluss
zu, noch die Erfahrungen mit diesem Instrument im prä-
ventiven Bereich. Mit den Maßnahmen wird sehr restrik-
tiv umgegangen, und genauso wird das – das ist meine
feste Überzeugung – hier im Bereich der Ermittlungen,
im Bereich der Strafverfolgung geschehen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das ist eine falsche Überzeugung!)


Es wird außerdem Vereinfachungen im Ermittlungs-
verfahren geben. Auf den Richtervorbehalt bei der Blut-
entnahme im Zusammenhang mit Verkehrsstraftaten
kann guten Gewissens verzichtet werden, weil der telefo-
nisch erreichte Richter im Zweifel ohnehin nur das bestä-
tigen kann, was ihm der Polizeibeamte vor Ort schildert.

Wir schaffen die Pflicht von Zeugen, bei der Polizei
zu erscheinen. Wir regeln die Erfassung von sogenannten
DNA-Beinahetreffern, wo es Sinn macht. Wir hätten ger-
ne auch noch die DNA-Analyse in Bezug auf Merkmale
wie Augenfarbe oder Haarfarbe aufgenommen, aber dazu
sah sich das Justizministerium leider nicht in der Lage.

In einem nächsten Schritt haben wir Beschleunigun-
gen für den Gang des Verfahrens vorgesehen. Es gibt
häufig den Fall, dass Befangenheitsanträge und Beweis-
anträge eher taktisch gestellt werden. Das Gericht soll
blamiert werden, als hilflos vorgeführt werden, indem
man mal zuerst mit einem Befangenheitsantrag beginnt
und den ganzen Zeitplan durcheinanderbringt.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn die doch befangen sind, die Richter?)


Wir haben jetzt geregelt, dass wenigstens bis zur Verle-
sung der Anklageschrift erst einmal weitergemacht wer-
den kann. Danach wird sich alles Weitere finden. Beides
führt zu mehr Effizienz ohne substanzielle Eingriffe in
die Rechte des Angeklagten oder Nachteile für die Wahr-
heitsfindung.

Der letzte Schritt. Bei den Sanktionen haben wir in
Zukunft die Möglichkeit, ein Fahrverbot als Nebenstra-
fe festzusetzen; denn häufig ist es so, dass zum Beispiel

Elisabeth Winkelmeier-Becker






(A) (C)



(B) (D)


eine Bewährungsstrafe doch nur als Freispruch zweiter
Klasse empfunden wird. Hier brauchen wir eine zusätz-
liche Sanktion, die auch für den Täter spürbar ist – ohne
die Nachteile einer Haftstrafe.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824016400

Jetzt müssen Sie zum Schluss kommen.


Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1824016500

So bin ich optimistisch, dass wir mit diesem Paket

schon einiges erreichen, liebe Frau Präsidentin.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Bettina Bähr-Losse [SPD])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824016600

Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Hans-Christian

Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eigentlich wollten wir hier über die große Strafprozess-
reform reden, die der Bundesjustizminister schon vor
Jahren angekündigt hat. Dabei ist aber nichts rausgekom-
men, außer ein paar kleinen Mäuschen, die hier schon
erwähnt worden sind, wie zum Beispiel, dass der Rich-
tervorbehalt bei der Blutentnahme wegfällt.


(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das ist ein großer Vorteil für die Praxis!)


– Ja, sensationell; eine wirklich große Leistung. – Oder
dass jetzt bei bestimmten – das gilt nur bei Tötungsde-
likten – Vernehmungen von Beschuldigten ein Band mit-
läuft oder eine Tonaufnahme gemacht wird, das ist auch
nicht revolutionär, das ist auch keine große Veränderung.

Aber ich will mich an diesen einzelnen Punkten gar
nicht mehr aufhalten, weil wir das bereits in der ersten
Lesung getan haben. Übrigens haben wir auch den As-
pekt behandelt, der weniger die Strafprozessordnung,
sondern eher das Strafrecht betrifft, dass man Führer-
scheinentzug oder Fahrverbot jetzt auch für Nichtver-
kehrsstraftaten anwenden will.

Das alles wäre hier heute fast nichts gewesen. Des-
halb haben Sie noch rechtzeitig – oder vielmehr: nicht
mehr rechtzeitig, nämlich nach Dienstschluss am letzten
Freitag – einen Änderungsantrag eingebracht und woll-
ten am Montag eine Sondersitzung für die Telekommu-
nikationsüberwachung, also für Onlinedurchsuchungen
und Quellen-TKÜ, haben, damit das im Rechtsausschuss
noch schnell beschlossen werden kann – das ist nicht ge-
macht worden. Dann hat man es Dienstag gemacht, wo
es schnell durchgepeitscht wurde.

Ich sage Ihnen: Das ist ein Hauruckverfahren,


(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Das ist doch wie ein Sondervotum!)


das unzulässig ist, zumindest wenn es darum geht, ein
Gesetz zu machen, das mehr in die Grundrechte der

Bürgerinnen und Bürger eingreift als damals der große
Lausch angriff,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


und zwar nicht nur in die von Verdächtigten und Beschul-
digten, sondern möglicherweise auch in die Grundrech-
te von anderen Personen. Es könnte nämlich sein, dass,
wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass ein Verdächtiger
einen PC oder ein Handy von jemand anderem benutzt
hat, dann auch der fällig ist, dann auch der in der Über-
wachung ist.

Es geht hier um einen operativen Eingriff in Grund-
rechte. Das muss ausführlich beraten werden. Deshalb
haben wir gesagt: So kann man das nicht machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Was haben Sie unter der Überschrift „Wir müssen et-
was gegen Terrorismus tun“ jetzt gemacht? Da geben wir
Ihnen ja recht – auch mit Blick auf die Strafverfolgung;
denn hier geht es ja nur um die Strafverfolgung –: Wir
müssen etwas gegen Terrorismus tun; das stimmt. Aber
wenn man den Gesetzentwurf nun betrachtet, sieht man:
Es hat Auswirkungen quer durch das Strafgesetzbuch.
Sie wollen es auf insgesamt 70 Paragrafen, glaube ich,
anwenden. Erklären Sie mir, wo die schwere Straftat ist,


(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Kinderpornografie zum Beispiel!)


wenn es beispielsweise auf gewerbsmäßige Hehlerei an-
gewendet werden soll. Wird da der Staat aus den Angeln
gehoben, oder warum?


(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Hehlerei ist nicht okay!)


Daran zeigt sich, dass Sie etwas ganz anderes vorha-
ben: Sie wollten das Strafgesetzbuch ganz breit erfassen,
nahezu alle Delikte. – Hehlerei ist übrigens nicht einmal
ein Verbrechenstatbestand, sondern ein Vergehenstatbe-
stand.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


So kann man das nicht machen, und so ist das auch mit
der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
nicht in Einklang zu bringen.

Das Bundesverfassungsgericht hat insbesondere ver-
langt: Wenn man solche Onlinedurchsuchungen machen
will, dann muss man garantieren, dass dies technisch
und rechtlich vorher so geprüft wird und überprüfbar
bleibt, dass man feststellen kann, was mit dieser TKÜ
wirklich gemacht wird. Wenn es heißt, sie laufe nach drei
Monaten aus, muss überprüfbar sein, ob sie tatsächlich
ausläuft. Kann das der Richter feststellen? Da reicht der
Richtervorbehalt nicht, sondern da braucht man einen
Vorbehalt von Datenschutzbeauftragten oder meinetwe-
gen auch von Spezialisten vom Chaos Computer Club,
die man da hinzuziehen muss.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Elisabeth Winkelmeier-Becker






(A) (C)



(B) (D)


Mit diesem Gesetz greifen Sie substanziell in das
Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein, und
dies gerade in dem Kernbereich privater Lebensführung.
Dazu haben Sie in das Gesetz hineingeschrieben: Wenn
allein dieser Kernbereich betroffen ist, dann ist das un-
zulässig. – Das wird ja fast nie der Fall sein. Selbst bei
einem Liebesgeflüster oder selbst beim Gespräch mit
einem Psychologen oder Psychiater wird natürlich auch
einmal über etwas anderes gesprochen. Das heißt, Sie
öffnen selbst diesen Kernbereich der privaten Lebensfüh-
rung für derartige Onlinedurchsuchungen. Das ist grund-
gesetzwidrig, das ist mit der Rechtsprechung des Bun-
desverfassungsgerichts in keiner Weise zu vereinbaren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Lassen Sie mich einen letzten Punkt ansprechen. Sie
sagen zwar: Rechtsanwälte, Ärzte, Pfarrer sollen davon
ausgenommen sein. – Aber Sie nehmen die Helfer der
Rechtsanwälte nicht aus. Wie stellen Sie sich denn das in
meinem Büro als Rechtsanwalt vor? Bei mir dürfen Sie
es nicht einsetzen, aber bei einem Mitarbeiter, der da bei
mir im Büro sitzt, dürfen Sie es einsetzen. Wie wollen Sie
da noch das Anwaltsgeheimnis wahren,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das wollen sie ja nicht!)


wie wollen Sie da noch das Arztgeheimnis wahren, wie
wollen Sie die Vertraulichkeit des Gesprächs mit Geistli-
chen, mit Pfarrern oder anderen wahren?

Nein, dieses Gesetz darf so nicht durchkommen. Die-
ses Gesetz muss spätestens in Karlsruhe fallen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824016700

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt

Dr. Johannes Fechner das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1824016800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich möchte gleich vor-
ab sagen: Das Allerwichtigste – bei Strafgesetzen oder
der Reform der Strafprozessordnung – ist es, wenn wir
die Strafjustiz entlasten wollen, für mehr Personal zu sor-
gen. Wir brauchen mehr Richterinnen und Richter, wir
brauchen mehr Staatsanwälte. Damit können wir der Jus-
tiz den größten Dienst erweisen, liebe Kolleginnen und
Kollegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir können die hohe Arbeitsbelastung gerade in der
Strafrechtspflege aber auch durch eine effektivere Aus-
gestaltung des Strafverfahrens erreichen, und genau
dem dient dieses Gesetz. So ist es in der Tat – Kollege
Wunderlich hat es angesprochen – zukünftig nicht mehr
erforderlich, dass für eine Blutalkoholprüfung extra ein

Richter seine Anordnung geben muss. Das hat viele
Kräfte gebunden, und es wird von allen Berufsverbän-
den begrüßt, dass wir die Richter hiervon entlasten. Mit
dieser Maßnahme erreichen wir beispielhaft das Ziel, die
hohe Belastung in der Justiz zu reduzieren.

Wenn sich die biotechnischen Möglichkeiten der
DNA-Analyse weiterentwickelt haben, dann sollten wir
diese Möglichkeiten auch nicht ungenutzt lassen. Wir
wollen deshalb, dass der sogenannte Beinahetreffer auch
von der Strafprozessordnung erfasst wird und dort gere-
gelt ist. Das sind Fälle, in denen der Abgleich von Spu-
ren und DNA-Material ergibt, dass die Spuren zwar nicht
vom Täter, aber von einem nahen Verwandten stammen.
Zukünftig kann also nicht nur auf die völlige Überein-
stimmung von Spur und Täter hin untersucht werden,
sondern auch, ob es eine Ähnlichkeit gibt, die auf ein
Verwandtschaftsverhältnis schließen lässt. Auch das ist
ein ganz wesentlicher Vorteil.

Ich persönlich wünsche mir auch, dass wir rasch in
der nächsten Legislaturperiode die Frage der Weitergabe
von Ergebnissen aus DNA-Analysen an die Polizei re-
geln, was die persönlichen Merkmale angeht, also etwa
Augenfarbe oder Haarfarbe. Dazu hatten wir ein um-
fangreiches Symposium beim BMJ; herzlichen Dank für
diese gelungene Veranstaltung, die den Handlungsbedarf
gezeigt hat. Um dies einzuarbeiten, hat jetzt zum Ende
der Legislaturperiode die Zeit nicht mehr gereicht. Aber
ich finde: Wenn mit Sicherheit gesagt werden kann, wie
die Haarfarbe oder die Augenfarbe eines Täters ist, dann
sollte die Polizei diese Informationen bekommen, um die
Ermittlungskräfte gezielt einsetzen zu können, liebe Kol-
leginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir gestalten den Strafprozess an vielen Stellen effek-
tiver. Der Verteidiger erhält bei umfangreichen Verfahren
die Möglichkeit zu einer sogenannten Opening Speech,
und bei Tötungsvorwürfen muss die Beschuldigtenver-
nehmung zukünftig auf Video aufgenommen werden.
Herr Ströbele, Sie haben recht:


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe immer recht!)


Wir wären hier viel weiter gegangen. Wir hätten die im
sehr guten Referentenentwurf vorgesehene Formulierung
des § 58a StPO gerne bei allen Straftaten angewandt;
denn wir erhalten aus der Praxis immer wieder Hinweise,
dass gerade die Opfer von Sexualstraftaten ihre Aussa-
gen leider zurückziehen. Mit der Videoaufzeichnung hät-
ten wir die Möglichkeit, im Prozess auf diese Aussagen
zurückzukommen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das wäre ein Schritt!)


Deswegen geht der Vorwurf an den Koalitionspartner:
Wir könnten mehr Vergewaltiger und mehr Menschen-
händler verurteilen, wenn Sie diese Regelung nicht blo-
ckiert hätten, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD)


Hans-Christian Ströbele






(A) (C)



(B) (D)


Zu der Frage der Verwertung der Ergebnisse von
DNA-Analysen. Wir müssen – das habe ich schon aus-
geführt – mit dem technischen Fortschritt gehen. Es kann
nicht sein, dass nur die eine Seite, dass nur Terroristen
und Kriminelle vom technischen Fortschritt profitieren.
Nein, auch die Polizei muss hier Schritt halten und auf
Augenhöhe mit den Terroristen und Kriminellen agieren
können.

Deswegen ist es richtig, dass wir eine klare rechts-
staatliche Grundlage für die TKÜ und die Onlinedurch-
suchungen schaffen. Wir orientieren uns dabei an der
Wohnungsüberwachung – mit ganz klaren rechtsstaatli-
chen Grundsätzen. Es kann nicht einfach ins Blaue hi-
nein angeordnet werden, dass ein Handy von der Polizei
gehackt wird. Nein, ein Richter muss feststellen, dass
Tatsachen vorliegen, die einen Verdacht auf eine ganz
bestimmte Straftat, und zwar eine schwere Straftat, die
im Gesetz abschließend geregelt ist, begründen.


(Zuruf des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Man kann darüber diskutieren, ob es auch weniger getan
hätte; keine Frage. Aber wir haben eine klare Regelung:
Nur bei einer schweren Straftat darf dieses Instrument
angeordnet werden. Ich finde, das ist eine rechtsstaatliche
Lösung. Die Polizei muss auf dem neuesten technischen
Stand sein, um mit Terroristen und Kriminellen mithalten
zu können.

Weil Frau Künast direkt danach gefragt hat, will ich
Folgendes nicht unerwähnt lassen: Ja, wir tun mit diesem
Gesetz auch etwas für den Naturschutz. Wir verschärfen
das Bundesnaturschutzgesetz, um den illegalen Wildtier-
handel zu bekämpfen. Nach dieser Neuregelung macht
sich strafbar, wer leichtfertig ein geschütztes Tier tötet
oder geschützte Pflanzenarten zerstört. Hierfür erhöhen
wir die Höchststrafe von einem auf drei Jahre. Das ist
nicht ganz unwichtig, wie ich finde. Deswegen will ich es
in dieser Rede zumindest kurz erwähnen. Abschließend
sage ich: Ein gutes Gesetz – –


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824016900

Aber jetzt kommen Sie zum Schluss, ja?


Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1824017000

Jetzt haben Sie mich im Schlusssatz unterbrochen,

Frau Präsidentin. Ich muss noch einmal anfangen.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824017100

Dann muss man damit früher anfangen.


Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1824017200

Abschließend: Das ist ein gutes Gesetz. Stimmen wir

also zu!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824017300

Vielen Dank. – Als Nächster hat jetzt Professor

Dr. Patrick Sensburg für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1824017400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich kann an die Rede meines Vorredners an-
knüpfen: Das ist ein gutes Gesetz. Wir haben im Koali-
tionsvertrag vereinbart, das Strafprozessrecht effektiver
und praxistauglicher zu gestalten. Das ist ein guter An-
satz gewesen; denn über die Jahre hat sich das Strafpro-
zessrecht aufgrund vieler Gesetzesänderungen auseinan-
derentwickelt. Das wieder zusammenzuführen, war der
Ansatz.

Das ist uns nur in Teilen gelungen; da stimme ich dem
Kollegen Ströbele zu. Es wäre mehr möglich gewesen.
Der erste Vorschlag der Kommission beim Justizministe-
rium zeigt: Es war größer geplant. Aber wir haben viele
Hürden nehmen müssen. Wir haben über einzelne Rege-
lungen gestritten. An dieser Stelle gilt mein Dank dem
Justizministerium, dem Justizminister Maas und insbe-
sondere Staatssekretär Lange. Wir haben oft zusammen-
gesessen und über viele Formulierungen und einzelne
Wörter diskutiert, debattiert und gestritten. Im Ergebnis
haben wir nach meiner Meinung eine wirklich tragbare
und gute Lösung für die Reform des Strafprozessrechts
gefunden. Dafür ein Dankeschön!


(Beifall des Abg. Dr. Johannes Fechner [SPD])


Die einzelnen Punkte sind erwähnt worden: Mit Be-
fangenheitsanträgen soll nicht mehr erreicht werden
können, dass ein Verfahren endlos in die Länge gezogen
wird; Beweisanträge müssen bis zum Ende einer Frist ge-
stellt werden; die Erscheinungspflicht des Zeugen wird
geregelt – er kann nicht einfach sagen: ach, was inte-
ressiert es mich, wenn die Polizei mich zur Befragung
lädt –; und die audiovisuelle Vernehmung ermöglicht es,
später noch einmal zu schauen, was der Zeuge bei seiner
Vernehmung wirklich gesagt hat.

Ob es, wenn das weiter ausgedehnt worden wäre, uns
mehr Klarheit und Transparenz gebracht hätte oder mehr
Revisionsgründe, das kann man unterschiedlich beleuch-
ten. Wir haben ja Expertenanhörungen zu diesen Themen
durchgeführt. Wir haben dreieinhalb Jahre über diese
einzelnen Punkte diskutiert. Von daher freue ich mich,
dass Frau Kollegin Bähr-Losse die Genese, die Entwick-
lung dieses Gesetzentwurfs dargestellt hat. Ich verstehe
nicht, wie man angesichts dessen als Oppositionspoli-
tiker sagen kann: Dieser Gesetzentwurf ist in wenigen
Tagen entstanden.

Herr Kollege Ströbele, Sie waren doch bei der Expert-
enanhörung, in der auch über die Quellen-TKÜ diskutiert
worden ist, dabei. Ich habe in dieser Anhörung selbst die
Frage nach der Notwendigkeit der Quellen-TKÜ gestellt.
Vielleicht haben Sie das nicht mitbekommen; dann ver-

Dr. Johannes Fechner






(A) (C)



(B) (D)


stehe ich, dass Sie sagen: Das kommt jetzt spontan. –
Aber das ist doch nicht spontan.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stand im Gesetz überhaupt nicht drin!)


Das war im Gesamtpaket der Strafprozessordnungsre-
form drin.


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war im Gesetzentwurf nicht drin!)


Dann ist es herausgenommen und in zwei Teile getrennt
worden, weil wir aus der letzten Legislaturperiode den
§ 81a StPO noch als sogenanntes Leftover, als Über-
bleibsel, hatten.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war bis Freitag in dem Gesetz überhaupt nicht drin!)


Wir sind froh, dass wir den § 81a StPO in dieser Legisla-
turperiode durchbekommen haben. Wir beide waren doch
gemeinsam mit dem Kollegen van Essen damals Bericht-
erstatter. Wir wären doch beide froh gewesen, hätten wir
den § 81a StPO schon damals durchbekommen.


(Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: So, so! – Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Jetzt ist uns das endlich gelungen, und nun hängen
Sie sich an zwei Punkten auf und blockieren dieses gute
Gesetz, nämlich an der Quellen-TKÜ und an der Online-
durchsuchung. Beides sind Bereiche, die wir ohnehin
schon haben. Es ist derzeit ohne Weiteres möglich, den
Telefonverkehr von Verbrechern und Menschen, die im
Verdacht stehen, schwere und schwerste Straftaten be-
gangen zu haben, abzuhören. Das kennt jeder, der schon
einmal den Tatort gesehen hat.

Nun ist es so, dass im Tatort nicht alle Leute per Mes-
senger telefonieren. Aber in der Realität machen das die
Menschen inzwischen. Nur noch 15 Prozent der Kom-
munikation erfolgen unverschlüsselt. Sehen Sie sich ein-
mal an, was die Kids machen; die drücken auf den Hörer
bei WhatsApp.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann führen Sie es doch für Terrorismus ein!)


Diese Kommunikation von Verbrechern bzw. Menschen,
die im Verdacht stehen, schwere und schwerste Strafta-
ten begangen zu haben, wollen wir genauso erfassen wie
die Kommunikation in normalen Telefonaten. Das ist be-
rechtigt. Diese Möglichkeit eröffnen wir jetzt durch die
Quellen-TKÜ.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der zweite Bereich ist die Onlinedurchsuchung. Es
ist heutzutage Alltag, dass ein Handy, das an einem Tat-
ort gefunden wird, ausgelesen wird; das ergibt sich aus
§ 110 der StPO. Wenn man kein Handy findet, aber weiß,
dass schwerste Straftaten im Raum stehen, deren beson-
dere Schwere sogar festgestellt worden ist und werden
muss – das haben Sie eben unterschlagen, Herr Kollege

Ströbele; in § 100b des Gesetzes steht nämlich auch drin,
dass die besondere Schwere der einzelnen Tat festgestellt
werden muss –,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die können Sie vorher doch gar nicht feststellen!)


dann muss es auch möglich sein, ein Handy online zu
durchsuchen, genauso wie es durchsucht werden kann,
wenn es an einem Tatort beschlagnahmt wird. Wir eröff-
nen damit die Möglichkeit, Straftaten zu verhindern, sie
zu verfolgen und die Täter dingfest zu machen. Das ist
nichts Aufregendes, und das ist nichts, was man skanda-
lisieren muss. Das sind die Dinge, die in der normalen –
nicht der digitalen – Welt schon bisher möglich waren.
Diese Möglichkeit eröffnen wir jetzt auch im Hinblick
auf die digitale Kommunikation.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Sensburg, Sie wissen doch, dass das nicht stimmt!)


Herr Kollege Wunderlich, wenn Sie im Jahre 1990
stehen bleiben, dann werden Sie halt Straftaten nicht
mehr ermitteln. Täter kommunizieren heute digital. Da-
her geben wir unserer Polizei und den Strafverfolgungs-
behörden die Möglichkeit, auch diese Kommunikation in
ganz besonders schweren Fällen abzurufen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Insbesondere bei Kids, wie Sie gerade gesagt haben!)


Das ist auch richtig so. Deswegen: Unterstützen Sie un-
seren Gesetzentwurf!

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824017500

Vielen Dank, vor allen Dingen für die perfekte Einhal-

tung der Zeit. – Als letzter Redner zu diesem Tagesord-
nungspunkt hat jetzt der Kollege Alexander Hoffmann
für die CDU/CSU-Fraktion das Wort. Er hat den Ehrgeiz,
das genauso zu machen wie der Kollege Sensburg.


Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1824017600

Ich tue, was ich kann. – Sehr geehrte Frau Präsidentin!

Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren! Kollege Fechner, Ihre Aus-
sage, dass wir mit diesem Gesetz mehr Vergewaltiger
verurteilen könnten, wenn die Union nicht wäre,


(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Ja!)


bedarf natürlich der Kommentierung durch mich;


(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das überrascht mich nicht!)


das wird Sie nicht überraschen. Ich möchte an dieser
Stelle schon darauf hinweisen, dass wir heute vor allem
deswegen mehr Vergewaltiger verurteilen können, weil

Dr. Patrick Sensburg






(A) (C)



(B) (D)


wir einen neuen Straftatbestand haben, nämlich den be-
rühmten Grundsatz „Nein heißt Nein“.


(Marianne Schieder [SPD]: Aber bestimmt nicht wegen der Union!)


Für diesen Straftatbestand hat die Union gekämpft,


(Widerspruch bei der SPD)


dafür haben die Frauen in der Union und glücklicherwei-
se auch die Frauen in der SPD gekämpft, aber leider nicht
der SPD-Bundesjustizminister. Diese Bemerkung kann
ich mir nicht verkneifen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Maas wollte das auch nicht! Da haben Sie recht!)


Aber ich nehme Sie als geläutert wahr. Sollten wir wie-
der einmal rechtspolitische Koalitionsverhandlungen
führen, können wir gerne über die Versuchsstrafbarkeit
beim Cyber Grooming verhandeln. Das ist uns nämlich
ein großes Anliegen, das aber die ganze Zeit von der SPD
blockiert wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir,
dass ich als letzter Redner zwei Teilaspekte aus dem
Gesetzespaket, das uns vorliegt, herausgreife. Zunächst
noch ein paar Sätze zur effektiveren und praxistaugliche-
ren Ausgestaltung des Strafverfahrens. Der Titel sagt es
schon: Es geht um Verfahrensvereinfachung und Verfah-
rensbeschleunigung. Wir alle kennen ja aus dem Studium
den Satz: Die Strafe soll der Tat auf dem Fuße folgen.

Es geht um bestimmte Komponenten, die – ich will
es einmal so sagen – eine Straffung des Befangenheits-
rechts darstellen, das – die Praktiker wissen das – in der
Vergangenheit immer wieder gezielt zur Verfahrungsver-
zögerung missbraucht worden ist – so muss man es schon
fast nennen –, und zwar, wie die Kollegin Winkelmeier-
Becker eben gesagt hat, zum Beispiel durch die Formulie-
rung des Ablehnungsgesuchs kurz vor Beginn der Haupt-
verhandlung. Dem wollen wir einen Riegel vorschieben.
Die Hauptverhandlung kann jetzt beginnen und bis zur
Verlesung des Anklagesatzes fortgesetzt werden. Zudem
hat der Vorsitzende nun die Möglichkeit, eine Fristset-
zung für die schriftliche Begründung des Ablehnungsge-
suchs zu formulieren. Auch das führt letztlich dazu, dass
Verfahren nicht weiter verschleppt werden.

Ich möchte auch noch einige Sätze zur Änderung des
Beweisantragsrechts sagen. Auch das ist mittlerweile
leider ein sehr missbrauchsanfälliger Bereich. Hier wird
neu eingeführt – ich habe das in der ersten Lesung schon
skizziert –, dass der Vorsitzende nach Ende der Beweis-
aufnahme eine angemessene Frist setzen kann, binnen
der weitere Beweisanträge gestellt werden dürfen; da-
nach ist das eben einfach nicht mehr möglich.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass wir hier einen
praxistauglichen Instrumentenkasten haben, der letzt-
endlich dazu führt, dass wir die Strafverfahren werden
straffen können.

Im zweiten Teil meiner Rede möchte ich noch ein
paar Sätze zum Fahrverbot als Sanktion sagen; das ist

die eigentliche Zielsetzung meiner Berichterstattung.
Sie kennen die Rechtslage. Bisher ist es so, dass es das
Fahrverbot als Sanktion nur dann gibt, wenn die Straftat
im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht. Die-
se Verbindung wollen wir aufheben, und das aus guten
Gründen.

In einem Rechtsstaat manifestiert sich der staatliche
Strafanspruch in der Verurteilung. Strafe und auch Ne-
benstrafe sollen das Tatunrecht sühnen, Genugtuung für
das Opfer sein und auf den Täter einwirken. Diese dritte
Komponente, diese Spezialprävention, ist im Jugend-
strafrecht noch einmal sehr viel intensiver. Hier steht der
Erziehungsgedanke über allem. Man will auf den Täter,
der im jugendlichen Alter noch formbar ist, einwirken.
Deswegen glaube ich, dass es richtig ist, dass nach dem
vorliegenden Entwurf der Instrumentenkasten an Neben-
strafen erweitert wird und auch ein Fahrverbot zulässt,
wenn die Straftat nicht im Zusammenhang mit dem Stra-
ßenverkehr begangen wird.

Das Fahrverbot bleibt Nebenstrafe. Im Erwachsenen-
strafrecht wird die Dauer von maximal drei Monaten auf
maximal sechs Monate erhöht; im Jugendstrafrecht bleibt
es bei drei Monaten, eben wegen des Erziehungsgedan-
kens. Das Fahrverbot soll in Betracht kommen, wenn es
zur Einwirkung auf den Täter erforderlich scheint und –
das kommt dem Täter ja zugute – zur Vermeidung einer
Freiheitsstrafe zielführend ist. Wir erhoffen uns hiermit
ein Instrument, das effektiv einwirken kann, nämlich
zielgenau, spürbar und der Schuld angemessen. Ich glau-
be, wir sind hier auf dem richtigen Weg.

Ich will noch ein Missverständnis aus dem Weg räu-
men, weil das immer wieder proklamiert wird: Die An-
hörung hat sehr deutlich ergeben, dass sich vor allem die
Praxis ein solches Instrument wünscht. Das wollen wir
heute beschließen. Deswegen bitte ich um Zustimmung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824017700

Vielen Dank. – Der Kollege Christian Ströbele hat um

das Wort zu einer Kurzintervention gebeten. Bitte, Herr
Ströbele.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Danke, Frau Präsidentin. – Ich will zu dem, was der
Kollege Sensburg gesagt hat, zwei Anmerkungen ma-
chen.

Erstens. Wir streiten nicht darüber, dass man bei ter-
roristischen Gefahren für alle Eventualitäten Erkenntnis-
und Aufklärungsmöglichkeiten schafft. Das habe ich im
Rechtsausschuss auch so gesagt. Das heißt, wir können
bei solchen Tatbeständen durchaus darüber reden. Ärger-
lich und in gewisser Weise auch unwahrhaftig ist, dass
Sie mit dieser terroristischen Gefahr geradezu Handel
treiben, indem Sie sagen: „Da muss man doch etwas
machen“ – da stimmt Ihnen fast jeder zu –, aber wol-
len, dass die Maßnahmen auch auf eine ganze Serie von

Alexander Hoffmann






(A) (C)



(B) (D)


Straftatbeständen im Strafgesetzbuch – die Zählungen
gehen auseinander; bei manchen sind es 50, bei anderen
70 – angewandt werden können.

Zweitens. Der Richtervorbehalt hat Sinn und ist auch
hier sinnvoll. Darüber streiten wir ja auch nicht, obwohl
das von Ihnen in der Diskussion im Rechtsausschuss be-
stritten worden ist. Allerdings ist angesichts der Tatsache,
dass es hier um eine komplizierte und von den techni-
schen Kenntnissen her problematische Angelegenheit
geht, die Frage berechtigt, ob eine Richterin oder ein
Richter einer Strafkammer, also Juristen, tatsächlich die
Expertise haben, um beurteilen zu können, ob dieses Ins-
trument mit den zu erwartenden Folgen wirklich so kon-
zentriert eingesetzt werden kann, wenn der Staatsanwalt
den Antrag stellt. Das Bundesverfassungsgericht hat ver-
langt, dass eine obligatorische, also verpflichtende, unab-
hängige Prüfung des jeweiligen Verfahrens durchgeführt
werden muss. Das muss doch jedem einleuchten. Ich bin
nicht so vermessen, und Sie hoffentlich auch nicht, zu sa-
gen: Das kann ich beurteilen. – Das können nur Fachleu-
te beurteilen. Deshalb muss es eine Verpflichtung geben,
Datenschutzbeauftragte oder meinetwegen auch andere
Fachleute einzubeziehen, die den Richtern beratend und
sachkundig zur Seite stehen. Ansonsten ist es eine für die
wirklichen Gefahren unwirksame Kontrolle.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824017800

Vielen Dank. – Herr Kollege Sensburg, möchten Sie

darauf antworten? – Bitte schön.


Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1824017900

Herr Kollege Ströbele, ich antworte darauf kurz. Es

ist richtig, dass Sie gesagt haben, wir müssten darüber
reden. Wir reden auch. Sie machen immer ein Rede-
angebot. Das klingt so versöhnlich, und Herr Kollege
Ströbele, ich mag Sie ja auch. Aber man muss irgend-
wann vom Reden zum Erarbeiten des Gesetzes überge-
hen, damit man Straftaten verhindern kann. Sie müssen
also auch einmal schauen, wie wir gemeinsam zu einem
Konsens kommen. Mit unserem Koalitionspartner sind
wir zu einem Konsens gekommen.

Ich will Ihnen jetzt nicht den gesamten Straftatenka-
talog vorstellen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vier Seiten!)


Aber hier geht es um Straftaten wie die Bildung einer
kriminellen Vereinigung, Straftaten gegen die sexuelle
Selbstbestimmung, um Kinderpornografie, Mord und
Totschlag oder um schweren Raub mit Todesfolge.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da steht „gewerbliche Hehlerei“!)


Ich könnte Ihnen alles vorlesen. Sie haben gesagt, es ste-
he auch etwas zum Asylgesetz drin. Es geht um das Ein-
schleusen mit Todesfolge. Das sind für mich so schwere
Straftaten – das hat nichts mit Terrorismus zu tun –, dass

wir sie in einem Katalog regeln, sodass wir die Möglich-
keit haben, der Polizei hier die digitale Kommunikation
zugänglich zu machen.

Es gibt Personen, die im Verdacht stehen, diese Art
von schweren Straftaten zu begehen oder begangen zu
haben. In diesen Fällen möchten wir nicht nur das nor-
male Telefonat, das kaum einer mehr nutzt, mithören
können, sondern auch die Kommunikation über Messen-
ger-Dienste. Sonst macht polizeiliche Ermittlungsarbeit
präventiv, aber auch repressiv keinen Sinn. Wir erlauben
dieses Instrument, damit Strafverfolgung in der digitalen
Welt weiterhin möglich ist, auf richterliche Anordnung
und wenn die besondere Schwere der Straftat festgestellt
wird. Darauf könnten auch Sie sich einlassen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824018000

Vielen Dank.


(Zuruf des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])


– Nein, Herr Wunderlich, ich lasse jetzt keine Beiträge
mehr zu. Wir fangen keine Debatte von Tisch zu Tisch
an.

Ich beende die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur effekti-
veren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafver-
fahrens. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/12785, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf Drucksache 18/11277 in der Ausschuss-
fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen. – Das ist die Koalition. Wer stimmt
dagegen? – Das sind die Opposition und zwei Abgeord-
nete aus der SPD-Fraktion. Wer enthält sich? – Keiner.
Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung ange-
nommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stim-
menverhältnis angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/12834. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Das ist die Opposition. Wer stimmt da-
gegen? – Das ist die Koalition. Wer enthält sich? – Nie-
mand. Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucher-
schutz zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur
Änderung des Strafgesetzbuchs, des Jugendgerichtsge-
setzes, der Strafprozessordnung und weiterer Gesetze.
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp-

Hans-Christian Ströbele






(A) (C)



(B) (D)


fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12785, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 18/11272 für erledigt zu erklä-
ren. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Be-
schlussempfehlung einstimmig angenommen.

Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunk-
tes.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b sowie
37 f auf:

14. a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich
Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wege zur Pestizidreduktion in der Land-
wirtschaft

Drucksache 18/12382
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Harald Ebner, Friedrich Ostendorff, Nicole
Maisch, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bienengiftige Insektizide vollständig ver-
bieten – Bestäuber, andere Tiere und Um-
welt wirksam schützen

Drucksache 18/12384
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

37. f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Oliver
Krischer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Marktkonzentration im Agrarmarkt
stoppen – Artenvielfalt und Ernährungs-
souveränität erhalten

Drucksache 18/12797

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Es gibt keinen
Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich bitte die Agrarpolitiker und -politikerinnen, jetzt
zügig die Plätze einzunehmen, und alle anderen, die nö-
tigen Gespräche außerhalb des Plenarsaals zu führen,
damit wir weitermachen können. – Dann eröffne ich die
Aussprache. Das Wort hat Harald Ebner, Bündnis 90/Die
Grünen.


Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824018100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Ganz aktuell häufen sich dramatische Berichte
über den beängstigenden Rückgang der Zahl der Vögel,
Bienen und anderen Insekten und von Wildkräutern in
unseren Agrar- und Kulturlandschaften. Eine der maß-
geblichen Ursachen ist der flächendeckende Pestizidein-

satz: 34 000 Tonnen Wirkstoff jedes Jahr in Deutschland.
Die Gifte gelangen in die Böden, ins Grundwasser, in die
Luft und in unser Essen.

„Wir brauchen eine Kehrtwende in der Agrarpolitik.“


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das sagt eine Behörde des Bundes, nämlich das Bundes-
amt für Naturschutz. „Das System ist jetzt an einer Stelle
angekommen, wo es sich nicht weiter selbst korrigieren
kann.“ Das sagt Carl-Albrecht Bartmer, Präsident der
Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft.

Wir müssen vermeiden, dass die Agrarwirtschaft
weiter an dem Ast sägt, auf dem sie selber sitzt, wenn
durch derartige Fehlentwicklungen nicht nur unsere Le-
bensgrundlagen, sondern auch ihre eigenen Produktions-
grundlagen zerstört werden. Wenn Böden belastet und
verdichtet werden und ihre Fruchtbarkeit und damit ihre
wichtigen Funktionen verlieren, wenn Ökosysteme zer-
stört werden und Nützlinge und Bestäuber fehlen, dann
lässt sich auch nichts mehr anbauen. Das ist dann das
Gegenteil von Nachhaltigkeit, meine lieben Kolleginnen
und Kollegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was unternimmt die Bundesregierung, wenn die kon-
ventionelle Agrarwirtschaft schon selbst um Hilfe ruft?
Nichts, rein gar nichts außer ein paar Versprechungen und
Ankündigungen hier und ein paar flotten Bauernregeln
da, die dann aber doch lieber schnell wieder einkassiert
werden. Das ist nach vier Jahren ein Armutszeugnis. Da
gibt es bei Minister Schmidt etwas mit dem wohlklingen-
den Titel „Nationaler Aktionsplan Pflanzenschutz“. Was
ist bis jetzt, zum Ende seiner Amtszeit, dabei herausge-
kommen? Herr Bleser – der Minister ist nicht anwesend;
Sie vertreten ihn –, Sie haben uns kürzlich in einer Ant-
wort auf eine Kleine Anfrage mitgeteilt: „Zielquoten für
die Reduzierung der Anwendung sowie erreichte Reduk-
tionen können zurzeit noch nicht angegeben werden.“ Ja
wann denn dann bitte? Wie lange wollen Sie denn noch
herumlaborieren? Das ist eine Bankrotterklärung. Bis Sie
damit fertig sind, sind Vögel und Bienen ausgestorben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie sind ja nicht einmal bereit, in Brüssel einem Verbot
der schlimmsten bienengiftigen Pestizide, den Neoni-
kotinoiden, zuzustimmen, wie es die EU-Kommission
vorgeschlagen hat. Bei Minister Schmidt und der Großen
Koalition sind jedenfalls Bärbel Höhns Bundestagsbie-
nen nicht in guten Händen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Glyphosat, weltweit das Ackergift Nummer eins, auch
in Deutschland, wollen Sie neu zulassen, obwohl nach
wie vor weitere und neue Zweifel an seiner Unbedenk-
lichkeit aufkommen. Das ist verantwortungslos. Dabei
geht es auch ganz anders in der Landwirtschaft. Der Öko-
landbau macht es schon seit Jahrzehnten vor; aber auch
die konventionelle Landwirtschaft kann mit wesentlich
weniger Pestiziden auskommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Die dänischen Bauern behandeln ihre Pflanzen dreimal
seltener mit Pestiziden als deutsche. Französische For-
scher haben vorgerechnet, dass 40 bis 60 Prozent der
Pestizide eingespart werden können, und zwar ohne si-
gnifikante Ertragseinbrüche. Wer nachhaltige Landwirt-
schaft, gesunde Ökosysteme, gesunde Lebensmittel ohne
Rückstände will, der muss runter vom hohen Pestizidein-
satz. Wie wollen wir denn sonst unseren Planeten unse-
ren Kindern hinterlassen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nachdem der Nationale Aktionsplan komplett ge-
scheitert ist, haben wir unseren Antrag zur Pestizidreduk-
tion vorgelegt. Darin fordern wir ein klares Ordnungs-
recht bei der Anwendung und den Zulassungsverfahren,
die Unterstützung pestizidarmer und pestizidfreier Land-
wirtschaft durch Anreizsysteme und eine deutliche Stär-
kung der Forschung und Entwicklung für alternativen
Pflanzenschutz. Wir machen hier ein Angebot. Eine an-
dere Landwirtschaft ist möglich. Wir wollen, dass es bei
uns auch in Zukunft in der Landwirtschaft noch Bäuerin-
nen und Bauern gibt und dass sie davon leben können.
Nachhaltige Landwirtschaft braucht die Agrarwende,
liebe Kolleginnen und Kollegen, und die wird es ganz
offenbar nur mit Grün geben.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824018200

Vielen Dank. – Für die Bundesregierung spricht jetzt

der Parlamentarische Staatsekretär Peter Bleser. Bitte
schön.


(Beifall bei der CDU/CSU)


P
Peter Bleser (CDU):
Rede ID: ID1824018300


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Kollege Ebner, Sie erfüllen in gera-
dezu hervorragender Weise das Klischee, das ich von den
Grünen habe. Sie reden hier immer noch von der Agrar-
wende. Stattdessen brauchen wir einen Aufbruch in die
Zukunft, um die 10 Milliarden Menschen, die die Verein-
ten Nationen für 2050 prognostizieren, auch ernähren zu
können. Die werden Sie nicht mit Ökoschrebergärten in
den Vorstädten von Großstädten ernähren können. Dazu
brauchen Sie eine effiziente, leistungsfähige Landwirt-
schaft.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Urban Farming!)


Die Urbanisierung wird dazu führen, dass zwei Drittel
der Menschen in Ballungsgebieten leben werden, so
die UN. Daher müssen wir dafür sorgen, dass sie nicht
nur ausreichend Lebensmittel erhalten, sondern dass sie
hochqualitative und sichere Lebensmittel erhalten,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch Pestizide!)


und dafür stehen wir.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, die Grünen haben es sich
in den letzten Jahren zu eigen gemacht, eine ganze Be-
rufsgruppe zu verachten, zu schmähen, zu verunglimpfen


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wer hat denn gerade die Landwirte als Schrebergärtner bezeichnet?)


und sie in ihrer Situation, die wirtschaftlich mit Sicher-
heit nicht einfach war in den letzten Monaten, zusätzlich
noch öffentlich zu stigmatisieren. Das mit Minderhei-
ten zu tun – das sage ich Ihnen ganz klar –, ist nicht nur
unanständig, sondern einer demokratischen Partei nicht
würdig.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine falsche Behauptung von Ihnen! Das ist komplett unterirdisch!)


Wer glaubt, mit Strafsteuern auf bestimmte Lebensmittel
oder Empfehlungen bei der Ernährung und Vorschriften
wie dem Veggieday und ähnlichen Vorschlägen die Men-
schen gängeln und sie mit Verboten belasten zu müssen,
der erfüllt das Image einer Gängelungs- und Verbotspar-
tei,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, das war der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung!)


und das tun Sie in hervorragender Weise.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie wollen Strafsteuern auf Pflanzenschutzmittel und
Düngemittel. Das alles führt doch nicht zu dem Ergebnis,
das wir wollen,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie nicht gerade das Strafgesetz verschärft?)


sondern im Grunde genommen nur zu einer Verlagerung
der Produktion. Das hilft den Menschen überhaupt nicht.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie nicht die Reduzierung von Pestiziden? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Herr Bleser, Ihr Bauernverband ist auch schon ganz blass!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind
diejenigen, die auf wissenschaftlicher Basis Pflanzen-
schutzmittel oder Düngemittel zulassen oder eben nicht.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Der war gut! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wissenschaftliche Basis von Monsanto!)


Wir vertrauen unseren Wissenschaftlern in der Europä-
ischen Union, aber auch in unseren Einrichtungen, dem
BfR und dem BVL. – Übrigens, BVL und BfR haben Sie
eingerichtet, Frau Künast. – Diesen vertrauen wir, weil

Harald Ebner






(A) (C)



(B) (D)


diese Experten nicht nur bei uns, sondern weltweit aner-
kannt sind.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Diese Vorgehensweise unterscheidet uns wesentlich von
Ihnen, die Sie aufgrund ideologischer Vorgaben meinen,
Fakten ignorieren zu können und sich gewissen Verhal-
tensweisen in Übersee anschließen zu müssen.

Die Wissenschaftler in der Europäischen Chemika-
lienagentur, ECHA, die Wissenschaftler in der Europä-
ischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, EFSA, und
die Experten aller Mitgliedstaaten kommen einvernehm-
lich zu dem Ergebnis, dass der Wirkstoff Glyphosat kei-
ne gesundheitliche Gefährdung verursacht. Auf dieser
Grundlage müssen wir eine Entscheidung treffen und
nicht auf der Grundlage irgendwelcher Umfrageergeb-
nisse oder Stimmungen, die Sie wahrzunehmen glauben.

Ebenso ist der Antrag der Grünen „Wege zur Pestizid-
reduktion in der Landwirtschaft“ zu bewerten. Auch da
gilt: Ängste schüren hilft nicht; wir müssen vielmehr die
Fakten betrachten.

Man kann auch hier zu dem Schluss kommen, dass
selbstverständlich alles getan werden muss, dass Bienen
nicht gefährdet werden, aber es muss auch die Möglich-
keit geben, zu unterscheiden und diese Mittel dort einzu-
setzen, wo eine Gefährdung nicht zu erwarten oder aus-
geschlossen ist. Deswegen haben wir uns darüber hinaus
in unserem Haus darauf verständigt, die Forschung über
Pflanzenschutzmittel, die schonender sind, wesentlich zu
erhöhen. 14,6 Millionen Euro haben wir seit 2014 dafür
ausgegeben. Ich habe einen Förderbescheid für Maß-
nahmen erteilt, mit denen ganz gezielt durch Vergrellen
und Anlocken im Obstbau Insektizide vermieden werden
können. Ich hoffe sehr, dass die Forschung, die darüber
betrieben wird, entsprechende Ergebnisse bringt. Dann
brauchen wir andere Mittel nicht mehr einzusetzen,
Stichwort „hormoneller Einsatz“.

Wir haben gerade im Pflanzenschutz durch Digitali-
sierung eine Menge erreicht. GPS-gesteuert wird eine
Überlappung bei der Ausbringung von Pflanzenschutz-
mitteln oder Dünger automatisch verhindert. Dadurch
wird der Einsatz deutlich reduziert.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum sinken die Mengen dann nicht?)


– Das werde ich Ihnen gleich noch sagen, Herr Ebner. –
Darüber hinaus haben wir Forschungsarbeiten gefördert,
in denen untersucht wird, wie die Düngung sehr nah am
Saatkorn ausgebracht werden kann. Wir fördern auch den
ökologischen Landbau; auch das gehört dazu. Wir wer-
den dafür die Mittel erhöhen. Nicht zuletzt sind wir gera-
de auf europäischer Ebene auch mit Ihren Partei freunden
einer Meinung, wenn es darum geht, eine Ökoverord-
nung auf den Weg zu bringen, die hilft.

Lieber Herr Kollege Ebner, wir haben noch ein wei-
teres Thema in dieser Woche im Ausschuss besprochen.
Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Wer den Pflan-
zenschutzeinsatz auf ökologischen Vorrangflächen bei
großkörnigen Leguminosen verbietet, der muss auch die
Konsequenzen tragen. Dann wird der Proteinimport eben

wieder aus Übersee kommen, um die bei uns nicht er-
zeugten Mengen zu ersetzen. Das kann nicht in Ihrem
Sinne sein. Wir fördern den Eiweißpflanzenanbau in
Deutschland mit immerhin zusätzlich 6 Millionen Euro.
Insofern ist kontraproduktiv, was in Brüssel mithilfe Ih-
nen nahestehender Kollegen beschlossen worden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben im letzten Jahr über 1 200 Forschungspro-
jekte gefördert, die die Nachhaltigkeit und die Biodiver-
sität stärken sollen, um damit auch den Zielen des Pariser
Klimaschutzabkommens nachzukommen.

Ich will Ihnen, Herr Ebner, noch etwas sagen. Sie ha-
ben völlig recht: Der Pflanzenschutzmitteleinsatz ist in
den letzten Jahren sehr unterschiedlich gewesen. In eini-
gen Jahren ist er gestiegen, in anderen Jahren aber wieder
gesunken. Das bedeutet doch nur eines: Die Landwirte
setzen Pflanzenschutzmittel nur dann ein, wenn sie sie
einsetzen müssen. Gerade im letzten Jahr haben Betriebe
aus dem ökologischen Anbau mehrfach die Forderung
erhoben, weil es eine hohe Feuchtigkeit gab, die Mittel
weit über die vom BfR als zulässig erachteten Höchst-
mengen zu erhöhen. Das haben wir nicht gemacht, weil
der Gesundheitsschutz für uns vorgeht.

Ich schließe ab mit der Feststellung, dass die Grünen
es immer noch nicht verstanden haben, ihre Ziele in der
Agrarpolitik an die Realitäten anzupassen. Aber in einem
Punkt sind sie auf einem guten Weg: Bei den Umfrageer-
gebnissen nähern sie sich den 5 Prozent, aber von oben.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824018400

Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Dr. Kirsten

Tackmann für die Fraktion Die Linke das Wort. Bitte
schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824018500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste! Ich möchte den zweiten Punkt, der hier heu-
te zur Debatte steht, nämlich die Marktkonzentration im
Agrarmarkt, zum Thema meiner Rede machen. Das ist
aus Sicht der Linken ein besonders wichtiges und ernst-
haftes Thema.

Die Megafusion von Bayer und Monsanto ist eben nur
ein Beispiel, wenn auch ein besonders bedrohliches, ehr-
lich gesagt. Die rasant wachsende Konzernmacht gibt es
unterdessen aber auf allen Stufen der Lebensmittelpro-
duktion. Sie ist eine sehr reale Bedrohung für die orts-
ansässigen Landwirtschaftsbetriebe. Zuerst verlieren sie
direkt oder indirekt Agrarflächen an Agrarkonzerne, die
in ebenso unsichtigen wie bestens vernetzten Strukturen
bundes- oder auch weltweit agieren. Die inzwischen in-
solvente Heuschrecke KTG mit ihren über 90 Tochter-
gesellschaften ist nur ein Beispiel dafür. Dass nach ihrer
Insolvenz die Flächen nicht wieder bei der ortsansässigen
Landwirtschaft gelandet sind, sondern bei der nächsten

Parl. Staatssekretär Peter Bleser






(A) (C)



(B) (D)


Heuschrecke, sagt auch sehr viel über das falsche Sys-
tem. Das können wir doch nicht dulden.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber auch beim Saatgut, bei Düngemitteln, beim
Pflanzenschutz, bei Schlachthöfen oder bei Molkereien
stehen die Landwirtschaftsbetriebe immer öfter einer
Konzernübermacht gegenüber, die zunehmend mehr
als der Gesetzgeber bestimmt, was auf Feldern und in
Ställen passiert, vom Lebensmitteleinzelhandel einmal
ganz zu schweigen. Hier kaschieren nur noch die unter-
schiedlichen Namen der Supermärkte, dass dahinter nur
vier große Ketten stehen. Das ist doch eine bedenkliche
Entwicklung und aus unserer Sicht, aus Sicht der Linken
nämlich, ein Systemfehler.


