Protokoll:
18234

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 234

  • date_rangeDatum: 18. Mai 2017

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:29 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 00:25 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/234 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 234. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Bundes- ministerin Dr. Barbara Hendricks sowie der Abgeordneten Bärbel Höhn, Gabriele Fograscher, Heinrich Zertik, Wolfgang Gunkel und Dr. h. c. Gernot Erler . . . . . . . . 23585 B Wahl der Abgeordneten Katharina Dröge als Schriftführerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23585 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23585 C Absetzung des Tagesordnungspunktes 37 . . . . 23588 A Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 23588 A Tagesordnungspunkt 7: Unterrichtung durch die Bundesregierung: 15. Entwicklungspolitischer Bericht der Bundesregierung Drucksache 18/12300 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23588 D Dr . Gerd Müller, Bundesminister BMZ . . . . . 23589 A Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23591 A Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23592 B Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23593 A Dagmar G . Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23595 A Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 23597 A Gabi Weber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23597 D Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23598 D Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 23599 D Jürgen Klimke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23601 D Tagesordnungspunkt 8: Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Sozialer Wohnungsbau in Deutschland – Entwicklung, Bestand, Perspektive Drucksachen 18/8855, 18/11403 . . . . . . . . . . . 23603 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abge- ordneten Christian Kühn (Tübingen), Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gemeinsam für bezahlbares Wohnen – Lebenswert und klimafreundlich Drucksachen 18/10027, 18/11020 . . . . . . . . . . 23603 B Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 23603 B Sylvia Jörrißen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23605 B Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23607 C Florian Pronold, Parl . Staatssekretär BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23609 B Dr . Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 23610 C Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23612 A Oliver Grundmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23613 A Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23614 B Carsten Träger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23615 A Detlev Pilger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23615 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017II Tagesordnungspunkt 9: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Verbraucherpolitischer Bericht der Bun- desregierung 2016 Drucksache 18/9495 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23616 D Heiko Maas, Bundesminister BMJV . . . . . . . 23616 D Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23618 C Mechthild Heil (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23620 A Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23621 D Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . 23622 D Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23624 A Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23625 D Petra Rode-Bosse (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23627 A Iris Ripsam (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23627 D Tagesordnungspunkt 43: a) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, Susanna Karawanskij, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion DIE LINKE ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung der sachgrundlosen Befris- tung Drucksache 18/12354 . . . . . . . . . . . . . . . . 23628 D b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu der am 19. Juni 1997 beschlos- senen Urkunde zur Abänderung der Verfassung der Internationalen Arbeits- organisation Drucksache 18/12331 . . . . . . . . . . . . . . . . 23628 D c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zum Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Festlegung eines Mehrjah- resrahmens für die Agentur der Europä- ischen Union für Grundrechte für den Zeitraum 2018–2022 Drucksache 18/12332 . . . . . . . . . . . . . . . . 23629 A d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Akkreditierungsstelle Drucksache 18/12333 . . . . . . . . . . . . . . . . 23629 A e) Antrag der Abgeordneten Thomas Lutze, Jan Korte, Caren Lay, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Unent- geltliche Nutzung der WC-Anlagen an Bundesautobahnen und Bahnhöfen Drucksache 18/9223 . . . . . . . . . . . . . . . . . 23629 A f) Antrag der Abgeordneten Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij, Caren Lay, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gewerbesteuer zu einer Ge- meindewirtschaftsteuer weiterentwi- ckeln und kommunale Wirtschaftskreis- läufe fördern Drucksache 18/12365 . . . . . . . . . . . . . . . . 23629 B g) Antrag der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, Inge Höger, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Menschenrechtsverletzungen von Un- ternehmen verbindlich sanktionieren – UN-Treaty-Prozess unterstützen Drucksache 18/12366 . . . . . . . . . . . . . . . . 23629 B Zusatztagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Katja Keul, Luise Amtsberg, Renate Künast, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Asylgesetzes zur Be- schleunigung von Verfahren Drucksache 18/12360 . . . . . . . . . . . . . . . . 23629 C b) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Kooperationsmodelle im Nacht- zugverkehr stärken Drucksache 18/12363 . . . . . . . . . . . . . . . . 23629 C c) Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Konto- gebühren – Transparenz und Verbrau- cherschutz erhöhen Drucksache 18/12367 . . . . . . . . . . . . . . . . 23629 D Tagesordnungspunkt 44: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 14. März 2014 über die Ausstellung mehrsprachiger, codierter Auszüge und Bescheinigungen aus Personenstandsre- gistern Drucksachen 18/11510, 18/12123 . . . . . . . 23629 D b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Sachaufklärung in der Verwaltungsvoll- streckung Drucksachen 18/11613, 18/12125 . . . . . . . 23630 B c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro- tokoll vom 14. November 2016 zur Än- derung des Abkommens vom 13. Juli Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 III 2006 zwischen der Regierung der Bun- desrepublik Deutschland und der ma- zedonischen Regierung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksachen 18/11869, 18/12398 . . . . . . . 23630 C d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 21. November 2016 zwischen der Bun- desrepublik Deutschland und der Re- publik Panama zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen betreffend den Betrieb von Seeschiffen oder Luft- fahrzeugen im internationalen Verkehr Drucksachen 18/11878, 18/12398 . . . . . . . 23630 D e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erstellung gesamt- wirtschaftlicher Vorausschätzungen der Bundesregierung (Vorausschätzungsge- setz – EgVG) Drucksachen 18/11257, 18/12425 . . . . . . . 23631 A f) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Intelligente Verkehrssysteme Gesetzes Drucksachen 18/11494, 18/11880, 18/12181 Nr . 1 .6, 18/12411 . . . . . . . . . . . . 23631 B g) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 12. Januar 2017 zwischen der Bundes- republik Deutschland und der Republik Moldau über Soziale Sicherheit Drucksachen 18/11879, 18/12394 . . . . . . . 23631 C h) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Katharina Dröge, Anja Hajduk, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Globale Investitionen im Sin- ne einer nachhaltigen Entwicklung ge- stalten Drucksachen 18/11410, 18/12301 . . . . . . . 23631 D i) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verord- nung der Bundesregierung: Zweite Ver- ordnung zur Änderung der Sportanla- genlärmschutzverordnung Drucksachen 18/11945, 18/12181 Nr . 2, 18/12407 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23632 A j)–p) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 433, 434, 435, 436, 437, 438 und 439 zu Petitionen Drucksachen 18/12114, 18/12115, 18/12116, 18/12117, 18/12118, 18/12119, 18/12120 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23632 B Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Zweite und dritte Beratung des von den Ab- geordneten Dr . Harald Terpe, Katja Dörner, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur Gleichstel- lung verheirateter, verpartnerter und auf Dauer in einer Lebensgemeinschaft lebender Paare bei der Kostenübernah- me der gesetzlichen Krankenversiche- rung für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung Drucksachen 18/3279, 18/7517 . . . . . . . . . 23633 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Katja Keul, Kai Gehring, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Provenienzforschung stärken – Bessere Rahmenbedingungen für einen angemessenen und fairen Um- gang mit Kulturgutverlust schaffen Drucksachen 18/3046, 18/7532 . . . . . . . . . 23633 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Steffi Lemke, Peter Meiwald, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verbindliche Umwelt- und Sozialstandards in der internationalen Palmölproduktion verankern Drucksachen 18/8398, 18/10611 . . . . . . . . 23633 B d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und hu- manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abge- ordneten Dr . Franziska Brantner, Omid Nouripour, Tom Koenigs, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Kein Frieden und kei- ne Stabilität ohne Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit – Für eine weitsich- tige europäische Nachbarschaftspolitik gegenüber den Staaten Nordafrikas Drucksachen 18/6551, 18/10848 . . . . . . . . 23633 C e) Beschlussempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz, Kerstin Andreae, Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine trans- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017IV parente und geschlechtergerechte Haus- haltspolitik – Gender Budgeting als Instrument von Good Governance Drucksachen 18/9042, 18/11433 . . . . . . . . 23633 D f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung zu dem An- trag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Ulle Schauws, Anja Hajduk, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Initiative „She Decides“ un- terstützen – Die sexuellen und reproduk- tiven Rechte und die Selbstbestimmung und Gesundheit von Frauen und Mäd- chen in Ländern des globalen Südens stärken Drucksachen 18/11177, 18/11649 . . . . . . . 23633 D g) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Kai Gehring, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kein Atommüll-Export aus dem Reaktor AVR Jülich in die USA Drucksachen 18/2624, 18/12408 . . . . . . . . 23634 A h) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Kordula Schulz-Asche, Uwe Kekeritz, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Die Aids-Epi- demie in Deutschland und weltweit bis 2030 beenden Drucksachen 18/6775, 18/12424 . . . . . . . . 23634 B Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zu den Vorschlägen von Präsident Macron im Bereich der EU-Wirt- schafts- und Finanzpolitik, insbesondere zu gemeinsamen europäischen Investitionen Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23634 C Dr . Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23635 C Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 23636 C Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23637 D Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) . . . . . . . 23638 D Dr . Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 23639 C Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23640 C Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23641 D Uwe Feiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23642 D Bernd Westphal (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23644 A Volkmar Klein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23645 A Alexander Radwan (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23646 A Tagesordnungspunkt 10: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur weiteren Verbesse- rung des Hochwasserschutzes und zur Vereinfachung von Verfahren des Hoch- wasserschutzes (Hochwasserschutzge- setz II) Drucksachen 18/10879, 18/12404 . . . . . . . 23647 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Unter- richtung durch die Bundesregierung: Bun- desprogramm „Blaues Band Deutsch- land“ Drucksachen 18/11099, 18/11225 Nr . 5, 18/12204 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23647 C Dr . Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23647 C Dr . André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 23648 D Ulrich Petzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23649 D Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23651 A Carsten Träger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23652 C Dr . Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU) . . . . . . . 23653 B Dr . Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 23654 B Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Ulle Schauws, Tabea Rößner, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Soziale und wirtschaftliche Lage von Künst- lerinnen, Künstlern und Kreativen verbes- sern, Kulturförderung gerecht gestalten Drucksache 18/12373 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23655 C Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23655 C Ute Bertram (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 23656 D Sigrid Hupach (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 23658 C Siegmund Ehrmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 23659 D Dr . Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 23661 A Burkhard Blienert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23662 B Tagesordnungspunkt 12: Zweite und dritte Beratung des von den Frak- tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 V Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung fut- termittelrechtlicher und tierschutzrechtli- cher Vorschriften Drucksachen 18/12085, 18/12403 . . . . . . . . . 23663 B Dr . Maria Flachsbarth, Parl . Staatssekretärin BMEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23663 C Dr . Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . 23664 D Ute Vogt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23665 D Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23666 D Thomas Mahlberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23667 C Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23668 C Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23669 C Christina Jantz-Herrmann (SPD) . . . . . . . . . . 23670 A Tagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundesprogramm Kita- und Schulverpfle- gung – Für alle Kinder und Jugendlichen eine hochwertige und unentgeltliche Es- sensversorgung sicherstellen Drucksachen 18/8611, 18/12178 . . . . . . . . . . . 23671 D Carola Stauche (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23671 D Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23674 A Dr . h . c . Albert Weiler (CDU/CSU) . . . . . . 23675 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 23676 C Jeannine Pflugradt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 23677 B Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23678 C Alois Rainer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 23680 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . 23680 D Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . 23681 D Tagesordnungspunkt 14: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Militärmission der Europäischen Union als Beitrag zur Ausbildung der malischen Streitkräfte (EUTM Mali) Drucksachen 18/11628, 18/12205 . . . . . . . 23682 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12206 . . . . . . . . . . . . . . . . 23682 D Dr . h . c . Edelgard Bulmahn (SPD) . . . . . . . . . 23682 D Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 23684 B Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 23685 B Dr . Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23686 A Thomas Hitschler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23686 D Dr . Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 23687 D Michael Vietz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 23688 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 23690 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23692 C Tagesordnungspunkt 15: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Menschenrechte und hu- manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeord- neten Katja Keul, Dr . Franziska Brantner, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verbrechen nach dem Völ- kerstrafrecht nicht ungesühnt lassen Drucksachen 18/10031, 18/10626 . . . . . . . 23690 A b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesver- fassungsgerichtsgesetzes (Verankerung eines Verfahrens zur Überprüfung von Entscheidungen über den Einsatz der Bundeswehr im Ausland) Drucksachen 18/8277, 18/12413 . . . . . . . . 23690 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucher- schutz zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Renate Künast, Dr . Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Internationale rechtliche Zusammenar- beit stärken und ausbauen Drucksachen 18/9675, 18/11780 . . . . . . . . 23690 B Dr . Ute Finckh-Krämer (SPD) . . . . . . . . . . . . 23690 C Dr . Alexander S . Neu (DIE LINKE) . . . . . . . . 23691 A Dr . Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) . . . . . . 23694 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23696 B Bettina Bähr-Losse (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 23697 B Dr . Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . 23698 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017VI Tagesordnungspunkt 16: – Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Betei- ligung bewaffneter deutscher Streitkräf- te an der durch die Europäische Union geführten EU NAVFOR Somalia Opera- tion Atalanta zur Bekämpfung der Pira- terie vor der Küste Somalias Drucksachen 18/11621, 18/12207 . . . . . . . 23699 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12208 . . . . . . . . . . . . . . . . 23699 C Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23699 C Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 23700 C Dr . Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . . 23701 B Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23702 B Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 23703 A Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 23704 B Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23706 C Tagesordnungspunkt 17: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Azize Tank, Katja Kipping, Sabine Zimmermann (Zwickau), weite- ren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundge- setzes (Aufnahme sozialer Grundrechte in das Grundgesetz) Drucksachen 18/10860, 18/12412 . . . . . . . 23704 B b) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Volker Beck (Köln), Luise Amtsberg, Dr . Franziska Brantner, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Gewährleistung der Wahrnehmung sozialer Rechte von Menschen ohne Aufenthaltsstatus Drucksache 18/6278 . . . . . . . . . . . . . . . . . 23704 C Dr . Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 23704 C Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23705 B Azize Tank (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 23708 B Dr . Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) . . . . . . 23709 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23711 A Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 23712 B Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23713 A Tagesordnungspunkt 18: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der interna- tionalen Sicherheitspräsenz in Kosovo auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Tech- nischen Abkommens zwischen der interna- tionalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den Regierungen der Bundesrepublik Ju- goslawien (jetzt: Republik Serbien) und der Republik Serbien vom 9. Juni 1999 Drucksache 18/12298 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23714 B Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23714 C Dr . Alexander S . Neu (DIE LINKE) . . . . . . . . 23715 D Dr . Ralf Brauksiepe, Parl . Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23716 D Dr . Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23717 C Dr . Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 23718 C Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Fraktionen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE: Sofortiger Ab- zug der Bundeswehr aus Incirlik Drucksache 18/12372 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23719 C Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23719 C Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . . 23720 C Dr . Dietmar Bartsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 23721 C Dr . Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 23722 D Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 23724 A Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht Drucksachen 18/11546, 18/11654, 18/11822 Nr . 9, 18/12415 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23725 C Dr . Ole Schröder, Parl . Staatssekretär BMI . . . 23725 D Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 23726 D Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23727 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23728 D Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 23730 A Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23731 A Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23731 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 VII Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Lebensmittel- retterinnen und Lebensmittelretter entkri- minalisieren Drucksache 18/12364 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23733 A Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Fi- nanztransaktionsuntersuchungen Drucksachen 18/11555, 18/11928, 18/12181 Nr . 1 .8, 18/12405 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23733 B Tagesordnungspunkt 19: Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Katrin Göring-Eckardt, Cem Özdemir, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Für einen radikalen Kurswechsel in der Jemenpolitik Drucksache 18/12121 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23733 D Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23733 D Dr . Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . . 23734 D Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 23735 D Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23736 D Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 23738 D Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises Drucksachen 18/11279, 18/12417 . . . . . . . . . . 23739 D Tagesordnungspunkt 24: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vor- schriften Drucksachen 18/11239, 18/11938, 18/12181 Nr . 1 .12, 18/12397 . . . . . . . . . . . 23740 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des In- nenausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Dr . Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Sicherheit durch weniger Waffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangsstoffen beschränken Drucksachen 18/11417, 18/7654, 18/12397 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23740 B Tagesordnungspunkt 25: Zweite und dritte Beratung des vom Bundes- rat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Beistandsmöglichkeiten unter Ehegatten und Lebenspartnern in Angelegenheiten der Gesundheitssorge und in Fürsorgeangelegenheiten Drucksachen 18/10485, 18/12427 . . . . . . . . . 23740 D Dr . Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 23741 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 23742 B Dr . Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) . . . . 23743 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23744 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 23745 B Tagesordnungspunkt 26: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen von Minamata vom 10. Oktober 2013 über Quecksilber (Minamata-Überein- kommen) Drucksachen 18/11847, 18/12401 . . . . . . . 23746 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Minamata-Konvention zu Quecksilber unverzüglich ratifizieren Drucksachen 18/7657, 18/12401 . . . . . . . . 23746 D Tagesordnungspunkt 27: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren För- derung des elektronischen Rechtsverkehrs Drucksachen 18/9416, 18/12203 . . . . . . . . . . 23747 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017VIII Tagesordnungspunkt 28: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des E-Go- vernment-Gesetzes Drucksachen 18/11614, 18/12406 . . . . . . . . . . 23747 C Tagesordnungspunkt 29: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung perso- nenstandsrechtlicher Vorschriften (2. Per- sonenstandsrechts-Änderungsgesetz – 2. PStRÄndG) Drucksachen 18/11612, 18/12124 . . . . . . . . . . 23747 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Monika Lazar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anerkennung der selbst bestimmten Geschlechtsidentität und zur Änderung anderer Gesetze (Selbst- bestimmungsgesetz – SelbstBestG) Drucksache 18/12179 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23747 D Tagesordnungspunkt 30: a) – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld . . . . . . . . . . . . . Drucksachen 18/11397, 18/12421 . . . . 23748 B – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebe- nengeld Drucksachen 18/11615, 18/12421 . . . . 23748 B b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Katja Keul, Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewaltta- ten (Opferentschädigungsgesetz – OEG) Drucksachen 18/10965, 18/12400 . . . . . . . 23748 C Tagesordnungspunkt 31: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 25. Oktober 2016 zur Errichtung der Inter- nationalen EU-LAK-Stiftung Drucksachen 18/11507, 18/12418 . . . . . . . . . . 23749 A Tagesordnungspunkt 32: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechts an die aktu- ellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Ge- setz – UrhWissG) Drucksachen 18/12329, 18/12378 . . . . . . . . . 23749 B Tagesordnungspunkt 33: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Mieter- strom und zur Änderung weiterer Vor- schriften des Erneuerbare-Energien-Geset- zes Drucksache 18/12355 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23749 B Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23749 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 23750 C Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23751 B Dr . Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23752 B Klaus Mindrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23753 A Dr . Andreas Lenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23754 A Tagesordnungspunkt 34: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Beitrittspro- tokoll vom 11. November 2016 zum Han- delsübereinkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ih- ren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolum- bien und Peru andererseits betreffend den Beitritt Ecuadors Drucksachen 18/11556, 18/12410 . . . . . . . . . . 23755 A Tagesordnungspunkt 35: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz – KJSG) Drucksache 18/12330 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23755 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 IX in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Beate Walter- Rosenheimer, Katja Dörner, Dr . Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stark ins eigene Leben – Wirksame Hilfen für junge Menschen Drucksache 18/12374 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23755 B Caren Marks, Parl . Staatssekretärin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23755 C Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . 23756 C Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . . 23757 C Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23758 D Christina Schwarzer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 23759 C Tagesordnungspunkt 36: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Reformbestrebungen weiter mit Leben füllen – Leistung, Transparenz, Fairness und Sauberkeit in den Mittel- punkt der künftigen Spitzensportförde- rung stellen Drucksache 18/12362 . . . . . . . . . . . . . . . . 23760 D b) Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, Monika Lazar, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Konzept zur Spit- zensportreform grundlegend überarbei- ten – Beteiligungsrechte für Athletinnen und Athleten verankern Drucksache 18/10981 . . . . . . . . . . . . . . . . 23760 D Zusatztagesordnungspunkt 9: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs ei- nes Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen Drucksachen 18/11291, 18/12422 . . . . . . . . . . 23761 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Katja Dörner, Luise Amtsberg, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Elternschaftsvereinbarung bei Samenspende und das Recht auf Kenntnis eigener Abstammung Drucksachen 18/7655, 18/11785 . . . . . . . . . . . 23761 A Zusatztagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie: – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Durchsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt, zur Festlegung eines Noti- fizierungsverfahrens für dienstleistungs- bezogene Genehmigungsregelungen und Anforderungen sowie zur Änderung der Richtlinie 2006/123/EG und der Verord- nung (EU) Nr. 1024/2012 über die Ver- waltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems KOM(2016)821 endg.; Ratsdok. 5278/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierun- gen KOM(2016)822 endg.; Ratsdok. 5281/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Ra- tes über den rechtlichen und operativen Rahmen für die durch die Verordnung ... [ESC Regulation] eingeführte Elektroni- sche Europäische Dienstleistungskarte KOM(2016)823 endg.; Ratsdok. 5283/17 – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung einer Elektroni- schen Europäischen Dienstleistungskar- te und entsprechender Verwaltungser- leichterungen KOM(2016)824 endg.; Ratsdok. 5284/17 hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- desregierung gemäß Artikel 23 Ab- satz 3 des Grundgesetzes Drucksachen 18/11229 A .8 bis A .11, 18/12426 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23761 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23762 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 23763 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Josef Göppel, Jens Koeppen und Elisabeth Winkelmeier-Becker (alle CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017X eines Gesetzes zur Änderung futtermittelrecht- licher und tierschutzrechtlicher Vorschriften (Tagesordnungspunkt 12) . . . . . . . . . . . . . . . . 23763 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Omid Nouripour, Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Ekin Deligöz, Kai Gehring, Anja Hajduk, Dieter Janecek, Dr . Tobias Lindner, Cem Özdemir, Brigitte Pothmer, Tabea Rößner, Manuel Sarrazin, Kordula Schulz-Asche, Markus Tressel, Doris Wagner und Dr . Valerie Wilms (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der na- mentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an der durch die Europäische Union geführten EU NAVFOR Somalia Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias (Tagesordnungspunkt 16) . . . . . . . . . . . . . . . . 23763 C Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärti- gen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesre- gierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaff- neter deutscher Streitkräfte an der durch die Europäische Union geführten EU NAVFOR Somalia Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias (Tagesordnungspunkt 16) . . . . . . . . . . . . . . . . 23764 B Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Le- bensmittelretterinnen und Lebensmittelretter entkriminalisieren (Tagesordnungspunkt 21) . . . . . . . . . . . . . . . . 23764 D Kordula Kovac (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23764 D Katharina Landgraf (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 23765 C Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . 23766 B Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 23767 A Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23767 D Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, zur Aus- führung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Fi- nanztransaktionsuntersuchungen (Tagesordnungspunkt 22) . . . . . . . . . . . . . . . . 23768 C Margaret Horb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23768 C Dr . Frank Steffel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 23769 B Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 23770 A Dr . Jens Zimmermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . 23771 A Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 23772 C Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23773 A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises (Tagesordnungspunkt 23) . . . . . . . . . . . . . . . . 23774 B Heinrich Zertik (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23774 B Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD) . . . . . . . . 23775 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 23776 C Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23777 C Dr . Ole Schröder, Parl . Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23778 C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften – zu dem Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Dr . Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Sicherheit durch weniger Waffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangs- stoffen beschränken (Tagesordnungspunkt 24 a und b) . . . . . . . . . . 23779 A Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 23779 B Oswin Veith (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23780 A Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 23781 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 XI Martina Renner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 23782 A Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23783 B Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen von Minamata vom 10 . Oktober 2013 über Quecksilber (Minama- ta-Übereinkommen) – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Minamata-Konvention zu Quecksilber unverzüglich ratifizieren (Tagesordnungspunkt 26 a und b) . . . . . . . . . . 23784 B Karsten Möring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 23784 C Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23785 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23786 B Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23787 A Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs (Tagesordnungspunkt 27) . . . . . . . . . . . . . . . . 23788 A Dr . Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . 23788 A Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23789 A Dr . Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 23789 C Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 23790 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 23790 D Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des E-Government-Gesetzes (Tagesordnungspunkt 28) . . . . . . . . . . . . . . . . 23791 C Marian Wendt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 23791 C Saskia Esken (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23792 C Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 23793 B Dr . Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23793 D Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23794 B Dr . Ole Schröder, Parl . Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23795 A Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr . André Hahn (DIE LINKE) zu der Abstim- mung über den von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des E-Government-Gesetzes (Tagesordnungspunkt 28) . . . . . . . . . . . . . . . . 23795 C Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung personenstandsrechtlicher Vor- schriften (2 . Personenstandsrechts-Ände- rungsgesetz – 2 . PStRÄndG) – des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Monika Lazar, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Anerken- nung der selbst bestimmten Geschlechts- identität und zur Änderung anderer Gesetze (Selbstbestimmungsgesetz – SelbstBestG) (Tagesordnungspunkt 29 und Zusatztagesord- nungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23796 A Thorsten Hoffmann (Dortmund) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23796 A Dr . Tim Ostermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23797 A Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 23797 C Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23798 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23799 B Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung : – des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld – des von den Abgeordneten Katja Keul, Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsge- setz – OEG) (Tagesordnungspunkt 30 a und b) . . . . . . . . . . 23800 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 23800 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017XII Dr . Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU) . . . . . . 23800 C Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . 23802 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 23803 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 23803 D Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkom- men vom 25 . Oktober 2016 zur Errichtung der Internationalen EU-LAK-Stiftung (Tagesordnungspunkt 31) . . . . . . . . . . . . . . . . 23804 D Dr . Andreas Nick (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23804 D Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23806 A Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23806 D Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23807 B Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (Urheberrechts-Wis- sensgesellschafts-Gesetz – UrhWissG) (Tagesordnungspunkt 32) . . . . . . . . . . . . . . . . 23808 A Dr . Stefan Heck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23808 A Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23809 A Christian Flisek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23809 D Dr . Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23810 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23810 D Heiko Maas, Bundesminister BMJV . . . . . . . . 23811 C Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beitrittspro- tokoll vom 11 . November 2016 zum Handels- übereinkommen vom 26 . Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitglied- staaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits betreffend den Beitritt Ecuadors (Tagesordnungspunkt 34) . . . . . . . . . . . . . . . . 23812 C Andreas G . Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 23812 C Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23813 C Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23814 C Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23815 A Anlage 18 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Karin Binder, Nicole Gohlke, Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla Jelpke und Alexander Ulrich (alle DIE LINKE) zu der Abstimmung über den von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Beitrittsprotokoll vom 11 . Novem- ber 2016 zum Handelsübereinkommen vom 26 . Juni 2012 zwischen der Europäischen Uni- on und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits betreffend den Beitritt Ecuadors (Tagesordnungspunkt 34) . . . . . . . . . . . . . . . . 23815 D Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Reformbestrebungen weiter mit Leben füllen – Leistung, Transparenz, Fair- ness und Sauberkeit in den Mittelpunkt der künftigen Spitzensportförderung stellen – des Antrags der Abgeordneten Özcan Mutlu, Monika Lazar, Anja Hajduk, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Konzept zur Spit- zensportreform grundlegend überarbeiten – Beteiligungsrechte für Athletinnen und Athleten verankern (Tagesordnungspunkt 36 a und b) . . . . . . . . . . 23816 B Eberhard Gienger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23816 C Jeannine Pflugradt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 23818 A Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . 23818 D Dr . André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 23819 B Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23820 D Dr . Ole Schröder, Parl . Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23821 D Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbrau- cherschutz zu dem Antrag der Abgeord- neten Katja Keul, Katja Dörner, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Elternschaftsvereinbarung bei Samenspen- de und das Recht auf Kenntnis eigener Ab- stammung (Zusatztagesordnungspunkte 9 und 10) . . . . . 23822 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 XIII Dr . Georg Kippels (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23822 C Dietrich Monstadt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23823 C Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23824 B Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 23825 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 23825 D Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie: – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Ra- tes über die Durchsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt, zur Festlegung eines Notifi- zierungsverfahrens für dienstleistungs-be- zogene Genehmigungsregelungen und Anforderungen sowie zur Änderung der Richtlinie 2006/123/EG und der Verord- nung (EU) Nr . 1024/2012 über die Ver- waltungszusammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-Informationssystems KOM(2016)821 endg .; Ratsdok . 5278/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen KOM(2016)822 endg .; Ratsdok . 5281/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen und operativen Rah- men für die durch die Verordnung . . . [ESC Regulation] eingeführte Elektronische Europäische Dienstleistungskarte KOM(2016)823 endg .; Ratsdok . 5283/17 – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung einer Elektronischen Euro- päischen Dienstleistungskarte und entspre- chender Verwaltungserleichterungen KOM(2016)824 endg .; Ratsdok . 5284/17 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesre- gierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 11) . . . . . . . . . . . 23826 C Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 23827 A Sabine Poschmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 23829 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 23829 D Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23830 D (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23585 234. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 18. Mai 2017 Beginn: 9 .29 Uhr
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    Vizepräsidentin Petra Pau (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23763 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 18 .05 .2017 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 18 .05 .2017 Färber, Hermann CDU/CSU 18 .05 .2017 Fischbach, Ingrid CDU/CSU 18 .05 .2017 Gabriel, Sigmar SPD 18 .05 .2017 Gröhe, Hermann CDU/CSU 18 .05 .2017 Klare, Arno SPD 18 .05 .2017 Launert, Dr . Silke CDU/CSU 18 .05 .2017 Lotze, Hiltrud SPD 18 .05 .2017 Maizière, Dr . Thomas de CDU/CSU 18 .05 .2017 Möhring, Cornelia DIE LINKE 18 .05 .2017 Nahles, Andrea SPD 18 .05 .2017 Obermeier, Julia CDU/CSU 18 .05 .2017 Roth (Heringen), Michael SPD 18 .05 .2017 Schlecht, Michael DIE LINKE 18 .05 .2017 Strenz, Karin CDU/CSU 18 .05 .2017 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 18 .05 .2017 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 18 .05 .2017 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Josef Göppel, Jens Koeppen und Elisabeth Winkelmeier-Becker (alle CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung futtermittelrechtlicher und tierschutzrechtlicher Vorschriften (Tagesord- nungspunkt 12) Ich stimme der Aufhebung des Fütterungsverbots von tierischen Fetten an Wiederkäuer nicht zu . Wiederkäuer nehmen von Natur aus nach dem Ende des Säugens am Muttertier kein tierisches Fett auf . Zie- gen, Schafe oder Rinder fressen in freier Weidehaltung niemals tierische Lebewesen, weder lebende Tiere noch Aas . Die Verfütterung von tierischen Fetten an Wieder- käuer als Mehl oder in Flüssigkeiten ist deren Verdau- ungstrakt artfremd . In der Begründung des Gesetzentwurfes wird ausge- führt, dass die BSE-Fälle mittlerweile deutlich zurück- gegangen sind . Die Bundesregierung folgert daraus, dass die Verunreinigung von Wiederkäuergewebe mit infek- tiösem Nervengewebe „unwahrscheinlich“ ist . Mehr Wahrscheinlichkeit hat nach meiner Meinung jedoch die Wirkung des Fütterungsverbots seit dem Jahr 2000 . Des- halb sollte es aufrechterhalten bleiben . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Omid Nouripour, Kerstin Andreae, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), Ekin Deligöz, Kai Gehring, Anja Hajduk, Dieter Janecek, Dr. Tobias Lindner, Cem Özdemir, Brigitte Pothmer, Tabea Rößner, Manuel Sarrazin, Kordula Schulz-Asche, Markus Tressel, Doris Wagner und Dr. Valerie Wilms (alle BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bun- desregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaff- neter deutscher Streitkräfte an der durch die Eu- ropäische Union geführten EU NAVFOR Somalia Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias (Tagesordnungspunkt 16) Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Einrich- tung der Mission EU NAVFOR Atalanta von Anfang an unterstützt . Die Mission hat die Eindämmung der Fol- gen der Piraterie vor dem Horn von Afrika zum Ziel, in erster Linie den Schutz humanitärer Hilfslieferungen des Welternährungsprogramms . Unsere Unterstützung geschah im Wissen darum, dass diese Mission nur eine Symptombekämpfung sein kann, denn die Ursachen für die Piraterie liegen in der andauernden Krise des soma- lischen Staats . Die im Jahr 2012 erfolgte Ergänzung des Mandats um die Möglichkeit, auch an Land zu operieren, und zwar in einem zwei Kilometer in das Landesinnere reichenden Küstenstreifen, hat den Charakter der Mission verändert . Viele Expertinnen und Experten warnten damals davor, dass Operationen an Land zur Eskalation des Konflikts in Somalia beitragen und die Mission in innersomalische Kämpfe verwickeln könnte – zum Schaden ihres eigentli- chen Ziels . Aus diesem Grund hat sich die grüne Bundes- tagsfraktion bei den Abstimmungen zu diesem Mandat in Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723764 (A) (C) (B) (D) den vergangenen Jahren mit großer Mehrheit enthalten . In den vergangenen fünf Jahren hat Atalanta lediglich einmal an Land operiert . Das Eskalationsrisiko bei einem erneuten Einsatz dieser Art besteht aber weiter . Gleichzeitig hat sich die humanitäre und politische Lage in Somalia in den vergangenen beiden Jahren ver- ändert . Aufgrund der anhaltenden Dürren hat sich die Abhängigkeit der Bevölkerung von Hilfslieferungen deutlich verstärkt . Die Zahl der Schiffe, die Hilfsgüter durch den Golf von Aden transportieren, ist gestiegen und bedingt einen höheren Schutzbedarf . Nach Jahren eines steten Rückgangs der Piraterieaktivität ist diese in den vergangenen Monaten – auch aufgrund der reduzierten Präsenz von Atalanta und anderen Anti-Piraterie-Missio- nen – wieder leicht gestiegen . Anfang dieses Jahres wurde eine neue somalische Regierung gewählt . Die somalische Bevölkerung und die internationale Gemeinschaft verbinden mit ihr große Hoffnung auf eine Wende hin zu einer konstruktiveren und weniger korrupten Politik, die zur Stabilisierung des Landes und damit auch zur Eindämmung der Pirate- rieursachen beitragen könnte . Bis sie die Chance hat, ihr Programm umzusetzen, wäre ein erneutes Erstarken der Piraten auch für diese Regierung eine Gefahr . Wir stehen daher in der Abwägung zwischen den schwerwiegenden Bedenken gegen einen möglichen Einsatz an Land und den Bedrohungen der Piraterie für die humanitäre Versorgung und das Reformprogramm der neuen somalischen Regierung . Angesichts der bisher sehr zurückhaltenden Nutzung der Landoption und des wachsenden Ernsts der humanitären Lage ist unsere Ent- scheidung für eine Zustimmung zu dem Mandat gefallen . Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Friedrich Ostendorff (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Ab- stimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bun- desregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaff- neter deutscher Streitkräfte an der durch die Eu- ropäische Union geführten EU NAVFOR Somalia Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias (Tagesordnungspunkt 16) Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Einrich- tung der Mission EU NAVFOR Atalanta von Anfang an unterstützt . Die Mission hat die Eindämmung der Fol- gen der Piraterie vor dem Horn von Afrika zum Ziel, in erster Linie den Schutz humanitärer Hilfslieferungen des Welternährungsprogramms . Unsere Unterstützung geschah im Wissen darum, dass diese Mission nur eine Symptombekämpfung sein kann, denn die Ursachen für die Piraterie liegen in der andauernden Krise des soma- lischen Staats . Die im Jahr 2012 erfolgte Ergänzung des Mandats um die Möglichkeit, auch an Land zu operieren, in einem 2 km in Landesinnere reichenden Küstenstreifen, hat den Charakter der Mission verändert . Viele Expertinnen und Experten warnten damals davor, dass Operationen an Land zur Eskalation des Konflikts in Somalia beitragen und die Mission in innersomalische Kämpfe verwickeln könnte – zum Schaden ihres eigentlichen Ziels . Dies hat dazu geführt, dass sich die Grüne Bundestagsfraktion bei dieser Abstimmung in den letzten Jahren mit großer Mehrheit enthalten hat . In den letzten fünf Jahren hat Atalanta lediglich einmal an Land operiert, das Eskala- tionsrisiko bei einem erneuten Einsatz dieser Art aber besteht weiter . Gleichzeitig hat sich die humanitäre und politische Lage in Somalia in den letzten beiden Jahren verändert . Durch anhaltende Dürren hat sich die Abhängigkeit der Bevölkerung von Hilfslieferungen deutlich verstärkt, die Zahl der Schiffe, die Hilfsgüter durch den Golf von Aden transportieren, ist gestiegen und bedingt einen höheren Schutzbedarf . Nach Jahren eines steten Rückgangs der Piraterieaktivität ist diese in den letzten Monaten – auch aufgrund der reduzierten Präsenz von Atalanta und an- deren Anti-Piraterie-Missionen – wieder leicht gestiegen . Anfang dieses Jahres wurde eine neue somalische Regierung gewählt . Die somalische Bevölkerung und die internationale Gemeinschaft verbinden mit ihr große Hoffnung auf eine Wende hin zu einer konstruktiveren und weniger korrupten Politik, die zur Stabilisierung des Landes und damit auch zur Eindämmung der Pirate- rieursachen beitragen könnte . Bis sie eine Chance hat, ihr Programm umzusetzen, wäre ein erneutes Erstarken der Piraten auch für diese Regierung eine Gefahr . Wir stehen daher in der Abwägung zwischen den schwerwiegenden Bedenken gegen einen möglichen Einsatz an Land und den Bedrohungen der Piraterie für die humanitäre Versorgung und das Reformprogramm der neuen somalischen Regierung . Angesichts der bisher sehr zurückhaltenden Nutzung der Landoption und des wachsenden Ernsts der humanitären Lage ist unsere Ent- scheidung für eine Zustimmung zu dem Mandat gefallen . Wir stimmen deshalb diesem Einsatz zu . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Lebens- mittelretterinnen und Lebensmittelretter entkri- minalisieren (Tagesordnungspunkt 21) Kordula Kovac (CDU/CSU): Erst vor zwei Tagen, am 16 . Mai 2017, wurde der Tag des Deutschen Brotes gefeiert . Und wir haben ja auch allen Grund zu feiern: Nirgendwo sonst gibt es eine so große Brotvielfalt wie in Deutschland . Mehr als 300 Brotsorten bieten die Bä- ckerinnen und Bäcker in Deutschland an . Und deutsches Brot ist beliebt: Bei über 90 Prozent der deutschen Haus- halte kommt Brot täglich auf den Tisch . Aber es gibt auch weniger schöne Fakten, die so gar nicht zum Feiern anregen: Rund 15 Prozent von Brot und Backwaren in Privathaushalten wandern in den Müll . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23765 (A) (C) (B) (D) Lebensmittelverschwendung ist ein Problem, das uns alle angeht, denn die Dimensionen der Verschwendung sind riesig: Weltweit gehen nach Angaben des WWF ent- lang der globalen Wertschöpfungskette bis einschließ- lich des Verbrauchers mindestens 1,3 Milliarden Tonnen Nahrungsmittel verloren . Industrie, Handel, Großver- braucher und Privathaushalte werfen laut einer vom BMEL geförderten Studie der Universität Stuttgart in Deutschland jährlich 11 Millionen Tonnen Lebensmittel in den Müll . Allein deutsche Privathaushalte schmeißen pro Kopf und Jahr 81,6 Kilogramm Lebensmittel weg . Bei 793 Millionen unterernährten Menschen auf der Welt ist dieses Ausmaß der Verschwendung beschämend . Die Linke greift mit dem vorliegenden Antrag daher ein wichtiges Thema auf . Aber sie verzerren auch die Wirklichkeit . Sie suggerieren eine einfache Problemlö- sung, die in Wahrheit keine Ursachenbekämpfung ist . Der Antrag selbst führt aus: „Ein Viertel der vermeid- baren Nahrungsmittelverluste fallen im Lebensmittel- handel an .“ Ein Viertel! Das größte Einsparpotenzial zur Vermeidung von Le- bensmittelverschwendung liegt aber – zumindest in den Industrienationen – bei uns selbst, beim Verbraucher . In unserer Wohlstandsgesellschaft ist bei vielen das Be- wusstsein für den Wert von Lebensmitteln verloren ge- gangen . Anstatt Reste zu verwerten, wird Neues gekauft . Brot ist hier nur ein Beispiel unter vielen . Bevor wir darüber diskutieren, ob und wie weggewor- fene Lebensmittel gerettet werden könnten, sollten wir darüber sprechen, wie wir verhindern können, dass Le- bensmittel überhaupt erst in der Tonne anstatt auf dem Teller landen . Mit der Informationskampagne „Zu gut für die Ton- ne“ setzt das BMEL den richtigen Hebel an: Durch Auf- klärung sowohl über das erschreckende Ausmaß der Lebensmittelverschwendung als auch Informationen und verbraucherfreundliche Hilfsmittel wie etwa Han- dy-Apps zur Restevermeidung bzw . -verwertung wird jedem einzelnen von uns beinahe mundgerecht serviert, wie bewusster Umgang mit Nahrungsmitteln aussehen kann . Das Deprimierende ist doch, dass aber nicht nur man- gelndes Wissen oder Bereitschaft Ursache für Lebensmit- telverschwendung ist, sondern oftmals auch schlicht die Ästhetik . Wir werfen nicht in erster Linie tatsächlich Ver- dorbenes weg, sondern Produkte, die uns nicht mehr gut und appetitlich genug erscheinen . Das betrifft vor allem Obst und Gemüse: welken Salat, schrumpelige Möhren oder Äpfel mit Druckstellen . Hier ist der Verbraucher ge- nauso in der Verantwortung wie der Lebensmittelhandel . Auch das leidige Thema des Mindesthaltbarkeitsda- tums spielt hier eine Rolle . Oftmals werden vor allem Milchprodukte ungeöffnet entsorgt, nur weil das Datum überschritten wurde . Gesunder Menschenverstand bzw . eine gute Nase sollten hier aber eher der „Riecher“ sein . Nichtsdestotrotz stimme ich mit dem Antrag in dem Punkt überein, dass die Politik mehr Verantwortung für die Gestaltung der Rahmenbedingungen dafür überneh- men sollte, dass die kostenfreie Abgabe von genießba- ren, aber aus dem Verkauf genommenen Lebensmitteln zwischen Lebensmittelhandel und den gemeinnützigen Vereinen wie den Tafeln verbessert wird . Was jedoch für die Union nicht tragbar ist, ist die Entkriminalisierung von sogenanntem „Containern“, also dem Entwenden weggeworfener Lebensmittel aus Mülltonnen auf dem Grundstück von Lebensmittelläden . Wenn widerrechtlich das Gelände betreten wird, ist dies eine Straftat – egal wo und aus welchen Gründen dies geschieht . Zwar würde durch die Deklaration von Lebensmitteln als herrenlose Sache der Straftatbestand des Diebstahls ausgeschlossen, aber ob man es wirklich als Gesetzgeber verantworten möchte, dass das Klettern in Mülltonnen unser Gesellschaftsbild prägt, möchte ich doch mal an dieser Stelle kritisch hinterfragen . Kurzum: Da der Antrag der Fraktion Die Linke zwar ein wichtiges Thema aufgreift, aber die falschen Mit- tel wählt, um das Ziel zu erreichen, bitte ich Sie, meine Damen und Herren, gegen den vorliegenden Antrag zu stimmen . Katharina Landgraf (CDU/CSU): Zuerst eine grundsätzliche Anmerkung: Was wir hier heute Abend diskutieren, liegt in erster Linie in der Zuständigkeit der Rechtspolitiker . Die sehen es ganz sicher nicht gerne, wenn wir Landwirtschaftspolitiker uns ins Strafrecht ein- mischen . Ihr Ansinnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion, den Handel per Gesetz zu verpflichten, seine Waren zu verschenken, wenn er diese nicht mehr verkaufen kann, ist schlicht absurd . Noch absurder ist die Idee, die Unternehmen auch noch zu bestrafen, wenn sie dieser Anordnung nicht Folge leisten . Wir können doch nicht in das Eigentumsrecht und die wirtschaftliche Ei- genverantwortung der Händler derartig eingreifen . Das möchte ich auch gar nicht . Mir geht es vielmehr darum, das Gesamtproblem der Lebensmittelverschwendung anzupacken . Der Schwer- punkt sollte dabei meines Erachtens auf der Vermeidung der Verschwendung liegen . Dann müssen wir uns gar nicht erst mit dem Problem der Strafbarkeit von sogenannten Lebensmittelrettern beschäftigen . Der EU-Rechnungshof merkt zu Recht an, dass Lebensmittelverschwendung ein Problem entlang der gesamten Wertschöpfungskette ist . Deshalb sollte ein Vorgehen auf die ganze Kette ausge- richtet sein und potenzielle Vorteile für alle Beteiligten bieten . Unstrittig ist jedoch, dass in vielen Bereichen das be- stehende Potenzial zur Bekämpfung von Lebensmittel- verschwendung noch nicht voll ausgeschöpft wird . Da- her wird derzeit in der EU-Kommission an einer Leitlinie für Lebensmittelspenden gearbeitet . Dies ist nötig, da momentan im Zusammenhang mit Lebensmittelspenden noch einige Hindernisse aus dem Weg zu räumen sind . Unter anderem müssen die unterschiedlichen Auslegun- gen von Rechtsvorschriften vereinheitlicht werden, um das Spenden von Lebensmitteln zu erleichtern . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723766 (A) (C) (B) (D) Auch in Deutschland bestehen noch viele Unsi- cherheiten bei Spendern wie bei Nehmern, obwohl das BMEL bereits 2012 einen „Leitfaden für die Weitergabe von Lebensmitteln an soziale Einrichtungen – Rechtli- che Aspekte“ veröffentlicht hat . Eine Klarstellung und Vereinfachung bestehender Rechtsvorschriften durch die EU könnte hier zu einer höheren Spendenbereitschaft führen . Wobei man aber auch sagen muss, dass bereits jetzt schon ein großer Teil beispielsweise an die Tafeln abgegeben wird . Ich hatte erst kürzlich ein Gespräch mit Mitarbeitern der Tafeln aus Sachsen und Brandenburg, und dort wurde deutlich, dass die Spendenbereitschaft der Supermärkte sehr hoch ist und es manchmal gar nicht möglich ist, alle Spenden rechtzeitig abzuholen . Das liegt aber auch an einem anderen Problem: Oft findet sich kein Fahrer, der bereit ist, für das Fahrzeug die Verantwor- tung zu übernehmen . Solche Aufgaben können meines Erachtens nicht von Ehrenamtlichen übernommen wer- den . Hier müssen wir überlegen, wie den Tafeln geholfen werden kann, dieses Problem zu lösen . Damit packen wir das Thema an einer richtigen Stelle an, und es könnten noch mehr Lebensmittel „gerettet“ werden und armen Menschen zugutekommen, als dies bei den sogenannten Lebensmittelrettern der Fall ist . Die einzige Möglichkeit für die „Lebensmittelretter“ besteht darin, die Supermärkte oder Betriebe ganz offi- ziell anzufragen, ob sie die Container nach brauchbaren Lebensmitteln durchsuchen dürfen . Frei nach dem Motto „Fragen kostet ja nichts“ . Vielleicht gibt es auch mehr positive Antworten, als man im ersten Moment vermu- tet . Wenn nicht, muss das Verbot des sogenannten „Con- tainerns“ auf jeden Fall beachtet werden . Ich möchte noch einmal ganz klar sagen, dass kriminelle Handlun- gen mit welchem Ziel auch immer nicht geduldet werden können . In diesem Fall heiligt der Zweck nämlich nicht die Mittel . Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Bis 2030 müssen wir die Lebensmittelverschwendung um die Hälfte reduziert haben . Zumindest, wenn wir die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen ernst nehmen, und ich hoffe doch sehr, dass wir das allesamt tun . Bis 2030 sind es noch zwölfeinhalb Jahre . Klingt lang, ist es aber nicht . Es ist also allerhöchste Zeit, dass wir endlich aus dem Knick kommen . Wir reden, debattieren und berichten nun schon viele Jahre über das Thema . 2012 haben wir hier im Bundestag gemeinsam einen fraktionsübergreifenden Antrag verabschiedet, der unter anderem Zielmarken für die Reduktion der Lebensmittel- verluste in den einzelnen Branchen vorsah . 2015 haben wir das seitens der Koalitionsfraktionen nochmals bestätigt . Das Europäische Parlament hat gerade erst vorgestern die Kommission aufgefordert, etwas gegen Lebensmit- telverschwendung zu unternehmen . Positiv gesprochen zeigt das: Im Prinzip sind wir uns einig, dass etwas passieren muss . Dass es so nicht weitergehen kann . Dass es nicht akzeptabel ist, dass so viele noch essbare Lebensmittel im Müll landen . Und zwar nicht nur im Hausmüll, sondern auch im Müll in der Gastronomie, im Handel, in der Industrie und in der Landwirtschaft . Allein – die bisherigen Maßnahmen ha- ben ganz offensichtlich noch nicht zu einer Änderung der Situation geführt . Der Europäische Rechnungshof hat der Kommission kürzlich bescheinigt, viel zu unambitioniert gegen Le- bensmittelverschwendung vorzugehen . Der Bundesrechnungshof hat dem hiesigen Ernäh- rungsministerium ebenfalls bescheinigt, eine ziemlich wirkungslose und dazu schlecht geplante Kampagne ge- fahren zu haben . Wir haben in Deutschland zahlreiche tolle Initiativen, die versuchen, im Kleinen etwas zu verändern, und die dazu beitragen, das Thema in der Öffentlichkeit und in unserer aller Köpfe zu verankern . Wir haben auch inzwischen eine Plattform, gefördert von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, die der Wirt- schaft Analysen und Instrumente zur Verfügung stellt, Lebensmittelverluste zu reduzieren . Nicht zu vergessen die wichtige Arbeit, die Verbrau- cherzentralen und Universitäten wie Münster oder Wit- ten/Herdecke bei dem Thema leisten . Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfrakti- on, ich bin sehr wohl bei Ihnen und Ihrer Forderung, Le- bensmittelretterinnen und -retter zu entkriminalisieren . Ich halte auch viel davon, den Handel zu verpflichten, aus dem Verkauf genommene Waren kostenlos an ge- meinnützige Organisationen abgeben zu müssen . Aber: Das allein reicht nicht . Es wird auch nicht dazu führen, dass sich überall in der Wertschöpfungskette etwas än- dert . Denn auch in der Gastronomie wird viel weggewor- fen . In der Landwirtschaft bleibt viel essbares Gemüse einfach auf dem Acker liegen . Wenn wir daran etwas ändern wollen, brauchen wir eine umfassende Strategie, ich glaube sogar, wir brau- chen ein Gesetz, das alle Akteure adressiert, das end- lich für eine ausreichende Datenlage sorgt, verbindliche Zielmarken für die einzelnen Branchen festlegt und das sicherstellt, dass diese Branchen bei der Umsetzung un- terstützt werden . Es reicht mir nicht, nur darüber zu reden, wie noch essbare Lebensmittel nach Feierabend des Supermark- tes vor der Entsorgung bewahrt werden . Ja, Lebensmit- telspenden zu erleichtern, ist ein wichtiger Punkt . Aber wenn wir Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion nachhaltiger machen wollen, wenn wir dafür sorgen wollen, dass weniger Ressourcen verschwendet werden, dann müssen wir uns vor allem um die Schnittstellen in der Lebensmittelkette kümmern . Ein erheblicher Teil der Verluste entsteht nämlich durch optische Anforderungen, Vertragsklauseln oder bestimmte Unternehmensprakti- ken . Keiner verschwendet gern oder gezielt Lebensmittel . Aber offensichtlich braucht es eine übergreifende gesell- schaftliche und politische Anstrengung, den Status quo zu ändern . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23767 (A) (C) (B) (D) Das, was das Bundesernährungsministerium bisher unternommen hat, reicht nicht . Ich bedaure, dass der Mi- nister es nicht geschafft hat, die Lebensmittelwirtschaft wirklich effektiv in die Pflicht zu nehmen oder für eine bessere Datengrundlage zu sorgen . Für meine Fraktion kann ich nur noch einmal beto- nen: Wir wollen eine nationale umfassende Strategie ge- gen Lebensmittelverschwendung mit Zielmarken für die Wirtschaft . Anders werden wir das Ziel, 50 Prozent weniger zu verschwenden, bis 2030 ganz sicher nicht erreichen . Karin Binder (DIE LINKE): In Deutschland landen pro Jahr über 18 Millionen Tonnen Nahrungsmittel auf dem Müll . Supermärkte sortieren Lebensmittel mit Ab- lauf des Mindesthaltbarkeitsdatums aus, obwohl diese meist deutlich länger genießbar sind . Manche Händler weisen ganze Lkw-Ladungen frischer Lebensmittel ab, weil die Lieferung nicht pünktlich kam . Wenn im Netz mit Orangen eine zerdrückt ist, landet die ganze Packung auf dem Müll. Am häufigsten wird gutes und genießbares Obst, Gemüse und Brot weggeworfen . Zum Anbau die- ser Menge an Lebensmitteln werden ungefähr 2,6 Milli- onen Hektar Nutzfläche benötigt. Das entspricht der Flä- che Mecklenburg-Vorpommerns . Auch all die anderen zur Bewirtschaftung benötigten Ressourcen wie Arbeits- kraft, Wasser, Dünger und Pflanzenschutzmittel werden verschwendet . Aber die Vernichtung von Lebensmitteln ist für die Wirtschaft profitabel. Das Retten entsorgter Lebensmittel hingegen ist strafbar . Das ist für die Linke nicht hinnehmbar . Das wollen wir ändern . Über die Hälfte der Lebensmittelverluste könnten wir sofort und ohne zusätzlichen Aufwand vermeiden . Das belegt die Studie „Das große Wegschmeißen” der Natur- schutzorganisation World Wide Fund for Nature (WWF) . Dazu müssten wir in der globalen Erzeugungskette aber sorgfältiger mit den Waren umgehen und gleichzeitig re- gionale Vermarktung und nachhaltigen Konsum stärken . Für 60 Prozent der Lebensmittelverschwendung ist die Wirtschaft verantwortlich . Ein Viertel der vermeid- baren Nahrungsmittelverluste fallen allein im Lebens- mittelhandel an . Um Personalkosten zu sparen, wird bei Discountern und Supermarktketten genießbares Essen weggeworfen . Auch aus Marketinggründen wird Essen vernichtet . Alles soll bis kurz vor Ladenschluss verfüg- bar sein und immer frisch aussehen . Der Wirtschafts- und Sozialausschuss im Europapar- lament stellte dazu fest: In den EU-Mitgliedstaaten ist es für den Handel profitabler, überschüssige Lebensmittel zu entsorgen als zu spenden . Wegwerfen ist also billiger als der achtsame Umgang mit Essen . Dieses Prinzip wird von Lebensmittelretterinnen und Lebensmittelrettern durch das „Containern“ gestört . Beim Containern geht es um das Retten und Herausfi- schen weggeworfener, noch genießbarer Lebensmittel aus den Müllcontainern der Supermärkte . Lebensmit- telretterinnen und -retter machen damit auf die maßlose Verschwendung und systematische Überproduktion von Lebensmitteln aufmerksam . Das Problem des kapita- listischen Systems ist: Je mehr Lebensmittel kostenlos gerettet werden, desto weniger werden beim Discounter gekauft . Auch deshalb ist Containern unerwünscht . Viele Supermärkte reagieren darauf mit Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruch und Diebstahl . In Deutschland dürfen Unternehmer also straffrei und bedenkenlos gute Lebensmittel wegwerfen, während Containern strafbar ist . Das ist absurd . 2012 verurteilte beispielsweise ein Gericht in Düren zwei Personen wegen Hausfriedensbruch und Diebstahl zu hohen Geldstrafen, nachdem sie Lebensmittel aus Containern eines Supermarktes genommen hatten . Der Grund: Abfall ist so lange Eigentum der Supermärkte, bis er von der Müllabfuhr abgeholt wurde . Die Linke fordert deshalb die Umkehr der Rechtslage . Lebensmittelabfälle sollen, wie in anderen europäischen Ländern auch, als „herrenlose Sache“ gelten . Der Handel muss, wie zum Beispiel wie in Frankreich und Italien, gesetzlich verpflichtet werden, genießbare Lebensmittel, die aus dem Verkauf genommen werden, kostenfrei an interessierte Menschen, Mitarbeiterin- nen und Mitarbeiter oder gemeinnützige Einrichtungen weiterzugeben . Die Zuwiderhandlung der Märkte muss ordnungsrechtlich geahndet und bestraft werden, damit sich für Aldi, Lidl, Rewe und Edeka die Vernichtung von Essen nicht mehr lohnt . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit Jahren diskutieren wir hier regelmäßig im Plenum über das massive Umweltproblem der Lebensmittelver- schwendung . Beileibe nicht, weil die Bundesregierung so aktiv wäre, diese zu bekämpfen – das wäre wünschenswert –, sondern weil die Opposition es immer und immer wieder auf die Tagesordnung setzt . Schon alleine deshalb ist An- trag der Linken zu begrüßen . Die Kolleginnen und Kolle- gen der Linken haben sich wenigstens Gedanken darüber gemacht, wie man Essensretter entkriminalisieren und Lebensmittelmüll reduzieren kann . Diese Vorschläge setzen erst am Ende der Wertschöp- fungskette an. Ich finde, man muss früher ran an das Pro- blem . Bekämpft werden müssen die Ursachen von Le- bensmittelmüll . Unsere Vorschläge und Forderungen dazu – allen vo- ran die Vereinbarung auf branchenspezifische Reduk- tionsziele – liegen auf dem Tisch . Und das seit inzwi- schen über fünf Jahren . 2012 haben wir dazu schon einen Antrag in den Bundestag eingebracht . Selbst Union und SPD haben das mit gefordert . Doch passiert ist seitdem viel zu wenig . Es ist ja kein Geheimnis, dass Minister Schmidt kein Aktivposten dieser Bundesregierung ist . Sein Credo der „verbindlichen Freiwilligkeit“ hat eine gewisse traurige Bekanntheit erlangt . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723768 (A) (C) (B) (D) Der Minister fällt also vor allem durch Nichtstun auf – und durch regelmäßige Presseankündigungen in nach- richtenarmen Zeiten, die dann leider folgenlos bleiben . So zum Beispiel bezüglich der Abschaffung des Min- desthaltbarkeitsdatums . Das hat er mehrfach angekün- digt, wobei er sich nicht so ganz sicher war, ob er es nun abschaffen oder verlängern oder doch lieber einen neuen Begriff einführen will . Da war er nicht ganz konsistent in seinen Interviews . Aber ohnehin hat er dabei immer nur bequem an Brüssel verwiesen; die sollten aktiv werden, nicht er . Pressewirksam hat er auch behauptet, 10 Millionen Euro für die Entwicklung intelligenter Verpackungen auszugeben . Später musste sein Haus dann kleinlaut zugeben, dass zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal eine Ausschreibung für ein solches Forschungsprojekt exis- tierte und auch nicht geplant war, die ganzen 10 Millio- nen nur für diesen Zweck auszugeben . Aber was hat der Minister tatsächlich gemacht? Er hat die von seiner Vorgängerin Aigner gestartete Kampagne „Zu gut für die Tonne“ weiter fortgeführt . Er behauptet, mit Erfolg . Diese Einschätzung teile ich nicht . Genauso wenig wie der Bundesrechnungshof, der die Kampagne als „unzureichend vorbereitet“ und den „Er- folg (als) nicht nachweisbar“ bezeichnet . Denn belegen kann Minister Schmidt nicht, inwiefern seine Postkarten und Apps tatsächlich dazu führen, dass es in Deutschland weniger Lebensmittelverschwendung gibt . Und was hat er nicht gemacht? Nicht umgesetzt hat er jegliche Forderungen des Par- laments . Er ignoriert die klaren und konkreten Forde- rungen, die wir hier fraktionsübergreifend bereits 2012 beschlossen haben und die zu Beginn dieser Legislatur- periode noch einmal unter anderem von den Abgeord- neten seiner eigenen Fraktion bekräftigt wurden . Allen voran brauchen wir endlich branchenspezifische Reduk- tionsziele . Gemeinsam mit allen Akteuren entlang der Wertschöpfungskette wie Handel, Industrie und Gastro- nomie muss festlegt werden, wie viele Verluste bis wann reduziert werden . Angekündigt hat Minister Schmidt auch das bereits seit 2015 . Passiert ist nichts . Weitere Ankündigungen: Die Kampagne „Zu gut für die Tonne“ sollte ausgeweitet werden zu einer echten Strategie gegen Lebensmittelverwendung . Für alle Stu- fen der Wertschöpfungskette sollten die fehlenden Daten zu Ausmaß und Gründen der Lebensmittelverluste ermit- telt werden . Für die Erzeugung, aber auch etwa für Dis- counter gibt es noch immer keine verlässlichen Zahlen . Die lässt der Minister völlig aus dem Blick . Doch diese sind absolut notwendig, um sinnvolle Stra- tegien und konkrete Reduktionsziele zu erarbeiten . So- wohl die EU-Kommission, das Europaparlament als auch die Vereinten Nationen in den SDGs haben konkrete Mi- nimierungsziele beschlossen . Diese Bundesregierung hinkt in ihren Bemühungen hinterher . Mein Fazit daher: Minister Schmidts Regierungszeit waren vier verlorene Jahre für den Kampf gegen Lebens- mittelverschwendung . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, zur Aus- führung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztrans- aktionsuntersuchungen (Tagesordnungspunkt 22) Margaret Horb (CDU/CSU): Dass Geldwäsche nur wenig mit Seifenlauge und Waschmaschinen zu tun hat, wohl aber in einem Waschsalon stattfinden kann, wissen wir von Al Capone . Es ist bekannt, dass der Unterwelt- boss die Einnahmen seiner Waschsalons mit Geldern aus illegalen Geschäften aufbesserte und diese Einkünfte somit zu „sauberem“ Geld machte . Dies war durch den Münzbetrieb der Waschmaschinen problemlos möglich . Und es war auch nicht gelogen, wenn er behauptete: „Ich bin im Wäscherei-Business tätig .“ Damals ein durchaus kreativer Ansatz . Heutzutage gibt es durch den technischen Fortschritt nahezu unbegrenzte Möglichkeiten, illegale Gelder in den legalen Wirtschaftskreislauf einzuschleusen . Mit dem vorliegenden Gesetz zur nationalen Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie beabsichtigen wir, ge- nau das zu erschweren, ja zu verhindern . Die wohl entscheidendste Stärkung der Geldwäsche- bekämpfung wird mit der Neuausrichtung der Zentral- stelle für Finanztransaktionsuntersuchungen, der so- genannten Financial Intelligence Unit (FIU), erfolgen . Diese Spezialeinheit wird fachlich und organisatorisch neu ausgerichtet und sowohl technisch als auch personell besser ausgestattet . Statt bislang 25 Mitarbeiter – vorran- gig Polizisten – werden künftig 165 Fachleute aus un- terschiedlichsten Bereichen dieser Einheit angehören . Die FIU wird bei der Generalzolldirektion angegliedert sein – eine sinnvolle Bündelung, da der Zoll bereits durch seinen originären Arbeits- und Geschäftsbereich über entsprechende Spezialkenntnisse verfügt . Neben Polizisten und Beschäftigten der Zollverwal- tung werden jedoch auch Unternehmer, Steuer- und Finanzbeamte, Bankangestellte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfas- sungsschutz und des Bundeskartellamtes sowie Beschäf- tigte aus Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen ihre Erfahrungen und Kenntnisse einbringen . Finanzana- lytische, steuerliche und kriminalistische, aber auch wirt- schaftliche und juristische Perspektiven werden gebün- delt und in die Sachverhaltsbewertung einbezogen . Ein strukturiertes und zielorientiertes Vorgehen ge- gen die international organisierte Kriminalität soll durch die drei Hauptaufgabenbereiche der Zentralstelle für Fi- nanztransaktionsuntersuchungen gewährleistet werden: Erstens . Filtern von Verdachtsmeldungen: Eingehende Meldungen mit Verdacht auf Geldwäsche oder Terroris- musfinanzierung werden von den Spezialisten risikoba- siert analysiert, aufbereitet und an Polizei und Staatsan- waltschaft vor Ort weitergeleitet . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23769 (A) (C) (B) (D) Zweitens . Information und Prävention: Die FIU wird Unternehmen, Verbände und Behörden über neue Arten der Geldwäsche informieren und schulen . Sie koordiniert und stellt somit sicher, dass das Geldwäschegesetz in al- len Bundesländern mit gleicher Wirkung umgesetzt wird . Drittens . Daten- und Informationsaustausch auf natio- naler und internationaler Ebene: Geldwäsche kennt keine Landesgrenzen – weder innerhalb Deutschlands noch in Europa . Geldwäsche agiert global . Mit diesem Gesetz wird die Grundlage geschaffen, dass der Daten- und Informationsaustausch auf nationa- ler und internationaler Ebene optimiert und intensiviert wird . Erstmals werden der deutschen Zentralstelle Daten von Finanz- und Verwaltungsbehörden im automatisier- ten Abruf zur Verfügung stehen, sodass die Datenbasis für die Bewertung und Analyse breiter aufgestellt wird . Denn erst durch den Austausch und die Aufbereitung der Daten, wie der Vorsitzende der Deutschen Steuer-Ge- werkschaft, Thomas Eigenthaler, zu Recht ausführt, kön- nen die Ermittlungsbehörden effektiv den Schlag gegen die Geldwäsche führen . Im Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinan- zierung setzen wir von der CDU/CSU-Bundestagsfrakti- on auf Transparenz und effektive nationale wie internati- onale Zusammenarbeit . Wir setzen aber auch explizit auf die Kompetenz und das Engagement unserer Zöllner, Fi- nanzbeamten und Polizisten, unserer Fachleute auf allen Ebenen, die Tag für Tag eine großartige Arbeit machen – auch unter Einsatz ihres Lebens . Daher von dieser Stelle unseren ganz besonderen Dank für Ihre Arbeit! Gerade diese Men- und Womenpower vor Ort, auf Länderebene, müssen wir gleichzeitig mit der Verstär- kung der FIU auf Bundesebene konsequent aus- und aufbauen . Auch wenn der Steuervollzug und der Bereich der Güterhändler im Nicht-Finanzsektor in das Aufga- ben- und Hoheitsgebiet der Bundesländer fallen: Ille- galer Internethandel und kriminelle Strukturen der Um- satzsteuerkarusselle operieren weltweit; die organisierte Kriminalität im digitalisierten Wirtschaftsraum kennt keine Ländergrenzen . Das haben wir an der Cyberattacke letzte Woche wieder einmal gesehen . Kompetente und hochmotivierte Fachleute, ausgerüs- tet und unterstützt mit moderner Technik, sind unsere Waffe im Kampf gegen Geldwäsche . Es waren ja letz- ten Endes auch die Steuerbeamten der amerikanischen Steuerbehörde IRS, die den „Staatsfeind Nummer eins“ Al Capone hinter Gitter brachten . Nicht wegen seiner illegalen Geschäfte ging er für elf Jahre ins Gefängnis, sondern wegen Steuerhinterziehung im Zusammenhang mit Geldwäsche . Dr. Frank Steffel (CDU/CSU): Mit der Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie unternimmt die Bundesregierung einen weiteren wichtigen Schritt im Kampf gegen die Geldwäsche und Terrorismusfinanzie- rung . Mit ihm passen wir die nationale Gesetzgebung an die 2012 überarbeiteten Empfehlungen der Financial Ac- tion Task Force (FATF) an . Seit der ersten Lesung im März erreichten uns zahl- reiche Änderungsanträge . Als einen Punkt nehmen wir nun Veranstalter und Vermittler von Lotterien aus, die nicht im Internet veranstaltet werden und eine staatli- che Erlaubnis haben . Außerdem berücksichtigen wir die Schweigepflicht gegenüber der Financial Intelligence Unit (FIU) bei allen Berufen, die einer Schweigepflicht unterliegen . Bislang trägt die Ausnahme bzw . Rückaus- nahme im GwG-Entwurf nur der Verschwiegenheits- pflicht von Berufsgeheimnisträgern Rechnung, soweit diese eine Rechtsberatung vornehmen . Die Änderungen berücksichtigen nun umfassend alle Tätigkeiten, die ei- ner Schweigepflicht unterliegen, wie zum Beispiel Steu- erberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte . Wir stellen heute abschließend klar, dass wir die In- teressen von Güterhändlern berücksichtigen und für sie eine Erleichterung geschaffen haben. So gilt die Pflicht, interne Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen, nunmehr nur für Güterhändler, die Barzahlungen ab 10 000 Euro annehmen oder tätigen . Wir stellen außerdem sicher, dass Unbefugte keinen Missbrauch mit dem Transparenzre- gister betreiben können, zum Beispiel durch die Abfrage der Personalausweisnummer oder der Umsatzsteuer-ID bei Unternehmen . Auch stellen wir sicher, dass Rechnun- gen für Onlinegeschäfte oder Strom weiter in bar an der Supermarktkasse bezahlt werden können . Nach intensiver Diskussion und Arbeit bringen wir das Gesetz heute auf den Weg . Es umfasst im Wesentli- chen fünf zentrale Punkte: Erstens schaffen wir mit ihm ein elektronisches Trans- parenzregister . Es erhöht die Transparenz und erschwert den Missbrauch von Gesellschaften und Trusts zu Zwe- cken der Geldwäsche sowie ihrer Vortaten, wie Steuer- betrug und Terrorismusfinanzierung. Dabei wurde darauf geachtet, dass der Bürokratieaufwand für die Unterneh- men möglichst gering bleibt . Zugang erhält nur, wer ein berechtigtes Interesse vorweisen kann . Zweitens ermöglicht das Gesetz die Ansiedlung einer Zentralstelle für Verdachtsmeldungen im Bundesminis- terium für Finanzen . Die Zentralstelle für Finanztransak- tionsuntersuchungen war bislang polizeilich ausgerichtet und beim Bundeskriminalamt im Geschäftsbereich des Bundesministeriums des Innern angesiedelt . Mit der Neuausrichtung erhält die Zentralstelle eine Filterfunkti- on und kann dadurch die Strafverfolgungsbehörden ent- lasten . Das Gesetz stärkt drittens den risikobasierten An- satz. Das heißt, die Verpflichteten müssen künftig jede Geschäftsbeziehung und Transaktion individuell auf das jeweilige Risiko in Bezug auf Geldwäsche und Terroris- musfinanzierung hin prüfen. Viertens erweitern wir den Verpflichtetenkreis und ver- schärfen fünftens die Sanktionen und machen Verstöße sichtbar . So beträgt die maximale Höhe des Bußgeldrah- mens nunmehr für alle schwerwiegenden, wiederholten oder systematischen Verstöße gegen geldwäscherechtli- che Vorschriften 1 Million Euro oder das Zweifache des aus dem Verstoß gezogenen wirtschaftlichen Vorteils; für Kredit- und Finanzinstitute 5 Millionen Euro sowie die Möglichkeit einer umsatzbezogenen Geldbuße . Für Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723770 (A) (C) (B) (D) die übrigen Fälle setzen wir den Bußgeldrahmen auf 200 000 Euro fest . Die Aufsichtsbehörden müssen alle unanfechtbar gewordenen Maßnahmen und Bußgeldent- scheidungen auf ihrer Internetseite bekanntgeben . Nach der Einführung des Straftatbestandes der Selbst- geldwäsche im November 2015 und der Einführung des Straftatbestandes der Terrorismusfinanzierung im Juli 2015 ist das heutige Gesetz ein weiterer Schritt der Bundesregierung im Kampf gegen Geldwäsche und Ter- rorismusfinanzierung in dieser Legislaturperiode. Die Bundesregierung wird weiterhin alles daransetzen, ge- zielt gegen diese Form der Kriminalität und Bedrohung vorzugehen . Der englische Staatsphilosoph John Locke hat einmal gesagt: „Der beste Weg zur Wahrheit ist, die Dinge so zu betrachten, wie sie sind, und nicht so, wie wir schließen dass sie zu sein hätten .“ Das haben wir auch bei diesem Gesetz getan . Ich möchte allen Fraktionskollegen, dem Koalitions- partner und dem Bundesministerium für Finanzen für die gute Zusammenarbeit danken . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Der Bundestag beschließt heute in zweiter und dritter Lesung das Gesetz zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie . Damit werden die Behörden im Kampf gegen Geldwä- sche erheblich gestärkt und die Regeln zur Verhinderung von Geldwäsche deutlich verschärft . Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt insbesondere die Einführung eines Transparenzregisters über wirt- schaftlich Berechtigte . Dies ist eine wichtige europäische Antwort auf die sogenannten „Panama-Papiere“, die ei- nen tiefen Einblick in die globale Schattenwirtschaft der Briefkastenfirmen gegeben haben. Diese Firmen dienten zur Verschleierung der tatsächlichen Eigentümer und der Herkunft ihrer Vermögen . Damit leisten sie nicht nur Geldwäsche und Steuerbetrug Vorschub, sondern sind auch Teil der wirtschaftlichen und finanziellen Infrastruk- tur der organisierten Kriminalität und des Terrorismus . Als Briefkastenfirma bezeichnen wir ein Unternehmen, das zwar rechtlich existiert, aber keine wirtschaftliche Aktivität aufweist . Darüber hinaus ist der wirtschaftlich Berechtigte unbekannt . Mit der Einführung eines Transparenzregisters mit Informationen zu den wirtschaftlich Berechtigten wird es mehr Klarheit darüber geben, wer an welchen Unter- nehmen maßgeblich beteiligt ist . Das hilft Behörden bei der Aufklärung von Geldwäscheverdachtsfällen und wird hoffentlich gezielt dazu beitragen, den Missbrauch von Unternehmensgestaltungen für Geldwäsche zu verhin- dern . Im Gesetz ist vorgesehen, dass Dritten die Einsicht in das Register nur bei Vorliegen eines berechtigten Interes- ses ermöglicht wird . Wir haben uns bei der Einführung des Registers für einen öffentlichen Zugang eingesetzt, bei dem einerseits die datenschutzrechtlichen Interessen der wirtschaftlich Berechtigten gewahrt bleiben, ande- rerseits die Öffentlichkeit Einsicht erhalten kann . Diese weitere Öffnung des Registers zur effektiveren Bekämp- fung der Geldwäsche ist aber an der mangelnden Bereit- schaft der CDU/CSU-Fraktion gescheitert . Dafür hat die SPD-Bundestagsfraktion aber im Aus- schussbericht klare Bedingungen für den Nachweis eines berechtigten Interesses festgehalten, mit denen der Zu- gang für Nichtregierungsorganisationen und Journalisten zum Register erleichtert wird . So wird auf jeden Fall mit dem heute zu beschließenden Gesetz schon die beab- sichtigte Wirkung, NGOs und Journalisten einen Zugang zum Transparenzregister zu gewährleisten, erfüllt . Ich bin zudem zuversichtlich, dass uns eine gezielte weitere Öffnung des Transparenzregisters künftig durch die europäische Gesetzgebung vorgegeben wird . Eine mögliche weitere Öffnung des Transparenzregisters ist eine der zentralen Themen im Rahmen der aktuellen Trilogverhandlungen zur Fünften europäischen Geldwä- scherichtlinie . Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen haben wir genau darauf geachtet, dass durch das Umsetzungs- gesetz keine ungewollten Kollateralschäden für einzelne Nischenunternehmen entstehen . Der ursprüngliche Re- gierungsentwurf hätte Geschäftsmodelle unmöglich ge- macht, mit denen unter anderem Stromrechnungen in bar an der Supermarktkasse bezahlt werden können . Für vie- le Menschen ist dies aber eine wichtige Bezahlmöglich- keit, um Rechnungen zeitnah zu begleichen und Mahn- gebühren oder andere Konsequenzen zu vermeiden . Um innovative Geschäftsmodelle weiterhin zu ermöglichen und insbesondere im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher, hat sich die SPD-Bundestagsfraktion erfolgreich dafür eingesetzt, dass wie bisher diese Ge- schäftsmodelle bzw . Geschäfte ohne höheren Verwal- tungsaufwand bis 1 000 Euro möglich sind . Wir haben ebenfalls darauf geachtet, dass keine Schlupflöcher durch Ausnahmeregelungen entstehen. Der BDI hat sich unter anderem dafür eingesetzt, dass Güterhändler ihre Sorgfaltspflichten bei der Geldwäsche- prüfung nur dann erfüllen müssen, wenn sie Barzahlun- gen über 10 000 Euro tätigen oder entgegennehmen . Die- se Ausnahme hätte jedoch eine signifikante Absenkung des Schutzniveaus im Geldwäschegesetz zur Folge ge- habt . Ein zentrales Ziel des Gesetzes ist es ja, gerade den Nicht-Finanzbereich für Geldwäsche zu sensibilisieren und Geldwäsche so zu erschweren . Das war mit uns nicht zu machen . Nicht zuletzt die Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung zum Geld- wäschemodell der sogenannten „russischen Waschma- schine“ hat gezeigt, dass Güterhändler oft der neural- gische Punkt bei Geldwäsche sind. Häufig lagen die Beträge dabei unterhalb von 10 000 Euro . Die SPD-Bundestagsfraktion unterstützt zudem die Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransakti- onsuntersuchungen . Die oberste Geldwäschebekämp- fungsbehörde wird vom Bundeskriminalamt zum Zoll verlagert und dabei personell erheblich aufgestockt . Das ist ein guter und richtiger Beschluss . Darüber hinaus ist im Kampf gegen Geldwäsche eine deutliche personelle Aufstockung der zuständigen Auf- sichtsbehörden der Länder notwendig . Deshalb fordere Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23771 (A) (C) (B) (D) ich die Bundesregierung auf, die Gespräche mit den Län- dern im Hinblick auf eine angemessene Ausübung der Geldwäscheaufsicht im Nichtfinanzsektor und im Hin- blick auf eine effektive Aufsichtsstruktur voranzutreiben . Die Aufsicht über Geldwäsche und Terrorismusfinan- zierung im Nichtfinanzsektor wird in den einzelnen Län- dern unterschiedlich geregelt . Hierdurch ergeben sich Effizienzverluste in der Bekämpfung der Geldwäsche, die auch mit einer über Jahre andauernden zu geringen Personalausstattung und fehlender Informations- und Kommunikationstechnologie in Verbindung stehen . Hier sind Verbesserungen dringend geboten, um die allgemei- ne Schlagkräftigkeit Deutschlands im Kampf gegen die Geldwäsche weiter zu stärken . Dr. Jens Zimmermann (SPD): Die im letzten Jahr bekanntgewordenen Enthüllungen um die sogenannten „Panama Papers“ sowie die erst kürzlich aufgedeckten Konstruktionen der russischen Waschmaschine zeigen, dass Geldwäsche weiterhin ein Riesenproblem ist . Geldwäsche bezeichnet das Einschleusen illegal er- wirtschafteten Vermögens – beispielsweise aus Drogen- verkäufen, Raubüberfällen oder Betrug – in den legalen Wirtschaftskreislauf, um die illegale Herkunft des Gel- des zu verschleiern, das Geld also zu „waschen“ . Der weltweite Umfang von Geldwäsche kann nur geschätzt werden . Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass jährlich Geldvermögen im Umfang von 1,3 Bil- lionen US-Dollar gewaschen wird . Dies entspricht fast 3 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung . Alle Indizien legen nahe, dass Deutschland ein attrak- tives Ziel für die Geldwäscheaktivitäten der internationa- len organisierten Kriminalität ist . Alleine in der Bundes- republik werden schätzungsweise bis zu 100 Milliarden Euro jährlich gewaschen . Wir wissen, dass hiervon auch in starkem Maße der sogenannte Nicht-Finanzbereich betroffen ist, insbeson- dere dort, wo mit großen Summen – oft in bar – umge- gangen wird . Die Milliarden aus illegalen Geschäften, die jährlich von der organisierten Kriminalität in Spiel- hallen, bei Immobiliengeschäften oder bei Autohändlern gewaschen werden, sind für die Aufsichts- und Ermitt- lungsbehörden eine große Herausforderung . Geldwäsche schadet der deutschen Volkswirtschaft erheblich . Es werden enorme Summen an illegalem Vermögen gewaschen; dem Staat werden so Milliarden an Steuereinnahmen vorenthalten . Geldwäsche betrifft deshalb nicht nur eine bestimmte Klientel, sondern alle Bürgerinnen und Bürger, die ehrlich ihre Steuern zahlen . Deshalb begrüßen wir es als SPD-Fraktion sehr, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, mit dem wir die Vierte EU-Geldwäscherichtlinie umsetzen, die Regeln zur Bekämpfung der Geldwäsche deutlich verschärft werden . Wir haben uns in den parlamentarischen Verhand- lungen intensiv mit dem Gesetzentwurf beschäftigt und gemeinsam mit unserem Koalitionspartner für viele Ver- besserungen an dem Gesetzentwurf gesorgt, um den Ver- waltungsaufwand zu verringern und die Anwendung des Geldwäschegesetzes für die Aufsichtsbehörden und die Verpflichteten zu vereinfachen. Eine der wichtigsten Neuerungen, die mit der Verab- schiedung dieses Gesetzes kommen wird, ist die Einfüh- rung eines Transparenzregisters über die wirtschaftlich Berechtigten: juristische Personen, eingetragene Perso- nengesellschaften, Trusts und Trust-ähnliche Rechtsge- staltungen . Die Skandale der vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Geldwäsche häufig einhergeht mit Unter- nehmenskonstruktionen, bei denen nicht klar ist, wer eigentlich die Geschicke bestimmt . Mit dem Transpa- renzregister, das in Zukunft mit den entsprechenden Re- gistern in den anderen EU-Staaten zu einem EU-weiten Transparenzregister vernetzt werden soll, werden wir endlich wissen, wem was gehört und wer an welchen Unternehmen wie beteiligt ist . Hierzu soll das Register als Portal fungieren, über das Dokumente aus anderen öffentlich zugänglichen Regis- tern, beispielsweise dem Handels- oder dem Vereinsre- gister, abrufbar sind . Neue Meldungen an das Register sollen nur nötig sein, wenn sich die Informationen nicht aus bestehenden Registern ergeben . Im Gesetzentwurf ist ein gestaffelter Zugang zu den Registerinformationen vorgesehen . Behörden erhalten Zugang, soweit es zur Erfüllung ihrer Aufgaben nötig ist . Verpflichtete erhalten Zugang, soweit es zur Erfüllung ihrer geldwäscherechtlichen Sorgfaltspflichten nötig ist. Der Zugang für Dritte ist an ein berechtigtes Interesse geknüpft, das gegenüber der registerführenden Stelle nachgewiesen werden muss . Intensiv diskutiert haben wir in den Verhandlungen die Frage, ob der Zugang zum Transparenzregister öf- fentlich sein soll . Wir als SPD-Fraktion haben uns in den parlamentarischen Verhandlungen für einen öffentlichen Zugang eingesetzt, bei dem die datenschutzrechtlichen Interessen der wirtschaftlich Berechtigten gewahrt blei- ben . Eine Öffnung des Registers zur effektiveren Bekämp- fung der Geldwäsche ist an der mangelnden Bereitschaft unseres Koalitionspartners gescheitert . Dafür haben wir aber im Ausschussbericht klare Bedingungen für den Nachweis eines berechtigten Interesses festgehalten, mit denen der Zugang zum Register für Nichtregierungsorga- nisationen und Journalisten erleichtert wird . Die Frage des öffentlichen Transparenzregisters ist ein zentraler Punkt in den momentan auf EU-Ebene laufen- den Verhandlungen für eine Richtlinie zur Überarbeitung der Vierten Geldwäscherichtlinie . Wir werden uns bei der nationalen Umsetzung der nächsten EU-Geldwä- scherichtlinie, die voraussichtlich in den nächsten zwei Jahren ansteht, erneut für die komplette Öffnung des Zu- gangs zum Transparenzregister einsetzen . In den Verhandlungen haben wir uns ebenso intensiv unter geldwäscherechtlichen Gesichtspunkten auch mit Geschäftsmodellen auseinandergesetzt, mit denen unter anderem Stromrechnungen in bar an der Supermarktkas- se bezahlt werden können . Der ursprüngliche Gesetzent- wurf hätte diese Geschäftsmodelle unmöglich gemacht Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723772 (A) (C) (B) (D) und wäre damit deutlich über die Vorgaben in der Richt- linie hinausgegangen . Für viele Menschen ist dies aber eine wichtige Bezahl- möglichkeit, um Rechnungen zeitnah zu begleichen und Mahngebühren oder weitergehende Konsequenzen zu vermeiden . Um innovative Geschäftsmodelle weiterhin zu ermöglichen und insbesondere im Interesse der Ver- braucherinnen und Verbraucher hat sich die SPD-Bun- destagsfraktion erfolgreich dafür eingesetzt, dass diese Geschäftsmodelle wie bisher ohne höheren Verwaltungs- aufwand bis 1 000 Euro möglich sind . Gleichzeitig haben wir als Koalitionsfraktionen im Bericht des Finanzausschusses festgehalten, dass wir von der Finanzaufsicht erwarten, diese Geschäftsmodel- le weiterhin genau im Auge zu behalten . Wir waren uns einig, dass mit dem nächsten nationalen Umsetzungsver- fahren das Thema noch mal aufgerufen und hinsichtlich der spezifischen Risiken für Geldwäsche und Terroris- musfinanzierung diskutiert werden soll. Im Nicht-Finanzbereich sorgen wir mit dem vorliegen- den Gesetzentwurf für ein wesentlich höheres Schutzni- veau. Künftig müssen die Verpflichteten bei Barzahlun- gen ab 10 000 Euro – bisher waren es 15 000 Euro – in jedem Fall die Sorgfaltspflichten des Geldwäschegeset- zes, zu denen unter anderem eine Identifizierung des Käufers gehört, erfüllen . Ein wesentlicher Fortschritt in diesem Zusammen- hang, mit dem wir auch internationale Vorgaben zur Geldwäschebekämpfung berücksichtigen, ist die Stär- kung des sogenannten risikobasierten Ansatzes . Er zielt darauf ab, dass die geldwäscherechtlich Verpflichteten künftig jede Geschäftsbeziehung und jede Transaktion individuell auf das jeweilige Risiko hin prüfen und ge- gebenenfalls zusätzliche Maßnahmen ergreifen müssen . Gleichzeitig haben wir vielen Bedenken aus der Praxis – insbesondere aus dem Bereich der Güterhändler – Rech- nung getragen und im Ausschussbericht festgehalten, un- ter welchen Voraussetzungen und mit welchem Aufwand die geldwäscherechtlichen Sorgfaltspflichten erfüllt und Geldwäscheverdachtsmeldungen abgeben werden müs- sen . Für eine noch effektivere Geldwäschebekämpfung ist es nötig, dass Bund und Länder bei der Geldwäscheauf- sicht besser zusammenarbeiten . Um dies zu erreichen, ist eine genaue Analyse der Aufsichtstätigkeit in den Bun- desländern nötig . Als Grundlage hierfür haben wir uns als Koalitionsfraktionen auf eine gesetzlich verankerte Berichtspflicht für die Länder gegenüber dem Bundes- finanzministerium geeinigt. Die jährlichen Berichte über die Aufsichtstätigkeit der Länder im Nicht-Finanzbereich sollen zukünftig zu einer wirksamen Geldwäschebe- kämpfung beitragen . Zu einer besseren Koordinierung der Bundes- und Landesbehörden soll auch die neue Zentralstelle für Fi- nanztransaktionsuntersuchungen beitragen . Die bishe- rige Zentralstelle für Verdachtsmeldungen (BKA) wird in die Generalzolldirektion überführt und personell er- heblich verstärkt . Die Aufgaben und Kompetenzen der obersten nationalen Geldwäschebehörde werden neu geregelt: Verdachtsmeldungen werden nicht mehr nur entgegengenommen, angereichert und bewertet . Zusätz- lich wird die neue FIU eine Filterfunktion wahrnehmen . Nur werthaltige Meldungen werden nach Abgleich mit anderen Informationen an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet . Außerdem wird die neue FIU Länder bei der Umsetzung der Aufsicht unterstützen . Insgesamt enthält der vorliegende Gesetzentwurf viele wichtige Maßnahmen, die die Behörden im Kampf gegen die Geldwäsche erheblich stärken . Wir als SPD-Fraktion stimmen dem Gesetzentwurf zu . Richard Pitterle (DIE LINKE): Wenn die Bundes- regierung bei der Bekämpfung von Geldwäsche so wei- termacht wie mit dem vorliegenden Gesetz, dann kann man bald schon wieder die Sektkorken in den Steueroa- sen und Schattenfinanzplätzen dieser Welt knallen hören. Dabei hat der Bundesfinanzminister höchstselbst bei der Vorstellung des Gesetzes Ende Februar verlauten lassen: „Wir brauchen schlagkräftige Instrumente im Kampf ge- gen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung.“ Damit hat Herr Schäuble natürlich absolut Recht! Und wie schön, dass ihm dieser Gedanke nach über sieben Jahren im Amt des Bundesfinanzministers auch einmal kommt . Nur leider ist das vorgelegte Gesetz eben nicht son- derlich schlagkräftig . Insbesondere beim geplanten Transparenzregister, sozusagen dem Kernstück des Ge- setzes, muss nachgebessert werden, damit nicht durch verschachtelte Gesellschaftskonstruktionen Hintermän- ner und Profiteure von Unternehmen weiter verschleiert werden können . Zwei Punkte möchte ich insbesondere ansprechen . Erstens . Nach dem Gesetz kann man in Ausnahme- fällen immer noch andere Personen, zum Beispiel ge- schäftsführende Gesellschafter, anstelle der wirtschaft- lich Berechtigten in das Register eintragen lassen . Das widerspricht dem Grundgedanken, dass die tatsächlich Handelnden zu identifizieren und notfalls in Haftung zu nehmen sind . Da gehen wir von der Linken nicht mit . Diese Ausnah- men müssen gestrichen werden . Es muss sichergestellt sein, dass stets die wahren wirtschaftlich Berechtigten identifiziert werden, auch wenn die Identifikation auf- wendig ist . Denn sonst würden wieder einmal die dreis- testen Verschleierungstechniken mit unzähligen hinterei- nandergeschalteten Gesellschaften belohnt . Zweitens . In manchen Fällen sind nach diesem Gesetz lediglich die wirtschaftlich Berechtigten selbst gegenüber dem Transparenzregister meldepflichtig, insbesondere dann, wenn weitere Gesellschaften dazwischengeschal- tet sind . Und wenn diese wiederum in irgendwelchen Steueroasen sitzen, kann man die Mitteilungspflichten schlichtweg nicht durchsetzen . Wer Cocktails schwen- kend am Karibikstrand sitzt, kann über Post vom deut- schen Transparenzregister doch nur lachen . Wir Linke fordern daher, dass von Anfang an die gesamte Kontroll- und Beteiligungsstruktur durch die Gesellschaften ermittelt werden muss . Anders ist den Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23773 (A) (C) (B) (D) verschachtelten Konstruktionen der Geldwäscher nicht beizukommen . Und noch eines ist mir wichtig: Beim Transparenzre- gister ist für mich entscheidend, dass Strafverfolgungs- behörden und Finanzbehörden auf das Register zugreifen können . Das ist aber nur die halbe Miete . Wichtig ist nämlich auch, dass diese Behörden personell so ausgestattet sind, dass sie mit den Daten effektiv arbeiten können, damit Geldwäsche konsequent bekämpft wird . Wie alle, die sich mit der Problematik beschäftigen, wissen, ist das insbesondere bei den Ländern sehr dürftig . Das muss ge- ändert werden . Warum nicht endlich dem Vorschlag der Linken folgen, eine Bundesfinanzpolizei einzurichten? Genug Arbeit hätte sie auf jeden Fall . Bis dahin liegt es auch an der Bundesregierung, ge- meinsam mit den Ländern auf Verbesserungen bei der Geldwäschebekämpfung, insbesondere auch im Nicht-Fi- nanzsektor, hinzuwirken . Denn gerade im Nicht-Finanz- sektor, also zum Beispiel in der Immobilienbranche oder beim Autohandel, gibt es mangels einer zentralen Auf- sichtsbehörde sehr unterschiedliche Handhabungen sei- tens der Länder . Ich denke, dass uns allen sehr daran liegt, die Geldwä- sche effektiv und wirkungsvoll auszumerzen . Mit unse- ren Vorschlägen bekommt dieses Gesetz die notwendige Schlagkraft und bleibt nicht bloß ein Papiertiger . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Organisierte Kriminalität und internationaler Terroris- mus kennen keine staatlichen Grenzen . Die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung erfordert daher konzertierte Anstrengungen auf Länder-, Bundes- und europäischer Ebene . Aber die Bundesregierung war und ist kein Vorreiter bei der Bekämpfung der Geldwä- sche . Die Bundesregierung hinkt seit Jahren hinterher . Dem Bundesfinanzminister fehlt eine Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfi- nanzierung . Wie in der Vergangenheit beschränkt er sich auch heute auf eine möglichst halbherzige Umsetzung der europäischen Antigeldwäscherichtlinien . Auf Länderebene hatte der Bundesrat die Bundesre- gierung schon 2012 im Rahmen seiner Stellungnahme zum damaligen GwG-Ergänzungsgesetzentwurf dazu aufgefordert, die Bekämpfung der Geldwäsche im beson- ders anfälligen Nicht-Finanzbereich bundeseinheitlich zu übernehmen . Schon damals hieß es zutreffend, die Erfas- sung der regelmäßig länderübergreifenden Sachverhalte bedeute einen erheblichen Abstimmungs- und Koordinie- rungsaufwand; die föderale Zuständigkeitszersplitterung führe zu einer unnötigen Vervielfachung der vorzuhalten- den Ressourcen, und es gelte daher, Vollzugsdefizite gar nicht erst entstehen zu lassen. Der Bundesfinanzminister hat den Vorschlag verworfen . Heute sprechen Experten von einem jährlichen Geldwäschevolumen im Nicht-Fi- nanzsektor von 20 Milliarden bis 30 Milliarden Euro . Mit ihrem Vorschlag aus 2012 sind die Bundesländer aber keinesfalls aus der Verantwortung entlassen . Die Anfragen der Grünenfraktion zum Antigeldwäschevoll- zug in den Ländern liefern eindrucksvolle und erschre- ckende Zahlen zur Vernachlässigung des Problems . Or- ganisierte Gewalt- und Drogenkriminalität wird erst dann profitabel, wenn das ergaunerte Geld auch im legalen Geldkreislauf reinvestiert werden kann . Die Verharmlo- sung des völlig unzureichenden Antigeldwäschevollzugs muss umgehend ein Ende finden! Deshalb haben wir parteiübergreifend im Finanzausschuss die Bundesre- gierung aufgefordert, die Gespräche mit den Ländern im Hinblick auf eine angemessene Ausübung der Geldwä- scheaufsicht im Nicht-Finanzsektor und eine sinnvolle Aufsichtsstruktur zu forcieren . In anderen Punkten ist die Regierungskoalition leider weniger interessiert an klaren Handlungsaufforderungen gegenüber der Bundesregierung . Für welche Anliegen die Bundesregierung in Brüssel bei der Überarbeitung der Vierten AMLD streiten soll, will die Regierungsko- alition nicht beeinflussen. Während die Grünenfraktion dieser Tage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Aushöhlung der parlamentarischen Verfassungsrech- te kämpft, zeigen SPD und CDU/CSU in vorauseilendem Gehorsam überhaupt kein Interesse daran, auf das Ein- fluss zu nehmen, was sie anschließend möglichst eins zu eins umsetzen werden . Wie unmündig sich die Kollegen aus der Regierungs- koalition damit machen, zeigt die Umsetzung des soge- nannten Transparenzregisters . „Wir hätten ja nichts ge- gen ein öffentliches Register, aber leider müsste das auf EU-Ebene beschlossen werden“ wird einerseits behaup- tet, während man sich andererseits nicht für eine entspre- chende (oder irgendeine andere konkrete) Ausgestaltung der Fünften AMLD einsetzen will . Zu der Rolle rückwärts der Bundesregierung beim Transparenzregister ist im Übrigen bereits alles gesagt worden . Wir unterstützen den entsprechenden Ände- rungsantrag der Linken, mahnen allerdings auch eine datenschutzsensible Ausgestaltung des öffentlichen Re- gisters an . Selbst wenn sich die Regierungskoalition aus der Ver- antwortung stehlen möchte: Immer wichtiger wird jetzt, was im Rahmen der Überarbeitung der Vierten AMLD auf europäischer Ebene beschlossen werden wird . Dabei werden wir Grünen uns aktiv nicht nur für ein öffent- liches Transparenzregister, sondern insbesondere auch für die europaweite Einführung von Immobilienregistern einsetzen, damit die Strafverfolgungsbehörden ermitteln können, wo Kriminelle ihr Geld parken . Die Feststellung von Immobiliareigentum sowie Rechten an Immobilien ist seit Jahren unter anderem im Bereich der Vermögensabschöpfung ein zentrales Anlie- gen der Strafverfolgungsbehörden . Die Suche nach In- habern von Immobilien oder Grundstücken gestaltet sich in Deutschland mangels eines zentralen Immobilienre- gisters teils sehr aufwendig . Wenn nähere Angaben zur geographischen Lage von Grundstücken fehlen, müssen einzelne Anfragen bei allen Landesvermessungsämtern der Bundesländer erfolgen . In einigen Bundesländern ist selbst eine landesinterne Abfrage ohne Angabe der Ge- markung und Blattnummer nicht möglich . In der Konse- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723774 (A) (C) (B) (D) quenz muten wir unseren Beamten zu, teilweise händisch Grundbücher zu durchforsten . Das ist kein haltbarer Zustand! Wir brauchen ein Immobilienregister, das nicht öffentlich einsehbar sein, dafür aber Angaben zum wirtschaftlich Berechtigten beinhalten soll . Denn anders, als es vielfach behauptet wird, ist unser Grundbuch weder darauf ausgelegt noch dazu geeignet, zur Kriminalitätsbekämpfung hinreichend beizutragen . Denn weder ist derzeit in Deutschland Im- mobilieneigentum zu ermitteln, das durch Eintragung eines lebenslangen Wohnrechts oder als Grundschuld verschleiert wird, noch sind die vielen sogenannten Sharedeal-Konstruktionen im Grundbuch abgebildet, in denen statt der Immobilie selbst einfach eine Eigentü- mergesellschaft verkauft wird . Während normale Bürge- rinnen und Bürger seit vielen Jahren mit stets steigenden Grunderwerbsteuern hadern, erlauben wir es Investoren, diese Steuern zu umgehen, und Kriminellen gleichzeitig, etwa mittels luxemburgischer Gesellschaftsformen, ohne Aufdeckungsrisiko ihre Gelder zu waschen . Das vorgelegte Umsetzungsgesetz enttäuscht insge- samt zu sehr, als dass Sie mit unserer Zustimmung rech- nen können . Ob die großen Ankündigungen im Kampf gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung am Ende erfüllt werden, darf bezweifelt werden . Es wider- spräche den bisherigen Erfahrungen . Die Umsetzung der europäischen Richtlinie ist aber erforderlich . Auch trägt die Neufassung zu einer etwas besseren Lesbarkeit bei . Wir dürfen dabei nicht vergessen, dass am Ende Ver- pflichtete, von denen wir etwas wollen und auf deren Mitwirken wir im Kampf gegen Geldwäsche angewiesen sind, dieses Gesetz verstehen und umsetzen müssen . Auch die Angliederung der Zentralstelle für Fi- nanztransaktionsuntersuchungen an den Zoll, statt, wie bisher, an das BKA, wird unterschiedlich beurteilt . Klar ist aber: Die entscheidenden Probleme bei der Geldwä- schebekämpfung werden durch sie nicht gelöst werden . Wir werden uns daher enthalten . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises (Tages- ordnungspunkt 23) Heinrich Zertik (CDU/CSU): Unser Alltagsgesche- hen wird schon fast in jeder Minute digital bestimmt: Computer, Smartphone, Tablet sind nicht mehr wegzu- denken, und ohne sie wäre die Arbeit nicht zu erledigen . Wir kommunizieren digital und erledigen ganz selbstver- ständlich Bankgeschäfte, Einkäufe und Urlaubsplanung im Netz . Auch die Politik ist auf diesen Zug aufgesprungen: Vor drei Jahren hat das Bundeskabinett die Digitale Agenda 2014–2017 beschlossen . Meine Kolleginnen und Kollegen in der AG Digitale Agenda und wir im Innen- ausschuss begleiten diesen Prozess und bringen unsere Ideen ein . Datenschutz und Datenmissbrauch werden kritisch diskutiert . Auch die Sicherheit der Daten wird mit den Fachbehörden diskutiert . Das Netz arbeitet sehr schnell, und wir müssen immer wieder nachbessern, um auf dem neuesten Stand zu sein . Die Datenschutzbeauftragte überwacht alle Gesetzesvorhaben, bei denen Bürgerda- ten berührt sind . Ihre Anregungen werden aufgegriffen und fließen in die Gesetzesanträge ein. Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland können sich darauf verlassen, dass bei allen Gesetzesvorhaben die Sicherheit ihrer Da- ten oberste Priorität hat . Auch bei unserem Vorhaben zur Förderung des elek- tronischen Identitätsnachweises war die Datenschutzbe- auftragte einbezogen . Ich kann deshalb nicht verstehen, warum Sie in der Opposition die Einführung des elektro- nischen Identitätsnachweises immer noch boykottieren . In der letzten Anhörung haben die meisten der anwesen- den Experten bestätigt, dass der elektronische Ausweis derzeit das sicherste Dokument weltweit ist . Die soge- nannte Zwei-Faktor-Authentifizierung trägt dazu bei. Ohne Pin funktioniert der Ausweis nicht . Das ist ein großer Fortschritt gegenüber dem alten Verfahren zur persönlichen Identifizierung. Es spart Zeit und Personal . Es ist bürgerfreundlich und entlastet die Behörden . Das elektronische Auslesen der Daten kann auch die Fehlerquote verringern, die beim händischen Ausfüllen von Formularen entstehen konnte, und bietet damit viel mehr Verlässlichkeit . Davon können Bürge- rinnen und Bürger profitieren. Auch die Wirtschaft und die Behörden profitieren davon. Sie sollten deshalb jetzt mehr Anwendungen bereitstellen, bei denen der elektro- nische Nachweis genutzt werden kann . Daraus entsteht eine Win-win-Situation . Für die Wirtschaft sieht der Gesetzentwurf vereinfach- te Verfahren vor, um ein sogenanntes Berechtigungszer- tifikat zu erhalten. Das ist fortschrittlich. Es trägt dazu bei, dass mehr Anwendungen bereitgestellt werden, bei denen die Kunden die elektronische Ausweisfunktion zur Identifizierung nutzen können. Trotzdem können die Kundinnen und Kunden sicher sein, dass ihre Daten geschützt sind . Wer als Anbieter einmal Daten missbräuchlich verwendet hat, erhält kein Berechtigungszertifikat. Die Kontrolle erfolgt sorgsam und bevor die Berechtigung erteilt wird . Auf eine weitere wichtige Neuerung möchte ich hin- weisen . Sie ist auch ein kleiner, aber wichtiger Baustein für die Sicherheitsarchitektur in Deutschland: Das ist der automatisierte Lichtbildabruf . Polizei, Bundesnachrich- tendienst, Zoll und der Verfassungsschutz dürfen von nun an jederzeit auf die Lichtbilder zugreifen, um ihre Sicherheitsaufgaben zu erfüllen und Gefahren abzuwen- den . Das ermöglicht den Sicherheitsbehörden ein rasches Handeln, wenn Gefahr im Verzug ist . Jeder Abruf muss protokolliert werden und kann dadurch nachverfolgt werden . Deshalb ist es auch richtig, dass die elektronische Funktion im Ausweis dauerhaft eingeschaltet sein soll . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23775 (A) (C) (B) (D) Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Behörden werden darüber informieren . Die Wahlfreiheit haben die Bürgerinnen und Bürger trotzdem . Sie können die elek- tronische Funktion abschalten . Es bleibt auch jedem Ein- zelnen überlassen, ob er diese Funktion nutzen möchte . Ich bin davon überzeugt: Wenn das elektronische Ver- fahren erst einmal bekannt ist und erfolgreich ausprobiert wurde, wird es sich bewähren, und immer mehr Men- schen werden es auch nutzen . Auf europäischer Ebene kommen wir nicht darum he- rum . Deutschland kann ein Vorreiter sein . Österreich hat den elektronischen Nachweis bereits eingeführt . Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Gesetz, damit Deutschland konkurrenzfähig bleibt und den Anschluss an die digitale Welt nicht verliert . Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): In der vergan- genen Zeit war oft zu hören und zu lesen, dass Deutsch- land Gefahr läuft, das digitale Zeitalter zu verschlafen . Gerne wird in diesem Zusammenhang auch die deutsche Verwaltung genannt und von ihr das Bild einer behäbi- gen und ineffizienten Bürokratiemaschinerie gezeichnet. Allerdings entspricht diese Zustandsbeschreibung unse- rer Verwaltung nicht den Tatsachen, und darüber hinaus schmälert sie die hervorragenden Leistungen der Beam- tinnen und Beamten sowie der Mitarbeiterinnen und Mit- arbeiter des öffentlichen Dienstes . Schon zum November 2010 wurde in Deutschland der elektronische Identitätsausweis eingeführt . Der elektro- nische Identitätsausweis ist ein staatlich zertifiziertes und im weltweiten Maßstab äußerst sicheres Identifizierungs- instrument, das es den Bürgerinnen und Bürgern ermög- lichen soll, sich im Geschäftsverkehr sicher und eindeu- tig dem Geschäftspartner gegenüber zu identifizieren. Anwendbar ist der elektronische Identitätsnachweis also zwischen Bürgern und Behörden, aber auch zwischen Bürgern und Unternehmen . Bisher erfolgt der Nachweis der Identität zum Groß- teil vor allem im Geschäftsleben durch die Eingabe der Personendaten und der Onlineübermittlung von Pass- wörtern . Diese Vorgehensweise ist jedoch sehr anfällig für Angriffe von Kriminellen . Die Kriminalstatistiken zeigen, dass der Passwortdiebstahl und damit verbunden auch der Identitätsdiebstahl – jedenfalls der Daten, die in dem betreffenden Benutzerkonto hinterlegt sind – in den vergangenen Jahren stark zugenommen haben . Insbeson- dere im Onlinebanking wird darüber hinaus vielfältig kulant reagiert, und Vorfälle erreichen folglich nicht das Licht der Statistik . Gleichzeitig wickeln die Bürgerinnen und Bürger aber immer mehr ihre Geschäftsbeziehungen online ab . Heutzutage ist es für viele gelebte Realität, selbst den Abschluss von Versicherungen und Käufe von hohem Wert über das Internet vorzunehmen . Geht bei diesen Geschäftsbeziehungen etwas schief, kann dies für die Geschädigten weitreichende Folgen haben . Hier wol- len wir auch als Staat in der Lebensrealität der Menschen präsent werden und für mehr Sicherheit in der digitalen Welt sorgen . Auch im Verhältnis Bürger/Staat könnte der elek- tronische Identitätsnachweis seine Stärken ausspielen . Viele Behördengänge, die oftmals mit Wartezeiten und längeren Fahrtwegen verbunden sind, ließen sich einspa- ren, wenn die Bürgerinnen und Bürger konsequenter die eID-Funktion ihres Personalausweises nutzen könnten und würden: Die An- oder Abmeldung des Autos, die Beantragung eines Führungszeugnisses, all dies könnte mit der eID-Funktion bequem von zu Hause aus erledigt werden . Mit der Nutzung der eID verhält es sich näm- lich streckenweise wie bei der gegenseitigen Schuldzu- weisung von Angebot und Nachfrage: Wird die eID nicht genutzt, weil sie von Staat und Wirtschaft nicht als An- knüpfung angeboten wird oder weil zu wenig Bürger sie tatsächlich nutzen könnten? Ich sage bewusst „könnten“, denn um den elektroni- schen Identitätsnachweis und seine Funktion auch nut- zen zu können, muss die Funktion zunächst einmal ein- geschaltet sein . Und hier kommen wir zum Kernpunkt dieses Geset- zesvorhabens: Bislang hatten die Bürgerinnen und Bür- ger bei der Antragstellung für einen Personalausweis die Wahl, ob sie die eID-Funktion einschalten lassen wollen . Diese bewusste Entscheidung für die Einschaltung ent- sprach dem sogenannten Opt-in-Verfahren . Wir sind der Meinung, dass wir hier eine Vorzeichenumkehr vorneh- men sollten, um die Verbreitung der eID-Funktion stärker zu fördern . Fortan wird die eID-Funktion standardmäßig eingeschaltet sein . Die Bürgerinnen und Bürger werden also nicht extra befragt, sondern bekommen ihren Perso- nalausweis mit aktiver eID-Funktion ausgehändigt . Folgende Anmerkungen sind aber dringendst zu be- achten: Die zuständige Behörde ist – ich sage bewusst „ist“, weil es auch im Gesetz als solche Regelung aus- gestaltet ist – weiterhin gesetzlich verpflichtet, die Bür- gerinnen und Bürger über die Nutzung der eID-Funktion und ihrer Möglichkeiten zu informieren, beispielsweise durch mündliche Belehrung, oder durch das Aushändi- gen einer leicht verständlichen Informationsbroschüre selber zur Information zu befähigen . Die Behörde ist aber ebenso ausdrücklich verpflich- tet, die Bürgerinnen und Bürger über die Möglichkeit der Ausschaltung der eID-Funktion zu unterrichten . Denn anders als dies einige eher mäßig recherchierte Artikel und einige eher mäßig informierte Oppositionspolitiker haben verlauten lassen, besteht für die Bürgerinnen und Bürger im Nachgang der Aushändigung jederzeit die Möglichkeit, die eID-Funktion, beispielsweise durch ei- nen einfachen Anruf, sperren zu lassen . Eine „Zwangsbe- glückung“ der Bürger durch den Staat soll gerade nicht stattfinden. Dies wäre auch mit einem sozialliberalen Politikverständnis nicht vereinbar . Die Bürgerinnen und Bürger sind weiterhin der Souverän über die eID und deren Inverkehrbringen . Diese klare Opt-out-Möglich- keit haben wir in den Verhandlungen mit dem Koaliti- onspartner durchgesetzt . Wir glauben, dass diese neue gesetzliche Regelung einerseits dem Grundgedanken des Vorhabens, der Förderung der eID-Funktion, Rechnung trägt, aber auch der Freiheit des Einzelnen, diese Funkti- on nicht eingeschaltet zu haben und auch nicht nutzen zu wollen oder gar zu müssen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723776 (A) (C) (B) (D) Mit diesem Artikelgesetz werden aber noch weitere Regelungen getroffen: Die Sicherheitslage in Deutschland und Westeuropa hat sich in den letzten Jahren aufgrund der anhaltenden Gefahr durch Terroristen deutlich verschärft . Dieser neu- en Realität müssen wir auch in gesetzgeberischer Hin- sicht Rechnung tragen . Die Tätigkeiten der Sicherheits- behörden unterliegen heutzutage mehr denn je zeitlichen Zwängen . Oftmals werden Informationen zur Gefahren- abwehr binnen weniger Stunden, manchmal gar Minuten benötigt . Mit diesem Gesetz wird daher die Rechtsgrundlage für einen automatisierten Lichtbildabruf für die Polizei- behörden des Bundes und der Länder, das Bundesamt für Verfassungsschutz, die Verfassungsschutzbehörden der Länder, den Militärischen Abschirmdienst, den Bundes- nachrichtendienst, die Steuerfahndungsdienststellen der Länder, den Zollfahndungsdienst und die Hauptzolläm- ter eingeführt . Schon bislang bestand für die Sicherheits- behörden die Möglichkeit, bei der zuständigen Behörde einen Lichtbildabruf zu beantragen . In Fällen, in denen die Anfrage außerhalb der behördlichen Öffnungszeiten erfolgte, konnte das Lichtbild automatisch abgerufen werden . Der bisherige Zwischenschritt, der sicherheits- relevante Verzögerungen verursachen kann, entfällt nun . Als SPD-Bundestagsfraktion hätten wir uns im Zweifel auch eine Beibehaltung der aktuellen Rechtslage vorstel- len können; wir erkennen aber mit der nun gefundenen Kompromisslösung das gestiegene Sicherheitsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger sowie die stark veränderte Sicherheitslage an . Ferner haben wir für die Anknüpfung durch die Wirt- schaft klare Regeln geschaffen: An sogenannte Diens- teanbieter, denen wir die Nutzung dieser staatlichen Schnittstelle ermöglichen, damit die Onlinegeschäfte vom Mobilfunkvertrag bis zur Warenbestellung über eine sichere beglaubigte Identität ablaufen können, stellen wir hohe Anforderungen . Ein Katalog von Voraussetzungen, der in Summe erfüllt sein muss, sieht unter anderem vor, dass sogenannte Berechtigungszertifikate vom Bund aus- gestellt werden, die natürlich jederzeit gesperrt und/oder entzogen werden können . Unbeschadet der datenschutz- rechtlichen Vorschriften ist ein betrieblicher Datenschutz vom Diensteanbieter nachzuweisen . Darüber hinaus muss die geplante organisationsbe- zogene Nutzung zur Erlangung des Zertifikates, um an den „ePerso“ anknüpfen zu können, mit einem be- rechtigten Interesse nachgewiesen werden . So wird die Einzelfallprüfung zur Regel . Damit soll verhindert wer- den, dass große Konzerne eine einmal erlangte globale Berechtigung zu einem beliebigen weiteren Zweck in Tochtergesellschaften weiterverwenden können . Jedes Geschäftsmodell und jeder Geschäftszweig muss ein entsprechendes für diese Organisationseinheit nachvoll- ziehbares Interesse darlegen . Dies erhöht die Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger und ermöglicht es der Berechtigungsstelle, parzellenscharf Berechtigungen zu sperren oder zu entziehen und darüber hinaus auch Ord- nungswidrigkeiten entsprechend zu ahnden . Schließlich wird mit dem Gesetz auch ein neuer Pass- versagungsgrund geschaffen . Er soll Auslandsreisen ver- hindern, die mit dem Ziel unternommen werden, eine Verstümmelung weiblicher Genitalien vorzunehmen oder zu veranlassen . Neben dem Strafrecht ist dies ein wichtiger Baustein, um den Missbrauch und die Körper- verletzung junger Frauen und Kinder zu verhindern . Ich bin überzeugt, dass wir mit diesem Gesetz einen weiteren Schritt in die richtige Richtung gehen . Wir för- dern ein sicheres staatliches Instrument und erhöhen so den Schutz für unsere Bürgerinnen und Bürger . Denn in- nere Sicherheit ist nicht nur Polizei und Pistole – auch im Netz muss der Staat seine Bürgerinnen und Bürger schützen . Ich bitte Sie, den Gesetzentwurf mit Ihrer Stimme zu unterstützen . Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung will die Onlinefunktion des Personalausweises künftig zur Pflicht machen. Die Bürgerinnen und Bürger können dann nicht mehr, wie bisher, bei der Aushändigung des Dokumentes selbst entscheiden, ob die Funktion aktiviert wird oder nicht . Damit verbunden sind zahlreiche Ein- griffe in den Datenschutz, auf die ich gleich noch kom- men werde . Außerdem will die Bundesregierung den Polizeibehörden und Geheimdiensten künftig erlauben, sämtliche Passfotos aus den Meldebehörden im automa- tisierten Verfahren abzurufen . Die bisherige Einschrän- kung, die den Nachweis einer Eilbedürftigkeit verlangt, wird abgeschafft . Die Datenschützer, die bei der Anhörung des Innen- ausschusses zu diesem Gesetzentwurf befragt worden sind, waren sich einig: Dieses Gesetz bringt gravierende Verschlechterungen für die Bürger mit sich . Ich zitiere hier nur die Bundesdatenschutzbeauftragte, die sagte, es würden „mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nach wie vor das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger übergangen und datenschutzsi- chernde Standards unterlaufen“ . Warum will die Bundesregierung die bisherige Wahl- freiheit bei der Aktivierung der Onlinefunktion abschaf- fen? Ganz einfach: Die Bürger haben von ihrer Freiheit zu ausgiebig Gebrauch gemacht und sich zu zwei Drit- teln gegen die Internetfunktion entschieden . Das passt der Bundesregierung nicht, weswegen sie jetzt die Mög- lichkeit, sich dagegen zu entscheiden, einfach streicht . Das ist doch wirklich ein Rückfall in den Obrigkeitsstaat . Die neue Regelung soll laut Gesetzesbegründung der Wirtschaft ein großes Potenzial neuer Kunden zuführen . Das ist ein eindeutiger Missbrauch der Ausweispflicht zur Technologieförderung und zur Profitsteigerung, der noch dazu auf Kosten der Sicherheit geht . Der eigentliche Grund, weswegen nur eine Minderheit die Onlinefunktion freischalten lässt, ist doch: Die Leute versprechen sich keinen Nutzen davon, und sie vertrauen der Technologie nicht . Aus gutem Grund . Zur sicheren Identifizierung haben Onlinedienste schon längst ande- re Verfahren entwickelt, inklusive internationaler Nut- zungsmöglichkeit, die Mobiltelefone als Instrumente einsetzen . Das verspricht allemal kundenfreundlicher zu Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23777 (A) (C) (B) (D) sein als eine rein nationale Lösung, die noch dazu per Gesetz erzwungen wird . Trotz zahlreicher Einwände der Datenschützer in der Anhörung hat die Koalition nicht nachgebessert; im Ge- genteil, der Datenschutz wurde sogar noch weiter aus- gehöhlt . Ich nenne hier nur einige Beispiele: Die Zertifizierung der Diensteanbieter im Internet wird „entbürokratisiert“, behauptet die Koalition . Tatsächlich wird hier aber am Datenschutz gespart . Die Dienstean- bieter werden direkt mit der Zertifizierung berechtigt, die persönlichen Daten der Nutzer zu verwenden, und zwar unabhängig davon, ob diese Daten für den jeweils festge- legten Zweck auch tatsächlich erforderlich sind . Um das zu überprüfen, kommt auf die Datenschutzbeauftragten in Bund und Ländern jetzt erhebliche Mehrarbeit zu – für die es aber keine Aufstockung des Personals gibt . Un- term Strich, so hat der Chaos Computer Club gewarnt, „wird letztlich beim präventiven Datenschutz zurückge- steckt“, und zwar im Interesse der Wirtschaft . Das zeigt sich zum Beispiel auch darin, dass den Bürgern die jetzt noch bestehende Möglichkeit genommen werden soll, gegen die Übermittlung einzelner Daten Widerspruch einzulegen . Wer das System in Zukunft nutzen will, muss immer sämtliche Daten übermitteln, auch wenn das im Einzelfall gar nicht nötig wäre . Zurückgesteckt wird auch bei den Informationen für die Bürger . Wenn sie schon zur Annahme eines aktivier- ten E-Passes gezwungen werden, dann müsste man ihnen wenigstens ordentliches Informationsmaterial über die Risiken an die Hand geben . Aber das soll nur auf An- frage geschehen, und es bleibt den Meldeämtern selbst überlassen, dieses Material zu erstellen . Das ist absolut unzureichend . Dass der Bund sich die Mühe macht, ein bundesweit einheitliches Informations- angebot zu erstellen, das ausführlich über die Risiken aufklärt, wäre doch das Mindeste! Ich will abschließend einen Absatz im Gesetzentwurf ansprechen, den ich für eine regelrechte Sauerei halte: die Erweiterung der Befugnisse von Polizei und Geheim- diensten, denen künftig erlaubt wird, sich ohne jeden Anlass im automatisierten Verfahren die Passbilder aller Bürgerinnen und Bürger bei den Meldebehörden zu be- sorgen . Bislang müssen sie dafür wenigstens noch eine Dringlichkeit nachweisen, wodurch der größte Miss- brauch verhindert werden konnte . Diese Einschränkung soll jetzt wegfallen . Die Geheimdienste können, wenn sie wollen, eine komplette Bilddatei der Bevölkerung anlegen – wie gesagt, ohne jeden Anlass . Mit dem rest- lichen Anliegen des Gesetzentwurfs hat das überhaupt nichts zu tun – diese Bestimmung ist wie ein Trojani- sches Pferd. Ich finde das wirklich ein Horrorszenario für die Bürgerrechte . In der Anhörung hagelte es hierzu Kritik – und jetzt haben wir einen Änderungsantrag der Koalition, der diese Kritik nicht nur ignoriert, sondern alles noch schlimmer macht: Sie bekräftigen nicht nur diesen Datenrechtsverstoß, sondern weiten den Kreis der dazu Berechtigten gleich noch auf Zollkriminaläm- ter und Steuerfahnder aus . Und die neue Regelung soll nicht, wie zunächst geplant, erst 2021, sondern sofort in Kraft treten . Ich fasse zusammen: Dieses Gesetz versucht zum ei- nen, die Bürger zwangsweise zur Nutzung einer unsiche- ren und überflüssigen Technologie anzustiften, wobei es unter dem Vorwand der Entbürokratisierung beim Daten- schutz spart . Zum anderen baut es ohne jede Begründung die Befugnisse der Geheimdienste aus . Es ist selbstver- ständlich, dass die Linke ein solches Gesetz, das aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eine Farce macht, ablehnt . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wie so häufig in letzter Zeit, reden wir heute nicht lediglich über ein parlamentarisches Vorhaben, über das mit dem vorliegenden Gesetzentwurf entschieden werden soll . In einem scheinbar harmlosen Gesetz zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises verstecken Sie einen Angriff auf die Privatsphäre aller Bürgerinnen und Bürger in diesem Land, die uns wieder einen Schritt nä- her an den Abgrund staatlicher Totalüberwachung bringt . Aber der Reihe nach: E-Government mit Nachdruck zu fördern, ist eine wichtige Aufgabe . Und eine datenschutzrechtlich soli- de Ausgestaltung des elektronischen Personalausweises wäre sicherlich eine solche Förderung . Aber: Seit Ein- führung der eID-Funktion des Personalausweises haben die Bürgerinnen und Bürger diese in freier Entscheidung zu zwei Dritteln der rund 51 Millionen ausgegebenen Ausweise/eAT deaktivieren lassen . Das liegt vornehm- lich daran, dass nie wirklich kommuniziert wurde, worin eigentlich der Mehrwert dieses elektronischen Ausweises liegt . Das hatte eine gewisse Schlüssigkeit, weil der Aus- weis bisher auch nie wirklich sonderlich viel Vorweisba- res konnte und kann . Die Vorstellung jedenfalls, dass der elektronische Per- sonalausweis zum zentralen Online-Identitätstool der Menschen im geschäftlichen Leben sowie im Umgang mit Behörden werden könnte, ist schon deshalb abwegig, weil es schlicht bis heute an den dazugehörigen Angebo- ten fehlt . In solchen Fällen gilt bei der Großen Koalition dann offenbar folgende Logik: Die Bürgerinnen und Bürger haben kein Interesse? Dann müssen wir sie eben zwin- gen! Und so wird die sogenannte eID-Funktion zum elek- tronischen Identitätsnachweis künftig bei jedem Aus- weis automatisch und dauerhaft eingeschaltet . Dies mit der Argumentation, dass so die eID-Funktion schneller verbreitet und dadurch ein Anreiz für Behörden und Un- ternehmen geschaffen werden soll, mehr Anwendungen bereitzustellen . Nach dem Motto: Wenn ich euch zum Essen zwinge, wird der Appetit schon kommen . – So geht es nicht . So weit, so schlecht . Dem Fass den Boden aus schlägt allerdings der zweite Teil Ihres Gesetzentwurfs, in dem Sie offenbar Orwell’schen Fantasien völlig nachgeben . Nach der ersten Lesung dachten wir – lassen Sie mich dies deutlich sagen –, es könne nicht schlimmer kom- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723778 (A) (C) (B) (D) men: der fast voraussetzungslose Abruf der Pass- und Personalausweisbilder einer jeden Bürgerin und eines jeden Bürgers im automatisierten Verfahren durch die Polizeien und nun auch die bundesdeutschen Nachrich- tendienste . Dieses ist nichts anderes als der unverhohlene Einstieg in eine bundesweite biometrische Bilddaten- bank aller Bundesbürger . Und dies vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Sie derzeit am Bahnhof Südkreuz in Berlin die intelligente Videoüberwachung mit Gesichts- erkennung an öffentlichen Plätzen testen . Aber wir haben uns getäuscht: Wenn wir den „fast“ voraussetzungslosen Abruf im ersten Entwurf kritisier- ten, so scheint dies nur ein Anreiz für Sie gewesen zu sein, das „fast“ zu einem „völlig“ werden zu lassen . Denn nun wird ein Änderungsantrag zu Ihrem Gesetz- entwurf mitverabschiedet, welcher es nicht einmal mehr nötig macht, dass die Behörde, bei der das Lichtbild abgerufen wird, auf andere Weise nicht erreichbar ist . Diese Absenkung der Voraussetzungen gilt nun auch für die Polizeibehörden des Bundes und der Länder, die Steuerfahndungsdienststellen, den Zollfahndungsdienst und die Hauptzollämter . Und dies nach einer Sachver- ständigenanhörung im Innenausschuss, welche eindeutig die Gefahren einer solchen gigantomanischen Datenbank dargelegt hat . Was dies bedeutet, muss man sich einmal klarma- chen: Ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Geset- zes dürfen alle oben genannten Behörden jederzeit „zur Erfüllung ihrer Aufgaben“ auf die Onlinedatenbanken, in der die Lichtbilder aller Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik gespeichert sind, zugreifen . Dann kön- nen die Abrufmöglichkeiten längerfristig aber auch dazu verwendet werden, im Rahmen der intelligenten Video- überwachung alle Menschen zu identifizieren, die sich in einem Bahnhof, auf einem Flughafen, in einem Ein- kaufszentrum oder auf einem öffentlichen Platz wie dem Bahnhof Südkreuz in Berlin aufhalten . Begründet wird diese Verschärfung gegenüber dem ohnehin schon bürgerrechtlich dramatischen Entwurf damit, dass man so „den Aufgaben der Personalausweis- oder Passbehörden als auch der Sicherheitsbehörden als auch der derzeitigen Sicherheitslage gerecht wird“ . Nicht gerecht wird dieser Entwurf jedoch den Bür- gerrechten in der freiheitlich-demokratischen Grundord- nung . Denn Sicherheit in einem Rechtsstaat heißt nicht nur „Sicherheit durch den Staat“, sondern immer auch „Sicherheit vor dem Staat“ . Indem Sie die Sicherheits- behörden in diesem Land nach dem Prinzip „Alles was kann, soll auch“ mit Rechten ausstatten, kratzen Sie nicht mehr an unserem freiheitlichen Rechtsstaat, sondern Sie hobeln daran . Und das, obwohl verschiedene Skandale uns immer wieder zeigen, dass die notwendige parla- mentarische und rechtsstaatliche Kontrolle der Dienste bis heute völlig unzureichend läuft . Ich habe es bereits in der ersten Lesung gesagt, und ich wiederhole es heu- te hier: Deutlicher kann man Demokratie- und Rechts- staatsgleichgültigkeit nicht zum Ausdruck bringen . Die- ses Gesetz wird Ihnen noch viel Ärger machen . Dr. Ole Schröder, Parl . Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Für viele Onlineanwendungen ist eine Identifikation notwendig. Das System „Benut- zername/Passwort“ ist nicht die Zukunft . Es ist anfällig für Identitätsdiebstahl und schwer zu handhaben . Für sicherheitssensible Anwendungen ist es schon gar nicht geeignet . Die Frage ist, welche Systeme zukünftig für eine si- chere Online-Identifikation sorgen werden. Überlassen wir dies privaten Anbietern, insbesondere den Login-Gi- ganten, deren Rechenzentren nicht in Europa stehen? Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass es Auf- gabe des Staates ist, eine Infrastruktur für eine sichere Onlinekommunikation anzubieten . Die Bürger verdienen ein hohes Niveau von Datensicherheit und Datenschutz . Mit dem elektronischen Personalausweis bieten wir in Deutschland das weltweit sicherste System hierfür an . Mit der Onlineausweisfunktion steht eine verlässliche Infrastruktur zur gegenseitigen Identifizierung zur Ver- fügung . Sie wurde in der Vergangenheit nur weniger ge- nutzt als erwartet . Gründe hierfür sind, dass der Ausweis bisher nicht mobil einzusetzen war und die Anwendung zu kompliziert ist . Bisher brauchte man zum Onlineaus- weisen zwingend ein spezielles Lesegerät . Nur wenige Menschen haben sich einen solchen Kartenleser instal- liert . Der elektronische Personalausweis blieb so ein Ni- schenprodukt . Mittlerweile ist es möglich, den Ausweis auch mobil auszulesen . Immer mehr Smartphones und Tablets bieten diese Möglichkeit . Die vorhandenen rechtlichen Hürden werden wir mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Identitätsnachweises absenken . Bei der Anhörung im Innenausschuss wurde der Entwurf ausführlich erörtert . Es wurde deutlich, dass die On- lineausweisfunktion auch weiterhin ein Höchstmaß an Datensicherheit bietet . Bei der Anhörung der Sachver- ständigen wurde aber auch deutlich, dass das geltende Personalausweisgesetz der weiteren Verbreitung in man- chen Punkten entgegensteht . Einige Vorschriften sind zu kompliziert und das Gegenteil von anwenderfreundlich . Zu den wesentlichen Änderungen gehört, dass der Personalausweis künftig durchgängig mit einer einsatz- bereiten Onlinefunktion ausgegeben wird . Die Zahl der potenziellen Nutzer wird so erhöht . Dies macht es für Behörden und Unternehmen attraktiver, Onlinedienste über den elektronischen Personalausweis anzubieten . Es handelt sich um ein Angebot, nicht um einen Zwang . Die Bürgerinnen und Bürger entscheiden frei darüber, ob sie die Funktion einsetzen möchten . Wir sind überzeugt, dass die Onlineausweisfunkti- on das Potenzial hat, im europaweiten Wettbewerb der Identifizierungsmittel eine wichtige Rolle zu spielen – im E-Business ebenso wie im E-Government . Der elektronische Personalausweis bietet hoheitlich geprüfte Identitätsdaten und eine vertrauenswürdige Identifizierung auf höchstem Sicherheitsniveau – nicht nur für Behörden und Unternehmen, sondern gerade auch für die Ausweisinhaber selbst . Dies hebt ihn ab von anderen Methoden der Online-Identifizierung. Deshalb Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23779 (A) (C) (B) (D) werden wir im E-Government auf den elektronischen Personalausweis als feste Grundlage für Bürger- und Un- ternehmenskonten bauen . Über den Bundesrat hatten die Länder einige Verbes- serungsvorschläge eingebracht . Dies betraf beispielswei- se die Regelung zum automatisierten Abruf von Lichtbil- dern aus den Pass- und Personalausweisregistern – eine Maßnahme, die der öffentlichen Sicherheit dient und mit der Onlineausweisfunktion nichts zu tun hat . Der Vor- schlag des Bundesrates hierzu erschien uns sinnvoll, weil er eine Reihe von Präzisierungen mit sich bringt . Wir ha- ben ihn deshalb weitestgehend übernommen . Ich bitte um Ihre Zustimmung zu diesem wichtigen Gesetz . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses: – zu dem Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Luise Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mehr Sicherheit durch weniger Waffen – zu dem Antrag der Abgeordneten Irene Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ab- gabe von anschlagsfähigen Ausgangsstoffen beschränken (Tagesordnungspunkt 24 a und b) Michael Frieser (CDU/CSU): Worum geht es der CDU/CSU, wenn wir heute die Überarbeitung des Waf- fenrechts beraten? Die Union will die Sicherheit im Umgang mit Waffen erhöhen und die Gefahr eines Miss- brauchs verringern . Was wir nicht wollen, ist, Bürgerin- nen und Bürger, in diesem Fall Sportschützen und Jäger, ohne Gewinn für die Sicherheit zu drangsalieren . An die Adresse der Grünen: Auch wenn schon Wahl- kampf ist – die Bürgerinnen und Bürger erwarten nicht von uns, dass wir hier über Bedarf dramatisieren, ideo- logischen Zerrbildern hinterherlaufen und uns in „Ver- bieteritis“ ergehen . Sie erwarten auf aktuelle Probleme angemessene Lösungen . Das Problem – ich nehme das mal vorweg – sind nicht Sportschützen und Jäger, die nach Prüfungen und unter Auflagen legale Waffen legal bei sich zu Hause im Waffenschrank aufbewahren . Das Problem sind die illegalen Waffen, die in Deutschland kursieren . Wer diesen Unterschied nachvollziehen kann, erkennt auch, dass die Union die echten Probleme angeht und die Grünen schon wieder über das Ziel hinausschie- ßen . Es ist ganz wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass für den Kauf, Besitz und Umgang mit Waffen und Munition in Deutschland strenge gesetzliche Regeln gel- ten . Wir haben bereits jetzt eines der schärfsten Waffen- rechte in der EU! Dieses Waffenrecht hat sich insgesamt bewährt . Eine systematische Verschärfung des Waffen- rechts ist deshalb nicht notwendig . Es besteht aber ein Anpassungsbedarf durch interna- tionale Vorgaben und Vereinbarungen des Koalitionsver- trages . Auch Anregungen von Praktikern aus den Waf- fenbehörden der Länder werden in dem vorliegenden Gesetzentwurf aufgegriffen und umgesetzt . Ein vieldiskutierter Aspekt des ursprünglichen Ge- setzentwurfs ist die Weiternutzbarkeit von Waffen- schränken . Ein Waffenschrank gilt bislang gemäß § 36 Absatz 2 WaffG als sicher, wenn er die technische Norm VDMA 24992 erfüllt . Der Maschinenbauverband VDMA hat diese technische Kategorie zurückgezogen . Deshalb muss das Gesetz jetzt angepasst werden . Nun haben zahlreiche Bürgerinnen und Bürger be- fürchtet, dass sie ihre teuer eingekauften Waffenschränke der gestrichenen VDMA-Kategorie ab jetzt nicht wei- ternutzen dürfen und sich sofort um die Finanzierung eines neuen kümmern müssen . CDU und CSU nehmen diese Bürgersorgen ernst . Wir wollen das Vertrauen der Sportschützen und Jäger in die bisher geltende Rechts- lage schützen . Deshalb werden wir dafür sorgen, dass das neue Gesetz einen umfassenden und zeitlich unbe- schränkten Bestandsschutz für Waffenschränke der Ka- tegorie VDMA 24992 mit den Sicherheitsstufen A und B enthält . Dies bedeutet: Jäger und Sportschützen können ihren Waffenschrank auch in Zukunft nutzen, sofern er den heute geltenden Vorschriften entspricht . Wir setzen nicht nur diese Besitzstandsregelung durch . Wir dehnen sie auch auf Fälle der gemeinschaftlichen Nutzung aus . Personen, die in häuslicher Gemeinschaft leben, werden Sicherheitsbehältnisse der Kategorie VDMA 24992 auch dann mitnutzen dürfen, wenn sie ihre waffenrechtlichen Erlaubnisse erst nach Inkrafttreten des Gesetzes erwerben . Die Besitzstandsregelung kann auch dann in Anspruch genommen werden, wenn die häusli- che Gemeinschaft erst nach Inkrafttreten des Gesetzes begründet wird . Zudem soll die Möglichkeit bestehen, die Behältnisse diesen Mitnutzern zu vererben . Für alle in Zukunft neu angeschafften Waffenschränke wird das Sicherheitsniveau angehoben und an aktuelle technische Standards angepasst . Auch das Thema Verstoß gegen die Aufbewahrungs- vorschriften von Munition treibt viele um . Der Gesetz- entwurf sah zunächst vor, dass schon ein fahrlässiger Verstoß gegen die Aufbewahrungsvorschriften für Muni- tion zu bestrafen ist . Das geht unserer Meinung nach zu weit . Wir wollen keine vorschnelle Kriminalisierung der Legalwaffenbesitzer . Deshalb werden wir den ursprüng- lichen Gesetzentwurf, auch auf Anregung vieler Schüt- zen und Jäger, korrigieren . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723780 (A) (C) (B) (D) Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit sind die ille- galen Waffen, die in unserem Land zirkulieren . Um eine Motivation zu schaffen, diese abzugeben, wird es eine auf ein Jahr befristete Strafverzichtsregelung für den un- erlaubten Besitz von Waffen und Munition geben, wenn diese einer zuständigen Behörde oder Polizeidienststelle überlassen werden . Oftmals finden Erben bei Wohnungsauflösungen alte und ungenutzte Waffen und sind dann mit der Entsor- gung derselben konfrontiert . Für diese Zielgruppe ist die geplante Amnestie eine gute Lösung . Nach dem Amok- lauf an einer Realschule im baden-württembergischen Winnenden im Jahr 2009 gab es ebenfalls eine Amnestie . Polizei und Landesbehörden erhielten deutschlandweit circa 200 000 Waffen, die unschädlich gemacht werden konnten . Ich sagte es eingangs: Die Bürgerinnen und Bürger er- warten – zu Recht –, dass der Gesetzgeber angemessene Lösungen für aktuelle Probleme erarbeitet . Sie erwarten ein Höchstmaß an Sicherheit, und sie erwarten die Wah- rung ihrer Freiheitsrechte . Mit dem Gesetzentwurf zum Waffengesetz liefert die Bundessregierung genau das . Und deshalb sollten wir den Gesetzentwurf heute verab- schieden . Oswin Veith (CDU/CSU): Zu später Stunde beraten wir heute abschließend über die Änderungen am Waffen- gesetz . In den letzten Wochen gab es im Hinblick auf diese Gesetzesänderung sehr viel Gesprächsbedarf . Die große Befürchtung der legalen Waffenbesitzer ist nach wie vor eine einschneidende Verschärfung des nationalen Waf- fengesetzes . Wie auch schon in meiner letzten Rede zu diesem Gesetzentwurf sage ich: Keine weiteren Verbo- te, keine weiteren Einschränkungen oder verschärfenden Pflichten für gesetzestreue, legale Waffenbesitzer. Dennoch: Die öffentliche Akzeptanz des privaten Waffenbesitzes steht und fällt mit einem sicheren Waf- fenrecht . Ein sicheres Waffengesetz bedeutet, dass den Interessen der legalen Waffenbesitzer und den Sicher- heitsinteressen der Bevölkerung Rechnung getragen wird . Ein sicheres Waffenrecht heißt aber nicht, dass wir legalen Waffenbesitzern das Leben unnötig schwer ma- chen, indem wir überstrenge gesetzliche Auflagen vor- geben . Der Umgang mit Waffen birgt ein gewisses Gefahren- risiko; das liegt auf der Hand . Aus diesem Grund haben wir in Deutschland ein sehr strenges Gesetz geschaffen, um diese Gefahren zu minimieren und ein Höchstmaß an Sicherheit für unsere Bürger zu garantieren . Das unter- stütze ich . Wollen wir ein höchstmögliches Sicherheitsniveau, führt das aber auch dazu, dass wir unser Waffengesetz auf Aktualität überprüfen und Änderungen vornehmen müssen, wenn sie der Sicherheit dienen . Mit diesem Ge- setzentwurf bringen wir unser Waffengesetz auf den neu- esten Stand . Was wollen wir ändern, und was haben wir erreicht? Nun, wir wollen in erster Linie die Vorgaben für Waf- fenschränke an den aktuellen Sicherheitsstandard an- passen . Das bedeutet, dass auch neue Technologien, die einen entsprechend hohen Sicherheitsstandard zur Auf- bewahrung von Waffen bieten, künftig eingesetzt werden können . Weiterhin erhöhen wir den Sicherheitsstandard, indem wir eine nicht mehr existente DIN-Norm aus dem Gesetz streichen . Bislang konnten Waffenschränke weiterhin entsprechend dieser DIN-Norm hergestellt werden . Mit der Konsequenz, dass lediglich der Hersteller garantiert hat, dass der Waffenschrank nach dieser DIN-Norm ge- fertigt wurde – eine nicht ganz unerhebliche Sicherheits- lücke . An einer gesetzlichen Änderung der Aufbewah- rungsvorschriften für Waffen und Munition führte somit kein Weg vorbei . An diesem Punkt gab es im Vorfeld verständlicherwei- se heftige Diskussionen, ist die Konsequenz doch, dass veraltete Waffenschränke nicht mehr als sicher gelten und entsorgt werden müssten . Um hier eine komfortable Lösung zu finden, haben wir über einen Bestandsschutz für jene Waffenschränke, die bislang als sicher galten, diskutiert . Ich bin froh, dass die Union diesen Bestandsschutz für Waffenbesitzer, die ihre Waffen nach den derzeit gel- tenden waffengesetzlichen Regelungen in Waffenschrän- ken lagern, im Gesetzentwurf verankern konnte . Nur für Neuanschaffungen sollen aktualisierte technische Vorga- ben verpflichtend sein. Im parlamentarischen Verfahren konnte die Union zudem die Bestandsschutzregeln auf die Fälle erweitern, bei denen die Waffenschränke gemeinschaftlich genutzt werden . Natürlich wollen auch wir nicht, dass in 100 Jah- ren verrostete und veraltete Waffenschränke weiterhin in Gebrauch sind . Daher haben wir die Vererbung auf einen Erbfall begrenzt . Aus meiner Sicht ein gangbarer und zu- friedenstellender Weg . Wir wollen aber nicht nur für sichere Waffenschränke Sorge tragen . Wir wollen auch, dass Waffen nicht in die falschen Hände geraten . In der letzten Zeit wurde ver- mehrt über gefährliche Reichsbürger berichtet, die in Be- sitz von Waffen sind . Der hessische Verfassungsschutz gibt eine Zahl von 400 gefährlichen Reichsbürgern an . Ob diese Gefährlichkeit auch die Zuverlässigkeit beim Führen einer Waffe beeinträchtigen kann, dass können nur die Sicherheitsbehörden einschätzen . Mit der Gesetzesänderung werden nun auch alle Waf- fenanträge im Nationalen Waffenregister erfasst . Darauf haben auch die Sicherheitsbehörden Zugriff und können gegebenenfalls auf mögliche (rechts-)extreme und ge- fährliche Neigungen des Antragstellers hinweisen . Eine Regelabfrage aller Waffenbesitzer, die von ei- nigen Landesinnenministerien gefordert wird und zur Konsequenz hätte, dass alle Waffenbesitzer unter einen Generalverdacht gestellt werden, wird es mit der CDU nicht geben . Wie Sie sehen, nehmen wir keine drastischen Ände- rungen am Waffengesetz vor . Vielmehr wird es zukunfts- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23781 (A) (C) (B) (D) fähig und sicherer ausgestaltet . Das kommt auch unseren Jägern, Sportschützen und Sammlern zugute . Die Befürchtungen von legalen Waffenbesitzern hin- sichtlich noch strengerer Regelungen nehmen wir sehr ernst . Ganz klar ist, dass wir nichts verschärfen wollen, was schon scharf genug ist . Und das deutsche Waffenge- setz gehört zu den strengsten Waffengesetzen der Welt . Wir wollen keine weiteren Verschärfungen, wir wollen ein sicheres Waffengesetz . Dies ist mit dem heute zur De- batte stehenden Gesetzentwurf gelungen . Daher bitte ich um Ihre Zustimmung . Gabriele Fograscher (SPD): Alle bisherigen Än- derungen im Waffenrecht, die wir vorgenommen haben, haben wir mit Augenmaß gemacht . Und wir haben nur Änderungen beschlossen, die einen echten Sicherheits- gewinn mit sich bringen . Im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart: „Wir wer- den das Waffenrecht im Hinblick auf die technische Ent- wicklung und auf seine Praktikabilität hin anpassen . Die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger hat dabei oberste Priorität . Wir streben eine erneute befristete Amnestie an . Zur Erhöhung der öffentlichen Sicherheit werden wir darüber hinaus gemeinsam mit den Ländern schrittweise das nationale Waffenregister weiterentwickeln .