(Beifall bei der LINKEN)


In der sogenannten freien Marktwirtschaft heißt das
Erfolgsprinzip nicht soziale oder ökologische Verant-
wortung, sondern Maximalprofit um fast jeden Preis.
Der wird unterdessen natürlich am leichtesten mit er-
presserischer Marktübermacht durchgesetzt; das ist doch
klar. Die Konzerne sind die Profiteure des Modells des
bedingungslosen „Wachse oder weiche“, und das wird
uns dann auch noch als Erfolg dargestellt. Aber auch ein
Tumor wächst, und man würde nie auf die Idee kommen,
das für gut zu befinden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Verliererinnen und Verlierer dieses Systems sind wir
alle; denn diese Konzerne sind doch keine gemeinnützi-
gen Vereine. Deswegen sagt die Linke ganz klar: Ihnen
dürfen wir nicht überlassen, was auf unseren Tellern lan-
det.


(Beifall bei der LINKEN)


Ihr Geschäftsmodell nimmt die Ausbeutung von Mensch
und Natur billigend in Kauf, und die Zeche dafür zahlen
wir am Ende alle. Deshalb wollen wir Linken gerade bei
der Versorgung mit Lebensmitteln keine erpresserische
Abhängigkeit von Konzernen. Verlierer wäre übrigens
auch die Politik, die erpressbar wäre von Strukturen, die
„too big to fail“ sind, wie bei den Banken. Das wollen
wir Linken verhindern.


(Beifall bei der LINKEN)


Konzerne sollen nicht darüber bestimmen können, wel-
che Lebensmittel wie produziert werden, was sie kosten
und wer den Zugang zu ihnen hat. Die Konzernüber-
macht muss beendet werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Vor ihr zu kapitulieren und beim Wachsen nur noch zu-
zusehen, ist aus unserer Sicht völlig unverantwortlich.
Deswegen ist für uns als Linke hier Widerstand Pflicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen dafür ein breites Bündnis auf den Stra-
ßen und den Plätzen, aber auch in den Parlamenten. Die

Megafusion von Bayer und Monsanto kann und muss
verhindert werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber es geht eben um mehr als diese Fusion. Wer eine
Landwirtschaft will, die mit Respekt vor Mensch und
Natur wirtschaftet und trotzdem von ihrer Arbeit leben
kann, darf sie nicht von Gewinnen und Aktienständen
von Konzernen abhängig machen. Das gilt ausdrücklich
weltweit; denn die Folgen dieser Konzernübermacht sind
in den ärmeren Regionen der Welt noch viel verheerender
als bei uns. Insofern greift aus unserer Sicht der Antrag
der Grünen zu kurz; denn die Kritik an der Megafusi-
on von Bayer und Monsanto, von Dow und DuPont, von
ChemChina und Syngenta darf sich nicht auf die Folgen
für Umwelt und Ernährungssouveränität beschränken.
Es müssen auch die sozialen Folgen thematisiert werden,
wie etwa die wachsende Armut aufgrund existenzieller
Abhängigkeit von solchen Strukturen. Das gilt nicht nur,
aber eben auch für die Landwirtschaft.

Zum Pflanzenschutz, dem zweiten Thema dieser De-
batte. Ja, die besonders bienengefährlichen Wirkstoff-
gruppen, wie zum Beispiel Neonikotinoide, müssen aus
linker Sicht verboten werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber Pflanzenschutzmittel sind nur ein Teil des Problems;
denn die Bestäuber und ihre wildlebenden Verwandten
haben mehr Probleme als Pflanzenschutzmittel. Sie sind
nicht nur besonders wichtig, weil sie die Nutzpflanzen
bestäuben, sondern auch, weil sie eine sehr wichtige öko-
logische Rolle spielen. Deswegen ist es auch im Interesse
der Landwirtschaft selbst, eine insektenfreundliche Be-
wirtschaftung der Flächen vorzunehmen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Rainer Spiering [SPD])


Dabei geht es wirklich nicht nur um die Honigbiene,
sondern auch um die wildlebenden Bestäuber. Wir brau-
chen also eine insektenfreundliche Landwirtschaft. Viele
Betriebe sind da längst auf dem Weg mit Blühstreifen,
mit Randgestaltungen von Feldern, von Wäldern und von
Gewässern – dies übrigens, obwohl auch manche hier in
diesem Saal es immer noch ignorieren, dass wir da ein
Problem haben.

Aber wir müssen die Betriebe bei diesen Maßnahmen
besser unterstützen. Wir müssen ihnen die Maßnahmen
dann auch erleichtern, und zwar aus unserer Sicht auch
durch mehr Forschung. Denn am Ende steht die Aufga-
be – das ist eigentlich die spannende Debatte –, dass In-
sektenfreundlichkeit und Ertragssicherung nicht gegen-
einander stehen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Kirsten Tackmann






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1824018600

Als nächste Rednerin hat Rita Hagl-Kehl für die

SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Rita Hagl-Kehl (SPD):
Rede ID: ID1824018700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lebensmittelsicherheit ist wohl eine der wich-
tigsten und dringendsten Aufgaben des Verbraucher-
schutzes. Es stimmt, dass wir mehr Sicherheit und mehr
Schutz der Umwelt und der Gesundheit durch innova-
tive Landwirtschaft, technologische Entwicklungen und
strenge Regularien in Deutschland erreicht haben. Trotz
dieses Fortschritts müssen die stetig steigenden Ansprü-
che der Verbraucher berücksichtigt werden. Sie wollen
gesunde und qualitativ hochwertige Lebensmittel. Der
Verbraucher will auch nachhaltige und umweltschonende
Produktionsweisen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Und billiger!)


Eine Studie bestätigt, dass 60 Prozent der Deutschen
durch die Rückstände beim Einsatz von Pflanzenschutz-
mitteln beunruhigt sind. Es ist also nicht so, wie es der
Herr Staatssekretär vorhin angedeutet hat, dass wir erst
die Menschen verunsichern.


(Beifall bei der LINKEN)


Diese Ansprüche sind auch ein Schwerpunkt der Ar-
beit der sozialdemokratischen Agrarpolitik. Wir wollen
die Verbraucherinnen und Verbraucher schützen, wir
wollen aber auch eine nachhaltige Landwirtschaft för-
dern, und wir wollen gesunde und qualitativ hochwer-
tige Lebensmittel, die in Deutschland wettbewerbsfähig
produziert werden können. Außerdem ist für uns die
Biodiversität natürlich ein wichtiger Faktor, der nicht zu
vernachlässigen ist.

Wie ist jetzt die Situation? Wir haben wirklich einen
intensiven Einsatz von Pestiziden. Wir haben überschrit-
tene Höchstrückstandswerte in Gewässern. Die Kosten
trägt der Verbraucher, der für sein Trinkwasser entspre-
chend mehr bezahlen muss. Wir haben überschrittene
Höchstrückstandswerte in Lebensmitteln. Auch wenn
die Rückstandsschwellen hochgesetzt werden, ist das
nicht zu vernachlässigen. Wahrscheinlich hätten wir
dann, wenn das nicht passieren würde, noch viel höhe-
re Rückstandswerte. Wir haben Schäden an Bienen und
Wirbeltieren. Wie die Kollegin Frau Dr. Tackmann be-
reits gesagt hat, ist die Biene eines der wichtigsten Tie-
re auch in der Landwirtschaft; ich glaube, sie wird in
Deutschland als drittwichtigstes angesehen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Deshalb dürfen wir die Gesundheit der Bienen nicht
gefährden. Die Biene ist aber nicht nur durch die Varroa-
milbe gefährdet, sondern die Tiere, die dann eben schon
geschwächt sind, sterben viel leichter an der Varroamil-
be. Ich möchte keine Zustände wie in China, dass wir

dann mit irgendwelchen Stäbchen umherlaufen und die
Bäume besamen müssen.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Blüten bepinseln!)


– Ja, Blüten bepinseln, okay.

Wir haben eine steigende Abnahme der biologischen
Vielfalt in Deutschland. Das ist wirklich sehr erschre-
ckend.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Deswegen ist der Pflanzenschutzmitteleinsatz dringend
zu reduzieren.

Wie kann man das tun? Man muss wieder vermehrt
auf ackerbauliche Alternativen setzen,


(Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD])


und diese Alternativen – auch wenn sie mehr kosten
als der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln – werden
zum Beispiel auch vom JKI, vom Julius-Kühn-Institut,
empfohlen. Die konventionellen Pestizide sollen nach
Möglichkeit – diese Möglichkeiten bestehen oft – durch
biologische Pflanzenschutzmittel ersetzt werden. Wir
brauchen eine konsequente Umsetzung und Weiterent-
wicklung des bereits vorher genannten Nationalen Ak-
tionsplans zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzen-
schutzmitteln und den Umgang damit. Bisher sind die
Ergebnisse noch sehr spärlich. Aber daran muss man
konsequent weiterarbeiten. Wir brauchen eine stärkere
und gezielte Förderung von sicheren Alternativen. Dafür
müssen die Fördermittel bereitstehen. Da nehmen wir

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1824018800

Es gibt genügend Fördermittel. Wir brauchen auch eine
Ausweitung der ökologisch bewirtschafteten Anbauflä-
chen. Der Herr Minister hat einmal das 20-Prozent-Ziel
in den Raum gestellt. Ich habe noch nicht bemerkt, dass
wir es zum Ende der Legislaturperiode erreicht haben.
Also sind wahrscheinlich die Anstrengungen noch zu ge-
ring.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hier stimme ich auch nicht mit der Pressemitteilung
vom Chef des Bayer-Konzerns, Herrn Baumann – es geht
auch um Monsanto und Bayer –, überein, der sagt: Durch
die ökologische Produktion können wir die Welt nicht
mehr ernähren. – Das ist für mich – tut mir leid – gerin-
ger Schwachsinn;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


denn wir müssen die Welt nicht ernähren, sondern wir
müssen die anderen Länder befähigen, sich selbst zu er-
nähren. Es kann nicht alles nur von Deutschland ausge-
hen, sondern wir brauchen auch Produktion in anderen
Ländern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)


Mit einem 20-Prozent-Ziel wird die Welternährung be-
stimmt nicht gefährdet, aber wir hätten viel für unser
Land erreicht.

Positiv zu bewerten ist auch das Umdenken, das
in der Gesellschaft und in der Wirtschaft sowie in der
Agrarpolitik bereits stattfindet. Die EU-Kommission be-
absichtigt, drei der meistverwendeten Neonikotinoide
zu verbieten – ein Schritt in die richtige Richtung. Das
EU-Parlament hat beschlossen, dass Pestizide auf öko-
logischen Vorrangflächen nicht mehr verwendet werden
dürfen. Da stimme ich auch nicht mit dem Herrn Staats-
sekretär überein: Für mich ist es ein Widerspruch in sich,
wenn man auf ökologischen Vorrangflächen, für die es
Fördermittel gibt, Pflanzenschutzmittel, Pestizide aus-
bringt.


(Ingrid Pahlmann [CDU/CSU]: Eiweißproduktion!)


– Die Eiweißproduktion kann bestimmt nicht von den
ökologischen Vorrangflächen abhängig gemacht werden.
Das müsste man auf eine breitere Basis stellen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das muss man dem Staatssekretär noch mal erklären!)


Bei der Glyphosat-Zulassung sprechen wir auf
EU-Ebene mittlerweile nicht mehr von 15 Jahren, son-
dern nur mehr von 10 Jahren, und es ist eine Einschrän-
kung der Anwendung in der Nähe von Spielplätzen und
Parks geplant. Wir haben dem Herrn Minister schon vor
langer Zeit vorgetragen, dass man dieses Mittel auf kom-
munaler Ebene verbieten kann. Man kann es für die pri-
vaten Anwender verbieten. Es muss wirklich nicht sein,
dass jeder Schrebergärtner mit Glyphosat arbeitet. Das
gilt auch für die Bahn innerorts. Wir haben die Vorschlä-
ge gemacht. Vom Ministerium ist auf diese Vorschläge
nicht eingegangen worden, obwohl andere Länder wie
zum Beispiel die Niederlande – die sind bekanntlich auch
in der EU – es bereits so machen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Monsanto verkauft neuerdings sein Mittel Roundup,
das eigentlich das Glyphosat-Urmittel war, sogar ohne
Glyphosat. Es geht also anscheinend. Es ist zwar ein sehr
hoher Preis, der jetzt für Essig verlangt wird, aber wenn
man auf dem richtigen Weg ist, ist das nicht verkehrt.

Dem, dass die Wissenschaft bei Glyphosat zu einem
einstimmigen Ergebnis gekommen ist, kann ich nicht zu-
stimmen, weil das Krebsforschungsinstitut der WHO –
da sind bestimmt renommierte Wissenschaftler – ein an-
deres Ergebnis erzielt hat. Gleichzeitig muss man sagen:
Wenn Studien nicht veröffentlicht werden, dann schränkt
man die Wissenschaft ein;


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


denn ein Wissenschaftler kann nur mit veröffentlichten
Studien arbeiten. Was hier gemacht wird, das ist – das
sage ich, auch wenn ich „nur“ Geisteswissenschaftlerin

bin – eine Einschränkung der Wissenschaft; denn wenn
die Quellen nicht vorliegen, kann man nicht bewerten, ob
das, was hier gemacht wurde, stimmt oder nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nun zu einem Punkt, der bei Pflanzenschutzmitteldis-
kussionen auf keinen Fall fehlen darf, und das ist unse-
re Kritik auch an dem Antrag der Grünen. Man hat das
Zulassungsproblem, das wir in Deutschland mittlerweile
haben, nicht bedacht. Wenn wir neue Wirkstoffe und Al-
ternativen wollen, dann brauchen wir auch eine gute Zu-
lassungsquote. Die ist bei uns momentan sehr schlecht.
Wir haben ein EU-Audit vom Jahr 2016. Bei uns liegt
die Zahl der benötigten Tage für eine Zulassung bei
757. Vorgegeben von der EU sind eigentlich 120 Tage.
Das schränkt natürlich viel ein.

Die Erklärung war von der Presse und der Wirtschaft
sowie unserem Koalitionspartner schnell gefunden: Das
UBA, also das Umweltbundesamt, ist schuld. – Nur:
Diese Erklärung greift etwas zu kurz; denn erhebliche
Verfristungen entstehen auch in anderen Behörden. Die
Hälfte der Verfristungen entsteht zum Beispiel beim
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsi-
cherheit. Tatsächliche Ursache für die Verzögerung sind
eher die hohen Antragszahlen. Die meisten Firmen ver-
suchen eben, ihre Wirkstoffe in Deutschland zuzulassen,
weil wir hier sehr strenge Kriterien haben. Deswegen ist
eine Zulassung in Deutschland in diesem System die si-
chere Gewähr dafür, dass ein Wirkstoff auch in anderen
Ländern zugelassen wird.

Wir haben ständig wachsende Anforderungen, die ja
auch irgendwo ihre Berechtigung haben, die aber natür-
lich die Zulassung verzögern. Oft werden auch die Aufla-
gen von der federführenden Behörde, in diesem Fall dem
BVL, nicht akzeptiert, zum Beispiel wenn sie vom UBA
kommen. Die SPD sieht hier dringenden Handlungsbe-
darf. Die Zulassungsverfahren müssen auf jeden Fall ver-
bessert werden. Wir brauchen mit Blick auf das UBA die
Beibehaltung der Einvernehmensfunktion. Wir brauchen
aber auch eine Bündelung der Untersuchungen bei den
zuständigen Behörden, und wir brauchen mehr Personal,
nicht nur beim UBA, sondern bei allen Behörden, die mit
diesem Thema befasst sind.

Die Anträge der Grünen enthalten viele Forderungen,
die die SPD-Bundestagsfraktion als richtig und wichtig
einschätzt. Aber wir werden den Anträgen trotzdem nicht
zustimmen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wundert mich jetzt gar nicht!)


Das Problem der Zulassung – es fehlt in dem Antrag –
habe ich bereits genannt.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hättet ihr halt einen Zusatzantrag gestellt!)


Außerdem können wir bei Glyphosat nicht sofort den
Hebel umlegen. Vielmehr brauchen wir einen Ausstiegs-
plan. Die Landwirte müssen Verlässlichkeit haben. Im

Rita Hagl-Kehl






(A) (C)



(B) (D)


Vorfeld muss natürlich auch eine bessere Beratung statt-
finden. Wir haben gleichzeitig einige der Forderungen,
die hier gestellt wurden, bereits berücksichtigt. Das
betrifft zum Beispiel die Thematik der Neonikotinoide
oder den Nationalen Aktionsplan zur nachhaltigen An-
wendung von Pflanzenschutzmitteln, der ausgebaut und
weiterentwickelt werden muss. Auf Drängen der SPD
wurden die Haushaltsmittel für die Forschung zum inte-
grierten Pflanzenschutz 2017 bereits erhöht, genauso wie
auf Drängen der SPD auch die Forschungsmittel für den
Ökolandbau im Haushalt erhöht wurden.

Ich sage herzlichen Dank und hoffe, dass wir hier wei-
terhin auf einem guten Weg sein werden.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1824018900

Ingrid Pahlmann hat als nächste Rednerin für die

CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ingrid Pahlmann (CDU):
Rede ID: ID1824019000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe

Kolleginnen! Ich bin mir sehr sicher, dass wir uns alle in
unserer politischen Arbeit dafür einsetzen, Mensch und
Umwelt zu schützen. Die Frage ist, wie man das tut und
mit welcher Herangehensweise. Eine pauschale Pflan-
zenschutzmittelreduktion, wie Sie sie in Ihrem Antrag
fordern, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
ist für mich definitiv nicht der richtige Weg. Auch für uns
steht der Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher
an erster Stelle. Die Zulassung von Pflanzenschutzmit-
teln in Deutschland unterliegt strengen Kriterien. Sie ist
sicher verbesserungsbedürftig, besonders was die Dauer
der Anerkennungsverfahren betrifft; Frau Hagl-Kehl hat
es schon erwähnt. Bei den Zulassungsbehörden stauen
sich die Anträge. Die Resistenzbildung aufgrund fehlen-
der Alternativen ist das Problem, das wir im Bereich der
Pflanzenschutzmittel haben.

Aber die Intention Ihres Antrags ist eine andere. Der
Antrag dient der Instrumentalisierung grüner agrarpoliti-
scher Ziele. Sie verunsichern wieder einmal Verbrauche-
rinnen und Verbraucher, indem Sie Horrorszenarien an
die Wand malen. Sie reden von Pestiziden, von Ackergif-
ten, der Verunreinigung von Wasser, Böden und Lebens-
mitteln und bedienen sich dabei äußerst fragwürdiger
Statistiken über den Anstieg des Einsatzes von Pflanzen-
schutzmitteln. Eine Statistik hat es immerhin schon in die
Rubrik „Unstatistik des Monats“ geschafft. Das ist auch
eine Auszeichnung. Noch einmal: Wir haben die sichers-
ten Lebensmittel weltweit.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Selbstverständlich müssen Pflanzenschutzmittel aus-
reichend reguliert werden. Aber das werden sie auch. Wir
haben in Deutschland und in Europa eines der strengsten
Regulierungssysteme der Welt. Diesen hohen Standard
wollen wir von der Union beibehalten. Sicherheit und
Qualität sind für die CDU/CSU grundsätzlich elemen-
tare Faktoren, auch in der Nahrungsmittelversorgung.
Das scheint mir bei Ihnen gar kein Thema zu sein. Ohne

chemische Pflanzenschutzmittel sind sowohl die Sicher-
heit als auch die Qualität unserer Nahrungsmittel, die uns
allen so absolut selbstverständlich erscheinen, definitiv
nicht zu erreichen; das muss jedem klar sein.

Pflanzenschutzmittel werden zum Schutz der Pflanze
angewendet. Sie verweisen in Ihrem Antrag auf die Pes-
tizidaktionspläne in anderen Ländern. Gern möchte ich
Ihnen an dem konkreten Beispiel Dänemark begründen,
warum es so einfach eben nicht ist.

Dänemark hat bereits 1987 ein Reduktionsprogramm
für den chemischen Pflanzenschutz aufgelegt. Die ver-
wendete Menge an Pflanzenschutzmitteln bzw. die Zahl
der Anwendungen sollte danach halbiert werden. Das
ambitionierte Ziel wurde jedoch verfehlt. Der angestreb-
te Behandlungsindex konnte nicht erreicht werden. Seit
dem Jahr 2000 steigt auch die Behandlungshäufigkeit in
Dänemark wieder kontinuierlich an. Trotzdem gilt der
dänische Aktionsplan bei vielen immer noch als Vorbild
für eine europäische Regelung. Dabei wurde in Däne-
mark durch die Reduktion von Pflanzenschutz und Dün-
gung nur eines erreicht: Die Dänen müssen nun qualitativ
hochwertigen Brotweizen importieren, weil sie nicht in
der Lage waren, mit diesen Reduktionsvorgaben Qualität
zu produzieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bei Ihrem Antrag zum Bienenschutz bin ich theore-
tisch bei Ihnen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Theoretisch!)


Auch uns liegt das Thema sehr am Herzen, und wir haben
dasselbe Ziel vor Augen: die Erhaltung dieser so wichti-
gen Art.

Rund 80 Prozent unserer Pflanzen müssen bestäubt
werden, um Ernten zu erhalten. Deswegen kämpfen
wir schon lange für den Bienenschutz. Bereits im Som-
mer 2015 wurde von unserem Bundeslandwirtschafts-
minister eine Eilverordnung erlassen, die Bienen von
neonikotinoidhaltigem Staub schützen soll. Aus dieser
wurde dann ein dauerhaftes Verbot. Einfuhr und Aussaat
von Saatgut, das mit in Deutschland nicht zugelassenen
Neonikotinoiden behandelt wurde, sind ausnahmslos
verboten. Ich finde, das ist ein Erfolg für den Bienen-
schutz. Aber auch hier tun Sie so, als ob die Landwirt-
schaft allein für den Rückgang der Bienen verantwortlich
wäre. Auch das kann man so nicht stehen lassen. In den
vergangenen Jahren sind zum Beispiel die Bienenvöl-
ker durch Züchtung – hin zu mehr Ertrag und geringerer
Aggressivität – anfälliger gegenüber Krankheiten, Viren
und Parasiten geworden. Auch der an sich sehr schöne
Anstieg im Bereich der Hobbygärtner, die leider nicht
alle organisiert und beim Veterinäramt gemeldet sind, er-
schwert bei Krankheitsausbrüchen die gezielte Behand-
lung der Völker und stellt so ein hohes Risiko für andere
Bienenvölker dar.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gärtner oder Imker?)


Liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen, so ein-
fach, wie Sie die Welt darstellen möchten – an allem

Rita Hagl-Kehl






(A) (C)



(B) (D)


Übel sind die Landwirte mit ihren Handlungen Schuld –,
ist die Welt nicht.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie war das mit der Wissenschaftsbasis? Hören Sie doch einmal auf die Wissenschaft!)


Es gibt eben viele verschiedene Faktoren, die auf Abläu-
fe Einfluss nehmen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts hören, nichts sehen!)


Wir von der Union stehen für Wissenschaftlichkeit, wenn
es um den größtmöglichen Schutz von Mensch, Tier und
Umwelt geht.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie drücken sich doch vor der Realität!)


Unverantwortlich ist allerdings das politisch moti-
vierte Hochpuschen von Risiken, die so nicht vorhanden
sind.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immer Augen zu!)


Die Stärkung von Forschung und Entwicklung zur Pro-
duktion zielgenauerer und noch umweltfreundlicherer
Produkte liegt im Interesse von uns allen; da müssen wir
dranbleiben. Den Aufwuchs in diesem Bereich hat Peter
Bleser genannt.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr seid die Sachwalter des Vorsorgeprinzips!)


Allerdings ist angemessener Pflanzenschutz für die Er-
nährung von über 7 Milliarden Menschen auf dieser Welt
unverzichtbar.

Wir von der CDU/CSU-Fraktion arbeiten weiter an
konkreten Lösungen für konkrete Probleme. An reiner
Stimmungsmache werden wir uns nicht beteiligen und
deshalb Ihren Antrag ablehnen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1824019100

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie um Ver-

ständnis, dass ich keine Zwischenfragen zulassen werde.
Wir hängen schon um 90 Minuten. Das jetzige Debatten-
ende ist um 0.45 Uhr. Realistischerweise wird man noch
einige Minuten hinzurechnen müssen. Deshalb bitte ich
um Verständnis.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Zeitnot ersetzt nicht die Demokratie!)


Katharina Dröge hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die
Grünen.


Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824019200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Sehr geehrte Kollegen von der CDU, die
Mehrheit der Redner und Rednerinnen hier im Raum hat
erkannt, welche Probleme der hohe Pestizideinsatz in der

Landwirtschaft verursacht. Es hat mich nicht überrascht,
dass Sie nicht zu diesen Menschen gehören, die das er-
kannt haben. Was mich allerdings wirklich überrascht
hat, ist, dass es ein Thema gibt, das Sie und Herr Bleser
in Ihren Reden komplett ignoriert haben. Das ist das,
was auf dem Markt für Agrochemiekonzerne passiert.
Was wir dort erleben, ist eine gigantische Fusionswelle
in einem Ausmaß, das wir bislang noch nicht beobach-
ten konnten. Die größten der Großen – Bayer, Monsanto,
Syngenta, ChemChina, Dow und DuPont – fusionieren
gerade miteinander. Ihnen ist das noch nicht mal eine Er-
wähnung wert. Das wundert mich schon.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das, was im Bereich für Pestizide und Saatgut pas-
siert, ist ein gigantisches Anwachsen von Marktmacht.
Wenn eine Handvoll Unternehmen zwei Drittel des
Marktes für Pestizide und Saatgut dominiert, dann ist das
ein Problem, mit dem Sie sich beschäftigen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Was ist die Folge? Bauern werden von den giganti-
schen Konzernen unter Druck gesetzt: sowohl beim
Angebot als auch bei den Preisen. Beim Angebot setzen
die Konzerne auf Totalherbizide wie Glyphosat. Es gibt
weniger Innovationen im Markt. Das belegen Studien.
Es wird am Ende auf Monokulturen hinauslaufen im Be-
reich des Saatgutes. Am Ende bedroht die Marktmacht
dieser Agrochemiegiganten sogar die Ernährungssouve-
ränität ganzer Volkswirtschaften.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Insofern ist es für uns ein Handlungsauftrag, uns die
Fusionskontrolle auf europäischer Ebene ganz genau
anzuschauen, und zwar nicht nur aus den wettbewerbs-
politischen Gründen, aus denen wir als grüne Bundes-
tagsfraktion sagen, dass die Fusion sowieso untersagt
werden müsste. Wir haben bei den Fusionen, die jetzt
schon genehmigt wurden, gesehen, dass die Kommissi-
on die Fusionen durchwinkt. Deswegen sagen wir: Wenn
eine Fusion in so einem Ausmaß Umweltschutzaspekte
betrifft, wie es im Agrochemiebereich der Fall ist, dann
müssen Aspekte des Umweltschutzes gleichwertig neben
der Fusionskontrolle und den Wettbewerbsaspekten ste-
hen. Dazu haben wir als grüne Bundestagsfraktion ein
Rechtsgutachten vorgelegt. Wir als Bundestagsfraktion
haben Sie zigmal dazu befragt, was Sie dafür tun, ob Sie
nach Brüssel gehen, ob Sie gegebenenfalls klagen wol-
len. Sie haben kein einziges Mal darauf geantwortet. Sie
haben dieses Problem überhaupt nicht auf dem Schirm.
Deshalb ist es notwendig, dass es heute eine klare Stel-
lungnahme des Deutschen Bundestages gibt. Denn es
geht um nicht weniger als unsere Gesundheit und unsere
Ernährung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ingrid Pahlmann






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1824019300

Als letzter Redner in dieser Aussprache hat Artur

Auernhammer für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Artur Auernhammer (CSU):
Rede ID: ID1824019400

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Diese Debatte zeigt uns einmal mehr: Hier
hat eine Partei nicht Angst vor irgendwelchen Pflanzen-
schutzmitteln, sondern vor der Fünfprozenthürde.


(Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In den Anträgen wird wieder ein Weltuntergangssze-
nario beschrieben, das so nicht zutrifft. Welche Aufgabe
haben wir eigentlich in der Zukunft, meine sehr verehrten
Damen und Herren?


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Vizevorsitzende des Umweltausschusses!)


Wir haben in der Zukunft die Aufgabe, 10 Milliarden
Menschen auf dieser Welt zu ernähren.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Und Ihnen eine gesunde Welt zu hinterlassen! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann lesen Sie mal den TAB-Bericht zu dieser Frage!)


Nach wie vor stirbt alle zehn Sekunden ein Kind den
Hungertod, und wir diskutieren hier darüber, wie wir die
Produktion unserer Landwirtschaft reduzieren, wie wir
sie nach unten fahren.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, wir wollen sie besser machen und gesünder und ressourceneffizienter und nachhaltiger, Herr Kollege! Nachhaltiger!)


So kann es nicht gehen, meine sehr verehrten Damen und
Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben hier schon oft über Glyphosat diskutiert.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch gar nichts verstanden! Gar nichts!)


Ich will gar nicht groß darauf eingehen; aber ich emp-
fehle jedem, die bekannte Menge von 1 000 Litern Bier
pro Tag zu genießen – erst in dieser Menge ist das da-
rin enthaltene Glyphosat gefährlich – und das drüben im
Biergarten zu machen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, kürzlich gab
es eine Diskussion im Europäischen Parlament, auch ge-
trieben von dieser Angst und der Hysterie darum, keine
Pflanzenschutzmittel mehr auf die ökologischen Vorrang-
flächen auszubringen. Wir haben mit den entsprechenden
Greeningmaßnahmen erreicht, dass in Europa 1,4 Milli-
onen Hektar Eiweißpflanzen regional angebaut werden,

dass mit diesen 1,4 Millionen Hektar Eiweißpflanzen re-
gionale Eiweißversorgung stattfindet.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum machen Sie das nicht auf den regulären Ackerflächen?)


Was ist jetzt die Folge? Die Umweltorganisationen in
Südamerika schlagen Alarm: Jetzt wird noch mehr Re-
genwald gerodet.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch nun völliger Quatsch! Das ist lächerlich! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das erzählen Sie wider besseres Wissen!)


Diese Regenwaldrodungen haben Sie zu verantworten,
meine sehr verehrten Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mann, Mann, Mann! Peinlich ist das! Peinlich!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird hier auch
sehr viel über Marktkonzentration gesprochen. Das be-
wegt mich auch. Gerade heute Mittag wurde eine Mol-
kerei in meinem Wahlkreis von einem französischen
Molkereikonzern übernommen. Da müssen wir fragen:
Warum ist es so weit gekommen? Warum haben wir
hier nicht besser reagiert? Stattdessen wird hier nach
der Übernahme von Monsanto durch Bayer ständig ein
Angstszenario schon fast zelebriert.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist das gleiche System!)


Zur gleichen Zeit, zu der Bayer Monsanto übernommen
hat, wurde ein anderer Chemiekonzern von den Chinesen
übernommen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat die Kollegin angesprochen! Nicht zugehört, Herr Kollege, oder was? – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht auch in dem Antrag! Müssen Sie mal lesen!)


Ich möchte fragen: Wäre es zu dieser Betroffenheit ge-
kommen, wenn Monsanto von den Chinesen übernom-
men worden wäre?


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hallo! Nicht zugehört, oder was? Die Kollegin hat von ChemChina gesprochen! Hallo! Zuhören! Was für eine Ignoranz!)


Nein, keine Aktuelle Stunde – alles wäre gut gewesen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was für eine Ignoranz!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen
in Zukunft – ich bin hier unserem Bundeslandwirtschafts-
ministerium sehr dankbar – nach wie vor verantwor-
tungsbewusst mit den Möglichkeiten im Pflanzenschutz
umgehen. Gerade unsere deutsche Landwirtschaft, unse-
re gut ausgebildeten Bäuerinnen und Bauern machen das,






(A) (C)



(B) (D)


und deshalb müssen wir an dieser Stelle Respekt vor der
Arbeit unserer Bäuerinnen und Bauern haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin
dankbar, dass wir mit einzelnen Forschungsvorhaben
unsere Landwirtschaft weiter modernisieren und damit
auch nachhaltiger gestalten. Eine nachhaltige Landwirt-
schaft ist auch die Grundlage dafür, dass wir die Megahe-
rausforderung der Welternährung bewerkstelligen.

Wir dürfen auch nicht das Thema Klimawandel aus
dem Blick verlieren. Wir haben heute im Bundestag
schon über Klimawandel diskutiert. Der Klimawandel
wird ganz neue Herausforderungen an unsere landwirt-
schaftliche Produktion stellen. Deshalb brauchen wir
moderne Produktionsverfahren, und die kann es nur mit
einer modernen, nachhaltigen Landwirtschaft und mit
den mit ihr verbundenen landwirtschaftlichen Organisa-
tionen geben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sollten weniger darüber diskutieren, was wir alles
zu verbieten haben, und wir sollten weniger darüber dis-
kutieren, was alles schlecht ist auf der Welt.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich sage nur: Bienensterben, Vogelsterben, Insektenverluste! Kein Thema für euch! Für den stellvertretenden Vorsitzenden des Umweltausschusses! So ein Armutszeugnis!)


Vielmehr sollten wir darüber diskutieren, welche Lö-
sungsansätze wir finden können, um die große Heraus-
forderung der Welternährung anzunehmen und um un-
sere eigene deutsche Landwirtschaft, die Arbeit unserer
Bäuerinnen und Bauern weiter zu unterstützen. Unser
Bundeslandwirtschaftsministerium macht das, unsere
Fraktion auch, und ich hoffe, auch die Kolleginnen und
Kollegen hier im Hause.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Umwelt und Ökologie, das ist ein Fremdwort für den Kollegen!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1824019500

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zunächst zu den Abstimmungen über die
Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 14 a und 14 b.
Interfraktionell wird die Überweisung dieser Vorlagen
auf den Drucksachen 18/12382 und 18/12384 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe keinen Wi-
derspruch. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 37 f. Abstimmung über den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/12797 mit dem Titel „Marktkonzentration im
Agrarmarkt stoppen – Artenvielfalt und Ernährungssou-
veränität erhalten“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist der

Antrag mit den Stimmen der Koalition gegen die Stim-
men der Opposition abgelehnt worden.

Ich rufe die Zusatzpunkte 8 a und 8 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur strafrechtlichen Rehabili-
tierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen
einvernehmlicher homosexueller Hand-
lungen verurteilten Personen und zur
Änderung des Einkommensteuergesetzes

Drucksachen 18/12038, 18/12379,
18/12641 Nr. 1.1

– Zweite und dritte Beratung des von den Ab-
geordneten Katja Keul, Volker Beck (Köln),
Renate Künast, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Aufhebung der nach 1945 in beiden deut-
schen Staaten gemäß den §§ 175, 175a
Nummer 3 und 4 des Strafgesetzbuches
und gemäß § 151 des Strafgesetzbuches
der DDR ergangenen Unrechtsurteile

Drucksache 18/10117

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/12786


(8. Ausschuss)


Drucksache 18/12828

b) Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Ausschusses für Recht
und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Volker Beck

(Köln), Katja Keul, Renate Künast, weite-

rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Individuelle und kollektive Entschädi-
gung für die antihomosexuelle Strafver-
folgung nach 1945 in beiden deutschen
Staaten

Drucksachen 18/10118, 18/12786

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. Gibt es Wider-
spruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so beschlos-
sen, und ich kann die Aussprache eröffnen.

Als erster Redner in dieser Aussprache hat Dr. Karl-
Heinz Brunner für die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)


Artur Auernhammer






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):
Rede ID: ID1824019600

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine verehrten

Kolleginnen und Kollegen! Die gestrige Debatte über
Antisemitismus hat mich dazu verleitet, noch einmal
nachzulesen, was am 8. Mai 1985 unser ehemaliger Bun-
despräsident Richard von Weizsäcker zum 8. Mai 1945
sagte, nämlich dass dies der Tag der Befreiung war: der
Befreiung vom Joch einer gewählten Diktatur, der Be-
freiung von menschenverachtender Ideologie und der
Befreiung von Naziherrschaft, doch, verehrte Kollegin-
nen und Kollegen, nicht für alle Menschen in diesem
Land, nicht für Menschen, deren einziges Schicksal es
war und ist, das Normalste, das Beste, das Menschen ge-
schehen kann, zu tun, nämlich Zuneigung zu zeigen, sich
zu lieben.

Ich jedenfalls habe nie verstanden, wie die junge Bun-
desrepublik Deutschland, gerade wieder aus dem dunk-
len Tal des Nationalsozialismus in einer freiheitlichen
Gesellschaft angekommen, allen Erkenntnissen zum
Trotz und ohne Scham genau das gleiche schändliche
Treiben fortgesetzt hat, von dem das Land erst kurz zuvor
befreit wurde. Dass dies dann auch noch unter den Au-
gen und mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts,
genau dem Gericht, das eigentlich die höchste Instanz
des Rechtsstaats sein sollte, das den Schutz und die Wür-
de des Menschen, wie es in Artikel 1 des Grundgesetzes
steht, sicherstellen sollte, macht mich auch heute noch
fassungslos; denn das Gegenteil war der Fall. Gerade
das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat es legiti-
miert, ja hat es ermöglicht, dass ein wütendes Schnüffeln
der Strafverfolgungsbehörden ausgelöst wurde, Razzien
durchgeführt wurden, massenhafte Verhaftungen statt-
gefunden haben, es zu Verurteilungen gekommen ist,
Menschen ihre Existenz verloren haben, berufliche Exis-
tenzen zerstört, Familien vernichtet, Menschen ruiniert
wurden. Unzählige unbescholtene Bürger dieses Lan-
des wurden in Verzweiflung getrieben, einige begingen
Selbstmord. Wie viele dies im Einzelnen sind, wissen wir
heute nicht mehr.

Bei der Replik dessen dachte ich mir: Sollte der ideo-
logisch verseuchte Arm des Jahres 1933, als dieses un-
sägliche Gesetz geschaffen wurde, wirklich so weit rei-
chen? Und doch sollte es nach von Weizsäckers Rede
noch 32 Jahre dauern, bis dieses himmelschreiende Un-
recht in Deutschland aufgehoben wurde. Nicht so – das
sage ich auch, meine Kolleginnen und Kollegen –, wie
ich mir das gewünscht hätte: endlich auch mit der Aner-
kennung gleicher Rechte für homosexuelle und hetero-
sexuelle Menschen, mit gleicher Schutzaltersgrenze, mit
nichts anderem als der Beendigung der Diskriminierung.


(Beifall bei der SPD)


Doch dies war mit unserem Koalitionspartner auch
62 Jahre nach dem Tag der Befreiung nicht zu machen;
denn offensichtlicher als das, was uns jetzt zur Entschei-
dung vorliegt, kann Ungleichbehandlung nicht sein.

Ich habe mich persönlich mit vielen anderen – unter
ihnen Christine Lüders von der Antidiskriminierungsstel-
le, unser Bundesminister Heiko Maas, Johannes Kahrs,
Eva Högl und viele in der Sozialdemokratie und in der
Community – über Jahre hinweg eingesetzt, um dieses

Unrecht endlich anzuerkennen und zu beseitigen. Und
was wird geschaffen? Neues Unrecht, neue Diskriminie-
rung.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist doch Blödsinn!)


Es wurde nämlich mit der Rehabilitierung von Männern,
deren Partner mindestens 16 Jahre alt waren, eine neue
Diskriminierung geschaffen; denn das Sexualstrafrecht
für Heterosexuelle sieht Straffreiheit bei einvernehmli-
chem Geschlechtsverkehr mit Jugendlichen ab 14 Jah-
ren vor. Zwei Strafrechte, zwei Gesetzbücher – seltsam.
Mich macht es nur ärgerlich.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Doch, meine Kolleginnen und Kollegen, den heutigen
Tag lauthals als zynische Rehabilitierung zu bezeich-
nen, wie manche Gazetten dies machen, von vergifte-
ter Wiedergutmachung zu sprechen, das ist – das sage
ich – der Sache nicht angemessen. Genau die Kompro-
misslosigkeit, die diese Schreiber an den Tag legen, ist
in Wirklichkeit zynisch; denn sie, die Kompromisslosen,
nehmen in Kauf, dass täglich weitere Opfer sterben, dass
die Betroffenen nicht in Würde und versöhnt mit ihrem
Vaterland sterben können. Und zwar für was? Vielleicht
für politischen Landgewinn, für eine höhere Auflage. Ich
finde das persönlich einfach nur schäbig.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU] – Manfred Grund [CDU/CSU]: Wen meinen Sie denn jetzt?)


Ich hätte mir, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren, deshalb aber auch gewünscht, dass außer diesem Ho-
hen Hause, dem Deutschen Bundestag, auch die Richter
des Bundesverfassungsgerichts im Laufe der Jahre Grö-
ße gezeigt hätten, indem sie nämlich eingestanden hät-
ten, dass auch Richter irren können, dass Fehler möglich
sind, dass Fehler, die man gemacht hat, nicht schlimm
sein müssen, sondern man sich dafür entschuldigen kann.
Doch dazu ist bis heute leider noch nichts gekommen;
aber vielleicht ist die Zeit hierfür noch nicht reif.

Heute danke ich deshalb im Wesentlichen jemandem
aus der Sozialdemokratie, der in der Bundesrepublik
Deutschland begonnen hat, dieses Unrecht aufzuheben,
jemandem, der von vielen schon vergessen wurde, näm-
lich unserem ehemaligen Justizminister und Bundesprä-
sidenten Gustav Heinemann. Ohne ihn und seine Initia-
tiven wären auch wir, die wir alles darangesetzt haben,
die Diskriminierung immer mehr zu beenden, nicht da,
wo wir jetzt sind.


(Beifall bei der SPD)


Wir sind noch nicht am Ende. Ich nenne die Ehe für
alle, Adoptionsrecht, Finanzierung des Aktionsplans ge-
gen Trans- und Homophobie. Wir haben noch viel zu tun.
Wir packen es an, und wir setzen dies auch um.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU])







(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1824019700

Harald Petzold hat für die Fraktion Die Linke als

nächster Redner das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824019800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir beschließen
heute das Gesetz zur Rehabilitierung und Entschädigung
von schwulen Männern, die nach dem 8. Mai 1945 nach
dem § 175 des Strafgesetzbuches für einvernehmliche se-
xuelle Handlungen verurteilt worden sind.

Es ist ein Gesetz, das überfällig ist, weil es Tausen-
den schwulen Männern, die zu Unrecht verurteilt worden
sind – der Kollege Brunner hat es genannt –, endlich Ge-
rechtigkeit widerfahren lässt, indem die Urteile aufgeho-
ben werden und eine symbolische Entschädigung gezahlt
wird.

Es ist ein Gesetz, dessen Auswirkungen leider Tausen-
de Betroffene schon nicht mehr miterleben können, weil
sie inzwischen verstorben sind, und das trotzdem wichtig
ist, weil es den Lebenden sozusagen deutlich macht, dass
ihr Leiden und ihr Kampf um Gerechtigkeit eben nicht
umsonst gewesen sind und dass wir in der Lage sind, ih-
nen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist ein Gesetz, das vielen in diesem Haus, vielleicht
sogar – so möchte ich es sagen – fast allen, die heute
hier im Saal sitzen und an der Diskussion teilnehmen, ein
Herzensanliegen ist.

Ich habe allen Grund, den Dank, den ich in meinem
Beitrag zur ersten Lesung an alle gerichtet habe, zu wie-
derholen und insbesondere die Kollegin Zollner noch
einmal persönlich herauszuheben, weil sie in der Fach-
presse als Einzige derjenigen, die ganz aktiv mitgewirkt
haben, eben nicht genannt worden ist, was nicht so ganz
in Ordnung ist. Wenn sich alle so verhalten hätten wie die
genannte Kollegin, vor allen Dingen in der CSU, dann
hätten wir ein faireres Verfahren gehabt, und ich hätte
möglicherweise keinen Grund, heute auch eine Kritik
vorzutragen. Zu der muss ich leider später noch kom-
men; das hat auch die Kollegin Zollner nicht verhindern
können.

Ich will die Danksagung gern auch noch auf diejeni-
gen Kolleginnen und Kollegen aus den vergangenen Le-
gislaturperioden erweitern, die ebenfalls viele Jahre mit
dafür gekämpft haben, dass es heute dieses Gesetz gibt.
Ich denke an Barbara Höll und an Christina oder jetzt
Christian Schenk von der Linken, ich denke an Christine
Scheel, ich denke an Margot von Renesse, ich denke an
Jörg van Essen. All diese Kolleginnen und Kollegen ha-
ben ja ebenfalls in den vergangenen Jahren mit dazu bei-
getragen.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber leider – dieses Wasser in den Wein kann ich Ih-
nen leider nicht ersparen – ist der vorliegende Gesetz-
entwurf auch zum Gegenstand eines aus meiner Sicht
sehr unwürdigen Schachers gemacht worden, vor allen
Dingen innerhalb der Koalitionsfraktionen. So ist es
leider passiert, dass durch einen Änderungsantrag – der
Kollege Brunner hat es hier vorgetragen – neues Unrecht
geschaffen worden ist.

Bundesweit gilt die Schutzaltersgrenze von 14 Jahren
für einvernehmliche sexuelle Handlungen, und dies mit
drei Ausnahmen, die in § 182 geregelt sind, nämlich das
Ausnutzen einer Zwangslage, Sex gegen Entgelt und das
Ausnutzen der fehlenden Fähigkeit des Opfers zur se-
xuellen Selbstbestimmung. Keiner dieser Fälle berührt
unser Gesetzesvorhaben, das wir heute umsetzen wollen.
Trotzdem konnten sich einige Kolleginnen und Kollegen
vor allen Dingen aus der Unionsfraktion offensichtlich
nicht verkneifen, mit Schutzalter 16 eine neue Diskrimi-
nierung in den Gesetzentwurf hineinzubringen und damit
denjenigen, die eigentlich entschädigt und rehabilitiert
werden sollen, doch so einen Makel von Jugendgefähr-
dung anzukleben, der schon immer vor allen Dingen
Lesben und Schwulen angehangen wird, und ein biss-
chen davon bleibt dann doch in der Bevölkerung hängen.
Damit schaffen wir eine neue Diskriminierung, und das
kann nicht sein.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich halte das für unwürdig, und mir fehlen eigentlich die
Worte für so eine miese Kiste.

Mir fehlen auch die Worte dafür, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der SPD, dass ihr euch auch noch mit
auf diesen Änderungsantrag gesetzt habt, dass ihr nicht
zumindest gesagt habt:


(Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]: Ohne uns hätte es nichts gegeben! Sonst hätte es keine Aufhebung gegeben!)


„Macht diesen Scheiß wenigstens alleine!“, dass ihr nicht
einmal das fertigbringt. Ihr plustert euch in der Öffent-
lichkeit immer so auf, und wenn es um die Abstimmung
geht, habt ihr keine Eier, um das einmal zu verhindern.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der SPD – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Ein bisschen unparlamentarisch, Herr Kollege!)


Ich finde es auch sehr schade, dass die Vorschläge und
Anträge, die wir als Linke gestellt haben, um das Gesetz
noch zu verbessern, keine Berücksichtigung und keine
Mehrheit im parlamentarischen Verfahren gefunden ha-
ben. Ich nenne hier insbesondere die individuelle Ent-
schädigung. Meine Fraktion hatte vorgeschlagen, dass
hierzu das Strafrechtsentschädigungsgesetz zur Grundla-
ge genommen wird. Dies ist von den Koalitionsfraktio-
nen mit der Begründung abgelehnt worden, dass dieses
Gesetz vor allen Dingen für zu Unrecht Verurteilte ge-
schaffen worden sei. Ja worüber haben wir denn die gan-
zen Wochen geredet? Über zu Unrecht Verurteilte. Auf
wen, wenn nicht auf diese Verurteilten, ist dieses Gesetz






(A) (C)



(B) (D)


anzuwenden? Insofern ist es nicht nachvollziehbar, was
Sie da an Begründungen genannt haben,


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Genauso wenig nachvollziehbar ist Ihre Ablehnung
der besonderen Zuwendung an Haftopfer in Höhe von
300 Euro bei Haftstrafen über 30 Tage, Ihr Widerstand
gegen die Übertragung der Ansprüche aus der Individu-
alentschädigung auf Lebens- und Ehepartner, wenn der
Anspruchsberechtigte zwischen dem Beantragen der
Entschädigung und ihrer Bewilligung versterben sollte,
und vor allem Ihre Haltung zur Kollektiventschädigung.

Zur Kollektiventschädigung werden wir in der nächs-
ten Legislaturperiode eine neue Initiative ergreifen, weil
das, wie ich denke, nicht zur heutigen Abstimmung passt.
Wir werden hier dem Gesetzentwurf zustimmen, auch
wenn ich diese Kritik hier vorgetragen habe;


(Beifall der Abg. Dr. Sabine Sütterlin-Waack [CDU/CSU])


denn wir wollen, dass das gesamte Haus deutlich macht,
dass dieses Unrecht wiedergutgemacht werden muss.
Das wollen wir nicht mit Kampfabstimmungen über-
schatten. Insofern hätte ich mir auch gewünscht, dass wir
heute nicht auch über einen Gesetzentwurf der Grünen
abstimmen müssten. Bei der Abstimmung über diesen
Gesetzentwurf werden wir uns – leider – enthalten, aber
dem Gesetzentwurf der Bundesregierung werden wir zu-
stimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]: Also auch keine Eier!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1824019900

Als nächste Rednerin hat Dr. Sabine Sütterlin-Waack

für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU):
Rede ID: ID1824020000

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Ich hatte schon im Rahmen der ersten Lesung mei-
ne Freude darüber zum Ausdruck gebracht, dass wir den
Gesetzentwurf zur Rehabilitierung der nach dem 8. Mai
1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlun-
gen verurteilten Personen in die parlamentarische Bera-
tung geben konnten. Ungleich größer wird heute meine
Freude sein, wenn wir das Gesetz nachher beschließen.

Dies ist heute meine letzte rechtspolitische Rede und
in gewisser Weise schließt sich der Kreis. Meine erste
Rede in diesem Hohen Haus hat sich mit dem Thema
Gleichstellung in einem weiter gefassten Sinne befasst.
Ohne diesen einzigartigen und vielleicht sogar histori-
schen Gesetzentwurf abwerten zu wollen, sage ich: Wir
befassen uns auch heute mit diesem Thema.

Bis ins Jahr 1969 waren im alten Bundesgebiet ein-
fache homosexuelle Handlungen kriminalisiert und
strafbewehrt. Bis 1994 galten diskriminierende Jugend-
schutzbestimmungen. Zumindest für die junge Bun-

desrepublik kann man sagen, dass die durch den natio-
nalsozialistischen Gesetzgeber drastisch verschärften
Strafrechtsparagrafen unverändert in das Strafgesetzbuch
Einzug fanden. Demnach war der Straftatbestand der Un-
zucht zwischen Männern schon durch eine Umarmung
in wollüstiger Absicht oder gar schon durch Handlungen
erfüllt, bei denen überhaupt keine körperliche Berührung
stattfand.

Gerade im Bereich der Justiz und besonders in den
Fachabteilungen des Bundesjustizministeriums gab es
auch nach Kriegsende eine personelle Kontinuität. Das
stand einer liberaleren Bewertung oder wenigstens einer
Rückbesinnung auf die Gesetze der Weimarer Zeit vehe-
ment im Weg.


(Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD])


Natürlich ist das nicht die ganze Erklärung. Zurückbli-
ckend muss man deutlich sagen: Das entsprach auch dem
gesellschaftlichen Mainstream. Besser als mit Ovid kann
man es kaum sagen: Die Zeiten ändern sich, und wir än-
dern uns in ihnen.

Es ist eine besondere Stärke des Rechtsstaats, sich
selbst zu korrigieren. Nicht weniger, aber auch nicht
mehr machen wir heute. Vor mehr als 15 Jahren hat sich
der Deutsche Bundestag über alle Fraktionsgrenzen
hinweg bei den betroffenen Männern für ihr erlittenes
Unrecht entschuldigt, entschuldigt für Urteile, die aus
heutiger Sicht in höchstem Maße grundrechts- und men-
schenrechtswidrig erscheinen,


(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])


entschuldigt für die Stigmatisierung und Kriminalisie-
rung homosexueller Handlungen mit allen dramatischen
Folgeerscheinungen; denn mit dem Richterspruch en-
dete für viele der damals verurteilten Männer auch ihr
gesellschaftliches Leben. Er markierte einen Bruch im
Lebenslauf und war eine Zäsur zum Schlechteren. Eine
Verurteilung war nicht nur ein Strafmakel, sondern auch
eine Aburteilung im gesellschaftlichen Gefüge. Wessen
homosexuelle Identität in der Nachkriegszeit durch einen
Prozess oder eine Verurteilung offenbart wurde, der war
mehrfach bestraft.

Wir kennen das, meine Damen und Herren, aus un-
seren persönlichen Beziehungen: Manchmal ist eine
einfache Entschuldigung zu wenig. Es müssen Taten
folgen. – Deshalb beraten wir hier heute abschließend
einen Gesetzentwurf, mit dem wir die verurteilen Män-
ner rehabilitieren und die Urteile pauschal aufheben. Es
ist unser gemeinsames Ziel, den Betroffenen, nunmehr
oftmals hochbetagten Männern, stellvertretend für unse-
ren Rechtsstaat die Möglichkeit zu geben, sich mit dem
deutschen Staat zu versöhnen. Wir bringen heute einen
einmaligen und beispiellosen rechtspolitischen Vorgang
zu Ende, mit dem wir in gewisser Weise auch verfas-
sungsrechtliches Neuland betreten.

Meine eigenen Erfahrungen zeigen mir: Neues, un-
bekanntes Terrain betritt man nicht stampfend und
springend, sondern vorsichtig und bedächtig. Vor allem
aufgrund der komplexen und komplizierten verfassungs-
rechtlichen Folgefragen, die im Zusammenhang mit dem

Harald Petzold (Havelland)







(A) (C)



(B) (D)


vorliegenden Rehabilitierungsgesetzentwurf stehen, ha-
ben wir der Entschuldigung nicht sofort auch eine Aufhe-
bung und Entschädigung folgen lassen können.

Wir als CDU/CSU-Fraktion haben uns im Vorfeld der
Entstehung des Gesetzentwurfs mit Fragen der Rechts-
sicherheit und der Gewaltenteilung intensiv beschäftigt.
Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass diese verfas-
sungsrechtlichen Prinzipien einem verfassungskonfor-
men Rehabilitierungsgesetz nicht entgegenstehen. Es ist
die spezifische Aufgabe des Gesetzgebers, abstrakt-gene-
relle Entscheidungen zu treffen. Darüber hinaus handelt
es sich bei der Aufhebung der Urteile um eine begüns-
tigende staatliche Maßnahme. Der Vertrauensschutz ist
daher nicht berührt.

Oft wurde in den vergangenen Jahren die Sorge zum
Ausdruck gebracht: Was machen wir denn mit den auf-
grund ebenfalls aufgehobener Straftatbestände Verurteil-
ten? Was machen wir mit den verurteilten Ehebrechern
und den wegen schwerer Kuppelei Verurteilten? – Uns
hören ja auch jüngere Bundesbürger zu; ich sehe da oben
auf der Tribüne viele. Ihnen sage ich: Ja, auch das war
damals in der Bundesrepublik Deutschland einmal straf-
bewehrt. Hier kann man jedoch ganz deutlich aufzeigen:

Weder beim Ehebruch noch bei der Kuppelei haben
wir es mit einem massiven Eingriff in den Kernbereich
des Persönlichkeitsrechts der privaten Lebensgestaltung
zu tun.

Außerdem haben wir es beim vorliegenden Gesetzent-
wurf mit einem eng umgrenzten Personenkreis der Be-
troffenen zu tun.

Opfer, die sich auf die mit dem Urteil verschaffte Ge-
nugtuung verlassen dürfen, gibt es auch nicht, da es sich
um einvernehmliche Handlungen handelt.

Auch Gewaltenteilung und richterliche Unabhängig-
keit bleiben, wie angedeutet, von der vorliegenden Auf-
hebungslösung unberührt. Eine Aufhebung im Sinne des
vorliegenden Rehabilitierungsgesetzes ist ja keine direkte
Reaktion auf ein bestimmtes Urteil oder ein spezifisches
Strafverfahren. Uns geht es um die generelle Aufhebung
und eben nicht um den Einzelfall.

Darüber hinaus korrigieren wir durch die Aufhebung
der Gesetze nicht die Justiz, die zur Gesetzesanwendung
verpflichtet war und ist. Deswegen darf man auch nicht
von Fehlurteilen oder Ähnlichem sprechen.

Auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
richts zu § 175 StGB – der Kollege hat das schon an-
gesprochen –, die uns heute in so vielen Punkten fremd
erscheint, steht einer Aufhebung nicht entgegen. Das
oberste Gericht stellte damals lediglich fest, dass der Ge-
setzgeber den umstrittenen Paragrafen so erlassen durfte.
Andersherum kann man daraus nicht den Schluss ziehen,
der Gesetzgeber dürfe die Vorschrift nun nicht ändern,
aufheben oder eben die Betroffenen rehabilitieren. Ich
möchte aber nicht, dass wir den vorliegenden Gesetz-
entwurf ausschließlich durch die Brille der Verfassungs-
juristen sehen. Ein Rehabilitierungsgesetz ist nicht nur

rechtlich möglich, sondern auch menschlich zwingend
notwendig.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Ich habe bereits auf die Situation der Betroffenen
hingewiesen. Wir gehen von ungefähr 3 000 noch leben-
den Betroffenen aus. Diese Zahl ist jedenfalls noch im
Bundeszentralregister verzeichnet. Die Aufhebung ist
für den Betroffenen mit einer Entschädigung wegen des
durch die Verurteilung erlittenen Strafmakels verbun-
den. Vorgesehen ist ein pauschaliertes Entschädigungs-
modell, damit eine möglichst schnelle Bearbeitung der
Entschädigungsansprüche gelingt. Wir haben uns für
eine niedrige Nachweisschwelle entschieden. Das heißt,
die Betroffenen müssen lediglich die Bescheinigung der
Rehabilitierung vorlegen und die Zeiten ihres erlittenen
Freiheitsentzuges wenigstens nachvollziehbar belegen.
Sie müssen sich also nicht noch einmal einem ausführli-
chen Verfahren stellen.

Hinsichtlich der im Gesetzentwurf vorgesehenen
Summen haben wir im Ausschuss keine Änderungen
mehr beschlossen. Je aufgehobener Verurteilung oder
Unterbringung werden 3 000 Euro gezahlt, je angefange-
nem Jahr der Freiheitsentziehung 1 500 Euro. Angesichts
der dramatischen Folgen der Verurteilung für die Betrof-
fenen kann diese Entschädigung nur als Symbol dienen.
Sie ist dennoch ein wichtiges Symbol.

In meinen Gesprächen wurde immer wieder deutlich:
Es geht den Betroffenen zuvorderst um die Aufhebung
des Strafmakels. Sehr nachhaltig bleibt mir die Aussage
eines Betroffenen in Erinnerung, der sagte, dass er nicht
als verurteilter Krimineller sterben wolle. Forderungen
nach Entschädigungszahlungen standen nie im Vorder-
grund. Eine Kollektiventschädigung ist im vorliegenden
Gesetzentwurf zwar nicht direkt verankert, aber bereits
erfolgt. Die Magnus-Hirschfeld-Stiftung erhält im Haus-
haltsjahr 2017 erstmalig eine institutionelle Förderung in
Höhe von 500 000 Euro aus dem Haushalt des Bundes-
ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ziel der Förderung ist es, die Arbeit der Stiftung zu stär-
ken, zum Beispiel das Zeitzeugenprojekt „Archiv der an-
deren Erinnerungen“.

Meiner Fraktion war es besonders wichtig, dass wir
mit dem Rehabilitierungsgesetz keine Wertungswider-
sprüche schaffen, das heißt, dass keine Rehabilitierung
für Handlungen erfolgt, die nach damaligem Recht auch
im heterosexuellen Bereich strafbar waren oder nach
heutigem Recht strafbar sind. Im Gesetzentwurf gelang
das bis auf eine Ausnahme sehr gut.

Mit dem hier so stark kritisierten Änderungsantrag
der Koalition reagierten wir auf eine potenzielle verfas-
sungsrechtliche Schwachstelle des Rehabilitierungsge-
setzes. Ich weiß, das wird nicht von allen so gesehen,
und ich habe auch Verständnis für diese Kritik. Ich weiß
auch, dass wir einigen Männern damit die Hoffnung auf
Rehabilitierung nehmen. Kein Verständnis habe ich al-
lerdings für das Schwingen der Homophobiekeule. Ich

Dr. Sabine Sütterlin-Waack






(A) (C)



(B) (D)


sage es ganz deutlich: Wir mussten eine Antwort auf die
dargestellten Bedenken geben; denn ein Scheitern des
Gesetzes wäre unverzeihlich. Ich denke, wir haben eine
vertretbare Lösung gefunden.

Am Ende möchte ich mich ganz ausdrücklich bei allen
Kolleginnen und Kollegen über jedwede Parteigrenzen
hinweg für die außerordentlich gute und oft freundschaft-
liche Zusammenarbeit bei diesem Thema und auch bei
vielen anderen Themen bedanken.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1824020100

Liebe Frau Dr. Sütterlin-Waack, das war voraussicht-

lich Ihre letzte Rede im Deutschen Bundestag. Ich möch-
te Ihnen für Ihre Zukunft alles Gute und viel Glück für
die voraussichtlich neue Aufgabe wünschen.


(Beifall)


Als nächster Redner hat Volker Beck das Wort für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824020200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Auch

von mir, Frau Sütterlin-Waack, alles Gute für Ihr neues
Amt, in dem Sie den Rechtsstaat weiter mitgestalten dür-
fen, und viel Glück und Erfolg dabei.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das ist das erste Mal, dass ich für Volker Beck klatsche!)


Auch für mich schließt sich heute ein Kreis. 1989
habe ich als Schwulenreferent der grünen Bundestags-
fraktion einen Gesetzentwurf zur Streichung des § 175
Strafgesetzbuch für meine Fraktion geschrieben. 1993
hörte der Rechtsausschuss erstmals einen Vertreter der
schwulen Bürgerrechtsbewegung an; ich war damals der
Sprecher des Schwulenverbandes und auf Einladung der
FDP-Fraktion als Sachverständiger geladen. 1994 wur-
den die letzten Reste des § 175 aus dem Strafgesetzbuch
gestrichen.

Heute ist ein historischer Tag. Der Bundestag erkennt
die Menschenrechtsverletzungen an den homosexuellen
Männern in der Bundesrepublik Deutschland und der
Deutschen Demokratischen Republik ausdrücklich an
und sagt: Dieses Unrecht darf keinen Bestand haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist gut, dass für viele Homosexuelle endlich das Stig-
ma des Kriminellen beseitigt wird. Weniger gut ist, dass
das viele nicht mehr erreicht, weil sie in der Zwischenzeit
verstorben sind.

Meine Damen und Herren, das Urteil war ein Aspekt
von dem, was die Menschen ruiniert hat, aber auch schon

das Ermittlungsverfahren konnte den sozialen Tod be-
deuten. Es war mit Schande und Schmach sowie der Ver-
nichtung der bürgerlichen Existenz verbunden. Deshalb
bitte ich Sie, noch einmal zu erwägen, ob Sie unserem
Änderungsantrag hinsichtlich der Entschädigungsleis-
tungen nicht zustimmen wollen. Wir entschädigen jetzt
ja alleine Haftschäden. Für viele Menschen war aber
schon durch ein Ermittlungsverfahren oder auch durch
ein Strafrechtsurteil ihre bürgerliche Existenz und ihre
Berufskarriere vernichtet.

Im Entschädigungsrecht ist es eigentlich üblich, dass
der Staat, wenn er einen Schaden verursacht hat, auch
Berufs- und Rentenschäden zu entschädigen hat. Das
haben wir beim Bundesentschädigungsgesetz und auch
beim Allgemeinen Kriegsfolgengesetz so gemacht. Wa-
rum machen wir das bei dieser Gruppe nicht?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Leute wurden aus dem Beamtenverhältnis entlassen, ha-
ben ihre Wohnung verloren, ihren Arbeitsplatz verloren.
Auf all dies gibt die Entschädigungsregelung, die Sie ge-
wählt haben, in vielen Fällen leider keine Antwort. Wir
haben eine flexible Regelung vorgeschlagen. Werfen Sie
Ihr Herz über die Hürde, und treten Sie unserem Antrag
bei!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Johannes Kahrs [SPD] und Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Meine Damen und Herren, es ist wichtig, dass diese
Rehabilitierung heute beschlossen wird. Es ist mir völlig
unverständlich, welche Regelungstechnik Sie gewählt
haben. Es gibt ja ein Vorbild. Die Paragrafen, die wir auf-
heben, haben wir für die Zeit zwischen 1933 und 1945
schon einmal aufgehoben, nämlich mit dem NS-Un-
rechtsurteileaufhebungsgesetz. So, wie es da gemacht
wurde, schlagen wir es auch in unserem Gesetzentwurf
vor. Wir werden aber Ihrem geänderten Entwurf am Ende
zustimmen, weil es entscheidend ist, dass die Rehabili-
tierung für die betroffenen Menschen heute beschlossen
wird.

Aber dass Sie mit dieser kleinen Nickeligkeit eine
symbolische Sperre bei der Rehabilitation einziehen, was
für lesbische Frauen und in heterosexuellen Beziehungen
nicht strafbar war, und nicht alle rehabilitieren wollen,
finde ich der Sache nach und auch von der Botschaft her,
die wir senden, einfach nicht angemessen. Das macht die
heutige Entscheidung bitter. Ein bisschen Gift musste of-
fensichtlich noch sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Am Ende des Tages wird Ihre Nickeligkeit keine Rolle
spielen, weil die Urteile, aus denen Sie die Tatbestände,
die Sie hier beschreiben, entnehmen könnten, gar nicht
mehr vorliegen. Wir wissen nur, nach welchen Paragra-
fen die Menschen verurteilt worden sind. Mehr ist auf
uns in den meisten Fällen nicht überkommen. Also fragt

Dr. Sabine Sütterlin-Waack






(A) (C)



(B) (D)


man sich doch: Warum musste diese Regelung unbedingt
sein?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, ich erwähnte es gerade:
Ich gehöre noch zu der Generation, die unter dem § 175
Strafgesetzbuch, zumindest in seiner Jugendschutzform,
groß geworden ist. Weit über die Bedeutung des Straf-
rechtlichen hinaus hat dies das Leben meiner Generation
geprägt. Es war nicht nur so, dass ich damals bei mei-
nen ersten sexuellen Erfahrungen „Opfer eines Straf-
rechtsparagrafen“ gewesen war. Ich hatte nicht vor dem
Sexualpartner Angst, aber sehr wohl vor Polizei und Jus-
tiz und davor, dass meine Homosexualität dadurch ans
Licht kommen könnte. Das war prägend. Jedoch auch in
anderen Bereichen, die darüber hinausgingen, etwa im
Mietrecht oder bei der Frage von Infoständen, wurde uns
gesagt: Ihr seid jugendgefährdend. Ihr dürft euch am öf-
fentlichen Leben nicht in gleicher Weise beteiligen. – Ich
finde, die Vertreter der Parteien, die dafür gesorgt haben,
dass dieser Paragraf so lange im Gesetzbuch stand, soll-
ten sich dafür bei den betroffenen Menschen entschul-
digen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Meine Damen und Herren, ich hoffe, dass das nicht
meine letzte, sondern meine vorletzte Rede im Bundes-
tag ist, weil wir in der nächsten Woche vielleicht den
Gesetzentwurf zur Eheöffnung noch beschließen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber manchmal kommt es anders. Deshalb will ich am
Schluss mit Erlaubnis der Präsidentin zum Abschied
noch ein paar Worte an Sie richten.

Ich war 23 Jahre leidenschaftlich gern Abgeordne-
ter für die Grünen. Ich danke meinen Wählerinnen und
Wählern und meiner Partei für das mir entgegengebrach-
te Vertrauen; ohne die hätte ich nicht das bewirken kön-
nen, was ich vielleicht bewirkt habe.

Ich bin dankbar für die vielen interessanten und be-
reichernden Begegnungen hier im Hohen Haus mit Kol-
leginnen und Kollegen aus allen Fraktionen. Was außer-
halb des Parlaments vielleicht zu wenig bekannt ist, ist
die Tatsache, dass trotz allen Streits und aller Auseinan-
dersetzungen hier im Plenum und in Talkshows die Zu-
sammenarbeit zwischen den demokratischen Fraktionen
über sachliche Themen immer wieder funktioniert hat.
Man hat auch jenseits der Koalition manchmal ein of-
fenes Ohr bei der Bundesregierung gefunden, wenn es
um konkrete Anliegen von Menschen oder Bürgern ging,
die Hilfe brauchten, sowie auch bei kleineren politischen
Aktionen.

Ich glaube, dass wir als Abgeordnete in diesen Zei-
ten selbstbewusst herausstreichen müssen, welch ein
Gewinn ein demokratisches Parlament ist. Parteien und
Fraktionen haben eine große Bedeutung an integrativer
Kraft für die politische Meinungsbildung. Gleichzeitig
müssen wir als Abgeordnete aber auch sagen: Wir sind

ein selbstbewusstes Parlament – gegenüber der Regie-
rung, aber auch gegenüber denjenigen, die derzeit den
Parlamentarismus denunzieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Wir haben eine große Verantwortung in der Kontrolle
der Regierung. Der einzelne Abgeordnete kann manch-
mal mehr bewirken, als die Presse glauben mag und auch
manche von uns glauben mögen. Ich will insbesonde-
re den jüngeren und neuen Abgeordneten des nächsten
Deutschen Bundestages sagen: Wir sind nicht Dezernen-
ten für einen Fachbereich.


(Johannes Kahrs [SPD]: So ist es!)


Vielmehr sind wir frei gewählte Abgeordnete – in allge-
meiner, unmittelbarer und freier Wahl gewählt –, Vertre-
ter des ganzen Volkes und an Aufträge und Weisungen
nicht gebunden, auch nicht an solche der Koalitionsfüh-
rung, der Fraktionsführung oder der Parteiführung.

Am Ende müssen wir in jeder Frage selber entschei-
den, wo unser Herz und wo unser Standpunkt unter Ab-
wägung aller Aspekte ist. Wenn das Parlament seitens
der Medien Neiddebatten unter Druck kommt. – Auf der
Pressetribüne ist keiner mehr anwesend. Sie sind wahr-
scheinlich gerade am Feiern, aber das Parlament arbeitet
immer noch.

Die Statusrechte und die Ausstattung der Parlamenta-
rier – dafür habe ich viele Jahre gestritten und auch ge-
kämpft – sollen die Sicherheit und die Unabhängigkeit
der Abgeordneten sichern, und sie sind keine Privilegien,
sondern zwingende Voraussetzung, dass man zum Bei-
spiel in presserechtlichen Auseinandersetzungen die nö-
tigen Ressourcen hat, um sich gegen falsche Anwürfe zu
verteidigen, und dass man unabhängig seiner politischen
Arbeit nachgehen kann.

Ich möchte alle ermutigen, diese Frage der Unabhän-
gigkeit sowohl gegenüber Populisten als auch gegenüber
manchmal nickeligen Presseanfragen stolz und selbstbe-
wusst zu verteidigen.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1824020300

Ein schöner Schlusssatz, Herr Beck.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824020400

Ein Satz noch. – Die Demokratie ist nicht unfehlbar in

ihren Ergebnissen. Das Gute an der Demokratie ist, dass
sie ihre Fehler einsehen und korrigieren kann, und ich
glaube, das haben wir am heutigen Tage auch mit diesem
Gesetzgebungsverfahren gezeigt.

Vielen Dank.


(Beifall im ganzen Hause)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1824020500

Herr Kollege Beck, das war – wahrscheinlich – auch

Ihre letzte Rede. Sie waren sechs Legislaturperioden im
Bundestag und haben in unterschiedlichen Funktionen
mitgewirkt. Ich will insbesondere auch an Ihre Tätigkeit

Volker Beck (Köln)







(A) (C)



(B) (D)


als Vorsitzender der Deutsch-Israelischen Parlamentari-
ergruppe erinnern. Ich wünsche auch Ihnen für Ihre Zu-
kunft alles Gute und viel Glück. Vielen Dank.


(Beifall – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielen Dank!)


Als nächster Redner hat Johannes Kahrs für die
SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1824020600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! 86 Prozent der Deutschen befürworten die Re-
habilitierung der 175er. Zwischen 1949 und 1994 wur-
den etwa 64 000 homosexuelle Männer verurteilt. Das
hat also 64 000 Männer und deren Partner und Freunde
getroffen.

Es hat die getroffen – das ist schon gesagt worden –,
die verfolgt worden sind. Aber es hat auch diejenigen ge-
troffen, die sich nicht getraut haben und die sich versteckt
haben. Homosexuelle Handlungen, um die es hier geht,
waren ein Kuss und Umarmungen; das war das berühmte
Kuscheln und die Nacht zusammen zu verbringen. Das
alles stand unter Strafe.

Wenn man schwul ist, gehört das aber zum Leben. Das
gehört zu einem selber; das macht einen Menschen aus.
Wenn man das nicht darf und wenn man dafür verurteilt
wird, dann ist das schändlich.

Aber viele haben es gar nicht erst so weit kommen las-
sen: Das waren dann die ewigen Junggesellen; das waren
diejenigen, die sich nicht getraut haben und deren Leben
damit auch von Anfang bis Ende – lassen Sie es mich
unparlamentarisch sagen – versaut worden ist. Ich kenne
viele von ihnen – ich habe mit vielen von ihnen gespro-
chen –, und es ist für jeden von ihnen eine Tragödie. Je-
der hat sich irgendwie arrangiert; aber sie konnten nicht
heiraten, sie konnten nicht zusammen sein, sie konnten
nicht händchenhaltend über die Straße gehen, sie konn-
ten sich nicht einmal küssen. Das war alles rechtswidrig,
und das ging bis 1994. Das ist gar nicht so lange her.

Auch an diese Menschen wollen wir heute denken.
Wir werden diejenigen, die betroffen waren, entschädi-
gen, aber nur diejenigen, die verurteilt worden sind. All
den Menschen mit diesen Biografien, die ihr Leben nicht
so leben konnten, wie sie es eigentlich gewollt hätten,
bieten wir nichts. Ich glaube aber, dass wir als Parlament
sagen müssen, dass es uns leidtut; denn wir gehören alle
zu Parteien, die auch in jener Zeit in den Parlamenten
vertreten waren. Aber auch in einer Demokratie kann
Unrecht geschehen.

Ich persönlich bin wirklich froh und stolz darauf, dass es
uns gelungen ist, diesen Gesetzentwurf in den Deutschen
Bundestag einzubringen. Ich möchte mich zuallererst bei
Heiko Maas bedanken, dass er dieses Gesetzesvorhaben
immer wieder angeschoben hat. Es hat häufig genug ge-
stockt, es war häufig genug in schweren Fahrwassern,
und die Kollegen im Rechtsausschuss haben sich dafür
eingesetzt und gekämpft. Das war nicht ganz einfach.

Die Kollegin Sütterlin-Waack hat die Probleme ge-
schildert. Ich habe mich vor kurzem mit ihr darüber un-
terhalten, warum es denn schon wieder verdammt noch
mal nicht weitergeht. Sie sagte mir, woran es lag. Dann
sind wir Sozialdemokraten über ein Stöckchen gesprun-
gen, was uns nicht leichtgefallen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben noch einen Änderungsantrag gemacht. Das
war sehr schwierig. Dafür haben wir auch Dresche bezo-
gen. Aber die Alternative wäre gewesen, dass die CDU/
CSU dieses Gesetz heute nicht hier hätte beschließen las-
sen. Dann hätten wir es nicht gehabt, und das wäre nicht
akzeptabel gewesen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Stefan Kaufmann [CDU/CSU])


Deswegen, liebe Frau Sütterlin-Waack, noch einmal
vielen Dank für den Einfluss, den Sie und viele der Kol-
legen in Ihrer eigenen Fraktion ausgeübt haben. Es ist
immer so: Wenn man redet, dann erwischt man immer
die Falschen, denn diejenigen, die heute hier sitzen, wa-
ren meistens Teil der Lösung; diejenigen, die heute hier
nicht sitzen, waren das Problem.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen muss man sagen: Es war gut, dass wir es noch
geschafft haben.

Ich möchte mich ganz besonders bei dem Kollegen
Brunner bedanken, den ich immer wieder losgehetzt
habe, der immer wieder ranmusste, damit es vielleicht
doch noch klappt.

Ich persönlich bin stolz darauf. Im Koalitionsvertrag
steht: Rechtliche Regelungen, die gleichgeschlechtliche
Lebenspartnerschaften schlechterstellen, werden wir be-
seitigen. In diesem Punkt haben wir das – bis auf diesen
einen Änderungsantrag – geschafft.

Es gibt aber noch andere Punkte, die offen sind, und
auch wenn es nicht jeder hören möchte, muss ich es noch
einmal sagen: Die Öffnung der Ehe für alle wird kom-
men, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union; zur
Not auch ohne Sie, aber sie wird kommen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nächste Woche!)


– Volker, bevor du dich aufregst: Wir alle kennen die par-
lamentarischen Spielregeln. Ihr habt in Baden-Württem-
berg gegen die Öffnung der Ehe gestimmt.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Wir als Sozialdemokraten können hier nicht für die Öff-
nung der Ehe stimmen, weil es einen Koalitionsvertrag
gibt, an den wir uns alle zu halten haben. Wir alle ken-
nen diese Zwänge. Trotzdem wird die Öffnung der Ehe
kommen, ob mit oder ohne die Union; das ist mir lang-
sam auch egal. Dann wird das der Bundeskanzler Martin
Schulz eben regeln müssen.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1824020700

Als letzte Rednerin in dieser Aussprache hat Gudrun

Zollner für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gudrun Zollner (CSU):
Rede ID: ID1824020800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Als ich im September 2013 den Einzug in
den Deutschen Bundestag geschafft hatte und dem Fa-
milienausschuss zugeteilt wurde, habe ich mich für die
Themen Alleinerziehende und LGBTI als Berichterstat-
terin der Unionsfraktion beworben – aus Überzeugung
und weil ich etwas bewegen wollte.

Zwei Vorhaben lagen mir besonders am Herzen: das
Unterhaltsvorschussgesetz und der § 175. Beides sind
Themen, die schon jahrelang in diesem Hohen Hause
debattiert wurden und bei denen sich bei manchen die
Euphorie in Grenzen hielt, was eine Reformierung bzw.
die Rehabilitierung anbelangt.

Ich wollte meine Zeit hier im Deutschen Bundes-
tag dafür nutzen, um mich für Alleinerziehende und die
LGBTI-Themen einzusetzen. Das hieß teilweise, dicke
Bretter zu bohren, auch mit einem gewissen Quäntchen
an Hartnäckigkeit; vor allem aber hieß es, miteinander zu
reden, aufzuklären und zu überzeugen. Und Aufklärung
tat wirklich not.


(Johannes Kahrs [SPD]: Das stimmt!)


Den § 175 oder zumindest die Bedeutung kannten vie-
le,


(Johannes Kahrs [SPD]: In der Union nicht!)


aber die tragischen Schicksale, die dieser Paragraf für
die betroffenen Männer mit sich brachte, kannten die we-
nigsten. Es war dieser Paragraf, der homosexuelle Män-
ner zu Verbrechern machte, durch den viele ihre Arbeit
und ihr Ansehen verloren, an dem Familien zerbrachen,
der sie in den sozialen Tod trieb.

Überzeugung brachten das Gutachten der Antidiskri-
minierungsstelle des Bundes sowie unionsinterne Ex-
pertengespräche. Sie zeigten Möglichkeiten zur verfas-
sungsgemäßen Umsetzung. Trotzdem war es für unsere
Juristen eine Herausforderung; wir betraten schließlich
verfassungsrechtliches Neuland. Aber wir haben es ge-
schafft. Wir beschließen heute die Rehabilitierung der
nach § 175 verurteilten Männer. Wer hätte das am An-
fang dieser Legislaturperiode gedacht?


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Hier möchte ich Friedrich Hebbel zitieren: „Es gehört
oft mehr Mut dazu, seine Meinung zu ändern, als ihr treu
zu bleiben.“


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich freue mich besonders für die betroffenen Männer,
die endlich ein Stück ihres Lebens zurückbekommen.
Wir können mit der heutigen Rehabilitierung das Leid
durch die fortgesetzte Kriminalisierung und Stigmatisie-
rung der Betroffenen nicht mindern, aber wir können ih-
nen ihre Ehre zurückgeben – endlich.


(Beifall im ganzen Hause)


Wir setzen aber auch ein Zeichen für unsere Gesell-
schaft. Deutschland bezieht Position – gegen Diskrimi-
nierung und gegen Ausgrenzung. Auch über unsere na-
tionalen Grenzen hinaus wollen wir ein positives Signal
an Länder senden, in denen Homosexualität immer noch
stark geächtet wird. Neben der Individualentschädigung
kommen wir auch der Forderung nach einer Kollekti-
ventschädigung nach, und zwar in Form einer institutio-
nellen Förderung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
bereits in diesem Haushaltsjahr.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, dass ich an
diesem einmaligen Vorgang mitwirken durfte, erfüllt
mich mit Stolz. Schade finde ich nur, dass ich bei der ers-
ten Lesung von einigen Medien als einzige der acht Red-
nerinnen und Redner nicht einmal namentlich erwähnt
wurde. Vielleicht passt es einigen ideologisch nicht, dass
sich eine CSU-Politikerin für LGBTI-Themen einsetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Viele meiner Unionskolleginnen und -kollegen treten für
die Rechte Homosexueller ein, und zwar aus Überzeu-
gung, auch wenn uns leider oft etwas anderes unterstellt
wird.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Wir alle wissen aber auch: Politik besteht aus Kom-
promissen. Das erleben wir tagtäglich bei unserer Arbeit.
Kein Gesetz verlässt das Plenum ohne Kompromiss. So
auch dieses. Ich würde mir aber auch wünschen, dass wir
oft respektvoller miteinander umgehen. Ich möchte Brü-
cken bauen. Lassen Sie uns aufeinander zugehen, so wie
wir es interfraktionell bei der Rehabilitierung nach § 175
verurteilter Männer geschafft haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich da-
her heute bei den Kollegen der interfraktionellen Grup-
pe, bei Harald Petzold und bei Karl-Heinz Brunner, auch
wenn er über uns heute ein bisschen geschimpft hat, für
die gute Zusammenarbeit bedanken, ganz besonders aber
bei meiner Kollegin Dr. Sabine Sütterlin-Waack. Ihr
möchte ich gleichzeitig ganz herzlich zu ihrer bevorste-
henden Berufung als Justizministerin des Landes Schles-
wig-Holstein gratulieren.


(Beifall im ganzen Hause)


Johannes Kahrs






(A) (C)



(B) (D)


Liebe Sabine, alles Gute und danke für das vertrauens-
volle und freundschaftliche Miteinander.

Vielleicht war es auch für mich als Listenkandidatin
heute die letzte Rede zu diesem Thema hier im Hohen
Haus. Danke auch an den Vorstand der Bundesstiftung
Magnus Hirschfeld, Jörg Litwinschuh, für seine Arbeit
am Archiv der Erinnerungen, und danke an alle Männer,
deren Strafmakel wir heute beseitigen konnten, für ihre
Geduld im Glauben an unseren Rechtsstaat. Ab heute
sind sie moralisch, politisch, gesellschaftlich und nun
endlich auch rechtlich rehabilitiert.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1824020900

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich

die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur strafrecht-
lichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen
einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteil-
ten Personen und zur Änderung des Einkommensteuerge-
setzes. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/12786, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf den Drucksachen 18/12038 und
18/12379 in der Ausschussfassung anzunehmen.

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/12835 vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für diesen
Änderungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Damit ist
der Änderungsantrag mit den Stimmen der Koalition ge-
gen die Stimmen der Opposition abgelehnt worden.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Gibt es jemanden, der dagegenstimmt? – Gibt
es jemanden, der sich enthält? – Damit ist der Gesetz-
entwurf in zweiter Beratung einstimmig angenommen
worden.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf einstimmig angenommen worden.


(Beifall im ganzen Hause)


Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetzent-
wurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Aufhe-
bung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten gemäß
den §§ 175, 175a Nummer 3 und 4 des Strafgesetzbu-
ches und gemäß § 151 des Strafgesetzbuches der DDR
ergangenen Unrechtsurteile. Der Ausschuss für Recht
und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12786,
den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

auf der Drucksache 18/10117 abzulehnen. Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen von
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke abgelehnt worden. Damit entfällt nach unserer Ge-
schäftsordnung die weitere Beratung.

Wir setzen die Abstimmung zu den Beschlussemp-
fehlungen des Ausschusses für Recht und Verbraucher-
schutz auf Drucksache 18/12786 fort. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung
die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/10118 mit dem Titel „Indivi-
duelle und kollektive Entschädigung für die antihomo-
sexuelle Strafverfolgung nach 1945 in beiden deutschen
Staaten“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die-
se Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen
worden.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 a bis 16 c auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Heidrun
Bluhm, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Bundesweiten Aktionsplan für eine ge-
meinnützige Wohnungswirtschaft auflegen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Christian
Kühn (Tübingen), Britta Haßelmann, Sven-
Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die neue Wohnungsgemeinnützigkeit –
Fair, gut und günstig wohnen

Drucksachen 18/7415, 18/8081, 18/10928

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-
cherschutz (6. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay,
Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Kündigungsschutz für Mieterinnen und
Mieter verbessern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Christian
Kühn (Tübingen), Renate Künast, Hans-
Christian Ströbele, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Zusammenhalt stärken – Mietrecht refor-
mieren

Drucksachen 18/11049, 18/10810, 18/12632

Gudrun Zollner






(A) (C)



(B) (D)


c) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Finanzausschusses (7. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Lisa Paus,
Christian Kühn (Tübingen), Kerstin Andreae,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Spekulation mit Immobilien und Land been-
den – Keine Steuerbegünstigung für Übernah-
men durch Share Deals

Drucksachen 18/8617, 18/12818

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.

Ich eröffne die Sprache


(Heiterkeit)


– nein, natürlich die Aussprache und gebe damit die
Möglichkeit zur Sprache. Als erster Redner in dieser
Aussprache hat der Parlamentarische Staatssekretär
Florian Pronold für die Bundesregierung das Wort. –
Herr Staatssekretär.


(Beifall bei der SPD)


Fl
Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1824021000


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Liebe Kollegen! „Sprache“ ist ein gutes Stichwort, finde
ich. Wenn wir lesen „Wohnungswirtschaft“ und „Kündi-
gungsschutz“, dann verdeckt das ein bisschen, worum es
geht. Es geht um viele Menschen, die große Sorge haben,
dass sie sich das Leben in ihrer angestammten Wohnung
in Zukunft nicht mehr leisten können, wenn eine Moder-
nisierungsankündigung kommt; es geht um Rentnerinnen
und Rentner, die in einer Wohnung leben, die eigentlich
zu groß ist, die gern wechseln würden, die aber in ihrem
Kiez keine bezahlbare neue Wohnung finden; es geht um
explodierende Mieten in vielen Regionen Deutschlands,
die vielen, vielen Menschen einen ganz großen Teil des-
sen, was sie hart erarbeiten, aus dem Geldbeutel nehmen.
Darum geht es heute: Wie können wir das verändern?

Diese Große Koalition und vor allem die SPD-ge-
führten Ministerien haben in dieser Legislaturperiode
unheimlich viel nicht nur auf den Weg gebracht, sondern
auch umgesetzt. Wir haben die soziale Wohnraumför-
derung verdreifacht, wir haben die Städtebauförderung
verdoppelt, wir haben die Regelungen zu den Maklerge-
bühren durchgesetzt, wir haben die Mietpreisbremse ein-
geführt, wir haben das Wohngeld erhöht. In den letzten
20 Jahren ist auf Bundesebene nie so viel gemacht wor-
den für die soziale Wohnungspolitik wie in dieser Legis-
laturperiode. Darauf können wir stolz sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Trotzdem lohnt es, in dieser Debatte nicht nur nach
vorn zu blicken und zu schauen, was noch zu tun ist,
sondern auch eine kritische Reflexion zur Wohnungs-

politik in den letzten Jahrzehnten vorzunehmen. Bevor
die Große Koalition an die Regierung kam, erfolgten
die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit durch
Schwarz-Gelb, die Föderalismusreform, die die Zu-
ständigkeit der Länder für den sozialen Wohnungsbau
begründet hat, der De-facto-Ausstieg vieler Länder aus
dem sozialen Wohnungsbau, der Rückgang bezahlbaren
Wohnraums und von Sozialwohnungen in ganz Deutsch-
land und der Verkauf öffentlicher Wohnungsunterneh-
men auf allen Ebenen und übrigens unter Beteiligung
aller hier vertretenen Fraktionen, je nachdem, in welcher
Verantwortung sie vor Ort waren.

Das alles geschah wohl unter der Annahme, dass es ir-
gendwann in Deutschland kein Wohnungsproblem mehr
gibt, weil ja die Bevölkerungszahlen sinken. Aber wie
wir alle sehen, ist diese Prognose nicht eingetreten, son-
dern wir haben einen enormen Handlungsbedarf, mehr
bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.

Ich bin der festen Überzeugung: Wohnen ist ein wich-
tiges soziales Gut, und vor allem Boden darf kein Speku-
lationsobjekt sein. Deswegen begrüße ich die Initiative
der Länder zur Besteuerung von Share Deals. Es kann
nicht sein, dass Grundstücksgeschäfte grunderwerbsteu-
erbefreit bleiben, wenn sie von großen Gesellschaften
gemacht werden, und die Familie, die Eigentum erwer-
ben will, darauf bis zu 6,5 Prozent Grunderwerbsteuer
zahlen muss. Das ist ungerecht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wer macht die denn so hoch? Rot-Rot-Grün!)


Und ich freue mich auf die Diskussion über die Gemein-
nützigkeit.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wer verteuert denn den Wohnungsbau?)


– Wenn Sie eine Zwischenfrage haben, melden Sie sich.


(Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Wie immer gern. Wir haben ja schon in finanzpolitischen
Zeiten viel gemacht, und wir können gern auch über die-
se Frage reden; dann gebe ich Ihnen auch die entspre-
chenden Antworten.

Aber mir geht es jetzt darum: Ist gemeinnützige Woh-
nungswirtschaft eine Lösung für die Zukunft? Ich per-
sönlich bin der Auffassung – auch mein Ministerium;
wir haben jetzt einige Veranstaltungen dazu gemacht –,
dass wir alles tun müssen, damit nicht profitorientierte
Wohnungsgesellschaften auf dem Wohnungsmarkt wie-
der stärker werden. Wenn man sich zum Beispiel die
Mieten in München und Wien anschaut, sieht man, dass
diese höchst unterschiedlich sind. Pro Quadratmeter wird
in Wien nur ungefähr die Hälfte von dem bezahlt, was
man in München zahlt. Und warum? Der Unterschied ist,
dass in Wien 70 Prozent des Wohnungsbestands in ge-
nossenschaftlicher Hand oder in der Hand kommunaler
Wohnungsbaugesellschaften ist. In München sind es – je
nachdem, wie man rechnet – 10 bis 15 Prozent. Deswe-
gen müssen wir alles tun, damit gemeinwohlorientierte
Unternehmen oder diejenigen Unternehmen, die nicht so

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


stark am Profit orientiert sind, wieder stärker werden und
einen größeren Anteil auf den Wohnungsmärkten bekom-
men.


(Beifall bei der SPD)


Unser Ziel ist es, dass alle diejenigen gestärkt werden,
die sich als Wohnungsunternehmen besonders engagie-
ren – für Schuldnerberatung, für Begegnungen zwischen
Nachbarn, für Integration, für Gemeinschaftsräume, für
Grünflächen, auch für die Integration von Menschen mit
Handicap –, die eine Sozialrendite erwirtschaften; das
sind insbesondere die Genossenschaften und die kommu-
nalen Wohnungsbaugesellschaften. Das Wichtigste wäre,
dass sie von allen politischen Ebenen die Grundstücke,
die sie für den Neubau dringend brauchen, endlich preis-
günstiger bekommen


(Beifall bei der SPD)


und dass alle dazu beitragen, dass es eine an sozialen Ge-
sichtspunkten orientierte Wohnungspolitik gibt.


(Ulli Nissen [SPD]: Wichtige Forderung!)


Diejenigen, die meinen, Wohnungsgemeinnützig-
keit löse alle Probleme auf dem Wohnungsmarkt, gehen
allerdings fehl in ihrer Annahme. Es wird sehr lange
dauern, bis sich der Anteil erhöht. Wer die Gutachten,
die dazu gemacht werden, genau liest, sieht auch, dass
es da auf alle Fälle noch einige ungelöste Fragen gibt.
Außerdem fehlt es vor allem an Partnern aus der Woh-
nungswirtschaft, die die neue Gemeinnützigkeit wollen,
wenn diese ähnlich ist wie die, die wir in den 90er-Jahren
hatten. Deswegen, glaube ich, kommt es darauf an, dass
wir überlegen, wie wir diejenigen stärken, die nicht den
Tanz ums goldene Kalb vollführen und nicht den Profi-
ten nachjagen, wie wir die Gemeinnützigkeit wieder in
ein neues Licht bringen und auf dem Wohnungsmarkt zu
neuem Leben verhelfen. Das ist unser Anspruch.

Ich glaube, das ist aber nur ein Teil der Lösung. Wir
haben auch andere Themen in den Beratungen. Ich finde,
dass es genauso wichtig ist, über die anderen Instrumen-
te zu reden. Dazu gehört, dass wir die Mieterinnen und
Mieter endlich wirksam schützen, auch durch rechtliche
Gegebenheiten. Dazu gehört die Nachbesserung bei der
Mietpreisbremse. Einer meiner Nachredner lässt sich auf
der einen Seite hier im Deutschen Bundestag dafür loben,
dass er für die Mietpreisbremse kämpft


(Ulli Nissen [SPD]: War das der Luczak?)


– Herr Luczak –, und auf der anderen Seite vor Ort dafür
loben, dass er hier alles dafür getan hat, dass sie nicht zur
Wirkung kommt.


(Ulli Nissen [SPD]: Ja! Ich erinnere mich daran, Herr Luczak! – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Nein!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, ich
finde es auch schade, dass Worte und Taten dann nicht
zusammenpassen, wenn es ums Regieren geht. Wenn
ich mir den Koalitionsvertrag in Schleswig-Holstein an-
schaue, dann lese ich dort:

Die Erfahrungen mit ... der ... Mietpreisbremse und
der Kappungsgrenzenverordnung zeigen ..., dass

der angestrebte Effekt ... nicht eingetreten ist. Des-
wegen werden wir die entsprechenden Verordnun-
gen ... ersetzen.

Hier den Robin Hood für die Mieterinnen und Mie-
ter zu spielen und dort, wo man in Verantwortung geht,
den Sheriff von Nottingham zu geben, das hilft den Men-
schen nicht, die Angst davor haben, ihre vier Wände zu
verlieren.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1824021100

Als nächste Rednerin hat Heidrun Bluhm für die Frak-

tion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824021200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wie das bei der SPD immer so ist: Man könnte nach
dieser Rede glauben: Es ist alles in Ordnung, und alle
Bürgerinnen und Bürger in Deutschland haben eine be-
zahlbare Wohnung.


(Ulli Nissen [SPD]: Das wäre schön, ja!)


Ich will daran erinnern, dass heute Wohnungsbau-Tag
in Berlin ist. Was passt da eigentlich besser, vor allem
vor dem Hintergrund, dass wir am Ende einer Legisla-
turperiode sind, als mit konkreten Lösungen zu den Fra-
gen, die Herr Pronold hier eben deutlich analysiert hat,
zu kommen? Wir haben heute die zweite Lesung unseres
Antrags zur Einführung einer neuen gemeinwohlorien-
tierten Wohnungswirtschaft. Wir haben eine Lösung vor-
gelegt, die es möglich macht, genau die Probleme, die
hier besprochen worden sind, anzugehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke schlägt Ihnen also vor, die Wohnungspolitik
gemeinwohlorientiert zu organisieren.

Auf dem Wohnungsbau-Tag warf die Wohnungswirt-
schaft der Politik heute Staatsversagen vor, und die Po-
litik warf der Wohnungswirtschaft Marktversagen vor.
Die Menschen haben deshalb trotzdem keine bezahlbare
Wohnung. Dabei verhält sich der Markt – auch der Woh-
nungsmarkt – genauso, wie er ja nach Ansicht der Wis-
senschaft auch funktionieren soll: Markt ist Wettbewerb,
Wettbewerb ist Geschäft, und ein gutes Geschäft ist nur
dann ein gutes Geschäft, wenn es auch etwas abwirft,
also Gewinn.

Versagt hat aber der Staat – leider –, weil er erstens
alle Wohnungen komplett zur Ware und damit marktfä-
hig gemacht hat,


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Die Plattenbauten!)


weil er zweitens das öffentliche Wohnungswesen pri-
vatisiert hat, weil er sich drittens aus der Wohnraum-
versorgung komplett verabschiedet hat – wir als Bund
spätestens nach 2020 – und weil er viertens Milliarden
öffentlicher Gelder in private Profite umwandelt. Das gilt

Parl. Staatssekretär Florian Pronold






(A) (C)



(B) (D)


übrigens für alle Parteien, die am Staat irgendwo beteiligt
sind; das will ich hier deutlich sagen.

Von all dem hatten Wohnungssuchende bisher nichts.
Deshalb wollen wir die Wohnungspolitik vom Kopf auf
die Füße stellen und die Wohnung wieder zum Allge-
meingut machen.


(Beifall bei der LINKEN)


Das, was wir wollen, hat sich auch längst und vor allem
schnell herumgesprochen. Umso mehr und umso erbit-
terter formiert sich auch der Widerstand, vor allem aus
Teilen der Immobilienwirtschaft und selbstverständlich
auch bei unseren politischen Gegnern. Unserem Konzept
und den wissenschaftlichen Gutachten werden mittler-
weile nicht nur flächendeckend Gegengutachten und jede
Menge aufgeregte Polemik entgegengestellt. Auch die
Debatte ist zunehmend intensiver geworden und vor al-
lem durch Schärfe und wenig Sachlichkeit geprägt.

Deshalb will ich hier einmal einiges klarstellen: Unser
Antrag, die neue Wohnungsgemeinnützigkeit einzufüh-
ren, soll das bisherige System der Wohnungswirtschaft
nicht abschaffen – so weit gehen wir gar nicht –, son-
dern es um mehr als nur ein Segment erweitern. Die neue
Wohnungsgemeinnützigkeit soll und kann auch nicht per
Dekret erzwungen werden. Das kann niemand verord-
nen; das ist auch nicht umsetzbar. Sie kann sich nur durch
eigenes, ökonomisch sinnvolles Handeln der Träger dau-
erhaft etablieren und einen öffentlichen Daseinsvorsor-
geauftrag verlässlich und aus eigener Wirtschaftskraft
erfüllen.

Der Staat soll nach unserem Konzept die Wohnungs-
wirtschaft nicht ersetzen, wie das in diversen Debatten
immer behauptet wird, sondern er soll nur die Rahmen-
bedingungen setzen, die es gemeinnützigen Unterneh-
men oder Unternehmensteilen ermöglichen, Menschen
mit bezahlbaren Wohnungen zu versorgen, anstatt öffent-
liches Geld über den Umweg von Wohngeld oder Kosten
der Unterkunft in direkte Unternehmensgewinne umzu-
wandeln.


(Beifall bei der LINKEN)


Daran sollen nach unseren Vorstellungen alle, nicht
nur kommunale Wohnungsunternehmen, sondern auch
die privaten und die genossenschaftlichen, partizipieren.
Einzige Voraussetzung ist: Diese wirtschaftlichen Vortei-
le sollen sie in dauerhafte Sozialwohnungen investieren
und diese vorhalten; denn das ist ja der Sinn der Gemein-
nützigkeit, sonst wäre es ja keine. Der Clou ist: Wir haben
mit einem neuen Gutachten nachgewiesen, dass das geht,
und zwar auch mit unter 5 Euro Nettokaltmiete, wenn
alle zusammenarbeiten – Bund, Länder und Gemeinden.


(Beifall bei der LINKEN)


Das geht einfach, indem erstens der Bund ermöglicht,
dass Wohnungsunternehmen das können, was die Stif-
tung Humboldt Forum im Berliner Schloss auch kann,
nämlich Umsatzsteuer dadurch zu sparen, dass sie ge-
meinnützigen Zwecken zugeordnet werden. Das können
zweitens die Länder, indem sie in der föderalen Verant-
wortung auf eigene Steuern verzichten, zum Beispiel auf

die Gewerbesteuer, dafür aber zinslose Kredite und Woh-
nungszuschüsse geben.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1824021300

Frau Kollegin, Sie müssen wirklich dringend zum

Schluss kommen.