“ Dieser Vereinbarung kommen wir nun nach: Wir pas- sen die Aufbewahrungsstandards an die neuen techni- schen Entwicklungen an . Dieser Punkt wird kritisch gesehen . Ich habe zahlrei- che E-Mails erhalten, in denen es heißt, dass diese neuen Sicherheitsbehältnisse zu statischen Problemen in Woh- nungen, vor allem in Altbauten, führen würden . Dazu heißt es in einem Vermerk aus dem Bundesinnenminis- terium, dass dieser Kritik nicht pauschal zugestimmt werden könne . Schließlich seien Holzmöbel mit Büchern oder Geschirr, große Aquarien oder Wasserbetten vom Gewicht her vergleichbar mit den neuen Sicherheitsbe- hältnissen . Mit dieser Änderung ist eine Besitzstandsregelung verbunden . Diese haben wir – im Gegensatz zum Gesetz- entwurf – noch durch einen Änderungsantrag ausgewei- tet . Von der Besitzstandsregelung werden auch in häus- licher Gemeinschaft lebende Waffenbesitzer umfassend profitieren. Häusliche Gemeinschaft umfasst das gemein- same Bewohnen einer Wohnung oder eines Hauses durch nahe Familienangehörige . Dazu zählen auch Studenten, Wochenendheimfahrer oder nahe Angehörige, die regel- mäßig kommen und jederzeit Zutritt haben . Auch im Fal- le des Todes des bisherigen Besitzers kann der Mitnutzer als Erbe das alte Sicherheitsbehältnis weiternutzen . Um aber das Ziel, langfristig die alten Sicherheitsbehältnisse zu ersetzen, zu erreichen, kann in einem solchen Erbfalle keine neue gemeinschaftliche Aufbewahrung mehr be- gründet werden . Der Gesetzentwurf vereinfacht das komplizierte Waf- fengesetz, in dem Verweise, technische Normen etc . künftig auf der Ebene der Rechtsverordnung geregelt sind . Somit wird die Zahl unwillentlich begangener straf- bewehrter Rechtsverstöße minimiert . Wichtig für uns ist die Erneuerung der Amnestierege- lung . Wir führen wieder eine befristete Strafverzichtsre- gelung ein, um die Zahl illegaler Waffen zu verringern . Für den Zeitraum von einem Jahr können unerlaubt be- sessene Waffen oder Munition straflos bei den zustän- digen Stellen abgegeben werden . Eine Überlassung der Gegenstände an Berechtigte ist nicht möglich . Wir setzen die EU-Deaktivierungsdurchführungs- verordnung um . Damit werden neue Standards für die Unbrauchbarmachung von Schusswaffen sowie die Ein- zelprüfung jeder deaktivierten Schusswaffe in nationales Recht umgesetzt . In der ersten Lesung dieses Gesetzentwurfes hatte ich angekündigt, dass wir als SPD-Bundestagsfraktion drin- gend eine Regelung fordern, dass Waffen nicht legal in die Hände von Extremisten gelangen . Mit unserem Ände- rungsantrag setzen wir dieses wichtige Ziel um . Es kann nicht sein, dass Menschen, die unsere freiheitlich-demo- kratische Grundordnung bekämpfen, sie gar abschaffen wollen, legal Schusswaffen besitzen oder erwerben kön- nen . Künftig wird es so sein, dass die Waffenbehörden bereits die Anträge auf waffenrechtliche Erlaubnisse und entsprechende Versagungen im Nationalen Waffenregis- ter speichern . Damit erhalten die abfrageberechtigten Stellen wie Polizei und Nachrichtendienste bereits frühzeitig Infor- mationen, wer eine Waffe beantragt . Doppelbeantragun- gen werden sofort erkannt . Diese Daten im Nationalen Waffenregister werden regelmäßig automatisiert mit dem Nachrichtendienstlichen Informationssystem NADIS ab- geglichen . Eine entsprechende Rechtsgrundlage ist be- reits im Nationalen Waffenregister enthalten . So erhalten die Dienste die Information, ob eine bei ihnen gespei- cherte Person eine waffenrechtliche Erlaubnis beantragt hat . Diese Information wird dann, so keine Informations- sperre vorliegt, an die zuständige Waffenbehörde weiter- geleitet . Diese kann dann die Erlaubnis verweigern oder entziehen . Der Abgleich zwischen Nationalem Waffen- register und NADIS wird circa alle vier Wochen statt- finden. Dies ist in der Praxis effektiver als die Abfrage durch die örtlichen Waffenbehörden, die vielfach unter Personalmangel leiden . Ein weiterer Vorteil dieser Regelung: Wird eine Per- son aufgrund zum Beispiel extremistischer Bestrebun- gen in NADIS registriert, kann durch den automatischen Abgleich mit dem Nationalen Waffenregister festgestellt werden, ob diese legal eine Waffe besitzt . Ist das der Fall, kann die Erlaubnis entzogen werden . Bei dem anderen Verfahren wäre dies nicht möglich . Jetzt geht es darum, die technische Umsetzung für den Datenabgleich möglichst zügig zu schaffen . Dazu hat Staatssekretär Krings auf meine Anfrage in einer Mail vom 9 . Mai 2017 erklärt: „Das Bundesministerium des Innern geht davon aus, dass die technische Umsetzung des Abgleichs von in NADIS gespeicherten Extremisten mit im NWR gespeicherten Erlaubnisinhabern binnen weniger Monate erfolgen kann . Die Speicherung von Anträgen im NWR, die ein Einschreiten der Verfassungs- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723782 (A) (C) (B) (D) schutzbehörden bereits im Vorfeld einer Erlaubnisertei- lung gewährleisten soll, kann bis zum 1 . Januar 2019 erfolgen . Die technische Umsetzung einer Regelanfrage würde einen vergleichbaren Zeitraum beanspruchen .“ Sehr geehrter Herr Staatssekretär, wir nehmen Sie hier beim Wort und erwarten, dass Sie Ihre Zusage einhalten . Abschließend behandelt wird heute auch der Antrag der Grünen mit dem Titel „Mehr Sicherheit durch weni- ger Waffen“ . Dazu habe ich mich bereits in meiner Rede am 10 . März dieses Jahres ausführlich geäußert . Das können Sie gerne im Protokoll nachlesen . Ihre Forderun- gen haben nur Alibicharakter . Ich bleibe dabei: Nicht die Legalwaffenbesitzer sind das Problem . Die übergroße Mehrheit von ihnen ist gesetzestreu und hält sich an die Vorschriften des Waffengesetzes . Anstatt weitere Ver- schärfungen zu fordern, sollten Sie von den Grünen Ihre Energie lieber darauf verwenden, mit uns Maßnahmen zu entwickeln, damit Kriminelle und Extremisten effizi- enter am Zugang und an der Nutzung von Waffen und Sprengstoffen gehindert werden . Martina Renner (DIE LINKE): Die Möglichkeiten des Besitzes und Umgangs mit privaten Waffen stehen im Spannungsfeld der Abwägung zwischen persönlichen Interessen von Schützen, Jägern und Sammlern und dem Sicherheitsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger . Der Gesetzgeber agiert in der Frage Restriktion und Kontrol- le des privaten Waffenbesitzes weder unter Generalver- dacht noch in Unkenntnis der Tatsache, dass der weitaus größere Teil bei Straftaten unter Schusswaffeneinsatz mit illegalen Waffen verübt wird . Zuschriften mit Bedenken gegen die Umsetzung der EU-Feuerwaffenrichtlinie neh- men wir zur Kenntnis . Allerdings sei noch einmal klar gesagt: Wir kennen die Statistiken und wissen um die Tatsache, dass die über- wiegende Zahl von Straftaten unter Schusswaffeneinsatz mit illegalen Pistolen und Gewehren stattfindet. Aber wer uns schreibt, alle Inhaber von Waffenbesitzkarten und -scheinen in diesem Land seien gesetzestreue Bür- ger und es drohe eine Enteignung von Waffenbesitzern und Ähnliches, der sucht nicht wirklich eine sachliche Debatte und verschließt die Augen vor den Gefahren, die mit jeder Form des Waffenbesitzes verbunden sind und minimiert werden müssen . Zu den Fakten: Nur 25 Prozent der bei Straftaten au- ßerhalb des Waffenrechts verwendeten und dann sicher- gestellten Schusswaffen waren im Jahr 2015 illegale Waffen . In den übrigen Fällen, also bei 75 Prozent, wur- den überwiegend erlaubnisfreie und auch legale Waffen eingesetzt und sichergestellt . Diese Zahlen belegen eben, dass auch der legale Waffen- und Munitionsbesitz eine reale Gefahrenquelle ist mit hohem Potenzial, Menschen zu verletzen oder auch zu töten . Die Schützen- und Jägerlobby sollte sich intensiver mit den Zahlen und Vorgängen befassen, auch um je- den Verdacht zu vermeiden, man bagatellisiere oder ig- noriere entsprechende Fälle . Dazu nur zwei Beispiele: Ein Schießsportverein in München wird von der Polizei durchsucht, da der Verdacht besteht, er agiere als bewaff- neter Arm der rassistischen rechten Pegida-Bewegung in München . Ein Verbot des Vereins wird derzeit durch die Behörden geprüft . In einem anderen Falle sind un- ter anderem Verantwortliche eines Schützenvereins in Niedersachsen angeklagt, weil 53 waffenrechtliche Ge- nehmigungen unter Mithilfe von Vorstandsmitgliedern erschwindelt worden sein sollen . Kurz gesagt wurde so unrechtmäßiger und illegaler Waffenbesitz und -erwerb ermöglicht . Das Zusammenspiel von Hetze gegen Minderheiten und Straftaten auch unter Waffeneinsatz verdeutlicht sich in der Gewalt gegen Geflohene und deren Unter- bringung . Die Zahl dieser Angriffe hat sich im Jahr 2016 gegenüber dem Jahr 2015 mehr als verdoppelt . Stieg die Zahl rechter Straftaten unter Einsatz von Schusswaffen von 143 Fällen im Jahr 2010 auf 536 im Jahr 2014, wur- den im Jahr 2015 schon 1 253 rechte Straftaten mit Waf- fenbezug festgestellt . Gemeint sind natürlich nicht nur Waffen im Sinne des Waffengesetzes . Das macht die Ge- fahr oder das Problem jedoch nicht kleiner . Man muss bei einer Gefährdungsanalyse in diesem Deliktfeld auch in Rechnung stellen, dass allein 750 Neonazis und „rund“ 700 sogenannte Reichsbürger über waffenrechtliche Er- laubnisse verfügen . Die Umsetzung der EU-Feuerwaffenrichtlinie ist an- gesichts dieser Zahlen keine bloße Förmelei . Weitere Fakten: Das Bundeskriminalamt hat schon 2015 festgestellt, dass der illegale Umbau und Handel sogenannter Dekorations- und Salutwaffen massiv zu- nimmt und einen nicht unerheblichen Teil der Waffenkri- minalität ausmacht . Eine solche reaktivierte Salutwaffe hatte der rassistische Hitlerverehrer in München benutzt, um insgesamt neun Menschen überwiegend mit Migra- tionshintergrund zu töten . Inzwischen wurde auch der Verkäufer dieser Waffe zur Verantwortung gezogen . Er hatte an Menschen zwischen 17 und 60 Jahren ähnliche Waffen verkauft . Noch immer sind solche Dekowaffen – die teils mit nur wenigen Handgriffen, auch unter Anlei- tung aus dem Internet, wieder schussfähig und damit zur tödlichen Gefahr werden – frei verfügbar . Selbst die ver- schiedenen Verbände von Schützen und Jägern fordern, dass hier höchste Standards europaweit gelten müssen, damit solche Waffen dauerhaft unbrauchbar sind . Es feh- len aber – und das vermutlich noch viel zu lange – euro- päische Standards zu Genehmigung, Handel, Kennzeich- nung und Deaktivierung von Schusswaffen . Die Tatwaffen der Massaker von Winnenden, Erfurt und Utoya/Schweden – halbautomatische Pistolen – sind bis heute für deutsche Schützen legal verfügbar . Gera- de Sportschützen, aber auch Jäger nutzen solche Waffen gerne . Solche Waffen können dazu verwendet werden, in kurzer Zeit gezielt eine Vielzahl von Menschen zu verlet- zen oder zu töten . Dies gilt nicht nur dann, wenn es sich um ehemalige automatische Waffen handelt, die wieder in solche zurückgebaut werden können . Auch solche Selbstlader, die mit einem größeren Magazin bestückt werden können, stellen eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger dar und wurden in der Vergangenheit schon für schreckliche Taten miss- braucht . Hier ist die Bundesregierung gefordert, Besitz und Nutzung solcher halbautomatischer Waffen endlich zu verbieten, mindestens aber drastisch einzuschränken . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23783 (A) (C) (B) (D) Die Behauptung, dass Waffenbesitzer durch die Um- setzung der EU-Richtlinie enteignet würden, ist un- haltbar und falsch . Es sind großzügige und langfristige Übergangsfristen und Vererbungsmöglichkeiten aufge- nommen worden . Tatsächlich ist es eine Selbstverständ- lichkeit, dass solche Systeme, wie sie für die Aufbewah- rung für Schusswaffen und Munition verwendet werden, auf dem neuesten technischen Stand sein müssen . Nur auf diese Weise ist gesichert, dass von Besitz und Auf- bewahrung potenziell tödlicher Waffen eine möglichst geringe Gefahr für die Bürgerinnen und Bürger ausgeht . Tragfähige Argumente haben die Kritiker hiergegen nicht liefern können . Entgegen dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen darf ich für unsere Fraktion festhalten, dass der Verfas- sungsschutz kein Partner in der Zuverlässigkeitsprüfung für waffenrechtliche Erlaubnisse sein kann . Bekannter- maßen wurde V-Leuten der Neonaziszene zugeraten, sich solche Erlaubnisse erst zu beschaffen oder – wie im Falle des Thüringers Tino Brandt – schießen üben zu gehen . So wurden Gefahren von Amtswegen erst geschaffen und verstärkt . Schon deshalb dürfen die Informationen des Verfassungsschutzes hier nicht maßgeblich sein . Auch im Interesse der Rechtswegegarantie müssen Bürgerin- nen und Bürger schließlich die Möglichkeit haben, eine vollständige gerichtliche Überprüfung einer Verweige- rung oder des Entzugs der waffenrechtlichen Erlaubnis einleiten zu können . Bei Involvierung der Geheimdiens- te in die Beurteilung ist dies aber von vornherein verun- möglicht . Es bleibt dabei und ist auch nicht zu leugnen: Von Waffen geht grundsätzlich eine potenziell tödliche Ge- fahr aus . Noch größer ist die Gefahr, wenn Menschen meinen, dass sie sich selbst bewaffnen müssten, oder an- dere dazu anstacheln – ob Rechtsextremist, Reichsbürger oder als Bürgerwehr . Und diese Gefahr hat gar nichts da- mit zu tun, ob es legale oder illegale Waffen sind . Wenn wir der Gefahr wirklich Einhalt gebieten wol- len, dann kommen wir um wirksame Beschränkungen im Waffenrecht und eine effektive Kontrolle nicht herum . Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Bei ‚Gefährlicher und schwerer Körperverletzung‘ nahm die Zahl der Fälle, in denen geschossen wurde, gegenüber dem Vorjahr um 25,4 Prozent auf 805 Fälle zu .“ So heißt es wörtlich im „Bericht zur Polizeilichen Kriminalsta- tistik 2016“. Die Waffengewalt gegen Geflüchtete, Un- terkünfte und Helfer hat sich im Vergleich zum Vorjahr sogar verdoppelt . Auch die Zahl bekannter Rechtsextre- misten, die eine Waffenerlaubnis besitzen, hat sich seit 2014 nahezu verdoppelt . Wenn das alles für Sie nicht besorgniserregend ist, für mich ist es das schon . Ich bin darüber besorgt, dass es für Straftäter weiterhin viel zu leicht ist, an eine Schusswaffe zu gelangen . Die Bundesregierung scheint diese Sorge jedoch nicht zu teilen; insbesondere scheint die Bundes- regierung nicht wegen der vielen Schusswaffen besorgt zu sein, die Jahr für Jahr in Deutschland abhandenkom- men oder gestohlen werden . Die Dunkelziffer ist kaum zu schätzen . Mit Stand vom 30 . September 2016 waren allein 15 260 Schusswaffen im nationalen Waffenregister als abhandengekommen gemeldet . Inzwischen dürften es mindestens einige Hundert mehr sein . Ein Trend, an dem auch die jetzt geänderten Aufbewahrungsvorschriften nichts ändern werden, ebenso wenig wie an der aktuel- len Aufbewahrungssituation: Waffenschränke, die keinen hinreichenden Schutz gegen Aufhebeln oder Aufbrechen bieten, weil sie noch einem Standard entsprechen, der schon seit 14 Jahren nicht mehr gilt, können nach Ihrem Gesetzentwurf sogar noch an die Enkelgeneration wei- tervererbt werden . Einzige Voraussetzung: Der Enkel stellt in 30 Jahren oder später – nur eben vor dem Tod des Großvaters – eine eigene Waffe in Großvaters Waf- fenschrank und erhält einen Wohnungsschlüssel . Wie das später kontrolliert werden soll, bleibt offen . Das gewähl- te Regelungskonzept erscheint mindestens fragwürdig . Ein regelungstechnischer Sonderfall ist es in jedem Fall . Schon dass es eine spezifisch waffenrechtliche Defini- tion des Begriffs der häuslichen Gemeinschaft gibt, sagt viel über das deutsche Waffenrecht aus, bei dem „kom- pliziert“ oft mit „streng“ verwechselt wird, selbst wenn erhebliche Regelungslücken bereits offen zutage treten . Denken Sie nur an die bekannt gewordenen Fälle, in denen Schützenvereine eine wichtige Rolle bei der Be- waffnung eigentlich ausgeschlossener Personen gespielt haben: Da ist zum einen der jüngste Fall der Schießsportgrup- pe München e . V .: Ein eingetragener Verein, von dem nun befürchtet wird, dass schon die Vereinsgründung nicht sportlich motiviert war, sondern als Instrument zur lega- len Bewaffnung einer ganzen Bewegung gesehen wurde . Nicht zuletzt die tödlichen Schüsse auf einen Polizisten bei Nürnberg im letzten Jahr und die umfangreiche Waf- fensammlung des Mannes, dessen Ansichten und Bestre- bungen der Reichsbürgerbewegung zuzurechnen waren, machen die Brisanz einer solchen legalen Möglichkeit der Bewaffnung mit scharfen Schusswaffen deutlich . Kaum weniger besorgniserregend ist die Praxis eines Schützenvereins in Hameln, dessen Funktionäre zah- lungswilligen Kunden auch dann zu einer Schusswaffe verhalfen, wenn diese beispielsweise aufgrund einer Vor- strafe keine auf legalem Weg erhalten konnten, es eiliger hatten, als es die Gesetze zulassen, oder aus sonstigen Gründen lieber keinen eigenen Antrag bei der Waffenbe- hörde stellen wollten . Hier offenbart sich ein Konstruktionsfehler des deut- schen Waffenrechts, der eine grundlegende Reform not- wendig erscheinen lässt . Gleichzeitig gibt es eine Reihe weiterer Regelungen des geltenden Waffenrechts, die die Belange der öffentlichen Sicherheit nicht hinreichend berücksichtigen . Den daraus resultierenden gesetzgebe- rischen Handlungsbedarf haben wir in unserem Antrag „Mehr Sicherheit durch weniger Waffen“ ausführlich dargelegt, der heute ebenfalls zur Abstimmung steht . Auch möchte ich in diesem Zusammenhang noch einmal an die Anhörung dazu im Innenausschuss erinnern, bei der viele Experten wichtige Hinweise gegeben haben, die jedoch leider keine Resonanz im vorliegenden Gesetz- entwurf der Bundesregierung gefunden haben . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723784 (A) (C) (B) (D) Ich bin davon überzeugt, dass diese Untätigkeit Men- schenleben kostet! Mir ist das jedenfalls unbegreiflich: Sicherheitsgesetze scheinen bei der Großen Koalition Konjunktur wie nie zu haben – nur beim Waffenrecht halten sie den Ball lieber flach. Dabei wäre das die Art echter sachlicher Sicherheitspolitik, die tatsächlich ei- nen Beitrag zu mehr Sicherheit leisten kann . Polizisten im Streifendienst werden es Ihnen bestätigen: Weniger Waffen im Umlauf sind ein direkter Beitrag zu mehr Si- cherheit . Mehr Sicherheit brächte auch eine Beschränkung der Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangsstoffen . Die Lis- te schwerer Straftaten, die in der jüngsten Vergangen- heit mit Acetonperoxid, auch bekannt als APEX oder TATP, begangen wurden, ist lang . Die nationalen Tatorte der letzten Jahre lagen unter anderem im Sauerland, in Frankfurt/Oberursel, in Bottrop, Ansbach, Leipzig und Chemnitz . Oder denken Sie auch an die Anschläge in Paris und Brüssel . All diese Täter haben sich für TATP entschieden und die erheblichen Risiken bei dessen Her- stellung in Kauf genommen, da sie die notwenigen Aus- gangsstoffe relativ leicht beschaffen konnten . Ein sicher- heitsrelevanter Umstand, dem viel zu lange zu geringe Aufmerksamkeit zuteilwurde . Inzwischen liegt eine Neufassung der Chemikali- en-Verbotsverordnung vor . Doch am Grundproblem ändert sich dadurch wenig, denn ohne entsprechend konkrete Kriterien zur Identifizierung verdächtiger Trans- aktionen hängt weiterhin zu viel von der Aufmerksam- keit des Verkaufspersonals beispielsweise im Baumarkt ab . Eine sachlich begründete Sicherheitspolitik, die den Rat der Sachverständigen und Experten ernst nimmt und die Praxis im Blick hat, sieht anders aus . Und – damit bin ich wieder beim Waffengesetz – ein Gesetz, dass auf so zentrale Weise Auswirkungen auf die innere Sicherheit hat, sollte so geschrieben sein, dass seine Anwendung möglichst einfach und rechtssicher ist . Das Bestreben, dies zu erreichen, vermag ich weder beim vorliegenden Gesetzentwurf noch beim Änderungsantrag zu erkennen, weshalb wir diesem Gesetz trotz einiger Verbesserungen im Detail insgesamt nicht zustimmen können . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkom- men von Minamata vom 10. Oktober 2013 über Quecksilber (Minamata-Übereinkommen) – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Ab- geordneten Peter Meiwald, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Minamata-Konvention zu Quecksilber unver- züglich ratifizieren (Tagesordnungspunkt 26 a und b) Karsten Möring (CDU/CSU): Die sogenannte Mi- namata-Konvention der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2013, die wir heute diskutieren, fordert den Aus- stieg aus der Quecksilberwirtschaft bis zum Jahr 2020 . Minamata ist der Name einer Stadt in Japan, in der eine Quecksilberkatastrophe Mitte letzten Jahrhunderts viele Opfer forderte: Der Chemiekonzern Chisso leitete seiner- zeit jahrelang quecksilberhaltiges Abwasser in die vorge- lagerte Bucht der Stadt – und vergiftete damit unzählige Menschen . Viele litten unter Lähmungen, Nerven- und Organschäden, Kinder kamen mit Missbildungen zur Welt . Mit der Namensgebung soll an die Opfer erinnert und zugleich vor den Folgen der Quecksilberemissionen und des verantwortungslosen Umgangs mit dem Schwer- metall gewarnt werden . Es gibt nur einen Weg, solche Unfälle sicher zu ver- meiden: den konsequenten Ausstieg aus der Quecksilber- produktion . Da unsere Wirtschaft heute global vernetzt ist, müssen dabei alle Staaten an einem Strang ziehen . Dieses Kunststück ist beim Insektenvernichtungsmittel DDT und oder den Treibhausgasen FCKW bereits gelun- gen . Jetzt soll auch Quecksilber weltweit aus Produkten verschwinden – das ist eines der wichtigsten Ziele der internationalen Minamata-Konvention . Ein Meilenstein für die Umwelt: Deutschland hat sich daher seit Verhand- lungsbeginn stark für die Konvention eingesetzt . Quecksilber ist ein hochgiftiges Schwermetall, das in hoher Dosierung tödlich ist . Am höchsten ist das Ge- sundheitsrisiko, wenn Quecksilberdämpfe eingeatmet werden oder Quecksilber in Kontakt mit der Haut gerät . In der Umwelt breitet sich Quecksilber oftmals weiträu- mig über Wasser und Luft aus . Es wird von Tieren und Pflanzen aufgenommen. Mehr als 20 Prozent der welt- weiten Emissionen entstehen als Abfallprodukt bei der Verbrennung von Kohle zur Stromerzeugung – einer der Haupt emittenten ist zum Beispiel China . Durch die Entwicklung von alternativen Technologien und Reini- gungsverfahren und einem entsprechenden Technolo- gietransfer zur Unterstützung der Entwicklungs- und Schwellenländer sollen diese Emissionen langfristig ver- ringert werden . Ziel der Minamata-Konvention ist es, den Ausstoß von Quecksilber weltweit einzudämmen . Sie dient damit dem Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt dort, wo Quecksilberemissionen unmittelbar entstehen, aber auch dort, wo sie hintransportiert werden . So müs- sen die künftigen Vertragsstaaten dafür sorgen, die Ver- wendung von Quecksilber bei der industriellen Produkti- on deutlich zu reduzieren. Die Staaten verpflichten sich, ab 2020 keine quecksilberhaltigen Produkte wie Batte- rien, Beleuchtungskörper, Kosmetika, Seifen, Schalter oder Thermometer mehr herzustellen oder zu verkaufen . Abfälle des hochgiftigen Schwermetalls dürfen nur unter strengen Auflagen gelagert und entsorgt werden. Nach Inkrafttreten der Konvention dürfen in den Ver- tragsstaaten keine neuen Quecksilberminen mehr eröff- net werden . Für den kleingewerblichen Goldbergbau müssen die Staaten zudem Maßnahmen zum Schutz der Arbeiterinnen und Arbeiter ergreifen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23785 (A) (C) (B) (D) Viele Goldschürfer setzen beim Schürfprozess Queck- silber ein, welches verdampft und die Gesundheit der Ar- beiterinnen und Arbeiter sowie die Umwelt gefährdet . Für neue Kohlekraftwerke gilt der Grundsatz, die beste verfügbare Technik zum Schutz vor Quecksilberemissi- onen einzusetzen . Ein im Rahmen der Konvention neu einzurichtender Ausschuss soll die Umsetzung der Kon- vention überwachen . Ende letzten Jahres haben sich Unterhändler des Eu- ropäischen Parlaments und der Mitgliedstaaten auf eine neue EU-Quecksilberverordnung verständigt . Die CDU/ CSU bewertet die Einigung als ausgewogenen und rea- listischen Kompromiss, der viele Themen- und Indust- riebereiche betrifft . So sieht die neue Verordnung unter anderem ein Verbot bzw . einen streng regulierten Im- und Export vor . Die Verwendung von Quecksilber bei der in- dustriellen Produktion soll außerdem deutlich reduziert werden . In Deutschland und Europa sind im weltwei- ten Vergleich bereits strenge Vorgaben Quecksilber be- treffend in Kraft sind . Von den hohen Standards, die in Minamata beschlossen und jetzt durch die EU umgesetzt werden, profitieren aber natürlich auch die europäischen und deutschen Verbraucher durch einen weltweit sinken- den Ausstoß . Insbesondere die Quecksilberbelastung von Fischen ist nämlich vielerorts auch in Europa schon ein Problem . Es ist richtig, dass wir überzogenen Forderungen, etwa nach einem sofortigen Komplettverbot bestimmter industrieller Prozesse oder einem sofortigen Zahnamal- gamverbot, nicht nachgeben . Wir sollten hier nicht das Kind mit dem Bade ausschütten . Die Sicherheitsstan- dards in Deutschland und Europa sind sowohl im Um- welt- als auch im Gesundheitsbereich sehr hoch . Es wur- de in diesem Bereich ein Kompromiss mit Augenmaß gefunden: So soll ab dem 1 . Juli 2018 Zahnamalgam bei Kindern sowie schwangeren und stillenden Frauen nur noch in absoluten medizinischen Ausnahmen verwendet werden . Bis 2020 wird geprüft, ob Zahnärzte ab 2030 ganz darauf verzichten sollen . Ich denke, dass diese Re- gelung nicht nur realistischer, sondern auch im Interesse der Patientinnen und Patienten deutlich besser ist als die Idee eines Komplettverbots von Amalgam . Das Inkrafttreten des Übereinkommens erfolgt mit der Ratifikation durch mindestens 50 Staaten. Mittlerweile wurde das Übereinkommen von 128 Staaten gezeich- net und von 35 Staaten ratifiziert. Da die Umsetzung der Verpflichtungen EU-weit im Wege einer unmittelbar in den Mitgliedstaaten geltenden Verordnung erfolgen wird, waren zunächst die entsprechenden Verhandlun- gen abzuwarten . Nach der Einigung zwischen Kommis- sion, Rat und Europaparlament zum Entwurf der neuen EU-Quecksilberverordnung Ende letzten Jahres hat die Bundesregierung unverzüglich die notwendigen Schritte für die rechtzeitige Ratifikation eingeleitet. Ich bin zuversichtlich: Mit dem Minamata-Überein- kommen rückt das Vorhaben, das giftige Schwermetall weltweit zu verbannen, in immer greifbarere Nähe . Seit- dem bemühen sich die Staaten um die Reduzierung der Emissionen und forschen an alternativen Technologien, um Quecksilber in der Produktion erfolgreich zu erset- zen . Politik und Unternehmen müssen diese Herausfor- derung annehmen – damit sich Ereignisse wie in Mi- namata nicht wiederholen . Deshalb bitte ich Sie, ja ich fordere Sie auf, jetzt Ihre Zustimmung zu diesem wichti- gen Gesetz zu geben . Ulli Nissen (SPD): Mit der heutigen zweiten und drit- ten Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Über- einkommen von Minamata vom 10 . Oktober 2013 über Quecksilber (Minamata-Übereinkommen) machen wir den Weg frei für die Ratifizierung. Gemäß Artikel 59 Absatz 2 Grundgesetz muss hierfür die Zustimmung des Bundestages eingeholt werden . Das tun wir heute, und es wird auch höchste Zeit, dass wir dieses Abkommen ratifizieren. Das Minamata-Übereinkommen über Quecksilber wurde am 19 . Januar 2013 in Genf ausgehandelt und am 10 . Oktober 2013 von der Bundesregierung in Ja- pan unterzeichnet . Worum geht es in diesem Abkom- men überhaupt? Das Minamata-Übereinkommen soll die menschliche Gesundheit und die Umwelt vor durch den Menschen verursachten Emissionen und der Freisetzung von Quecksilber und Quecksilberverbindungen schützen . Menschen und Umwelt sollen dort geschützt werden, wo Quecksilberemissionen unmittelbar entstehen, aber auch dort, wo sie hintransportiert werden . Der Name geht zurück auf die Stadt Minamata . Mitte der 1950er-Jahre kam es dort bei zahlreichen Menschen und Tieren zu schwersten Gesundheitsschäden . Sie erlit- ten Schädigungen am zentralen Nervensystem aufgrund chronischer Quecksilbervergiftung . Der Chemiekonzern Chisso hatte jahrelang quecksilberhaltiges Abwasser un- gefiltert in die der Stadt vorgelagerte Bucht eingeleitet. Die Quecksilberverbindungen waren über das Trinkwas- ser und Lebensmittel, vor allem über Fisch, aufgenom- men worden . Symptome der sogenannten Mi namata- Krankheit sind Müdigkeit, Lähmungen, Missbildungen, Organ- und Nervenschäden sowie Schädigungen am Im- munsystem . Schätzungen zufolge wurden etwa 17 000 Menschen durch die Quecksilberverbindungen mehr oder weniger schwer geschädigt . Die Zahl der Toten wird auf bis zu 3 000 geschätzt . Indem das Abkommen nun den Namen trägt, soll auch an die Toten und die tragischen Ereignisse gedacht werden . Und natürlich soll das Übereinkommen dafür sorgen, dass zukünftig niemand mehr zu Schaden kommen wird . Mit dem Übereinkommen von Minamata sollen negative Einflüsse durch den Umgang mit Quecksilber verringert und Risiken minimiert werden, indem Nutzung, Produk- tion, Lagerung und Handel reguliert werden . So wird es ab 2020 verboten sein, quecksilberhaltige Produkte wie bestimmte Leuchtmittel oder Thermometer zu produzieren oder zu verkaufen . Zudem wird es strenge Auflagen für Lagerung und Entsorgung von Quecksilber- abfällen geben . Auch sollen neue Quecksilberminen ver- boten werden . Für kleingewerblichen Bergbau müssen die Vertragsstaaten zudem Maßnahmen zum Schutz der Arbeiterinnen und Arbeiter treffen . Für Kohlekraftwerke gilt es die beste verfügbare Schutztechnik vor Quecksil- beremissionen zu nutzen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723786 (A) (C) (B) (D) Wir finden also zahlreiche gute und wichtige Maßnah- men zum Schutz von Mensch und Umwelt . Warum hat es denn nun fast vier Jahre gedauert von der Unterzeichnung bis zur Ratifizierung? Der Grund lag da- rin, dass einiges im EU-Recht angepasst werden musste . Denn auch wenn vieles im Minamata-Übereinkommen EU-weit bereits geregelt war, gab es doch einige regu- latorische Lücken . So fehlten zum Beispiel Regelungen über die Einfuhr von Quecksilber, die Ausfuhr bestimm- ter mit Quecksilber versetzter Produkte, die Verwendung von Quecksilber in bestimmten Herstellungsprozessen und auch über die Verwendung von Quecksilber im kleingewerblichen Goldbergbau oder beispielsweise die Verwendung von Quecksilber in Dentalamalgam . Im Sinne der Rechtsklarheit sollten die aus dem Über- einkommen erwachsenden Verpflichtungen, die noch nicht in EU-Recht umgesetzt waren, in einem einzigen Rechtsakt zusammengefasst werden. Dieses EU-Ratifi- kationspaket wurde am 6 . Dezember 2016 abschließend ausgehandelt . Neben dem Gesetzentwurf haben wir heute auch den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorliegen: „Minamata-Konvention zu Quecksilber unverzüglich ra- tifizieren“. Da wir dies ja nun gerade tun, ist Ihr Antrag damit auch überflüssig. Und es wird Sie nicht verwun- dern, dass wir ihn ablehnen werden . Das Minamata-Übereinkommen tritt 90 Tage nach der Ratifizierung durch den 50. Unterzeichnerstaat in Kraft. Bis heute waren es 44 Staaten der 128 Unterzeichner, die das Abkommen bereits ratifiziert haben. Im Ausschuss – das sei noch kurz erwähnt – haben alle Fraktionen dem Gesetzentwurf zugestimmt . Denn natürlich ist es nur zu begrüßen, dass Deutschland nun als 45 . Staat das Übereinkommen ratifiziert. Von 24 . bis 29 . September dieses Jahres wird in Genf die erste Vertragsstaatenkonferenz des Minamata-Über- einkommens stattfinden. Auf dieser Konferenz sollen sich die Staaten, die das Abkommen ratifiziert haben, über weitere Maßnahmen austauschen . Dabei kann es um technische, administrative, aber auch finanzielle Angele- genheiten gehen . Ralph Lenkert (DIE LINKE): Dass Quecksilber gif- tig ist, wissen fast alle . Dass es, einmal freigesetzt, sich in der Natur nicht abbaut und dann irgendwann in unse- rer Nahrung landet, ist eine Tatsache . Aus diesem Grund wird die Verwendung von Quecksilber für Industriepro- zesse und in den meisten Gebrauchsgegenständen seit Jahren eingedämmt und verboten . Aber bei Energiesparlampen wird weiter Quecksilber erlaubt, und das gelangt beim Zerbrechen der Lampe oder bei falscher Entsorgung in die Umwelt . Auch die Kohle- kraftwerke sind als Quecksilberschleudern bekannt . Die Linke begrüßt deshalb die Ratifizierung des Min- amata-Abkommens ausdrücklich und wird dem Ge- setzentwurf der Bundesregierung zustimmen; denn mit diesem Abkommen verpflichten sich die Staaten, Queck- silberemissionen zu verringern . Es ist höchste Zeit, dass das Abkommen in Kraft tritt und die noch fehlenden Ratifizierungen durch andere Staaten schnell zustande kommen . Trotz allem Positiven, was das Abkommen bringt, stellen sich uns konkrete Fragen: Wird die Bundesregierung ihren politischen Einfluss nutzen, um bilateral weitere Staaten zur Ratifizierung zu bringen und Impulse zu setzen, dass das Abkommen schnell in Kraft treten kann? Wie lange wird es nach Inkrafttreten des Abkommens dauern, bis wir einen nationalen Maßnahmenplan vor- liegen haben, der wirksam den Quecksilberausstoß in Deutschland signifikant reduzieren kann? Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Gro- ßen Koalition: Einigen Ihrer Freunde aus der Kohleener- giewirtschaft wird dieses Abkommen Sorgenfalten ins Gesicht treiben . Pro Jahr emittiert der deutsche Kohle- kraftwerkpark 9 Tonnen Quecksilber . 9 Tonnen Queck- silber – das entspricht einer Kugel mit einem Durchmes- ser von 1 Meter . Eine solche Quecksilberkugel steigt allein aus unseren Kohlekraftwerken jährlich in die At- mosphäre auf . Diese Quecksilbermenge muss dann mit Filtern oder über die Abschaltung der Kraftwerke verrin- gert werden . Wird das Minamata-Abkommen zu einem zügigen Kohleausstieg in Deutschland führen, oder setzt die Bun- desregierung auf technischen Umbau der Kraftwerke, da- mit die Quecksilbergrenzwerte eingehalten werden? Und wer soll diesen Umbau bezahlen? So oder so: Es wird deutlich, dass der ach so billige Kohlestrom gar nicht so billig ist und unsere Gesellschaft die Folgekosten für Umwelt und Natur irgendwann zah- len muss . Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie strenge Regeln für die Einhaltung der notwendigen Grenzwerte schafft . Verzichten Sie auf lange Übergangs- bestimmungen; unsere Gesundheit ist keine Verhand- lungsmasse! Die Linke fordert, dass die Kosten für die Quecksilberreduktion von den Kraftwerksbetreibern zu zahlen sind und nicht auf die Strompreise umgelegt wer- den dürfen . Aber wahrscheinlich werden CDU/CSU, SPD, even- tuell die FDP und diese falsche Alternative vor der Kraft- werkslobby einknicken und die Kosten den Stromkunden aufdrücken oder unsere Natur weiter mit Quecksilber be- lasten . Deswegen nenne ich Ihnen die wirkliche Alternative: Die Linke fordert einen zügigen Ausstieg aus der Kohle . Das ist der einzige Weg, mit dem Problem gesundheits- politisch, umweltgerecht und sozial verantwortungsvoll umzugehen . Alles andere wäre Hinhaltetaktik . Wir freuen uns über die Ratifizierung des Abkom- mens . Es ist ein wesentlicher Schritt vorwärts . An der Art der Umsetzung in Deutschland werden wir bewerten, wie ernsthaft und auf wessen Kosten die anderen Parteien das Problem Quecksilber angehen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23787 (A) (C) (B) (D) Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nach jahrelangen Vorarbeiten wurde im Oktober 2013 das Minamata-Übereinkommen zu Quecksilber unterzeich- net . Ich begrüße die Konvention, denn die Auswirkungen von Quecksilber auf die Gesundheit sind gravierend . Bei Erwachsenen führen Quecksilbervergiftungen zu irreparablen Schädigungen der inneren Organe wie etwa der Leber und der Nieren sowie des Nervensys- tems . Hochgradig gefährdet sind Föten, Säuglinge und Kleinkinder, da eine Quecksilbervergiftung in der früh- kindlichen Entwicklungsphase zu Missbildungen, geisti- ger Behinderung, Krampfanfällen, Seh- und Hörverlust, verzögerter Entwicklung, Sprachstörungen und Gedächt- nisverlust führt . Da Quecksilber (Hg) weder biologisch noch chemisch abbaubar ist, reichert es sich in der Nahrungskette an . Gerade organische Quecksilberverbindungen sind hoch- toxisch und können zu einer chronischen Quecksilberver- giftung, auch bekannt als Minamata-Krankheit, führen . Chronische Vergiftungen entstehen unter anderem über die Aufnahme von Quecksilber am Arbeitsplatz wie etwa durch das Einatmen von Quecksilberdämpfen im Gesundheitswesen oder in Laboren, Unfälle oder schlecht verarbeitetes Zahnmetall (Amalgam) . Eine weitere Ursache für chronische Quecksilberver- giftungen ist die Aufnahme von Quecksilber über die Nahrungskette . Gerade in der marinen Nahrungskette reichern sich organische Quecksilberverbindungen in Lebewesen an . Als erster Unterzeichnerstaat haben die USA bereits am 6 . November 2013 die Minamata-Konvention rati- fiziert. Mittlerweile sind 43 Staaten hinzugekommen, darunter auch Japan, Kanada und China . Nun wird die Konvention endlich auch von Deutschland ratifiziert und umgesetzt . Wir Grüne haben die Bundesregierung schon vor ei- nem Jahr mit unserem Antrag aufgefordert, endlich die erforderlichen Schritte zur Ratifizierung in die Wege zu leiten . Es ist zwar zu begrüßen, dass Deutschland die Min- amata-Konvention nun ratifiziert. Allerdings stellen sich mir durchaus einige Fragen: Warum ist Deutschland bei einem umweltpolitischen Thema mal wieder Nachzüg- ler? Wieso fehlt ein Fahrplan zur konkreten Umsetzung der Konvention in praktische Politik völlig, obwohl Sie mehr als drei Jahre Zeit dafür hatten? Laut dem Umweltinformationsportal des Bundes wur- den von 2013 bis 2015 über 20 Tonnen Quecksilber in die Luft emittiert . Quecksilber ist schon heute im Fettge- webe von Fischen in allen Gewässern Deutschlands ubi- quitär, das heißt überall nachweisbar . Angesichts dieser Tatsache ist das, was Sie betreiben, nicht mehr Regieren mit ruhiger Hand, sondern fast schon fahrlässige Körper- verletzung . Was wir dringend brauchen, ist ein Fahrplan für den Quecksilberausstieg . Hier möchte ich Ihnen das Gut- achten einer medienübergreifenden Quecksilbermin- derungsstrategie für Nordrhein-Westfalen aus 2016 ans Herz legen. Vielleicht finden Sie ja dort die ein oder an- dere hilfreiche Anregung . Auch begrüße ich die neue Verordnung der EU über Quecksilber, denn bisher gab es kaum verbindliche Vor- gaben im europäischen Recht zur Begrenzung von Queck- silberemissionen . Weder das Merkblatt „Beste verfügba- re Technik“ für Großfeuerungsanlagen (BVT-Merkblatt) aus dem Jahr 2006 noch die Industrieemissionsrichtlinie aus dem Jahr 2010 enthielt bisher Emissionsgrenzwerte für Quecksilber aus Kohlekraftwerken . Es liegt jetzt an der Bundesregierung, die Verordnung konsequent anzu- wenden . Zwar wurden in den vergangenen Jahren die BVT-Merkblätter überarbeitet; allerdings wäre dies kein Hinderungsgrund gewesen, schärfere Umweltvorschrif- ten in der Verordnung über Großfeuerungs-, Gasturbinen und Verbrennungsmotoranlagen (13 . BImSchV) sowie der Verordnung über die Verbrennung und die Mitver- brennung von Abfällen (17 . BImSchV) einzuführen und die Bevölkerung effektiv vor Quecksilber zu schützen . Diese Auffassung wird auch in dem genannten Gutachten vertreten . Steigen Sie endlich in den Kohleausstieg ein! So kön- nen Sie quasi zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: die klimapolitischen Ziele erfüllen und die Bevölkerung vor Quecksilberemissionen schützen . Dazu wäre es sinnvoll, endlich die immissionsschutzrechtliche Privilegierung der Kohleverstromung aufzuheben und die Einhaltung von strengen Emissionsgrenzwerten für krebserzeugende Stoffe sicherzustellen, indem man sich beispielsweise an den US-Grenzwerten für Quecksilberemissionen orien- tiert . In der Gesundheitspolitik sollten wir es Schweden und Norwegen nachmachen, die Amalgamfüllungen bereits verboten haben . Folgen Sie doch einfach einer Studie im Auftrag der EU-Kommission zur Abschätzung der Aus- wirkung verschiedener Handlungsoptionen bezüglich Zahnamalgam . Diese hat nämlich bereits festgestellt, dass ein Amalgamverbot gesamtwirtschaftlich die vor- teilhafteste Lösung wäre . Das Europäische Parlament hat wenigstens bewirkt, dass in der oben genannten Verordnung festgelegt wur- de, dass ab dem 1 . Juli 2018 Dentalamalgam nicht mehr für die zahnärztliche Behandlung von Milchzähnen, von Kindern unter 15 Jahren und von Schwangeren oder Stil- lenden verwendet werden darf . Allerdings mit der Aus- nahme, dass eine Behandlung mit Dentalamalgam auf- grund medizinischer Erfordernisse bei einem Patienten als zwingend notwendig angesehen wird . Sie sehen: Die heutige Ratifizierung der Minama- ta-Konvention ist ein notwendiger, richtiger Schritt zur Reduzierung der Belastung unserer Bevölkerung und un- serer Umwelt mit giftigem Quecksilber . Hinreichend ist er nicht! Es bleibt viel zu tun für die nächste Regierung, im Interesse von Umwelt und Gesundheitsschutz – hof- fentlich dann unter starker grüner Beteiligung! Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723788 (A) (C) (B) (D) Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsver- kehrs (Tagesordnungspunkt 27) Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Mit dem vor- liegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung soll nun auch im Strafverfahren eine gesetzliche Grundlage für die Einführung der elektronischen Akte geschaffen wer- den . Dies soll als Voraussetzung für einen Medienwech- sel geschehen, welcher den technischen Fortschritt nach- vollziehen und die Strafjustiz modernisieren wird . Wenn in der Privatwirtschaft und in vielen Behörden bereits di- gital gearbeitet wird und die Vorzüge der elektronischen Aktenführung genutzt werden, darf die Justiz in Strafver- fahren nicht hinter modernen Standards zurückbleiben . Ich begrüße daher das Anliegen dieses Gesetzentwur- fes, auch für Strafsachen den elektronischen Rechtsver- kehr einzuführen und die Möglichkeit der elektronischen Aktenführung zu schaffen . Straf- und Ermittlungsakten könnten mit dem Inkrafttreten der Neuregelung elektro- nisch angelegt und geführt werden . Insoweit wird auch für den Bereich der Strafsachen die Rechtsgrundlage geschaffen, welche für andere Verfahrensarten bereits existiert . So haben wir schon Regelungen in den §§ 298a ZPO, § 46e ArbGG, § 52b FGO, § 65b SGG und § 55b VwGO . Auf dieser Grundlage ist der elektronische Rechts- verkehr beispielsweise in Nordrhein-Westfalen bei allen Verwaltungs-, Finanz-, Sozial- und Arbeitsgerichten so- wie in bestimmten Zivilverfahren, wie im Mahnverfah- ren oder in Registersachen, und bei einzelnen Land- und Amtsgerichten eröffnet . Verfahrensbezogene Dokumente können elektronisch eingereicht werden . Die Ausdeh- nung auf das Strafverfahren ist daher nur folgerichtig . Ebenfalls begrüßenswert ist, dass erstmals ein Stich- tag festgesetzt werden soll, ab dem bundesweit die Füh- rung der elektronischen Akten gesetzlich verpflichtend wird . Bis zum 25 . Dezember 2025 würde die elektro- nische Aktenführung dabei lediglich eine Option dar- stellen . Ab dem 1 . Januar 2026 sollen neu anzulegende Akten dann nur noch elektronisch zu führen sein . Damit soll die flächendeckende verbindliche Einführung der elektronischen Aktenführung im Bereich der Strafjustiz bereits jetzt gesetzlich vorgegeben werden . Ein einheit- licher Stichtag bietet Planungssicherheit und erhöht zu- dem die Chance, alle Beteiligten frühzeitig in die Umset- zung einzubinden . Diese Chance sollte genutzt werden, zum Wohle einer effektiven, modernen und effizienten Strafjustiz . Im Zusammenhang mit der Zulassung elektronischer Strafakten soll zugleich die elektronische Kommunikati- on zwischen den Strafverfolgungsbehörden und den Ge- richten sowie der elektronische Rechtsverkehr im Straf- verfahren unter Absenkung bestehender Zugangshürden neu geregelt werden . Das bundeseinheitliche Vorgehen bei der Einführung der elektronischen Akte in der Jus- tiz minimiert Medienbrüche und fördert länderüber- greifend sinnvolle Lösungen für einheitliche Standards und bundeseinheitliche Austauschformate . Ich halte die lange Übergangsfrist bis zur verbindlichen Einführung am 1 . Januar 2026 für sinnvoll, um die entsprechenden Fachverfahren für vollelektronische Geschäftsprozesse pilotieren zu können . Die bisher durchgeführten Mo- dellprojekte und Pilotprojekte, wie z . B . eIP in Bayern, VIS-Justiz in Baden-Württemberg oder e2A in Nord- rhein-Westfalen betreffen ausschließlich das Zivilrecht . Was genau versteht man unter einer „e-Akte“? Sie wird beschrieben als „ein definiertes System elektro- nisch gespeicherter Daten“ . Dies ist im Hinblick auf die schnell fortschreitende Entwicklung der Informations- technik grundsätzlich sachgerecht . Allerdings wird da- durch umso wichtiger, dass Bund und Länder bei den für ihre jeweiligen Bereiche zu erlassenden Regelungen von gleichen Voraussetzungen ausgehen . Die elektronische Akte ist deutlich mehr als die Pa- pierakte . Die mit einer elektronischen Aktenführung ein- hergehende automatisierte Verarbeitung personenbezo- gener Daten ermöglicht im Vergleich zur papierbasierten Aktenführung eine wesentlich einfachere und schnellere Recherche, Filterung oder Verknüpfung von Daten . Dies bedeutet letztlich auch eine Beschleunigung der Arbeits- prozesse insgesamt – bei der täglichen Arbeit bei den Ge- richten und Staatsanwaltschaften . Neben der höheren Informationsqualität und Informa- tionsaktualität zählt auch der Platzgewinn . In der brei- ten Öffentlichkeit fehlt jedoch oft das Vertrauen, dass Daten elektronisch besser geschützt sind als in Papier- form . Die Datensicherheit und der Datenschutz sind ein großes Thema und genießen auf nationaler und europäi- scher Ebene einen hohen Stellenwert . Viele fürchten die Manipulation der Daten durch Hackerangriffe oder auch staatliche Kontrolle . Dabei ist die Sicherheit von elek- tronischen Akten keinesfalls geringer als von Akten in Papierform . Wir müssen daher genau regeln, innerhalb welcher Grenzen die Strafverfolgungsbehörden die in den Akten gespeicherten Daten verwenden dürfen und welche Personen Zugriff erhalten . Dies ist mit dem vor- liegenden Gesetzesentwurf gelungen . Zum einen haben wir die unbestimmten Rechtsbegriffe wie „Rahmenbe- dingungen“ und „geltende Standards“ näher bestimmt, so zum Beispiel durch Einführung des Begriffs „Stand der Technik“ . Des Weiteren haben wir Schutzziele klarer benannt, indem wir das Verhältnis zur „Grundnorm“ § 9 BDSG konkreter herausgearbeitet haben . Ein wichtiges Anliegen für uns war die gesellschaft- liche Teilhabe von Menschen mit Behinderung – vor al- lem, den barrierefreien Zugang zur Justiz zu verbessern . Mit diesem Gesetzesentwurf wird hierfür eine wichtige Voraussetzung geschaffen . Durch viele Gespräche mit zum Beispiel sehbehinderten Menschen konnten deren Interessen so gut wie möglich im Gesetz Berücksichti- gung finden. Die flächendeckende Umstellung des Strafverfahrens auf elektronische Arbeitsgrundlagen ist ein ambitionier- tes Vorhaben, welches nur gelingen kann, wenn es gründ- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23789 (A) (C) (B) (D) lich vorbereitet und sorgfältig durchgeführt wird und wenn hierbei alle Beteiligten intensiv und vertrauensvoll zusammenarbeiten . Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Mit der heutigen Be- ratung möchten wir den Gesetzentwurf zur Einführung der elektronischen Akte im Strafverfahren zum Ende bringen . Ich möchte den Beteiligten für die guten Ver- handlungen und den gelungenen Abschluss danken . Es steht ein zukunftsweisender Gesetzentwurf zur Abstim- mung . Viele Anwaltskanzleien verzichten heute bereits auf die Papierakte, sodass nach Akteneinsicht nur noch eine Kopie in digitaler Form vorliegt . Die Vorteile lassen sich nicht von der Hand weisen: Umfangreiches Aktenmate- rial muss zur Hauptverhandlung nicht in den Gerichts- saal geschleppt werden . Der Strafverteidiger hat die Akte handlich und leicht transportabel auf dem Laptop dabei . Aber auch Ermittlungsbehörden und Gerichte sichten be- reits heute große digitalisierte Aktenbestände am Bild- schirm . Selbst die Papierakte besteht aus einer Vielzahl von Dokumenten, die auch elektronisch vorliegen, wie beispielsweise der Mailverkehr oder Vernehmungsproto- kolle . Die Einführung der elektronischen Akte im Straf- verfahren ist der logische Schritt, damit der technische Fortschritt nachvollzogen wird . Die Modernisierung der Strafjustiz ist uns ein großes Anliegen, zumal die elektronische Gerichtsakte in den anderen Verfahrensordnungen bereits im Jahr 2013 be- schlossen wurde . Ich bin überzeugt, dass die elektronische Aktenfüh- rung bei den Praktikern in der Justiz und Anwaltschaft auf Zustimmung stoßen wird . Um einen behutsamen Übergang zu schaffen und mögliche Startprobleme zu beseitigen, wird die elektronische Verfahrensakte erst im Jahr 2026 verpflichtend sein. Die Möglichkeit der elektronischen Aktenführung wird aber bereits ab dem Jahr 2018 bestehen . Wir haben ein Gesetz geschaffen, das wichtige Weichen für die Strafjustiz stellt und weit in die Zukunft reichen wird . Bereits in der ersten Lesung war es mir sehr wichtig, auf die Notwendigkeit eines ausreichenden Datenschut- zes hinzuweisen . Die elektronische Verfahrensakte stellt einen Eingriff in das grundrechtlich geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar . Nur bei einem absoluten Datenschutz wird dieser Grundrechtseingriff gewährleistet sein. Ein Abfließen von Informationen aus der Ermittlungsakte an die Öffentlichkeit würde die Be- schuldigtenrechte massiv einschränken . Einer Bekannt- gabe über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens folgt oftmals eine Vorverurteilung durch Medien und die Öffentlichkeit, sodass die Unschuldsvermutung wertlos erscheint . Es freut mich deshalb, dass in den Verhandlungen nochmals eine Klarstellung erreicht wurde, dass die tech- nischen Rahmenbedingungen auch dem jeweiligen Stand der Technik entsprechen müssen . In Zeiten von immer mehr Datenskandalen ist es die Pflicht des Staates, sen- sible Daten aus Ermittlungsverfahren mit höchster Sorg- falt zu behandeln. Zu dieser Pflicht gehört es auch, die technischen Voraussetzungen des Datenschutzes an den Fortschritt anzupassen . Nachdem die Bedenken aus unserer Sicht ausgeräumt werden konnten, bleibt mir nur, einen Blick in die Zukunft zu werfen . Ich verspreche mir mit der Einführung der elektronischen Akte eine Vielzahl von Synergieeffekten . Insbesondere das Versenden der Akten zwischen Staats- anwaltschaft und den ermittelnden Polizeibehörden oder an den Strafverteidiger zur Akteneinsicht nimmt derzeit noch viel Zeit in Anspruch . Mit einem schnellen Zugriff auf die elektronische Akte wird sich die Verfahrensdauer zwischen einer Tat und deren Aburteilung voraussicht- lich erheblich verkürzen . Dies wäre ein großer Schritt für mehr Vertrauen in und Akzeptanz der Justiz . Ich kann nur um Zustimmung zu diesem Gesetz bitten . Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Im 21 . Jahrhundert sind wir in der Epoche der Digitalisierung angekommen . Auch wenn für den einen oder die andere das Internet noch Neuland ist, führt kein Weg davon zurück . Ohne elektronischen Datenverkehr und den Zugang zu Infor- mationen ist das heutige Leben unvorstellbar . In weiten Bereichen der privaten, geschäftlichen und öffentlichen Kommunikation hat sich die elektronische Dokumentenerstellung, -übermittlung und -speicherung durchgesetzt . Auch in den meisten gerichtlichen Verfah- rensordnungen besteht seit vielen Jahren die Möglichkeit der elektronischen Aktenführung . Strafakten sind dage- gen bislang noch in Papierform zu führen, obwohl die Mehrzahl der darin befindlichen Dokumente bereits mit- tels elektronischer Datenverarbeitung erstellt wurde und zunehmend auch elektronisch übermittelt werden wird . Daher wird mit diesem Gesetz nun auch in Strafver- fahren eine gesetzliche Grundlage für die Einführung ei- ner elektronischen Akte als Voraussetzung für einen Me- dienwechsel geschaffen, die den technischen Fortschritt nachvollzieht und die Strafjustiz modernisiert . Die mit einer elektronischen Aktenführung einhergehende au- tomatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten er- möglicht im Vergleich zur papierbasierten Aktenführung eine wesentlich einfachere und schnellere Recherche, Filterung oder Verknüpfung von Daten . Zugleich werden die Vorschriften über den elektronischen Rechtsverkehr in Strafsachen an die Regelungen angeglichen, die für die übrigen Gerichtsbarkeiten bereits im Jahr 2013 geschaf- fen wurden . Damit die Bundesländer nicht zu sehr überfordert wer- den, sieht der Gesetzentwurf eine optionale elektronische Aktenführung bis zum 31 . Dezember 2025 vor und ver- langt sie erst ab dem 1. Januar 2026 als verpflichtend und flächendeckend. Somit haben die Justizverwaltungen der Länder nun acht Jahre Zeit, sich vorzubereiten und sie umzusetzen . Wie mein Kollege Dirk Wiese bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfes richtig betont hat, ist diese Anpassung dringend notwendig, denn alleine der Prozess der Erstellung von Strafakten entbehrt derzeit einer ge- wissen Logik . Nach dem fachlichen Austausch wurden die Experten- meinungen berücksichtigt und die Nachbesserungen mit Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723790 (A) (C) (B) (D) dem Änderungsantrag der Koalition eingepflegt. Die Er- gänzung in § 32 Absatz 2 dient der Klarstellung, dass die durch Rechtsverordnung zu bestimmenden datenschutz- rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen stets dem jeweiligen Stand der Technik entsprechen müssen . Für mich als Sozialdemokraten war besonders wich- tig, das Thema Barrierefreiheit zu berücksichtigen . Es soll ausdrücklich klargestellt werden, dass in allen Ver- fahrensordnungen auch die Anforderungen an die Bar- rierefreiheit der elektronischen Akten in den jeweiligen Rechtsverordnungen geregelt werden müssen . Die aus- drückliche Einbeziehung der Barrierefreiheit in die Ver- ordnungsermächtigung stärkt das Recht der Betroffenen auf barrierefreien Zugang zu den Akten . Zudem soll die Einhaltung der Anforderungen an die Barrierefreiheit in der vorgesehenen Evaluierung überprüft werden . Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Wir dis- kutieren heute hier abschließend über die gesetzlichen Grundlagen für die Führung elektronischer Akten in Strafsachen . Das ist ein scheinbar trockenes und unspan- nendes Thema . Ist es aber nicht, denn mit der Einführung elektronischer Aktenführung könnte die Akteneinsicht auch in Zivilverfahren in Zukunft über ein elektronisches Akteneinsichtsportal möglich werden . Und das wäre eine gute Sache, wie alle bestätigen werden, die schon einmal mit so einem Verfahren zu tun hatten . Das Gesetzesvor- haben ist damit ein wichtiger Schritt in die richtige Rich- tung, um den Herausforderungen der Digitalisierung im Justizalltag insbesondere auch in Strafverfahren gerecht werden zu können . Der Gesetzentwurf sieht vor, ab dem 1 . Januar 2018 für einen Übergangszeitraum bis zum 31 . Dezember 2025 elektronische Akten in Strafsachen führen zu kön- nen, um sie danach ab dem 1. Januar 2026 verpflichtend und flächendeckend einzuführen. So viel zum positiven Teil des Vorhabens . Denn die Umsetzung des Gesetzes- vorhabens ist mal wieder, wie so oft bei Gesetzentwürfen der Bundesregierung, eine Mischung aus ein paar guten und vielen mangelhaften oder schlechten Bausteinen . So besteht bei der Überführung der Aktendokumen- te von stofflichem in elektronisches Medium die Unsi- cherheit, ob die elektronische Akte im Vergleich zu dem, was bisher in der Strafrechtspflege unter einer Akte zu verstehen war, auseinanderfallen könnte . Hier sind Fra- gen bezüglich der Aktenvollständigkeit und Authentizi- tät offen geblieben . Um diese Unsicherheiten ausräumen zu können, wäre es notwendig, eine umfassende Doku- mentations- und Kontrollpflicht im Gesetz zu verankern. Davon ist allerdings in dem heute zur Abstimmung ste- henden Entwurf nichts zu erkennen . Alle Versuche, hier nachhaltige Verbesserungen zu erreichen, waren ver- gebens, auch wenn die Koalitionsfraktionen mit einem eigenen Änderungsantrag wenigstens die schlimmsten Mängel gemildert haben . Für die Linke ein klarer Kri- tikpunkt . Darüber hinaus werfen die im Gesetz geregelten Ein- sichtsmöglichkeiten eines nicht anwaltlich vertretenen Verletzten Fragen bezüglich des Schutzes der Persönlich- keitsrechte von Zeugen und Beschuldigten auf . Für die Linke nicht nachvollziehbar . Unklar bleibt, wie die Akteneinsicht für einen Be- schuldigten geregelt sein soll, der sich in Untersuchungs- haft befindet. Darauf ist nachdrücklich aufmerksam gemacht worden . Ergebnis: Null Reaktion der Koaliti- onsmehrheit . Für die Linke völlig unverständlich . Schließlich fehlen im Gesetzentwurf verbindliche Aussagen zur Frage sicherer Übertragungswege sowie notwendiger technischer Infrastruktur . Dabei betont der Gesetzentwurf in seiner Begründung diese Dinge ausdrücklich . Zu Recht, wie die Linke meint . Aber die konkrete Ausgestaltung hält damit nicht Schritt . Dies betrifft insbesondere den elektronischen Datenaustausch zwischen Verteidiger und Gericht . Was in aller Welt hat Sie darüber hinaus geritten, den Betrieb der notwendigen technischen Infrastruktur auch für private Auftragnehmer offen zu halten? Damit besteht berechtigterweise Grund zu der Annahme, dass sich die sensiblen Akten dann nicht mehr in der alleinigen Kontrolle der Justiz befin- den . Auch die nachträglich eingearbeitete Zugangsbe- schränkung durch die öffentliche Hand heilt aus Sicht der Linken diesen Mangel nicht und räumt die auch in der Anhörung vorgetragenen Bedenken nicht hinreichend aus . Alles in allem: Ein notwendiges Gesetz, aber ober- flächlich und nicht in allen Fragen nachhaltig gestaltet. Die Linke wird ihm deshalb nicht zustimmen und sich stattdessen der Stimme enthalten . Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Letz- te Woche durften wir erleben, wie kriminelle Elemente mit dem größten Cyberangriff der Geschichte weltweit Krankenhäuser und sonstige sensible Infrastruktur lahm- legten, um Lösegeld für die Freigabe der Daten zu er- pressen . Die Einführung der elektronischen Akte auch im Strafverfahren ist zwar ein hehres Ziel und kann am Ende, wenn sie gelingt, vielleicht sogar eine Arbeitser- leichterung in der Praxis erbringen . Der Nutzervorteil muss aber im Verhältnis stehen zu den Risiken, die durch die elektronische Akte entstehen – und davon sind wir heute noch weit entfernt . Trotzdem will die Bundesregierung, dass wir hier heute das Jahr 2026 als einheitlichen Verbindlichkeitster- min für alle Verfahrensordnungen beschließen, obwohl das Gesetz bislang weder datenschutzrechtlichen noch grundgesetzlichen Maßstäben genügt . Wir stehen mit unserer Kritik keinesfalls alleine da . Viele unserer Bedenken im Hinblick auf die elektroni- sche Akte in Strafsachen wurden in dem Berichterstatter- gespräch im Januar bestätigt . Der Richterbund etwa hat zu Recht darauf hingewie- sen, dass neben datenschutzrechtlichen Aspekten die Nutzervorteile im Vordergrund stehen müssten – schließ- lich soll die elektronische Aktenführung Prozesse und Abläufe erleichtern . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23791 (A) (C) (B) (D) Praktiker, die bereits Erfahrung mit der elektronischen Akte haben, berichten jedoch über erhebliche Arbeitser- schwerung in den Abläufen . Aufgrund der Mängel und Unklarheiten werden derzeit elektronische Zweitakten neben der Papierakte geführt . Das ist keine Arbeitser- leichterung, sondern bürokratische Absurdität . Zunächst einmal müssten die entsprechenden Pilot- und Modellprojekte vernünftig ausgewertet werden, be- vor womöglich auf Kosten des Datenschutzes und der Rechte der Betroffenen Nägel mit Köpfen gemacht wer- den . Auch aus den Reihen der Strafverteidiger wurden be- rechtige Bedenken geäußert . Es sei etwa wichtig, die Ak- tenauthentizität und Aktenintegrität sicherzustellen, da ansonsten eine Verletzung des Rechts auf eine effektive Strafverteidigung aus Artikel 6 EMRK verletzt würde . Um dieses Recht zu gewährleisten, muss die Strafvertei- digung Einblick in die Akten nehmen könne, so wie sie dem Gericht vorliegen . Aus Praktikersicht muss unbedingt geklärt werden, wie Beweisdokumente übermittelt werden müssen, auch die vorgesehene Löschung der Beweismittel nach sechs Monaten sei unverantwortlich, solange das Verfahren nicht rechtskräftig abgeschlossen sei . Der Datenschutz wird bei dem Gesetzentwurf noch immer sträflich vernachlässigt. Die Datenschutzbeauf- tragte stellte in der Anhörung klar, dass die technische Datensicherheit Aufgabe des Gesetzgebers sei und die- se Aufgabe gerade bei so sensiblen persönlichen Daten nicht durch Verordnungsermächtigung delegiert werden dürfe . Und die Bundesregierung hat mit ihrem Änderungs- antrag nicht wirklich nachgebessert . Selbst die Bedenken ihrer eigenen Datenschutzbeauftragten nimmt sie nicht ernst und behauptet wider besseres Wissen, dass weitere Konkretisierungen im Bereich des Datenschutzes nicht erforderlich seien . Strafakten dürfen kein Informationspool werden, es darf nicht zu einer unzulässigen Aufweichung der Zweck- bindung beim Zugang zu den Daten kommen . Durch die vorgesehenen Regelungen besteht die Gefahr, dass die Funktion der Strafakte als Verwaltungsgedächtnis aufge- weicht und sie zunehmend zum Daten- oder Informati- onspool wird . Das wäre allerdings mit dem Grundgesetz nicht vereinbar . Mit dem Änderungsantrag haben Sie jetzt zwar an verschiedenen Verfahrensordnungen geschraubt, die maßgeblichen Kritikpunkte haben Sie jedoch nicht auf- gegriffen . Die für den Bereich des Ermittlungs- und Strafverfah- rens maßgebliche EU-Richtlinie wurde mit dem neuen Bundesdatenschutzgesetz zwar umgesetzt, aber das er- setzt keinesfalls die bereichsspezifischen, datenschutz- rechtlichen Regelungen in der Strafprozessordnung selbst . Soll es wirklich 17 verschiedene Rechtsverord- nungen von Bund und Ländern dazu geben? Gerade die besondere Sensibilität des Umgangs mit höchstpersönlichen Daten von Beschuldigten, Zeugen und Nebenklägern und das durch Digitalisierung und neue Zugangs- und Verbreitungsmöglichkeiten geschaf- fene Gefahrenpotenzial für Grund- und Verfahrensrechte erfordern eine besondere Sorgfalt im Gesetzgebungsver- fahren . Die sehe ich hier aber nicht, im Gegenteil . Sie zäumen das Pferd von hinten auf und schaffen ge- setzliche Tatsachen ohne Rücksicht darauf, ob die Um- setzung überhaupt leistbar und verantwortbar ist . Auch für den elektronischen Rechtsverkehr gilt: Erst müssen wir die Risiken beherrschen, bevor wir das Sys- tem umstellen und uns in neue Abhängigkeiten begeben . Solange dies nicht gewährleistet ist, werden wir einer gesetzlichen Umstellungspflicht nicht zustimmen. Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des E-Government-Gesetzes (Tagesord- nungspunkt 28) Marian Wendt (CDU/CSU): Mit dem heute zu be- schließenden Open-Data-Gesetz veröffentlichen wir die Datenbestände der unmittelbaren Bundesverwaltung als Open Data . Dies ist der erste große Schritt zu einer all- gemeinen Öffnung der Datenschätze in Deutschland . Der Bund ist damit Vorbild für alle Länder und Kommunen, die zwar teilweise schon eigene Projekte zur Veröffent- lichung der Verwaltungsdaten haben, welche aber noch nicht ausreichend gut koordiniert und vereinheitlicht sind . Daten werden zu Recht häufig als das neue Öl be- zeichnet . In Ländern, die bereits eine etablierte Strate- gie zur Veröffentlichung ihrer jeweiligen Datenschätze haben, zeigt sich, wie groß der aus ihnen zu schöpfende Nutzen sein kann . Großbritannien hat mit seiner umfas- senden Initiative, alle Regierungsdaten offenzulegen, be- reits einen großen Mehrwert für seine Bürger geschaffen . Die britische Regierung schätzt den positiven Effekt auf über 1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ein; das ist ein dreistelliger Milliardenbetrag . Welche Daten wie genutzt werden können und welche Daten nicht, ist im Vorhinein nur sehr schwer abschätz- bar . Das macht eine selektive Strategie bei der Veröffent- lichung von Daten sehr schwer . Der Schlüssel dazu, wirt- schaftlichen Nutzen zu stiften, liegt darin, die gesamte Bandbreite aller möglichen Daten freizugeben . Natürlich geschieht dies mit der Voraussetzung, dass Datenschutz sowie sicherheits- und urheberrechtliche In- teressen mitbedacht sind . Sie müssen stets Teil der Er- wägungen zu Open Data sein . Mit dem Verweis auf die Einschränkungsgründe für die Veröffentlichung im In- formationsfreiheitsgesetz haben meine Kollegen und ich eine gute, abwägende Lösung gefunden, die bereits in der Praxis erprobt ist . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723792 (A) (C) (B) (D) Dass kleine und neue Unternehmen, also Start-ups, durch den wesentlich vereinfachten Informationszu- gang einen leichteren Marktzutritt bekommen, finde ich besonders wichtig . Große, etablierte Unternehmen wie Google oder Amazon haben bereits große Datenbasen, aus denen sie schöpfen können . Neue Unternehmen mit innovativen Ideen haben jetzt die Möglichkeit, aus dem Datenstroh sprichwörtlich Gold zu spinnen . Die Anlehnung des Open-Data-Gesetzes an die zehn Prinzipien der Sunlight Foundation, die meine Kollegin- nen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion auch in un- serem Thesenpapier zu Open Data aufgegriffen haben, ist ein richtiger Schritt . Dieses Gesetz orientiert sich an international anerkannten und mittlerweile in verschiede- nen Ländern erprobten Grundprinzipien für Open Data . Diese sind im Übrigen auch von der Enquete-Kommis- sion „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages in der vergangenen Wahlperiode für ein Open-Data-Gesetz empfohlen worden . Der breite Konsens, der in der politischen Debatte in- nerhalb und außerhalb des Bundestages herrscht, stimmt mich zuversichtlich . Open Data benötigt aber auch einen Kulturwandel in den Verwaltungen . Einen Kulturwandel weg von den Verwaltungen mit Herrschaftswissen, weg von dem Gedanken „Da könnte ja jeder kommen“ . Mit Open Data kann jeder kommen und die Daten nutzen . Das ist gerade der Schlüssel . Experimentieren, auspro- bieren und dann sinnvolle Möglichkeiten finden, die Da- ten zu nutzen – da liegt ein Schlüssel zu Open Data . Aber es muss auch einen Wandel geben, was die Aus- stattung von Verwaltungen und deren Arbeit angeht . Nur ein Wechsel von Papier auf elektronische Dokumen- te reicht nicht . Es muss auch ein umfassender Wandel einsetzen in der Frage, wie Verwaltungen arbeiten . Der vielfach bewährte Grundsatz des Förderns und Forderns könnte auch in diesem Zusammenhang die nötigen An- reize bieten . Die Digitalisierung der Verwaltungen – das zeigt der kürzlich veröffentlichte Evaluierungsbericht zum Regierungsprogramm 2020 – ist noch nicht weit ge- nug fortgeschritten . In Zeiten eines scheinbar wachsenden Misstrauens in den Staat und seine Organe wird Open Data zu mehr Ver- trauen in den Staat führen . Entscheidungen werden nach- vollziehbarer . Willkür wird ein Riegel vorgeschoben, und dies kann den Menschen glaubwürdig gezeigt werden . Verwaltungshandeln, das durch offenliegende Entschei- dungsgrundlagen nachvollziehbarer und transparenter ist, fördert auch innerhalb der Verwaltungen die Anrei- ze zu mehr Sorgfalt und Genauigkeit . Bürger können so besser beteiligt werden und haben die Möglichkeit, eben ohne großen bürokratischen Aufwand Entscheidungen in Eigenregie zu hinterfragen . Dies steigert die Legitimität unseres staatlichen Handelns erheblich . Dabei ist klar festzuhalten: Ein neues Informations- freiheitsgesetz ist das Open-Data-Gesetz nicht . Es geht nicht um den Rechtsanspruch des Einzelnen gegenüber der Verwaltung in ausgewählten Verwaltungsverfahren, sondern eben um die große und zusammenhängende Ver- öffentlichung von Daten der Verwaltung . Daten sind in diesem Sinne die erhobenen Rohdaten, die in einem Ver- waltungsvorgang als Entscheidungsgrundlage dienten oder dienen, nicht aber der Vorgang selbst . In den Debatten der vergangenen Wochen ist klar ge- worden, dass Deutschland in Bezug auf die Veröffentli- chung von Verwaltungsdaten jetzt einen großen Schritt braucht . Diesen Schritt gehen meine Kollegen und ich mit diesem Gesetz . Ich persönlich freue mich auf die innovativen Ideen, die das Leben der Menschen in un- serem Land lebenswerter und besser machen . Ideen, die nachhaltig Werte schaffen werden . Denn im Grunde ist Open Data genau dies: eine Strategie, wirtschaftliches Handeln der Menschen zu ermöglichen, das vorher eben nicht möglich war . Saskia Esken (SPD): In einem Gesetzentwurf der SPD-Fraktion aus dem Jahr 2013 heißt es: „Transpa- renz ist konstitutiv für den demokratischen und sozialen Rechtsstaat . Transparenz stärkt die demokratischen Be- teiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger, erleichtert Planungsentscheidungen, wirkt Staatsverdrossenheit ent- gegen und erschwert Manipulationen und Korruption .“ Mit der Offenlegung von Daten der Verwaltung und mit der Transparenz ihres Handelns, also mit den Pro- jekten um Open Data und Open Government, verfolgen wir zentrale innenpolitische Projekte der digitalen Agen- da, die die Bundesverwaltung modernisieren und für die Gesellschaft öffnen . Die SPD-Bundestagsfraktion will das Recht der Bür- gerinnen und Bürger auf Informationsfreiheit seitens der Verwaltung weiterentwickeln . Wir wollen, dass die Verwaltung ihr Wissen nicht auf Anfrage, sondern pro- aktiv und lesbar für Menschen und Maschinen öffentlich macht, sodass jeder und jede darauf zugreifen kann . Wir wollen also einen Rechtsanspruch auf offene Daten, auf Open Data . Diese Transparenz ist gut für die Bevölkerung, da sie ohne die Mühe des Antragstellens auf Verwaltungsdaten zugreifen kann . Die Transparenz signalisiert den Bürge- rinnen und Bürgern, dass der Staat keine Geheimnisse vor seinem Auftraggeber, dem Volk, hat . Die Transpa- renz wirkt sich aber auch für die Verwaltung positiv aus, denn sie muss nur einmal gründlich überlegen: Eignet sich diese Information zur Veröffentlichung, oder unter- liegt sie einem Ausnahmetatbestand, zum Beispiel dem Datenschutz? Die Transparenz und der freie Zugang zum Wissen der Verwaltung können zu neuen, nützlichen Anwendungen führen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen kön- nen: ein Stadtplan, der Pollenkonzentrationen anzeigt, aus Verkehrsdaten zusammengestellte Routenplaner für Fahrradwege in Großstädten oder eine Zusammenfüh- rung der Wartelisten aller Kitas in einem Bezirk – der Fantasie sind da keine Grenzen gesetzt, ebenso wenig wie dem gesellschaftlichen Mehrwert . Ich freue mich deshalb, dass die Koalition nach lan- gem Warten noch in dieser Legislaturperiode den Ent- wurf eines Open-Data-Gesetzes als Änderung des E-Gov ernment-Gesetzes zur Beratung eingebracht hat . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23793 (A) (C) (B) (D) Leider konnten wir uns mit unserem Koalitionspartner nicht auf einen einklagbaren Rechtsanspruch auf Open Data verständigen . Das Gesetz enthält nun aber in einem ersten Schritt die Verpflichtung der unmittelbaren Bun- desbehörden, ihre Daten proaktiv der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen . In den parlamentarischen Beratungen ist es uns darü- ber hinaus gelungen, den Gesetzentwurf zu verbessern . Wir haben den Katalog der Ausnahmetatbestände, die die Veröffentlichung der Daten verhindern, auf das Nö- tige beschränkt . Er entspricht jetzt dem Ausnahmekata- log aus dem Informationsfreiheitgesetz . Damit sorgen wir für Einheitlichkeit und Rechtsklarheit; denn es wäre widersinnig, wenn die Behörden Daten nicht offenlegen müssten, die sie dann aber auf Verlangen nach dem Infor- mationsfreiheitsgesetz herausgeben müssten . Auch ist es uns gelungen, die Verpflichtung für die Offenlegung der Daten festzuschreiben, die vor Inkraft- treten des Gesetzes erhoben worden sind, sofern diese bereits in elektronischer Form vorlagen und verwendet wurden . Es ist uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ein großer Schritt in Richtung offener Verwaltungsdaten gelungen, doch wir wollen uns auf diesem Gesetz nicht ausruhen . Ich erwarte insbesondere, dass uns die Evalua- tion des Gesetzes zur Weiterentwicklung hin zu einem Rechtsanspruch auf Open Data führen wird . Der rich- tige Regelungsstandort wäre unserer Auffassung nach das Informationsfreiheitsgesetz, das die SPD zu einem Informationsfreiheits- und Transparenzgesetz weiterent- wickeln will . Ich würde mich sehr freuen, wenn uns dies in der nächsten Legislaturperiode gelänge . Sebastian Hartmann (SPD): Mit der Änderung des E-Government-Gesetzes beschließen wir heute das ers- te bundesweite Open-Data-Gesetz . Damit setzen wir ein Vorhaben um, das die SPD im Koalitionsvertrag durch- setzen konnte und worauf wir lange gedrängt haben: ein Gesetz, das die unmittelbaren Bundesbehörden zur Bereitstellung offener Daten in einheitlichen maschinen- lesbaren Formaten und unter freien Lizenzbedingungen anhält . Das ist ein großer Schritt im Sinne einer nutzer- freundlichen und transparenten öffentlichen Verwaltung, der nach dem von der rot-grünen Bundesregierung im Jahr 2005 auf den Weg gebrachten Informationsfreiheits- gesetz aber auch notwendig geworden ist . Bereits damals hat sich die SPD als Vorreiter darangemacht, die Behör- den transparenter zu gestalten, und auch heute ist es die SPD, die vorangeht in dem Bestreben nach einer effizien- ten und offenen Bundesverwaltung . Denn offene Daten sind heute mehr denn je von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Innovationskraft der Wirtschaft und mehr Teilhabe für interessierte Bürgerinnen und Bürgern . Offene Daten ermöglichen Impulse für Innovationen und liefern neue Geschäftsmodelle für Unternehmen . In der ersten Lesung zur Änderung des E-Govern- ment-Gesetzes hatte ich einige Punkte des Regierungsent- wurfes angesprochen, bei denen noch Nachbesserungsbe- darf bestand . Gemeinsam mit den Unionskollegen haben wir nun substanzielle Verbesserungen erreicht . So wird der Übergangszeitraum für die Behörden der unmittelba- ren Bundesverwaltung für die erstmalige Bereitstellung der Daten von drei auf zwei Jahre begrenzt . Zudem sind nun nicht nur die Daten bereitzustellen, die nach dem Inkrafttreten erhoben wurden . Auch maschinenlesbare Rohdaten, die bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes entstanden sind, aber weiterhin oder erneut verwendet werden, sind nun in dem Gesetz mit eingefasst . Vor al- lem haben wir die verschiedenen Ausnahmeregelungen auf den bereits bestehenden und in den Verwaltungen bekannten Katalog des Informationsfreiheitsgesetzes be- schränkt . Ausgenommen sind solche Daten, die Persön- lichkeitsrechte betreffen, Belange der äußeren oder inne- ren Sicherheit berühren sowie den Schutz des geistigen Eigentums und des Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses Dritter verletzen . Dadurch, dass wir auf den Ausnahme- katalog des IFG verweisen, geben wir den Mitarbeiterin- nen und Mitarbeitern in den Verwaltungen eine klare und bereits bekannte Regelung an die Hand und machen es nicht komplizierter, als unbedingt notwendig . Es gibt noch weitere Punkte, die wir explizit in die Evaluation aufgenommen haben, da sie für eine zukünf- tige Weiterentwicklung des Open-Data-Gesetzes zu prü- fen sind . Die Erweiterung des Anwendungsbereiches auf mittelbare Bundesbehörden, unter anderem die Bundes- agentur für Arbeit oder der Einbezug von Forschungs- daten, sind Aspekte, die wir genau prüfen werden . Aber nun haben wir einen ersten Schritt getan, und das Gesetz bietet schon heute in Verbindung mit dem vorliegenden Änderungsantrag eine große Chance für einen echten Schub der Digitalisierung Deutschlands . Wir haben uns in weiten Teilen mit unserem Anliegen einer modernen und transparenten Verwaltung durchset- zen können . Für einen umfassenden Rechtsanspruch und eine Umkehr des Regel-Ausnahme-Verhältnisses werden wir uns auch weiterhin einsetzen . Das Open-Data-Gesetz sehe ich als einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zu einem modernen und umfassenden Transparenzgesetz, in dem das Informationsfreiheitsgesetz, das Open-Data-Ge- setz und weitere Gesetze zu Auskunftsrechten gegenüber Bundesbehörden zusammengefasst werden . Dafür setzt sich die SPD-Bundestagsfraktion weiterhin ein . Aber nun stimmen wir dem vorliegenden Gesetzentwurf zu und nehmen damit einen wichtigen Schritt auf dem Weg . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Als ich hier vor nicht allzu langer Zeit zur ersten Lesung des vorliegenden Ge- setzes geredet habe, habe ich Kritik sowohl im großen Ganzen als auch an einzelnen Details geübt . Mit Blick auf die Änderungen, die die Koalition noch am Entwurf vorgenommen hat, kann ich feststellen: Die Kritik im Detail scheint an vielen Stellen angekommen zu sein, die größeren Probleme bleiben bestehen . Es ist zu begrüßen, dass jetzt einige sinnlose Beschrän- kungen wegfallen sollen, die im ursprünglichen Entwurf für die Veröffentlichung offener Daten vorgesehen wa- ren . Das betrifft einige Ausnahmeregelungen, die über jene des Informationsfreiheitsgesetzes hinausgehen, die Anwendung auf in der Vergangenheit erhobene Datensät- ze und die begrenzte Zuständigkeit der Beratungsstelle . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723794 (A) (C) (B) (D) Aber größere Lücken bleiben bestehen . Insbesondere wird das Gesetz weiterhin nur Behörden der unmittel- baren Bundesverwaltung zur Bereitstellung von Daten verpflichten. Dass Sie jetzt diesen Punkt noch einmal ex- plizit in den Evaluationsauftrag aufnehmen – wie auch die Ausnahme für zu Forschungszwecken erhobene Da- ten –, ist reine Kosmetik . Denn natürlich sollte von einer Evaluation zu erwarten sein, dass sie sämtliche Einzelre- gelungen in den Blick nimmt . Evaluationsaufträge ersetzen aber keinen politischen Willen . Entweder will man durch die öffentliche Hand erhobene Daten in möglichst großem Umfang der Allge- meinheit zur Verfügung stellen – oder eben nicht . Andere große Lücken verbleiben im Gesetzentwurf und fehlen nun auch in der Liste der zu evaluierenden Fragen . Insbesondere sollen weiterhin keine Daten ver- öffentlicht werden, die die öffentliche Verwaltung selbst betreffen, also etwa keine offenen Haushaltsdaten oder Daten über Zuwendungen . Auch soll es nach wie vor kei- nen durchsetzbaren rechtlichen Anspruch auf die Veröf- fentlichung geben . Daraus wird die diesem Gesetz zugrunde liegende Linie deutlich sichtbar: Offene Daten werden hier aus- schließlich als wirtschaftlicher Faktor gesehen, und da- ran hat auch der Änderungsantrag an keiner Stelle etwas bewegt . Auch wenn das ein wichtiger Aspekt ist, wäre es ein großer Fehler, die Potenziale offener Daten für die Demokratie zu ignorieren . Offene Daten können dazu beitragen, Informations- gefälle zwischen Politik und Öffentlichkeit abzubauen . Sie können eine Grundlage nicht nur für wirtschaftliche Verwertung, sondern auch für politische Beteiligung und zivilgesellschaftliches Engagement sein . Um dieses Ziel tatsächlich zu erreichen, führt kein Weg daran vorbei, gesetzlich ein umfassendes, im Ein- zelfall durchsetzbares Recht auf die Veröffentlichung von Informationen zu schaffen . Dazu brauchen wir die Weiterentwicklung des Informationsfreiheitsgesetzes zu einem echten Transparenzgesetz, wie es mehrere Bun- desländer schon vorgemacht haben . Ein überzeugender Schritt in diese Richtung ist der vorliegende Gesetzentwurf nicht . Aber selbst als reines Open-Data-Gesetz überzeugt es nur begrenzt . Da das Thema nicht erst seit gestern auf der Agenda steht, hätte man hier mehr erwarten können . Als Fazit am Ende der Legislaturperiode bleibt festzustellen: Den tatsächlichen Übergang zur Öffnung der staatlichen Datenbestände, der sich mit dem Begriff Open Data verbindet, hat diese Bundesregierung nicht in die Wege gebracht . Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es kommt vielleicht nicht ganz überraschend am Ende einer Regierungsbilanz, die im Bereich der Digitalpolitik vor allem durch Kompetenzstreitigkeiten und ein Wirrwarr an Zuständigkeiten geprägt war und in der wir von we- nig ambitionierten Visionen – ich sage nur: 50 Mbit pro Sekunde – und handwerklich schlechten Gesetzen – ich sage nur: Störerhaftung – beileibe genug gesehen haben: Auch im Bereich der offenen Daten springt die Große Koalition einmal mehr zu kurz . Besonders enttäuschend – und da spreche ich sicher nicht nur für meine Fraktion – war in dieser Hinsicht auch Ihr Änderungsantrag, sehr geehrte Damen und Her- ren der Großen Koalition . Nachdem Ihr Gesetzentwurf von verschiedensten Seiten aus in der Kritik stand, gera- de auch vonseiten der Fachszene und der Fachverbände, hätten nicht nur wir uns von Ihrem Änderungsantrag noch ein paar grundsätzliche Nachbesserungen erhofft . Diese sind leider ausgeblieben . Geringfügige Verbesserungen wie beispielsweise die Verkürzung der Übergangsfrist zur Bereitstellung von Daten durch die Behörden bei unverhältnismäßig hohen Aufwänden von drei auf „nur“ zwei Jahre und eine – wenn auch nur partiell geltende – Rückwirkung bei der Bereitstellung bereits vor dem In- krafttreten des Gesetzes erhobener Daten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass keine der offensichtlichen und überfälligen Stellschrauben angegangen wurde . Im Gegenteil erweitern Sie in Ihrem Änderungsantrag auch noch die Ausnahmevoraussetzungen unter Bezugnahme auf das elf Jahre alte Informationsfreiheitsgesetz . Offene Daten haben – da sind wir uns ja alle einig – eine enorme Bedeutung für Mitbestimmung, Teilhabe, Transparenz und nicht zuletzt auch für die Kontrolle der öffentlichen Verwaltung durch Bürgerinnen und Bürger, und – das möchte ich an dieser Stelle auch noch einmal explizit erwähnen – sie leisten einen wichtigen Beitrag, um das Informationsungleichgewicht zwischen öffentli- cher Verwaltung und Gesellschaft zu verringern . Zugleich haben sie einen großen Wert für alle, die aus diesen Informationen mehr machen, als es die Behörden mit ihren begrenzten Ressourcen tun können und sollten . Also für die, die kreativ sind, querdenken, mittels neu- er Auswertungen, Anwendungen und Verknüpfung mit anderen Daten zusätzliches Wissen generieren, Prozesse vereinfachen oder zusätzliche Angebote schaffen, die uns allen zugutekommen . Es hätte sich also wirklich sehr ausgezahlt, mutiger zu sein in diesem Gesetzentwurf . Durch eine umfassen- de Berücksichtigung der Datenbestände nicht nur der Bundesbehörden, sondern auch der öffentlichen Stiftun- gen und Körperschaften hätten Sie zeigen können, dass Deutschland nicht vorhat, bei Open Government weiter- hin auf den hinteren Plätzen der Industrienationen zu ver- harren . Sie hätten zeigen können, dass es ein Ziel dieser Regierung ist, eine transparente, bürgerfreundliche und leistungsstarke digitale Verwaltung zu etablieren, die kei- ne Angst davor hat, in ihrem Verwaltungshandeln einer informierten Bewertung der Bürgerinnen und Bürger zu unterliegen . Sie hätten mit modernen Datenschutzstan- dards und deren konsequenter Berücksichtigung im Zuge der Prozesse der Bereitstellung offener Daten beweisen können, dass für Datenschutz und IT-Sicherheit auch in deutschen Behörden höchste Ansprüche gelten, anstatt sich hier auf elf Jahre alte Standards zu verlassen, die aus einer Zeit stammen, in der mit dem Begriff „Big Data“ noch niemand etwas anzufangen wusste . Und nicht zu- letzt hätten Sie der Zivilgesellschaft und der Wirtschaft auf Grundlage der mit ihren Steuergeldern erhobenen Daten ein echtes Angebot machen können für moderne, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23795 (A) (C) (B) (D) innovative und auf hohen Datenschutzstandards basie- rende neue und kreative Anwendungen und Dienstleis- tungen . Meine Damen und Herren der Großen Koalition, Sie hätten hier die Gelegenheit zu einer wirklichen Reform und dem Vorlegen eines echten und umfassenden Trans- parenzgesetzes gehabt . Diese Chance haben Sie verge- ben . Wir können Ihrem Gesetzentwurf deshalb so nicht zustimmen . Dr. Ole Schröder, Parl . Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: Mit dem vorgelegten Gesetzent- wurf werden rund 300 Behörden des Bundes verpflichtet werden, ihre Daten für den Bürger zu öffnen . Mit der Regelung wird ein Paradigmenwechsel eingeleitet . Die Offenlegung erklären wir zum Standard . Die Nichtveröf- fentlichung wird fortan zur Ausnahme . Open Data, das heißt die Bereitstellung von Datenbe- ständen zur freien Verwendung, ist ein Thema, das sich international, aber vor allem auch in Europa rasant wei- terentwickelt . Die Bundesregierung geht nun innerhalb von Deutschland voran . Mit der Erklärung zur Teilnahme an der internatio- nalen Open Government Partnership hat die Bundesre- gierung im vergangenen Dezember bekräftigt, dass sie mehr Offenheit anstrebt . Solch ein Kulturwandel ist je- doch nicht einfach zu erwirken und kann nicht von oben verordnet werden . Man muss diesen Wandel schrittweise herbeiführen . Dieses Gesetz bildet eine Rechtsgrundlage für die Veröffentlichung von Daten und macht dies zugleich zur öffentlich-rechtlichen Aufgabe . Ganz bewusst ist im Gesetz die Evaluierung der Regelung vorgesehen . So verpflichtet sich die Bundesregierung, die erzielten Wir- kungen mit den Absichten zu vergleichen . Das eröffnet die Möglichkeit, je nach Entwicklung Anpassungen vor- zunehmen und das Thema weiterzuentwickeln . Sicherlich wird es bei der Umsetzung des Gesetzes Herausforderungen geben . Die Verwaltungskultur wan- delt sich nicht automatisch, nur weil ein neuer Geset- zestext existiert . Es wird stark auf die Vermittlung von Wissen und auf geeignete Beratung ankommen, um den Open-Data-Gedanken in der Verwaltung zu vertiefen . Das Gesetz sieht daher die Einrichtung einer Beratungs- stelle vor, die diesen Wissensaufbau begleiten und gestal- ten soll . Hier wird der Veränderungsprozess koordiniert und das Thema insgesamt weiterentwickelt . Hinzu kommt, dass die Beratungsstelle nun auch als Ansprechstelle für die Länder dienen soll . Bereits in der ersten Lesung hat die Bundesregierung darauf hingewie- sen, dass Open Data nur dann erfolgreich werden kann, wenn alle Ebenen an einem Strang ziehen . Das kann aber nicht von einer einzigen Beratungsstelle organisiert wer- den . Hier ist letztlich auch jeder Einzelne gefragt, die Botschaft in seinen Wahlkreis zu tragen und für ein ge- meinsames Vorgehen zu werben . Die Gelegenheit ist günstig: Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme die Initiative der Bundesregie- rung ausdrücklich begrüßt . Zudem hat die Ministerprä- sidentenkonferenz beschlossen, dass auch die Länder Open-Data-Gesetze erlassen werden . Diesen Schwung müssen wir nutzen, um Open Data weiter voranzubrin- gen . Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt eine wichtige Grundlage für mehr einheitliches Open Data in Deutschland vor . Ich bitte Sie daher, das Thema gemeinsam zu unterstützen und dem Gesetzentwurf zu- zustimmen . Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Dr. André Hahn (DIE LINKE) zu der Abstimmung über den von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des E-Government-Gesetzes (Tages- ordnungspunkt 28) Ich enthalte mich bei diesem Gesetzentwurf aus fol- genden Gründen: Der Vorstoß, eine „Open Data“-Regelung für von Bundesbehörden erhobene Rohdaten zu schaffen, ist vor allem durch einen behaupteten wirtschaftlichen Nutzen in Milliardenhöhe motiviert, nicht durch Trans- parenzziele . Es gibt daher auch keinen Rechtsanspruch von Bürgerinnen und Bürgern auf die von öffentlichen Stellen erhobenen Daten und damit, anders als im Infor- mationsfreiheitsgesetz (IFG), auch keine Einklagbarkeit . Gegenüber dem Informationsfreiheitsgesetz werden so- gar zusätzliche Ausnahmetatbestände geschaffen . Für die betroffenen Verwaltungen ist keine angemessene perso- nelle Verstärkung zur Umsetzung der Vorgaben des Ge- setzentwurfs vorgesehen . Die Linke sieht deshalb im Ausbau des IFG hin zu ei- nem Transparenzgesetz den deutlich besseren Weg, die Ziele von „Open Data“ zu verwirklichen . Anstelle müh- samer Kleinarbeit der Bürgerinnen und Bürger, für ihr Anliegen die jeweils zuständigen Stellen zu finden und mit kostenpflichtigen Anträgen zur Herausgabe von In- formationen zu bewegen, stünde dann eine weitgehende Veröffentlichungspflicht der Behörden. Die Koalition hat zu ihrem Änderungsantrag eine er- gänzte Fassung vorgelegt . Sie enthält – im Übrigen ohne jeden Sachbezug – eine weitere Änderung, mit der die Frist zur Beantragung von Entschädigung nach dem Do- pingopferhilfegesetz um ein Jahr verlängert werden soll . Diese Änderung findet meine ausdrückliche Zustim- mung, auch wenn eine gänzliche Streichung der Frist die bessere Lösung wäre . Allerdings wird es dem Leid der Opfer des Dopings in der DDR nicht gerecht, diese Fristverlängerung in einem völlig sachfremden Änderungsantrag zu verstecken . Zudem fehlt im Gesetz über eine finanzielle Hilfe für Dopingopfer weiterhin die Öffnung gegenüber Opfern von systematischem Sportdoping in der alten Bundesre- publik bezüglich einer vergleichbaren finanziellen Unter- stützung . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723796 (A) (C) (B) (D) Aus den angeführten Gründen enthalte ich mich bei der Abstimmung zum Ersten Gesetz zur Änderung des E-Government-Gesetzes . Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände- rung personenstandsrechtlicher Vorschriften (2. Personenstandsrechts-Änderungsgesetz – 2. PStRÄndG) – des von den Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Monika Lazar, weiteren Abge- ordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Anerkennung der selbst bestimm- ten Geschlechtsidentität und zur Änderung anderer Gesetze (Selbstbestimmungsgesetz – SelbstBestG) (Tagesordnungspunkt 29 und Zusatztagesord- nungspunkt 7) Thorsten Hoffmann (Dortmund) (CDU/CSU): Ge- setze, die nur punktuell verbessert und optimiert werden müssen, sind mir am liebsten . Einmal sehen wir, dass das Gesetz im Prinzip genau richtig ist . Es funktioniert . Aber die Praxis ist oft unberechenbar . Ein guter Gesetzgeber weiß das, und er weiß auch, dass er deshalb Gesetze über- prüfen, auswerten und gegebenenfalls anpassen muss . Beim Personenstandsrechts-Änderungsgesetz ist ge- nau dies der Fall . Wir haben 2009 eine sinnvolle und dringend notwendige Modernisierung des Personen- standsrechts durchgeführt . Jetzt passen wir es an, damit es noch näher am Bürger und noch näher an unserem Zeitgeist ist . Einmal mussten wir vor acht Jahren, wie bei so vie- len Änderungen, den modernen technischen Anforderun- gen gerecht werden . Deshalb wurden die behördlichen Verfahren dem technologischen und gesellschaftlichen Wandel angepasst . Besonders in der Praxis führte das zu optimierten Arbeitsabläufen . Mit der Änderung der personenstandsrechtlichen Vor- schriften in Form des Personenstandsrechts-Änderungs- gesetzes soll die Entwicklung der vergangenen Jahre in diesem Bereich fortgeführt werden . Wir haben gesehen, dass einzelne Punkte in der Praxis noch nicht optimal funktionieren . Deshalb werden wir mit dem Personen- standsrechts-Änderungsgesetz speziell Regelungslücken und noch vorhandene Schwachstellen in den Arbeitspro- zessen der Standesämter beheben . Eine weitere sinnvolle Anpassung ist die Entlastung des Standesamtes 1 in Berlin . Hierzu wird die Zustän- digkeit für die Beurkundung von Personenstandsfällen und Namenserklärungen von Deutschen im Ausland auf die regionalen Wohnsitzstandesämter verlagert, wenn der Betroffene einen früheren Wohnsitz im Inland hat- te . Auch die Entgegennahme namensrechtlicher Erklä- rungen, für die kein inländischer Personenstandseintrag besteht, wird Aufgabe der lokalen Standesämter . Das soll nicht dazu führen, dass das Standesamt I in Berlin in Zu- kunft ohne Arbeit dasteht . Es soll auch nicht dazu führen, dass andere Standesämter mit Arbeit überflutet werden. Es soll einfach gerechter aufgeteilt werden . Dies führt aber nicht nur zu der nötigen Entlastung der dortigen Standesbeamten, sondern auch zu einem deut- lich optimierten und deshalb auch schnelleren Bearbei- tungsverfahren . Für die im Ausland lebenden Deutschen ist die Beantragung der hier betroffenen Beurkundungen in Zukunft auch kein (großer) zeitlicher Aufwand mehr . Die zweite große Anpassung ist diejenige, bei der es um den Bereich der Vornamen geht . Wir alle kennen das aus unserem Bekannten-, Freundes- oder Verwandten- kreis . Da bekommen die Kinder nicht immer nur einen Vornamen, sondern gerne zwei oder drei . Die werden dann kombiniert oder aneinandergereiht . Da heißt dann die Emilie nicht nur Emilie, sondern Emilie Rosa . Und vielleicht möchte sie sich irgendwann einmal entschei- den, wie sie genannt wird: ob Emilie oder Rosa oder bei- des . Die Anpassung der Gesetzgebung an die gesellschaft- liche Entwicklung spiegelt sich in diesem Entwurf in der Möglichkeit, die Reihe der Vornamen in Zukunft per An- trag beim Standesamt selbst bestimmen zu können, wi- der . Hiermit werden wir verhindern, dass zum Beispiel Versicherungen, Banken, Fluggesellschaften etc . den im Alltag ungebräuchlichen Vornamen vor allem im pos- talischen Verkehr verwenden . Das kenne ich nur zu gut . Da denkt man sich, wenn man einen Katalog oder einen Werbebrief eines Nachbarn sieht, schon dann und wann mal: Ach, so heißt der . – Und dann trifft man ihn, kommt zum Du und merkt auf einmal, dass er gar nicht so heißt, wie es auf dem Brief steht, weil er eben seit der Schulzeit schon immer den zweiten Namen zum Rufnamen hatte . Und das soll eben jeder selbst am besten wissen, was der Rufname ist und was für ein Name auf dem Brief stehen soll . Dies ist ein wichtiger Schritt, um die betroffenen Bürger in ihrer Individualität und freien Bestimmung der eigenen Lebensweise zu unterstützen . Einen letzten Punkt spreche ich noch an: Die Verlän- gerung der Fortführungsfrist der Sterbefallbeurkundung auf 80 Jahre für Sterbefälle in ehemaligen Konzentrati- onslagern bedarf in der Regel keiner ausführlichen Be- gründung . Viele Schicksale der Vermissten sind nicht geklärt, sodass auch die Arbeit des Sonderstandesamts in Bad Arolsen im Sinne der Hinterbliebenen noch lange nicht getan ist . Neben der Optimierung der Beurkundungsmodali- täten und dem damit einhergehenden Bürokratieabbau kann mit Einsparungen von etwa 406 000 Euro gerechnet werden . Geringe Kosten und kürzere Wartezeiten sind Indiz einer modernen Verwaltung, die mit dieser Ände- rung geschaffen werden soll . Und der Verbraucher muss mit keinen zusätzlichen Kosten rechnen . Alles in allem sind die Änderungen des Personen- standsrechtsgesetzes angebracht und werden zu positiven Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23797 (A) (C) (B) (D) Entwicklungen führen . Ich bitte deshalb um Ihre Zustim- mung . Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Die Dokumentati- on der familienrechtlichen Verhältnisse erfolgt nach den Vorschriften des Personenstandsgesetzes ausschließlich durch den Standesbeamten . Er beurkundet die Perso- nenstandsfälle (Eheschließungen, Begründungen von Lebenspartnerschaften, Geburten und Sterbefälle) in den von ihm geführten Personenstandsregistern (Heiratsre- gister, Lebenspartnerschaftsregister, Geburtenregister und Sterberegister) . Die Vorschriften für die Beurkundung des Personen- stands sind durch das Gesetz zur Reform des Personen- standsrechts vom 19 . Februar 2007 neu geregelt worden . Das Reformgesetz ist am 1 . Januar 2009 in Kraft getre- ten und enthält als Kernelement vor allem die Beurkun- dung in elektronisch geführten Personenstandsregistern, die nach einer Übergangszeit von fünf Jahren seit dem 1 . Januar 2014 obligatorisch ist . Nähere Ausführungs- vorschriften, insbesondere auch zu den technischen Vorgaben zur Durchführung der elektronischen Perso- nenstandsregistrierung und des elektronischen Datenaus- tausches, wurden in der Verordnung zur Ausführung des Personenstandsgesetzes geregelt, die ebenfalls am 1 . Ja- nuar 2009 in Kraft trat . Mit dem Gesetz zur Änderung personenstandsrechtli- cher Vorschriften vom 7 . Mai 2013 wurden erste Erfah- rungen der Standesämter und Rechenzentren mit dem neuen Recht und der Anwendung der elektronischen Prozesse in das Personenstandsgesetz und die Perso- nenstandsverordnung übernommen . Inzwischen liegen weitere Erfahrungswerte aus der standesamtlichen Praxis vor, die eine Anpassung des personenstandsrechtlichen Regelungswerks erforderlich machen . Der vorliegende Gesetzentwurf beseitigt Schwach- stellen und Regelungslücken in den personenstandsrecht- lichen Vorschriften . Auf Grundlage der Empfehlung des Bundesrates sowie des Berichtes und der Beschlussemp- fehlung des Innenausschusses werden entsprechende Än- derungen vorgenommen, die seit der ersten Reform des Personenstandsrechts im Jahr 2009 notwendig geworden sind . Ich möchte beispielhaft auf zwei wesentliche Punkte eingehen: Der Entwurf erweitert die Zuständigkeit des Wohn- sitzstandesamts für die Nachbeurkundung von Geburten, Eheschließungen, Lebenspartnerschaften und Sterbefäl- len von Deutschen, die im Ausland leben . Bislang war allein das Standesamt I in Berlin für diese Fälle verant- wortlich . Zur Verkürzung von Wartezeiten wird künftig die Zuständigkeit auf die regionalen Wohnsitzstandesäm- ter verlagert, wenn der Betroffene einen früheren Wohn- sitz in Deutschland hat . Gerade die begrenzte Zahl der Fälle führt nach unserer Ansicht nicht zu einer übermä- ßigen Belastung einzelner Standesämter, weshalb wir an dieser Änderung festhalten werden . Darüber hinaus eröffnet das Gesetz betroffenen Per- sonen zukünftig die Möglichkeit, die Reihenfolge ihrer Vornamen durch eine Erklärung vor dem Standesamt neu zu bestimmen . Damit wird verhindert, dass zum Beispiel Fluggesellschaften oder Banken anstatt des Rufnamens den in der Vornamensreihenfolge im Ausweisdokument stehenden ersten Namen verwenden . Die noch geltende Regelung führt bei den Betroffenen häufig zu Unmut, da im Alltag oft nicht der Rufname Verwendung findet. Ich denke, dass wir mit dieser Reform des Personen- standsrechts die Schwachstellen, die seit der letzten Re- form verblieben sind, beseitigen können . Deswegen wer- be ich um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf . Teil dieser Debatte ist auch der Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zur Anerkennung der selbst be- stimmten Geschlechtsidentität und zur Änderung anderer Gesetze . Das Transsexuellengesetz soll nach Vorstellung der Grünen durch ein Selbstbestimmungsgesetz ersetzt und einzelne Paragrafen des Personenstandsrechts im Hinblick auf selbst bestimmte Geschlechtsidentität ge- ändert werden . Der Gesetzentwurf wird nun an den In- nenausschuss überwiesen . Die weiteren Beratungen im parlamentarischen Verfahren werden zeigen, ob die vor- geschlagenen Änderungen sinnvoll sind . Gabriele Fograscher (SPD): Das Personenstands- recht regelt die Anzeige und Dokumentation famili- enrechtlicher Verhältnisse gegenüber der zuständigen Behörde, dem Standesamt . Beim Standesamt werden Personenstandsfälle, also Eheschließungen, Begründun- gen von Lebenspartnerschaften, Geburten und Sterbefäl- le, in den dort geführten Personenstandsregistern beur- kundet . Zum 1 . Januar 2009 hatten wir das Personenstands- recht umfassend reformiert . Schwerpunkte der Reform waren: die Einführung elektronischer Personenstands- register anstelle der bisherigen papiergebundenen Per- sonenstandsbücher, die Begrenzung der Fortführung der Personenstandsregister durch das Standesamt sowie die Abgabe der Register an die Archive, die Ersetzung des Familienbuchs durch Beurkundungen in den Personen- standsregistern, die Reduzierung der Beurkundungsdaten auf das für die Dokumentation des Personenstandes er- forderliche Maß, die Neuordnung der Benutzung der Per- sonenstandsbücher sowie die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für eine Testamentsdatei . 2013 gab es einige technische und redaktionelle Ände- rungen aufgrund einer Evaluierung des Gesetzes . Geän- dert wurde auch die Regelung zum Geschlechtseintrag . Seit dem 1 . November 2013 gilt die Regelung: Wenn ein Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Ge- schlecht zugeordnet werden kann, kann auf diese Angabe im Geburtenregister verzichtet werden . Mit dem heute vorliegenden Entwurf eines Zwei- ten Gesetzes zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften beschließen wir weitere Verbesserungen . Beurkundungsmodalitäten werden optimiert und ange- passt . Die Praxis hat gezeigt, dass es bei Beurkundungen durch das Standesamt I Berlin zu sehr langen Wartezeiten kommt . Das Standesamt I Berlin ist das sogenannte Aus- landsstandesamt der Bundesrepublik Deutschland . Seine Aufgaben sind vielfältig . Dazu gehören unter anderem: Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723798 (A) (C) (B) (D) Beurkundung von Geburten und Sterbefällen Deut- scher ohne Inlandswohnsitz, die sich im Ausland ereig- net haben; Beurkundung von im Ausland geschlossenen Ehen und Lebenspartnerschaften Deutscher ohne Inlands- wohnsitz; Beurkundung von Geburten und Sterbefällen auf deut- schen Seeschiffen; Ausstellung von Ehefähigkeitszeugnissen für Deut- sche, die niemals einen Inlandswohnsitz hatten; Ausstellung von Bescheinigungen über die Namens- führung von Ehegatten, Lebenspartnern und Kindern; Führung der Konsular- und Kolonialregister; Führung der beim ehemaligen Standesamt I Berlin (Ost) sowie von den Auslandsvertretungen der DDR in der Zeit von 1948 bis 1990 angelegten Personenstands- bücher; Führung von deutschen Standesamtsregistern ehema- liger besetzter Gebiete; Führung des sogenannten Wehrmachtfamilienbuchs (Einträge zu im Ausland geschlossenen Ehen von Ange- hörigen der ehemaligen deutschen Wehrmacht) . Um das Standesamt I Berlin zu entlasten und Bearbei- tungszeiten zu verkürzen, werden künftig die ehemaligen Wohnsitzstandesämter für Deutsche im Ausland für die Beurkundungen von Personenstandsfällen und Namens- erklärungen zuständig . Personen, die mehrere Vornamen haben, deren erster Vorname aber nicht der Rufname ist, bekommen von vie- len Einrichtungen wie Banken oder Versicherungen Post, in denen meist nur der erste Vorname in der Anschrift steht, aber nicht der Rufname . Das führt oftmals zu Irri- tationen . Deshalb regelt das Gesetz, dass erstmals Perso- nen die Reihenfolge ihrer Vornamen per Erklärung beim Standesamt ändern können . Damit wird ermöglicht, dass der gebräuchliche Vorname als Erstes in den Ausweis- dokumenten steht und nicht ein Name, der im täglichen Leben nicht gebräuchlich ist . Seit Jahren mahnen meine Fraktion und ich eine No- vellierung des Transsexuellengesetzes von 1980 an . Mehrere Vorschriften dieses überholten und nicht mehr der Lebenswirklichkeit entsprechenden Gesetzes sind inzwischen vom Bundesverfassungsgericht als verfas- sungswidrig eingestuft und somit als nicht anwendbar erklärt worden . Leider konnten wir unseren Koalitionspartner nicht überzeugen, hier Änderungen herbeizuführen . Das wer- den wir dann in der nächsten Wahlperiode in einer ande- ren Konstellation machen müssen . Deshalb begrüße ich es umso mehr, dass die Bundes- regierung eine Anregung des Bundesrates aufgenommen hat und wir als Koalitionsfraktionen diesen Vorschlag in unseren Änderungsantrag aufgenommen haben . Wir werden § 3 Transsexuellengesetz – Verfahrensfä- higkeit, Beteiligte – ändern . Das bisherige Recht schreibt vor, dass für Verfahren nach diesem Gesetz ein Vertreter des öffentlichen Interesses beteiligt werden muss . Diese Vertreter sind per Rechtsverordnungen der Landesregie- rungen entweder die Staatsanwaltschaften bei Land- oder Oberlandesgerichten oder bestimmte Behörden der In- nenverwaltung . Aufgrund der steigenden Anzahl der Verfahren hat der Verwaltungsaufwand stark zugenommen . Da aber die Einwirkungsmöglichkeiten des Vertreters des öffentli- chen Interesses sehr gering sind, kann durchaus auf diese Institution verzichtet werden . Da wir als SPD-Bundestagsfraktion bereits mehrfach Versuche unternommen haben, das Transsexuellengesetz zu reformieren, begrüßen wir den Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen . Viele Ideen, die dieser Gesetz- entwurf enthält, finden unsere Unterstützung. Inzwischen gibt es auch einen Antrag des Landes Rheinland-Pfalz, dem Brandenburg, Bremen und Thü- ringen beigetreten sind . Dieser fordert die Aufhebung des Transsexuellengesetzes sowie die Erarbeitung eines Gesetzes zur Anerkennung der Geschlechtsidentität und zum Schutz der Selbstbestimmung bei der Geschlechter- zuordnung . Gerne hätten wir in dieser Legislaturperiode Verbes- serungen für die betroffenen Menschen geschaffen, doch leider macht da unser Koalitionspartner mal wieder nicht mit . Ich unterstütze ausdrücklich die Aussage von Heiko Maas, dass es mit der SPD nur einen Koalitionsvertrag geben wird, der die Ehe für alle beinhaltet, und füge hinzu: Es wird auch nur einen Koalitionsvertrag mit uns geben, der eine Modernisierung des Transsexuellenge- setzes vorsieht . Petra Pau (DIE LINKE): Wir debattieren heute ab- schließend über einen Gesetzentwurf der Koalition zu ei- nigen Änderungen im Personenstandsrecht und in erster Lesung über einen Entwurf der Grünen für ein Gesetz zur Anerkennung der selbst bestimmten Geschlechtsidenti- tät . Zunächst zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktio- nen . Der Gesetzentwurf enthält im Nachgang zur vor- angegangenen größeren Änderung des Personenstands- rechts der 16 . Wahlperiode ein paar kleinere Änderungen, die insbesondere auf die Bedürfnisse von Deutschen im Ausland und Personen, die im Alltag ihren zweiten Vor- namen gebrauchen und dies auch im Behördenverkehr und bei Beurkundungen tun wollen, stärker Rücksicht nehmen wollen . Beispielsweise müssen Anträge auf Per- sonenstandsurkunden vom Ausland aus zukünftig nicht mehr beim Standesamt I Berlin gestellt werden . Wer im Ausland lebt und vorher in Deutschland gemeldet war, kann zukünftig bei der regional zuständigen Meldebe- hörde Urkunden beantragen . Mit einem Änderungsan- trag wurden hierzu noch Übergangsregelungen ergänzt, die für die Verwaltungsabläufe wichtig sind . Das sind alles kleine, aber sinnvolle Verbesserungen für die Bür- gerinnen und Bürger, die wir begrüßen . Wir werden dem Gesetzentwurf daher zustimmen . In eine ganz andere Richtung geht der Gesetzentwurf der Grünenfraktion zur Anerkennung der selbst bestimm- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23799 (A) (C) (B) (D) ten Geschlechtsidentität . Dadurch soll das derzeit gelten- de Transsexuellengesetz ersetzt werden . Auch die Linke sieht die Probleme beim geltenden Transsexuellengesetz . Daher begrüßen wir, das The- ma noch einmal ernsthaft anzugehen und zu überlegen, wie wir die Bedürfnisse von Trans- und Intersexuellen und Transgender besser berücksichtigen können . Leider kommt der Gesetzentwurf nun etwas kurz vor knapp; eine wirklich gründliche Beratung wird angesichts von drei verbleibenden Sitzungswochen schwierig . Worum geht es genau? Uns allen erscheint es voll- kommen normal, dass uns ab Geburt ein bestimmtes Geschlecht zugeschrieben wird, männlich oder weiblich . Einen entsprechenden Eintrag gibt es in Personenstands- urkunden, im Personalausweis und im Reisepass . Nun gibt es Menschen, die sich dem Geschlecht in ihrem Per- sonalausweis nicht mehr zurechnen und die dann gern ihren Vornamen und den entsprechenden Eintrag ändern wollen . Das ist bislang nur möglich, wenn zuvor hohe Hürden genommen werden . Schon für eine Änderung des Vornamens brauchen die Betroffenen nach derzei- tiger Rechtslage ein psychologisches Gutachten . Wer seinen Geschlechtseintrag und den Vornamen ändern lassen will, muss sich also medizinisch befunden lassen . Damit werden die betroffenen Menschen weiterhin als irgendwie abnormal bis krank behandelt . Dieser Um- gang stammt noch aus einer Zeit, als Transsexualität im Wesentlichen als psychiatrische Störung gesehen wurde . Gerade angesichts der zunehmenden rechten Hetze ge- gen sexuelle Vielfalt sind wir als Gesetzgeber gefragt, hier ein deutliches Zeichen zu setzen . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Rechte von Transpersonen sind Menschenrechte . Und das muss sich auch in unserem Recht widerspiegeln . Der heute vorliegende Gesetzentwurf der Bundesre- gierung zur Änderung personenstandsrechtlicher Vor- schriften vereinfacht die Änderung der Reihenfolge von Vornamen . Diesen liberalen Geist wünsche ich mir von Union und SPD auch dann, wenn es um Transpersonen geht . Der Gesetzentwurf vereinfacht das Verfahren zur Personenstandsänderung für Transpersonen ein kleines bisschen, indem die nach bisherigem Recht vorgeschrie- bene Beteiligung des Vertreters des öffentlichen Interes- ses entfällt . Beteiligte des Verfahrens sind also nur noch die Antragstellenden . Das ist eine Minimaländerung und kein großer Wurf . Dabei gibt es personenstandsrechtlich einigen Nachbesserungsbedarf, dem man nicht durch mi- nimales Herumdoktern am Transsexuellengesetz gerecht wird . Schauen Sie sich das Transexuellengesetz einmal an: Es ist über 30 Jahre alt, und viele Einzelbestimmungen wurden mittlerweile durch das Bundesverfassungsge- richt in insgesamt sechs Urteilen für verfassungswidrig erklärt . Das Gesetz liegt in Trümmern . Zwei wissen- schaftliche Gutachten aus diesem Jahr, von der Bundes- vereinigung Trans* und vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt-Univer- sität zu Berlin, kommen zum gleichen Ergebnis: Es gibt dringenden Reformbedarf! Das Transsexuellengesetz baut unbegründete Hürden für die Änderung des Vornamens und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit auf . Transpersonen, die ih- ren Personenstand ändern wollen, müssen Zeit und Geld investieren, um zwei Gutachten bei Gericht vorlegen zu können, die ihre sexuelle Identität „bescheinigen“ . Was für ein Unsinn! Niemand außer den Betroffenen selbst kann Auskunft über das Geschlecht geben . Sexuelle Identität lässt sich nicht diagnostizieren . Alle Menschen haben ein Recht darauf, dass ihre Geschlechtsidentität re- spektiert wird . Wer im Laufe des Lebens feststellt, dass das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht nicht der tat- sächlichen Geschlechtsidentität entspricht, dem steht es zu, dass seine Identität anerkannt wird . Deshalb haben wir Grüne heute einen neuen Gesetz- entwurf vorgelegt: das Selbstbestimmungsgesetz . Ein neues Gesetz muss den Respekt für die Identität der Men- schen in den Mittelpunkt stellen . Das Recht ist schließ- lich für die Menschen da und nicht umgekehrt! Die An- erkennung der selbst bestimmten Geschlechtsidentität ist ein Menschenrecht . Wenn der Staat schon darauf besteht, das Geschlecht seiner Bürgerinnen und Bürger zu regis- trieren, dann sollen sie das frei und unkompliziert selbst bestimmen dürfen . Andere Länder machen es vor, zum Beispiel Argentinien, Malta, Dänemark, Irland, Norwe- gen . Allesamt sind sie weiter als Deutschland! Das Selbstbestimmungsgesetz soll das Verfahren zur Änderung der Vornamen und zur Anpassung der Ge- schlechtszugehörigkeit vereinfachen . Beides soll nur noch vom Geschlechtsempfinden des Antragstellenden abhängig sein . Statt entwürdigender Gutachten zur Ge- schlechtsfeststellung und Verfahren vor dem Amtsgericht sollen Vornamen- und Personenstandsänderung im Rah- men eines einfachen Verwaltungsaktes beim Standesamt erfolgen . Denn geschlechtliche Identität kann man nicht diagnostizieren . Lediglich Betroffene können darüber kompetent Auskunft geben . Mit Vollendung des 14 . Lebensjahres sollen die- se Vorgänge auch ohne das Mitwirken eines gesetzli- chen Vertreters möglich sein . Ab diesem Alter misst die Rechtsordnung Minderjährigen die Fähigkeit bei, Verantwortung für Entscheidungen zu übernehmen . Das muss auch für identitätsbezogene Entscheidungen gelten . Beratungen sollen über mögliche Folgen aufklären . Hier ist die Bundesregierung in der Pflicht, Beratungsstellen auszubauen . Nach einer Personenstandsänderung muss es den Be- troffenen möglich sein, eine Ehe in eine Lebenspartner- schaft zu überführen oder umgekehrt . Dadurch werden Zwangsoutings vermieden, solange die Lebenspartner- schaft noch nicht durch die Ehe für alle überwunden ist . Das Offenbarungsverbot, also das Verbot, die Eintra- gungsänderung ohne berechtigtes rechtliches Interesse auszuforschen oder zu offenbaren, soll verschärft wer- den . Betroffene müssen vor Behörden und Unternehmen durchsetzen können, Unterlagen und Zeugnisse entspre- chend ihrer Geschlechtsidentität ausgestellt zu bekom- men . Wir brauchen eine Politik, die vom Respekt der ge- schlechtlichen Identität und Vielfalt der Menschen aus- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723800 (A) (C) (B) (D) geht anstatt von irgendwelchen Normalitätsvorstellun- gen, denen sich der Mensch zu unterwerfen hat . Unser Vorschlag für ein Selbstbestimmungsgesetz stellt die Selbstbestimmung und die Würde des Menschen in den Mittelpunkt . Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ein- führung eines Anspruchs auf Hinterbliebenen- geld – des von den Abgeordneten Katja Keul, Renate Künast, Luise Amtsberg, weiteren Abgeordne- ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Entschädi- gung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschä- digungsgesetz – OEG) (Tagesordnungspunkt 30 a und b) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Wenn ein Mensch durch fremdes Verschulden zu Tode kommt, dann muss der Rechtsstaat darauf eine Reaktion folgen lassen . Diese Reaktion ist gerade für die Hinterbliebenen unglaublich wichtig. Sie finden sich und ihre schwere, schier unerträgliche Situation im Rechtsstaat anerkannt . Der Staat reagiert auf zwei Wegen: zum einen über das Strafrecht . Hier geht es um Sanktion, um Schuld und Sühne . Der zweite Weg ist das Zivilrecht . Hier geht es um die Frage, inwieweit der Schmerz, das Leid der An- gehörigen durch Schmerzensgeld Anerkennung erfahren kann . Dabei sind wir uns alle einig, dass Geld einen sol- chen Verlust niemals wird aufwerten können . Bei selbstkritischer Betrachtung müssen wir fest- stellen, dass gerade auf der zivilrechtlichen Seite eine Regelungslücke besteht . Der bayerische Justizminister Winfried Bausback hat das sehr zutreffend umschrieben: Wenn ein junges Ehepaar das Kind auf dem Schulweg durch einen Verkehrsunfall mit dem Fahrrad verliert, hat der Staat zur Antwort, dass er den Verlust des Fahrrades ausgleicht – durch Schadensersatz –, aber nicht den Ver- lust des Kindes in Form von Schmerzensgeld . Die Voraussetzungen, welche die Rechtsprechung für Schmerzensgeld infolge eines Schockschadens von An- gehörigen formuliert, sind sehr hoch . Es muss zu einer Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens von einigem Gewicht und einiger Dauer kommen . Die bloße Trauer genügt dafür nicht . Deshalb war es gerade der CSU ein Anliegen, die Be- seitigung dieser Regelungslücke in den Koalitionsvertrag hineinzuverhandeln . Als dann in den Folgemonaten aus dem Bundesministerium für Justiz und Verbraucher- schutz keinerlei Vorschläge unterbreitet wurden, brachte Bayern bereits im Jahr 2015 einen entsprechenden Ge- setzentwurf in den Bundesrat ein . Der vorliegende Entwurf schließt die Gesetzeslücke und stellt den Schmerzensgeldanspruch der Hinterblie- benen in das Ermessen des Gerichts . Zum Schluss möchte ich noch einige Sätze über den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen verlieren . Mir ist schon wichtig, dass wir parteiübergreifend den Hand- lungsbedarf im Opferentschädigungsgesetz erkannt haben . Bereits vor dem Anschlag in Berlin hat das zu- ständige Ministerium mit umfassenden Reformüberle- gungen im Entschädigungs- und Schadensersatzrecht begonnen . Es handelt sich hier um eine komplexe Mate- rie mit vielen inneren Zusammenhängen . Daher wäre es nicht richtig, eine Einzelfrage nun vorab herauszulösen und isoliert zu entscheiden . Ich glaube, es ist verantwor- tungsbewusst, die umfassende, konsistente und in sich schlüssige Gesamtreform abzuwarten . Allerdings bitte ich die Opposition auch darum, nicht immer wieder den Eindruck zu erwecken, als stünden die Verletzten durch Autoattacken schutzlos da . Der Entschädigungsfonds der Verkehrsopferhilfe verfügt allerdings über eine Decke- lung von 7,5 Millionen Euro, die beseitigt werden muss . Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU/CSU): Heute kön- nen wir endlich den Gesetzentwurf zur Einführung ei- nes Hinterbliebenengeldes abschließend beraten und beschließen . Dieser Gesetzentwurf stützt sich auf den Koalitionsvertrag, in den die Union dieses Vorhaben hi- neinverhandelt hat . Wie bei vielen anderen unserer Punkte stand die Einführung eines Hinterbliebenengeldes auf der Prio- ritätenliste von Bundesjustizminister Heiko Maas nicht oben . Aus diesem Grund hat es bedauerlicherweise fast vier Jahre gedauert, bis wir heute das Gesetz beschließen können . Menschen, die einen nahen Angehörigen durch Ver- schulden eines Dritten verloren haben, sollen als Zeichen der Anerkennung ihres seelischen Leids einen eigenstän- digen Schmerzensgeldanspruch bekommen, der sich in das deutsche System des Schadensersatzrechts einfügt . Anders als andere europäische Rechtsordnungen sieht das deutsche Haftungsrecht bislang kein Hinterbliebe- nengeld oder Angehörigenschmerzensgeld vor . Nur bei sogenannten Schockschäden werden neben den materi- ellen Schäden auch die immateriellen Folgen ersetzt . Bei diesen wird ein am Geschehen an sich unbeteiligter Drit- ter durch das Miterleben oder die Benachrichtigung über den Tod nach einem Unfall psychisch so stark belastet, dass dieser Schock selbst Krankheitswert hat . Dann hat der Verursacher den Dritten in dessen eigener Gesundheit verletzt . Dafür müssen nach ständiger Rechtsprechung die medizinisch fassbaren Auswirkungen nach Art und Schwere deutlich über die gesundheitlichen Beeinträchti- gungen hinausgehen, denen nahe Angehörige bei Todes- nachrichten erfahrungsgemäß ausgesetzt sind . Bleibt der unmittelbar Verletzte am Leben, hat er der- zeit Anspruch auf Ersatz sämtlicher Vermögens- und auch Nichtvermögensschäden . Im Falle seines Todes können Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23801 (A) (C) (B) (D) die Angehörigen aber nur Ersatz der durch die Tötung zugefügten Vermögensschäden fordern, wie Beerdi- gungskosten und gegebenenfalls Unterhalt . Das heißt, ein Schädiger steht im Falle der Tötung eines Dritten wirtschaftlich besser da als bei einer Körperverletzung . Das ist ein Wertungswiderspruch und nicht gerecht . In der Anhörung wurde die Frage der Kommerziali- sierung von persönlichem Leid problematisiert . Damit haben wir uns selbstverständlich auch zuvor schon aus- einandergesetzt . Deshalb sei noch einmal betont, dass es nicht um die materielle Bewertung menschlichen Lebens geht, sondern um eine symbolische Anerkennung seeli- schen Leids . Es ist nicht nachvollziehbar, dass der tiefe seelische Schmerz, unter dem man ein Leben lang leidet, wenn etwa das eigene Kind bei einem Unfall getötet wird, von der deutschen Rechtsordnung bislang überhaupt nicht anerkannt wird . Das gilt umso mehr, weil beispielswei- se für entgangene Urlaubsfreude, Ehrverletzungen und Kfz-Nutzungsausfall Entschädigung gezahlt werden muss . Während Hinterbliebene in Deutschland ihren Trau- erschmerz nach einem solchen Schicksalsschlag bislang entschädigungslos verarbeiten müssen, sehen andere europäische Rechtsordnungen Ansprüche auf Angehöri- genschmerzensgeld vor . Selbstverständlich kann kein Geld der Welt die Trauer über den Verlust eines geliebten Menschen wirklich aus- gleichen . Das will und kann das Gesetz auch nicht . Der Anspruch ist daher auf einen symbolischen Ausgleich des Trauerschmerzes gerichtet . Damit setzt die Rechts- gemeinschaft aber zugleich ein Zeichen der Solidarität mit den Hinterbliebenen . So wird mit dem Hinterbliebe- nengeld gezeigt, dass ein Tod mehr auslöst als Beerdi- gungskosten und entgehenden Unterhalt . Künftig wird ein Ersatzpflichtiger denjenigen Hinter- bliebenen, die zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stan- den, für das zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld leisten müssen . Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist bewusst eng gefasst, lässt aber auch die erforderliche Flexibilität . Das besondere persönliche Näheverhältnis wird bei Ehegat- ten, Lebenspartnern, Elternteilen oder Kindern vermu- tet . Bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften setzt der Anspruch ein zwischen den Partnern bestehendes „be- sonderes persönliches Näheverhältnis“ voraus, das dem Verhältnis entspricht, das typischerweise zwischen Ehe- gatten, Lebenspartnern sowie Eltern und Kindern besteht . Über die konkrete Anspruchshöhe werden die Gerich- te entscheiden . Diese werden berücksichtigen, dass für den Anspruch kein Gesundheitsschaden nachgewiesen werden muss und Ziel des Hinterbliebenengeldes ein symbolischer Ausgleich ist . Dabei ist klar, dass sich die Summen in das eher restriktive deutsche Schadensersatz- recht einfügen müssen, um Wertungswidersprüche zu vermeiden . Auch in der Anhörung waren sich die Sachverstän- digen einig, dass die künftig als Hinterbliebenengeld gezahlten Beträge aufgrund Gesetzeszweck und Rege- lungssystematik hinter den für Schockschäden zugespro- chenen Summen zurückbleiben, das heißt niedriger sein müssen als beispielsweise Schadensersatz für nachge- wiesene Gesundheitsschäden . Die anfänglich vom Koalitionspartner publizierten Überlegungen, jedem anspruchsberechtigten Hinterblie- benen könnten bis zu 60 000 Euro zustehen, waren rein politisch motiviert und sind in der Sache völlig abwegig . Sie finden in diesem Gesetz keine Grundlage. Wir als Union wollen das gut austarierte deutsche Schadenser- satzrecht nicht auf den Kopf stellen . Zu Irritationen geführt hat die vom BMJV im Rahmen der Gesetzesfolgenabschätzung skizzierte Berechnung der weiteren Kosten, die lautet: „Angesichts der durch- schnittlichen Beträge von etwa 10 000 Euro, die derzeit von den Gerichten bei der Tötung eines Angehörigen als Entschädigung für sog . Schockschäden, die über das ge- wöhnliche Maß an Trauer und seelischem Leid hinausge- hen, zugesprochen werden, ist mit jährlichen Gesamtkos- ten durch die Zahlung von Hinterbliebenengeld von nicht mehr als rund 240 Mio . Euro zu rechnen .“ Nachdem das BMJV zunächst aus bestimmten Grün- den komplett auf Ausführungen zum Erfüllungsaufwand und zu Kosten verzichten wollte, wurde dann im Ergeb- nis „mit dem dicken Daumen“ auf der Grundlage der Schockschadenrechtsprechung eine theoretische Maxi- malsumme berechnet . Tatsächlich sollen die Summen nach dem Willen des Gesetzgebers leicht unter denen der Schockschadenrechtsprechung liegen . Die CDU/CSU-Fraktion wollte schließlich im Rah- men der parlamentarischen Beratungen eine Änderung beim Zugewinnausgleich regeln und Schmerzens- geldansprüche vom Zugewinnausgleich ausnehmen . Entschädigungen für immaterielle Schäden sollen dem Anfangsvermögen zugerechnet werden, denn sie sind der höchstpersönlichen Sphäre eines Ehegatten zuzuord- nen . Sie stehen gerade nicht im Zusammenhang mit der ehelichen Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft . Gerade beim Hinterbliebenengeld wird die enge Verbindung zum persönlichen Schicksal des Geschädigten und zu dessen sehr individuell empfundenen Trauer besonders deutlich . Diese gehört nicht in den Zugewinnausgleich, denn der andere Ehegatte wird regelmäßig nicht so mitbetroffen sein, dass seine nachträgliche Beteiligung über einen Zugewinnausgleich gerechtfertigt wäre . Deshalb hatte auch der Rechtsausschuss des Bundesrates gefordert, das Schmerzens- und Hinterbliebenengeld künftig aus dem Zugewinnausgleich herauszunehmen . Mit dem Koalitionspartner war das in der ablaufenden Wahlperiode nicht mehr umsetzbar; deshalb werden wir dies auf unsere Agenda für die kommende Wahlperiode setzen . Ich freue mich, dass wir fraktionsübergreifend dieses Gesetz nun beschließen werden . Es ist für die Tausenden von Angehörigen, die einen geliebten Menschen verloren haben, ein Zeichen des Mitgefühls und der Anteilnahme unserer Rechtsgemeinschaft . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723802 (A) (C) (B) (D) Dr. Johannes Fechner (SPD): Wir freuen uns sehr, dass wir nach intensiven und guten Beratungen, für die ich allen Beteiligten danke, heute das parlamentarische Verfahren abschließen und für Hinterbliebene eine ei- gene zivilgesetzliche Anspruchsgrundlage für eine Ent- schädigung schaffen . Damit stehen wir den Hinterbliebenen zur Seite und stellen klar: Das seelische Leid von Menschen, die einen nahestehenden Menschen durch einen Unfall oder eine Straftat verloren haben, wird künftig nicht mehr ohne Anerkennung bleiben . Der Tod eines nahestehenden Menschen ist der schlimmste Verlust, den man sich vorstellen kann, und wir werden das Leid der Hinterbliebenen nicht durch Geld aufheben können . Aber zumindest ein Stück weit kann das Leid von Hinterbliebenen durch eine Geldzah- lung gelindert werden, und dafür ist im Bürgerlichen Ge- setzbuch eine eigene Anspruchsgrundlage für Hinterblie- bene erforderlich . Es ist nach heutiger Rechtslage zu kompliziert und zu schwierig für Angehörige von Todesopfern, nach den von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes festge- legten Grundsätzen Entschädigungszahlungen zu erlan- gen . Denn nach heutiger Rechtslage haben Angehörige nur dann einen Anspruch, wenn sie eine über das Maß der normalen Trauer hinausgehende seelische Beein- trächtigung nachweisen können . Dies gelingt nur selten . Es war mir persönlich und der SPD-Fraktion deshalb ein großes Anliegen, für die Angehörigen eine klare Rechtsgrundlage für eigene Ansprüche zu schaffen, bei denen die Hürden für eine Entschädigungszahlung nicht derart hoch sind . Deshalb wird das Bürgerliche Gesetzbuch künftig mit dem neuen Absatz 3 des § 844 BGB den Personen einen Entschädigungsanspruch gegen den Schädiger gewäh- ren, die einen nahestehenden – nicht notwendigerweise verwandten – Menschen durch eine Straftat oder einen Unfall verloren haben . Systematisch richtig ist der Anspruch im Gesetz im Zusammenhang mit den Vorschriften über die Ansprüche Dritter infolge unerlaubter Handlungen verortet . Der Begriff „Hinterbliebene“ ist bewusst gewählt . Da- mit sind auch Mitglieder von Patchwork-Familien oder unverheiratete Partner erfasst . Wir haben uns gegen den deutlich engeren Begriff der „Angehörigen“ entschie- den . Denn Verwandtschaft allein sagt nichts über das Näheverhältnis zweier Menschen aus . Dieses kann bei nichtverwandten Menschen so eng sein, dass der Verlust eines nahestehenden Menschen erheblichen seelischen Schmerz auslöst . Beispielsweise kann ein unverheirate- ter Partner dem Verstorbenen so nahegestanden haben, dass wir ihm oder ihr zum Ausgleich seines seelischen Leides einen eigenen Anspruch geben sollten . Umge- kehrt besteht kein Bedürfnis, Familienangehörigen, die schon über Jahre keinen Kontakt mehr miteinander ha- ben, quasi automatisch und in jedem Fall einen Entschä- digungsanspruch zu gewähren . Wir haben uns daher für die Lösung entschieden, die für nahe Familienangehörige ein Näheverhältnis vermu- tet . Das wird in § 844 Absatz 3 Satz 2 BGB geregelt . Diese gesetzliche Vermutung legt ein intaktes Familien- verhältnis zugrunde und erspart den Hinterbliebenen, die Existenz dieses Regelfalls darzulegen und gegebenen- falls beweisen zu müssen . Die Betroffenen sollen damit im Unglücksfall nicht noch belastet werden . Wenn dies tatsächlich nicht der Fall ist, kann die Vermutung vom Anspruchsgegner im Einzelfall widerlegt werden . Damit können Fälle ausgeschlossen werden, in denen zwischen den privilegierten Anspruchstellern und dem Opfer nur noch ein formales familienrechtliches Band, aber mögli- cherweise gar kein Kontakt mehr bestand . Die gewählte Formulierung stellt also auf die indivi- duellen Verhältnisse im Einzelfall ab und kommt so zu ausgewogenen und angemessenen Lösungen . Was die Höhe des Anspruchs angeht, so haben wir uns dafür entschieden, diese Festlegung der Rechtsprechung zu überlassen, die den Einzelfall beurteilen und dann konkrete Summen festlegen kann . Wir als SPD-Fraktion hätten uns vorstellen können, in der Gesetzesbegründung Näheres zur Höhe des An- spruchs zu regeln . Denn wir müssen vermeiden, dass Hinterbliebene zwar eine eigene Anspruchsgrundlage ha- ben, aber dann womöglich nur kleinere Beträge erhalten . Dies wäre zum Beispiel mit der Vorgabe von Entschädi- gungssummen oder Mindestsummen möglich gewesen . Immerhin: Wir haben in der Gesetzesbegründung den klaren Hinweis auf die bisherige deutsche und europä- ische Rechtsprechung . Die Urteile, auf die in der Ge- setzesbegründung verwiesen wird, sollen den Gerichten als Orientierung dienen . In den Beispielsfällen wurden Zahlungen von bis zu 25 000 Euro zugesprochen, was als Mindestbetrag gelten sollte . Aus meiner Sicht könnte sich diese Rechtsprechung durchaus dahin gehend entwi- ckeln, dass höhere Beträge zugesprochen werden . Denn ich finde, wenn wir schon eine Anspruchsgrundlage schaffen, dann sollte auch gewährleistet sein, dass Zah- lungen in angemessener Höhe mindestens im Umfang der in der Gesetzesbegründung zitierten Rechtsprechung erfolgen . Dieser Lösungsweg wurde von den Sachverständi- gen in der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss als gangbar beurteilt . Die Einzelfallbetrachtung hat den Vorteil, dass das persönliche Leid, das bei jedem Hin- terbliebenen unterschiedlich ausfällt, Grundlage für den individuellen Entschädigungsanspruch ist . Deshalb ist die Feststellung der konkreten Summen sehr gut bei den Gerichten aufgehoben – der Gesetzgeber kann in allge- meingültigen Regeln nur generell geltende Richtwerte vorgeben . Nicht zuletzt die Germanwings-Katastrophe hat uns gezeigt, dass Hinterbliebene eine klare Rechtsgrundlage und einen eigenen Rechtsanspruch auf Entschädigungs- zahlungen haben müssen . Nach der Germanwings-Ka- tastrophe mussten Angehörige in der schweren Zeit der Trauer in komplizierte Verhandlungen eintreten . Es darf nicht sein, dass Hinterbliebene in der schweren Zeit der Trauer in ein unwürdiges Geschacher mit dem Schädiger oder dessen Versicherungen eintreten müssen, nur weil Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23803 (A) (C) (B) (D) eine klare Rechtsgrundlage fehlt . Dies wird ihrer Situati- on nicht gerecht . Künftig wird das nicht mehr vorkommen . Mit der neu- en Regelung steht eine eindeutige Anspruchsgrundlage im Gesetz, mit der sichergestellt ist, dass das Leid von Hinterbliebenen durch eine Geldzahlung ein Stück weit gelindert wird . Natürlich können wir nicht verhindern, dass Ansprü- che gegen den Täter oder den Unfallverursacher ins Leere laufen, wenn der Täter oder Unfallverursacher kein Vermögen hat . Wie etwa der Täter des schreckli- chen Anschlages auf den Berliner Breitscheidplatz . Ich möchte deshalb noch einmal ausdrücklich loben, dass die Bundesregierung mit Kurt Beck einen Beauftragten der Bundesregierung für die Anliegen der Opfer und Hinter- bliebenen des Terroranschlages auf dem Breitscheidplatz bestimmt hat, um die Entschädigung der Opfer dieses schlimmen Anschlages zu gewährleisten . Nach meinem aktuellen Kenntnisstand konnte allen Opfern bzw . deren Hinterbliebenen geholfen werden . Neben Leistungen des Härtefallfonds für Betroffene und Hinterbliebene bei terroristischen Straftaten sowie Leistungen der Verkehrsopferhilfe werden auch Leistun- gen nach dem Opferentschädigungsgesetz zur Verfügung gestellt . Eine Lücke im Opferentschädigungsgesetz, die – wie von den Grünen gefordert – eine Änderung des Gesetzes erforderlich macht, ist demnach nicht gegeben . Tatsächlich würde eine Änderung der Rechtsnorm, wie sie von den Initiatoren vorgeschlagen wird, statt zu bes- seren Hilfsmöglichkeiten für Geschädigte nur zu einer Entlastung der Versicherungswirtschaft führen und den Steuerzahler mit den Kosten belasten . Dies wäre eine Schieflage, die nicht gewollt sein kann. Ich freue mich sehr, dass wir das Hinterbliebenengeld einführen und damit für die Hinterbliebenen eine Grund- lage für ihre Ansprüche schaffen, um ihr großes Leid zu- mindest ein Stück weit zu lindern . In der Zeit der Trauer werden ihnen künftig komplizierte Rechtsstreitigkeiten um Anspruchsgrundlagen und ihnen letztlich zustehen- de Entschädigungszahlungen erspart bleiben . Lassen Sie uns diesem Gesetz mit breiter Unterstützung zustimmen! Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Wir dis- kutieren heute hier abschließend über Gesetzentwürfe zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld bzw . über Opferentschädigung . Dem sind viele, teilweise wenig fruchtbare Debatten vorausgegangen, in denen die Fraktionen der Großen Koalition ihr Nichtstun in dieser wichtigen Frage verteidigt haben und auf der anderen Seite die Opposition Druck machen musste, damit dann im März dieses Jahres sowohl durch die Koalitionsfrak- tionen als auch durch die Bundesregierung endlich ein wortgleicher Vorschlag für die Regelung dieser wich- tigen Frage vorgelegt worden ist . Dies war dann auch der Beginn, den Gesetzentwurf der Bündnisgrünen im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz endlich zu behandeln . Sonst wäre wahrscheinlich auch dieser Ge- setzentwurf immer noch im Stadium der Nichtbehand- lung – wie die Gesetzentwürfe von Linken, Bündnisgrü- nen und Bundesrat zur Öffnung der Ehe für Menschen gleichen Geschlechts; wir haben darüber erst gestern wieder hier sehr ausführlich diskutiert . Bereits in meiner Rede zur ersten Lesung dieser Ge- setzentwürfe habe ich betont, dass wir gesetzliche Re- gelungen zur Einführung eines Anspruchs auf Hinter- bliebenengeld für sehr wichtig halten und grundsätzlich unterstützen . Denn mit diesen Gesetzen wird endlich da- für gesorgt, dass Angehörige von Todesopfern fremdver- schuldeter Straftaten Anspruch auf ein Schmerzensgeld gegenüber den Verantwortlichen der Straftat haben . Bis- her haben sie einen solchen Anspruch nämlich nur dann, wenn sie im Falle des Todes eines nahen Angehörigen durch eine fremdverschuldete Straftat eine eigene Ge- sundheitsbeschädigung im Sinne unseres Bürgerlichen Gesetzbuches erleiden . Dafür müssen sie psychische Be- einträchtigungen medizinisch fassbar nachweisen kön- nen, die über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Hinterbliebene im Todesfall erfah- rungsgemäß ausgesetzt sind . Lediglich bei einem soge- nannten Schockschaden konnte bisher Schadensersatz eingefordert werden, darüber hinaus für materielle Schä- den wie Beerdigungskosten, entgangenen Unterhalt oder entgangene Dienste . Für ihr seelisches Leid erhielten die Hinterbliebenen bisher keinerlei Entschädigung . Das führte beispielsweise zu der absurden Situation, dass die Hinterbliebenen der furchtbaren Flugzeugselbstmordka- tastrophe der Germanwings die Hinterbliebenen auf den Goodwill der Fluggesellschaft angewiesen waren, um für ihr seelisches Leid eine Entschädigung zu erhalten . Hinterbliebene sollen also künftig im Sinne einer An- erkennung ihres seelischen Leids wegen der Tötung ei- nes ihnen besonders nahestehenden Menschen von dem hierfür Verantwortlichen eine Entschädigung verlangen können . Das ist gut so und wird von der Linken vorbe- haltlos unterstützt . Bedauerlich finde ich, dass die Forderungen der Op- ferverbände, wie zum Beispiel des Weißen Rings, keine Berücksichtigung gefunden haben . Darum hatte ich Sie in der ersten Lesung ausdrücklich gebeten . Damit wer- den Angehörige von schwerstverletzten Opfern einer fremdverschuldeten Straftat auch künftig leer ausgehen . Ein wie vom Weißen Ring gefordertes Trauergeld für Angehörige schwerstverletzter Opfer wird es also nicht geben. Ihre lebenslange Aufopferung zur Pflege eines schwerstverletzten nahen Angehörigen wird dadurch genauso als eigener Schmerzensgeldanspruch unberück- sichtigt bleiben wie ihr tagtägliches Konfrontiertsein mit dem Leid des schwerstverletzten nahen Angehörigen . Für die Linke sage ich hier: Dies ist nicht gerecht . Letzten Endes beeinträchtigt dieser Mangel allerdings die Bereitschaft meiner Fraktion Die Linke zur Zustim- mung zu diesem Gesetz nicht . Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sind uns hier alle einig, dass es künftig bei schuldhafter Tö- tung einer Person für die Trauer und den Schmerz eines nahen Angehörigen eine Entschädigung in Geld geben soll . Gleiches soll bei Gefährdungshaftung, wie bei- spielsweise bei Flugzeugabstürzen, gelten . Trotz dieser Einigkeit im Parlament war diese Grundsatzfrage bis zu- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723804 (A) (C) (B) (D) letzt nicht unumstritten – und deshalb muss sie hier in der Debatte noch einmal begründet werden . Zunächst einmal fällt auf, dass ein solches Schmer- zensgeld im internationalen Vergleich durchaus üblich und Deutschland hier bislang einsame Ausnahme ist . Warum also die Trauer in Italien oder in Frankreich be- zifferbar ist, in Deutschland aber nicht, ist schon schwer genug zu erklären . Auch die Experten in der Anhörung waren über- wiegend der Auffassung, dass ein solch immaterieller Entschädigungsanspruch für eine Trauer unterhalb der Schwelle eines medizinisch nachweisbaren Schockscha- dens kein unüberwindbarer Systembruch oder gar eine Abkehr von der Schuldrechtssystematik im BGB wäre . Letztlich ist auch der medizinisch nachweisbare Verlust eines Beines nur ein Indiz für das Leid und die Schmer- zen, die mit dem Schmerzensgeld beziffert werden . Auch in einem solchen Fall ist das Schmerzensgeld nicht dazu da, das Bein zu ersetzen . Und auch für Todesangst wird bereits nach jetziger Rechtslage ein Schmerzensgeld an- erkannt, das im Falle des tatsächlichen Todes sogar an die Angehörigen vererbt werden kann . Für die nähere Ausgestaltung des Hinterbliebenen- geldes gibt es allerdings unterschiedliche Optionen . Die Expertenanhörung hat bestätigt, dass es sinnvoll ist, den Kreis der Anspruchsberechtigten nicht formal festzule- gen, also beispielsweise auf Ehegatten und Kinder . Das würde zwar die Darlegungs- und Beweislast im Prozess erheblich erleichtern, dafür aber sehenden Auges zu Un- gerechtigkeiten im Einzelfall führen . So sind sehr enge Näheverhältnisse außerhalb der Eltern-Kind-Beziehung ebenso vorstellbar wie Eheleute, die ihre Ehe nur noch formal aufrechterhalten . Dass in der Regel Angehörige die Trauernden sind, kommt in der Vermutungsregel zum Ausdruck . Trotzdem bleibt genügend Spielraum, um an- dere Verhältnisse im Einzelfall zu berücksichtigen . Weiteres Thema in der Anhörung war die Frage, ob wir als Gesetzgeber die Anspruchshöhe im Gesetz näher bestimmen sollten . So ist durchaus verständlich, dass ge- rade die Haftpflichtversicherer gerne genauer wüssten, auf was sie sich einstellen müssen . Es sprechen aber gute Gründe dafür, es bei der „angemessenen Entschädigung in Geld“ zu belassen . Zum einen machen feste Geldbe- träge im Laufe der Jahre immer wieder Gesetzesanpas- sungen erforderlich . Zum anderen ist davon auszugehen, dass sich relativ schnell handhabbare Tabellen entwickeln werden, wie es schon beim Schmerzensgeld der Fall war . Die Rechtsprechung hat bereits bewiesen, dass sie in der Lage ist, selbst Bemessungskriterien zu entwickeln, die auch die erforderliche Rechtssicherheit schaffen werden . Zuletzt ging es noch um die Frage, wo der neue An- spruch systematisch anzusiedeln ist: im Schuldrecht bei § 253 BGB oder – so wie es jetzt im Gesetzentwurf steht – im Deliktsrecht bei § 844 BGB . Wir Grüne hätten den Anspruch ja lieber im allgemeinen Schuldrecht, also beim § 253 BGB gesehen, damit klargestellt ist, dass alle Arten von Anspruchsgrundlagen – also auch die vertrag- lichen – davon erfasst sind . Das Gegenargument, dass im allgemeinen Teil nur die Ausgestaltung der Ansprüche geregelt ist und das Hinterbliebenengeld als eigene neue Anspruchsgrundlage deswegen in den besonderen Teil gehöre, hat zugegebenermaßen auch etwas für sich . Die- se kleine Uneinigkeit wird uns somit nicht daran hindern, Ihrem Gesetzentwurf insgesamt unsere Zustimmung zu geben . Immerhin waren wir es, die in dieser Legislatur als Erstes Initiativen für die Einführung eines Hinterblie- benengeldes vorgelegt hatten . Wir haben heute aufgrund des Sachzusammenhanges auch unseren Antrag zur Änderung des Opferentschä- digungsgesetzes (OEG) zur zweiten Lesung vorgelegt . Nach diesem Gesetz können Opfer von Gewalttaten Leistungen bekommen, wenn beim Täter kein Schadens- ersatz zu holen ist . So kann es bei schweren Verletzungen beispielsweise eine lebenslange Rente geben . Allerdings gilt dies aufgrund einer Ausnahmevor- schrift nicht: wenn eine Gewalttat durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeuges verübt wurde . Dann soll nur der Verkehrshilfefonds der Haftpflichtversicherer eintreten, der aber nicht dieselben Leistungen gewährt wie das Opferentschädigungsgesetz . Wir wollen, dass alle Opfer von Gewalttaten künftig gleich behandelt werden, un- abhängig davon, ob die Tatwaffe eine Schusswaffe, ein Messer oder eben ein Kfz ist . Und auch wenn Sie diesen Antrag heute ablehnen, wird das Thema Opferentschädigung damit nicht zu Ende sein . Dass es bei der Opferentschädigung weiter gehenden Reformbedarf gibt und dies in der nächsten Le- gislatur dringend wieder aufgerufen werden muss, steht wohl außer Frage . Gut ist es jedenfalls, dass wir das Hinterbliebenengeld jetzt auf den Weg gebracht haben und heute hier gemein- sam verabschieden . Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Über- einkommen vom 25. Oktober 2016 zur Errichtung der Internationalen EU-LAK-Stiftung (Tagesord- nungspunkt 31) Dr. Andreas Nick (CDU/CSU): Die strategische Partnerschaft zwischen der EU und der Staatengemein- schaft Lateinamerikas und der Karibik (CELAC) wurde 1999 mit dem Ziel begründet, den Dialog beider Regio- nen durch regelmäßige Gipfeltreffen zu vertiefen . Auch wenn sich die Zusammenarbeit beider Regionen auf politischem, wirtschaftlichem, kulturellem und wissen- schaftlich-technologischem Gebiet seitdem verbessert hat, bleibt festzustellen: Lateinamerika ist in unserer öf- fentlichen Wahrnehmung in den letzten 20 Jahren eher in den Hintergrund gerückt . Die 2010 beschlossene Gründung der EU-Lateiname- rika/Karibik-Stiftung soll diesem Trend entgegenwirken und helfen, die strategische Partnerschaft mit neuem Leben zu erfüllen . Diese ursprüngliche Gründung als Stiftung nach deutschem Recht diente lediglich einer Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23805 (A) (C) (B) (D) beschleunigten Arbeitsaufnahme . Von Beginn an war es Konsens zwischen der Europäischen Union und den Staaten Lateinamerikas und der Karibik, den biregiona- len Charakter der Stiftung zu betonen . Im Oktober letzten Jahres wurde daher beschlossen, sie in eine internationa- le Organisation umzuwandeln . Ziel der Stiftung ist es, den lateinamerikanisch-euro- päischen Dialog zu stärken, das gegenseitige Verständnis zu fördern und die politischen, wirtschaftlichen und wis- senschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Regionen unter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure wie akademischer Einrichtungen weiter zu vertiefen . Be- sonderer Wert wird darauf gelegt, dass die Stiftung der Partnerschaft eine erhöhte Präsenz in der Öffentlichkeit verleiht . Die Bundesregierung hat sich erfolgreich dafür ein- gesetzt, dass die Freie und Hansestadt Hamburg zum Sitz bestimmt wurde . Hamburg hat durch internationalen Handel und Schifffahrt seit Jahrhunderten gewachsene historische Verbindungen nach Lateinamerika . Ende des 19 . Jahrhunderts verließen zahlreiche Auswanderer Eu- ropa über den Hamburger Hafen in Richtung Südameri- ka . Neben der Städtepartnerschaft mit León in Nicaragua verdeutlichen die 20 konsularischen Vertretungen latein- amerikanischer Staaten in Hamburg die enge Bindung . Durch die Wahl der Hansestadt unterstreicht Deutschland sein Interesse an einer engen Partnerschaft mit der Zu- kunftsregion Lateinamerika/Karibik . Auch wenn die Krisenherde und Bedrohungslagen in Osteuropa, im Mittleren Osten und in Nordafrika und nicht zuletzt auch die dynamische wirtschaftliche Ent- wicklung Asiens viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen: Lateinamerika ist und bleibt für uns in Deutschland und Europa eine wichtige Partnerregion . In der EU und La- teinamerika leben zusammen über 1 Milliarde Menschen . Die EU und die CELAC-Staaten stellen mit insgesamt 61 Staaten ein Drittel der Mitglieder der Vereinten Natio- nen, darunter fast die Hälfte der G-20-Staaten . Sie produ- zieren gemeinsam 40 Prozent des Weltsozialproduktes . Die EU ist der größte ausländische Investor in der Regi- on, der zweitgrößte Handelspartner der lateinamerikani- schen und karibischen Staaten und der größte Geber der Entwicklungszusammenarbeit in Lateinamerika und der Karibik . Mit kaum einer anderen Region der Welt sind wir Europäer historisch enger verflochten und kulturell stärker verbunden . Dies bildet die Grundlage für gemein- same Werte und eine dauerhafte Zusammenarbeit . An diese Gemeinsamkeiten gilt es immer wieder an- zuknüpfen, zum beiderseitigen Vorteil, aber auch in ge- meinsamer Verantwortung . Die Gründung der EU-Lateinamerika/Karibik-Stif- tung als Folge der strategischen Gespräche zwischen der EU und Lateinamerika kommt zum richtigen Zeitpunkt, denn gegenwärtig bietet sich ein günstiges Zeitfenster der Gelegenheit zur Revitalisierung der Beziehungen zwischen beiden Regionen: Nach den Wahlen in Argentinien, Peru, den politischen Veränderungen in Brasilien sowie durch den fortschrei- tenden Friedensprozess in Kolumbien zeichnet sich ein politischer Wandel ab, der sich trotz mancher Rückschlä- ge positiv auf den gesamten Kontinent auswirken könnte . Die relative politische Öffnung in Kuba wurde an- fänglich als ein positives Signal wahrgenommen . Aller- dings implizieren die damit verbundenen wirtschaftli- chen Chancen bisher leider keine direkte Stärkung der Demokratie oder eine deutliche Verbesserung der Men- schenrechtslage . Die anfänglich positive Entwicklung in Venezuela – 2015 erreichte die Opposition eine Zweidrittelmehrheit bei den Parlamentswahlen – wurde durch das Vorgehen der chavistischen Regierung konterkariert . Leider ist in Venezuela eine friedliche und demokratische Verände- rung nicht absehbar; das Land leidet unter einer katastro- phalen wirtschaftlichen und humanitären Entwicklung . Präsident Nicolás Maduro versucht mit allen Mitteln, die Rechte der Oppositionsparteien zu unterdrücken und ein Votum über seine Abwahl zu verhindern . Deshalb steht das Land am Rande eines Bürgerkrieges . Aber auch die Veränderungen der geopolitischen Lage für Lateinamerika lassen ein verstärktes Interesse Eu- ropas an der Region geboten erscheinen . Während die USA unter Donald Trump offenbar stärker auf Abschot- tung und Protektionismus setzen und sich eher von ihren südlichen Nachbarn distanzieren, weitet China seinen Einfluss in der Region aus. Die Beziehungen zu Latein- amerika als ein traditioneller und auch für die Zukunft wichtiger Partner Europas müssen gestärkt werden . Wir können unsere Partner in Lateinamerika nur ermutigen, wirtschaftlich wie politisch auf verstärkte Zusammenar- beit und regionale Integration zu setzen . So wäre eine stärkere Annäherung von Mercosur und der Pazifik-Allianz zweifelsohne wünschenswert, nicht nur was die Größe und Relevanz des gemeinsa- men Marktes, sondern vor allem was die grundsätzliche wirtschaftspolitische Ausrichtung angeht . Die vier Mit- gliedsländer des Mercosur erwirtschaften fast 40 Prozent des gesamten BIP Lateinamerikas . Die vier Länder der Pazifik-Allianz könnten sich zu einer Drehscheibe des Handels zwischen Atlantik und Pazifik entwickeln und so von der wirtschaftlichen Dynamik in Ostasien profi- tieren . Bei einer erfolgreichen marktwirtschaftlich ge- prägten Integration könnten beide Regionalbündnisse ihren Mitgliedern die Möglichkeit bieten, die Wertschöp- fungsketten in den Mitgliedsländern zu verlängern und ihre Industrien insgesamt zu stärken . Dies könnte auch der Diskussion um ein Freihandelsabkommen mit der EU neue Impulse geben . Wir müssen mit der größten Aussicht auf Erfolg die geeigneten politischen Partner stärken, die mit unserem Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell inhaltlich über- einstimmen . Doch der Kontinent weist immer noch sehr unterschiedliche wirtschaftliche und politische Entwick- lungen auf . Immer noch leben in Lateinamerika 180 Mil- lionen Menschen in Armut, vor allem die indigene Be- völkerung . Der Zugang zu zentralen öffentlichen Gütern wie Bildung und Gesundheit ist für große Teile der Be- völkerung nicht gesichert . Die Agenda 2030 der Verein- ten Nationen mit ihren 17 globalen Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723806 (A) (C) (B) (D) gilt für alle Staaten dieser Welt, und ihre Umsetzung stellt die grundlegende Voraussetzung für eine breite Teilhabe an Wohlstand und Entwicklung dar – auch in Lateinamerika . Deutschland kann mit seiner auf fortgeschrittene Partnerländer zugeschnittenen entwicklungspolitischen Zusammenarbeit Staaten Lateinamerikas bei der Umset- zung der Sustainable Development Goals unterstützen . Schwerpunkte des gemeinsamen Handelns orientie- ren sich am Bedarf der Partner, der Leistungsfähigkeit Deutschlands und an der Umsetzung globaler internatio- naler Vereinbarungen . Viele lateinamerikanische Länder erweisen sich dabei als sehr verlässliche Partner . Lateinamerika ist in einer volatiler gewordenen Welt trotz mancher sozialer und wirtschaftlicher Probleme ein relativ stabiler und friedlicher Kontinent . Diesen Zustand gilt es durch partnerschaftliche Zusammenarbeit zu festi- gen . Wir müssen daher die Partnerschaft mit Lateiname- rika pflegen und weiter ausbauen, um dem politischen Dialog zwischen beiden Seiten in allen Politikbereichen eine neue Qualität zu verleihen . Gemeinsam können wir die Globalisierung im Sinne unserer Werte und Interes- sen prägen . Dafür bietet die EU-Lateinamerika/Karibik-Stiftung die richtige Plattform . Deshalb unterstützt die CDU/ CSU-Fraktion ihre Gründung nachdrücklich . Klaus Barthel (SPD): Heute schaffen wir für die Bundesrepublik Deutschland die Voraussetzungen für die Umwandlung der EU-Lateinamerika-Karibik-Stif- tung (EU-LAK-Stiftung) in eine internationale Organi- sation . Noch in diesem Jahr soll dann das entsprechende Übereinkommen in Kraft treten, wenn mindestsens acht EU-Staaten – das ist schon erreicht – und acht LAK-Staa- ten unterzeichnet haben . Diese gemeinsame Stiftung ist ein Ergebnis der be- reits 1999 ausgerufenen strategischen Partnerschaft der EU mit Lateinamerika und der Karibik . Nun könnte man sagen: ein bescheidenes Ergebnis in Relation zum ge- radezu inflationär gebrauchten Pathos der strategischen Partnerschaften . Dennoch: Die Stiftung verfolgt einen richtigen An- satz, nämlich einen biregionalen zwischen zwei global wichtigen Großräumen mit zusammen 1 Milliarde Ein- wohnerinnen und Einwohnern . In einer Welt mit immer mehr nationalistischen Ab- schottungstendenzen, mit immer mehr bilateralen statt multilateralen Abkommen ist das ein wichtiger Ansatz . Das gilt sowohl für die Stärkung der Kooperation inner- halb der Regionen als auch zwischen den Regionen . Diese Kooperationsstruktur erhält mit der Gestalt der internationalen Organisation – statt wie bisher einer Stiftung deutschen Rechts – einen wesentlich verbindli- cheren Charakter . Das gilt sowohl für den Zugzwang bei den – bescheidenen – Beiträgen als auch bei der Mitar- beit . Gelingen wird das Projekt aber nur, wenn wir Eu- ropäerinnen und Europäer und auch insbesondere wir Deutsche mit Hamburg als Sitzland auf jeden Anflug von Überheblichkeit verzichten . Aus guten Gründen sind hier viele unserer Partnerländer nach jahrhundertelanger Be- vormundung empfindlich. In einem Dialog auf Augenhöhe gibt es genug zu tun: Kooperation und Forschung auf wissenschaftlichem, kulturellem und bildungspolitischem Gebiet, Erstellung von Studien dazu, eine personelle und institutionelle In- frastruktur können Grundlage für ein Mehr sein, also für eine Vertiefung der Kooperation, die auf gegenseitigem Wissen und Empathie beruht . Ziel muss es natürlich sein, nicht nur freundlich miteinander zu reden, sondern auch zu helfen, Probleme zu lösen und gemeinsamen Nutzen zu erzeugen . Gelingen kann dies nur, wenn, wie explizit im Gesetz formuliert, die Zivilgesellschaft gestaltend einbezogen wird . Das darf aber nicht so gelesen werden, dass es hier vorrangig um wirtschaftliche und unternehmerische In- teressen geht, die erfahrungsgemäß als Erste die entspre- chenden Ressourcen mobilisieren können . Die Stiftung wird hoffentlich ein eigenes Konzept zur zivilgesell- schaftlichen Beteiligung entwickeln, damit die strategi- sche Partnerschaft auch wirklich mit Leben erfüllt wer- den kann . Wenn wir auf die Probleme unserer Regionen blicken, sehen wir genügend gemeinsame Probleme, Fragestel- lungen und Lösungsbedarfe . Wachsende Ungleichheit, wirtschaftliche und finanzielle Krisen, Gefährdungen für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, Spaltungen und Konflikte innerhalb und zwischen den Staaten, Folgen des Klimawandels – trotz unterschiedlicher Ausgangsbe- dingungen existieren zahlreiche Parallelen . Mit gegenseitigen Fingerzeigen wird man nichts er- reichen . Deshalb will ich an dieser Stelle auch nicht auf einzelne Probleme in einzelnen Partnerstaaten eingehen, schon allein weil eine Auswahl willkürlich und einseitig wäre . Im heute zu verabschiedenden Gesetzentwurf ist nachzulesen, welche Tätigkeiten und Arbeitsformen mit der Stiftung möglich sind und mit Leben gefüllt werden . Zu begrüßen ist auch der finanzielle deutsche Beitrag von jährlich knapp 300 000 Euro, der hoffentlich auch von den anderen Mitgliedstaaten aufgestockt werden wird . Zu hoffen bleibt auch, dass die Stiftung so arbeiten wird, dass sie weit über das bisher vorgesehene Maß eine eige- ne positive Dynamik entfalten wird . Heike Hänsel (DIE LINKE): Die EU-LAK-Stiftung hat das Ziel, die Partnerschaft zwischen der EU und den Staaten Lateinamerikas und der Karibik zu stärken . Das ist natürlich zu begrüßen, zumal der EU nicht die von den USA dominierte OAS gegenübersteht, sondern die CELAC . Die CELAC wurde auf Initiative der linken Re- gierungen der Region gegründet, um ein Gegengewicht gegen die Einmischung aus dem Norden zu bilden . Entsprechend werden die lateinamerikanischen Staa- ten darauf achten, dass sich die EU-LAK-Stiftung nicht in die politischen Verhältnisse in den Ländern einmischt . Da haben ja auch deutsche Stiftungen eine belastete Vor- geschichte . Wie etwa die FDP-nahe Naumann-Stiftung am Putsch in Honduras mitwirkte, um den gewählten Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23807 (A) (C) (B) (D) Präsidenten Zelaya zu stürzen, das war wirklich unwür- dig und kriminell . In diesem Sinne muss die Stiftung hier Wiedergutmachungsarbeit leisten und sich für friedliche, solidarische Beziehungen einsetzen, statt Regime Chan- ges zugunsten des neoliberalen Nordens zu unterstützen . Wir sind zum Beispiel gespannt, welche Position die Stiftung gegenüber Brasiliens rechtem Putschpräsiden- ten Temer einnimmt . Noch ist über die Pläne ja nicht viel bekannt . Es gibt lediglich ein Verzeichnis von Institutionen, in denen durchaus auch progressive Akteure aus Deutschland wie amerika21 und die Lateinamerika-Nachrichten zu finden sind . Ich hoffe, dass viele zivilgesellschaftliche Organi- sationen mit innovativen Ideen durch die Stiftung unter- stützt werden . An solchen Ideen mangelt es dem Kontinent wahrlich nicht, und Deutschland kann in vielerlei Hinsicht von La- teinamerika lernen . Ich denke da an das ALBA-Bündnis oder die Vorschläge von Bolivien und Ecuador für ein entwicklungsförderliches Handelsmandat . Daran könnte sich die EU ein Beispiel nehmen, statt mit ihrer neolibe- ralen Handelspolitik die Armut im Globalen Süden wei- ter zu verschärfen . Diesen Diskurs könnte die Stiftung wissenschaftlich weiter voranbringen und Stimmen aus dem Süden auch hierzulande Gehör verschaffen . Ein konkretes Projekt, das die EU-LAK-Stiftung un- terstützen könnte, ist die kolumbianische Universität für den Frieden, die in vielen Teilen des Landes aktiv ist und den Prozess für Frieden und Wiedergutmachung voran- bringt . Sie wurde von der ökumenischen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden geschaffen, arbeitet an der Ba- sis; ausreichende finanzielle Unterstützung blieb ihr aber bisher versagt . Bisher hat die EU die eigenständige Entwicklung La- teinamerikas leider nicht unterstützt, sondern durch Spal- tung untergraben, etwa wenn es darum ging, die Freihan- delsabkommen mit Peru und Kolumbien abzuschließen, oder mit dem Mercosur-Bündnis nach dem Putsch in Brasilien . Der EU geht es in Lateinamerika weniger da- rum, die soziale Entwicklung zu fördern, sondern eher darum, Absatz- und Rohstoffmärkte für die eigene Wirt- schaft zu erschließen . Die CELAC und die EU haben in dieser Hinsicht unterschiedliche Auffassungen; wohl deswegen haben die Verhandlungen auch ganze fünf Jah- re gedauert . Es ist bedauerlich, dass noch so wenig bekannt ist, vor allem über die politische Ausrichtung . Aber wir begrüßen die Einrichtung der Stiftung – unter der Maßgabe, dass sie nicht als Instrument zur Einmischung und Kontrolle über Lateinamerika genutzt wird, sondern auf Augenhö- he arbeitet und fortschrittlichen Ideen auf beiden Seiten Gehör verschafft . Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Gründung der Internationalen EU-Lateinamerika/ Karibik-Stiftung im Jahr 2011 war ein positives Zeichen in Richtung einer stärkeren Zusammenarbeit und eines verstärkten Austausches zwischen diesen beiden Weltre- gionen . Die Pläne zur Gründung dieser Institution lagen zu dem Zeitpunkt bereits Jahre zurück, und die breite Tragfähigkeit des Beschlusses zeigte, dass auf EU-Ebe- ne und in den lateinamerikanischen und karibischen Partnerländern ein Konsens bestand, die gegenseitigen Verbindungen zu stärken . Die Umwandlung der Stiftung in eine internationale Organisation, die nach nunmehr sechsjährigem Bestehen vollzogen werden soll, ist über- fällig und nicht zu beanstanden . Gerade in Zeiten, in denen den Beziehungen zwischen den USA und den Ländern Lateinamerikas und der Ka- ribik starke Veränderungen bevorstehen zu scheinen, scheint der Zeitpunkt reif, den gegenseitigen Beziehun- gen neue Impulse zu verleihen, wie zum Beispiel auch Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik jüngst argumentierte . Mit ihrer wirtschaftlichen Stärke, dynamischen Zivilgesellschaft und gemeinsamen Wertebasis können die EU und die LAK wichtige Bünd- nispartner auf der Suche nach Lösungen für weltweite Herausforderungen wie die Wirtschafts-, Klima- und Er- nährungskrisen sein . Doch damit die EU-LAK-Stiftung ihrem Auftrag ge- recht werden kann, den gemeinsamen Dialog zu fördern, sollten endlich die schon seit der Gründung bestehenden Kritikpunkte angegangen werden . Die anstehende Verän- derung der Rechtsform sollte dazu genutzt werden, auch eine Veränderung der inhaltlichen und organisatorischen Strukturen voranzutreiben . Hierzu zählen zuvorderst ein verstärkter Fokus auf die Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen sowie ein Ende der Intransparenz von Mandat und Funktionsweise der Stiftung . Die Stiftung muss sich stärker der Zivilge- sellschaft öffnen, da sie sonst weiterhin im Verdacht ste- hen wird, die vor allem auf wirtschaftlichen Interessen beruhende Zusammenarbeit der sie tragenden Regierun- gen zu fördern . In Zeiten, in denen Räume für kritische Zivilgesell- schaft weltweit in höchst besorgniserregendem Maße eingeschränkt werden, müssen dagegen Zeichen gesetzt werden . Sowohl in Lateinamerika als auch in Europa erleben wir in einigen Ländern einen Rechtsruck, in dessen Folge die Zivilgesellschaft massiv unter Druck gerät . Bislang hat die EU-LAK-Stiftung eine Stärkung der kritischen Zivilgesellschaft jedoch vermissen las- sen . Auch die für das restliche Jahr angekündigten Ge- sprächsrunden fallen durch Begriffe wie „strategische Partnerschaft“ auf, aber sparen eine Beleuchtung von Problemfeldern in den teilnehmenden Ländern aus . Doch wenn beispielsweise in Brasilien Aktivisten und Gewerkschafter unter Druck gesetzt, Minderheitenrechte eingeschränkt und die Umweltressourcen schonungslos wirtschaftlichen Interessen untergeordnet werden, wenn in Venezuela, wo die Lage noch viel dramatischer ist, die Regierung eine Hungerkrise provoziert und de facto ge- gen das gewählte Parlament putscht, dann müssen auch die Themen Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte viel stärker auf die Prioritätenliste einer Organisation wie der EU-LAK-Stiftung gesetzt werden . Auch bei den Themen von Ökologie und wirtschaft- licher Diversifizierung bzw. Nachhaltigkeit gilt es, im Rahmen der EU-LAK-Stiftung einen Dialog auf Augen- höhe zu führen . In manchen Ländern der LAK-Region Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723808 (A) (C) (B) (D) gibt es ein Phänomen einer neuartigen Umweltausbeu- tung, bei der Raubbau und Rohstoffexport im Zentrum der wirtschaftlichen Strategie stehen und menschenrecht- liche und ökologische Aspekte vernachlässigt werden . Dieses Phänomen steht in direktem Zusammenhang mit wirtschaftlicher Nachfrage und dem energieintensiven und wenig nachhaltigen Lebensmodell in der EU . Die Partnerschaft zwischen der EU und den LAK-Län- dern birgt ungemein viel Potenzial; das ist offensichtlich . Die Stiftung, bald voraussichtlich in der Rechtsform ei- ner internationalen Organisation, könnte ein Instrument sein, diese Partnerschaft durch zivilgesellschaftlichen Austausch weiter zu befördern . Leider konnte sie diesem Anspruch bislang aufgrund der intransparenten Arbeits- weise und einem zu starken Fokus auf offizielle Ebenen nicht gerecht werden . Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (Urheberrechts-Wissens- gesellschafts-Gesetz – UrhWissG) (Tagesordnungs- punkt 32) Dr. Stefan Heck (CDU/CSU): Ende letzten Jahres haben wir alles getan, um Schlimmeres für die Verlage zu verhindern: Aufgrund europäischer und nationaler Rechtsprechung mussten sie nicht nur erhebliche Rück- zahlungen leisten, sondern wurden zukünftig von den Ausschüttungen der VG WORT ausgeschlossen . Wir haben eine gesetzliche Lösung beschlossen, die einen wirtschaftlichen Ruin vieler Verlage – vorerst – verhindert hat; eine Übergangslösung, bis wir auf eu- ropäischer Ebene endgültig Rechtssicherheit herstellen können . Heute beraten wir einen Gesetzentwurf, der alles Vor- herige und alle politischen Zusagen an die Verlage als Farce erscheinen lässt . Im Koalitionsvertrag, den wir heute umsetzen wollen, haben wir uns darauf geeinigt, eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke einzufüh- ren, die den Belangen der Wissenschaft, Bildung und Forschung stärker Rechnung trägt . Allerdings müssen hierbei die Interessen der Urheber und Verlage ausrei- chend berücksichtigt werden . Der Gesetzentwurf von Bundesminister Maas ist aber weit von einem solchen Interessenausgleich entfernt . Vielmehr sieht er einen Ei- gentumseingriff vor, der Wissenschafts- und Presseverla- gen sowie Autoren die Grundlage ihres wirtschaftlichen Daseins und ihrer Existenz nehmen wird . Hier kann auch das Interesse der Allgemeinheit kein ausreichend schwe- res Gewicht in der Waagschale bilden . Die Begrenzung der Rechte des Urhebers ist kein Novum . Auch das geistige Eigentum unterliegt der So- zialgebundenheit, sodass das Recht seiner Verwertung in einem gewissen Umfang zurückstehen muss, wenn es um den Zugang der Allgemeinheit zu Bildung und Forschung geht . Auch sehe ich die Notwendigkeit, die aktuellen ge- setzlichen Regelungen der Wissenschaftsschranke neu zu regulieren und zu strukturieren, um Übersichtlichkeit zu schaffen und die Anwendung zu vereinfachen . Das war und ist unser ausdrückliches Ziel . Aber hierbei geht es wie immer um das richtige Maß . Und der uns vorliegende Entwurf schießt weit über das Ziel hinaus. Auch wenn Eigentum verpflichtet, darf es zu keiner Enteignung führen . Versagt eine Beschränkung der Rechte privatwirtschaftliches Agieren und macht sie die Refinanzierung von Investitionen unmöglich, dann können wir das nicht unterstützen . Eine solche Konse- quenz ist untragbar . Regelungen, die gesetzliche Nutzungsbestimmungen vor Lizenzangeboten den Vorrang gewähren und damit Lizenzen letztlich unerheblich machen, nehmen nicht nur jeden Anreiz für Publikationen, sondern machen privat- wirtschaftliches Handeln letztlich unmöglich . Autoren und Wissenschaftsverlage haben künftig keinen Einfluss mehr darauf, zu welchen Konditionen und zu welchem Preis ihre Inhalte genutzt werden dürfen . Denn ein an- gemessenes Angebot soll nach Vorstellung von Minister Maas irrelevant sein . Regelungen, die einen erlaubnisfreien Nutzungs- umfang von 15 Prozent gewähren, bedrohen den Pri- märmarkt vieler Verlage . Denn wer wird sich ein Buch kaufen, wenn er sich die entscheidenden Passagen „zu- sammenkopieren“ kann? Regelungen, die künftig erlau- ben, „einzelne Artikel“ aus Zeitungen und Zeitschriften vollständig zu nutzen, gefährden das primäre Geschäfts- modell von Zeitungen und damit die freie Presse . Wer hierbei ins Feld führt, dass den Rechteinhabern doch ausdrücklich das Recht auf eine angemessene Vergütung für die Nutzung ihrer Werke und Inhalte zugesprochen wird, den kann ich nur fragen, ob er ernsthaft annimmt, dass hier nicht ganz andere Interessen vordergründig eine Rolle spielen werden . Die Länder haben ihre berechtigten fiskalpolitischen Interessen . Dies hat sich bereits im Beschluss des Bun- desrates gezeigt . Wie viel den Ländern Bildung und Forschung wert ist, zeigt sich in der Forderung, dass der erlaubnisfreie Nutzungsumfang von den 15 Prozent auf die bereits aus dem Referentenentwurf vorgeschlagenen 25 Prozent zurückgedreht werden sollte und die vorgese- hene Vergütungspflicht für nichtkommerzielle Nutzung zu hinterfragen ist . Sie haben großes Interesse daran, die Ausgaben für Bildung und Forschung zu deckeln . Da kommen ein Vorrang der gesetzlichen Nutzungsbe- stimmungen und eine pauschale Vergütungsregel gerade recht . Letztlich birgt ein „unkontrollierter“ Zugang zu Werken zudem die Gefahr des Missbrauchs . Wenn Ver- lage nicht in der Hand haben, darüber zu entscheiden, in welchem Umfang und zu welchem Preis ihre Werke genutzt werden, wer garantiert ihnen dann, dass Nutzer Nutzungsgrenzen nicht überschreiten werden? Denn wer wird kontrollieren, ob nur 15 Prozent oder vielleicht doch ein bisschen mehr oder doch erheblich mehr genutzt wer- den? Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23809 (A) (C) (B) (D) Für ein zukunftsfähiges Deutschland wollen wir den einfachen Zugang von Studenten und Lehrenden zu wis- senschaftlicher Literatur ermöglichen . Es ist nicht unser Ziel, Bildung und Forschung unnötig Steine in den Weg zu legen . Aber dieses Ziel darf nicht einhergehen mit ei- ner Absage an die freie Marktwirtschaft . Derzeit gilt das Gebot des Lizenzvorrangs . Verlage haben es in der Hand, ein angemessenes Angebot für die Nutzung von Werken zu unterbreiten . Sollten sie dazu nicht in der Lage sein, dann greifen die gesetzlichen Nut- zungsvorgaben . Daran sollten wir grundsätzlich festhal- ten . Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Wir beraten heute in erster Lesung über das Urheberrechts-Wissensgesell- schafts-Gesetz . Hinter diesem sperrigen Namen verbirgt sich die Einführung einer sogenannten Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht . Das Urhebergesetz sieht bereits jetzt in einzelnen Vor- schriften gesetzlich erlaubte Nutzungen für Unterricht, Wissenschaft und Institutionen vor . Die Vorschriften regeln, unter welchen Voraussetzungen urheberrecht- lich geschützte Werke für die Zwecke von Bildung und Wissenschaft verwendet werden dürfen, ohne in jedem Einzelfall Rechte zu klären und Erlaubnisse einholen zu müssen . In der Regel ist die gesetzlich erlaubte Nutzung mit einer Vergütungspflicht verbunden. Das ist auch sinnvoll: Schulen und Universitäten sind in hohem Maße auf den Zugang zu urheberrechtlich ge- schütztem Material für Lehre und Forschung angewie- sen . So kann ein Hochschullehrer zum Beispiel schon nach geltender Rechtslage „kleine Teile“ eines Werkes zu Unterrichtszwecken vervielfältigen und an seine Stu- dierenden weiterleiten, ohne dafür immer eine Geneh- migung vom Verlag einzuholen zu müssen . Diese Vor- schriften sind aber teilweise unverständlich formuliert und über das gesamte Urhebergesetz verstreut . Hinzu kommt, dass sich in den letzten Jahren durch die Digitalisierung vieles verändert hat . Das gilt insbe- sondere für die Verbreitung und die Nutzung urheber- rechtlich geschützter Inhalte . Wir wollen das Urheberrecht deshalb an dieser Stel- le modernisieren und an die Veränderungen der letzten Jahre anpassen . Schließlich sind die gesetzlichen Erlaub- nistatbestände für Bildung und Wissenschaft seit fast zwei Jahrzehnten nicht mehr angefasst worden . Es ist das dritte große Reformvorhaben, das wir in dieser Legislaturperiode im Urheberrecht verabschieden wollen . Zuletzt haben wir Ende des vergangenen Jahres schon das Verwertungsgesellschaftengesetz sowie das Urhebervertragsrecht reformiert . Begrüßenswert ist, dass wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einen selbstständigen Abschnitt für die er- laubnisfreien Nutzungen von Bildung und Wissenschaft einführen und praxistaugliche und verständliche Rege- lungen formulieren . Sie sorgen für eine einfachere Hand- habung der Ausnahmetatbestände . Davon werden die Anwender, also zum Beispiel Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Lehrende an den Hochschulen, Studierende sowie Beschäftigte in Bibliotheken und Archiven, profi- tieren . Das entspricht auch unserem Wunsch nach einem wissenschafts- und bildungsfreundlichen Urheberrecht . Als Gesetzgeber ist es aber auch unsere Aufgabe, die Interessen der Urheber und Wissenschaftsverlage im Blick zu behalten . Denn wie immer im Urheberrecht gilt: Wir müssen einen gerechten Interessensausgleich zwi- schen Urhebern, Nutzern und Verwertern schaffen . Deshalb haben wir uns auch von dem ersten Vorschlag verabschiedet, dass 25 Prozent eines urheberrechtlich geschützten Werkes ohne Genehmigung des Rechteinha- bers für Unterricht und Lehre sowie für die wissenschaft- liche Forschung genutzt werden können . Zum einen ist eine derart weite Ausdehnung des Nutzungsumfangs nur schwerlich mit dem Schutz des Eigentums aus Ar- tikel 14 GG zu vereinbaren . Zum anderen besteht die Gefahr, dass keiner mehr die wissenschaftlichen Werke kaufen würde . Nicht zuletzt aus diesem Grund war der ursprüngliche Referentenentwurf zu weitgehend . Jetzt sieht der Entwurf vor, dass erlaubnisfreie Nutzungen für Unterricht und Lehre sowie wissenschaftliche Forschung in der Regel noch in einem Umfang von 15 Prozent zu- lässig sind . Der Gesetzgeber hat stets die Pflicht, mit Weitsicht zu- kunftstaugliche Regelungen zu schaffen: Die Digitalisie- rung umfasst mittlerweile nahezu alle Bereiche wissen- schaftlichen Arbeitens . Die urheberrechtliche Situation hat sich ebenfalls grundlegend geändert . Wie im Koaliti- onsvertrag eindeutig vereinbart, wollen und brauchen wir für Wissenschaft und Bildung noch in dieser Legislatur- periode eine gute Lösung im Urheberrecht . Unser ausdrückliches Ziel ist es, dass die Stärken und Vorteile der analogen Welt auch im digitalen Zeitalter weiterbestehen . Dies bedeutet nicht zuletzt, eine stets an- gemessene Vergütung der Urheber zu gewähren . Aus praktischer Sicht ist es von großer Bedeutung, dass bürokratischer und kostenintensiver Aufwand bei Nutzung und Abrechnung vermieden wird . Die im Ent- wurf ausdrücklich erlaubte pauschale Abrechnung der Nutzungsvergütungen ist aus dieser Perspektive richtig . Lassen Sie mich abschließend festhalten: Wir brau- chen im Bereich der Bildung und Wissenschaft ein transparentes und benutzerfreundliches Urheberrecht, das dem digitalen Zeitalter gerecht wird . Der parlamen- tarische Prozess bedeutet daher immer auch, einen Inte- ressenausgleich zwischen den Urhebern und Nutzern zu schaffen . Wir wollen uns im Verfahren im Detail mit den Regelungen auseinandersetzen und einen angemessenen Ausgleich der verschiedenen Interessengruppen finden. Der Entwurf bedarf Nachbesserungen . Darüber wird zu sprechen sein . Christian Flisek (SPD): Wir sprechen heute über ei- nen Gesetzentwurf, der endlich Rechtssicherheit in ganz wichtige Bereiche unserer Bildungs- und Wissenschafts- landschaft bringen wird . In Lehre und Forschung, an den Schulen und Universitäten und in den Bibliotheken und Archiven wird dieser Gesetzentwurf für klare Verhältnis- se sorgen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723810 (A) (C) (B) (D) Die Probleme der aktuellen Rechtslage sind bekannt: Die bisherigen gesetzlichen Nutzungserlaubnisse im Ur- heberrechtsgesetz sind veraltet, unübersichtlich geregelt und selbst für Expertinnen und Experten kaum verständ- lich . Aufgrund etlicher auslegungsbedürftiger Begriffe führen jahrelange gerichtliche Auseinandersetzungen zu einer unerträglichen Rechtsunsicherheit auf allen Seiten . Der Gesetzentwurf reagiert auf diese Missstände . Er errichtet einen praktikablen Rechtsrahmen für die Nut- zung von wissenschaftlichen Arbeiten und Lehrmaterial in Unterricht und Lehre . Der Gesetzentwurf sieht kein vergütungsfreies Nutzungsrecht vor . Er sieht einen ver- gütungspflichtigen Mindeststandard an Nutzungsrechten vor, damit Lehrer, Professoren, Bibliothekare und Archi- vare wissen, was sie nutzen dürfen und was nicht . Zurzeit versinken die Bibliothekare der Universitäten in zahllo- sen, ganz unterschiedlich ausgestalteten Lizenzverträgen . Die Unübersichtlichkeit führt dazu, dass Professoren und Dozenten entweder auf Nutzungen ganz verzichten oder dass illegal genutzt wird – beides ist nicht gut . Zugleich profitieren die Rechtsinhaber, also zum Beispiel Autoren und Fachverlage; denn sie erhalten eine angemessene Vergütung für Nutzungen, die ansonsten oft unterblieben wären oder rechtswidrig (und damit ebenfalls ohne Ver- gütung) stattgefunden hätten . Nachdem wir schon Anfang des Jahres in der SPD-Fraktion sowohl Verlage als auch Vertreter von Uni- versitäten und Bibliotheken angehört haben, haben wir in den letzten Wochen zahlreiche bilaterale Gespräche ge- führt . In den letzten Tagen haben sich nun Zeitungsverla- ge zu Wort gemeldet, die Sorge um ihre Archive haben . Auch damit werden wir uns im parlamentarischen Ver- fahren intensiv beschäftigen . Eines ist besonders zu betonen: Es ist für mich ganz entscheidend, dass die gesetzlichen Regelungen nicht kategorisch ausgehebelt werden können . Ein pauschaler Vorrang von Lizenzangeboten würde den Zweck des Ge- setzes vereiteln: Ein Vorrang von Lizenzangeboten wür- de erneut zu Rechtsstreitigkeiten führen, weil niemand weiß, was denn ein „angemessenes Angebot“ ist . Die Konsequenz wäre wieder Rechtsunsicherheit sowie eine Überlastung der Bibliothekare an Universitäten und an- deren Einrichtungen aufgrund zahlreicher unterschiedli- cher Lizenzangebote und -verträge . Das wollen wir aber gerade verhindern! Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Die Anpassung der ur- heberrechtlichen Schranken für die Zwecke von Bildung und Wissenschaft überfällig zu nennen, wäre eine maß- lose Untertreibung . Die Diskussion darum ist so alt wie der erste Einzug der Digitalisierung in die Bildungs- und Forschungsein- richtungen selbst . Seitdem müssen sich Lehrende und Forschende für ihre tägliche Arbeit mit einem unüber- sichtlichen, anachronistischen Regelwerk mit erhebli- cher Rechtsunsicherheit herumschlagen. Profitiert haben jedenfalls die Urheberinnen und Urheber niemals davon . Dennoch hat sich trotz zahlreicher Ankündigungen und Vorschläge lange nichts getan . Selbst nachdem Ende letzten Jahres im universitären Bereich die Aushandlung eines tragfähigen Rahmenvertrags derart scheiterte, dass der Rückfall in vordigitale Zeiten nur notdürftig verscho- ben wurde, wussten wir bis zuletzt nicht, ob der vorlie- gende Gesetzentwurf tatsächlich das Licht der Welt er- blicken würde . Dass er nun vorliegt, in einer Form, die unbestritten eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Status quo wäre, stellt insofern eine Erleichterung dar . Bildungs- und forschungsfeindlich sind die darin vorgesehenen Re- gelungen nicht mehr . Allerdings: Im Koalitionsvertrag bemühen Sie das Wort „freundlich“, und so weit würde ich noch nicht gehen . Zumal gegenüber dem Referentenentwurf der Umfang der erlaubten Nutzung noch einmal deutlich ein- geschränkt wurde – von 25 auf 15 Prozent in den zentra- len Erlaubnistatbeständen . Hier scheint es dann doch ein Einknicken vor der reichlich fragwürdigen Kampagne der Verlage gegeben zu haben . Für uns bleibt der Goldstandard eine allgemeine Bil- dungs- und Wissenschaftsschranke, wie wir sie seit je- her fordern und wie sie mit diesem Entwurf gerade nicht umgesetzt wird . Es ist nicht verständlich, warum die er- laubte Nutzung für die Zwecke der Bildung und Wissen- schaft überhaupt eingeschränkt werden sollte . Faire Ver- gütungsregeln vorausgesetzt, deckt sich eine allgemeine Schranke auch mit den Interessen der Urheberinnen und Urheber . Sie hätte darüber hinaus den Vorteil der Offenheit gegenüber neuen technischen Entwicklungen . Der jetzt vorliegende Entwurf hingegen wird regelmäßiger Über- arbeitung bedürfen, um nicht hinter die Zeit zurückzu- fallen . Bereits jetzt spart er zum Beispiel eine Regelung zum Verleih von E-Books aus, wie wir sie hier bereits vor zwei Jahren gefordert haben . In Anbetracht all dessen gilt es jetzt, den vorliegen- den Entwurf zügig, aber gründlich daraufhin zu über- prüfen, wo er im Sinne eines möglichst bildungs- und forschungsfreundlichen Urheberrechts noch nachjustiert werden kann . In jedem Fall muss noch vor der Wahl ein Gesetz daraus werden, das dann so schnell wie möglich zur Anwendung kommen sollte . Das Ziel bleibt aber – jedenfalls für uns –, zu einer Regelung zu kommen, die tatsächlich im Sinne einer all- gemeinen Schranke die Nutzung für Zwecke der Bildung und Wissenschaft ungehindert erlaubt . Nur so kommen wir zu einem Urheberrecht, das nicht nur – wie es hier im Titel des Gesetzes heißt – an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft angeglichen ist, sondern auch ihre Zukunft im Blick behält . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Große Koalition ist spät dran, wenn es darum geht, das Urheberrecht endlich anzupacken, um es zugunsten von Bildung und Wissenschaft zu modernisieren: Zu später Stunde steht ihr Vorschlag auf der Tagesordnung, wie sie die Schrankenregelungen im Urhebergesetz reformie- ren will . Das steht symptomatisch dafür, wie die Große Koalition das Thema die gesamte Legislaturperiode ver- schleppt hat . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23811 (A) (C) (B) (D) Seit 2007 wird darüber diskutiert, dass die kleinteili- gen und höchst komplizierten Schranken im Urheberge- setz Bildung und Forschung nicht in die Lage versetzen, die digitalen Potenziale zu nutzen . Wir Grünen im Bun- destag fordern daher schon seit langem die Einführung einer allgemeinen Bildungs- und Wissenschaftsschranke . Mit einer solchen „Schranke“ könnten viele Nutzungs- und Vergütungsregeln klar und verständlich geregelt werden . Wir halten sie für den besten Weg, um das Ur- heberrecht für Forschung, Lehre und Lernen im digita- len Zeitalter fitzumachen. Diese Lösung wird auch seit Jahren von vielen Vertreterinnen und Vertretern aus der Wissenschaftscommunity favorisiert . In ihrem Koalitionsvertrag hatten sich die Koalitions- partner diesen Ansatz ebenfalls zu eigen gemacht und angekündigt, eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke einzuführen . Als Grüne im Bundestag haben wir in dieser Wahlperiode der Regierungskoalition immer wieder Bei- ne gemacht, ihr Versprechen einzulösen und eine weitrei- chende und zukunftsfeste Lösung zu schaffen . Wir haben das getan, unter anderem auch per parlamentarischem Antrag „Jetzt Zugang zu Wissen erleichtern – Urheber- recht bildungs- und wissenschaftsfreundlich gestalten“ . Unseren Vorschlag haben Sie abgelehnt, obwohl er eine umfassende Bildungs- und Wissenschaftsschranke ge- bracht hätte, die es Lehrenden, Lernenden und Forschen- den erleichtern würde, publizistische Werke jedweder medialer Art für den nichtgewerblichen wissenschaftli- chen Gebrauch generell genehmigungsfrei und ohne Ein- schränkungen zu nutzen . Kurz vor Ende der Wahlperiode und Ihrer Koalition haben Sie sich entschieden, etwas anderes zu liefern als das, was Sie in Aussicht gestellt haben . Ihr Entwurf zu ei- nem Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz enthält nämlich keine allgemeine Bildungs- und Wissenschafts- schranke . Das alles zeigt: Den großen angepeilten Wurf haben Union und SPD nicht hinbekommen . Stattdessen werden im Gesetzentwurf einige Erlaubnistatbestände zur Nutzung erweitert . Dort, wo überfällige Erleichte- rungen für Bildung und Wissenschaft ins Auge gefasst werden, finde ich das richtig. So wird zum Beispiel die VG-WORT-Problematik gelöst . Ich erkenne auch den Versuch der Koalition an, verständliche und rechtssi- chere Regelungen zu finden. Klar ist zugleich: Die Be- ratungen im Bundestag haben jetzt erst begonnen . In den kommenden Wochen werden wir weiter prüfen, ob die vorgeschlagene Alternative in Gänze trägt, um das Wis- senschaftsurheberrecht fair und innovationsfreundlich zu gestalten . Auf die Prüfung durch die Sachverständi- gen im Rahmen der Anhörung im Rechtsausschuss am 29 . Mai bin ich gespannt . Im Gesetzentwurf ist die Rede davon, dass die „Aus- gaben für Zahlungen an Verwertungsgesellschaften (ge- setzliche Vergütung) … sich in dem Maße erhöhen [wer- den], als die Begünstigten zukünftig von den erweiterten gesetzlichen Nutzungsbefugnissen Gebrauch machen“ . In diesem Zusammenhang stellt sich mir eine Frage, die sich auch aus einem Vergleich zwischen Referentenent- wurf und tatsächlichem Gesetzentwurf ergibt: Es sollen nun nicht mehr 25 Prozent, wie im Referentenentwurf vorgesehen, sondern lediglich 15 Prozent eines veröf- fentlichten Werkes genehmigungsfrei nutzbar sein . Der Bundesrat setzt sich in seiner Stellungnahme dafür ein, zu den ursprünglich angepeilten 25 Prozent zurückzu- kehren . Warum ist die Bundesregierung vor einer Aus- weitung auf 25 Prozent zurückgeschreckt? Unsere Position in der Sache war immer, den für Bil- dung und Wissenschaft notwendigen Zugang zu Wissen unter angemessenen und für alle Seiten fairen Bedingun- gen zu gewährleisten . Wir wollen den Modernisierungs- stau im Urheberrecht auflösen. Dieser große Wurf kommt nicht . Wenigstens aber hoffe ich, dass der Regierungsko- alition bei der Beratung des Urheberrechts-Wissensge- sellschafts-Gesetz auf den letzten Metern nicht die Puste ausgeht . Es wäre schlecht für den Innovationsstandort und für alle Lehrenden und Lernenden in Deutschland, wenn wir in der nächsten Legislaturperiode wieder bei null anfangen müssten und altbekannte Debatten wie- derholen . Dann doch lieber jetzt Schritte in die richtige Richtung gehen . Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver- braucherschutz: Seit fast zwei Jahrzehnten diskutieren wir über die „Bildungs- und Wissenschaftsschranke“ – jetzt liegt der Vorschlag auf dem Tisch . Wie immer im Urheberrecht geht es um den Ausgleich einer Vielzahl von Interessen: um die Rechte von Auto- ren und Verlagen und um die Interessen der Nutzer, der Bildungseinrichtungen sowie ihrer Träger, die das deut- sche Bildungssystem finanzieren. In der Wissensgesellschaft sind insbesondere Forscher und Wissenschaftler sowohl Nutzer bestehender Werke als auch Schöpfer neuer Inhalte: Sie bauen auf vorhan- denem Wissen auf und benötigen deshalb einen gut funk- tionierenden Zugang zu Büchern, Zeitschriften und Da- ten – analog wie digital . Und als Schöpfer neuer Werke haben sie Interesse an deren Verbreitung, natürlich auf Grundlage des Urheberrechtsschutzes . Unser Entwurf regelt den Zugang zu geschützten In- halten: Welche Texte dürfen Hochschuldozenten für ihre Studierenden in den Digitalen Semesterapparat einstel- len, ohne zuvor eine Lizenz erwerben zu müssen? Aber auch: Können beispielsweise unsere Kinder Fotos aus dem Internet in ihre Präsentation für den Geschichts- unterricht einfügen, ohne eine Rechtsverletzung zu ris- kieren? Grundlage hierfür sind die „Schrankenbestim- mungen“ des Urheberrechtsgesetzes, also Regelungen, die eine Nutzung auf gesetzlicher Grundlage erlauben; deshalb auch die Bezeichnung „Bildungs- und Wissen- schaftsschranke“ . Nun, entsprechende Vorschriften bestehen bereits im geltenden Recht . Was wollen wir im Interesse von Bil- dung und Wissenschaft ändern? Erstens . Die derzeit geltenden Bestimmungen sind sehr kompliziert, daher kaum verständlich und teilweise auch veraltet . Die Rechtsanwender wissen deshalb häu- fig gar nicht, was erlaubt ist und was nicht. Der Entwurf schafft deshalb klare Regeln . Nur verständliches Recht wird auch akzeptiert und gelebt – eine wichtige Voraus- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723812 (A) (C) (B) (D) setzung für den Respekt vor dem geistigen Eigentum, ge- rade auch in den Schulen und Universitäten . Zweitens. Wir schaffen einen klar definierten Basis- zugang zu Inhalten, und zwar unabhängig von etwaigen Lizenzvereinbarungen oder Verlagsangeboten . So dürfen beispielsweise künftig in jedem Fall 15 Prozent eines Textes für Unterrichtszwecke digital verfügbar gemacht werden . Auch das schafft Klarheit für alle Beteiligten . Selbstverständlich werden Universitäten weiterhin Bü- cher kaufen und elektronische Angebote der Verlage li- zenzieren . Wissenschaftler und Studierende brauchen in der Regel nämlich den Zugang zur vollständigen Mono- grafie oder zur kompletten elektronischen Ausgabe der internationalen Fachzeitschrift . Aber die Dozentin, die für die Teilnehmer des nächsten Seminars Kopien eines einzelnen Aufsatzes aus einer Fachzeitschrift braucht, muss künftig nicht mehr nach Verlagsangeboten suchen oder gar den Preis und die Lizenzklauseln auf Ihre Ange- messenheit beurteilen – in der Praxis ohnehin ein Ding der Unmöglichkeit . Diese lebensfremde Regelung schaf- fen wir deshalb ab . Drittens . Autoren und Verleger erhalten für die gesetz- lich erlaubten Nutzungen eine angemessene Vergütung . Denn wir beschränken das exklusive Verwertungsrecht der Urheber und der Unternehmen, die in die Herstellung und Verbreitung der Inhalte investieren . Die Vergütung ist also die Kompensation für die gesetzlich erlaubte Nut- zung . Wir stellen gleichzeitig klar, dass nicht jede klein- teilige Nutzung individuell abgerechnet werden muss . Es kann nicht sein, dass die Erfassung und Abrechnung auf Nutzerseite mehr kostet, als Autoren und Verlage am Ende des Tages als Vergütung erhalten . Mit einer Änderung des Verwertungsgesellschaften- gesetzes Ende 2016 haben wir die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Autoren ihre Verleger auch weiterhin an diesen Vergütungen beteiligen können . Und auf europä- ischer Ebene setzen wir uns weiterhin dafür ein, dass im europäischen Recht klargestellt wird, dass gemeinsame Verwertungsgesellschaften von Autoren und Verlegern möglich bleiben . Dies dient allen Beteiligten: Autoren und Verleger können ihre gemeinsamen Interessen gebündelt wahr- nehmen . Und für die Nutzerseite – also Bibliotheken oder die Träger von Bildungseinrichtungen – ist es ebenfalls besser, wenn eine gemeinsame Verwertungsgesellschaft von Autoren und Verlegern in einem One-Stop-Shop ihr Ansprechpartner ist . Wir verstehen die Sorgen einiger Wissenschaftsverla- ge, sind aber sicher, dass deren Geschäftsmodell auch im digitalen Umfeld eine Zukunft hat, nämlich als Dienst- leister der Wissensgesellschaft . Dieses Geschäftsmodell ist durch einen lizenzfreien, zugleich aber vergüteten Ba- siszugang zu urheberrechtlich geschützten Inhalten nicht infrage gestellt . Ich bin überzeugt, dass uns ein fairer Interessenaus- gleich gelungen ist . Die Bundesregierung ist zuversicht- lich, dass der Abschluss dieses Gesetzgebungsverfahrens noch in dieser Legislaturperiode gelingen wird . Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Beitrittsprotokoll vom 11. November 2016 zum Handelsübereinkommen vom 26. Juni 2012 zwi- schen der Europäischen Union und ihren Mit- gliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits betreffend den Beitritt Ecuadors (Ta- gesordnungspunkt 34) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Wir verabschie- den heute in zweiter Lesung ein Gesetz, welchem eine besondere Bedeutung zukommt . In der momentanen Debatte, die fast nur noch von Protektionismusfreunden, weltweiten Freihandelsfeinden und Realitätsverweige- rern in der Opposition geprägt wird, kommt das Thema Freihandel zu oft unter die Räder . Das hier vorliegende Vertragsgesetz regelt den Beitritt Ecuadors zum bereits bestehenden Handelsabkommen der Europäischen Union mit Peru und Kolumbien . Mit dem Handelsübereinkom- men sollen mögliche Wettbewerbsnachteile für deutsche und europäische Unternehmen beim Marktzugang in der Republik Ecuador gegenüber anderen Industrieländern verhindert werden . Es ist davon auszugehen, dass da- von die breit aufgestellte deutsche Wirtschaft profitieren wird . Ich möchte Ihnen hier nochmals kurz die Genese der Verhandlungen verdeutlichen, damit Ihnen die zeitliche Dimension der geführten Verhandlungen bewusst wird . Ursprünglich war Ecuador Verhandlungspartner eines Assoziierungsabkommens mit den anderen Andenstaaten Kolumbien, Peru und Bolivien, welches im April 2007 von der EU unter deutscher EU-Präsidentschaft initiiert wurde . 2008 verließen Bolivien und Ecuador jedoch aufgrund von Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Andengemeinschaft diese Verhandlungen . 2009 wurden die Gespräche dann auf der Grundlage eines neuen Man- dates als Freihandelsverhandlungen mit Kolumbien und Peru fortgeführt und im Mai 2010 abgeschlossen . Mit der EU kam es dann erst 2012 zur Unterzeichnung eines Ver- trages in Form eines gemischten Abkommens . Der Deut- sche Bundestag hat dem Abkommen am 1 . August 2013 seinen Segen gegeben . Bis heute haben aus unterschiedli- chen Gründen Österreich, Belgien und Griechenland die Ratifizierung in den nationalen Parlamenten immer noch nicht abgeschlossen . Einige schaffen es eben schneller, andere brauchen Jahre . Somit ist das Abkommen bisher nur in der vorläufigen Anwendung. Leider auch eine eu- ropäische Realität . Die Entscheidung Ecuadors, dem bestehenden Han- delsabkommen beizutreten, hat das Land 2013 gefasst, da die mit Peru und Kolumbien geschlossene Übereinkunft die Möglichkeit eines Beitritts weiterhin offengehalten hat . Ecuador hat sich nun zu einem Beitritt entschlossen . 2014 sind dann die Verhandlungen abgeschlossen wor- den . 2016 wurde das Übereinkommen unterzeichnet und vom EU-Parlament bestätigt . Seit dem 1 . Januar 2017 wird das Handelsübereinkommen vorläufig angewendet und beschränkt sich damit auf die Teile des Abkommens, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23813 (A) (C) (B) (D) welche in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fallen . Es handelt sich daher bei dem Beitritt Ecuadors ebenfalls um ein sogenanntes gemischtes Abkommen, das die Not- wendigkeit eines Vertragsgesetzes auslöst und damit ein ordentliches Gesetzgebungsverfahren durchläuft . Nach Frankreich und Finnland sind wir zum jetzigen Zeitpunkt der dritte Mitgliedstaat der EU, welcher das Abkommen förmlich notifiziert. Das werte ich als weiteres starkes Si- gnal Deutschlands für den Freihandel . So viel zur Genese und zur zeitlichen Dimension . Nun aber einige Bemerkungen zum Inhalt und zur Bedeutung des Handelsvertrages . Der Beitritt Ecuadors zum Handelsübereinkommen ist ein wichtiger Schritt zum Ausbau der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen der EU und Ecua- dor . Es deckt 99 Prozent der EU-Ausfuhren ab, darunter 100 Prozent der industriellen Güter und 85 Prozent der landwirtschaftlichen Güter . Ecuador erhält mit Inkraft- treten des Beitritts 100 Prozent Zollfreiheit auf seine Industriegüter . Ersten Berechnungen zufolge ist mit nur geringen EU-Mindereinnahmen durch ausfallende Zölle zu rechnen – nach zehn Jahren circa 80 Millionen Euro . 17 Jahre nach Inkrafttreten werden nahezu alle Zölle ab- geschafft sein . Der Beitritt stellt somit einen wichtigen Beitrag zum Abbau von Marktzugangshindernissen dar und soll mögliche Wettbewerbsnachteile für europäische Unternehmen beim Marktzugang gegenüber anderen Ländern wie die USA, China oder Kanada verhindern . Insbesondere die Automobilindustrie, der Maschinen- bau, die chemische Industrie sowie der Dienstleistungs- bereich werden vom Beitritt profitieren können. Das Handelsübereinkommen geht in vielen Bereichen über Standards der WTO hinaus und lässt sich daher gut den neuen, modernen Handelsabkommen zuordnen . Bei- spielhaft lassen sich Kompromisse zu nichttarifären Han- delshemmnissen, Dienstleistungen und Streitschlichtung beim Schutz von Rechten des Eigentums nennen . Und es greift weitere Themen auf, die in der WTO sonst nicht verhandelt werden, wie Investitions- und Wettbewerbsre- geln, Umwelt- und Sozialstandards mit einem Nachhal- tigkeitskapitel . Des Weiteren sind weitreichende Monito- ring- und Dialogplattformen implementiert . Das Kapitel zur nachhaltigen Entwicklung deckt dabei die sozialen und ökologischen Komplexe ab . Es enthält unter anderem die Übereinkunft der Vertragsparteien, die Verpflichtungen aus einer Reihe internationaler Überein- künfte einzuhalten, darunter die arbeitsrechtlichen Min- destnormen der internationalen Arbeitsorganisation so- wie multilaterale Umweltübereinkünfte . Darüber hinaus sind Bestimmungen zum Handel mit forstwirtschaftli- chen Erzeugnissen und Fischereierzeugnissen, zur bio- logischen Vielfalt, Klimaschutz etc . enthalten . Ferner legt das Handelsübereinkommen Mechanismen fest, mit denen die Durchführung der Bestimmungen überwacht wird . Dies wird die Beziehungen konstruktiv voranbrin- gen und deutlich verbessern . Der Beitritt Ecuadors zum Handelsübereinkommen von Peru und Kolumbien ist Garant für mehr Handel, Investitionen, Arbeitsplätze und größeres Wirtschafts- wachstum zugunsten aller Bevölkerungsschichten in Ecuador . Damit kann das Land in seinen Anstrengungen für mehr Entwicklung, Stabilität und die Stärkung der Menschenrechte unterstützt werden . Ich möchte hier auch ganz generell nochmals eine Lanze für den Freihandel brechen . Gerade wir als Deut- sche haben in den letzten Jahrzehnten mit am meisten von freien Märkten profitiert, wir sind ja praktisch die Erfinder von Freihandelsabkommen. Ich kann ja durch- aus nachvollziehen, dass es in einzelnen Parteien hier im Hohen Haus schwer zu verkraften ist, dass ein Land frei- willig einem Freihandelsvertrag beitreten möchte . Dies rechtfertigt aber in keiner Weise eine Blockadehaltung, welche den Menschen in Ecuador bestimmt nicht helfen wird . Die Europäische Union setzt mit ihren Freihan- delsabkommen Maßstäbe für die Welt . Die Gestaltung eines fairen und freien Welthandels ist für uns die beste Möglichkeit, unseren Wohlstand zu sichern und anderen Teilen der Welt zu Wohlstand zu verhelfen . Deswegen stimmt die CDU/CSU-Fraktion diesem Gesetzentwurf zu . Klaus Barthel (SPD): Heute geht es um den Beitritt Ecuadors zum Freihandelsabkommen der EU mit Peru und Kolumbien . Dieses ursprüngliche Abkommen hat die SPD-Bundestagsfraktion am 21 . März 2013 abge- lehnt und damit Pflöcke gesetzt für die Neuausrichtung unserer Handelspolitik in der Zukunft . Wir können heute noch jeden Satz der seinerzeitigen Begründung unter- schreiben, die uns auch in der Debatte um CETA geleitet hat . Und egal wie in der nächsten Legislaturperiode über die nationale Ratifizierung von CETA entschieden wer- den wird: Beispielsweise in der Frage der verbindliche- ren Durchsetzung von ökologischen und sozialen Stan- dards sind wir zwar nicht am Ziel angekommen, aber viel weiter als seinerzeit bei Kolumbien und Peru . Heute sehen wir: Das sogenannte Nachhaltigkeitska- pitel des Kolumbien-Peru-Abkommens stellt sich bisher als genau der zahnlose Tiger heraus, als den wir es sei- nerzeit gebrandmarkt haben . Die SPD hat im Ausschuss für Wirtschaft und Energie dazu einen Bericht der Bun- desregierung angefordert, der das eindrucksvoll belegt . Zwar haben in den knapp vier Jahren seit Inkrafttreten sage und schreibe drei Unterausschusssitzungen „Handel und nachhaltige Entwicklung“ stattgefunden, mit jeweils im Anschluss einem „öffentlichen Dialog“ . Wenn man allerdings nach konkreten Veränderungen in den Ländern sucht, etwa auch nach einer Überprüfung der Ankündi- gungen der Regierungen Perus und Kolumbiens, wird man wenig finden, auch im Bericht der EU-Kommission vom Februar 2016 . Zwar sind Nachfragen und Präsen- tationen seitens der EU erwähnt, aber keinerlei Analy- sen über tatsächliche Veränderungen . Wenn man diese Berichte so liest und im Land nach dem proklamierten gesellschaftlichen Dialog fragt, bekommt man den Ein- druck, als bewege man sich in ganz verschiedenen Wel- ten . Gerade in Kolumbien wäre dies aber angesichts der notwendigen Umsetzung des Friedensprozesses drin- gend geboten . Das Land steht am Scheideweg . Nach der Entwaffnung der FARC-Guerilla ist jetzt die Regierung am Zug, Menschen und Natur vor neuer Gewalt zum Bei- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723814 (A) (C) (B) (D) spiel durch Paramilitärs, Vertreibung, Banden- und Dro- genkriminalität und Umweltzerstörung zu schützen und für Wahrheitsfindung, Aussöhnung und Gerechtigkeit zu sorgen . Uns erreichen aber alarmierende Berichte über Morde, Einschüchterung, Entführungen und ein Machtvakuum in vielen Gebieten, aus denen sich die FARC zurückge- zogen hat . Gleichzeitig lesen wir, dass sich der Palmölex- port in die EU in drei Jahren mehr als verdoppelt hat, was in der Regel mit Vertreibung und Naturzerstörung ein- hergeht, zumindest wenn es keine entsprechende Flan- kierung gibt . Die Zeit reicht nicht aus, um im Detail über den Zu- sammenhang von Handel, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Recht und Gerechtigkeit zu referieren . Bisher lässt sich jedoch feststellen – auch mit Blick auf Peru –, dass die Verheißungen des Freihandels keineswegs in Form einer Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen angekommen sind . Dabei hätten auch wir in Deutschland und in der EU ein dringendes Interesse an ökologischer Nachhaltigkeit – Stichwort zum Beispiel Klimaschutz und Walderhaltung – und noch mehr sozi- aler Gerechtigkeit in den Partnerländern, Stichwort Ab- satzmärkte durch mehr Kaufkraft statt Ausplünderung von Rohstoffen und Agrarflächen, friedliches Wachstum statt Bürgerkrieg und Gewalt . Der Beitrag der Handelspolitik dazu stellt sich eben nicht automatisch ein, sondern bedarf massiver An- strengungen . So dringend geboten und so löblich das Engagement der Bundesregierung, auch in Gestalt des Sonderbeauftragten Tom Koenigs, im kolumbianischen Friedensprozess ist, so dringend geboten wäre die Flan- kierung dieser Bemühungen durch die EU-Handelspoli- tik und die ernsthafte Anwendung des Nachhaltigkeitska- pitels des Freihandelsabkommens . Ein weiterer Punkt unserer Kritik war und ist der bi- laterale Charakter des Abkommens, der Nachbarländern wie Ecuador keine Chance lässt, ihren eigenen Weg zu gehen . Aus guten Gründen hatten Ecuador und Bolivien seinerzeit die Verhandlungen verlassen . Da Ecuador ähn- liche Produkte wie Kolumbien und Peru ausführen will und die Zollpräferenzen verloren hat, sieht es sich nun zu einem Beitritt gezwungen, damit es wichtige Absatz- märkte in Europa nicht verliert . Bilaterale Abkommen nehmen also auf differenzier- te Interessenlagen keine Rücksicht, schaffen aber Sach- zwänge für andere Staaten . Ein Beweis mehr dafür, dass nur multilaterale, zumindest regionale Handelsbeziehun- gen und Handelsregeln dauerhaft mehr Fairness statt ein- seitiger Interessendurchsetzung bringen können . Nachdem die USA jahrhundertelang ihrem „Hinter- hof“ in Lateinamerika die Bedingungen diktiert haben und sich jetzt von ihren südlichen Nachbarn abwen- den, besteht die Chance für die EU darin, genau nicht in die postkolonialen Fußstapfen des großen Nachbarn zu treten, sondern echte Partnerschaft auf Augenhöhe, sei es ökonomisch oder politisch, anzustreben . Die Sto- ry EU-Kolumbien-Peru-Ecuador wird diesem Anspruch nicht gerecht . Wenn wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokra- ten dem Beitrittsgesetz dennoch zustimmen, dann nur deshalb, um kurzfristig großen Schaden von Ecuador ab- zuwenden, der durch den Verlust seiner Zollpräferenzen gegenüber der EU entstünde . Wir werden uns dafür einsetzen, dass dieses Abkom- men als Grundlage für Lern-, Veränderungs- und Neuge- staltungsprozesse dient . Vielleicht gelingt dieses ja schon im Zuge der Verhandlungen mit dem Mercosur, die jetzt wieder in Gang gekommen sind . Die EU-Kommission wäre gut beraten, solche Lernprozesse aufzunehmen, an- statt zu glauben, die Antwort auf Trump und den wach- senden Protektionismus sei ein Weiter-so in Gestalt einer neoliberal geprägten Handelspolitik . Heike Hänsel (DIE LINKE): Gerechtes Handelsab- kommen zwischen Ecuador und EU aufbauen! Wir entscheiden heute im Deutschen Bundestag über das Freihandelsabkommen mit Ecuador . Viel weniger zu entscheiden hatte dabei allerdings Ecuador selbst: Die EU hat dem Andenland in den Verhandlungen die Pistole auf die Brust gesetzt . Die Regierung von Ecuador hat sich immer gegen die neoliberale Freihandelspolitik gestellt, hat auf regionale Integration und soziale Wirtschaftsentwicklung gesetzt – statt sich ihre Politik von den reichen Ländern diktieren zu lassen . Ecuador und Bolivien haben eigene Vorschlä- ge für ein entwicklungsförderliches Handelsabkommen gemacht; alle wurden brüsk von der EU zurückgewie- sen . Nach jahrelangem Druck in den Verhandlungen hat Ecuador nur die Wahl, sich der neoliberalen Handelslo- gik der EU anzuschließen – oder all seine Zollpräferen- zen zu verlieren . Das hätte fatale Auswirkungen für die ecuadorianische Wirtschaft . Diese erpresserische Politik der EU lehnen wir entschieden ab! Ecuador hat seit dem Amtsantritt von Rafael Correa deutlich gemacht, wie soziale Entwicklung gelingen kann: Die Armutsrate wurde drastisch gesenkt, Bildung und Gesundheit sind heute kostenlos, die Kriminalitäts- rate ist deutlich gesunken . Das alles wurde möglich durch soziale Umverteilung: Der reichen Oberschicht wurden die Steuern erhöht, zugunsten der großen Mehrheit . Da- ran könnte sich auch die Bundesregierung ein Beispiel nehmen . Außenpolitisch hat sich Ecuador zum Sprachrohr des Globalen Südens gemacht, zum Beispiel im Menschen- rechtsrat der UN . Dort hat die Regierung von Correa den UN-Treaty-Prozess gestartet, um ein internationa- les Abkommen gegen Menschenrechtsverletzungen von Unternehmen zu erwirken . Aber den blockiert die Bun- desregierung . Genau wie sie auch die Yasuní-Initiative in Ecuador blockiert hat und dadurch effektiven Klima- schutz in Verbindung mit sozialer Entwicklungspolitik verhindert hat . Außerdem ist Ecuador in dem Handelsbündnis ALBA engagiert, um Handelspolitik grundlegend anders zu ge- stalten . Stattdessen muss das Land jetzt seinen Markt und seine Rohstoffe für die EU-Konzerne öffnen . Zu 90 Pro- zent sollen nun die Einfuhrzölle auf Nahrungsmittel ge- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23815 (A) (C) (B) (D) strichen werden, dem billigen Milchpulver aus der EU ist dann Tür und Tor geöffnet, keine Chance für lokale, nachhaltige Produktion . Das sehen wir heute schon in Kolumbien und Peru, die diese Abkommen mit der EU schon viel früher abgeschlossen haben . Diese Politik ist unverantwortlich . Am Beispiel Ecuador zeigt sich heute einmal mehr, wie die EU mit ihren sogenannten Partnerländern im Globalen Süden umgeht . Progressiven Regierungen, die wirklich die Situation der Bevölkerung verbessern wol- len, wird kein Raum gelassen . Gegenüber der mächti- gen EU bleibt Ecuador nur die Wahl zwischen Pest und Cholera – das war im Kolonialismus übrigens auch nicht anders . Dieser neoliberalen Handelspolitik können wir als Linke nicht zustimmen . Genauso wenig wollen wir aber der Bevölkerung von Ecuador noch größeren wirtschaft- lichen Schaden zufügen . Deswegen enthalten wir uns heute und fordern die Bundesregierung auf: Lernen Sie von Regierungen wie Ecuador, und sorgen Sie endlich für gerechte, solidarische Handelsbeziehungen mit La- teinamerika und dem Globalen Süden! Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Handelsabkommen der Europäischen Union mit Peru und Kolumbien war schon damals ein Fehler . Es ist stark an den Interessen transnationaler Konzerne ausgerichtet . Die dringend nötige Diversifizierung der lateinameri- kanischen Wirtschaft wird durch das Abkommen unter- bunden statt befördert . Uns liegen dazu mittlerweile die ersten empirischen Belege für die negativen Auswirkun- gen des Abkommens mit Peru und Kolumbien vor . Das Transnational Institute dokumentiert in seiner Studie, dass die beiden Länder sogar stärker als bisher als Roh- stofflieferanten fungieren. So sind die Ausfuhrmengen etwa an Kohle und Palmöl gestiegen, während gerade die weiterverarbeitende Industrie etwa im Textilbereich Einbußen verzeichnet . Auch die Regelungen zur Kapital- verkehrsfreiheit begünstigen Geldwäsche, Steuervermei- dung und Steuerhinterziehung, statt diesen einen Riegel vorzuschieben . Auch verbindliche Menschenrechts-, Öko- und So- zialstandards sucht man vergebens . Gerade erst saßen zwei Menschenrechtsaktivisten aus der südamerikani- schen Andenregion in meinem Büro . Sie berichteten von schweren Umweltzerstörungen und Menschenrechtsver- letzungen im Bergbausektor . Luft und Böden werden verseucht . Das Wasser verschmutzt, und Menschen wer- den aus ihrer Heimat vertrieben . Oft helfen korrupte Eli- ten oder gar staatliche Sicherheitskräfte dabei, die rück- sichtslose Politik der Unternehmen gegen den Willen der Bevölkerung umzusetzen . Wir dürfen die Konzerne da- mit nicht davonkommen lassen . Hierzu braucht es mehr Transparenz, gesetzliche menschenrechtliche Sorgfalts- pflichten und wirksame Sanktionen, aber auch eine Ab- kehr von der auf Extraktivismus basierenden deutschen und europäischen Rohstoffpolitik . Gerade Handelsab- kommen wie mit Peru und Kolumbien und nun Ecuador leisten solchen Entwicklungen Vorschub . Die Einhaltung internationaler Konventionen zu Menschenrechts- und Arbeitsstandards, Umweltstandards und verantwortungs- voller Regierungsführung muss deshalb wirksam in den Handelsabkommen verankert werden . All das macht deutlich, dass Ecuador und Bolivien damals aus gutem Grund aus den Verhandlungen ausge- stiegen sind . Statt auf eine gemeinsame Lösung mit der Andengemeinschaft zu setzen, haben die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten das Abkommen mit nur zwei Staaten abgeschlossen und so eine Spaltung der Andengemeinschaft vorangetrieben . Leider hat nun die verfehlte Reform des Allgemeinen Präferenzsystems dazu geführt, dass Ecuador seinen prä- ferenziellen Zugang zum europäischen Markt verliert . Und natürlich hätte dies deutliche Auswirkungen auf das Land . Ecuador drohen damit wichtige Einnahmen und Arbeitsplätze wegzubrechen . Gerade die entwicklungs- politischen Erfolge der letzten Jahre könnten durch die Verluste konterkariert werden . Wenngleich wir das Abkommen mit Peru und Kolum- bien damals abgelehnt haben, ist es in Kraft getreten und hat leider Fakten geschaffen . Diese jetzt zu ignorieren, würde unter Umständen zulasten der ecuadorianischen Entwicklungserfolge gehen . Wir werden uns deshalb enthalten . Wir wollen deutlich machen, dass wir dem Abkommen sehr kritisch gegenüberstehen . Allerdings müssen wir den nun geschaffenen Tatsachen Rechnung tragen und dürfen Ecuador nicht aufgrund einer verpass- ten Reform der europäischen Handelspolitik den ver- günstigten Zugang zum europäischen Markt verweigern . Anlage 18 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Karin Binder, Nicole Gohlke, Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla Jelpke und Alexander Ulrich (alle DIE LINKE) zu der Abstimmung über den von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Beitrittsprotokoll vom 11. November 2016 zum Handelsübereinkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mit- gliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits betreffend den Beitritt Ecuadors (Ta- gesordnungspunkt 34) Nein zu EU-Handelsabkommen mit Ecuador! Ja zu nachhaltiger Entwicklung! Mitten in der Nacht zum Freitag fand die zweite Le- sung und Schlussabstimmung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung über den Beitritt Ecuadors zum Han- delsabkommen zwischen der Europäischen Union (EU) einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits – Drucksache 18/11556 – statt, welches der Zustimmung der nationalen Parlamente unterliegt . Unter Rücksicht- nahme auf die ecuadorianische Regierung und das lin- ke Regierungsbündnis Alianza Pafs hat die Fraktion Die Linke bei der Abstimmung für eine Enthaltung plädiert . Wir lehnen sowohl den Inhalt als auch die Bedingun- gen, unter denen das Handelsabkommen zustande kam, strikt ab . Der Beitritt Ecuadors zu dem Handels- und In- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723816 (A) (C) (B) (D) vestitionsschutzabkommen, das seit dem 26 . Juni 2012 für Kolumbien und Peru gilt, ist aus einer ökonomischen Drucksituation heraus erzwungen worden . Aufgrund der Zollvorteile der konkurrierenden Nachbarstaaten im EU-Handel und des gleichzeitigen Entzugs der Zoller- mäßigungen aus dem ASP-System der EU hat die ecua- dorianische Regierung dem äußeren Druck nachgegeben . Der bevorstehende Verlust der Zollpräferenzen für die wichtigsten Exportgüter Ecuadors, darunter Bananen, Garnelen, Thunfisch und Palmöl, zwang die Regierung in die Verhandlungen . Der niedrige Ölpreis und das schwere Erdbeben von 2016, das einen erheblichen Teil der ecuadorianischen Exportgüterproduktion schwächte, erschweren zunehmend die Refinanzierung der dortigen Sozialprogramme . Das Handelsabkommen forciert den Abbau nichttari- färer Handelshemmnisse und sichert so den Zugang der EU-Konzerne zum ecuadorianischen Markt . Es treibt die Rohstoff-Extraktion voran, die Privatisierung im öffent- lichen Bereich sowie den Schutz von Investitionen und geistigem Eigentum durch Patente – ohne mit der Stär- kung sozialer und ökologischer Maßnahmen ein Gegen- gewicht zu schaffen . Für Kleinproduzenten wirkt die un- geschützte Konkurrenz aus der EU existenzgefährdend . Patente ersetzen günstigere Generika, die bisher eine breite Behandlung lebensbedrohlicher Krankheiten wie HIV/Aids ermöglichten . Die traditionelle Handelsstruk- tur zwischen den Industriestaaten als Fertigwarenexpor- teuren und den Entwicklungsländern als Rohstoffanbie- tern wird so bewusst aufrechterhalten und gestärkt . Auf eine nachhaltige Entwicklungspolitik, die auf wirtschaft- liche Diversifizierung unter Beachtung sozialer und um- weltverträglicher Standards setzt, wird verzichtet . Unsere Ablehnung richtet sich nicht gegen die ecua- dorianische Regierung und die Politik unserer Schwes- terpartei Alianza Pafs, sondern gegen die erpresserische Handelspolitik der EU sowie die auf die Exportwirtschaft ausgerichtete Politik der Bundesregierung . Die Linke lehnt alle neoliberalen Handels- und In- vestitionsschutzabkommen ab . Bei dieser Ablehnung bleiben wir . Ein Bruch mit der neoliberalen Außenwirt- schaftspolitik der EU ist eine wichtige Voraussetzung für weltweite ökonomische Entwicklung und sozialen Frie- den . Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Reformbestrebungen weiter mit Leben füllen – Leistung, Transparenz, Fairness und Sauberkeit in den Mittelpunkt der künftigen Spitzensportförderung stellen – des Antrags der Abgeordneten Özcan Mutlu, Monika Lazar, Anja Hajduk, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Konzept zur Spitzensportreform grundlegend überarbeiten – Beteiligungsrechte für Athletinnen und Athleten verankern (Tagesordnungspunkt 36 a und b) Eberhard Gienger (CDU/CSU): Die Reform des Leistungssports und der Spitzensportförderung war und ist ein zentrales Versprechen im Koalitionsvertrag . Die Bundesregierung hat – zusammen mit dem organisier- ten Sport, den Bundesländern, vielen Wissenschaftlern und Expertengruppen – ein wegweisendes Reformpa- pier erarbeitet . Noch im letzten Jahr konnte das Kom- pendium der Öffentlichkeit vorgestellt werden . Bei der Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) im Dezember 2016 wurden die Reformbestrebungen mit großer Mehrheit bestätigt . Das umfassende Konzept verspricht eine Vielzahl an innova- tiven Neuerungen und nachhaltigen Verbesserungen für die im Mittelpunkt stehenden Athleten und Athletinnen . Mit dem Reformkonzept und dem heute eingebrachten Antrag lösen wir in diesem Sinne unser Versprechen ein und untermauern unser Engagement für eine Erneuerung des Spitzensports in Deutschland . Die Unionsmitglieder im Sportausschuss haben sich mit der Gesamtthematik lange befasst, einzelne Aspekte intensiv beraten und die Reform nicht zuletzt mit dem vorliegenden Antrag konstruktiv begleitet und geprägt . Wir gehen in der parlamentarischen Initiative auf zahl- reiche „Bausteine“ des Reformprojektes differenziert ein und tragen an verschiedenen Stellen zu einer „Feinjustie- rung“ bei . Dabei haben wir insbesondere die Fragen und Sorgen unserer Athleten und Athletinnen aufgegriffen und in den Mittelpunkt gestellt . Mit einigen Präzisierun- gen im Antrag können wir zudem hoffentlich so manches Missverständnis im öffentlichen Diskurs aufklären . Zu den Forderungspunkten im Antrag: Für das Gelin- gen des Reformprozesses halten wir eine unabhängige sowie hauptamtlich geführte Athletenvertretung für un- verzichtbar. Dies wollen wir auch finanziell unterstützen. Welchen Mehrwert und Fortschritt dies bedeuten kann, sieht man eindrucksvoll an den aktuell eingebrachten Vorschlägen der Athletenvertretung zur „Dualen Karrie- re“ bei der Bundeswehr . Die Bundesverteidigungsminis- terin Ursula von der Leyen hat prompt reagiert und kon- krete Verbesserungen angestoßen, wovon künftig viele Sportler und Sportlerinnen profitieren werden. Wir wollen aber auch Initiativen mit der Wirtschaft, den Handwerkskammern und Bildungsträgern in den Blick nehmen, um eine bessere Vereinbarkeit von Spit- zensport und (schulischer, beruflicher, akademischer) Ausbildung zu ermöglichen. Die sportliche und berufli- che Entwicklung von Leistungssportlern soll sich dahin gehend ebenso in der Reform widerspiegeln . Deshalb fordern wir eine enge Abstimmung mit den Bundeslän- dern, zum Beispiel bei der Nachwuchsförderung (unter anderem bezüglich wohnortnaher Angebote) . Die durch Thomas de Maizière angestoßene BMI-In- itiative „Sprungbrett“ bildet in diesem Kontext eine Art „Klammer“ und steht für die sportpolitische Prämisse, die Athleten und Athletinnen nach der sportlichen Karri- ere nicht einfach sich selbst zu überlassen . Die angespro- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23817 (A) (C) (B) (D) chene „Nach-Aktiven-Förderung“ sichert einen geordne- ten Übergang der Athleten in den Beruf und ermöglicht zugleich, sich zum Ende der (sportlichen) Karriere noch- mals komplett auf das Training bzw . den Zielwettkampf zu konzentrieren . In unserem Antrag setzen wir uns weiterhin dafür ein, dass nach Lösungen für einen Ausgleich bei der Alterssicherung gesucht wird . Erst am Mittwoch, dem 17 . Mai 2017, haben wir dies im Sportausschuss erneut mit der Athletenvertretung diskutiert . Der Verweis auf die UN-Behindertenrechtskonvention macht im Übrigen deutlich, dass wir bei allen Punkten im Antrag auf die In- klusion und Gleichbehandlung von Spitzensportlern mit bzw . ohne Behinderungen setzen . Die Athleten und der Schutz ihrer Gesundheit stehen für uns an erster Stelle! Übergeordnet ist damit das Be- kenntnis zum humanen Leistungssport verbunden . Es bedeutet aber auch gleichsam die „Null-Toleranz“ ge- genüber Doping oder anderen Formen der Manipulation . Im engeren Sinne sind unter dem Gesundheitsas- pekt natürlich genauso konkrete Präventionsmaßnah- men bezüglich der Vermeidung akuter oder chronischer Sportverletzungen zu verstehen . So muss zum Beispiel chronischen Gehirnerschütterungen bzw . Kopftraumata entschieden begegnet werden . Zum Gesundheitsschutz zählt zudem die Unversehrt- heit der Person: Die Safe-Studie der Deutschen Sportju- gend (DSJ) wie auch einzelne Vorfälle an Trainingsorten haben auf erschreckende Weise neuen Handlungsbedarf gegen sexualisierte Gewalt im Sport offengelegt . Lassen Sie mich das ganz deutlich sagen: Die Bundesregierung wird die staatlichen Zuwendungen künftig von wirksa- men Präventionskonzepten abhängig machen, um alles nur Erdenkliche gegen derartige Vorkommnisse und Ge- fahren zu unternehmen . Niemand wird bestreiten, dass für eine erfolgreiche Umsetzung der Leistungssportreform auch die Trainer und Trainerinnen und ihr Arbeitsumfeld in den Blick ge- nommen werden müssen: Mit unserem Antrag wollen wir dazu beitragen, dass das Berufsbild „Trainer“ geschärft wird und die Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessert werden . Die angestrebte Konzentration von Olympia- und Bundesstützpunkten soll einer deutlichen Verbes- serung der Trainingsbedingungen dienen und auf einer faktengestützten Analyse basieren . Insgesamt gilt es, der Sportinfrastruktur des Spitzensports einen größeren Stel- lenwert beizumessen und behinderten Leistungssportlern moderne und praxistaugliche Trainingsmöglichkeiten zu bieten . Das beste Reformkonzept ist nichts wert, wenn es in der „Schublade“ verschwindet und nicht konsequent umgesetzt wird . Deshalb freue ich mich sehr, dass nach dem Beschluss des Reformvorhabens mit der Realisie- rung bereits begonnen wurde . So konnte zum Beispiel die Potenzialanalyse-Kommission (PotAS-Kommission) am 8 . Mai 2017 in Berlin vorgestellt werden . Ende die- ses Jahres sollen schon erste Arbeitsergebnisse vorliegen . Dahin gehend begrüßen wir im Antrag ausdrücklich, dass die Ergebnisse zu den Förderkriterien (60 Attribute) künftig für jeden im Internet abrufbar sind bzw . transpa- rent dargestellt werden . Wir wollen gleichsam die Poten- zialanalyse fortlaufend evaluieren und davor bewahren, durch immer mehr Variablen zu einem „Bürokratiemons- ter“ zu werden . Die Verwaltungskosten müssen in einem „gesunden Verhältnis“ zu den Sportfördersummen ste- hen . Die Liste der Förderattribute zeigt, dass wir die olym- pischen (Sommer-/Winter-)Sportverbände bei ihrer Ar- beit unterstützen wollen, gegebenenfalls nicht genutzte Potenziale für die Athleten und Athletinnen zu aktivieren . Und schließlich: Der dritte Fördercluster mit bis dato festgestellten „wenig Potenzialaussichten“ bedeutet nicht das Ende! Hier soll den (gegebenenfalls betroffe- nen) olympischen Verbänden eine Basisförderung auf vier Jahre in Aussicht gestellt werden, damit ein An- schluss bzw . eine Rückkehr an die Weltspitze möglich bleibt . Unser Sportminister Thomas de Maizière (BMI) hat zudem immer wieder betont, dass auf Reformen auch Investitionen folgen . Kurzum: Auch als Haushaltsgesetz- geber wollen wir als Parlamentarier zu einer Moderni- sierung des Spitzensports beitragen und uns für entspre- chende Rahmenbedingungen einsetzen . Der Unionsantrag zur Reform des Leistungssports bzw . der Spitzensportförderung befasst sich ferner inten- siv mit der Wertedimension und dem Schutz der Integ- rität des Sports: Die Forderungen der Union im Antrag können dahin gehend in direkter Verbindung zum neuen Anti-Doping-Gesetz und zum Gesetz zur Bekämpfung von Spiel- und Wettmanipulation gesehen werden . Bei- des sind Erfolge der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der 18 . Wahlperiode und ein Zeichen für eine verantwor- tungsvolle Sportpolitik . Nach den strafrechtlichen Ver- schärfungen brauchen wir allerdings nunmehr eine ver- stärkte Ermittlungsarbeit sowie die Einrichtung weiterer Schwerpunktstaatsanwaltschaften . Und: Es gilt, vor allem eine breite sowie offene Debat- te über die Bedeutung des Spitzensports und dessen Wer- tekanon zu führen . Ich bin zuversichtlich, dass zum Bei- spiel der Fair-Play-Preis vonseiten der Bundesregierung wieder enger begleitet und unterstützt wird, wie auch an- dere programmatisch-pädagogische Maßnahmen ergrif- fen werden . Denn: Das Strafrecht soll – dem Grundsatz nach – immer die Ultima Ratio darstellen! Eine Reform des Spitzensports und Unterstützung durch die Bundesregierung machen allerdings nur Sinn, wenn von einer Chancengleichheit der Athleten im inter- nationalen Wettbewerb (um Platzierungen und Medail- len) ausgegangen werden kann . Das russische Staatsdo- ping zu Olympischen Spielen, die neuen Auffälligkeiten bei (Doping-)Nachtests oder die gänzlich unterschiedli- chen (Doping-)Kontrollsysteme in verschiedenen Län- dern untergraben das Vertrauen in den fairen internati- onalen Wettbewerb . Deshalb fordern wir im Antrag, auf Ebene der Weltsportministerkonferenz und des Europa- rates den Kampf gegen Doping im Sport zu verstärken und sich für eine größere Unabhängigkeit der Welt-An- ti-Doping-Agentur (WADA) einzusetzen . Über eine fraktionsübergreifende parlamentarische Initiative zur Reform des Spitzensports hätte ich mich gefreut . Der Antrag der Opposition überzeugt leider Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723818 (A) (C) (B) (D) nicht, da fachliche Fehler offensichtlich werden . Zu- dem verbleiben die Forderungen auf dem Niveau von Allgemeinplätzen . Positiv beim Grünen-Antrag ist, dass nicht – wie zuletzt – mit „Kopieren“ und „Einfügen“ ge- arbeitet wurde . Allen an der Reform beteiligten Personen sei hier nochmals ganz herzlich für ihren Einsatz gedankt . Ich bin sicher, dass sich die Arbeit gelohnt hat und wir die Rahmenbedingungen für unsere Athleten und Athletin- nen deutlich verbessern werden . Jeannine Pflugradt (SPD): Für mich ist der deut- sche Spitzensport unmittelbar mit der Umsetzung dua- ler Laufbahnen verbunden . Da Athletinnen und Athleten keinen anerkannten Beruf – Stichwort: Berufssportler – mit monatlichem Grundgehalt ausüben, sind sie auf ei- nen zweiten – den beruflichen – „Karriereweg“ ange- wiesen . Die Bundespolitik ist deshalb als Förderer des Spitzensports – unabhängig von Bundeswehr, Bundes- polizei, Zoll und schon bestehenden Projekten wie dem BMI-Projekt „Sprungbrett Karriere“ sowie der Stiftung Deutsche Sporthilfe – besonders gefordert, Akteure des Sports, des Bildungssektors, der Wirtschaft und der Lan- despolitik zu einer engeren Zusammenarbeit zu bewegen und auf eine intensive Unterstützung der Athletinnen und Athleten zu drängen . Um eine dauerhafte Spitzenposition im internationa- len Sport einzunehmen, bedarf es eines wirksamen För- dersystems, dessen Wirksamkeit sich nicht allein anhand der Höhe der bereitgestellten finanziellen Mittel messen lässt . Die deutsche Spitzensportförderung hat einen hu- manen Anspruch und übernimmt auch nach der sportli- chen Laufbahn Verantwortung für ihre Athletinnen und Athleten . Deshalb nimmt die Förderung der dualen Lauf- bahn hierzulande zu Recht eine besondere Stellung ein . In richtiger Abstimmung miteinander verstärken sich Spitzensport und Berufs- bzw . Bildungslaufbahn gegen- seitig . Erfolgsentscheidend dabei ist, ob einer individuell für die Athletin oder den Athleten entwickelten ganzheitli- chen Strategie gefolgt wird . Eine solche Strategie setzt bestenfalls schon im Kindesalter an und orientiert sich stark an den Wünschen, Zielen und Bedürfnissen der Athletinnen und Athleten . Besondere Wichtigkeit erlangt eine ganzheitliche Strategie in der Zeit nach dem Schul- abschluss . Für Jugendliche und junge Erwachsene sollten sich in dieser wichtigen Umbruchphase aussichtsreiche Perspektiven für ein Leben mit und nach dem Spitzen- sport eröffnen . Derzeit gibt es 37 Laufbahnberaterinnen und -berater des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), die aufgrund der Anzahl der Spitzensportler keine ganz- heitliche, langfristig angelegte sowie individuelle Lauf- bahnberatung anbieten können . Hier, denke ich, ist eine Aufstockung der Zahl der Beraterinnen und Berater sehr sinnvoll und notwendig . Bedauerlicherweise sind mir im neuen Förderkonzept für den Spitzensport zu viele Fragen um das Thema „Du- ale Karriere“ bei Spitzensportlern offen geblieben . Das Konzept rund um die Entwicklung der PotAS-Kommis- sion enthält weitgehend oberflächliche sowie vage Infor- mationen und nur wenig Neues in diesem Bereich . Den Athleten in den Mittelpunkt des Förderkonzepts zu stellen, bedeutet nicht nur, ihn in bestimmte För- dercluster einzuordnen, sondern ihn als Mensch mit au- ßergewöhnlichen sportlichen sowie gesellschaftlichen Leistungen zu betrachten . Ein praktikables sowie funk- tionelles Nebeneinander beider Laufbahnen ist für jeden Athleten unermesslich und steigert die Qualität der Leis- tung . Deshalb spreche ich mich dafür aus, gemeinsam mit den Bundesländern auf die bundesweit flächendecken- de Einführung von Profilquoten für einen erleichterten Hochschulzugang der Athletinnen und Athleten in allen Bachelor- und Masterstudiengängen hinzuwirken . Wir sollten in Zeiten des digitalen Wandels gemein- sam mit den Bundesländern eine Flexibilisierung der Studienbedingungen durch mehr E-Learning-Angebote, weniger Präsenzpflicht, mehr Blockunterricht, ein grö- ßeres Angebot an Fernstudiengängen und eine Verrin- gerung der örtlichen Bindung bei der Ableistung von Prüfungen erreichen . Und wir sollten gemeinsam mit den Akteuren der Wirtschaft, den Handwerkskammern und den Bildungsträgern auf eine Entlastung der Athletinnen und Athleten hinwirken, indem nach § 8 des Berufsbil- dungsgesetzes (BBiG) und § 27 des Gesetzes zur Ord- nung des Handwerkes (HwO) mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätze in Teilzeit sowie mehr Möglichkeiten der Arbeit im Homeoffice geschaffen werden. Spitzensportlerinnen und Spitzensportler verdienen es, dass wir ihnen die bestmöglichen Rahmenbedingun- gen für beide „Karrierewege“ ermöglichen . Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Wenn wir an den Leistungssport denken, haben wir sofort drahtige Athle- tinnen und Athleten vor Augen, die unter vollem körper- lichen Einsatz sportliche Höchstleistungen vollbringen . Wir denken an die Olympischen und Paralympischen Spiele, an Medaillen, an volle Stadien und ein begeister- tes Publikum . Wir alle sehen die Erfolge am Ende einer langen Pha- se der Vorbereitung – der Blick in das Vorfeld dieser Höchstleistungen entzieht sich den meisten . Doch dieser Blick lohnt sich! Die Athletinnen und Athleten sind in ihrer Wettkampf- vorbereitung von einem Kompetenznetzwerk umgeben: Trainerinnen und Trainer, Physiotherapeuten, Sportpsy- chologen – sie alle unterstützen die Sportler auf vielfäl- tige Weise . Dazu kommt eine sportwissenschaftliche Be- treuung . Hier wird ausgelotet, wo es noch Stellschrauben gibt, um die Leistungen zu verbessern, sei es beim Sport- ler selber oder beim Sportgerät . Das Ziel ist, Leistungen mit wissenschaftlichen Instrumenten zu optimieren und dabei Wettbewerbsvorteile zu schaffen . Drei solcher In- stitute sind fester Bestandteil unserer Spitzensportförde- rung: das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT), die Trainerakademie (TA) und das Institut zur Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES) . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23819 (A) (C) (B) (D) Und das eine davon – das FES – befindet sich in meinem Wahlkreis Treptow-Köpenick . Ein tolles Team arbeitet hier täglich daran, die best- möglichen technischen Voraussetzungen für unsere Spit- zensportlerinnen und Spitzensportler zu schaffen . Davon konnte ich mich mehrfach überzeugen . In ihrer Arbeit kommt es manchmal auf minimale Veränderungen am Sportgerät an . Nehmen wir den Bob-Sport . Da geht es zum Beispiel um vibrationsarme Hauben, um aerodyna- mische Sitze, um komplizierte Lenksysteme und um auf jedes Eis abgestimmte Kufen . Das ist ein hochkomple- xer Vorgang, und der technologische und internationale Wettstreit um das beste Material und die beste Konstruk- tion schreitet ständig fort . Millisekunden entscheiden über Sieg oder Niederlage, und damit steht auch die Technologie im Wettkampf . Fest steht, die Arbeit der wissenschaftlichen Institu- te ist für den Erfolg der Athletinnen und Athleten ganz maßgeblich, und ihre Bedeutung nimmt mit dem Fort- schritt bei Analyse und Technik zu . Im internationalen Wettbewerb ist die Anwendung wissenschaftlicher Tech- niken bei der Optimierung des Zusammenspiels zwi- schen Sportgerät und Sportler längst zu einem entschei- denden Parameter geworden . Hier gibt es kein Zurück . Das bedeutet auch, dass die Institute finanziell so gestellt werden müssen, dass der Leistungssport davon profitie- ren kann . Die gerade laufende Reform der Spitzensportförde- rung ist für uns Anlass, diesen Anspruch noch einmal deutlich zu machen . Wissenschaft und Spitzensport sind untrennbar miteinander verbunden, und wir wollen, dass sich dieser Grundsatz in einer verstetigten Förderung der Institute IAT, FES und der Trainerakademie nieder- schlägt . Deswegen haben wir diesen Aspekt und weite- re uns wichtige Punkte in unserem Antrag aufgegriffen . Lassen Sie uns gerne in den Ausschussberatungen dazu ins Gespräch kommen . Dr. André Hahn (DIE LINKE): Eigentlich sollten die Anträge der Koalition und der Grünen zum Konzept der Spitzensportreform ohne Debatte in den Sportausschuss überwiesen werden – dies hat die Linke nicht akzeptiert . Statt einer echten Debatte als Tagesordnungspunkt 36 um 5 Uhr morgens vor einem sicherlich nahezu leeren Plen- arsaal werden nun die Reden zu Protokoll gegeben . Warum haben wir als Linke eine Diskussion gefor- dert? Am 28 . September 2016 stellten Bundesinnenminister de Maiziere und DOSB-Präsident Hörmann dem Sport- ausschuss ihr Konzept zur „Neustrukturierung des Leis- tungssports und der Spitzensportförderung“ vor . Am 3 . Dezember 2016 stimmte der DOSB auf seiner Mitgliederversammlung diesem nach massiver Kritik mit Datum vom 24 . November 2016 nur leicht veränderten und noch immer unvollständigen Konzept bei nur einer Gegenstimme zu . Ich war ja in Magdeburg dabei und verstehe das bis heute nicht . Für den Sport sind mit diesem Konzept sehr gewichti- ge und tiefgreifende Entscheidungen verbunden, die mei- nes Erachtens die Mitwirkung des Parlaments erfordern . Dies hat die Linke mehrfach im Sportausschuss und in Anfragen an die Bundesregierung deutlich gemacht . Trotzdem erfolgte keine förmliche Einbindung des Par- laments . Erst mit dem Antrag der Grünen von Ende Januar wur- de ein Weg geschaffen, das Thema doch noch in dieser Wahlperiode im Bundestag zu debattieren . Die in dem Antrag formulierten Forderungen stimmen weitgehend überein mit den Positionen, die die sportpolitischen Spre- cher und Sprecherinnen der Linken im Bundestag und in den Landtagen in einer „Magdeburger Erklärung“ am 7 . November 2016 bereits öffentlich gemacht hatten . Zur Erinnerung hier noch einmal die fünf Punkte: „1 . Nicht akzeptabel ist zuerst das intransparente Verfahren . Gremium und Arbeitsgruppen aus DOSB, BMI und Sportministerkonferenz (SMK) tagten hinter verschlossenen Türen . Wichtige Akteure wie die Sport- politiker und Sportpolitikerinnen des Bundestages und der Landtage oder der Allgemeine Deutsche Hochschul- sportverband (adh) waren nicht beteiligt und werden jetzt vor vollendete Tatsachen gestellt … 2 . Nicht akzeptabel ist insbesondere die ausschließ- liche Fixierung auf Podiumsplätze bei Olympischen Spielen, Paralympics und Deaflympics. Medaillen dür- fen nicht das einzige Kriterium einer künftigen Förde- rung des Spitzensports sein . Vielmehr ist das Verhältnis des Spitzen- und Leistungssports zum Schul- und Brei- tensport zu klären . Wir brauchen dringend eine öffent- liche Diskussion über den Stellenwert des Sports in der Gesellschaft . 3 . Nicht akzeptabel sind weiterhin die wenig substan- ziellen Vorschläge zur Nachwuchsentwicklung und zur „Dualen Karriere“ . Letztere darf nicht nur bei Bundes- wehr, Polizei und Zoll, sondern muss auch in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes und in der Privat- wirtschaft möglich sein . Zweifelhaft scheinen auch die Wirksamkeit der computergestützten Potenzialanalyse und der Sinn der geplanten neuen Kaderstrukturen . 4 . Nicht akzeptabel ist die aktuelle Situation der Trai- nerinnen und Trainer . Der organisierte Sport braucht gut ausgebildetes Personal und in angemessener Zahl Traine- rinnen und Trainer mit langfristigen Tarifverträgen, die in der Eingruppierung mindestens denen von Lehrerinnen und Lehrern an öffentlichen Schulen anzugleichen sind . 5 . Nicht akzeptabel sind schließlich auch die Vorschlä- ge zur künftigen Förderung des Spitzensports von Men- schen mit Behinderungen . Wenn überhaupt, kommen die Paralympics und Deaflympics in diesem Konzept nur am Rande vor . Notwendig ist aber eine gleichwertige Förde- rung für Sportlerinnen und Sportler, für Trainerinnen und Trainern und dem sonstigen Personal in diesem Bereich . Der Behindertensport darf nicht länger schlechter gestellt werden, im Gegenteil: Behindertenbedingte Nachteile und Mehraufwendungen müssen künftig ausgeglichen werden .“ Insofern werden wir also den Antrag der Grünen auch unterstützen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723820 (A) (C) (B) (D) Seit gestern liegt nun doch noch ein Antrag der Koali- tion zur Spitzensportreform vor – acht Monate, nachdem die von ihr getragene Regierung ihr Konzept vorstellte und seitdem viel Unruhe und Chaos schuf . Allerdings entsprechen die im Antrag enthaltenen Feststellungen und Forderungen doch erkennbar dem un- verbindlichen Ton des eigentlichen Konzeptes . Auch in den einzelnen Handlungssträngen – die zudem zuerst von den zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln abhängig gemacht werden – fehlt die gerade von den Aktiven ge- wünschte Klarheit . Wie eine Monstranz tragen der orga- nisierte Sport und das Innenministerium seit Monaten die Floskel vor sich her „Die Athletin, der Athlet stehen im Mittelpunkt“ . Allerdings fehlt jede inhaltliche, vor allem aber finanzielle Unterfütterung eines solchen Bekennt- nisses, auch im Antrag der Koalition . Zumindest haben Union und SPD eine Forderung von Sporthistorikern und Sportphilosophen aufgegriffen, die die Linksfraktion seit geraumer Zeit auch im politischen Raum erhebt: Es muss endlich eine gesellschaftliche De- batte zur Bedeutung des Spitzensports geben . Dies ist übrigens ein weiterer Grund für mich, zumin- dest diese Protokoll-Debatte im Bundestag zu führen . Die Koalitionsfraktionen sind trotz der im Antrag einge- forderten Gesellschaftsdebatte weiterhin nicht bereit, im Sportausschuss öffentlich zu tagen . Fraglich ist zudem auch, ob die Anträge angesichts der wenigen Sitzungswochen bis zur Bundestagswahl über- haupt noch abschließend im Plenum debattiert werden . Nunmehr hat die Öffentlichkeit wenigstens durch die zu Protokoll gegebenen Reden die Möglichkeit, zu erfahren, wie sich die Fraktionen zu den beiden Anträgen, aber auch zur Spitzensportreform an sich positionieren . Das vom Bundesinnenminister präsentierte Konzept zur „Neustrukturierung des Leistungssports und der Spit- zensportförderung“ lag der Bundesregierung bei ihrer Kenntnisnahme in der Kabinettssitzung am 15 . Febru- ar 2017 ebenso wie dem DOSB am 3 . Dezember 2016 nur unfertig vor . Alle Erfahrungen und Berichte aus den Sportfachverbänden verdeutlichen zudem akuten Nach- besserungsbedarf . Ich meine: Diese Baustellen müssen endlich in ei- nem transparenten Verfahren zwischen dem DOSB und seinen Mitgliedsverbänden sowie der Politik mit ihren Vertreterinnen und Vertretern aus Bundesregierung, Bundesländern und Bundestag bearbeitet werden . Die derzeit erlebbare Ignoranz und Selbstherrlichkeit der Verantwortlichen im Bundesinnenministerium könnten perspektivisch zum Sargnagel für das Konzept werden und damit dem Leistungs- und Spitzensport großen Scha- den zufügen . Bei der Diskussion zum 13 . Sportbericht der Bundes- regierung am 19 . Januar 2017 hatten wir mit Blick auf die überfällige gesellschaftliche Debatte einen Entschlie- ßungsantrag vorgelegt, der fünf Kernforderungen sport- politischer Leitlinien der Linken enthielt: Erstens soll der Sport als Staatsziel im Grundgesetz verankert und endlich ein Sportfördergesetz erarbeitet werden . Zweitens soll jede Sportförderung des Bundes auch einer zunehmenden breiten sportlichen Betätigung für alle und der Gesundheit der Menschen von frühes- ter Kindheit bis ins hohe Alter dienen . Drittens soll die Spitzensportförderung angemessene, verlässliche und langfristige Rahmenbedingungen für die Sportlerinnen und Sportler, für Trainerinnen und Trainer und weitere Akteure schaffen . Viertens muss die Sportstätteninfra- struktur in Bund, Ländern und Kommunen erhalten und systematisch verbessert werden . Und fünftens brauchen wir einen konsequenten Kampf gegen Doping, Betrug und Korruption im Sport . Die Linke begrüßt das grundsätzliche Ansinnen, die Spitzensportförderung neu zu strukturieren . Das vorge- legte Konzept zur Reform halten wir aber nach wie vor in mehrfacher Hinsicht für äußerst problematisch . Es fehlen weiterhin wichtige Bestandteile wie bei- spielsweise das Finanzierungskonzept . Zumindest ist uns bisher keines bekannt . Angesprochen habe ich auch schon die prekäre Personalsituation bei Trainerinnen und Trainern, und völlig unzureichend sind auch weiter- hin die Möglichkeiten für eine duale Karriere von Spit- zensportlern . Die Athletenkommission drängt zu Recht nachdrücklich und öffentlich auf eine Fürsorgepflicht des organisierten Sports und der Politik für seine her- ausragenden Präsentanten – und das sind nun einmal die Sportlerinnen und Sportler, die die Erfolge erringen . Auch die aus Sicht der Linken nicht akzeptable Fixie- rung auf Medaillen bei Paralympics und Olympischen Spielen muss korrigiert werden und darf aus unserer Sicht nicht vorrangiger Maßstab für die Sportförderung von Innenministerium, DOSB und der Deutschen Sport- hilfe sein . Und klar sollte auch sein: Die Zukunft des Sports darf definitiv nicht über eine computergestützte Potenzialanalyse definiert und auf eine medaillenorien- tierte Kaderschmiede reduziert werden . Ich bin sicher, dass wir zur Zukunft des Sports und des Spitzensports nicht das letzte Mal in diesem Hause diskutieren . Ernsthafte Korrekturen sind in dieser Wahl- periode mit der jetzigen Koalition leider nicht mehr zu erwarten . Es bleibt die Hoffnung, dass nach der Bun- destagswahl mit anderen Mehrheiten und deutlich mehr Druck aus den Reihen des organisierten Sports, vor allen vonseiten der Athletinnen und Athleten, ein wirklich zu- kunftsfähiges Konzept entsteht . Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister De Maizière, die Reform der Spitzensportförde- rung, die Sie derzeit bereits umsetzen, gehört aus grüner Sicht dringend überarbeitet . Warum, ist ganz einfach zu erklären . Die gewünschte Vorbildwirkung des Sports und der tatsächliche Zustand des funktionärsdominierten Spit- zensports klaffen zurzeit weit auseinander . Innenminis- terium und Deutscher Olympischer Sportbund haben aber nie eine sachgerechte Analyse dazu durchgeführt . Es wäre dringend notwendig gewesen, Situation und Zu- stand des Spitzensports bereits im Vorfeld der Reform zu diskutieren, und zwar mit einer breiten Öffentlich- keit, mit Sportlerinnen und Trainern, Wissenschaftle- rinnen und Bürgern . Stattdessen sind Ihre Vorschläge an Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23821 (A) (C) (B) (D) Schreibtischen und in Geheimrunden gefallen . Am Ende haben Sie leider Vorschläge aus einem verengten Sport- verständnis heraus vorgelegt . Für uns steht fest: Spitzensport darf keine Möglichkei- ten der Machtdemonstration mehr bieten . Einen Rückfall in den Kalten Krieg darf es nicht mehr geben . Es muss Schluss sein mit staatlichem Doping in einigen Ländern, um mehr Medaillen zu gewinnen . Ein Geheimdienst wie in Russland hat im Sport nichts zu suchen . Wir müssen endlich Prinzipien eines humanen Spitzensports ver- ankern . Es darf nicht sein, dass im Spitzensport einige Länder Kleinkinder über Jahre mit brachialen Methoden trimmen, um sie dann nach und nach – oft halbkaputt – wieder auszusortieren . In solcher Gesellschaft wollen wir uns nicht wiederfinden. Ist das der Sinn von Olympischen Spielen? Wollen wir da mitmachen? Begeistert uns nicht vielmehr diese olympische Idee, die so oft wiederholt wird, aber von der Wahrheit weit entfernt ist, der Traum vom friedlichen Kräftemessen mit Menschen aus aller Welt, von span- nenden Wettkämpfen mit Fairness im Vordergrund, vom großen Sportfest, „Dabei sein ist alles“, eine gute Platzie- rung ein Riesenerfolg? Die Reform der Spitzensportförderung aus dem In- nenministerium will die Gelder nun so verteilen, dass Deutschland sich im Medaillenspielgel im Idealfall bald irgendwo zwischen China und Russland wiederfindet. Daran gibt es berechtigte Kritik . Der Sportphilosoph Gunter Gebauer hat das in einer öffentlichen Anhörung des Sportausschusses zu Recht als „schlechte Nachbar- schaft“ bezeichnet . Das bestehende, kranke Spitzensport- system wird damit nicht hinterfragt, nicht kritisiert oder gar verändert, sondern es wird in seiner einseitigen Me- daillenausrichtung zementiert . Dabei könnte und sollte Deutschland einen anderen Weg gehen und Vorbild sein . Und genau das ist der Grund, warum diese Reform drin- gend überarbeitet werden sollte . Dass eine Reform bitter nötig ist, darin waren und sind wir uns einig . Wir sagen, es braucht eine Reform, weil die Situation von Athletinnen, Athleten, Trainerin- nen und Trainern im Spitzensport häufig prekär ist. Sie, Herr De Maizière, sagen, es braucht eine Reform, weil diese Athletinnen und Athleten zu wenige Medaillen ge- winnen . Wir sagen, es braucht eine Reform, weil der Sport und die Sporttreibenden drohen in Doping-, Spielbetrugs-, Korruptions-, und Manipulationsskandalen verloren- und kaputtzugehen . Sie, Herr De Maizière, sagen, wir brau- chen eine Reform für mehr Medaillen, um dort anzukom- men, wo die dreisten Dopingnationen schon sind . Wir sagen, es braucht eine Reform, weil die Gelder für den Spitzensport derzeit vollkommen intransparent ver- geben werden . Sie sagen, die Gelder sollen an diejenigen vergeben werden, die mehr Medaillen bringen . Wir möchten die Athletinnen und Athleten, die Men- schen und den Sport in den Mittelpunkt stellen . Ihnen geht es um den „Return on Investment“, als wäre der Sport Teil der Marktwirtschaft, der Staat der Investor, Athletinnen und Athleten die Medaillenproduzenten . Kein Wunder aber, dass die Reform breit kritisiert wird: Sie haben im Vorfeld keine öffentliche Debatte geführt . Die Erfahrungen von Trainerinnen und Trainern und Athletinnen und Athleten haben kaum Eingang in die Vorschläge gefunden . Die Sportwissenschaft hat gefehlt . Sie haben den Spitzensport vom Breitensport getrennt, als gäbe es das eine ohne das andere . Wer hätte denn bei den Geheimverhandlungen, die Sie mit dem DOSB – und ohne den Sportausschuss – geführt haben, kritischen In- put geben können? Dass das Grundgerüst der Reform, Potenzial vorherzusagen, aus wissenschaftlicher Sicht gar nicht möglich ist, haben Sie ja bereits während der Anhörung im Sportausschuss von zahlreichen Expertin- nen und Experten erklärt bekommen . Kurz gesagt: Keine Debatte, falsches Ziel, falsche Schwerpunkte, schlechtes Ergebnis . Deshalb, sehr geehrter Herr Minister, fordern wir in unserem Antrag ein Gesamtkonzept zur Sportentwick- lung . Athletinnen, Athleten, Trainerinnen und Trainer müssen im Mittelpunkt stehen, mit besseren Beteili- gungs- und Mitspracherechten . Wir fordern ein fundier- tes Konzept zur Dualen Karriere und zur Vereinbarung von Studium und Sport . Besonders die Förderung durch staatliche Arbeitgeber bedarf an mancher Stelle dringen- der Überarbeitung . Trainerinnen und Trainer brauchen echte Berufsperspektiven, aber keine Kettenverträge . Doping, Korruption, Spielmanipulation, sexualisierte, physische und psychische Gewalt müssen wirksam und glaubwürdig bekämpft werden, in weltweiter Koopera- tion . Wie das aussehen kann, haben wir in zahlreichen Initiativen in den letzten Monaten ausgeführt . Klar ist: Hier muss dringend etwas geschehen . Mit dem aktuellen Konzept, Herr Minister, schaden Sie dem Sport in Deutschland; da müssen Sie noch or- dentlich nachbessern . Dass das Ihre eigenen Koalitions- fraktionen auch so sehen, können Sie in deren Antrag nachlesen, in 20 Punkten! 20! Dass es acht Monate ge- dauert hat, bis sich die Regierungsfraktionen endlich auf eine offizielle Meinung in einem Antrag einigen konnten, ist allerdings peinlich . Abgesehen davon stimmen mich die beiden Anträge, die wir heute in den Sportausschuss überweisen, bezüg- lich einer guten Debatte im Sportausschuss jedoch opti- mistischer . Ich freue mich auf die Diskussion und hof- fe auf eine tatsächlich grundlegende Überarbeitung der Spitzensportreform . Dr. Ole Schröder, Parl . Staatssekretär beim Bundes- minister des Innern: Die Bundesregierung begrüßt es, dass sich der Deutsche Bundestag zur Reform des Leis- tungssports und der Spitzensportförderung positioniert . Es war uns sehr wichtig, den für das Projekt zuständigen Sportausschuss kontinuierlich zu informieren und von dort auch Impulse für unsere Arbeit zu erhalten . BMI und DOSB haben dem Ausschuss mehrfach be- richtet . Im September 2016, als schließlich die Konturen der Reform erkennbar waren, trugen der Bundesinnenmi- nister und der DOSB-Präsident deren Eckpunkte vor, und im Monat darauf folgte eine Sachverständigenanhörung . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723822 (A) (C) (B) (D) Namens der Bundesregierung danke ich den Mitglie- dern des Sportausschusses für die konstruktive Zusam- menarbeit bei dem Reformvorhaben . Danken möchte ich auch dem Haushaltsausschuss; denn Teile der Reform waren schon relevant für den Haushalt 2018 . Hinweise auf fehlende Etatreife an der einen oder anderen Stelle nehmen wir als Ansporn für eine zügige Umsetzung der Reform, und ich hoffe, die anderen Beteiligten sehen dies genauso . Inzwischen wurde das Reformkonzept von der DOSB-Mitgliederversammlung mit großer Mehrheit ver- abschiedet, und auch das Bundeskabinett hat die Reform zustimmend zur Kenntnis genommen . Der Abschluss des Reformkonzepts entspricht auch der Zielstellung des Ko- alitionsvertrags zum Thema Sport . Deutschland soll als erfolgreiche Sportnation erhalten bleiben . Die Spitzensportreform fand in der öffentlichen wie in der politischen Diskussion sowohl Zustimmung als auch Kritik . Beides wird in den Anträgen, über die der Bun- destag heute abstimmt, reflektiert. Der Antrag der Koali- tionsfraktionen unterstützt unser Konzept . Selbst der Antrag der Grünen enthält eine Reihe von Maßnahmen, die im Konzept bereits zu finden sind, wie etwa verbesserte Möglichkeiten einer Dualen Karrie- re sowie Verbesserungen bei der beruflichen Situation der Trainer . Auch bei der Bekämpfung von Doping und Spielmanipulation hat die Bundesregierung mit von ihr initiierten und inzwischen in Kraft getretenen Gesetzen ihre Entschlossenheit bewiesen . Hier hätten Sie, Kolle- ginnen und Kollegen von den Grünen, bei einem sorg- fältigen Lesen des Konzepts sowie einer aufmerksamen Bewertung der Sportpolitik der Bundesregierung in die- ser Wahlperiode auf manchen Spiegelstrich verzichten können . Der Reformprozess ist aber bei Weitem nicht zu Ende . Wir haben bereits einige wichtige Schritte bei der Umset- zung unternommen . Hervorheben möchte ich die Einsetzung der Po- tAS-Kommission durch Bundesinnenminister Thomas de Maizière und DOSB Präsident Alfons Hörmann am 8 . Mai 2017 . Es ist uns gelungen, Mitglieder zu gewin- nen mit Erfahrungen jeweils als aktive Athletin, Ver- bandsverantwortlicher und Wissenschaftler . Weitere Umsetzungsmaßnahmen werden nunmehr rasch folgen; einige sind auch bereits eingeleitet . So sind wir im BMI zurzeit im Gespräch mit Vertretern der Länder, um an verschiedenen Nahtstellen Fragen der ge- meinsamen Finanzierung zu klären . Sportpolitisches Förderziel des Bundes ist es, dass sich Deutschland als Sportnation noch besser präsen- tiert – erfolgreicher, aber zugleich fair und sauber . Fairness, Achtung sportlicher Regeln und Werte sowie ein kompromissloses Nein zu Doping gehören genauso zum deutschen Spitzensport wie Leistung und Erfolg . Die Spitzensportreform auf der einen sowie das An- ti-Dopinggesetz und die Neuauflage des Dopingop- fer-Hilfefonds auf der anderen Seite sowie das Gesetz zur Strafbarkeit von Sportwettbetrug und der Manipulation berufssportlicher Wettbewerbe möchte ich hier noch er- wähnen . Sie ergänzen sich und runden eine erfolgreiche Sportpolitik der Bundesregierung, ausgerichtet an Leis- tung und Fair Play, in dieser nunmehr zu Ende gehenden Wahlperiode ab . Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei he- terologer Verwendung von Samen – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Katja Dörner, Luise Amtsberg, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Elternschaftsvereinbarung bei Sa- menspende und das Recht auf Kenntnis eigener Abstammung (Zusatztagesordnungspunkte 9 und 10) Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Ein erfüllter Kin- derwunsch ist für viele Ehepaare die Vervollkommnung ihrer persönlichen Lebensplanung, weil sie Liebe und Fürsorge für einen Menschen übernehmen wollen und in diesem und durch diesen Menschen die Fortsetzung ihrer persönlichen Vita erleben möchten . Ein unerfüllter Kinderwunsch ist demgegenüber für so manches Paar eine psychische und emotionale Belastung, die bis zum Scheitern dieser Verbindung führen kann . Lange Zeit konnte dies nur durch die Aufnahme ei- nes bereits geborenen Menschen in die Obhut der Fa- milie gelöst werden . Die Adoption, juristisch übersetzt: die Annahme an Kindes statt oder als Kind, durch Be- gründung eines rechtlichen Eltern-Kind-Verhältnisses ohne biologische Abstammung wurde schon durch das römische Recht und im Römischen Reich begründet und ermöglicht . Wie lange das emotionale Bedürfnis zur Be- gründung einer Familie schon existiert, wird hierdurch eindrucksvoll belegt . Zwischen 1940 und 1960 wurden in England in ei- ner sogenannten Fruchtbarkeitsklinik erste Forschun- gen über die künstliche Befruchtung durchgeführt . Auf- grund der mangelnden gesellschaftlichen Akzeptanz für eine Samenspende musste der damalige Begründer der Klinik, Berthold Wiesner, mit eigenem Samen die For- schung betreiben . Nach entsprechenden Aufzeichnungen führte dies zu circa 600 Kindern aus seiner Abstammung . 1978 kam mit Louise Joy Brown das erste sehr unpas- send als „Retortenbaby“ bezeichnete und im Reagenzglas gezeugte Kind zur Welt . Der medizinische Fortschritt, der durch die künstliche Befruchtung, die Insemination, also die Überwindung biologischer Fruchtbarkeitshin- dernisse, ermöglicht wurde, setzte sich dann – medizi- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23823 (A) (C) (B) (D) nisch konsequent – auch in der sogenannten heterologen Insemination fort, bei der der Samen nicht vom Ehepart- ner der Frau stammt, sondern durch die sogenannte Sa- menspende einer Drittperson gewonnen wird . Bei nüchterner medizinischer Betrachtung ist der Sachverhalt relativ unspektakulär und für die Eltern sehr erfreulich . Doch dies ist nur die Sichtweise der Eltern . Also wo liegt das Problem? Zu Beginn dieser Ent- wicklung schien die Frage des emotionalen Befindens des gezeugten Kindes bei Kenntnis seiner Zeugung und seiner genetischen Abstammung nicht im Fokus der han- delnden Personen, also der Eltern, gewesen zu sein . Viel- leicht hat man diese Frage auch nicht erkannt . Abstammung ist ein Teil der Individualität. Wir defi- nieren uns aus unserer Umwelt und aus den Personen, mit denen wir verwandt sind, insbesondere aus den Personen, aus denen wir hervorgegangen sind oder zumindest her- vorgegangen zu sein glauben . Insofern kann es eigentlich nicht zufällig sein, dass seit jeher eine gewisse Tendenz vorhanden war, diese Abweichung von der normalen bzw . als solcher empfundenen, aber nicht zutreffenden Abstammung gegenüber dem Kind verborgen zu halten . Die Rechtsprechung hat dies dann zunächst für die Frage der Adoption im Sinne der Persönlichkeitsidenti- fikation entschieden und ein Recht auf Kenntnis um die Abstammung anerkannt . Der BGH hat dies dann im Jah- re 2015 auch zugunsten des durch künstliche Befruch- tung durch Samenspende gezeugten Kindes fortgeschrie- ben . Das Samenspenderregistergesetz regelt deshalb, aber auch nur konzentriert auf den dortigen Sachverhalts- komplex, das Recht des Kindes bzw . seiner gesetzlichen Vertreter auf Kenntnis des genetischen Erzeugers und die dazu notwendigen Strukturen . Die Vorenthaltung dieser Kenntnis wäre eine unvertretbare Verletzung des Persön- lichkeitsrechts des Kindes, die durch kein Interesse eines Außenstehenden, auch wenn es sich bei der Mutter sogar um den leiblichen Elternteil handelt, gerechtfertigt wer- den könnte . Gleichwohl ist dies kein Prozess, der ohne Auswir- kung auf die psychische Situation des Betroffenen wie auch seines Umfeldes bleiben kann . Hier bedarf es der vorgesehenen Beratung- und Informationsangebote . Denn plötzlich entspricht das soziale Gefüge nicht mehr der Vorstellung . Dem trägt das Gesetz Rechnung . Eine Betroffenheit gibt es aber auch für einen wei- teren Beteiligten, den Samenspender . Aus seiner me- dizinischen Bereitschaft wird auf einmal ein konkretes menschliches Gegenüber, mit dem man sich auseinan- dersetzen muss . Der anonyme Spender wollte jedoch gerade nicht familiäre Verantwortung übernehmen . Eine solche Konsequenz muss zum Erhalt der Spendenbereit- schaft vermieden werden . Diesem Regelungsbedarf trägt das Gesetz durch den Ausschluss der rechtlichen Fest- stellung der Abstammung Rechnung . Die Erfüllung eines Informationsanspruchs zur Ab- stammung, der zu den elementarsten Interessen eines Menschen gehört, wird durch das Gesetz für einen not- wendigerweise streng reglementierten Bereich ermög- licht . Die Abstammungsregelung für den Spender ist hierbei jedoch nur ein notwendiger und folgerichtiger Annex eines speziellen Falles und dient in keiner Weise als Blaupause für eine generelle Abstammungsdiskussi- on . Dazu sind die Rechtspolitiker zu einem späteren Zeit- punkt berufen . Ich bitte daher um Zustimmung zu diesem Gesetz . Dietrich Monstadt (CDU/CSU): Zu wissen, wer die eigenen, leiblichen Eltern sind, ist das Recht eines jeden Menschen . Jeder von uns hat das Recht, zu erfahren, von wem er abstammt . Dies muss auch für diejenigen Men- schen, die mithilfe einer Samenspende gezeugt wurden, gelten . Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung wird aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Per- sönlichkeit aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit der Würde des Menschen aus Artikel 1 Absatz 1 GG abgeleitet . Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Recht in ei- nem Urteil vom 31 . Januar 1989 wie folgt beschrieben: „Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Menschenwürde sichern jedem Einzelnen einen auto- nomen Bereich privater Lebensgestaltung, in dem er sei- ne Individualität entwickeln und wahren kann . Verständ- nis und Entfaltung der Individualität sind aber mit der Kenntnis der für sie konstitutiven Faktoren eng verbun- den . Zu diesen zählt neben anderen die Abstammung . Sie legt nicht nur die genetische Ausstattung des Einzelnen fest und prägt so seine Persönlichkeit mit .“ Die Abstam- mung nehme auch eine Schlüsselstellung für Individuali- tätsfindung und Selbstverständnis ein. Dass die Kenntnis der eigenen Abstammung damit das Persönlichkeitsrecht umfasst, bestätigte zuletzt auch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28 . Januar 2015 . Seit fast 20 Jahren besteht damit ein persönliches Auskunfts- recht auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Ver- wendung von Samen . Die Frage ist, ob die Angaben, die nach der TPG-Ge- webeordnung in den Entnahmestellen zu dokumentieren sind, dies noch hinreichend gewährleisten . Vielmehr mussten wir in der Vergangenheit feststellen, dass die Suche der Betroffenen nach der eigenen Herkunft oft- mals mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden war: Welche Entnahmeeinrichtung ist die richtige? Erhalte ich dort auch die richtigen Daten? Sind die Daten überhaupt noch vorhanden? Ein langer Weg für die rund 1 000 Kin- der, die jährlich mit Hilfe einer anonymen Samenspende in Deutschland gezeugt werden . Zudem waren und sind Erb- und Unterhaltsansprüche auf beiden Seiten gesetz- lich nicht vollständig ausgeschlossen, was zu großen Problemen führt bzw . führen kann . Bereits im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart, das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft bei Samenspenden gesetzlich zu regeln . Dies wird jetzt um- gesetzt . Es wird ein zentrales Samenspenderregister beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) eingerichtet . Dort können Perso- nen, die mittels heterologer Verwendung von Samen im Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723824 (A) (C) (B) (D) Rahmen einer ärztlich unterstützten künstlichen Befruch- tung gezeugt wurden, künftig auf Antrag Kenntnis über ihre Abstammung erlangen . Neben den geweberechtlichen Anforderungen wer- den dort alle notwendigen verpflichtenden Aufklärungs-, Dokumentations- und Meldepflichten verwaltet – unter Gewährung des höchstmöglichen Datenschutzstandards . Diese Daten werden beim DIMDI maximal 110 Jahre gespeichert . Dies sichert einen uneingeschränkten und nachhaltigen Auskunftsanspruch der Spenderkinder . Wer sind meine Eltern? Wer sind meine Großeltern? Diese Fragen werden künftig über eine zentrale Informations- stelle schneller und leichter beantwortet . Damit folgen wir dem ausdrücklichen Wunsch des Spenderkindes . Kindeswohl statt Anonymität des Spenders . Genau das ist der richtige Weg . Vor jeder Samenspende muss aufgeklärt werden . Dies ist eine unabdingbare Voraussetzung für die heterologe Verwendung von Samen . Zukünftig müssen sowohl der Samenspender als auch die Empfängerin der Samenspen- de darüber aufgeklärt werden, dass potenzielle Kinder Zugang zu den Daten haben . Dabei muss auch klar sein, dass der Anspruch des Spenderkindes bei erteilter Aus- kunft nicht erlischt . Dies gilt sowohl bei einer Auskunfts- erteilung an gesetzliche Vertreter vor Vollendung des 16 . Lebensjahres des Spenderkindes als auch bei selbst eingeholter Auskunft . Letztlich haben wir auch geregelt, dass der Spender nicht als rechtlicher Vater festgestellt werden kann . Eine ergänzende Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch soll die gerichtliche Feststellung der rechtlichen Vaterschaft des Samenspenders künftig ausschließen . Damit sind Ansprüche im Bereich des Sorge-, Unterhalts- und Erb- schaftsrechts gegenüber dem Spender nicht möglich . Wir greifen damit gezielt das Anliegen der Betroffe- nen auf, das Recht auf Kenntnis ihrer Abstammung und das Finden ihrer biologischen Väter sicherzustellen . Mit dem vorliegenden Entwurf des Samenspenderre- gistergesetzes gehen wir einen wichtigen und richtigen Schritt in Richtung Zukunft . Verfahren werden verein- heitlicht und vereinfacht . Die Rechte der biologischen Spender werden klar geregelt . Deshalb werbe ich um Ihre Zustimmung . Mechthild Rawert (SPD): Menschen, die durch Sa- menspende gezeugt wurden, haben das Recht, ihre Ab- stammung zu kennen, das heißt ihren genetischen Vater . Diesem Recht entsprechen wir mit der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes . Wir schaffen damit die Voraus- setzungen, ein bundesweites Samenspenderregister beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) einzurichten . 110 Jahre werden die Daten zu den Spendern aufbe- wahrt, und genauso lang bestehen Auskunftspflichten ge- genüber den Kindern von Samenspendern darüber, wer ihr genetischer Vater ist . Es folgt aus dem Persönlichkeitsrecht des Grundge- setzes, dass Kinder von Samenspendern die Möglichkeit erhalten müssen, zu erfahren, woher sie genetisch stam- men . Es ist enorm wichtig für die Betroffenen: Das Wis- sen um die Abstammung prägt die Persönlichkeit mit . Der Regelungsbedarf, der zu diesem Gesetz führte, er- gab sich aus mehreren Gerichtsurteilen, zuletzt dem Ur- teil des Bundesgerichtshofs vom 28 . Januar 2015 . Dieses Urteil stellt klar, dass durch Samenspende gezeugte Per- sonen unabhängig von ihrem Alter ein Recht auf Kennt- nis ihrer Abstammung haben . Wir regeln mit dem Gesetz auch, dass der Samenspen- der weder durch das Kind noch durch dessen Eltern als rechtlicher Vater belangt werden kann, zum Beispiel für Erbschafts- oder Unterhaltsansprüche . Die biologischen Spender werden entlastet, bei Wunsch des Kindes auf Kenntnis der Abstammung Verantwortung übernehmen zu müssen . Ich gehe davon aus, dass dank der nun herge- stellten Rechtssicherheit die Möglichkeit einer Kontakt- aufnahme, eines Kennenlernens erleichtert wird . Dieses Gesetz ist aber noch nicht das Ende der Fah- nenstange . Es gibt weiteren Reform- und Regelungsbe- darf, denn der Themenkomplex ist riesig; außerdem hat er eine hohe gesellschaftspolitische Relevanz . Die repro- duktive Medizin, ihre technischen Möglichkeiten, ihre ethischen Fragen und gesellschaftlichen Auswirkungen sind zunehmend drängende gesellschaftspolitische The- men . Es geht schließlich um tiefsitzende Wünsche, um die Freiheit, unterschiedliche Familienformen selbstbe- stimmt zu gestalten und zu verantworten, es geht um die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und die Erfüllung im Leben . Dieser Gesetzentwurf nimmt ausschließlich Bezug auf die ärztlich unterstützte künstliche Befruchtung, auf die „offizielle“ Samenspende. Wir müssen aber auch dis- kutieren über gleiche Chancen für alle beim Thema der privaten Spende . Gerade lesbische oder alleinstehende Frauen greifen oft auf diese Möglichkeit zurück, weil für sie von vielen Ärztinnen und Ärzten, von Ärztekammern die künstliche Befruchtung abgelehnt wird . Sie greifen aber auch da- rauf zurück, weil sie bewusst andere familiale Verant- wortungsgemeinschaften leben wollen . Ich befürworte, dass für lesbische Frauen bzw . Paare oder alleinstehende Frauen die gleichen Rechte gelten wie für heterosexuelle Menschen, wenn es um die künstliche Befruchtung geht . Ich bin der Meinung, dass eine heterologe Insemination allen Frauen, das heißt unabhängig von sexueller Identi- tät oder Familienstand, offenstehen sollte . Offen ist auch noch die Frage, welche Regelungen wir hinsichtlich des Rechts auf Kenntnis der Abstammung finden, wenn der biologische Spender in einer auslän- dischen Samenbank aufgeführt ist; offen sind auch die Regelungen bei einer Eizellspende im Ausland . Darf es, kann es eine Ungleichbehandlung der Beteiligten bezüg- lich der Rechtsfolgen geben im Vergleich zu Menschen, die im Inland gespendet haben bzw . gezeugt wurden? Das Themenfeld ist groß: Wir müssen auch über die abstammungsrechtlichen Fragen diskutieren, die durch die beiden Studien des Bundesministeriums für Fami- lie, Senioren, Frauen und Jugend aufgeworfen werden: Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23825 (A) (C) (B) (D) „Geschlechtervielfalt im Recht“ und „Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen“ . All diese Fragen werden wir intensiv diskutieren, wenn die Ergebnisse des Arbeitskreises Abstammung im Sommer 2017 vorliegen . Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz hat im Februar 2015 die- sen interdisziplinären Arbeitskreis eingerichtet . An ihm sind Sachverständige für die Bereiche Familienrecht, Verfassungsrecht, Ethik und Medizin bzw . Psychologie zusammen mit Vertreterinnen und Vertretern verschiede- ner Bundes- und Landesministerien beteiligt . Ich bin schon jetzt sehr gespannt auf diese gesell- schaftliche und politische Debatte und die weiteren Re- gelungen, die wir treffen werden, um dem gesellschaftli- chen Wandel hin zu mehr Vielfalt gerecht zu werden . Wir wollen für viele Menschen gute Voraussetzungen für ein erfülltes Familienleben, ohne Rechtsstreitigkeiten schaf- fen . Kathrin Vogler (DIE LINKE): Mit dem Gesetz zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Abstammung bei heterologer Verwendung von Samen soll ein bundes- weites Samenspenderregister geschaffen und anonyme Samenspenden sollen untersagt werden . Das begrüße ich, da Spenderkinder nur auf diesem Wege endlich die Möglichkeit erhalten können, zu erfahren, von wem sie abstammen . Ein solches Gesetz war längst überfällig; zu lange schon bestand Rechtsunsicherheit für Samenspen- der und eine unerträgliche Situation für die Spenderkin- der . Doch hat die Bundesregierung leider einen sehr schlampigen Gesetzentwurf vorgelegt, der viele Fragen offenlässt . Die meisten Schwangerschaften nach Sa- menspende entstehen in Deutschland nicht durch ärzt- liche Eingriffe mit Unterstützung von Samenbanken, sondern im privaten Raum . Diese Kinder haben weiter- hin kein Auskunftsrecht über ihre genetischen Verwandt- schaftsverhältnisse . Es ist richtig, eine rechtliche Verwandtschaftsbezie- hung zwischen Samenspender und Spenderkind grund- sätzlich auszuschließen . Warum soll es aber kategorisch ausgeschlossen werden, dass ein genetischer Vater auch rechtlicher Vater werden kann, falls sich eine entspre- chend gute und vertrauensvolle Beziehung zwischen ge- netischem Vater und Kind entwickeln sollte? Hier hätten wir uns eine Ausnahmemöglichkeit gewünscht, wenn beide Seiten dies wünschen . Es ist für mich auch nicht akzeptabel, dass bei den Festlegungen zur rechtlichen Vaterschaft bei künstlicher Befruchtung weiterhin getrennt wird zwischen verheira- teten und nichtverheirateten Paaren . Der männliche Part- ner der Beziehung soll nur dann automatisch rechtlicher Vater sein, wenn das Paar verheiratet ist . Für Unverheira- tete oder erst recht für alleinstehende Frauen oder lesbi- sche Paare gibt es keine gesetzliche Regelung, sodass die konservativen Richtlinien der Ärztekammern für künstli- che Befruchtung weiterhin gelten . Zu kritisieren bleibt auch, dass ein Auskunftsanspruch eines Spenderkinds erst ab 16 gilt . Real fängt bei vielen die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität in der Pubertät an . Bereits ab 14 ist man in Deutschland reli- gionsmündig und eingeschränkt straffähig . Aus unserer Sicht wäre dies eine bessere Altersgrenze auch für das Auskunftsrecht gewesen . Auch wäre es wünschenswert, wenn bestimmte grundlegende persönliche Eigenschaf- ten des Samenspenders, also zum Beispiel Beruf, Hob- bys und dergleichen, gespeichert würden . Dann könnten sich die Spenderkinder auch ohne Kontaktaufnahme mit dem genetischen Vater eine Vorstellung von ihm machen . In Großbritannien gilt die Regelung, dass Samenspender einen persönlichen Brief hinterlegen sollen . Das könnte eine Lösung sein . Das Nichtwissen über die eigene Abstammung bleibt aber aus anderen Gründen weiter bestehen: Im Geburten- register gibt es nämlich keinen Hinweis darauf, dass die Zeugung per Samenspende erfolgte . So wissen die Be- troffenen nicht, dass der rechtliche auch der genetische Vater ist, wenn sie von ihren sozialen Eltern nicht über ihre genetische Herkunft aufgeklärt worden sind . Aber das betrifft auch die Enkel, denen ebenfalls ein Recht auf Kenntnis der Abstammung zugestanden werden sollte . Eine Fußnote im Geburtenregister für weiter gehende Daten könnte eine Lösung darstellen . Leider fehlt eine Regelung für dieses Problem im Gesetzentwurf, genauso wie Auskunftsrechte für Enkel und Kontaktmöglichkei- ten für Halbgeschwister, also Kinder des gleichen Sa- menspenders . Es fehlen weiter gehende Regelungen für die heute lebenden Spenderkinder, die ihr Recht auf Kenntnis der Abstammung nach wie vor nicht umsetzen können . Über 100 000 so gezeugten Menschen in Deutschland wird dieses Gesetz leider nicht mehr helfen . Besonders unglücklich finde ich es, dass die Zahl der per Samen eines einzelnen Spenders gezeugten Kinder nicht begrenzt wird . So kann es zu einer unübersichtlich großen Zahl an genetisch verwandten Spenderkindern kommen, verbunden mit der Gefahr, unwissentlich mit einem Halbgeschwisterkind eine Familie zu gründen, und dem damit verbundenen höheren Risiko von Erb- krankheiten . Außerdem fehlt eine Regelung zur Embryonenspen- de, sodass die Rechtsunsicherheiten in diesem Bereich bestehen bleiben . Zeugungen in Form von Embryo- nenspenden sind zwar gesetzlich nicht zulässig, aber es gibt sie dennoch . Darum muss auch für die auf diesem Wege gezeugten Kinder gesorgt werden . So geht dieses überfällige Gesetz zwar in die richtige Richtung, doch weist es bedauerlich viele handwerkliche Mängel und Regelungslücken auf . Deswegen kann sich die Linke nur enthalten . Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit Ih- rem Gesetz führen Sie endlich ein Samenspenderegister ein, und das ist zunächst einmal zu begrüßen . Leider ha- ben Sie die familien- und verfassungsrechtlichen Impli- kationen Ihres Gesetzes völlig verkannt . Aber zuerst zum positiven Teil: Das Verfassungsge- richt hat seit den 80er-Jahren mehrfach klargestellt, dass Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723826 (A) (C) (B) (D) Kinder einen verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf Auskunft gegenüber ihren Eltern haben . Niemand be- streitet mehr, dass die Kenntnis der eigenen Abstammung zentral bei der eigenen Identitätsfindung sein kann und die Unkenntnis entsprechend zu gravierenden psychi- schen Belastungen führen kann . Deswegen ist eine ano- nyme Samenspende auch jetzt schon unzulässig und eine Verletzung der Rechte des Kindes . Es gibt aber bislang einen leider sehr unterschiedli- chen Umgang mit den Auskunftspflichten gegenüber den Kindern, bis hin zur gezielten praktischen Verhinderung . Solange die Rechtslage nicht geklärt ist, will man die ei- genen Kunden vor etwaigen Erb- oder Unterhaltsansprü- chen schützen . Es ist also richtig und wichtig, dass Sie den Aus- kunftsanspruch der Kinder zumindest gegenüber den Samenbanken gesetzlich verankern . Leider beschränken Sie sich auf die Samenbanken und versäumen es, den Auskunftsanspruch auch für die privaten, also vertrau- lichen, Spenden im BGB allgemein zu verankern . Dafür nehmen Sie dem Kind durch eine einfache Ergänzung des § 1600d BGB mal eben das Recht, die Vaterschaft des biologischen Vaters feststellen zu lassen . Die Inter- essenlage der Samenbanken und ihrer Kunden ist zwar klar und eindeutig – wer Auskunft erteilen muss, will auch vor etwaigen Erb- oder Unterhaltsansprüchen abge- sichert sein . So einfach ist das allerdings nicht, und hier liegt das Grundproblem Ihres Gesetzes: Sie bringen im Gesundheitsressort ein neues Register- gesetz auf den Weg, ohne die familienrechtlichen Folgen zu Ende zu denken . So hat das Kind grundsätzlich Recht auf zwei Elternteile . Die einseitige Streichung des Fest- stellungsrechtes ginge allein zulasten des Kindes und ist damit verfassungsrechtlich unhaltbar . Wir müssen sicherstellen, dass das im Wege der Sa- menspende gezeugte Kind seinen zweiten Elternteil nicht von vorneherein verliert, weil dieser es sich möglicher- weise anders überlegt . Es muss schon vor der Zeugung möglich werden, in einer Elternschaftsvereinbarung die rechtliche Elternschaft des Wunschvaters vertraglich und verbindlich zu regeln . Das schafft nicht nur Sicherheit bei Spenden über Samenbanken, sondern gerade auch für sogenannte vertrauliche Spenden im privaten Umfeld, vor allem wenn die Eltern nicht miteinander verheiratet sind . Diese Vereinbarung sollte beim Jugendamt proto- kolliert werden und mit einer entsprechenden Belehrung über den zukünftigen Umgang mit dem Auskunftsrecht gegenüber dem Kind zu dessen Wohl verbunden sein . Außerdem müssen wir dem Kind einen gesetzlichen Weg eröffnen, künftig die biologische Vaterschaft des Spenders feststellen zu lassen, ohne dabei zugleich die rechtliche Vaterschaft neu zuzuordnen . Eine solche ge- richtlich festgestellte biologische Vaterschaft ohne Sta- tusänderung haben wir bereits vor einigen Jahren ins Gesetz eingeführt, als es um die Durchsetzung von Um- gangsrechten des biologischen Vaters ging . Es handelt sich also nicht um eine völlig neue Konstruktion . Nur wenn dem Kind ein solcher Weg zur Verfügung steht, ist es verfassungsrechtlich vertretbar, im Gegen- zug das Anfechtungsrecht der Kinder gegenüber dem rechtlichen Vater auszuschließen . Im Ergebnis würde die Elternschaftsvereinbarung sowie eine Minderjährigenad- option wirken, bei der das Kind ja ebenfalls kein Anfech- tungsrecht erhält . Nach vielen Gesprächen mit den Verbänden sowohl der Eltern als auch der Kinder kann ich Ihnen sagen: Der Ausgleich der durchaus gegenläufigen Interessen ist alles andere als banal . Die Eltern wünschen keinen zusätzli- chen Druck zur Aufklärung ihrer Kinder durch einen Eintrag im Geburtenregister, während die Spenderkinder gerne an ihrem Anfechtungsrecht gegenüber dem recht- lichen Vater festhalten, was aber die Rechtsunsicherheit aufseiten der Spender nicht aufheben würde . Unser Vorschlag, den wir hier heute zur Abstimmung stellen, ist das ausgewogene Ergebnis eines Abwägungs- prozesses zwischen Auskunftsanspruch auf der einen und Anfechtungsrecht auf der anderen Seite . Mit Ihrem Gesetz haben Sie es sich schlicht zu einfach gemacht und die Grundrechte des Kindes nicht beachtet . Weil das Samenspenderegister jetzt immerhin teilwei- se den Auskunftsanspruch des Kindes sichert, wird sich meine Fraktion heute enthalten . Die Nachbesserung im Familienrecht ist allerdings unverzichtbar und sollte so schnell wie möglich erfolgen . Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener- gie: – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Eu- ropäischen Parlaments und des Rates über die Durchsetzung der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt, zur Festle- gung eines Notifizierungsverfahrens für dienst- leistungsbezogene Genehmigungsregelungen und Anforderungen sowie zur Änderung der Richtlinie 2006/123/EG und der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszu- sammenarbeit mit Hilfe des Binnenmarkt-In- formationssystems KOM(2016)821 endg.; Rats- dok. 5278/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Euro- päischen Parlaments und des Rates über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neu- er Berufsreglementierungen KOM(2016)822 endg.; Ratsdok. 5281/17 – zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen und operativen Rah- men für die durch die Verordnung ... [ESC Regulation] eingeführte Elektronische Eu- ropäische Dienstleistungskarte KOM(2016)823 endg.; Ratsdok. 5283/17 – zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23827 (A) (C) (B) (D) zur Einführung einer Elektronischen Euro- päischen Dienstleistungskarte und entspre- chender Verwaltungserleichterungen KOM(2016)824 endg.; Ratsdok. 5284/17 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregie- rung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grund- gesetzes (Zusatztagesordnungspunkt 11) Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Der vorliegen- de Entschließungsantrag zu dem im Januar 2017 von der EU-Kommission vorgelegten Dienstleistungspa- ket soll mit Nachdruck die kritische Haltung der CDU/ CSU-Fraktion verdeutlichen . Deshalb ist es wichtig, dass wir die vom Bundestag am 9 . März 2017 verabschiedeten Subsidiaritätsrügen und Verhältnismäßigkeitsbedenken nun auch zielführend nachverfolgen . Daher soll der heu- tige Antrag die Bundesregierung bei ihren Verhandlun- gen im Rat der EU unterstützen und gleichzeitig unseren Bedenken Rechnung tragen . Das vorliegende Dienstleistungspaket geht weit über die Grenzen des Notwendigen hinaus . Es enthält zu viel Bürokratie und unnötige Regelungen, die besonders den vielen kleinen und mittelständischen Dienstleistungsan- bietern nicht zumutbar sind . Und es sind ja gerade die rund 2,5 Millionen dem Dienstleistungssektor zuzurech- nenden Betriebe in Deutschland, die unbürokratischer und leichter ihre Dienstleistungen auch im europäischen Binnenmarkt sollen anbieten können . Dies wird mit dem vorliegenden Paket der Kommissi- on nicht nur nicht gewährleistet, sondern es konterkariert auch bereits beschlossene Regelungen – zum Beispiel im Bereich der Richtlinie über die Anerkennung von Berufs- qualifikationen oder dem Einheitlichen Ansprechpartner der Dienstleistungsrichtlinie von 2006 . Wir müssen hier wachsam sein, damit Doppelstrukturen vermieden wer- den . Doch am schwersten wiegen die Bedenken des Bun- destages im Bereich der Subsidiarität und der Verhältnis- mäßigkeit der vorgeschlagenen Regelungen, welche in den im März erhobenen Subsidiaritätsrügen zum Aus- druck kamen . Ich möchte betonen, dass wir das Ziel der Kommissi- on – die Vollendung des Binnenmarktes für Dienstleis- tungen – unterstützen . Das haben wir in unserer Stellung- nahme vom 23 . Juni 2016 deutlich gemacht . Dennoch sehen wir bei dem vorliegenden Paket drin- genden Überarbeitungsbedarf . Ich möchte dies im Fol- genden ausführen . Bei dem Richtlinienvorschlag zur Festlegung eines Notifizierungsverfahrens dienstleistungsbezogener Ge- nehmigungsverfahren geht es bei unserer Kritik im Kern um zwei Punkte: die Begründungspflichten und Notifi- zierungsfristen sowie das vorgesehene Beschlussrecht der Kommission, welches vorsieht, dass hier nationale Gesetzgeber mit einem De-facto-Prüfvorbehalt der Kom- mission belegt werden . Über die Länge von Fristen und den Umfang von Be- gründungspflichten lässt sich streiten: Der vorliegende Entwurf ist besonders in Hinsicht auf die Verhältnismä- ßigkeit, gelinde gesagt, fragwürdig . Wirklich problematisch wird es jedoch, wenn um- fangreiche Begründungspflichten und kurze Fristen mit einem Prüfvorbehalt der Kommission verquickt werden . Deshalb wurde dieser Punkt mit der Rüge vom März auch ausdrücklich an dieser Stelle angemahnt . Denn die Regelungen sehen vor: Wenn die Kommission Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit einer geplanten Vorschrift mit der Dienstleistungsrichtlinie sieht, ist eine dreimona- tige Frist vorgesehen . Während dieser darf die geplante Vorschrift, vorbehaltlich der von der Kommission gefor- derten Änderungen, nicht in Kraft treten . Bestehen dann noch weiterhin Bedenken, kann die Kommission den Erlass der Vorschriften per Beschluss ganz untersagen . Ein Mitgliedstaat müsste somit den Weg vor den Europä- ischen Gerichtshof beschreiten, bevor er sein Gesetzge- bungsrecht wahrnehmen kann . Das geht zu weit! Dass die Kommission hier ihre Kompetenzen überschreitet, sollte offensichtlich sein . Denn es gibt bereits den im Vertrag von Lissabon verein- barten Weg der Klage vor dem EuGH, wenn die Kom- mission der Meinung ist, dass ein Mitgliedstaat gegen seine Pflichten verstoßen hat. Diesen Weg „umschiffen“ zu wollen, stellt nicht nur in den Augen von Bundesrat und Bundestag eine Überschreitung der Kompetenzen der Kommission dar – auch unsere Freunde und Partner in den beiden Kammern des französischen Parlaments haben hier eindeutig in Form einer Subsidiaritätsrüge Stellung bezogen . Daher fordern wir mit dem Entschließungsantrag von heute ganz deutlich: Wir müssen uns auch bei den ande- ren Mitgliedstaaten dafür einsetzen, dass dieses Notifi- zierungsverfahren nur dann zustimmungsfähig ist, wenn die Vorschläge so abgeändert werden, dass der „präventi- ve Prüfvorbehalt“ der Kommission entfällt . Ähnlich kritisch ist die Situation bei der vorgeschla- genen Richtlinie über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsreglementierungen . Ich betone: Die ständige Rechtsprechung des EuGH ist eindeutig: Die Reglementierung von Berufen ist Sache der Mitgliedstaaten . Natürlich ist es für einen funktionie- renden Binnenmarkt – zumal bei Dienstleistungen – not- wendig, eine inhaltliche Annäherung der verschiedenen europäischen Berufsreglementierungen zu erzielen . Nur so können wir guten Gewissens die beruflichen Qualifi- kationen anderer Mitgliedstaaten anerkennen – guten Ge- wissens nicht zuletzt auch im Interesse der Verbraucher, die als Kunden Dienstleistungen in Anspruch nehmen . Aber mit der Anerkennungsrichtlinie existiert bereits eine Regelung, die sicherstellt, dass weitere nationale Berufsreglementierungen nicht zu marktverzerrenden Effekten führen . Bereits jetzt wird so anhand von vier Prüfkriterien, welche auf der EuGH-Rechtsprechung zur Verhältnismäßigkeit basieren, die Verhältnismäßigkeit neuer, nationaler Reglementierungen festgestellt – oder eben nicht . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723828 (A) (C) (B) (D) Dass nun mit dem vorliegenden Vorschlag der Kom- mission elf (!) neue Prüfkriterien hinzukommen sollen, reicht aber noch nicht; nein, diese elf Kriterien werden noch um zehn weitere ergänzt! Die Kommission mag dies für effektive, engmaschige Harmonisierung auf dem Weg zu einem „durchharmoni- sierten“ Dienstleistungsbinnenmarkt halten . Ich nenne es unverhältnismäßige Bürokratie, unzulässiges Einschrän- ken nationaler Entscheidungshoheiten und ganz generell „Herumdoktern“ an der falschen Stelle . Besonders im Dienstleistungssektor, der in hohem Maße von Innovation, Qualität und Flexibilität abhängt, droht eine Überregulierung nicht nur den Dienstleis- tungsmarkt zu bremsen, sondern ihm gar zu schaden . Hier gehört nicht durchharmonisiert; hier gehört Innova- tion, Qualität und Flexibilität gefördert . Dass dies auf der Basis verlässlicher Qualitätsstandard geschehen muss, ist, wie bereits erwähnt, mit der Aner- kennungsrichtlinie sichergestellt . Und sollten hier Verän- derungen objektiv notwendig sein, sind wir auch immer für Argumente und Anpassungen mit Augenmaß offen . Aber auf einen Schlag 21 neue Kriterien einzuführen, das grenzt an puren Aktionismus, ist unverhältnismäßig und droht durch seine Engmaschigkeit die Gesetzge- bungskompetenz der Mitgliedstaaten in Bereichen einzu- schränken, in denen Harmonisierungsverbot herrscht – so zum Beispiel in der Bildungspolitik . Dies ist insbesonde- re bei uns in Deutschland mit unserem Meisterbrief und unserem vielgelobten dualen Ausbildungssystem nicht akzeptabel! Daher war und ist hier eine Subsidiaritätsrüge ange- bracht, und deshalb fordern wir auch heute mit diesem Entschließungsantrag die Bundesregierung auf, sich da- für einzusetzen, dass klargestellt wird, dass die Regle- mentierung von Berufen eine autonome Entscheidung der Mitgliedstaaten ist und auch in Zukunft bleiben wird . Das Harmonisierungsverbot im Bereich der Bildungspo- litik muss respektiert werden . Gegen den Vorschlag einer Richtlinie sowie einer Verordnung zur Einführung der Elektronischen Europä- ischen Dienstleistungskarte haben wir keine Subsidia- ritätsrüge erhoben . Die Zuständigkeit der Kommission steht hier außer Frage . Doch die vorliegende Ausgestaltung der Kommis- sion wirft massive Fragen der Verhältnismäßigkeit auf . Offensichtlich sollen hier Doppelstrukturen geschaffen werden . Wie verhält sich die geplante Dienstleistungskarte zum erst 2013 eingeführten Berufsausweis? Ungeklärt . Auch die geplanten, für die Erteilung der Dienstleis- tungskarte zuständigen „koordinierenden Behörden“ im Herkunfts- und Aufnahmestaat tragen das Risiko der Schaffung von Doppelstrukturen in sich . Wie verhalten sich die geplanten „koordinierenden Behörden“ zum mit der Dienstleistungsrichtlinie verfolgten Konzept der Ein- heitlichen Ansprechpartner? Ebenfalls ungeklärt . Hier setzt auch einer der Hauptkritikpunkte an der Dienstleistungskarte an . Diese soll von den Mitglied- staaten als Nachweis dafür akzeptiert werden, dass der Inhaber in seinem Herkunftsstaat niedergelassen und be- rechtigt ist, die ausgewiesene Dienstleistung anzubieten . Jeder Mitgliedstaat soll zu diesem Zweck eine – oben bereits erwähnte – koordinierende Behörde einrichten . Die Dienstleistungskarte wird bei der koordinierenden Behörde des Herkunftsstaates gestellt . Dieser prüft die Unterlagen und leitet sie an den Aufnahmestaat weiter . Der Aufnahmestaat hat dann innerhalb von nur vier bis sechs Wochen den weitergeleiteten Antrag zu prüfen und gegebenenfalls Widerspruch einzulegen . Kann der Aufnahmestaat diese Prüffrist nicht einhalten, soll eine Genehmigungsfiktion greifen – mit anderen Worten: Die Karte gilt dann als erteilt und kann auch nicht im Nach- hinein entzogen werden . Dies ist die Einführung des Herkunftslandprinzips durch die Hintertür und das muss verhindert werden! Wieder ist es die Mischung aus zu kurz bemessenen – aber verhandelbaren – Prüffristen gepaart mit einer – bei Nichteinhaltung – automatisch greifenden Kompetenz- aneignung der Kommission, die eine Zustimmung zur Dienstleistungskarte in der hier vorliegenden Form un- möglich macht . Daher sagen wir ausdrücklich: Die Bundesregierung muss klären, in welchem Verhältnis die vorgeschlagenen Regelungen zu bereits bestehenden Strukturen stehen, insbesondere mit Bezug zum Berufsausweis und dem Konzept des Einheitlichen Ansprechpartners . Vor allem aber muss sie darauf hinwirken, dass die Regelungen nicht faktisch auf eine Einführung des Herkunftsland- prinzips und eine Änderung geltenden Rechts in den Mit- gliedstaaten hinausläuft . Lassen Sie mich abschließend noch ein paar Worte zum Instrument der Subsidiaritätsrüge sagen . Da gab es ja durchaus Kritik, dass eine solche Rüge gar nicht ange- bracht sei und wir hier nur aktiv würden, „um der Kom- mission eins auszuwischen“ . Hierzu sage ich: Das ist sachlich nicht richtig! Ich habe Ihnen gute Gründe für die beiden erhobenen Subsidiari- tätsrügen zum Notifizierungsverfahren und zur Verhält- nismäßigkeitsprüfung genannt . Wir haben eben bewusst von einem solchen Schritt bei der Dienstleistungskarte abgesehen, da wir hier keine Kompetenzüberschreitung der Kommission sehen, sondern die inhaltliche Unver- hältnismäßigkeit des Richtlinienvorschlags deutlich ma- chen . Daher ist der Vorwurf, wir würden Stimmung ge- gen die EU machen konstruiert . Wir als Deutscher Bundestag haben die Pflicht, früh- zeitig und klar unsere Position zu verdeutlichen . Ich kann nicht deutlich genug die Worte von Kommissionspräsi- dent Jean-Claude Junker anlässlich des 70-jährigen Be- stehens des Niedersächsischen Landtags unterstreichen: Klopfen Sie der Kommission auf die Finger, wenn wir die Finger zu weit ausstrecken . Wenn die Par- lamente sich nicht einmischen, dann mischen die Populisten sich ein . Genau das tun wir heute . Wir mischen uns ein, und wir gestalten konstruktiv mit . Dieses starke Signal an die Kommission ist meiner Meinung nach zutiefst europä- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23829 (A) (C) (B) (D) isch: Wir zeigen der Kommission deutlich auf, dass sie hier an den Realitäten vorbei gezielt hat . In enger Ab- stimmung mit unseren europäischen Partnern und durch das Instrument der Subsidiaritätsrüge unterstützen wir die von uns allen gewünschte Konsolidierung des euro- päischen Dienstleistungsmarkts . Und wir bewahren die Kommission davor, in unseren Wahlkreisen von den rund 2,5 Millionen Betrieben mit ihren über 32 Millionen Be- schäftigten abermals als ausuferndes Bürokratiemonster wahrgenommen zu werden . Das ist proeuropäisches Ver- halten und im Sinne unseres gemeinsamen Binnenmark- tes . Ich bitte Sie daher, dem vorliegenden Entschließungs- antrag zuzustimmen . Sabine Poschmann (SPD): Wie im März bereits angekündigt, haben wir in der Zwischenzeit einen Ent- schließungsantrag erarbeitet, in dem wir uns kritisch mit der Dienstleistungskarte auseinandersetzen . Diese ist Teil der Vorschläge der Europäischen Kommission für ein Dienstleistungspaket, mit der sie den Marktzugang von Dienstleistern vereinfachen und den Wettbewerb be- leben will . Die ebenfalls im Paket enthaltenen Richtlinienvor- schläge zum Notifizierungsverfahren und zur Verhältnis- mäßigkeitsprüfung hatten wir im März bereits gegenüber der Kommission gerügt, weil wir das Subsidiaritätsprin- zip der EU-Verträge verletzt sahen . Die Idee der Dienstleistungskarte mag auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen . Sie soll Handwerkern aus der Baubranche sowie Architekten und Ingenieuren erlauben, überall in der EU ohne großen bürokratischen Aufwand tätig zu sein . So soll es im Herkunftsland eine Behörde geben, bei der der Dienstleister seine Unterlagen digital und in seiner Landessprache einreichen kann . Diese prüft und gibt sie an das Aufnahmeland weiter . Hier wird er- neut geprüft, und das Einverständnis führt zur Ausstel- lung der Karte – Ausgabe wiederum im Herkunftsland . Doch bei diesem Vorschlag gibt es gravierende Be- denken unsererseits . Der Prüfungszeitraum im Aufnahmeland beträgt le- diglich vier Wochen bei vorübergehender und sechs Wo- chen bei dauerhafter Dienstleistungserbringung . Kann in dieser Zeit beispielsweise aufgrund von fehlenden Kapa- zitäten nicht widersprochen werden, gelten die Angaben der Karte dennoch als anerkannt, und zwar dauerhaft . Eine so kurze Prüffrist für einen derart komplexen Vor- gang käme daher einer Einführung des Herkunftsland- prinzips gleich – demzufolge die gesetzlichen Bestim- mungen des Heimatlandes auch für das Aufnahmeland gelten, zumal keine weiteren Anforderungen im Nachhi- nein an den Besitzer einer Karte gestellt werden dürfen . Ferner können die konkreten Unterlagen des Dienst- leisters, wie Ausbildungsabschlüsse, die nur der Behörde im Herkunftsland vorliegen, jenseits der Grenze nicht kontrolliert werden . Die nationalen Kontrollrechte des Aufnahmelandes werden so umgangen; denn dieses wür- de vielleicht zu einer anderen Einschätzung kommen . Auch kann mit falschen Angaben zur Branchenzugehö- rigkeit und zur Selbstständigkeit der branchenspezifische Mindestlohn umgangen werden . Wir sehen zudem die Gefahr, dass die Karte an sich auch als Beleg für eine selbstständige Tätigkeit herangezogen werden könnte, obwohl der Besitzer tatsächlich abhängig beschäftigt ist . Damit würde natürlich die Sozialversicherungspflicht umgangen und die Scheinselbstständigkeit gefördert werden . Tief in die Souveränität der Mitgliedstaaten greift der Vorschlag ein, eine koordinierende Stelle einzurichten . Ihre Aufgabe wäre es, die Unterlagen für die Karte zu sichten, zu vergleichen und zu prüfen . Diese Behörde müsste in Deutschland auf Bundesebene entstehen und widerspricht somit unserer föderalen Struktur – zumal wir auf Länderebene Berufskammern haben, die im Gegensatz zu der neuen Behörde über das notwendige Know-how verfügen . Darüber hinaus würden hier unnö- tige Doppelstrukturen entstehen . Deshalb bekräftigen wir mit dem vorliegenden Antrag unsere Forderung, den Vorschlag zur Dienstleistungskar- te grundsätzlich zu überarbeiten . Auch drängen wir erneut darauf, dass die Vorschläge zum Notifizierungsverfahren sowie zur Verhältnismäßigkeitsprüfung abgeändert wer- den . Ein Gutachten aus dem BMWi bestätigt, dass die EU mit dem Vorschlag zum Notifizierungsverfahren ihre Kompetenzen überschreitet . Deswegen wissen wir auch unsere Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries hinter uns . Sie hat ebenfalls Widerstand bei der Dienstleistungskarte angekündigt und wird die Interessen des Parlaments ge- genüber der Europäischen Kommission vertreten . Es kann nicht sein, dass Wettbewerb vor Verbraucher- schutz und Arbeitnehmerrechte geht . Aber das scheint der EU in diesem Punkt wichtiger zu sein . Deregulierung kann offenbar nur erreicht werden, wenn Anforderun- gen an Qualifikation des Dienstleisters sowie Qualität der Dienstleistung gesenkt werden . Aber ist das wirklich das, was wir wollen? Zumal das dann bedeuten würde, dass der Meisterbrief und somit unsere duale Ausbildung grundsätzlich ebenfalls in Gefahr ist . Da sagen wir eindeutig Nein; da gehen wir nicht mit . Wir bleiben dabei: Berufsausübungsregeln und Hono- rarordnungen sind sinnvoll, wenn sie für Qualität, Ver- braucherschutz und den Schutz der Beschäftigten sorgen . Deswegen bleiben wir hier hart und werden unsere Zu- ständigkeit und unsere Standards weiter verteidigen . Klaus Ernst (DIE LINKE): Wenn die Große Koali- tion ausnahmsweise mal etwas Richtiges macht – was selten genug vorkommt –, hat sie unsere Unterstützung . Bei der Kritik am EU-Dienstleistungspaket ist das der Fall . Das Paket ist Teil der Binnenmarktstrategie der Kommission vom Oktober 2015, in welcher die Kom- mission bereits Maßnahmen für einen Binnenmarkt ohne Grenzen für Dienstleistungen angekündigt hatte . Mit dem EU-Dienstleistungspakt möchte die Kommission die Notifizierung von Dienstleistungsberufen sowie die Verhältnismäßigkeit nationaler Regeln zur Berufszu- lassung verändern und eine Elektronische Europäische Dienstleistungskarte einführen . Das soll einer angeblich Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 201723830 (A) (C) (B) (D) mangelnden Mobilität der Unternehmen und Beschäftig- ten auf dem Arbeits- und Dienstleistungsmarkt aufgrund von vorhandenen Reglementierungen entgegenwirken . Ich möchte diese drei Punkte kurz erläutern: Die bestehende EU-Dienstleistungsrichtlinie regelt, dass bestimmte nationale Rechtsvorschriften zu Dienst- leistungsberufen und qualitativen Anforderungen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht widersprechen dürfen und im Sinne des Allgemeininteresses begründet sein müssen . Neue oder geänderte Regelungen und An- forderungen zur Berufszulassung müssen der EU-Kom- mission mitgeteilt, das heißt notifiziert werden. Nun will die Kommission, dass bereits Entwürfe von berufsreglementierenden Rechtsvorschriften spätestens drei Monate vor deren Erlass notifiziert werden. Darauf soll eine Konsultationsphase folgen . Bei Bedenken kann die Kommission die Stillhaltefrist um weitere drei Mona- te ausdehnen, in der das Gesetz oder die Vorschrift nicht erlassen werden dürfen . Die Kommission soll zudem das Recht bekommen, die Unvereinbarkeit des geplanten nationalen Rechtsakts mit der Dienstleistungsrichtlinie festzustellen und vom EU-Mitgliedstaat zu verlangen, von diesem Abstand zu nehmen . Gegen diesen Beschluss wiederum könnte der Mitgliedstaat vor dem Europäi- schen Gerichtshof eine Nichtigkeitsklage erheben . Wir sagen: Diese Regelungen würden die Entscheidungsfrei- heit nationaler Gesetzgebung über die Maßen einschrän- ken . Das Gleiche gilt für den Richtlinien-Entwurf zur Ver- hältnismäßigkeitsprüfung vor Erlass neuer Berufsregle- mentierungen . Dieser hat das Ziel, Kriterien festzulegen, nach denen die Mitgliedstaaten vor Erlass von einschrän- kenden Bestimmungen zum Zugang oder zur Ausübung reglementierter Berufe deren Verhältnismäßigkeit prüfen sollen . Hier kritisieren wir erstens, dass die EU nicht zu- ständig ist . Auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes spricht dafür, dass die Mitgliedstaaten in eigener Regelungsbefugnis bestimmen können, welche Berufe auf welchem Niveau reglementiert werden . Zweitens stößt die angestrebte Vereinheitlichung der Verfahren aufgrund der sehr unterschiedlichen Ausbil- dungs-, Zulassungs- und Qualifikationsanforderungen an klare Grenzen . Etwa viele Handwerksberufe sind in Deutschland aus gutem Grund reglementiert . Bereits vollzogene Deregulierungen haben gezeigt, dass dies prekäre Soloselbstständigkeit befördert und sich in der Folge negativ auf Beschäftigung und Ausbildung aus- wirkt . Das wollen wir nicht . Mit der Richtlinie zur Elektronischen Dienstleistungs- karte sollen Dienstleistungsanbieter einen Ansprechpart- ner im Heimatland und in ihrer eigenen Sprache bekom- men, bei dem sie die Dienstleistungskarte beantragen können . Diese soll die Niederlassung im Herkunftsland belegen und nachweisen, dass ihr Inhaber berechtigt ist, die ausgewiesene Dienstleistung im Aufnahmeland aus- zuüben . Dafür prüft die Koordinierungsstelle im Her- kunftsland den Antrag und die Dokumente und leitet sie dann an die Koordinierungsstelle im Aufnahmeland wei- ter . Letzteres bleibt formal zuständig für die Anwendung der nationalen Vorschriften und die Entscheidung, ob der Antragsteller in seinem Hoheitsgebiet überhaupt Dienst- leistungen anbieten darf . Laut Richtlinienentwurf hat allerdings die zuständige Behörde des Aufnahmestaates nur zwei Wochen Zeit, um den Antrag auf Zulassung als Dienstleister zu prüfen . Re- agiert er nicht innerhalb von vier Wochen nach Übersen- dung des Antrags, stellt der Herkunftsstaat die Dienstleis- tungskarte aus, die laut Richtlinien-Entwurf unbegrenzt gültig sein soll . Das ist natürlich absurd! Die Prüf- und Einspruchsfristen im Aufnahmeland sind viel zu kurz . Dazu kommt, dass das Aufnahmeland schwerlich in der Lage sein wird, zu kontrollieren, ob die übermittelten Da- ten korrekt und aktuell sind – zumal der öffentliche Sek- tor in den EU-Mitgliedstaaten zusammengespart wurde und an Personalnot leidet . Die Dienstleistungskarte in der vorgeschlagenen Form wird Schmutzkonkurrenz und Scheinselbstständigkeit im Dienstleistungsbereich weiter befördern . Der Bundestag hatte zusammen mit dem Bundesrat bereits eine Subsidiaritätsrüge zum EU-Dienstleistungs- paket erhoben . Mit einem zweiten Entschließungsantrag bekräftigt die Große Koalition einige inhaltliche Kritik- punkte . Die Kritik müsste jedoch tiefer gehen: Wer den eu- ropäischen Binnenmarkt mit den Freiheiten für Perso- nen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zu den größten Errungenschaften Europas zählt, ist in der Pflicht, das Funktionieren mit guten Regeln und gemein- samen hohen Standards zu sichern . Ansonsten kommt es zu einer Abwärtsspirale bei Standards, Sozialabga- ben und auch Steuern – das lehren uns nicht zuletzt die bisherigen Erfahrungen . Das bislang dominante Wettbe- werbs- und Konkurrenzmotiv im Binnenmarkt hat über Vorschriften und Richtlinien einen Prozess des stetigen Sozial- und Lohndumping befördert, der heimische An- bieter von Dienstleistungen stark unter Druck gesetzt hat . Zugleich ist durch die massive Rückführung der öffent- lichen Beschäftigung und den Abbau der Kapazitäten in den Behörden eine schnelle, sachliche Prüfung zur Auf- deckung von Verstößen gar nicht mehr möglich . Doch nur ein soziales Europa wird Rückhalt bei den Bürgerin- nen und Bürgern haben . Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Dienstleistungsfreiheit ist eine der vier zen- tralen Säulen der EU, und es ist Aufgabe der Kommissi- on, den gemeinsamen Binnenmarkt weiterzuentwickeln . Deshalb haben wir auch die Subsidiaritätsrüge zum Dienstleistungspaket nicht mitgetragen . Wenn Hürden für die europaweit tätigen Dienstleis- ter bestehen, dann müssen sie natürlich abgebaut wer- den . Aber die Veränderungen müssen immer den hart erkämpften Grundsätzen der Dienstleistungsrichtlinie entsprechen . Konkret bedeutet dies, dass immer die Ar- beits- und Sozialstandards des Ziellandes garantiert wer- den müssen . Die Regeln im Zielland müssen einheitlich sein, denn nur so ist ein fairer Wettbewerb möglich – zum Schutz der Beschäftigten, aber auch der Betriebe . Dafür haben wir uns immer eingesetzt, und nach diesen Grund- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 234 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 18 . Mai 2017 23831 (A) (C) (B) (D) sätzen bewerten wir auch das geplante Dienstleistungs- paket . Wir begrüßen es, dass sich die Regierungsfraktio- nen jetzt nicht mehr mit der Frage beschäftigten, ob die Kommission tätig werden darf, sondern sich endlich in- haltlich mit den vorgeschlagenen Maßnahmen der Kom- mission auseinandersetzen . Und wir begrüßen auch den vorliegenden Entschließungsantrag, dem wir zustimmen werden . Denn auch wir wollen die Einführung des Her- kunftslandprinzips um jeden Preis verhindern . Nationale Standards und Arbeitnehmerrechte dürfen der Dienstleis- tungsfreiheit nicht untergeordnet werden . Die drei wesentlichen Aspekte des Dienstleistungs- paketes möchte ich kurz ansprechen . Beim sogenannten Notifizierungsverfahren soll die Kommission ein Ein- spruchsrecht erhalten und bei berufsreglementierenden Regelungen in Deutschland bereits früher eingreifen können . Dieses veränderte Verfahren betrachten wir mit Sorge; denn so könnte der Handlungsspielraum der Mit- gliedstaaten stark eingeschränkt werden . Und das lehnen wir ab; denn nationale Berufsreglementierungen sind uns wichtig . Die geplante Dienstleistungskarte könnte, gut ausge- staltet, zu mehr Transparenz führen . Voraussetzung dafür wäre aber, dass solch eine Karte im Aufnahmestaat und nicht im Herkunftsstaat beantragt wird . Ist das nicht der Fall, dann wird – aufgrund der sehr kurzen Fristen und der Genehmigungsfiktion im vorgelegten Entwurf – das Herkunftslandprinzip durch die Hintertür eingeführt . Und das lehnen wir strikt ab . Sichergestellt werden muss auch, dass die Entsen- derichtlinie Beachtung findet und branchenspezifische Mindestlöhne nicht durch die Branchenzuordnung um- gangen werden können . Denn Mindestlöhne sind elemen- tar wichtig, um einen Wettbewerb über die niedrigsten Löhne zu verhindern. Davon profitieren die Beschäftig- ten und auch die verantwortlich handelnden Betriebe . Und schlussendlich haben wir auch noch Anforderungen an die Verhältnismäßigkeitsprüfung . Berufsreglementie- rungen sollen weiterhin in der Kompetenz der Mitglied- staaten bleiben . Wir fordern die Bundesregierung auf, bei den Ver- handlungen die geltenden Sozial- und Arbeitsstandards zu verteidigen, aber gleichzeitig konstruktiv an der Wei- terentwicklung des europäischen Dienstleistungsmarktes mitzuwirken . Eines ist mir aber noch wichtig: Die Regierungsfrak- tionen verteidigen gerade sehr stark nationale Interessen . Vor diesem Hintergrund fordern wir aber auch konse- quentes Handeln bei anderen relevanten Themen . Die Bundesregierung muss sich genauso stark auf europäi- scher Ebene für das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ einsetzen . Scheinselbstständig- keit und Schwarzarbeit müssen auf nationaler und eu- ropäischer Ebene verhindert werden . Elementar wich- tig sind dafür effektive Kontrollen . Deshalb muss die Finanzkontrolle Schwarzarbeit endlich mit ausreichend Personal ausgestattet werden . Wer für einen fairen Wett- bewerb kämpft, der muss die Betriebe und die Beschäf- tigten gleichermaßen schützen . Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 234. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 7 15 Entwicklungspolitischer Bericht TOP 8, ZP 2 Entwicklung und Bestand des sozialen Wohnungsbaus TOP 9 Verbraucherpolitischer Bericht TOP 43, ZP 3 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 44, ZP 4 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 5 Aktuelle Stunde zu den Vorschlägen von Präsident Macron zur EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik TOP 10 Verbesserung des Hochwasserschutzes TOP 11 Kulturförderung TOP 12 Futtermittel- und tierschutzrechtliche Vorschriften TOP 13 Kita- und Schulverpflegung TOP 14 Bundeswehreinsatz EUTM Mali TOP 15 Völkerstrafrecht und internationale Beziehungen TOP 16 Bundeswehreinsatz EU NAFVOR Operation Atalanta TOP 17 Aufnahme sozialer Grundrechte in das Grundgesetz TOP 18 Bundeswehreinsatz KFOR in Kosovo ZP 6 Abzug der Bundeswehr aus Incirlik TOP 20 Durchsetzung der Ausreisepflicht TOP 21 Entkriminalisierung von Lebensmittelrettern TOP 22 Umsetzung der EU-Geldwäscherichtlinie TOP 19 Jemenpolitik TOP 23 Elektronischer Identitätsnachweis TOP 24 Änderung des Waffengesetzes TOP 25 Bevollmächtigung im Bereich der Gesundheitssorge TOP 26 Minamata-Übereinkommen über Quecksilber TOP 27 Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen TOP 28 Änderung des E-Government-Gesetzes TOP 29, ZP 7 Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften TOP 30 Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld TOP 31 Errichtung einer EU-Lateinamerika/Karibik-Stiftung TOP 32 Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz TOP 33 Gesetz zur Förderung von Mieterstrom TOP 34 Beitritt Ecuadors zu einem EU-Handelsübereinkommen TOP 35, ZP 8 Kinder- und Jugendstärkungsgesetz TOP 36 Spitzensportförderung ZP 9 u. ZP 10 Kenntnis auf Abstammung bei Samenspende ZP 11 Dienstleistungen im Binnenmarkt Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14 Anlage 15 Anlage 16 Anlage 17 Anlage 18 Anlage 19 Anlage 20 Anlage 21
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823400000