Heidrun Bluhm (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824021400

Das können drittens die Kommunen dadurch, dass sie

geeignete Grundstücke über Erbpacht oder durch verbil-
ligte Konzeptvergabe zur Verfügung stellen. Dann sind
alle in der Verantwortung, und alle haben ihren Teil ge-
leistet. Lassen Sie uns das wenigstens in der nächsten Le-
gislatur angehen. Wir werden sehen, dass dann auch die
Wohnungswirtschaft diese Möglichkeiten nutzen wird.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1824021500

Dr. Jan-Marco Luczak hat jetzt für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Jetzt wird es spannend! – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt kommt der Robin Hood der CDU!)



Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1824021600

Jedenfalls nicht der Sheriff, Herr Kühn. – Meine Da-

men und Herren! Wir diskutieren ja unter diesem Tages-
ordnungspunkt insgesamt vier Anträge. Sie erlauben mir,
dass ich mich auf zwei von diesen konzentriere, bei de-
nen es um das Mietrecht geht.

Das Mietrecht haben wir hier im Hohen Haus schon oft
debattiert. Ich glaube, das zeigt ein Stück weit, dass wir
alle miteinander dieses Thema sehr ernst nehmen, weil
es um Menschen geht, die Angst haben, ihre Wohnung zu
verlieren, und die sich oftmals auch existenziell bedroht
fühlen. Ich glaube, wir sind uns da im Ziel völlig einig.
Wir wollen den Mieterinnen und Mietern in unserem
Land selbstverständlich helfen. Wir wollen gewährleis-
ten, dass sie auch weiterhin bezahlbar wohnen können.
Wir wollen vor allem nicht, dass Menschen, insbeson-
dere junge Familien, aus ihren angestammten Kiezen
verdrängt werden. Der einzige Punkt, bei dem wir uns
unterscheiden, ist der Weg dorthin. Das sehen wir auch
an diesen Anträgen.

Die Wohnungsmärkte sind sehr differenziert; daher
brauchen wir, wie ich immer sage, auch differenzierte
Antworten. Normalerweise werfe ich der SPD und den
Linken vor, dass sie etwas einfache, oftmals ideologische
Antworten geben. Der Antrag der Grünen ist aber sehr
differenziert. Dort sind insgesamt 15 Punkte mit entspre-
chenden Unterpunkten aufgeführt.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wenn Sie uns loben, dann müssen wir etwas falsch gemacht haben, Herr Heidrun Bluhm Luczak! – Ulli Nissen [SPD]: Er sucht einen Koalitionspartner!)





(A) (C)


(B) (D)


Das summiert sich dann auf insgesamt 36 Forderungen.
Ich hätte mir an dieser Stelle trotzdem etwas mehr ge-
wünscht, nämlich dass Sie, nachdem Sie sich die Mühe
gemacht haben, Forderungen aufzustellen, einen eigenen
Gesetzentwurf formulieren.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt geht es aber los!)


Das macht es etwas einfacher, diese Dinge zu formulie-
ren.

Für uns ist klar: Wir wollen einen Ausgleich zwischen
den Mietern auf der einen Seite und den Vermietern und
Eigentümern auf der anderen Seite. Ich glaube, wir ha-
ben – das hat der Staatssekretär schon dargestellt – in
dieser Legislaturperiode eine ganze Menge auf diesem
Gebiet gemacht. Wir haben das Bestellerprinzip einge-
führt. Wir haben das Wohngeld angehoben. Wir haben
die Mittel für die Städtebauförderung verdoppelt und die
Mittel für die soziale Wohnraumförderung sogar ver-
dreifacht. Insgesamt stellen wir den Ländern jedes Jahr
1,5 Milliarden Euro zur Verfügung.


(Ulli Nissen [SPD]: Wann kommt das Bestellerprinzip für den Immobilienkauf?)


Hier muss man eine große Klammer machen: Viele
Länder geben es leider immer noch nicht dafür aus, wo-
für es eigentlich ausgegeben werden soll, nämlich für den
Wohnungsbau. Wir müssen in Zukunft viel stärker darauf
schauen, dass die Gelder, die wir als Bund zur Verfügung
stellen, auch zweckgebunden dahin fließen, wo sie hin-
sollen, nämlich in den Neubau von Wohnungen, meine
Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Mindrup [SPD]: Das geht mit der Gemeinschaftsaufgabe!)


Natürlich haben wir in dieser Legislaturperiode auch
die Mietpreisbremse beschlossen. Daran entzündet sich
sehr viel Streit: Funktioniert sie, funktioniert sie nicht?
Manche Gutachten sagen: ja, viele sagen auch: nein. Das
gebe ich offen zu. Es ist wie bei Juristen. Man fragt zwei
Juristen und erhält drei Meinungen.

Vielleicht kann man auch einmal den Direktor des
Deutschen Mieterbundes fragen. Er hat gesagt: Wenn
Mieter vor Gericht gehen und sich auf die ihnen einge-
räumten Rechte berufen, dann bekommen sie recht. – Ich
kenne kein einziges Urteil – auch der Deutsche Mieter-
bund kennt kein einziges Urteil –, wo die Mieter nicht
recht bekommen haben. Man muss auch einmal zur
Kenntnis nehmen, dass das, was wir gemacht haben,
tatsächlich nur dann Wirkung entfalten kann, wenn die
Mieter ihre Rechte wahrnehmen. Ich kann alle Mieter nur
auffordern: Tun Sie das. Überprüfen Sie Ihre Mieten. –
Wir als Gesetzgeber haben natürlich die Erwartung, dass
sich die Vermieter und Eigentümer an das Gesetz halten.


(Ulli Nissen [SPD]: Aber Rückzahlungsanspruch bitte ab Mietbeginn, Herr Luczak!)


Selbstverständlich können die Mieter ihre Rechte dann
vor Gericht gerne geltend machen.

Vonseiten der Grünen und der Linken wird vorgeschla-
gen, dass wir die Ausnahmen bei der Mietpreisbremse
streichen. Es geht um die Ausnahme für den Neubau, um
die Ausnahme für die umfassende Modernisierung, um
die Ausnahme für die Vormiete. All diese Punkte haben
wir hier schon diskutiert.

Ich wundere mich über das, was ich im Antrag der
Grünen zu dem Punkt Modernisierung lese. Dort wird
formuliert, dass unsere Wohnungsmärkte für die Zu-
kunft fit gemacht werden müssen, dass es angesichts der
Klimakrise dringend notwendig sei, auch im Gebäude-
bestand deutlich mehr Energie einzusparen. Dort steht
mit Blick auf den demografischen Wandel, dass man
vermehrt altersgerechte und barrierefreie Wohnungen
braucht. Ja, Sie haben völlig recht, das ist absolut richtig.
Nur die Frage ist: Wie kommen wir dahin?

Wir bekommen altersgerecht umgebauten Wohnraum
und energetisch sanierten Wohnraum nur dann, wenn in
den Wohnungsbestand investiert wird und neue Wohnun-
gen entsprechend gebaut werden. Das können wir als
Staat nicht alleine leisten. Es ist ganz klar, dass wir auch
privates Kapital, private Investitionen benötigen. Deswe-
gen ist es richtig, dass wir die Ausnahmen von der Miet-
preisbremse für die umfassende Modernisierung haben
und dass wir sie auch für den Neubau haben, ansonsten
wäre die Folge, dass niemand mehr in den Wohnungs-
neubau, niemand mehr in den Umbau des Wohnungsbe-
standes mit Blick auf altersgerechten Umbau und energe-
tische Sanierung investiert.

Wir haben uns gesamtgesellschaftliche Ziele gesteckt,
nämlich Klimaschutz zu gewährleisten und den Heraus-
forderungen der älterwerdenden Gesellschaft zu begeg-
nen. Deshalb glaube ich, dass das, was Sie hier vor-
schlagen, also die Ausnahmen für die Mietpreisbremse
abzuschaffen, den Mietern unter dem Strich Steine statt
Brot geben würde. Deswegen werden wir als Union das
nicht mittragen.


(Zuruf der Abg. Ulli Nissen [SPD])


Ich könnte jetzt noch ganz viele Punkte ausführen,
zum Beispiel was die Linken zum Kündigungsschutz
ausführen. Ich kann, auch mit Blick auf die Rechtspre-
chung des Bundesgerichtshofs, nur sagen: Wir haben ein
sehr ausdifferenziertes Kündigungsschutzsystem; nur
wenn es berechtigte Interessen gibt, kann man einem
Mieter kündigen. Das finde ich auch richtig so.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1824021700

Herr Kollege, ich möchte auch Sie bitten, zum Schluss

zu kommen.


Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1824021800

Denn die Wohnung ist für die Menschen existenziell;

sie ist ihr Lebensmittelpunkt. Man kann sie nicht einfach
kündigen; es ist kein normales Gut.

Wir haben ein wirklich sehr ausdifferenziertes System.

Dr. Jan-Marco Luczak






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1824021900

Herr Kollege, die Bitte ist wirklich nachdrücklich.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CDU/CSU hat ja so wenig Redezeit!)



Dr. Jan-Marco Luczak (CDU):
Rede ID: ID1824022000

Was Sie hier vorschlagen, ist letztlich eine Über-

bürdung. Sie verlassen den Gedanken des sozialen
Ausgleichs und setzen plötzlich nur noch aufseiten der
Vermieter und Eigentümer an. Das ist für ein soziales
Mietrecht, das die Interessen beider Seiten im Blick ha-
ben muss, nicht angemessen. Deswegen werden wir die-
sen Antrag nicht mittragen, meine Damen und Herren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1824022100

Ich habe vorhin schon einmal darauf hingewiesen,

Herr Kollege Luczak und Frau Kollegin Bluhm, dass
wir wirklich schon eine sehr große zeitliche Verzögerung
haben. Deshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen,
nicht so stark zu überziehen. Die anderen Kollegen haben
sich daran gehalten, haben es gut gemacht. Ich bitte, das
wirklich zu berücksichtigen. Es ist einfach nicht fair ge-
genüber den anderen Kollegen, die dann um Mitternacht
und später reden müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Jetzt hat Herr Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Danke, Frau Präsidentin. – Sehr geehrte Damen und
Herren! Ich finde es ja gut, dass wir hier zum wiederhol-
ten Male über Wohnungsgemeinnützigkeit und die Lage
auf unseren Wohnungsmärkten sprechen. Es ist ein Er-
folg der Opposition, dass Sie von der Großen Koalition
sich heute substanziell mit diesen Themen auseinander-
setzen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])


Die Menschen erwarten von uns, dass wir Antworten auf
die galoppierenden Mieten in unseren Städten geben. Wir
bieten hier als Opposition Antworten.

Herr Luczak, Sie haben gesagt, der grüne Antrag habe
ziemlich viele Unterpunkte. Wir geben die Antworten
mit Blick auf die Wohnungsgemeinnützigkeit. Aber wo
sind heute die Antworten der Union auf die galoppieren-
den Mieten in Deutschland? Da ist leider Fehlanzeige; da
kommt von Ihnen leider nichts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden dafür sorgen, dass die Mietpreisbremse
funktioniert, dass es in Zukunft nicht mehr passiert, dass

1 Milliarde Euro zu viel Miete in Deutschland gezahlt
wird. Ich sage Ihnen eines: Sie haben Ihr Versprechen
aus dem letzten Wahlkampf, die Mieten zu deckeln, ge-
brochen. Daran werden wir Sie in den nächsten 90 Tagen
bis zur Bundestagswahl erinnern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Situation in den deutschen Städten ist doch dra-
matisch. Wir haben entfesselte Wohnungsmärkte, wir ha-
ben soziale Verdrängung, und der Geldbeutel entscheidet
doch längst darüber, ob jemand die Wohnung bekommt
oder nicht. Ich sage Ihnen: Die deutsche Gesellschaft zer-
reißt im Augenblick an dieser Frage. Ich will, dass der
Kitt in dieser Gesellschaft nicht weiter an der Mietenfra-
ge zerbröselt. Deswegen haben wir diese Anträge heute
hier gestellt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ursächlich dafür ist doch die Abschaffung der
Wohnungsgemeinnützigkeit durch Schwarz-Gelb im
Jahr 1990. Sie ist ursächlich dafür, dass der sozia-
le Wohnungsbau niedergegangen ist, wir mittlerweile
Spekulation in unseren Städten haben und der Mieten-
druck zugenommen hat. Deswegen wollen wir eine
neue Wohnungsgemeinnützigkeit einführen. Diese neue
Wohnungsgemeinnützigkeit wird dafür sorgen, dass wir
sukzessive wieder einen Bestand an bezahlbarem Wohn-
raum aufbauen, der der Spekulation entzogen ist. Den
brauchen wir dringend; denn im Augenblick verlieren
wir jedes Jahr im Schnitt 25 000 Sozialwohnungen. Ich
glaube, diese Entwicklung müssen wir stoppen, und wir
Grüne werden sie mit einer neuen Wohnungsgemeinnüt-
zigkeit in Deutschland auch stoppen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will eines sagen, Herr Pronold: Ihre Rede war eine
super Begründung für die neue Wohnungsgemeinnützig-
keit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin total happy, dass mittlerweile ein Fan der neu-
en Wohnungsgemeinnützigkeit auf der Regierungsbank
sitzt. Ich bin mir sicher, dass es in der nächsten Wahl-
periode Konstellationen gibt, die geeignet sind, dieses
Thema voranzutreiben und gemeinsam entsprechende
Maßnahmen umzusetzen. Wir Grünen werden alles dafür
tun, dass die Stadtrendite endlich in der Stadt bleibt und
nicht auf den Konten der Hedgefonds weltweit landet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Pronold, Sie haben gesagt, die Praxis der Share
Deals müsse beendet werden. Ja, wir wollen diese Praxis
beenden.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Aber wir nicht!)


Wir Grüne haben das Thema Share Deals hier ins Parla-
ment eingebracht, weil es doch absurd ist, dass jemand,
der eine Immobilie, ein kleines Haus kauft, die volle
Grunderwerbsteuer zahlt und jemand, der große Woh-
nungsbestände kauft und das Steuerinstrument der Share
Deals nutzt, keinen Cent Grunderwerbsteuer zahlen
muss. Das geht nicht. Das ist sozial ungerecht. Es macht






(A) (C)



(B) (D)


auch wohnungspolitisch keinen Sinn. Wir Grüne wollen
das beenden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: Wir auch!)


Ich bin sehr gespannt, Ulli Nissen und Florian Pronold,
wie sich die SPD zu unserem Antrag verhält. Wenn ihr
es beenden wollt, dann stimmt doch unserem Antrag hier
zu.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Geld, das durch die Praxis der Share Deals verlo-
ren geht, ist doch das Geld, das den Ländern und Kom-
munen fehlt, um in den sozialen Wohnungsbau zu inves-
tieren. Deswegen muss sich hier endlich etwas ändern.
Wir Grünen wollen eine neue Wohnungsgemeinnützig-
keit, und wir werden weiter dafür streiten.

Ich sage Ihnen: Bei uns wird es nicht so sein wie bei
der CDU, nämlich dass ein Thema wie die Mietpreis-
bremse im Wahlkampf zwar auftaucht und im Titel eines
Gesetzes erscheint, dann aber inhaltlich im Gesetz keine
Rolle spielt. Das wird es mit uns nicht geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir als Grüne haben in unser Programm hineingeschrie-
ben, was wir wollen: die Wohnungsgemeinnützigkeit
und Änderungen bei der Mietpreisbremse. Wir werden
uns um das Thema „Bezahlbarer Wohnraum in Deutsch-
land“ kümmern.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1824022200

Als letzter Redner in dieser Debatte hat Dr. Hans

Michelbach für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1824022300

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Dem

Bürger genügend Wohnraum zur Verfügung zu stellen,
ist eine wichtige und dringliche politische Aufgabe. Das
Ziel muss sein, jährlich 350 000 Wohnungen zu bauen.
Lassen Sie mich aber deutlich sagen: Die Anträge der
Linken und der Grünen


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sind gut!)


zur Situation auf dem Immobilienmarkt in Deutschland,
die wir heute beraten, bewirken genau das Gegenteil und
sind deshalb grundsätzlich zu kritisieren. Aus vorder-
gründigen politischen Beweggründen wird eine Immo-
bilienblase geradezu herbeigeredet, geradezu erwünscht
und gegen rentierliche Groß-Investitionen etwa von Ver-
sicherungen geradezu gehetzt.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Haben Sie sich denn die Studie von Prognos angeschaut, die uns an die Hand gegeben worden ist, wie die Situation in Deutschland ist?)


Diese rentierlichen Großinvestitionen sind für den Woh-
nungsbau dringend notwendig,


(Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ CSU])


weil die institutionellen Anleger sonst gleich auf den Ka-
pitalmarkt gehen, ohne dass der Wohnungsbau davon
profitiert.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gehen doch auf den Wohnungsmarkt, weil dort die fetten Renditen sind! Das ist doch die Wahrheit!)


Lassen Sie Ihre Ideologie zum Wohle der Wohnungssu-
chenden einfach einmal beiseite. Mit dem Vorwurf der
Profitgier helfen Sie niemandem, schon gar nicht den
Wohnungssuchenden.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Wahrheit ist: Wir müssen Nachfrage und Angebot
zusammenbringen und die Rahmenbedingungen verbes-
sern, damit wieder mehr Wohngebäude errichtet werden.
Um die Situation in einzelnen Gebieten in Deutschland
zu entspannen, müssen wir den Wohnungsbau weiter mit
marktwirtschaftlichen Maßnahmen ankurbeln.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was ist da Ihr Instrument?)


Um in Städten, in Ballungszentren oder in Universitäts-
städten für ausreichenden und vor allem bezahlbaren
Wohnraum zu sorgen, brauchen wir zielgerichtete För-
dermaßnahmen, zum Beispiel durch Verbesserungen bei
der steuerlichen Abschreibung, wie wir sie eigentlich in
dieser Legislaturperiode durchsetzen wollten. Aber da
hat sich unser Koalitionspartner leider vom Acker ge-
macht.


(Klaus Mindrup [SPD]: Zu Recht!)


Entscheidend ist doch, dass die Privatwirtschaft An-
reize erhält, um ausreichend Wohnungen zu bauen. Mei-
ne Damen und Herren, die Staatswirtschaft schafft es
nicht, die 350 000 Wohnungen für die Wohnungssuchen-
den zu bauen.


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Hat sie noch nie geschafft!)


Die Mobilisierung von privatem Kapital ist unverzicht-
bar. Das müssen Sie sich einmal hinter die Ohren schrei-
ben. Das ist eine Tatsache. Da besteht Handlungsbedarf.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen nicht immer neue Vorschriften mit ideo-
logischem Hintergrund. Ich bedaure außerordentlich,
dass unser Koalitionspartner den Gesetzentwurf der ei-
genen Ministerin zur steuerlichen Förderung des Miet-
wohnungsbaus zerredet und letzten Endes gestoppt hat.


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört! – Ulli Nissen [SPD]: Sie wollten ja nicht mitmachen, Herr Kollege!)


Christian Kühn (Tübingen)







(A) (C)



(B) (D)


Wir haben bis zuletzt gekämpft. Aber Ihre Ideologie hat
auch vor der Ministerin nicht haltgemacht.


(Ulli Nissen [SPD]: Wir wollten langfristige Bindung und die Obergrenze! Ohne die Obergrenze konnten wir natürlich nicht mitmachen!)


Dies ist ein Schaden für potenzielle Mieter, den wir
schnellstens revidieren werden. Wenn wir hier die ent-
sprechende Mehrheit haben, werden wir die steuerlichen
Anreize für den Wohnungsbau zum Wohle der Woh-
nungssuchenden beschließen. Das ist die Aufgabe, die
vor uns liegt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Warum sollen wir Geld bezahlen, wenn wir keine Obergrenze haben?)


Eines müssen Sie sich merken: Es geht auch uns
grundsätzlich um die Mietpreisentwicklung. Je höher die
Kosten, desto höher die Mieten. Sie haben immer wie-
der durch Steuererhöhungen und durch Regulierung die
Baukosten erhöht, und damit erhöhen Sie gleichzeitig die
Mieten. Auch das ist eine Tatsache. Durch Ihre Politik
kam es zu den Mietpreiserhöhungen, die hausgemacht
waren.


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert denn seit zwölf Jahren in Deutschland?)


Es ist erstaunlich, dass Sie diesen Widerspruch nicht zur
Kenntnis nehmen, meine Damen und Herren. Mieter-
freundlich ist letzten Endes etwas anderes.

Schauen Sie sich insbesondere die Grunderwerbsteu-
ersätze an. Dort, wo die Grunderwerbsteuersätze niedrig
sind – wie beispielsweise in Bayern mit 3,5 Prozent –,
gibt es weniger Share Deals,


(Ulli Nissen [SPD]: Das ist doch Unfug!)


weil es die Leute und letztlich die Investoren aufgrund
eines niedrigen Grunderwerbsteuersatzes nicht nötig ha-
ben.


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nürnberg auch nicht! Fürth auch nicht! Würzburg auch nicht!)


Bei einem Grunderwerbsteuersatz von 6,5 Prozent wie
in Brandenburg, von 6 Prozent wie in Berlin oder von
5 Prozent wie in Baden-Württemberg wollen die Men-
schen aus Gründen der Rentierlichkeit Steuern sparen.
Das heißt, Sie beklagen etwas, was Sie durch einen ho-
hen Grunderwerbsteuersatz selbst herbeiführen, meine
Damen und Herren. Das ist die Tatsache, die Sie letzten
Endes mal zur Kenntnis nehmen sollten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie nehmen als Erstes immer Steuererhöhungen vor.


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer regiert denn seit zwölf Jahren? – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wer hat denn die Mehrwertsteuer erhöht? – Ulli Nissen [SPD]: Hessen!)


Letzten Endes zahlt es der Bürger, letzten Endes zahlt es
der Wohnungssuchende, und letzten Endes zahlt es der
Mieter, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1824022400

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich beende diese lei-

denschaftliche Aussprache, und wir kommen jetzt zu den
Abstimmungen.

Tagesordnungspunkt 16 a. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit auf der Drucksache 18/10928. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/7415 mit dem Titel „Bundesweiten Ak-
tionsplan für eine gemeinnützige Wohnungswirtschaft
auflegen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die-
se Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 18/8081 mit dem Titel „Die neue
Wohnungsgemeinnützigkeit – Fair, gut und günstig woh-
nen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Dann ist auch
diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koa-
lition gegen die Stimmen der Opposition angenommen
worden.

Tagesordnungspunkt 16 b. Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Ver-
braucherschutz auf Drucksache 18/12632. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung
die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/11049 mit dem Titel „Kündigungsschutz
für Mieterinnen und Mieter verbessern“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthält sich jemand? – Dann ist auch diese Beschluss-
empfehlung mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen worden.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/10810 mit dem Titel „Zusammenhalt
stärken – Mietrecht reformieren“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält
sich jemand? – Dann ist auch diese Beschlussempfeh-
lung mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen
der Opposition angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 16 c. Beschlussempfehlung des
Finanzausschusses zu dem Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Spekulation mit Im-
mobilien und Land beenden – Keine Steuerbegünstigung
für Übernahmen durch Share Deals“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/12818, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/8617 abzulehnen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist auch diese

Dr. h. c. Hans Michelbach






(A) (C)



(B) (D)


Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition ge-
gen die Stimmen der Opposition angenommen worden.

Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf:

Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen

Portugal: Vorzeitige teilweise Rückzah-
lung der IWF-Finanzhilfe;
Einholung eines zustimmenden Beschlusses
des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 2
Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismus-
gesetzes

Drucksache 18/12733

Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen bitten, die
Plätze einzunehmen, damit wir zügig fortfahren können.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen, und
ich kann die Aussprache eröffnen.

Als erster Redner in dieser Aussprache hat der Parla-
mentarische Staatssekretär Jens Spahn für die Bundesre-
gierung das Wort. – Herr Staatssekretär.


(Beifall bei der CDU/CSU)


J
Jens Spahn (CDU):
Rede ID: ID1824022500


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wer hätte das gedacht? Als Portugal im Jahr 2011 sei-
ne europäischen Partner um Finanzhilfen bat, war das
Land von einer schweren Finanz- und Wirtschaftskrise
gezeichnet. Die Arbeitslosigkeit war enorm gestiegen,
portugiesische Zehnjahresanleihen lagen Anfang 2011
bei einem Zinssatz von fast 7 Prozent. Das waren über
4 Prozentpunkte mehr, als etwa Deutschland zu zahlen
hatte. Wann das Land wirtschaftlich wieder auf die Bei-
ne kommen würde, stand in den Sternen. Ohne externe
Hilfe jedenfalls – das war damals klar – würde das kaum
gelingen.

Für die portugiesische Regierung war damals aber
auch klar: Im Gegenzug für die Unterstützung – am Ende
wurden Hilfsgelder im Umfang von fast 77 Milliarden
Euro gewährt, von denen zwei Drittel von den beiden
europäischen Rettungsschirmen EFSF und EFSM und
ein Drittel vom IWF bereitgestellt wurden – würde man
sich zu umfassenden Reformen verpflichten müssen. Das
war ohne Zweifel bittere Medizin, es waren schwierige
Reformen und Veränderungen; es bedeutete auch Ein-
schnitte, die vorzunehmen waren. Aber es war – das ist
eben das, was wir heute feststellen können – am Ende
wirksam: Das portugiesische Staatsdefizit wurde enorm
zurückgeführt. Es liegt nun, bezogen auf das Bruttoin-
landsprodukt, aktuell deutlich unter 3 Prozent und wird
wahrscheinlich bald sogar unter 2 Prozent liegen. Die
portugiesische Wirtschaft wächst, die defizitäre Leis-
tungsbilanz wurde nachhaltig verbessert.

Die Arbeitslosigkeit, die einmal erheblich höher lag,
ist mittlerweile auf unter 10 Prozent gesunken. Allein
letztes Jahr sind etliche neue Jobs entstanden. Das zeigt

also: Durch das Anpassungsprogramm, durch die Refor-
men, die im Rahmen dieses Hilfsprogramms miteinander
vereinbart wurden, hat Portugal Erfolg gehabt. Es hat den
Zugang zurück zu den Kapitalmärkten gefunden, kann
sich also selbst wieder refinanzieren, und das Land steht
wirtschaftlich und finanziell wieder auf eigenen Beinen.

Das ist noch kein Grund zur Euphorie; wir sind noch
nicht durch. Aber es ist erst einmal ein Zeichen dafür,
dass Reformen und Veränderungen wirken. Wir haben
keinen Mangel an Schulden in der Euro-Zone. Es sind
auch nicht Schulden, die am Ende über die Probleme hin-
weghelfen, sondern es geht darum, teilweise auch harte
Reformen durchzubringen, um Wettbewerbsfähigkeit
und wirtschaftliches Wachstum wiederzuerlangen. Dann
lässt es sich vor allem eben auch mittel- und langfristig
wieder auf eigenen Beinen stehen. Das zeigt Portugal,
und das ist Anlass zur Freude, auch heute am Donners-
tagabend.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das zeigt eben auch – darum geht es in diesem An-
trag –, dass Portugal wieder eigene Möglichkeiten hat,
an die Finanzmärkte zu gehen. Portugal will jetzt sogar
vorzeitig einen Teil der IWF-Kredite, der Kredite des In-
ternationalen Währungsfonds, zurückzahlen. Insgesamt
geht es dabei um 9,4 Milliarden Euro, die in den nächsten
30 Monaten in einzelnen Tranchen vorzeitig zurückge-
zahlt werden sollen.

Um Portugal dies zu ermöglichen, müssen wir als
europäische Geldgeber auf die Anerkennung der soge-
nannten Parallelitätsklausel verzichten. Es war eigent-
lich vorgesehen, dass dann, wenn Portugal an den IWF
zurückzahlt, es parallel auch an die europäischen Geld-
geber zurückzahlen müsste, es sei denn, wir sagen aus-
drücklich, dass das nicht notwendig ist. Wir brauchen
heute die Zustimmung des Deutschen Bundestages, da-
mit wir in den Gremien in Europa in der nächsten Woche
zustimmen können.

Wir befürworten das sehr und ausdrücklich, weil es
Portugal entlastet. Die IWF-Kredite sind relativ teuer,
über 4,5 Prozent Zinsen sind zu zahlen. Das ist deutlich
mehr, als Portugal an den Kapitalmärkten zahlen müsste.
Es entlastet Portugal dann eben beim Zinsdienst und wird
damit den Schuldenstand um ein Drittel Prozentpunkt
des portugiesischen Bruttoinlandsprodukts entsprechend
senken.

Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass Portugal eine
vorzeitige Rückzahlung an den IWF leistet. Es gab schon
vor zwei Jahren eine solche Zahlung in zweistelliger Mil-
liardenhöhe, und auch da können wir in der Rückschau
sagen: Das war eine richtige Entscheidung, weil es eben
die Zinskosten für Portugal gesenkt und entsprechend
Spielraum für Wachstum und Investitionen geschaffen
hat, aber vor allem eben auch Vertrauen auf den Finanz-
märkten stärkte.

Schauen wir uns für die Bewertung einmal alle fünf
Programmländer an. Über vier Programmländer dis-
kutieren wir im Moment kaum, weil wir eigentlich nur
über eines diskutieren, über Griechenland. Zu den Pro-
grammländern gehören aber auch Portugal, Spanien,

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Zypern und Irland. Auch diese vier Länder waren in der
schweren Finanzkrise darauf angewiesen, dass die euro-
päische Solidarität gilt. Diese Solidarität haben wir mit
den Rettungsschirmen gezeigt. Es war aber immer klar:
Solidarität gibt es nur gegen Solidität, gegen die Bereit-
schaft zu Reformen, also zu Veränderungen, damit man
das Problem bei den Wurzeln packen kann.

Eines ist dabei wichtig: Es geht nicht um dieses gro-
ße Wort der Austerität, um das Sparen um des Sparens
willen. Im Übrigen war die Frage der Haushaltsdiszip-
lin immer nur ein kleiner Bestandteil der notwendigen
Reformen. Am Ende geht es darum, dass man durch
Strukturreformen zu wirtschaftlichem Wachstum kommt,
damit die Länder wieder in der Lage sind, auf eigenen
Beinen zu stehen. Heute gehören diese genannten vier
Länder zu den Ländern mit den höchsten Wachstumsra-
ten in der Euro-Zone. Wir sehen, dass die Arbeitslosig-
keit in diesen Ländern zurückgeht und sie, wie Portugal,
in der Lage sind, Kredite vorzeitig zurückzuzahlen.

Abschließend sei all denjenigen, die auch in diesen
Monaten, Wochen und Tagen das Heil der Euro-Zone
in mehr Schulden suchen, zugerufen: Wir haben keinen
Mangel an Schulden in der Euro-Zone; wir haben einen
Mangel an Wettbewerbsfähigkeit und einen Mangel an
Strukturreformen. Portugal hat gezeigt, was Reformen
bringen können. Andere Länder wollen über Schulden-
schnitte diskutieren. Portugal will vorzeitig zurückzah-
len, und das sollten wir honorieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1824022600

Richard Pitterle hat für die Fraktion Die Linke das

Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Richard Pitterle (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824022700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Portugal wurde durch die Finanz-
krise so schwer getroffen, dass es 2011 einen Kredit in
Höhe von 78 Milliarden Euro aufnehmen musste, und
zwar jeweils zu ungefähr einem Drittel beim Internati-
onalen Währungsfonds und den beiden europäischen In-
stitutionen EFSF und EFSM.

Nun geht es Portugal wieder deutlich besser. Deshalb
will es einen Teil dieser Kredite vorzeitig zurückzahlen,
aber nur an den IWF, weil dadurch die meisten Zinsen
gespart werden. Damit müssen aber alle Gläubiger ein-
verstanden sein. Daher muss heute auch der Bundestag
ein Votum abgeben.

Ich kann Ihnen gleich sagen: Die Linke wird dem
Ansinnen Portugals zustimmen. Die vorzeitige Schul-
dentilgung ist gleich in doppelter Hinsicht positiv: Zum
einen erhält Portugal wieder mehr finanziellen Spiel-
raum – nach Berechnungen der EU könnte Portugal rund
660 Millionen Euro an Zinsen sparen; Geld, das im ei-
genen Land deutlich besser genutzt werden kann –, zum
anderen erhält Bundesfinanzminister Schäuble einen
kräftigen Dämpfer. Der Minister ist nämlich hinlänglich
bekannt dafür, dass er seine strenge Austeritätspolitik

auf der europäischen Bühne mit allen Mitteln verteidigt
und auch Portugal weiter aufzwingen wollte. Diese Aus-
teritätspolitik ist jedoch vor allem eine Politik des Ka-
puttsparens. Darunter haben auch die Portugiesen lange
gelitten.

Bereits Anfang 2015, also vor über zwei Jahren, haben
wir hier eine ähnliche Debatte geführt; das ist erwähnt
worden. Auch damals konnte Portugal einen Teil der
Kredite vorzeitig zurückzahlen. Die Gesamtsituation im
Land war damals jedoch alles andere als gut: Lohnkür-
zungen und Rentenkürzungen waren die Resultate der ab
2011 amtierenden konservativen Regierung Portugals,
die Schäubles Mantra folgte. Über 2 Millionen Portugie-
sen, fast ein Viertel der Bevölkerung, lebte in Armut oder
knapp an der Grenze dazu. Das haben wir als Linke im-
mer wieder kritisiert. Daher freut es uns umso mehr, dass
sich Portugal aus diesem Würgegriff befreien konnte.

Dass Portugal nun insgesamt auf dem Weg der Bes-
serung ist, ist nicht das Verdienst des von Schäuble ge-
forderten Sparkurses. Nein, das ist das Verdienst der
inzwischen von den linken Parteien getragenen portugie-
sischen Regierung.


(Beifall bei der LINKEN – Margaret Horb [CDU/CSU]: Das glaubst du doch selbst nicht, oder?)


Ende 2015 haben die Portugiesen nämlich ihre Mit-
te-Rechts-Regierung und damit auch den von Schäuble
und Co verordneten strengen Sparkurs abgewählt.


(Beifall bei der LINKEN)


Die neue Regierung hat vor ungefähr anderthalb Jahren
einen anderen Weg eingeschlagen und damit richtig ge-
legen. Anstatt das Land weiter kaputtzusparen, wurden
zum Beispiel Löhne und Renten erhöht. Steuererhöhun-
gen, die vor allem die unteren Einkommensschichten
trafen, wurden zurückgenommen. Dadurch wurde der
Binnenkonsum angekurbelt. Die Leute haben schlicht
wieder mehr Geld zum Ausgeben, was der portugiesi-
schen Wirtschaft direkt zugutekommt. Das wiederum
hat Arbeitsplätze geschaffen. Die Steuereinnahmen sind
gestiegen. Den Menschen in Portugal geht es insgesamt
besser, und das ist gut so.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Bundesfinanzminister hingegen hat noch Mitte
letzten Jahres behauptet, dass Portugal wegen der Abkehr
vom strengen Sparkurs schon bald ein neues Rettungs-
programm brauchen würde. Da lag Herr Schäuble völlig
daneben.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir Linken wünschen Portugal deshalb weiterhin
„mais Bloco de Esquerda“ und „mais CDU“, übersetzt:
mehr CDU. Damit sind jedoch keineswegs die Herren
hier zur Rechten gemeint, sondern das Wahlbündnis der
portugiesischen Kommunisten und Grünen, die die por-
tugiesische Regierung mittragen und somit einen großen
Anteil an der guten Entwicklung Portugals haben.

Parl. Staatssekretär Jens Spahn






(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1824022800

Nächster Redner ist für die Fraktion der SPD der Kol-

lege Johannes Kahrs.


(Beifall bei der SPD – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich twittere jetzt: „Linke will mit CDU koalieren!“ – Gegenruf des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE]: Wir sind flexibel! – Gegenruf des Abg. René Röspel [SPD]: Der war gut! – Vereinzelt Heiterkeit)



Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1824022900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Über die Flexibilität der Linken wollen wir
heute nicht reden; dazu würde mir allerdings einiges ein-
fallen.

Wir reden heute über Portugal. Portugal ist auf einem
guten Weg; wir haben das eben schon von Staatssekretär
Spahn gehört. Das liegt daran, dass Portugal in Zeiten
der Krise Unterstützung und Kredite bekommen und
am Ende sich selbst geholfen hat. Weder Portugal noch
Spanien noch Griechenland wird von Deutschland oder
vom ESM gerettet. Portugal können nur die Portugiesen
retten, Griechenland nur die Griechen. Wir können dabei
nur helfen.

Portugal ist, wie gesagt, auf einem guten Weg. Das Er-
gebnis ist, dass das Land Staatsanleihen platzieren kann.
Es ist nicht so, dass Portugal IWF-Kredite vorzeitig aus
eigenem Vermögen zurückzahlt, sondern die Portugiesen
schichten um. Das heißt, sie finanzieren die Rückzahlung
der IWF-Kredite mit Staatsanleihen, die sie jetzt aufneh-
men. Sie profitieren davon, dass die Zinsen, die sie für
die Staatsanleihen zahlen, deutlich niedriger sind als die
Zinsen, die sie für den IWF-Kredit zahlen müssten. Das
ist ein richtiger Schritt und zeigt, dass die Märkte Ver-
trauen haben.

Das heißt aber noch nicht, dass in Portugal alles gut ist.
Deswegen ist es wichtig, dass man Portugal auch weiter-
hin unterstützt. Man muss dafür sorgen, dass es zu einer
Reindustrialisierung Portugals kommt, sodass Portugal
langfristig auf eigenen Beinen stehen kann. Der IWF hat
hier eine gute Rolle gespielt und sich mit viel Geld betei-
ligt. Da Staatssekretär Spahn eben in aller Freundschaft
über Griechenland gesprochen hat, könnte man jetzt über
die Frage diskutieren, warum der IWF beim dritten Grie-
chenland-Kredit nicht mitmacht. Ich glaube, diese Dis-
kussion werden wir im Haushaltsausschuss führen. Dort
werden wir dann über die Frage diskutieren, warum uns
2015 eine Teilnahme des IWF versprochen worden ist
und warum es sie bis heute nicht gibt.

Die gute Nachricht ist: Die Euro-Krise ist auf dem
Rückzug. Es geht vielen Ländern deutlich besser. Zur
Wahrheit gehört aber auch, dass Länder wie Deutsch-
land, indem sie Geld bezahlt, die richtigen Diskussion
geführt und die Länder unterstützt haben, solidarisch
waren und ihren Teil dazu beigetragen haben, dass der

europäische Gedanke funktioniert, dass die Menschen in
Portugal eine Perspektive bekommen haben, dass sich
die Arbeitsmarktlage verbessert und Jugendliche wieder
einen Ausbildungsplatz finden. Die Situation ist nicht so
gut, wie wir uns das wünschen würden. Aber sie ist deut-
lich besser als gedacht.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1824023000

Nächster Redner ist der Kollege Manuel Sarrazin für

Bündnis 90/Die Grünen.


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824023100

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Ich muss ein bisschen Wasser in den Wein gießen,
weil wir an zwei Stellen etwas recht Bemerkenswertes
erleben. Auf der einen Seite gibt es in Portugal eine lin-
ke Minderheitenregierung, die sogar von Kommunisten
toleriert wird, die es seit ihrem Amtsantritt geschafft
hat, klar auf Stabilität zu setzen, und die die Stabilität
bzw. das Vertrauen in das Land, in Portugal, zur obers-
ten Priorität gemacht hat. Das ist nicht das, was man von
Kommunisten erwartet; da ist ja sonst eigentlich immer
Revolution angesagt.

Auf der anderen Seite haben wir den Bundesfinanz-
minister, der im letzten Jahr dermaßen foul gespielt hat,
dass er heute eigentlich hier hätte reden und sich für sein
schlechtes Gerede über Portugal hätte entschuldigen
müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Er hat an der Stabilität gezündelt.

Wir haben also eine linke Regierung, die dort eine
kluge Politik macht und sagt: Wir schaffen dadurch
Spielräume, dass wir keinen Schmarrn machen. Diese
Spielräume nutzen wir, um sie beispielsweise durch eine
teilweise Rücknahme von Rentensenkungen auch den
Menschen zugutekommen zu lassen. – Anstatt das zu be-
lohnen, wurde von Herrn Schäuble im letzten Jahr ideo-
logische Parteipolitik auf dem Rücken der Anleihekosten
Portugals gemacht. Das musste hier schon noch einmal
gesagt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das hat nichts mit Stabilität zu tun, genauso wenig
wie das, was im Fall Griechenland geschieht. Wir be-
schließen hier durch die Umschichtung, wie Herr Kahrs
das richtig beschrieben hat, eine Schuldenerleichterung
für Portugal in Höhe von ungefähr 300 bis 600 Millionen
Euro. Das bringen wir hier ins Plenum.

Herr Spahn hat gesagt, dass wir die ganze Zeit über
Griechenland, aber nicht über die anderen Länder re-
den. Genau das ist das Problem. Sie reden die ganze Zeit
schlecht über Griechenland und haben am Ende wegen
der Bundestagswahl nicht einmal den Allerwertesten in

Richard Pitterle






(A) (C)



(B) (D)


der Hose, heute hier im Bundestag Schuldenerleichte-
rungen für Griechenland zu beschließen. Es weiß jeder,
dass nach der Bundestagswahl Schuldenerleichterungen
anstehen, wenn der IWF an Bord bleiben soll. Sie haben
aber einfach nicht den Mut, das hier zu sagen. Sie trick-
sen hier bis nach der Wahl.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Weil es nicht richtig ist! Blödsinn!)


Damit sorgen Sie nicht für Stabilität.

Wenn wir im Wahlkampf wieder Griechenland-Debat-
ten führen – die Menschen und die Presse wissen doch,
dass da getrickst wird –, dann sorgen Sie genau dafür,
dass das stabile Umfeld dort, in dem auch linke Regie-
rungen etwas kommunizieren und vernünftig bleiben
können, kaputtgemacht wird. Das heißt, die Bundesre-
gierung sorgt nicht für Stabilität, sondern inzwischen
sorgen dort die Linken gegen die Bundesregierung für
Stabilität. Das ist doch absurd.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Deswegen finde ich es lobenswert, dass die Linkspar-
tei zustimmt. Wir werden auch zustimmen.

Portugal ist auf einem guten Weg, und ich möchte an
dieser Stelle auch noch sagen: Wir können es uns meiner
Ansicht nach durchaus erlauben, dass wir, wenn die Por-
tugiesen jetzt an den IWF zurückzahlen, von der Gleich-
zeitigkeit an dieser Stelle Abstand nehmen. Wir haben
sowieso nie strikt gesagt, der IWF sei bei solchen Pro-
grammen am wichtigsten.

Wenn Portugal sein Sonderziehungsrecht beim IWF
ausübt, macht das Sinn. Wie gesagt: Je nachdem, ob sie
zehnjährige oder fünfjährige Staatsanleihen ausgeben,
wären das bei dem jetzigen Marktpreis Zinsersparnisse in
Höhe von 300 bis 600 Millionen Euro. Dieses Geld wird
die portugiesische Regierung einsetzen können, um den
Menschen in Portugal zu zeigen, dass auch ein harter und
anstrengender Weg Sinn machen kann und dass die Poli-
tik Spielräume zurückgewinnen kann, die dann auch für
politische Entscheidungen der Parteien – abhängig von
ihrem jeweiligen Programm – genutzt werden können.

Deswegen sage ich von meiner Stelle aus: Gut, dass
Portugal hier heute geholfen wird. Gut, dass der Deut-
sche Bundestag hier im Plenum den Mut hat, das zu tun.
Ich würde mich freuen, wenn Sie endlich auch einmal
eine mutige und auf Stabilität ausgerichtete Griechen-
land-Politik hinbekommen würden. Vielleicht haben wir
nach der Bundestagswahl ja die Verantwortung dafür,
sodass wir diesen Job dann für Sie übernehmen; darauf
hoffe ich sehr.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Danke sehr.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1824023200

Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege

Alois Karl für die Fraktion der CDU/CSU das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Jurk [SPD])



Alois Karl (CSU):
Rede ID: ID1824023300

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren Kollegen des Deutschen Bundesta-
ges! Sehr geehrte Zuhörer im Auditorium! Lieber Herr
Sarrazin, mit Interesse habe ich Ihre Rede verfolgt, ins-
besondere den Abschluss, dass Sie vielleicht in die Situa-
tion kommen werden, regierungsbeteiligt an der Lösung
der Schuldenproblematik Griechenlands mitzuwirken.
Ich glaube, das ist für Sie ein Wunschtraum und für uns
ein Albtraum. Ich meine, dort führen keine großen Wege
hin.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bin mir auch sicher, dass die Probleme in Grie-
chenland, die Sie geschildert haben und die natürlich da
sind, in gar keiner Weise Geldprobleme sind. Geld hat
Griechenland genug, es fehlt aber am Reformwillen und
an den Reformen, die durchgeführt werden müssen.

Herr Schäuble, den Sie jetzt zweimal zitiert haben, hat
in den letzten Tagen ja gesagt, dass das jetzt möglicher-
weise das letzte Rettungsprogramm für Griechenland ist,
weil sie sich jetzt auf einen guten Weg gemacht haben.
Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Maßnahmen, die in
den letzten vier, fünf Jahren von Griechenland eingefor-
dert worden sind, so Platz greifen und zu so guten Ergeb-
nissen führen, wie das jetzt in Portugal auch der Fall ist.

Einige der Kollegen sind heute nicht hier, weil sie
wichtige Termine haben, zum Beispiel eine Zusammen-
kunft in der Parlamentarischen Gesellschaft, wo sie et-
was feiern. Auch Portugal kann heute feiern, wenn wir
diesen Beschluss fassen. Alle Fraktionen hier haben er-
klärt, dass man Portugal helfen wird, sodass es auch dort
eine Gelegenheit zum Feiern gibt.

Uns geht es fast schon wie den Pfadfindern: Jeden
Tag eine gute Tat. Wer heute noch keine gemacht hat:
Heute am späten Abend wäre durch den Beschluss, den
Portugiesen dabei zu helfen, ihre Schulden besser zu ver-
walten, eine gute Tat möglich. Ich freue mich, dass wir
zustimmen. Das haben wir auch vor zweieinhalb Jahren
schon gemacht – übrigens auf Vorschlag des mit Ihnen
befreundeten Herrn Schäuble –, sodass man seinerzeit in
Portugal über 12 Milliarden Euro hat umschichten kön-
nen, damit Portugal eine deutlich verbesserte Zinssitua-
tion erreichen konnte, so wie das hier der Kollege Spahn
ausgeführt hat.

In der Tat war nach dieser Weltfinanzmarktkrise vor
acht, neun Jahren Portugal genauso wie Griechenland,
Zypern und Irland in einer ganz schwierigen Situation.
Wir haben in Europa immense Rettungsschirme aufge-
spannt, übrigens auch in Deutschland. An einem einzigen
Tag haben wir Kredite in Höhe von 480 Milliarden Euro
für die deutschen Banken und für die Wirtschaft bereitge-
stellt. Ich glaube, wir haben alles richtig gemacht.

Manuel Sarrazin






(A) (C)



(B) (D)


Auch wenn das ganz schwierige Situationen waren,
haben wir, im Nachhinein betrachtet, die richtigen Ent-
scheidungen getroffen und die Rettungsschirme aufge-
spannt. Wir haben den EFSF und den EFSM gegründet,
wodurch Portugal Finanzhilfen in Höhe von 26 Milli-
arden und 24,3 Milliarden Euro bereitgestellt wurden.
Der Internationale Währungsfonds hat den Portugiesen
weitere 26,5 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Die
Portugiesen haben mit diesem Geld in der Tat etwas ge-
macht: Sie haben Reformen angestoßen. Sie haben sich
teilweise entschuldet. Das Defizit ist auf unter 3 Prozent
gesunken und geht auf 2 Prozent zu. Wir sind mit der
Situation sehr zufrieden.

Ähnlich wie 2015 glauben wir, dass wir auch dieses
Mal den Beschluss fassen können, ja fassen müssen, die
Parallelitätsklausel nicht anzuwenden. Diese Klausel
bedeutet, dass ein Schuldnerland dann, wenn es einem
der Geldgeber seine Schulden zurückzahlt, auch bei al-
len anderen seine Schulden tilgen muss. Das schaffen die
Portugiesen natürlich nicht. Aber wenn sie dem IWF das
Geld zurückzahlen, nützt ihnen das am meisten. Ihnen
nützt das, und uns schadet es nicht. Unter Freunden ist
es üblich, dass man sich gegenseitig hilft, insbesondere
dann, wenn es einem nicht schadet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Zinsgewinne
von fast 700 Millionen Euro sind kein Pappenstiel. Die
Portugiesen können dieses Geld in der Tat gut gebrau-
chen. Wir gehen aus dieser Sache nicht als Verlierer und
nicht einmal neutral heraus, sondern wir gewinnen, weil
damit die Schuldentragfähigkeit von Portugal gestärkt
wird. Gestärkt werden dadurch auch unsere Kredite, die
wir Portugal gewährt haben, die dadurch risikoärmer
werden. Außerdem haben wir Vertrauen in die Wirtschaft
von Portugal.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind, wie
wir das in unserer Oberpfälzer Heimat sagen, in einer
Win-win-Situation. Daher sollten wir hier zustimmen.
Wir sollten den Portugiesen helfen, wie das unter Freun-
den üblich ist. Uns bringt das keinen Schaden. Im Ge-
genteil: Wir werden damit die Freundschaft zu Portugal
weiter festigen. Ich denke, wir alle stimmen zu.

Vielen herzlichen Dank. Ihnen einen schönen Abend.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1824023400

Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
des Bundesministeriums der Finanzen auf Drucksa-
che 18/12733 mit dem Titel „Portugal: Vorzeitige teilwei-
se Rückzahlung der IWF-Finanzhilfe; Einholung eines
zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages
nach § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmecha-
nismusgesetzes“. Wer für diesen Antrag stimmt, den bitte
ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Eine
Gegenstimme. – Gibt es Enthaltungen? – Damit ist der
Antrag mit den Stimmen des gesamten Hauses bei einer
Gegenstimme des Kollegen Willsch angenommen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 18 a und 18 b
auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Claudia Roth (Augsburg), Omid
Nouripour, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ein Institut für humanitäre Angelegenheiten
schaffen

Drucksache 18/12530

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Omid
Nouripour, Luise Amtsberg, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Eine Menschheit, gemeinsame Verantwor-
tung –
Für eine flexible, wirksame und zuverlässige
humanitäre Hilfe

Drucksachen 18/8619, 18/10627

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Widerspruch
erhebt sich keiner dagegen. Dann ist das so beschlossen.