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich begrüße Sie herzlich zu unserer 234 . Plenarsitzung .
Ich möchte zu Beginn unsere Gäste auf den Besucher-
tribünen, aber auch die Kolleginnen und Kollegen, die
auf den Beginn dieser Sitzung gewartet haben, um Ent-
schuldigung und Verständnis für die Verspätung bitten .
Sie hängt nicht damit zusammen, dass ein beachtlicher
Teil der Mitglieder des Hauses nicht rechtzeitig aus den
Betten gekommen wäre, sondern damit, dass noch vor
Beginn der Plenarsitzung Sondersitzungen der beiden
Koalitionsfraktionen stattgefunden haben, um die ab-
schließende zweite und dritte Lesung eines der wichtigs-
ten Gesetzgebungsvorhaben dieser Legislaturperiode in
der nächsten Sitzungswoche vorzubereiten . Dafür haben
Sie hoffentlich Verständnis .

Seit der letzten Sitzungswoche gab es einige beson-
ders zu erwähnende Geburtstage . So haben die Bundes-
ministerin Dr. Barbara Hendricks und die Kollegin
Bärbel Höhn jeweils ihren 65 . Geburtstag begangen .


(Beifall)


Ihren 60 . Geburtstag begingen die Kollegin Gabriele
Fograscher und der Kollege Heinrich Zertik.


(Beifall)


Der Kollege Wolfgang Gunkel hat seinen 70 . und der
Kollege Gernot Erler seinen 73 . Geburtstag gefeiert . Ih-
nen allen noch einmal die geballten guten Wünsche des
Hauses für das neue Lebensjahr!


(Beifall)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen noch
eine Schriftführerwahl durchführen . Die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen schlägt vor, für den Kollegen Matthias
Gastel die Kollegin Katharina Dröge als Schriftführe-
rin zu wählen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist
offenkundig so .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Noch schöner ist, dass die Betroffene damit einverstan-
den ist . Das erleichtert die Umsetzung des bevorste-
henden Beschlusses . Damit ist die Kollegin Dröge als
Schriftführerin gewählt .

Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tages-
ordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:

Aufklärung möglicher rechtsextremer Struk-
turen in der Bundeswehr


(siehe 233 . Sitzung)


ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn

(Tübingen), Kerstin Andreae, Britta Haßelmann,

weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Gemeinsam für bezahlbares Wohnen – Le-
benswert und klimafreundlich

Drucksachen 18/10027, 18/11020

ZP 3 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren


(Ergänzung zu TOP 43)


a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Katja Keul, Luise Amtsberg, Renate Künast,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Asylgesetzes zur Beschleunigung von Ver-
fahren

Drucksache 18/12360
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD






(A) (C)



(B) (D)


Kooperationsmodelle im Nachtzugverkehr
stärken

Drucksache 18/12363
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Maisch, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Kontogebühren – Transparenz und Verbrau-
cherschutz erhöhen

Drucksache 18/12367
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

ZP 4 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache


(Ergänzung zu TOP 44)


a) Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Dr . Harald Terpe, Katja Dörner, Volker
Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur
Gleichstellung verheirateter, verpartnerter
und auf Dauer in einer Lebensgemeinschaft
lebender Paare bei der Kostenübernahme der
gesetzlichen Krankenversicherung für Maß-
nahmen der künstlichen Befruchtung

Drucksache 18/3279

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14 . Ausschuss)


Drucksache 18/7517

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien

(22 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Ulle Schauws, Katja Keul, Kai Gehring, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Provenienzforschung stärken – Bessere Rah-
menbedingungen für einen angemessenen und
fairen Umgang mit Kulturgutverlust schaffen

Drucksachen 18/3046, 18/7532

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz,
Steffi Lemke, Peter Meiwald, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Verbindliche Umwelt- und Sozialstandards in
der internationalen Palmölproduktion veran-
kern

Drucksachen 18/8398, 18/10611

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe (17 . Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr . Franziska Brantner, Omid
Nouripour, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kein Frieden und keine Stabilität ohne Men-
schenrechte und Rechtsstaatlichkeit – Für
eine weitsichtige europäische Nachbarschafts-
politik gegenüber den Staaten Nordafrikas

Drucksachen 18/6551, 18/10848

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz,
Kerstin Andreae, Sven-Christian Kindler, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine transparente und geschlechterge-
rechte Haushaltspolitik – Gender Budgeting
als Instrument von Good Governance

Drucksachen 18/9042, 18/11433

f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz,
Ulle Schauws, Anja Hajduk, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Initiative „She Decides“ unterstützen – Die
sexuellen und reproduktiven Rechte und die
Selbstbestimmung und Gesundheit von Frau-
en und Mädchen in Ländern des globalen Sü-
dens stärken

Drucksachen 18/11177, 18/11649

g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-
Uhl, Oliver Krischer, Kai Gehring, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Kein Atommüll-Export aus dem Reaktor AVR
Jülich in die USA

Drucksachen 18/2624, 18/12408

h) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14 . Ausschuss)

Schulz-Asche, Uwe Kekeritz, Ulle Schauws,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Die Aids-Epidemie in Deutschland und welt-
weit bis 2030 beenden

Drucksachen 18/6775, 18/12424

ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Haltung der Bundesregierung zu den Vor-
schlägen von Präsident Macron im Bereich
der EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik, insbe-
sondere zu gemeinsamen europäischen Inves-
titionen

ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktionen BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE

Sofortiger Abzug der Bundeswehr aus Incirlik

Drucksache 18/12372

ZP 7 Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Ulle Schauws, Monika Lazar, wei-
teren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Anerkennung der selbst
bestimmten Geschlechtsidentität und zur Än-

(Selbstbestimmungsgesetz – SelbstBestG)


Drucksache 18/12179
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate
Walter-Rosenheimer, Katja Dörner, Dr . Franziska
Brantner, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Stark ins eigene Leben – Wirksame Hilfen für
junge Menschen

Drucksache 18/12374
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung

ZP 9 Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis
der Abstammung bei heterologer Verwendung
von Samen

Drucksache 18/11291

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14 . Ausschuss)


Drucksache 18/12422

ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-
cherschutz (6 . Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Katja Keul, Katja Dörner, Luise
Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Elternschaftsvereinbarung bei Samenspende
und das Recht auf Kenntnis eigener Abstam-
mung

Drucksachen 18/7655, 18/11785

ZP 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9 . Ausschuss)


– zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Ra-
tes über die Durchsetzung der Richtlinie
2006/123/EG über Dienstleistungen im
Binnenmarkt, zur Festlegung eines Noti-
fizierungsverfahrens für dienstleistungs-
bezogene Genehmigungsregelungen und
Anforderungen sowie zur Änderung der
Richtlinie 2006/123/EG und der Verord-
nung (EU) Nr. 1024/2012 über die Ver-
waltungszusammenarbeit mit Hilfe des
Binnenmarkt-Informationssystems
KOM(2016)821 endg.; Ratsdok. 5278/17

– zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates
über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor
Erlass neuer Berufsreglementierungen
KOM(2016)822 endg.; Ratsdok. 5281/17

– zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates
über den rechtlichen und operativen Rah-
men für die durch die Verordnung ... [ESC
Regulation] eingeführte Elektronische
Europäische Dienstleistungskarte
KOM(2016)823 endg.; Ratsdok. 5283/17

– zu dem Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates
zur Einführung einer Elektronischen Euro-
päischen Dienstleistungskarte und entspre-
chender Verwaltungserleichterungen
KOM(2016)824 endg.; Ratsdok. 5284/17

hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3
des Grundgesetzes

Drucksachen 18/11229 A.8 bis A.11, 18/12426

ZP 12 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines
… Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbu-
ches – Wohnungseinbruchdiebstahl

Drucksache 18/12359
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, wie üblich in solchen Fällen abgewi-
chen werden .

Anstelle von TOP 19 – das ist der Antrag zur Jemen-Po-
litik – soll der Antrag auf der Drucksache 18/12372 mit
dem Titel „Sofortiger Abzug der Bundeswehr aus Incir-
lik“ unter Beibehaltung der vorgesehenen Beratungszeit

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


von 25 Minuten aufgerufen werden . Der Tagesordnungs-
punkt 19 der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen rückt ent-
sprechend nach hinten .

Nach dem Tagesordnungspunkt 36 soll die Beschluss-
empfehlung auf der Drucksache 18/12422 zum Entwurf
eines Gesetzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis
der Abstammung bei heterologer Verwendung von Sa-
men in Verbindung mit der Beschlussempfehlung auf
der Drucksache 18/11785 zu dem Antrag mit dem Titel
„Elternschaftsvereinbarung bei Samenspende und das
Recht auf Kenntnis eigener Abstammung“ mit einer De-
battenzeit von 25 Minuten beraten werden . Im Anschluss
daran soll die Beschlussempfehlung auf der Drucksa-
che 18/12426 – hier geht es um die Stellungnahme der
Bundesregierung zu mehreren Vorlagen für Richtlinien
und Verordnungen des Europäischen Parlaments zum
Thema „Dienstleistungen im Binnenmarkt“ – ebenfalls
mit einer Debattenzeit von 25 Minuten aufgerufen wer-
den .

Der Tagesordnungspunkt 37 – das ist der Zusammen-
hang zur Verspätung der heutigen Sitzung –, nämlich
„Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs“,
wird für diese Woche abgesetzt . Stattdessen soll mit einer
Debattenzeit von 60 Minuten der Entwurf eines Geset-
zes zur Änderung des Strafgesetzbuches – hier geht es
insbesondere um Wohnungseinbruchdiebstahl – auf der
Drucksache 18/12359 beraten werden .

Schließlich mache ich noch auf drei nachträgliche
Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatz-
punkteliste aufmerksam:

Der am 23 . März 2017 (225 . Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-
schuss für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss) zur
Mitberatung überwiesen werden:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Moder-
nisierung des Rechts der Umweltverträglich-
keitsprüfung

Drucksache 18/11499
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur

Der am 27 . April 2017 (231 . Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-
schuss für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss) sowie
dem Ausschuss für Kultur und Medien (22 . Ausschuss)

zur Mitberatung überwiesen werden:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Bundesnaturschutzgesetzes

Drucksache 18/11939
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit (f)


Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien

Der am 7 . Juli 2016 (183 . Sitzung) überwiesene
nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem Ausschuss für
Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss) zur Mitberatung
überwiesen werden:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Die Nachtzüge retten – Klimaverträglichen
Fernreiseverkehr auch in Zukunft ermögli-
chen

Drucksache 18/7904

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Tourismus

Ich frage Sie, ob Sie mit diesem Paket von Verände-
rungen einverstanden sind? – Ich sehe jedenfalls keinen
Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

15. Entwicklungspolitischer Bericht der Bun-
desregierung

Drucksache 18/12300

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss

Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Also können wir so verfahren .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Bundesminister Dr . Gerd Müller .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schön,
dass wir beginnen können . Ich glaube, wir bekommen
für die Wartezeit einen Zuschlag von 30 Minuten .


(Beifall der Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE] und Ulli Nissen [SPD] – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das entscheiden hier nicht die Minister! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird aber aufgeteilt! – Zuruf von der SPD: Das wird auf die Redezeit angerechnet!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Föderalismus ist
wichtig, aber jetzt geht es um die Zukunftsaufgaben und
Herausforderungen dieses Planeten . Alle vier Jahre legt
die Bundesregierung ihren Bericht zur Entwicklungspo-
litik vor . Ich kann Ihnen und auch denen, die draußen
zuschauen, sagen: Es ist eines der spannendsten Doku-
mente . Es lohnt sich, diesen zu lesen .

Die Welt hat sich in diesen vier Jahren dramatisch ent-
wickelt: Kriege in der Ukraine, in Syrien, im Jemen, die
Hungerkrise – bis heute aktuell am Horn von Afrika –,
die Bevölkerungsentwicklung . Jede Woche kommt eine
Stadt wie Berlin, jedes Jahr ein Land wie Deutschland
mit 80 Millionen zusätzlich auf den Planeten . Zwischen-
zeitlich gibt es 65 Millionen Flüchtlinge, davon rund
90 Prozent in den Entwicklungsländern .

Die Digitalisierung ist auch in Afrika angekommen .
Wir sind vernetzt . Die Globalisierung, Handelswege und
Wertschöpfungsketten machen die Welt zum globalen
Dorf .

Die Politik – nicht nur die Entwicklungspolitik – muss
sich ändern und hat sich geändert . Das ist zentral: Wir
haben reagiert und uns neu aufgestellt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Stefan Rebmann [SPD])


Entwicklungspolitik ist heute nicht mehr Randthema .
Das mögen Sie auf den Tribünen vielleicht noch anders
sehen, weil der Entwicklungsminister auf der Regie-
rungsbank ganz hinten im Eck „drangeklebt“ ist .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Aber immerhin links außen!)


Aber das werden wir in der neuen Legislaturperiode än-
dern, lieber Volker Kauder . Die Entwicklungspolitik ge-
hört in die Mitte, ins Zentrum – auch im Kabinett .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Sie fragen natürlich zu Recht: Was passiert? Gibt
es Erfolge? – Ja, ich kann Ihnen sagen: Wir haben mit
dem Klimavertrag von Paris im Jahre 2015 weltweit den
Durchbruch erzielt . Mit der Agenda 2030 haben wir ei-
nen Zukunftsvertrag, mit dem wir die globale Entwick-
lung in den Grenzen unseres Planeten gestalten können .
Es gibt kein Erkenntnisproblem, sondern es gibt jetzt ein

Umsetzungsproblem . Es geht darum, diese Vorgaben in
nationale Politik umzusetzen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Diesen Paradigmenwechsel hin zu einer gemeinsamen
Zukunftspolitik gestaltet Deutschland . Federführend
gehen wir voraus . Zwischenzeitlich sind wir unter den
195 Nationen weltweit der zweitgrößte Geber nach den
USA .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Thomas Oppermann [SPD])


Daran sehen Sie: Die Bundesregierung hat den Stel-
lenwert der Entwicklungspolitik neu definiert und sie
entscheidend aufgewertet . Dafür gilt mein ganz besonde-
rer Dank unserer Bundeskanzlerin und Ihnen, liebe Kol-
leginnen und Kollegen – und zwar aller Fraktionen . Die
einen wollen noch viel mehr – dazu gehöre ich auch –,
die anderen bremsen ein Stück weit . Aber auch hier wer-
den wir in der neuen Legislaturperiode zusätzliche Ak-
zente setzen müssen .

In dieser Legislaturperiode ist der Etat des BMZ um
35 Prozent gestiegen . Während der Kanzlerschaft von
Angela Merkel hat sich der absolute Ansatz verdoppelt .
Das 0,7-Prozent-Ziel ist erstmals erreicht . Es gilt natür-
lich, das auch für die Zukunft zu halten, auch wenn die
Aufwendungen für Flüchtlinge einmal weniger werden .

Aber ich sage auch: Für Europa – die Europäische
Union, unsere Freunde –, aber auch für die USA sollte
klar sein: Wer das 2,0-Prozent-Ziel bei den Militärausga-
ben anstrebt, muss erst einmal das 0,7-Prozent-Ziel bei
der Entwicklungshilfe umsetzen .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Mehr Panzer schaffen nicht mehr Frieden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Dafür müssen sich auch einbringen: die Chinesen, die
Russen, die arabische Welt und alle anderen . Es ist nicht
hinnehmbar, dass acht Länder auf der Welt 90 Prozent
des Hilfsvolumens zur Verfügung stellen und die anderen
wegsehen .

Wir können stolz darauf sein, was wir alle gemeinsam
in dieser Legislaturperiode geleistet haben . Dabei freue
ich mich besonders, dass der Stellenwert unserer Aufga-
be heute ein anderer ist .

Das zeigt sich nicht nur am Aufwuchs im Haushalt .
Unsere Themen sind auch Schwerpunkt der interna-
tionalen Agenda . Denken Sie an den G-7- und an den
G-20-Gipfel . Mein Dank gilt hier besonders unserer
Kanzlerin . Sie handelt national und gestaltet global .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ihr Herz schlägt auch für Afrika .

Ebenso erhalte ich große Unterstützung vom Finanz-
minister . Wolfgang Schäuble setzt jetzt gemeinsam mit
dem BMZ mit der Initiative „Compact with Africa“ einen






(A) (C)



(B) (D)


ganz neuen Akzent. Unser Marshallplan-Konzept findet
nicht nur hier Unterstützung, sondern auch bei der Afri-
kanischen Union, im Europäischen Parlament in Brüssel,
wo es in dieser Woche Thema ist, und in den einzelnen
Ressorts . Wichtig ist mir: Wir beschreiben nicht nur Pro-
bleme und Herausforderungen, wir haben Lösungen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte Ihnen das kurz andeuten:

Wir bekämpfen das Kriegs- und Flüchtlingselend . In
den vergangenen vier Jahren haben wir 12 Milliarden
Euro in den Krisengebieten der Welt – vor Ort – inves-
tiert . Damit haben wir Überleben gesichert und Kin-
dern – allein in und um Syrien herum waren es 1 Million
Kinder – Schulbesuch und Ausbildung ermöglicht . In
der Türkei wurden 8 000 Lehrerinnen und Lehrer ausge-
bildet, um in den Flüchtlingscamps zu unterrichten . Wir
haben Beschäftigung geschaffen . Das Programm „Cash
for Work“ erleichtert eine Rückkehr . Auch den Wieder-
aufbau haben wir eingeleitet, meine Damen und Herren .

Eine Welt ohne Hunger ist möglich . Das ist keine Vi-
sion . Hunger ist Mord, weil wir eine Welt ohne Hunger
schaffen können .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir zeigen, wie es geht . Wir reden nicht nur . Die 14 In-
novationszentren in Afrika und Indien zeigen, wie wir die
Nahrungsmittelproduktion steigern können .

Wir investieren in nachhaltige Klima- und Umwelt-
konzepte . Ich habe vergangene Woche in China mit dem
chinesischen Handelsminister ein gemeinsames Zentrum
für nachhaltige Entwicklung auf den Weg gebracht . Mit
Indien werden wir demnächst hier in Deutschland Ver-
träge unterzeichnen, um die Solarpartnerschaft weiter
voranzubringen .

Mit Projekten in Höhe von 1,5 Millionen Euro liegt
unser Schwerpunkt in Afrika . Der Marshallplan zeigt die
Herausforderung, aber auch die Lösungswege . Wir stär-
ken Frauen . Wir stärken die Bildung und sind bei der Bil-
dung größter bilateraler Geber . Mein Ziel ist, 25 Prozent
des Etats für Bildung bereitzustellen . Bildung, Bildung,
Bildung ist die Voraussetzung für Entwicklung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sind erfolgreich im wichtigen Feld der Gesund-
heit . Ebola ist in diesen Tagen wieder aufgetreten . Wir
bauen Strukturen zur Hilfe in Westafrika . Unser Bei-
trag – den Kolleginnen und Kollegen dafür vielen Dank –
bei GAVI und GFATM wurde wesentlich erhöht .

Wir schaffen neue Strukturen, was mir ganz besonders
wichtig ist . Mit öffentlicher Entwicklungszusammenar-
beit lösen wir die Probleme und die Herausforderungen
der Welt nicht . Wir brauchen dazu mehr Privatinvestitio-
nen . Dazu brauchen wir aber auch ein neues Instrumen-
tarium zur Risikoabsicherung für Privatinvestitionen in
Afrika und in Indien, insbesondere für mittelständische
Betriebe .

Wir brauchen aber auch fairen Handel . Meine Damen
und Herren, nur mit der Verankerung von ökologisch-so-
zialen Standards in weltweiten Lieferketten, wie wir
dies mit unserem Textilbündnis zeigen, einer Blaupause,
schaffen wir langfristig Gerechtigkeit und Chancenaus-
gleich .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Standards müssen Standard werden . Die Widerstände
sind noch enorm, auch national . Aber ich sage klar: Die
weltweiten Märkte brauchen Regeln . Ein Markt ohne Re-
geln führt zu Ausbeutung von Mensch und Natur .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Globalisierung schafft Chancen, aber auch Verlierer .
Wenn heute 10 Prozent der Weltbevölkerung 90 Prozent
des Einkommens und Vermögens besitzen – 10 Prozent,
das sind Sie und wir alle – und 20 Prozent der Weltbevöl-
kerung – das sind wir in den Industrieländern – 80 Pro-
zent der Ressourcen für unser Leben, für unseren Kon-
sum und für unseren Wohlstand verbrauchen, dann haben
wir ein weltweites Gerechtigkeits- und Verteilungspro-
blem . Glauben Sie nicht, dass wir unseren Wohlstand auf
Dauer auf dem Rücken Afrikas und der Entwicklungs-
länder aufrechterhalten können, ohne dass die Menschen
aus diesen Ländern zu uns kommen und sich dann das
holen, was ihnen zusteht .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN sowie der Abg . Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Jeder von Ihnen muss und kann mitwirken . Wenn Sie
sich heute früh die Haare gewaschen haben, dann ist in
dem Shampoo Palmöl aus Indonesien enthalten . Sie ha-
ben sich Kleidung angezogen, die Näherinnen in Bang-
ladesch für einen Hungerlohn angefertigt haben . Sie ha-
ben Kaffee getrunken, für den Kinder in Westafrika die
Kaffeebohnen für einen Hungerlohn, einen Sklavenlohn
geerntet haben . Wir erfreuen uns unseres Wohlstands auf
dem Rücken dieser Länder .

Ein afrikanischer Bischof sagte mir vor kurzem: Afri-
ka ist nicht arm . Ihr habt es arm gelassen . – Das müssen
wir ändern .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Globalisierung gerecht gestalten, das ist möglich . Es be-
darf nur des Willens, des Mutes und der Verantwortung
zur Umsetzung . Ein Weiter-so bei Konsum, Wachstum
und Ressourcenverbrauch weltweit hätte verheerende
Folgen .

Herr Präsident, ich bin sofort am Ende . Ich möchte
Ihnen aber die Folgen aufzeigen .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Stefan Rebmann [SPD]: Dem Präsidenten?)


Bundesminister Dr. Gerd Müller






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823400100

Herr Minister, können wir das nicht privat erledigen?


(Heiterkeit – Ulli Nissen [SPD]: Wir wollen es auch wissen!)


Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:

Die Klimaveränderung hätte verheerende Folgen: Kli-
maveränderung und Erderwärmung sind in Ostafrika an-
gekommen . Hunger, Katastrophen, Elend, Not und Krie-
ge lösen schon jetzt gewaltige Wanderungsbewegungen
auch in Richtung Europa aus. Deshalb sind wir verpflich-
tet, auf ein Leben in Würde für alle hinzuarbeiten . Wir
sind verpflichtet, den Planeten Erde, die Schöpfung, für
die kommenden Generationen zu erhalten . Das ist eine
große Aufgabe, eine lohnende Aufgabe für uns alle .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823400200

Heike Hänsel erhält nun das Wort für die Fraktion Die

Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823400300

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Herr Müller, Sie haben hier wahrscheinlich schon
für den Evangelischen Kirchentag nächste Woche geübt .


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie sind ein Minister mit guten Losungen und Sprüchen .
Da können viele klatschen .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch die Linke!)


Aber leider füllen Sie diese Sprüche nicht mit Leben . Sie
haben sich in diesen vier Jahren in Tausenden Projekten
und vielen Sonderinitiativen verloren . Sie sind aber die
ungerechten Strukturen, die Sie hier kritisieren, nicht an-
gegangen . Das ist überfällig .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Erstens: die Handelspolitik der Europäischen Union .
Jetzt, am Ende Ihrer Amtszeit, sprechen Sie von fairem
Handel . Was haben Sie denn vier Jahre lang gemacht?
Die EU hat die Freihandelsabkommen mit Afrika vo-
rangetrieben . Ein Veto von Ihnen, und wir hätten diese
Freihandelspolitik stoppen und wirklich fairen Handel
ausgestalten können .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben da nichts gemacht . Die Bilanz ist gleich null .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Falsch! – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Es geht nicht darum, Handel zu verhindern, sondern fair zu gestalten!)


Sie sprechen davon . Aber statt zu handeln, haben Sie
einen Marshallplan für Afrika mit millionenschweren
Sonderinitiativen aufgelegt . Das ist kein Ersatz für die
Erneuerung, für die Veränderung und Ausgestaltung ge-
rechter Handelsstrukturen . Wenn wir endlich eine ge-
rechte Handelspolitik hätten, dann bräuchten wir keine
Millionen für Entwicklungsprojekte . Hier ist auch die
SPD, muss ich sagen, mitverantwortlich . Denn auch
Sigmar Gabriel hat den Freihandel – CETA, TTIP – mas-
siv vorangetrieben . Da gab es keine Richtungsänderung .
Deswegen: Wer Fluchtursachen und Armut in den afrika-
nischen Ländern bekämpfen will, muss diesen tödlichen
Freihandel stoppen .


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens . Sie fordern menschenwürdige Arbeitsbe-
dingungen in den Unternehmen und gerechte Entlohnung
unter dem Eindruck der Katastrophen in der Textilindus-
trie in Südostasien . Richtig so! Aber was ist am Ende da-
bei herausgekommen?


(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Viel!)


Wir haben ein unverbindliches Textilbündnis, einen un-
verbindlichen nationalen Aktionsplan für die Wirtschaft
und ein freiwilliges Mitmachprogramm für die Unter-
nehmen . Ja, wo leben Sie denn eigentlich? Wir brauchen
gesetzliche Regelungen, damit Unternehmen soziale und
ökologische Standards einhalten .


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist kein freiwilliges Mitmachprogramm .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Aber ein sehr erfolgreiches Textilbündnis! Freiwilligkeit, das steckt dahinter! Aber das kapiert ihr gar nicht! Ihr setzt ja immer nur auf Vorschriften! Wir setzen auf Freiwilligkeit!)


Es gibt auch gute Initiativen bei den Vereinten Na-
tionen . Eine ganz wichtige Initiative ist die sogenannte
Treaty Initiative, die sich darum bemüht, ein weltweites
Unternehmensstrafrecht durchzusetzen, um globale Kon-
zerne sanktionieren zu können .

Aber was macht die Bundesregierung? Sie boykottiert
diese Initiative . Das ist ein Armutszeugnis für Sie, Herr
Müller . Wir fordern, dass endlich solche Initiativen bei
den Vereinten Nationen unterstützt werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens: eine Welt ohne Hunger . Sie haben es er-
wähnt: die größte humanitäre Katastrophe seit Bestehen
der Vereinten Nationen in Ostafrika . Die Welthungerhilfe
hat gestern wieder kritisiert, dass die Hilfe viel zu spät
kam, und zwar auch von der Bundesregierung .

Wir haben schon vor einem Jahr davor gewarnt, dass
sich solche Katastrophen abzeichnen . Auch die Kriege
tragen dazu bei . Im Jemen hungern 7 Millionen Men-
schen, weil es einen brutalen Krieg Saudi-Arabiens ge-
gen den Jemen und eine brutale Seeblockade gibt, die






(A) (C)



(B) (D)


seit zwei Jahren die Hilfslieferungen blockiert . Das ist
kriminell, was dort passiert .


(Beifall bei der LINKEN)


Und was macht die Bundesregierung? Sie hat die
Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien erhöht, und die
Bundeskanzlerin verspricht auch noch der saudi-arabi-
schen Armee Fortbildungsmaßnahmen und Training hier
bei uns . Das ist eine zynische Politik, und Sie sind mit-
verantwortlich, wenn dort Menschen sterben, wenn Sie
nichts gegen die Seeblockade Saudi-Arabiens machen
und stattdessen noch Waffen dorthin liefern . Wir wollen,
dass diese Waffenlieferungen gestoppt werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe es bereits erwähnt: Auf dem Kirchentag in
der nächsten Woche wird es wieder viele wohlfeile Reden
geben: für Entwicklung, die Bekämpfung von Fluchtur-
sachen, den Stopp von Rüstungsexporten und fairen
Handel . Aber hier, wo Sie die Entscheidungen treffen,
machen Sie nichts . Das reicht vielen Entwicklungsorga-
nisationen und Friedensorganisationen . Deswegen rufen
sie auf, nächste Woche, am 27 . Mai, zum Brandenbur-
ger Tor zu kommen . Um 15 Uhr wird es dort eine Frie-
denskundgebung gegen Armut, Ausgrenzung und Krieg
geben . Diese Organisationen fordern endlich die Politik
ein, die Sie hier immer nur versprechen . Ich kann nur alle
einladen, nächste Woche dort hinzukommen . – Sie sind
mit Ihrer Politik gescheitert, Herr Müller!

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ha, ha, ha! Die große Lachnummer des Tages!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823400400

Das Wort hat nun der Kollege Stefan Rebmann für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Stefan Rebmann (SPD):
Rede ID: ID1823400500

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da-

men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
will zu Beginn meiner Rede den zahlreichen Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeitern, den Kolleginnen und Kollegen
im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenar-
beit und Entwicklung, für die geleistete Arbeit – auch für
die Erstellung dieses Berichtes – danken .

Wir debattieren ja über die Frage: Was hat uns in den
vergangenen Jahren hier bewegt? Der Herr Minister hat
ja schon auf das eine oder andere hingewiesen . Ich erin-
nere an die Ebolakrise und in dem Zusammenhang auch
an das Stichwort „Gesundheit“ . Das wird ja auf dem G-7-
und dem G-20-Gipfel eine große Rolle spielen . Mir ist
schon wichtig, noch einmal zu sagen, dass wir hier im
Parlament über alle Fraktionen hinweg vehement dafür
gekämpft haben, dass mehr finanzielle Mittel in den Ge-
sundheitsbereich gesteckt werden bzw . dass der GFATM
deutlich aufgestockt wird .

Ich will auch noch einmal an das Unglück in Bangla-
desch – Stichwort „Rana Plaza“ – erinnern . Danach ist
dann das Textilbündnis entstanden . Und es folgte auch
eine öffentliche Debatte in Deutschland über die Fragen:
Wer zahlt denn eigentlich für unseren Konsum? Und
was bedeutet das denn eigentlich? Des Weiteren erinnere
ich an den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Men-
schenrechte, bei dem es um menschenrechtliche Sorg-
faltspflichten in Unternehmen geht, sowie an den Streit,
den wir insbesondere mit dem Finanzministerium bzw .
mit Herrn Fuchtel hatten . Außerdem erinnere ich an die
Debatte um die Handelsverträge .

Ja, wir haben hier im Parlament zentral über die
Flucht- und Wanderungsbewegungen debattiert . Wir alle
haben – das ist auch ein Punkt, bei dem ich auf das Parla-
ment stolz bin – dafür gesorgt, dass der Entwicklungsetat
deutlich angestiegen ist . Herr Minister, Sie haben mit der
Art und Weise, wie Sie Projekte angehen und diese auch
öffentlich ansprechen, mit dafür gesorgt, dass Entwick-
lungspolitik in der Öffentlichkeit einen ganz anderen Fo-
kus bekommen hat .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich finde, das ist positiv. Man darf das auch nicht kriti-
sieren .

Ich sage aber auch: Entwicklungspolitik ist weit
mehr als nur Öffentlichkeitsarbeit . Entwicklungspolitik
darf sich nicht darauf reduzieren lassen, nur Flucht- und
Wanderungsbewegungen zu bekämpfen. Ich finde, Ent-
wicklungspolitik ist – neben all den Aufgaben, die wir
haben – auch Friedenspolitik, Zukunftspolitik und globa-
le Strukturpolitik . Entwicklungspolitik braucht nachhal-
tige Strategien . Wir brauchen Zeit . Entwicklungspolitik
braucht vor allen Dingen auch eine verlässliche Finan-
zierung .

Damit bin ich mitten drin im Thema Sonderinitiativen .
Mit den Sonderinitiativen – das kritisiere ich auch nicht –
wurde ja viel erreicht . Aber: Mit dem stetigen Anwach-
sen der Sonderinitiativen haben wir in vielen anderen
Bereichen – insbesondere bei den Durchführungsorgani-
sationen – für erhebliche Schwierigkeiten gesorgt . Das
ging so weit, dass eine ganze Reihe von Projekten nicht
mehr durchgeführt werden konnte. Ich finde, das war ein
großer Fehler . Das müssen wir ändern . Wir müssen die
Sonderinitiativen auf ein erträgliches Maß zurückfüh-
ren, damit wir wieder mehr Geld für unsere eigentlichen
Kernaufgaben geben können .


(Beifall bei der SPD)


Noch einen weiteren Punkt will ich ansprechen .
Ich finde es gut, wenn bei jeder Gelegenheit – Sie ha-
ben es hier ja wieder gemacht, Herr Minister – soziale,
menschenrechtliche und ökologische Standards bzw .
Mindeststandards in den globalen Lieferketten einge-
fordert werden . Es gibt mir dann aber zu denken, dass
Sie Handelsabkommen mit Afrika unterzeichnet haben,
die keinerlei wirksame Fördermaßnahmen bzw . entwick-
lungspolitische Maßnahmen beinhalten, und dass Sie
gleichzeitig bei der Vorstellung des Marshallplans diese

Heike Hänsel






(A) (C)



(B) (D)


Entwicklungspartnerschaften mit Afrika wieder kritisie-
ren . Das gibt in Gänze keinen Sinn .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Abschließend – weil meine Zeit abläuft – möchte ich
sagen: Dieser entwicklungspolitische Bericht enthält
eine gute Analyse und eine gute Beschreibung, ist mir
aber in den Maßnahmen viel zu unkonkret .


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Widersprüchlich!)


Als Fußballer sage ich: Eine ordentliche Mannschaftleis-
tung, aber der Kapitän rennt leider viel zu oft ins Abseits
und erzielt mehr Lattentreffer als Tore . Ein weiteres Pro-
blem ist, dass er einen Mitspieler aus dem Schwarzwald
hat, der gerne Messi wäre, aber leider nur über die techni-
schen Möglichkeiten eines Berti Vogts verfügt .

Herzlichen Dank .


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823400600

Na ja, gut . – Uwe Kekeritz ist der nächste Redner für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823400700

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Herr Minister Müller, Sie haben Ihren Bericht zuerst der
Presse und einen Tag später dem Parlament vorgelegt .
Jetzt könnte man sagen: Was kommt er da mit solchen
Lappalien? Was soll denn das Ganze? – Aber, Herr Mi-
nister, Regieren und der Umgang mit dem Parlament
haben sehr viel mit Stilfragen zu tun . Ihr Prinzip „Das
Parlament kann sich ja über die Presse rechtzeitig infor-
mieren“ ist völlig daneben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit solchen Kapriolen, Herr Müller, belegen Sie, dass
Sie das Prinzip „Good Governance“ nicht wirklich ernst
nehmen . Während Sie in der ganzen Welt von Land zu
Land fahren und gute Regierungsführung einfordern,
ignorieren Sie zu Hause die Rechte des Parlaments . Ich
halte das für unglaubwürdig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie haben Entwicklungspolitik immer in erster Linie
als PR-Arbeit verstanden; der Kollege Rebmann hat be-
reits darauf hingewiesen . Das belegt auch Ihr Bericht .
Was Sie in diesem Bericht präsentieren, hat oftmals
märchenhafte Züge . Anstatt eine ehrliche Bilanz nach
professionellen Standards vorzulegen, schreiben Sie im
Plauderton über einzelne Projekte, garnieren dies mit
unwichtigen geografischen Fakten und erklären den Le-
serinnen und Lesern, dass alles wunderbar ist und dass
vor allen Dingen alles völlig neu ist . Sie haben sich auf
den rund 200 Seiten des Berichts gerade einmal auf einer
halben Seite des DAC Peer Reviews angenommen . Sie
wissen, welche Bedeutung dieser Review hat . Er ist für

uns die entwicklungspolitische Richtlinie . Sie sollten ihn
einmal lesen; denn dort steht viel Interessantes für Ihre
Arbeit .

Dieser Bericht fordert zum Beispiel eine verstärk-
te internationale Arbeitsteilung und eine Reduzierung
auf wenige Partnerländer . Auch Sie sagen ständig: Das
Gießkannenprinzip muss weg . – Tatsächlich hat sich die
Anzahl der Partnerländer erhöht, genauso wie die Anzahl
der Themen, die Sie in den einzelnen Ländern aufgreifen .
Der Bericht fordert das Erstellen eines ressortübergrei-
fenden Konzepts für Politikkohärenz . Wir müssen jedoch
heute feststellen, dass wir uns von der Kohärenz immer
weiter entfernen, anstatt dass wir uns ihr annähern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Bericht fordert mehr Transparenz, eine Beendigung
der Lieferbindung und eine stärkere Konzentration der
ODA-Mittel auf die ärmsten Länder, auf fragile Staaten .
Aber Sie haben zugunsten der Middle Income Countries
umgeschichtet . Das ist kein Erfolg .

Des Weiteren wollten Sie den Welthunger mit grünen
Zentren bekämpfen . Sie behaupten, die textile Lieferkette
durch Ihr Textilbündnis auf ein nie dagewesenes Niveau
zu verbessern . Es geht aber noch toller: Die deutsche
Entwicklungszusammenarbeit wollen Sie durch Ihren
Marshallplan vom Kopf auf die Füße stellen . Herr Minis-
ter, als guter Katholik sollten Sie bitte schön die Kirche
im Dorf lassen . Ihre Ansätze sind weder neu noch inno-
vativ . Ihr Marshallplan hat nichts mit Marshall zu tun .
Sie sollten ihn eher Washington Consensus II nennen .
Das würde aber keiner verstehen . Deshalb nennen wir
ihn besser Müller-Plan . Dieser wird aber von der DIHK,
dem Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft, der Zivilge-
sellschaft und der Wissenschaft rundweg abgelehnt . Um
nur einen Kritikpunkt dieses Plans zu nennen: Der Plan
erweckt falsche Vorstellungen . Das musste die Kanzlerin
schmerzhaft erfahren, als sie im Niger den Präsidenten
besuchte, der von Ihrem Marshallplan gehört hatte . Der

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1823400800
Wie wäre es denn mit 1 Mil-
liarde? Die könne er gut gebrauchen . – Die Kanzlerin hat
dann 17 Millionen Euro zugesagt .


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Förderung der Privatwirtschaft ist nun wirklich
nicht Ihre Erfindung, sondern ist schon immer Bestand-
teil der wirtschaftlichen Zusammenarbeit gewesen .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Immer von euch bekämpft!)


Das sollten auch Sie von der SPD sich einmal zu Herzen
nehmen . Ihre damalige Ministerin hat in diese Richtung
schon längst gearbeitet . Sie sollten sich nicht vorgaukeln
lassen, dass das eine neue Erfindung ist.

Private Investitionen werden natürlich auch von uns
gefordert . Sie müssen allerdings bestimmte Kriterien
erfüllen, die in Deutschland selbstverständlich sind . Die
Rahmenbedingungen für die Investitionen werden von
den SDGs definiert. Lesen Sie doch einfach einmal den
Grünenantrag zum Thema „Globale Investitionen gestal-
ten“ . Darin steht viel, wie man es richtig macht .

Stefan Rebmann






(A) (C)



(B) (D)


Ihre Konzepte, von der Afrika-Strategie über die Zu-
kunftscharta bis zum Marshallplan – das ist eine Kritik,
die Sie sich wirklich zu Herzen nehmen sollten –, wur-
den nicht im Kabinett abgestimmt . Aber das macht ei-
nem PR-Strategen natürlich nichts aus . Hauptsache, man
kommt groß in die Medien . Herr Müller, Sie sind nicht
teamfähig .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das sehen wir ganz anders! – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Das klingt ein bisschen neidisch!)


Ihre Einmannshow hat inzwischen weitreichende Fol-
gen; denn die Gelder – Kollege Rebmann hat darauf hin-
gewiesen –, die Sie medial wirksam in Ihre Sonderinitia-
tiven pumpen, fehlen an anderer Stelle schmerzhaft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die GIZ, aber auch viele NGOs leiden unter der Umlen-
kung dieser Mittel . Gut funktionierende Projekte müs-
sen eingestampft werden . Sie opfern gute Projekte Ihren
medialen Zielen . Sorry, Herr Müller, da haben Sie etwas
in der Entwicklungspolitik völlig falsch verstanden . Die
geht nämlich anders .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch mit Ihren Äußerungen zur Handelspolitik ha-
ben Sie landauf, landab richtig Furore gemacht . Aber
wo waren Sie denn, als diese Handelsverträge in Brüssel
unterschrieben wurden? Ich habe es ganz vergessen: Sie
waren am Verhandlungstisch . Da hat die Kollegin Hänsel
völlig recht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie wollen Sie den Menschen im Land erklären, wa-
rum Sie sich in Ihren Hochglanzbroschüren seitenweise
über fairen Handel auslassen, um dann in Ihrem eigenen
Verantwortungsbereich nichts zu machen? Auch Ihrem
Haus ist schon längst klar, dass diese Verträge für Afrika
schädlich sind . Ich meine nicht nur, aber auch Milchpul-
ver, Hähnchenteile, eingedoste Tomaten und, und, und .
Das alles sind Produkte, die die afrikanischen Länder
selbst herstellen können, es sei denn, sie werden durch
Handelsverträge, die Sie mitverantworten, genötigt, ihre
Grenzen für diese Produkte zu öffnen . Dann haben die
afrikanischen Länder keine Chance mehr . Damit zer-
stören Sie den größten und wichtigsten Sektor in diesen
Ländern, nämlich die Landwirtschaft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Damit fördern Sie – das müssen Sie wissen, Herr Mi-
nister – wissentlich den Fluchtdruck von Millionen von
Menschen . Ein Stopp der EPAs wäre effektive Fluchtur-
sachenbekämpfung, die Ihnen angeblich so wichtig ist .
Wenn Ihnen aber wirklich daran gelegen ist, hätten Sie
als deutscher federführender Minister in Brüssel Verbes-
serungen einbringen müssen und können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie haben Sie sich überhaupt im Kabinett oder im
Bundessicherheitsrat eingebracht? Sie hätten zum Bei-
spiel eindeutig gegen Rüstungsexporte Stellung nehmen

müssen . Wann haben Sie jemals gegen Waffenlieferun-
gen, zum Beispiel nach Saudi-Arabien, gestimmt?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie hätten den Umwelt- und Menschenrechtsschutz
bei Investitionen entlang der Lieferkette gesetzlich ver-
ankern müssen . Sie haben das nicht einmal versucht .
Über Strukturpolitik reden, aber nichts machen, ist Ihre
Stärke . Damit zeigen Sie auch, dass Ihre vermeintlichen
Fluchtursachenbekämpfungsmaßnahmen nur ein Lip-
penbekenntnis sind . Deutschland und die EU verlagern
lieber die europäischen Grenzen nach Afrika, auch wenn
dafür skandalöse Verträge mit Diktatoren notwendig
werden .

Wir diskutieren heute einen wirklich mageren Bericht,
eine magere Bilanz . Wie mager diese Bilanz ist, können
Sie unserem Entschließungsantrag entnehmen . Dort ha-
ben wir allerdings nur die wichtigsten Kritikpunkte auf-
geführt .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Dann sind wir ja schnell fertig!)


Mein Blick geht jetzt zur Regierungsbank . Herr Mi-
nister, das erinnert mich irgendwie an Jim Knopf und
Lukas den Lokomotivführer . Sie wissen, beide haben
lange gebraucht, bis sie das Problem mit dem Scheinrie-
sen erfasst haben . Ihre Zeit ist abgelaufen . Wir haben den
Scheinriesen Müller entdeckt, und wir wissen auch, was
dahintersteckt . Nach fast vier Jahren ist Ihr Zauber vor-
bei . – Herr Präsident, ich komme zum Schluss . – Sie ha-
ben sehr hoffnungsvoll mit viel grüner Rhetorik begon-
nen . Sie hatten am Anfang auch die grüne Unterstützung .
Am wenigsten wurden Sie von Ihrer Fraktion unterstützt .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was Sie alles wissen! Unglaublich!)


Jetzt stellen wir fest, dass die letzten vier Jahre entwick-
lungspolitisch leider verloren sind . Man muss sagen:
Diese Zeit haben wir nicht mehr .


(Zurufe von der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823400900

Herr Kollege!


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823401000

Wir haben keine Zeit mehr, um sie einfach zu verspie-

len .


(Hans-Joachim Fuchtel [CDU/CSU]: Mit der Rede kommen Sie unter 5 Prozent!)


Es gilt, zu handeln, nicht nur zu reden .

Danke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823401100

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin

Dagmar Wöhrl das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Uwe Kekeritz






(A) (C)



(B) (D)



Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1823401200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

weiß nicht, lieber Uwe Kekeritz, wer dir das aufgeschrie-
ben hat .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Selber geschrieben!)


Vielleicht solltest du dein Redemanuskript in der Zukunft
vorher richtig durchlesen . Das bist nicht du; so redest du
normalerweise auch nicht .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Entschuldigung! – Stefan Rebmann [SPD]: Doch! Ich kann es bestätigen! Im Ausschuss redet der so!)


Bleib identisch, wenn du hier sprichst . Ich habe dich jetzt
zwei Legislaturperioden im Ausschuss erlebt und muss
feststellen: Der andere Uwe Kekeritz ist mir viel lieber .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine erste ent-
wicklungspolitische Rede im Bundestag hielt ich 2010
in einer Haushaltsdebatte . Thema damals waren die
Auswirkungen der internationalen Finanzkrise auf die
Entwicklungsländer . Die Weltbank hatte gerade veröf-
fentlicht, dass die Zahl der ärmsten Menschen der Welt
bei 64 Millionen liegt, dass es 43,7 Millionen Flüchtlinge
gibt und 49 000 Opfer von gewaltsamen Konflikten. Da-
mals wurden die Entwicklungspolitiker noch als eine Art
Exoten mit der Ethik von Gutmenschen betrachtet . Heu-
te ist es so, dass die Entwicklungspolitik die Tagesord-
nungspunkte internationaler Zusammenkünfte bestimmt,
etwa bei Treffen der G 20 . Die Entwicklungspolitik steht
im Mittelpunkt des Geschehens bei internationalen Ver-
handlungen .

Wir haben gelernt, dass die Herausforderungen leider
nicht kleiner geworden sind, sondern viel größer . Man
hat das Gefühl, im Modus einer Dauerkrise zu sein: Die
Flüchtlingszahlen sind von damals 43,7 Millionen auf
65 Millionen gestiegen . Ein El Niño hat in Äthiopien
die stärkste Dürrekatastrophe seit 50 Jahren hervorgeru-
fen. Die Hungerkrise als Folge von Konflikt und Gewalt
steigt so an, dass 50 Millionen Menschen allein im Osten
und im Süden von Afrika auf Nahrungsmittelhilfe ange-
wiesen sind . Uns droht, dass allein durch den Klimawan-
del bis 2050 über 200 Millionen Menschen auf der Flucht
sein werden .

Diese Zuspitzung der Krisen in einer ganz neuen Di-
mension hat uns gezwungen, schnelle Reaktionen zu
zeigen, zum Beispiel mit der Versorgung der Flüchtlinge
rund um Syrien und mit der Stabilisierung der Gemein-
den in den Nachbarländern rund um Syrien . Wir haben
durch unsere Politik, durch unser Engagement vor Ort
verhindert, dass ganze Regionen dort in Brand geraten
sind, und haben hier langfristig die richtigen Prioritä-
ten gesetzt . Es war richtig, dass der Minister gleich am
Anfang dieser Legislaturperiode das Thema „Flucht und
Vertreibung“ in den Mittelpunkt seiner Arbeit gestellt

hat . Andere waren noch weit davon entfernt . Wir haben
hier von Anfang an den richtigen Akzent gesetzt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben innovative Instrumente wie Cash for Work
genutzt . Wir haben Sonderinitiativen wie „EINEWELT
ohne Hunger“ gestartet, die sehr erfolgreich sind . Es
gibt inzwischen über 14 Innovationszentren auf der
Welt, Tendenz steigend . Wir haben auch erkannt, dass
die Zusammenarbeit zwischen Entwicklungspolitik und
Sicherheitspolitik im Rahmen eines vernetzten Ansatzes
wichtig ist und die Trennung, die über viele Jahre hinweg
aus ideologischen Gründen vollzogen worden ist, aufge-
hoben werden musste .

Wir sind den richtigen Weg gegangen . Das wird vor al-
lem daran deutlich, dass inzwischen 1,5 Milliarden Men-
schen in fragilen Staaten leben . Diese Menschen haben
fast keine Gesundheitsversorgung . Die Kinder können
nicht zur Schule gehen; sie sind von Bildung weitgehend
abgeschnitten . Diese Menschen haben keine Perspekti-
ve für sich und auch keine Perspektive für ihre Kinder .
Sie haben täglich Angst vor Übergriffen . Sie fragen nicht
nach Ideologien . Sie wollen Hilfe von der internationalen
Gemeinschaft, und sie wollen auch Hilfe von uns .

Als ich angefangen habe, mich im Deutschen Bun-
destag mit der Entwicklungspolitik zu beschäftigen – ich
war vorher im Bereich der Wirtschaftspolitik tätig –,
habe ich gemerkt, dass starke rote Linien gezogen wor-
den sind, wenn es um die Zusammenarbeit mit der Pri-
vatwirtschaft ging . Ich bin froh, dass wir erkannt haben,
dass wir allein mit öffentlichen Mitteln unsere Ziele nicht
erreichen können . Wir können die Ziele der Agenda 2030
nicht nur mit Steuermitteln erreichen; wir brauchen dazu
die Privatwirtschaft . Deswegen ist es richtig, dass sich
der Minister dieser Sache mit seinem Marshallplan mit
Afrika angenommen hat und die Privatwirtschaft mit ins
Boot geholt hat .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Er hat die Privatwirtschaft aber nicht nur mit ins Boot
geholt, er nimmt sie in der Zukunft auch mit in die Ver-
antwortung .

Wir konzentrieren uns auf viele neue Felder .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: So wie bei Monsanto!)


Wir haben erkannt: Mit dem Gießkannenprinzip, das die
Entwicklungspolitik über viele Jahrzehnte hinweg ge-
prägt hat, hat man nicht die Ergebnisse erzielt, die man
erzielen wollte . Wir müssen uns auf wichtige Themen
konzentrieren . Eines dieser wichtigen Themen ist Bil-
dung; das hat der Minister vorhin zu Recht angespro-
chen . Deswegen ist es wichtig, dass wir Deutsche ver-
suchen, unsere Kompetenzen, die wir haben, in anderen
Ländern zu implementieren,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


wie die duale Ausbildung . In diesem Bereich sind wir gut,
da sind wir Weltmeister . Deswegen fördern wir Berufs-
bildungszentren überall auf der Welt, wo es möglich ist,
um jungen Menschen, die in ihren Ländern hoffnungslos






(A) (C)



(B) (D)


sind und keine Perspektiven haben, die Möglichkeit zu
geben, dort einen Job zu finden.

Ich bin froh, dass wir es in den letzten vier Jahren
geschafft haben, von dem Gedanken wegzukommen,
dass die Entwicklungsländer Nehmerländer sind . Das ist
wichtig . Wir können nicht sagen: Ihr, die Entwicklungs-
länder, seid die Nehmerländer, und wir sind die Besser-
wisser . – Das ist falsch . Ich bin froh, dass das erkannt
worden ist .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sprechen von Partnerschaft auf Augenhöhe, aber
wir fordern auch ein . Wir geben den Entwicklungslän-
dern nicht nur Geld, sondern sagen ihnen auch, dass sie
Eigeninitiativen entwickeln müssen, dass sie auch Eigen-
verantwortung zeigen müssen, dass sie ihre Aufgaben
machen müssen; ansonsten können sie von uns in der
Zukunft keine Hilfe mehr erwarten .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823401300

Frau Kollegin .


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1823401400

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich werde ermahnt .

Deswegen höre ich jetzt auch auf . Ich war ja immer an-
ständig und brav .

Viele von Ihnen wissen, dass ich nicht mehr für den
Deutschen Bundestag kandidieren werde . Ich nehme an,
dass dies nach 23 Jahren meine letzte Rede sein wird .
Ich habe nicht gezählt, wie viele Reden ich im Deutschen
Bundestag gehalten habe, nicht in Bonn und auch nicht
hier in Berlin . Aber ich habe eines erlebt: Wir hatten im-
mer eine sehr faire Streitkultur . Dafür möchte ich mich
ganz herzlich bedanken . Wir haben uns gekabbelt, aber
hatten immer auch Respekt vor der Meinung des anderen
und haben das immer auch ausgedrückt . Ich möchte mich
bei meinen Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich für
die Zusammenarbeit bedanken . Diese Streitkultur wird
mir fehlen; das ist ganz klar . Ich bin damals vor 23 Jahren
als Quereinsteigerin in die Politik gekommen . Das war
zu einer Zeit, als viele Kollegen noch gedacht haben, die
Frauen wären am besten im Familienausschuss und im
Gesundheitsausschuss aufgehoben . Ich war damals als
erste Frau im Wirtschaftsausschuss ein Exot .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823401500

Frau Kollegin .


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1823401600

Ich bin meinen Weg gegangen .

Vielleicht noch ein Satz zum Schluss: Der Gerichtshof
meiner politischen Verantwortung war immer mein per-
sönliches Gewissen, wie es auch das Grundgesetz vor-
schreibt . Ich sage immer: Eine Partei mag Orientierung
sein – das ist vielleicht mein letzter Satz –, aber sie kann
das eigene Gewissen nicht ersetzen . Das möchte ich hier
noch einmal sagen . Ich hatte immer Freude daran, zu ge-
stalten . Das werde ich auch weiterhin tun, in der einen

oder anderen Funktion . Der Entwicklungszusammenar-
beit werde ich auf jeden Fall erhalten bleiben .

Ein Dank geht zum Schluss an die vielen fleißigen
Helfer . Das darf ich zum Schluss, Herr Präsident, viel-
leicht noch sagen .


(Heiterkeit)


– Das muss ich noch sagen .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823401700

Sie hatten vor geraumer Zeit einen letzten Satz ange-

kündigt, Frau Kollegin .


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1823401800

Ja, aber das gestehen Sie mir heute zu . – Ich möchte

Dank sagen an die vielen Saaldiener, die uns immer sehr,
sehr nett und freundlich betreuen, an die Stenografen und
an die Mitarbeiter des Wissenschaftlichen Dienstes, also
an die vielen Fleißigen, die hinter den Kulissen tätig sind
und die man im Fernsehen oft nicht sieht .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie bleiben uns doch bei VOX erhalten, Frau Wöhrl!)


– Das stimmt, aber leider nicht hier . – Ein Dankeschön
auch an meine Wählerinnen und Wähler, dass ich hier
sein durfte!


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja, jetzt geht es aber zu weit!)


Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823401900

Ich gebe diesen Dank gerne zurück, Frau Kollegin

Wöhrl, verbunden mit allen guten Wünschen für die
weitere Zukunft . Ich bitte nur um Berücksichtigung des
folgenden Zusammenhangs: Wir werden in den wenigen
verbleibenden Plenardebatten häufiger vergleichbare
Konstellationen haben, dass Kolleginnen und Kollegen
zum letzten Mal in diesem Hohen Hause das Wort ergrei-
fen . Das verfolgen wir alle mit ganz besonderem Res-
pekt . Es wäre zu schön, wenn die bei dieser Gelegenheit
vorgesehenen persönlichen Worte in der Nähe der Rede-
zeit untergebracht werden könnten .


(Heiterkeit)


Ansonsten bringt das den jeweils amtierenden Präsiden-
ten in die Schwierigkeit, zwischen der Gewissensfreiheit
der Abgeordneten und der vom Plenum des Bundestages
beschlossenen Gesamtredezeit zum jeweiligen Tagesord-
nungspunkt einen vertretbaren Mittelweg zu finden.

Der nächste Redner ist der Kollege Movassat, bei dem
dieses Problem hoffentlich nicht auftritt .


(Beifall bei der LINKEN – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Der kommt wieder!)


Dagmar G. Wöhrl






(A) (C)



(B) (D)



Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823402000

Ich mache weiter . – Herr Präsident! Meine Damen

und Herren! Die Abschiedsworte dauerten fast so lange
wie meine vier Minuten Redezeit . Ihnen alles Gute, Frau
Wöhrl!

Herr Müller, eines muss ich Ihnen tatsächlich lassen:
Sie haben wirklich einen sehr guten Redenschreiber . Er
hat dafür gesorgt, dass Sie in dieser Legislaturperiode oft
den richtigen Ton getroffen haben . Da sagten Sie dann
Dinge, die wir Linken auch sagen, zum Beispiel, dass der
reiche Teil der Welt nicht auf Kosten der Armen leben
darf .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber das Problem ist: Sie haben in den letzten vier Jahren
eine komplett gegenteilige Politik betrieben .


(Beifall der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE])


Ihre Entwicklungspolitik war eben nicht nachhaltig .
Statt schöner Worte hätten wir Linke uns gute Taten ge-
wünscht .


(Beifall bei der LINKEN)


Schauen wir uns die realen Ergebnisse Ihrer Politik
an .

Erstens . Sie bekämpfen Flüchtlinge, nicht die Flucht-
ursachen . Die GIZ, die Durchführungsorganisation der
deutschen Entwicklungspolitik, arbeitet im Sicherheits-
bereich in Ihrem Auftrag mit Diktaturen wie dem Sudan
und Äthiopien zusammen . Ihr Motto lautet: Hauptsache,
es flüchtet niemand mehr nach Deutschland. Hätten Sie
doch nur wirklich etwas gegen die Fluchtursachen getan,
zum Beispiel, indem Sie in der Bundesregierung laut und
klar Ihre Stimme gegen die neoliberalen und entwick-
lungsfeindlichen EU-Freihandelsabkommen mit Afrika
erhoben hätten oder indem Sie endlich die Steuerflucht
deutscher Konzerne aus den Ländern des Südens einge-
dämmt hätten!


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Gerade Letzteres ist wichtig, weil man im Kampf ge-
gen Fluchtursachen natürlich auch Geldmittel braucht .
Das internationale Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonational-
einkommens für die Entwicklungszusammenarbeit aus-
zugeben, haben Sie nun offiziell erreicht. Aber wir alle
wissen, dass diese 0,7 Prozent auf einem Trick beruhen:
Sie haben die Kosten für die Unterbringung der Flücht-
linge hier in Deutschland mit eingerechnet . Davon haben
die Menschen im globalen Süden genau 0 Prozent . Diese
Zahlenspiele sind peinlich .


(Beifall bei der LINKEN)


Zum zweiten Punkt Ihrer praktischen Politik . Sie ha-
ben einen sogenannten Marshallplan vorgestellt . Er ist
aber eine reine Mogelpackung . Der historische Marshall-
plan brachte nach heutigen Verhältnissen umgerechnet
die Summe von 130 Milliarden Dollar auf . Ihr Mar-
shallplan umfasst 0 Dollar . Beim Thema Geld verwei-

sen Sie in Ihrem Plan nur schwammig auf die deutsche
Wirtschaft . Aber eigentlich passt dieser Verweis; denn
Ihr Plan zielt auf die Interessen der deutschen Export-
wirtschaft . So sprechen Sie vordergründig davon, dass
die Investitionsbedingungen in den Ländern des Südens
verbessert werden sollen . Aber was bedeutet das? Das
bedeutet am Ende doch wieder, dass die Entwicklungs-
länder, die eine solide Umwelt- und Sozialgesetzgebung
haben, die also ihre Umwelt schützen und die Rechte der
Arbeiter verankert haben, diese Regeln abbauen sollen .
In dieser Logik bekommt das Land Investitionen, das
die niedrigsten Standards hat, und ein Wettbewerb nach
unten entsteht . So bekämpft man keine Armut . So kann
Entwicklungspolitik nicht funktionieren .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum dritten Punkt Ihrer praktischen Politik . Sie sagen,
Sie wollten eine Welt ohne Hunger . Gleichzeitig fördern
Sie aber mit Entwicklungsgeldern die Verbreitung von
Monokulturen, Pestiziden, chemischen Düngemitteln
und patentiertem Saatgut . Ihre Entwicklungspolitik,
Herr Müller, spielt den Türöffner für Unternehmen wie
Bayer-Monsanto und BASF . Damit zerstören Sie die
Existenz von Kleinbauern und machen sie abhängig von
Agrar konzernen . Sie schaffen damit Hunger . Wir brau-
chen eine Entwicklungspolitik, die Kleinbauern unter-
stützt und nicht die Profite der Agrarkonzerne vermehrt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Viertes Beispiel für „große Worte und nichts dahinter“
ist das Textilbündnis . Wo ist denn am Ende Ihrer Amts-
zeit der versprochene „Grüne Knopf“ für fair und nach-
haltig produzierte Textilien?


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den will ich gar nicht haben!)


Sie sind vor der Textillobby eingeknickt . Jedes Unterneh-
men darf jetzt machen, was es freiwillig machen möchte .
Das ist ein schlechter Witz . Herr Müller, Ihre Bilanz ha-
ben Sie mit dem wohlklingenden Titel „Entwicklungspo-
litik als Zukunfts- und Friedenspolitik“ versehen – mal
wieder schöne Worte . Der passende Titel für die Bilanz
wäre aber „Entwicklungspolitik als Phrasendrescherei
und Außenwirtschaftsförderung“ .

Danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823402100

Die Kollegin Weber erhält nun für die SPD-Fraktion

das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Gabi Weber (SPD):
Rede ID: ID1823402200

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Für alle, die ihn noch nicht gesehen
haben: Das ist der entwicklungspolitische Bericht . Für






(A) (C)



(B) (D)


alle diejenigen, die auf den Tribünen sitzen: Den kann
man sich auch beschaffen .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber der gibt nicht so viel her, ehrlich gesagt! Schöne Bilder!)


– Na ja .

Die Bundesregierung legt mit diesem Bericht Rechen-
schaft über die Arbeit der letzten vier Jahre ab . Diese Zeit
war von der Gleichzeitigkeit großer Krisen geprägt –
Kriege, Flucht, Ebola und Hunger –, und alle haben Aus-
wirkungen auf unsere Entwicklungsarbeit . Es geht jetzt
darum, mit welcher Politik wir die 2015 beschlossenen
17 Ziele für nachhaltige Entwicklung erreichen wollen,
in der Welt, aber auch bei uns zu Hause .

In meiner nun bald vierjährigen Doppelrolle als Ent-
wicklungs- und Verteidigungspolitikerin stand für mich
das Thema Sicherheit oft im Fokus . Dabei ist Sicherheit
aber mehr als nur militärisch-polizeiliche Sicherheit . So-
ziale Sicherheit, gerechte Verteilung von Ressourcen, Er-
nährungssicherheit und die vor- und nachsorgende Frie-
densarbeit sind die zweite Seite derselben Medaille .


(Beifall bei der SPD)


Unser Ziel ist eine umfassende menschliche Sicherheit,
die die Grundlage für ein menschenwürdiges Leben bil-
det und damit zugleich Konflikten vorbeugt.

„Entwicklungschancen fördern, Fluchtursachen min-
dern und Frieden sichern“, so stellt der Bericht klar, dass
Entwicklungspolitik gerade die strukturellen Ursachen
von Fragilität und Flucht wie das Versagen staatlicher In-
stitutionen, Armut, Ungleichheit, Perspektivlosigkeit und
Klimawandel nur mittel- und langfristig mindern kann .
Das ist das Kerngeschäft von Entwicklungspolitik und
nicht überhastete Feuerwehreinsätze und Sonderinitiati-
ven .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es freut mich, dass die Rolle von Frauen bei der Frie-
denssicherung und der Entwicklung in dem Bericht ge-
würdigt wird . Frauen sind starke Akteure, aber leider oft
auch Opfer . Beides muss berücksichtigt werden . Die Um-
setzung der UN-Resolution 1325 durch unseren zweiten
Nationalen Aktionsplan ist damit auf einem guten Weg .


(Beifall des Abg . Christoph Strässer [SPD])


Eine friedensorientierte Politik schließt auch eine
zurückhaltende und verantwortungsvolle Rüstungs-
politik mit ein .

Diesen Satz in dem Bericht kann jeder von uns, denke
ich, voll unterschreiben . Ihn umzusetzen, Herr Müller,
heißt dann aber auch, dass das BMZ und alle beteiligten
Ressorts sich diesen bei ihren Entscheidungen zu eigen
machen müssen .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Frieden, Sicherheit und nachhaltige Entwicklung sind
nur in einem vernetzten Ansatz erreichbar . Die neuen
Leitlinien der Bundesregierung zu Krisenvorbeugung
und Friedensförderung wie auch das Weißbuch tragen
dem Rechnung . Nur, Herr Minister: Der Marshallplan
für oder mit Afrika folgt dem Gebot dieser engen Ab-
stimmung nicht . Sie haben ihn alleine gemacht und dann
im Kabinett vorgelegt . Das ist keine Abstimmung im
Sinne vernetzter, vernünftiger Arbeit, die wir dringend
brauchen .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Noch etwas, weil ich gerade beim Thema Afrika bin .
Im Bericht wird verkündet:

Der Einsatz auf EU-Ebene für eine entwicklungs-
freundliche Ausgestaltung aller EU-Handels- und
Investitionsabkommen mit Entwicklungs- und ge-
genüber Drittländern im Sinne der Agenda 2030 ist
ein zentrales deutsches Anliegen .

Ja, aber wenn es Ihnen damit ernst ist, Herr Minister, so
wie Sie es im Januar im Ausschuss vorgetragen haben,
dann sollten Sie die jetzt vorliegenden EPAs nicht mitbe-
schließen, sondern Hand in Hand mit uns ablehnen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Übrigen bin ich der Meinung, dass wir uns bei
der ODA-Quote nichts vormachen sollten . Die 0,7 Pro-
zent erreichen wir nur dadurch, dass die Kosten für
die Geflüchteten bei uns angerechnet werden. Das ist
OECD-konform . Wenn man das aber abzieht, dann sind
wir bei 0,52 Prozent . Ja, das ist eine gewaltige Steige-
rung in den letzten drei Jahren; aber wir müssen aufpas-
sen, dass wir das Ziel von 0,7 Prozent im Blick behal-
ten . Noch ein Hinweis: Die multilateralen ODA-Mittel
sind zugunsten der bilateralen Zusammenarbeit massiv
verringert worden . Das bringt uns aber nicht weiter . Wir
müssen mit starken Partnern weltweit multilateral zu-
sammenarbeiten . Das muss unser Ziel sein, um die Agen-
da 2030 mit Leben zu erfüllen .

Danke .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823402300

Das Wort erhält nun die Kollegin Sibylle Pfeiffer für

die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sibylle Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1823402400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In

meinem Wahlkampfflyer aus dem Jahr 2002 stand sinn-
gemäß: Ich möchte gerne Entwicklungspolitik machen,
weil ich helfen möchte, die Lebensumstände der Men-
schen vor Ort zu verbessern, damit sie ihre Heimat nicht
verlassen müssen . – Man kann sagen: „Das war weit-

Gabi Weber






(A) (C)



(B) (D)


sichtig, vorausschauend“, vielleicht auch: „Warst du eine
Hexe? Was hast du damals gesehen?“ . Keine Ahnung,
aber seit 2002 habe ich drei Entwicklungsminister er-
lebt – eine Entwicklungsministerin, zwei Entwicklungs-
minister –, und wenn ich den entwicklungspolitischen
Bericht, den wir heute hier diskutieren, betrachte, dann
ist das, was wir jetzt nach vier Jahren Minister Müller
vorlegen, das, was ich mir unter nachhaltiger, weitsich-
tiger, vorausschauender und effizienter Entwicklungspo-
litik vorstelle .


(Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja, das ist auch keine Kunst!)


– Das ist keine Kunst?


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Im Vergleich zu Niebel!)


Ich möchte gar nicht daran denken, was vorher geleistet
worden ist, also bitte .

Es ist offensichtlich doch eine Kunst, weil es weg-
weisend war, wie weise, klug und weitsichtig als Erstes
die Sonderinitiativen in Gang gesetzt worden sind –
„ EINEWELT ohne Hunger“, „Stabilität und Entwick-
lung in Nordafrika und Nahost“, „Fluchtursachen be-
kämpfen“ –, lange bevor sich die Probleme überhaupt
erst stellten . Es ist auch weitsichtig, klug und weise, ein
Textilbündnis mit Empathie und Engagement voranzu-
bringen . Das hat unser Minister in den Medien, in der
Öffentlichkeit, in der Gesellschaft vorgestellt, und das
war es, was uns fehlte .

Jawohl, wir gehören in die Mitte der Politik . Wir sind
ein Teil der guten Außenpolitik, die Deutschland an sich
macht . Aber machen wir uns nichts vor, liebe Freunde:
Ich habe das Gefühl, dass wir immer suggerieren, wenn
wir erst einmal genug Geld hätten, wäre alles in Ord-
nung . Für uns sind 0,7 Prozent das Mantra .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, wir machen das nicht!)


Haben wir erst einmal 0,7 Prozent erreicht, dann ist die
ganze Welt in Ordnung . Wir suggerieren auch, Deutsch-
land könne die Welt retten .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen wir auch nicht!)


Liebe Freunde, wir sind ein ganz, ganz kleiner Teil in
dem großen Rad der internationalen Gemeinschaft . Da
müssen wir uns effektiv einbringen und effizient arbei-
ten . Da werden wir dringend gebraucht, unsere Ideen und
Strategien, unsere Kenntnisse von den Strukturen vor
Ort, den Gesundheitssystemen, den Bildungssystemen
und Ähnlichem . Da sind wir gefragt . Wenn wir es schaf-
fen, da unsere Arbeit sinnvoll zu machen, dann haben wir
schon sehr viel geleistet .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gestatten Sie mir einen kurzen Ausblick auf die He-
rausforderungen der Zukunft . Was sind die großen The-
men? Ein großes Thema ist das Wachstum der Weltbe-
völkerung . Wie können wir dem begegnen? Der Minister
hat es schon gesagt: hauptsächlich mit Bildung und Aus-
bildung der jungen Frauen und Mädchen . Wir brauchen

die Frauen in Arbeit . Dieser Prozess ist langwierig, und
dafür brauchen wir Geduld . Das ist es auch, was wir in
der Entwicklungspolitik überhaupt brauchen: einen lan-
gen Atem, viel Geduld und viel Mut .

Wir werden als Nächstes vor der großen Herausforde-
rung der Energieversorgung in den sich entwickelnden
Ländern stehen . Das wird eines der Hauptprobleme sein:
Wie bekommen wir die industrielle Entwicklung in den
Ländern, vor Ort, hin, ohne dass wir Industrialisierungs-
mechanismen in Gang setzen, wie wir sie hatten, aber
heute zum Glück nicht mehr haben? Wir brauchen dort
andere Mechanismen, um eine Entwicklung mit einer an-
deren Form der Energieversorgung hinzukriegen .

Das Thema Klima . Der Klimawandel ist in den Län-
dern, in denen wir tätig sind, eigentlich das große Thema
überhaupt . Es geht hier um eine weltweite, internationa-
le Aufgabe, eine Aufgabe der internationalen Gemein-
schaft . Dem müssen wir uns stellen, da müssen wir mit-
machen, und wir werden es auch hinkriegen, wenn wir
uns ordentlich einsetzen .

Ich glaube, es ist richtig und gut, dass wir die Ent-
wicklungspolitik aus der Ecke herausgeholt haben, in der
das Weltverbesserertum und auch der Altruismus über-
handnahmen . Wir sind in der Realität angekommen . Ent-
wicklungspolitik muss realitätsnah sein, muss gewissen
Anforderungen genügen, muss sich daran orientieren,
welche Notwendigkeiten bestehen und wie man die Auf-
gaben vor Ort mit unseren Partnern erledigen kann . Das
ist das, was wir in Zukunft viel mehr brauchen: nicht sa-
gen, wie es besser geht, sondern die Länder mitnehmen,
vor allen Dingen nicht nur an ihre Eigenverantwortung
appellieren, sondern sie auch massiv einfordern – auch
mit Druck –, Unterstützung nur unter gewissen Voraus-
setzungen leisten, zum Beispiel unter der Voraussetzung,
dass die Länder auch ihre eigenen Gelder, ihre eigenen
Ressourcen, ihre eigenen materiellen Fähigkeiten, ihre
eigenen geistigen Fähigkeiten einsetzen . Wir brauchen
dabei den Einsatz der Länder, sonst können wir nicht ge-
meinsam reüssieren .

Was der Entwicklungspolitiker der Zukunft braucht,
sind immer noch ein langer Atem und Geduld, aber vor
allen Dingen Frohsinn, Mut und Zuversicht . Das wün-
sche ich, liebe Kollegen, all jenen, die sich auch in Zu-
kunft mit Entwicklungspolitik befassen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823402500

Nächster Redner ist der Kollege Christoph Strässer .


(Beifall bei der SPD)



Christoph Strässer (SPD):
Rede ID: ID1823402600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

mache meine persönliche Erklärung zu Beginn, damit sie
in die Redezeit passt: Es ist voraussichtlich meine letzte
Rede hier, und ich freue mich darüber und bin dankbar
dafür, dass meine Fraktion mir die Gelegenheit gibt, hier
ein bisschen ausführlicher Stellung zu nehmen .

Sibylle Pfeiffer






(A) (C)



(B) (D)


Frau Pfeiffer, ich wollte hier eigentlich eine alters-
milde, versöhnliche Rede halten; aber bei zwei Punkten
muss ich den Ton wechseln:

Erstens . Sie haben völlig recht: Der Entwicklungspo-
litische Bericht ist dick;


(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Das habe ich gar nicht gesagt!)


er enthält viele Festlegungen . Aber es ist schon sehr häu-
fig kritisiert worden, dass die Umsetzung an vielen Punk-
ten zu wünschen übrig lässt . Was ich nur sagen wollte:
Einen Quantensprung in der Entwicklungspolitik sehe
ich in der Tat im Vergleich zu dem, was in der letzten
Legislaturperiode hier abgeliefert worden ist . Denn ei-
nes haben Sie, Herr Müller, ganz deutlich hingekriegt:
Das, was damals viele – auch von außerhalb, aus der
Zivilgesellschaft – empfunden haben, nämlich dass Ent-
wicklungspolitik zu einer anderen Form von Wirtschafts-
förderung geworden ist, ist in Ihrer Politik, auch in dem
Bericht, nicht mehr vorhanden . Ich glaube, das ist ein
Schritt nach vorne .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber ich sage mal: Nach der damaligen Darbietung war
das auch nicht so ganz schwer . Nichtsdestotrotz ist es ein
Schritt nach vorne .

Zweitens, Frau Pfeiffer, möchte auch ich die
ODA-Quote ansprechen . Ja, Sie haben recht: Sie ist in
der Tat ein Symbol für den Zustand der Entwicklungspo-
litik, und ich bin ganz froh darüber, dass wir eine solche
Benchmark haben . Ich habe es bei meiner letzten Rede
hier schon gesagt: Ich persönlich mache unabhängig von
Parteien schon seit mehr als 40 Jahren in diesem Bereich
Politik, und schon damals wurde das 0,7-Prozent-Ziel
politisch gefordert . Ich will gar nicht thematisieren – es
ist hier alles angesprochen worden –, wieso wir jetzt auf
eine Quote von 0,7 Prozent kommen . Ich habe mal ein
Zitat zu dem Haushalt gelesen, den Sie vorgelegt haben,
insbesondere zur ODA-Quote von 0,7 Prozent, die wir
jetzt erreicht haben . Frau Weber hat es gesagt: Es ist
völlig korrekt, die Quote so zu berechnen, wie es hier
getan wurde . Ich zitiere mal jemanden aus der Zivilge-
sellschaft, die heute in dieser Debatte – aus meiner Sicht
zu Unrecht – noch gar keine große Rolle gespielt hat,


(Beifall der Abg . Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


nämlich den Vorstandsvorsitzenden von VENRO, ei-
nem der größten Partner der Bundesregierung auch bei
der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit . Er hat am
11 . April zu diesem Thema Folgendes gesagt – ich zitie-
re –:

Damit rechnet sich Deutschland die Ausgaben für
Entwicklungszusammenarbeit schön und bleibt
größter Empfänger seiner eigenen Mittel für Ent-
wicklungszusammenarbeit .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist richtig . Er hat es auf den Punkt gebracht . Man
muss sich das nicht zu eigen machen, aber wir alle haben
die Botschaft verstanden und vereinbart, dass wir auch in
Zukunft bei dem 0,7-Prozent-Ziel bleiben wollen .

Lassen Sie mich auf einen weiteren Punkt hinweisen .
Wir und die internationale Gemeinschaft insgesamt ha-
ben in den letzten zwei Jahren gute Rahmenbedingun-
gen für die internationale Entwicklungszusammenarbeit
geschaffen . Auf dem Nachhaltigkeitsgipfel im Septem-
ber 2015 wurde mit der Verabschiedung der Nachhal-
tigkeitsagenda 2030 und der SDGs ein aus meiner Sicht
ganz wichtiger Paradigmenwechsel in der internationalen
Außenpolitik und in der internationalen Entwicklungszu-
sammenarbeit herbeigeführt . In diesem Zusammenhang
wurde ein Begriff geprägt, den ich sehr treffend finde.
Es wurde gesagt: Ziel ist nicht weniger und nicht mehr
als die „Transformation“ unserer Welt . Ich glaube, das ist
der eigentliche Kern der Agenda 2030; denn mit ihr wer-
den die Ziele und die Möglichkeiten von Entwicklungs-
zusammenarbeit vom Kopf auf die Füße gestellt . Dieser
Paradigmenwechsel ist an der einen oder anderen Stelle
angesprochen worden . Man hat sich darauf verständigt:
Wir müssen weg von der Mentalität, dass die Menschen
in Afrika und Südostasien von uns Almosen erhalten,
und deshalb sind wir die Guten . Nein, liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Nachhaltigkeitsagenda 2030 ist eine
Verpflichtung für alle Staaten und für alle Gesellschaften
auf dieser Erde. Sie ist auch die Verpflichtung uns selbst
gegenüber, unsere Hausaufgaben zu machen . Auf die-
ser Grundlage werden dann die Angebote an Partner, an
Partnerländer und Partnergesellschaften gemacht . Darauf
müssen wir uns vorbereiten . Aber trotz der Nachhaltig-
keitsstrategie, die die Bundesregierung auf den Weg ge-
bracht hat, sind wir noch weit von diesem Ziel entfernt .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Eine kurze Anmerkung zur Mittelverwendung; das
Thema ist hier schon angesprochen worden . Ich will mei-
ne Ausführungen anhand eines konkreten Beispiels deut-
lich machen . Frau Pfeiffer, Sie haben die Sonderinitiati-
ven gelobt . Ja, es ist wichtig und richtig, dass man eine
Reserve hat, um in Notsituationen eingreifen zu können;
ich kenne das speziell aus dem Bereich der humanitären
Hilfe . Nur: Bei der Entwicklungszusammenarbeit geht
es eben nicht um das kurzfristige Stopfen von Löchern,
sondern es geht um eine nachhaltige, zukunftsträchtige
Perspektive, die Standards braucht und auf deren Grund-
lage man eine langfristige Strategie entwickeln muss .
Das ist durch die Sonderinitiativen aus meiner Sicht nicht
geschehen . Im Gegenteil: Nachhaltigkeit ist im Grunde
genommen verhindert worden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will das an einem Beispiel deutlich machen . Wir
haben im Rahmen der Haushaltsberatungen für 2017
Kontakte mit Mitarbeitern des Zivilen Friedensdienstes
gehabt . Der Zivile Friedensdienst betreut Projekte im
Nahen Osten, in der Westbank, in Palästina, die unter
anderem aus Mitteln einer Sonderinitiative des BMZ ge-
fördert worden sind . Auf dem Höhepunkt der Arbeit und

Christoph Strässer






(A) (C)



(B) (D)


der Mediation ist diese Sonderinitiative ausgelaufen . Die
jungen Mitarbeiter haben uns gesagt: Wir müssen unser
Projekt stoppen; denn eine nachhaltige Finanzierung ist
nicht mehr gewährleistet . – Wenn man Kohärenz und
Prävention will, wenn man militärische Auseinanderset-
zungen wirklich verhindern will: Wie kann es dann sein,
dass solche wunderbaren Initiativen wie die des Zivilen
Friedensdienstes so wenig gefördert werden, dass man
die Projekte auf dem Höhepunkt ihrer Arbeit einstellen
muss? Das ist der falsche Weg, liebe Kolleginnen und
Kollegen .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der auch
schon Thema gewesen ist . In meiner Arbeit auf zahlrei-
chen Tätigkeitsfeldern habe ich mich mit der Entwicklung
auf dem afrikanischen Kontinent auseinandergesetzt .
Neben den vielen wahrnehmbaren positiven Ansätzen
möchte ich eine ganz fundamentale Kritik üben, die in
dieser Debatte schon ein Stück weit eine Rolle gespielt
hat . Es geht um den Marshallplan . Ich möchte jetzt nicht
über den Begriff philosophieren, aber eines wird in der
Diskussion deutlich: Ich erlebe es immer wieder, dass
viele, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, sa-
gen: Marshallplan für Afrika . Das sind nur drei Buchsta-
ben, aber sie zeigen, welche Mentalität dahintersteht . Ich
glaube, da muss man sehr aufpassen .

An Ihrer Strategie finde ich einiges falsch; da bin ich
übrigens nicht der Einzige . Ich habe vor wenigen Wo-
chen an einer Veranstaltung in Ihrem Haus teilgenom-
men . Hauptreferent war der frühere Bundespräsident
Horst Köhler . Er hat an der Initiative das gelobt, was lo-
benswert ist, nämlich die Bereitstellung von Fördermit-
teln für den Privatsektor .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es passiert nichts!)


Er hat aber auch gesagt: Wir können und dürfen uns nicht
auf eine Strategie verlassen, die die Entwicklung in fra-
gilen Staaten aus den Augen lässt . – Das Konzept, Förd-
ergelder in Staaten zu stecken, in denen es nach unserer
Auffassung eine gute Regierungsführung gibt, ist ja nicht
völlig falsch; aber wir müssen auch die fragilen Staa-
ten – das sagen auch Welthungerhilfe und andere –, in
denen die Armut stark zunimmt, mit unseren Initiativen
bedenken . Wir dürfen da keine Arbeitsteilung vornehmen
und sagen: Wir fördern die guten Staaten, und die armen
Menschen in Staaten mit einer schlechten Regierung und
fragilen Strukturen lassen wir außen vor . Das würde zu
einer noch größeren Ausdehnung von Katastrophen, von
Hunger und Armut führen . Damit werden wir zu tun ha-
ben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Horst Köhler hat einen weiteren Punkt, der aus mei-
ner Sicht sehr wichtig ist, deutlich angesprochen . Er hat
gesagt – jedenfalls habe ich ihn so verstanden –: Wenn
man sich schon auf eine solche Strategie fokussiert, dann
ist es falsch, durch andere Formen der finanziellen Zu-

wendung, beispielsweise durch den EU Emergency Trust
Fund, durch Programme im Rahmen des Valletta-Akti-
onsplans und des Khartoum-Prozesses, Regime zu för-
dern, mit denen wir keine Entwicklungszusammenarbeit
betreiben, dann ist es falsch, denen Geld zu geben, damit
sie Grenzen ausbauen und Grenzsicherung betreiben . –
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist keine Form
einer nachhaltigen Vermeidung von Fluchtursachen,
sondern das Gegenteil davon . Damit werden wir unse-
rem Anspruch an Entwicklungszusammenarbeit nicht
gerecht .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Eine letzte Bemerkung: Wir als Bundestag und auch
die Bundesregierung haben versprochen: Leave no one
behind . Wir wollen niemanden zurücklassen . Das haben
wir versprochen . Daran müssen wir uns messen lassen,
hier in diesem Hause und außerhalb, in der Zivilgesell-
schaft . Dieses Ziel ist noch nicht erreicht . Es lohnt sich,
wo auch immer in den nächsten Jahren und Jahrzehnten
dafür zu kämpfen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823402700

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Jürgen Klimke für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jürgen Klimke (CDU):
Rede ID: ID1823402800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Als letzter Redner zu diesem
Tagesordnungspunkt möchte ich die zentralen Punkte des
15 . Entwicklungspolitischen Berichts zusammenfassen .

Allen kritischen Stimmen zum Trotz kann sich die
entwicklungspolitische Bilanz der Bundesregierung
wirklich sehen lassen . Das ist ein persönlicher Erfolg von
Minister Müller,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


aber auch ein Erfolg der Bundeskanzlerin . Sie trägt einen
großen Anteil an diesem Erfolg, da wir als Entwicklungs-
politiker in ihr immer eine große Fürsprecherin hatten .
Das muss, glaube ich, deutlich gemacht werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Noch einmal zu den Zahlen: Seit Beginn der Legisla-
turperiode ist der Etat für den Bereich Entwicklungszu-
sammenarbeit um ein Viertel gewachsen, von 6,3 Milli-
arden auf 8,5 Milliarden Euro . Das ist nicht mager, lieber
Uwe Kekeritz .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bilanz ist mager! Es geht nicht immer nur um Geld!)


Christoph Strässer






(A) (C)



(B) (D)


Das ist keine Phrasendrescherei, lieber Kollege Movassat .
Das ist ein gewaltiger Sprung nach vorn . Das müssen
wir, glaube ich, einmal deutlich machen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Stefan Rebmann [SPD])


Wir haben über die erreichte Zielgröße gesprochen:
0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwick-
lungsausgaben . Wir verschweigen dabei natürlich nicht,
dass dieser Erfolg durch die Anrechenbarkeit der Aus-
gaben für Flüchtlinge im Inland erreicht wurde . Unser
Ziel in den kommenden Jahren muss es sein, trotz eines
möglichen Rückgangs der Ausgaben für Flüchtlinge das
derzeitige Niveau von 0,7 Prozent zu halten . Wir soll-
ten nicht darunter bleiben, sondern im Gegenteil über
0,7 Prozent hinausgehen .

Was steht hinter diesen schlichten 0,7 Prozent? An fol-
genden Beispielen lässt sich das verdeutlichen:

Mehr als 1 Million Kinder aus Syrien, der Türkei, dem
Libanon und dem Irak profitieren von den Bildungsange-
boten, die das BMZ finanziert. Dadurch haben sie eine
Chance für ihre Zukunft zu Hause .

In den letzten Jahren wurden hunderttausend Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer in der Textilbranche hin-
sichtlich der Arbeitnehmerrechte geschult .

Auf der Konferenz zur Wiederauffüllung der globalen
Impfallianz GAVI 2015 in Berlin konnte ein Rekorder-
gebnis erzielt werden . Deutschland wird die Allianz bis
2020 mit 600 Millionen Euro unterstützen . Das ist Ge-
sundheitsförderung .

Ich möchte Sie nicht mit weiteren Aufzählungen er-
müden .


(Zuruf der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE])


Aber ich glaube, es ist wichtig, zu sagen: Die deutsche
Entwicklungspolitik ist auf einem richtigen Weg . Der
200 Seiten starke Bericht macht das detailliert und mit
vielen Beweisen noch einmal deutlich .

Im Lichte der globalen Entwicklungsagenda 2030
zeigt der Bericht aber auch wichtige und notwendige
Weichenstellungen für die Zukunft unseres Planeten
auf . Es geht darum, eine Welt ohne Armut und Hunger
zu schaffen, den Klimawandel zu bekämpfen, Entwick-
lungschancen zu fördern, Fluchtursachen zu mindern,
Frieden zu sichern, die Weltwirtschaft gerechter zu ge-
stalten und globale Partnerschaften für die Agenda 2030
auf den Weg zu bringen . Mit diesen Weichenstellungen
liegt uns eine Roadmap vor, die Richtlinie für unser Han-
deln sein muss .

Dies zeigt sich aktuell im Rahmen der deutschen
G-20-Präsidentschaft unter dem Motto „Eine vernetzte
Welt gestalten“ . Die G-20-Runde ist das zentrale Forum
der internationalen Zusammenarbeit, in der die 20 füh-
renden Industrie- und Schwellenländer, die 80 Prozent
des globalen Handels auf sich vereinen, in Finanz- und
in Wirtschaftsfragen zusammenarbeiten . Höhepunkt ist
im Übrigen der G-20-Gipfel am 7 . und 8 . Juli in Ham-
burg, in meiner Heimatstadt . Auf der Agenda steht bei-
spielsweise die Ausgestaltung von nachhaltigen globalen

Lieferketten . Das ist ein Thema, das weltweit viele Mil-
lionen Näherinnen, Gerber, Spediteure und viele ande-
re Berufsgruppen betrifft . Vor allem geht es darum, die
Einhaltung von Arbeits- und Umweltstandards sowie von
Gesundheitsstandards zu gewährleisten .

Wir ziehen heute auch Bilanz der Entwicklungspolitik
der letzten vier Jahre . Wir stellen fest, dass Entwicklungs-
zusammenarbeit heute viel stärker im Fokus des öffentli-
chen Interesses steht, und das ist gut so – nicht nur, weil
sie überprüft wird, sondern auch, weil sie gelobt werden
kann . Entwicklungsminister Müller hat dies genutzt und
der deutschen Entwicklungspolitik eine Neuausrichtung
gegeben . Daher kann festgehalten werden: Deutschland
wird die Vorgaben der Agenda 2030 nicht nur erfüllen,
sondern – das ist wichtig – auch aktiv mitgestalten .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Bilanz sah aber negativ aus!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Herr Präsident, zum
Abschluss möchte ich mich, wie inzwischen üblich, im
Rahmen meiner letzten Rede – zumindest zur Entwick-
lungszusammenarbeit ist es die letzte – für das kollegi-
ale Miteinander in den letzten Jahren, für den demokra-
tischen Wettstreit in der Sache, für Ihre Unterstützung,
aber auch für die Unterstützung der Opposition sehr
herzlich bedanken . Allen von Ihnen, die in der nächs-
ten Wahlperiode hier im Deutschen Bundestag in einem
demokratischen Wettstreit bleiben, möchte ich zum Ab-
schluss meiner Rede ein Zitat von Albert Einstein mit auf
den Weg geben,


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Oh! Jetzt kommen die tiefen Einsichten!)


das mir stets ein guter Begleiter war . Es lautet sinnge-
mäß: Nichts wirklich Wertvolles kann erreicht werden
ohne die uneigennützige Zusammenarbeit vieler Einzel-
personen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE] – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ich beklatsche aber nur Albert Einstein!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823402900

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
der Drucksache 18/12300 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall . Dann ist
die Überweisung so beschlossen .

Wir kommen nun zu den Entschließungsanträgen der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen . Interfraktionell ist vereinbart, über die Entschlie-
ßungsanträge abweichend von der Geschäftsordnung so-
fort abzustimmen . Sind Sie damit einverstanden? – Das
ist diesmal offensichtlich der Fall . Dann können wir so
verfahren .

Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
tion Die Linke auf der Drucksache 18/12385 . Wer stimmt

Jürgen Klimke






(A) (C)



(B) (D)


für diesen Entschließungsantrag? – Wer ist dagegen? –
Wer enthält sich? – Damit ist der Entschließungsantrag
mehrheitlich abgelehnt .

Wir stimmen nun ab über den Entschließungsantrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksa-
che 18/12386 . Wer kann sich dafür erwärmen? – Das sind
die Antragsteller und die Fraktion Die Linke . Wer stimmt
dagegen? – Die Koalitionsfraktionen . Damit ist auch die-
ser Entschließungsantrag mehrheitlich abgelehnt .

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 8 sowie
zum Zusatzpunkt 2:

8 Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Caren Lay,
Herbert Behrens, Karin Binder, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Sozialer Wohnungsbau in Deutschland – Ent-
wicklung, Bestand, Perspektive

Drucksachen 18/8855, 18/11403

ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Christian Kühn

(Tübingen), Kerstin Andreae, Britta Haßelmann,

weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Gemeinsam für bezahlbares Wohnen – Le-
benswert und klimafreundlich

Drucksachen 18/10027, 18/11020

Zu der Großen Anfrage liegt ein Entschließungsantrag
der Fraktion Die Linke vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Auch dazu
stelle ich Einvernehmen fest . Dann ist das so beschlos-
sen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile zunächst der
Kollegin Caren Lay für die Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823403000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Im Jahre 1990 gab es noch 3 Millionen Sozialwoh-
nungen in Deutschland . Heute sind es weniger als die
Hälfte . Gerade mal 1,3 Millionen Sozialwohnungen sind
noch vorhanden, und die Tendenz ist weiter sinkend . Das
ist eines der vielen niederschmetternden Ergebnisse der
Großen Anfrage der Linken zum sozialen Wohnungsbau .
Wir Linke sagen ganz klar: Der Niedergang des sozia-
len Wohnungsbaus ist dramatisch, und wir müssen ihn
stoppen!


(Beifall bei der LINKEN)


Denn der soziale Wohnungsbau ist gut für alle Mieterin-
nen und Mieter, also auch für diejenigen, die ihn nicht
selber nutzen . Sozialwohnungen dämpfen die Mietpreise
für alle und sorgen für bezahlbare Mieten für alle .

In den 80er-Jahren waren noch circa 20 Prozent al-
ler Wohnungen Sozialwohnungen . Heute sind es gerade
einmal 3 Prozent . Dieser erschreckende Trend wird sich
weiter fortsetzen . Die Länder sagen – auch das ein Er-
gebnis unserer Anfrage – einen weiteren dramatischen
Rückgang der Anzahl der Sozialwohnungen bis 2030 vo-
raus, nämlich auf 50 bis 75 Prozent der jetzt überhaupt
noch zur Verfügung stehenden Bestände . Damit verliert
natürlich auch die Politik an Einflussmöglichkeiten, das
Mietpreisniveau zu dämpfen . Deswegen sagen wir: Der
Rückgang der Anzahl der Sozialwohnungen ist mitver-
antwortlich für die Mietenexplosion in deutschen Städ-
ten, und das ist wirklich beschämend!


(Beifall bei der LINKEN)


Eines dürfte wirklich unstrittig sein: Der Bedarf an
Sozialwohnungen ist nicht gedeckt . Experten beispiels-
weise vom Pestel Institut sagen, es fehlen mindestens
4 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland . Die Bun-
desregierung bestreitet zwar diese Zahlen, aber Frau
Hendricks sagte vor einigen Wochen selber im Morgen-
magazin, dass 40 Prozent aller Bürgerinnen und Bürger
theoretisch einen Anspruch auf eine Sozialwohnung hät-
ten . Das hieße dann umgerechnet, 25 anspruchsberech-
tigte Bürgerinnen und Bürger kämen auf eine Sozialwoh-
nung . – Das wird ja nun wirklich ein bisschen eng .

Frau Hendricks scheint das aber alles nicht wirklich
problematisch zu sehen . Vor ein paar Tagen, kurz vor der
NRW-Wahl, sagte sie, es seien im letzten Jahr 25 000
neue Sozialwohnungen gebaut worden . Das sei eine
Trendwende beim sozialen Wohnungsbau . Nun freuen
wir als Linke uns auch über jede neue Sozialwohnung .
Ich begrüße ausdrücklich, dass es mehr geworden sind .
Die Ministerin verschweigt jedoch, dass jährlich weiter-
hin circa 50 000 Sozialwohnungen aus der Bindung fal-
len . Das heißt doch faktisch, dass wir immer noch Jahr
für Jahr einen Verlust von etwa 25 000 Sozialwohnungen
haben . Das ist keine Trendwende, Frau Ministerin, das
ist bestenfalls ein ausgebremster Niedergang, und damit
können wir uns nicht zufriedengeben!


(Beifall bei der LINKEN)


Der Grund dafür ist übrigens, dass Sozialwohnungen
nach 15 oder 20 Jahren aus der sogenannten Bindung fal-
len . Das bedeutet dann zu oft: Die Mieten steigen enorm,
und die Mieter fliegen über kurz oder lang aus ihren
Wohnungen, während die Besitzer dann erst so richtig
kassieren . – Das ist absurd . Deswegen sagen wir: Ein-
mal Sozialwohnung, immer Sozialwohnung – das muss
in Zukunft gelten!


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn wir hier nicht handeln, dann werden – das kann
man, glaube ich, sagen – in den nächsten Jahren Zehn-
tausende, wenn nicht Hunderttausende Sozialmieterin-
nen und Sozialmieter aus ihren Wohnungen fliegen. Das
können wir nicht zulassen . Wir brauchen einen Bestands-
schutz für die bisherigen Sozialmieter .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben schon mehrfach über dieses Thema dis-
kutiert, und wir waren uns fraktionsübergreifend einig,

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


dass es ein Fehler war, die Verantwortung für den sozi-
alen Wohnungsbau bei der Föderalismusreform im Jah-
re 2006 an die Länder zu übergeben .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn wann man sich die Bilanz der letzten elf Jahre dazu
ansieht, dann sieht man, dass sich diese alle nicht mit
Ruhm bekleckert haben .

In einigen Ländern wurden die geschenkten Gelder
des Bundes für alles Mögliche verwendet, nicht jedoch
für den Bau von Sozialwohnungen . Einige Bundesländer
bauen bis heute keine Sozialwohnungen . Sachsen, das
Saarland und Mecklenburg-Vorpommern, die übrigens
alle von einer Großen Koalition regiert werden, haben in
den letzten Jahren beispielsweise keine einzige Sozial-
wohnung gebaut .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ist ja unglaublich!)


In vielen Ländern gibt man das geschenkte Geld des
Bundes lieber für die Eigenheimförderung aus . Das ist
wirklich rausgeschmissenes Geld .


(Dr . Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das ist ja ein Schmarrn!)


Das ist eine Zweckentfremdung von Geldern, und das
können wir nicht zulassen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr . Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Eigenheimförderung ist genauso wichtig!)


Ich habe einmal im Protokoll der Plenardebatte aus
dem Jahre 2006 nachgelesen, als die Verantwortung für
den sozialen Wohnungsbau an die Bundesländer überge-
gangen ist . Es gab damals eine einzige Fraktion, die das
problematisiert und kritisiert hat; das war die Linke . Hät-
ten Sie damals mal auf die Linke gehört!


(Beifall bei der LINKEN)


Ich weiß, dass es berechtigte Kritik am sozialen Woh-
nungsbau gibt: auslaufende Bindungen, Subventionie-
rung von privaten Bauherren . Auch das Thema „Ghet-
tobildung am Stadtrand“ spielt immer wieder eine Rolle,
wenn es darum geht, den sozialen Wohnungsbau zu kri-
tisieren . Eines muss man aber doch sagen: Wir können
und müssen das zwar besser machen, aber kein sozialer
Wohnungsbau ist wirklich keine Lösung .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Prinzip, dass für Menschen mit geringem Ein-
kommen Wohnungen von öffentlicher Hand gebaut wer-
den und dass sie gewissermaßen für sie reserviert sind,
ist ein wichtiges Prinzip, und daran müssen wir auch in
Zukunft festhalten .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wer sich einmal ansehen möchte, wie sozialer Woh-
nungsbau gut funktioniert und wie attraktiv er sein
kann – auch architektonisch attraktiv –, der muss nach

Wien gehen. Dort befinden sich über 40 Prozent aller
Wohnungen im Sozialwohnungssegment, und zwar mit
guten Ergebnissen . Während die Mieten in Deutschland
unter ähnlichen Bedingungen explodieren, steigen sie
dort nur moderat . Daran sollten wir uns ein Beispiel neh-
men .

Dafür muss man aber mehr Geld in die Hand nehmen .
Die Bundesregierung rühmt sich ja, dass sie inzwischen
1,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau be-
reitstellt . In der Stadt Wien, die gerade einmal so groß ist
wie Hamburg, sind es immerhin 680 Millionen Euro; das
ist also fast die Hälfte . Würde man das Investitionsvolu-
men von Wien einmal auf die Bundesrepublik hochrech-
nen, dann kämen wir auf eine Investition in Höhe von
30 Milliarden Euro . Hier muss ich sagen: Die 5 Milliar-
den Euro, die wir als Linke in den Haushaltsverhandlun-
gen gefordert haben, wären nicht zu viel verlangt . Das
wäre gut angelegtes Geld .


(Beifall bei der LINKEN)


Angesichts der Dramatik müssen aus unserer Sicht
250 000 neue Sozialwohnungen im Jahr entstehen, na-
türlich nicht nur durch Neubau – denn das wäre nicht zu
leisten –, sondern auch durch Kauf und durch eine Ver-
längerung der Belegungsbindung . Das wäre der richtige
Weg .

Ich glaube, man kann sagen, dass der Niedergang des
sozialen Wohnungsbaus kein Zufall war . Er war politisch
gewollt . Bis heute ist in der Wohnungswirtschaft eine Er-
zählung weiterhin beliebt und präsent . Es wird gesagt,
der soziale Wohnungsbau und die Objektförderung seien
von gestern, Subjektförderung und Wohngeldförderung
würden ausreichen . Das Gegenteil ist richtig . Wenn wir
verhindern wollen, dass wir Reichenviertel im Zentrum
und Armenghettos am Stadtrand haben, müssen wir auch
in Gemeinnützigkeit und in Sozialwohnungen investie-
ren . Wir können es zum Beispiel so machen, wie wir es
jetzt in Berlin unter einer rot-rot-grünen Regierung und
mit einer linken Bausenatorin machen wollen . Bei jedem
Neubauvorhaben müssen dort in Zukunft 30 Prozent der
Fläche für Sozialwohnungen reserviert werden . Das wäre
der richtige Weg, und daran können sich andere Länder
ein Beispiel nehmen .


(Beifall bei der LINKEN)


Die entscheidende Frage wird aber nicht sein, wie wir
das ausgestalten werden, sondern ob wir hier im Bundes-
tag, im Bund, nach dem Jahre 2019 überhaupt noch beim
sozialen Wohnungsbau mitreden können . Dann laufen
nämlich die sogenannten Kompensationsmittel des Bun-
des aus, und die Verantwortung liegt dann alleine bei den
Ländern .

Ich würde es schlichtweg für eine Katastrophe halten,
wenn es dazu kommen würde . Deswegen müssen wir an
dieser Stelle das Grundgesetz ändern . Das fand auch Frau
Hendricks . Sie verkündete erst vor ein paar Monaten, im
letzten Sommer – Zitat –:

Wir brauchen die Grundgesetzänderung, um als
Bundesregierung wirksam dort helfen zu können,
wo die Wohnungsnot am größten ist .

Caren Lay






(A) (C)



(B) (D)


Ja, das finde ich auch.

Aber dann begannen die Verhandlungen zum Län-
derfinanzausgleich. Da wurden alle möglichen kruden
Sachen diskutiert, wie zum Beispiel heute Morgen das
Thema Autobahnprivatisierung . Aber die Bundeszustän-
digkeit für den sozialen Wohnungsbau war nicht länger
ein Thema . Das können wir nicht akzeptieren . Wir müs-
sen jetzt dafür sorgen, meine Damen und Herren, dass
der Bund auch nach dem Jahr 2019 den sozialen Woh-
nungsbau zweckgebunden und zielgerichtet finanzieren
kann . Das wäre der richtige Weg .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Meine Damen und Herren, der soziale Wohnungsbau
hat dazu beigetragen, dass Wohnen in Deutschland lange
Zeit bezahlbar war . Diese Zeiten sind jetzt leider vorbei .
Deswegen müssen wir wieder in den sozialen Wohnungs-
bau investieren . Die Verantwortung dafür muss zukünf-
tig in öffentlicher Hand, in gemeinnütziger Hand liegen,
damit er sozial und nachhaltig ausgestaltet werden kann .
Dafür brauchen wir einen neuen Gemeinnützigkeitsbe-
griff, und wir brauchen einen Neustart im sozialen Woh-
nungsbau . Anders bekommen wir das Problem steigen-
der Mieten und der Verdrängung in den Städten nicht in
den Griff .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823403100

Vielen Dank, Caren Lay . – Guten Morgen, liebe Kolle-

ginnen und Kollegen, von mir . Nächste Rednerin: Sylvia
Jörrißen für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sylvia Jörrißen (CDU):
Rede ID: ID1823403200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen der Linken, zunächst erst ein-
mal vielen herzlichen Dank für Ihre Anfrage zum sozi-
alen Wohnungsbau, weil sie uns heute die Möglichkeit
gibt, über ein Thema zu reden, das meiner Fraktion und
mir ausgesprochen am Herzen liegt: das Wohnen .

Wohnen ist eines der Grundbedürfnisse eines jeden
Menschen . Unsere Wohnung ist ein persönlicher Schutz-
raum und Rückzugsraum . Hier fühlen wir uns sicher, hier
fühlen wir uns geborgen . Alle Menschen müssen Zugang
zu angemessenem Wohnraum haben, unabhängig von ih-
rem Einkommen, auch Menschen mit unteren oder mitt-
leren Einkommen oder Menschen in sozialen Notlagen
ohne Einkommen . Hierfür tragen wir eine soziale Ver-
antwortung .

Grundsätzlich beruht auch die Wohnungspolitik in
Deutschland auf den Prinzipien der sozialen Marktwirt-
schaft und funktioniert zunächst einmal nach Angebot
und Nachfrage . Staatliche Eingriffe, meine Damen und
Herren, nehmen wir dort vor, wo der Markt entweder
zu langsam oder zu schwach reagiert . Das ist heute in

vielen Ballungsräumen der Fall. Dort finden gerade ein-
kommensschwächere Menschen oft nur sehr schwer eine
Wohnung . Hier greifen wir ein, hier müssen wir eingrei-
fen!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Frau Lay, Sie erwecken den Eindruck, als ob die sozi-
ale Wohnungsbauförderung das einzige Mittel wäre, was
uns ans Ziel führt . Das ist mitnichten der Fall .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist aber das Thema heute!)


Soziale Verantwortung beim Wohnen beinhaltet mehr als
soziale Wohnraumförderung .


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Machen wir erst einmal sozialen Wohnraum, das wäre erst einmal ein Schritt!)


Sie beinhaltet neben der Objektförderung auch Subjekt-
förderung, und sie beinhaltet einen sozialen Schutz durch
das Mietrecht . Wir müssen, wenn wir uns die Frage stel-
len, ob wir unserer sozialen Verantwortung gerecht wer-
den, alle drei Wege gleichzeitig im Blick haben, meine
Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die soziale Wohnraumförderung ist sicherlich ein
wichtiges Instrument unserer Fördermaßnahmen . Des-
halb haben wir in dieser Legislaturperiode alles daran-
gesetzt, diese Förderung wiederzubeleben, obwohl der
Bund dafür seit der Föderalismusreform 2006 keine Zu-
ständigkeit mehr hat .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!)


Zuständig hierfür sind die Bundesländer .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Die wollen das auch bleiben!)


Das macht auch Sinn, weil sich die Wohnungsteilmärkte
regional sehr unterschiedlich entwickelt haben und die
Länder maßgeschneidert Maßnahmen für ihre Regionen
auf den Weg bringen können und müssen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Entscheidend ist nur, dass die zur Verfügung gestellten
Mittel zweckgebunden eingesetzt werden, nämlich zum
Bau von bezahlbaren Wohnungen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben hierzu schon mehrere Debatten geführt . Fakt
ist, dass die Länder mit den Geldern sehr unterschied-
lich umgehen, teilweise Altlasten finanzieren und ihrer
Pflicht, bezahlbare Wohnungen zu schaffen, in Teilen
nicht nachkommen .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Das ist wahr!)


Sie haben recht: Die Zahl der Sozialwohnungen ist
seit 2002 um rund 1 Million Wohnungen gesunken, und
es fallen nach wie vor mehr Wohnungen aus der Bele-
gungsbindung, als neu gebaut werden . Wir haben in
dieser Legislaturperiode die Kompensationsmittel von
518 Millionen auf 1,5 Milliarden Euro verdreifacht .

Caren Lay






(A) (C)



(B) (D)


Eigentlich hätte auch die Anzahl der Sozialwohnungen
entsprechend gesteigert werden müssen . Nach aktuellen
Zahlen der Bauministerkonferenz wurde dieses Ziel ver-
fehlt . Hier ist mehr notwendig, aber es ist Sache der Län-
der, hier ihrer Verantwortung nachzukommen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Der zweite Weg – neben der Objektförderung –, auf
dem wir soziale Verantwortung tragen, ist die Subjekt-
förderung . Hierzu gehört das Wohngeld, das wir in die-
ser Legislaturperiode deutlich erhöht haben, indem wir
die Mietstufen der aktuellen Marktentwicklung ange-
passt haben. Seit Januar des letzten Jahres profitieren
870 000 Haushalte davon . Über ein Drittel sind als neue
Berechtigte hinzugekommen .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau! Das ist ein Erfolg!)


– Das ist ein großer Erfolg .

Dem dritten Weg der sozialen Verantwortung, die
wir als Bund tragen, werden wir durch einen sozialen
Schutz im Mietrecht gerecht . Wir haben umfassende
Mieterschutzbestimmungen . Wir haben einen Schutz vor
willkürlichen Kündigungen . Wir haben einen Schutz vor
übermäßigen Mieterhöhungen . Und wir haben in dieser
Legislaturperiode ein weiteres Instrument der Mieter-
schutzbestimmungen eingeführt: die Mietpreisbremse .
Auch wenn Sie jetzt gleich erwidern: „Die funktioniert
ja sowieso nicht“, möchte ich dazu einige Sätze sagen .

Uns als Union war es immer wichtig, dass die Miet-
preisbremse nicht zur Investitionsbremse wird; denn dann
ist sie kontraproduktiv . Insofern muss es Ausnahmen ge-
ben . Damit das Gesetz in der Praxis Geltung bekommt,
ist es wichtig, dass die Mieter die neugeschaffenen Rech-
te, wie beispielsweise die Rüge oder das Auskunftsrecht,
nun auch in Anspruch nehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist zynisch, die Rügepflicht als ein Recht von Mieterinnen und Mietern auszumachen! Das ist Abzocke von Mieterinnen und Mietern!)


Meine Damen und Herren, wenn wir über soziale Ver-
antwortung in der Wohnungspolitik sprechen, müssen wir
alle drei Wege gemeinsam im Blick haben . Einer allein
wird den komplexen Herausforderungen nicht gerecht .

Was die soziale Verantwortung in der Baupolitik an-
geht, ist es aber nicht damit getan, dass günstiger Wohn-
raum entsteht und die Mieten preiswert sind . Es ist noch
weitaus mehr . Wir müssen dafür Sorge tragen, dass sozi-
al benachteiligte und strukturschwache Ortsteile in ihrer
Gesamtheit stabilisiert und aufgewertet werden . Ziel ist
es, Quartiere familienfreundlicher, seniorengerechter zu
gestalten und den dort wohnenden Menschen Chancen
auf Integration und Teilhabe zu bieten . Hierfür haben
wir in dieser Legislaturperiode die Städtebaufördermittel
massiv ausgeweitet . Damit sind sowohl baulich investive
Maßnahmen im Wohnumfeld wie auch in der sozialen
Infrastruktur möglich . Das ist ein ganz wichtiger Bei-

trag zur Entlastung der Kommunen und zur Schaffung
lebenswerter Wohnviertel .

Meine Damen und Herren, die Kolleginnen und Kol-
legen der Linken fordern immer wieder eine neue Wohn-
gemeinnützigkeit .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir übrigens auch!)


– Sie auch, ja gut . Wir behandeln heute die Große Anfra-
ge der Linken .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir haben einen Antrag im Verfahren! Das können Sie zur Kenntnis nehmen!)


Sie verkennen aber, dass die Situation heute eine völ-
lig andere ist, als sie es bei Einführung der Wohngemein-
nützigkeit in der jungen Bundesrepublik war . Die Wohn-
gemeinnützigkeit hat in den Nachkriegsjahren einen sehr
wichtigen Beitrag geleistet, die große Wohnungsnot zu
bewältigen .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was haben wir heute?)


Aber als es zu einer Stabilisierung der Wohnungssitua-
tion kam, hatte sie in der ursprünglichen Form schlicht
keine Berechtigung mehr . Insofern war es richtig, diese
Förderung aufzuheben .

Nachdem die Ausnahmesituation nach den Kriegsjah-
ren überwunden war, konnte die soziale Marktwirtschaft
wieder Verantwortung übernehmen und tat das auch er-
folgreich .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Heute haben wir nach einigen Reformen des Wohnungs-
bauförderungsrechts eine soziale Wohnraumförderung,
die der aktuellen Situation besser gerecht wird; denn wir
haben keine allgemeine Wohnungsnot mehr .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es fehlen Millionen Sozialwohnungen!)


Die heutigen Herausforderungen – steigende Bau-
preise, zu wenig Bauland – hängen doch nicht von der
Rechtsform der Unternehmen ab . Wir haben bauwillige
Akteure . Wir haben heute viele funktionierende Woh-
nungsunternehmen, die sich zum Teil auch aus den ehe-
mals gemeinnützigen Wohnungsunternehmen weiterent-
wickelt haben, die ihrem sozialen Auftrag treu geblieben
sind, aber gleichzeitig marktorientiert wirtschaften und
handeln .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deren gute Arbeit sehe ich . Auf deren gute Arbeit ver-
traue ich . Mit unseren Fördermitteln wollen wir dort ge-
zielt den Menschen helfen, die sich auf dem allgemeinen
Markt aus eigener Kraft nicht mit Wohnraum versorgen
können .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Nur so können wir Steuergelder einsetzen!)


Sylvia Jörrißen






(A) (C)



(B) (D)


Noch eine Tatsache, liebe Frau Lay, scheinen Sie zu
verkennen . Nicht jeder einkommensschwache Haushalt
benötigt eine Sozialwohnung . Außerhalb der angespann-
ten Märkte werden Haushalte in strukturschwächeren
Regionen auch auf dem freien Wohnungsmarkt mit be-
zahlbarem Wohnraum versorgt .


(Caren Lay [DIE LINKE]: In welcher Welt leben Sie denn? – Gegenruf von der CDU/ CSU: Waren Sie schon einmal außerhalb von Berlin?)


– Kommen Sie einmal in die Region, in der ich lebe . Da
gibt es einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt .

Vor allem wichtig ist, zu bauen . Wir müssen bauen,
bauen, bauen, um Angebot und Nachfrage wieder in Ein-
klang zu bringen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dafür benötigen wir auch den privaten Wohnungsbau .
Das können wir nicht allein mit dem öffentlich geförder-
ten Wohnungsbau erreichen . Die privaten Vermieter sind
die mit Abstand größte Anbietergruppe auf dem deut-
schen Wohnungsmarkt . Wir müssen auch diese Gruppe
unterstützen; denn sie leistet einen wichtigen Beitrag zur
Versorgung der Gesellschaft mit Wohnraum . An dieser
Stelle werde ich nicht müde, immer wieder eine steuer-
liche Förderung zu fordern, die wir bedauerlicherweise
mit unserem Koalitionspartner nicht zustande gebracht
haben, obwohl das ein Ergebnis des Bündnisses für be-
zahlbares Wohnen sowie auch ein Vorschlag Ihrer Bau-
ministerin, abgestimmt mit dem Finanzminister, gewe-
sen ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zu kurz kommt mir in der Debatte auch das selbst-
genutzte Wohneigentum . Deutschland liegt mit einer
Wohneigentumsquote von unter 50 Prozent an vorletzter
Stelle im europäischen Vergleich . Wir müssen dringend
auch diese Form des Wohnens fördern; denn selbstge-
nutztes Wohneigentum stabilisiert Wohnquartiere, macht
durch Umzugsketten am Ende auch eine Mietwohnung
frei und ist vor allem eine ganz wichtige Form der priva-
ten Altersvorsorge .

Egal über welche Säule: Wir müssen mehr bauen . Im
vergangenen Jahr haben wir die Zahl von 375 000 Bau-
genehmigungen erreicht . Das ist ein großer Erfolg . Jetzt
müssen wir aber darauf achten, dass aus diesen Bauge-
nehmigungen auch tatsächlich Bauvorhaben werden .

Meine Damen und Herren, wir sind noch nicht am
Ziel, aber wir sind auf einem sehr guten, soliden Weg .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823403300

Vielen Dank, Sylvia Jörrißen . – Nächster Redner:

Christian Kühn für Bündnis 90/Die Grünen .

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Frau Jörrißen, ich werde jetzt einfach ein-
mal zu der Frage der sozialen Wohnraumförderung und
nicht zur ganzen Breite des Themas Wohnen reden; denn
Sie haben hier vorne ziemlich viele Nebelkerzen gezün-
det, aber nicht zum eigentlichen Thema geredet .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Caren Lay [DIE LINKE])


Das Jahr 1988 war ein schwarzes Jahr für Mieterinnen
und Mieter, weil die schwarz-gelbe Koalition damals die
Wohnungsgemeinnützigkeit in Deutschland unter dem
Deckmantel des Skandals der „Neuen Heimat“ abge-
schafft hat . Damit haben Sie eigentlich den Niedergang
des sozialen Wohnungsbaus in Deutschland eingeleitet .
Dass Sie das bis heute angesichts steigender Mieten in
den Städten verteidigen, ist wirklich ein Skandal und ei-
gentlich nicht zu ertragen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was hat Rot-Grün daran geändert?)


Fast 30 Jahre später ist all das, was wir als Grüne und
Sozialdemokraten in der damaligen Debatte vorgebracht
haben, eingetreten . Ich rate Ihnen als Kolleginnen und
Kollegen einmal, in die alten Protokolle hineinzuschau-
en . Wir haben damals über entfesselte Wohnungsmärkte
und darüber geredet, dass es in den Städten Verdrängung
sowie eine Mietspirale gibt, die immer weiter nach oben
geht . All das ist doch eingetreten . Das zeigt doch ganz
klar, dass wir heute wieder eine neue Wohnungsgemein-
nützigkeit brauchen .

Frau Jörrißen, 50 Prozent der Menschen in Deutsch-
land leben in Gebieten mit Wohnraummangel . Das kann
uns doch nicht kaltlassen . Da müssen wir doch endlich
handeln!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese neoliberale Politik der Abschaffung der Woh-
nungsgemeinnützigkeit hat dazu geführt, dass bis heute
fast 2 Millionen Sozialwohnungen aus der Bindung he-
rausgefallen sind . Das ist doch ursächlich dafür, dass
wir im Augenblick Probleme auf den Wohnungsmärk-
ten haben . Seitdem gilt eben eine andere Logik . Nicht
mehr der Staat versorgt diejenigen, die sich selbst am
Wohnungsmarkt nicht mit Wohnraum versorgen können .
Vielmehr folgt man heute der Logik, dass die Privaten
einen möglichst großen Reibach machen und dass die
Mieten immer mehr steigen . Diese Logik wollen wir als
Grüne brechen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Tafelsilber in Deutschland ist verscherbelt wor-
den: Eisenbahnerwohnungen, Postlerwohnungen, Werks-
wohnungen und kommunale Wohnungsbestände . Heute
stehen wir vor dem Scherbenhaufen einer falschen, einer
neoliberalen, einer auch von der Union betriebenen Woh-
nungspolitik der letzten 30 Jahre . Deswegen kann ich
überhaupt nicht verstehen, dass Frau Hendricks dieser
Tage ein Interview gibt und sagt: Wir haben die Trend-

Sylvia Jörrißen






(A) (C)



(B) (D)


wende geschafft . – Die Trendwende haben wir überhaupt
nicht geschafft . Wir verlieren immer noch 50 000 So-
zialwohnungen pro Jahr, während wir nur 25 000 neue
bauen . Das heißt, wir verlieren im Saldo weiterhin So-
zialwohnungen in Deutschland . Eigentlich müssten wir
jedes Jahr neue bauen, weil wir neue Herausforderungen
zu bewältigen haben, weil wir sehen, dass die soziale
Spaltung in unserer Gesellschaft zunimmt, weil wir die
Integrationsfrage beantworten müssen, weil es Migration
gibt . Ich glaube, deswegen ist diese Bundesregierung mit
Blick auf dieses Thema überhaupt nicht gut aufgestellt .
Die von Frau Hendricks angesprochene Trendwende ist
keine Trendwende, sondern bedeutet nichts anderes, als
dass man eine Nebelkerze zündet, um sein eigenes Ver-
sagen zu vernebeln .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Caren Lay [DIE LINKE])


Das Minus bei den Sozialwohnungen ist dramatisch .
Wir brauchen eigentlich 150 000 neue Wohnungen pro
Jahr und endlich eine andere Logik, die besagt: Bauen,
bauen, bauen! Wir müssen sozial bauen . Wir müssen ge-
meinnützig bauen, und wir müssen noch einmal sozial
bauen . Wir brauchen nicht mehr Luxuswohnungen in
unseren Städten, sondern mehr sozialen Wohnraum für
Rentnerinnen und Rentner, Familien, Studierende und
Geringverdiener . Dazu kann eine neue Wohnungsge-
meinnützigkeit einen großen Beitrag leisten . Deswegen
treten wir Grüne so vehement für eine neue Wohnungs-
gemeinnützigkeit ein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei der Wohnungsgemeinnützigkeit geht es im Kern
darum – ich möchte versuchen, das den Kollegen der
Union noch einmal ernsthaft zu erklären –, dass wir Un-
ternehmen, aber auch Privatleuten, also ganz normalen
Menschen, die eine Anlage tätigen wollen, eine Steuerer-
leichterung dafür geben, dass sie auf Dauer bezahlbaren
Wohnraum schaffen . Das hat nichts mit Staat oder Sozi-
alismus zu tun . Vielmehr ist das die einzige Möglichkeit,
schnell viel Kapital in den Bereich des sozialen und des
sozialgebundenen Wohnraums zu investieren . Diese Idee
müsste eigentlich zu einer Partei der sozialen Marktwirt-
schaft passen . Sie wurde von Ludwig Erhard und ande-
ren nach dem Krieg entwickelt und war sehr erfolgreich .
Aber Sie haben sie in der neoliberalen Zeit einfach ab-
gewickelt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Caren Lay [DIE LINKE])


Öffentliches Geld für öffentliche Güter, Steuererleich-
terungen für bezahlbaren Wohnraum, das ist unser Kon-
zept . Dabei geht es darum, möglichst viele einzubezie-
hen . Wir glauben, dass wir damit in den nächsten zehn
Jahren 1 Million bezahlbare Wohnungen schaffen wer-
den . Diese gesellschaftliche Rendite ist die beste Rendi-
te, die wir mit einem solchen Konzept erreichen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht dabei um nichts Trivialeres als um den gesell-
schaftlichen Zusammenhalt in unseren Städten und in un-
serem ganzen Land . Die Zukunft des Wohnens wird da-
von abhängen, ob wir die Wohnraumförderung auf neue

Füße stellen oder nicht, ob wir bereit sind, Wohnungspo-
litik als Politik der Daseinsvorsorge zu begreifen, oder ob
wir sie als Wirtschaftspolitik begreifen, bei der möglichst
hohe Renditen erzielt werden müssen . Um die Beantwor-
tung dieser Fragen ringt das Parlament . Frau Jörrißen, Sie
haben in Ihrer Rede sehr deutlich gemacht, dass Sie im
Kern bei der letztgenannten Art der Politik sind, nämlich
bei den Investoren, und nicht bei den Menschen im Land .

Soziale Wohnungspolitik ist Infrastrukturpolitik .
Diese Infrastrukturpolitik ist im Augenblick Aufga-
be der Länder . Für eine Trendwende – diese sieht Frau
Hendricks schon gekommen; tatsächlich ist sie noch
lange nicht eingetreten – müssen die Länder richtig viel
Geld in die Hand nehmen . Ab 2019 müssen sie die Kom-
pensationsmittel des Bundes ersetzen . Diese belaufen
sich im Augenblick auf 1,5 Milliarden Euro . Ehrlich ge-
sagt fehlt mir angesichts der angespannten Haushalte in
fast allen Bundesländern die Fantasie, um mir vorzustel-
len, dass im Jahr 2020, wo die Schuldenbremse gilt, wo
die Länder Sicherheitsaufgaben, Bildungsaufgaben und
Aufgaben im Rahmen der Beamtenbesoldung stemmen
müssen, Geld für Investitionen in den sozialen Wohn-
raum vorhanden sein wird .


(Dr . Anja Weisgerber [CDU/CSU]: In manchen Ländern ist das schon da!)


Die Länder brauchen hier unsere Unterstützung . Wir als
Wohnungspolitiker im Bund sollten dafür kämpfen, dass
der Bund hier wieder eine eigene Kompetenz hat .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Caren Lay [DIE LINKE])


Ja, Frau Jörrißen, Sie haben auf die Länder ge-
schimpft . Es war fast eine Schimpftirade . Aber schauen
Sie sich einmal die von Ihnen regierten Länder an! Reden
Sie beispielsweise einmal mit Ihren Kollegen in Sachsen!
In Sachsen entsteht keine einzige Sozialwohnung .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Weil sie jede Menge Leerstand haben, Herr Kühn!)


Das ist ein sozialpolitischer Skandal . Auch von Leipzig
oder Dresden, wo Sie wieder eine neue Wohnungsgesell-
schaft gründen, wissen Sie, dass die Wohnungsmärkte
angespannt sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Caren Lay [DIE LINKE])


Die Stadtentwicklung in Deutschland ist in Gefahr .
Schauen Sie nach Frankreich, wo große soziale Spannun-
gen in den Banlieus herrschen . Oder schauen Sie nach
London, eine Metropole, wo sich kein Mensch mit ei-
nem normalen Verdienst eine Wohnung leisten kann . Es
ist klar, dass wir das in Deutschland nicht wollen . Wir
wollen nicht, dass die Innenstädte für Reiche sind und
die ärmeren und sozial schwachen Menschen am Rande
der Städte, in den Ghettos leben . Das wollen wir nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen auch, warum wir das nicht wollen: weil
wir als Grüne davon ausgehen, dass das diese Gesell-
schaft spalten und diese Gesellschaft am Ende zerreißen

Christian Kühn (Tübingen)







(A) (C)



(B) (D)


wird . Deswegen müssen wir in eine neue Wohnungsge-
meinnützigkeit investieren . Wir müssen uns dieser gro-
ßen sozialen Frage – ich glaube, das ist eine der großen
sozialen Fragen unserer Zeit – wirklich annehmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Unterschied zur Linken und zu deren Konzept der
neuen Wohnungsgemeinnützigkeit setzen wir nicht auf
Zwang und wollen nicht alles in einem System unterbrin-
gen . Wir wollen den Menschen vielmehr neue Möglich-
keiten geben . Wir glauben daran, dass es viele Menschen
in Deutschland gibt, die ein ethisches Investment in ihrer
Stadt machen wollen . Wir wollen, dass die Stadtrendite
am Ende nicht bei den Investoren landet, sondern bei den
Menschen in der Stadt . Dafür werden wir in den nächs-
ten Monaten und auch Jahren weiter hier im Parlament
kämpfen; denn die Frage des sozialen Zusammenhalts
lässt meine Partei nicht kalt .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823403400

Vielen Dank, Chris Kühn . – Nächster Redner in der

Debatte: der Parlamentarische Staatssekretär Florian
Pronold .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Fl
Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1823403500


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich bin der Linken sehr dankbar, dass sie diese
Anfrage gestellt hat, weil dies eine Chance bietet, über
das Thema des sozialen Wohnungsbaus in den letzten
Jahrzehnten zu sprechen . Wenn wir hier in diesem Hause
eine ehrliche Debatte führen würden, dann müssten viele
Asche auf ihr Haupt streuen; denn die Einschätzungen
in den letzten Jahrzehnten sind bei ganz vielen verkehrt
gewesen . Ich glaube, man kann keine Partei in diesem
Deutschen Bundestag davon ausnehmen, wenn ich mir
anschaue, was kommunal gemacht worden ist, was in
den Ländern gemacht worden ist und was auf Bundes-
ebene gemacht worden ist .

Das wäre ein guter Anlass, nicht nur zurückzublicken,
sondern auch nach vorne zu blicken und zu fragen, was
jetzt getan werden muss, damit wir das hinbekommen,
was für viele Menschen in Deutschland existenziell ist .
Die alleinerziehende Mutter, die Rentnerin, der Rentner
und die ganz normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer in angespannten Wohnungsmärkten sind drin-
gend darauf angewiesen, dass sie bezahlbaren Wohn-
raum finden. Das erfährt man ganz praktisch, wenn man
aus der bisherigen Wohnung heraus muss, aus welchen
Gründen auch immer, sei es ein Umzug oder etwas an-
deres . Dann ist es in angespannten Wohnungsmärkten
heute fast unmöglich, zu normalen Mieten wieder eine
bezahlbare Alternative zu finden. Deswegen muss man
gegensteuern .

Etwas – das ist schon angesprochen worden – wird
mir zu wenig deutlich in der Debatte, nämlich dass wir
gemeinsam bei der Föderalismusreform die Entschei-
dung getroffen haben, dass die Zuständigkeit für die sozi-
ale Wohnraumförderung bei den Ländern und damit auch
die Verantwortung für bezahlbares Wohnen bei den Län-
dern liegt . Die Einschätzung damals war, dass wir eine
schrumpfende Gesellschaft sind, dass es keines weiteren
Wohnraums bedarf, weil immer weniger Leute da sind,
und dass es keiner großen Anstrengungen mehr bedarf,
um hier einen Ausgleich zu schaffen .

Aber wie Karl Valentin über Prognosen so treffend
gesagt hat: Das Gefährliche an Prognosen ist, dass sie
auf die Zukunft gerichtet sind . – Diese Prognosen sind
falsch gewesen . Das sehen wir heute . Jetzt ist die Frage:
Was ändert man? Ich kann mich noch daran erinnern, wie
wir vor vier Jahren über die Frage der sozialen Wohn-
raumförderung hier im Deutschen Bundestag gesprochen
haben und dass die Opposition eine Verdoppelung der
Mittel für die soziale Wohnraumförderung gefordert hat .
Jetzt haben Bundesregierung und Koalition diese Mittel
verdreifacht, und es ist immer noch zu wenig . Wir sind
aber nicht zuständig .

Lieber Chris Kühn, Stichwort „Nebelkerzen“: Sie
sollten sich auch einmal anschauen, wie der Neubau von
Sozialwohnungen in Baden-Württemberg weitergeht .
Sie sollten versuchen, eine Antwort auf die Frage zu be-
kommen, warum es dort 500 Neubauten weniger als im
Vorjahr gibt, warum dort 33 Prozent weniger Sozialwoh-
nungen gebaut werden . Mich interessiert, warum große
Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg den
Anteil der eigenen Mittel im Haushalt reduzieren, wäh-
rend der Bund das Dreifache an Geld in die Hand nimmt .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es gibt doch nicht mehr Wohnraum, wenn so etwas pas-
siert . Das zu berücksichtigen, gehört zu verantwortungs-
vollem Handeln .

Mich interessiert in diesem Fall die parteipolitische
Farbe der Landesregierung nicht . Auch ich sehe, was in
Sachsen los ist – das wurde zu Recht angesprochen –,
insbesondere was in Leipzig los ist, was in Dresden los
ist . Da keine einzige Sozialwohnung zu bauen, ist eben-
falls etwas, was ein Schlag ins Gesicht der normalverdie-
nenden Menschen ist .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Das Land, das auf dem Gebiet des Wohnungsneubaus
am aktivsten gewesen ist, ist das Land, aus dem Michael
Groß kommt: NRW hat mittlerweile am stärksten auf-
geholt . Doch insgesamt ist das, was wir jetzt über Bun-
des- und Landesmittel an sozialem Wohnungsbau leis-
ten, noch nicht ausreichend, um das zu kompensieren,
was an Sozialbindungen in der nächsten Zeit insgesamt
wegfällt . Wir brauchen ein deutliches Plus; das ist doch
unbestritten . Aber es ist schon einmal ein Riesenerfolg,
dass wir mit der Verdreifachung der Mittel des Bundes
jetzt bei den Ländern dafür Sorge getragen haben, dass
es insgesamt 70 Prozent mehr bezahlbaren Wohnraum,

Christian Kühn (Tübingen)







(A) (C)



(B) (D)


70 Prozent mehr Sozialwohnungen gibt . Aber das reicht
noch nicht aus .

Bloß, die Wahrheit ist doch auch, dass die wenigsten
Länder in der Debatte über den Länderfinanzausgleich,
die wir jetzt geführt haben, den Bund bei der Forderung
unterstützt haben, dass es wieder eine Mitzuständigkeit
für den sozialen Wohnungsbau geben soll . Wir können
die Mittel für die soziale Wohnraumförderung nur noch
bis zum Jahr 2019 ausgeben . Danach sind die Länder sel-
ber in der Verantwortung .

Da verstehe ich manche wirklich nicht; schließlich
wissen wir doch alle, dass wir in den nächsten zwei, drei
Jahren die Defizite, die es auf dem Wohnungsmarkt gibt,
mit noch so viel Geld nicht ausgleichen können, sondern
dass es noch einige Jahre länger brauchen wird . Daher
muss der Bund, wenn wir an gleichwertigen Lebens-
verhältnissen in Deutschland Interesse haben, wieder
stärker Verantwortung übernehmen . Dafür haben wir ge-
kämpft; dafür hat Barbara Hendricks gekämpft . Barbara
Hendricks hat nun mit der Verdreifachung der Mittel für
die soziale Wohnraumförderung versucht, den entschei-
denden Anstoß zu geben, und er hat ja auch gewirkt .
Aber alle Länder müssen mitziehen, die die eigentliche
Verantwortung haben . Das muss Hauptgegenstand der
Debatte heute sein .

Wir können uns über vieles unterhalten . Ja, Frau
Jörrißen, diejenigen, bei denen die Preisbindung im so-
zialen Wohnungsbau endet, sind durch das soziale Miet-
recht geschützt . Aber dieses Mietrecht hat ein großes
Defizit, und Ihre Fraktion weigert sich, dieses Defizit zu
beheben . Die Gefahr für Mieter von Wohnungen, die aus
der Sozialbindung fallen, ist doch nicht, dass es norma-
le Mieterhöhungen gibt – da gibt es Spielräume; solche
Mieterhöhungen können in den meisten Wohnungsmärk-
ten wahrscheinlich einigermaßen verkraftet werden –,
sondern dass es dort Luxussanierungen geben wird, die
dazu führen, dass die Menschen ihr Dach über dem Kopf
verlieren . Dazu haben wir im Koalitionsvertrag klare
Vereinbarungen getroffen,


(Beifall bei der SPD)


und Sie weigern sich, diese in dieser Legislaturperiode
umzusetzen . Diejenigen, die auf diesen Schutz angewie-
sen sind, können sich bei Ihnen bedanken, wenn dieser
Schutz nicht funktioniert . Das zu sagen, gehört, glaube
ich, zur Ehrlichkeit in dieser Debatte hinzu .

Mein letzter Punkt ist: Ja, man muss aufgrund der
letzten Jahrzehnte erkennen, dass wir in Deutschland aus
den unterschiedlichsten Gründen insgesamt eine falsche
Richtung eingeschlagen haben . Wenn man einen Ver-
gleich mit Wien zieht, Frau Lay, dann stellt man fest: Der
Anteil der Sozialwohnungen dort liegt nicht bei 40 Pro-
zent; vielmehr sind insgesamt 70 Prozent des Wohnungs-
marktes in der Hand von Kommunen oder von Genos-
senschaften . Diesen Anteil werden wir in Deutschland in
den nächsten Jahrzehnten nicht erreichen .

Aber das, was wir schaffen müssen, ist, durch eine
neue Form von Wohnungsgemeinnützigkeit den Anteil
wieder deutlich zu erhöhen, der nicht nur den Marktkräf-
ten und der Profitorientierung ausgesetzt ist. Wir sind den

normalen Rentnerinnen und Rentnern, den normalen Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmern schuldig, dass sie
sich ihre Wohnung wieder leisten können . Dafür werden
wir Sorge tragen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823403600

Vielen Dank, Florian Pronold . – Nächste Rednerin:

Dr . Anja Weisgerber für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1823403700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Vor ein paar Tagen gab es gute Nachrichten;
denn die Zahl der neuerrichteten Sozialwohnungen in
Deutschland ist im letzten Jahr gestiegen . 2016 wurden
bundesweit insgesamt 24 550 Sozialwohnungen errich-
tet; das sind etwa 10 000 Wohnungen mehr als im Jahr
zuvor . Das ist ein Fakt . Insofern zeichnet sich schon ein
positiver Trend ab, auch wenn wir mehr Wohnungen
brauchen; das ist klar .

In den letzten Jahren ist in vielen Ballungsgebieten
nicht zuletzt auch aufgrund der Zuwanderung die Nach-
frage nach Wohnraum sehr stark gestiegen . Damit ist
auch der Bedarf an Sozialwohnungen für einkommens-
schwache Haushalte deutlich gewachsen . Entsprechend
hat die Bundesregierung – das wurde schon mehrfach
angesprochen – die sogenannten Kompensationsmittel
für die Bundesländer in dieser Legislaturperiode kräftig
aufgestockt . Von 2016 bis 2019 wurden sie um insgesamt
3 Milliarden Euro erhöht . 2017 und 2018 stehen jährlich
mehr als 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung . Mit dieser
Verdreifachung der Mittel leistet der Bund einen enor-
men finanziellen Beitrag.

Ich kann es nicht oft genug wiederholen: Diesen wich-
tigen finanziellen Beitrag des Bundes müssen die Länder
jetzt auch für den sozialen Wohnungsbau verwenden .


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist nach 2019?)


Die Umsetzung liegt seit der Föderalismusreform auf ih-
ren ausdrücklichen Wunsch hin in der Verantwortung der
Länder . Einige Länder gehen mit positivem Beispiel vo-
ran; da möchte ich schon Bayern erwähnen . Wir wissen
aber auch, dass die Gelder nicht von allen Ländern für
den sozialen Wohnungsbau genutzt wurden, sondern in
der Vergangenheit teilweise zum Stopfen von Haushalts-
löchern, zum Beispiel auch in Berlin . Die Länder müssen
hier ihrer Verantwortung gerecht werden und die Mittel
zweckgebunden einsetzen . Dazu haben sie sich im Ge-
genzug zur Erhöhung der Mittel eigentlich auch politisch
verpflichtet. Die Zahlen aus dem letzten Jahr bestätigen
zwar, dass die Länder ihrer Verantwortung endlich mehr
nachkommen und ein Umdenken stattgefunden hat, aber
dieser Trend muss in den kommenden Jahren deutlich
fortgesetzt werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Parl. Staatssekretär Florian Pronold






(A) (C)



(B) (D)


Die soziale Wohnraumförderung ist ein Teil der Woh-
nungsbaupolitik . Wir richten unsere Politik an der so-
zialen Marktwirtschaft aus und nicht am Konzept der
Planwirtschaft, wie das vielleicht einige in diesem Hause
gerne hätten .


(Beifall bei der CDU/CSU – Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Und jetzt auch Herr Kühn!)


Mit staatlicher Wohnraumförderung allein wird es aber
nicht gelingen, dass die 1 Million notwendigen Wohnun-
gen bis 2020 gebaut werden; das muss uns allen klar sein .

Wir haben auch andere wichtige Weichen gestellt . Ne-
ben der deutlichen Aufstockung der Mittel für den sozi-
alen Wohnungsbau haben wir auch das Wohngeld in die-
ser Wahlperiode deutlich erhöht. Davon profitieren circa
870 000 Haushalte, darunter etwa 90 000 Haushalte, die
vorher auf Grundsicherung angewiesen waren . Das ist
ein wichtiges Signal für die Mieterinnen und Mieter in
unserem Land .


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Wohngelderhöhung ist bei den stark gestiegenen Mieten längst verpufft! Das wissen Sie!)


Auch im Mietrecht haben wir angesetzt . Wir haben
die Mietpreisbremse eingeführt, haben sie aber so aus-
gestaltet, dass sie nicht zu einer Investitionsbremse wird;
denn wir brauchen die privaten Investitionen in den
Wohnungsmarkt . Deshalb ist es wichtig, die Rahmenbe-
dingungen insgesamt richtig zu setzen . Das beste Mittel
gegen Wohnungsknappheit und hohe Mieten ist doch –
das haben wir, das habe ich mehrfach erwähnt in diesem
Hohen Hause –: Bauen, bauen, bauen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


All die Maßnahmen, die ich jetzt aufzählen werde,
sind keine Nebelkerzen, sondern tragen dazu bei, dass
mehr Wohnraum entsteht . Mit der steuerlichen Förderung
des Mietwohnungsneubaus waren wir im letzten Jahr auf
einem guten Weg, um den Bau von weiteren Wohnungen
anzukurbeln . In den ersten drei Jahren war eine Abschrei-
bung von bis zu 35 Prozent der Investitionen vorgesehen .
Das hätte die Investitionen in dem Bereich angekurbelt .
Doch leider ist dieser Gesetzentwurf auf der Zielgeraden
trotz der Absenkung der Kappungsgrenze aufgrund der
Intervention des Koalitionspartners gescheitert . Dabei
wäre die steuerliche Förderung ein starkes Signal für
mehr Wohnungsbau gewesen . Meine Damen und Herren,
wir werden hier nicht lockerlassen und eine steuerliche
Förderung auch weiterhin vehement fordern .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen aber auch an weiteren Stellschrauben dre-
hen; das hat die Baukostensenkungskommission im Rah-
men des Bündnisses für bezahlbares Wohnen und Bauen
herausgearbeitet . Damit mehr investiert wird, müssen
auch die Baukosten gesenkt werden . Ein Beispiel ist die
Energieeffizienz von Gebäuden. Die EnEV ist zur Errei-
chung der Klimaziele im Gebäudebereich wichtig . Wir
müssen dabei aber immer auch die Wirtschaftlichkeit
im Auge behalten . Die Anforderungen der EnEV 2016

führen zu Kostensteigerungen . Demgegenüber steht eine
geringe Einsparung von Treibhausgasemissionen . Als
Klima- und Baupolitikerin sage ich: Wir brauchen eine
EnEV, die den Belangen des Klimaschutzes effizient und
zielgenau Rechnung trägt, die aber auch die Notwendig-
keit, dass Wohnraum bzw . bezahlbarer Wohnraum zu
schaffen ist, im Blick behält . Wir müssen diesen Aus-
gleich hinbekommen, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist an Ihnen gescheitert! Das ist echt ein Skandal!)


Zudem müssen wir bei der energetischen Sanierung
von der Fokussierung auf die Gebäudehülle wegkom-
men . Die Potenziale sind hier weitgehend ausgereizt .
Wir brauchen vielmehr ein Gesamtkonzept, das auch die
Nutzung der erneuerbaren Energien und den Energiever-
brauch generell noch mehr einbezieht .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und wo ist das Gesamtkonzept der Union?)


Das Fehlen von Bauland ist ein weiterer Kostentrei-
ber . Die Bereitstellung von Bauland liegt in der Hand
der Kommunen . Mit der kürzlich verabschiedeten Bau-
rechtsnovelle haben wir den Instrumentenkasten der
Kommunen erweitert, zum Beispiel durch das Urbane
Gebiet, um mehr Wohnraum zu schaffen .

Das alles sind wichtige Maßnahmen und Instrumen-
te, mit denen wir an dieser Stelle vorankommen können .
Aber – auch das habe ich schon oft betont – eine ein-
seitige Konzentration auf Mietwohnungen greift zu kurz .
Deutschland ist, historisch bedingt, ein Land der Miete-
rinnen und Mieter . Aber 80 Prozent der Deutschen träu-
men vom eigenen Heim oder von der eigenen Wohnung .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Das muss aber auch bezahlbar sein!)


Zu Recht! Denn Wohneigentum ist die beste Altersvor-
sorge . Hinzu kommt, dass jede Eigentumswohnung und
jedes Eigenheim die Wohnungsmärkte entlastet . Derzeit
liegt die Eigentumsquote in Deutschland bei etwa 52 Pro-
zent . Ich sage ganz offen: Da ist noch Luft nach oben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb wollen wir die Rahmenbedingungen so an-
passen, dass sich auch Familien und Haushalte mit
niedrigem oder mittlerem Einkommen den Traum vom
Eigenheim erfüllen können . Deshalb wollen wir ein Bau-
kindergeld für den Erwerb von selbstgenutztem Wohnei-
gentum schaffen . Wir wollen die Wohnungsbauprämie
endlich wieder an die Einkommensgrenzen anpassen und
die Einkommensgrenzen an dieser Stelle erhöhen . Das
ist dringend notwendig, weil die letzte Anpassung sehr
weit zurückliegt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss .
Ich bin zuversichtlich, dass wir mit diesem Strauß an
Maßnahmen mehr bezahlbaren Wohnraum in Deutsch-
land schaffen werden .

Dr. Anja Weisgerber






(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823403800

Vielen Dank, Frau Weisgerber . – Nächster Redner für

die SPD-Fraktion: Michael Groß .


(Beifall bei der SPD)



Michael Groß (SPD):
Rede ID: ID1823403900

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kollegin-

nen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Herr
Pronold, ich möchte zu Beginn der Ministerin sehr herz-
lich danken, dass sie sich erfolgreich dafür eingesetzt hat,
dass wir inzwischen 1,5 Milliarden Euro für den sozialen
Wohnungsbau ausgeben können . Damit werden wir in
den Jahren 2017, 2018 und 2019 Schätzungen zufolge
45 000 Wohnungen bauen können . Dass hier eine Kehrt-
wende eingeleitet wurde, ist ein großes Verdienst ihres
Hauses und von Ihnen, Herr Pronold . Herzlichen Dank!


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte auf Frau Weisgerber eingehen . Wir haben
in Deutschland ein großes Problem, das insbesondere
Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen be-
trifft . Deutschland ist ein Mieterland . Das bedeutet, dass
etwa 57 Prozent der Haushalte Miete zahlen . Die Miete
bewegt sich dabei zwischen 4 Euro und 16, 17 Euro pro
Quadratmeter in den Großstädten . Darüber reden wir .
Herr Kühn hat schon darauf hingewiesen, dass 50 Pro-
zent der Menschen davon betroffen sind, dass wir zu we-
nig bzw . knappen Wohnraum haben .

Was sind das für Probleme? Man wird alt und braucht
eine neue Wohnung, weil man sich verkleinern will . Man
hat, wenn man Rente bekommt, Probleme, eine bezahl-
bare Wohnung zu finden. Vergrößert sich die Familie,
bekommt man also Kinder, hat man in Großstädten das
Problem, eine Wohnung zu finden, die mit dem eigenen
Einkommen bezahlbar ist . Deswegen sagen auch wir
Sozialdemokraten eindeutig: Wir brauchen wieder eine
neue Gemeinwohlorientierung oder neue Gemeinnützig-
keit, um für die Menschen bezahlbaren Wohnraum zu
schaffen, und darum wollen wir uns kümmern .


(Beifall bei der SPD)


Das ist für uns Daseinsvorsorge . Das ist die Schaffung
von gleichen Lebensverhältnissen .

Wir haben schon gehört, dass es immer mehr Bauge-
nehmigungen gibt und dass es auch immer mehr Sozial-
wohnungen gibt – das findet statt –, aber ein Riesenpro-
blem ist für uns, dass wir als Bund ab 2020 nicht mehr
gemeinsam mit den Kommunen und den Ländern für be-
zahlbaren Wohnraum sorgen können . Deswegen wollen
wir Sozialdemokraten diese gemeinsame Verantwortung
auch nach 2020 wieder möglich machen, und deswegen
wollen wir eine Grundgesetzänderung anstreben .


(Beifall bei der SPD)


Die Verbesserungen beim Wohngeld sind schon an-
gesprochen worden, die in der Städtebauförderung auch .
Ich will aber noch auf zwei Punkte eingehen .

Die Kolleginnen und Kollegen von der Union haben
das Mietrecht angesprochen . Herr Pronold hat schon
darauf hingewiesen, dass wir uns da viel mehr erhofft
haben . Im Koalitionsvertrag haben wir auch wesentlich
mehr vereinbart . Ich ärgere mich da massiv . Wenn ich ei-
nen Ihrer Kollegen zitieren darf, der in Tempelhof-Schö-
neberg Abgeordneter ist: Im Bundestag habe ich Ge-
setzesvorschläge des Justizministeriums entschärft, die
Investitionen im Wohnungsbau massiv erschwert hät-
ten . – Er selber sagt, dass er das Mietrecht nicht schärfen
wollte . Er sagt, er wollte die Eigentümer schützen . Das
ist doch eine Ohrfeige für die Mieter und Mieterinnen,
insbesondere hier in Berlin, aber auch in allen anderen
Großstädten .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ulli Nissen [SPD]: Gut, dass du das so klarmachst!)


Wir wollten sogar ein Mietrechtspaket II, die Moder-
nisierungsumlage von 11 Prozent auf 8 Prozent senken,
eine Kappungsgrenze einführen, eine Härtefallklausel
schaffen – alles mit Ihnen nicht machbar .


(Ulli Nissen [SPD]: Empörend!)


Ich hoffe, dass in der nächsten Legislatur diese Dinge er-
reicht werden können, weil sie für die Bürgerinnen und
Bürger, für die Mieter in diesem Land wichtig sind .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da war eigentlich Applaus vorgesehen!)


– Ja .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein wichtiges The-
ma, das auch schon angesprochen wurde, ist das Thema
Bodenpolitik . Ich glaube, dass neben der Gemeinwohl-
orientierung oder Gemeinnützigkeit ein wichtiges Ziel
sein muss, die Kommunen wieder zu stärken, damit sie
bei der Bodenpolitik wieder handlungsfähig werden, da-
mit sie eine vorausschauende Bodenpolitik machen kön-
nen .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . MarieLuise Dött [CDU/CSU])


All das, was wir mit Gemeinnützigkeit erreichen kön-
nen, kann man heute in einer kommunalen Wohnungs-
gesellschaft entscheiden, nämlich: reinvestieren, keine
Ausschüttungen vornehmen, Rendite begrenzen . Deswe-
gen brauchen wir mehr kommunale Wohnungsunterneh-
men, als wir heute haben .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


600 kommunale Wohnungsunternehmen halten 60 Pro-
zent der Sozialbindungen, und das müssen wir ausbauen .

Herzlichen Dank . Glück auf!


(Beifall bei der SPD)


Dr. Anja Weisgerber






(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823404000

Vielen Dank, Kollege Groß . – Nächster Redner:

Oliver Grundmann für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Detlev Pilger [SPD])



Oliver Grundmann (CDU):
Rede ID: ID1823404100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die heutige Debatte hat uns wieder eines gezeigt: Der so-
ziale Wohnungsbau ist ein komplexes Thema . Mit Über-
eifer und Polemik kommen wir hier nicht weiter, lieber
Herr Kollege Kühn .

Grundsätzlich, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Linken, stimmen wir hoffentlich in einem Punkt überein,
nämlich in der Bestandsaufnahme . Es fehlt an günstigem
Wohnraum in den Großstädten, und es ist insofern gut,
dass wir heute über dieses wichtige Thema sprechen .

Fakt ist: Wir brauchen jährlich rund 400 000 neue
Wohnungen . Wir brauchen Wohnraum in allen Berei-
chen, in allen Segmenten . Ja, wir brauchen auch güns-
tigen Wohnraum . Ich hoffe, auch hier sind wir uns noch
einig: Der soziale Wohnungsbau wird diesen Bedarf al-
leine nicht decken können . Meine Kollegen haben es in
ihren Reden schon deutlich gemacht: Private Investoren
und der Eigenheimbau – auch das sind zentrale Säulen,
die wir dringend stärken müssen . Dazu brauchen wir die
steuerliche Förderung im Mietwohnungsneubau . Das
sind ganz wichtige Anreize für den Wohnungsmarkt .
Auch mit einem attraktiven Baukindergeld muss jungen
Familien geholfen werden, den Traum vom Eigenheim
zu realisieren . Das Thema Baukindergeld wird in der
nächsten Legislaturperiode ganz oben auf unserer Agen-
da stehen . Da hoffen wir, deutlich mehr zu bewirken .


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum hat der Finanzminister das nicht schon lange umgesetzt?)


Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, wir
dürfen einen Fehler nicht machen: Wir dürfen die Woh-
nungsbaudebatte nicht allein auf die Brennpunkte des
Wohnungsmarkts verengen . Jetzt auf Teufel komm raus
billigen Wohnraum, graue Wohntürme in vielen neuen
Satellitenstädten zu schaffen, das führt in eine völlig ver-
kehrte Richtung . Damit schaffen wir den Sanierungsfall
für die Zukunft und auch Leerstände von morgen . Hier
gibt es genügend Beispiele in der Vergangenheit, bei-
spielsweise in der DDR . Schauen wir auf das europäi-
sche Ausland . Die Bilder der Vorortstädte in Frankreich
kennen wir alle . Das brauche ich nicht zu wiederholen .
Deswegen plädiere ich dafür, nicht an den Symptomen
herumzudoktern, sondern das Problem an der Wurzel zu
packen .

Vor diesem Hintergrund erst einmal eine kleine Be-
standsaufnahme: Ja, Städte sind Magnete mit einer gro-
ßen Anziehungskraft . Viele Menschen zieht es dorthin,
aber nicht jede Stadt ist ein pulsierender Jobmotor wie
München, Frankfurt oder Hamburg . Nicht jede Stadt bie-
tet einen sicheren Hafen für Vollbeschäftigung . Beispiels-

weise sind Bremen oder Bremerhaven oder zahlreiche
Städte in Nordrhein-Westfalen von Vollbeschäftigung
weit entfernt, sie sind teilweise die traurigen Anführer in
den Arbeitslosenstatistiken .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau so ist es!)


Meine Botschaft lautet daher: Schaut aufs Land . Es ist
fahrlässig, den ländlichen Raum in der Diskussion über
bezahlbaren Wohnraum zu ignorieren . Ja, viele Men-
schen zieht es vom Land in die Städte, aber wir müssen
auch eine Ecke weiterdenken . Der ländliche Raum darf
nicht länger Ursache des Problems sein, sondern er muss
Teil der Lösung werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will das gerne mit einem Beispiel verdeutlichen .
Mein Wahlkreis liegt im Elbe-Weser-Dreieck zwischen
der Metropolregion Hamburg und der Großstadt Bremen .
Wir sind eine kraftvolle Region im ländlichen Raum, mit
einem starken Branchenmix aus Industrie, Handel, Hand-
werk, Landwirtschaft und vor allem einem starken und
gesunden Mittelstand . Ja, wir sind ein Jobmotor . Rund
um Zeven beispielsweise haben wir fast Vollbeschäfti-
gung, eine Arbeitslosenquote von 4 Prozent .


(Dr . Ole Schröder, Parl . Staatssekretär: Der Rest arbeitet in Bremen!)


Aber wir haben noch mehr . Wir haben ein starkes Mit-
einander, eine lebendige Vereinsstruktur und ganz viel
Grün . Warum Hamburg und Bremen immer weiter ver-
dichten, wenn die schönste Region zum Wohnen genau
zwischen diesen beiden Metropolregionen liegt, dort, wo
Menschen Urlaub machen?


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!)


Bei uns – bei mir in Zeven, Selsingen, Harsefeld, Freden-
beck; ich könnte zahlreiche Gemeinden nennen – sucht
der Mittelstand händeringend Arbeitskräfte . Im Hand-
werk werden dringend Auszubildende gesucht .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Hanstedt, Jesteburg, Buchholz, Seevetal!)


– Genau, lieber Michael . – Dort pulsiert es . Das sind
Chancen, die wir nutzen können und die wir nutzen
müssen . Die Menschen sehnen sich nach einer Heimat,
einem Zuhause, wo sie sich wohlfühlen, wo sie eingebet-
tet sind in ein gutes Umfeld von Familie, von Freunden,
von Vereinen, wo sie gute Arbeit finden können, wo sie
mit ihren Familien Wurzeln schlagen können . Was sich
niemand wünscht, sind anonyme, kalte, graue Vorstädte
ohne sozialen Rückhalt, ohne gute Lebens- und Arbeits-
bedingungen .

Daher müssen wir aufpassen, dass wir keine Ballungs-
zentren schaffen, die am Ende zum Ballungsraum für
Probleme werden . Ich glaube, der ländliche Raum kann
zu einem ganz wichtigen Entlastungsventil für überhitzte
Wohnungsmärkte werden . Aber es stellt sich die Frage:
Was müssen wir tun, damit unsere liebenswerte Heimat,
der ländliche Raum, eine wirkliche Entlastungsfunktion
einnehmen kann? An erster Stelle steht das Thema Ver-






(A) (C)



(B) (D)


kehrsinfrastruktur . Autobahnen, Straßen, Schienenwe-
ge – das sind die Lebensadern einer modernen Volkswirt-
schaft .

Stade, meine Heimatstadt, ist mittlerweile an das
S-Bahn-Netz der Metropolregion Hamburg angeschlos-
sen . Das gibt uns die Möglichkeit, dass Tausende von
Pendlern auf die S-Bahn umsteigen können . Mit meinem
VW-Bus, mit dem ich unterwegs bin, brauche ich für die
35 Kilometer Luftlinie von der Tür meines Hauses in Sta-
de bis nach Hamburg teilweise über eine Stunde Fahrzeit,
sogar bis zu zwei Stunden . Autobahnen, die wir brau-
chen, wie die A 26, wurden Jahrzehnte vom politischen
Gegner bekämpft . Man hat allein 40 Jahre gebraucht, um
sie gerade einmal bis zur Hälfte zu realisieren . Wir sind
unglaublich dankbar und stolz auf diese Große Koalition,
dass wir den Bundesverkehrswegeplan im letzten Jahr
auf die Straße gebracht haben – im Übrigen gegen Grü-
ne und Linke beschlossen, sie haben das ja bekämpft –,
damit es endlich weitergehen kann mit unseren dringend
notwendigen Verkehrsachsen A 26, A 20 und den zahlrei-
chen Autobahnen und Bundesstraßen in den Wahlkreisen
meiner Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich müssen wir die Digitalisierung und den
Breitbandausbau schnellstens voranbringen . Die digitale
Spaltung muss beendet werden. Wir brauchen flächende-
ckend Funkmasten . Der Schweizer Käse, den wir haben,
muss ein Ende haben . Wenn ich durch meinen Wahlkreis
fahre, habe ich dort permanent Abrisse .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823404200

Herr Grundmann, erlauben Sie eine Frage oder Be-

merkung von Frau Lay?


Oliver Grundmann (CDU):
Rede ID: ID1823404300

Ja .


Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823404400

Vielen Dank, Herr Kollege . Ich freue mich, dass die

Debatte zu unserer Großen Anfrage „Sozialer Woh-
nungsbau in Deutschland“ zu einer gesamtgesellschafts-
politischen Debatte geworden ist .

Ich möchte es gerne konkret machen . Beispielsweise
finden die Menschen bei uns in der Lausitz keine Arbeit,
es fährt kein Bus vom Dorf in die nächste Stadt . Dank
der Schulschließungspolitik Ihrer Kollegen von der CDU
finden sie auf dem Land auch keine Schulen mehr. Des-
wegen ziehen sie beispielsweise nach Dresden oder nach
Leipzig, weil sie dort Arbeit, Schule und öffentliche In-
frastruktur finden. Dort finden sie aber dann keine be-
zahlbare Wohnung mehr .

Meine Frage an Sie ist: Was raten Sie eigentlich Ihren
Kolleginnen und Kollegen von der sächsischen CDU?
Sollen sie die fatale Politik der Schulschließungen in
ländlichen Regionen beenden oder endlich auch in Sach-
sen Sozialwohnungen bauen? Sachsen ist eines der we-
nigen Bundesländer, in denen in den letzten Jahren kei-

ne einzige Sozialwohnung gebaut wurde. Ich finde das
wirklich beschämend .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Oliver Grundmann (CDU):
Rede ID: ID1823404500

Sehr geehrte Frau Kollegin Lay, ich danke Ihnen für

Ihre Frage . Das eine zu tun, bedeutet natürlich nicht,
das andere zu lassen . Wir müssen die privaten Kräfte im
Wohnungsbau stärken, wir müssen durch entsprechen-
de Anreizsysteme Möglichkeiten schaffen, dass private
Bauwillige dort etwas tun, und wir müssen den ländli-
chen Raum stärken . Ich glaube, da sind die Kolleginnen
und Kollegen insbesondere in den östlichen Bundeslän-
dern auf einem sehr guten Wege . Den ländlichen Raum
müssen wir kraftvoll ausbauen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich komme
zu einem weiteren Thema, das mir persönlich sehr am
Herzen liegt: die Geruchsimmissions-Richtlinie . Junge
Familien in Niedersachsen, insbesondere bei uns im El-
be-Weser-Raum, dürfen nicht mehr in ihren Heimatdör-
fern bauen, dürfen nicht dort bauen, wo sie geboren sind,
wo sie aufgewachsen sind, wo sie als Kinder gespielt ha-
ben, weil es dort eine Vorschrift gibt: die Geruchsimmis-
sions-Richtlinie, die es ihnen verbietet, selbst in Baulü-
cken auf elterlichen Grundstücken günstige Eigenheime
zu errichten – nur weil es nach Landluft riecht, die sie
seit ihrer Geburt eingeatmet haben, die gesundheitlich
nachweislich absolut unbedenklich ist . Aber der nieder-
sächsische Umweltminister stellt sich quer und denkt
überhaupt nicht daran, die Geruchsimmissions-Richt-
linie zu überarbeiten und das Bauen auf dem Lande zu
ermöglichen . Hier hoffe ich auf Unterstützung dabei, das
zukünftig aus dem Wege zu räumen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es kann doch nicht sein, dass der ländliche Raum wegen
solchen Bürokratieirrsinns weiter ausblutet und unsere
Dörfer keine Zukunft haben .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir
es richtig anfassen, dann kann der ländliche Raum einen
wesentlichen Beitrag zur Entspannung der Wohnungs-
märkte leisten . Der ländliche Raum und das Umland von
Städten können ein leistungsstarkes Entlastungsventil für
unsere Städte werden . Aber dann müssen wir ihnen eben
auch Chancen geben . Den Blick auf Großstädte zu veren-
gen, ist der falsche Weg .

Deutschland, meine sehr geehrten Damen und Herren,
besteht aus Städten und Dörfern . Deutschland besteht
zu 90 Prozent aus ländlichem Raum, und die Hälfte der
Menschen lebt auf dem Lande . Daher wiederhole ich
meine klare Botschaft: Schaut aufs Land! Wenn die Ent-
wicklungschancen gerecht und gleich verteilt sind und
sich damit auch der Wohnungsmarkt in den Städten ent-
spannt, dann eröffnet uns das sehr gute Chancen, dann
profitieren wir alle davon – die Städte und das Land. In
diesem Sinne: Lassen Sie uns diesen Weg weitergehen .

Oliver Grundmann






(A) (C)



(B) (D)


Vielen herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823404600

Vielen Dank, Oliver Grundmann . – Nächster Redner:

Carsten Träger für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Carsten Träger (SPD):
Rede ID: ID1823404700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Bezahlbares Wohnen ist eine Frage der Ge-
rechtigkeit . Wir sehen in fast allen Großstädten unseres
Landes, dass die Preise so sehr steigen, dass die uralte
Faustregel gebrochen wird: Ein Drittel des Einkommens
für Wohnen aufzuwenden, ist okay . – Wenn es mehr kos-
tet, wird es eng im Geldbeutel, vor allem, wenn der Geld-
beutel nicht so groß ist .

Auch in meiner Heimatstadt Fürth ist dieses Problem
sichtbar, aber wir gehen es erfolgreich an . Bereits seit
dem Amtsantritt des Oberbürgermeisters im Jahr 2002
zeigt die Stadt, wie nachhaltige und gute Planung im
Rahmen von engen örtlichen Gegebenheiten funktio-
niert . Wir sind eine kleine, aber wachsende Großstadt mit
bald 130 000 Einwohnern . In den letzten 15 Jahren zo-
gen pro Jahr im Schnitt 1 000 Einwohner zu; denn Fürth
ist attraktiv . Wir haben im Schnitt 18 Baudenkmäler pro
1 000 Einwohner . Damit gehört Fürth zu den sechs am
besten erhaltenen Großstädten in Deutschland . Das ist
ein Topwert, aber natürlich bedeutet es gleichzeitig eine
riesige Herausforderung hinsichtlich der städtebaulichen
Entwicklung .

Herr Kollege Grundmann, Sie sagen selbst, dass Sie
vom Land kommen . Dann reden Sie besser nicht von
„grauen Wohntürmen“ in irgendwelchen Banlieues .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg . Caren Lay [DIE LINKE])


Das hat mit sozialem Wohnungsbau heutzutage nichts
mehr zu tun . Bei uns funktioniert es . Und wie funktioniert
es? Über das Programm „Soziale Stadt“ . Der Oberbür-
germeister Thomas Jung ruft bereits seit seinem Amtsan-
tritt 2002 die zur Verfügung stehenden Fördermittel kon-
sequent ab . Das ist der Schlüssel für viele erfolgreiche
Projekte; nicht nur im sozialen Wohnungsbau, aber eben
auch im sozialen Wohnungsbau . Es funktioniert, wenn es
Hand in Hand geht .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist das Verdienst
der Bundesbauministerin Barbara Hendricks und von
Ihnen, Herr Staatssekretär Pronold, dass die Erfolgsge-
schichte „Soziale Stadt“ weitergeführt und vor allem
stärker gefördert wird .