Ich darf mir den Hinweis erlauben, dass die Kollegen,
die den vorausgehenden Tagesordnungspunkt bestrit-
ten haben, alle außerordentlich diszipliniert und präzise
die Redezeiten eingehalten und gelegentlich sogar nicht
vollständig ausgeschöpft haben.

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol-
lege Tom Koenigs für die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen.


Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824023500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Seit wir das letzte Mal über humanitäre Hilfe disku-
tiert haben – vor fast einem Jahr –, hat sich die Situation
nicht gebessert, weder kurzfristig noch langfristig. Im
Augenblick sind mindestens 125 Millionen Menschen
von humanitärer Hilfe abhängig. Das sind doppelt so vie-
le wie vor zehn Jahren.

Auch der finanzielle Bedarf bei der humanitären Hilfe
ist explodiert. Er wird für dieses Jahr auf 23,5 Milliarden
US-Dollar geschätzt. Deutschland ist laut den Vereinten
Nationen mit insgesamt 2,8 Milliarden der drittgrößte
Geber im humanitären Bereich. Das ist ein Haufen Geld.
Rechnete man die 21 Prozent Beitrag an die Europäische
Union noch hinzu, wären es etwa 3,5 Milliarden. Das ist
natürlich weit entfernt vom Gesamtbedarf. Das Weiße
Haus hat dem Kongress vorgeschlagen, die humanitären
Gelder um 30 Prozent zu kürzen. Da die Amerikaner der
größte Geber sind, wäre das ein Betrag von ungefähr
2 Milliarden Dollar, die dann weniger zur Verfügung
stünden. Es ist also überhaupt nicht vorstellbar, wie die-
ses Problem quantitativ zu lösen ist.

Deshalb diskutieren wir – und so hat auch der World
Humanitarian Summit in Istanbul diskutiert – die Frage

Alois Karl






(A) (C)



(B) (D)


nicht mehr quantitativ, sondern qualitativ. Wir müssen
uns darum kümmern, wie der humanitäre Bedarf erst gar
nicht entsteht oder sich zumindest reduzieren lässt. Da
muss es ein Umdenken auch im Umfeld der humanitä-
ren Hilfe, im Umgang mit Konflikten, geben. Viel stärker
muss die Konfliktprävention betont werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD])


Dazu gehört auch ein systematisches Umsetzen der
SDGs. Denn das vermindert die Vulnerabilität der Ge-
sellschaften, die unter Umständen in solche Krisen kom-
men.

Deutschland hat eine Riesenverantwortung. Das erste
humanitäre Prinzip Menschlichkeit bedeutet auch eine
globale Verantwortung. Man kann das unterschiedlich
formulieren; denn es klingt etwas allgemein. Aber eine
Ausprägung ist zum Beispiel das viel gepriesene „Wir
schaffen das“ der Kanzlerin. Das hat ihr in Istanbul ein
ganz anderes Standing als den anderen gegeben, weil
Deutschland im Humanitären fast beispielhaft ist.

Der humanitäre Bedarf entsteht da, wo Politik versagt.
Es widerspricht auch nicht den humanitären Prinzipien,
wenn man sagt: Hier kommt Politik ins Spiel. Im Gegen-
teil: 90 Prozent der Opfer von Kriegen sind Zivilisten.
Das humanitäre Völkerrecht wird bewusst und massiv
verletzt.

Es geht nicht nur darum, wie viel wir leisten – die
quantitative Diskussion ist fast ausgeschöpft –, sondern,
wie. Das Thema des Zugangs: welche Leistungen, die
Art der Leistungen. 65 Millionen Menschen sind auf der
Flucht; davon sind zwei Drittel IDPs. Auch darüber muss
man einmal diskutieren. Auch das wäre eines Kongresses
würdig: über den Umgang mit IDPs zu reden.

Beim humanitären Weltgipfel – das habe ich schon
gesagt – waren wir hochrangig vertreten, aber inhalt-
lich haben wir fast nichts beigetragen. Offensichtlich
fehlt bei uns eine öffentliche Diskussion, aber auch eine
Expertendiskussion um das Wie der humanitären Hilfe.
Der Koordinierungsausschuss Humanitäre Hilfe ist zwar
wichtig, kann aber diese strategische, diese strategiebil-
dende Leistung nicht erbringen. Auch den NGOs kann
man das nicht zuweisen und sagen: „Ihr könnt ja mal vor-
denken“; denn es ist ja der Staat, der in ungeheurer Weise
da tätig ist.

Die strategischen Entscheidungen werden deshalb gar
nicht erst in Deutschland gefasst, sondern in internatio-
nalen Organisationen, und wir sind weder beteiligt, noch
leisten wir einen Beitrag. Ich wünsche mir, dass wir nicht
nur einer der größten Geber, sondern auch einer der inno-
vativsten strategischen Geber würden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb schlagen wir dieses Institut für humanitäre
Angelegenheiten vor. Das ist genau der Weg, wie man
sich aus den immer nur um das Finanzielle und die Quan-
titäten kreisenden Diskussionen befreit und Ideen entwi-
ckelt. Die Flüchtlinge verändern auch die Gesellschaf-
ten, das muss man mitbetrachten, und zwar nicht nur in
Jordanien, dem Libanon und der Türkei, sondern auch in

Deutschland. Und IDPs im Lande verändern die politi-
sche, aber auch die humanitäre Situation.

Betrachten wir die Krisen im Sudan oder in Venezue-
la, wo sehr reiche Länder in humanitäre Krisen hinein-
laufen.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1824023600

Herr Kollege Koenigs, Sie denken an die Redezeit.


Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824023700

Ich denke an die Redezeit. Ich kann Ihnen sogar zu-

sichern, dass ich dann, wenn ich dieses hier beende, von
dieser Stelle aus nicht mehr reden werde.


(Heiterkeit)


Die Flüchtlinge verändern auch die Aufnahmege-
sellschaft. Darauf müssen wir antworten. Das sind neue
Herausforderungen, das sind auch neue intellektuelle
Herausforderungen. Dafür brauchen wir einen Ort der
Diskussion. Die Engländer haben so einen Ort geschaf-
fen durch das ODI, das Overseas Development Institute.
Wir haben in der Außenpolitik die Stiftung Wissenschaft
und Politik. Hier wäre ein Institut für humanitäre Angele-
genheiten die richtige institutionelle Antwort.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb plädieren wir dafür, und deshalb schlagen wir
das vor. Wir hoffen, dass das wenigstens in der nächsten
Legislaturperiode angegangen wird; denn wir haben im
Bereich der Menschenrechte sehr gute Erfahrungen mit
dem Deutschen Institut für Menschenrechte gemacht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


So kämen wir auch in die internationale Diskussion po-
sitiv hinein.

Ich bedanke mich für die Zusammenarbeit. Guten
Abend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1824023800

Sehr geschätzter Kollege Koenigs, nachdem wir ver-

nommen haben, dass das Ihre letzte Rede im Deutschen
Bundestag war, möchte ich Ihnen an dieser Stelle herz-
lich danken für Ihr parlamentarisches Wirken über viele
Legislaturperioden. Herzlichen Dank.


(Beifall)


Für die Unionsfraktion hat jetzt der Kollege Frank
Heinrich das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Frank Heinrich (CDU):
Rede ID: ID1824023900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Zuschauer und Zuhörer! Sehr geehrter
Herr Koenigs! Ebola 2014 in Westafrika: 28 000 Men-
schen erkranken, etwas weniger als die Hälfte von ihnen
stirbt. 2015, wir erinnern das Erdbeben in Nepal: Die
Welthungerhilfe hat bis heute über 150 000 Menschen mit

Tom Koenigs






(A) (C)



(B) (D)


Nothilfemaßnahmen versorgt. In den Jahren 2015/2016 –
Sie haben es gerade genannt – kamen viele Flüchtlinge
nach Deutschland, hauptsächlich aus den Regionen um
Syrien und den Irak. Deutschland hat in den vergangenen
zwei Jahren etwa 1 Million Menschen aufgenommen.
Ganz aktuell ist die Hungerkatastrophe vor allem im Os-
ten Afrikas und im Jemen. 20 Millionen Menschen sind
vom Hungertod bedroht. Allein dafür werden 4,4 Milli-
arden US-Dollar an Hilfe benötigt.

Die vergangenen vier Jahre haben wohl jedem vor
Augen geführt, warum wir humanitäre Hilfe leisten. Die
Bundesregierung stellt 2017 knapp zehnmal so viel an
finanziellen Mitteln für Krisen zur Verfügung wie noch
vor fünf Jahren, und offensichtlich haben wir als Par-
lament wie auch als Regierung begriffen, dass wir eine
Verantwortung mittragen.

Trotzdem: Unsere zentralen Herausforderungen sind
erstens, wie gerade genannt, dass die Not zugenommen
hat. Zweitens muss der Zugang zu humanitärer Hilfe je
länger je besser gewährleistet werden. Wir haben das in
Syrien erlebt, und wir wissen, was im Südsudan passiert.
Das World Food Programme und andere Organisationen
leiden darunter, dass sie einfach nicht an die Orte gelas-
sen werden, selbst nicht in die extremsten Gebiete, in de-
nen die Hungersnot groß ist, wo zwei von 10 000 Men-
schen oder vier von 10 000 Kindern pro Tag sterben.
Drittens müssen die Einhaltung und die Akzeptanz des
humanitären Völkerrechts gewährleistet werden.

Der Blick in die Zukunft zeigt, dass die globale Fi-
nanzierung der humanitären Hilfe schwieriger wird. Sie,
Herr Kollege, haben das Stichwort gerade genannt. Kei-
ner weiß, wie stark die Zuwendungen des größten Gebers
tatsächlich reduziert werden. Wir hoffen, dass sich das
Parlament gegen den Präsidenten durchsetzt. Man kann
nur ahnen, was anderenfalls passieren würde. Auch die
Konflikte und die Notlagen werden nicht weniger.

Ich glaube, deshalb ist der Antrag richtig. Ich hoffe,
wir tragen ihn in die nächste Legislaturperiode. Wir müs-
sen uns trauen, humanitäre Hilfe tatsächlich neu zu den-
ken. Ein Beispiel ist das gerade von mir genannte World
Food Programme. Diese Organisation hat im Südsudan,
aber auch in anderen Regionen gemerkt: Wenn man mit
relativ kleinen Luftschiffen, mit kleinen Hubschraubern
in die Regionen fliegt, dann kann man nur wenige Hilfs-
güter mitnehmen. Deshalb muss man einen anderen Weg
finden und die Hilfe umstrukturieren. Das World Food
Programme hat auf Air-Drop-Maßnahmen zurückgegrif-
fen und spart damit 45 Millionen US-Dollar pro Jahr.

Ein zweites Beispiel ist die Initiative des Auswärtigen
Amtes #CSRhumanitär. Die Schirmherrschaft haben die
Menschenrechtsbeauftragte Bärbel Kofler und mein Kol-
lege Michael Brand. Das ist eine tolle Initiative, in die
Unternehmen mit ihren Fähigkeiten, Kenntnissen und ih-
rem Know-how eingebunden werden, um dem wachsen-
den humanitären Bedarf tatsächlich begegnen zu können.

Dabei arbeiten sie direkt mit den Akteuren, die im
humanitären Bereich engagiert sind, zusammen, so zum
Beispiel bei der sanitären Versorgung, der Bereitstellung
von Notunterkünften sowie im Bereich der Bildung und
Gesundheit. Wir müssen uns trauen, humanitäre Hilfe

neu zu denken. Nicht das Wieviel – wir stimmen sicher
darin überein, dass es mehr sein darf –, sondern das Wie
der humanitären Hilfe muss neu gedacht werden.

Der humanitäre Weltgipfel im letzten Jahr wurde gera-
de genannt. Das war eine gute Gelegenheit dafür. Wich-
tige und richtige Perspektivwechsel sind auf den Weg
gebracht worden, zum Beispiel im Bereich von Bildung
mit Blick auf lokale Akteure.

Wir hatten dabei drei klare Prioritäten. In Istanbul
wurden wir anders wahrgenommen, als wir teilweise hier
wahrgenommen wurden. Der erste Punkt ist: Es bedarf
einer soliden finanziellen Grundlage, damit die Hilfsor-
ganisationen nicht ständig befürchten müssen, dass das
Geld im nächsten Vierteljahr oder in einem halben Jahr
weg ist. Diese Organisationen brauchen Planungssicher-
heit. Deutschland ist in dieser Hinsicht proaktiv, wir ge-
hen mit gutem Beispiel voran.

Der zweite Punkt ist, dass diese Hilfe sofort und
verlässlich verfügbar sein muss; denn wenn eine Krise
kommt – sie kündigt sich meistens nicht vorher an –,
dann bleibt keine Zeit mehr für komplizierte Abstim-
mungsprozesse.

Der dritte Punkt ist: Wir müssen die Krisenprävention
verstärken und die Stabilisierung und Konsolidierung des
Friedens noch besser Hand in Hand gehen lassen, damit
humanitäres Leid – das ist eine entscheidende Fluchtur-
sache – von vornherein möglichst verhindert wird. Fi-
nanzielle Mittel reichen nicht aus, um das Leid der Men-
schen zu reduzieren. Genau aus diesem Grund hat die
Bundesregierung diese Leitlinien verabschiedet: Krisen
verhindern, Konflikte bewältigen, Frieden fördern.

Um Frieden zu fördern, hat das Auswärtige Amt die
Initiative „Friedensverantwortung der Religionen“ ge-
gründet. Ende Mai kamen über 100 Vertreterinnen und
Vertreter unterschiedlichster Religionsgemeinschaften
zu der Auftaktveranstaltung. Das war eine illustre Run-
de: Bischöfe, Ajatollahs, Priester, Rabbiner, Brahmanen,
Imame. Das sind für viele Menschen weltweit die wich-
tigsten Ansprechpartner vor Ort. Sie spielen eine zentrale
Rolle in der Friedensbildung und in der Krisenpräventi-
on.

Ich selber war Heilsarmeeoffizier. Die Heilsarmee ar-
beitet oft in diesen Krisengebieten, wenn die Katastrophe
ausgebrochen ist. Eine Freundin von mir ist direkt vor
Ort. Sie ist immer eine der Ersten. Sie erzählte, wie wich-
tig es ist, nicht nur innerhalb der eigenen Organisation
Kontakte zu suchen, sondern eben diese Geistlichen, die
Priester und Imame aufzusuchen und sich relativ schnell
zu verständigen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bei der Ebolakrise waren es genau die Geistlichen, die
die Bewohner in den Dörfern erreichen konnten. Ohne
die hätte es noch viel länger gedauert, die Epidemie ein-
zudämmen, und das hat schon viel zu lange gedauert.

Humanitäre Hilfe neu denken: Jetzt ist die Zeit güns-
tig, weil dieser Gedanke in unserem Volk angekommen
ist, nicht nur in unserem Parlament. Es bietet sich jetzt
eine reale Chance, auch im Bundestag die humanitäre

Frank Heinrich (Chemnitz)







(A) (C)



(B) (D)


Hilfe besser aufzustellen. Die Krisen haben uns gezeigt,
dass neben dem Ausschuss für Menschenrechte und hu-
manitäre Hilfe, den wir vertreten, das Thema auch ande-
re Ausschüsse betrifft: den Auswärtigen Ausschuss, den
Verteidigungsausschuss, den Bildungsausschuss und den
Innenausschuss. Im Kontext der Ebolakrise war auf ein-
mal der Entwicklungshilfeminister zusammen mit dem
Gesundheitsminister vor Ort. Alle haben auf einmal mit
humanitärer Hilfe zu tun und müssen deshalb auch mehr
einbezogen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,
noch einmal danke für den Antrag; denn es ist wichtig,
dass wir uns mit diesen Themen eingehender und tie-
fer beschäftigen. Ihr Vorschlag lautet, das Institut für
humanitäre Angelegenheiten zu gründen. Unser, mein
Vorschlag ist, nicht gleich alles infrage zu stellen, was
wir schon haben – das tun Sie nicht –, sondern das, was
da ist, tatsächlich zu nutzen. Wir sollten anfangen, auch
außerhalb unseres Ausschusses über humanitäre Hilfe zu
diskutieren und dabei das Wie genauer unter die Lupe zu
nehmen.

Es gibt den von Ihnen genannten Koordinierungsaus-
schuss im Auswärtigen Amt, in dem sich Hilfsorganisati-
onen regelmäßig über humanitäre Hilfe austauschen. Wir
könnten daran sehr oft teilnehmen. Bisher haben wir das
oft wegen fehlender Terminabstimmung nicht geschafft.
Aber ich bin begeistert und ich bin froh über die Konst-
ruktivität, mit der dort gearbeitet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich plädiere dafür, den Dialog zwischen diesem Aus-
schuss und dem Deutschen Bundestag zu stärken. Wir
sollten schauen, wie wir das in der nächsten Legislatur
besser koordiniert bekommen, um das ganze Wissen ers-
tens sichtbarer zu machen und das Gremium zu stärken
und um es zweitens in unsere aktuelle Arbeit verstärkt
einfließen lassen zu können.


(Beifall des Abg. Michael Brand [CDU/ CSU])


Wir sollten die Expertise und das Potenzial nutzen.

Herr Koenigs, Sie wissen selbst, dass nicht alle Or-
ganisationen diesen Antrag unterstützen; wir haben mit
verschiedenen gesprochen. Nicht alle sehen einen solch
starken Bedarf. Allerdings tragen sie die Hauptmotivati-
on des Antrags mit: dass wir mehr denken, dass wir neu
strukturieren. Das unterstütze ich.

Lassen Sie uns die Strukturen verändern, die Diskus-
sionen in andere Ausschüsse tragen, den Austausch mit
der Zivilgesellschaft stärken. Das können wir mit einem
finanziellen Aufwand leisten, der ein wenig geringer ist,
als wir möglicherweise für die Schaffung eines solchen
Instituts brauchen, und mit Ressourcen, die uns dafür
schon jetzt zur Verfügung stehen. Wir müssen uns trauen,
humanitäre Hilfe neu zu denken. Ich wünsche Ihnen für
die Zusammenarbeit alles Gute.

Ganz herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1824024000

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt die Kollegin

Inge Höger.


(Beifall bei der LINKEN)



Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824024100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zahl

der humanitären Krisen hat weltweit in erschreckendem
Maße zugenommen. UNICEF warnt, dass in diesem Jahr
etwa 2 Millionen Kinder am Horn von Afrika, im Süd-
sudan, in der Tschadsee-Region und im Jemen lebens-
bedrohlich mangelernährt und vom Hungertod bedroht
sind – 2 Millionen Kinderleben! Das kann und darf uns
nicht egal sein.

Auch immer mehr erwachsene Menschen sind wegen
Mangelernährung so geschwächt, dass sie an heilbaren
Krankheiten sterben und dass Epidemien um sich grei-
fen. Im Jemen sind über 100 000 Menschen an Cholera
erkrankt. 1 100 sind bereits gestorben. Wie viele noch
sterben werden, weiß niemand.

Die saudische Blockade hat die jemenitische Öko-
nomie weitgehend zerstört, und sie behindert auch die
humanitäre Hilfe. Durch Luftangriffe wurden Dutzende
von Krankenhäusern zerstört und wurde medizinisches
Personal einschließlich Angehöriger internationaler
Hilfsorganisationen getötet. Wie kann es sein, dass an
die verantwortlichen Golfstaaten nach wie vor Waffen
geliefert werden? Die Rüstungsexporte müssen sofort
gestoppt werden.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Klimawandel verursacht immer mehr Extrem-
wetterlagen, Stürme, Dürren und Überschwemmungen.
Diese Katastrophen zerstören Ernten, töten und verletzen
Menschen direkt und indirekt. Den betroffenen Men-
schen schulden wir unmittelbare Nothilfe, aber auch ei-
nen grundlegenden Politikwechsel.


(Beifall bei der LINKEN)


Deswegen fordert die Linke einen konsequenten sozial-
ökologischen Umbau.

Es ist dringend nötig, die humanitäre Hilfe auszubau-
en. Es ist unerträglich, dass sie seit vielen Jahren drastisch
unterfinanziert ist. Es darf nicht sein, dass bei Notlagen
nur selektiv geholfen werden kann, weil das Geld nicht
reicht. Es ist gut, Institutionen zu haben und zu stärken,
die es sich zur Aufgabe machen, die humanitäre Hilfe zu
verbessern. Es lohnt sich, die internationale Kooperati-
on zu verbessern und in die Fortbildung der humanitä-
ren Akteurinnen und Akteure zu investieren. Vor allem
muss alles dafür getan werden, dass humanitäre Hilfe
neutral und allein an sachlichen Kriterien orientiert ar-
beiten kann. Eine Instrumentalisierung für Machtpolitik
oder gar für militärische Interessen muss ausgeschlossen
werden.

Eines jedoch ist klar: Alle noch so gut ausgestatte-
ten Beratungsinstitute und Hilfsfonds bleiben machtlos,
wenn bewusst humanitäre Katastrophen ausgelöst oder
diese zumindest in Kauf genommen werden. Ich nenne

Frank Heinrich (Chemnitz)







(A) (C)



(B) (D)


hier nur beispielhaft den Krieg gegen den Irak oder in
Libyen oder die Verweigerung legaler Einreisemöglich-
keiten für Menschen, die Schutz in Europa suchen.

Dass immer mehr Menschen im Mittelmeer ertrinken,
ist ein Ergebnis der EU-Abschottungspolitik. Schaffen
Sie endlich legale Einreisemöglichkeiten für Menschen
in Not!


(Beifall bei der LINKEN)


Wie kann es ein, dass sich Deutschland an einer soge-
nannten Antiterrorkoalition beteiligt, die durch ihre Bom-
bardements die humanitäre Notlage im Irak und in Syri-
en noch verschärft? Wie kann es sein, dass Verbündete
Deutschlands weißen Phosphor über zivilen Stadtvierteln
einsetzen – zum Beispiel in Mosul oder Rakka? Weißer
Phosphor frisst sich durch die Haut bis auf die Knochen.
Da diese Verbrennungen meist großflächig sind, sterben
Betroffene langsam, sofern sie nicht vorher schon durch
Inhalation der giftigen Dämpfe, Verbrennung der Atem-
wege oder Vergiftungen sterben.

Wer so eine vollständig inhumane Waffe einsetzt,
stellt kurzfristige militärische Erfolge über Menschenle-
ben und füttert am Ende doch die Propagandamaschine
des IS. Das ist falsch und unerträglich.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn wir die humanitäre Lage wirklich weltweit
verbessern wollen, dann muss nicht nur deutlich mehr
Geld zur Verfügung gestellt werden, sondern auch die
deutsche und die europäische Außenpolitik müssen sich
grundlegend ändern. Notwendig sind eine Abkehr von
der militärischen Außenpolitik, eine verantwortungsvol-
lere Klimapolitik und ein Ende der Rüstungsexporte. An-
gesichts der globalen Situation haben wir hier keine Zeit
zu verlieren.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1824024200

Als abschließende Rednerin hat jetzt die Kollegin

Dr. Ute Finckh-Krämer für die Fraktion der SPD das
Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):
Rede ID: ID1824024300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-

be Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Wir sind
uns über alle Fraktionen hinweg einig, dass humanitäre
Hilfe ein wichtiges Thema ist und dass wir alles tun wol-
len und sollen, um die humanitäre Hilfe kompetent, nach
den Prinzipien der humanitären Hilfe und international
abgestimmt zu leisten. Wir sind uns, – glaube ich, – auch
einig über die fünf Punkte, die Tom Koenigs genannt hat
und die in dem von ihm mit formulierten Antrag stehen:
Wir brauchen für die deutschen Nichtregierungsorgani-
sationen, die mit großer Sorgfalt, mit großem Engage-
ment humanitäre Hilfe leisten, Beratungsangebote und
Austauschmöglichkeiten. Humanitäre Hilfe sollte ein
Thema für Forschung sein, und konkrete Projekte oder
auch Länderstrategien sollten evaluiert werden. Die in-
ternationale Zusammenarbeit ist ebenso wie der Dialog

und die Reflexion in Deutschland sehr wichtig. Schließ-
lich brauchen diejenigen, die als humanitäre Helferinnen
und Helfer in andere Länder gehen, eine sorgfältige Vor-
bereitung und Ausbildung.

Die Frage ist: Was sind die besten Mittel und Wege,
um diese fünf Ziele zu erreichen? Wenn wir jetzt nicht
am Ende einer Legislaturperiode wären, dann wäre ei-
gentlich mein Vorschlag, dass wir im Ausschuss für Men-
schenrechte und humanitäre Hilfe eine Anhörung machen
und uns genau aus diesen verschiedenen Bereichen – aus
dem Auswärtigen Amt, aus dem neu geschaffenen zu-
ständigen Grundsatzreferat für humanitäre Hilfe, von den
großen Hilfsorganisationen, vielleicht auch von einigen
der kleinen Hilfsorganisationen, die auf bestimmte The-
men oder bestimmte Länder spezialisiert sind, von den
Wissenschaftlern und den politischen Stiftungen, die sich
mit dem Thema befassen, und eventuell auch von den
internationalen Organisationen – in einer dreistündigen
Anhörung möglichst viele unterschiedliche Einschätzun-
gen erläutern lassen.

Wir können das in dieser Legislaturperiode nicht mehr
machen. Aber diejenigen von uns, die wieder antreten
und hoffentlich auch wiedergewählt werden, können das
in der nächsten Legislaturperiode machen. Es kann gut
sein, dass der Vorschlag, den einige der deutschen Hilfs-
organisationen gemacht haben, nämlich ein solches In-
stitut für humanitäre Angelegenheiten in Deutschland zu
gründen und dafür vielleicht auch deutlich weniger als
1 Prozent der Gelder, die im Bundeshaushalt für humani-
täre Hilfe zur Verfügung stehen, bereitzustellen, schließ-
lich als gemeinsamer Vorschlag der verschiedenen Ak-
teure dabei herauskommt.

Ich glaube auch, dass der Vorschlag, den einige der
Hilfsorganisationen erarbeitet haben, eine sorgfältige
Diskussion im Koordinierungsausschuss Humanitäre
Hilfe erfahren wird, der nicht wie wir an Wahlperioden
gebunden ist, sondern der kontinuierlich arbeitet – mit
mehreren Treffen im Jahr und oft auch einem zweitägi-
gen Treffen, bei dem für Grundsatzdiskussionen Zeit ist.

Insofern bin ich froh, dass du, Tom Koenigs, dieses
Thema als dein Abschlussthema gewählt hast. Es ist ein
Thema, das uns allen, glaube ich, am Herzen liegt. Wir
alle sollten und können uns vornehmen, dieses Thema in
der nächsten Legislaturperiode weiterzuverfolgen.

Ich bitte um Verständnis dafür, dass vor allem unser
Koalitionspartner und wir sagen: Da ist zunächst einmal
noch mehr Diskussionsbedarf, bevor wir die Schaffung
eines solchen Instituts beschließen. Ich sehe zwar viele
Parallelen zum Deutschen Institut für Menschenrechte,
aber es gibt auch Unterschiede. Das Deutsche Institut
für Menschenrechte – dafür haben wir gemeinsam ge-
kämpft – beobachtet auch die Menschenrechtssituation
in Deutschland, berichtet dazu, ist als kritisches Pendant
zu Regierung und Parlament tätig. Demgegenüber gibt es
im Bereich der humanitären Hilfe, wenn überhaupt, nur
sehr wenige Aufgaben, die in Deutschland anfallen; die
meisten Aufgaben sind international.

Ich möchte als Letztes auch noch einmal auf das hin-
weisen, was Frank Heinrich eben schon zu Recht ange-
sprochen hat. Die humanitäre Hilfe hat natürlich auch

Inge Höger






(A) (C)



(B) (D)


ihren Platz in den Leitlinien des Auswärtigen Amtes.
Nachdem wir es in dieser Legislaturperiode geschafft
haben, sie im Ausschuss für Menschenrechte und hu-
manitäre Hilfe deutlich häufiger und deutlich fundierter
als in der letzten Legislaturperiode zu behandeln, sollten
wir uns für die nächste Legislaturperiode vornehmen, sie
auch in die anderen Ausschüsse einzubringen, die thema-
tisch etwas dazu beitragen können und die mit den Be-
dingungen zu tun haben, unter denen humanitäre Hilfe in
vielen Krisen- und Konfliktregionen oder dort, wo Natur-
katastrophen oder gesundheitliche Krisen sind, arbeitet.
Wenn wir das schaffen, dann haben wir auf jeden Fall
aus der heutigen Diskussion etwas gelernt und können
etwas mitnehmen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1824024400

Vielen Dank. – Ich schließe damit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksa-
che 18/12530 mit dem Titel „Ein Institut für humanitäre
Angelegenheiten schaffen“. Wer stimmt für diesen An-
trag der Fraktion der Grünen? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Der Antrag ist damit mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke ab-
gelehnt.

Tagesordnungspunkt 18 b. Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hil-
fe zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
mit dem Titel „Eine Menschheit, gemeinsame Verant-
wortung – Für eine flexible, wirksame und zuverlässige
humanitäre Hilfe“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/10627,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der
Drucksache 18/8619 abzulehnen. Wer für die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um
ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Beschlussempfehlung des Ausschusses ist
angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Ent-
haltung der Fraktion Die Linke.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 15 a auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes

Drucksache 18/11939

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit (16. Ausschuss)


Drucksache 18/12845

Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktio-
nen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Widerspruch
dagegen erhebt sich keiner. Dann sind alle damit einver-
standen.

Deshalb kann ich auch sofort die Aussprache eröff-
nen. Ich erteile als erster Rednerin Bundesministerin
Dr. Barbara Hendricks für die Bundesregierung das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seit fast zehn Jahren gibt es die Nationale Strategie zur
biologischen Vielfalt. Sie ist mit ihren konkreten Zielen
bis zum Jahr 2020 nach wie vor ein, wie ich finde, an-
spruchsvolles Programm. Trotz einiger Erfolge in den
letzten Jahren haben wir jedoch die Trendwende dahin,
den Artenverlust zu stoppen, bisher nicht geschafft. Weil
es absehbar wurde, dass wir die Ziele der Nationalen
Strategie verfehlen könnten, haben wir unsere Anstren-
gungen verstärkt. Das Bundesumweltministerium hat vor
fast zwei Jahren die Naturschutz-Offensive 2020 gestar-
tet. Wir haben die zehn Handlungsfelder mit dem größten
Bedarf identifiziert. 40 konkrete Maßnahmen sollen bei
der Umsetzung der Nationalen Strategie helfen und eine
neue Dynamik in das Thema „Schutz der biologischen
Vielfalt“ bringen. Eine dieser Maßnahmen – damit sind
wir bei unserem Tagesordnungspunkt von heute Abend –
ist Gegenstand der Novelle des Bundesnaturschutzge-
setzes. Es handelt sich um die Ermächtigungsgrundlage
zum Erlass von Naturschutzgebieten in der deutschen
Ausschließlichen Wirtschaftszone.

In der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt
haben wir uns verpflichtet, für alle Arten und Lebensräu-
me der Küsten und Meere eine signifikante Verbesserung
des Erhaltungszustandes zu erreichen. Bis dahin ist es
aber noch ein weiter Weg. Derzeit sind rund ein Drittel
der marinen Lebewesen in Nord- und Ostsee in ihrem
Bestand gefährdet. Die Ursachen der Gefährdung liegen
vor allem in schädlichen Fischereipraktiken, in der Über-
fischung der Meere und in einer Vielzahl von weiteren
Nutzungen. Die kumulativen Auswirkungen dieser Nut-
zungen auf die Natur bereiten immer größere Probleme.
Denken Sie zum Beispiel an den Meeresmüll, der viele
Ökosysteme und Arten bedroht. Ich bin sehr froh, dass
wir kürzlich auf der G-20-Konferenz in Bremen einen
Aktionsplan gegen Meeresmüll finalisieren konnten, der
auch Teil des G-20-Gipfels der Staats- und Regierungs-
chef in Hamburg sein wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegen-
den Gesetzentwurf schaffen wir die Voraussetzungen für
einen besseren Schutz. Er erlaubt es, die Natur der Nord-
und Ostsee in Zukunft umfassender und zielgenauer zu
schützen. Übrigens haben wir hier durch die Beratun-
gen im Umweltausschuss eine wichtige Verbesserung
des Gesetzentwurfes erreicht. Denn jetzt ist klargestellt,
dass auch in Zukunft die Ausweisung neuer Schutzge-
biete allein durch das fachlich zuständige Ministerium
geschieht, nämlich durch das Bundesumweltministeri-

Dr. Ute Finckh-Krämer






(A) (C)



(B) (D)


um. Die fachlich betroffenen Ressorts werden natürlich
wie bisher beteiligt. Ein weiterer Beitrag zu mehr biolo-
gischer Vielfalt in Deutschland ist die Erweiterung der
Liste der gesetzlich geschützten Biotope um Höhlen und
naturnahe Stollen. Diese Regelung unterstützt zum Bei-
spiel die Erhaltung des Lebensraums für Fledermäuse
und zahlreiche andere hochspezialisierte Arten.

Auch beim Artenschutz gibt es Verbesserungen. Wir
werden die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts in das Gesetz übernehmen. So gewährleisten wir
nicht nur ein hohes Schutzniveau für gefährdete Arten in
Deutschland, sondern erhöhen auch die Rechtssicherheit
für Vorhabenträger und für die Verwaltung. Auch hier hat
die Arbeit des Umweltausschusses zu einer Verbesserung
des Entwurfs beigetragen, namentlich zu einer klareren
und eindeutigeren Formulierung des Gesetzeswortlauts.
Ich will die Gelegenheit nutzen, mich bei den Mitglie-
dern des Umweltausschusses dafür herzlich zu bedanken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, all diese Änderun-
gen sind für den Naturschutz in Deutschland wichtig. Ich
würde mich deshalb freuen, wenn der Deutsche Bundes-
tag heute grünes Licht für die Novelle des Bundesnatur-
schutzgesetzes gibt.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1824024500

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt die Kollegin Birgit

Menz für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Birgit Menz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824024600

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Gäste! Mit dem Entwurf zur Novellie-
rung des Bundesnaturschutzgesetzes wurde seitens der
Bundesregierung der Versuch unternommen, unter ande-
rem – ich zitiere – „die Grundlagen für einen umfassen-
deren Schutz der Natur in Nord- und Ostsee sowie für
die beschleunigte Errichtung eines Biotopverbundes an
Land“ zu legen.

Nun hört sich diese Absicht sehr gut an, und es ist
auch dringend geboten; denn vor allem der ökologische
Zustand von Nord- und Ostsee ist mehr als bedenklich.
Gründe dafür gibt es viele: Überfischung, Umweltver-
schmutzung, Lebensraumzerstörung durch Schlepp-
netzfischerei oder Rohstoffabbau. Aber auch Lärmver-
schmutzung durch zunehmenden Schiffsverkehr und
militärische Übungen gefährden nicht nur den ökologi-
schen Zustand der Gewässer, sondern auch die darin le-
benden Arten wie zum Beispiel den Ostseeschweinswal,
von dem es nur noch 450 Exemplare gibt.

Mit der Novellierung hätte die Chance bestanden,
insbesondere beim nationalen Meeresschutz ein paar
Schritte voranzukommen. Aber seit Jahren sind in der
deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone von Nord-

und Ostsee Meeresschutzgebiete im Rahmen von Na-
tura 2000 ausgewiesen, ohne dass bisher ausreichende
Schutzmaßnahmen ergriffen wurden. Es darf dort mun-
ter weiter gefischt sowie Sand- und Kiesabbau betrieben
werden – und das in einem ausgewiesenen Schutzgebiet.

Das aktuelle europäische Vertragsverletzungsver-
fahren wegen unzureichender Unterschutzstellung von
Natura-2000-Gebieten in der AWZ dauert an und ist nur
ein Beleg für die unzureichende Meeresschutzpolitik,
die die Bundesregierung auf nationaler Ebene in den
letzten Jahren betrieben hat. Die Vermutung liegt nahe,
dass die deutschen Prioritäten bezüglich der Meerespoli-
tik nicht etwa beim Schutz von Meeresumwelt oder der
Artenvielfalt liegen, sondern anders geartet sein müssen.
Wie sonst würde sich die noch im Entwurf enthaltene
Einvernehmensregelung bezüglich der Ausgestaltung
der AWZ-Verordnungen erklären? Diese Regelung hät-
te einen effektiven Meeresschutz verhindert, da sie den
einzelnen Ministerien die Möglichkeit gegeben hätte, die
für den Meeresschutz dienlichen Verordnungen aufgrund
anderer, meist wirtschaftlicher Interessen zu blockieren.
So etwas darf nicht sein.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen verbindliche Regelungen, die die Gebie-
te in Nord- und Ostsee auch effektiv schützen und ihnen
Zeit zur Erholung geben, damit diese auch für folgende
Generationen erhalten bleiben. Solche Regelungen gibt
es derzeit aber nicht.

Doch nicht nur zu Wasser erfolgt der Schutz von Natur
und Tier schleppend, auch an Land kommt die Bundes-
regierung nicht in Schwung. Exemplarisch steht dabei
die Schaffung – man müsste eigentlich sagen: die Nicht-
schaffung – eines Biotopverbundes an Land. Ziel eines
solchen Verbundes ist es unter anderem, heimische Ar-
ten und Artengemeinschaften sowie deren Lebensräume
nachhaltig zu schützen.

Seit dem Jahr 2002, also seit sage und schreibe 15 Jah-
ren, ist dessen Realisierung vorrangig Aufgabe der Län-
der, welche bisher jedoch nicht ausreichend umgesetzt
werden konnte, da es bisher weder Fristen noch Anreize
oder andere Mechanismen gibt, die eine Umsetzung be-
schleunigen würden. Was macht die Bundesregierung?
Sie legt eine Frist für das Jahr 2027 fest, welche über-
haupt nicht im Einklang mit den Zieljahren anderer Bio-
diversitätsziele steht.

Noch schlimmer macht es der Änderungsantrag der
Großen Koalition mit der Forderung, sich, wenn über-
haupt, erst in der nächsten Legislaturperiode mit einer
Frist zu beschäftigen.

Bitte führen Sie sich vor Augen: Wir erleben gerade
das größte Artensterben seit dem Zeitalter der Dinosauri-
er. Die Rote Liste der Weltnaturschutzunion weist derzeit
etwa 24 000 Tier- und Pflanzenarten aus, die vom Aus-
sterben akut bedroht sind. Auch in Deutschland können
wir beobachten, dass immer weniger Tier- und Pflanzen-
arten Raum zum Leben haben.

Die schnellstmögliche Umsetzung eines Biotopver-
bundes ist daher dringend notwendig, um dem auch hier-

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks






(A) (C)



(B) (D)


zulande stattfindenden Artensterben entgegenzuwirken.
Dem vorliegenden Gesetzentwurf können wir nicht zu-
stimmen. Er ist in dieser Form ein Schlag ins Gesicht
engagierter Naturschützer.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1824024700

Für die Unionsfraktion spricht jetzt der Kollege Josef

Göppel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Josef Göppel (CSU):
Rede ID: ID1824024800

Verehrte Kolleginnen und Kollegen! So unterschied-

lich sind die Sichtweisen, Frau Kollegin: Ich sehe dieses
Gesetz als ein schönes Beispiel für selbstbewusstes par-
lamentarisches Handeln.

Aus meiner Sicht sind zunächst einmal drei Paragrafen
besonders erwähnenswert: der § 57 Bundesnaturschutz-
gesetz, mit dem es dank des selbstbewussten parlamenta-
rischen Handelns gelungen ist, die Ausweisung von Mee-
resschutzzonen außerhalb der Zwölfmeilenzone vor der
Küste rechtlich so abzusichern, dass diese Schutzgebiete
in den nächsten Jahren wirklich zum Tragen kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das ist eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Re-
gierungsentwurf. Zu Recht, Frau Ministerin, haben Sie
sich in dieser Beziehung beim Ausschuss für Umwelt
bedankt.

Es ist weiter auch der § 44 zu nennen. Darin geht es
um die Verletzung oder den Tod von Arten im Zusam-
menhang mit Eingriffen in die Natur. Manche sagen ja:
Wenn das jetzt an die Signifikanz einer Maßnahme ge-
bunden wird, heißt dies, dass eine Maßnahme nur dann,
wenn durch sie die Gefahr eine bestimmte Schwelle
überschreitet, nicht zulässig ist. Ich möchte Sie darauf
hinweisen: Die Formulierung ist anders, als die öffent-
liche Diskussion vielfach glauben macht. Es ist nicht so,
dass es nur um Populationen und deren Erlöschen geht.
Im Gesetzestext heißt es: Wenn für Exemplare der betrof-
fenen Arten ein erhöhtes Verletzungs- oder Todesrisiko
besteht, dann sind die Maßnahmen zu unterlassen, und
vorher sind Schutzmaßnahmen vorzunehmen. Die Rege-
lung bezieht sich also wirklich auch auf eine nennens-
werte Zahl einzelner Exemplare und nicht lediglich auf
die Auslöschung der Gesamtpopulation.

Schließlich geht es um den § 21. Das ist in der Tat
kein besonderes Ruhmesblatt für uns im Umweltaus-
schuss; denn wenn eine Frist von zehn Jahren für eine
Maßnahme vorgesehen ist, die eigentlich schon seit dem
Jahr 2002 laufen soll, dann kann man nicht sagen, sie
wäre überstürzt.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte in diesem Zusammenhang auf eines hin-
weisen: Der nationale Biotopverbund ist von seinem
Charakter her auf lineare Strukturen angelegt, die die
großräumigen Schutzgebiete verbinden sollen. Deswe-
gen reicht es keinesfalls, auf die europäischen Schutzge-
biete auch noch das Etikett „nationales Biotopverbund-
system“ zu kleben. Es ist fachlich schon zu Zeiten von
Wolfgang Haber, dem großen bayerischen Naturschützer
und Landschaftspfleger, so konzipiert worden, dass die
großen Schutz- und Rückzugsräume durch lineare Struk-
turen verbunden werden müssen, wenn sie wirken sollen
und wenn den Mitgeschöpfen des Menschen in der tech-
nisierten Welt noch Lebensraum bleiben soll. Deswegen
dürfen wir denen, die in der nächsten Wahlperiode dem
Deutschen Bundestag angehören, anempfehlen, in den
Koalitionsverhandlungen auf diesen Punkt besonders
Wert zu legen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. KlausPeter Schulze [CDU/CSU])


Ich möchte in diesem Zusammenhang auch darauf
hinweisen, dass der Mensch trotz aller Technik und aller
zivilisatorischen Errungenschaften, die wir heute haben,
auf die natürlichen Grundlagen des Lebens angewiesen
bleibt: auf ackerfähige Böden, auf Weideflächen, auf
Fisch gründe, auf Wälder. Die Grundlagen für die Erzeu-
gung von Lebensmitteln im umfassenden Sinn sind auch
notwendig zur Aufnahme unserer zivilisatorischen Rest-
stoffe.

Ein Kollege hat in diesem Zusammenhang neulich zu
mir gesagt: Aber unsere Kernkompetenz ist doch Wirt-
schaft.


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Auch das stimmt nicht!)


Gestatten Sie mir an der Stelle einen Vergleich aus dem
Alltagsleben. Ein kleiner Junge sitzt auf dem Arm seines
Großvaters. Er streckt seine Hände hoch und ruft: Ich bin
größer als du. – So wie diesem kleinen Jungen ist uns oft
nicht bewusst, was uns trägt. Das steckt in diesem Bun-
desnaturschutzgesetz auch drin.

Man hat gedacht, dass der unserem Wirtschaftssystem
innewohnende Wachstumszwang hin zu den Oligopolen
seine Begrenzung durch die soziale Marktwirtschaft fin-
det. Heute hat der Entwicklungsminister Gerd Müller ein
Buch vorgestellt mit dem Titel Unfair! Für eine gerech-
te Globalisierung. Es ist unverkennbar, dass die jetzige
Globalisierung am ehesten zu vergleichen ist mit den
wild dahinbrausenden Rössern eines antiken Wagenren-
nens. Eines Tages wird der Wagen aus der Kurve getra-
gen und ist führungslos. Deswegen brauchen wir eben
keinen Rückzug der sozialen Marktwirtschaft auf inter-
nationaler Ebene, sondern gerade wir Deutsche dürfen
mit großer Glaubwürdigkeit dafür eintreten, dass eine
soziale und ökologische Marktwirtschaft die Dinge am
besten ordnet.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Birgit Menz






(A) (C)



(B) (D)


Es gab schon einige – ich erinnere an Ernst Ulrich von
Weizsäcker oder an Franz Josef Radermacher –, die
Schritte dorthin aufgezeichnet haben.

Wie oft schauen wir gleichgültig zu, wenn wieder ir-
gendwo ein Stück dieser atmenden, offenen, fruchtbaren
Erde zugebaut wird.


(Beifall des Abg. Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wie gleichgültig beobachten wir zum Beispiel den
landfressenden erdgeschossigen Gewerbebau, der land-
auf, landab immer noch große Flächen in Anspruch
nimmt, obwohl es andere technische Möglichkeiten gäbe.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dr. Klaus-Peter Schulze [CDU/CSU])


Ich möchte darum bitten und ich fordere uns alle auf:
Unterziehen wir uns der Mühe, auf diese Sachverhalte
immer wieder hinzuweisen und Anstöße zu geben.

Neulich hat einer in einer Diskussion gefragt: Ja, wie
machen wir es denn dann richtig? – Es gibt für die prak-
tische Politik eine klare Richtschnur: Immer dann, wenn
sich eine Maßnahme den Kreisläufen der Natur nähert,
ist sie richtig. Das ist eine gute und kluge Messlatte für
alle, die unser Land und die Heimat lieben.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1824024900

Die Kollegin Steffi Lemke spricht jetzt für die Frakti-

on Bündnis 90/Die Grünen.


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824025000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

beginne mit dem Positiven: Es ist gut, dass mit dieser
Bundesnaturschutzgesetznovelle die Rechtsgrundlage
für die Ausweisung der Meeresschutzgebiete außerhalb
der Zwölfmeilenzone geschaffen wird. Schade ist, dass
das Ganze so lange dauert. Der Hintergrund ist ein Ver-
tragsverletzungsverfahren der EU gegen Deutschland,
weil Deutschland mit der Ausweisung dieser Meeres-
schutzgebiete säumig ist. Aber es ist gut, dass es jetzt
kommt.

Ich möchte mich in einem Punkt dem Lob für den
Änderungsantrag anschließen. Es ist gut, dass die aus
meiner Sicht komplett absurde Idee, den Nutzerressorts
bei der Ausweisung dieser Schutzgebiete ein Vetorecht
einzuräumen, von den Koalitionsfraktionen gestrichen
worden ist. Das wäre im deutschen Naturschutzrecht ein
einmaliger Vorgang gewesen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte in den Dank unbedingt die Umweltverbände
mit einschließen; denn nur auf den Druck der Umwelt-

verbände hin hat die Koalition diesbezüglich gehandelt.
Dieser Punkt in der Novelle ist definitiv positiv.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dass die SPD dafür die zeitliche Zielvorgabe für den
Biotopverbund im Gesetz aufgeben musste, dass die SPD
das für diesen Erfolg an die CDU geopfert hat, haben der
Kollege Göppel und die Kollegin Menz von der Links-
fraktion vor mir bereits ausgeführt; das ist schade. Das ist
der erste schlechte Punkt an der Novelle.

Meine Hauptkritik besteht darin, dass die Novelle an
den real existierenden Problemen des Naturschutzes und
des Artenschutzes komplett vorbeigeht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir bekommen fast im Wochenrhythmus vom Bun-
desumweltministerium und seinen nachgeordneten Be-
hörden neue Berichte und Katastrophenmeldungen über
den Zustand der Natur in Deutschland. Das Artensterben
schreitet in einem so rasanten Tempo voran, dass wir fast
nicht hinterherkommen, diese Berichte überhaupt noch
zu lesen und zu analysieren.

Der jüngste Bericht, der „Agrar-Report zur biologi-
schen Vielfalt“, wurde in dieser Woche von einer nachge-
ordneten Behörde des Bundesumweltministeriums, dem
Bundesamt für Naturschutz, vorgestellt und zieht eine
desaströse Bilanz für den Artenschutz und den Zustand
der Natur vor allem in agrarisch genutzten Gebieten. Es
ist eine Katastrophenbilanz, die dort gezogen wird. Es
ist ein Armutszeugnis für die Naturschutzpolitik dieser
Bundesregierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das kann ich Ihnen – liebe Frau Hendricks, Sie wis-
sen, dass ich Sie persönlich sehr schätze, und Ihr Ressort
ist auch nicht der Verursacher für diese Problematik –
trotzdem nicht ersparen: Sie haben in dieser Legislatur-
periode nicht genug für den Artenschutz und für den Na-
turschutz getan.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Rückgang bei den Vögeln ist so dramatisch, dass
zwei Drittel als gefährdet gelten. Unsere Enkel werden
Vogelarten, die wir für vollkommen normal halten, wie
den Kiebitz oder das Rebhuhn, nicht mehr kennen, wenn
die Politik der Großen Koalition fortgesetzt werden soll-
te. Sie werden sie dann nur noch aus Lehrbüchern ken-
nen. Das Gleiche können wir für Moore und Insekten sa-
gen. Inzwischen sind in einzelnen Regionen 80 Prozent
der Insektenbiomasse verschwunden.

Es ist doch vollkommen klar, dass das Auswirkungen
auf das gesamte Wirtschaftsleben – nicht nur auf die Ag-
rarwirtschaft – in Deutschland haben wird, dass es unser
gesamtes Leben infrage stellt, wenn das Artensterben in
so galoppierender Weise weiter voranschreitet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Weil die Novelle all diese Aspekte in keiner Weise
aufgreift – die gesamte Agrarproblematik bleibt dort au-

Josef Göppel






(A) (C)



(B) (D)


ßen vor –, geht sie an den real existierenden Problemen
vorbei.

Sie haben mit einer anderen Novelle vor wenigen Wo-
chen hier im Haus, die das Baugesetzbuch betraf, beim
Ziel, den Flächenfraß in Deutschland zu stoppen, noch
eins oben draufgesetzt. Das zeigt, dass die Prioritätenset-
zung in Ihrem Ministerium sehr stark auf den Bereich
Bauen und nicht auf den Bereich Naturschutz oder Um-
weltschutz ausgerichtet war.

Von daher ist Ihre Naturschutzbilanz und Ihre Arten-
schutzbilanz, Frau Hendricks, negativ. Sie ist eine Kata-
strophe angesichts dessen, was wir jede Woche neu lesen
müssen, angesichts dessen, was wir zu verlieren drohen:
die wunderbare Natur, die Naturlandschaften, die wir alle
noch kennen und in die wir gehen, um uns zu erholen.
Diese würden wir verlieren, wenn Sie mit Ihrer Politik
fortfahren würden. Das ist am 24. September bei der
Bundestagswahl änderbar; daran werden wir arbeiten.