(Beifall bei der SPD)


Denn das Programm „Soziale Stadt“ erfuhr erst unter Ih-
rer Regie eine richtige Blüte . Unter der schwarz-gelben
Vorgängerregierung wurden die Mittel zusammengestri-

chen . Erst in dieser Legislaturperiode haben wir das Pro-
gramm wieder ordentlich und gut ausgestattet .


(Beifall bei der SPD)


In der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft der
Stadt Fürth schlägt sich nachhaltiges Arbeiten deutlich
nieder . Schritt für Schritt, Gebäude für Gebäude, Stra-
ßenzug um Straßenzug werden die alten Bauten saniert .
Die Kosten werden per Mischkalkulation sozialverträg-
lich umgelegt . Das ist auch im Sinne der Bestandsmieter .
Dass bei der Sanierung auch die Ziele der Energie- und
Wärmewende vorangetrieben werden, ist kein Zufall,
sondern ausdrückliche Absicht .

Alle diese Beispiele aus meiner Heimatstadt zeigen:
Wenn die SPD Verantwortung trägt, entsteht nachhalti-
ger, attraktiver und günstiger Wohnraum, auch in einer
dynamisch wachsenden Stadt . Wir brauchen mehr so-
zialen Wohnungsbau in Deutschland, damit Wohnen
bezahlbar wird und bleibt . Auch das ist eine Frage der
Gerechtigkeit .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823404800

Vielen Dank, Carsten Träger . – Letzter Redner in der

Debatte: Detlev Pilger für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Detlev Pilger (SPD):
Rede ID: ID1823404900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Gäste! Sehr geehrter Herr Grundmann,
auch ich will keine grauen Trabantenstädte in den Groß-
städten, das ist ganz klar – aber Carsten Träger hat darauf
hingewiesen: es gibt moderne und innovative Entwick-
lungen beim sozialen Wohnungsbau –, und auch ich will
keine ländlichen Räume ohne jegliche Infrastruktur ha-
ben; denn aus diesem Grund ziehen die Menschen aus
dem ländlichen Raum in die Ballungsgebiete und in die
Städte .

Wir können stolz darauf sein, Herr Staatssekretär
Pronold, dass wir im Haushalt 1,5 Milliarden Euro für
den Wohnungsbau eingestellt haben . Das ist eine gute
Sache . Aber wir dürften uns einig sein: Der soziale Woh-
nungsbaumarkt wurde dadurch nicht wesentlich belebt .
Die Zahlen wurden genannt: 25 000 Wohnungen werden
jährlich gebaut, circa 50 000 Wohnungen fallen jährlich
aus der sozialen Bindung . Man sieht: Das bisherige Sys-
tem, den sozialen Wohnungsbau zu forcieren, hat nicht
funktioniert .

Ich möchte Ihnen ein paar Beispiele aus meinem
Wahlkreis nennen . Es handelt sich um eine Familie mit
vier Personen, zwei davon im Vollerwerb . Ich komme
aus Koblenz . Koblenz ist eine wachsende Stadt, aber im-
mer noch eine kleine Großstadt; ähnlich wie die Stadt,
aus der Carsten Träger kommt. Dort finden Sie für diese
Familie keinen bezahlbaren Wohnraum .

Ein anderes Beispiel . Ich bin in Obdachloseninitiati-
ven tätig . Dort gibt es Männer und Frauen, die in Thera-

Oliver Grundmann






(A) (C)



(B) (D)


pie sind, die in Projekten für begleitetes Wohnen leben,
und wieder in der Gesellschaft Fuß fassen wollen . Versu-
chen Sie einmal, für eine solche Person eine Wohnung in
einer Stadt zu finden.

Ich bin im Beirat der Justizvollzugsanstalt Koblenz .
Wir sprechen sehr oft von Resozialisierung . Versuchen
Sie einmal für jemanden eine Wohnung zu finden, der
eine zweite Chance braucht . Sie haben keinerlei Chance .

Wir sind uns an dieser Stelle hoffentlich alle einig,
dass auch diese Menschen eine würdige Unterkunft ver-
dienen und dass wir den Auftrag haben, für diese Men-
schen eine Wohnung zu finden. Es kann unmöglich sein,
dass man in Städten ganzen Bevölkerungsgruppen keine
Wohnungen mehr anbieten kann .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg . Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


In der letzten Woche kam ein Hartz-IV-Empfänger
zu mir ins Büro – verheiratet, seine Frau frühverrentet,
mehrfach erkrankt –, der seine Wohnung wegen Eigen-
bedarf räumen soll . Er war zwar langzeitarbeitslos, ist
aber nie auffällig geworden, er hat immer die Energie-
kosten bezahlt . Jetzt muss er auf dem Wohnungsmarkt
eine Wohnung finden. Ich bin äußerst gut auf dem Woh-
nungsmarkt vernetzt . Ich bin seit 30 Jahren Mitglied des
Aufsichtsrats einer großen Genossenschaft, davon war
ich 15 Jahre Aufsichtsratsvorsitzender, ich habe also gute
Verbindungen . Suchen Sie einmal für diesen Mann und
seine Frau eine Wohnung . Sie haben keine Chance . Er
hat keine Chance, eine Wohnung zu finden, und er ist
jetzt von der Zwangsräumung bedroht . Das kann nicht
sein, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir müssen den sozialen Wohnungsbau forcieren .
Wie machen wir das? Wir müssen – es wurde mehrfach
angesprochen – die Genossenschaften und die kom-
munalen Wohnungsbaugesellschaften unterstützen und
mehr fördern, und auch die Privaten gehören unterstützt .
Das hat den Wohnungsbaumarkt stabilisiert, Arbeits-
plätze gesichert, Unternehmen stabilisiert . Das, was wir
gemacht haben, ist gut; aber dadurch wurde der soziale
Wohnungsbau nicht belebt . Das ist eine gesellschaftliche
Aufgabe, liebe Kolleginnen und Kollegen . Das sollten
wir alle gemeinsam machen, egal welches Parteibuch wir
haben;


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Caren Lay [DIE LINKE] und Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


denn das führt zur Zufriedenheit vieler Menschen, und
das ist unser Auftrag .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Caren Lay [DIE LINKE] und Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823405000

Vielen Dank, Kollege Pilger . – Damit schließe ich die

Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 18/12387 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich
jemand? – Nein . Der Entschließungsantrag ist abgelehnt .
Zugestimmt haben die Linke und Bündnis 90/Die Grü-
nen . Dagegen war die Große Koalition, CDU/CSU und
SPD .

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Ti-
tel „Gemeinsam für bezahlbares Wohnen – Lebenswert
und klimafreundlich“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11020, den
Antrag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/10027 abzulehnen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Keine . Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen
waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .

Wir kommen zu einem neuen Tagesordnungspunkt,
und ich bitte Sie, die Plätze zu tauschen .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 9 auf:

Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Verbraucherpolitischer Bericht der Bundesre-
gierung 2016

Drucksache 18/9495
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss Digitale Agenda

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Bun-
desminister Heiko Maas .


(Beifall bei der SPD)


Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:

Vielen Dank . – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine
Damen und Herren! Das ist der erste verbraucherpoliti-
sche Bericht, der unter Federführung des Bundesminis-
teriums der Justiz und für Verbraucherschutz vorgelegt
wird . Mit dem neuen Zuschnitt des Ressorts haben wir
zu Beginn der Wahlperiode einen richtigen Schritt getan;
denn heute kommt die Stärke des Rechts all denjenigen
zugute, die im Wirtschaftsleben etwas schwächer sind,
und das sind in der Regel die Verbraucherinnen und Ver-
braucher .

Detlev Pilger






(A) (C)



(B) (D)


Meine Damen und Herren, ich möchte drei Verbrau-
chergruppen herausgreifen, denen unsere Arbeit in den
letzten Jahren besonders zugutegekommen ist: Das sind
die Internetnutzer, das sind Bankkunden, und das sind
auch Mieterinnen und Mieter .

Die Digitalisierung hat den Zugang zu Wissen und
Informationen in den letzten Jahren ganz enorm erleich-
tert . Damit sind allerdings auch große Unsicherheiten
entstanden, zum Beispiel, wenn es um das Kopieren und
die Nutzung von Inhalten aus dem Netz geht – Dinge, die
uns alle tagtäglich betreffen .

Verbraucherschutz im digitalen Zeitalter – das heißt
eben auch: Der Lehrer, der für sein Unterrichtsmaterial
einen Text aus dem Netz kopiert, braucht Rechtssicher-
heit, und ein Schüler, der für sein Referat ein Foto herun-
terlädt, soll nicht länger von Abmahnungen und Anwalts-
kosten bedroht sein .


(Beifall bei der SPD)


Deshalb schaffen wir mit der Reform des Urheberrechts,
die im Laufe des heutigen Tages beschlossen werden
soll, Rechtssicherheit . Wir erlauben solche Nutzungen
per Gesetz, und wir schützen damit die Verbraucherinnen
und Verbraucher vor juristischen Risiken und Nebenwir-
kungen .

Mehr Verbraucherschutz im Netz – das heißt darüber
hinaus auch:

Wir haben die Störerhaftung für die Anbieter von
WLANs abgeschafft . Das erleichtert die Errichtung von
Hotspots und den Zugang zum Netz für alle Verbrauche-
rinnen und Verbraucher .

Wir konnten in Europa erreichen, dass das Geoblo-
cking eingeschränkt wird . Was der Verbraucher einmal
bezahlt hat, soll er auch überall nutzen können . Auch das
gehört zur Freizügigkeit, nämlich der der Verbraucherin-
nen und Verbraucher in Europa .


(Beifall bei der SPD)


Und schon in vier Wochen werden in Europa endlich
die Roaminggebühren fallen . Das heißt, in absehbarer
Zeit wird die Abzocke von Verbraucherinnen und Ver-
brauchern beim grenzüberschreitenden Telefonieren end-
lich ein Ende haben .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Verbrau-
cherpolitik im digitalen Zeitalter – das heißt auch Da-
tenpolitik . Mit der neuen Datenschutz-Grundverordnung
haben wir die Datensouveränität, also die Selbstbestim-
mung der Verbraucherinnen und Verbraucher über ihre
persönlichen Daten, ganz erheblich gestärkt . Noch wich-
tiger ist dabei: Die Grundverordnung wird für alle Un-
ternehmen gelten, die auf dem europäischen Markt tätig
sind . Kein Unternehmen kann dann Verbraucherrechte
ignorieren, weil es keine Niederlassung in der EU hat
oder seine Server irgendwo in Übersee stehen . Das ist
im digitalen Zeitalter, das immer mehr unser gesamtes
Leben, und zwar beruflich wie privat, bestimmt, ein ganz
erheblicher Fortschritt, den wir in dieser Legislaturperio-
de zusammen erreichen konnten .


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, Deutschland ist ein Mieter-
land . Das wissen wir alle . Deshalb muss Verbraucherpo-
litik immer auch Mieterpolitik sein . Mit dem Besteller-
prinzip bei Maklerkosten haben wir Wohnungssuchende
finanziell ganz erheblich entlastet. Wir haben damit das
Grundprinzip der Marktwirtschaft, nämlich: „Wer be-
stellt, bezahlt“, auch bei den Maklerkosten eingeführt .

Im Interesse von Mieterinnen und Mietern haben wir
zudem einen weiteren juristischen Schritt getan: Bei
Neuvermietungen liegt es jetzt nicht mehr allein in der
Hand des Vermieters, über die Höhe der Miete zu bestim-
men . Wir wissen, dass es in den Ballungszentren Miet-
steigerungen von 20, 30 oder 40 Prozent gegeben hat .
Deswegen haben wir die Mietpreisbremse eingeführt . Sie
ist ein völlig neues Instrument; in der Form hat es sie
noch nicht gegeben . Sie hat zum Ziel, die drastischen Er-
höhungen von Mieten, welche zu Verdrängungen und zu
Monokultur in begehrten Stadtvierteln führen – das will
ja niemand – erheblich einzuschränken . Deshalb ist und
bleibt die Mietpreisbremse richtig und wichtig .

Wir müssen aber dafür sorgen, dass die Probleme bei
der Anwendung der Mietpreisbremse, die es derzeit noch
gibt, ganz erheblich verringert werden . Das könnte man
ganz einfach erreichen, indem man Vermieter gesetzlich
verpflichtet, die Vormiete offenzulegen. Dadurch würde
offenkundig, ob die Mietpreisbremse beachtet oder ver-
letzt wird . Bewerberinnen und Bewerber für eine Woh-
nung, die mit 20 Konkurrenten in der Schlange stehen,
müssten sich dann gar nicht erst überlegen, ob sie sich bei
ihrem potenziellen neuen Vermieter möglicherweise un-
beliebt machen, wenn sie sich nach der Vormiete erkun-
digen, und deshalb die Wohnung nicht bekommen . Die
jetzige Situation führt ja dazu, dass die Mietpreisbremse,
die gesetzlich besteht und fixiert ist, bedauerlicherweise
noch nicht überall dort, wo sie gebraucht wird, auch in
Anwendung kommt . Wie gesagt, das könnte man ganz
einfach ändern, indem man den Vermieter verpflichtet,
die Vormiete offenzulegen .


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, auch bei einem anderen
Thema, nämlich beim Thema Finanzen, haben wir in den
letzten fast vier Jahren viel für die Verbraucherinnen und
Verbraucher erreicht . Auch das ist ein wichtiges Thema
für Verbraucherinnen und Verbraucher .

Mit dem Girokonto für jedermann haben wir endlich
dafür gesorgt, dass jeder am bargeldlosen Leben teilha-
ben kann .

Wir haben darüber hinaus Verbraucherinnen und Ver-
braucher vor der Schuldenfalle Dispokredit besser ge-
schützt . Wir haben die Banken zu mehr Transparenz bei
ihren Zinssätzen gezwungen und sie verpflichtet, jedem,
der zu tief in den Dispo gerät, eine Beratung und Um-
schuldung anzubieten .

Wir haben außerdem mehr Wettbewerb im Bereich
der Konten geschaffen . Verbraucherinnen und Verbrau-
cher können ihr Girokonto heute wesentlich einfacher
wechseln, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen
ist . In Zeiten steigender Kontoführungsgebühren ist das
außerordentlich wichtig .

Bundesminister Heiko Maas






(A) (C)



(B) (D)


Schließlich haben wir mit dem Kleinanlegerschutz-
gesetz den Grauen Kapitalmarkt reguliert und die Men-
schen vor unseriösen und intransparenten Finanzproduk-
ten besser geschützt . Die BaFin hat deshalb jetzt mehr
Befugnisse bekommen . Sie kann jetzt gegen schwarze
Schafe in der Branche besser vorgehen und notfalls auch
Vertriebsverbote verhängen sowie Sanktionen öffentlich
bekannt machen . Wenn es das schon vorher gegeben
hätte, hätte es einen Fall wie Prokon in Deutschland nie
gegeben .


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, wir haben in den Jahren
dieser Legislaturperiode auch die Strukturen der Ver-
braucherpolitik verändert:

Wir haben mit der Verbraucherschlichtung einen Weg
geschaffen, damit Betroffene ihre Rechte gegenüber Un-
ternehmen einfach, schnell und kostengünstig durchset-
zen können .

Wir haben als eine Art Frühwarnsystem die Markt-
wächter geschaffen, um Missstände, die es gegenüber
Verbraucherinnen und Verbrauchern gibt, zu erkennen
und sie den Entscheidungsträgern zuzuführen .

Wir haben den Verbraucherorganisationen mehr Rech-
te gegeben, zum Beispiel durch die Ausweitung der Ver-
bandsklage .

Wir haben der Verbraucherpolitik auch international
zu einem höheren Stellenwert verholfen . Zum ersten Mal
hat sich in diesem Jahr ein G-20-Gipfel mit dem Verbrau-
cherschutz beschäftigt . Alle Regierungen dieser 20 Staa-
ten fangen endlich an, die Wirtschaft nicht nur aus Sicht
von Staaten, Unternehmen und Managern zu betrachten,
sondern auch aus der Perspektive von Verbraucherinnen
und Verbrauchern . Das ist für uns selbstverständlich,
aber für viele ist es immer noch revolutionär . Deshalb
war es überfällig, dass wir im Rahmen unserer Präsident-
schaft dafür gesorgt haben, dass dieser Weg eingeschla-
gen wird .


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, eine weitere kleine Revolu-
tion für Deutschlands Verbraucherinnen und Verbraucher
würde ich mir auch im Bereich des Prozessrechts wün-
schen, nämlich in Form der Musterfeststellungsklage .
Eigentlich dürfen wir nicht zulassen, dass Großkonzerne
mit Rechtsverstößen ungeschoren davonkommen, nur
weil sich die Betroffenen verständlicherweise scheuen,
gegen Großunternehmen, multinationale Unternehmen
eine Klage anzustrengen . Verbraucherorganisationen
müssen hier mehr Rechte bekommen . Wo verbraucher-
rechtliche Streitigkeiten massenhaft auftreten, könnten
sie dann mit nur einer Klage die Sache vor Gericht brin-
gen . Das liegt nicht nur im Interesse von Verbraucherin-
nen und Verbrauchern, sondern das kann auch im Interes-
se von Unternehmen liegen; denn Musterklagen können
rasch Rechtssicherheit für beide Seiten schaffen . Das ist
manchmal besser, als wenn jahrelang die Schadenser-
satzforderungen wie ein Damoklesschwert über einem
Unternehmen hängen .

Viele, die sich mit diesem Thema auseinandergesetzt
haben, haben eigene Vorschläge dazu gemacht . Auch
wenn die Musterfeststellungsklage in dieser Legislatur-
periode nicht mehr kommt: Im nächsten verbraucherpo-
litischen Bericht sollte sie nicht mehr fehlen, meine sehr
verehrten Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Auch da geht es wie in der gesamten Verbraucherpoli-
tik vor allen Dingen um eines, nämlich: Recht zu haben,
muss auch bedeuten, Recht zu bekommen . Das muss
für Verbraucherinnen und Verbraucher künftig genauso
zusammenhängen, wie das bei Justiz und Verbraucher-
schutz heute schon der Fall ist .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823405100

Vielen Dank, Heiko Maas . – Nächste Rednerin: Karin

Binder für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823405200

Liebe Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister!

Meine Kolleginnen und Kollegen! Verbraucherpoli-
tik wurde in der 18 . Legislaturperiode aufgeteilt: Wirt-
schaftlicher Verbraucherschutz ging an das Ministerium
der Justiz und für Verbraucherschutz, gesundheitlicher
Verbraucherschutz blieb beim Bundesministerium für
Ernährung und Landwirtschaft . Wozu führt das? Ver-
braucherpolitik wird aufgeteilt und damit geschwächt .
Sie wird in zwei Ministerien als Anhängsel betrachtet
und verliert damit ihre Durchschlagskraft . Dafür gibt es
leider zahlreiche Beispiele .

Ich beginne mit dem VW-Skandal . Der Abgasskandal,
der wahrscheinlich auch Ihnen, den Besucherinnen und
Besuchern hier im Bundestag, nicht unbekannt ist, hat
deutlich gemacht, dass Verbraucherschutz ganz dringend
gestärkt werden muss . Statt jedoch die Verbraucher zu
stärken, wird die Automobilbranche vor den berechtig-
ten Ansprüchen von Autokäufern und der geschädigten
Gesamtgesellschaft geschützt . Die VW-Fahrer bleiben
auf den Kosten und die Gesellschaft auf Umwelt- und
Klimaschäden sitzen . Mehrfach wurde im Ausschuss die
Beratung dieses Themas angesetzt – und von den Koali-
tionsfraktionen wieder abgesetzt . Es war also nicht mög-
lich, auch für uns als Opposition nicht, hier tatsächlich
die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher gegen-
über der Wirtschaft und Finanzwelt zu stärken .

Es gibt heute weder Gruppen- noch Sammelklagen .
Herr Minister, warum gibt es noch keine Möglichkeit zur
Musterfeststellungsklage? Das wäre wünschenswert . Ge-
nau in diesem Fall hätten wir sie gebraucht – nicht in vier
Jahren, sondern jetzt .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bundesminister Heiko Maas






(A) (C)



(B) (D)


In vier Jahren sind nämlich die ganzen Fristen für die
Geschädigten abgelaufen . Und wer klagt dann das Recht
ein? Nein, die Unternehmen behalten dann ihre unrecht-
mäßig erhaltenen Gewinne . So kann man Verbraucherpo-
litik auch verstehen .

Auch in anderen Fällen haben wir leider viel zu wenig
Einsatz von Ihnen gesehen, Herr Minister, obwohl von
der EU zahlreiche Vorgaben gemacht wurden . Sie haben
ja einiges genannt . Gut, das kann man so stehen lassen .
Aber statt mit den EU-Richtlinien für einen besseren Ver-
braucherschutz zu sorgen, haben Sie die Standards zum
Teil sogar abgesenkt .

Gerade im Zusammenhang mit den Wohnimmobilien
wurde das Widerrufsrecht der Bankkunden, der Kredit-
nehmerinnen und Kreditnehmer, beschnitten . Nach wie
vor betragen die Dispozinsen zum Teil über 10 Prozent .
Mit welcher Begründung, mit welcher Berechtigung ver-
langen die Banken so viel Geld und stehlen sich aus ihrer
Verantwortung?

Den Mieterschutz merke ich positiv an; ich freue mich
darüber . Die Linke begrüßt es, dass das Mietrecht inzwi-
schen tatsächlich als Verbraucherschutzrecht anerkannt
wird . Leider – Sie haben es auch angesprochen – ist die
Mietpreisbremse aber nicht wirksam . Zum Teil erleben
die Menschen das Gegenteil: Sie wirkt teilweise sogar
mietsteigernd . Warum gibt es denn noch nicht die Ver-
pflichtung der Vermieter, die Vormiete anzugeben? Das
wäre doch eine Leichtigkeit . – Tun Sie es doch einfach,
Herr Minister!


(Beifall bei der LINKEN)


Es wurde ein Sachverständigenrat für Verbraucherfra-
gen eingerichtet . Auch das begrüßen wir als Linke . Es
geht um die Digitale Agenda, die die Bundesregierung
inzwischen erlassen hat . Aber eine umfassende Strategie
zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher in
diesem großen neuen Gebiet gibt es leider noch nicht .

Zwölf Empfehlungen hat dieser Sachverständigenrat
bereits Anfang 2016 zum besseren Schutz der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher in der digitalen Welt an das
Ministerium übermittelt . Die Bundesregierung hat aber
noch nicht einmal die Hälfte dieser bisherigen Empfeh-
lungen aufgegriffen . Auch hier frage ich mich: Warum
nicht?

Wir haben inzwischen zwei Marktwächter, und zwar
zum Thema „Finanzen“ und zum Thema „Digitale Welt“ .
Wir freuen uns darüber, dass sie eingerichtet wurden . Das
forderten wir als Linke schon lange . Leider haben aber
auch diese Marktwächter bei festgestellten Problemen
keinerlei Durchsetzungskraft gegenüber Unternehmen,
und sie haben auch keine Befugnisse gegenüber Behör-
den, um diese zum Handeln zu bewegen .

Die Datenschutzbehörden sind finanziell viel zu
schlecht ausgestattet, um Rechte von Verbraucherin-
nen und Verbrauchern durchzusetzen . Die Befunde der
Marktwächter finden bei der Bundesregierung leider kein
Gehör . Produktergänzende Versicherungen gegen Dieb-
stahl, Schäden oder den Ausfall von Handys oder Rei-
sen sind zum Beispiel nicht reguliert worden, obwohl die
Marktwächter hier dringenden Handlungsbedarf sehen .

Die Verbraucherorganisationen – vzbv und Stiftung
Warentest – wurden finanziell gestärkt. Das alles ist pri-
ma, und das unterstützen wir auch . Dennoch reichen die
Mittel nicht aus. Gelder aus Kartellstrafen fließen wei-
terhin in den Bundeshaushalt, anstatt den Verbraucher-
verbänden zur Verfügung gestellt zu werden, die für ihre
wichtige Arbeit wirklich unser aller Dank verdienen . An
dieser Stelle möchte ich mich wirklich auch einmal dafür
bedanken .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ohne diese engagierte Arbeit wäre Verbraucherschutz in
Deutschland wahrscheinlich nicht halb so viel wert .

Um all das zu unterstützen, brauchen wir eine Ver-
braucherbehörde. Die Linke fordert eine finanziell gut
ausgestattete und unabhängige Verbraucherbehörde, die
tatsächlich auch Befugnisse erhalten muss . Diese Be-
fugnisse sollen dieser Behörde die Möglichkeit geben,
Sanktionen gegenüber Unternehmen auszusprechen und
die Unternehmen letztendlich auch zur Rückzahlung un-
rechtmäßiger Einnahmen und Gewinne zu verpflichten.

Wir brauchen auch den Schutz von besonderen Ver-
brauchergruppen . Herr Minister, Sie haben drei Gruppen
angesprochen: Bankkunden, Mieterinnen und Mieter und
Internetnutzer. Ich finde aber, Sie haben dabei eine be-
sondere Gruppe sehr vernachlässigt, nämlich die vielen
Menschen in Deutschland mit geringem oder keinem
Einkommen, die von den Banken nach wie vor abgezockt
werden . Es gibt bei Banken und Sparkassen ein Basis-
konto, wofür die Menschen mit wenig Einkommen zum
Teil höhere Gebühren zahlen müssen als andere Kunden,
die genügend Geld zur Verfügung haben . Worin liegt da
der Sinn? Dass man ausgerechnet den Menschen, die
wenig Geld haben, aber ein Konto für den bargeldlosen
Zahlungsverkehr brauchen, höhere Gebühren abverlangt,
hat doch keinen Sinn . Das Gegenteil wäre notwendig .


(Beifall bei der LINKEN)


Das Thema „Nachhaltigkeit und Verbraucherpolitik“
spielt in dem Bericht leider auch keine große Rolle . Wir
mussten die CSR-Richtlinie in dieser Legislaturperiode
umsetzen, aber das Thema „Informationsrechte der Ver-
braucherinnen und Verbraucher“, zum Beispiel zu Sozi-
alstandards und Ökostandards, nach denen Unternehmen
produzieren, spielt in dieser Richtlinie keine Rolle . Gera-
de das Thema „Informationsrecht“ bleibt in dem Bericht
und blieb in dieser Legislaturperiode leider auf der Stre-
cke . Das Wort „Verbraucherinformationsgesetz“ kommt
nicht vor, auch Whistleblowing ist für Sie kein Thema .

Klar, das Thema „Sicherheit von Lebensmitteln und
verbrauchernahen Produkten“ ist beim Landwirtschafts-
minister angesiedelt . Aber ich denke, als Justizminister
hätten Sie die Möglichkeit, insbesondere § 40 des Le-
bensmittel- und Futtermittelgesetzbuches anzugehen .
Gerade die Regelungen in diesem Paragrafen behindern
Länderbehörden dabei, Verstöße öffentlich zu machen,
an denen sich Verbraucherinnen und Verbraucher orien-
tieren könnten – aber eben nur dann, wenn diese Kont-
rollergebnisse öffentlich gemacht würden . Die Länder-

Karin Binder






(A) (C)



(B) (D)


behörden haben schon mehrfach darum gebeten, hier
Abhilfe zu schaffen . Das wäre durchaus ein Thema fürs
Justizministerium .


(Beifall bei der LINKEN)


Mein Fazit: Die Aufteilung des Verbraucherschutzes
auf zwei Ministerien schwächt den Verbraucherschutz .
Die Linke fordert die Zusammenführung und Stärkung
in einem eigenen Verbraucherministerium, um der Ver-
braucherpolitik mehr Durchsetzungskraft gegenüber
Wirtschaft und Finanzwelt zu verschaffen . Es betrifft
über 80 Millionen Menschen in Deutschland . Es betrifft
jeden Einzelnen von uns . Deshalb brauchen wir hier eine
starke Verbraucherpolitik . Lassen Sie uns deshalb um ein
eigenes Ministerium kämpfen . Ich hoffe, ich habe hierfür
auch Ihre Unterstützung .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823405300

Vielen Dank, Karin Binder . – Nächste Rednerin:

Mechthild Heil für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Mechthild Heil (CDU):
Rede ID: ID1823405400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Jeder Mensch hat seine ganz besonderen Fä-
higkeiten . Wir trauen den Menschen und ihren Fähigkei-
ten . Diese Erkenntnis ist ganz tief verwurzelt in der CDU
und in der CSU . Deshalb ist unser erstes Ziel in der Ver-
braucherpolitik auch immer, den Verbraucher zu stärken,
damit er eigenverantwortliche Entscheidungen treffen
kann . Dafür schaffen wir die Grundlagen . Wir stellen na-
türlich auch klare Rahmenbedingungen und Regelungen
zur Verfügung .

An dieser Prämisse hat die Union in den letzten vier
Jahren ihre Verbraucherpolitik ausgerichtet . Wir unter-
stützen den Verbraucher dabei, auf Augenhöhe mit den
Unternehmen zu kommen . Verbraucher können besser
beurteilen, was für sie in ihrer ganz speziellen, individu-
ellen Lebenssituation die richtige Entscheidung ist . Das
können sie viel besser, als es die Politik könnte . Verbo-
te sind deshalb für uns in der CDU/CSU das allerletzte
Mittel .

Ihnen allen liegt der Verbraucherpolitische Bericht
der Bundesregierung aus dem Jahr 2016 vor . Auf den gut
48 Seiten: gute Nachrichten für die Verbraucher . Die Lis-
te der umgesetzten Vorhaben zeigt, dass wir in den vier
Jahren wirklich sehr viel für Verbraucher auf den Weg
gebracht haben:

Wir haben die Marktwächter für die Bereiche Finan-
zen und Digitales geschaffen . Dafür haben wir viel Geld
in die Hand genommen . Auch die Verbraucherzentralen
haben wir mit einer großen Aufgabe betraut und sie vor
eine große Herausforderung gestellt .

Wir haben den Sachverständigenrat für Verbraucher-
fragen ins Leben gerufen, der auch schon einige Gutach-
ten vorgelegt hat . Mit diesen Sachverständigen haben wir

eine gute Diskussion . Manches wird von uns kritisch be-
gleitet, aber immer mit dem Hinweis: Wir wollen etwas
nach vorne entwickeln, auch beim Sachverständigenrat .

Die Rechtsdurchsetzung für Verbraucher haben wir
deutlich vereinfacht und auch erweitert, beispielsweise
durch das Verbandsklagerecht bei Datenschutzverstößen
im UKlaG, also dem Unterlassungsklagegesetz .

Wir haben die alternative Streitbeilegung, also die
Schlichtungsstellen, weiter ausgebaut .

Auch im Bereich Finanzen haben wir den Fokus ganz
stark auf die Verbraucher gelegt:

Wir haben den kollektiven Verbraucherschutz neu bei
der BaFin verankert, und wir haben das Kleinanleger-
schutzgesetz verschärft, das die BaFin als neues, scharfes
Instrument an die Hand bekommen hat .

Wir haben – das hat der Minister schon gesagt – den
Kontowechsel bei den Banken deutlich erleichtert . Die
Dispozinsen sind endlich online einzusehen, sodass man
sie jetzt als Kunde auch vergleichen kann . Das sollte im
digitalen Zeitalter eine Selbstverständlichkeit sein, aber
die Banken mussten in dem Fall wirklich zum Jagen ge-
tragen werden .

Wir haben die Informationspflichten und Anforderun-
gen an die Immobilienkreditvergabe für Berater deutlich
erhöht . Neben der provisionsgestützten Beratung haben
wir auch die Honorarberatung gesetzlich geregelt . Am
Ende gilt für jeden Kunden: Es gibt mehr Wahlfreiheit
bei der Finanzberatung .

Ich könnte die Liste noch viel, viel weiter ausführen .
Aber Sie sehen schon an den wenigen Beispielen: Ver-
braucherpolitik findet heute nicht nur im Ministerium der
Justiz und für Verbraucherschutz statt, sondern betrifft
auch viele andere Bereiche . Sie betrifft den Bereich Fi-
nanzen, den Bereich Digitales, den Bereich Gesundheit
oder auch den Ernährungsbereich . Verbraucherpolitik
war und ist immer noch eine Querschnittsaufgabe .

Viele drängende Fragen des Verbraucherschutzes
konnten wir in dieser Wahlperiode beantworten . Das
lässt sich wunderbar auf den 48 Seiten des Berichtes
nachlesen . Ja, wir können auf diesen Bericht stolz sein .
Aber ausruhen werden wir uns darauf nicht .

Wir schauen nach vorne . Was müssen wir heute tun,
damit Verbraucher sich auch morgen noch sicher und
sorglos in den verschiedenen Märkten bewegen können?
Verbraucherinformation und natürlich auch die Rechts-
durchsetzung werden uns ständig weiter beschäftigen;
das ist klar . Aber mit der fortschreitenden Digitalisierung
wollen wir in den Bereichen „rechtlicher Verbraucher-
schutz“ und „wirtschaftlicher Verbraucherschutz“ auch
neue Akzente setzen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn ich den Blick in die Zukunft richte, dann sehe
ich einen Verbraucherschutz, der es Bürgerinnen und
Bürgern noch leichter macht, ihre Interessen selbst zu
vertreten und durchzusetzen, und einen Verbraucher-
schutz, der nicht nur reagiert, sondern manche Konflikte
erst gar nicht entstehen lässt . Wir wollen, auch wenn die

Karin Binder






(A) (C)



(B) (D)


Welt immer komplizierter wird, dass Verbraucherinnen
und Verbraucher Entscheidungen einfach und in einem
überschaubaren Zeitraum selbst fällen können . Dafür
steht die richtige Aufarbeitung guter Informationen nach
wie vor im Zentrum unserer Bemühungen . Innovative
Ideen dazu gibt es zuhauf . Ich nenne Ihnen einige Bei-
spiele .

Es gibt zum Beispiel die Idee, manche AGB in Zu-
kunft maschinenlesbar zu machen . Dann stünde am Ende
für den Verbraucher vielleicht eine leicht zu verstehende
Zusammenfassung, oder am Ende stünde ein Hinweis auf
die Besonderheiten ebendieses Vertrages, oder es stünde
einfach am Ende, dass diese AGB den Anforderungen des
Kunden nicht gerecht werden . Diese Entscheidungshilfe
wäre wirklich eine Verbesserung . Denn gelesen werden
heute AGBs von den wenigsten Kunden .

Eine ähnliche technische Unterstützung könnte es
auch bei den Datenschutzerklärungen geben, damit der
Kunde leichter nachvollziehen kann, wer, wie und zu
welchem Zweck eigentlich seine Daten nutzt . Das gilt
umso mehr bei so komplexen Fragestellungen wie bei-
spielsweise bei Daten in einer Cloud oder beim automa-
tisierten Fahren . Dabei fragt sich der Fahrer schon: Wem
gehören eigentlich die Daten? Wer nutzt meine Daten,
die dort alle gesammelt werden?

Im digitalen Verbraucherdatenschutz stellt sich auch
die Frage, wie Verbraucher besser Einwilligungen in
die Datenverarbeitung händeln können . Auch dazu
gibt es ein paar spannende Ansätze . Ich mache es ganz
praktisch: Der Nutzer formuliert einmal seine Daten-
schutzwünsche und hinterlegt diese auf einer Plattform .
Wenn er dann zum Beispiel etwas online bestellt, dür-
fen die verschiedenen Apps, die er dann nutzt, auf seine
Lieferadresse, auf seine Kontonummer bzw . seine Kon-
todaten oder was auch immer zugreifen . Nutzt er aber ei-
nen anderen Dienst, sind seine Daten natürlich tabu . Das
kann man heute schon teilweise mühsam einstellen . Die
Idee ist aber, dass der jeweilige Wille des Nutzers dem
Dienstleister automatisch angezeigt wird . Das heißt für
uns: Wir werden neue Technologien wie Blockchain oder
intelligente Verträge auch im Verbraucherschutz mitden-
ken, ausprobieren und fördern .

Ich möchte Ihnen eine weitere Idee vorstellen . Wäre
es nicht gut, wenn der Verbraucher alle Möglichkeiten
der Rechtsdurchsetzung weiterhin hätte, er aber nicht da-
rauf zurückgreifen müsste, weil er seine Ziele schneller,
quasi automatisch erreichen würde? Ein Beispiel: Die
Bahn oder der Flieger hat Verspätung, und dem Kunden
wird automatisch – ganz ohne Anstehen in einer langen
Schlange und ohne kompliziertes Antragsverfahren –
eine Entschädigung überwiesen . Das könnte ganz ein-
fach deshalb so geschehen, weil der Kunde seine Daten
ja schon bei der Bahn oder der Fluggesellschaft hinterlas-
sen hat und weil der Buchungsvorgang bekannt ist und es
daher keinen Zweifel an dem Ausfall des Fliegers oder
der Verspätung des Zuges gibt . Das wäre unbürokratisch,
und es ginge schnell .

Wir könnten auf diese Weise viele solcher Fälle im In-
teresse des Verbrauchers einfach lösen . Die Verbraucher
müssten dann nicht mehr gegen hohe Abschläge ihre For-

derungen an Dienstleister abtreten oder sogar den langen
Klageweg einschlagen .

Ich sehe die Digitalisierung also als Chance für
Verbraucher: ob sie im Supermarkt eine Verpackung
einscannen – womit sie mehr und bessere Informatio-
nen bekämen, als jemals zuvor auf dem kleinen Etikett
zu finden gewesen wären – oder ob sie wissen wollen,
wo und in welchen Produktionsschritten ihr Sakko oder
ihr Pullover hergestellt worden ist . Und wenn wir an die
Informationsportale, ein Klassiker, denken: Diese haben
bei weitem nicht ausgedient . Auch sie könnten weiter-
entwickelt werden . Mein Vorschlag ist: Wir sollten eine
Altersvorsorgeplattform schaffen, auf der sich jeder über
den Stand seiner Altersvorsorge informieren könnte .

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und
von der SPD, Sie schauen immer zurück . Immer und im-
mer wieder drehen Sie an den gleichen Schrauben, glau-
ben an Verbote, Ampeln und Kontrolle . Wir aber schauen
nach vorne und sehen die Chancen der Digitalisierung
für innovative und moderne Verbraucherpolitik .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Unser Ziel ist es deshalb, den Verbrauchern von An-
fang an – und nicht erst dann, wenn der Schaden entstan-
den ist – zu helfen . Dafür brauchen wir keine neuen Ver-
bote, sondern wir brauchen intelligente Lösungen . Jeder
muss die Chance haben, seine eigenen Entscheidungen
bestmöglich zu treffen . Das ist unsere ganz tiefe Über-
zeugung . So machen wir Politik für Verbraucherinnen
und Verbraucher .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823405500

Vielen Dank, Mechthild Heil, auch für Ihre Punktlan-

dung, was die Zeit angeht . – Nächste Rednerin: Nicole
Maisch für Bündnis 90/Die Grünen .


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823405600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das war ja eine putzige Ideensammlung, die Frau Heil
uns hier vorgetragen hat . Wenn man das alles so hört,
fragt man sich, wer hier eigentlich in den letzten zwölf
Jahren regiert hat . Wenn Sie so viele tolle Vorschläge
haben, wie man die Verbraucher besser schützen kann,
dann hätten Sie in den letzten Jahren doch einmal zwei
oder drei davon in die Tat umsetzen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Karin Binder [DIE LINKE])


Es ist aber klar, dass Sie lieber Ideen spinnen, die nach
vorne gerichtet sind, statt Bilanz zu ziehen; denn Ihre
verbraucherpolitische Bilanz der letzten Jahre sieht
ziemlich trübe aus .

Dabei sind Sie, gerade was den wirtschaftlichen Ver-
braucherschutz angeht, gar nicht mal so schlecht gestar-
tet . Sachverständigenrat, Marktwächter und Verbrau-
cherschutzmandat für die BaFin – das waren bei aller
Kritik, die man immer im Detail haben kann, strukturell

Mechthild Heil






(A) (C)



(B) (D)


gute Fortschritte für den Verbraucherschutz . Auch das
Kleinanlegerschutzgesetz war sicher ein guter Anfang,
die Wildwestmethoden auf dem Grauen Kapitalmarkt
einzudämmen . Aber dann wird es schon ziemlich dünn
und düster .

Der Vorschlag, das Kartellamt als Verbraucherbehör-
de auszubauen, wurde von der CDU ad acta gelegt . Frau
Heil, Sie haben gesagt, dass Sie den Menschen vertrau-
en . Das ist schön und gut, aber Sie sollten nicht Goo-
gle, Facebook und Co – den digitalen Giganten, die sich
zu Monopolisten aufschwingen – vertrauen, sondern Sie
hätten das Kartellamt hier mit einem scharfen Schwert
ausstatten sollen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Karin Binder [DIE LINKE])


Diese Fehlentscheidung bei der Frage, welche Rolle
das Kartellamt spielen soll, war aber im Grunde genom-
men das, was Ihre Politik ausgezeichnet hat: im Zweifel
gegen die Kunden . Über VW will ich gar nicht reden .
Auch im Finanzbereich haben Sie sich immer wieder ge-
gen die Kunden auf die Seite der Anbieter gestellt .

Besonders deutlich wird das bei der Wohnimmobi-
lienkreditrichtlinie . Hier haben Sie ohne Not rückwir-
kend in das Widerrufsrecht Tausender Verbraucherinnen
und Verbraucher eingegriffen . Das heißt, Sie haben den
Menschen ihr gutes Recht per Federstreich weggenom-
men, weil die Sparkassen und die Banken das so wollten .
Das war eine Dreistigkeit; das war unglaublich . Das war
ein riesiger politischer Fehler .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich hätte mir gewünscht, dass Sie mit der gleichen Ge-
schwindigkeit und Beflissenheit Politik für die Bankkun-
dinnen und Bankkunden gemacht hätten . Das von Ihnen
angesprochene Konto für jedermann ist nur die Folge der
Umsetzung einer europäischen Richtlinie . Sie sprechen
von Wettbewerb beim Girokonto . Wollen wir einmal se-
hen, ob sich das als Realität herauskristallisiert .

Aber Sie hätten noch viele andere Dinge für die Bank-
kundinnen und -kunden tun können . Stichwort „Abzocke
bei den Vorfälligkeitsentschädigungen“: Wer heute ein
Häuschen baut und den Kredit vorzeitig ablösen muss,
weil die Ehe in die Brüche gegangen ist oder weil etwas
anderes Schlimmes passiert ist, ist mit dem Klammer-
beutel gepudert . Man hat keine Ahnung, welche Straf-
gebühren man der Bank zahlen muss . Es gibt überhaupt
keine transparente Berechnungsgrundlage . Ich als Kunde
weiß nicht, ob mich die Bank zu Recht um Tausende von
Euro abzockt .


(Anja Karliczek [CDU/CSU]: Das stimmt ja nicht! Das ist ja unglaublich!)


Hier Transparenz und Sicherheit zu schaffen, sodass die
Kunden wissen, worauf sie sich einlassen, wäre eine Auf-
gabe für Sie gewesen . Aber da sind Sie gescheitert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein anderes Thema ist die Restschuldversicherung .
Die meisten Menschen wissen nicht: Wer heute einen
Kredit aufnimmt, bekommt oft eine Restschuldversi-

cherung untergemogelt, die im Grunde genommen nur
die Bank dagegen absichert, dass der Kunde nicht mehr
zahlt . In den allermeisten Fällen handelt es sich dabei um
ein völlig sinnloses, überteuertes Produkt . Zum Teil füh-
ren die Prämien für solche Versicherungen zur Verdopp-
lung oder fast Verdreifachung des Zinssatzes . Mit sol-
chen Versicherungsabschlüssen zulasten der Verbraucher
muss Schluss sein . Wenn solche Geschäfte schon getätigt
werden müssen, dann sollten die Kunden einen eigenen
Vertrag haben und dann sollte der Preis für ein solches
oftmals schwachsinniges Produkt in Euro und Cent so-
wie als Effektivzins ausgewiesen werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Heiko Maas als Tiger gesprungen und als Bett-
vorleger gelandet ist,


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Ganz böses Gerücht!)


dann muss man sagen, dass Christian Schmidt, der ande-
re Verbraucherschutzminister, gleich liegen geblieben ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Leider ist meine Redezeit fast vorbei . Eigentlich müsste
ich mich über Herrn Schmidt dreimal mehr empören als
über Herrn Maas . Nur so viel: Nicht einmal die dürren
Versprechen des Koalitionsvertrages haben Sie eingelöst .
Restaurantbesucher werden über Gammelbuden noch
immer nicht informiert. Bei der Schulverpflegung und
der Lebensmittelverschwendung befindet er sich in ei-
ner Art politischen Winterschlaf und ist nach vier Jahren
noch immer nicht aufgewacht .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird auch nichts mehr!)


Das ist unglaublich . Dabei wäre es so viel besser ge-
gangen . Diese Koalition hat in ernährungspolitischer
Hinsicht vier Jahre total verschwendet . Das ist traurig .
Aber das wird hoffentlich am Ende dieses Jahres wieder
anders .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823405700

Vielen Dank, Nicole Maisch . – Nächste Rednerin:

Elvira Drobinski-Weiß für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1823405800

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Zuschauer und Zuschauerinnen auf
den Tribünen, wenn Sie den Eindruck haben, dass Sie
heute schon viele Dinge gehört haben, dann ist das richtig .
Aber man kann Dinge, die man erreicht hat, ruhig mehr-
fach nennen . Tatsächlich freue ich mich, Frau Maisch,
dass Sie unsere Bilanz recht gut finden. Natürlich gibt es
noch Möglichkeiten zur Verbesserung . Schließlich brau-
chen wir auch für die nächste Legislaturperiode Themen .

Nicole Maisch






(A) (C)



(B) (D)


Wir sind in die 18 . Legislaturperiode mit dem Ziel
gestartet, die Verbraucherpolitik neu aufzustellen . Das
haben wir auch gemacht . Unser Ziel ist – ich zitiere – ein
„verbraucherfreundlicher, transparenter Markt, auf dem
sichere und gute Produkte unter fairen . . . Bedingungen
hergestellt und angeboten werden“ . So haben wir es im
Koalitionsvertrag formuliert . Tatsächlich sollen Verbrau-
cherinnen und Verbraucher selbstbestimmt entscheiden
und konsumieren können .

Institutionell haben wir zu Beginn der 18 . Wahlperio-
de die Verbraucherpolitik neu aufgestellt; das wurde be-
reits gesagt . Wir haben den Bereich der wirtschaftlichen
Verbraucherpolitik in die Zuständigkeit des Bundesjus-
tizministeriums übertragen .

Ausgangspunkt für unsere Verbraucherpolitik ist der
reale Verbraucher . Dieses Leitbild konnten wir im Koa-
litionsvertrag verankern; denn die Konsumenten unter-
scheiden sich nach Herkunft, Bildung und Einkommen,
haben je nach Lebenssituation verschiedene Bedürfnisse
und Interessen und zeigen – daraus resultierend – unter-
schiedliches Verhalten auf dem Markt .

Gestützt werden unsere politischen Aktivitäten unter
anderem durch Ergebnisse der Verbraucherforschung,
die der von uns neu eingerichtete Sachverständigen-
rat für Verbraucherfragen betreibt . Unterstützt werden
unsere Aktivitäten durch veränderte bzw . neu geschaf-
fene Strukturen . So kann etwa die BaFin als Behörde
jetzt auch die Marktaufsicht im Bereich des kollektiven
Rechtsschutzes wahrnehmen .

Neu ist die Etablierung der Marktwächter – auch da-
rauf ist schon hingewiesen worden –, und zwar für die
Bereiche der Finanzen und für die digitale Welt . Diese
Marktwächter – so denken wir – haben ihr Ohr am Ver-
braucher und an der Verbraucherin und nehmen Fehl-
entwicklungen am Markt als Erste wahr . Sie sind in der
Lage, die Vorgänge systematisch zu erfassen und Fehl-
entwicklungen an die Aufsichtsbehörden und an die Po-
litik weiterzuleiten .


(Beifall bei der SPD)


Nach dem Motto „Wer recht hat, soll auch recht be-
kommen“ haben wir die Verbraucherorganisationen mit
einem wirkungsvollen Instrument ausgestattet; denn
diese können jetzt mit einer Unterlassungsklage gegen
Unternehmen vorgehen, wenn diese etwa gegen das Da-
tenschutzgesetz verstoßen, indem sie ohne Zustimmung
Daten für Werbung verarbeiten oder mit Adressen oder
anderen persönlichen Daten handeln . Ich halte das für
sehr wichtig .


(Beifall bei der SPD)


Die Rechte der Verbraucher auf dem Finanzmarkt sind
gestärkt worden . Herr Minister Maas und auch meine
Vorrednerinnen haben schon einige Dinge genannt, zum
Beispiel die Einführung eines Basiskontos . Darum haben
wir jahrelang gekämpft . Ich bin froh, dass wir es jetzt
haben und jeder Verbraucher Zugang zu einem Konto mit
grundlegenden Zahlungsfunktionen hat und damit die
Chance hat, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen .
Auch das Kleinanlegerschutzgesetz ist schon genannt
worden . Ich halte es für wichtig, dass gerade im Bereich

des Grauen Kapitalmarkts hier eine ausreichende Trans-
parenz und ein Schutz erreicht worden sind .

Der Wohnimmobilienkredit wurde hier ebenfalls an-
gesprochen . Ich denke, es ist wichtig, dass wir die Dar-
lehensgeber verpflichtet haben, vor der Kreditvergabe
tatsächlich die Kreditwürdigkeit der Kunden zu prüfen .
Dafür haben wir Standards bei der Beratung eingeführt .
Es haben sich Schwachstellen gezeigt . Wir sind so ehr-
lich und geben das zu . Wir haben im März dieses Jahres
die bestehenden Unklarheiten bei der Kreditvergabe, ins-
besondere für junge Familien, für befristet Beschäftigte
und Senioren, beseitigt, und damit ist wieder Rechtssi-
cherheit vorhanden .

Thema Mietrechtnovellierung: Auch das ist angespro-
chen worden . Wir haben das Bestellerprinzip eingeführt:
Wer bestellt, der bezahlt . – Das ist ein großer Erfolg . Da-
für, dass auch die Mietpreisbremse zieht und die Kosten
der Modernisierung Mieterinnen und Mieter nicht über-
fordern, kämpfen wir weiter .


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen nicht, dass Gering- und Normalverdiener im-
mer schwerer bezahlbaren Wohnraum finden. Aber hier
blockiert leider unser Koalitionspartner auf dem Rücken
der Mieterinnen und Mieter .


(Beifall bei der SPD)


Die Musterfeststellungsklage ist genannt worden .
Dazu brauche ich jetzt nichts mehr zu sagen .

Ich würde aber gerne auf einen zweiten Teil, den an-
deren Bereich des Verbraucherschutzes, der in den Be-
reich des BMEL fällt, zu sprechen kommen. Ich finde es
schade, dass wir auf dem Lebensmittelmarkt noch lange
nicht so viel Transparenz haben, wie wir es mittlerweile
auf dem Kapital- oder Finanzmarkt haben . Wir müssen
nämlich weg von einem Preiswettbewerb hin zu einem
Qualitätswettbewerb kommen. Ich finde es schwierig,
dass, wenn es um Lebensmittelbetrug geht, nach wie vor
die Grundlage fehlt, gegenüber der Öffentlichkeit Ross
und Reiter zu nennen und die Mängel abzustellen, damit
dem Betrug nicht weiter Vorschub geleistet werden kann .


(Beifall bei der SPD)


Wir sind angetreten, die Verbraucherpolitik neu aus-
zurichten . Ich denke, das ist jetzt in großen Teilen ge-
lungen, auch mit der Verlagerung der wirtschaftlichen
Verbraucherpolitik in das Ministerium der Justiz und
für Verbraucherschutz . Wir werden weiter daran arbei-
ten . Auf die Transparenz und den Schutz, die wir für die
Verbraucherinnen und Verbraucher erzielt haben, können
wir stolz sein . Machen wir also weiter .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823405900

Vielen Dank, Elvira Drobinski-Weiß . – Nächste Red-

nerin: Gitta Connemann für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Elvira Drobinski-Weiß






(A) (C)



(B) (D)



Gitta Connemann (CDU):
Rede ID: ID1823406000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was ha-

ben Sie heute Morgen um 7 Uhr gemacht?


(Zuruf von der CDU/CSU: Geduscht!)


– Geduscht, ist eine Antwort . – Ich war im Tiergarten .
Da kamen mir Jogger entgegen . Ihre Ausstattung bestand
aus Fitnessarmbändern und Proteinshakes, und sie hatten
Musik im Ohr . Das ist Realität nicht nur in Berlin, son-
dern inzwischen im ganzen Land . Die Sportler glauben,
ihren Körpern etwas Gutes zu tun . Aber die Frage ist:
Können sie sich wirklich auf die Angaben ihres Activity
Trackers verlassen, und ist der Energydrink, den sie kon-
sumieren, wirklich gesund?

Hier setzt Verbraucherschutz an . Für meine Fraktion,
die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ist das ein Kernanlie-
gen; denn jeder Bürger ist auch immer ein Verbraucher,
und die Belange der Verbraucher sind für uns Lebens-
themen, auch und gerade im Bereich von Ernährung und
Gesundheit, der bis dato kaum angesprochen worden ist .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Verbraucherpolitische Bericht der Bundesregie-
rung, über den wir heute sprechen, beweist eines: Der
Verbraucherschutz in Deutschland steht auf höchstem
Niveau, siehe Ernährung . Essen und Trinken sind so si-
cher wie nie zuvor, und in Deutschland gibt es bezahlba-
re und hochwertige Lebensmittel im Überfluss. Diesen
Reichtum verdanken wir übrigens unseren Landwirten,
Gartenbauern, Fischern, Bäckern, Fleischern, Verarbei-
tern und der Ernährungsindustrie . An diese gerichtet sage
ich an dieser Stelle, auch im Namen meiner Fraktion,
Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Diesen Dank spreche ich auch im Namen meiner
Fraktion dem Bundesverband der Verbraucherzentralen
aus . Er gibt den Verbrauchern in Deutschland eine un-
überhörbare Stimme, und deswegen stärken und unter-
stützen wir ihn . Auch die Kollegin Mechthild Heil hat es
dargestellt . Danke sehr .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben gemeinsam vieles auf den Weg gebracht;
auch wenn die Kollegin Maisch es in Zweifel gezogen
hat . Da habe ich mir schon überlegt: Wie kann ich diesem
Zweifel begegnen? Wir haben dargestellt, was an Maß-
nahmen gemacht worden ist; dies negiert Frau Maisch in
Gänze . Da habe ich an einen Satz von Konrad Adenauer
gedacht . Er hat einmal gesagt:

Wir leben alle unter demselben Himmel . Aber wir
haben nicht alle denselben Horizont .

Das hat sich heute für mich hier sehr deutlich bestätigt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn man bereit wäre, die Realität zur Kenntnis zu
nehmen, würde man feststellen: Wir haben neuar tige
Produkte bis hin zu Energydrinks geregelt . Jemand, der
heute ein Produkt mit Chia-Samen isst, soll genauso
sicher sein wie der Jogger, was die Höchstmengen an
Koffein in Energydrinks angeht . Wir haben ein elektroni-

sches Früherkennungssystem für die Lebensmittelüber-
wachung auf den Weg gebracht; denn das beste Gesetz
hilft nicht ohne Kontrolle . Um Lebensmittelbetrügereien
wie Pferdefleischskandale zu verhindern, wurden ein eu-
ropäisches Netzwerk gegründet und eine nationale Kon-
taktstelle für Lebensmittelbetrug eingerichtet, übrigens
beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmit-
telsicherheit .

Seit 2016 gibt es das Bundeszentrum für Ernährung .
Dieses neue Zentrum soll die Flut an Informationen zu-
sammenführen, analysieren und auch vermitteln; denn
der Verbraucher benötigt am Ende verständliche Infor-
mationen . Es muss draufstehen, was drin ist, und es muss
drin sein, was draufsteht . Informationen sollen aber auch
nicht überfordern . Ein Karottensaft braucht keinen Bei-
packzettel, eine Kortisonsalbe dagegen schon .

Auch deshalb haben wir uns als CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion stark für eine Reform der Lebensmittel-
buch-Kommission eingesetzt . Wir haben diese personell
und finanziell mit unserem Koalitionspartner gestärkt,
damit Angaben zu Lebensmitteln besser auf dem aktuel-
len Stand gehalten werden können . Bitte nehmen Sie das
zur Kenntnis .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben ein Gesetz auf den Weg gebracht, das zum
Beispiel den Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhal-
tung auf das absolut notwendige Maß beschränkt . Da-
durch konnte der Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung
seit 2011 um 53 Prozent gesenkt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Seit April ist ein neues Allergieportal in Betrieb . Wir
haben uns für diese Einrichtung ganz starkgemacht; denn
wir wissen: 20 Prozent der Erwachsenen und zunehmend
auch Kinder sind von Allergien betroffen, und sie brau-
chen eines: unabhängige und wissenschaftlich belegbare
Informationen – und, und, und .

Besonders wichtig war und ist meiner Fraktion das
Thema der Kennzeichnung . Wir sind davon überzeugt,
dass der Verbraucher kein Kleinkind ist, das gemaßre-
gelt werden muss . Deswegen lehnen wir Instrumente wie
Veggiedays, Lebensmittelampeln oder auch Strafsteuern
ab .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das sei an dieser Stelle noch einmal wiederholt .

Um eigenverantwortlich entscheiden zu können,
braucht der Verbraucher aber eines zwingend: Er braucht
umfassende Informationen, und er braucht verständliche
Informationen . Deshalb haben wir eine europaweit ein-
heitliche Kennzeichnung von Lebensmitteln eingeführt
und umgesetzt . Das geschah übrigens durch das Minis-
terium von Herrn Bundesminister Schmidt . Der Verbrau-
cher kann sich heute über Inhaltsstoffe, Nährwerte und
14 Allergene informieren . Zusammengefügte Fleisch-
und Fischprodukte müssen speziell gekennzeichnet wer-
den, wie übrigens auch der Einsatz von Lebensmittel-
imitaten, wie zum Beispiel von Analogkäse in veganen
Produkten . Auch das ist Verbraucherschutz .






(A) (C)



(B) (D)


Zur Transparenz gehören für uns zwingend verläss-
liche Herkunftsangaben . Bei Obst, Gemüse, unverar-
beitetem und vorverpacktem Fleisch ist das schon heute
Pflicht. Aber wir wollen diese Pflicht auf alle Lebens-
mittel ausdehnen, insbesondere auf tierische Produkte
in Fertigerzeugnissen . Für uns gilt: Was aus deutschen
Landen kommt, soll auch so gekennzeichnet werden .
Dafür brauchen wir, Frau Binder, die Zustimmung der
Kolleginnen und Kollegen auf europäischer Ebene; denn
tatsächlich dürfen wir nur eingeschränkt alleine kenn-
zeichnen . Das ist ein großes Problem .

Im Großen und Ganzen können wir aber feststellen:
Im Bereich der Lebensmittel ist der Verbraucherschutz
weitgehend reguliert . Die Aufgabe wird zukünftig darin
bestehen, diese Regeln umzusetzen und Vollzugsdefizi-
ten zu begegnen . Dies ist übrigens eine große Aufgabe
für die Länder; denn die Länder sind zuständig für die
Lebensmittelüberwachung . Da wünschte ich mir schon
mehr Engagement des einen oder anderen Landes, was
sowohl die personelle als auch die finanzielle Ausstat-
tung der Lebensmittelüberwachung angeht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Für uns als Gesetzgeber auf Bundesebene liegt die He-
rausforderung der Zukunft auf einem anderen Feld, dem
Bereich der Digitalisierung . iPhone, iWatch, Gesund-
heits-Apps, synthetische Lebensmittel – täglich kom-
men neue Produkte und Verfahren auf den Markt . Das
Verbraucherverhalten ändert sich rasant . Darauf müssen
sich nicht nur Verbraucherorganisationen, sondern auch
die Politik einstellen . Wir stehen vor einer wirklichen
Herkulesaufgabe, nämlich den analogen in einen digita-
len Verbraucherschutz zu transferieren, und das auch im
Bereich Ernährung und Gesundheit .

Ein Beispiel: das Thema Internethandel . Wir haben
bereits eine Kontrollstelle für den Onlinehandel mit Le-
bensmitteln eingerichtet . Denn das Internet ist ein immer
größerer virtueller Marktplatz für Lebensmittel, Kosme-
tika und anderes . Der Internetkauf birgt Gefahren . Nicht
selten werden gesundheitsgefährdende Lebensmittel ver-
kauft oder eben Verbraucher getäuscht . Dafür haben wir
die Kontrollstelle . Aber wir müssen auch sicherstellen,
dass beim Onlinehandel alle anderen lebensmittelrecht-
lichen Vorschriften zur Anwendung kommen . Angebote,
die nicht den europäischen Vorschriften entsprechen, die
nicht von registrierten Anbietern stammen, die Verbrau-
cher gesundheitlich schädigen oder täuschen, dürfen
nicht beworben werden . Hier brauchen wir klare Re-
geln – das geht nur europäisch – für die Risikobewertung
und effektive Strukturen für die Einfuhrkontrolle und
Überwachung des Onlinehandels .

Weiteres Beispiel: Informationen über Lebensmittel .
Bereits heute informieren sich mehr als die Hälfte der
Verbraucher im Internet über Lebensmittel . Das ist eines
der Ergebnisse des Ernährungsreports des Ernährungs-
ministeriums aus dem Jahr 2017 . Auch hier ist der Ver-
braucherschutz gefordert . Es geht darum, Onlineinfor-
mationen über Lebensmittel genau denselben Vorgaben
des Lebensmittelrechts zu unterwerfen, wie wir sie schon
für greifbare Produkte haben .

Und als letztes Beispiel: digitale Medizinprodukte .
Auch hier sind wir gefordert . Jeder dritte Verbraucher
nutzt heute schon eine Fitness- oder Gesundheits-App .
Sie zählen die Schritte, messen den Puls, überwachen
den Schlaf, wollen gegen Tinnitus behandeln . Ohne
Frage, diese Produkte werden eine wichtige Rolle gera-
de auch im Bereich der Prävention einnehmen können,
aber sie halten nicht immer, was sie versprechen . Ihre
Qualität reicht von sehr gut bis zu äußerst fragwürdig .
Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion setzen uns des-
halb für verbindliche Mindeststandards bei Datenschutz,
Datennutzung und auch Finanzierung ein . Wir fordern
ein Impressum mit Pflichtangaben zu Urheber und Ak-
tualität . Der Verbraucher muss erkennen können, ob die
Wirksamkeit des Produkts tatsächlich gegeben ist . Denn
Versprechen sind das eine, ein wissenschaftlicher Nach-
weis ist das andere .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für uns ist klar: Bei der Gestaltung des digitalen Wan-
dels wird das Thema Verbraucherschutz eine unverzicht-
bare Rolle spielen für den Schutz und die Sicherheit der
Verbraucherinnen und Verbraucher . Das betrifft uns alle,
auch den Jogger heute Morgen im Tiergarten .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823406100

Vielen Dank, Gitta Connemann . – Nächste Rednerin:

Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823406200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn

ich mir den Verbraucherpolitischen Bericht ansehe – gut,
dass es wieder einmal einen gibt, Herr Maas –, bin ich an
der einen oder anderen Stelle schon erstaunt, weil da ge-
schrieben wird: „verbraucherfreundlicher“, „transparen-
ter“, „sicherer“ usw. Ich finde aber, dass hier relativ we-
nig passiert ist, wobei ich eines zugebe, auch mit Blick in
Richtung der SPD: Es ist auch nicht einfach, nicht wahr?


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Dr . Johannes Fechner [SPD]: Willst du tauschen?)


– Nein, ich will nicht tauschen; das hatte ich sowieso
nicht vor .

Da ich gerade die Rede von Frau Heil und Frau
Connemann gehört habe, muss ich sagen: Wenn man
Verbraucherpolitik machen will, darf man nicht nur die
langweiligen Kämpfe von vor 20 Jahren austragen: „Was
ist unser Bild?“, „Wir wollen nicht bevormunden“ usw .
Wissen Sie, das hängt einem doch wie Sauerkraut aus
den Ohren .


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ich sage nur: Veggieday! Super!)


– Ja, aber es wird durch Wiederholung nicht besser .


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Da ist jemand getroffen!)


Gitta Connemann






(A) (C)



(B) (D)


Wir leben in einer Welt, in der die einen immer grö-
ßer, stärker und globaler werden, die anderen aber nicht
mitwachsen . Welcher individuelle Verbraucher hat denn
Juristinnen und Juristen oder eine ganze Rechtsabteilung
um sich?


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Oh! Da ist aber jemand echt getroffen!)


Welcher individuelle Verbraucher weiß denn, wie ein
weltweit tätiger Lebensmittelkonzern oder ein digitaler
Konzern in allen Facetten funktioniert? Ich muss in Rich-
tung der CDU/CSU sagen: Sie haben gar nicht den Mut,
sich tatsächlich um die Rechte und Interessen der Ver-
braucher zu kümmern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Und das von Ihnen! – Ach nein?)


– Nein .

Am Ende scheint es so, als seien Sie der parlamenta-
rische Arm irgendwelcher globalen Großkonzerne .


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Hohle Töpfe haben den lautesten Klang! Das sagte schon Shakespeare! – Weitere Zurufe von der CDU/ CSU: Na! Jetzt ist es aber gut! – Wer forderte doch gleich den Veggieday?)


– Ja, es muss gesagt werden, auch wenn Sie jetzt laut
rufen . – Was hat denn Ihr Bashing von so etwas wie Le-
bensmittelampeln damit zu tun, dass der Verbraucher
kein Kleinkind ist? Das sind doch klare Sachen . Man
guckt drauf und weiß, was in 100 Gramm eines Nah-
rungsmittels enthalten ist . Stattdessen lassen Sie zu, dass
irgendwelche umfangreichen Berechnungen angestellt
werden, und Sie loben sich für Dinge, Frau Connemann,
die nichts anderes als die Umsetzung des europäischen
Rechts sind . Soll ich Sie dafür loben, dass Sie das Recht
einhalten? Das wäre auch eine Idee .

Unser Bild ist, dass es das gute Recht der Verbrauche-
rinnen und Verbraucher ist, zu wissen, was in Lebensmit-
teln drin ist und wofür sie ihr Geld ausgeben .


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Guter Satz!)


Information und Wissen dürfen nicht nur in Busi-
ness-to-Business-Beziehungen, also in den langen Pro-
duktions- und Lieferketten, möglich sein, sondern auch
der Konsument als Wirtschaftsteilnehmer hat diese An-
sprüche . Dieses Recht auf Wissen müssen wir umsetzen,
meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie haben über Horizonte geredet und ein Zitat ange-
führt. Ich finde es schön, dass Sie sich mit dem Thema
„Hinterm Horizont geht’s weiter“ beschäftigen wollen .
Sehen wir uns doch einmal an, was Globalisierung und
Digitalisierung der Wirtschaft im Alltag bedeuten . Stellen
Sie sich vor, dass Sie etwas kaufen, ob für den schönsten
Tag Ihres Lebens, zum Beispiel ein Hochzeitskleid, ob
für jeden Tag, zum Beispiel etwas zu essen, zu trinken,
Kleidung, oder für den letzten Tag, nämlich einen Grab-

stein . Als Konsument hat man ungeheuer große Schwie-
rigkeiten, herauszufinden: Sind die internationalen Ar-
beitnehmerrechte, die Umweltrechte usw . eingehalten
worden? Sind in der internationalen Produktionskette
die Regelungen eingehalten worden, die bei uns Recht
sind und die in anderen Ländern deshalb nicht falsch sein
können? Sie haben damit Probleme, und Sie drücken sich
davor .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Iris Ripsam [CDU/CSU]: Wir kaufen deutsche Produkte! – Gegenruf der Abg . Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deutsche Mangos und deutsche Bananen?)


– Der Zuruf „Wir kaufen deutsche Produkte!“ war jetzt
fürs Protokoll . Kauft der Rest der Welt auch deutsch?
Aus welchem Jahrhundert kommen Sie denn? Das ist auf
alle Fälle nicht in der EU verankert, junge Frau .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Minister hat gesagt: Es ist gut, dass wir uns im
Rahmen der G 20 dafür eingesetzt haben, dass der Ver-
braucherschutz im Wirtschaftsbereich eine Rolle spielen
soll. – Das finde auch ich gut, Herr Maas. Ich sage nur:
Ich hätte mir gewünscht, dass wir auch die Wirtschaft
hierzulande betrachten und unsere Stimme erheben . Auch
bei VW geht es um Massen von Verträgen . Bei 2,9 Mil-
lionen Dieselautos, die hier herumfahren, sind – ich sage
es einmal so – die Werte gefälscht, und wir haben es mit
betrogenen Verbrauchern zu tun . Angesichts dessen brau-
chen wir nicht nur eine Gruppenklage – die Musterklage
scheitert an der rechten Seite dieses Hauses –, sondern
auch Leute, die ihre Stimme erheben und sagen: Die Ver-
braucher in Deutschland und Europa haben das gleiche
Recht wie die in den USA . – Das habe ich vermisst .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich habe auch vermisst, dass Sie sich stärker in Sachen
Mietpreisbremse engagieren; früher haben Sie sich dafür
gelobt . Ich habe ebenso vermisst, dass Sie beim Thema
Textillieferkette deutlicher gesagt hätten, was wir wollen .
Herr Müller – der Minister ist nicht da – redet zwar gerne
über den grünen Knopf . Er hat sich aber nicht getraut, die
Unternehmen in Deutschland zu verpflichten, nicht an ei-
nem Textilgipfel in Bangladesch teilzunehmen, wenn die
Regierung in Bangladesch nicht dafür sorgt, dass all die
Gewerkschafter aus dem Textilbereich, die die Stimme
erhoben haben, aus den Gefängnissen entlassen werden .
Das ist doch ein Armutszeugnis, oder?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie sind doch die Christen, und Ihr CSU-Minister macht
gar nichts, meine Damen und Herren .

Ich hoffe, dass der nächste Verbraucherschutzbericht
tatsächlich umsetzt, was drin ist, und dass nicht nur für
die Produkte und Dienstleistungen, sondern auch für den
Verbraucherschutzbericht demnächst gilt: Es ist drin, was
draufsteht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Renate Künast






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823406300

Das Wort hat die Kollegin Petra Rode-Bosse für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Petra Rode-Bosse (SPD):
Rede ID: ID1823406400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen

und Kolleginnen! Liebe Besucher und Besucherinnen!
Jetzt eher das ruhige Kontrastprogramm .

Wir alle sind Verbraucherinnen und Verbraucher, und
das macht den Verbraucherschutz zu einem Thema, das
uns alle betrifft . Einerseits ist es einfacher, weil wir kon-
krete Vorstellungen haben; andererseits ist es schwieri-
ger, weil, wie schon erwähnt, eine Querschnittsaufgabe
vor uns liegt, die alle Bereiche der politischen Agenda
betrifft . Und: Die Verbraucherinnen und Verbraucher –
die Verbraucherin, den Verbraucher gibt es nicht –, sie
alle bilden die vielfältige Gesellschaft in Gänze ab . Wir
haben also eine sehr heterogene Zielgruppe .

Meine Vorredner und Vorrednerinnen haben schon
etliche Errungenschaften und größere Ziele des Ver-
braucherschutzes dargelegt . Ich möchte einige spezielle,
aber sehr wertvolle Maßnahmen für besonders schutzbe-
dürftige Verbraucherinnen und Verbraucher nennen, zum
Beispiel für Menschen in besonderen sozialen Lebens-
lagen, oft mit niedrigem Einkommen oder mit weniger
Teilhabe am gesellschaftlichen Leben . Für diese Gruppe
gibt es das Projekt „Verbraucherinformation geht in die
Quartiere“ . Das ist aufsuchender Verbraucherschutz für
Menschen, die nicht selbstständig zu einer Verbraucher-
zentrale gelangen können oder in einem Umfeld wohnen,
wo es keine Verbraucherzentrale gibt .

Des Weiteren können wir die älteren Menschen in den
Fokus nehmen, die Unterstützung benötigen, um sich in
der Flut von immer neuen Regelungen zurechtzufinden.
Mit dieser Gruppe befasst sich eine eigene Arbeitsgruppe
im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend .

Das große und wichtige Thema, nämlich der beson-
dere Schutz für Verbraucherinnen und Verbraucher bei
wachsender Digitalisierung und zunehmendem Online-
handel, mit dem wir uns im Ausschuss für Recht und Ver-
braucherschutz dauerhaft aktiv beschäftigen, ist genannt
worden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wir selbst kön-
nen Verantwortungsbewusstsein von Verbraucherinnen
und Verbrauchern unterstützen, indem wir vorhandene
Angebote der Bundesregierung aufgreifen, zum Beispiel
die Ende Mai/Anfang Juni bereits zum fünften Mal statt-
findenden Aktionstage Nachhaltigkeit. Es wird also et-
was getan .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich beteilige mich an diesen Aktionstagen mit zwei Ak-
tionen und erläutere Bürgerinnen und Bürgern die Be-
deutung von Nachhaltigkeitssiegeln für die Arbeitsbedin-
gungen in der Produktion .

Wenn sich Verbraucher- und Wirtschaftsinteressen im
Einklang befinden, können wir ein hohes Maß an Lebens-

qualität sichern und wirtschaftliches Wachstum fördern .
Vermeintliche Interessengegensätze zwischen Wirtschaft
und Verbrauchern lösen sich in vielen Fällen bei genauer
Betrachtung auf . Es zeichnet Unternehmen nämlich aus,
wenn sie sich gegenüber den Bedürfnissen, Erwartungen
und Wünschen der Kunden offen zeigen und sich daran
orientieren . Das kann ein Qualitätsmerkmal sein und sich
wirtschaftlich positiv niederschlagen .

Allerdings gibt es in manchen Bereichen noch einen
ziemlich hohen Aufklärungsbedarf . Verbraucherbildung
sollte deshalb nie nur an Konsumenten, sondern immer
auch an Produzenten gerichtet sein .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Karin Binder [DIE LINKE])


Ein positives Beispiel ist das Modellprojekt „MitVerant-
wortung – Sozial und ökologisch handeln“, das die Inte-
ressen von Unternehmern und Verbrauchern zusammen-
bringt .

Wir brauchen aktive, aufgeklärte Verbraucherinnen
und Verbraucher mit einem reflektierten, selbstbestimm-
ten Konsumverhalten . Dies gilt es mit uns zur Verfügung
stehenden Mitteln, die im Bericht genannt worden sind,
weiter zu fördern .

Besten Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823406500

Das Wort hat die Kollegin Iris Ripsam für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Iris Ripsam (CDU):
Rede ID: ID1823406600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Verbraucherpolitische Bericht der Bundes-
regierung 2016 zeigt auf seinen knapp 50 Seiten einmal
mehr, mit welch großem Spektrum von Themen wir es
im Verbraucherschutz zu tun haben . Regelmäßig be-
kommen wir diesen Bericht vorgelegt, und ich glaube,
in kaum einem anderen Bereich können wir eine solche
Dynamik der Veränderung beobachten . Dadurch ergeben
sich natürlich viele Baustellen . Aus diesem Grund sind
Verbesserungen im Verbraucherschutz auch immer eine
Reaktion auf die derzeitige Istsituation . Vom Ergebnis
her können sich die umgesetzten Vorhaben sehen lassen .

In einer immer komplexer werdenden Welt mit wach-
senden Waren- und Dienstleistungsangeboten müssen
jedoch die verbraucherschützenden Maßnahmen immer
wieder neu angepasst werden . Diese Maßnahmen betref-
fen uns ausnahmslos und unmittelbar . Auch wir alle hier
sind Verbraucher, quer durch die Fraktionen, auch Sie auf
den Tribünen . Wir alle verbrauchen, wir alle konsumie-
ren . Da sollte es doch eine Selbstverständlichkeit sein,
dass wir für die Verbraucherinnen und Verbraucher das
Beste erreichen wollen .






(A) (C)



(B) (D)


Ein guter Verbraucherschutz muss den Menschen
Schutz bieten, darf keine Entmündigung darstellen und
muss kostenverträglich sein . Ein schwieriger Dreiklang .
Dem wollen wir als CDU/CSU begegnen, indem wir
Verbraucherforschung, Verbraucherbildung, Transparenz
und gute Informationen, klare Rechtsrahmen und wirksa-
me Rechtsdurchsetzung voranbringen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben schon ein breites Spektrum der von der
Regierungskoalition beschlossenen Maßnahmen gehört .
Ich will an dieser Stelle den Blick nach vorne richten
und zwei Themen konkret ansprechen, auf die wir un-
ser besonderes Augenmerk legen sollten . Zum einen ist
dies ein Bereich, der wie kein zweiter einen klassischen
Wirtschaftszweig mit modernen digitalen Elementen
verbindet: das automatisierte und vernetze Fahren . Viel-
leicht ist der eine oder andere von Ihnen ja schon einmal
in den Genuss dieser neuen Fortbewegungstechnik ge-
kommen – und sei es nur beim Einparken . Diese neue
Fahrzeugtechnik wird uns in Zukunft viel Erleichterung
bringen, aber auch einiges an schwierigen Aufgaben .

Die Digitalisierung wird für den Verbraucherschutz
neue Herausforderungen bereithalten, die zum jetzigen
Zeitpunkt noch gar nicht absehbar sind, beispielsweise
dass die Autos miteinander kommunizieren, mit intelli-
genten Verkehrssystemen das Vorankommen erleichtern
oder Unfallrisiken verringern können . Die neuen Heraus-
forderungen, die angegangen werden müssen, lauten:
Datenschutz und Datensicherheit, Ausbau digitaler Infra-
struktur, Rechtssicherheit bei der Nutzung .

Dazu stellte die Bundesregierung unter anderem im
September 2015 die „Strategie automatisiertes und ver-
netztes Fahren“ vor . Wir setzen hier verstärkt auf gesell-
schaftlichen Dialog . Das geht aber auch Hand in Hand
mit der Elektromobilität .

Hier sind wir beim zweiten wichtigen Themenfeld
im Verbraucherschutz: dem Wohnungseigentumsgesetz .
Haben Sie einmal überlegt, wie wir die E-Mobilität vo-
ranbringen können, wenn wir nicht für die Verbraucher
die Möglichkeiten schaffen, in ihren Wohnungseigen-
tumsanlagen Steckdosen zum Aufladen ihrer E-Autos
einzubauen? Die dafür benötigte hundertprozentige Zu-
stimmung durch die Eigentümerversammlung ist nahezu
unmöglich . Eine moderne, nachhaltige Wohnungspolitik
ist so nicht umsetzbar . Hier müssen wir im Sinne der
Verbraucher handeln . In Zeiten eines angespannten Woh-
nungsmarktes, steigender Mieten und fehlenden Wohn-
raums ist der Eigentumserwerb einer Immobilie für viele
eine Option .

1957 prägte Karl Arnold, erster Ministerpräsident
Nordrhein-Westfalens und damals stellvertretender Bun-
desvorsitzender der CDU, den Satz: „Eigentum für je-
den .“ 60 Jahre später gilt für uns als Union noch immer:
Wir wollen Politik für Wohlstand und Eigentumsbildung
gestalten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Bau oder Kauf einer Immobilie war damals und ist
heute für Verbraucher in aller Regel die weitreichendste
finanzielle Entscheidung ihres Lebens. Die Bereitschaft

zur Schaffung von Wohneigentum ist durch die gegen-
wärtige Niedrigzinsphase nochmals gestiegen . Viele
sorgen für ihr Alter vor und schaffen zugleich dringend
benötigten Wohnraum . Seit damals ist viel passiert: Der
Wunsch nach Eigentum ist der gleiche, die Umstände
sind andere . Das Wohnungseigentumsgesetz bedarf nach
66 Jahren seines Bestehens einer grundlegenden Reform,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


um Rechtssicherheit beim Wohneigentumserwerb zu
schaffen, um die Energiewende erfolgreich zu gestalten,
um altersgerechtes Wohnen zu fördern . Dazu müssen wir
zum Beispiel das Recht auf Einsicht in das elektronische
Grundbuch, die Umsetzung der erwähnten Modernisie-
rungsmaßnahmen und eine Professionalisierung des Ver-
walterberufs vorantreiben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Über das Wie scheiden sich erwartungsgemäß die
Geister . Natürlich kann es bestimmte Situationen ge-
ben, die staatliche Maßnahmen rechtfertigen und erfor-
derlich machen . Wir als Union sind überzeugt, dass die
Verbraucherinnen und Verbraucher zu selbstbestimmten
Entscheidungen fähig sind . Wir wollen die Verbraucher
unterstützen, dass sie ihre Entscheidungen auf selbstbe-
stimmte, mündige Art und Weise treffen . Denn Verbrau-
cher brauchen starke Rechte, aber keine Bevormundung .
Dafür stehen wir weiterhin .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823406700

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/9495 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 43 a bis 43 g sowie
die Zusatzpunkte 3 a bis 3 c auf:

43 . a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, Susanna
Karawanskij, weiteren Abgeordneten und
der Fraktion DIE LINKE eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Abschaffung
der sachgrundlosen Befristung

Drucksache 18/12354
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie

b) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu der am 19. Juni 1997 beschlossenen
Urkunde zur Abänderung der Verfassung
der Internationalen Arbeitsorganisation

Drucksache 18/12331
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Iris Ripsam






(A) (C)



(B) (D)


c) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zum Vorschlag für einen Beschluss
des Rates zur Festlegung eines Mehrjah-
resrahmens für die Agentur der Europä-
ischen Union für Grundrechte für den
Zeitraum 2018-2022

Drucksache 18/12332
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

d) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über
die Akkreditierungsstelle

Drucksache 18/12333
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Thomas Lutze, Jan Korte, Caren Lay, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Unentgeltliche Nutzung der WC-Anlagen
an Bundesautobahnen und Bahnhöfen

Drucksache 18/9223
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Tourismus

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Kerstin Kassner, Susanna Karawanskij,
Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Gewerbesteuer zu einer Gemeindewirt-
schaftsteuer weiterentwickeln und kom-
munale Wirtschaftskreisläufe fördern

Drucksache 18/12365
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Heike Hänsel, Niema Movassat, Inge Höger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Menschenrechtsverletzungen von Un-
ternehmen verbindlich sanktionieren –
UN-Treaty-Prozess unterstützen

Drucksache 18/12366
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

ZP 3 a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Katja Keul, Luise Amtsberg, Renate Künast,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Asylgesetzes zur Beschleunigung von Ver-
fahren

Drucksache 18/12360
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

b) Beratung des Antrags der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD

Kooperationsmodelle im Nachtzugverkehr
stärken

Drucksache 18/12363
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Nicole Maisch, Luise Amtsberg, Volker Beck

(Köln), weiterer Abgeordneter und der Frakti-

on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kontogebühren – Transparenz und Ver-
braucherschutz erhöhen

Drucksache 18/12367
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 44 a bis 44 p so-
wie die Zusatzpunkte 4 a bis 4 h auf . Es handelt sich um
die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus-
sprache vorgesehen ist .

Tagesordnungspunkt 44 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Übereinkommen vom 14. März
2014 über die Ausstellung mehrsprachiger,
codierter Auszüge und Bescheinigungen aus
Personenstandsregistern

Drucksache 18/11510

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/12123

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Die genannten Auszüge und Bescheinigungen, die ins-
besondere zur Verwendung im Ausland bestimmt sind,
werden in den Vertragsstaaten des Übereinkommens
ohne weitere Förmlichkeit anerkannt . Die Anpassung
des Übereinkommens an Rechtsänderungen in den Mit-
gliedstaaten der Internationalen Kommission für das Zi-
vilstandswesen macht eine Zustimmung des Deutschen
Bundestags zum Beitritt zu dem Abkommen notwendig .

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/12123, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11510 an-
zunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist da-
mit in zweiter Beratung einstimmig angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Ich gehe mal davon aus, dass
die Kollegen, die hier stehen, nicht an der Abstimmung
teilnehmen . – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist
auch in dritter Beratung einstimmig angenommen .

Tagesordnungspunkt 44 b:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Verbesserung der Sachaufklärung in
der Verwaltungsvollstreckung

Drucksache 18/11613

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/12125

Mit diesem Gesetz werden den Vollstreckungsbehör-
den des Bundes weitestgehend die Sachaufklärungsbe-
fugnisse eingeräumt, die Gerichtsvollziehern nach der
Zivilprozessordnung zustehen . Außerdem werden den
Vollstreckungsbehörden des Bundes und der Länder kor-
respondierende Übermittlungsbefugnisse eingeräumt .

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/12125, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11613 in
der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der
SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Tagesordnungspunkt 44 c:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 14. No-
vember 2016 zur Änderung des Abkommens
vom 13. Juli 2006 zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und der ma-
zedonischen Regierung zur Vermeidung der
Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steu-
ern vom Einkommen und vom Vermögen

Drucksache 18/11869

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/12398

Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12398,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
18/11869 anzunehmen .

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Enthaltung der Opposition angenommen .

Tagesordnungspunkt 44 d:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Abkommen vom 21. November
2016 zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und der Republik Panama zur Vermei-
dung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet
der Steuern vom Einkommen betreffend den
Betrieb von Seeschiffen oder Luftfahrzeugen
im internationalen Verkehr

Drucksache 18/11878

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/12398

Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12398,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
18/11878 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen angenommen .

Tagesordnungspunkt 44 e:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Erstellung gesamtwirtschaftlicher

(Vorausschätzungsgesetz – EgVG)


Drucksache 18/11257

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss)


Drucksache 18/12425

Das Verfahren zur Erstellung der Prognosen und die
Beteiligung einer unabhängigen Einrichtung werden
gesetzlich geregelt . Eine Verordnung des Europäischen
Parlaments und des Rates sieht vor, dass die gesamtwirt-
schaftlichen Vorausschätzungen der Bundesregierung
jährlich der Europäischen Kommission vorzulegen sind .
Die Vorausschätzungen müssen zuvor von einer unab-
hängigen Einrichtung mit dem Ziel der Befürwortung
überprüft werden .

Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12425,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 18/11257 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der
Opposition angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit mit den Stimmen der CDU/CSU-Frak-
tion und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an-
genommen .

Tagesordnungspunkt 44 f:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Intelligente Ver-
kehrssysteme Gesetzes

Drucksachen 18/11494, 18/11880, 18/12181
Nr. 1.6

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15 . Ausschuss)


Drucksache 18/12411

Die Europäische Kommission hat zur Information
über die Situation im Straßenverkehr und für die Be-
reitstellung von Verkehrsdaten für die Bereiche Echt-
zeitverkehrsinformationen, sicherheitsrelevante Ver-
kehrsinformationen und sicheres Lastkraftwagenparken
Spezifikationen festgelegt. Mit diesem Gesetz wird die

Bundesanstalt für Straßenwesen als Nationale Stelle be-
nannt, die prüft und bewertet, ob die gestellten Anfor-
derungen durch die Anbieter von Verkehrsinformationen
eingehalten werden .

Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
18/12411, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
den Drucksachen 18/11494 und 18/11880 anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Tagesordnungspunkt 44 g:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Abkommen vom 12. Januar 2017 zwi-
schen der Bundesrepublik Deutschland und
der Republik Moldau über Soziale Sicherheit

Drucksache 18/11879

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11 . Ausschuss)


Drucksache 18/12394

Der Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12394,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 18/11879 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig
angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen .

Tagesordnungspunkt 44 h:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz,
Katharina Dröge, Anja Hajduk, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Globale Investitionen im Sinne einer nachhal-
tigen Entwicklung gestalten

Drucksachen 18/11410, 18/12301

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/12301, den Antrag der Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11410
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen .

Tagesordnungspunkt 44 i:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
der Verordnung der Bundesregierung

Zweite Verordnung zur Änderung der Sport-
anlagenlärmschutzverordnung

Drucksachen 18/11945, 18/12181 Nr. 2,
18/12407

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/12407, der Verordnung der
Bundesregierung auf Drucksache 18/11945 zuzustim-
men . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist einstimmig angenommen .

Tagesordnungspunkte 44 j bis 44 p . Wir kommen zu
den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses .

Tagesordnungspunkt 44 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 433 zu Petitionen

Drucksache 18/12114

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 433 ist einstimmig an-
genommen .

Tagesordnungspunkt 44 k:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 434 zu Petitionen

Drucksache 18/12115

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 434 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen .

Tagesordnungspunkt 44 l:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 435 zu Petitionen

Drucksache 18/12116

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 435 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen .

Tagesordnungspunkt 44 m:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 436 zu Petitionen

Drucksache 18/12117

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 436 ist einstimmig an-
genommen .

Tagesordnungspunkt 44 n:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 437 zu Petitionen

Drucksache 18/12118

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 437 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke
gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen .

Tagesordnungspunkt 44 o:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 438 zu Petitionen

Drucksache 18/12119

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 438 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke angenommen .

Tagesordnungspunkt 44 p:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 439 zu Petitionen

Drucksache 18/12120

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 439 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .

Zusatzpunkt 4 a:

Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Dr . Harald Terpe, Katja Dörner, Volker
Beck (Köln), weiteren Abgeordneten und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch zur
Gleichstellung verheirateter, verpartnerter
und auf Dauer in einer Lebensgemeinschaft
lebender Paare bei der Kostenübernahme der

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


gesetzlichen Krankenversicherung für Maß-
nahmen der künstlichen Befruchtung

Drucksache 18/3279

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14 . Ausschuss)


Drucksache 18/7517

Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/7517, den Ge-
setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/3279 abzulehnen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke abge-
lehnt . Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung .

Zusatzpunkt 4 b:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien

(22 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Ulle Schauws, Katja Keul, Kai Gehring, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Provenienzforschung stärken – Bessere Rah-
menbedingungen für einen angemessenen und
fairen Umgang mit Kulturgutverlust schaffen

Drucksachen 18/3046, 18/7532

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/7532, den Antrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/3046
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen .

Wir kommen zum Zusatzpunkt 4 c:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz,
Steffi Lemke, Peter Meiwald, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Verbindliche Umwelt- und Sozialstandards in
der internationalen Palmölproduktion veran-
kern

Drucksachen 18/8398, 18/10611

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/10611, den Antrag der Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8398
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen .

Zusatzpunkt 4 d:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe (17 . Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Dr . Franziska Brantner, Omid
Nouripour, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kein Frieden und keine Stabilität ohne Men-
schenrechte und Rechtsstaatlichkeit – Für
eine weitsichtige europäische Nachbarschafts-
politik gegenüber den Staaten Nordafrikas

Drucksachen 18/6551, 18/10848

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/10848, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6551 abzuleh-
nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Zusatzpunkt 4 e:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Ekin Deligöz,
Kerstin Andreae, Sven-Christian Kindler, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine transparente und geschlechterge-
rechte Haushaltspolitik – Gender Budgeting
als Instrument von Good Governance

Drucksachen 18/9042, 18/11433

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/11433, den Antrag der Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9042
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Zusatzpunkt 4 f:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz,
Ulle Schauws, Anja Hajduk, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Initiative „She Decides“ unterstützen – Die
sexuellen und reproduktiven Rechte und die
Selbstbestimmung und Gesundheit von Frau-
en und Mädchen in Ländern des globalen Sü-
dens stärken

Drucksachen 18/11177, 18/11649

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/11649, den Antrag der Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11177
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfrakti-
onen angenommen .

Zusatzpunkt 4 g:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-
Uhl, Oliver Krischer, Kai Gehring, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Kein Atommüll-Export aus dem Reaktor AVR
Jülich in die USA

Drucksachen 18/2624, 18/12408

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/12408, den Antrag der Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2624
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Zusatzpunkt 4 h:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14 . Ausschuss)

Schulz-Asche, Uwe Kekeritz, Ulle Schauws,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Die Aids-Epidemie in Deutschland und welt-
weit bis 2030 beenden

Drucksachen 18/6775, 18/12424

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/12424, den Antrag der Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/6775
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen .

Ich danke allen Beteiligten für die konzentrierte Ar-
beit zu diesen Tagesordnungspunkten .


(Beifall der Abg . Joachim Poß [SPD] und Alexander Ulrich [DIE LINKE])


Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Haltung der Bundesregierung zu den Vor-
schlägen von Präsident Macron im Bereich
der EU-Wirtschafts- und Finanzpolitik, insbe-
sondere zu gemeinsamen europäischen Inves-
titionen

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Cem Özdemir für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823406800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Als am 7 . Mai 2017 der neue französische Präsident zu
den Klängen der europäischen Hymne durch den Hof
des Louvre schritt, wurde wahrscheinlich nicht nur für
Emmanuel Macron ein Traum wahr . Auch viele unter
uns haben sich die Augen gerieben . Wer hätte nach dem
Katastrophenjahr 2016 für Europa geglaubt, dass bald
ein leidenschaftlicher Europäer im Élysée-Palast sitzen
würde?

Wenn ich mir an der Stelle einen Blick auf die Regie-
rungsbank erlauben darf? Nicht nur dieses Haus, sondern,
ich glaube, ganz Deutschland wartet seit zwölf Jahren da-
rauf, dass die Bundeskanzlerin einmal mit Leidenschaft
für Europa kämpft und eine solche Leidenschaft an den
Tag legt, die wir bei Emmanuel Macron bereits am ersten
Tag seiner Amtszeit gespürt haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volkmar Klein [CDU/CSU]: Karneval ist doch schon zu Ende! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Aber der sensationelle Erfolg von Emmanuel Macron
bedeutet nicht, dass man sich als überzeugter Europäer
zurücklehnen kann . Denn zur Wahrheit gehört auch, dass
bis zu 45 Prozent der Wähler in Frankreich im ersten
Wahlgang antieuropäische Populisten gewählt haben .
Wer nach einer Amtszeit von Emmanuel Macron kein
Déjà-vu durch eine Frau Le Pen möchte, der muss jetzt
dringend dafür sorgen, dass es auf die deutsch-französi-
sche Agenda kommt, das Vertrauen in Deutschland wie-
derherzustellen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Übrigens: Ich will das keineswegs nur bei der Politik
abladen . Den feinen Unterschied konnte man am Sams-
tag an den Zeitschriften in den Kiosken sehen: auf der ei-
nen Seite an der Titelseite des Economist und auf der an-
deren Seite an der Titelseite eines Nachrichtenmagazins
aus Hamburg . Ich warne davor, dass man das Klischee
vom faulen Griechen, das auch schon falsch, absurd und
europafeindlich war, jetzt durch das Klischee des reform-
unfreudigen Franzosen ersetzt . Das, meine Damen und
Herren, macht Europa kaputt . Davon müssen wir uns
dringend verabschieden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Dazu gehört für mich auch, dass man nicht, bevor man
sich zugehört und bevor man miteinander geredet hat,
Nein zu etwas sagt, was Macron gar nicht gefordert hat,
nämlich die Einführung von Euro-Bonds, wie es Staats-

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


sekretär Spahn machte . Auch so sollten wir in Europa
nicht miteinander kommunizieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ich rate: Wir müssen nicht und sollten auch gar nicht
jeden Vorschlag von Macron ungeprüft übernehmen .


(Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]: Genau!)


Aber wir sollten gemeinsam Überlegungen anstellen, wie
wir mehr in Europas Zukunft investieren können . Dabei
geht es gar nicht nur um die Frage, wie viel Geld wir in
die Hand nehmen, sondern vor allem darum, worin wir
investieren . Das wird die entscheidende Frage . Da sagt
meine Fraktion: Wir brauchen dringend einen Zukunfts-
fonds für nachhaltige Investitionen, einen Green New
Deal, wie wir ihn nennen . Dieser soll sich nicht nur auf
die Länder der Euro-Region beziehen, sondern auf die
gesamte Europäische Union, abhängig davon, wo Bedarf
ist . Solidarität muss das Gebot der Stunde für jeden über-
zeugten Europäer und jede überzeugte Europäerin sein,
meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die gute Nachricht: Der neue Präsident zeigt Mut .
Mit Nicolas Hulot als Umweltminister öffnet sich die
Tür auch für eine ökologische Transformation Europas .
Präsident Macron hat im Wahlkampf angekündigt – wer
Frankreich kennt, weiß, was das bedeutet –, dass der An-
teil der Atomenergie in Frankreich von 75 auf 50 Pro-
zent reduziert werden soll . Auch dabei sollten wir un-
sere Freunde in Frankreich unterstützen . Das sollten wir
durch einen geordneten Ausstieg aus der Kohleverstro-
mung flankieren. Das wäre eine Ansage: Deutschland
und Frankreich führen wieder beim Klimaschutz und
senden ein Signal nach Europa und über Europa hinaus
in die Welt . Das würde ich mir wünschen, meine lieben
Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber wir haben noch andere Chancen . Wir haben jetzt
die Chance auf den digitalen Binnenmarkt . Wir haben
jetzt die Chance, dass es zu einer europäischen Ladein-
frastruktur kommt, sodass ich eines Tages – hoffentlich
eines nahen Tages – mit dem Elektromobil von Spanien
bis nach Polen fahren kann . Wir haben die Chance, dass
es zu einem gemeinsamen CO2-Mindestpreis in Europa
kommt, damit sich Investitionen in erneuerbare Energien
und Umwelttechnologien lohnen .

Jeder junge Erwachsene, der in Bologna in Arbeit
kommt, jedes junge Start-up, das in Bratislava die Grün-
dung wagt, geben Europa wieder neuen Boden unter den
Füßen . Wenn wir Europa erhalten wollen, dann müssen
wir jetzt in Europa investieren . Nehmen Sie die ausge-
streckte Hand von Präsident Macron an! Warten Sie nicht
bis nach der Bundestagswahl!


(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823406900

Das Wort hat der Kollege Dr . Hans-Peter Friedrich für

die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1823407000

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren Kollegen! Frankreich hat einen neuen
Präsidenten . Er ist begeistert von Europa . Er ist ein lei-
denschaftlicher Europäer .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Kann das die CSU?)


Er ist ein Deutschfranzose, der die deutsch-französische
Zusammenarbeit als Motor, als Achse, als Zukunft für
Europa sieht .


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doppelpass, oder was? Skandal!)


Ich glaube, das ist eine gute Nachricht für Europa in
einer vielleicht düsteren Zeit . Aber, meine Damen und
Herren und auch Sie, Herr Özdemir, vielleicht haben Sie
sich in Ihrer Partei schon einmal Gedanken darüber ge-
macht, warum ein Drittel der Franzosen für eine europa-
feindliche Politik gestimmt hat . Wir sollten uns ab und zu
die Frage stellen, warum das in vielen Ländern um uns
herum der Fall ist . Aber das ist heute nicht Thema .

Wir freuen uns, dass Macron Präsident geworden ist,
und wir werden ihm zur Seite stehen . Die leidenschaftli-
che Europäerin Angela Merkel hat ihm bereits in dieser
Woche die Hand gereicht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich weiß nicht, ob Sie das vielleicht verpasst haben .

Die erste Reise, die Macron gemacht hat, ging nach
Berlin, um mit Angela Merkel über die Zukunft zu spre-
chen, und ich denke, es sind schon wichtige Punkte ver-
einbart worden . Man will die Zusammenarbeit in der
Wirtschafts- und Handelspolitik vertiefen und die Bezie-
hungen zwischen Deutschland und Frankreich stärken,
bei durchaus unterschiedlichen Wirtschaftssystemen –
wir wissen, bei uns ist die Wirtschaft mehr mittelstän-
disch geprägt und die französische Wirtschaft kommt aus
der Staatswirtschaft; das ist also kein leichtes Unterfan-
gen –, und man will die bilaterale Zusammenarbeit beim
Thema Digitalisierung – das haben Sie angesprochen –,
beim Thema Bildungspolitik und beim Thema Verteidi-
gungspolitik angehen . Ich glaube, das sind gute Voraus-
setzungen .

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, die-
ser deutsch-französische Motor für Europa, zu dem wir
uns alle bekennen, kann nur funktionieren, wenn Frank-
reich selber wieder ökonomisch stärker wird, die Hürden
und Fesseln überwindet und zu mehr Wettbewerbsfähig-
keit kommt . Der Schlüssel dafür liegt in erster Linie in
Frankreich . Der französische Präsident weiß das und hat
es auch zum Ausdruck gebracht . Er weiß, dass Frank-
reich eine Staatsquote von 57 Prozent hat . Das muss man
sich einmal vorstellen: Alles, was in Frankreich jeden
Tag erwirtschaftet wird, geht zu mehr als die Hälfte – zu

Cem Özdemir






(A) (C)



(B) (D)


57 Prozent – in den Schlund des Staates und wird dort in
irgendeiner Weise verarbeitet .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In den Schlund des Staates? Es sind Schulen und Polizei und keine Schulden! – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eher „la bouche“, Herr Friedrich!)


Das ist nicht sehr effizient, wie die Arbeitslosenquote im
zweistelligen Bereich zeigt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist eben so: Eine hohe Staatsquote führt zu einer ho-
hen Arbeitslosigkeit, zu einer Jugendarbeitslosigkeit von
25 Prozent, wie in Frankreich . Daran muss er dringend
etwas ändern .

Auch der Marsch in den Schuldenstaat – auch das
wird am Beispiel Frankreich deutlich – ist verhängnis-
voll: über 2 Billionen Euro Schulden .


(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie einfach Ihr Weltbild ist! Wie ganz, ganz schlicht und einfach!)


Das ist die Bürde . Das sind die Voraussetzungen, unter
denen der neue, junge, mutige Präsident jetzt antritt .

Er selbst hat hier in Berlin gesagt, er wisse, dass
Frankreich das einzige große europäische Land ist, dem
es in den letzten 30 Jahren nicht gelungen ist, die Mas-
senarbeitslosigkeit zu beseitigen . Deswegen wird er das
jetzt anpacken . Er wird die Fesseln auf dem Arbeitsmarkt
beseitigen, er wird die Staatsquote senken . Dazu ist na-
türlich nicht nur der Reformwille der Politiker bzw . der
Eliten notwendig, sondern auch der Reformwille der Be-
völkerung . Das ist wichtig .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieser Re-
formwille der französischen Bevölkerung kann nicht
durch Geld von außen ersetzt werden, auch nicht durch
Steuergeld aus Deutschland . Wenn die Grünen jetzt for-
dern, dass die Deutschen einfach mal ihre Ausgaben für
die Europäische Union um Milliarden aufstocken sollen,
dann kann ich nur sagen: Auch Sie in der Opposition ha-
ben eine Verantwortung für deutsche Steuergelder, die
sparsam und zielgerichtet ausgegeben werden müssen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Die gehen da nicht in irgendeinen Schlund, sondern die werden produktiv verwendet!)


Und was den Vorschlag des deutschen Außenministers

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1823407100
„Da gibt es doch
irgendwo einen Fonds für Altlasten der Atomenergie; den
könnten wir doch gleich mal nehmen“, fällt mir der Satz
von Franz Josef Strauß ein: Eher legt sich ein Hund einen
Wurstvorrat an, als dass ein Sozi Geld, das irgendwo an-
gelegt ist, nicht noch verbrät .


(Dagmar Ziegler [SPD]: Da gibt es noch nicht mal Beifall von Ihren Leuten! – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das ist jetzt äußerst schwach!)


Ich glaube, auch das ist nicht der richtige Weg .

Wir schauen nach Frankreich und freuen uns . Frank-
reich hat einen leidenschaftlichen Europäer zum Präsi-
denten gewählt . Macron liebt Europa, und Macron liebt
Frankreich . Wir lieben Europa, und wir lieben Deutsch-
land .


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorschläge habt ihr keine!)


Das ist eine gute Voraussetzung für eine gute Zusam-
menarbeit von Deutschland und Frankreich in Europa in
den nächsten Jahren .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823407200

Das Wort hat der Kollege Alexander Ulrich für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823407300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nach einem Antieuropäer zu reden, ist nicht ganz ein-
fach . Herr Friedrich, das war wieder unterste Schublade .
Mit solch einem Deutschland, das Sie hier präsentiert
haben, kann Europa nicht aus der Krise geführt werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind, glaube ich,
alle glücklich, dass der Front National mit Frau Le Pen
die Präsidentschaftswahlen nicht gewonnen hat . Das war
ein gutes Signal aus Frankreich . Aber es geht jetzt auch
um die guten oder schlechten Vorschläge, die Macron
aus Europa – insbesondere aus Deutschland – bekommt .
Die Gewerkschaften in Frankreich haben gesagt: Bis zur
Auszählung um 20 Uhr waren wir gegen Le Pen . Jetzt
aber müssen wir die Politik von Macron verhindern . –
Die französischen Gewerkschaften haben unsere Unter-
stützung verdient . Wir brauchen keine Agenda 2010 bzw .
kein Hartz IV für Frankreich . Wir brauchen sozialen
Fortschritt in Frankreich . Und dafür steht Macron mit
seiner Sozial- und Wirtschaftspolitik nicht .


(Zuruf von der CDU/CSU: Also doch Le Pen?)


Macron steht für eine Kürzungspolitik und Finanz-
marktderegulierung . Er will die Vermögen- und die
Kapitalertragsteuer senken und dafür die Ausgaben für
Gesundheit und Arbeitslosenhilfe kürzen . Bereits als
Wirtschaftsminister unter Hollande wollte er das Ar-
beitsrecht viel weiter abbauen, als es gegen den breiten
Widerstand der Bevölkerung und mithilfe der Notstands-
verordnung möglich war .

Nun will er – daraus macht er kein Geheimnis – ei-
nen neuen Anlauf nehmen . Es besteht die Gefahr, dass
viele Millionen Franzosen durch seine Präsidentschaft
in Armut und Perspektivlosigkeit getrieben werden . Ich
will es noch einmal gegenüber all jenen wiederholen, die
sagen, dass Macron erst einmal sein eigenes Land refor-

Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)







(A) (C)



(B) (D)


mieren soll, bevor wir überhaupt mit ihm ein politisches
Geschäft eingehen: Wir brauchen in Frankreich keine
Agenda 2010 .


(Beifall bei der LINKEN)


Macron fehlt die Zustimmung für seine Politik . Ich
will darauf aufmerksam machen, dass 55 Prozent der
Franzosen eigentlich nicht Macron wählen wollten . Viel-
mehr wollten sie nicht Le Pen wählen . Deshalb steht er
mit seiner politischen Botschaft noch auf sehr dünnem
Eis . Wir hoffen, dass die Wahlen zur Nationalversamm-
lung so ausgehen, dass er für den Kurs, den ich eben be-
schrieben habe, keine parlamentarische Mehrheit findet.

Aber einige Vorschläge von Macron sollten bedacht
werden . Die Einrichtung eines Euro-Zonen-Budgets un-
ter demokratischer Kontrolle, mit dem gemeinsame In-
vestitionen getätigt werden könnten, wäre ein sinnvoller
Fortschritt . Allerdings steht zu befürchten, dass eine echte
demokratische Kontrolle mit der Bundesregierung nicht
zu machen sein wird und dass die Mittel aus dem Bud-
get an strikte Reformauflagen gekoppelt werden würden.
Wer Finanzhilfen will, muss dann kürzen, liberalisieren
und privatisieren – wie es diese Bundesregierung vielen
anderen europäischen Partnern jeden Tag immer wieder
ins Stammbuch schreibt, mit verheerenden Auswirkun-
gen auch in Südeuropa .

Ein derartiger deutsch-französischer Deal würde der
Wirtschaft schaden, die soziale Krise vertiefen und die
Demokratie weiter aushöhlen . Wir hätten eine Art auf
Dauer geschaltete Troikapolitik mit all den katastro-
phalen Folgen, die bereits heute sichtbar sind . Am Ende
würden dann doch Le Pen und andere Rechtspopulisten
profitieren. Wenn die letzten Jahre eines gezeigt haben,
dann das: Die neoliberalen Kürzungsorgien haben vor
allem den Nationalisten in den verschiedenen Ländern in
die Hände gespielt .

Ohnehin wird jeglicher sinnvolle Ansatz auf EU-Ebe-
ne konterkariert, solange Deutschland nicht seine anti-
europäische Wirtschaftspolitik beendet . Wenn die stärks-
te Volkswirtschaft der Währungsunion immer größere
Exportüberschüsse anhäuft, haben andere zwangsläufig
immer größere Defizite und damit auch steigende Schul-
denberge . Macrons Kritik am deutschen Merkantilismus
ist vollkommen berechtigt . Wenn wir der EU eine Chan-
ce geben wollen, müssen wir in Deutschland endlich die
riesige Investitionslücke schließen und durch kräftige
Lohnerhöhungen den Binnenmarkt stärken . Anders wird
es nicht gehen .


(Beifall bei der LINKEN)


Weiterhin müssen wir über die Vermögen sprechen .
In Ländern wie Frankreich und Deutschland verfügt
das reichste 1 Prozent über Vermögen, die in etwa der
gesamten öffentlichen Verschuldung entsprechen . Die
Schuldenkrise wird sich nicht überwinden lassen, ohne
Teile dieser Vermögen umzuverteilen . Wir brauchen da-
her eine Vermögensteuer in Deutschland und europaweit .
Nur wenn Deutschland bei diesen zentralen Punkten end-
lich einen Politikwechsel vollzieht, gibt es die Chance
auf eine deutsch-französische Achse, die die europäische
Integration voranbringt und den Nationalismus zurück-

drängt . Nur ein solcher Politikwechsel, ein Neustart für
Europa, würde die EU aus der tiefen Krise herausführen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . Für Ende
Juni ist ein gemeinsamer Ministerrat von Deutschland
und Frankreich geplant . Damit es nicht nur beim Hände-
schütteln und Kaffeetrinken bleibt, möchte ich Sie bitten,
drei Ergebnisse zu erzielen . Erstens . Beschließen Sie mit
Frankreich: Es gibt keine Aufrüstung in Höhe von 2 Pro-
zent des BIP .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Das ist doch schon längst beschlossen!)


Das wäre ein Signal für das Friedensprojekt Europa .

Zweitens . Sorgen Sie dafür, dass die Pannenreaktoren
in Cattenom und Fessenheim endlich abgeschaltet wer-
den . Das wäre in umweltpolitischer und klimapolitischer
Hinsicht ein Erfolg .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823407400

Kollege Ulrich, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen .


Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823407500

Drittens wäre es gut, die Menschen besser zu verbin-

den . Wir brauchen wieder eine Nachtzugverbindung von
Berlin nach Paris . Auch dafür könnten Sie sorgen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823407600

Ich mache darauf aufmerksam, dass die Ankündigung

des Redeschlusses nicht den Schlusspunkt ersetzt, und
bitte darum, sich an die verabredeten Redezeiten zu hal-
ten .

Das Wort hat der Kollege Joachim Poß für die
SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1823407700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! Lieber Kollege Ulrich, Ihr Freund in Frankreich,
Mélenchon, steht für Europafeindlichkeit und wirklich
untaugliche Wirtschafts- und Finanzvorschläge .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wo stehen denn Ihre Freunde?)


Eine Partei wie die Ihrige, die bis heute ihr Verhältnis
zu Europa und insbesondere zum Euro nicht geklärt hat,

Alexander Ulrich






(A) (C)



(B) (D)


sollte die Backen nicht so aufblasen, wie Sie das getan
haben . Sie haben das Recht dazu verspielt .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wo sind denn die Sozialisten geblieben in Frankreich?)


Die zunehmende Bedrohung von Rechtsstaat, Demo-
kratie, Meinungsfreiheit und Unabhängigkeit der Justiz
in Ländern außerhalb und leider auch innerhalb Euro-
pas – Ungarn ist ein Beispiel dafür; soviel ich weiß, ist
ja Herr Friedrich ein Freund Orbans; vielleicht können
Sie einmal Ihren Einfluss geltend machen, damit der Zug
dort in eine andere Richtung fährt –


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


stellt für uns eine Herausforderung dar . Die Bedeutung
der Wahl Macrons zum französischen Präsidenten soll-
te zum jetzigen Zeitpunkt, also vor den Parlamentswah-
len, nicht überschätzt werden . Gleichwohl hat Macron
den Zögerlichen und Zweifelnden im konservativen Teil
der Bundesregierung und der Koalition – wir haben ja
Herrn Friedrich vorhin gehört – vor Augen geführt, dass
auch mit einem positiven Europabild Wahlen gewonnen
werden können . Man sollte also Europa nicht zum Sün-
denbock für Fehlentwicklungen machen, die meistens
im eigenen Land verursacht werden, übrigens nicht nur
in Deutschland, sondern zum Beispiel auch in Italien
und Frankreich, um das klarzustellen . Aber einen Miss-
brauch des Europabildes in Wahlkämpfen gibt es auch
in Deutschland . Das haben wir in den letzten Tagen und
Wochen zum Beispiel in Beiträgen der CDU/CSU oder
der FDP nachlesen können . Deshalb ist es gut, dass Frau
Merkel nach dem Gespräch mit Macron hier in Berlin
eine größere Bereitschaft als bisher gezeigt hat, konkre-
te Schritte zur Stabilisierung der Euro-Zone ins Auge zu
fassen . Das ist aus ökonomischen wie aus politischen
Gründen unumgänglich für die weitere Perspektive Eu-
ropas .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Wenn man sich die kritischen Stimmen aus CDU/CSU
zur Wahl Macrons – Herr Spahn gehört dazu – anschaut
oder die Frage „Was kostet uns Macron?“ in einer Zei-
tung liest, dann kann man nur fassungslos werden . Herr
Spahn, die entscheidende Frage lautet doch eher: Was
hätten uns Le Pen und der daraus möglicherweise fol-
gende Zusammenbruch der Euro-Zone gekostet – in ganz
Europa und hier in Deutschland?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wie viele Hunderttausende Arbeitsplätze wären dann
in Deutschland wohl in Gefahr gewesen? Das gilt ins-
besondere nach Trump, Protektionismus, Brexit und der
anhaltenden Diskussion über das Euro-Ende in Italien
und anderen Ländern . Wir als Deutsche gehören nun
einmal zu den Gewinnern der bisherigen europäischen
Entwicklung . Daraus erwächst aber Verantwortung . Die-

se nehmen wir derzeit in Europa nicht ausreichend wahr .
Deswegen müssen wir nachlegen .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wer regiert denn?)


Ich wünsche der Bundeskanzlerin mit Blick auf ihre
eigene Bundestagsfraktion Überzeugungskraft . Auch
Herr Schäuble ist hier besonders gefordert . Es liegt im
Interesse nicht nur der europäischen Südstaaten, sondern
auch Deutschlands, nun zu einer stärkeren politischen
Einbettung der Währungsunion zu kommen . Macron
und Gabriel haben dazu bereits 2015 Vorschläge entwi-
ckelt . Wir brauchen einen eigenen Euro-Haushalt, der
Zukunftsinvestitionen ermöglicht, parlamentarisch kon-
trolliert ist und durch einen Euro-Minister verantwortet
wird . Das bedeutet auch: Wir brauchen eine Wirtschafts-
und Sozialunion, die kein Steuerdumping mehr zulässt
und auch soziale Mindeststandards festlegt .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir werden die Menschen hier in Deutschland und
in anderen europäischen Ländern vom Wert unserer de-
mokratischen Errungenschaften nur überzeugen, wenn
sie das Gefühl haben, dass wir uns aktiv mit den Schat-
tenseiten von Globalisierung und Digitalisierung ausei-
nandersetzen . Wachsende Ungleichheit ist bekanntlich
nicht nur ein soziales, sondern zunehmend auch ein wirt-
schaftliches Problem . Deshalb: Wenn der Kern unserer
gemeinsamen politischen Überzeugung ist, dass das auch
in Jahren und Jahrzehnten Bestand haben soll, dann müs-
sen wir jetzt handeln . Wir alle in diesem Parlament sind
in der Verantwortung . Aber vor allen Dingen brauchen
wir proeuropäische, demokratische und mutige Regie-
rungschefs; auch Chefinnen können dabei sein.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823407800

Das Wort hat die Kollegin Ursula Groden-Kranich für

die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ursula Groden-Kranich (CDU):
Rede ID: ID1823407900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Gestern hat Präsident Macron sein Regierungsteam vor-
gestellt . Entgegen altbewährten Traditionen hat er den
Mut gehabt, ein Team aus unterschiedlichen Parteien
zu berufen . Er hat damit den ersten Schritt zur Zusam-
menführung der bürgerlichen Kräfte getan, um zu einer
Überwindung der starken Spaltung, die es in Frankreich
gibt, zu kommen . Machen wir uns nichts vor: Viele ha-
ben Macron nicht um seinetwillen gewählt; sie haben ihn
gewählt, weil sie Le Pen verhindern wollten . Herr Ulrich,
die Linke hat nicht den Mut gehabt, wie alle anderen Par-
teien zu sagen: Wählt Macron, auch wenn es nicht unsere

Joachim Poß






(A) (C)



(B) (D)


Überzeugung und er nicht unsere erste politische Wahl
ist .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ja, jetzt ist es an uns allen, zu überlegen, wie wir mit
Macron ein gemeinsames Europa schaffen können . Die
Politik der offenen Hände, die sowohl von Macron als
auch von unserer Kanzlerin begonnen wurde, sollten wir
auch bei den Parlamentswahlen unterstützen, die jetzt in
Frankreich anstehen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Denn das ist die eigentliche Herausforderung für den
neuen Präsidenten: Wie schafft er es, in seinem eigenen
Land eine Mehrheit zu finden, um in fünf Jahren nicht
eine erstarkte radikale antieuropäische Fraktion gegen
sich zu haben? Wir haben eine hohe Jugendarbeitslosig-
keit, ein niedriges Wirtschaftswachstum und eine hohe
Staatsverschuldung in Frankreich zu verzeichnen . Was
wir jetzt brauchen, ist ein Zusammenhalt aller bürgerli-
chen Kräfte, nicht nur der Parteien: erst das Land, dann
die Partei und dann man selbst . Ich glaube, diesen ersten
Schritt sind sowohl Macron als auch unsere Kanzlerin
bei ihrer Begegnung hier in Berlin gegangen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist ein schönes Signal, dass in Paris wieder ein
wenig deutsch gesprochen wird, und zwar in dem Sin-
ne, dass Ministerinnen und Minister berufen wurden, die
deutsch sprechen . Damit meine ich nicht die deutsche
Sprache und das deutsche Denken, sondern die europä-
ische Ausrichtung in diesem Zusammenhang . Auch wir
hier in Berlin müssten ein Stück mehr französisch spre-
chen, und das meine ich nicht nur sprachlich, sondern –
ich sehe, dass viele Mitglieder der Deutsch-Französi-
schen Parlamentariergruppe anwesend sind – im Sinne
eines Miteinanders und gegenseitigen Verstehens . Es ist
nicht immer nur eine Frage der Sprache, sondern auch
eine Frage des Verstehens . Dafür werbe ich sehr .


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Très bien!)


Uns muss auch klar sein, dass Europa mehr ist als nur
Deutschland und Frankreich . Aber wenn Deutschland
und Frankreich mit gutem Beispiel vorangehen, haben
wir eine gute Chance, dass wir in Europa gemeinsam wei-
terkommen . Dass wir unterschiedliche Prioritäten sehen,
Herr Özdemir, liegt in der Natur der Sache . Aber wenn
wir uns im Ziel einig sind, werden wir weiterkommen .
Das können wir hoffentlich nach einer erfolgreichen Par-
lamentswahl in Frankreich, nach der es wahrscheinlich
eine Cohabitation gibt . Wenn Macron eine starke Parla-
mentsmehrheit bekommt, dann haben wir eine Chance,
gemeinsam für Europa zu kämpfen und Europa attraktiv
zu machen .

Ich selbst komme aus einer Stadt, die über viele Jahr-
hunderte mit Frankreich durchaus nicht immer freund-
schaftlich verbunden war . Aber in meiner Heimatstadt
Mainz gibt es eine lange Verbindung zu Frankreich, Part-
nerschaften, die auch das wirtschaftliche Interesse im

Auge haben und die auch junge Menschen die Zukunft
eines gemeinsamen Europas lehren .

Meine erste Auslandsreise mit der Schule ging nach
Dijon . Leider gehen Auslandsreisen heute eher in die
weite Welt als nach Europa . Auch da liegt es an uns allen,
die Nähe zu unseren europäischen Partnern wieder zu
stärken, und das liegt nicht nur, aber eben doch ganz be-
sonders an Deutschland und Frankreich . Deswegen müs-
sen wir uns hier im Deutschen Bundestag in den nächsten
Monaten trotz des Wahlkampfes viel stärker und durch-
aus positiv mit Europa auseinandersetzen . Wir dürfen
dabei nicht vergessen, dass es nicht nur ein gemeinsames
Europa der Nationalstaaten gibt, sondern dass wir auch
für eine gemeinsame europäische Idee kämpfen müssen .
Deswegen sage ich auch hier: Es lebe Europa! Vive l’Eu-
rope!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823408000

Das Wort hat der Kollege Dr . Axel Troost für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823408100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es reicht nicht, sich darüber zu freuen, dass Marine Le
Pen – wohlgemerkt: dieses Mal – verhindert werden
konnte . Vielmehr muss gerade die deutsche Politik, das
heißt die Politik von Angela Merkel und insbesondere
von Finanzminister Schäuble, endlich verstehen, dass sie
ein wesentlicher Grund ist für die massiv gewachsene
Anti-EU- und Anti-Euro-Stimmung der Franzosen .


(Beifall bei der LINKEN)


Im vergangenen Jahrzehnt wurde die EU im Zei-
chen von globaler Finanzkrise und der Krise der Euro-
päischen Union auf deutschen Druck zum neoliberalen
Zuchtmeister unserer europäischen Nachbarn . Die EU
steht inzwischen in den meisten Mitgliedstaaten für drei
Dinge: Sparen, Sparen, Sparen . Die EU ist in vielen Mit-
gliedsländern, und zwar sowohl bei der politischen Elite
als auch bei der breiten Bevölkerung, ein Synonym für
Arbeitslosigkeit und Verarmung, für Sozialabbau, für ei-
nen Verlust an Mitbestimmung, für Fremdbestimmung
aus Deutschland . Solange die Bundesregierung das nicht
zur Kenntnis nimmt und ihre Politik nicht ändert, bleibt
sie ein Totengräber der EU, mit oder ohne eine Präsiden-
tin Le Pen . Ich weiß, dass Sie als Bundesregierung das
anders sehen; aber es ist völlig egal, wie ich das sehe oder
wie Sie das sehen –: Solange sich weite Teile der Bevöl-
kerung der EU durch Ihre Politik angegriffen, gedemü-
tigt, ihrer sozialen Rechte und ihrer Mitsprache beraubt
fühlen, müssen Sie erst einmal darüber nachdenken, wie
Sie Ihre Politik ändern können, damit man im Rest Euro-
pas wieder auf eine Alternative setzen kann .


(Beifall bei der LINKEN)


Viele von Ihnen wissen, dass ich zu den Abgeordneten
gehöre, die sich für eine rot-rot-grüne Machtperspekti-
ve aussprechen und sie sich wünschen . Dafür braucht es

Ursula Groden-Kranich






(A) (C)



(B) (D)


aber nicht nur rechnerische Mehrheiten; dafür braucht es
inhaltliche Kompromisse und ein paar konkrete politi-
sche Projekte, die für einen Wechsel stehen . Eine neue
deutsche Haltung zu Europa muss eines dieser Projekte
sein .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was meinen Sie jetzt damit?)


Ich habe es daher als sehr fruchtbar empfunden, ge-
meinsam mit Grünen und Sozialdemokraten über die
Zukunft der EU nachzudenken und gemeinsame Alter-
nativvorschläge zu entwickeln . Gesine Schwan, Frank
Bsirske, Klaus Busch, Harald Wolf und ein paar andere
Personen haben zusammen mit mir im Herbst letzten Jah-
res die Streitschrift „Europa geht auch solidarisch“ he-
rausgegeben . Da haben wir viele Alternativen formuliert,
die jetzt auch Ideen sind, die von Macron in die Debatte
eingebracht und von Deutschland eingefordert werden .
Ich will daraus nur ein paar Beispiele dafür nennen, wie
eine alternative Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik
für Europa aussehen könnte .

Erstens: die Überwindung der Austeritätspolitik und
insbesondere eine europäische Investitionsoffensive .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das von Macron ins Spiel gebrachte Budget der Euro-Zo-
ne, finanziert über gepoolte Anleihen der Euro-Staaten –
um nicht das böse Wort Euro-Bonds zu nennen –, könnte
ein Einstieg sein .

Zweitens: eine europäische Ausgleichsunion, die
nicht nur mehr Wettbewerbsfähigkeit von wirtschaftlich
schwächeren Ländern fordert, sondern diesen Ländern
auch dabei hilft, dies zu erreichen . Dazu muss Deutsch-
land endlich seine Leistungsbilanzüberschüsse abbauen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Drittens . Das Europäische Parlament muss deutlich
mehr Eigenmittel bekommen und mit demokratisch le-
gitimierten europäischen Institutionen, sei es ein Finanz-
minister, sei es eine Wirtschaftsregierung, mindestens in
der Euro-Zone ein Mindestmaß an Abstimmung in eine
expansive Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik bringen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Viertens . Wir brauchen endlich den Einstieg in eine
europäische Sozialunion .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


All das klingt im Augenblick so, als sei es verdammt
weit weg, verdammt visionär . Das muss es nicht sein .
Wenn wir uns aber nicht schnell in diese Richtung umori-
entieren – das betrifft insbesondere die Mehrheitsfraktion

der Sozialdemokraten, die in diese Richtung endlich eine
andere Politik betreiben muss;


(Joachim Poß [SPD]: Sie müssen unsere Papiere lesen! Dann würden Sie lesen, was wir vorschlagen!)


wohlgemerkt: viele einzelne Sozialdemokraten fordern
dies ja auch –, dann steigt die Gefahr, dass der Politi-
kertypus Le Pen nicht nur in Frankreich Wahlen gewinnt
und dass sich die Frage der Europäischen Union irgend-
wann ganz anders oder gar nicht mehr stellt . Wir müssen
handeln .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823408200

Das Wort hat der Kollege Christian Petry für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1823408300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen

und Herren! Ich weiß nicht, ob es Absicht von Manuel
Sarrazin war, dass er sich auf der Rednerliste hinter mich
hat setzen lassen . Wir haben jetzt die Rednerreihenfol-
ge Petry/Sarrazin; wir sind beide pro Europa . Man sieht,
dass Vornamen durchaus eine Bedeutung haben .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Der war gut!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben
mit der Wahl von Emmanuel Macron eine große Chan-
ce, was die Weiterentwicklung Europas angeht . Was
haben wir nicht schon alles gehört: Auf der einen Seite
war vom neoliberalen Banker die Rede; auf der anderen
Seite war zu hören, er sei zu sozial, zu sozialistisch . Es
gab die ganze Bandbreite . Nein, ich glaube, es ist eine
große Chance; denn Europa braucht das, was gefordert
wird: Beschäftigung und Wachstum, Abbau der Jugend-
arbeitslosigkeit . Wir brauchen Unterstützung in Europa .
Die SPD hat dazu ein Papier erarbeitet, in dem tatsäch-
lich alles drinsteht . Axel, wir lassen es dir noch einmal
zukommen . Lies es bitte durch . Wenn du es durchgelesen
hättest, hättest du hier nicht eine solche Rede gehalten .
Das alles ist nämlich Ziel unserer Politik .


(Beifall bei der SPD)


Wir wissen seit Jahren, dass es Konstruktionsmängel
in der Europäischen Union, in der Wirtschafts- und Wäh-
rungsunion gibt . Wir haben es hier schon öfter betont,
aber ich spreche es nochmals an: Der Währungsverband
funktioniert nicht ohne eine abgestimmte Wirtschafts-
und Finanzpolitik .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: So ist es!)


Das ist das Problem, und das müssen wir angehen . Es gibt
seit vielen Jahren Vorhaben auf Ebene der Euro-Staaten,
die Architektur unseres europäischen Währungsraumes
zu stärken . Aber hier gibt es Bremser und Verweigerer,

Dr. Axel Troost






(A) (C)



(B) (D)


die die Reformen nicht wollen . Dem einen oder anderen
fehlt es vielleicht auch an politischem Mut oder politi-
scher Einsicht . Beides müssen wir ändern, um Europa zu
modernisieren .

Die nun von Macron vorgelegten Ideen, die er 2015 zu-
sammen mit dem damaligen Wirtschaftsminister Sigmar
Gabriel formuliert hatte, sind tatsächlich wegweisend
und progressiv . Kern der Forderung ist die Ausgestaltung
der Euro-Zone mit einem eigenen Haushalt . Das hat, wie
wir im Europaausschuss gehört haben, auch bereits Herr
Oettinger gefordert . Er ist also schon ein bisschen weiter
als Sie, Herr Friedrich; denn auch er fordert eine Eigen-
mittelausstattung . Ich habe mit Freude vernommen, dass
es Bewegung in dieser Diskussion gibt . Auch die Kanzle-
rin und Herr Schäuble haben dies ins Auge gefasst .

Herr Staatssekretär Spahn, die Erfindung der Nach-
richt zu den Euro-Bonds ging nach hinten los . Dafür hat
Sie die FAZ schon kritisiert . Das sollten wir nicht ma-
chen; denn das belastet doch unser Verhältnis . Man sollte
auf das rekurrieren, was tatsächlich gemacht wird .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Fuchs hat Sie dabei noch unterstützt; das war nicht
besonders glorreich .

Ein Etat für die Euro-Zone ist ins Spiel gebracht wor-
den, und Herr Schäuble kann sich sogar vorstellen, dass
es einen Finanzminister der Euro-Zone gibt . Es besteht
die Chance, dass wir eine Angleichung sozialer Stan-
dards nach oben hinbekommen, dass wir Beschäftigung
und Wachstum steigern, dass wir die Jugendarbeitslosig-
keit senken und dass wir ein gerechtes und angeglichenes
Besteuerungssystem schaffen . Das gilt auch im Hinblick
auf legale Steuervermeidungsstrategien . Die Rahmen-
bedingungen müssen so gestaltet werden, dass die Ein-
nahmen wieder unserem Staate zugutekommen . Auch
hier gibt es eine große Chance, die wir gemeinsam mit
Macron nutzen sollten . In diesem Sinne werden wir die
Reformen in Europa vorantreiben müssen .

Manchmal ist der Fortschritt, wie wir wissen, eine
Schnecke . Ich habe bei den Konservativen gelegentlich
das Gefühl, dass sie bei Reformen, selbst wenn sie im
Schneckentempo durchgeführt werden, hinterherhinken .
Ihnen da zu helfen, ist aber nicht unsere Aufgabe . Liebe
Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, machen
Sie in diesem Sinne mit! Ziel muss es sein, mehr Integra-
tion und eine engere Abstimmung in der Wirtschafts- und
Investitionspolitik herbeizuführen .


(Beifall bei der SPD – Dr . Philipp Murmann [CDU/CSU]: Von den Bürgern im Saarland, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen wird das aber anders gesehen!)


– Herr Kollege Murmann, es ist schön, dass Sie sich auf
die Wahlen kaprizieren . Das ist auch in Ordnung . Ihrer
Freude ist nichts entgegenzusetzen, und auch unserer
Enttäuschung ist nichts entgegenzusetzen . Letztlich geht
es hier aber um das Ziel, Europa weiterzuentwickeln, und
um die Chance, die wir haben, da der französische Präsi-

dent als Proeuropäer gewählt worden ist . Diese Chance
müssen wir nutzen .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!)


Ich appelliere an uns alle: Lassen Sie uns gemeinsam
mit unseren französischen Freunden eine deutsch-fran-
zösische Initiative für die Zukunft der Euro-Zone auf den
Weg bringen!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das große Friedensprojekt Europa, das große Frei-
heitsprojekt Europa, das große Sozialprojekt Europa
müssen wir in die Herzen der Menschen zurückbringen .
Dabei haben wir mit Präsident Emmanuel Macron einen
Partner an unserer Seite . Diese Chance sollten wir nut-
zen . Bonne chance, Monsieur le Président!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Très bien!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823408400


Das Wort hat der Kollege Manuel Sarrazin für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823408500


Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Eines kann man schon einmal ganz objektiv
festhalten: Elf Tage Präsident Macron haben – sogar in
diesem Haus – mehr Mut zu Europa ausgelöst als elf Jah-
re Angela Merkel . Das merkt jeder, der dieser Debatte
gefolgt ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Christian Petry [SPD] und Dr . Axel Troost [DIE LINKE] – Lachen bei der CDU/CSU)


Dass ausgerechnet Sie, Kollege Friedrich, sich immer
noch vom Geist Angela Merkels inspirieren lassen, ist
das Lustigste an der ganzen Sache .

Nehmen Sie doch einmal das Beispiel von Herrn
Macron . Er hat in einer Pressekonferenz etwas ganz
Tolles gesagt, konkret etwas angekündigt und ein wich-
tiges Signal nach Deutschland gesendet . Wir alle haben
vor drei Jahren parteiübergreifend Briefe geschrieben,
als der Deutschunterricht an französischen Schulen de-
gradiert wurde . Herr Macron hat am Montag in einer
Pressekonferenz einfach angekündigt, dass er das ändern
wird . Das ist es! Wir müssen beim Thema Europa kon-
kret zusammenarbeiten! Aber was sagen Sie dazu? Sie
sagen: Wir finden Sie ganz toll. Sie sind nett. Aber wenn
es Geld kostet – ach nein . Ich rede noch ein bisschen
darum herum . Wenn fünf Minuten vorbei sind, sage ich
Tschüss und hoffe, dass im Wahlkampf nichts mehr dazu

Christian Petry






(A) (C)



(B) (D)


kommt . – So geht das doch nicht! Wir müssen konkret
anpacken, damit etwas passiert!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Man muss nicht alles, was Herr Macron sagt, toll
oder gut finden. Manches ist vielleicht auch noch nicht
so weit zu Ende konkretisiert, als dass man nicht noch
positiv darauf Einfluss nehmen könnte. Aber das, was die
Bundesregierung macht, ist ein weiterer Beweis für die
Handlungsunfähigkeit der Großen Koalition in der Eu-
ropapolitik . Herr Macron legte vor ein paar Wochen Vor-
schläge vor . Es folgte ein Interview von Herrn Schäuble .
Darin sagte er, er wolle eine Art europäischen Super-
staat, der intergouvernemental organisiert sein solle, weil
man durch Vertragsänderungen nichts hinbekomme . Am
Samstag letzter Woche legte Herr Gabriel ein Papier vor .
Im Spiegel war davon zumindest die Rede; ich glaube,
zugeleitet wurde uns dieses Papier noch immer nicht . Hat
es überhaupt schon jeder gelesen? Darin schreibt er je-
denfalls etwas ganz anderes . Am Montag kam dann Frau
Merkel und sagte, sie wolle Vertragsänderungen . Ja, was
gilt denn nun? Worauf soll sich Frankreich eigentlich ein-
stellen? In der Bundesregierung herrscht reines Chaos .
Sie sollten besser konkret anpacken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Dr . Axel Troost [DIE LINKE])


Ich sage Ihnen eines: 1950 waren es proeuropäische
Franzosen, die den Mut hatten, voranzugehen: mit dem
Schuman-Plan und mit der Monnet-Methode . 1950 hatte
man Mut und Visionen . Sie geben 3 Milliarden Euro im
Jahr für Panzer und Korvetten aus, die im Zweifelsfall
noch nicht einmal fahren . Wenn wir in Deutschland be-
reit sind, die Lücke, die der Brexit in den EU-Haushalt
reißt, zu schließen – das könnten wir jetzt schon ankündi-
gen –, würde das bestimmt nicht mehr kosten . Wenn jetzt
vorschnell Nein gesagt wird, beendet das die positive
Debatte in Frankreich und sendet eben nicht das Signal
dorthin, dass wir bereit sind, auf Macron zuzugehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehen Sie endlich ein, dass Sie mehr machen müssen
als nur, dass es Deutschland in Europa gut geht . Frau
Merkel hat gesagt: Wir brauchen ein Frankreich, dem
es gut geht, damit auch Europa wieder vorankommt . –
Nehmen Sie diesen Geist auf, und machen Sie konkre-
te Angebote dafür, anstatt über Roadmaps zu reden und
Papiere in Zeitungen zu veröffentlichen . Die Vorschläge
liegen auf dem Tisch: beim EU-Haushalt anpacken, einen
Zukunftsfonds im EU-Haushalt schaffen, der für Investi-
tionen zur Verfügung steht, finanziert aus dem europäi-
schen Kampf gegen Steuervermeidung, in den bestehen-
den Europäischen Investitionsfonds einzahlen, was Herr
Gabriel seit 2013 nicht geschafft hat . Das sind konkrete
Vorschläge . Sie müssen jetzt liefern, anstatt immer nur
daherzureden und uns vorzuwerfen, wir würden – das ha-
ben Sie ja zitiert – Geld in den Schlund werfen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eines muss man auch sagen, weil das wirklich eine
Gefahr ist, die wir nicht vergessen dürfen: Es ist ganz

normal, dass die französische Tradition stärker auf Inter-
gouvernementalismus setzt; das ist ein anderes Staats-
verständnis . Wir brauchten immer diesen Dualismus, um
Europa voranzubringen, diesen Streit zwischen „Wo stär-
ken wir die europäischen Institutionen, und wo machen
wir die Regierungen stärker?“, diesen Streit zwischen
„Wo ist der Kern Europas, wie wichtig ist der Osten, wie
wichtig sind die Großen, wie wichtig sind die Kleinen?“ .
Wir haben im Sommer 2015 erlebt, wie Ihr Finanzminis-
ter Wolfgang Schäuble die Axt an das europäische Pro-
jekt gelegt hat, als er Griechenland hinterrücks aus dem
Euro treiben wollte . Wenn ich jetzt lese, wie er Macron
interpretiert, mit seinem noch einmal aufgegossenen Mo-
dell vom Kerneuropa, dann muss ich Ihnen ganz deutlich
sagen: Das ist nicht die Tradition deutscher Europapoli-
tik, diesen Kontinent zusammenzuhalten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir könnten ein weiteres Angebot an Herrn Macron
machen, ein ganz einfaches Angebot . Seit 2012 hat der
Europäische Rat Griechenland Schuldenerleichterungen
versprochen . Springen Sie über Ihren Schatten, und sa-
gen Sie: Die Schuldenerleichterungen, die seitdem auf
dem Tableau stehen, werden wir jetzt gemeinsam mit
Frankreich sofort umsetzen .


(Margaret Horb [CDU/CSU]: Die sollen ihre Verwaltung ausbauen!)


Das wäre ein Signal an den Süden Europas, dass Deutsch-
land zu seiner Verantwortung steht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg . Christian Petry [SPD])


Wir dürfen uns nicht einfach dahinter verstecken, dass
die Proeuropäer in Frankreich gerade die Mehrheit ha-
ben . Wir können nicht warten, bis am Ende die Stim-
mung wieder kippt .

Letzter Satz, Frau Präsidentin . – In Frankreich gibt es
das Sprichwort „Auch gute Intentionen können zur Hölle
führen .“ Wir alle wissen: Wenn wir jetzt nicht gemein-
sam daran arbeiten, dass Frankreich wieder so stark wird,
dass es gemeinsam mit uns und anderen Staaten in Eu-
ropa Führung übernehmen kann, dann werden wir uns
auf dem Weg dahin befinden. Deswegen: Bonne chance!
Anpacken müssen wir!

Danke sehr .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823408600

Das Wort hat der Kollege Uwe Feiler für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Uwe Feiler (CDU):
Rede ID: ID1823408700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Wahl des neuen französischen Präsidenten
Macron ist sicherlich ein Glück für die Europäische Uni-

Manuel Sarrazin






(A) (C)



(B) (D)


on . Gemeinsame französische und deutsche Impulse für
die Europäische Union sind, denke ich, nötiger denn je .

Wenn wir eine gemeinsame europäische Wirtschafts-
politik betreiben wollen, müssen wir uns miteinander
abstimmen, was die wesentlichen Investitionen in den
europäischen Ländern anbetrifft . Eine gemeinsame euro-
päische Investitionspolitik würde die wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit zweifelsohne erleichtern . Aber auch hier
gilt: Keine Reform nur der Reform wegen!

Der neue französische Präsident Macron wünscht sich
viel mehr Investitionen als bisher . Ich würde mir viel
mehr bessere Investitionen wünschen . Ich habe bereits in
meiner letzten Rede zum aktuellen Arbeitsprogramm der
Europäischen Union gesagt, dass wir eine europäische
Politik benötigen, die ein Gesamtkonzept darstellt . Der
Haushalt muss eng mit den Prioritäten der europäischen
Politik verbunden sein . Wir brauchen eine zukunftsori-
entierte, weltweitsichtige Politik . Dabei ist der Dreiklang
von Strukturreformen, gesunden Staatsfinanzen und In-
vestitionen für mich unabdingbar .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nichts anderes hat die Bundeskanzlerin im Übrigen am
Montag gesagt .

Präsident Macron möchte bekanntlich das französi-
sche Haushaltsdefizit unter die zulässigen 3 Prozent sen-
ken . In Bezug auf die Euro-Bonds hat er des Weiteren be-
tont, er wolle keine Politik der Verantwortungslosigkeit .
Das lässt auf eine grundsätzliche gemeinsame Haltung
zur Haushaltsdisziplin schließen . Investitionen bringen
den notwendigen Fortschritt und sichern den Wohlstand .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie das mal Ihrem Staatssekretär erzählt?)


Eine neue Investitionspolitik darf jedoch nicht als Ab-
kehr von jeglicher Sparpolitik verstanden werden, meine
Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Forderung nach einer gemeinsamen europäischen
Investitionspolitik zieht jedoch sofort Fragen zu wichti-
gen Details nach sich: Wie soll diese Investitionspolitik
finanziert werden? Wer soll die Entscheidungsbefugnisse
tragen?


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geben Sie mal Antworten! Machen Sie mal Vorschläge! Macron hat welche gemacht!)


Die tatsächliche Ausrichtung dieser Politik wird also
maßgeblich von den weiteren im Raum stehenden Refor-
men der Währungsunion abhängig sein . Wir dürfen auch
nicht vergessen, dass wir bereits bestehende Programme
für die gesamte EU haben: die Strukturfonds und die In-
vestitionsoffensive EFSI . Hier gilt es unbedingt, jegliche
Doppelung zu vermeiden . Dort, wo wir bereits funktio-
nierende Instrumente haben, benötigen wir keine zusätz-
lichen Programme .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das würde die europäische Politik noch mehr verkom-
plizieren und noch mehr unnötige Bürokratie schaffen .

Gemeinsame europäische Politik bedeutet für mich,
dass der Fokus auf Politikfelder gerichtet ist, bei denen
gesamteuropäische Interessen im Vordergrund stehen .
Wir müssen uns folgerichtig mit unseren Partnern darü-
ber verständigen, welche Ausgaben einen Mehrwert für
alle Partner und für die gesamte Europäische Union brin-
gen .


(Margaret Horb [CDU/CSU]: Ganz genau!)


Hier könnte das Europäische Semester mit seinen länder-
spezifischen Empfehlungen und den Empfehlungen zur
Wirtschaftspolitik des Euro-Raums eine gute Grundlage
bilden .

Die Investitionen sollten nicht losgelöst von den eu-
ropäischen wirtschaftspolitischen Grundsätzen getätigt
werden; das Stichwort „Better Spending“ darf nicht ins
Leere laufen. Dabei sollten Effizienz und Wirksamkeit
der Investitionen laufend überprüft werden . Auch die
Tatsache, dass manche Länder, die dringend Investitio-
nen benötigen, oft an Problemen wie einer ineffizienten
Verwaltung scheitern, darf nicht außer Acht gelassen
werden . Einfach mehr Geld ist nicht die Lösung des Pro-
blems .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dabei geht es nicht um eine Politik des erhobenen Zeige-
fingers, um die Durchsetzung eigener Ideen, sondern um
einen Austausch zwischen gleichberechtigten Partnern
und die Verwirklichung sinnvoller Modelle .

Auch Deutschland hat mit Problemen zu kämpfen, die
die Umsetzung wichtiger Investitionen behindern . Viele
Projekte bei uns scheitern oder verzögern sich beispiels-
weise aufgrund der enormen Bürokratie


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Berliner Flughafen!)


oder schlicht und einfach wegen fehlender Planungska-
pazitäten in unseren Bundesländern . Das muss sich bei
uns ändern .

Eine gemeinsame europäische Investitionspolitik
muss ein durchdachtes Instrument werden, wenn sie
nachhaltig positive Wirkung entfalten soll . Ich hoffe hier
auf eine gute Zusammenarbeit mit Frankreich und an-
deren europäischen Ländern . Dem Präsidenten Macron
wünsche ich viel Erfolg mit seinen Reformplänen und
weiteren politischen Initiativen . Wir stehen an seiner Sei-
te für ein starkes Frankreich, für ein starkes Europa, für
eine starke Europäische Union .

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823408800

Der Kollege Bernd Westphal hat für die SPD-Fraktion

das Wort .


(Beifall bei der SPD)


Uwe Feiler






(A) (C)



(B) (D)



Bernd Westphal (SPD):
Rede ID: ID1823408900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Wir alle sind erleichtert über den
Ausgang der Wahl unserer Freundinnen und Freunde
in Frankreich . Den Rechtspopulisten ist es nicht gelun-
gen, unser freiheitliches solidarisches Europa mit unse-
ren Werten zu zerstören . Dennoch sind mit den Wahlen
vom 7. Mai die Zweifler, Enttäuschten und vermeintlich
Abgehängten nicht verschwunden . Viele Menschen wer-
den das Gefühl haben, dass sie in der Politik von Trump,
Le Pen, Wilders und Co besser aufgehoben sind . Die
Menschen werden sich nicht von selbst von Protektio-
nismus und Populismus abwenden . Ohne eine Politik des
sozialen Ausgleichs, ohne soziale Programme, ohne bes-
sere Bildung und Jobs werden wir das Vertrauen in die
soziale Marktwirtschaft und eine faire globale Weltwirt-
schaft nicht zurückgewinnen .

Frankreich befindet sich in einer schwierigen wirt-
schaftlichen Lage . Geringes Wirtschaftswachstum, ein
steigendes Haushaltsdefizit und anhaltend hohe Arbeits-
losigkeit haben bei vielen Menschen nicht nur Zweifel an
der amtierenden Regierung ausgelöst, sondern das Ver-
trauen in die Demokratie insgesamt geschwächt .

Eine EU ohne Frankreich – das wäre für Deutsch-
land politisch, aber auch wirtschaftlich eine Katastro-
phe . Frankreich ist unser wichtigster Handelspartner, und
wirtschaftliche Kooperation ist mit Wachstum und Wohl-
stand in beiden Ländern verbunden .

Wenn der bayerische Finanzminister sofort allen fran-
zösischen Vorschlägen zur Reform der europäischen Fi-
nanzpolitik eine Absage erteilt, dann ist das nicht nur po-
litisch kleinkariert, sondern auch wirtschaftlich unsinnig .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Dr . Axel Troost [DIE LINKE] und Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Fast schon skurrile Züge nimmt das Ganze an, wenn so-
gar Vorschläge abgelehnt werden, die gar nicht auf dem
Tisch lagen .


(Joachim Poß [SPD]: Die gar keiner gemacht hat!)


Ich denke hier an Euro-Bonds, die Emmanuel Macron in
seinem gesamten Wahlkampf zu keinem Zeitpunkt ange-
sprochen hat .

Wir sind jetzt als wirtschaftlich starkes Land in Euro-
pa zum Handeln aufgefordert . Wir können und müssen
jetzt mit dem neuen französischen Präsidenten mehr tun .
Die alten Belehrungen aus den europäischen Spardebat-
ten sind hier sicherlich nicht hilfreich .

Jacques Delors hat einmal gesagt: „Niemand verliebt
sich in einen Binnenmarkt .“ Insofern brauchen wir eine
sozialpolitische Säule für Europa . Das ist jetzt notwen-
dig: gemeinsames Handeln und gemeinsame Politik .


(Beifall bei der SPD – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Übertragt ihr die Kompetenzen?)


Sicherlich müssen wir nicht allem zustimmen, was
der französische Präsident zur Diskussion stellt . Er weiß

selbst, dass er Vertrauen zurückgewinnen und vereinbar-
te Defizitziele einhalten muss. Und er weiß selbst, dass
er die Reformen in Frankreich nicht mit dem Geld der
deutschen Steuerzahler bewältigen kann . Aber klar ist
doch: Die EU braucht dringend Reformen . Wenn dazu
vernünftige Konzepte vorgelegt werden, sollten wir uns
ernsthaft damit auseinandersetzen .

Ein Euro-Zonen-Budget für mehr Investitionen in
soziale Mindeststandards in der EU, wie es Emmanuel
Macron vorgeschlagen hat, ist ein Ziel, über das es sich
nachzudenken lohnt . Bei solch einem Euro-Zonen-Bud-
get gäbe es sicherlich die Perspektive, es durchzusetzen –
vor allem dann, wenn wir dem europäischen Projekt
wieder Schwung verleihen wollen . Der Vorschlag eines
europäischen Finanzministers mit einem eigenen Budget
eröffnet die längst fällige Debatte über die Reform der
Euro-Zone .

Natürlich wissen wir: Emmanuel Macron wird nicht
immer ein leichter Partner für Deutschland sein . Das
war auch in den besten Tagen der deutsch-französi-
schen Beziehungen nicht anders . Aber wir müssen jetzt
ein Zeichen setzen und die Kritik aus Frankreich ernst
nehmen . Wenn es etwa um Risikokapital oder um den
Ausbau unserer digitalen Infrastruktur geht, haben wir in
unserem Land erheblichen Nachholbedarf . Auch mit den
Forderungen Macrons, den deutschen Leistungsbilanzü-
berschuss etwa durch höhere Löhne oder Investitionen
in unserem Land abzubauen, müssen wir uns ernsthaft
auseinandersetzen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Das wird aber auch Zeit!)


Ich bin zuversichtlich, dass wir mit unseren franzö-
sischen Freunden gemeinsame Lösungen für eine ge-
meinsame Zukunft finden und dementsprechend eine
wirtschaftlich und politisch starke EU bauen werden .
Insofern liegt es in unserem eigenen Interesse, dass
Emmanuel Macron als französischer Präsident erfolg-
reich ist . Inklusives Wachstum mit sozialer Gerechtigkeit
ist die Basis für wirtschaftlichen Erfolg .

Eine enge Zusammenarbeit mit Präsident Macron ist
nach dem Brexit eine große Chance für Europa . Schei-
terte Macron, gäbe es für Deutschland nach den nächsten
Wahlen in Frankreich im Jahr 2022 niemanden mehr, mit
dem wir mit erhobenem Zeigefinger belehren könnten.
Insofern freuen wir uns auf die gute Zusammenarbeit mit
den Franzosen und ihrem neuen Präsidenten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823409000

Das Wort hat der Kollege Volkmar Klein für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)



Volkmar Klein (CDU):
Rede ID: ID1823409100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Es wurden jetzt schon – ich glaube,
zu Recht – eine ganze Menge guter Erwartungen formu-
liert . Es ist ja auch in der Tat wohltuend, über Freund-
schaft zwischen Deutschland und Frankreich zu spre-
chen .


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, zwischen CDU und CSU!)


Mein Vater wäre begeistert, wenn er das hörte . Er hat
Ende der 30er-Jahre noch etwas ganz anderes in den
Schulbüchern gelesen .

Es ist wohltuend, von der Zusammenarbeit in Europa
zu hören, vom Willen zum Erfolg, im Übrigen auch vom
Willen zum gemeinsamen ökonomischen Erfolg . Denn
wie sollen wir Europäer, die wir prozentual in der Welt
immer weniger werden, unsere Wertvorstellungen, unse-
re Vorstellungen von Freiheit und Menschenrechten, als
Erfolgsrezept an die Welt weitergeben, wenn wir nicht
einmal selber erfolgreich sind? Für diese Freundschaft,
für diese Zusammenarbeit in Europa und für diesen Wil-
len zum Erfolg stehen Angela Merkel und jetzt auch der
französische Präsident Macron .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte das, was Macron gesagt hat, mit drei
Begriffen zusammenfassen: Er hat von Stabilität, von
Eigenverantwortung und von Wettbewerbsfähigkeit ge-
sprochen .

Stabilität: Er hat selbstkritisch – das ist auch ein Stück
weit berechtigt – angekündigt, das Defizit in Frankreich
zu reduzieren. Das Staatsdefizit ist ziemlich groß. Die
Gesamtverschuldung liegt bei 96 Prozent des Bruttoin-
landsprodukts . Gerade nach der Staatsschuldenkrise ist
es die richtige Erkenntnis, dass es nicht nur ethisch ge-
boten ist, die Staatsverschuldung zu begrenzen – denn
das ist gegenüber künftigen Generationen einfach nicht
in Ordnung –, sondern dass die Staatsverschuldung auch
eine Gefahr für die Stabilität darstellt . Pluspunkt für
Macron: Stabilität anstreben .

Eigenverantwortung: Eben wurde schon über Eu-
ro-Bonds gesprochen . Es gab unterschiedliche Signale
im Wahlkampf . Hier in Berlin hat der neue französische

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1823409200
Die Vergemeinschaftung von Schulden
führt zu einer „Politik der Verantwortungslosigkeit“ . –
Nix mit Euro-Bonds!


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagt denn der Staatssekretär? Können Sie das mal dem Staatssekretär erklären?)


Der Einzige, der immer noch Euro-Bonds haben will, ist
Martin Schulz .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Spahn!)


Ich zitiere Macron noch einmal: „Das führt zu einer Po-
litik der Verantwortungslosigkeit .“ Das wollen wir in

Deutschland nicht . Deswegen wollen wir auch keinen
Martin Schulz .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das Jens Spahn! Der Spahn müsste jetzt einmal sagen: Ich entschuldige mich für die Fake News! – Christian Petry [SPD]: Das ist eine echte Fake News!)


Kommen wir zum wichtigsten Punkt: der Wettbe-
werbsfähigkeit . Sie ist entscheidend für unsere Zukunft .


(Zuruf des Abg . Dr . Axel Troost [DIE LINKE] Macron hat eine ganze Menge angekündigt: Modernisierung des Staates, Senkung der Steuern usw . Ich glaube, dass Frankreich selber entscheiden muss, was die richtigen Strukturreformen für Frankreich sind . Wir müssen das für Deutschland auch selber entscheiden . Die Wettbewerbsfähigkeit wird einerseits durch die Umsetzung der notwendigen Reformen und andererseits durch Investitionen gestärkt . Dazu gibt es jetzt alle möglichen Vorschläge . Das hört sich fast so an, als ob die Sachlage gar nicht überall registriert wird . Vielleicht hat man die aktuellen Meldungen der Europäischen Investitionsbank übersehen, die mitgeteilt hat: Die seit 2015 zur Verfügung gestellten 4,4 Milliarden Euro aus dem EFSI, aus dem Europäischen Fond für Strategische Investitionen, haben in Frankreich über 22 Milliarden Euro an Investitionen mobilisiert . Natürlich investiert EFSI viel mehr in Frankreich als in Deutschland . (Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum haben Sie da nicht eingezahlt?)


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist ein Teil europäischer Solidarität . Das ist auch
richtig so . Das müssen wir weiter stärken .


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann zahlen Sie doch ein!)


Lasst uns doch überhaupt einmal registrieren, welch gute
Instrumente wir haben, und nicht nur darüber philoso-
phieren, was wir noch brauchen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Petry [SPD]: Das hängt doch an Projekten! Informieren Sie sich über die Modalitäten, und reden Sie nicht so einen Unsinn!)


Ich will abschließend sagen: Mich freut, dass über die
Stärkung von Wettbewerbsfähigkeit gesprochen wird,
auch in Frankreich . Das war bei Lagarde früher in Frank-
reich und selbst heute beim IWF zeitweise anders . Früher
wurde darüber philosophiert, man müsse für eine nivel-
lierte Wettbewerbsfähigkeit in Europa sorgen . Das wäre
vielleicht eine gute ökonomische Idee, wenn Europa ein
Closed Shop wäre, und dann, wenn Deutschland nicht
mehr liefern würde, eben Portugal oder Frankreich lie-
fern würden . Europa ist aber kein Closed Shop . Wenn
Deutschland nicht mehr liefert, liefern Indien oder China .


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)


Deswegen ist die einzige Lösung: Alle Staaten in Europa
müssen für bessere Wettbewerbsfähigkeit sorgen . Das ist
offensichtlich der Plan des neuen französischen Präsi-
denten .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823409300

Kollege Klein .


Volkmar Klein (CDU):
Rede ID: ID1823409400

Er kann sich in der Atmosphäre und in der Tradition

der deutsch-französischen Freundschaft darauf verlas-
sen, dass wir ihn dabei unterstützen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Petry [SPD]: Mein Gott, war das schlimm! – Gegenruf des Abg . Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist euer Koalitionspartner! – Gegenruf des Abg . Christian Petry [SPD]: Leider!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823409500

Das Wort hat der Kollege Alexander Radwan für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1823409600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Anlass für diese Aktuelle Stunde ist der Besuch
des Präsidenten Frankreichs bei unserer Kanzlerin in Ber-
lin . Dieser Besuch ist ein eindeutiges Zeichen Macrons,
dass er den Schulterschluss mit Deutschland sucht und
wo er die Zukunft Europas sieht: bei Deutschland und bei
der Kanzlerin Merkel .


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und er war nicht in München!)


– Er wird schon noch kommen . Keine Angst!


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn das Ihr Hauptproblem ist; das werden wir lösen
können .

Nach den Wahlen in Frankreich und den Niederlan-
den gab es ein Durchatmen . Man war froh, dass Le Pen
und Wilders nicht erfolgreich waren . In diesem Jahr wer-
den wir voraussichtlich auch noch Wahlen in Österreich
haben, und dann werden wir auf die FPÖ schauen . Alle
sagen: Es ist wichtig, dass es kein Weiter-so mit der na-
tionalistischen Bewegung gibt . Das ist richtig; aber wir
müssen uns genau anschauen, wie es zu dieser Bewegung
kam . Sicherlich sind die Gründe für das Wählerverhalten
in Frankreich andere als die für das Wählerverhalten bei
der Abstimmung über den Brexit in Großbritannien . Die
Vorschläge, die ich heute gehört habe, hätten nicht dazu
geführt, dass die Briten in der Europäischen Union ge-
blieben wären .

An dieser Stelle möchte ich betonen: Ich bin froh, dass
wir diese Kanzlerin haben; denn wir müssen beim Bre-

xit in der Sache konsequent mit den Briten verhandeln .
Aber die Reaktionen auf den Brexit gefielen mir nicht.
Mir gefiel nicht, wie man mit dem britischen Volk um-
gegangen ist . Dieses Beleidigtsein nach dem Motto: „Ihr
habt Europa nicht verstanden, sonst hättet ihr anders ab-
gestimmt“, ist der falsche Weg . Wir müssen das, was die
Völker bewegt, ernst nehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es gibt den klassischen Reflex: Um Europa zu retten,
müssen wir es vertiefen . Wir brauchen mehr Europa, und
wir brauchen mehr Geld in Europa; dann wird das schon
hinhauen .

Erstens . Positiv ist, dass Macron erklärt hat – darüber
wurde heute viel zu wenig gesprochen –, dass Frankreich
zunächst einmal seine Hausaufgaben machen muss . Er
hat sein Kabinett vorgestellt . Angesichts einiger Kabi-
nettsmitglieder bin ich hoffnungsfroh, dass sie die Refor-
men angehen werden . Dort will man eine Agenda 2010
angehen, während einige in Deutschland sie abschaffen
wollen . Da bin ich bei Macron: Wir brauchen die Agen-
da 2010 .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, das Verhalten der Linken
finde ich hochgradig heuchlerisch. Es ist ja nicht nur so,
dass die Linke Macron nicht unterstützt hat . Macron geht
mit diesem Programm jetzt in eine nationale Wahl, und
er braucht Mehrheiten, um die Reformen umsetzen zu
können . Ich habe heute viele Wortbeiträge gehört, in de-
nen durchklang, dass es einem am liebsten wäre, wenn er
bei der nationalen Wahl scheitern würde . Und dann über
Le Pen zu lamentieren, ist unmöglich .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Herr Kollege Troost, Macron muss in Frankreich erfolg-
reich sein – das haben Sie selbst besagt –; denn sonst
kommt Le Pen wieder . Also unterstützen Sie ihn und sein
Vorhaben, und tun Sie nicht so, als wenn es das Beste
wäre, wenn er scheitert .


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Dann haben Sie nicht richtig zugehört!)


Dann würden Sie sich wieder hierhinstellen und sagen:
Um Gottes willen, jetzt kommt Le Pen . – Macron hat das
Richtige auf den Tisch gelegt . Wir sollten ihn von deut-
scher Seite unterstützen und nicht bereits vor den Wahlen
bekämpfen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie geben denjenigen Rückenwind, die gegen Macron
arbeiten .


(Dr . Axel Troost [DIE LINKE]: Gut, dass Sie keine Zwischenmeldung zulassen!)


– Ich würde vor Furcht erstarren .

Zweitens . Hier ist völlig untergegangen, dass
Wolfgang Schäuble bereits mehrmals erklärt hat, dass
von europäischer Seite nationale Anstrengungen unter-
stützt werden . Wolfgang Schäuble steht dafür ein, dass

Volkmar Klein






(A) (C)



(B) (D)


diejenigen, die Reformen durchführen, mit der Solidari-
tät Europas rechnen können .


(Beifall bei der CDU/CSU – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das stimmt so nicht!)


Drittens . Wenn wir über Strukturveränderungen der
EU reden, sollten wir uns das anschauen, was realistisch
ist . Ein europäischer Finanzminister wäre für manche
schön, ist aber Träumerei . Ein europäischer Haushalt?
Ich wäre ja schon froh gewesen, wenn sich Rot-Grün an
die europäischen Regeln gehalten und nicht den Stabili-
täts- und Wachstumspakt gebrochen hätte und durchge-
setzt hätte, dass er keine Anwendung findet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Historische Vergleiche!)


Den Weg, den Wolfgang Schäuble hinsichtlich der Refor-
men im ESM geht, halte ich für richtig . Ich halte es für
richtig, dass der ESM zukünftig verstärkt darauf schauen
soll, dass die europäischen Regeln eingehalten werden
und die politische Unabhängigkeit in Europa wieder ver-
stärkt Einzug hält; denn hier gab es zuletzt Fehlentwick-
lungen .

Ich halte die deutsch-französische Freundschaft gera-
de in der jetzigen Phase, in der die Interessen in Europa
so unterschiedlich verteilt sind, für wichtig . Wir haben
auf der einen Seite Italien, Griechenland und Portugal
und auf der anderen Seite die baltischen Staaten und die
Finnen, die diesen Weg mitgehen müssen . Das müssen
wir zusammenführen .

Lassen Sie mich eines sagen: Wir müssen Nationalis-
mus und antieuropäische Strömungen nicht nur in einem
Staat bekämpfen, sondern in allen Staaten . Daher kann
man nicht eine Politik machen, die Proeuropäern den
Rückenwind nimmt; denn damit bewirkt man gleichzei-
tig erheblichen Rückenwind für Antieuropäer . Ihre Vor-
schläge sind völlig ungeeignet . Sie würden den Nationa-
lismus in anderen Staaten in Europa massiv vorantreiben .

Besten Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823409700

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur weiteren Verbesserung des Hoch-
wasserschutzes und zur Vereinfachung von

(Hochwasserschutzgesetz II)


Drucksache 18/10879

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit (16 . Ausschuss)


Drucksache 18/12404

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung

Bundesprogramm „Blaues Band Deutsch-
land“

Drucksachen 18/11099, 18/11225 Nr. 5,
18/12204

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Das Wort hat die Bundesministerin für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Dr . Barbara
Hendricks .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Hochwasser sind Ereignisse, vor denen es, wie wir
alle wissen, keinen absoluten Schutz gibt . Leider können
wir Hochwasser nicht per Gesetz verbieten oder sie auch
nur langfristig vorhersehen . Das haben wir in Deutsch-
land zuletzt bei den Hochwassern an Elbe und Donau im
Juni 2013 erleben müssen, die zu immensen Schäden ge-
führt haben . Auch die Starkregenereignisse im Mai und
Juni des vergangenen Jahres, bei denen es auch Todesfäl-
le zu beklagen gab, sind uns allen noch in schmerzhafter
Erinnerung . Die Schäden an privaten Einrichtungen, aber
auch an öffentlichen Infrastruktureinrichtungen wie zum
Beispiel Bundesautobahnen beliefen sich auf über 8 Mil-
liarden Euro . Das sollten wir auch in vorübergehenden
Zeiten des Niedrigwassers nicht vergessen .

Leider bestehen keine Zweifel an der Tatsache, dass
sich die Hochwasser in den letzten Jahren häufen . Was
wir tun können und müssen, ist, uns gegen Hochwasser
zu wappnen . Wir haben deshalb das Nationale Hoch-
wasserschutzprogramm auf den Weg gebracht, das der
Bund zu einem erheblichen Anteil finanziert. Wir haben
darüber hinaus überprüft, ob das bestehende rechtliche
Instrumentarium ausreicht . Dies haben wir mit großer
Sorgfalt und nach umfassender Diskussion mit den Län-
dern getan . Ziel ist es, die Schäden in künftigen Fällen so
gering wie möglich zu halten . Wir schließen nun mit dem
sogenannten Hochwasserschutzgesetz II weitere rechtli-
che Lücken .

Lassen Sie mich die zentralen Punkte des Gesetzent-
wurfs nennen .

Erstens . Wir wollen eine stärkere Vorsorge durch
hochwasserangepasstes Bauen in Überschwemmungsge-
bieten erreichen . Wir wollen aber kein Bauverbot, wie
es die Mehrheit im Bundesrat will . In Zeiten knappen
Wohnraums können wir unseren Kommunen solche Ein-
schränkungen nicht zumuten . Sie müssen zumindest die
Chance auf Entwicklung behalten . Wir wollen aber, dass
Belange des Hochwasserschutzes gerichtlich von den
Betroffenen eingefordert werden können .

Alexander Radwan






(A) (C)



(B) (D)


Zweitens . Wir wollen, dass auch in Risikogebieten
und nicht nur in festgesetzten Überschwemmungsgebie-
ten die private Hochwasservorsorge stärker Berücksich-
tigung findet. Risikogebiete sind übrigens bereits jetzt
nach EU-Recht auszuweisen . Aber Gefahrenkarten nüt-
zen natürlich nichts, wenn daraus keine Konsequenzen
gezogen werden . 2013 ist es gerade in solchen Gebieten
zu erheblichen Schäden gekommen, die in vielen Fällen
durch Steuermittel ausgeglichen werden mussten . Das
müssen wir für die Zukunft verhindern .

Drittens . In Zeiten des voranschreitenden Klimawan-
dels, in denen auch großzügig bemessene Hochwasser-
schutzanlagen versagen können, ist es wichtig, Anpas-
sungsmaßnahmen durchzusetzen . Solche Maßnahmen
können zum Beispiel sein: Energieverteilungs-, Gas-
versorgungs- oder Klimaanlagen in nicht hochwasser-
gefährdete Gebäudebereiche innerhalb der Gebäude zu
versetzen, die Installation von Abschaltmöglichkeiten,
Rückstausicherungen, der Schutz der Leitungen gegen
Auftrieb und Korrosion und der Schutz von Außenanla-
gen gegen drückendes Wasser . Dabei werden im Übrigen
keine unerfüllbaren Anforderungen gestellt .

Wir wollen außerdem ein Verbot von neuen Ölhei-
zungsanlagen und die Nachrüstung bestehender Anlagen
innerhalb angemessener Fristen in hochwassergefährde-
ten Gebieten . Wer gerade über eine neue Heizung nach-
denkt, muss wissen, dass Ölheizungen im schlimmsten
Fall mit hohen Folgekosten verbunden sein werden . Da-
rüber hinaus wollen wir die Verfahren beschleunigen,
mittels derer Hochwasserschutzeinrichtungen geschaffen
werden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wichtig ist mir zu-
letzt auch, dass wir alles Notwendige tun, um der Ent-
stehung von Hochwasser entgegenzuwirken . Natürlich
können wir kurzfristigen Starkregen oder wochenlange
Regenfälle nicht verhindern . Dennoch gibt es Bereiche,
wo wir mehr machen können . Wir geben den Gemeinden
mehr Möglichkeiten, Retentions- und Versickerungsflä-
chen auszuweisen und Anforderungen an das hochwas-
serangepasste Bauen zu stellen . Zudem wollen wir, dass
in bestimmten eng begrenzten Bereichen Hochwasser-
entstehungsgebiete ausgewiesen werden . In diesen Ge-
bieten können dann bestimmte Tätigkeiten wie etwa der
Umbruch von Wiesen zu Ackerflächen untersagt werden.
Natürlich ist das nur angemessen, wenn die örtliche hy-
drologische und topografische Situation das erfordert.
Die Ausweisung solcher Gebiete ist nur ein Mittel unter
vielen, um zu verhindern, dass Bäche oder Rinnsale zu
reißenden Strömen werden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Gesetzgebungs-
verfahren haben die Koalitionsfraktionen im Einver-
nehmen mit der Bundesregierung eine Reihe von Än-
derungsvorschlägen aufgenommen zum Ausgleich von
Retentionsflächen und zu Anforderungen an Stauanlagen.
Außerdem besteht für die Länder keine Pflicht, sondern
lediglich eine Option zur Ausweisung von Hochwasser-
entstehungsgebieten . Auch bei der Einführung von Vor-
kaufsrechten haben die Länder einen weiten Spielraum .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Gesetzent-
wurf ist die richtige Antwort auf die Hochwasser . Ich bit-
te Sie daher herzlich um Ihre Zustimmung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie mich zum Schluss noch kurz auf das
„Blaue Band“ eingehen, mit dem wir die Renaturierung
von Fließgewässern und Auen fördern . Uns erreichen
vielfältige Anregungen und Projektvorschläge von Län-
dern, von Gemeinden und von Initiativen vor Ort . Wir
wollen mit dem Bundesprogramm eine umfassende Re-
naturierungsinitiative starten und damit auch Synergien
in den Bereichen Gewässerschutz, Hochwasservorsorge,
Freizeit, Erholung und regionale Entwicklung ermögli-
chen . Das Ziel ist der Aufbau eines Biotopverbundes von
nationaler Bedeutung .

Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die
Renaturierung unserer Bundeswasserstraßen ist eine
Generationenaufgabe . Was über viele Jahrzehnte ausge-
baut wurde, kann nicht in wenigen Jahren zurückgeführt
werden . Deshalb hat sich die Bundesregierung für die
Umsetzung des Programms einen Zeithorizont bis 2050
gesetzt . Sie sehen, wir denken durchaus in langen Linien .
Vor allem aber haben wir in dieser Legislaturperiode mit
der Umsetzung begonnen und die entscheidenden Wei-
chen gestellt . Das erfüllt mich schon ein wenig mit Stolz
und Dankbarkeit gegenüber allen, die dabei mitgeholfen
haben . Ich bedanke mich sehr beim Kollegen Alexander
Dobrindt . Seine Wasser- und Schifffahrtsverwaltung wird
zukünftig ein völlig neues Aufgabenfeld haben: befesti-
gen, wo es nötig ist, und entfestigen, wo es möglich ist .

Mir ist bereits von vielen Menschen vor Ort Begeis-
terung über das „Blaue Band“ entgegengebracht worden .
Wir werden so schnell wie möglich mit der Erarbeitung
von Entwicklungskonzepten an den Nebenwasserstraßen
beginnen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823409800

Das Wort hat der Kollege Dr . André Hahn für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. André Hahn (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823409900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Durch die von mir betreuten Landkreise Sächsische
Schweiz-Osterzgebirge und Meißen zieht sich ein blaues
Band: die Oberelbe – wie ich finde, eine der schönsten
Regionen in Deutschland . Allerdings sind Hochwasser
in diesem Bereich der Elbe keine Seltenheit . Besonders
verheerend waren das Winterhochwasser von 1845 und
die sogenannte Jahrhundertflut im August 2002. Damals,
2002, verloren zigtausend Menschen ihren Besitz . Viele
von ihnen hatten nicht einmal eine Versicherung gegen
die Schäden . Das ist im Übrigen bis heute ein Problem .

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks






(A) (C)



(B) (D)


2006, 2010 und 2013 gab es erneut starke Hochwasser
an der Elbe . Die Abstände werden hier und in anderen
Regionen, wie in Bayern und am Rhein, immer kürzer .

Die zunehmend extremen Wetterlagen haben unbe-
streitbar etwas mit dem Klimawandel zu tun . Das ist aber
nur eine von mehreren Ursachen für die Entstehung von
Hochwasser . Hinzu kommen eine starke landwirtschaftli-
che Nutzung und eine zunehmende Flächenversiegelung
in den Städten und Gemeinden an den Nebenflüssen. Da-
durch wird weniger Wasser vom Boden aufgenommen .
Außerdem wurden viele Deiche sehr nah am Fluss er-
richtet. Ein Abfließen des Wassers in ursprüngliche Ge-
wässerauen ist dadurch häufig nicht mehr möglich.

Innerhalb Deutschlands müssen sich zehn Bundeslän-
der auf gemeinsame Maßnahmen einigen . Am 10 . No-
vember 2006 unterschrieben diese zusammen mit dem
Bund Maßnahmen gegen Hochwasser . Sie planten unter
anderem, weitere Retentionsräume einzurichten, aber
auch Bebauungsverbote und Überschwemmungsgebiete
festzusetzen .

Dieses Ziel unterstützen wir, sofern es sich auf das
gesamte Einzugsgebiet der Elbe bezieht . Warum ma-
che ich diese Anmerkung? Anfang Juni 2014 teilte der
sächsische Staatssekretär Jaeckel auf einer öffentlichen
Veranstaltung zum Hochwasserschutz in Bad Schandau
mit, dass das angestrebte Schutzziel bei Hochwasser
im Oberen Elbtal nicht erreichbar sei und jeder Bürger
in Flussnähe Eigenvorsorge zu treffen habe . Das ist für
mich nicht akzeptabel . Auch das Obere Elbtal braucht
einen wirksamen Hochwasserschutz . Der internationale
Hochwasserrisikomanagementplan für die Elbe muss ab
Schmilka, ab der Grenze, und nicht erst ab kurz vor Dres-
den gelten .


(Beifall bei der LINKEN)


Heute stimmen wir über einen Gesetzentwurf der Bun-
desregierung ab, zu dessen Zielen es gehört, für den Bau
von Hochwasserschutzanlagen die Möglichkeiten für
beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren
auszuschöpfen . Daneben soll es für diese Gebiete Neure-
gelungen für ein hochwasserangepasstes Bauen und ein
Verbot neuer Heizölverbrauchsanlagen geben . Mit dem
Gesetz soll das Nationale Hochwasserschutzprogramm
in Höhe von circa 5,5 Milliarden Euro flankiert werden.

Die Umsetzung ist aus unserer Sicht jedoch unzurei-
chend . Wir meinen, die Flüsse brauchen mehr Raum .
Durch die Bodennutzung muss die Wasseraufnahme des
Bodens so weit wie möglich gewährleistet werden . Für
die Linke heißt das Zauberwort deshalb „Hochwasser-
vorsorge“ . Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ver-
fehlt dieses Ziel leider .

Für mich sind die zu erwartenden Auswirkungen auf
den Städtebau sehr problematisch . In der Anhörung im
Umweltausschuss wurde darauf hingewiesen, dass Ri-
sikogebiete nicht hinreichend abgegrenzt seien, was
hinsichtlich der Restriktionen für Bauleitplanung und
Bauweise zu großen Schwierigkeiten führen kann . Auch
müssen die Lasten gerecht verteilt werden . Laut Gesetz-
entwurf der Bundesregierung kommen auf die Bürgerin-
nen und Bürger über 1 Milliarde Euro zu, auf die Wirt-

schaft knapp 22 Millionen Euro, auf die Verwaltungen in
den Ländern nicht einmal 3 Millionen Euro, und für den
Bund entsteht gar kein Erfüllungsaufwand .

Bei dem Gesetzentwurf, der auf der Zielgeraden noch
nachgebessert wurde, und beim Entschließungsantrag
der Koalition wird sich die Linke der Stimme enthalten .

Neben dem Gesetzentwurf liegt heute – auch die Mi-
nisterin hat darauf hingewiesen – auch das Bundespro-
gramm „Blaues Band Deutschland“ zur Abstimmung
vor . Mit diesem Programm soll verstärkt in die Rena-
turierung von Bundeswasserstraßen investiert werden .
Daneben sollen neue Akzente in Richtung Natur- und
Gewässerschutz, Hochwasservorsorge sowie Wasser-
tourismus, Freizeitsport und Erholung gesetzt werden .
Dieses Bundesprogramm wird auch seitens der Linken
positiv bewertet .

Dem Entschließungsantrag der Koalition können wir
dennoch nicht zustimmen . Wir haben im Ausschuss sechs
konkrete Kritikpunkte benannt . Aufgrund der geringen
Redezeit kann ich hier heute nur einen herausgreifen .

Es ist essenziell für die Wirkung des Programms, dass
andere Vorhaben der Bundesregierung dem damit ver-
bundenen Ziel nicht entgegenwirken . Wir sagen hier: Die
geplante Weser- und Elbvertiefung ist definitiv kontra-
produktiv und daher abzulehnen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gilt jetzt also, die Ziele aus diesem Programm ge-
meinsam mit den Ländern und Kommunen, den Bürge-
rinnen und Bürgern sowie der Wirtschaft durch konkrete
Maßnahmen umzusetzen . Dies wird – so ist zumindest
meine Hoffnung – auch dem Nationalpark Sächsische
Schweiz, den Bewohnern der Region und ihren Gästen
zugutekommen – und dies nicht nur heute, sondern hof-
fentlich auch in der nahen und fernen Zukunft .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823410000

Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege Ulrich

Petzold für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulrich Petzold (CDU):
Rede ID: ID1823410100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als ich vor 15 Jahren die Berichterstattung meiner Frak-
tion zum Hochwasserschutzgesetz übernahm, habe ich
mir nicht träumen lassen, dass dieses Thema auch meine
wahrscheinlich letzte Rede betreffen würde, die ich heute
hier im Deutschen Bundestag halten werde .

Erlauben Sie mir, nicht über die Hochwässer von 2002
und 2013 zu sprechen oder über die vielen Dinge, die wir
schon gemacht haben . Bund und Länder gemeinsam sind
beim technischen Hochwasserschutz in den letzten Jah-
ren ein großes Stück vorangekommen . Wir haben mittels
eines Sonderrahmenplans „Präventiver Hochwasser-

Dr. André Hahn






(A) (C)



(B) (D)


schutz“ viel an Deichen, Poldern und Retentionsflächen
getan . Das ist unbestreitbar .

Doch es lassen sich bei allen Anstrengungen auch
künftig nicht alle Schäden vor und hinter dem Deich ver-
hindern, sodass mittels vorbeugender Maßnahmen mög-
liche Schäden an baulichen Einrichtungen unserer Bür-
ger, an Gebäuden der Wirtschaft und der Öffentlichkeit,
wenn irgend geht, verhindert oder wesentlich gemindert
werden müssen . Das ist der Ansatz des Hochwasser-
schutzgesetzes II, das auch die Umsetzung eines Vorha-
bens aus dem Koalitionsvertrag und die Umsetzung der
EU-Hochwasserschutz-Richtlinie in nationales Recht
bedeutet .

Leider fanden sich an einigen Stellen im von der Bun-
desregierung vorgelegten Gesetzentwurf Regelungen,
die die zugrundeliegende EU-Richtlinie sehr restriktiv
interpretierten und Auflagen für die Bürgerinnen und
Bürger sehr hoch ansetzten und uns zu intensiven Bera-
tungen in der Berichterstatterrunde und auch mit Ihnen,
sehr verehrter Herr Staatssekretär, veranlasst haben, die
aber sehr positiv verlaufen sind .

Unsere Überlegungen haben natürlich immer das Ziel,
den Hochwasserschutz so effektiv wie möglich zu ma-
chen, aber zugleich auch Belastungen, zum Beispiel für
den Wohnungsbau – darüber haben wir heute mehrfach
beraten –, angemessen zu gestalten . Hochwasserange-
passtes Bauen darf in Risikogebieten den Wohnungsbau
nicht mehr als unbedingt notwendig verteuern, da Bal-
lungszentren dort, wo wir den Wohnungsbau am drin-
gendsten benötigen, sehr oft in Risikogebieten liegen .

In unseren fachlichen Überlegungen haben wir uns zu
Bauplanungen in festgesetzten Überschwemmungsge-
bieten zum Beispiel gefragt: Kann der Hochwasserschutz
wirklich nicht gegen Erweiterungswünsche im Baube-
reich „weggewogen“ werden? Das ist eine gefährliche
Sache; darin sind wir uns durchaus einig . Ist die Privile-
gierung von Infrastrukturmaßnahmen wirklich in diesem
Umfang geboten? Muss nicht noch mehr auf Anpassung
an Hochwassererfordernisse geachtet werden?

Wie dem gemeinsamen Änderungsantrag der Koaliti-
onsfraktionen zu entnehmen ist, haben wir unter anderem
folgende Änderungen in den gemeinsamen Beratungen
auch mit unseren Mitberichterstattern von der Opposi-
tion erreicht: Die Definition eines Risikogebietes wird
durch die Klarstellung konkretisiert, dass es sich im We-
sentlichen um Gebiete handelt, in denen statistisch alle
200 Jahre mit einer Überflutung durch ein Hochwasser,
also dem HQ 200, zu rechnen ist . Wir alle wissen, was
Extremhochwasser – eben wurde es von dem Kollegen
der Linken angedeutet – für Probleme bereiten kann .

In Risikogebieten wird von der Pflicht zur hochwasser-
angepassten Bauweise aller baulichen Anlagen auf eine
Sollvorschrift abgerüstet . Bei den Bauvorschriften sollen
auch mögliche Schäden berücksichtigt werden . Auch
hier haben wir uns sehr stark eingebracht .

Das Verbot der Errichtung von Heizölverbrauchsan-
lagen in Risikogebieten wird nur dann aufrechterhalten,
wenn andere weniger wassergefährdende Energieträger
zu wirtschaftlich vertretbaren Kosten zur Verfügung ste-

hen oder die Anlagen nicht hochwassersicher errichtet
werden können . Der Bauherr hat den Einbau anzuzeigen,
und die Behörde kann innerhalb einer vorgesehenen Frist
entscheiden . Das ist eine wirklich vernünftige Anpas-
sung an unsere Lebenswirklichkeiten .

Von der Untersagung von Maßnahmen in festgesetz-
ten Überschwemmungsgebieten werden Maßnahmen zur
Beseitigung von Pflanzenwuchs und Anlandungen, die
den Wasserzufluss oder den Wasserabfluss in Retentions-
räumen behindern, explizit ausgenommen . Damit folgen
wir einer Petition der Bürger aus Riesa, die uns nachge-
wiesen haben, dass beim Hochwasser 2013 trotz eines
deutlich geringeren Wasserabflusses als 2002 das Wasser
genauso hoch an den Deichen stand wie 2002, bedingt
durch Auflandung und Verbuschung.

Beim Vorkaufsrecht und den Festlegungen zu Hoch-
wasserentstehungsgebieten kommen wir den Anregun-
gen der Länder entgegen .

Wir haben auch Klarstellungen im Gesetz . Die Ein-
schränkung in Risikogebieten, zum Beispiel bei der Auf-
stellung von Bauleitplänen im Außenbereich, darf kei-
nem Bauverbot gleichkommen . Für bauliche Anlagen in
Risikogebieten, die aus technischen Gründen nicht hoch-
wasserangepasst errichtet werden können, gilt das Erfor-
dernis der hochwasserangepassten Bauweise nicht . Das
gilt zum Beispiel für Fahrsilos in der Landwirtschaft .

Bei den Anforderungen an das hochwasserangepasste
Bauen ist die Lage des Grundstückes zwingend zu be-
rücksichtigen . Auch das war eine Folge unserer Beratun-
gen .

Nach meiner Einschätzung ist es dringend gebo-
ten, dass die Hochwasserkarten der Länder periodisch
auf ihre Aktualität überprüft werden . Sicherlich kann
der Bund hierbei helfen . Deshalb fordern wir in unse-
rer Entschließung, dass die Bundesregierung die Bund/
Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser und gegebenenfalls
betroffene Landesbehörden bei der kontinuierlichen Ak-
tualisierung der Gefahren- und Risikokarten nach der
Hochwasserrisikomanagement-Richtlinie in allen Belan-
gen unterstützt . Wenn grundstücksgenau ausdifferenziert
wird und das aktuelle Kartenmaterial jedem zugänglich
ist, ist private und behördliche Planungssicherheit beim
Hochwasserschutz problemlos möglich .

Frau Bundesministerin, Sie haben eben von den ho-
hen Folgekosten bei der Umrüstung von Heizölanlagen
in moderne Heizungsanlagen, die auch – so wollen wir
es – ökologisch wirksam sind, gesprochen . Bitte helfen
Sie uns, dass wir gerade Familien, die davon sehr stark
betroffen sind, in Zukunft auch helfen können . Ich glau-
be, das ist uns allen, die wir an den Beratungen teilge-
nommen haben, ein wichtiges Anliegen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten
Damen und Herren, es ist meine letzte Rede, und ich darf
noch ein paar persönliche Worte an Sie richten .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823410200

Sie dürfen .

Ulrich Petzold






(A) (C)



(B) (D)



Ulrich Petzold (CDU):
Rede ID: ID1823410300

Ich glaube, auch diese Beratung zum Hochwasser-

schutzgesetz hat gezeigt, dass wir uns auch bei schwieri-
ger Materie zusammenraufen können, dass wir zwar viel-
leicht keine einheitliche Meinung erzeugen können, aber
uns untereinander verstehen . Dieses Verständnis war für
mich in den vergangenen Jahren immer sehr, sehr wich-
tig, hat mir geholfen und wird manchmal von der Öf-
fentlichkeit gar nicht so wahrgenommen . Die Menschen
hören uns hier nur streiten . Dass wir aber miteinander
sprechen und miteinander etwas erreichen, müssen wir
den Menschen vielleicht auch öfter einmal sagen . Das
würde ich Ihnen wünschen .

Herzlichen Dank Ihnen allen für die gute Zusammen-
arbeit!


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823410400

Vielen Dank, Herr Kollege Petzold . Das war heute

nicht nur Ihre letzte Rede in diesem Haus, sondern wir
werden, wie wir wissen, auch zu einem guten Abschluss
kommen . Das ist auch der Erfolg .

Als Nächstes hat jetzt der Kollege Peter Meiwald für
Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823410500

Werte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kol-

legen! Das kann ich ganz unbedingt so zurückgeben,
Kollege Petzold: Vielen Dank für die faire Zusammenar-
beit in diesem Bereich!

Ziel des Gesetzes, über das wir heute entscheiden, ist,
die Verfahren für die Planung, Genehmigung und den
Bau von Hochwasserschutzanlagen zu erleichtern und
zu beschleunigen, ohne die Beteiligung der Öffentlich-
keit zu beschneiden, und vor allem die Entstehung von
Hochwasser einzudämmen . Dagegen kann man eigent-
lich nichts haben; das ist klar . Deshalb eint uns auch das
Interesse, dass wir in diesem Bereich vorankommen wol-
len und müssen .

Deswegen begrüßen wir auch grundsätzlich die Ziel-
richtung des Gesetzentwurfs . Aber – das ist schon von
allen anderen angesprochen worden – die Anhörung,
die wir im Umweltausschuss durchgeführt haben, hat
gezeigt: Es gibt viele Haken und Ösen . Ich verstehe das
bei einem Gesetzentwurf der Großen Koalition, die sich
letztendlich einigen muss . Für uns sind aber dabei Din-
ge auf der Strecke geblieben, was es uns nicht möglich
macht, dem Gesetzentwurf zuzustimmen, auch wenn da-
rin einiges enthalten ist, das richtig ist .

Dies sage ich vorweg, weil es sonst wieder so klingt,
als ob wir uns nur streiten würden . In der Tat: Es hat sich
noch einiges geändert . Sie haben durch die Änderungs-
anträge an einigen Stellen nachgebessert . Das sehen wir
auch .

Aber es bleiben insbesondere zwei Dinge, die für uns
ein großes Problem darstellen .

Einmal geht es darum, dass die Bauleitpläne im In-
nenbereich weiterhin im Rahmen einer zusätzlichen
Abwägung ermöglicht werden . Das heißt, wir können
weiterhin das Hochwasserrisiko in der Planung – insbe-
sondere auch bei der Planung für Infrastrukturvorhaben –
wegwägen . Bei Infrastrukturvorhaben handelt es sich um
großvolumige Bauwerke, wo es darum geht, dass am
Ende auch Retentionsflächen verlorengehen. Das ist in
Bezug auf die heutige Gesetzeslage kein Fortschritt . Es
führt dazu, dass die Unterlieger am Ende des Tages die
Geschichte wieder ausbaden müssen . Wir hätten uns ge-
wünscht, dass hier insbesondere die Privilegierung der
Infrastrukturvorhaben herausgenommen worden wäre .
Es wäre wünschenswert gewesen, bei den Infrastruk-
turvorhaben – gerade bei den Verkehrsinfrastrukturvor-
haben – zwingend Ausgleichsmaßnahmen für verloren-
gegangene Retentionsflächen vorzusehen. Das klingt
vielleicht ein bisschen so, als wenn wir uns eigentlich
einig sind, es aber noch so ein paar Nerd-Geschichten
gibt, an denen man immer herumkritisieren kann . Hierbei
handelt es sich aber insbesondere für die Menschen am
Unterlauf der Gewässer um ein sehr zentrales Thema .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das zweite Problem haben Sie selbst angesprochen .
Dabei handelt es sich um die Ölheizungen . Ölheizungen
stellen im Überschwemmungsfall eine außerordentliche
Gefährdung der Umwelt dar . Deswegen müssen wir so
schnell es geht Ölheizungen austauschen und durch we-
niger gefährliche Heizungssysteme ersetzen . Wir hätten
uns da gewünscht – Sie haben es gerade angesprochen –,
dass man nicht Ausnahmen schafft für diejenigen, für die
es wirtschaftlich schwierig ist, sondern ein Förderpro-
gramm angeboten hätte, um den Austausch der Anlagen
möglich zu machen . Da bleibt dieses Gesetz leider hinter
dem Anspruch zurück . Deswegen können wir auch da
nicht mitgehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie hätten sich dabei durchaus die Position des Bun-
desrates zu eigen machen können . Dieser hatte gefordert,
zum Ausgleich der besonderen Belastung eine Unter-
stützung von staatlicher Seite zu gewähren und entspre-
chende Fördermöglichkeiten zu schaffen . Es ist schwer
verständlich, warum sich diese Bundesregierung bei der
gegenwärtigen Haushaltslage dieser Forderung des Bun-
desrates verweigert . Das hätte, glaube ich, allen die Zu-
stimmung zum Gesetz deutlich einfacher gemacht .

Sie nehmen hier ein unverantwortlich hohes Umwelt-
risiko in Kauf und suggerieren gleichzeitig – auch das
haben Sie angesprochen; das ist auch klimapolitisch be-
denklich –, dass es mit den Ölheizungen eigentlich noch
eine Zeit lang so weitergehen kann . Nein, wir müssen aus
dieser Technologie aus dem letzten Jahrhundert ausstei-
gen, gerade in Überschwemmungs- und Hochwasserge-
bieten .

Trotz deutlicher Hinweise in der Anhörung im Um-
weltausschuss haben Sie nicht das Paradoxon aufgelöst,
dass es in den neuen Hochwasserrisikogebieten – also
den Gebieten, die hinter den Deichen liegen und nur
bei Deichbruch oder in Extremsituationen überschwem-
mungsgefährdet sind – höhere Anforderungen in Bezug






(A) (C)



(B) (D)


auf die Baumöglichkeiten gibt als in den Gebieten vor
dem Deich . Das ist den Menschen eigentlich nicht zu
vermitteln . Da hätten wir uns eine andere Möglichkeit
gewünscht . Es muss auch mit gesundem Menschenver-
stand nachvollziehbar sein, wo wir welche baulichen
Auflagen verlangen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Forderungen Ihrer Entschließung sind im Grun-
de genommen hauptsächlich weiße Salbe . Wir können
uns dem gar nicht verweigern . Deswegen werden wir
uns dazu auch enthalten . Diese Forderungen sind aber
Begleitmusik für einen Gesetzentwurf, der eben nicht
wirklich zu dem Ziel führt, zu dem wir hinwollen . Die
dort genannte bundesweite Vereinheitlichung der Hoch-
wasserkarten hätte die Bundesregierung längst festlegen
können . Das ist leider ausgeblieben .

Auch die Frage einer denkbaren Pflichtversicherung
wird adressiert, am Ende aber nicht beantwortet . Die
Bundesregierung ist ja nicht dazu da, Probleme zu be-
schreiben oder zu benennen, sondern Lösungen anzubie-
ten . Daran sind Sie mit dem Gesetz leider gescheitert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das gilt auch für die angesprochenen Versickerungs-
möglichkeiten . Sie haben es deutlich gesagt . Auch da
hätten wir uns klarere Vorgaben gewünscht; denn nur das
Wasser, welches nicht bei den Gewässern ankommt, wird
nicht zu einem Hochwasser . Auch da bleibt dieses Gesetz
hinter dem Notwendigen zurück .

Als Gesamtbewertung kann man nur sagen: Das ist
gut gemeint, an manchen Stellen aber noch nicht gut ge-
macht . Zwei Dinge fehlen, die ich zum Abschluss noch
kurz erwähnen möchte .

Einmal geht es dabei um den Klimaschutz . Wenn man
den Klimaschutz berücksichtigt, hat man noch nicht alle
Probleme geregelt . Es gibt auch Hochwasser, die nicht
durch das Klima, sondern durch einfache Wetterereignis-
se erzeugt werden . Dass die Klimaveränderung aber in
starkem Maße für zunehmende Extremwetterereignisse
verantwortlich ist, ist klar . Dieser Erkenntnis kann man
sich nicht verweigern . Deswegen wäre es gut, auch in
diesem Zusammenhang immer wieder darauf hinzuwei-
sen, dass Klimaschutz der beste Schutz vor Extremwet-
ter- und Starkregenereignissen ist . Deswegen muss auch
das Thema Ausstieg aus der Kohle immer wieder adres-
siert werden, wenn wir über den Hochwasserschutz re-
den . Dieser Ausstieg ist erforderlich, um die Klimabilanz
zu verbessern .

Auch Sie, Frau Ministerin, haben vorhin zwar davon
gesprochen, den Flüssen mehr Raum zu geben. Es fin-
det sich aber in diesem Gesetz nichts, was uns in dieser
Hinsicht voranbringt . Deswegen hoffe ich, dass sich die
nächste Bundesregierung diesem Thema wieder zuwen-
den wird . Es wird da noch Einiges zu tun sein .

Im Sinne von Menschen und Umwelt, glaube ich, ist
es gut, wenn viele Grüne an dieser Regierung mitwirken .
Dann kann es nur besser werden .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823410600

Vielen Dank . – Nächster Redner für die SPD-Fraktion

ist der Kollege Carsten Träger .


Carsten Träger (SPD):
Rede ID: ID1823410700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir alle erinnern uns noch an das Jahr 2013 .
Es war nicht nur das Jahr der letzten Bundestagswahl .
Nein, es war auch das Jahr, in dem der Klimawandel in
Deutschland sichtbar wurde . Es gab große Hochwasserer-
eignisse an Donau und Elbe . Während des Elbhochwas-
sers 2013 stieg das Wasser so hoch wie noch nie zuvor .
Katastrophenalarm wurde ausgerufen . Tausende Helfer
waren auf den Beinen, haben Millionen von Sandsäcken
gefüllt und gestapelt und fehlten natürlich an ihren Ar-
beitsplätzen . Die Bewohner mussten evakuiert werden,
Häuser und Straßen standen unter Wasser; das normale
Leben war für fast zwei Wochen lahmgelegt . Die Schä-
den dieses verheerenden Hochwassers im Juni 2013 im
Elbe- und Donaugebiet waren immens . Sie belaufen sich
auf mehrere Milliarden Euro .

Hochwasser sind Naturereignisse, die sich wiederho-
len . Sie sind ein Risiko, das nicht völlig ausgeschlossen
werden kann . Aber die Folgen von Katastrophen wie im
Jahr 2013 können und müssen abgemildert werden .


(Beifall bei der SPD)


Hochwasserschäden müssen verhindert oder deutlich re-
duziert werden – diese Erkenntnis setzte sich 2013 end-
gültig durch . Milliardenschwere Aufbauhilfeprogramme
nach einem Hochwasserereignis aufzulegen, war natür-
lich notwendig; aber das kann nicht die Lösung für die
Zukunft sein . Daher wurde in der Konsequenz das Na-
tionale Hochwasserschutzprogramm beschlossen . Zum
ersten Mal gibt es nun eine bundesweite Aufstellung mit
vordringlichen, überregional wirksamen Maßnahmen
für den Hochwasserschutz . Zentrales Ziel dabei ist: Den
Flüssen muss wieder mehr Raum gegeben werden .

Wir haben in dieser Legislaturperiode dank unse-
rer Umweltministerin Barbara Hendricks viel für den
Hochwasserschutz erreicht . Dazu gehören das Nationale
Hochwasserschutzprogramm, das der Bund durch den
Sonderrahmenplan „Präventiver Hochwasserschutz“ mit
zunächst 330 Millionen Euro maßgeblich finanziert – dies
geschah übrigens auf Druck meiner Fraktion; herzlichen
Dank an den Kollegen Freese dafür –, das Bundespro-
gramm „Blaues Band Deutschland“ und nun das Hoch-
wasserschutzgesetz II, das wir heute beschließen werden .
Es flankiert das Nationale Hochwasserschutzprogramm.

Mit dem Hochwasserschutzgesetz II erleichtern und
beschleunigen wir Planung und Bau von Hochwasser-
schutzanlagen, ohne die Beteiligung der Öffentlichkeit
zu beschneiden . Überschwemmungen und Hochwasser-
schäden sollen verhindert oder zumindest so weit wie
möglich verringert werden . Ich nenne einige Punkte, die
uns als SPD-Fraktion besonders wichtig sind .

Peter Meiwald






(A) (C)



(B) (D)


In bestimmten Gebieten darf nicht mehr oder nur noch
hochwasserangepasst gebaut werden . Heizölanlagen sind
in bestimmten Gebieten verboten; denn ein ausgelaufener
Öltank verursacht nicht nur riesige Schäden in Umwelt
und Natur, sondern macht auch ein Haus auf ewig unbe-
wohnbar . Die Länder haben zukünftig ein Vorkaufsrecht
an Grundstücken, die für Maßnahmen des Hochwasser-
oder Küstenschutzes benötigt werden . In Hochwasser-
schutzgebieten soll das Wasser im Boden versickern oder
zurückgehalten werden können . Deswegen darf nicht
einfach Grünland in Ackerland umgewandelt werden .
Dafür ist eine behördliche Genehmigung erforderlich .

Das sind, wie ich finde, lieber Peter Meiwald, doch
ganz erhebliche Fortschritte im Hochwasserschutz, auch
wenn man natürlich immer mehr fordern kann . Die Ver-
handlungen mit unserem Koalitionspartner jedenfalls
waren gerade in diesen Punkten schwierig . Zeitweise
drängte sich der Eindruck auf, dass hier über ein Heiz-
ölanlagenermöglichungsgesetz, ein Landwirtschaftser-
möglichungsgesetz, ein Bauermöglichungsgesetz ver-
handelt wird und nicht über ein Gesetz zur Verbesserung
des Hochwasserschutzes und damit zum Schutz von
Menschen, von Hab und Gut, von Umwelt und Natur .

Am Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr
Petzold, haben wir doch einen guten Kompromiss erzielt .
Der Hochwasserschutz wird mit diesem Gesetz deutlich
verbessert . Deswegen danke ich allen für die Zusammen-
arbeit, besonders Herrn Staatssekretär Pronold sowie den
Kolleginnen und Kollegen aus dem Ministerium, die viel
Geduld aufwenden mussten .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und alles
Gute .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823410800

Vielen Dank . – Vielleicht kann man im Folgenden den

Dank bündeln und die Redezeit einhalten; denn wir sind
schon ein ganzes Stück in Verzug .

Als Nächster hat der Kollege Dr . Klaus-Peter Schulze
für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU):
Rede ID: ID1823410900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Auch ich möchte mit einem Dank beginnen, zunächst
mit dem Dank an unsere beiden Bundesminister, an Frau
Dr . Hendricks und Herrn Minister Dobrindt . Das Kon-
zept zum „Blauen Band Deutschland“, das Sie gemein-
sam vorgestellt haben, hat doch gezeigt, dass sowohl das
Infrastruktur- und Bauministerium als auch das Umwelt-
ministerium bei bestimmten Dingen gut zusammenarbei-
ten können . Es liegt aber auch in der Natur der Sache,
dass man manchmal dort gegenteilige Meinungen zu
vertreten hat .

Einen weiteren Dank möchte ich an unseren Haus-
haltsberichterstatter Cajus Caesar richten . Er hat in der
letzten Bereinigungssitzung dafür gesorgt, dass rund
100 Millionen Euro für den vorbeugenden Hochwasser-
schutz hinzugekommen sind . Auch das, denke ich, ist
sehr wichtig .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte mich mit meinen nächsten Worten und Sät-
zen weniger dem Hochwasserschutz zuwenden – das ist
jetzt ausreichend gemacht worden –, sondern ich möchte
etwas zum „Blauen Band Deutschland“ sagen . Das Ge-
wässernetz in Deutschland beträgt 400 000 Kilometer .
Bundeswasserstraßen sind etwa 7 300 Kilometer; davon
sollen 5 300 Kilometer Flussstrecke in das „Blaue Band
Deutschland“ integriert werden . Das sind auch Teile des
Kernnetzes, aber insbesondere Teile des Nebennetzes .

Das „Blaue Band Deutschland“ ist im Koalitionsver-
trag für die 18 . Legislaturperiode zwischen der CDU/
CSU-Fraktion und den Sozialdemokraten beschlossen
worden, und auf diesem Beschluss baut es sich auf . Wir
wollen mit der Renaturierung großer Flussabschnitte
etwas für den Hochwasserschutz tun, aber insbesonde-
re den Biotopverbund, der in Deutschland aufgrund der
dichten Besiedlung, die wir haben, und der aufgrund
der großen Infrastrukturmaßnahmen oftmals schon zer-
schnitten ist, wieder in einen besseren Zustand bringen .

Es wird so sein, dass viele zusätzliche, verschieden-
artige Lebensräume entstehen können und ökologische
Trittsteine zu einem großräumigen Verbundsystem auf-
gebaut werden . Dieses Bundesprogramm fördert die
Ziele zu einer Strategie zur biologischen Vielfalt und die
Umsetzung von Natura 2000 und der Wasserrahmenricht-
linie . Aber nicht nur Natur- und Artenschutz werden hier
im Mittelpunkt stehen, auch Erholung und Wassertouris-
mus sind betroffen und werden positiv weiterentwickelt .

Wichtig aus meiner Sicht ist, dass die Akzeptanz er-
langt wird, indem man frühzeitig beginnt, alle Akteure an
einen Tisch zu bringen, um die Projekte in den nächsten
30 Jahren, wie es von der Ministerin angedeutet wurde,
umzusetzen . Ich glaube, wir haben schon gute Beispiele .
Im vergangenen Jahr wurde der Elbe-Vertrag nach langer
Diskussion von allen Beteiligten unterschrieben . Das ist
aus meiner Sicht ein gutes Beispiel .

In der Region, in der ich den empirischen Teil für
meine Diplomarbeit und meine Dissertation erarbeitet
habe, an der Unteren Havel, realisieren wir zurzeit mit
Unterstützung durch Bundesmittel in Höhe von 21 Mil-
lionen Euro ein großräumiges Renaturierungsprojekt .
Dieses ist so gut vorbereitet worden, dass mittlerweile
einzelne Landnutzer an den Projektleiter herantreten und
sagen: Wir hätten noch dieses und jenes gerne miterle-
digt, zum Beispiel Altarme freigesetzt, Deiche zurück-
genommen . – Hier zeigt sich, dass man, wenn man alle
Beteiligten frühzeitig ins Boot holt, solche großräumigen
Veränderungen, die in diesem Falle vor allem dem Na-
turschutz und der Landwirtschaft dienen, auf den Weg
bringen kann .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Carsten Träger






(A) (C)



(B) (D)


Die Investitionen, die mit 19 Milliarden Euro in den
nächsten 30 Jahren angegeben sind, sind ganz erheblich .
Sie stellen aber einen guten Ansatz dar . Wenn man die
prioritären Maßnahmen mit etwa 3,5 Milliarden Euro be-
ziffert, ist hier sicherlich der eine oder andere Punkt noch
zu betrachten . Ich glaube, man kann viele Maßnahmen
durch natürliche Sukzession laufen lassen, ohne umfang-
reiche Umsetzungsmittel einzusetzen . Kostenreduzie-
rung ist also auch von daher notwendig .

Ich will abschließend noch ein, zwei Sätze zum Tou-
rismus sagen . Der Wassertourismus hat sich in den letz-
ten Jahren hervorragend entwickelt . Wir setzen in jedem
Jahr mehr als 4,5 Milliarden Euro in diesem Bereich um .
Ich denke, dass das Bundesprogramm „Blaues Band
Deutschland“ einen Beitrag dazu leisten kann, dass sich
dieses Segment des Tourismus weiterentwickelt .

Abschließend: Das Grüne Band, das einmal im Grenz-
raum zwischen den beiden deutschen Staaten entwickelt
wurde, ist ein Erfolg geworden . Ich gehe davon aus und
ich bin davon überzeugt: Wenn wir es richtig anpacken,
dann wird das Blaue Band auch ein Erfolg .

Schönen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823411000

Vielen Dank . – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist die Kollegin Dr . Anja Weisgerber, CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1823411100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Bitte erlauben Sie mir heute ausnahmsweise,
auch die Besucher aus meinem Wahlkreis ganz herzlich
zu begrüßen, die mir heute hier zuhören . – Wir alle erin-
nern uns an die Bilder vom vergangenen Jahr aus Sim-
bach am Inn, einem kleinen Städtchen in Niederbayern
im Wahlkreis von Max Straubinger, das am 1 . Juni letz-
ten Jahres infolge heftiger Sturzfluten vom Hochwasser
völlig zerstört wurde . Das Leid der Menschen, die ihr
Hab und Gut oder, noch viel schlimmer, gar Familien-
mitglieder und Freunde verloren haben, ist unermesslich .
Mein Heimatland Bayern hat damals sofort reagiert,
unbürokratisch Hilfsgelder zugesagt und schnell ausge-
zahlt . Das war aber natürlich nur ein erster Schritt, um
die Betroffenen bestmöglich zu unterstützen .

Mit dem Hochwasserschutzgesetz II wollen wir wei-
terhin zusätzlich zu den bereits bestehenden Hochwas-
serschutzgesetzen unseren Beitrag dazu leisten, dass die
Planungen für Genehmigung und Bau von Hochwasser-
schutzanlagen erleichtert und beschleunigt werden .

Meine Damen und Herren, Hochwasserschutz ist
wichtig, vielleicht wichtiger denn je; das steht außer
Frage . Aber man sollte die Notwendigkeit von Geboten
und von Verboten genau hinterfragen und abwägen und
dann die Maßnahmen ergreifen, die für den präventiven

Schutz des Eigentums vor Hochwasserschäden wirklich
erforderlich sind .

Wir in der Union nehmen den Schutz des Eigentums
vor zu weit gehenden Eingriffen dabei sehr ernst, so
auch beim Vorkaufsrecht der Länder für Grundstücke
zum Hochwasserschutz, das von vielen Seiten, darunter
auch der Landwirtschaft, stark kritisiert wurde; denn der
Verkäufer weiß im Vorfeld nicht, ob ein Bundesland ein
Grundstück dann auch kauft . Das sorgt für Verunsiche-
rung und kann letztendlich auch Auswirkungen auf den
Grundstückspreis haben .

Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass das Vorkaufs-
recht nun auf die Flächenkulissen beschränkt ist, die für
den Hochwasser- und Küstenschutz auch wirklich erfor-
derlich sind . Im Zuge dessen fällt auch das ursprünglich
geplante Vorkaufsrecht generell für Gewässerrandstrei-
fen weg, und das ist gut so . Ich denke, dass wir damit
eine gute und ausgewogene Lösung für alle gefunden
haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bei schweren Hochwasserereignissen, wie zum Bei-
spiel letztes Jahr in Niederbayern, entstehen erhebliche
Schäden an Häusern und Umwelt durch zerborstene
Ölheizungen . Deswegen beinhaltet der vorliegende Ge-
setzentwurf ein generelles Verbot für die Neuerrichtung
von Ölheizungen in Überschwemmungs- und Risikoge-
bieten . Er sieht jedoch, lieber Kollege Träger, sehr einge-
schränkt, sehr begrenzt Ausnahmen vor . Diese Ausnah-
men sind durch Genehmigungs- und Anzeigepflichten
eingegrenzt . Gegenüber dem ursprünglichen Gesetzent-
wurf haben wir im Gesetzgebungsverfahren eine Verbes-
serung erreicht und zusätzlich klargestellt – das ist ganz
wichtig –, dass in diesen Ausnahmefällen die Anlagen
hochwassersicher zu errichten sind . Auch das ist in un-
seren Augen eine ausgewogene Lösung, die wir hier er-
wirkt haben .

Hochwasserangepasstes Bauen spielt beim Hochwas-
serschutz natürlich eine Rolle . Wir haben uns dafür stark-
gemacht, dass dabei in Risikogebieten zielgenau und
auch wiederum mit Augenmaß vorgegangen wird . Dort,
wo ein Bebauungsplan vorliegt, muss die Kommune den
Hochwasserschutz bei der Planfeststellung berücksich-
tigen . Dort, wo kein Bebauungsplan vorliegt, sollen die
Behörden vor Ort im Dialog mit den Betroffenen prüfen,
ob und wenn ja welche Auflagen für das jeweilige Ge-
biet erforderlich sind. Dabei muss jede Auflage – das ist
ebenfalls wichtig – ins Verhältnis zum möglichen Scha-
den gesetzt werden . Dies erweitert wiederum den Ermes-
sensspielraum der Baubehörden vor Ort . Das ist auch
gut so; denn die Behörden vor Ort kennen die örtlichen
Gegebenheiten am besten und können letztendlich pass-
genaue Lösungen vor Ort finden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Schließlich haben wir festgelegt, dass Anforderungen
an eine hochwasserangepasste Bauweise im Außenbe-
reich nicht gelten, wenn diese technisch nicht möglich
ist . Das ist beispielsweise bei Fahrsilos der Fall, da ein
solches Silo durch eine Hochwasserschutzmaßnahme

Dr. Klaus-Peter Schulze






(A) (C)



(B) (D)


nicht mehr befahrbar wäre . Dies ist vor allem eine gute
Nachricht an unsere Landwirte .

Zusammenfassend bin ich der Meinung, dass das
Hochwasserschutzgesetz II einen guten Rahmen setzt
und erlaubt, zielgenaue Maßnahmen mit Augenmaß vor
Ort zu treffen, auf mögliche Hochwasser zu reagieren,
ohne dabei zu überzogene Auflagen zu treffen und über
das Ziel hinauszuschießen .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823411200

Vielen Dank . – Die Aussprache ist damit beendet .

Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 10 a zur
Abstimmung über den von der Bundesregierung einge-
brachten Gesetzentwurf zur weiteren Verbesserung des
Hochwasserschutzes und zur Vereinfachung von Verfah-
ren des Hochwasserschutzes . Der Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12404, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/10879 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmen-
verhältnis wie zuvor angenommen .

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12404 empfiehlt der Ausschuss, eine
Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der
Oppositionsfraktionen angenommen .

Tagesordnungspunkt 10 b . Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit auf Drucksache 18/12204 zu der Unterrichtung
durch die Bundesregierung über das Bundesprogramm
„Blaues Band Deutschland“. Der Ausschuss empfiehlt
in Kenntnis der Unterrichtung auf Drucksache 18/11099,
eine Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthaltung der
Oppositionsfraktionen angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulle
Schauws, Tabea Rößner, Lisa Paus, weiterer Ab-

geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Soziale und wirtschaftliche Lage von Künstle-
rinnen, Künstlern und Kreativen verbessern,
Kulturförderung gerecht gestalten

Drucksache 18/12373
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich sehe keine
Widersprüche . Dann ist das so beschlossen .

Das Wort hat die Kollegin Ulle Schauws, Bündnis 90/
Die Grünen .


Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823411300

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Nicht überall auf der Welt ist die Frei-
heit von Kunst und Kultur eine Selbstverständlichkeit .
Autoritäre Systeme fürchten den kritischen Blick vieler
Künstlerinnen und Künstler und drangsalieren sie des-
wegen . Für eine demokratische und offene Gesellschaft
ist die Förderung von kultureller Vielfalt daher ganz ele-
mentar .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Gerade da gegenwärtig der konservative Ruf nach einer
Leitkultur wieder lauter wird, ist es umso wichtiger, sich
dem entgegenzustellen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Autoritäre Ansagen haben in der Kultur nichts zu suchen .
Kultur lebt von der Vermischung und vom Miteinander
und nicht davon, dass man bestimmte Menschen im Na-
men einer Leitkultur ausschließt .

Aber ich will hier nicht abstrakt über die Kultur re-
den, sondern ganz konkret über die Künstlerinnen und
Künstler und die Kreativen in unserem Land . Sie geben
Impulse und Denkanstöße, irritieren und inspirieren,
verändern den Blick und bringen Prozesse, die stecken
geblieben sind, wieder in Gang . Ohne dass sie es tun
müssen, befeuern insbesondere die Kulturschaffenden
in unserem Land den demokratischen Diskurs, den wir
in unserer Gesellschaft brauchen, und das, obwohl die
Arbeitsbedingungen für Kultur- und Kreativschaffende
suboptimal, ja meistens sogar schlecht sind . Mangelnde
soziale Absicherung, drohende Altersarmut, oft sehr ge-
ringe Einkünfte, manchmal unterhalb des Existenzmini-
mums: Das sind Zustände, die vielen Kreativen täglich
große Zukunftssorgen bereiten .

Dr. Anja Weisgerber






(A) (C)



(B) (D)


Die Bundesregierung hat es versäumt, endlich Lö-
sungsvorschläge zu machen, die zur Lebenssituation von
Künstlerinnen und Künstlern und von Kreativen wirklich
passen . Meine Damen und Herren, dass Sie es bei Ih-
rer satten Mehrheit zulassen, dass Kultur- und Kreativ-
schaffende in den Sozialversicherungssystemen ganz oft
durch das Raster fallen, lässt den Schluss zu: Das scheint
Ihnen egal zu sein . Wir Grüne wollen diese Benachteili-
gung von Künstlerinnen und Künstlern und von Kreati-
ven nicht länger hinnehmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deshalb legen wir mit unserem Antrag ein Konzept
mit Lösungen vor, die bei den Betroffenen wirklich an-
kommen . Drei zentrale Punkte möchte ich Ihnen nennen:

Erstens . Selbstständige Kreative müssen sich freiwil-
lig gegen Arbeitslosigkeit versichern können, und zwar
mit einer Arbeitslosenversicherung, die für alle Selbst-
ständigen unabhängig von ihrem Verdienst zugänglich
und bezahlbar ist . Die bislang existierende Sonderrege-
lung für kurz befristet Beschäftigte läuft bei Kulturleuten
oft völlig ins Leere . Diese Regelung entspricht nicht ihrer
Lebensrealität . Damit erhalten Sie offenkundig ein Kon-
strukt aufrecht, das die Mehrheit der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer faktisch nicht erreicht . Darum hat
meine Fraktion ein sinnvolles Konzept zu Beitrags- und
Anwartschaftszeiten in der Arbeitslosenversicherung
vorgelegt: vier Monate einzahlen, zwei Monate An-
spruch auf Arbeitslosengeld . Ich sage Ihnen . Das würde
vielen Kultur- und Kreativschaffenden direkt helfen und
ihnen etwas bringen . Darum ist es sinnvoll .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens . Die Krankenversicherung muss für Selbst-
ständige bezahlbar sein . Das heißt, eine Absenkung des
Mindestbeitrags zur Krankenversicherung für Selbststän-
dige auf das Niveau der sonst freiwillig Versicherten, auf
eine Beitragshöhe von 150 Euro, auch für die Kultur- und
Kreativschaffenden wäre eine sinnvolle Lösung .

Drittens . Viele Künstlerinnen und Künstler sind per-
spektivisch von Altersarmut betroffen . Ohne Zugangsbe-
rechtigung zur Künstlersozialkasse oder zu einem Ver-
sorgungswerk fehlen in der Regel die finanziellen Mittel
für die Altersvorsorge . Das kann so nicht sein . Deshalb
wollen wir Grüne die Selbstständigen ihrem individuel-
len Einkommen entsprechend in die gesetzliche Renten-
versicherung einbeziehen . Ebenso wollen wir eine Ga-
rantierente auch für die Kulturschaffenden, die über der
Grundsicherung liegt .

Meine Damen und Herren, Existenzängste sind keine
gute Basis – für niemanden . Aber gerade für Menschen,
die kreative Prozesse gestalten, sind sie Gift . Schutz und
Förderung kultureller Vielfalt müssen deshalb mit Ent-
lastung und Unterstützung der Kultur- und Kreativschaf-
fenden einhergehen . Deshalb setzen wir uns mit unserem
Antrag dafür ein, die Vergabe von Fördermitteln durch
die BKM konsequent an faire Honorare und sozialver-
trägliche Rahmenbedingungen zu knüpfen, und zwar bei
Festangestellten und Selbstständigen im Kultur- und Kre-

ativbereich . Der Bund muss bei fairen Löhnen endlich
mit gutem Beispiel vorangehen . Das ist längst überfällig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dies gilt auch für den Bereich der Geschlechterge-
rechtigkeit . Die eine Sache ist hier die Verteilung von
Geld, die andere die der Vielfalt der Perspektive in der
Kunst . Dass der Kulturbetrieb ganz selbstverständlich
weniger Frauen als Männer fördert, schmälert auch die
Chancen der kulturellen Vielfalt. Bei öffentlich finanzier-
ten Kultureinrichtungen und geförderten Kulturprojekten
muss die Gleichstellung von Frauen ein zentraler Punkt
sein . Auch hier steht die Bundesregierung in der Verant-
wortung .

Aber die Bundeskulturförderung sollte sich nicht nur
an Förderkriterien wie den eben genannten messen lassen .
Häufig sind die Förderentscheidungen der BKM schlicht
nicht nachvollziehbar . Bei der Garnisonkirche Potsdam,
beim Förderprogramm „Exzellente Orchesterlandschaft
Deutschland“ oder beim Freiheits- und Einheitsdenkmal,
dem Hin und Her hier, waren sie nicht nachvollziehbar .

Meine Damen und Herren, die Förderung von Projek-
ten unter der Formel „von nationaler Bedeutung“ darf
nicht weiter vermeintlich staatlicher Willkür ausgesetzt
sein . Verbindliche Regeln und klare Kriterien für eine
transparente Förderpraxis sind daher dringend notwen-
dig .

Deshalb sage ich Ihnen zum Schluss: Schluss mit
brotloser Kunst! Zeit für soziale Absicherung für Künst-
lerinnen und Künstler und Kreative! Zeit für transparente
Förderpraxis! Unser Antrag sagt, wie es gehen kann . Wir
freuen uns über Ihre Unterstützung .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Sigrid Hupach [DIE LINKE])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823411400

Vielen Dank . – Ute Bertram ist die nächste Rednerin

für die CDU/CSU-Fraktion . Bitte schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ute Bertram (CDU):
Rede ID: ID1823411500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Heute sprechen wir über den Kulturverhinderungsantrag
der Grünen .


(Lachen der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ja, meine Damen und Herren, das ist die Quintessenz des
Antrags . Ich glaube Ihnen ja, dass Sie es gut mit der Kul-
tur und den Künstlern meinen . Aber gut gemeint ist eben
nicht immer automatisch auch gut gemacht .

Kultur braucht Freiheit; da sind wir uns doch einig .
Deshalb passt es nicht zusammen, wenn Sie fordern, die
Kultur gerecht zu fördern . Was heißt denn „gerecht“?
Soll Förderung über die gesamte Kulturlandschaft ge-
wichtet werden? Ich sage Ihnen: Das funktioniert nicht .
Nur dann, wenn Künstler, ganz gleich, ob ihre Kunst bil-

Ulle Schauws






(A) (C)



(B) (D)


dend, musisch, literarisch, darstellend oder was auch im-
mer ist, ohne alle Grenzen arbeiten, können sie ihre volle
Kreativität entfalten .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unter dem Existenzminimum, oder was?)


Ein enges Korsett von Kriterien zur Kulturförderung, wie
Sie es vorbringen, schadet der Kultur und ihrer Entfal-
tungsmöglichkeit . Wenn Sie die Vergabe von Bundes-
fördermitteln an Kriterien wie „Migrationshintergrund“,
„Beeinträchtigung oder Behinderung“ oder an eine Frau-
enquote knüpfen wollen, dann schaden Sie der freien
Entfaltung der Kunst .

So fordern Sie zum Beispiel eine feste Ausstellungs-
vergütung für Künstler . Was im ersten Moment gut
klingt, nämlich jungen Künstlern ein Honorar für ihre
Kunst zu geben – das hört sich in der Tat erst einmal gut
an –, ist aber fatal; denn das wäre das Karriereende von
jungen, aufstrebenden Künstlern . Kein Museum würde
einem unbekannten Künstler noch eine Chance geben,
seine Bilder auszustellen –


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Haben Sie mit ihnen geredet?)


eine vertane Chance, wenn es darum geht, jungen Künst-
lern die Möglichkeit zu geben, sich einen Namen zu ma-
chen .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, Sie haben sich mit der Thematik überhaupt nicht auseinandergesetzt! – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das ist das alte Totschlagargument!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, Kunst und
Kultur lassen sich nicht messen, nicht quantifizieren. Ein
Porträt ist nicht vergleichbar mit einem Lied, und ein
Gedicht ist nicht vergleichbar mit einem Theaterstück .
Genauso wenig sind die Kosten dafür miteinander ver-
gleichbar . Um einen 90-minütigen Film zu produzieren,
braucht man deutlich mehr finanzielle Mittel als für das
Schreiben eines Gedichts . Ist dadurch der Film mehr wert
oder das Gedicht weniger wert?


(Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Wir sollen nicht die Werte bemessen!)


Kunst und Kultur sind eben nicht nach einem Raster
quantifizierbar, mit dem wir Fördergelder gerechter oder
gleichmäßiger verteilen .


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Ist das eigentlich bei Häusern und Brücken auch so? – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, Sie haben den Antrag nicht verstanden!)


Die Haushaltspositionen für die Förderung der unter-
schiedlichen Kunstgattungen sind unterschiedlich; das ist
keine Frage . Aber dadurch kommt keine normative Wer-
tung zum Ausdruck, sondern allein der unterschiedliche
Bedarf der verschiedenen Kultursparten .

Das ist auch nicht nur im Bereich der Kultur so . Bei
der Hochschulbildung gibt es einen unterschiedlichen fi-

nanziellen Bedarf in den verschiedenen Studiengängen .
Die Ausbildung eines Arztes kostet mehr als die Aus-
bildung eines Betriebswirtschaftlers oder eines Juristen .
Niemand käme auf die Idee, alle Studiengänge zukünftig
gleichmäßig zu fördern .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es doch gar nicht verstanden! Darum geht es doch gar nicht!)


– Hören Sie doch mal weiter zu!


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich höre zu!)


Dieses Prinzip gilt auch hier im Bereich der Kulturför-
derung . Einen Film zu drehen, ist ungleich teurer, als ein
Gedicht zu schreiben .


(Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Das sagten Sie schon!)


Daher stellen wir für die Filmförderung auch mehr Geld
zur Verfügung als für die Literaturförderprogramme .
Hier möchte ich erwähnen, dass wir die Filmförderung
für 2018 auf 150 Millionen Euro erhöhen . So viel gab
es noch nie . Lassen Sie mich hinzufügen: 300 Millionen
Euro für Bibliotheken und Museen, 84 Millionen Euro
für den Denkmalschutz, 27 Millionen Euro für Theater
und Musik . Die Kulturstiftung des Bundes erhält jedes
Jahr 35 Millionen Euro für wichtige Projektarbeit .

Liebe Kollegen von den Grünen, Sie weisen in Ih-
rem Antrag zu Recht darauf hin, dass durch den föde-
ralen Aufbau der Bundesrepublik Deutschland die Kul-
turförderung in erster Linie Sache der Länder ist . Dem
deutschen Staat, also dem Bund, den Ländern und den
Gemeinden, ist die Kultur jährlich knapp 10 Milliarden
Euro wert . Davon trägt der Bund gemäß der Kulturho-
heit der Länder circa 13,6 Prozent für die Aufgaben von
überregionaler und gesamtstaatlicher Bedeutung . Den
Hauptanteil der Kulturförderung verantworten die Kom-
munen mit 45 Prozent, und das, obwohl die Länder ei-
gentlich dafür verantwortlich sind . Deren Anteil liegt bei
nur 43 Prozent .

Wenn Sie ehrlich wären, dann müssten Sie die Politik
der Großen Koalition loben . Noch keine Regierung zu-
vor hat so viel für die Förderung der Kultur bereitgestellt
wie die derzeitige .


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es einfach nicht verstanden! Es geht nicht um die quantitative Höhe! – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Keine Regierung hat so viel für Rüstung ausgegeben!)


– Hören Sie doch einmal zu .


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das mache ich doch!)


– Dann seien Sie bitte auch still .

Schauen wir zurück ins Jahr 2005, ins letzte Jahr,
in dem die Grünen im Bund Regierungsverantwortung
getragen haben . Damals lag der Haushalt des BKM bei
950 Millionen Euro . Heute steht der Haushalt der BKM

Ute Bertram






(A) (C)



(B) (D)


bei über 1,6 Milliarden Euro . Das ist ein Aufwuchs von
über 70 Prozent .


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Das können Sie nicht kleinreden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist ein Zuwachs, den es in keinem anderen Ressort
jemals gegeben hat .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es doch gar nicht!)


Ein besonderer Dank gilt hier auch unserer Staats-
ministerin Monika Grütters und dem Finanzminister
Wolfgang Schäuble .


(Beifall bei der CDU/CSU – Martin Dörmann [SPD]: Und unseren Haushältern!)


Wenn es uns in unserem Land wirtschaftlich weiter so
erfolgreich gehen wird, dann können wir in 2021


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Mehr für die Kultur ausgeben!)


vielleicht sogar eine Verdoppelung des Etats herbeifüh-
ren, im Gegensatz zu Ihrer Bilanz .

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, so sieht eine
aktive und erfolgreiche Kulturpolitik aus .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht gerecht! Darum geht es doch!)


Wir bauen keine Luftschlösser mit unrealistischen Forde-
rungen . Wir fördern Kultur real und pragmatisch .

Lassen Sie mich auch noch einen Blick auf die Bun-
desländer werfen, in denen Sie von den Grünen mitre-
gieren . Schauen wir einmal nach Schleswig-Holstein,
Rheinland-Pfalz oder in mein Bundesland Niedersach-
sen . Diese drei Länder bilden das Schlusslicht bei den
Kulturausgaben mit 62, 68 und in Niedersachsen 71 Euro
pro Kopf pro Jahr .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht nicht um die Höhe!)


Nur zum Vergleich: Das Flächenland Sachsen beispiels-
weise gibt mehr als 164 Euro pro Bürger pro Jahr aus .

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen, das ist die Wahrheit: Wo Sie regieren, kom-
men Sie mit der Kulturförderung nicht hinterher . Also
machen Sie sich bitte keinen schlanken Fuß in den Län-
dern, wenn Sie auf der anderen Seite heute hier im Bund
mehr Geld für Kultur fordern .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht nicht um mehr Geld, Frau Bertram!)


Mein Fazit ist: Wir haben viel getan bei der Förderung
der Kultur . Und natürlich ist das nicht das Ende der Fah-
nenstange . Deshalb werden wir Ihren Antrag, der in die
falsche Richtung geht, nicht mittragen .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen nichts für die Gerechtigkeit! Genau das ist es! Darum geht es! Diese Haltung passt nicht!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823411600

Vielen Dank . – Als Nächste hat die Kollegin Sigrid

Hupach, Fraktion Die Linke, das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Sigrid Hupach (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823411700

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein Dank geht an die
Grünen, dass wir heute aufgrund ihres Antrages die Ge-
legenheit haben, grundsätzlich über die Kulturförderung
des Bundes zu debattieren .


(Ute Bertram [CDU/CSU]: Das machen wir ständig!)


Der Hauptstadtkulturvertrag ist letzte Woche unter-
zeichnet worden . Er bringt für die Kultur einen Auf-
wuchs . Das ist grundsätzlich erst einmal zu begrüßen .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Wir kritisieren aber die fehlende Transparenz und die
Nichteinbeziehung der Parlamente . Es geht hier um viel
Geld und eine Vertragsdauer von zehn Jahren . Es kann
doch nicht sein, dass die Parlamente nicht beteiligt wer-
den .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie in der Hauptstadt Berlin ist bei der Kulturför-
derung des Bundes immer von der „nationalen Bedeu-
tung“ die Rede . Was genau das ist, ist nicht festgelegt .
Es wird auch nicht verhandelt, sondern irgendwie nach
Gefühl bestimmt . Schaut man sich die Überraschungen
in den Bereinigungssitzungen des Haushaltsausschusses
an, kann man den Eindruck gewinnen, es ginge eher um
die nationale Bedeutsamkeit einzelner Abgeordneter und
ihrer Wahlkreise .

Das Anliegen des Antrages, die Kulturförderung des
Bundes transparenter zu gestalten und vor allem die in
den Blick zu nehmen, die Kultur machen und Kunst
schaffen, ist auch für uns Linke wichtig .

Die Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommissi-
on „Kultur in Deutschland“ zur Kulturförderung waren
klar und deutlich: „Objektive und transparente Förder-
kriterien staatlicher Kulturfinanzierung“ schaffen, heißt
es dort . Die Umsetzung steht jedoch zehn Jahre später
immer noch aus .

Auch eine Kulturentwicklungskonzeption wurde da-
mals eingefordert . Diese soll natürlich nicht die künstle-
rische Entwicklung vorgeben . Es geht stattdessen darum,
gemeinsam eine Idee zu entwickeln, wie wir zusammen-
leben wollen, die dafür nötigen Rahmenbedingungen zu
definieren und daraus ganz konkrete Maßnahmen für die

Ute Bertram






(A) (C)



(B) (D)


Kulturpolitik auf Bundesebene abzuleiten . Auch eine sol-
che Konzeption würde zu mehr Transparenz führen .

Das gälte erst recht, wenn man, wie die Linke schon
seit langem fordert, ein Bundeskulturministerium ein-
richtete und das Kooperationsverbot endlich abschaffte .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Beides bedeutete keineswegs ein Ende der Kulturhoheit
der Länder . Vielmehr würden lediglich die Zuständigkei-
ten gebündelt, die jetzt ohnehin schon auf Bundesebene
liegen, jedoch über diverse Ressorts verteilt sind . Ange-
sichts des gesellschaftlichen Wandels könnte es sogar ein
Schlüsselministerium werden . Auch Förderprogramme
auf Bundes- und Länderebene ließen sich so besser auf-
einander abstimmen, und das vorhandene Geld könnte
sinnvoller eingesetzt werden . Man könnte endlich das
Zuwendungsrecht überarbeiten und die Antrags- und
Abrechnungsmodalitäten bei Bundesförderprogrammen
vereinfachen . Diese Aspekte aber fehlen uns Linken in
dem vorliegenden Antrag .

Einige Forderungen der Grünen halten wir für nicht
sinnvoll . Das betrifft zum Beispiel die gerechte Vertei-
lung der Fördermittel über die Sparten . Uns wäre eine
bedarfsgerechte Förderung wichtiger . Theater haben nun
einmal höhere Bedarfe als andere . Auch fehlt uns eine
deutlichere Unterscheidung zwischen Künstlerinnen und
Künstlern auf der einen Seite und der Kreativwirtschaft
auf der anderen Seite .

Bei einigen Punkten haben wir weiter gehende Vor-
schläge, Stichwort: solidarische Mindestrente . Die
Künstlersozialkasse wollen wir nicht nur erhalten; hier
muss auch der Bundeszuschuss erhöht werden,


(Beifall bei der LINKEN)


und es müssen Lösungen für die sogenannten hybriden
Erwerbsformen gefunden werden, zum Beispiel durch
eine Anpassung der Aufnahmekriterien oder der Grenzen
für Zuverdienste aus abhängiger Arbeit .

Die digitalen Plattformen müssen direkt an der Finan-
zierung der Sozialversicherungssysteme beteiligt wer-
den . Absolut richtig ist, dass diese Systeme endlich für
die vielen Solo-Selbstständigen geöffnet werden müssen .


(Beifall der Abg . Karin Binder [DIE LINKE])


Auch der Bundesrat hat sich die Initiative der linken So-
zialministerinnen von Thüringen und Brandenburg und
der Berliner Senatorin für Gesundheit zu eigen gemacht
und die Senkung der Beitragsbemessungsgrenzen gefor-
dert .

Auch beim freien Eintritt sollten wir vielleicht noch
viel radikaler denken . Wir haben dazu selber ein Modell-
projekt für eine einzelne Sparte, nämlich die Museen,
angeregt . So könnte man Erfahrungen sammeln, wie es
gelingt, durch freien Eintritt für alle und durch verstärkte
Angebote der Vermittlung Zugangsbarrieren abzubauen .

Vor kurzem sprachen wir hier über unseren Antrag
zur Ausstellungsvergütung . Da mussten wir uns anhören,
dass jeder frei in seiner Entscheidung ist, den schlecht
bezahlten Beruf der Künstlerin oder des Künstlers zu

wählen oder nicht . Ist das wirklich das Kulturverständnis
der Union? Also, mein Kulturverständnis ist das nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Für uns Linke muss staatliche Kulturförderung natürlich
dafür Sorge tragen, dass Künstlerinnen und Künstler,
dass Kreative von ihrer Arbeit leben können . Die Verga-
be öffentlicher Gelder muss an die Einhaltung sozialer
Mindeststandards gekoppelt werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Geschlechtergerechtigkeit und Diversität gehören dazu,
vor allem aber eine angemessene Vergütung . Dem ent-
sprach ja auch das einhellige Votum der Sachverständi-
gen im Ausschuss .


(Zuruf von der LINKEN: Genau!)


Den Handlungsbedarf belegen auch die vielen Initia-
tiven von Künstlerinnen und Künstlern wie „art but fair“
oder des „ensemble-netzwerks“ im Theaterbereich . Der
Bund hat hier eine Vorbildfunktion, und dieser muss er
auch endlich gerecht werden .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823411800

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Siggi Ehrmann,

SPD-Fraktion, das Wort zu seiner wahrscheinlich letzten
kulturpolitischen Rede hier in diesem Hause . – Oder?


(Beifall bei der SPD)



Siegmund Ehrmann (SPD):
Rede ID: ID1823411900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Frau Präsidentin, das werde ich mir
vielleicht nach der Rede noch überlegen . – Zunächst ein-
mal herzlichen Dank für den Antrag, den Sie eingebracht
haben, weil er die Chance bietet, einige grundlegende
Anmerkungen zu machen . Der Antrag enthält durchaus
Erwägenswertes . Aber ich möchte gleichwohl einen Ak-
zent hervorheben, den ich etwas schwach finde.

Sie haben sich in sechs der neun Punkte mit Fragen
der Kulturförderung auseinandergesetzt . Sie sprechen
das Thema der Kulturwirtschaftsförderung an . Sie spre-
chen natürlich die Frage an, wie faire Einkommen gene-
riert werden können und wie sich die soziale Sicherung
darstellt, und gehen auf das Urheberrecht ein . Aber wenn
Sie sich darauf konzentrieren, die Kriterien objektiver
Kulturförderung zu definieren, wenn Sie sich darauf
konzentrieren, zu definieren, was national bedeutsame
Kulturprojekte sind, dann ist das ein Akzent, der zu kurz
greift . Ich möchte das anhand eines Beispiels deutlich
machen .

Präsident Macron wurde am 12 . Mai im Tagesspiegel
zitiert . Es ging um die Frage, wie man bessere Zugänge
und bessere Teilhabe organisieren könne . Er spricht das
Beispiel der Bibliotheken an . Frankreich verfügt über
7 000 Bibliotheken, wir in Deutschland verfügen etwa
über 9 200 öffentliche Bibliotheken . Macron verweist

Sigrid Hupach






(A) (C)



(B) (D)


auf die Öffnungszeiten der Bibliotheken in Frankreich,
die bei 40 Stunden in der Woche liegen; bei größeren
Bibliotheken in unserem Land ist das ähnlich . Macron
blickt auch auf Skandinavien und stellt fest: In Kopen-
hagen beispielsweise gibt es Bibliotheken mit einer Öff-
nungszeit von 90 Wochenstunden . Er stellt fest, dass die
ungünstigen Öffnungszeiten für viele eine Zugangsbarri-
ere darstellen . Die Frage: „Wie organisieren wir Teilha-
be?“, ist schon ein wichtiges Thema .

Jetzt komme ich auf das zu sprechen, worauf ich im
Kern hinauswill . Der französische Präsident könnte auf-
grund des zentralistisch organisierten Staats diese Idee –
ich sage das etwas salopp – durchstellen . Damit ist das
Ding – aus zentralstaatlicher Sicht – gelaufen . Wir im
Deutschen Bundestag könnten uns allenfalls mit dem
Arbeitszeitgesetz auseinandersetzen und darüber nach-
denken, ob es Bibliothekarinnen und Bibliothekaren am
Wochenende möglich sein sollte, zu arbeiten . Die kon-
krete Frage des Ob und des Wie ist eine Frage des Biblio-
theksträgers, der Kommune oder des Landes .

Das Beispiel zeigt, dass Bundeskulturpolitik in weiten
Teilen nur durch Kooperation funktionieren kann . Natür-
lich hat der Bund originär eigene Zuständigkeiten . Jüngst
haben wir uns mit dem Hauptstadtfinanzierungsvertrag
beschäftigt, weil der Bund gemäß Artikel 22 des Grund-
gesetzes verpflichtet ist, diese Aufgabe zu übernehmen.


(Beifall des Abg . Ulrich Petzold [CDU/CSU])


In Artikel 35 des Einigungsvertrages wird die besonde-
re Verantwortung für die kulturelle Infrastruktur in Ost-
deutschland hervorgehoben .


(Beifall des Abg . Ulrich Petzold [CDU/CSU])


– Danke schön . – Wir haben die Verantwortung für die
Deutsche Nationalbibliothek und für die Stasi-Unterla-
gen-Behörde . Es gibt auch Institutionen, gegenüber de-
nen wir verpflichtet sind. Ich denke an die Stiftung Preu-
ßischer Kulturbesitz, an das Haus der Geschichte, an das
Deutsche Historische Museum und, und, und . Das sind
originäre Verantwortlichkeiten, hinter denen dann aber
ausgedeutet wird, dass das Institutionen von gesamtstaat-
licher Bedeutung sind .

Neben all diesen Aktivitäten gibt es die Förderung von
Projekten und Institutionen . Die Bundeskulturstiftung
wurde genannt, aber auch die Fonds, die wir gebildet
haben . Die Rahmenbedingungen sowohl der Bundeskul-
turstiftung wie auch der Fonds, jüngst des Musikfonds,
haben wir deutlich verbessert . Die Institutionen arbeiten
übrigens nach gewissen Kriterien . Ich bin vorhin wirk-
lich erschrocken, als ich den Begriff „staatliche Willkür“
gehört habe .


(Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Das ist sehr scharf!)


Ich finde, dieser Begriff ist wirklich schwierig.


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vermeintlich!)


Zum Begriff „Paternalismus“ . Es gibt manchmal An-
sätze, bei denen man sich durchaus fragt, was die Grün-
de sind . Aber gleichwohl: Die Institutionen, in denen

Juryentscheidungen Standard sind, sind beispielgebend .
Später werde ich eine entsprechende Schlussfolgerung
ziehen .

Kurzum: Der Bund hat eine Menge angeschoben, aber
gelegentlich leiden manche Förder- und Investitionspro-
gramme Not . Grund ist auch eine mangelnde Abstim-
mung auf Länderebene . Da weiß die eine Hand manch-
mal nicht, was die andere tut .


(Beifall des Abg . Ulrich Petzold [CDU/CSU])


Deshalb ist der kooperative Föderalismus auszubauen
und zu stärken . Der Bund und die Länder müssen inten-
siver zusammenwirken .

Lassen Sie mich ein konkretes Beispiel aus der Bun-
deskulturstiftung bringen, wo in der Vergangenheit eine
intensive Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern
wiederholt erfolgt ist . Ich denke, der „Tanzplan“ war nur
möglich durch eine enge Kooperation zwischen Bund und
Land, das Projekt „Agenten“ ebenfalls . Das fantastische
Programm „TRAFO“ – es geht um ein Modellprojekt in
gewissermaßen sich entsiedelnden Gebieten, Stichwort:
demografischer Wandel – ist ein hervorragendes Beispiel
dafür, wie die Bundeskulturstiftung mit ihren Möglich-
keiten im Rahmen von Modellprojekten gewissermaßen
Forschung für uns, für die Gesellschaft insgesamt leistet .
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf den Enque-
te-Bericht, der von Kollegin Hupach eben angesprochen
wurde . Er wurde vor zehn Jahren, 2007, vorgestellt . Ich
empfehle allen, einen Blick hineinzuwerfen . Er enthält
ein großes Kapitel zum Bereich Kultur und demografi-
scher Wandel . Ich vermute, dass spätestens die Ergebnis-
se des Transformationsprojektes der Bundeskulturstif-
tung Bund und Länder veranlassen werden, gemeinsam
über die Frage der kulturellen Infrastruktur und der kul-
turellen Angebote in der Fläche zu reden und dies als Ge-
meinschaftsaufgabe zu begreifen . Davon bin ich zutiefst
überzeugt, und ich erwarte dies auch .

Insofern gibt es, wie ich glaube, noch eine ganze Men-
ge zu tun, um den Kulturförderalismus zu stärken, aus-
zubauen und zu weiten sowie insbesondere mit konzept-
basierter Kulturförderung – seitens der SPD haben wir
schon versucht, das in den Koalitionsvertrag hineinzu-
verhandeln – Ernst zu machen; das heißt, wir müssen mit
den Ländern gemeinsame Ziele, Projekte, Verfahren und
Kriterien abstimmen, um die Wirkung der Kulturinvesti-
tionen zu stärken und auf diese Art und Weise Teilhabe
zu ermöglichen .

Der Antragsteller spricht davon, Kulturförderung ge-
recht zu gestalten . Auf der einen Seite geht es dann da-
bei natürlich darum, wie wir mit den Künstlerinnen und
Künstlern umgehen; das wird der Kollege Blienert nach-
her noch in seinen Ausführungen darlegen . Auf der ande-
ren Seite geht es aber auch darum, wie wir die Teilhabe
der Menschen in unserem Land verbessern können . Das
geht nur durch stärkere Kooperation von Bund, Ländern
und Kommunen . Dafür brauchen wir Instrumente, damit
nicht zu viel parallel läuft .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und keine Leitkultur!)


Siegmund Ehrmann






(A) (C)



(B) (D)


Das Programm „Kultur macht stark“ ist ein Beispiel da-
für, wie man es nicht machen sollte .

Danke .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823412000

Vielen Dank . – Jetzt hat Dr . Astrid Freudenstein für

die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1823412100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Es ist – das wissen wir – eine Kunst, von der Kunst zu le-
ben . Natürlich gibt es Maler, Bildhauer, Musiker, Schau-
spieler, die für ihre Auftritte und Werke hohe Gagen und
Honorare bekommen; aber das sind die wenigsten . Die
allermeisten Künstler leben eher schlecht als recht von
ihrer Arbeit . Die Versicherten in der Künstlersozialkasse
verdienen im Schnitt weniger als 1 500 Euro im Monat
brutto . Kein Wunder also, dass viele Kreative die Kunst
doch lieber nur als Hobby betreiben und sich für das
ganz normale Überleben einen verlässlichen Brotberuf
suchen . Aber natürlich lebt eine Kulturnation wie die
unsere wesentlich von denen, die ihr ganzes berufliches
Wirken in die Kunst investieren .

Schaut man, wie es in anderen Ländern läuft, dann
stellt man fest, dass wir ganz gut dastehen . Ein Kon strukt
wie die Künstlersozialversicherung zum Beispiel ist
weltweit einzigartig . Jetzt weiß ich natürlich, dass viele
Unternehmer die KSK lieber heute als morgen abschaf-
fen wollen . Aber ich sage auch: Es steht uns als Kulturna-
tion gut zu Gesicht, dafür zu sorgen, dass unsere Künstler
und Publizisten ordentlich renten-, kranken- und pflege-
versichert sind . Das zeichnet uns in positiver Weise aus .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich kann man dieses gute System der sozialen
Absicherung der Kreativen noch besser machen, aller-
dings mit Sicherheit nicht so, wie Sie das in dem vor-
liegenden Antrag vorschlagen . Ihre Forderungen, liebe
Kolleginnen und Kollegen der Grünen, scheitern schlicht
und ergreifend an der Realität . Die Leistungsfähigkeit
der gesetzlichen Sozialversicherung ist zwar hoch, gren-
zenlos hoch ist sie aber nicht . Jeder Zweig der Sozial-
versicherung – sei es die Arbeitslosen-, die Renten- oder
die Krankenversicherung – ist ein fein ausbalanciertes
System . Und an diesen Systemen wollen Sie tiefgrei-
fende Änderungen vornehmen, sozusagen mit dem Vor-
schlaghammer, und das im Namen der Kunst . Das kann
natürlich nicht gut gehen . Denn während Radikalität in
der Kunst durchaus ihre Berechtigung hat, ist sie in einer
vernünftigen Sozialpolitik fehl am Platz .

Die sozialen Sicherungssysteme müssen ihre gesetz-
lich vorgesehene Funktion erfüllen; das ist klar . Ge-
nauso wichtig ist es aber, dass weder Arbeitgeber noch
Beitragszahler oder künftige Generationen übermäßig
belastet werden . Nicht umsonst hat Rot-Grün mit der
Agenda 2010 zum Beispiel die Rahmenfrist in der Ar-

beitslosenversicherung auf zwei Jahre gesenkt, die An-
wartschaftszeit aber bei zwölf Monaten belassen . Das hat
Wirkung gezeigt: Seit fast fünf Jahren ist der Beitragssatz
stabil . Und so bleibt den Beschäftigten schlicht und er-
greifend mehr Netto vom Brutto . Die Lohnnebenkosten
bleiben niedrig, ohne dass es dazu kommt, dass die Ar-
beitslosenversicherung ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen
könnte .

Der deutsche Arbeitsmarkt hat sich in den vergange-
nen Jahren natürlich verändert; das beschreiben Sie in Ih-
rem Antrag ganz korrekt, wenn auch etwas überspitzt . Es
gibt tatsächlich eine Flexibilisierung der Arbeitsverhält-
nisse . Es gibt tatsächlich mehr Befristungen . Es gibt tat-
sächlich mehr Teilzeitbeschäftigungen und Jobwechsel .
Da sind die Künstler und Kreativen vorne dabei . Aber all
das verhindert trotzdem nicht, dass man beispielsweise
in der Arbeitslosenversicherung innerhalb von 24 Mona-
ten 12 Monate Anwartschaft erwerben kann . Das ist auch
möglich, wenn man in Teilzeit oder befristet beschäftigt
ist .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kurzzeitbefristet! Das wissen Sie!)


Rahmenfrist und Anwartschaftszeit sind eben nicht belie-
big gewählt . Sie garantieren die Stabilität der Versiche-
rungssystematik . Wir dürfen das, was gut funktioniert,
nicht einfach über den Haufen werfen . Wir sollten Än-
derungen genau an den Stellen beschließen, an denen wir
das System zielgenau besser machen können .

Natürlich gibt es besonders bei den Kulturschaffen-
den spezielle Erwerbsbiografien. Die Sonderregelung für
überwiegend kurzfristig Beschäftigte beim ALG I zum
Beispiel macht genau dort Ausnahmen, wo es strukturelle
Nachteile für Künstler gibt, etwa bei Schauspielern, die
immer wieder kurze Engagements haben . Sie haben ei-
nen Anspruch, wenn sie innerhalb von zwei Jahren sechs
statt der sonst üblichen zwölf Monate Anwartschaftszeit
erfüllen . Diese Sonderregelung haben wir bis 2018 ver-
längert . Es bleibt eine Aufgabe für die kommende Le-
gislaturperiode, mit effektiven Instrumenten den Zugang
der Kulturschaffenden zur Arbeitslosenversicherung zu
verbessern .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir bleiben aber dabei: Wir machen nur dort Ausnah-
men, wo es tatsächlich strukturelle und branchenspezifi-
sche Nachteile auszubessern gilt . Wir wollen eben nicht
durch undifferenzierte Pauschalregelungen, wie Sie sie
in Ihrem Antrag fordern, die Stabilität der ganzen Ar-
beitslosenversicherung gefährden .

Gleiches gilt im Übrigen für die Renten- und die Kran-
kenversicherung . Hier haben wir mit der Künstlersozial-
versicherung seit über 30 Jahren ein besonders gut funk-
tionierendes Instrument, das freischaffenden Künstlern
und Publizisten den Zugang zur gesetzlichen Renten-,
Kranken- und Pflegeversicherung garantiert. Wir haben
mit dem Künstlersozialabgabestabilisierungsgesetz zu
Beginn der Legislaturperiode für ein wirklich stabiles fi-
nanzielles Fundament gesorgt und die Künstlersozialver-
sicherung so zukunftsfest gemacht . 185 000 Kulturschaf-
fende verlassen sich darauf . Wir werden auch weiterhin

Siegmund Ehrmann






(A) (C)



(B) (D)


darauf setzen, die Risiken der speziellen Erwerbsbiogra-
fien von freien Künstlern und Publizisten so abzufedern.

Wir haben aber nicht nur die gesetzliche Sozialver-
sicherung im Sinne der Kunst- und Kulturschaffenden
gestärkt, sondern auch bei den Kriterien der Kulturförde-
rung mehr Wert auf die soziale Dimension gelegt . Gerade
bei der Novellierung des Filmförderungsgesetzes haben
wir schon viele der Elemente, die Sie hier fordern, ver-
ankert . Zum Beispiel erhält die Filmförderungsanstalt
eine neue Aufgabe . Sie soll darauf hinwirken, dass in der
Filmwirtschaft eingesetztes Personal sozialverträglich
beschäftigt wird . Ob und in welchem Maße die sozia-
len Standards dann tatsächlich eingehalten werden, wird
man künftig im Förderbericht nachlesen können . Das
wird auch eine wichtige Grundlage für die nächste No-
vellierung des Gesetzes sein .

Wir nehmen aber auch jene in den Blick, die auf der
anderen Seite der Leinwand sitzen, und das sind – vor
allem wegen des demografischen Wandels – immer mehr
alte Menschen oder Menschen mit Behinderungen . Men-
schen mit Seh- oder Hörbehinderungen zum Beispiel
wird der Zugang zu geförderten Filmen erleichtert . Als
Bedingung für eine Förderung muss eine barrierefreie
Fassung des Films künftig in den Kinos in geeigneter
Weise zugänglich gemacht werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie sehen also: Die Kriterien sind auf eine vielfältige
und sozialverträgliche Förderung ausgelegt . Sowohl bei
der Kulturförderung als auch bei der Sozialversicherung
haben wir in dieser Legislaturperiode einiges erreicht . Es
bleiben auch noch Projekte für die nächste Legislatur-
periode übrig . Überall kann man Gutes noch besser ma-
chen . Das werden wir mit Sicherheit auch tun .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823412200

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Burkhard

Blienert, SPD-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Burkhard Blienert (SPD):
Rede ID: ID1823412300

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Vielen Dank an die Grünen für den Antrag . Er
bietet eine gute Gelegenheit, heute noch einmal Punkte
aufzugreifen, über die wir in dieser Woche auch im Kul-
turausschuss diskutiert haben .

Ich möchte gerne den ersten Satz des Antrages zitie-
ren: „Kulturelle Vielfalt ist für eine offene Gesellschaft
unverzichtbar …“ . Wir haben in dieser Woche im Kul-
turausschuss über die Thesen der Initiative kulturelle
Integration, die vorgestern der Öffentlichkeit vorgestellt
wurden, diskutiert . Anders als die ministeriell verordnete
Leitkultur sind die 15 Thesen aus einem gesellschaftli-
chen Dialog von 28 Mitgliedern aus Zivilgesellschaft,
Kultur und Politik heraus entstanden . Ihr Antrag korre-
spondiert quasi mit diesem grundsätzlichen Bedürfnis,
über Kulturpolitik zu reden . Das Ziel der überparteili-

chen Initiative war es, aufzuzeigen, dass und wie das Zu-
sammenwachsen einer heterogenen Gesellschaft und das
Zusammenleben in einem pluralen Deutschland gelingen
kann und welchen Beitrag Kultur dazu leisten kann .

Kultur kann ein gesellschaftliches Bindemittel sein .
Gerade in Umbruchzeiten vermag Kultur Orientierung
zu geben und Identität zu stiften . Kulturelles Miteinan-
der kann Neues und Bestehendes zusammenfügen und
ein neues Wirgefühl entstehen lassen . Dieses integrative
Potenzial von Kultur gilt es natürlich zu aktivieren . In-
vestitionen in die Kultur sind also auch Investitionen in
die Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und
damit auch in unsere Zukunft .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eine Gesellschaft muss ihren Künstlerinnen und
Künstlern daher Wertschätzung entgegenbringen, wenn
sie die kulturelle Vielfalt erhalten will . Vor diesem Hin-
tergrund möchte ich den Antrag insgesamt bewerten . Er
muss sich eben daran messen lassen, ob er uns in dieser
Hinsicht auf parlamentarischer Ebene weiterbringt .

Zweifellos steht in diesem Antrag viel Richtiges drin .
Er enthält tatsächlich viele Schnittmengen zum kultur-
politischen Programm der SPD-Bundestagsfraktion .
Er zeigt Handlungsbedarf hinsichtlich der sozialen und
wirtschaftlichen Lage von Kulturschaffenden auf . Aber
letztendlich ist es doch eher ein Aufsummieren von Defi-
ziten und Vorschlägen . Auf richtige Lösungen geht man
nicht ein . Mein Kollege Siegmund Ehrmann hat eben
schon auf ein grundsätzliches Problem hingewiesen . Ich
möchte nun detailliert auf andere Dinge in Richtung sozi-
aler und gesellschaftlicher Stellung von Kulturschaffen-
den eingehen .

Die Freiheit der Kunst verstehe ich anders, als wir es
eben gehört haben . Liebe Frau Bertram, so einengend
Freiheit der Kunst zu verstehen, dass wir als Gesellschaft
dafür sorgen müssen, dass Kunst- und Kreativschaffende
ohne soziale Regeln bleiben, das geht nicht . Das ist auch
nicht mein Begriff von Freiheit der Kunst und Kultur .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg . Sigrid Hupach [DIE LINKE])


Da haben wir etwas Besseres verdient .