Herr Präsident, wenn ich noch einen Satz sagen darf:
Herr Göppel, ich möchte Ihnen für Ihre Rede und für Ihre
Arbeit im Ausschuss persönlich sehr danken. Sie werden
dem nächsten Hohen Haus sehr fehlen, Sie werden Ihrer
Fraktion sehr fehlen. Aber ich hoffe, dass Sie dem Natur-
schutz erhalten bleiben, an anderen Stellen, an denen Sie
in Zukunft wirken werden. Ich würde mich freuen, wenn
wir uns in diesem Zusammenhang wiedersähen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1824025100

Herr Kollege Göppel wird noch eine weitere Rede in

der nächsten Sitzungswoche halten. Sonst hätten wir alle
natürlich schon die passenden Worte gefunden. – Vielen
Dank aber.

Zum Ende der Aussprache hat der Kollege Carsten
Träger für die Fraktion der SPD das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Carsten Träger (SPD):
Rede ID: ID1824025200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Was würden Sie sagen: Wer soll in der Regie-
rung für Naturschutzgebiete zuständig sein?


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Ich! – Heiterkeit)


Wahrscheinlich sagen Sie jetzt: das Ministerium für
Umwelt und Naturschutz. – Genau. So sehen wir das
auch, und deshalb beschließen wir das heute auch so.
Wahrscheinlich werden Sie jetzt fragen: Ja, und das soll
eine tolle Leistung sein? – Und ich sage Ihnen: Ja, das ist
eine tolle Leistung des Parlaments und in diesem Fall der
SPD-Fraktion;


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


denn zwischenzeitlich sah der Regierungsentwurf näm-
lich vor, dass das Verkehrsministerium, das für Fischerei
zuständige Ministerium, das Wirtschaftsministerium und

das Forschungsministerium ein Quasivetorecht erhalten
sollten, ausgerechnet also diejenigen Ministerien, die in
den Meeresschutzgebieten ganz andere Interessen als
den Schutz von Natur und Arten haben.

Wenn nach einem einstimmigen Kabinettsbeschluss
praktisch jede und jeder vom Gegenteil des Beschlus-
ses überzeugt werden muss, dann ist das eben doch ein
schweres Stück politischer Arbeit, und deshalb ist es jetzt
ein großer Erfolg.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. MarieLuise Dött [CDU/CSU])


Namentlich geht es um den § 57 der Novelle, der die
Ausweisung der Meeresschutzgebiete betrifft. Es ist
schon angesprochen worden: Alle Naturschutzverbände
haben völlig zu Recht Alarm geschlagen. Sie befürchte-
ten, dass dringend notwendige Schutzmaßnahmen un-
möglich werden, und sie befürchteten, dass wir einen
Präzedenzfall für andere Umweltbelange schaffen, wenn
die Nutzer gleichberechtigt mit den Naturschützern ver-
handeln – wohlgemerkt in Bezug auf Naturschutzgebiete.

Auch der Bundesrat und die Experten in der Aus-
schussanhörung haben ganz klar zum Ausdruck gebracht,
was sie von dem Vorschlag des Einvernehmens halten:
nämlich nichts. Denn selbstverständlich werden ja be-
reits heute die Belange der betroffenen Ressorts berück-
sichtigt, aber dies eben durch die bestehende Formulie-
rung einer Beteiligung, und sie ist längst gute politische
Praxis.

Deshalb ist es ein Gebot der Vernunft und Ausdruck
der Klugheit des Parlaments, die uns ja gelegentlich ab-
gesprochen wird, dass wir eben nicht abnicken, sondern
dass wir diesen Änderungsvorschlag zurückweisen und
bei der guten alten Regelung bleiben. Ich freue mich
sehr, dass wir und dass du, Josef, unseren Koalitionspart-
ner überzeugt haben. Nach meinem Empfinden haben
wir das ganz gut gemacht.


(Beifall bei der SPD)


Wenn uns sogar Steffi Lemke dafür lobt, dann will das ja
wahrlich etwas heißen.

Ich möchte noch zwei andere Punkte loben.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich hoffe, du hast die Kritik auch zur Kenntnis genommen!)


– Ja. Das habe ich aber jetzt, weil du vor mir gesprochen
hast, herausgenommen; sonst hätte ich es noch erwähnt.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind dem Wunsch der Naturparke nachgekom-
men. Die Novelle schreibt jetzt den gesetzlichen Auf-
trag für die Naturparke fest – Bildung für nachhaltige
Entwicklung –, und wir stellen Höhlen und naturnahe
Stollen als Lebensraum für Fledermausarten und andere
schützenswerte Arten unter Schutz. Auch das sind gute
Punkte.

Steffi Lemke






(A) (C)



(B) (D)


Trotzdem ist es aber richtig: Es gibt noch viel zu tun
im Naturschutz. Ich hoffe sehr, dass wir auch nach der
Wahl eine Mehrheit dafür haben werden.

Wie es nicht kommen darf, zeigt uns der Koalitions-
vertrag von NRW. Ich darf einen Satz daraus zitieren, aus
dem Kapitel „Naturschutz“ wohlgemerkt:

Um den weiteren Verlust biologischer Vielfalt zu
stoppen, wollen wir auf eine bessere Ursachener-
mittlung statt Beschränkungen ... setzen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Hinzu kommt eine Rolle rückwärts im Bereich der
erneuerbaren Energien durch überdimensionierte Ab-
standsregelungen bei der Windkraft. Dieser Koalitions-
vertrag sollte uns eine Lehre sein. Er zeigt, warum es eine
Neuauflage von Schwarz-Gelb nicht geben darf; aber las-
sen wir uns durch NRW nicht die Petersilie verhageln.
Heute ist ein guter Tag für den Meeresschutz. Arbeiten
wir daran, dass es noch viele weitere gute Tage geben
wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1824025300

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än-
derung des Bundesnaturschutzgesetzes. Der Ausschuss
für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12845, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/11939 in der Ausschussfassung an-
zunehmen. Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/
Die Grünen angenommen.

Wir kommen jetzt zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine. Der
Gesetzentwurf ist mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und von
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge.

Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der
Drucksache 18/12852. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke? – Wer stimmt dage-
gen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der
Fraktionen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt.

Wir kommen jetzt zum Entschließungsantrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12853.
Wer für diesen Entschließungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen stimmt, den bitte ich um ein Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Kei-
ne. Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Roland Claus,
Stefan Liebich, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz

Drucksachen 18/8130, 18/12620

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Da-
gegen erhebt sich keinerlei Widerspruch. Daraus schließe
ich, dass Sie alle damit einverstanden sind.1)

Deshalb kommen wir auch unmittelbar zur Abstim-
mung.

Es liegt mir eine Erklärung nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung vor.2)

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Re-
aktorsicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/12620, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/8130 abzulehnen. Wer für diese
Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte
ich um ein Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Darf
ich noch einmal nachfragen: War das bei der Fraktion
Die Linke ein unterschiedliches Stimmverhalten?


(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Ja! Ich stimme mit der CDU!)


– Sie haben dafürgestimmt. Gut. – Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD sowie mit den Stimmen der Fraktion von Bünd-
nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke, bei einer Ausnahme.


(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Einer einzigen!)


Damit können wir diesen Tagesordnungspunkt verlassen.

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 17:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit
in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung
der Kommunikationshilfen für Menschen
mit Sprach- und Hörbehinderungen

(Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren – EMöGG)


Drucksache 18/10144

1) Anlage 5
2) Anlage 6

Carsten Träger






(A) (C)



(B) (D)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/12591

Diese Reden sollen ebenfalls zu Protokoll gegeben
werden. – Ich sehe allgemeines Einverständnis dazu.1)

Deshalb kommen wir sofort zur Abstimmung. Der
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12591,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Druck-
sache 18/10144 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte jetzt diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Keine.
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen des gesamten Hauses angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Auch keine.
Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des ge-
samten Hohen Hauses angenommen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
nen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Sicherung der tarif-
vertraglichen Sozialkassenverfahren und zur
Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes

Drucksache 18/12510

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


Drucksache 18/12827

Auch diese Reden sollen zu Protokoll gegeben wer-
den. – Ich sehe auch dazu ausschließlich Einverständnis.2)

Deshalb kommen wir unmittelbar zur Abstimmung.

Auch dazu liegen mir zwei Erklärungen nach § 31 un-
serer Geschäftsordnung vor.3)

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 18/12827,
den Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU und
SPD auf der Drucksache 18/12510 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Enthal-
tungen? – Keine. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit allen Stimmen des Hohen Hauses ange-
nommen.

Wir kommen jetzt zur

dritten Beratung

1) Anlage 7
2) Anlage 8
3) Anlage 9

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Gibt es Gegenstimmen? – Das ist nicht der Fall. – Ent-
haltungen gibt es auch nicht. Der Gesetzentwurf ist damit
mit allen Stimmen des Hohen Hauses angenommen.

Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 21, den ich
hiermit aufrufe:

Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern

Drucksache 18/12780

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Widerspruch
dagegen sehe ich keinen. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner ertei-
le ich dem Kollegen Eckhard Pols für die Fraktion der
CDU/CSU das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Eckhard Pols (CDU):
Rede ID: ID1824025400

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Hilfe für Kinder mit psychisch erkrank-
ten Eltern begleitet mich schon einige Jahre. Durch Ge-
spräche zum Thema Kindergesundheit – auch mit dem
Chefarzt der Kinder- und Jugendabteilung der Psychia-
trischen Klinik in Lüneburg, Dr. Naumann – bin ich auf
dieses Thema aufmerksam geworden.

Dass etwas passieren muss, kann bei geschätzt 3 bis
4 Millionen betroffenen Kindern mit einem vorüberge-
hend oder dauerhaft psychisch erkrankten Elternteil nie-
mand bezweifeln. Viele Familien finden geeignete Wege,
mit der Belastung umzugehen und negative Folgen für
ihre Kinder zu vermeiden. Klar ist auch, dass nicht jede
psychische Störung eines Elternteils zwangsläufig zu ei-
ner eingeschränkten Erziehungskompetenz führt. Häufig
genug erfahren Kinder und Jugendliche aus betroffenen
Familien jedoch unzureichende Unterstützung und Für-
sorge oder leiden unter den Auswirkungen elterlichen
Verhaltens, was sich negativ auf ihre Entwicklung aus-
wirken kann.

Statistiken besagen, dass Kinder und Jugendliche von
psychisch kranken Eltern ein drei- bis vierfaches Risi-
ko haben, selber psychisch zu erkranken. Bei einer Ex-
pertenanhörung der Kinderkommission des Deutschen
Bundestages im Jahre 2013 wurde als Ursache für dieses
erhöhte Risiko ein Zusammenspiel aus sozialen Kom-
ponenten, besonders schwierigen Lebens- und Entwick-
lungsbedingungen sowie genetischen Faktoren genannt.
Eine besondere Belastung für Kinder und Jugendliche
entsteht durch die Tabuisierung psychischer Erkrankun-
gen der Eltern durch die Familien, was Isolation und
Ausgrenzung der Kinder zur Folge haben kann. Hinzu
kommen häufig finanzielle Probleme, wenig soziale Un-
terstützung, Desorientierung, sozialer Rückzug, Ängste
und Schuldgefühle. Es stellt sich also die Frage, was wir
tun können, um Kindern in dieser Situation zu helfen.

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


Wie so häufig sind auch hier Prävention und das frü-
he Bereitstellen von Hilfen Schlüssel zum Erfolg. Kin-
der haben weitaus bessere Chancen als Erwachsene, ein
normales Leben zu führen, wenn sie frühzeitig Unter-
stützung erhalten. Gleichzeitig dürften sich die Kosten
für die Gesellschaft und für unser Gesundheitssystem
verringern. Hierbei spielen kommunale Angebote wie
lokale Initiativen und ehrenamtliches Engagement eine
wichtige Rolle.

Wir als Bund sind aufgefordert, in unserem Aufgaben-
bereich die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaf-
fen. Der Hilfebedarf betroffener Kinder und Jugendli-
cher umfasst ein breites Spektrum von niederschwelliger
punktueller Unterstützung bis hin zur Intervention im
Falle einer drohenden Kindeswohlgefährdung. Ein früh-
zeitiges Erreichen der Familien zu Beginn der Behand-
lung der Eltern und die Identifikation der spezifischen
familiären Belastung sind hier unerlässlich. Hierdurch
kann die Entwicklung der Kinder gezielt gefördert und
ihre psychische Widerstandsfähigkeit gestärkt werden,
und das ist unerlässlich für das Kindeswohl.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Familien mit psychisch kranken Eltern benötigen
häufig Hilfen, die auf verschiedenen landesrechtlichen
Vorschriften und verschiedenen Sozialgesetzbüchern be-
ruhen. Wie so oft hapert es auch hier an den Schnittstel-
len der Problematiken und an nicht immer eindeutigen
Zuständigkeiten. Die Kooperation und die Koordination
der unterschiedlichen Hilfsangebote und Leistungser-
bringer für Kinder und Erwachsene spielen eine zentrale
Rolle. Aufgrund ihrer Krankheitsbilder sind die Betroffe-
nen oft nicht in der Lage, alle verfügbaren Informationen
und Hilfeleistungen selbst anzufordern und für sich in
Anspruch zu nehmen. Aufsuchende Hilfen sind hier die
naheliegende Lösung. Es ist nun endlich Zeit, Ansätze
auszuarbeiten, um eine optimale interdisziplinäre Versor-
gung der betroffenen Familien zu gewährleisten.

An dieser Stelle möchte ich euch, liebe Ulrike Bahr
und liebe Beate Walter-Rosenheimer, einmal ausdrück-
lich Danke sagen. Ich finde es großartig, dass wir hier
interfraktionell einen breiten Konsens gefunden haben
und diesen Antrag auf den Weg bringen. Auch dir, lie-
ber Paul Lehrieder, sage ich als Ausschussvorsitzendem
herzlichen Dank, dass du uns dabei unterstützt hast.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Du hast großen persönlichen Einsatz gezeigt und dich
für dieses Thema starkgemacht, sodass wir endlich etwas
in die Hand bekommen, um den Betroffenen helfen zu
können.

Ziel ist es, diesen Kindern zu helfen und klarzustel-
len, an welchen Stellen Handlungsbedarf besteht. Wir
wollen deshalb die Einrichtung einer zeitlich befristeten
interdisziplinären Arbeitsgruppe unter Beteiligung der
zuständigen Bundesministerien, des Bundesfamilienmi-
nisteriums, des Bundessozialministeriums und des Bun-
desgesundheitsministeriums, beschließen, die genau das
leisten wird. Diese Arbeitsgruppe soll zu fünf Untersu-

chungsschwerpunkten berichten. Da meine Redezeit ab-
läuft, überlasse ich es Paul, etwas dazu zu sagen.

Ich glaube, dass wir heute einen großen Schritt ma-
chen, um die Situation der Betroffenen zu verbessern,
und hoffe, dass der breite Konsens zur Erreichung dieser
Verbesserung über diese Legislaturperiode hinaus auch
in der kommenden Legislaturperiode Bestand hat.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1824025500

Die Kollegin Birgit Wöllert spricht jetzt für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Birgit Wöllert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824025600

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Werte Gäste, die Sie es zu dieser späten Stunde hier
noch aushalten!


(Dagmar Ziegler [SPD]: Es ist doch schön hier!)


Aber das Thema ist ja auch wichtig.

Lange, viel zu lange wurde darüber diskutiert, wie
Kinder psychisch kranker Eltern vor eigenen psychischen
Erkrankungen bewahrt werden können und wie man ih-
nen gute Entwicklungschancen ermöglicht. Statt der von
der Kinderkommission geforderten Expertenkommission
wird in dem uns nun vorliegenden Antrag eine interdis-
ziplinäre Arbeitsgruppe gefordert. Dieser Arbeitsgrup-
pe sollen konkrete Arbeitsaufgaben übertragen werden.
Über deren Ergebnisse soll dann im Juli 2018 dem Bun-
destag berichtet werden. Auch gegen die geforderten
Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen ist natürlich nichts
einzuwenden. Die aufgeführten Professionen sollten un-
serer Meinung nach allerdings um Fachkräfte der Kin-
der- und Jugendsozialarbeit ergänzt werden; diese fehlen
bei Ihnen nämlich.


(Beifall bei der LINKEN)


All dem können wir in der Hoffnung zustimmen, dass
dies wenigstens ein Anfang ist.

In den letzten Jahren ist die Zahl der psychisch Er-
krankten laut Statistiken der gesetzlichen Kranken-
versicherung ständig gestiegen. Gleichzeitig ist unser
vielfach strukturiertes Gesundheits- und Sozialsystem
immer komplizierter geworden. Daraus resultiert, dass es
schwer ist, die richtigen Hilfs- und Unterstützungsange-
bote zu finden und miteinander zu vernetzen.

In der Antwort auf die Kleine Anfrage meiner Frakti-
on zu diesem Thema konnte die Bundesregierung zwar
keine genauen Zahlen zu betroffenen Kindern und Ju-
gendlichen nennen. Fallzahlen, die auf Hochrechnungen
beruhen, gehen aber von 3,8 Millionen betroffenen Kin-
dern und Jugendlichen aus; davon sind etwa 15 Prozent
Kinder unter drei Jahren. Ebenfalls in der Antwort auf

Eckhard Pols






(A) (C)



(B) (D)


unsere Kleine Anfrage wurde uns mitgeteilt – das hatte
der Kollege Pols schon genannt –, dass gesichert ist, dass
Kinder psychisch erkrankter Eltern ein erhöhtes geneti-
sches wie auch ein vor allem aus sozialen Komponenten
abzuleitendes Krankheitsrisiko haben.

Unter diesem Aspekt gesehen, ist der Hinweis im An-
trag völlig richtig, dass diese Kinder und Jugendlichen
ein unterstützendes soziales Umfeld brauchen, das von
alltagspraktischer bis zu ärztlicher und psychotherapeu-
tischer Behandlung reicht. Hier ist zu ergänzen, dass
Gesundheitsvorsorge und Prävention noch dazukommen
müssen; denn wenn eine Behandlung notwendig sein
sollte, ist das Kind schon in den Brunnen gefallen. Gera-
de das soll ja verhindert werden.

Hier bin ich bei dem Punkt, den ich aus gesundheits-
politischer Sicht als zu kurz gekommen betrachte. Auf
unsere Frage nach bundesrechtlich geregelten Leistun-
gen mit Rechtsanspruch verweist die Bundesregierung
auf Leistungen der Kinderrehabilitation, die von der
Deutschen Rentenversicherung erbracht werden. Die-
se Rehamaßnahmen richten sich aber ausschließlich an
Kinder und Jugendliche, die selbst an einer schweren
chronischen Krankheit leiden. Eine psychosoziale Be-
lastungssituation durch die Erkrankung der Eltern reicht
eben gerade nicht aus, um eine Rehaleistung in Anspruch
zu nehmen. Genau das muss geändert werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Laut der Antwort auf meine schriftliche Frage an die
Bundesregierung sinkt die Zahl der gewährten Reha-
leistungen insgesamt seit 2007 konstant. Das heißt also:
Weil auch gesundheitsgefährdete Kinder Anspruch auf
eine Reha haben, müsste es laut Aussagen der Deutschen
Rentenversicherung schon jetzt möglich sein, diese Kin-
der mit einzubeziehen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Auf die Frage, wie die Bundesregierung die Wirksam-
keit präventiver Angebote für Kinder psychisch kranker
Eltern einschätzt, wurden wir auf Projekte wie STEEP
und die Entwicklungspsychologische Beratung hinge-
wiesen. Diese Projekte waren aber gerade nicht für die
betroffenen Kinder konzipiert, von denen wir hier reden.
Was noch schlimmer ist: Die Projekte sind ausgelaufen;
sie wurden nicht kontinuierlich fortgeführt. Sie gehörten
zu den Frühen Hilfen – es war also nur der Bereich der
Kinder bis zu drei Jahren abgedeckt –, und jetzt ist davon
zum größten Teil nichts mehr da.

Die angesprochenen Hilfen zur Erziehung sind rich-
tig. Aber auch hier ist ein Antrag durch die Eltern Voraus-
setzung; denn Hilfen zur Erziehung werden auf Antrag
gewährt.

Wir bedauern sehr, dass das ideologische Dogma der
CDU/CSU-Fraktion verhindert hat, die bisherige ge-
meinsame sachorientierte Arbeit auch zu einem gemein-
samen Antrag aller Fraktionen zu führen. Lassen Sie sich
einmal vom Kollegen Irlstorfer berichten, wie peinlich
solche Dogmen werden können.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1824025700

Frau Kollegin Wöllert, denken Sie an Ihre Redezeit.


Birgit Wöllert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824025800

Das haben wir in der letzten Gesundheitsausschusssit-

zung erlebt, als Ihre Kollegen vor Schreck den eigenen
Antrag ablehnten, weil wir ihm zustimmten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1824025900

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Bahr für die

Fraktion der SPD.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulrike Bahr (SPD):
Rede ID: ID1824026000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und

Kolleginnen! Heute machen wir einen Schritt hin zu Lö-
sungen für eine völlig unterversorgte Personengruppe.
Seit ich im Deutschen Bundestag wirken darf, begleitet
mich dieses Thema, und ich bin sehr froh, dass wir die-
sen Schritt jetzt endlich gehen, und zwar gemeinsam mit
einem interfraktionellen Antrag.

Ich möchte Ihnen mit einem Beispiel illustrieren, was
es für die ganze Familie bedeutet, wenn ein Elternteil
psychisch erkrankt, und wie schwierig es ist, abgestimm-
te Hilfen zu bieten, obwohl viele Menschen mitbekom-
men, dass in der Familie etwas nicht rundläuft. Aber es
hat eben niemand eine Gesamtverantwortung oder auch
bloß die Autorität, eine Gesamtversorgung mit unter-
schiedlichen Hilfen zu steuern.

Frau Mayer, wie wir sie einmal nennen wollen, lebt in
Augsburg. Sie ist in einem Altenheim in Teilzeit beschäf-
tigt und mit einem Polizisten verheiratet, der im Schicht-
dienst arbeitet und sich außerdem mit viel Sport fit halten
muss. Schon immer hat die Mutter die Verantwortung für
die Kinder ganz überwiegend übernommen. Die Großel-
tern wohnen weit entfernt und können nicht einspringen.

Seit zwei Jahren hat Frau Mayer immer mal wieder
psychische Krisen mit akuter Angst und Wahnideen, die
in Schüben verlaufen. Der Sozialpsychiatrische Dienst
hatte sie phasenweise betreut. Die Schwangerschaft mit
ihrem dritten Kind war für Frau Mayer problematisch.
Sie entwickelte starke Ängste, die zwar ihrer Frauenärz-
tin und dem Hausarzt auffielen, die beide aber nicht wei-
ter zum Thema machten. Während akuter Krisen geht
Frau Mayer nicht aus dem Haus, auch nicht zum Ein-
kaufen. Das müssen während dieser Phasen ihr Ehemann
oder die älteste Tochter, elf Jahre alt, erledigen.

Seit der Geburt ihres dritten Kindes vor vier Monaten
schafft sie die Grundversorgung der Familie zunehmend
nicht mehr. Sie verwahrlost nach außen, schämt sich sehr
und ist überzeugt davon, keine gute Mutter mehr zu sein.
Das prägt ihr Verhalten den Kindern gegenüber, das von
hoher Sprunghaftigkeit und emotionaler Instabilität ge-
kennzeichnet ist. Zunehmend werden die Kinder auch
ein Bestandteil ihrer Ängste. Das führt dazu, dass sie die
Kinder möglichst bei sich in der Wohnung haben möchte.

Birgit Wöllert






(A) (C)



(B) (D)


Sie ist aber nicht in der Lage, sich länger mit ihnen zu
beschäftigen.

Die Kinder zeigen alle auf ihre Art, dass sie unter der
Situation leiden. Der Nachbarin ist aufgefallen, dass das
vier Monate alte Baby sehr viel weint. Sie hat aus Sorge
um das Kind das Jugendamt angerufen. Die Mutter hat
die letzte vorgesehene Untersuchung des Babys beim
Kinderarzt versäumt.

Ihr mittleres Kind, ein sechsjähriger Junge, steht kurz
vor dem Übergang vom Kindergarten in die Grundschu-
le. Er hat wieder angefangen, nachts einzunässen, träumt
schlecht und wacht manchmal schreiend auf. In den Kin-
dergarten kommt er oft ohne Frühstücksbrot und fällt den
Erzieherinnen manchmal durch unpassende Kleidung
auf. Er ist ein sehr unauffälliges und ängstliches Kind,
zieht sich immer mehr zurück und hat keine Freunde. Im
Kindergarten bekommt er zusätzliche Sprachförderung.

Die große Schwester besucht die Realschule. Sie ist
eine gute Schülerin, jedoch insgesamt sehr zurückhal-
tend. Es fällt auf, dass sie sehr umsichtig ist, dabei aber
kaum eigene Bedürfnisse anmeldet oder durchsetzt. Mit-
tags nach der Schule geht sie direkt nach Hause. Manch-
mal geht sie alleine einkaufen. Der Bruder erzählt, dass
seine Schwester das Essen macht, wenn Mama wieder
komisch ist. Die wenigen Freunde der Familie haben sich
zurückgezogen und machen sich aus der Ferne Sorgen.

Das Beispiel zeigt: Die schwierige Lage der Familie
ist eigentlich vielen bekannt. Der Sozialpsychiatrische
Dienst hatte schon Kontakt. Der Hausarzt und die Frau-
enärztin haben die Probleme zumindest im Ansatz gese-
hen; die Hebamme und der Kinderarzt sehen sie auch.
In der Kita, der Schule und auch beim Jugendamt liegen
Informationen vor. Aber niemand handelt; denn es gibt
keine geregelte und vor allem finanzierte Netzwerkarbeit
der jeweiligen Systemvertreter. Die Akteure aus dem Ge-
sundheits- und Jugendhilfebereich, aus den Betreuungs-
und Bildungseinrichtungen brauchen einen rechtlichen
und finanziellen Rahmen für die Möglichkeit einer an-
onymisierten Fallbesprechung. Bei Familie Mayer – wie
auch bei vielen anderen ähnlich gelagerten Fällen – sind
zwar zeitgleich mehrere Unterstützersysteme und Fach-
kräfte aktiv, aber sie wissen nichts voneinander und neh-
men nur ihre eigene Fachlichkeit wahr.

Familien mit einem psychisch kranken Elternteil, des-
sen Erkrankung vielleicht in Schüben verläuft, bedürfen
einer flexiblen Unterstützung, die sich mal an die kranke
Mutter, mal an die Kinder und dann wiederum an alle
richtet. Je nach dem aktuellen Bedarf der jeweiligen Fa-
milienmitglieder ist mal das eine Unterstützersystem,
dann wieder ein anderes stärker im Einsatz und damit
federführend.

Mit unserem Antrag wollen wir jetzt eine Grundlage
für eine verbindliche und verpflichtende Kooperation
der verschiedenen Leistungsträger schaffen. Eine Ar-
beitsgruppe aus Fachleuten, begleitet von den beiden zu-
ständigen Ministerien, wird die Schnittstellen zwischen
den Sozialgesetzbüchern identifizieren, Vorschläge zur
Vernetzung erarbeiten und Regelungslücken ermitteln,
damit es nicht mehr vom Wohnort und von Modellpro-
jekten vor Ort abhängt, ob die Kinder der Familie Mayer

frühzeitig die nötige Hilfe bekommen. Aufgabe für die
nächste Wahlperiode wird es dann sein, auf der Grundla-
ge der Ergebnisse dieser Arbeitsgruppe ein Rahmenkon-
zept für die Gestaltung von komplexen, mischfinanzier-
ten Hilfen für Familien mit psychisch kranken Eltern zu
entwickeln.

Diese Probleme – das möchte ich noch einmal beto-
nen – sind keine Nischenprobleme. Psychische Erkran-
kungen sind nicht selten. Mehr als 3 Millionen Kinder
sind zumindest vorübergehend betroffen. Für sehr sinn-
voll halte ich es deshalb auch, über psychische Erkran-
kungen mehr und breiter aufzuklären. Zu wenig Wissen
über Krankheitsanzeichen und -verläufe auf der einen
Seite, Tabus und Scham auf der anderen schaffen ein Kli-
ma, das es den Kindern fast unmöglich macht, sich Er-
ziehern oder Lehrern, Freunden oder Nachbarn zu offen-
baren. Für Kinder ist es nicht einfach, wenn die geliebten
Eltern plötzlich seltsam, komisch oder beängstigend wir-
ken. Noch schlimmer ist es aber, wenn daraus ein Fami-
liengeheimnis gemacht werden soll, wenn weitere Ver-
trauenspersonen mit Unverständnis reagieren, wenn die
Kinder vielleicht wegen ihrer komischen Eltern gemobbt
oder gemieden werden.

Hier hilft nur ein dreistufiges Vorgehen, wie im Antrag
beschrieben, nämlich erstens allgemein der Stigmatisie-
rung psychisch Erkrankter entgegenzuwirken, zweitens
alle Fachleute, die mit Kindern oder Eltern arbeiten, ent-
sprechend fortzubilden und drittens, kindgerechte Mate-
rialien für die betroffenen Kinder selbst in die Breite zu
tragen. Der Dachverband Gemeindepsychiatrie zum Bei-
spiel hat dazu schon sehr gute Materialien bereitgestellt.

In der Umsetzung des vorliegenden Antrags freue ich
mich auf eine engagierte Aufklärungsarbeit und auf die
Vorschläge der Arbeitsgruppe zur besseren Kooperation
der Hilfesysteme, die wir dann im nächsten Jahr im neu-
en Bundestag beraten werden.

Ich möchte es nicht versäumen, besonders dem Bun-
desverband für Erziehungshilfe, AFET, und dem Dach-
verband Gemeindepsychiatrie für ihre jahrelange be-
harrliche Begleitung und Lobbyarbeit ganz herzlich zu
danken; denn wir alle wissen seit Max Weber: Politik ist
das starke und langsame Bohren dicker Bretter mit Lei-
denschaft und Augenmaß.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1824026100

Nächste Rednerin ist die Kollegin Beate Walter-

Rosenheimer für Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf
den Tribünen! Erlauben Sie mir zunächst eine persönli-
che Bemerkung: Mir fällt heute Abend wirklich ein Stein
vom Herzen. Endlich haben wir diese wichtige Abstim-

Ulrike Bahr






(A) (C)



(B) (D)


mung über unseren interfraktionellen Antrag. Wir alle
wissen, was für ein Prozess und was für ein langer Weg
das war und dass es keine ganz einfache Geburt war, den
Antrag noch in dieser Legislatur auf den Weg zu bringen.

Für mich als klinische Psychologin, als Mutter von
fünf Kindern und auch als Politikerin ist dieses Thema
eine Herzensangelegenheit. Ich habe bereits 2013 als
Vorsitzende der Kinderkommission das Thema bearbei-
tet, und wir haben damals eine Stellungnahme dazu vor-
gelegt, die sehr klar auf diesen dringenden Handlungs-
bedarf hingewiesen hat; du wirst dich erinnern, Eckhard.
Sie alle wissen, dass es dann einen Antrag der Grünen
gab, den wir im Dezember 2015 verabschiedet haben,
und dass dann auf unsere Initiative hin Bewegung in die
Sache kam. Ich bin sehr froh, dass wir in dieser Sache
Verbündete gefunden haben und dieser gemeinsame An-
trag möglich war. – Sie können gerne klatschen; denn es
ist wirklich toll, dass wir das geschafft haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mein Dank geht an Sie, Herr Lehrieder, weil Sie ein
wirklich äußerst engagierter und verlässlicher Mitstrei-
ter an meiner Seite waren. Ihre Arbeit war sehr von Ih-
rem persönlichen Engagement geprägt, das man immer
merken konnte. Mein Dank geht auch an Sie, liebe Frau
Bahr, für die tolle Zusammenarbeit und natürlich an dich,
Eckhard Pols, als Berichterstatter. Wir sind auch Kolle-
gen in der Kinderkommission. Dank auch an meine Kol-
legin Maria Klein-Schmeink, die uns von der gesundheit-
lichen Seite her unterstützt hat. Nicht zuletzt bedanke ich
mich bei meiner Mitarbeiterin Julia Frederking, die oben
zuhört und ohne die es nicht geklappt hätte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Mein Dank geht an dieser Stelle auch an die Verbände,
die uns sehr unterstützt haben, sehr viel fachlichen Input
geleistet und dazu beigetragen haben, dass sich etwas be-
wegt und wir einen wirklich fundierten Antrag vorlegen
können.

Ein wichtiges Etappenziel ist damit erreicht. Die Ex-
pertenkommission, die eine Kernforderung dieses An-
trags ist, wird daran arbeiten und uns in einem Jahr – das
halte ich für eine tolle Sache – ganz klar den politischen
Handlungsbedarf aufzeigen. Wir haben dann also einen
Rahmen, um die Situation der betroffenen Kinder und
deren Familien wirklich grundsätzlich zu verbessern.

Diese Kinder und ihre speziellen Bedürfnisse stan-
den bisher viel zu wenig im Fokus. Frau Bahr, Sie ha-
ben ein Beispiel gebracht, anhand dessen man sehr gut
verstanden hat, dass die Kinder Aufgaben übernehmen
müssen, denen sie eigentlich noch gar nicht gewachsen
sind. Sie haben geschildert, wie das normale Kinderleben
aus den Fugen gerät und dass sie eigentlich niemanden
haben, dem sie ihren Kummer und ihre Nöte anvertrau-
en können. Diese Situation wollen wir verbessern; daran
arbeiten wir. Sie haben auch erwähnt, dass diese Kinder
ein drei- bis vierfach höheres Risiko haben, später selber
psychisch zu erkranken. Es sind 3 bis 4 Millionen Kinder

in Deutschland, über die wir sprechen. Wir sprechen also
über eine ziemlich große Gruppe. Diese Kinder brauchen
unsere Unterstützung ganz besonders. Sie brauchen ein
starkes soziales Umfeld und fachlich qualifizierte Hilfe
und sind auf Versorgung angewiesen. Bisher ist leider
wenig an die Kinder gedacht worden, wenn sich die El-
tern in Behandlung begeben haben.

Die Expertenkommission, die wir einsetzen, soll nun
Lösungsansätze aufzeigen, um künftig eine optimale in-
terdisziplinäre Versorgung betroffener Familien zu ge-
währleisten und diese Kinder flächendeckend zu unter-
stützen. Die Situation ist sehr komplex. Es sind sehr viele
Probleme zu berücksichtigen, die man nicht so schnell
lösen kann. Einfache Antworten sind hier fehl am Platz.
Deshalb machen wir uns für die Einsetzung dieser Grup-
pe stark. Ich sage ganz klar: Diese Expertenkommission
ist keine Minimalforderung, wie ich lesen musste, und
auch keine Kompromisslösung. Wer das sagt, hat die Sa-
che nicht verstanden. Sie ist nämlich der Kern dessen,
was auch die Verbände sich gewünscht haben. Wenn sie
gut besetzt ist, wird sie auch sehr kraftvoll sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich sage auch ganz klar: Sobald in einem Jahr der Be-
richt auf dem Tisch liegt, heißt es für uns Politikerinnen
und Politiker, die Ärmel hochzukrempeln und an die Ar-
beit zu gehen; denn mein Ziel ist es – ich glaube, das
teilen auch Sie –, sobald wie möglich den betroffenen
Kindern wirkliche und wirkungsvolle Unterstützung zu
gewährleisten. Lassen Sie uns das als Ziel für die nächste
Wahlperiode schon jetzt festhalten und auf die Agenda
setzen, damit in Zukunft keines dieser Kinder mit seiner
Überforderung alleingelassen wird.

Danke für die Arbeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Birgit Wöllert [DIE LINKE])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1824026200

Zum Abschluss dieser Aussprache hat für die Unions-

fraktion der Kollege Paul Lehrieder das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1824026300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie-

be Kollegen! Damit mir am Ende meiner Redezeit die
Zeit nicht zu knapp wird, will ich gleich mit dem Dank
beginnen. Ich darf mich an dieser Stelle ebenfalls sehr
herzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen bedanken,
die wohlmeinend an diesem Antrag mitgeschrieben ha-
ben. Ich darf mich auch beim Gesundheitsministerium,
besonders bei Annette Widmann-Mauz, und beim Fami-
lienministerium bedanken. Liebe Elke Ferner, dass wir
das noch zum Ende der Amtszeit der Staatssekretärin
Ferner auf den Weg bringen können, finde ich gut. Später
können Sie aus dem Saarland nach Berlin schauen und
sagen: Da haben wir doch etwas Gutes hinbekommen.
Darauf können wir einen Sekt trinken.

Beate Walter-Rosenheimer






(A) (C)



(B) (D)


Natürlich auch herzlichen Dank an Sie, Frau Kolle-
gin Bahr, und an Sie, Frau Kollegin Walter-Rosenheimer,
und an Eckhard Pols. Wir haben es gemeinsam geschafft.
Das ist kein Erfolg eines Einzelnen, sondern wir haben
das gemeinsam auf den Weg gebracht. Vor dreieinhalb
Jahren haben wir bereits in der Kinderkommission eine
Anhörung dazu gemacht, und wir haben im Ausschuss
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vor fast drei
Jahren eine Anhörung durchgeführt. Ich bin stolz, dass
sich um diese Zeit – es ist immerhin kurz vor 23 Uhr –
im Plenum zumindest von unserer Truppe die komplette
Arbeitsgruppe „Familie, Senioren, Frauen und Jugend“
diesem Thema stellt. Herzlichen Dank dafür!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Beate WalterRosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Das gilt natürlich auch für euch. Ich kann jetzt nicht
beurteilen, ob ihr vollzählig seid.


(Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir sind halt weniger!)


Aber ich unterstelle einmal, dass SPD und Grüne hier
vollzählig sind.

Dieses Thema ist wichtig. Ich will zu meiner Schan-
de gestehen: Vor fünf oder sechs Jahren hatte ich dieses
Thema nicht ganz auf dem Schirm. Aber durch die Sach-
verständigenanhörungen, durch die Ausführungen von
etlichen Sachverständigen, etwa von Andreas Schrappe,
bin ich sensibilisiert worden.

Ich habe extra ein Buch von Schirin Homeier mitge-
bracht: Sonnige Traurigtage. In diesem Buch wird be-
schrieben, in welcher Situation diese Kinder leben. Ich
glaube, es ist die einzige Bevölkerungsgruppe in unserer
Gesellschaft, die keine Lobby hat, die niemanden hat, der
für sie kämpft. Wenn wir uns beschweren wollen, finden
wir Gewerkschaften, Anwälte, Beratungsstellen. Man
geht zur Not zu seinem Abgeordneten und beschwert sich
über Sachen, die im Argen liegen. Aber die Kinder ha-
ben niemanden, weil die natürlichen Anwälte der Kinder,
ihre Eltern, durch psychische Erkrankungen als Anwäl-
te ausfallen. Dann sind sie in einer Situation, in der sie
für sich selber Verantwortung tragen müssen, zum Teil
auch für Geschwister. Möglicherweise suchen sie in ihrer
Verzweiflung die Schuld für das Fehlverhalten oder das
Nichtfunktionieren von familiären Beziehungen bei sich.

Ja, es ist richtig: Wir hatten vor wenigen Monaten einen
parlamentarischen Abend zu der Situation früher Hilfen.
Wir haben erfahren, dass 44 bis 70 Prozent der Kinder,
die über Jahre hinweg in einer derart belastenden Situ-
ation waren, später ebenfalls psychische Unterstützung
brauchen. Ja, Frau Staatssekretärin Widmann-Mauz, es
wäre ganz gut, wenn wir rechtzeitig auf dieses Problem
schauen; denn die Mittel, die wir heute nicht ausgeben,
werden wir um ein Mehrfaches in 10, 20 oder 25 Jah-
ren in die psychische Behandlung von kranken Kindern
stecken müssen. Darum sollten wir uns fraktionsüber-
greifend bzw. ressortübergreifend – Gesundheitsressort,
Familienressort –, aber natürlich auch zusammen mit den

Kommunen, mit den Jugendämtern diesem Problem stel-
len. Die Zahlen wurden bereits mehrfach genannt: Zwi-
schen 2,6 und 3,8 Millionen Kinder leben in psychisch
belasteten Familien. Nicht alle von ihnen brauchen Hilfe;
aber wir müssen zumindest hinschauen, um herauszufin-
den, wo verzweifelte kleine Helden sind.

Ich darf mit der geschätzten Erlaubnis des Herrn Prä-
sidenten einfach ein paar Überschriften aus diesem für
Kinder geschriebenen richtungsweisenden Buch zitieren,
um Ihnen ein paar Denkanstöße zu geben: „Viele Kinder
fragen sich: Was ist los mit Mama oder Papa? Doch die
Antworten bleiben oft aus.“ „Kinder psychisch erkrank-
ter Eltern erleben überdurchschnittlich häufig Trennun-
gen und Beziehungsabbrüche.“ „Viele Kinder sind auf
die Eltern und deren Erkrankung wütend.“ „Viele Kinder
fragen sich, ob auch sie eine psychische Erkrankung ent-
wickeln können.“ „Viele Kinder von psychisch kranken
Eltern finden keinen Anschluss an Gleichaltrige.“ „Oft
sind Kinder der Meinung, dass ihr Verhalten Einfluss auf
die elterliche Erkrankung habe, und übernehmen Verant-
wortung für Geschwister und Eltern.“ Sie befürchten au-
ßerdem, dass sich beispielsweise ungezogenes Benehmen
oder schlechte Schulleistungen negativ auf das Krank-
heitsbild der Eltern auswirken können. Mangels Wissen
über die Existenz und Erscheinungsformen psychischer
Erkrankungen ohne sichtbare Auslöser der Erkrankung
sowie der Tabuisierung von psychischer Krankheit in-
nerhalb und außerhalb der Familie können insbesondere
jüngere Kinder das elterliche Verhalten überhaupt nicht
als krankhaft einstufen. Stattdessen werten sie es als Er-
ziehungsverhalten und suchen die Schuld bei sich.

In genau dieser Situation sind wir als verantwortliche
Politiker gefordert, zu fragen: Wie können wir diesen
kleinen Helden Hilfe geben, Kindern, die in der Gesell-
schaft quasi im Verborgenen leben? Von den Eltern kön-
nen wir diese Hilfe nicht erwarten. Sie leben zum Teil
in Schuld, schämen sich für ihre Erkrankung, gestehen
sich ihre Erkrankung oft genug gar nicht ein. Ich habe
mir einmal die Krankheitsbilder herausgesucht: 25 Pro-
zent sind psychische Störungen und Verhaltensstörun-
gen nach Substanzgebrauch – Drogen, Alkohol etc. –,
25 Prozent sind schizophrene Störungen, 20 Prozent sind
affektive Störungen, Depressionen, bipolare Störungen,
manische Erkrankungen. Von daher ist es eine große Auf-
gabe, der wir uns stellen. Ich bin allen Wohlmeinenden
dankbar, dass wir diese interdisziplinäre Arbeitsgruppe
auf den Weg bringen, sodass wir hoffentlich im nächsten
Dreivierteljahr ein Ergebnis haben.

Liebe Frau Staatssekretärin, ich bitte darum, dass die
Ministerien auf der Arbeitsebene auftauchende Probleme
lösen und sich auftuende Hürden beseitigen – wir müssen
jetzt Wahlkampf machen –, sodass diese Arbeitsgruppe
möglichst bald starten kann und wir zu Beginn der nächs-
ten Legislaturperiode dieses Vorhaben konkret angehen
können.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Paul Lehrieder






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824026400

Vielen Dank. – Damit hat der Kollege Lehrieder die

Aussprache beendet.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und des Bündnis-
ses 90/Die Grünen auf Drucksache 18/12780 mit dem
Titel „Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern“. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist der Antrag einstimmig ange-
nommen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


– Ich glaube, das ist ein guter Antrag.

Ich rufe dann die Tagesordnungspunkte 23 a und b auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur (15. Ausschuss) zu der Unterrich-
tung durch die Bundesregierung

Gesamtkonzept Elbe

Strategisches Konzept für die Entwicklung
der deutschen Binnenelbe und ihrer Auen

Drucksachen 18/11830, 18/12181 Nr. 1.3,
18/12844

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi
Lemke, Stephan Kühn (Dresden), Dr. Valerie
Wilms, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ein ökologisches Gesamtkonzept Elbe auf den
Weg bringen – Sohlerosion stoppen

Drucksache 18/12787

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundes-
regierung hat der Parlamentarische Staatssekretär Enak
Ferlemann. – Bitte schön, Herr Ferlemann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD])


E
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1824026500


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Auch wenn die Uhrzeit schon vorgerückt ist,
so ist es dennoch ein sehr wichtiges Thema, das wir heute
Abend noch behandeln, die Frage des Gesamtkonzeptes
Elbe. Dazu muss man wissen, dass es über Jahre schwe-
re Konflikte um die Fragen gab: Soll man die Elbe bes-
ser schiffbar machen, wie kann man die Mittel- und die
Ober elbe ökologisch stärken, wie funktioniert das?

Ökologie und Ökonomie sind die zwei Seiten dersel-
ben Medaille. Viele sagen das so.


(Beifall der Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Danke für Ihren Applaus, Frau Kollegin.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn es so ist, wie Sie es sagen! – Zuruf von der SPD: Für das Protokoll: Kollegin Lemke hat applaudiert!)


– Also für das Protokoll: Kollegin Lemke hat applau-
diert. – Vielen Dank dafür.

Häufig wird das so im Munde von Politikern und Ver-
antwortlichen geführt, aber wenn es um das konkrete
Umsetzen, Handeln geht, sieht es häufig schwieriger aus.
Diese schwierige Aufgabe für eine Wasserstraßen- und
Schifffahrtsverwaltung, die ja nur für die Ertüchtigung,
die Sicherheit und Leichtigkeit eines Schiffsweges, eines
Flusses zuständig ist, dann auch Ökologie zu betreiben,
ist eigentlich so vom Gesetz gar nicht vorgesehen. Auf
der anderen Seite haben wir an der Elbe eine ökologische
Situation, die danach ruft, dass sie verbessert wird. Stich-
wort „Sohlerosion“.

Die Problematik, dass eine Wasserstraßen- und Schiff-
fahrtsverwaltung eigentlich diese ökologisch sinnvolle
Maßnahme gar nicht durchführen kann und durchführen
darf, weil sie ja der Ökologie dient, musste überwunden
werden.

Daneben gab es schwere Konflikte vor allem mit der
evangelischen Kirche, die sich sehr um diese Region be-
müht, um diesen Fluss bemüht. Das können wir ja auch
absolut begrüßen. Deswegen galt es, alle Beteiligten
zusammenzuführen zu einem Prozess nach dem Motto:
Lasst uns das gemeinsam angucken, dieses unglaublich
schöne Flussareal, dieses Ästuar, um Ökologie und Öko-
nomie zusammenzubringen, auf der einen Seite den Fluss
schiffbarer zu machen, vor allem auch unser Versprechen
gegenüber den Tschechen einzuhalten, deren Zugang zur
Nordsee dieser Fluss ist, und auf der anderen Seite den
ökologischen Notwendigkeiten Rechnung zu tragen.

Wir haben das in der vergangenen Legislaturperio-
de vorbereitet, und es hat dazu ziemlich zum Ende der
Legislatur einen Entschließungsantrag gegeben, der uns
diese Aufträge erteilt hat. Wir haben diese vier Jahre
effektiv genutzt mit zahllosen Gesprächen und Bespre-
chungen. Das Ergebnis liegt vor.

Wir haben es geschafft, ein Gesamtkonzept Elbe zu
stricken, mit dem sowohl die Schiffbarkeit der Elbe ver-
bessert wird, die Versprechen den Tschechen gegenüber
eingehalten werden können, aber auch den ökologischen
Notwendigkeiten Rechnung getragen wird, eben Ökolo-
gie und Ökonomie im besten Sinne zusammenzubringen.

Das war ein riesiger Prozess, der auch Vertrauen be-
durfte, vertrauensbildender Maßnahmen. Unzählige
Gespräche, Kongresse, Besprechungen haben stattge-
funden. Aber das Ergebnis kann sich sehen lassen, lie-
be Kolleginnen und Kollegen. Es ist ein gutes Ergebnis,
weil es diesen Bedenken auf der einen Seite und den Be-
langen auf der anderen Seite Rechnung getragen hat und
zu einem Ausgleich geführt hat.

Ich bin allen, die daran beteiligt waren, sehr dankbar.
Ich möchte mich insbesondere bei meinem Kollegen
Ulrich Petzold bedanken. Ulrich Petzold war einer, der






(A) (C)



(B) (D)


immer dann, wenn man mal den Mut verloren hatte und
sich gefragt hatte: „Klappt das noch?“, gesagt hat: Wenn
es einer schafft, dann du; mach so weiter.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bin dir sehr dankbar, dass ich immer wieder Rücken-
deckung erhalten habe. Daneben darf ich auch den Kol-
legen Herzog erwähnen, der eigentlich ein Lobbyist der
Binnenschifffahrt vom Feinsten ist – das ist der ökolo-
gische Verkehrsträger überhaupt –, der aber gesagt hat:
Seht zu, dass ihr die Binnenschifffahrt stärkt, aber gleich-
zeitig auch die Ökologie nicht aus dem Auge lasst! – So
haben wir das hinbekommen.

Wir haben jetzt ein Gesamtkonzept, das beinhaltet,
was wir machen sollen, wie es gehen soll. Nun kommt
die Umsetzungsphase. Auch das wird nicht einfach. Wir
beginnen mit dem, was, glaube ich, am meisten Vertrau-
en schafft. Wir stoppen die Sohlerosion. Wir beginnen
mit einer ökologischen Maßnahme, realisieren aber auch
viele andere Punkte, die die Schifffahrt verbessern: die
Streichlinie stärker machen, alte Buhnen wieder nutzen.

Das, glaube ich, ist uns gut gelungen. So müssen wir
weitermachen. Wie wir es hinbekommen haben, an ei-
nem großen Fluss Ökologie und Ökonomie zusammen-
zubringen, ist ein Beispiel dafür, wie wir es auch an vie-
len anderen Gewässern in der Zukunft machen müssen:
den Ausgleich finden, das Gemeinsame finden, um dann
zur Lösung beizutragen.

Wir haben einen spannenden, interessanten Prozess
vor uns. Wir haben festgelegt, wie wir weiter miteinan-
der umgehen wollen. Ich kann nur alle Beteiligten bitten:
Lassen Sie uns gemeinsam so weitermachen! Heute hat
ein Umweltverband wieder ein bisschen Kritik geübt.
Aber vielleicht hat man auch das Konzept nicht ganz
gelesen. Wenn man es getan hätte, hätte man gewusst,
welche Vorschläge wir gemacht haben, um das zu einem
guten Ergebnis zu führen.

In diesem Sinne herzlichen Dank, liebe Kolleginnen
und Kollegen, dass das möglich war! Ich danke sehr für
den Entschließungsantrag, den die Koalitionsfraktionen
im Ausschuss eingebracht haben und der uns in die Lage
versetzen wird, die Maßnahmen, die wir vorgesehen ha-
ben, auch umzusetzen. Alles Gute für die Mittel- und die
Oberelbe!

Ihnen einen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksam-
keit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824026600

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Herbert Behrens,

Fraktion Die Linke. Bitte schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824026700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Wasserqualität der Elbe ist nicht gut, und auch der
Binnenschifffahrt auf der Elbe geht es nicht gut. Darum
war es ein Fortschritt, als es vor einigen Jahren den An-

tritt gegeben hat, Ökonomie und Ökologie an dieser Stel-
le zusammenzubringen, um den Stillstand zu überwin-
den. Das Verfahren begrüßen wir außerordentlich, und
darum ist es gut, dass es das Gesamtkonzept Elbe gibt
und wir es heute Abend diskutieren können.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte betonen: Wir reden hier über ein Zwi-
schenergebnis. Es ist kein abgeschlossenes Konzept im
eigentlichen Sinne. Das geht auch aus dem Text des Kon-
zepts selber hervor. Es ist die Rede davon, dass noch vie-
le offene Fragen zu diskutieren sind. Von daher können
wir nicht abschließend sagen: Das ist es jetzt, und darauf
bauen die nächsten Maßnahmen auf. – Wir werden weiter
in dem Aushandlungsprozess bleiben. So steht es richti-
gerweise auch im Konzept auf der Seite 12:

Dabei

– in dem Aushandlungsprozess –

wurde auch deutlich, dass nicht alle Fragestellungen
im Gesamtkonzept abschließend behandelt werden
können.

Darauf bestehen wir, wenn es dabei bleiben soll, dass wir
der Beschlussempfehlung zustimmen.

Wir haben darüber im Ausschuss diskutiert, am Mitt-
woch zum ersten Mal, sodass wir eigentlich nicht alle
grundsätzlichen Positionen erörtern konnten. Wir haben
in dieser Debatte aber klargemacht: Wir brauchen einen
stabilen Grundkonsens. Dieser Grundkonsens darf nicht
durch eine Partei oder eine Gruppe der Beteiligten auf-
gelöst werden. – Darum hat es lange gedauert. Bis heute
sind es vier Jahre gewesen, die gebraucht worden sind,
um das Konzept vorzulegen.

Wenn ich jetzt den Entschließungsantrag der Großen
Koalition sowie die Kritik der Umweltverbände, aber
auch der Kirchen und der Bürgerinitiative „Pro Elbe“
sehe, dann habe ich etwas Zweifel, ob dieser Grundkon-
sens nicht doch zumindest angekratzt wird.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wird er! – Gustav Herzog [SPD]: Von den Umweltverbänden und von der Kirche!)


Ich habe intensiv mit den Kolleginnen und Kollegen
gesprochen, und sie haben darauf hingewiesen, dass es
nicht ganz so ist, wie es in diesem Entschließungsantrag
steht. Darin heißt es nämlich, dass es eine Zustimmung
der Umweltverbände gibt, dass es Konsens gibt, wo es
um die Zusage an die Tschechische Republik geht, dass
man sozusagen den ungehinderten Zugang von Tschechi-
en zur Nordsee realisieren will. Ich habe die Information
bekommen, dass dem nicht so ist.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann solltet ihr nicht zustimmen!)


Ich bitte die folgenden Redner der Großen Koalition,
auf diese Fragen einzugehen: Hat es diese Zustimmung
der Umweltverbände gegeben? Wir reden hier nicht nur
über singuläre Meinungen, sondern über einen wesentli-
chen Teil der Beteiligten, die sich dort zusammengefun-

Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann






(A) (C)



(B) (D)


den haben. Von daher wäre es sicherlich nicht gut, wenn
wir ein tragfähiges Konzept aufbauen und dann feststel-
len müssen, dass dieser Konsens zumindest brüchig wird.

Ich erwarte von der Bundesregierung eine Antwort
auf die Frage, ob diese Gespräche stattgefunden haben
oder nicht. Ich erwarte auch, dass die Frage beantwortet
wird: Hat man gegenüber Tschechien in der Vorbereitung
bereits eine Zusage gemacht, dass es diesen ungehinder-
ten Zugang geben muss? Wenn diese Fragen nicht beant-
wortet werden, müssen wir uns vorbehalten, dass wir zu
einem anderen Abstimmungsverhalten kommen, als dies
bei der Beschlussempfehlung im Ausschuss der Fall war.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das klingt vernünftig!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824026800

Herr Kollege Behrens, darf ich Sie einmal kurz unter-

brechen. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Petzold?


Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824026900

Ja, gerne.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824027000

Bitte schön.


Ulrich Petzold (CDU):
Rede ID: ID1824027100

Herr Kollege Behrens, ich habe heute eine E-Mail

des Leiters des Biosphärenreservats Mittelelbe bekom-
men, in der er mir ganz herzlich zu genau diesem Antrag
gratuliert hat, den Sie so bezweifeln. Er hat „Juchhu!“
geschrien, als ich ihm über diesen Antrag berichtet habe.
Könnten Sie akzeptieren, dass er als Leiter des Biosphä-
renreservats wirklich glücklich ist mit einem solchen An-
trag?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Reinhold Sendker [CDU/CSU]: Hört! Hört!)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824027200

Danke für die Frage. – Ich will das gerne in den Kon-

trast setzen zu der Diskussion, die ich heute Nachmittag
mit den Umweltverbänden hatte. Ja, auch die Umwelt-
verbände stehen zu diesem Gesamtkonzept, weil sie der
Meinung sind, dass alles, was an wichtigen Fragen zu lö-
sen ist, dort niedergelegt ist. Sie warnen aber davor, heu-
te schon aus den Fragen die Antworten abzuleiten, ohne
dass eine Kommunikation darüber stattgefunden hat. Ich
appelliere sehr, dass dieser konsensuale Ansatz, den das
Verfahren insgesamt hat, auch bis zum Ende trägt. Von
daher ist jede positive Stellungnahme sicherlich gern
gesehen. Aber auch die Kritik daran muss genauso ernst
genommen werden wie die Unterstützung, die wir in un-
serer Arbeit haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gesamtkonzept
Elbe ist nötig, um den Stillstand zu überwinden, und es
ist ausdrücklich erforderlich, dass wir dahin kommen,
dass hier Ökologie und Ökonomie zum Ausgleich ge-

bracht werden. Insofern bitte ich Sie sehr darum, dass
Sie sich in Ihren Ausführungen noch einmal mit dieser
Frage auseinandersetzen, damit wir hier einvernehmlich
zu einem guten Ende kommen und in der Lage sind, bei
den kommenden Verhandlungen, die zur Ausgestaltung
und zur Umsetzung des Konzepts gehören, diese Einmü-
tigkeit auch zu erhalten bzw. wiederherzustellen, wo sie
zurzeit aufgelöst scheint.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gustav Herzog [SPD])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824027300

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt

Dagmar Ziegler das Wort. Bitte schön.


(Beifall bei der SPD)



Dagmar Ziegler (SPD):
Rede ID: ID1824027400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Elbe ist Teil einer gewachsenen Kultur-
landschaft. Seit über 200 Jahren sind Maßnahmen unter-
nommen worden, die Schifffahrtsbedingungen auf dem
Fluss zu verbessern und Gefahren zu beseitigen. Der
Zweite Weltkrieg und die deutsche Teilung führten dazu,
dass notwendige Unterhaltungs- und Instandsetzungs-
maßnahmen nicht oder nur teilweise umgesetzt werden
konnten oder sollten. Spätestens seit dem Versailler Ver-
trag, lieber Herr Kollege Behrens, ist über die Elbe für
Tschechien der Zugang zu den Weltmeeren garantiert.
Damals ist unseren Nachbarn eine Schiffbarkeit des Flus-
ses zugesagt worden. Die Erarbeitung des Gesamtkon-
zepts Elbe hat den Anspruch, die jahrzehntelange Stag-
nation zu beenden. An dem Prozess waren Umwelt- und
Wirtschaftsverbände, die zuständigen Bundesministeri-
en für Umwelt und Verkehr, die Anrainerbundesländer,
die evangelische Kirche und die Tschechische Republik
beteiligt. Gemeinsam mit den Kollegen von der Union,
lieber Kollege Jürgen Klimke, haben wir diese Entschei-
dung sehr intensiv begleitet und politisch flankiert. Wir
haben das Gespräch gesucht mit den Mitgliedern des Be-
ratergremiums, aber auch mit den vielen Akteuren und
Verantwortlichen vor Ort. Lassen Sie mich zwei Beispie-
le herausgreifen, um zu verdeutlichen, was an der Elbe
passieren muss.

Probleme für die Schiffbarkeit auf der Elbe gibt es an
circa 4 Prozent der Strecke in Deutschland. Prominen-
testes Beispiel ist die sogenannte Reststrecke zwischen
Dömitz und Hitzacker. Es geht dabei nicht um wildes
Ausbaggern. Vielmehr soll sich der Fluss mithilfe von
Strombauwerken selbst regulieren. Dass diese ökolo-
gisch verträglich gestaltet werden können und so auch
Lebensräume für Tiere und Pflanzen bieten, belegen Ver-
suche der Wasser- und Schifffahrtsämter. Gleichzeitig
müssen Maßnahmen erforscht und umgesetzt werden, die
zu einem Stopp der Sohlenerosion führen. Nur so können
ein Absinken des Grundwasserspiegels im Einzugsgebiet
und damit das Trockenfallen der wertvollen Auenwäl-
der sowie Probleme für die Landwirtschaft und für das
Weltkulturerbe des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches ver-
hindert werden. Von den angenommenen 300 Millionen
Euro, deren es zur Umsetzung des Gesamtkonzepts Elbe

Herbert Behrens






(A) (C)



(B) (D)


bedarf, sind nur rund 60 Millionen Euro für die Verbes-
serung der Schifffahrtsbedingungen vorgesehen. Die üb-
rigen 240 Millionen Euro werden genutzt, um Umwelt-
schutzmaßnahmen umzusetzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache aber auch
eines deutlich: Das eine wollen wir nicht ohne das an-
dere. Der Antrag der Grünen spricht leider eine andere
Sprache. Ich habe mich über den Beifall zu den Ausfüh-
rungen des Staatssekretärs sehr gefreut, aber er wider-
spricht diametral Ihrem Antrag; denn Sie wollen das Mo-
ratorium aufrechterhalten, Sie wollen alles verhindern,
was der Schiffbarkeit dienen kann. Sie sprechen alles ab,
was zur wirtschaftlichen Nutzung der Elbe dient. Das ist
mit uns auf keinen Fall zu machen. Der Haushaltsgesetz-
geber wird eine andere Sprache sprechen müssen; denn
wenn dieser Konsens aufgelöst ist, dann sicherlich nicht
von unserer Seite. Wir wollen beides, so wie Sie es auch
dargestellt haben.

Es gehört aber noch viel mehr dazu. Die Digitalisie-
rung nimmt auch dort ihren Lauf. Die Länder Hamburg,
Brandenburg und Sachsen-Anhalt haben eine Verein-
barung abgeschlossen, dass Schiffsbegegnungen auch
intelligent organisiert werden können, indem man sich
die Schiffe nicht auf der gesamten Breite begegnen lässt.
Dazu gehört eine andere Ausbildung der Binnenschiffer
genauso wie neue Schiffe mit weniger Tiefgang. Das al-
les wissen wir. Das alles sind Aufgaben, die noch zu erle-
digen sind, die wir auch so schnell wie möglich angehen
müssen. Ich bitte, das zu berücksichtigen und nicht den
Konsens, den wir in grundsätzlicher Art und Weise er-
reicht haben, aufzugeben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824027500

Vielen Dank. – Steffi Lemke spricht jetzt für Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824027600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte als Erstes feststellen, dass diese Debatte vor
dem Hintergrund stattfindet, dass die Elbepolitik der letz-
ten Jahrzehnte gescheitert ist. Es ist ein Scherbenhaufen,
was an der Elbe gegenwärtig stattfindet und was man
dort sieht. Wir haben einen Fluss, der sich eingetieft hat:
2 Zentimeter pro Jahr seit circa 100 Jahren. In einzelnen
Flussgebietsabschnitten in der Region bei Dessau, in der
ich lebe, genauer bei Barby, sind es fast 2 Meter in den
letzten Jahrzehnten. Können Sie sich vorstellen, wie ein
Fluss aussieht, der sich 2 Meter eingetieft hat?

Die Elbe hat ein Sandbett. Das ist in den letzten Jahren
der Flusspolitik in keiner Weise berücksichtigt worden.
Man hat gebaut und gebaut mit der Folge, dass sich der
Fluss immer weiter eingetieft hat und dort noch weni-
ger Schiffe fahren können als früher. Im Moment haben
wir einen Pegelstand von 70 Zentimetern. Ich weiß nicht,
welche Schiffe Sie noch fahren lassen wollen. Seit dem
Jahr 2015 hatten wir mehrere Monate, in denen gar keine
Schiffe fahren konnten. Der Fluss hat das Wasser für die

Ausbaupläne, die die Regierungen der letzten Jahrzehnte
verfolgt haben, einfach nicht. Das ist das Problem, das
wir an der Elbe haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb haben wir Grüne den Prozess um das Ge-
samtkonzept Elbe begrüßt, weil er versucht hat – Herr
Ferlemann hat es dargestellt –, diese Konflikte aufzu-
lösen. Deshalb habe ich geklatscht, als Sie sagten: Wir
wollen Ökologie und Ökonomie in Übereinstimmung
bringen. Denn die Tonnagen, die auf der Elbe transpor-
tiert werden, rechtfertigen überhaupt gar keinen Ausbau.
Die Tonnagen, die dort transportiert werden, gehen ge-
gen null. Wir reden prioritär über Kreuzfahrtschiffe, die
für den Tourismus eine wichtige Quelle darstellen, und
die wir durchaus unterstützen wollen. Aber bei 70 Zenti-
metern ist für manche von ihnen bereits Schluss. Ich habe
geklatscht, Herr Ferlemann, bei der Passage „Ökologie
und Ökonomie in Übereinstimmung bringen“. Sie stehen
jetzt vor der Aufgabe, Ihre Worte und Taten in Überein-
stimmung zu bringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias Lietz [CDU/CSU]: Aber Sie auch!)


– Ja, natürlich. Ich habe damit aber kein Problem, weil
ich in den letzten Jahrzehnten nicht gefordert habe, einen
solchen Fluss auszubauen, obwohl es dort überhaupt kei-
nen Gütertransport gab.


(Gustav Herzog [SPD]: Kollegin Lemke, niemand will die Elbe ausbauen! – Kirsten Lühmann [SPD]: Vielleicht sollte man das Konzept lesen!)


– Sie reden doch auch gleich, Herr Herzog. Dann schau-
en Sie doch einmal in Ihren Antrag.

Das ist das Problem an der Diskussion, die wir ge-
genwärtig führen. Das Gesamtkonzept Elbe ist eine gute
Grundlage, um jetzt voranzukommen. Aber in dem Ge-
samtkonzept Elbe wird nicht die entscheidende Frage be-
antwortet, wie die Sohlerosion zu stoppen ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das positive Ergebnis dieses Prozesses ist, dass endlich
nach Jahrzehnten anerkannt wird, dass die Sohlerosion
für die Ökologie und für die Schifffahrt ein Riesenpro-
blem darstellt und das Ökosystem Fluss zum Kippen
bringen könnte, wenn wir nichts dagegen unternehmen.

Es ist positiv, dass sich diese Erkenntnis jetzt endlich
durchsetzt. Aber es gibt im Gesamtkonzept Elbe keine
Antwort darauf, wie das erreicht werden soll. Es findet
sich keine Ziel-Jahresgröße. Was Sie aber andererseits
als Zielgröße hineingeschrieben haben, ist das Ausbau-
ziel einer Mindestfahrrinnentiefe von 1,40 Meter für die
Schifffahrt. Daran halten Sie fest. Sie geben dankenswer-
terweise zu, dass dies fast der alten Forderung nach einer
Tiefe von 1,60 Meter entspricht, weil nun die Parameter
ein wenig verändert wurden. Das ist das Problem, und
deshalb stellt sich nun sehr wohl die Frage: Ist das mit
dem Gesamtkonzept ernst gemeint? Geht es jetzt wirk-
lich darum, die Ökologie an diesem Fluss stärker zu be-
rücksichtigen?

Dagmar Ziegler






(A) (C)



(B) (D)


Jetzt haben die Koalitionsfraktionen einen Antrag vor-
gelegt, in dem sie – erstens – den Ausbau der Reststrecke
Dömitz fordern, und zwar prioritär. Deshalb stimmt es
nicht, was Sie eben dazwischengerufen haben, nämlich,
dass Sie keinen Ausbau wollen. Sie wollen die Reststre-
cke Dömitz ausbauen. Sie brauchen dafür ein Planfest-
stellungsverfahren – das ist Ausbau.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Für die Sohlesanierung auch!)


Dies jetzt prioritär zu fordern, wiederspricht der Idee des
Gesamtkonzeptes Elbe, weil Sie gar nicht beantworten
können, wie dort Ökologie und Ökonomie in Überein-
stimmung zu bringen sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE])


Darauf kann Ihnen bisher keiner eine Antwort geben.


(Kirsten Lühmann [SPD]: Doch! Es gibt gleich eine Antwort! Ich rede noch um Mitternacht!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824027700

Sie haben Ihre Redezeit schon überschritten, Frau

Lemke, und deswegen gibt es keine Zwischenfrage mehr.
Ich würde Sie bitten, zum Schluss zu kommen.


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824027800

Schade. Da Sie keine Zwischenfrage mehr zulassen,

will ich mit einigen Sätzen abschließen.

Der zweite sehr kritische Punkt, den Sie in Ihren An-
trag eingebaut haben, ist der geforderte Staatsvertrag mit
Tschechien. Man muss dazu wissen, dass Tschechien
Staustufen bauen will. In einer solchen Situation einen
Staatsvertrag schließen zu wollen, ohne inhaltliche Pa-
rameter anzugeben, widerspricht dem Gedanken des Ge-
samtkonzeptes ebenso. Deshalb möchte ich an Sie appel-
lieren: Reißen Sie mit diesem Antrag nicht ein,


(Dagmar Ziegler [SPD]: Dito!)


was besonders die Mitarbeiter Ihres Hauses, Herr
Ferlemann – auch von dieser Stelle herzlichen Dank an
Herrn Klingen –, in jahrelanger mühevoller Arbeit aufge-
baut haben. Halten Sie daran fest. Bleiben Sie im Geiste
der Forderungen des Gesamtkonzeptes. Der Antrag der
Koalitionsfraktionen tut das nicht.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Aber Ihrer!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824027900

Das war jetzt ein langer Schluss. – Noch einmal zur

Information: Zwischenfragen oder -bemerkungen sind
nur innerhalb der Redezeit möglich. Nach Ablauf der Re-
dezeit gibt es keine Zwischenfragen mehr.


(Gustav Herzog [SPD]: Frau Präsidentin, untertänigst, sie hat noch 30 Sekunden länger geredet!)


– Sie hat die Redezeit überschritten; aber ich wusste ja,
dass sie zu Ende war, Herr Herzog. Außerdem haben Sie
nachher das Wort.


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Opposition hat immer zu wenig Redezeit! – Gegenruf des Abg. Sebastian Hartmann [SPD]: Wir haben euch Redezeit abgegeben!)


Dann hat jetzt der Kollege Jürgen Klimke für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jürgen Klimke (CDU):
Rede ID: ID1824028000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Frau Kollegin Lemke, Sie
reden über Probleme; wir machen ein Gesamtkonzept,
aus dem hervorgeht, wie wir die Probleme lösen können.
Ich bin richtig stolz darauf, dass wir heute darüber de-
battieren können. Ich mache das mit großer Freude und
Erleichterung darüber, dass wir ein Gesamtkonzept Elbe
mit Ergänzungen aus unserem Antrag vorlegen können.
Die Verständigung zwischen Bund und Ländern unter
Einbeziehung der maßgeblichen Wirtschafts- und Um-
weltverbände war keine Selbstverständlichkeit, sondern
harte Arbeit. Aber es ist in diesem Zusammenhang ein
gutes Ergebnis herausgekommen.

Als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Elbe der
CDU/CSU-Fraktion begleite ich die Diskussion über die
Zukunft der Elbe seit mehr als zehn Jahren. Bereits in
der letzten Legislaturperiode hatten wir dazu einen sehr
umfangreichen Antrag eingereicht. Heute liegt nun das
Ergebnis des Gesamtprozesses vor. Daraus können wir
dreierlei Sachen lernen:

Erstens. Prozesse unter Einbeziehung der maßgebli-
chen Beteiligten, die zudem ergebnisoffen sind, erfordern
Zeit und Kompromissfähigkeit der handelnden Akteure.

Zweitens. Ein Kompromiss, der von allen Beteiligten
mitgetragen werden kann, ist machbar. Dabei können
selbst scheinbar gegensätzlich orientierte Interessens-
gruppen wie Wirtschafts- und Umweltverbände gemein-
same Lösungen entwickeln.

Drittens. Das Besondere an diesem Prozess ist das
Entstehen einer Vertrauensbasis, die die eigentliche
Grundlage der Lösungsversuche und der Lösungsansätze
ist.

Dieser Erfolg, meine Damen und Herren, ist vor allem
auch den am runden Tisch beteiligten Personen zuzu-
schreiben. Ich darf dem Kollegen Ferlemann in diesem
Zusammenhang herzlich für die Zusammenarbeit dan-
ken, der Kollegin Ziegler dafür, dass wir im Koalitions-
rahmen intensiv die Umwelt- und Wirtschaftsverbände
haben hören können und damit zu diesem Ergebnis kom-
men konnten. Einige Personen darf ich auch namentlich
nennen. Das sind die Abteilungsleiter aus dem Umwelt-
und dem Verkehrsministerium Dr. Helge Wendenburg
und Reinhard Klingen sowie Jochen Kies, der als Fach-
mann für belastbare Informationen galt und dies auch
unter Beweis stellte. Ich freue mich, auch einen Ham-

Steffi Lemke






(A) (C)



(B) (D)


burger Kollegen nennen zu dürfen, Henning Finck von
der Handelskammer Hamburg, der sich intensiv ins Zeug
gelegt hat, einen Kompromiss zwischen Wirtschafts- und
Umweltverbänden herbeizuführen.

Noch einige Bemerkungen zu unserem Entschlie-
ßungsantrag.

Erstens. Wir fordern: Das Gesamtkonzept soll durch
Maßnahmen unterlegt werden, die möglichst rasch um-
zusetzen sind, Planfeststellungsbeschlüsse sind einzulei-
ten, und Personal- und Sachmittel müssen über den Bun-
deshaushalt zur Verfügung gestellt werden.

Zweitens. Das Gesamtkonzept ist ein Kompromiss
zwischen den vordringlich ökologischen und verkehrli-
chen Maßnahmen. Wir treten für eine Ausgeglichenheit
bei der Umsetzung ein. So erwarten wir, dass binnen
Jahresfrist eine Voruntersuchung für die Reststrecke
Dömitz–Hitzacker vorgelegt wird, in der die Möglich-
keiten der Sanierung der Reststrecke aufgezeigt werden.
Gleichzeitig sollen Maßnahmen zum Stopp der Sohlen-
erosion eingeleitet werden – dies als kleine Antwort auf
Ihre Fragen.

Drittens. Das Gesamtkonzept soll in einem Anschluss-
prozess weitergeführt werden, in dem weitere Fragen der
Umsetzung sowie der innovativen Erosionsbekämpfung
debattiert werden.

Viertens. Die Elbe ist ein internationaler Fluss. Des-
halb sind tragfähige Vereinbarungen mit der Tschechi-
schen Republik zur Schiffbarkeit der Elbe zu treffen. Ein
Staatsvertrag, der auch andere Komponenten beinhaltet,
kann hier ein langfristiges Ziel sein.

Fünftens. Das Gesamtkonzept Elbe kann nicht nur
Vorbild für andere Flussläufe sein, es kann auch über die
Bereiche Wirtschaft und Ökologie hinaus greifen. Sym-
bolisch dafür möchte ich den Elberadweg nennen – in-
zwischen einer der bekanntesten Radwege Europas –, der
die Regionen über die Ländergrenzen hinweg verbindet.
Hier wünschen wir uns Unterstützung beim Ausbau so-
wie beim länderübergreifenden Tourismus und der Ver-
marktung im Ausland.

Die Kritik einzelner Umweltverbände sowie der Grü-
nen, der Entschließungsantrag würde dem Gesamtkon-
zept Elbe nicht gerecht werden, weise ich zurück. Die
kritische Haltung einiger Umweltverbände, die teilweise
auch im Widerspruch zu deren Zustimmung zum Ge-
samtkonzept steht, kann ich schon deshalb nicht akzep-
tieren, weil wir mit unserem Antrag sicherstellen, dass
für die Umsetzung der Gesamtkonzeption Elbe Mittel
im dreistelligen Millionenbereich zur Verfügung gestellt
werden. Das macht deutlich, dass wir schwerpunktmäßig
ökologische Maßnahmen umsetzen wollen.

Das ist das Gesamtkonzept. Lassen Sie uns gemein-
sam an diesem Konzept arbeiten, damit wir es rasch um-
setzen können.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824028100

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege

Gustav Herzog, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gustav Herzog (SPD):
Rede ID: ID1824028200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch wenn es 23.30 Uhr ist, bemühe ich Ihre Fantasie:
Wo würden Sie Ihre Liebsten zum Picknick einladen?


(René Röspel [SPD]: An die Ruhr!)


An den Bahndamm? Nein. An den Autobahnzubringer?
Nein. Wo gehen die Menschen hin? Ans Wasser. Wir fin-
den sie an der Mosel in Traben-Trarbach, in Oppenheim
am Rhein


(Beifall des Abg. Marcus Held [SPD])


und vor allen Dingen an der Elbe. Dort kann man se-
hen: Die Menschen gehen gerne ans Wasser, an unsere
Bundeswasserstraßen, Herr Staatssekretär, und sie freuen
sich, Frau Lemke, wenn Schiffe auf dem Wasser fahren.
Das wollen sie sehen, und sie finden das nicht irgendwie
abwertend.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824028300

Das ist ein guter Zeitpunkt, um Sie zu fragen, Herr

Kollege Herzog: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Behrens?


Gustav Herzog (SPD):
Rede ID: ID1824028400

Gerne.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824028500

Bitte schön.


(Kirsten Lühmann [SPD]: Er hat doch noch gar nichts gesagt!)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824028600

Bevor das Thema durch ist, möchte ich an dieser Stel-

le eine Zwischenfrage stellen. Ich will Sie fragen, lieber
Kollege Herzog, ob es wirklich so ist, wie die Umwelt-
verbände behaupten, nämlich dass sie nicht, so wie es
in dem Entschließungsantrag steht, dem Gesamtkonzept
Elbe zugestimmt haben?


(Dagmar Ziegler [SPD]: Natürlich! Sie haben unterschrieben!)


Ich weise darauf hin, dass ich in der Diskussion im Aus-
schuss auf dieser Grundlage signalisiert habe: Die Linke
kann diesem Konzept zustimmen. Wenn ich an so einer
zentralen Stelle hinter die Fichte geführt werden, dann
werde ich dem nicht zustimmen können. Darum will ich

Jürgen Klimke






(A) (C)



(B) (D)


eine klare Ansage haben: Wann haben die fünf Verbände
diesem Konzept zugestimmt?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Aber die Umweltverbände sind nicht der Nabel der Welt!)



Gustav Herzog (SPD):
Rede ID: ID1824028700

Herr Kollege Behrens, vielen Dank für diese Frage.

Sie gibt mir die Gelegenheit, etwas zu zitieren, ohne dass
meine Redezeit in Anspruch genommen wird, und zwar
aus einer Stellungnahme der Umweltverbände, nach de-
nen Sie gefragt haben, vom 13. Januar 2017. Der erste
Satz lautet:

Mit der Erarbeitung eines Gesamtkonzeptes für die
Elbe … von Bund und Ländern wurde ein wichti-
ger Prozess in Gang gesetzt, der für alle Beteiligten
einen großen Erkenntnisgewinn gebracht hat. Die
Umweltorganisationen/BI PE

– Bürgerinitiative Pro Elbe –

begrüßen diesen Prozess der Erstellung eines Ge-
samtkonzeptes Elbe als eine wichtige Initiative, den
seit über 20 Jahren währenden Konflikt um die In-
teressen von Ökologie und Binnenschifffahrt aufzu-
lösen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


– Sie begrüßen es; das ist das Entscheidende.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das war vor dem Hintergrund des unveränderten Konzeptes, aber nicht vor dem dieses Antrags!)


Dass, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich Fra-
gen offen sind, hat hier niemand bestritten, sondern es ist
vielleicht auch die besondere Qualität dieses Prozesses,
dass die vorhandenen Konflikte sehr deutlich beschrie-
ben werden. Dem geht niemand aus dem Weg. Die Was-
serstraßen sind nun mal nicht nur der umwelt-, sondern
auch der menschenfreundlichste Verkehrsträger.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824028800

Herr Kollege Herzog, Sie regen die Abgeordneten so

an, dass Frau Ziegler jetzt gerne eine Zwischenfrage stel-
len möchte. Ich sage aber gleich dazu: Das ist die letzte,
die jetzt bei Herrn Herzog zugelassen wird. Dass sich
jetzt hier keiner mehr meldet!


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist peinlich! Die eigene Fraktion! Und bei mir lassen Sie es nicht zu! – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht in Ordnung! – Gegenruf der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]: Das entscheidet immer noch die Präsidentin!)



Dagmar Ziegler (SPD):
Rede ID: ID1824028900

Liebe Kolleginnen und Kollegen, regen Sie sich mal

nicht so auf. Ich wollte Herrn Behrens noch einen Ge-
fallen tun, weil er noch einmal nachgefragt hat, ob die
Verbände und Initiativen hinter dem abgeschlossenen
Gesamtkonzept stehen. Lieber Herr Kollege, ich wollte

Ihnen nur sagen: Die Unterschriften aller Beteiligten un-
ter dem Gesamtkonzept – –


(Widerspruch des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE])


– Dann müssen Sie Ihre Kommunikationswege überprü-
fen. Es sind die Unterschriften drunter. Wenn sich andere
Beteiligte da nicht wiederfinden oder nichts davon wis-
sen, dann ist das deren Problem, nicht unseres.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geht nicht, was Sie hier machen! Das können wir alles künstlich verlängern! Ich möchte wissen, wo in der Geschäftsordnung steht, dass bei einer Zwischenintervention auf jemand anderen Bezug genommen werden darf!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824029000

Ehe wir uns hier künstlich aufregen: In unserer Ge-

schäftsordnung steht, dass der einzelne Abgeordnete
während einer Rede eines Abgeordneten hier vorne am
Rednerpult die Möglichkeit hat, wenn der Redner es zu-
lässt, eine Zwischenfrage oder eine Zwischenbemerkung
zu machen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber an den Redner gerichtet!)


– Das wird dort nicht ausgeführt. Die Geschäftsord-
nungslage ist aber so. Sie können sich ja nächste Woche
im Ältestenrat beschweren.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das mache ich! Das war eine sehr einseitige Auslegung!)


– Bitte schön.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Sebastian Hartmann [SPD]: Das hat die Elbe nicht verdient!)


Jetzt hat der Kollege Herzog das Wort.


Gustav Herzog (SPD):
Rede ID: ID1824029100

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kollegin

Lemke, wir sollten uns gemeinsam bemühen, nicht Grä-
ben, die durch diesen Prozess zugeschüttet worden sind,
wieder auszuheben. Ich biete an: Wenn wir den Spaten in
die Hand nehmen, um Gräben auszuheben, dann, um die
Elbauen wieder an den Fluss anzuschließen. Das können
wir gerne gemeinsam machen.


(Zuruf der Abg. Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Das ist ein ökologisches Projekt; da bin ich gerne an Ihrer
Seite.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein guter
Abend nicht nur für die Elbe, sondern für alle naturna-
hen Wasserstraßen, weil der Prozess insgesamt ebenso
wie die entsprechenden Vorschläge, die gemacht worden
sind, Modellcharakter hat.

Herbert Behrens






(A) (C)



(B) (D)


Wegen der Zweifel, die immer noch vorhanden sind –
auch bei den Umweltverbänden, bei denen ich den Ein-
druck habe, dass da nach dem Motto agiert wird: „Wasch
mich, aber mach mich nicht nass!“ –, will ich aus unserer
Entschließung zitieren. Da haben wir sehr klar die Bun-
desregierung aufgefordert,

… bei der zeitlichen Abfolge der Umsetzung von
Maßnahmen auf eine Ausgeglichenheit von ökolo-
gischem und verkehrlichem Nutzen zu achten;

– auf eine ökologische und verkehrliche Ausgeglichen-
heit! –

binnen Jahresfrist eine Voruntersuchung für die
Reststrecke … vorzulegen …;

– zur Sanierung, Frau Kollegin Lemke, nicht zum Aus-
bau; das ist etwas anderes –

unverzüglich einen Untersuchungsauftrag zur Er-
arbeitung von Szenarien zum Stopp der Erosion an
unabhängige wissenschaftliche Einrichtungen zu
erteilen …

Ich glaube, es ist ganz im Sinne des Gesamtkonzeptes,
dass wir als Parlament der Regierung sagen, was wir von
den beiden Ministerien erwarten. Und diese haben da ja
ganz hervorragend zusammengearbeitet.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Präsidentin,
gestatten Sie mir einen persönlichen Satz oder zwei an
die Kollegin Wilms, die heute Abend nicht da sein kann,
die aber ein sehr engagiertes Mitglied der Parlamentari-
schen Gruppe Binnenschifffahrt war.


(Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt!)


Mit ihr habe ich mich immer gerne und gut gestritten.
Wenn wir uns einig waren, dann waren wir unwider-
stehlich. Und eines kann man sagen: Mit Frau Kollegin
Wilms war es niemals langweilig.


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das kann ich bestätigen!)


Ich will ihr persönlich danken, weil sie mit ihrer per-
sönlichen Erklärung zum Abstimmungsverhalten bei der
Entscheidung über die Bundesfernstraßengesellschaft,
die sie hier vorn vorgetragen hat, für mich als Parla-
mentarier etwas ganz Tolles gemacht. Sie hat deutlich
gemacht: Wir sind hier keine Versammlung von Abni-
ckern oder von Helden, sondern wir sind Vertreter des
deutschen Volkes, die sich informieren, die abwägen und
entscheiden. Ich glaube, das ist unsere Aufgabe, der wir
hier auch sehr gut nachkommen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824029200

Vielen Dank. – Damit schließe ich die Aussprache.

Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 23 a zur
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur auf

Drucksache 18/12844 zu der Unterrichtung durch die
Bundesregierung auf Drucksache 18/11830 über das
Gesamtkonzept Elbe/Strategisches Konzept für die Ent-
wicklung der deutschen Binnenelbe und ihrer Auen. Der
Ausschuss empfiehlt in Kenntnis der Unterrichtung,
eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der
Opposition angenommen.

Tagesordnungspunkt 23 b. Abstimmung über den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/12787 mit dem Titel „Ein ökologisches Ge-
samtkonzept Elbe auf den Weg bringen – Sohlerosion
stoppen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung der materiellen Zulässigkeits-
voraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaß-
nahmen und zur Stärkung des Selbstbestim-
mungsrechts von Betreuten

Drucksachen 18/11240, 18/11617, 18/11822
Nr. 5

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/12842

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlos-
sen.1)

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/12842, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa-
chen 18/11240 und 18/11617 in der Ausschussfassung
anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis
angenommen.

1) Anlage 10

Gustav Herzog






(A) (C)



(B) (D)


Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a und b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Einführung einer Berufszulassungs-
regelung für gewerbliche Immobilienmakler
und Verwalter von Wohnungseigentum

Drucksache 18/10190

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss)


Drucksache 18/12831

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab-
geordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate
Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wohneigentumsrecht umfassend reformieren
und modernisieren

Drucksachen 18/8084, 18/12831

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Gibt es dagegen
Widerspruch? – Ich sehe, das ist nicht der Fall. Dann ist
so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Marcus Held, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Marcus Held (SPD):
Rede ID: ID1824029300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Heute behandeln wir zu später Stun-
de abschließend in zweiter und dritter Lesung den Ent-
wurf eines Gesetzes zur Einführung einer Berufszulas-
sungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und
Verwalter von Wohnungseigentum. Man möchte sagen:
„Endlich beraten wir diesen Gesetzentwurf abschlie-
ßend“; denn schon am 15. Juli letzten Jahres wurde der
Referentenentwurf dazu vorgelegt, und seit dem 10. No-
vember 2016 haben wir hierzu zahlreiche Beratungen im
Ausschuss und mit unserem Koalitionspartner durchge-
führt. Das waren leider nicht immer leichte Gespräche.
Dennoch möchte ich mich natürlich für die guten Dis-
kussionen bedanken und auch für das Ergebnis. Dass wir
dieses Gesetz auf den Weg bringen wollten, hatten wir
ja bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Insofern
bin ich froh, dass wir wenigstens einen kleinen Teil aus
dem entsprechenden Absatz unseres Vertrages nun end-
lich umsetzen können. Ich persönlich nenne das einen
Einstieg in mehr Qualität und einen Einstieg in mehr
Verbraucherschutz.

Uns als SPD ist es vor allem um die Verbesserung
der Situation von Hunderttausenden Eigentümergemein-
schaften in Deutschland gegangen. 9 Millionen Eigen-
tumswohnungen existieren in Deutschland, Tendenz
steigend – zum Glück. Unser Ziel war und ist, dass die
Verwaltung von Eigentumswohnungen nicht mehr von
jedermann durchgeführt werden kann. Deshalb haben
wir von Anfang an gefordert, einen Sachkundenachweis

einzuführen, verbunden mit einer Weiterbildungspflicht
für Verwalter und Mitarbeiter, die aktive Verwaltertä-
tigkeiten im Unternehmen ausüben. Leider konnten wir
als SPD in der Koalition nur die Pflicht zu regelmäßigen
Fortbildungen durchsetzen. Am Ende der Verhandlungen
kamen 20 Stunden innerhalb von drei Jahren heraus.

Den Sachkundenachweis fordern wir nach wie vor,
dann eben in der nächsten Legislaturperiode; denn un-
qualifiziertes Handeln bei der Immobilienverwaltung
kann zu erheblichen Schäden führen. Für Eigentümer
einzelner Wohnungen ist es häufig nur sehr schwer zu
überblicken, ob der jeweilige Verwalter über ausreichen-
de Qualifikationen verfügt, um die Verwaltung durchfüh-
ren zu können. Wohneigentum – das sagte ich schon in
meiner ersten Rede zu diesem Gesetzentwurf – wird für
viele ältere Menschen hier in Deutschland früher oder
später zur Altersvorsorge und damit immer wichtiger.
Deswegen ist die Einführung von Qualitätsmerkmalen
bei Verwaltern aus unserer Sicht von enormer Wichtig-
keit.

Auch die öffentliche Anhörung, die wir im Ausschuss
durchgeführt haben, zeigte konkret auf, dass wir auf die-
sem Gebiet als Gesetzgeber in Zukunft einiges regeln
sollten. Es herrschte eine ungewohnt große Einigkeit
zwischen den verschiedenen Verbänden. Alle wollten
klare Voraussetzungen und Regeln, nur der Normenkon-
trollrat hatte hierzu eine andere, für mich nach wie vor
nicht nachvollziehbare Meinung. Schade, dass die Union
nur dem Normenkontrollrat ein offenes Ohr geschenkt
hat und alle anderen Sachverständigenmeinungen ein
bisschen ausgeblendet hat. Ein Blick über den Tellerrand
wäre an dieser Stelle sicherlich wünschenswert gewesen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dass wir das Kind nicht mit dem Bade ausschütten
wollen, zeigt sich auch daran, dass wir eine sogenannte
Alte-Hasen-Regelung vorgeschlagen haben, die erfahre-
ne Verwalter für längere Zeit von der Fortbildungsver-
pflichtung freigestellt hätte.

WEG und Mietverwaltungen übernehmen heute
schon eine wichtige treuhänderische Aufgabe, nämlich
die Verwaltung eines Vermögenswertes in Höhe von über
2 Billionen Euro in Deutschland. Wir haben laut Statis-
tischem Bundesamt rund 261 000 Rechtsverfahren pro
Jahr. Diese Rechtsverfahren beschäftigen sich in erster
Linie mit Auseinandersetzungen, die vermieden werden
könnten, wenn die Hausverwaltungen qualitativ hoch-
wertig arbeiten würden. Deshalb plädierte sogar die ein
oder andere Anwaltsvereinigung für eine Verschärfung
bei den Berufszulassungsregeln, die wir mit diesem ers-
ten Schritt heute leider noch nicht auf den Weg haben
bringen können.

Als Koalition, meine Damen und Herren, haben wir
aber erreicht – dafür bedanke ich mich –, dass Verwal-
ter von Wohneigentum und vermietetem Wohnraum,
also Wohnimmobilienverwalter und Immobilienmakler,
künftig eine Gewerbeerlaubnis vorlegen müssen und
Wohnimmobilienverwalter darüber hinaus auch eine
Berufshaftpflichtversicherung abschließen müssen. Dies

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


ist sicherlich ein erster Schritt hin zu mehr Verbraucher-
schutz und hin zu mehr Qualität.

Alles in allem bin ich zufrieden, dass dieses Gesetz
überhaupt noch in dieser Legislaturperiode zur Umset-
zung kommt. Das Gesetz ist ein wichtiger Schritt hin zu
mehr Verbraucherschutz bei Wohnimmobilien. Das wird
bei der nächsten Evaluierung gewiss auch der Normen-
kontrollrat so sehen. Sicherlich muss in der nächsten
Wahlperiode an der einen oder anderen Stelle entspre-
chend nachjustiert werden, wenn es darum geht, für noch
mehr Qualität und noch mehr Verbraucherschutz zu sor-
gen. Dies wollen zumindest wir als SPD-Fraktion uns auf
die Fahne schreiben und nach dem 24. September dieses
Jahres angehen.

Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und
proste Ihnen mit einem Glas Wasser zu.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824029400

Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt

der Kollege Thomas Lutze.


(Beifall bei der LINKEN)



Thomas Lutze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824029500

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir alle wissen, dass
der Bereich des Immobilienerwerbs und der Immo-
bilienverwaltung ein wichtiges Thema ist, weil viele
Menschen davon betroffen sind. Es geht allein bei der
Fremdverwaltung von Wohneigentumsgemeinschaften
um einen Immobilienwert von 640 Milliarden Euro.
Daher ist diese Gesetzesinitiative der Bundesregierung
zur – ich zitiere – „Einführung einer Berufszulassungsre-
gelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter
von Wohneigentum“ richtig und notwendig. Denn gerade
Makler und Verwalter sind mit ständig wechselnden An-
forderungen und Gesetzeslagen konfrontiert. Wir Linke
begrüßen den Ansatz, eine verbindliche Berufsqualifika-
tion für Makler und Verwalter von Wohneigentum mit
gewerblichem Zweck einzuführen.


(Beifall des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE])


Es ist nicht alltäglich, dass sich Interessens- und Ver-
treterverbände von Mietern und Wohnungseigentümern
mit Maklerverbänden einig sind und gemeinsam eine
gesetzliche Regelung aufgrund der momentanen Situati-
on einfordern; das ging ja aus der Anhörung hervor. Als
neue Voraussetzung soll es daher eine Erlaubnispflicht
für beide Berufe geben, für Makler darüber hinaus einen
Sachkundenachweis. Für Verwalter von Wohneigentum
soll es zusätzlich eine Versicherungspflicht geben, für
Makler allerdings nicht. Diese Berufshaftpflichtversiche-
rung schützt im Endeffekt Mieterinnen und Mieter vor fi-
nanziellen Schäden bei Zahlungsunfähigkeit des Verwal-
ters. Diese Maßnahmen sollen auch zur Verbesserung der
erbrachten Dienstleistungen und somit zu einer Stärkung

des Verbraucherschutzes führen. Ein Sachkundenach-
weis für Makler soll die Qualität der Arbeit sichern und
bremst die dann wahrscheinlich nur vereinzelt auftreten-
den schwarzen Schafe endlich aus.

Die Linke sieht in einigen Bereichen aber noch einen
deutlichen Veränderungsbedarf; da schließe ich mich den
Worten meines Kollegen Held von der SPD-Fraktion an.
Denn der Gesetzentwurf bleibt an mehreren Punkten weit
hinter seinen Möglichkeiten zurück:

Erstens. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Mitarbei-
ter von Wohneigentumsverwaltern keinen Sachkunde-
nachweis vorlegen müssen, obwohl sie meist dieselben
Tätigkeiten ausüben. Bei den Finanzvermittlern ist so
etwas im Übrigen eingeführt worden.

Zweitens. Es ist nicht nachvollziehbar, warum der
obligatorische Abschluss einer Berufshaftpflichtversi-
cherung nicht auch auf Makler ausgedehnt wird.

Drittens. Es ist nicht nachvollziehbar, wie eine Fort-
bildungspflicht von 20 Stunden in drei Jahren die Qua-
lität der Dienstleistung von Wohneigentumsverwaltern
erhöhen soll. Das bedeutet einen Tag Fortbildung pro
Jahr, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist ein biss-
chen dünn.


(Beifall des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE])


Auch die Inhalte dieser Fortbildung sind vollkommen
unklar; sie sind nicht geregelt, und Immobilienmakler
sind von dieser Fortbildungspflicht übrigens ausgenom-
men. Das Qualifikationsniveau in der Verwaltungsbran-
che kann und wird sich so nicht verbessern, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen.

Zugleich werden die Bürokratiekosten erhöht, wenn
allein aufgrund der Erlaubnis- und der Fortbildungs-
pflicht ein Register aufgebaut und regelmäßig aktuali-
siert werden muss. Der Nutzen für Wohnungseigentümer
hingegen ist gering. Im Vergleich mit europäischen Stan-
dards werden die deutschen Regelungen in diesem Be-
reich daher auf den hinteren Plätzen bleiben.

Aufgrund dieser Sachlage werden wir der Gesetzes-
initiative der Bundesregierung noch nicht zustimmen
können, obwohl einiges in die richtige Richtung führt.
Wir fordern daher eine Korrektur der aufgeführten De-
fizite spätestens zu Beginn der nächsten Wahlperiode.
Ansonsten können unter anderem Verbraucherschutz und
Bürokratieabbau nicht erreicht werden.

Herzlichen Dank, ein herzliches Glückauf und einen
schönen Feierabend nachher!


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Marcus Held [SPD] – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Weidmannsheil!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824029600

Vielen Dank. – Das mit dem Feierabend dauert noch

etwas. Es ist aber schon einmal gut, dass wir ihn ge-
wünscht bekommen.

Marcus Held






(A) (C)



(B) (D)


Jetzt hat Astrid Grotelüschen für die CDU/CSU-Frak-
tion das Wort. Bitte schön.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Astrid Grotelüschen (CDU):
Rede ID: ID1824029700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Kollegen! Bei der Einführung einer Berufszulassungsre-
gelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter
haben wir von Anfang an recht unterschiedliche Diskus-
sionen geführt. Ich denke, das liegt einfach daran, dass es
sich um eine sehr hoch diversifizierte Branche handelt,
die in den vergangenen Jahren ständig gewachsen ist und
der damit natürlich auch eine steigende Bedeutung beim
Verkauf und auch bei der Verwaltung von Immobilien
zukommt.

Es gibt bisher keine bzw. nur geringe Berufszulas-
sungsregelungen, sodass der Ruf nach gesetzlichen Re-
gelungen immer lauter wurde. In diesem Zusammenhang
kam natürlich die Diskussion auf, wie und in welchem
Umfang die Politik hier eingreifen soll. Da schieden sich
dann doch die Geister. Ich finde, das hat man bei der An-
hörung sehr deutlich gesehen, und ich habe das auch in
Gesprächen im Wahlkreis feststellen können. In Zeiten
von Deregulierung im Europäischen Binnenmarkt – hin-
sichtlich der Freien Berufe begleite ich das Ganze ja als
Berichterstatterin – mutet die Forderung der Branche na-
türlich – so ging es mir jedenfalls – eher anachronistisch
an, weil gleichzeitig Wünsche nach praktikablen und
nicht zu bürokratischen Regelungen formuliert wurden.

Der Erstentwurf des Ministeriums war ohne nennens-
werte Erweiterungen der Regelungen für Makler formu-
liert, Mietverwalter wurden gar nicht erwähnt, und ein
einmaliger Sachkundenachweis von 15 Stunden sollte
als Hürde für den zukünftigen Berufszugang aufgestellt
werden.

Ein zentraler Punkt, der uns in der politischen Dis-
kussion von Anfang an geeint hat, war – das möchte ich
schon zusammenfassen –: Wenn wir ein Gesetz formu-
lieren, dann soll es zu einer zusätzlichen Transparenz
führen, dem Schutz der Verbraucher dienen und vor allen
Dingen durch Einziehen einer Leitplanke zu einer quali-
tativen Differenzierung bei der Berufsausübung des Ma-
klers und des Verwalters führen.

Diesem Vorhaben haben wir uns als CDU/CSU-Frak-
tion gestellt, und zwar auf dem Hintergrund – das ist
schon mehrfach angeklungen –, dass der Erwerb von
Wohnungseigentum und natürlich auch dessen Vermie-
tung wichtige Formen der Vermögensbildung hier bei
uns in Deutschland sind. Dem Verbraucherschutz kommt
hier unter dem Aspekt der Altersvorsorge eine ganz be-
sondere Bedeutung zu – natürlich auch aufgrund der
wachsenden Zahl an Fremdverwaltungen.

Ich denke, mit dem vorliegenden Entwurf erreichen
wir unser Gesamtziel, nämlich den Verbraucherschutz zu
stärken, Bürokratie zu vermeiden und die Gewerbefrei-
heit zu wahren. Wir reden von einer praktikablen Lösung.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, mit
diesem Gesetzentwurf und auch mit den nachfolgenden
Verordnungen, die wir zur Präzisierung unseres Vorha-
bens notwendigerweise brauchen, führen wir aus meiner
Sicht vier wichtige Leitplanken ein, und zwar in großer
Übereinstimmung mit unserem Koalitionspartner. In die-
sem Zusammenhang danke ich Herrn Held für die – ich
bezeichne das jetzt einmal so – unkomplizierte Zusam-
menarbeit.

Die vier Leitplanken lauten, und zwar einheitlich für
Makler, für Verwalter und für Mietverwalter, Herr Lutze:
erstens Erlaubnispflicht nach § 34c der Gewerbeordnung,
zweitens als zentraler Punkt Vermittlung von Fachwissen,
das über die IHK oder ein zertifiziertes Institut erbracht
werden kann, drittens Informationspflicht und viertens
Verpflichtung zum Abschluss einer Berufshaftpflichtver-
sicherung. Aus meiner Sicht ist das eine sehr sinnvolle
Kombination von Maßnahmen, die uns, gemeinsam mit
der Branche umgesetzt, unseren Zielen etwas näher brin-
gen.

Mir ist besonders wichtig – deshalb gehe ich noch ein-
mal auf den zweiten Punkt ein –, dass genau diese Ver-
mittlung von Fachwissen in regelmäßigen Abständen und
kontrolliert stattfindet. Hier hat die Immobilienwirtschaft
zukünftig aus meiner Sicht die Verpflichtung und auch
die Möglichkeit, aktiv ein Lernmodul zu entwickeln,
das bei der ersten fälligen sogenannten Fortbildung dem
Sachkundenachweis entspricht und dann bei jeder jetzt
gesetzlich geforderten Wiederholung, spätestens also
nach drei Jahren, die Schwerpunkte auf die Weiterbil-
dung fokussiert bzw. sich aktueller Fragestellungen an-
nimmt. Das, meine Damen und Herren, ist doch allemal
mehr Wissensvermittlung und Verbraucherschutz als das,
was vorher vorgeschlagen war, nämlich der einmalig in
15 Stunden zu erwerbende Sachkundenachweis. Deshalb
finde ich die vereinzelt hochgezogene Diskussion wirk-
lich unredlich, weil wir mit genau dieser Fortbildungs-
pflicht viel mehr für den Verbraucher erreichen werden.


(Thomas Lutze [DIE LINKE]: Mit einem Tag Fortbildung im Jahr?)


Praktisch ist aus meiner Sicht zudem, dass die Al-
te-Hasen-Regelung entfällt. Ich betone, dass die Fort-
bildung nachgewiesen werden muss. Es besteht zudem
eine Informationspflicht in Kombination mit der Fortbil-
dungspflicht. Deshalb glaube ich, dass der Verbraucher
nach einem Blick auf das Zertifikat sicherlich besser in-
formiert ist und weiß, wer ihm gegenübersitzt.

Ich denke, das ist ein starkes Signal, zumal eine Nicht-
erfüllung dieser Pflicht eine Ordnungswidrigkeit dar-
stellt, also auch zu ahnden ist.

Mein Ziel und das meiner Fraktion war neben dem
Aspekt der erweiterten Verbraucherinformation immer,
dass übermäßige Bürokratie und ausufernde Kosten ver-
mieden werden. Wir sind davon überzeugt, dass wir mit
diesem Gesetz genau das erreichen. Deshalb werden wir
heute Abend oder heute Morgen – ist es schon so weit?
ich weiß es nicht –


(Gustav Herzog [SPD]: In vier Minuten!)


Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


zustimmen und im weiteren Verlauf die Rechtsverord-
nung inhaltlich und konstruktiv begleiten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Branche – das soll mein letzter Satz sein – steht
nun in der Pflicht und muss dieses Gesetz nutzen, um
sich ab dem kommenden Jahr über Verbraucheraufklä-
rung, über eine gute Informationspolitik und definierte
Lerninhalte selbst zu regulieren. So kann sie sicherstel-
len, dass auch der Verbraucher von diesen Maßnahmen
profitieren wird. Ich denke, das wird der Fall sein.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824029800

Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht

jetzt Christian Kühn.

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Nach so einer Rede denkt man: Jetzt ist al-
les super. – Aber es ist eben nicht alles super. Die Große
Koalition hat bei dem Thema Verbraucherschutz von Ei-
gentümerinnen und Eigentümern wirklich relativ wenig
auf die Reihe gebracht. Das, was Sie heute Abend durch
das Parlament bringen wollen, ist, sage ich einmal, sehr
dürftig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ihnen ist dazu nicht richtig viel eingefallen. Ich finde,
gerade von der Union ist dieses zögerliche Handeln in
diesem ganzen Gesetzgebungsprozess sehr peinlich. Ich
als bau- und wohnungspolitischer Sprecher bekomme
von Ihnen auf jedem Podium das Hohelied zu hören, wie
wichtig Ihnen die Eigentümerinnen und Eigentümer in
Deutschland sind


(Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU: Genau! – Sind sie auch! – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Wir geben Freiheit und nicht die Regulierung und die Bevormundung!)


und was sie für sie alles tun wollen. Wenn es dann aber
konkret darum geht, den Verbraucherschutz von Eigen-
tümerinnen und Eigentümern voranzubringen, dann kni-
cken Sie ein und machen einen Gesetzentwurf mit sehr
spärlichem Inhalt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe ursprünglich einmal gedacht, dass wir hier
im Parlament, also alle vier Fraktionen gemeinsam, den
Sachkundenachweis für Verwalter und Makler voran-
bringen. Das wäre dringend notwendig gewesen. Aus
der Idee eines Sachkundenachweises ist nun eine Fortbil-
dungspflicht geworden. Ich finde, das ist angesichts der
Tatsache, dass wir beim Verbraucherschutz von Eigen-
tümerinnen und Eigentümern auf den Immobilienmärk-
ten in Deutschland riesengroße Probleme haben, viel zu
wenig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


WEG-Verwalter in Deutschland verwalten ein Immo-
bilienvermögen in Höhe von 640 Milliarden Euro. Dass
wir hier nicht einmal ein Mindestmaß an Qualifikation
hinbekommen, was es bei vielen anderen Berufsgruppen
gibt, ist, wie ich finde, ein Skandal. Da geht es um das
Altersvermögen von Menschen. Da geht es darum, dass
deren Vermögen treuhänderisch verwaltet wird, und zwar
auf einem hohen Niveau im Rahmen einer schwierigen
Gesetzgebungsmaterie. Mir ist nicht klar, warum sich die
Union hier so sperrt.

Es ist heute Abend schon zitiert worden, wie die Er-
gebnisse von Gerichtsverfahren zum WEG-Recht sind.
Ich meine, das WEG-Recht an sich müsste dringend
angepackt werden, damit wir hier endlich mehr Klar-
heit bekommen. Aber dass Sie bei dem ersten Schritt,
bei der WEG-Verwaltung anzusetzen, nicht vorankom-
men und dass Sie hier so wenig bringen, kann ich nicht
verstehen. Es gibt über 30 000 Gerichtsverfahren wegen
WEG-Streitfällen. Das ist ein deutlicher Anstieg, und das
zeigt ganz klar, dass hier deutlich mehr notwendig ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn wir die Energiewende im Gebäudebereich schaf-
fen wollen, dann schaffen wir das eben nicht nur durch
technische Regelungen und Förderprogramme, sondern
wir brauchen auch Menschen, die sie umsetzen. Wer sich
mit dem Thema „energetische Gebäudesanierung“ be-
schäftigt, weiß auch, dass ein Verwalter in einer WEG
dabei eine ganz zentrale Schlüsselrolle spielt. Dass wir es
nicht zum Bestandteil der Ausbildung machen, wie eine
Immobilie heute modernisiert wird, ist für mich völlig
schleierhaft. Hier wäre es dringend notwendig gewesen,
dass Sie vorankommen und einen Sachkundenachweis
auch für den Bereich Modernisierung einführen.

Ich halte das, was Sie heute Abend hier durchbringen,
ehrlich gesagt, ein Stück weit für einen verbraucherpoli-
tischen Skandal.


(Ulrich Lange [CDU/CSU]: Es gibt keine grüne Rede ohne das Wort „Skandal“! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


– Doch. Denn Sie sind nicht bereit, den Weg für den
Sachkundenachweis frei zu machen und damit den Ver-
braucherschutz wirklich zu stärken.

Es geht, wie gesagt, um eine treuhänderische Verwal-
tung. Wir hätten bei dem Sachkundenachweis mitge-
macht, auch wenn es nur der Spatz in der Hand gewesen
wäre. Am Ende haben Sie aber aus dem Spatz eine Mü-
cke gemacht, und das ist angesichts der Probleme, die es
auf diesen Märkten gibt, viel zu wenig.

Denken Sie nur daran, wie die Anhörung gelaufen ist.
Da waren sich die Mieterverbände und die Eigentümer-
verbände einig. Die Makler selber und auch die Verbrau-
cherschützer wollten es. Dass Sie als Union diese Allianz
nicht als Weckruf wahrnehmen, dass man hier wirklich
vorangehen muss, finde ich sehr, sehr schade, und wir be-
dauern es sehr, dass wir dem Gesetzentwurf heute nicht
zustimmen können. Denn was Sie machen, ist eher Ver-
brauchertäuschung als etwas, das uns beim Verbraucher-
schutz bei Eigentum wirklich voranbringt.

Astrid Grotelüschen






(A) (C)



(B) (D)


Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824029900

Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist die Kollegin Barbara Lanzinger, CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Barbara Lanzinger (CSU):
Rede ID: ID1824030000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Im Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperio-
de, die jetzt bald zu Ende geht, heißt es – ich zitiere aus
diesen Leitlinien, die die Regierungsfraktionen damals
vorgaben –:

Der Abbau von unnötiger Bürokratie stärkt die
Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen, insbe-
sondere kleiner und mittlerer Unternehmen. … Wir
wollen Wirtschaft und Bürger weiter spürbar von
unnötiger Bürokratie entlasten. … Gesetze müssen
einfach, verständlich und zielgenau ausgestaltet
werden,

– sofern wir sie denn überhaupt brauchen –

damit Bürokratielasten vermieden und so gering
wie möglich gehalten werden.

Ich füge hinzu: Halte Maß und bedenke das Ende!
Genau das macht unsere Koalition aus, nämlich dass wir
überlegen, ob wir tatsächlich noch mehr Gesetze brau-
chen. Wir reden jeden Tag darüber, wie viele unnötige
Gesetze wir haben.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum habt ihr es überhaupt gemacht?)


Die ganzen Diskussionen im Bundestag zeigen, dass
es oftmals um Gesetzesvorhaben geht, die unsere Bürger
belasten. Sie verwalten nur, und der Bürger hat gar nicht
mehr die Möglichkeit, selbst entscheiden zu können.


(Beifall bei der CDU/CSU)


In diesem Fall wollen wir wieder ein Mehr an Geset-
zen. Wir haben uns dann als Koalition mit dem Kollegen
Held von der SPD über diesen Gesetzentwurf verstän-
digt,


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der einen guten Job gemacht hat!)


und wir haben als Union den Entwurf ernsthaft geprüft.
Ich sage Ihnen ganz klar: Wir haben ernsthaft überlegt,
diesen Gesetzentwurf gar nicht durchgehen zu lassen.


(Marcus Held [SPD]: Das war ehrlich jetzt!)


– Ich bin immer ehrlich. So weit müssten Sie mich ken-
nen.

Wir haben uns zusammengesetzt und uns gefragt: Was
schaffen wir? Was bekommen wir hin? – Dafür bedanke
ich mich. Das war nicht einfach. Das stimmt; das gebe
ich auch ganz ehrlich zu.

Das Ergebnis dieser langen und auch intensiven Ver-
handlungen ist jetzt ein ausgewogenes Gesetz. Das haben
Sie und auch Kollegin Grotelüschen richtig gesagt. Wir
haben Maß gehalten und das Ende bedacht.

Die Anhörung war aber nicht so eindeutig, wie Sie es
geschildert haben.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Im Gegenteil!)


– Eher das Gegenteil. – Sie war schon zweigeteilt.

Wir sorgen für Verbraucherschutz. Wir schränken die
Gewerbefreiheit nicht unnötig ein. Ich wiederhole es
noch einmal: Die Verwalter brauchen künftig eine Ge-
werbeerlaubnis. Für Makler gibt es sie bereits; das wurde
schon gesagt. Die Erlaubnisvoraussetzungen sind Zu-
verlässigkeit und geordnete Vermögensverhältnisse. Die
Verwalter müssen die Berufshaftpflichtversicherung ab-
schließen, damit auch gewährleistet ist, dass Verbraucher
im Schadensfall zu ihrem Geld kommen.

Wir führen die regelmäßige Fortbildungspflicht für
Verwalter und Makler ein. Wer den Nachweis nicht er-
bringt, kann mit einem Bußgeld belegt werden. Wer eine
solide Aus- und Weiterbildung hat, nämlich zum staatlich
anerkannten Immobilienkaufmann und Immobilienfach-
wirt, muss erst drei Jahre später mit der Fortbildung be-
ginnen.

Ich halte das für richtig. Wichtig ist uns bei alldem:
Wir setzen auf den mündigen Verbraucher. Das heißt,
Wohnungseigentümer oder Maklerkunden sollten selbst
darauf achten, dass Verwalter oder Makler qualifiziert
sind. Schließlich geht es dabei um ihre Interessen. Aber
nur der, der ausreichend informiert ist, kann tatsächlich
richtig entscheiden. Deshalb setzen wir eine Verbraucher-
informationspflicht ein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Von vielen Vertretern wurde dieser Sachkundenach-
weis gefordert. Ein solcher Eingriff muss gerechtfertigt
sein.


(Marcus Held [SPD]: Ja!)


– Da können Sie jetzt lachen.


(Marcus Held [SPD]: Ich freue mich doch nur!)


Wir haben ganz klar gesagt: wenn Missstände benannt
werden. Diese wurden nicht benannt. Deshalb haben wir
auch darauf verzichtet und das so gelöst, wie wir es ge-
löst haben. Es hieß, es wäre eine Grundvoraussetzung,
um die Notwendigkeit der Regulierung zu erfüllen, um
auch verfassungsrechtlich die Rechtfertigung zu beurtei-
len, zumal die geplanten Regelungen insbesondere kleine
und mittelständische Immobilienverwaltungen und -ma-
kler belastet hätten. Dass es diese vielen Missstände gibt,
hat sich aus den Stellungnahmen der Experten nicht erge-
ben. Zumindest wurden uns keine Zahlen dazu genannt.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht! Herr Kaßler hat bei der Anhörung einige Zahlen genannt!)


Christian Kühn (Tübingen)







(A) (C)



(B) (D)


Es gab noch weitere Argumente gegen den Sachkun-
denachweis. Bei der vieldiskutierten Alte-Hasen-Rege-
lung hätten Verwalter und Makler, die schon länger im
Markt sind und von denen behauptet wurde, wir hätten
im Zusammenhang mit ihnen Altlasten, keinen Nachweis
erbringen müssen. Damit hätte sich zwar der Erfüllungs-
aufwand der Wirtschaft reduziert, aber überzeugt hätte
mich diese Regelung nicht, und zwar deshalb: Wenn die
behaupteten Missstände vom Versagen unqualifizierter
Altverwalter herrühren, ist nicht einzusehen, warum ge-
rade sie dann keinen Sachkundenachweis leisten sollen.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir wollten die Alte-Hasen-Regelung nicht!)


Es war auch aus diesem Grund sachgerecht, den Sach-
kundenachweis nicht einzuführen.

Ich denke, bei allen Diskussionen, die geführt wurden,
und bei allen Forderungen, die gestellt wurden, müssten
wir eigentlich insgesamt überlegen – das könnte dann der
neue Bundestag tun –, nicht über einen Sachkundenach-
weis zu reden, sondern gleich auf die Ausbildung zum
Immobilienkaufmann oder zur Immobilienkauffrau zu
verweisen. Dann können Sie nämlich die ganzen Punk-
te, die Sie fordern, zum Beispiel Energie, abdecken. Der
Sachkundenachweis, den Sie fordern, ist ein eierlegen-
der Sachkundenachweis. Der bringt Ihnen gar nichts;
denn der einmalige Sachkundenachweis bedeutet keine
beständige Fortbildung. Wählen Sie lieber gleich einen
gescheiten Beruf, dann haben Sie das, was Sie eigentlich
wollen.

Ich fasse zusammen: Mit dem vorliegenden Gesetz
ist dem Verbraucherschutz ausreichend Rechnung getra-
gen. Wir setzen auf den mündigen Verbraucher. Uns ist
es hoffentlich gelungen, nicht ein Zuviel an Bürokratie
zu erzeugen.

Ich bedanke mich fürs Zuhören und danke für die Zu-
sammenarbeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824030100

Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet.

Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 25 a zur
Abstimmung über den von der Bundesregierung einge-
brachten Gesetzentwurf zur Einführung einer Berufs-
zulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler
und Verwalter von Wohnungseigentum. Der Ausschuss
für Wirtschaft und Energie empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12831,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/10190 in der Ausschussfassung anzunehmen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Das ist die Koalition. Wer stimmt dagegen? – Das
ist die Opposition. Wer enthält sich? – Damit ist der Ge-
setzentwurf in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem glei-
chen Stimmenverhältnis angenommen.

Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie
auf Drucksache 18/12831 fort unter Tagesordnungs-
punkt 25 b. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe
b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des An-
trags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/8084 mit dem Titel „Wohneigentumsrecht um-
fassend reformieren und modernisieren“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Das ist die Koalition. Wer
stimmt dagegen? – Das ist die Opposition. Wer enthält
sich? – Niemand. Damit ist die Beschlussempfehlung an-
genommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Schornsteinfe-
ger-Handwerksgesetzes

Drucksache 18/12493

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss)


Drucksache 18/12832

Wenn Sie damit einverstanden sind, werden die Re-
den zu Protokoll gegeben. – Ich sehe, das ist der Fall.1)

Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss
für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/12832, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/12493 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zwei-
ter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Damit ist der Gesetzentwurf mit dem gleichen Stimmen-
verhältnis angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu der am 19. Juni 1997
beschlossenen Urkunde zur Abänderung der
Verfassung der Internationalen Arbeitsorga-
nisation

Drucksachen 18/12331, 18/12716

1) Anlage 11

Barbara Lanzinger






(A) (C)



(B) (D)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)


Drucksache 18/12820

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das
ist der Fall.1)

Dann kommen wir auch hier zur Abstimmung. Der
Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12820,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
chen 18/12331 und 18/12716 anzunehmen.

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Niemand. Wer enthält sich? –
Auch niemand. Damit ist der Gesetzentwurf einstimmig
angenommen.

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 28 a und
28 b:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur (15. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD

Kooperationsmodelle im Nachtzugverkehr
stärken

– zu dem Antrag der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Die Nachtzüge retten – Klimaverträgli-
chen Fernreiseverkehr auch in Zukunft
ermöglichen

Drucksachen 18/12363, 18/7904, 18/12775

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
Gastel, Stephan Kühn (Dresden), Markus Tressel,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Nachtzugverkehr als Teil moderner und kli-
mafreundlicher Mobilität ausbauen – Zehn-
Punkte-Plan für ein europäisches Nachtzug-
netz

Drucksache 18/12560

Das Thema entspricht auch der jetzigen Zeit.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Da gibt es kei-
nen Widerspruch.

Ich eröffne die Aussprache. Für die Bundesregierung
hat erneut der Parlamentarische Staatssekretär Enak
Ferlemann das Wort. – Bitte schön, Herr Ferlemann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Gustav Herzog [SPD]: Tapfer!)


1) Anlage 12

E
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1824030200


Sehr geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Man fragt sich, was man eigentlich falsch
gemacht hat, dass man als Staatssekretär nach Mitter-
nacht noch zu einem Thema hier im Hohen Hause reden
muss.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Da haben Sie ganz schön viel falsch gemacht! Eigentlich alles!)


Die Frage stellt sich deshalb, weil meine Wenigkeit
heute Morgen um 7.30 Uhr den ersten Termin hatte,
ebenso wie meine geschätzten Kollegen Staatssekretäre,
denen ich für die Solidarität, heute Abend diese Debatte
noch zu begleiten, von Herzen dankbar bin. Wenn man
viel gesprochen hat, merkt man an der Stimme, dass es
langsam grenzwertig wird.

Wir haben diese Debatte unter anderem dem Kollegen
Gastel zu verdanken. Der Kollege Gastel wollte, dass die
Mitglieder des Hohen Hauses einmal spüren, wie man
sich fühlt, wenn man nachts um diese Zeit in einen Zug
steigt, wie man sich fühlt, wenn man mit einem Nachtzug
fahren würde. Deswegen ist die Zeit, wie die Präsidentin
es gesagt hat, durchaus richtig. Herr Gastel, ich komme
gleich noch auf Sie zurück.

Es hat natürlich eine große Diskussion in Deutschland
gegeben, als die DB AG entschieden hat, sich aus dem
Segment Nachtzugverkehr zurückzuziehen. Sie könne
ihn wirtschaftlich nicht mehr betreiben, das Wagenma-
terial sei veraltet, die Kosten könnten nicht eingespielt
werden, und die Nachfrage gehe deutlich zurück.

Wir sind sehr froh, dass es durch Vermittlung von Par-
lamentariern, aber auch unseres Hauses gelungen ist, die
ÖBB, die Österreichischen Bundesbahnen, bewegen zu
können, dieses Segment in Deutschland zu fahren. Die
Österreicher können das, sie verdienen damit auch Geld.
Sie haben die Wagen übernommen und modernisiert. Es
ist nichts schöner, als morgens mit einem Wiener Schmäh
den ersten Kaffee um 5.30 Uhr im Nachtzug genießen zu
können. Es ist ein Segment, über dessen Existenz sich
viele Menschen freuen.

Die DB hat entschieden, als Ausgleich ICs und ICEs
zu späterer Stunde fahren zu lassen, und viele Menschen
fahren heute mit Fernbussen oder fliegen. Deswegen
glauben viele, dass es kein Marktsegment für Nachtzüge
mehr gibt. Aber es gibt eine Klientel in unserem Land,
die gerne einmal Nachtzug fährt, im Liegewagen oder
im Schlafwagen. Ich bevorzuge Letzteres. Es ist wichtig,
dass es dieses Verkehrssegment weiter gibt. Wir sind den
Österreichern sehr dankbar dafür, dass sie Nachtzüge in
Deutschland fahren lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sehr geehrter Herr Kollege Gastel, Sie waren ges-
tern – das muss ich jetzt um diese Uhrzeit sagen – ein
sehr berühmter Mann im Netz, und Sie werden es wahr-

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


scheinlich auch noch heute sein. Ich hoffe, Sie haben die
Sequenz gesehen,


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich war dabei!)


in der der Ministerpräsident Ihres Bundeslandes Sie in
einer Weise belehrt, die einfach großartig ist.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ganz ohne Schlafwagen!)


Der Ministerpräsident hat vollkommen recht. Und
auch ich – ich kann es Ihnen nicht ersparen – muss Ihnen
heute noch eine leichte Belehrung erteilen. Denn so gut
der Antrag der Koalitionsfraktionen ist, um das Segment
Nachtzugverkehr zu stärken, so innerlich vollkommen
falsch ist wiederum der von Ihnen gestellte Antrag. Sie
sind jetzt lange genug im Verkehrsausschuss. Sie sind lan-
ge genug dabei. Ich habe Ihnen x-mal das Aktienrecht in
Deutschland erklärt und welche Rechte Sie als Parlamen-
tarier und stellvertretend als Eigentümer der Deutschen
Bahn haben. Doch jedes Mal stellen Sie wieder Anträge,
das Aktienrecht nicht zu beachten – vollkommen neben
der Spur, im wahrsten Sinne des Wortes. Vielleicht haben
Sie den Antrag in einem Nachtzug geschrieben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich weiß es nicht. Jedenfalls ist es sachlich nicht gerecht-
fertigt.

So wie Sie völlig zu Recht die Belehrung vom Minis-
terpräsidenten bekommen haben, so müssen Sie sich das
heute hier auch anhören. Was Sie beantragen, ist inhalt-
lich wiederum völlig falsch. Gewöhnen Sie es sich ab!
Sollte den Wählerinnen und Wählern das Missgeschick
passieren, dass Sie noch einmal Mitglied dieses Hauses
werden,


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist jetzt aber wirklich völlig unterirdisch!)


gewöhnen Sie sich daran, dass Sie sich wenigstens an
Recht und Gesetz halten; denn es ist Ihnen oft genug er-
klärt worden.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben den falschen Antrag gelesen!)


Von daher gesehen kann ich nur daran appellieren, den
Antrag der Koalitionsfraktionen zu unterstützen. Er ist
gut. Er hilft uns bei unserer Arbeit. In diesem Sinne freue
ich mich, wenn viele Nachtzüge durch Deutschland rol-
len und sie vor allem sicher und unfallfrei Menschen an
die Orte bringen, an die sie gelangen wollen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824030300

Vielen Dank. – Jetzt hat die Kollegin Sabine Leidig,

Fraktion Die Linke, das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824030400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Einen

schönen guten Abend! Ich bin jetzt wirklich verleitet, auf
Herrn Ferlemann direkt einzugehen. Das werde ich aber
nicht tun, weil ich nur vier Minuten Redezeit habe.

Ich möchte noch einmal deutlich machen, dass ein gu-
tes Nachtzugnetz in Europa eine entspannte Alternative
zum stressigen und umweltschädlichen Fliegen wäre und
dass die Politik dieses Thema viel zu lange verschlafen
hat. Das sage nicht nur ich, sondern das sagt auch der
Journalist und Bahnexperte Thomas Wüpper, der sich
mit dieser Frage sehr intensiv beschäftigt hat, und das
sagen auch Millionen Reisende, die tatsächlich Nacht-
züge, und zwar mit Schlaf- und Liegewagen, sehr gerne
benutzen bzw. benutzen würden, wenn es sie denn gäbe.

Im besten Fall macht man sich abends ganz entspannt
im Zug lang. Zu dieser Zeit schläft man schon. Man
spart die Kosten für eine Nacht im Hotel und kommt am
nächsten Morgen ausgeschlafen und pünktlich mitten in
der Stadt an, in der man sein möchte, und nicht irgendwo
jwd in einem Airport. Dazu kommt das berechtigte Ge-
fühl, dass man mit dieser Bahnreise die Umwelt und das
Klima wesentlich weniger belastet hat; beim Fliegen sind
Abgase und Lärm wirklich ein Riesenproblem.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Nun sieht die Lage aber leider so aus, dass die Deut-
sche Bahn AG im Dezember 2016 ihren letzten Nachtzug
eingestellt hat. Die Deutsche Bahn AG hat diesen Kom-
fort den Reisenden entzogen, und das, obwohl dieses
Angebot laut Bahn-Vorstand Berthold Huber mit einem
Fahrgastzuwachs von 30 Prozent im Jahr 2015 aufwarten
konnte. Also, das ist schon irgendwie eine kuriose Ge-
schichte.

Sie haben es gerade gesagt: Die Österreichische Bun-
desbahn, die ÖBB, übernimmt einige Verbindungen und
baut andere aus. Wir können nach Wien, Salzburg, Rom,
Mailand und Venedig fahren, nach Zürich und demnächst
auch nach Kroatien, aber es gibt keine Nachtzugverbin-
dungen nach Warschau, nicht nach Paris, nicht nach Ko-
penhagen, nicht nach Prag, nicht nach Bratislava, nicht
nach Amsterdam. Überall dort gibt es Initiativen von
Reisenden, von Bahnfreundinnen und -freunden für die
Wiederherstellung dieser Nachtzugverbindungen. Es gibt
auch bei vielen jungen Leuten einen Bedarf, die nämlich
wirklich ein Bewusstsein dafür entwickelt haben, dass
man Alternativen braucht zum klimazerstörerischen Flie-
gen.

Es hätte natürlich jede Menge Möglichkeiten gegeben
für eine Politik auf der Höhe der Zeit, um dieses Nacht-
zugsegment zu unterstützen. Da muss man nicht sozusa-
gen dirigistisch dem Bahnvorstand Vorschriften machen,
aber selbstverständlich kann man auf die Bahn einwir-
ken. Das haben Sie ja jetzt auch mit dem Antrag der Gro-
ßen Koalition quasi als Auftrag an die Bundesregierung
gegeben. Das hätten Sie aber vor drei Jahren machen
müssen, als das Thema auf die Tagesordnung kam.

Ich will noch einmal daran erinnern, dass wir im
März 2015 die Anhörung hatten, in der Sie sich tatsäch-

Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann






(A) (C)



(B) (D)


lich von den Sachverständigen darüber haben aufklären
lassen, dass Nachtzüge eben nicht out und von gestern
sind und keiner sie mehr will, sondern dass sie ein wich-
tiger Teil des Angebots auf der Schiene sind.

In der nachfolgenden Debatte wurde hoch und heilig
versprochen – auch vom Kollegen Donth; ich habe mir
das Zitat noch einmal herausgesucht –, dass es auf keinen
Fall dazu kommen würde, dass sich die Deutsche Bahn
AG komplett aus diesem Segment zurückzieht. Im Ge-
genteil, man wäre in enger Abstimmung mit der Bahn für
ein neues Konzept.


(Michael Donth [CDU/CSU]: Sicher!)


Dieses Konzept hat die Bahn sozusagen verkündet, als
sie im Dezember 2016 mit der pressewirksamen Aktion
„Klimazug zum Klimagipfel nach Kopenhagen“ gleich-
zeitig verkündet hat: Ende, aus! Wir ziehen uns komplett
zurück. –


(Zuruf des Abg. Michael Donth [CDU/CSU])


Sie lassen sich da auf der Nase herumtanzen und unter-
stützen einen Bahnvorstand, der an dieser Stelle wirklich
fantasielos ist.

Sie hätten zum Beispiel Investitionszuschüsse geben
können. Sie haben das Automobilunternehmen Porsche
mit 360 Millionen Euro darin unterstützt, auf der IAA
einen Elektro-Porsche zu präsentieren. Warum haben Sie
dann nicht 30 Millionen Euro übrig, um die Deutsche
Bahn zu befähigen, neue Nachtzüge anzuschaffen? Das
war ein Argument, warum sich das für Sie nicht lohnen
würde.

Wir haben eine tolle internationale Kampagne erlebt
und erleben sie immer noch. Menschen überall und eben
auch ganz viele in Deutschland – 38 000 – haben die Pe-
tition unterschrieben; die Betriebsräte haben sich massiv
eingebracht.

Ich möchte an der Stelle noch einmal sagen: Den
Anstoß dazu, dass dieses Thema überhaupt auf die Ta-
gesordnung gebracht wurde, dass wir uns damit beschäf-
tigen, dass Journalisten, Künstlerinnen und Künstler,
Professoren, alle möglichen Leute sich damit identifizie-
ren und sagen: „Wir wollen diese Reisekultur“, haben die
Betriebsräte aus diesem Bahnsegment gegeben.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824030500

Frau Leidig.


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824030600

Das sind dieselben, die jetzt vom Bahnkonzern wirk-

lich schäbig behandelt werden und immer noch keine or-
dentliche Alternativbeschäftigung haben. Ich finde, das
ist wirklich auch eine Aufgabe dieses Hauses, sich da-
rum zu kümmern, dass diese Leute nicht auf der Strecke
bleiben.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824030700

Frau Kollegin Leidig, jetzt muss ich Sie wirklich bit-

ten, zum Schluss zu kommen.


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1824030800

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824030900

Danke. – Nächste Rednerin ist Kirsten Lühmann,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1824031000

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!

Vor fast zwei Jahren haben wir uns hier das letzte Mal
getroffen, um über dieses Thema zu reden. Grund war,
dass die Deutsche Bahn AG angekündigt hat, mit dem
Fahrplanwechsel sämtliche Nachtzugverbindungen, die
sie selber betreibt, einzustellen.

Ich erinnere mich sehr gut: Wir standen hier, und
alle Redenden haben von ihren eigenen Erfahrungen in
Nachtzügen berichtet. Wir waren uns einig, das waren
schöne Erfahrungen. Und damit endete unsere Einigkeit.

Die Deutsche Bahn AG hat uns damals gesagt: Wir
können die Nachtzüge nicht mehr selber fahren. – Wa-
rum nicht? Zum einen ist es die Konkurrenz von Bil-
ligfliegern und sind es die Hotelkosten, die deutlich ge-
sunken sind, die dagegenstehen, zum anderen ist es aber
auch die Tatsache, dass das rollende Material veraltet ist,
auch keine Zulassung mehr hat und für teures Geld hätte
nachgerüstet werden müssen. Zum Schluss wurde auch
noch die Tatsache genannt, dass die Betriebskosten sehr
hoch sind, unter anderem durch erhöhte Trassenpreise
im Ausland. Ich weiß es selber. Meine Lieblingsverbin-
dung Berlin–Brüssel ist schon wesentlich früher einge-
stellt worden, weil die Trassenpreise in Belgien so hoch
waren, dass es keine Kunden mehr gab, die diesen Preis
bezahlen wollten.

Aus all diesen Gründen hat uns die Bahn gesagt: Un-
sere Züge haben zwar eine hervorragende Auslastung –
Herr Gastel, ich kann mich noch erinnern: Sie haben uns
hier von Ihren Erfahrungen berichtet; Sie haben mehrfach
versucht, kurzfristig in einem Nachtzug zu reservieren,


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vier Wochen vorher schon!)


und haben die Auskunft bekommen, dass er ausgebucht
ist und Sie nicht mehr hineinkommen; die Bahn hat uns
bestätigt, dass es so ist –; aber trotz dieser Auslastung
stehen wir vor der Situation, dass wir Verluste in Höhe
von 30 Millionen Euro pro Jahr einfahren.

Die Frage war: Was ist zu tun? Die Bahn hat uns ge-
sagt: Wir können diese Verluste nicht übernehmen. Wir
kündigen aber an, dass wir ein neues Konzept machen,
dass wir für Reisende die Möglichkeit anbieten, auch
über die Nacht von A nach B zu kommen.

In unserer Diskussion gab es einige, die der Meinung
waren, das müsse man nicht abwarten, sondern man kön-
ne da auch mit Steuergeldern hineingehen. Ich bin sehr
froh, dass die Koalition dieses Konzept abgelehnt hat;

Sabine Leidig






(A) (C)



(B) (D)


denn dieses Geld hätte uns im System Schiene an anderer
Stelle gefehlt, wo es eventuell einen wesentlich höheren
Nutzen hat.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Stuttgart 21 zum Beispiel! Da gibt es 3 Milliarden zusätzlich!)


Wenn ich mir das heute anschaue, komme ich zu dem Er-
gebnis: Es war gut, dass wir gewartet haben, bis die Bahn
ihr Konzept vorgelegt hat; denn die Situation heute, liebe
Kolleginnen und Kollegen, ist eine sehr komfortable.

Erstens. Wir haben die schnellen ICE. Wir haben als
Koalition und Bundesregierung in dieser Legislatur sehr
viel Geld ausgegeben, um diese schnellen Städteverbin-
dungen zu fördern. Als Letztes wird unter anderem das
Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8.1/Nr. 8.2 im De-
zember eröffnet werden. Die Folge ist, dass die Verbin-
dung von München nach Berlin um glatte zwei Stunden
schneller ist. Das heißt, wir werden deutlich mehr Ver-
kehr auf die Schiene bekommen, und das ist auch gut so.

Als Zweites hat die Bahn den Nacht-ICE eingeführt.
Ja, Herr Ferlemann, dort können Sie kein Bett buchen –
das ist richtig –, aber Sie können diesen Zug nachts neh-
men, und er hat Liegesitze, die deutlich komfortabler
sind als das, was man früher in den Nachtzügen als Lie-
gesitz verkauft hat.

Als drittes Segment haben wir tatsächlich die Nacht-
züge. Die Bahn hat die Kooperation mit der ÖBB, den
Österreichischen Bundesbahnen, gemacht. Aber es gibt
nicht nur die ÖBB, sondern auch weitere ausländische
Eisenbahnverkehrsunternehmen, die Nachtzugverbin-
dungen anbieten, zum Beispiel die ungarische Bahn, zum
Beispiel die kroatische Bahn und von Moskau über Ber-
lin nach Paris die russische RZD.

Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist
eine sehr gute Lösung. Wir hören auch, dass sie hervorra-
gend angenommen wird. Trotzdem sind wir als Koalition
der Meinung, dass es Optimierungsbedarf gibt.

Das Erste ist: Die Deutsche Bahn hat uns im Ver-
kehrsausschuss erklärt, dass die Tarifeinheit mit der ös-
terreichischen Bahn – man hat gemeinsame Tarife, man
erkennt die Tickets gegenseitig an – nur ein Versuch ist.
Wir sind der Meinung: Das darf nicht nur ein Versuch
bleiben, sondern das muss verstetigt werden. Hier for-
dern wir die Bundesregierung auf, ihren Einfluss geltend
zu machen, um die Deutsche Bahn davon zu überzeugen.
Außerdem muss das natürlich auch auf die anderen Ko-
operationspartner übertragen werden. Ich hatte ja gesagt:
Es sind mehrere ausländische Eisenbahnverkehrsunter-
nehmen. – Für die muss das auch gelten.

Der zweite Punkt, den wir angesprochen haben, ist die
Tatsache, dass wir im Prinzip ein europäisches Nachtzug-
konzept bräuchten; der Beginn ist schon gemacht. Wir
haben – das wurde schon gesagt – sehr viele Verbindun-
gen in den Osten Europas, in den Süden Europas, aber
nur ganz wenige in den Westen Europas. Wir brauchen
ein europäisches Nachtzugkonzept. Dazu müssen wir
technische, administrative und Wettbewerbsschranken
einreißen. Es kann nicht sein, dass Nachtzugverbindun-
gen zum Beispiel durch überhöhte Trassenpreise in an-

deren Ländern das Wasser abgegraben wird. Das wollen
wir nicht. Ich glaube, dass die Bundesregierung da noch
eine sehr wichtige Aufgabe hat, nämlich zusammen mit
unseren europäischen Nachbarn ein solches Konzept auf
die Beine zu stellen.

Der dritte Punkt, den wir in unserem Antrag ange-
sprochen haben, ist die Frage der Buchungen. Es ist sehr
schön, dass wir solche Nachtzüge haben. Es bringt uns
aber wenig, wenn wir die umständlich auf irgendwelchen
Internetseiten suchen müssen. Das Buchungssystem
muss eingepflegt werden. Es muss einfacher werden. Die
Leute müssen auf diese neuen Möglichkeiten hingewie-
sen werden. Ich denke, da gibt es auch für die Bahn noch
einiges zu tun.

Der vierte Punkt ist ein ganz wichtiger Punkt. Er wur-
de heute auch schon angesprochen. Es ist nämlich das
Thema Personal. Die Bahn hat uns vor zwei Jahren zu-
gesichert, dass das Personal, das für ihre Nachtzüge nicht
mehr benötigt wird, innerhalb des Konzerns adäquat
weiter eingesetzt wird. Wir haben von den Personalver-
tretungen gehört, dass das in vielen Fällen auch passiert.
Aber viele Fälle sind eben noch nicht alle Fälle. Ich glau-
be, dass wir weiterhin ein Auge darauf werfen sollten,
dass diese Ankündigungen und Versprechungen auch
eingehalten werden.

Der letzte Punkt, den ich hier anspreche, ist die Tat-
sache, dass wir gerne einmal in der Legislatur einen Be-
richt von der Bundesregierung hätten, wie es mit diesen
Themen weitergegangen ist. Ich glaube, es ist mit der
wichtigste Punkt, dass wir nicht sagen: „Wir haben jetzt
in dieser Legislatur zwei- oder dreimal über Nachtzü-
ge geredet. Jetzt muss es auch gut sein. Jetzt lasst mal
die Bahn arbeiten“, sondern dass wir sagen: Das ist ein
Thema, das uns wirklich am Herzen liegt. Diese Nach-
besserungen, die wir gefordert haben, diese Konzepte,
die wir auflegen, möchten wir als deutsches Parlament
verfolgen. – Das können wir nur, wenn die Bundesre-
gierung uns regelmäßig einen Bericht gibt, damit wir als
Parlament erkennen können, ob es Punkte gibt, wo wir
nachsteuern müssen.

Insofern freue ich mich, wenn wir uns hier alle zu ei-
ner nachtschlafenden oder vielleicht zu einer etwas pro-
minenteren Zeit in diesem Parlament wiedersehen, um
auch weiterhin diesem wichtigen Thema unser Augen-
merk zu schenken.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824031100

Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Matthias Gastel

für Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Bitte schön.


Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1824031200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Die Nachtzüge wurden von der Deutschen Bahn über
Jahre hinweg lust- und fantasielos betrieben, und von
Jahr zu Jahr wurden mehr und mehr davon aufs Abstell-
gleis gestellt. Es ist bedauerlich, dass die Deutsche Bahn

Kirsten Lühmann






(A) (C)



(B) (D)


bei den Nachtzügen das Licht ausgeknipst hat. Hingegen
ist es erfreulich, dass die Österreichischen Bundesbahnen
die noch verbliebenen Angebote übernommen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist schade, dass CDU/CSU- und SPD-Fraktion in
ihrem Antrag letztlich nichts anderes machen, als den
Rückzug der Deutschen Bahn aus diesem Marktsegment
nachträglich noch zu rechtfertigen. Der Sinn dieses An-
trages erschließt sich mir und uns jedenfalls nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was unter fast vier Jahren Großer Koalition fehl-
te, waren die notwendigen Weichenstellungen für eine
starke Bahn. Sie haben nämlich genau das Gegenteil
dessen gemacht, was Sie in Ihrem Antrag behaupten
bzw. fordern. Ich nenne das Beispiel Trassenpreise. Sie
stellen fest, dass die Trassenpreise ab Dezember für die
Nachtstunden sinken. Das ist zwar richtig. Was Sie aber
verschweigen, ist, dass sie außerhalb der Zeit zwischen
23 Uhr und 6 Uhr steigen werden. Die Nachtzüge fahren
aber eben nicht nur zwischen 23 Uhr und 6 Uhr, son-
dern sie starten schon vorher, und sie kommen erst später,
nämlich dann, wenn die Trassenpreise wieder höher sind,
an ihrem Ziel an.

Sie behaupten, Sie hätten mit Ihrem Bundesverkehrs-
wegeplan ein verbessertes Schienennetz in die Wege
geleitet. Da müssen Sie sich mal bitte schön Ihren Bun-
desverkehrswegeplan anschauen. Seit wann fahren denn
Züge auf Straßen? Straßen sind zuhauf in Ihrem Bun-
desverkehrswegeplan berücksichtigt, aber mehr als die
Hälfte der Schienenwege ist noch nicht einmal bewertet
worden. Da kommen Sie überhaupt nicht voran, und da-
mit wird auch nichts besser in diesem Bereich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben einen Antrag gestellt. In diesem Antrag
fordern wir bessere Wettbewerbsbedingungen für die
Schiene, beispielsweise gegenüber dem Flugverkehr.
Wir fordern ein europäisches Nachtzugkonzept unter
Einbeziehung der Hochgeschwindigkeitsstrecken, damit
im Nachtsprung auch längere Distanzen zurückgelegt
werden können. Wir fordern den Aufbau eines Deutsch-
land-Taktes im Bundesverkehrswegeplan unter Berück-
sichtigung der Nachtzüge.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Damit kommen wir aber leider nicht voran, weil das
Projekt Deutschland-Takt mit Blick auf den Bundesver-
kehrswegeplan auf die lange Bank geschoben wurde.

Wir fordern Trassenpreise, die niedriger sind als die
heutigen und die auf der Empfehlung der Europäischen
Union basieren. Das heißt, dass das Grenzkostenprinzip
gilt und nicht die Ausnahme, die Sie mit dem höheren
Vollkostenprinzip beschlossen haben. Und wir schlagen
ein Interrailticket für alle jungen Menschen in der EU
vor, um ihnen sowohl Europa als auch die Bahn näher-
zubringen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das ist jetzt keine Idee von uns, aber wir greifen diese
Idee gerne auf.

Herr Ferlemann, vielleicht können Sie nachher einmal
erklären, was daran bitte schön ein Eingriff in das Aktien-
recht ist. Ich kann hier nichts Entsprechendes feststellen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich glaube, Herr Ferlemann braucht selber mal eine Schulung!)


Erfreulich ist, meine Damen und Herren, dass die
Österreichischen Bundesbahnen angekündigt haben, ihr
Nachtzugkonzept weiter auszubauen. Wir hoffen natür-
lich, dass dann zusätzliche Angebote auch in Deutsch-
land entstehen. Wichtig ist – an die Adresse der Deut-
schen Bahn gerichtet –, dass die Bahn-Card auch nach
Dezember 2017, also auch nach dem Fahrplanwechsel,
für die Nachtzüge der ÖBB anerkannt wird. Das ist eine
ganz wichtige Maßnahme. Wir sind davon überzeugt:
Der Nachtzug hat mit seinen Schlaf- und Liegewagen
Potenzial für die Zukunft, wenn es die richtigen Ideen
gibt, wenn es den unternehmerischen Willen gibt und
wenn es die politische Unterstützung gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824031300

Vielen Dank. – Letzte Rednerin ist die Kollegin

Daniela Ludwig, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Daniela Raab (CSU):
Rede ID: ID1824031400

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es geht nicht ohne Kooperationen. Ein ein-
zelnes Land wird kein nationales Nachtzuggeschäft mit
einer positiven Bilanz betreiben können. Das Nacht-
zugsegment ist ein komplexes, schwieriges Geschäft, das
nur gemeinsam zu betreiben ist. – Das hat nicht die Deut-
sche Bahn gesagt, sondern der Vertreter der ÖBB in der
Sachverständigenanhörung des Verkehrsausschusses im
Februar dieses Jahres. Ich glaube, damit ist alles gesagt.

Das ist auch der Hintergrund unseres Antrages. Wir
sind der Meinung, dass die DB mit der ÖBB und mit
Privatbahnen europaweit kooperieren darf und können
muss, um Nachtzugverkehre zur Verfügung zu stellen.
Der Nachtzugbetrieb hat einen hohen Wettbewerbs-
druck – das ist heute schon gesagt worden – durch die
Fernbusse, die stark genutzt werden, aber auch durch das
eigene gute Angebot untertags. Wenn Sie sich die Strecke
Berlin–München mit künftig vier Stunden Fahrzeit an-
schauen, dann wird klar, dass sich die Bahn selber im po-
sitiven Sinne Konkurrenz macht, weil sie etwas anbietet,
was für die Leute höchst attraktiv ist und sogar auf dieser
Strecke mitunter das Flugzeug schlagen wird. Dann ist
vielleicht die eine oder andere Strecke im Nachtzugver-
kehr nicht mehr so attraktiv, wie sie es vielleicht vor 10,
15 oder 20 Jahren war. Das muss man anerkennen.

Wir begrüßen es sehr, dass es an vielen Stellen, auch in
meinem Wahlkreis, die erfolgreichen Kooperationen mit
der ÖBB gibt. Wir begrüßen es aber auch, dass die Deut-

Matthias Gastel






(A) (C)



(B) (D)


sche Bahn sich nicht komplett aus dem Nachtzugverkehr
zurückzieht, sondern ein eigenes Segment erschließt,
nämlich – es ist heute schon gesagt worden – ICE und
IC in der Nacht, aber nur mit Sitzplätzen, wohingegen
das klassische Nachtzugsegment an geeigneter Stelle von
den Österreichern oder anderen übernommen wird.

Diese Entwicklungen, die wir gerade in den letzten
zwei bis drei Jahren beobachten konnten, sind nicht Er-
gebnis eines staatlichen Eingriffs oder einer staatlichen
Order, sondern sie sind Ergebnis einer unternehmeri-
schen Entwicklung, die auf die Marktnachfrage reagiert.
Es ist mir, ehrlich gesagt, wesentlich lieber, wenn sich
die Bahn am Kunden orientiert, als wenn wir ihr etwas
aufoktroyieren, was nachweislich wirtschaftlich in den
letzten Jahren zumindest für die DB nicht funktioniert
hat. Hier bitte ich um Verständnis, dass mir die freiwil-
lige Form lieber ist als andersherum und dass wir keine
staatlichen Aufträge dafür benötigen. Wir wollen schon
gar nicht ein staatlich subventioniertes Nachtzugangebot,
wie es die Linken in ihrem Antrag fordern. Das lehnen
wir in aller Deutlichkeit ab. Es muss alles eigenverant-
wortlich und eigenwirtschaftlich funktionieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen sind wir sehr dafür, lieber Herr Gastel,
dass wir die bestehenden Kooperationen weiter ausbau-
en. Wir werden uns das in der nächsten Legislatur, Frau
Lühmann, intensiv anschauen. Ich bin sehr dafür, dass
wir diesen Bericht konsequent einfordern. Ich bin aber
auch dafür, dass wir darauf drängen, dass die Kundenvor-
teile wie Rabattaktionen usw. auch Bahnen übergreifend
gelten müssen. Das ist selbstverständlich. Wenn wir ei-
nen europäischen, immer stärker einheitlich werdenden –
Stichwort: viertes Eisenbahnpaket – Schienenverkehr
anstreben, müssen auch solche Dinge irgendwann Usus
werden und ganz selbstverständlich sein und nicht mehr
ständig eingefordert werden. Darauf zielt unser Antrag
ab. Ich denke, dass wir in der nächsten Legislatur daran
weiter arbeiten müssen.

Aber noch einmal: Ich halte nicht viel davon, einer
Aktiengesellschaft vorschreiben zu wollen, wie sie sich
wirtschaftlich zu verhalten hat. Ich halte auch nicht viel
davon, den Kunden vorzuschreiben, dass sie zu Millionen
den Nachtzug nutzen sollen. Liebe Frau Leidig, wenn in
den letzten Jahren Millionen gefahren wären, dann hätte
man den Nachzugsverkehr vermutlich auch nicht redu-
zieren müssen. Also lassen wir mal die Kirche im Dorf.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die waren ja voll ausgelastet! Sie sind ja offensichtlich noch nie mit dem Nachtzug gefahren! Sonst wüssten Sie das!)


Lassen wir die Bahnen es so gestalten, wie es die
Nachfrage erfordert, auch wenn es für Sie irgendwie
eine romantische Bahnfahrt zu sein scheint, wenn man in
der Nacht durch die Gegend fährt. Ich glaube, der Kun-
de kann selber entscheiden, was für ihn bequem ist; das
müssen wir ihm nicht vorschreiben.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er kann aber nur das Angebot nutzen, das es gibt!)


Wir unterstützen die Bahnen bei den Kooperationen, die
nachgefragt werden.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1824031500


Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet.

Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 28 a zur
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur auf
Drucksache 18/12775. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Annahme
des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 18/12363 mit dem Titel „Kooperationsmo-
delle im Nachtzugverkehr stärken“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 18/7904 mit dem Titel „Die Nachtzüge retten –
Klimaverträglichen Fernreiseverkehr auch in Zukunft
ermöglichen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
und bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen.

Unter Tagesordnungspunkt 28 b stimmen wir jetzt
über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/12560 mit dem Titel „Nachtzugverkehr
als Teil moderner und klimafreundlicher Mobilität aus-
bauen – Zehn-Punkte-Plan für ein europäisches Nacht-
zugnetz“ ab. Wer stimmt für diesen Antrag? – Das sind
die Grünen. Wer stimmt dagegen? – Das ist die Koaliti-
on. Wer enthält sich? – Das ist die Linke. Damit ist der
Antrag abgelehnt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Gegensatz zu
Ihrer Lebhaftigkeit steht auf meinem Zettel, dass die Ta-
gesordnung erschöpft ist.


(Heiterkeit bei Abgeordneten aller Fraktionen)


Dann schlage ich mal vor, dass wir Schluss machen.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf heute, 23. Juni 2017, 9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen. Einen guten Nachhause-
weg!