Leider berücksichtigen Sie in Ihrem Antrag nicht, was
in dieser Legislaturperiode schon alles passiert ist .

Ich verweise auf die Künstlersozialkasse – meine Kol-
legin Freudenstein ist eben schon darauf eingegangen –,
die wir in dieser Legislaturperiode gestärkt und zukunfts-
fest gemacht haben .

Ich möchte auch erwähnen, dass wir mit dem Urhe-
bervertragsrecht die Lage der Urheberinnen und Urheber
in Deutschland verbessert haben .

Die Novelle des Filmförderungsgesetzes war mit Si-
cherheit ein Meilenstein und hat wesentliche Grundlagen
gelegt, damit wir auch zukünftig viel stärker die soziale
Situation von Filmschaffenden verbessern können .

Dr. Astrid Freudenstein






(A) (C)



(B) (D)


In der nächsten Legislaturperiode werden wir unser
Engagement fortsetzen und intensivieren müssen, allem
voran geht es dabei um die Stärkung der Schutzfunktion
der Arbeitslosenversicherung und einen verbesserten Zu-
gang zum Arbeitslosengeld I für kurzfristig Beschäftigte .


(Beifall bei der SPD)


Flexible Beschäftigungsstrukturen, veränderte Erwerbs-
biografien und die schwierigen Einkommensverhältnisse
machen es freiberuflichen Kulturschaffenden zunehmend
schwer, Risiken von Krankheit, Pflegebedürftigkeit und
Arbeitslosigkeit abzufedern und für das Alter vorzusor-
gen . Deshalb werden wir als SPD-Bundestagsfraktion
Solo-Selbstständige möglichst umfassend in die ver-
schiedenen Teile der gesetzlichen Sozialversicherung
eingliedern und einbinden .

Vor allem müssen wir die nötigen Rahmenbedingun-
gen schaffen, damit Künstlerinnen und Künstler ihren
Lebensunterhalt durch eigenes Schaffen bestreiten kön-
nen . Die Einführung des Mindestlohns in dieser Legis-
laturperiode war schon mal ein wichtiger Schritt in die
richtige Richtung .


(Beifall bei der SPD)


Ich habe eingangs gesagt, dass wir unseren Künst-
lerinnen und Künstlern mehr Wertschätzung entgegen-
bringen müssen . Der Begriff der Wertschätzung bein-
haltet zwei Aspekte, zum einen den Respekt, den man
jemandem entgegenbringt, wenn man ihn oder seine
Arbeit wertschätzt, und zum anderen den Wert, dem wir
etwas beimessen, sei es der messbare, monetäre oder der
nicht messbare, ideelle Wert . Unsere Künstlerinnen und
Künstler, ihre Arbeit und der Beitrag, den sie für unsere
Gesellschaft leisten, verdienen es, dass wir ihren Wert in
dieser vollumfänglichen Form anerkennen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823412400

Vielen Dank . – Die Aussprache ist damit beendet .

Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, die Vor-
lage auf Drucksache 18/12373 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen . Sind Sie
damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann
ist so beschlossen .

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 12:

Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung futter-
mittelrechtlicher und tierschutzrechtlicher
Vorschriften

Drucksache 18/12085

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(10 . Ausschuss)


Drucksache 18/12403

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Für die Bundesregie-
rung erhält jetzt die Parlamentarische Staatssekretärin
Dr . Maria Flachsbarth das Wort . – Bitte schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


D
Dr. Maria Flachsbarth (CDU):
Rede ID: ID1823412500


Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Meine lieben Kolle-
ginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat sich in
dieser Legislaturperiode das Ziel gesetzt, konkrete Ver-
besserungen des Tierwohls in der Breite zu erreichen .
Dafür steht insbesondere auch die klare Botschaft der
Tierwohlinitiative „Eine Frage der Haltung – Neue Wege
zu mehr Tierwohl“ des Bundesministeriums für Ernäh-
rung und Landwirtschaft, die Bundesminister Christian
Schmidt im September 2014 gestartet hat .

Die Bundesregierung hat mit ihren zahlreichen Akti-
vitäten auf dem Gebiet des Tierschutzes ein deutliches
Signal gesetzt, wie wichtig ihr das in Artikel 20a Grund-
gesetz verankerte Staatsziel Tierschutz ist . Tiere müssen
artgerecht gehalten werden . Wir müssen die Haltungs-
verfahren den Tieren anpassen – und eben nicht um-
gekehrt . Diesem hohen Anspruch müssen wir gerecht
werden, und wir müssen entsprechende Rahmenbedin-
gungen vorgeben .

Wir sind allerdings überzeugt, dass Verbesserungen
nach dem Prinzip der freiwilligen Verbindlichkeit vor al-
lem auch im Dialog mit den betroffenen Tierhaltern zu
erreichen sind . So hat die freiwillige Vereinbarung, die
Bundesminister Christian Schmidt im Sommer 2015 mit
der Geflügelwirtschaft geschlossen hat, dazu geführt,
dass seit Sommer 2016 in deutschen Brütereien für deut-
sche Ställe keine Legehennenküken mehr schnabelku-
piert werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt aber eben auch Handlungsfelder, bei denen dieser
Weg nicht erfolgversprechend ist und der Weg des Ord-
nungsrechts beschritten werden muss . Das tun wir heute
und hier im Rahmen eines Artikelgesetzes .

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden deshalb
konkrete Maßnahmen in Bezug auf die Pelztierhaltung in
Deutschland ergriffen . Damit wird das Tierwohl erneut
vorangebracht; denn die Haltungsbedingungen in deut-
schen Pelztierfarmen sind bislang nicht zufriedenstel-
lend . Der Verordnungsgeber hatte 2006 Anforderungen
an die Pelztierhaltung in der Tierschutz-Nutztierhaltungs-
verordnung festgelegt . Es hat sich jedoch gezeigt, dass
diese Anforderungen, deren Erfüllung tierschutzfachlich
für die verhaltensgerechte Unterbringung von Pelztieren
zwingend erforderlich ist, im Vollzug nicht durchgesetzt
werden konnten und wurden . Es geht dabei unter ande-
rem um mehr Platz, um mehr Bewegungsmöglichkeiten

Burkhard Blienert






(A) (C)



(B) (D)


und auch um mehr Beschäftigung . Mit diesem Gesetz-
entwurf stellen wir nun sicher, dass künftig Pelztiere in
Deutschland artgerecht gehalten werden .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Na ja!)


Dabei weiß ich einerseits, dass dies unter den derzei-
tigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Pelz-
produktion und auch aufgrund der Wettbewerbssituation
mit anderen Ländern eine große Herausforderung ist, und
ich kann auch nicht ausschließen, dass Betriebe unter
diesen Rahmenbedingungen aus wirtschaftlichen Grün-
den die Pelztierhaltung aufgeben . Andererseits weiß ich
aber auch, dass manche ein Verbot der Pelztierhaltung
gefordert haben . Wir stehen aber nicht für Verbote; das
ist nicht unser Weg .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir stehen allerdings für eine artgerechte Tierhaltung,
und deshalb regeln wir Anforderungen, die eine artge-
rechte Tierhaltung sicherstellen . Denn wer seinen Tieren
diese Bedingungen bieten kann, der soll auch in Zukunft
Pelztiere halten können .

Zum Schlachten hochträchtiger Tiere . Mit diesem
Gesetzentwurf wird ein wichtiger Schritt hin zu einer
Vermeidung der Schlachtung hochträchtiger Tiere getan,
indem ein Verbot der Abgabe zur Schlachtung von Tie-
ren – außer bei Ziegen und Schafen –, die sich im letzten
Drittel der Trächtigkeit befinden, geregelt wird.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie? Jetzt doch ein Verbot?)


Das ist aus Gründen des Tierschutzes und aufgrund unse-
rer ethischen Überzeugungen geboten .

Der Tierschutz ist ein Teil der gesellschaftlichen Wer-
teordnung in Deutschland, und vor diesem Hintergrund
wird auch eine Schlachtung von hochträchtigen Tieren
von der Gesellschaft nicht akzeptiert . Wir betreten dabei
ein Stück weit Neuland, indem wir auch das ungeborene
Tier vor Leiden und Schmerzen schützen . Auch damit
wird die im Zuge der gesellschaftlichen Diskussion statt-
findende Weiterentwicklung des Tierschutzes deutlich,
und das trägt zur Gewährleistung eines ethischen Min-
deststandards bei . Und das ist auch gut so . Wir stehen für
einen wissenschaftlich basierten und ethisch gebotenen
Tierschutz .

Vom Abgabeverbot ausgenommen sind, wie gesagt,
Ziegen und Schafe, da die Haltungsformen grundlegend
anders sind als zum Beispiel bei Rindern und Schweinen .
Ziegen und Schafe werden in Deutschland üblicherweise
extensiv gehalten . Abläufe in der Tierhaltung sind insge-
samt weniger standardisiert, weniger vorhersehbar und
stärker von externen Faktoren, wie zum Beispiel der Wit-
terung, aber auch dem Schutz vor Gefahren – ich nenne
hier unter dem Stichwort „Herdenschutz“ ausdrücklich
auch den Wolf –, abhängig . Insofern reicht der derzeitige
Kenntnisstand noch nicht aus, um valide Rückschlüsse
zur Durchführung und Praktikabilität verschiedener Me-
thoden zur Trächtigkeitsuntersuchung in der Praxis sowie
auf die Umsetzbarkeit von Managementmaßnahmen zur
Vermeidung der Schlachtung hochträchtiger Tiere ziehen
zu können . Deshalb wird unser Haus zunächst entspre-

chende Untersuchungen veranlassen, damit wir zu einem
späteren Zeitpunkt über die Einbeziehung von Schafen
und Ziegen in diese Regelung entscheiden können .

Weiter enthält der Gesetzentwurf eine Anpassung des
Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches, also des
LFGB . Diese Änderung zielt darauf ab, die Bestimmun-
gen des LFGB an die aktuellen Erkenntnisse der Wis-
senschaft anzupassen und das Fettverfütterungsverbot in
§ 18 LFGB aufzuheben, das im Rahmen der Maßnah-
men zur Bekämpfung von Infektionen mit BSE erlassen
worden war . Dieses Verbot erging in der EU außer in
Deutschland nur noch in Österreich .

Das Bundesinstitut für Risikobewertung ist im Rah-
men einer erneuten Bewertung schon im Jahr 2012 zu
dem Ergebnis gekommen, dass von der Verfütterung
tierischer Fette an Wiederkäuer kein erhöhtes BSE-Ri-
siko ausgeht . Es besteht deshalb seither keine sachliche
Rechtfertigung mehr, dieses Verbot aufrechtzuerhalten .


(Ute Vogt [SPD]: Nur eine ethische!)


Vielmehr laufen wir bei der Aufrechterhaltung des Ver-
bots Gefahr, dass Unternehmen Staatshaftungsansprüche
geltend machen oder die Europäische Kommission ge-
gen Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren ein-
leiten würde . Daher ist es folgerichtig, dieses Verbot nun
wieder aufzuheben .

Abschließend noch ein Wort zu dem mit diesem Ge-
setzentwurf verbundenen Entschließungsantrag der Ko-
alitionsfraktionen, mit dem die Bundesregierung aufge-
fordert wird, einen bundeseinheitlichen Bußgeldkatalog
für Verstöße gegen das Lebensmittelhygienerecht zu er-
arbeiten . Die Bundesregierung hat den Wunsch der Frak-
tionen bereits aufgegriffen und in einem ersten Schritt
auf der Verbraucherschutzministerkonferenz in Dresden
am 27 . und 28 . April dieses Jahres zu diesem Thema be-
richtet . In den nun folgenden Diskussionen mit den Län-
dern wird sich die Bundesregierung selbstverständlich
aktiv einbringen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie herz-
lich, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823412600

Vielen Dank . – Dr . Kirsten Tackmann hat jetzt das

Wort für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823412700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! Liebe Gäste! In der heutigen Debatte geht es um
die Schlachtung hochträchtiger Tiere, die Pelztierhal-
tung und Futtermittelrisiken und damit um drei wirklich
wichtige Themen . Dennoch möchte ich meine Redezeit
nutzen, um unseren Blick zunächst auf ein anderes, aber
auch wichtiges und sehr brisantes Thema zu lenken, weil
uns das auf gar keinen Fall aus dem Blick geraten darf .

Parl. Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth






(A) (C)



(B) (D)


Viele landwirtschaftliche Betriebe leben von der Sub-
stanz oder sind existenzgefährdet und fühlen sich ein we-
nig im Stich gelassen . Angesichts dieser Situation stellt
aus meiner Sicht ein einfaches Weiter-so in der Agrar-
politik mit Korrekturen hier und da eben nur die Linde-
rung von ein paar Symptomen dar . Als Tierärztin sage ich
aber: Wer die ortsansässige Landwirtschaft wirklich will,
der muss die Krankheit heilen .


(Beifall bei der LINKEN)


Leider geht es eben nicht nur um ein einzelnes krankes
Organ . Der Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Ge-
sellschaft, Bartmer, drückt das laut Agra-Europe so aus:
Das derzeitige System muss auf den Prüfstand . – Er
warnt vor falscher Gelassenheit und spricht sich für eine
schonungslose Analyse und eine öffentliche Debatte aus .
Recht hat er .

Ja, wir müssen Landwirtschaft neu denken, ohne
Richtiges über Bord zu werfen, aber natürlich gemein-
sam mit den Betrieben, die wir als Verbündete brauchen .
Aber sie brauchen uns auch als Gesetzgeber .


(Beifall bei der LINKEN)


Denn seien wir doch einmal ehrlich: Im Moment sitzen
die Gewinner des Systems warm und trocken in den
Konzernzentralen, während die Verlierer in den Ställen,
auf Äckern und in Gewächshäusern für unsere Lebens-
grundlage schuften und trotzdem ums Überleben kämp-
fen müssen . Ja, das ist ein krankes System, und das muss
geheilt werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Nun zu den drei Vorschlägen, die auf dem Tisch lie-
gen:

Immerhin soll nun die Schlachtung hochträchtiger
Tiere endlich verboten werden, wobei ich glaube, dass
sich viele darüber wundern, dass das überhaupt erlaubt
war . Die Ausnahmen, zum Beispiel in Tierseuchensitu-
ationen, sind zwar im Grundsatz nachvollziehbar, aber
natürlich erwarte ich, dass dann auch gesichert ist, dass
Qualen für das ungeborene Leben verhindert werden . Ich
sehe hier die Tierärzteschaft tatsächlich in einer beson-
deren Verantwortung . Dass Schafe und Ziegen zunächst
von dem Verbot ausgenommen sind, finde ich nachvoll-
ziehbar, aber auch das ist kein Freibrief . Auch hier muss
alles dafür getan werden, um die Schlachtung hochträch-
tiger Tiere tatsächlich zu vermeiden .


(Beifall bei der LINKEN)


Auch müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen wer-
den, in Zukunft ein Verbot zu ermöglichen .

Zum Zweiten soll die Haltung von Pelztieren nicht
verboten, aber unter Erlaubnisvorbehalt gestellt werden .
Dahinter steht aus meiner Sicht die trügerische Hoff-
nung, dass sich die Pelztierhaltung angesichts der hohen
Tierhaltungsauflagen nicht mehr rechnet und dann ein-
fach aufgegeben wird .

Im Gesetzentwurf steht, dass aktuell die Mehrheit der
Pelztierfarmen nicht einmal die Mindestanforderungen
von 2011 umsetzt . Dabei liegen doch die noch deutlich
unter dem, was in den Richtlinien des BMELV für die

Haltung von Säugetieren vorgesehen ist . Per Verord-
nung – das hat die Staatssekretärin schon gesagt – ist das
offensichtlich nicht durchsetzbar . Deshalb soll es nun mit
so einem schwächlichen Erlaubnisvorbehalt gerichtet
werden, mit einer viel zu langen Übergangszeit von fünf
Jahren und der übrigens völlig offenen Flanke, was die
Konsequenzen sein werden, wenn die Weltmarktpreise
wieder ansteigen . Hier stiehlt sich die Koalition aus mei-
ner Sicht schlichtweg aus der Verantwortung .

Mode kann aber doch niemals ein vernünftiger Grund
sein, Wildtiere zu halten und zu töten .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist doch weder mit dem Tierschutzgesetz noch mit
dem Staatsziel Tierschutz vereinbar . Deswegen sagt die
Linke ganz klar: Dieser Erlaubnisvorbehalt kann allen-
falls ein kleines Schrittchen in die richtige Richtung sein .
Ein Ersatz für das von vielen zu Recht geforderte Verbot
der Pelztierhaltung im Tierschutzgesetz ist es keinesfalls .


(Beifall bei der LINKEN)


Damit fährt die Koalition mit einer handbetriebenen
Draisine und angezogener Handbremse einem längst ab-
gefahrenen ICE hinterher .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Man könnte lachen, wenn es nicht so traurig wäre .


(Zuruf von der LINKEN: Genau!)


Mit der dritten Neuregelung soll das seit der BSE-Kri-
se bestehende Verbot der Verfütterung von tierischen
Fetten an Wiederkäuer aufgehoben werden . Wissen-
schaftlich sei aus Sicht des gesundheitlichen Verbrau-
cherschutzes kein erhöhtes BSE-Risiko für Menschen zu
erwarten . Damit müssen diese Fette nicht mehr entsorgt
und vernichtet werden, sondern können verfüttert wer-
den . Dennoch bleiben mir zumindest Restzweifel bei der
Verfütterung von Wiederkäuern an Wiederkäuer . Denn
das sogenannte Kannibalismusverbot kann helfen, unbe-
kannte Risiken zu minimieren . Wir haben doch bei der
BSE erlebt, dass Dinge passieren, die die Wissenschaft
nicht vorhergesagt hat . Diese Begrenztheit des Wissens
muss uns aus meiner Sicht immer bewusst bleiben . Ich
erwarte deswegen von den zuständigen Behörden und
wissenschaftlichen Einrichtungen, dass sie dieses Rest-
risiko wirklich im Auge behalten .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823412800

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Ute

Vogt .


(Beifall bei der SPD)



Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1823412900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“ – das war
das Motto meiner mündlichen Abiturprüfung, und, ehr-

Dr. Kirsten Tackmann






(A) (C)



(B) (D)


lich gesagt, dieses Faust’sche Zitat kommt mir auch in
den Sinn, wo ich jetzt am Redepult stehe .

Ich bin sehr froh, dass wir es nach sehr langem Ringen
und vollmundiger Ankündigung durch den Landwirt-
schaftsminister – ich glaube, schon vor fast zwei Jahren –,
das Schlachten trächtiger Tiere endlich zu beenden, heute
geschafft haben, einen Gesetzentwurf dazu vorzulegen .
Ich bin auch froh, dass wir durch Regelungen zur Pelz-
tierhaltung die Haltung von Pelztieren und insbesondere
das Fortbestehen der heute noch existierenden Pelztier-
farmen in Deutschland faktisch unmöglich machen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist sicherlich ein Erfolg, über den wir froh sein kön-
nen .

Die zweite Seele in meiner Brust ist aber ziemlich
traurig, wenn ich heute – das Ende dieser Legislaturperi-
ode ist ja schon in Sichtweite – auf die Bilanz in Sachen
Tierschutz schaue . Es ist richtig, Frau Staatssekretärin,
dass Sie sich alle Mühe gegeben haben, alle möglichen
Themen auf die Tagesordnung zu setzen . Es gab Kom-
missionen, Grünbuchprozesse, Gutachten und Studien .
Leider gab es nur ganz wenige praktische Konsequenzen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben das, ehrlich gesagt, zu Beginn dieser Le-
gislaturperiode im Koalitionsvertrag gemeinsam anders
vereinbart . Ich will ganz offen sagen: Es ist nicht unbe-
dingt ein Verschulden der Kolleginnen und Kollegen im
Parlament, mit denen wir an vielen Stellen weiter gehen-
de Beschlüsse gefasst haben . Indes hat das Ministerium
seine Aufgaben schlicht nicht erledigt . Es hat die Arbeit
verschleppt .


(Beifall bei der SPD)


Ich will Ihnen, um es transparenter zu machen, ein
konkretes Beispiel nennen . Im Koalitionsvertrag haben
wir vereinbart, ein Zertifizierungssystem für Tierhal-
tungssysteme in der Landwirtschaft einzuführen . Wir als
Parlamentarier haben uns geeinigt; diese Einigung haben
wir in den allerersten Wochen unserer Regierungszeit
herbeigeführt . Dort sitzt der Kollege Priesmeier, der so-
gar erzählen könnte, dass es die gleiche Einigung schon in
der letzten Großen Koalition gegeben hat . Am Dienstag
dieser Woche hat sich das Ministerium, vertreten durch
Herrn Staatssekretär Bleser, erdreistet, uns zu sagen, dass
es jetzt tatsächlich gelingen würde, diese Verordnung so
weit auf Papier zu bringen, dass man sie im September
zum ersten Mal vorstellen könne . Liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich muss sagen, dass ich mich für das, was uns
das Ministerium da vorgeführt hat, fremdschäme .


(Beifall bei der SPD)


Deshalb bin ich ein bisschen ratlos . Ich bin mir aber
ganz sicher, dass wir dieses Thema auf jeden Fall auch
zum Gegenstand von Wahlauseinandersetzungen ma-
chen müssen . Denn es kann nicht sein, dass wir Dinge
vereinbaren, das Parlament sich einig ist und das Minis-
terium verbindlich vereinbarte Punkte nicht umsetzt bzw .
verschleppt .

Wir haben im Jahr 2002 das Grundgesetz geändert . In
Artikel 20a heißt es nun:

Der Staat schützt auch in Verantwortung für die
künftigen Generationen die natürlichen Lebens-
grundlagen und die Tiere . . .

Diese Grundgesetzänderung hat damals – auch mit Ihren
Stimmen – eine Zweidrittelmehrheit erhalten . Ich glaube,
dass auch der Kollege Schmidt damals schon im Deut-
schen Bundestag war. Ich finde es wirklich bestürzend,
dass es uns bis heute nicht einmal im Ansatz gelungen
ist, die notwendigen tierschutzrechtlichen Veränderun-
gen herbeizuführen, die es gebraucht hätte, um diesen
Grundsatz, den wir damals in der rot-grünen Regierungs-
zeit im Grundgesetz verankert haben, weiter mit Leben
zu erfüllen .

Ich bin zwar dankbar, dass der Gesetzentwurf über-
haupt zustande gekommen ist . Ich muss Ihnen aber – das
kann ich nicht verhehlen – leider sagen: Aus Tierschutz-
gründen brauchen wir dringend eine andere Bundesre-
gierung .


(Beifall bei der SPD – Manfred Grund [CDU/ CSU]: Dann gebt euch mal Mühe!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823413000

Vielen Dank . – Jetzt hat Nicole Maisch für Bünd-

nis 90/Die Grünen das Wort .


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823413100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Hier

wurden eben Szenen einer Ehe aufgeführt . Natürlich hat
die Kollegin Vogt recht: Es ist wirklich traurig, was hier
in den letzten Jahren beim Thema Tierschutz zustande
gebracht wurde . Ich muss aber ganz ehrlich sagen: Ich
hätte überhaupt nicht mehr damit gerechnet, dass Sie
überhaupt noch ein Gesetz machen, das den Tierschutz
zumindest in Nuancen verbessern wird . Dafür schon ein-
mal meinen Respekt .

Was lange währt, wird endlich schlecht . Das kann
man, denke ich, als Überschrift für dieses Gesetz neh-
men . Schon vor über zwei Jahren hat der Minister in der
Presse angekündigt, er werde die Pelztierhaltung ver-
bieten . Er hat dann einen Gesetzentwurf an die Presse
lanciert . Die Union hat ihn daraufhin schnell wieder kas-
siert . Dabei herausgekommen ist nichts . Das ist wirklich
bezeichnend für die gesamte Ära Schmidt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dabei war der Handlungsdruck doch riesig . Sie alle
kennen doch die Bilder von den Nerzfarmen, wo die Tie-
re ohne Zugang zu Wasser, ohne ausreichend Platz und
in engen Käfigen zusammengepfercht gehalten werden,
nur damit sich irgendjemand eine Bommel an die Mütze
hängen kann. Ich finde, das können wir unter ethischen
Gesichtspunkten nicht weiter vertreten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ute Vogt






(A) (C)



(B) (D)


Mich würde es sehr freuen, wenn dieser Gesetzentwurf
tatsächlich ein Verbot der Pelztierhaltung enthalten wür-
de . Aber das ist leider nicht der Fall . Er gießt lediglich –
dies wurde bereits ausgeführt – das, was bisher schon in
der Verordnung gefordert wurde, in Gesetzestext . Frau
Staatssekretärin, das, was Sie hier aufgeschrieben haben,
ist nicht artgerecht . Es ist ein bisschen weniger schreck-
lich . Im Jahre 2017 sollte „ein bisschen weniger schreck-
lich“ nicht unser Maßstab für den Tierschutz sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Alle Regelungen sind – das wurde schon ausgeführt –
sehr alt . Trotzdem schreiben Sie in diesen Gesetzentwurf
weiterhin Übergangsfristen hinein, die es erlauben, dass
es das, was die Tierschutzverbände immer wieder in den
Medien zeigen – die schrecklich kleinen Käfige, Tiere
ohne Zugang zu Wasser –, weiterhin geben wird . Das ist
das Versäumnis dieses Gesetzentwurfs .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Beim Thema Pelz hätten Sie aus Verbrauchersicht
ebenfalls regeln sollen, dass ich als Kundin, wenn ich
eine Jacke kaufe, genau weiß, welche Art von Pelz oder
tierischen Bestandteil ich kaufe . Als Verbraucher wird
man im Laden verarscht . Es gibt Fantasiebezeichnungen
wie Gubi oder Goyangi . Dass es sich hierbei um Hunde-
bzw . Katzenfell handelt, weiß kein Mensch . Das möchte
ich nicht an meiner Jacke haben . Erkennen kann ich es
leider nicht . An dieser Stelle hätten mehr Transparenz
und mehr Verbraucherschutz Ihnen gut zu Gesicht ge-
standen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Außerdem wollen Sie endlich – auch das war vom Mi-
nister lange versprochen – das Verbot der Schlachtung
trächtiger Tiere regeln . Das ist grundsätzlich gut . Ab ei-
nem gewissen Grad der Reifung verendet der Fötus qual-
voll, wenn das Muttertier geschlachtet wird . Das kann
niemand in diesem Haus wollen . Ich glaube, nicht einmal
Herr Stier, der die Pelztierhaltung weiterhin unterstützt;
das hat er durch sein Abstimmverhalten im Ausschuss
klargemacht .

Der gefundene Konsens ist erst einmal gut . Aber das,
was Sie hier vorlegen, finde ich nicht wirklich gut ge-
macht . Sie haben Ausnahmeregelungen ins Gesetz ge-
schrieben, die das gute Ziel des Gesetzentwurfs verwäs-
sern . Richtig ist, dass bei Ziegen und Schafen nicht leicht
festzustellen ist, ob sie trächtig sind . Die Haltungssyste-
me sind anders als bei Rindern . Trotzdem muss man sol-
che Probleme, wenn es sie gibt, lösen und darf sie nicht
auf Kosten der Tiere ignorieren .

Zum Schluss . Dieser Gesetzentwurf ist – das hat die
SPD mehr oder weniger offen zugegeben – Teil eines
ziemlich ekligen Deals . Bisher war es verboten, Kälb-
chen zu Kannibalen zu machen . Das heißt, ein Kälbchen,
eigentlich ein vegetarisch lebendes Tier, darf nicht mit
dem Fett der Artgenossen gefüttert werden . In Zukunft
soll das erlaubt sein . Ich muss ehrlich sagen: Das ist nicht
nur widerlich, unnatürlich und ethisch bedenklich . Viel-
mehr steckt mir noch der BSE-Schock in den Knochen .
Das haben Sie alle wohl vergessen! Wir alle haben BSE,

das durch solchen Kannibalismus bei Wiederkäuern ent-
standen ist, nicht kommen sehen . Nun sagt Ihnen das
Bundesinstitut für Risikobewertung: BSE wird dadurch
nicht ausgelöst . – Das ist sicherlich gut . Aber wissen wir
denn, welche Tierseuchen es in Zukunft geben wird? Ich
bin der Meinung, dass Kannibalismus bei Kälbchen nicht
sein muss . Das ist klar abzulehnen . Deshalb erfährt die-
ser Gesetzentwurf durch uns keine Zustimmung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dieser Gesetzentwurf ist im Grunde genommen ge-
nauso wie Ihre Tierschutzpolitik in dieser Legislaturpe-
riode: halbherzig, zu spät, zu wenig, schlecht gemacht .
Gut, dass die Amtszeit von Christian Schmidt bald vorbei
ist .

Herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823413200

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Thomas

Mahlberg, CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Mahlberg (CDU):
Rede ID: ID1823413300

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin – Das waren be-

eindruckende Reden, die ich bislang genossen habe .
Frau Kollegin Vogt, anders als ich sind Sie kein Mitglied
des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft . Ich
habe das Gefühl, dass wir tatsächlich Meilensteine beim
Tierschutz gesetzt haben . Der Tierschutz stand immer im
Fokus der gemeinsamen Politik, die wir gemacht haben .


(Ute Vogt [SPD]: Was? Gefühlt vielleicht!)


Wir haben selbstverständlich einen Fahrplan verabredet .
Wir haben als Ausschuss die nun zur Diskussion stehen-
de Gesetzesänderung auf den Weg gebracht, die ebenfalls
einen Meilenstein für den Tierschutz darstellt .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meilenstein nennen Sie das? Das ist ein Kieselstein!)


Denken Sie daran, wenn Sie auf jemanden zeigen: Vier
Finger zeigen immer auf Sie zurück . Ich persönlich habe
das Gefühl, dass es Ihnen hier nicht darum ging, einen
fachlichen Beitrag zu liefern . Wahrscheinlich haben Sie
sich mit Ihrem Kanzlerkandidaten beraten .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh!)


Nach drei verlorenen Landtagswahlen bricht wohl etwas
Panik aus . Jetzt wollen Sie wahrscheinlich einen Stra-
tegiewechsel vornehmen . Sie wissen, dass wir wirklich
weitergekommen sind . Es ist schade, dass Sie das nicht
herausstellen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will nicht alles wiederholen, was die Staatssekre-
tärin eben gesagt hat . Sie hat in den Gesetzentwurf einge-
führt, und ich kann das, was sie gesagt hat, nur unterstüt-

Nicole Maisch






(A) (C)



(B) (D)


zen . Ich werde es gleich noch einmal zusammenfassen .
Wir machen wirklich Fortschritte in Sachen Tierschutz .


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber welche denn?)


Frau Kollegin Maisch, Sie haben einen Entschlie-
ßungsantrag vorgelegt, über den ich staune . Er steht in
einer Reihe mit Ihren wissenschaftlichen Expertisen, die
Sie schon immer hier vorgelegt haben . Sie haben uns ein-
mal gesagt, Sie hätten Glyphosat in der Muttermilch ge-
funden . Sie haben die ganze Republik verrückt gemacht .


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat das jetzt mit den trächtigen Tieren zu tun?)


Wir haben dann festgestellt, dass die Versuchsansätze
falsch waren und das Ergebnis Quatsch war . Dann ha-
ben Sie den Leuten gesagt, Glyphosat sei im Bier . Aber
man hat festgestellt, dass man 1 000 Liter pro Tag trinken
müsste, damit es schädliche Auswirkungen hätte . Alles
Quatsch, was Sie gemacht haben . Jetzt legen Sie einen
Entschließungsantrag vor, in dem Sie behaupten, es sei
unüblich, dass Kälber tierische Fette aus der eigenen Art
aufnehmen . Auch das stimmt nicht .


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war bisher verboten!)


Sind tierische Fette nicht auch in der Milch, die die
Kälber von ihren Müttern bekommen? Das ist doch keine
Form von Kannibalismus .


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unfassbar!)


Das verschweigen Sie den Leuten, weil es nicht in Ihre
plakative Strategie passt . Natürlich stimmt es auch nicht,
dass die Tiere plötzlich Rinderfett bekommen . Sie be-
kommen vielmehr ein ausgewogenes Futter . In diesem
Futter ist selbstverständlich auch Milch . Herr Ostendorff
als Bauer könnte das wahrscheinlich viel besser erklären
als ich . Ich bin Kaufmann, aber ich weiß natürlich, dass
Kälbermilch aus verschiedenen Bestandteilen besteht .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum redet eigentlich Herr Stier nicht?)


Selbstverständlich sind in dem Futter Bestandteile der
Milch enthalten .


(Zuruf des Abg . Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir entnehmen der Milch bestimmte Bestandteile und
fügen sie dem Futter zu . Insofern läuft auch dieser Vor-
wurf völlig ins Leere .

Natürlich gibt es Leute, die das ethisch bedenklich
finden. Aber wir haben eine fachliche Expertise vorlie-
gen, und um die geht es . Es geht nicht darum, etwas neu
zuzulassen oder neu einzuführen . Fette waren bei der
Verfütterung immer zugelassen – bis zur BSE-Krise . Wie
sagte jemand so schön: Als die Grünen mit den Birken-

stockschuhen noch zu den AKW-Demos gegangen sind,
gab es bereits die Verfütterung von Fetten .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das für eine Rede!)


Die wurde wegen der BSE-Krise verboten .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823413400

Herr Kollege Mahlberg, das ist jetzt gerade eine gute

Stelle, um Sie zu fragen, ob Sie eine Zwischenfrage oder
-bemerkung des Kollegen Ostendorff gestatten .


Thomas Mahlberg (CDU):
Rede ID: ID1823413500

Ja, natürlich .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823413600

Bitte schön .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann leider nicht mit einer Frage dienen, aber
schön, dass Sie gestatten, dass ich versuche, Ihren Ho-
rizont zu erhellen . Das kann manchmal helfen . Herr
Mahlberg, hören Sie also zu .

Es geht nicht darum, dass das Kalb die Milch der Mut-
ter zu sich nimmt – das ist in der Biologie so vorgegeben,
damit es wachsen und gedeihen kann . In diesem Antrag
geht es darum – wenn Sie den Antrag gelesen hätten, hät-
ten Sie das eigentlich auch verstehen können –, dass Rin-
derfette zukünftig wieder als Milchersatzstoff zugelassen
werden . Es geht um Milchersatzstoffe, um die sogenann-
ten Milchaustauscher, MAT abgekürzt .

Das Verfüttern solcher Fette ist mit dem Ausbruch
der BSE-Krise beendet worden, weil man sah, dass das
Risiko, zu erkranken, steigt, wenn das Tier Futter, das
aus Tieren der eigenen Art hergestellt wurde, erhält, man
also Kannibalismus zulässt . Das ist die Erkenntnis aus
der BSE-Krise gewesen . Deshalb hat man sich entschlos-
sen, das zu beenden . Das waren nicht immer nur Bun-
desregierungen mit grüner Beteiligung; es gab auch in
der Zeit unionsgeführter Regierungen eine große Über-
einstimmung, Tieren kein Futter, das aus der eigenen Art
hergestellt wurde, unterzujubeln, ohne dass sie es merken
und ohne dass sie sich dafür oder dagegen entscheiden
können .

Das ist die Erkenntnis . Die hätten aber auch Sie ge-
winnen können . Ich hoffe, dass Sie das zur Kenntnis neh-
men . Das wäre sehr schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Thomas Mahlberg (CDU):
Rede ID: ID1823413700

Ich nehme das gerne zur Kenntnis, aber, Herr

Ostendorff, ich muss noch einmal darauf hinweisen, dass
natürlich arteigene Fette vom Kalb über die Muttermilch
aufgenommen werden . Das verschweigen Sie in Ihrem
Antrag .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es hier aber nicht!)


Thomas Mahlberg






(A) (C)



(B) (D)


Sie lassen einfach Fakten weg, und das ist der entschei-
dende Punkt .


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Na selbstverständlich .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/ CSU – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann eben nicht! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Muttermilch wird ersetzt!)


Sie könnten den Kannibalismusvorwurf gar nicht auf-
rechterhalten, wenn Sie diesen Punkt hier mit anführen
würden; aber Sie lassen ihn ja bewusst weg . Darin be-
steht die Fehlinformation, die Sie den Menschen geben .

Wir haben Folgendes gemacht – ich finde, man sollte
immer auch mit Fachleuten sprechen; auch deshalb reden
wir über die erneute Zulassung dieser Fette –: Wir haben
Expertisen von entsprechenden Instituten eingeholt, zum
Beispiel vom BfR . Ich bin übrigens ganz überrascht, dass
Sie dessen Expertise offensichtlich akzeptieren; denn
sonst bekämpfen Sie das BfR eigentlich immer, wenn Sie
hier am Rednerpult stehen . Aber anscheinend haben Sie
mit der fachlichen Expertise in diesem Fall kein Problem .

Das BfR sagt: Aus gesundheitlichen Gründen, aus
Verbraucherschutzgründen wäre die Zulassung gar kein
Problem mehr . – Deshalb bringen wir hier diesen Gesetz-
entwurf ein . Dieses Produkt wird in der Industrie auch
gebraucht . Man braucht ja Fette, um die Milchaustau-
scher herzustellen . Die Alternative kennen Sie doch, Herr
Ostendorff: Man kann auch Palmöl verwenden . Aber wie
erklären Sie das den Leuten? Statt ressourcenschonend
zu arbeiten, wie wir das hier tun, soll dann lieber Palmöl
verwendet werden . Das kann doch auch nicht Ihre Stra-
tegie sein . Es ist also ein bisschen unverständlich, was
Sie sagen .

Wie gesagt, wir haben Fachleute dazu befragt . Wir
haben einen kleinen Rundruf durchgeführt . Wir haben
Professoren für Tierernährung der Tierärztlichen Hoch-
schule in Hannover, der TU München und der FU Berlin
befragt, und wir haben ihnen Ihre Vorschläge vorgelegt .
Ich teile Ihnen einmal mit, was sie gesagt haben: „Unsinn
hoch drei“, oder: „Völliger Quatsch“ . Dieses Ergebnis ist
da herausgekommen .

Ich finde, es ist doch ein Grundprinzip unserer Arbeit
hier – ich kann verstehen, dass Leute sagen, sie betrach-
teten das Ganze nur aus einem ethischen Blickwinkel –,
wissenschaftsbasiert zu arbeiten . Wenn wir diese Exper-
tisen vorliegen haben, dann ist es kein Quatsch, diese Fet-
te wieder zuzulassen – andere haben es bereits gemacht;
wir gehören zur Minderheit derjenigen, die es noch nicht
getan haben –, sondern es ist einfach dem Ziel geschul-
det, ressourcenschonend zu arbeiten und dem Stand der
Wissenschaft entsprechend unsere Gesetze zu formulie-
ren . Genau das tun wir an dieser Stelle, und das ist auch
absolut richtig .


(Beifall der Abg . Marlene Mortler [CDU/ CSU])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823413800

Herr Kollege Mahlberg, gestatten Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Maisch?


Thomas Mahlberg (CDU):
Rede ID: ID1823413900

Ja, na klar; sonst haben wir gar keinen Dialog hier im

Parlament .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823414000

Es ist aber die letzte Zwischenfrage, die ich jetzt ge-

statte . – Bitte schön .


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823414100

Herzlichen Dank . – Natürlich könnte man fragen, ob

es nicht eine Option wäre, den Kälbchen einfach Milch
zu geben; aber so weit will ich hier gar nicht gehen .

Sie haben eben gesagt, Sie hätten verschiedene Profes-
soren nach einer fachlichen Bewertung unseres grünen
Antrags gefragt und Sie hätten das Urteil bekommen, das
Sie eben vorgetragen haben: Unsinn hoch drei . – Dürfte
ich Sie bitten, die Quelle zu nennen, vielleicht sogar mit
Namen!


Thomas Mahlberg (CDU):
Rede ID: ID1823414200

Ja, das habe ich doch gerade gesagt . Wir haben das bei

der Tierärztlichen Hochschule Hannover, der TU Mün-
chen und der FU Berlin erfragt .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nennen Sie doch einmal die Professoren! – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Namen!)


– Wir haben selbstverständlich immer bei den Instituti-
onsleitungen nachgefragt . Da ich Ihnen das hier vortrage,
ist es zutreffend, dass wir das auch gemacht haben . Das
ist jetzt kein Fake oder so etwas .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir auf den Faktencheck gespannt! – Weitere Zurufe von der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823414300

Einigen wir uns darauf, dass jetzt der Kollege

Mahlberg das Wort hat .


Thomas Mahlberg (CDU):
Rede ID: ID1823414400

Wir haben hier einen entsprechenden Gesetzentwurf

vorgelegt, gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kol-
legen aus der SPD-Fraktion .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Mit viel Schmerzen!)


– Bei uns nicht .

Wenn ich es zusammenfassend noch einmal sagen
darf: Es geht hier nicht nur um die Frage der Zulassung
der Fette, sondern auch um andere Dinge . Wir haben das
eben schon in den verschiedenen Redebeiträgen gehört .
Ich finde, das ist wirklich ein guter Tag für den Tier-
schutz, weil wir erstens ein Pelztierhaltungsverbot mit
einem entsprechenden Erlaubnisvorbehalt auf den Weg

Thomas Mahlberg






(A) (C)



(B) (D)


bringen, um Tierschutz auch in diesem Bereich sicherzu-
stellen, weil wir zweitens dafür sorgen, dass hochträch-
tige Tiere nicht mehr geschlachtet werden, um unnötige
Schmerzen und Leiden bei Föten zu vermeiden – für
Schafe und Ziegen gibt es eine Ausnahme; wir haben das
eben gehört; ich glaube, wir sind uns mit der Bundesre-
gierung einig, dass in diesem Bereich weiter geforscht
werden muss, damit wir auch hier zu praktikablen Lö-
sungen kommen –, und weil wir drittens das Verbot auf-
heben, tierische Fette an Wiederkäuer zu verfüttern, da
diese BSE-Schutzmaßnahme – da bin ich mit Ihnen, Herr
Ostendorff, völlig einig – nach dem aktuellen Wissens-
stand absolut unbegründet ist . Deshalb bitte ich Sie, mei-
ne Damen und Herren, nach der schönen Diskussion, die
wir jetzt hatten, unserem Gesetzentwurf zuzustimmen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823414500

Vielen Dank . – Jetzt hat als letzte Rednerin zu diesem

Tagesordnungspunkt Christina Jantz-Herrmann für die
SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Christina Jantz (SPD):
Rede ID: ID1823414600

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute beraten
wir unsere Vorhaben, gegen Pelztierfarmen und gegen
das Töten hochträchtiger Tiere vorzugehen .

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Mir geht es ähnlich wie
Kollegin Maisch; auch ich habe in den letzten Monaten
oft nicht daran geglaubt, dass wir in dieser Legislaturpe-
riode tatsächlich diesen Gesetzentwurf vorliegen haben
und beschließen werden; denn es ist bereits anderthalb
Jahre her, dass wir uns in den Koalitionsfraktionen da-
rauf verständigt haben, hier etwas zu unternehmen . Es
ist ebenfalls anderthalb Jahre her, dass Bundeslandwirt-
schaftsminister Schmidt dieses Vorhaben medienwirk-
sam – wie so vieles – angekündigt hat . Doch es war ein
zähes Ringen mit den Kollegen der Union – das zeigt die
Dauer von anderthalb Jahren –, dieses Gesetzespaket in
Form zu gießen .

Dabei ist es wenig hilfreich für die Sache, wenn ein
Minister trotz Ankündigung von seiner eigenen Frakti-
on bei dem Vorhaben blockiert wird . Er wird nicht nur
von seinen Wirtschaftsfreunden blockiert, sondern – wir
haben es zuletzt im Landwirtschaftsausschuss gesehen –
sogar aus den eigenen Reihen: Ein Kollege aus der CDU,
der eigentlich für den Tierschutz zuständig sein sollte,
hat gegen das Gesetzespaket gestimmt .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Der will auch weiter Fohlenbrennen!)


Die SPD-Bundestagsfraktion – Sie sehen es, meine
Damen und Herren – hat für dieses Vorhaben intensiv
gekämpft; natürlich nicht, um Ehrenrettung des Minis-
ters zu betreiben, sondern – ganz klar –, weil es einfach
höchste Zeit war, die unhaltbaren Zustände in der Pelz-

tierhaltung und bei der Schlachtung hochträchtiger Nutz-
tiere zu beenden .


(Beifall bei der SPD)


Erstens wollen wir mit dem Gesetzentwurf verhindern,
dass schmerzempfindliche Tierföten bei der Schlachtung
des betäubten Muttertieres qualvoll – so ist es nämlich –
verenden; denn Tierföten, wie zum Beispiel im Falle von
Kälbern, können zumindest ab dem letzten Drittel der
Trächtigkeit bei der Schlachtung des Muttertieres bis zu
ihrem eigenen Tod Schmerzen und Leiden empfinden.
Indem wir verbieten, dass hochträchtige Tiere überhaupt
zum Schlachthof gebracht werden, wollen wir dieser Pra-
xis nun einen Riegel vorschieben .

Ausnahmen sollen nur gelten – das ist schon ange-
sprochen worden –, wenn im Einzelfall nach tierärzt-
licher Indikation eine Tötung geboten ist . Eine weitere
Ausnahme, die wir – aus meiner Sicht: leider – machen
müssen, umfasst Schafe und Ziegen . Mit diesem Gesetz-
entwurf wollen wir die Bundesregierung auffordern, in
diesem Bereich weitere Untersuchungen anzustellen .
Denn: Auch wenn es für die Ausnahme jetzt noch Gründe
gibt, ist es doch unser Ziel, dass zukünftig auch Schafe
und Ziegen in dieses Verbot einbezogen werden .


(Beifall bei der SPD)


Zweitens wollen wir den Pelztierfarmen in unserem
Land endlich ein Ende setzen . Auch wenn es mein per-
sönlicher Wunsch gewesen wäre: Wir können diese Far-
men aufgrund der verfassungsrechtlich geschützten Be-
rufsfreiheit leider nicht sofort schließen .


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Ehrlichkeit!)


Der Gesetzentwurf verbietet deshalb die Pelztierzüch-
tung, räumt aber ein, dass die Farmen befristet genehmigt
werden, wenn sie hohe Ansprüche an eine artgerechte
Tierhaltung erfüllen . Die Einführung und Einhaltung von
solch hohen Tierschutzstandards in der Pelztierhaltung
machen diese aber deutlich teurer und sicher auch unren-
tabel, sodass wir damit den aktuellen Geschäftsmodellen
ein Ende setzen werden .


(Beifall bei der SPD)


Drittens müssen wir – ich sage: müssen – das Fettver-
fütterungsverbot bei Wiederkäuern, wie Rindern, aufhe-
ben . Es gibt leider keine wissenschaftliche Grundlage für
ein Fortbestehen des Verbots. Ich persönlich finde das –
ich habe es auch schon an anderer Stelle gesagt – ethisch
besonders schwierig .

Viertens streben wir mit dem Gesetzespaket eine
weitere Änderung des Lebensmittel- und Futtermittel-
gesetzbuches an . Wir führen einen bundeseinheitlichen
Bußgeldkatalog ein . Damit legen wir einen ersten Grund-
stein – ich sage bewusst: ersten Grundstein – für eine
Vereinheitlichung und Vergleichbarkeit der staatlichen
Kontrollen im Lebensmittelsektor .

Sehr geehrte Damen und Herren, es ist bereits bei
meiner Kollegin Ute Vogt angeklungen: Der Gesetz-
entwurf ist ohne Frage ein Kompromiss . Er ist aber der
beste Kompromiss – das sage ich ganz offen –, den wir

Thomas Mahlberg






(A) (C)



(B) (D)


mit unserem Koalitionspartner erreichen konnten . Er ist
auch ein Kompromiss zwischen dem Tierschutz und an-
deren Verfassungsgütern, insbesondere der Berufs- und
Gewerbefreiheit . Hier sind dem Tierschutz – viele von
uns sagen sicherlich: leider – Grenzen gesetzt . Nach der
Güterabwägung dürfen wir Pelztierfarmen nicht direkt
schließen, Übergangsfristen allerdings auch nicht belie-
big kurz ansetzen . Es wäre rechtssicher ebenfalls nicht
möglich, die Fettverfütterung an Wiederkäuer als ein-
ziges EU-Land weiterhin verboten zu lassen, wenn es
keine wissenschaftlichen Belege gibt, dass aufgrund der
Fettverfütterung ein erhöhtes BSE-Risiko für den Ver-
braucher entsteht .

Selbstverständlich – Sie haben es an dieser Debatte
schon gemerkt –: Regierungsverantwortung zu tragen,
bedeutet immer auch, um Kompromisse zu ringen . Beim
Tierschutz ist das Ringen mit der Union – unter uns ge-
sagt – ein tägliches Tauziehen, zumal dann, wenn sich
der Minister vor allem im Ankündigen versteht und seine
Fraktion nicht immer mitzieht, sondern eher den Status
quo erhalten will, egal wie belastend er für die Landwir-
te und Landwirtinnen, für die Tiere und für die Umwelt
ist . Leider viel zu oft mussten wir Herrn Schmidt – auch
das ist in dieser Debatte schon angeklungen – beim Tier-
schutz zum Jagen tragen . Viel zu sehr war der Minister
auf sein Konzept der freiwilligen Verbindlichkeit fixiert.
Kritische Zungen würden sein Handeln eher als organi-
sierte Unverantwortung beschreiben .

Meine Damen und Herren, nach zähem Ringen konn-
ten wir zu einem Gesetzentwurf kommen, der den Tier-
schutz verbessert . Ich bitte Sie daher, unserem Gesetz-
entwurf und unserer Entschließung zuzustimmen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823414700

Vielen Dank . – Die Aussprache ist damit beendet .

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzent-
wurf zur Änderung futtermittelrechtlicher und tierschutz-
rechtlicher Vorschriften .

Zu dieser Abstimmung liegen mehrere Erklärungen
nach § 31 Absatz 1 unserer Geschäftsordnung vor . 1)

Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/12403, den Gesetzentwurf der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf Drucksa-
che 18/12085 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Einhaltung der Fraktion Die Linke
angenommen .

Dritte Beratung

1) Anlage 2

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem glei-
chen Stimmenverhältnis angenommen .

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12403 empfiehlt der Ausschuss, eine
Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist bei Enthaltung
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/12423 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppo-
sition abgelehnt .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung und Land-
wirtschaft (10 . Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Karin Binder, Caren Lay, Herbert
Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Bundesprogramm Kita- und Schulverpfle-
gung – Für alle Kinder und Jugendlichen eine
hochwertige und unentgeltliche Essensversor-
gung sicherstellen

Drucksachen 18/8611, 18/12178

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre hierzu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Carola Stauche, CDU/CSU-Fraktion . – Bitte schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Carola Stauche (CDU):
Rede ID: ID1823414800

Sehr verehrte Frau Präsidentin, scheidend, und sehr

verehrter Herr Präsident! – Gleich zwei Präsidenten sind
hier oben; die Ehre hat man nicht immer . – Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen! Heute befassen wir uns wie schon
in der letzten Legislaturperiode mit einem Antrag der
Linksfraktion zu dem Thema „Kindergarten- und Schul-
verpflegung“. Sie entschuldigen bitte, dass ich „Kinder-
garten“ sage; ich komme aus dem Stammland Fröbels
und halte das für die richtige Bezeichnung .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Antrag, der uns hier vorliegt, ist fast derselbe wie
das letzte Mal: wenig ausgewechselt, keine neuen Zah-
len,


(Karin Binder [DIE LINKE]: Keine neuen Zahlen? Sie haben den Antrag nicht gelesen!)


Christina Jantz-Herrmann






(A) (C)



(B) (D)


keine neuen rechtlichen Geschichten .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das kennen wir von den Linken! Immer derselbe Mist!)


Ich will kurz zusammenfassen, was hier gefordert wird .
Hier wird gefordert: kostenloses Essen in Kindergarten
und Schule, Verpflegung mit regionalen und saisonalen
Ökolebensmitteln unter bundesweit einheitlichen Stan-
dards, die streng kontrolliert werden, ebenso Einhaltung
arbeitsrechtlicher, tariflicher und sonstiger Bedingungen
für die Beschäftigten . Und: Der Bund bezahlt es .


(Karin Binder [DIE LINKE]: Ja! Wer denn sonst?)


Man könnte meinen: Das klingt nicht schlecht .


(Zuruf von der LINKEN: Ist es auch nicht!)


Doch beim genauen Hinsehen wird deutlich: Hier wer-
den Dinge gefordert, die überzogen, unpraktikabel, teuer,
gegenüber Bürgerinnen und Bürgern entmündigend sind


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und überdies nicht mit geltendem Verfassungsrecht ver-
einbar sind .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hier wird eine Granate nach der anderen abgeschossen! – Karin Binder [DIE LINKE]: Wir sind der Gesetzgeber, Frau Stauche!)


Bevor ich das weiter ausführe, will ich eines klarstel-
len: Sicherlich wollen wir alle, dass Kinder und Jugend-
liche sich gesund ernähren


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Das ist ja schon mal gut!)


und unter bestmöglichen Bedingungen aufwachsen . Wir
alle wollen eine gerechte Welt, die für alle Menschen
lebenswert ist . Doch teilweise unterscheiden wir uns in
Bezug darauf, was wir konkret darunter verstehen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber ganz grundsätzlich!)


Noch mehr unterscheiden wir uns darin, wie wir unsere
Ziele erreichen wollen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das klingt ja fast philosophisch!)


Die einen halten es immer und überall für die beste Lö-
sung, einem Teil der Bevölkerung Geld wegzunehmen,
um es dann mit der Gießkanne wieder auszuschütten –
nach dem Motto: Viel hilft viel . – Wir von der Union ste-
hen jedoch nicht nur für Vernunft und Augenmaß, son-
dern auch für Mündigkeit und Eigenverantwortung der
Bürgerinnen und Bürger .


(Beifall bei der CDU/CSU – Karin Binder [DIE LINKE]: Die armen Kinder!)


Deshalb sehen wir den Antrag äußerst kritisch .

Doch nun komme ich zu einigen Punkten des Antrags
im Einzelnen . Extrem befremdlich ist für mich die Pas-
sage:

Der Bund muss im Rahmen seiner grundgesetzli-
chen Fürsorgepflicht seine Verantwortung wahrneh-
men .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Er soll eine angemessene Verpflegung in den Ein-
richtungen durch geeignete Rahmenbedingungen
absichern .

Kein Zweifel: Der Staat hat eine Fürsorgepflicht,
besonders für Kinder und Jugendliche . Ob jedoch das
kostenlose Essen in Kindergarten und Schule dazuzählt,
zusätzlich zu den vielen anderen Sozialleistungen, kann
bezweifelt werden .

Ich möchte deutlich betonen: Der Staat übernimmt
Verantwortung, übt seine Funktion auf verschiedensten
Ebenen aus . Aber nicht alles ist Sache des Bundes . Bil-
dungspolitik und Kinderbetreuung liegen in der Verant-
wortung der Länder und der Kommunen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ein Blick ins Grundgesetz!)


Es ist auch nicht so, dass sich der Bund vor seiner finan-
ziellen Verantwortung für die Kommunen drücken wür-
de . Ich darf noch einmal in Erinnerung rufen, dass der
Bund Kommunen und Länder bereits finanziell entlastet
hat und weiter entlastet . In der gesamten Legislaturpe-
riode handelt es sich immerhin um 90 Milliarden Euro .


(Zuruf der Abg . Katrin Kunert [DIE LINKE])


Doch ist zu beobachten, dass die Entlastung, die für die
Kommunen gedacht ist, dort nicht immer vollumfänglich
ankommt . Manche Länder verwenden das Geld ander-
weitig oder geben es zwar weiter, aber kürzen dafür an
anderer Stelle .

Die Umsetzung des vorliegenden Antrags würde, vor-
sichtig geschätzt, über 5 Milliarden Euro im Jahr kos-
ten – ohne die Kosten für Neu-, Aus- und Umbau der ent-
sprechenden Infrastruktur und für zusätzliches Personal .


(Katrin Kunert [DIE LINKE]: Falsch gerechnet!)


Natürlich sollte uns für die Kinder, die bekanntlich un-
sere Zukunft sind, nichts zu teuer sein .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach? – Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber?)


Aber: Eine direkte Finanzierung von Kindergarten- und
Schulverpflegung durch den Bund ist nicht möglich.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Warum?)


Das lassen die föderalen Strukturen der Bundesrepublik
Deutschland nicht zu .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen das Kooperationsverbot ja abschaffen! – Zuruf von der LINKEN: Ja, noch! Nicht mehr lange!)


Carola Stauche






(A) (C)



(B) (D)


Die Länder wollen ihre Zuständigkeit auf diesem Gebiet
bestimmt nicht abgeben,


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Sie wollen doch nächste Woche sowieso das Grundgesetz ändern!)


das heißt, es würde wieder einmal darauf hinauslaufen,
dass der Bund zahlt und das Geld bei den Ländern versi-
ckert, ohne Nachweis, wofür sie es ausgeben haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch die Länder haben zusätzliche Steuereinnahmen –
das sollte man nicht vergessen –, auch die Kommunen .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Dann schaut einmal nach Thüringen!)


Auf das bestehende Kooperationsverbot haben im
Übrigen auch die Sachverständigen bei der Anhörung zu
diesem Antrag im vergangenen Herbst hingewiesen . Hier
kamen eine Reihe weiterer Punkte zur Sprache . Hinwei-
sen möchte ich zum Beispiel darauf, dass einheitliche
Lösungen für ganz unterschiedliche Herausforderungen
nicht praktikabel sind . So gibt es allein schon deutliche
Unterschiede bei der Verpflegung im Kindergarten und
in der Schule: regionale Unterschiede, unterschiedliche
Schulformen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unterschiedliche Kinder!)


Infrastrukturelle Gegebenheiten sind dabei überhaupt
noch nicht berücksichtigt .

Es stellt sich auch die Frage, inwieweit kostenloses
Schulessen überhaupt akzeptiert wird . Aktuell werden
jeden Tag in Deutschland 4 bis 5 Millionen Essen aus-
gegeben . Ein nicht unbeträchtlicher Teil davon landet im
Müll .


(Karin Binder [DIE LINKE]: Und die Frage ist: Warum?)


Wird denn das Essen mehr wertgeschätzt, wenn es ganz
und gar kostenlos ist? Oder sollen Schülerinnen und
Schüler zum Aufessen gezwungen werden?

Weiterhin wird in dem Antrag eine Zubereitung der
Mahlzeiten in Kitas und Schulen gefordert . Dafür sind
wohl kaum überall die entsprechenden baulichen Voraus-
setzungen gegeben . In den wenigsten Fällen wäre dies
ohne großen Aufwand machbar . Es müssten noch einmal
gewaltige Summen ausgegeben werden . Hinzu kommt
noch, dass es in der Gastronomie ohnehin bereits einen
Arbeitskräftemangel gibt . Woher sollen plötzlich Tausen-
de Köche für die Schulküchen kommen?


(Karin Binder [DIE LINKE]: Wenn ich sie anständig bezahle, Frau Stauche, dann krieg ich sie auch!)


– Ja, dann sind sie aber auch nicht ausgebildet .

Auf der anderen Seite haben zahlreiche Schulen schon
jetzt einen erheblichen Investitionsstau . Ist in Anbetracht
feuchter Wände und maroder Toiletten eine Schulküche
das dringendste Problem, wenn es einen ordentlichen Ca-
terer gibt?

Ähnlich verhält es sich mit der Idee, Ernährungsbil-
dung verpflichtend einzuführen. Mahlzeiten sollen mit
den Kindern gemeinsam zubereitet werden . Das wäre na-
türlich ideal . Aber was sollen die Schulen eigentlich noch
alles verbindlich leisten?


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viele Schulen haben das schon sehr lange!)


Zusätzlich zu den herkömmlichen Fächern, die jetzt
schon in vielen Ländern nicht ordentlich abgedeckt wer-
den, soll es auch noch Medienkunde,


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Medienbildung!)


Nachhaltigkeit, Inklusion, soziale Kompetenz usw . ge-
ben . Das alles ist wichtig, aber wir müssen aufpassen,
dass wir die Schulen nicht noch mehr mit verpflichtenden
Aufgaben überfrachten .

Stattdessen sollten wir Spielräume lassen für Initia-
tiven vor Ort, Eigenverantwortung fördern und mit Rat
und Tat zur Seite stehen . Hier ist der Bund bereits im
Rahmen des neuen Bundeszentrums für Ernährung ak-
tiv, zum Beispiel durch die Einrichtung des Nationalen
Qualitätszentrums für Ernährung in Kita und Schule . Wir
haben dazu einiges bei der letzten Ausschusssitzung ge-
hört . Diese Einrichtung soll bereits bestehende Maßnah-
men und Initiativen zum Kindergarten- und Schulessen
koordinieren, Qualitätsstandards und Konzepte für Qua-
litätsnachweis bei den Caterern weiterentwickeln sowie
alle Beteiligten für hochwertige Ernährung und den Stel-
lenwert der Ernährungsbildung sensibilisieren .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Die 20 Minuten Redezeit sind längst vorbei!)


Des Weiteren hat der Bund die Vernetzungsstellen
für Kindergarten- und Schulverpflegung seit 2008 mit
7,7 Millionen Euro gefördert und unterstützt seit einem
Jahr deren Projektarbeiten mit jährlich 1 Million Euro .
Aber grundsätzlich gilt auch hier: Die Ausstattung der
Vernetzungsstellen Schulverpflegung in den Ländern ist
und bleibt Ländersache .

Zum Thema Finanzielles noch eine ganz generelle
Anmerkung: Natürlich sollen Familien unterstützt wer-
den, die es sich nicht leisten können, Kindergarten- und
Schulessen zu finanzieren. Hier gibt es bereits gute Kon-
zepte und Lösungen vor Ort . Aber wieso soll das Essen
auch für Kinder kostenlos sein, deren Eltern sich das pro-
blemlos leisten können? Das ist für mich ein massiver
Widerspruch zum Gerechtigkeitsgedanken, der immer
wieder von der Linkspartei sehr strapaziert wird .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823414900

Frau Kollegin Stauche, Sie denken an die Redezeit?


Carola Stauche (CDU):
Rede ID: ID1823415000

Meine Rede ist zu Ende, ich höre jetzt auf . –


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Sie haben die längste Redezeit überhaupt!)


Carola Stauche






(A) (C)



(B) (D)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist vermutlich –
wie heute schon bei vielen – meine letzte Rede, da ich bei
der Wahl zum 19 . Bundestag nicht mehr kandidiere . Ich
werde das Thema „Gesunde Ernährung und Kindergar-
ten- und Schulverpflegung“ wie viele weitere Themen,
mit denen ich mich in den letzten acht Jahren im Bun-
destag beschäftigt habe, zwar nicht mehr parlamentarisch
bearbeiten . Aber ich kann Ihnen versichern: Ich werde als
freier, verantwortungsbewusster und engagierter Bürger
diese Themen weiter im Auge behalten und auch weiter
begleiten . Vielen Dank an dieser Stelle all meinen Kol-
legen, die mich immer unterstützt haben, und natürlich
auch meinen Mitarbeitern und sonstigen Helfern hier im
Bundestag und im Ausschuss!

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823415100

Liebe Kollegin Stauche, anlässlich Ihrer letzten Rede

auch von meiner Seite aus herzlichen Dank . Wir alle
möchten Ihnen danken .


(Beifall)


Jetzt kommen wir zu der Kollegin Karin Binder, die
für die Fraktion Die Linke spricht .


(Beifall bei der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823415200

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren auf den Besuchertribünen! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Liebe Frau Stauche, ja, Ihre Argumente waren
mir leider schon vorher bekannt . Deshalb gestatten Sie
mir, dass ich zu unserem Bundesprogramm „Kita- und
Schulverpflegung“ die folgenden Anmerkungen mache.

Ich glaube, jedes Kind in Deutschland wäre froh,
wenn es im Laufe seines Schultages eine anständige Ver-
sorgung erhielte .


(Beifall bei der LINKEN)


Viele Kinder sitzen nämlich mit hungrigem Magen in der
Schule .


(Carola Stauche [CDU/CSU]: Wo sind die Eltern?)


Da frage ich Sie, Frau Kollegin: Wie absolvieren diese
Kinder ihren Schulalltag, und mit welchem Schulab-
schluss gehen diese Kinder dann von der Schule? Wir
wissen, wir haben hier leider ein Problem: Eine viel zu
große Zahl von Kindern erwirbt keinen Schulabschluss .
Da verlieren wir als Gesellschaft wirklich eine Menge an
Zukunftsperspektiven für alle .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben unseren Antrag vorher mit vielen Akteu-
rinnen und Akteuren aus der Zivilgesellschaft reiflich
beraten: Wir haben mit den Kolleginnen und Kollegen
der Gewerkschaften – der GEW, der Gewerkschaft Nah-
rung-Genuss-Gaststätten – über das Thema der Bezah-
lung der Beschäftigten gesprochen, wir haben mit den

Schülerinnen gesprochen, wir haben mit den Lehrern ge-
sprochen, wir haben mit der Deutschen Gesellschaft für
Ernährung, deren Standards zumindest als Maßstab die-
nen sollten, gesprochen, wir haben mit dem Deutschen
Netzwerk Schulverpflegung und den Vernetzungsstellen
Kita- und Schulverpflegung gesprochen, mit Köchen und
mit Caterern . Die meisten dieser Akteure stimmen uns zu
und haben uns darin bestärkt, diesen Antrag auf den Weg
zu bringen,


(Beifall bei der LINKEN)


und zwar nicht zum ersten Mal . Ich behaupte eines: Ste-
ter Tropfen höhlt den Stein . Viele Kolleginnen und Kol-
legen im Ausschuss wissen, dass wir an dem Thema nicht
mehr vorbeikommen .

Die Qualität des Essens stimmt nicht . Deshalb geht
vieles in den Müll, nicht, weil das Essen von jemandem
bezahlt wurde; denn die Kinder wissen nicht, von wem .


(Zuruf der Abg . Carola Stauche [CDU/CSU])


Liebe Frau Stauche, die Kinder, deren Eltern das Es-
sen nicht bezahlen können, stehen an der Kasse und krie-
gen nichts, und das finden Sie in Ordnung.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Es gibt doch das Teilhabepaket! Natürlich!)


– Die Gutscheine über 10 Euro pro Monat, die über das
Bildungs- und Teilhabepaket ausgegeben werden, verur-
sachen einen Verwaltungsaufwand, der immens ist . Was
soll denn der Blödsinn?

Sie alle wissen, dass Kita- und Schulverpflegung sub-
ventioniert wird, und zwar von so vielen Stellen, dass es
im Prinzip gar nicht mehr überschaubar ist . Da macht es
doch viel mehr Sinn, sie von einer Stelle aus über Steu-
ermittel zu finanzieren, damit alle Menschen in Deutsch-
land einen Beitrag leisten und damit alle Familien ent-
lastet werden . Sie sind doch die Partei, die immer groß
predigt, mehr für die Familien zu tun .


(Beifall bei der LINKEN)


Aber hier sagen Sie, die Familien sollten selber zahlen .
Das ist doch Quatsch . Ich will, dass alle Steuerzahler
dazu beitragen, dass alle Kinder anständig versorgt sind,
und zwar egal, welches Einkommen die Eltern haben .
Kindergeld kriegen doch auch alle, da stört es doch auch
niemanden .


(Beifall bei der LINKEN)


Aber bei der Kita- und Schulverpflegung sollen gerade
die armen Kinder außen vor bleiben? Aus Ihren Vorstel-
lungen werde ich nicht mehr schlau . Das ist Diskriminie-
rung pur .

Dann haben wir noch das Problem mit der Mehrwert-
steuer . Wir hätten im Prinzip schon vor zehn Jahren dar-
angehen können, die blöde Mehrwertsteuer auf Kita- und
Schulverpflegung abzuschaffen. Aber nein, der Staat
muss 19 Prozent Mehrwertsteuer einnehmen, ausgerech-
net bei einer Versorgung, die im Prinzip uns allen zugu-
tekommt. Unser Gesundheitssystem profitiert davon, das
Sozialwesen profitiert davon. Die Kommunen und die

Carola Stauche






(A) (C)



(B) (D)


Schulen profitieren davon, aber auch die Kinder und de-
ren Familien. Alle profitieren davon, wenn wir diese blö-
de Mehrwertsteuer bei der Schulverpflegung abschaffen.


(Beifall bei der LINKEN)


Warum haben wir das noch nicht gemacht? Die CDU
hat im Ausschuss mittlerweile sogar eingestanden, dass
man darüber in der nächsten Legislaturperiode sprechen
könnte . Warum haben wir es dann in dieser Legislaturpe-
riode nicht schon gemacht?


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823415300

Frau Kollegin Binder, zwei Kollegen hätten gerne

eine Zwischenfrage an Sie gerichtet .


Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823415400

Aber gerne .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823415500

Wenn Sie das gestatten, dann fangen wir mit dem Kol-

legen Weiler an .


Albert Weiler (CDU):
Rede ID: ID1823415600

Frau Kollegin Binder, durch Lautstärke wird Ihre

Rede nicht besser .


(Zuruf von der LINKEN: Doch! Die ist hervorragend!)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823415700

Ich will, dass mich alle hören .


Albert Weiler (CDU):
Rede ID: ID1823415800

Ja, aber nicht alle Menschen sind gehörkrank, also zu-

mindest ich nicht, obwohl ich nicht besonders gut höre . –
Gut, aber das war nicht das Thema .


(Zurufe von der LINKEN)


Ich höre mir Ihre Argumente zwar an, aber ich weiß
nicht, wie weit weg Sie von der Basis sind .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich bin seit 12 Jahren ehrenamtlicher Bürgermeister . Seit
dieser Zeit trage ich die Verantwortung für einen Kinder-
garten mit 12 Mitarbeitern und fast 60 Kindern .

Sie haben die Eltern angesprochen, die das Essen
nicht bezahlen können . Ich sage Ihnen eines: Eltern, die
das Essen nicht bezahlen können, bekommen das Essen
vom Träger bzw . vom Landratsamt bezahlt . Es verhun-
gert keiner im Kindergarten .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Es ist doch keiner verhungert! Das wäre ja noch schöner! Darum geht es doch gar nicht!)


Das ist das Erste .


(Zuruf von der LINKEN: Sie haben nicht verstanden, worum es geht!)


Zum Zweiten ist es so: Die Verantwortlichen von gut
geführten Kindertageseinrichtungen oder Kindergärten
legen, wie ich als Bürgermeister auch, Wert darauf, dass
die Kindergärtnerinnen mit den Kindern zusammen das
Essen vorbereiten . Ob das Essen geliefert wird, ob das
Essen bezahlt wird, das spielt überhaupt keine Rolle .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Es gibt doch nicht nur Dörfer in Deutschland! Es gibt auch große Städte!)


Wir machen das . Und wenn ein Essen, wie bei uns,
1,85 Euro kostet, dann ist das keine Überforderung für
die Eltern .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Dann weiß ich, was die Köche verdienen bei 1,85 Euro!)


Zur Situation im Bundesland Thüringen, aus dem ich
komme . Unsere Landesregierung jetzt hat beschlossen,
dass ab 2018 das letzte Kindergartenjahr kostenlos ist . Im
letzten Kindergartenjahr brauchen die Eltern also nichts
mehr zu zahlen .


(Beifall bei der LINKEN)


– Moment . Ich gebe Ihnen recht: Das ist eine gute Sache .
Aber das Land wird, wie in der Vergangenheit auch, da-
für nicht aufkommen . Wer muss dafür aufkommen? Das
sind die Kommunen .


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Das ist gelogen!)


Wir als Kommunen müssen das bezahlen . Das heißt, wir
können nicht mehr in Kindergärten investieren, weil wir
die Personalkosten vom Land nicht mehr erstattet be-
kommen .


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Es geht ums Essen!)


Es ist ja schön, wenn Sie all diese Dinge beschließen,
aber dann muss ich auch so konsequent sein und den
Kommunen das Geld geben, das ihnen zusteht .


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch schon lange nicht mehr zum Thema!)


Das ist die Fehlleistung, die gerade von links kommt .

Wir haben in Thüringen einen linken Ministerpräsi-
denten .


(Beifall bei der LINKEN)


Im Bereich Bildung gibt es ein Defizit. Es gibt 500 offene
Lehrerstellen, die nicht besetzt werden .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um Schulverpflegung!)


Es gibt offene Stellen in den Kitas . Es werden immer
wieder gute Vorschläge gemacht, aber es wird nicht ge-
sagt, wie sie gegenfinanziert werden sollen.


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das jetzt hier Wahlkampf?)


Wir mussten mehr Personal einstellen .

Karin Binder






(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823415900

Herr Kollege Weiler .


Albert Weiler (CDU):
Rede ID: ID1823416000

Und da frage ich mich – –


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823416100

Herr Kollege Weiler, die Redezeit ist für eine Frage

oder Anmerkung überschaubar .


Albert Weiler (CDU):
Rede ID: ID1823416200

Ja, Sie haben recht, Herr Präsident . – Ich frage Sie:

Legen Sie die Vorschläge, die Sie hier machen, auch in
Thüringen vor? Dann bitten Sie dort den Ministerpräsi-
denten Bodo Ramelow, dass er den Kommunen endlich
das Geld gibt, das den Kommunen zusteht; immerhin hat
die Wirtschaft letztes Jahr 600 Millionen Euro und dieses
Jahr 280 Millionen Euro erbracht .


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823416300

So, wir müssen jetzt zur Beantwortung dieser Fra-

ge kommen . Jetzt hat zunächst die Kollegin Binder das
Wort . Dann kommt der Kollege Schipanski . – Ich sehe
gerade, er verzichtet . Dann hat sich noch Kollege Lenkert
zu einer Kurzintervention gemeldet .

Frau Kollegin Binder, Sie haben zuerst das Wort .


Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823416400

Herr Kollege, Sie haben in Ihrem Beitrag gerade die

beste Begründung geliefert, warum der Bund hier in die
Finanzierung einsteigen muss:


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Der ist überhaupt nicht zuständig!)


weil die Kommunen zu wenig Geld haben und weil die
Länder das nicht leisten können . Wir haben als Lösung
ein gutes Rechenmodell vorgelegt: drei Viertel zu ein
Viertel . Drei Viertel sollte der Bund übernehmen, der der
Hauptnutznießer dieses Programmes wäre . Mit 4,50 Euro
pro Kind und Tag würde der Bund für die Gestehungs-
kosten aufkommen . Die Kommunen, die Länder, die
Schulträger würden mit circa 1,50 Euro belastet für all
das, was an Infrastruktur dranhängt . Sie hätten also eine
hervorragende Lösung, um den Ländern und Kommunen
die Versorgung der Kinder zu ermöglichen – mit unserem
Programm . Ich frage Sie: Was stimmt daran nicht?


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Alles!)


Mit dem unsinnigen Vorurteil, was nichts kostet, ist
nichts wert, möchte ich wirklich einmal aufräumen . Wie
viele Kinder wissen denn überhaupt, ob oder was ihre
Eltern bezahlt haben? Die stehen doch nicht mit dem
Geldbeutel an der Kasse, bezahlen ihr Essen und wissen

dann, wie viel es wert ist . Die meisten Kinder sind froh
über jeden Apfel, über jede Milch, die sie in der Schule
kostenfrei über das EU-Schulobstprogramm bekommen .
Dieselben Kinder sollen es nicht zu schätzen wissen,
wenn sie ein anständiges, qualitativ hochwertiges Mit-
tagessen bekommen, an dem sie möglicherweise sogar
selbst beteiligt waren, zum Beispiel bei der Menüaus-
wahl oder der Aufstellung des Programms?

All diese Punkte sprechen dafür, dass wir als Gesell-
schaft dafür aufkommen, um Kommunen, Länder, Eltern
zu entlasten, und dafür sorgen, dass ganz viele Kinder,
die heute durch den Rost fallen, eine Zukunftsperspek-
tive haben .


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb kann ich nur sagen: Springen Sie über Ihren
Schatten, und stimmen Sie unserem Antrag zu .

Danke schön für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823416500

Der Kollege Lenkert hat jetzt die Gelegenheit zu einer

Kurzintervention .


Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823416600

Vielen Dank, Herr Präsident . – Ich möchte hier ein

paar Äußerungen klarstellen und dem Kollegen Weiler
empfehlen, sich das Gesetz, das in dieser Woche in Thü-
ringen beschlossen worden ist, anzusehen . Den Eltern
werden die Kitagebühren für das letzte Kindergartenjahr
erstattet – das ist richtig –, und zwar vom Land . Im Ge-
setz steht ausdrücklich: Das übernimmt das Land . Das
Land stellt den Kommunen für die Finanzierung 29 Mil-
lionen Euro bereit .


(Beifall bei der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Woher kommt denn das Geld, Herr Lenkert?)


Das ist der erste Punkt .

Der zweite Punkt . Hier wurde festgestellt, dass es in
Thüringen zu wenig Lehrerinnen und Lehrer gibt . Ja, das
ist richtig . Nach 24 Jahren CDU-Landesregierung haben
wir nicht genügend Lehrerinnen und Lehrer in Thürin-
gen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Oh! In Bayern stehen Tausende zur Einstellung bereit!)


In der Wahlperiode von 2009 bis 2014, CDU-geführte
Landesregierung, gingen in Thüringen etwa 3 000 Lehre-
rinnen und Lehrer in Pension . Eingestellt wurden 1 250 .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ja, weil die Kinderzahlen zurückgingen, Herr Lenkert! Das ist Realität!)


Das ist die Realität von Thüringen gewesen . Die neue
Landesregierung hat bis heute 250 Lehrerinnen und Leh-






(A) (C)



(B) (D)


rer mehr eingestellt, als Sie in der gesamten letzten Wahl-
periode, nämlich fast 1 500 .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ja, weil wir mehr Kinder haben!)


Das heißt, wir haben Ihren Rückstand aufgeholt . Wir ar-
beiten daran, aber wir haben es noch nicht geschafft .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sie schaffen es nicht! Genau! Sie schaffen es nicht!)


Noch kurz zu den Ausführungen der Kollegin Stauche .
Die CDU hat die Schulsanierung in Thüringen sträflich
vernachlässigt . Es kam zu einem Sanierungsstau . Ihnen
war die Schulsanierung nicht einmal 50 Millionen Euro
in vier Jahren wert . Wir haben jetzt ein Programm mit
250 Millionen Euro aufgelegt . Das ist verantwortungs-
volle Politik . Wir machen es anders als die CDU, die hier
im Bundestag erzählt, die Länder hätten zu viel Geld,
weswegen sie es kürzen will, aber in Thüringen schreit:
Wir haben nicht genug Geld .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823416700

Die nächste Rednerin ist die Kollegin Jeannine

Pflugradt für die SPD.


(Beifall bei der SPD)



Jeannine Pflugradt (SPD):
Rede ID: ID1823416800

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Einer hochwertigen Verpflegung in Kita und
Schule stimmen wir als SPD-Bundestagsfraktion selbst-
verständlich zu . Die Forderung der Partei Die Linke nach
einer unentgeltlichen Kita- und Schulverpflegung halten
wir allerdings für unangemessen .


(Karin Binder [DIE LINKE]: Schade!)


Warum sollte der Bund sämtliche Kosten für alle Kin-
der übernehmen? Dass wir diejenigen Eltern und Kinder
unterstützen, die sich tatsächlich keine Schulverpfle-
gung leisten können, ist unbestritten . Das ist Teil unseres
Systems, und das ist auch gut so . Eine Gegenleistung in
Form einer Bezahlung zu erbringen, hat für mich etwas
mit Wertschätzung zu tun . Gute und hochwertige Schul-
verpflegung hat einen Preis, und der sollte für alle El-
tern – ich betone: für alle Eltern – bezahlbar sein .

Natürlich sind wir, die SPD-Bundestagsfraktion, für
eine ausgewogene sowie hochwertige Essensversorgung
in Kitas und Schulen, an der jedes Kind teilnehmen kann .
Deshalb sollten wir unbedingt gemeinsam eine Lösung
suchen, wie der Bund die Länder und Kommunen finan-
ziell unterstützen kann . Denn leider besteht noch im-
mer – das brauche ich Ihnen eigentlich nicht zu sagen;
aber ich weise immer, wenn ich hier stehe, darauf hin –
das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern im
Bildungsbereich . Ich hoffe, dass es nicht mehr lange be-

stehen wird . Wir als SPD-Bundestagsfraktion kämpfen
dafür, dass es aufgehoben wird .


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/ CSU: Falsch!)


– Das ist nicht falsch, sondern das ist gut . – Wir haben be-
reits einen Fuß in der Tür . In der nächsten Sitzungswoche
werden wir das hoffentlich beschließen .

Der Bund engagiert sich dort, wo es ihm laut Grundge-
setz erlaubt ist . Seit 2008 unterstützt er die Schulvernet-
zungsstellen in den Ländern mit über 7,7 Millionen Euro .
Die Bundesländer müssen ihrer Verantwortung hier auch
in Zukunft gerecht werden und ihre Vernetzungsstellen
weiterhin finanzieren.

Jüngst hat das Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft ein Bundeszentrum für Ernährung ein-
gerichtet . Das Nationale Qualitätszentrum für gesunde
Ernährung in Kita und Schule ist ein Organisationsteil
davon . Es arbeitet eng mit den Vernetzungsstellen zu-
sammen . Das Nationale Qualitätszentrum entwickelt ge-
rade unter anderem Standards für die Qualität des Essens
für unsere Kinder in Kitas und Schulen . Dabei arbeitet
es eng mit der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zu-
sammen . Das unterstützen wir als SPD-Bundestagsfrak-
tion ausdrücklich . Auch wir sind dafür, endlich verbind-
liche statt freiwillige Qualitätsstandards für Schulcaterer
und für das Essen in Kita und Schule einzuführen . Denn
wie es mit der Freiwilligkeit ist, das wissen wir doch alle .

In Berlin und im Saarland sind entsprechende Stan-
dards seit Jahren eine Voraussetzung in den Rahmen-
verträgen für Caterer . Sie gehen also mit gutem Beispiel
voran . Dort dürfen nur Caterer Essen an Kitas und Schu-
len ausliefern, die das Siegel der Deutschen Gesellschaft
für Ernährung tragen . Daran sollten sich, denke ich, alle
Bundesländer orientieren .

Wir dürfen in der Diskussion aber auch nicht verges-
sen, dass die Bundesländer oder Kommunen selbst die
Verantwortung tragen, den Kindern in Kitas und Schulen
gutes Essen zu ermöglichen . Doch ob wir in jeder Schu-
le eine Lernküche benötigen – die Einrichtung solcher
Küchen wird im Antrag gefordert – und uns diese auch
leisten können, das bezweifle ich. Ob alle anderen all-
gemeinbildenden Fächer, die die Schule während einer
Schulwoche anbietet, der richtige Lernort für das Kochen
sind, bezweifle ich ebenso.

So wie ich die Bundesländer bei der Qualität in der
Pflicht sehe, sollten wir den Eltern die Verantwortung
überlassen, gemeinsam mit ihren Kindern zu kochen,
ihnen aufzuzeigen, aus welchen Bestandteilen Gerichte
bestehen, oder gemeinsam mit ihnen einkaufen zu gehen,
auch wenn das manchmal schwer fällt und sehr nervig
ist . Da spreche ich aus eigener Erfahrung; das können
Sie mir glauben . Wir können und sollten den Eltern nicht
jegliche Verantwortung abnehmen .


(Beifall der Abg . Rita Stockhofe [CDU/ CSU])


Ernährungsbildung und -aufklärung halte ich für aus-
gesprochen wichtig . Doch für ein eigenes Schulfach, so
meine ich, reicht das nicht . Es kann sehr gut in den höhe-

Ralph Lenkert






(A) (C)



(B) (D)


ren Klassenstufen in den Sozialkundeunterricht integriert
werden . In der Grundschule könnte ich mir ein Fach
Schulgarten vorstellen . Die Abgeordneten aus den neuen
Bundesländern werden das noch kennen . Auch ich hat-
te als Kind dieses Schulfach . Es hat mir Spaß gemacht,
und zu meinem Schaden war es nicht; das denke ich je-
denfalls. Selbst tätig sein, lernen, wie etwas angepflanzt
wird, gepflegt werden muss und geerntet wird, das ist,
denke ich, wichtig . Kinder lernen, unsere Lebensmittel
auch mehr wertzuschätzen, wenn sie wissen, wie viel Ar-
beit und Mühe es macht, bis etwas auf dem Teller liegt
und gegessen werden kann .

Des Weiteren stimmen wir für eine Mehrwertsteuer-
befreiung oder zumindest für eine Absenkung des Steu-
ersatzes auf 7 Prozent für Kita- und Schulverpflegung.


(Beifall bei der SPD)


Hundefutter zum Beispiel ist nur mit 7 Prozent besteuert .
Nichts gegen Tiere – ich selbst bin Hundebesitzerin –,
aber sind Tiere mehr wert als unsere Kinder? Diese Frage
stelle ich ganz provokativ in Richtung des Finanzminis-
ters Herrn Schäuble . Das Bundesministerium für Ernäh-
rung und Landwirtschaft hatte gerade erst wieder ange-
kündigt, dies in der nächsten Legislaturperiode erreichen
zu wollen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wollen immer alles in der nächsten Legislaturperiode erreichen!)


Darauf bin ich sehr gespannt . Ich wünsche allen Beteilig-
ten schon jetzt viel Erfolg .

Den Antrag der Linken finde ich überzogen, und zwar
für alle Beteiligten . Die Forderung nach der frischen Zu-
bereitung von Mahlzeiten an jeder Schule bedeutet, dass
jede Schule eine Köchin oder einen Koch sowie Küchen-
hilfen benötigt . Eine Küche, in der man frisch zubereiten
kann, benötigt frische Produkte, die täglich angeliefert
werden müssen . Diese Bedingungen erfüllen nicht ein-
mal die Kantinen hier im Bundestag .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das ist wohl wahr!)


Wie soll das mit 4,50 Euro pro Kind pro Tag bezahlt und
logistisch umgesetzt werden?

Aber nicht alles im Antrag ist schlecht . Einige For-
derungen unterstützen wir als SPD-Bundestagsfrakti-
on . Besonders gut gefällt mir persönlich, dass Sie einen
ganzheitlichen Ansatz hinsichtlich der Kita- und Schul-
verpflegung haben. Denn Essen ist mehr als reine Nah-
rungsaufnahme . Es verbindet Kinder miteinander .

Einer unentgeltlichen Verpflegung in Kita und Schule
können wir aber dennoch nicht zustimmen .

Ein bisschen ist ja schon über den Freistaat Thüringen
gesagt worden . Wie sieht es dort eigentlich wirklich aus?
Sie als Linke sind ja dort schon einige Zeit in der Regie-
rungsverantwortung und könnten ein Signal setzen . Ich
habe gehört: Das letzte Jahr in der Kita ist kostenfrei . –
Das ist ja schön .


(Zuruf des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])


– Hören Sie doch einfach weiter zu! – Aber laut der gest-
rigen Aussage der Schulvernetzungsstelle ist die Versor-
gung der Kinder noch nicht kostenfrei . Setzen Sie ein Si-
gnal! Fangen Sie doch dort an!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die SPD regiert in Thüringen, glaube ich, doch auch?)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823416900

Nächste Rednerin ist die Kollegin Nicole Maisch für

Bündnis 90/Die Grünen .


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823417000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst

muss man mal feststellen, dass es offensichtlich für die
CDU schwer zu ertragen ist, dass es unter Rot-Rot-Grün
in Thüringen vorangeht. Ich finde, das ist ein gutes Zei-
chen, aber offensichtlich wird das von Ihnen weniger ge-
schätzt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Anders als Frau Stauche möchte ich zunächst der
Kollegin Binder danken, dass sie dieses wichtige The-
ma zum wiederholten Male auf die Tagesordnung gesetzt
hat . Wenn wir uns beim Thema Schulernährung auf Sie
von der CDU/CSU verlassen hätten, dann wären wir ver-
lassen gewesen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie haben doch in den letzten vier Jahren nichts auf
die Reihe gebracht, um das Essen unserer Kinder in Kita
und Schule zu verbessern. Ich finde, die Zwischenrufe
„Das geht nicht“, „Das Grundgesetz lässt das nicht zu“
usw . sind sehr bezeichnend dafür, dass Ihnen dieses The-
ma einfach nicht wichtig ist . Wenn einem etwas wichtig
ist, dann kann man sogar das Grundgesetz ändern . Das
werden Sie diese Woche auch tun – beim Thema Auto-
bahn . Es schlägt ja das schwarze Herz besonders hoch,
wenn es um Beton geht . Da haben Sie kein Problem, das
Grundgesetz zu ändern . Wenn es jedoch um Bildung und
um Schulessen geht, dann halten Sie am Kooperations-
verbot fest, als wäre es eine religiöse – keine Ahnung –
Reliquie, Erscheinung, an die man nicht fassen darf . Das
finde ich ziemlich peinlich und zeigt politische Hand-
lungsunfähigkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Ich habe vorhin den Zwischenruf gehört, wir hätten ja
das tolle Bildungs- und Teilhabepaket, damit wäre für die
armen Kinder beim Thema Schulessen alles geklärt . –
Mitnichten! Dieses Ding ist ein bürokratisches Monster .
Es gibt auch für die ärmsten Kinder immer noch die Zu-
zahlung von 1 Euro . Daran scheitert es oft bei Familien,
die zum Beispiel im Hartz-IV-Bezug sind . Wenigstens
diesen Euro hätten Sie in dieser Legislaturperiode weg-

Jeannine Pflugradt






(A) (C)



(B) (D)


machen können . Das wäre das Mindeste gewesen, was
Sie für die Kinder, die Probleme bei der Finanzierung des
Essens haben, hätten tun können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Aber schauen wir uns doch einmal an, was der Minis-
ter Schmidt gemacht hat . Frau Stauche hat ja gesagt, die
Linken könnten alle nicht mit Geld umgehen . Interessant
ist, zu schauen, was Herr Schmidt mit unseren Steuer-
geldern gemacht hat . 2,4 Millionen Euro hat er für eine
sogenannte „Macht Dampf!“-Kampagne ausgegeben,
2,4 Millionen Euro für einen Rohrkrepierer! Die Eltern,
also Sie und ich, konnten sich im Internet eine Broschüre
herunterladen und sollten sich hinterher bei ihrer Schule
beschweren, wenn das Essen schlecht ist . Die Idee war
schon mal schlecht, aber die Resonanz war noch viel
schlechter . Diese Broschüre wurde bundesweit 329 Mal
heruntergeladen, zehnmal davon von mir, weil ich ja im-
mer gucke, was der Minister macht .


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Das heißt, knapp über 300 Leute haben diesen Kram
bundesweit heruntergeladen; 2,4 Millionen Euro hat es
gekostet . Das ist peinlich!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber das war ja nicht alles . Es gab diese teure Bro-
schüre, aber der Minister hat auch bundesweit Plakate
aufgehängt, 2 800 im ganzen Bundesgebiet, 570 allein in
Berlin – damit er sie auch mal sieht .


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In Sachsen-Anhalt mit 2,2 Millionen Einwohnern gab
es ganze acht Plakate zur Verbesserung der Schulernäh-
rung . Da frage ich mich: Welche Sachsen-Anhaltiner ha-
ben denn davon profitiert? Wer hat die überhaupt gese-
hen? In diesem ganzen Flächenland acht Plakate, und das
soll jetzt das Essen der Kinder verbessern? Das ist doch
absurd, und das ist peinlich! Das ist ein Geaase mit dem
Geld der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


An anderer Stelle kriegen Sie jedoch das Portemon-
naie nicht auf . Für die Schulvernetzungsstellen, die wirk-
lich eine wichtige Institution sind, um das Essen in Kitas
und Schulen zu verbessern, geben Sie 290 000 Euro ins-
titutioneller Förderung aus, für alle 16 Bundesländer, für
alle Kinder in Deutschland . Dazu gibt es 1 Million Euro
an Projektmitteln . Aber wenn man nicht den institutio-
nellen Wums hat, um Projekte zu beantragen, wenn man
keine Mitarbeiter, keine Geschäftsstelle hat, wie soll man
denn dann Projektmittel beantragen? 2,4 Millionen Euro
für etwa 300 Broschüren, die heruntergeladen wurden,
das ist kein Problem für Sie . Bei den Schulvernetzungs-

stellen sparen Sie am falschen Ende . Das ist ziemlich
traurig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Und weil der Minister ansonsten nicht so furchtbar
viel zum Thema Schulernährung beizutragen hat, reitet
er weiter ein totes Pferd, das Schulfach, das keiner will .
In jedem dritten Interview sagt er, wir sollten eigentlich
ein Schulfach Ernährung haben . Kein Bildungspolitiker,
nicht von der CDU – vielleicht irgendeiner von der CSU;
ich weiß es nicht –, von der SPD, von den Grünen, von
den Linken, will das, aber der Minister fordert und for-
dert und fordert und lässt sich auch von Experten, die
er selber mit Medaillen auszeichnet, führende Ökotro-
phologinnen, die ihm einen Brandbrief schreiben, er sol-
le das doch bitte lassen, das wäre kontraproduktiv und
schädlich, nicht belehren. Aber das alles ficht ihn nicht
an . Er fordert es weiter . Konsequenzen hat das ja ohnehin
keine – wie das meiste, was er in der Presse angekündigt
hat .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde, wenn Ihnen das Essen unserer Kinder am
Herzen liegt – ich denke, das ist uns allen ein Anliegen –,
dann sollten Sie das Kooperationsverbot endlich aufhe-
ben .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Wenn Sie das nicht hinkriegen, dann schaffen Sie we-
nigstens einen Verpflegungspakt mit den Ländern.


(Beifall der Abg . Katja Keul [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Ah!)


Warum muss uns das am Herzen liegen? Warum brau-
chen wir besseres Essen in Kita und Schule? 16 Prozent
unserer Kinder und Jugendlichen sind übergewichtig,
6,3 Prozent sind sogar adipös . Das ist doppelt so viel wie
zu der Zeit, als ich ein Kind war, also in den 90ern . Bei
den Erwachsenen ist es noch schlimmer . In meinem Alter
sind die meisten Männer schon quasi übergewichtig . Ein
Mann, der mit Mitte 30 normalgewichtig ist, ist in seiner
Altersklasse in der Minderheit .


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sie sollten vielleicht etwas zu sich nehmen, damit Sie ein bisschen ruhiger werden!)


Ich finde, solche Zustände können uns nicht egal sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Nichts gegen dicke Männer, aber es ist natürlich wirk-
lich ein Problem, wenn Kinder und Jugendliche über-
gewichtig sind, wenn sie Diabetes und Schwierigkeiten
mit den Gelenken bekommen . Das können wir alle nicht
wollen . Gutes Essen in Kita und Schule ist ein Schlüssel
dafür, das zu ändern .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Es gibt auch Frauen, die korpulente Männer mögen!)


Nicole Maisch






(A) (C)



(B) (D)


Meine Damen und Herren, die letzten vier Jahre wur-
den vom Minister mehr als schlecht genutzt . Die nächste
Ministerin sollte das besser machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Besser kochen! Der nächste Minister soll besser kochen!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823417100

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Alois

Rainer .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alois Rainer (CSU):
Rede ID: ID1823417200

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das ist schon eine interessante Debatte . Es soll
um eine hochwertige und unentgeltliche Essensversor-
gung in Kita und Schule gehen, wir debattieren aber zum
Teil über übergewichtige Männer mittleren Alters


(Karin Binder [DIE LINKE]: Ja, das ist das Ergebnis!)


oder über Mittel für den Schulausbau in Thüringen, der
irgendwann mal kommen wird .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es liegt ein Antrag vor, über den wir hier debattieren,
weil er eingereicht wurde . Aber wir sind nicht zuständig .
Die Zuständigkeit liegt nämlich ganz klar bei den Län-
dern und bei den Kommunen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ganz so einfach wollen wir es uns natürlich auch nicht
machen . Man muss einfach festhalten: Wir leben in ei-
nem föderalistisch aufgebauten Staatssystem, und darin
gibt es nun einmal feste Zuständigkeiten .

Ich sage Ihnen auch: Das Kooperationsverbot aufzu-
heben, wäre meines Erachtens nicht zielführend; es wäre
völlig falsch. Und die Schulverpflegung bundesweit zu
steuern und zu reglementieren, wäre genauso falsch .


(Karin Binder [DIE LINKE]: Es geht nur ums Finanzieren, Herr Kollege, nicht ums Steuern!)


– Ja, ich komme noch zum Finanzieren, Frau Kollegin .

Kita- und Schulverpflegung müssen diejenigen regeln
und auch finanzieren, die vor Ort dafür zuständig sind,
und das sind einfach die Kommunen und die Länder .
Diese und nicht schon wieder der Bund, der die Kom-
munen und Länder in dieser Legislaturperiode sowieso
schon unterstützt wie noch nie, sind hier die Sachauf-
wandsträger .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist unumstritten, dass gesunde Ernährung eine gro-
ße Bedeutung in der Gesellschaft haben muss . Einige
Ziele bei der Schulverpflegung empfinde ich als durch-
aus vernünftig, zum Beispiel, dass sie gesund, abwechs-

lungsreich und regional geprägt ist und dass Ökoproduk-
te verwendet werden .

Allerdings möchte ich hier weniger den Weg der
Reglementierung als vielmehr den Weg der Freiwilligkeit
vorschlagen . Aus eigener Erfahrung kann ich berichten:
Wenn Kommunen, Schulen und Eltern die Verpflegung
auf lokaler Ebene gemeinsam organisieren, dann wird
das angenommen und auch unterstützt . Ich könnte das
gleiche Beispiel nennen wie der Kollege Albert Weiler .
Auch in meiner Kommune hat das über viele Jahre hin-
weg wunderbar funktioniert . Das geht also sehr gut .


(Karin Binder [DIE LINKE]: Aber in einer Großstadt wie München klappt das nie und nimmer!)


Natürlich darf gutes Essen – es ist gute Ware – auch
etwas kosten . Das ist richtig so .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich meine – so habe ich es auch in der öffentlichen Anhö-
rung gehört –: Viel wichtiger als die Kosten ist, dass man
gemeinsam mit dem Caterer, den verantwortlichen Leh-
rern und den Eltern anhand von Leitlinien für gesunde
Ernährung eine ausgewogene Ernährung zur Verfügung
stellt . Ich denke, da sind wir uns im Großen und Ganzen
einig .

Im Übrigen möchte ich in diesem Zusammenhang
auf Bayern verweisen . Bayern hat dazu am Dienstag die
Leitlinien Schulverpflegung herausgegeben: Mit gutem
Essen Schule machen – Genussort Mensa . Die Broschü-
re kann ich Ihnen gerne geben . Da kann man nachlesen,
dass dieses System in Bayern sehr gut funktioniert . Da-
bei soll es das Ziel sein, diese Leitlinien im jeweiligen
Schulleitbild zu verankern. Gute Schulverpflegung muss
als Teil eines gelingenden Schullebens selbstverständlich
werden .

Lassen Sie mich kurz auf die Forderung in Ihrem
Antrag nach unentgeltlicher Essensversorgung einge-
hen . Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken,
Sie fordern die Bundesregierung auf, dass der Bund den
Ländern eine Pauschale von 4,50 Euro pro Kind bzw . pro
Jugendlichen je Verpflegungstag zahlen soll.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823417300

Herr Kollege Rainer, gestatten Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Bulling-Schröter?


Alois Rainer (CSU):
Rede ID: ID1823417400

Natürlich .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823417500

Dann hat sie das Wort .


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823417600

Vielen Dank, Kollege Rainer . – Sie haben behauptet,

in Bayern sei alles in Ordnung . Es gibt ja einen Minister-
präsidenten, der schon vom Paradies spricht .

Jetzt gibt es diese Ausschreibungsverordnung . Viel-
fach wird das Essen nicht in den Schulküchen in Bay-

Nicole Maisch






(A) (C)



(B) (D)


ern gekocht – vielleicht bei Ihnen, bei mir in Ingolstadt
nicht –, sondern es wird von weither angeliefert . Ein
Blick auf den Preis zeigt, dass das angelieferte Essen
vielleicht um 10 Cent billiger ist .

Ich halte dieses Vorgehen für falsch; denn es ist sinn-
voll, das Essen vor Ort zu produzieren . Sie selber haben
gesagt: Lebensmittel müssen etwas kosten . – Darin sind
wir uns einig: Gute Lebensmittel kosten einfach etwas .
Sehen Sie nicht Handlungsbedarf dahin gehend, dafür zu
sorgen, dass das Essen vor Ort aus regionalen Produkten
zubereitet wird? Denn unsere beiden Parteien setzen sich
ja explizit für regionale Wirtschaftskreisläufe ein .


(Beifall bei der LINKEN)



Alois Rainer (CSU):
Rede ID: ID1823417700

Sehr verehrte Frau Kollegin Bulling-Schröter, wir ha-

ben uns schon öfter über gute und nachhaltige Verpfle-
gung unterhalten . Natürlich wäre es vernünftig und gut,
wenn das Essen vor Ort aus frischen und regionalen Pro-
dukten zubereitet würde . Leider Gottes geht das nicht im-
mer . Deshalb gibt es die Informationen der Vernetzungs-
stelle Kita- und Schulverpflegung Bayern. Es soll wohl
auch bei uns in einigen Bereichen noch Nachholbedarf
geben . Ich hoffe natürlich, dass wir den einen oder ande-
ren Caterer finden, der das macht. Es ist immer schwie-
rig, eine Kita, die – in Anführungszeichen – nur 30 oder
40 Essen benötigt, wirtschaftlich mit Essen zu versorgen .
Trotzdem sind wir, denke ich, auf einem guten Weg . Wir
beide können uns dahin gehend weiter austauschen .


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Der Mann versteht was von der Sache!)


Zurück zu den Kosten . Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen von den Linken, ich habe das Ganze kurz überschla-
gen . Bei 6 Millionen berechtigten Kindern am Tag macht
das 27 Millionen Euro täglich . Liebe Freunde, 27 Millio-
nen Euro täglich ist eine unglaubliche Summe . Wenn ich
diese Zahl mit circa 200 Schultagen multipliziere – in der
Kita sind das noch mehr Tage mit Verpflegung –, komme
ich auf ein Ergebnis von circa 5,4 Milliarden Euro . Wenn
ich die Kitatage noch hinzunehme, bin ich wahrschein-
lich bei circa 6 Milliarden Euro . Das ist eine unglaubli-
che Summe .

Vor allem gibt es über das SGB II schon die Möglich-
keit, sich die Kosten erstatten zu lassen . Der Betrag von
10 Euro monatlich bezieht sich auf Vereine . Nein, Fami-
lien mit Kindern bekommen die Kosten für die Verpfle-
gung ganz erstattet . Ja, Frau Kollegin Maisch, der eine
Euro muss zurückgezahlt werden, weil in den Regelsät-
zen Ausgaben für Verpflegung enthalten sind. Darüber
könnte man diskutieren; da bin ich ganz bei Ihnen . Es ist
eben so. Aber die Behauptung, dass Kinder aus finanz-
schwachen Familien das nicht bekommen, ist meines
Erachtens nicht richtig . Das muss man am Ende des Ta-
ges ja auch finanzieren. Gerade für finanziell schwächere
Familien ist es möglich, hier eine Unterstützung zu er-
halten .

Es ist vorhin gesagt worden – das ist nicht verwerf-
lich –: Was nichts kostet, ist einfach nichts wert . – Ich

bleibe dabei: Das ist einfach so . Wenn das Essen nichts
kostet, dann ist es auch nichts wert .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie mich zum Ende meiner Rede noch einmal
kurz auf eines eingehen: Bildung ist zwar Ländersache,
aber unser Landwirtschaftsministerium hat einiges da-
für getan . Schon seit 2008 setzt sich das BMEL für eine
Verbesserung der Verpflegung in den Kitas und Schu-
len sowie der vorschulischen Ernährungsbildung ein .
Das BMEL hat die Vernetzungsstellen für die Kita- und
Schulverpflegung seit 2008 mit insgesamt 7,7 Millionen
Euro gefördert .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie gekürzt!)


Ein wichtiger Meilenstein ist meines Erachtens die
Errichtung des Nationalen Qualitätszentrums für Ernäh-
rung in Kita und Schule – wir haben uns kürzlich im Aus-
schuss damit befasst –, das seit Februar 2017 im Rahmen
des neuen Bundeszentrums für Ernährung tätig ist .

Das Nationale Qualitätszentrum ist ein zentraler Bau-
stein der Qualitätsoffensive für besseres Essen in Kita
und Schule . Es bereitet in Kooperation mit der Deut-
schen Gesellschaft für Ernährung ein Verfahren vor, mit
dem sich Caterer und Essensanbieter als besonders qua-
lifizierte Vertragspartner für Kitas und Schulen empfeh-
len können . Ich kann es nur gutheißen, dass es – Frau
Pflugradt hat es schon gesagt – Auszeichnungen für Ca-
terer gibt . Das ist gut; daran müssen wir weiter arbeiten,
und das wollen wir auch . Denn Qualität muss das oberste
Ziel sein .

Mit dem Wettbewerb „Klasse, Kochen!“ prämiert das
BMEL bereits seit sieben Jahren die besten Schüleride-
en zur Nutzung von Schulküchen . Mehr als 60 Schulen
haben eine hochwertige Schulküche gewonnen . Das ist
unglaublich wichtig .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke,
das Ziel muss sein, anhand von Leitlinien bundesweite
Qualitätsstandards für das Essen in Kita und Schule zu
definieren. In diesem Sinne freue ich mich auf viele wei-
tere Debatten zu diesem Thema .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823417800

Zum Abschluss dieser Aussprache hat die Kollegin

Elvira Drobinski-Weiß das Wort für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1823417900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Verehrte Gäste auf den Tribünen! Eine flächendeckende,
qualitativ hochwertige Kita- und Schulverpflegung hat
für die SPD-Bundestagsfraktion ernährungspolitisch die
höchste Priorität .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Eva Bulling-Schröter






(A) (C)



(B) (D)


Ich meine damit selbstverständlich eine Schulverpfle-
gung, an der jedes Kind unabhängig vom Geldbeutel der
Eltern teilnehmen kann .

Die Kollegin Pflugradt hat bereits einiges dazu aus-
geführt . Wir wollen und müssen in dieser Frage endlich
vorankommen .

Nun wissen wir aber auch alle miteinander, wie
schwierig die konkrete Umsetzung dieser eigentlich ein-
fachen Idee ist . Wir diskutieren hier ja nicht zum ersten
Mal darüber . Und ja, über das ganz konkrete Wie gehen
die Vorstellungen auseinander, auch hier in der ersten
Reihe . Für uns Sozialdemokraten und Sozialdemokratin-
nen ist aber klar: Gutes, gesundes und bezahlbares Essen
muss in allen Kindertagesstätten und Schulen zum Stan-
dard werden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Doch damit ist es nicht getan . Gute, gesunde Ernährung
muss auch außerhalb der Schule leichter werden .

Und weil zu Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von der Linken, liebe Karin Binder, inzwischen,
glaube ich, alle Argumente ausgetauscht sind, erlaube ich
mir, den Bogen etwas weiter zu spannen . Selbst wenn
wir nämlich aus der Schule einen Ort machen, an dem
gesundes Essen selbstverständlich ist, haben wir immer
noch jede Menge anderer Baustellen . Denn während eine
ausgewogene Ernährung theoretisch gar nicht so kompli-
ziert ist – viel Obst und Gemüse, wenig Salz und Zucker,
viel Wasser und Vollkorn –, ist sie ganz praktisch im All-
tag oft ziemlich schwierig . Fast Food und Süßigkeiten
an jeder Ecke, verwirrende Nährwertkennzeichnungen,
unausgewogene Fertigprodukte, die als gesundheitsför-
dernd verkauft werden, eine Geschmacksprägung auf zu
viel Zucker, Salz und Fett schon im Kindesalter: Die Lis-
te der Dinge, die eine ausgewogene Ernährung erschwe-
ren, ist lang .

Wenn wir alle Kinder und natürlich auch ihre Eltern,
alle Verbraucherinnen und Verbraucher insgesamt dabei
unterstützen wollen, gesund zu essen, dann müssen wir
dafür sorgen, dass die gesündere Wahl im Alltag auch zur
leichteren wird: Wir brauchen Kassenzonen ohne Süßig-
keiten und Fertigprodukte mit weniger Zucker und Salz .
Wir brauchen die Ampelkennzeichnung und aus meiner
Sicht auch eine gesetzliche Beschränkung für das an Kin-
der gerichtete Lebensmittelmarketing .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Die freiwilligen Selbstverpflichtungen der Lebens-
mittelindustrie auf diesem Feld – sie funktionieren nicht .
Das hat ja gerade erst eine Studie belegt, die die AOK
in Auftrag gegeben hat . Wir reden immer darüber, wie
wichtig Ernährungsbildung in Kita und Schule ist . Ja, das
ist sie . Aber das Wissen muss auch im Alltag umsetzbar
sein . Ich erwarte vom Minister für Ernährung beispiels-
weise, dass er jetzt endlich mal etwas zur nationalen Re-
duktionsstrategie im Hinblick auf Zucker, Salz und Fett
sowie zur Frage vorlegt, wie er Kinder – wie es in seinem
Grünbuch heißt – vor irreführenden Werbeaussagen und
falschen Kaufanreizen schützen will . Und von der Le-

bensmittelwirtschaft erwarte ich deutlich mehr Engage-
ment und weniger business as usual und Blockade .

Allen Kindern eine gute und gesunde Ernährung zu
ermöglichen, ist eine Frage sozialer Gerechtigkeit, eine
Frage der Chancengleichheit . Deshalb hat das auch für
uns höchste Priorität. Und deshalb werden wir auch fi-
nanzierbare und tatsächlich umsetzbare Lösungen finden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823418000

Vielen Dank für die Punktlandung, was die Redezeit

betrifft . – Damit schließe ich die Aussprache .

Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Ernährung und Landwirtschaft zum Antrag
der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Bundesprogramm
Kita- und Schulverpflegung – Für alle Kinder und Jugend-
lichen eine hochwertige und unentgeltliche Essensver-
sorgung sicherstellen“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12178, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8611
abzulehnen . Wer für die Ausschussbeschlussempfehlung
stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal-
tung von Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 14 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses

(3 . Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre-

gierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der Militärmis-
sion der Europäischen Union als Beitrag
zur Ausbildung der malischen Streitkräfte

(EUTM Mali)


Drucksachen 18/11628, 18/12205


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/12206

Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Widerspruch
dagegen erhebt sich nicht . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und darf zu Beginn als ers-
ter Rednerin der Kollegin Dr . Edelgard Bulmahn für die
SPD das Wort erteilen .


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823418100

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! 2012 stand Mali am Abgrund . Die-
ses Land drohte infolge des Putsches, des Wiederauf-

Elvira Drobinski-Weiß






(A) (C)



(B) (D)


flammens der Tuareg-Rebellion und des Vormarsches
islamistischer Banden zu zerbrechen, zu einem „Failed
State“ zu werden . Nur das entschlossene Eingreifen
Frankreichs hat Schlimmeres verhindert und die Ein-
leitung eines Friedensprozesses ermöglicht, der 2015 in
den Abschluss eines Friedensvertrages mündete – ein
umfangreicher Vertrag, der nicht den Abschluss eines
Prozesses markierte, sondern vielmehr ein Programm
zur Überwindung wirklich tiefgreifender Konflikte dar-
stellte . Und er zeigte einen Weg zu einem dauerhaften
Frieden auf .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das militäri-
sche Eingreifen damals war notwendig . Es war notwen-
dig, um zum einen die Zivilbevölkerung zu schützen . Es
war aber auch notwendig, um überhaupt die Aufnahme
eines politischen Verhandlungsprozesses zu ermöglichen,
der dann zu diesem Friedensvertrag führte. Der Konflikt
selbst wurde dadurch – das ist jedem klar – nicht über-
wunden. Eine tatsächliche Überwindung des Konfliktes
erfordert weitaus mehr . Nachhaltige Friedenssicherung
verlangt, dass man die Ursachen eines Konfliktes besei-
tigt bzw . zumindest mildert sowie Institutionen und Ver-
fahren zur friedlichen Regelung von Konflikten etabliert.
Die Konfliktregionen müssen gemeinsam mit den Kon-
fliktparteien die Voraussetzungen und die Strukturen für
ein friedliches Zusammenleben schaffen . Das gilt auch
für Mali .

Entscheidend für den Prozess, der in Mali begonnen
wurde, sind der Aufbau und die Stärkung rechtsstaatli-
cher Strukturen und demokratischer Institutionen . Das ist
die entscheidende Voraussetzung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Entscheidend sind auch die Bekämpfung von Armut,
Hunger und Not sowie die Verbesserung von Lebens-
chancen und Perspektiven, also eine nachhaltige wirt-
schaftliche und soziale Entwicklung .

Entscheidend sind des Weiteren die Bekämpfung der
organisierten Kriminalität, die ein riesiges Problem dar-
stellt, und die effektive Bekämpfung der Korruption .
Entscheidend sind ebenfalls die Einhaltung der Men-
schenrechte, gute Regierungsführung und die Durchset-
zung des staatlichen Gewaltmonopols, das die Sicherheit
der Menschen gewährleistet und all das, was ich eben
beschrieben habe, überhaupt erst ermöglicht und die Vo-
raussetzungen dafür schafft, dass das tatsächlich geleis-
tet wird . Dazu gehören insbesondere der Wiederaufbau
von Polizei und Justiz, aber auch eine Armee, die sich
dem Leitbild der Rechtsstaatlichkeit und dem Schutz der
Menschenrechte verpflichtet fühlt. Deshalb ist es not-
wendig und richtig, dass sich die Bundesrepublik bereit
erklärt hat, die malische Armee dabei zu unterstützen, ein
entsprechendes Leitbild zu entwickeln und leistungsfähi-
ger zu werden, damit sie die wichtige Aufgabe des Schut-
zes der Bevölkerung erfüllen kann .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es geht also – das sage ich insbesondere an die Adres se
der Fraktion Die Linke, die sich immer dagegen verwahrt

hat – um einen ganzheitlichen und kohärenten Ansatz bei
diesem Einsatz, der nicht alleine auf die Stärkung militä-
rischer Strukturen abhebt . Allerdings stellt die Stärkung
der militärischen Strukturen in dem Sinne, wie ich es be-
schrieben habe, eine wesentliche Komponente dar . Die
Arbeit der Bundeswehr ist wichtig .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wissen sehr wohl zu schätzen, was die Soldatinnen
und Soldaten dort jeden Tag leisten . Wir wissen aber
auch, dass die militärische Komponente allein nicht aus-
reicht; denn Sicherheit lässt sich auf Dauer nur gewähr-
leisten, wenn auch die zivilen Sicherheitsstrukturen ge-
stärkt werden und die Voraussetzungen für Sicherheit der
Menschen und Rechtsstaatlichkeit geschaffen werden .

Deshalb engagieren wir uns in Mali nicht nur in der
Ausbildung von Militär, sondern auch für die wirtschaft-
liche Entwicklung des Landes . Wir engagieren uns mit
der EU-Mission EUCAP und der zivilen Komponente,
der VN-Mission MINUSMA, in der Ausbildung von Po-
lizeikräften . So sind allein für die Polizeiausbildung in
beiden Missionen über tausend Polizistinnen und Poli-
zisten in Mali tätig . Wenn wir heute über die Fortsetzung
der Beteiligung an der EU-Mission zur Ausbildung der
malischen Streitkräfte entscheiden, sollten wir diese Mis-
sion daher nicht isoliert betrachten . Vielmehr müssen wir
sie in den Kontext unseres Gesamtengagements stellen
und genau in diesem Kontext betrachten und diskutieren .

Die Sicherheitslage ist nach wie vor prekär . Erst im
Januar hatte MINUSMA, die Friedensmission der UN,
einen verheerenden Anschlag mit 80 Toten in einem ih-
rer Camps zu beklagen . Diese prekäre Sicherheitslage
ist zu einem erheblichen Teil die Folge einer zu zöger-
lichen Umsetzung des Friedensprozesses . Andererseits
gibt es deutliche Fortschritte – auch diese sind in Mali
zu beobachten –, die Hoffnung auf eine Befriedung und
eine Überwindung des Misstrauens zwischen den unter-
schiedlichen Gruppierungen machen . Ich nenne als Bei-
spiele die Abhaltung der Kommunalwahlen im vergange-
nen Herbst, die Einrichtung von Interimsregierungen im
Norden und die Durchführung gemeinsamer Patrouillen,
in denen regierungsnahe Soldaten oder Polizisten mit
ehemaligen separatistischen Tuareg und Rebellengrup-
pen zusammenarbeiten . Ich konnte selber eine solche Pa-
trouille begleiten und beobachten . Es ist wirklich beein-
druckend, was dort in den letzten Jahren geleistet worden
ist .

Diesen Prozess sollten wir offensiv weiter begleiten
und unterstützen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es gilt, diesen Prozess so zu begleiten, dass er wirklich
Erfolge zeitigt, dass er dazu beiträgt, dass der Friedens-
prozess gelingt; denn wir wissen, dass das eine erhebli-
che Rolle spielt und es entscheidend für die weitere Ent-
wicklung Malis, aber auch für die weitere Entwicklung
von ganz Westafrika ist .

Ich will noch einen kritischen Punkt ansprechen,
der uns alle, glaube ich, betrifft und weil wir alle dies-
bezüglich Verantwortung tragen . Was ein Problem dar-

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


stellt, ist die schleppende Umsetzung der Vereinbarung
zur Dezentralisierung staatlicher Gewalt . Dazu gehören
zum Beispiel die stärkere Einbeziehung des Nordens in
die nationalen Institutionen, vor allem aber die Verlage-
rung von Kompetenzen auf die regionale Ebene und der
Aufbau von effektiven regionalen Verwaltungsstrukturen
und auch einer lokalen Verwaltung . Dazu gehört auch die
Zuweisung von finanziellen Mitteln in die Regionen, die
diese eigenständig verwalten und verausgaben dürfen .

Das ist Teil des Friedensvertrages, und zwar ein ganz
wesentlicher Teil . Gerade bei diesem Punkt habe ich bei
meiner letzten Reise nach Mali im Februar dieses Jah-
res leider sehr viel Zögerlichkeit zur Kenntnis nehmen
müssen . Hier stehen wir als internationale Partner in der
Verantwortung, gegenüber der malischen Regierung sehr
deutlich zu machen, dass unsere Hilfe bei der Stärkung
des Sicherheitssektors nur dann langfristigen Erfolg brin-
gen kann, wenn auch der Friedensvertrag und insbeson-
dere die konfliktentschärfende Dezentralisierung umge-
setzt werden .


(Beifall bei der SPD)


Das ist die Aufgabe von uns allen . Die Stärkung des
Sicherheitssektors, der Justiz und der Rechtsstaatlichkeit
auf der einen Seite und die effektive Dezentralisierung
auf der anderen Seite – das sind die entscheidenden Vo-
raussetzungen für die Stabilisierung Malis, und dafür
lohnen sich unsere Unterstützung und unser Einsatz .
Deshalb bitte ich Sie um Unterstützung für diesen Antrag
und für den Einsatz .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823418200

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt die Kollegin

Christine Buchholz das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823418300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mehr als

vier Jahre ist die Bundeswehr nun schon in Mali . Im
Mandat heißt es, der Einsatz von Militärausbildern solle
dem übergeordneten Ziel dienen, Mali und die Sahelzo-
ne zu stabilisieren . Das hört sich auf dem Papier auch
wirklich gut an, hat allerdings mit der Wirklichkeit wenig
gemein . Die europäische Militärmission in Mali hat das
Land weder sicherer noch stabiler oder demokratischer
gemacht . Der Grund dafür ist recht einfach: Die Wurzeln
der Konflikte in Mali sind zum einen die Dürre, zum an-
deren aber vor allem die Armut . Verschiedene bewaffnete
Gruppen kämpfen vor diesem Hintergrund um die Kon-
trolle der Handelswege durch die Sahara . Ich sage Ihnen:
Diese Probleme lassen sich nicht durch einen internatio-
nalen Militäreinsatz lösen .


(Beifall bei der LINKEN)


Die deutsche Regierung verfolgt zudem ganz andere
Ziele und Interessen, als sie in dem Mandat vorgibt . Un-

ter dem Deckmantel der uneigennützigen Ausbildungs-
unterstützung baut die Bundesregierung eine militärische
Dauerpräsenz in Mali auf, um in dieser rohstoffreichen
Region an Einfluss zu gewinnen.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dazu ist die Beteiligung an EUTM Mali genauso wie
an der UN-Mission MINUSMA ein Baustein . Die große
Mehrheit der Bevölkerung in Mali hat davon nichts . Des-
halb fordern wir, die Linke, den unverzüglichen Abzug
der deutschen Soldatinnen und Soldaten aller Missionen
aus Mali .


(Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Das ist immer der gleiche Redetext! Wird es nicht langweilig, das vorzutragen?)


Tatsache ist: Je länger die internationalen Militär-
einsätze laufen, desto unsicherer wird Mali . Opfer sind
malische Zivilisten, aber auch malische Soldaten . Frau
Bulmahn hat es angesprochen: Im Januar wurden bei
einem verheerenden Anschlag auf das Lager einer ge-
mischten Patrouille aus Tuareg und malischen Soldaten
79 Personen getötet . Der Anschlag fand übrigens im
nordmalischen Gao statt, in unmittelbarer Nähe zum
Camp Castor, wo auch die Bundeswehr stationiert ist .
Auch dieses Camp war bereits Ziel von Anschlägen .
Ich sage hier ganz deutlich: Wer dem Einsatz weiter zu-
stimmt, riskiert auch das Leben der entsandten Soldatin-
nen und Soldaten . Das ist ein weiterer Grund, warum wir
gegen diesen Einsatz sind .


(Beifall bei der LINKEN)


Zu einer ehrlichen Bilanz gehört: Im letzten Jahr es-
kalierte beispielsweise im Zentrum Malis in der Region
Ségou ein ethnisch aufgeladener Konflikt. Dort leiden
die Peuls, ein traditionelles Hirtenvolk, doppelt: unter
Angriffen von Dschihadisten, aber auch unter rassistisch
motivierten Übergriffen . Die malische Armee, um de-
ren Ausbildung es hier geht, spielt dabei eine unrühm-
liche Rolle . Obwohl die europäische Militärmission
10 000 malische Soldaten ausgebildet hat, erwies sich die
Armee als unfähig, die Bevölkerungsgruppe der Peuls zu
schützen . Schlimmer: Human Rights Watch berichtet –
ich zitiere –:

Militärs haben mindestens acht Personen hingerich-
tet, die verdächtigt wurden, Islamisten zu sein .

Ein Angehöriger dieser Volksgruppe sagte – ich zitiere
aus demselben Bericht –:

Es gibt so viele Peuls, die von Militärs gefoltert oder
getötet wurden oder einfach verschwanden, aber
keiner der Fälle kam jemals vor Gericht .

Ich frage: Wo bleibt die Kritik der Bundesregierung an
diesen Vorgängen?

Die Antwort ist: Es geht bei diesem Militäreinsatz
eben nicht um Gerechtigkeit in Mali; es geht vor allen
Dingen um die Bundeswehr selbst . Der Einsatz fügt sich
ein in einen jahrelang betriebenen Umbau der Bundes-
wehr in eine Interventionsarmee im Dauereinsatz . Ein
genauerer Blick auf diesen Einsatz zeigt das . So wurde

Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


der Einsatz systematisch ausgeweitet . Am Anfang waren
die deutschen Militärausbilder nur im sicheren Süden
stationiert . In den vergangenen Monaten wurden Mili-
tärausbilder direkt an die Konfliktherde herangeschickt,
nach Ségou in Zentralmali und nach Gao im Norden
Malis . Dort hat sich die Mission übrigens das erste Mal
logistisch auf die französische Kampfoperation Barkha-
ne gestützt . Überdies wurden nun auch Truppen der vier
Nachbarstaaten Malis ausgebildet, darunter der diktato-
risch geführte Tschad .

Die Wahrheit ist: EUTM Mali ist nichts anderes als die
Ergänzung einer laufenden Kriegsoperation, um in der
gesamten Region Einfluss auszuüben. Das ist der zentra-
le Grund, warum wir diese Mission ablehnen .


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Schluss noch ein Wort zur EU – es handelt sich ja
um eine EU-Mission –: Die EU stufte Mali mit deutscher
Unterstützung als sicher genug ein, um dem Land ein
Rückführungsabkommen für Flüchtlinge aufzuzwingen .
Wenn es nun aber um die Rechtfertigung des europäi-
schen Militäreinsatzes geht, dann führt die EU die Unsi-
cherheit in Mali an . Das allein zeigt die ganze Heuchelei
hinter diesem Einsatz . Die Linke wird gegen dieses Man-
dat stimmen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823418400

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege

Jürgen Hardt .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1823418500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! An

die Adresse der Kollegin Buchholz gerichtet, möchte ich
nur Folgendes anmerken: Im Nordosten von Mali haben
gestern von Islamisten angestiftete Menschen ein unver-
heiratetes Paar zu Tode gesteinigt, weil sie ihre archai-
schen Vorstellungen von einem angeblich islamischen
Recht durchsetzen wollen . Wenn Sie wollen, dass das in
Mali zukünftig überall passieren kann, dann müssen Sie
für den Rückzug der unterstützenden Kräfte plädieren,
dann müssen Sie für das Im-Stich-Lassen der malischen
Bevölkerung und der malischen Regierung plädieren .
Wir werden das nicht tun .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Mali-Einsatz – hier sprechen wir über den Ausbil-
dungseinsatz EUTM Mali – ist im Zusammenhang mit
dem UN-Einsatz, an dem Deutschland maßgeblich be-
teiligt ist, zu betrachten . Er ist mit dem Afghanistan-Ein-
satz mittlerweile der größte Bundeswehreinsatz; nahezu
1 000 Soldaten sind in Mali eingesetzt . Wir haben es mit
dieser Ausbildungsmission geschafft, mittlerweile rund
10 000 malische Soldaten und Polizisten und auch Solda-
ten und Polizisten benachbarter Staaten auszubilden . Es
ist eben kein Einsatz, den Europa nur mit Mali durchführt .
Vielmehr wollen wir, dass die anderen Staaten der Regi-
on, die ebenfalls an Frieden und einer guten Entwicklung

dort interessiert sind, im Rahmen der afrikanischen Zu-
sammenarbeit an diesem Friedensprojekt mitwirken und
entsprechend gestärkt und unterstützt werden .

Wir führen diesen Einsatz vor allem auch deshalb
durch, weil wir in Mali eine echte Chance sehen, dass
durch unsere Hilfe die Entwicklung besser wird . Wir er-
leben nach wie vor, dass Mali Durchzugsgebiet für ter-
roristische Gruppen ist . Ein Blick auf die Karte zeigt,
dass südlich der Maghreb-Staaten über Mali auch andere
Staaten, die sich hoffnungsvoll entwickeln, zum Beispiel
Burkina Faso und Senegal, infiltriert werden. Wir kom-
men bei der Ausbildung und bei der Stabilisierung des
Landes voran, und damit befrieden wir ein Stück weit
eine Schlüsselregion in Afrika .

Wir werden diesen Einsatz natürlich weiterhin mit ei-
ner ganzen Palette an zivilen Maßnahmen unterstützen .
Die für die Bevölkerung sichtbare Unterstützung ist ge-
geben: Die Bundeskanzlerin ist im Oktober letzten Jahres
in Mali gewesen und hat mit unmissverständlichen Wor-
ten die Unterstützung Deutschlands und Europas mani-
festiert . Darüber hinaus befördern wir die wirtschaftliche
Zusammenarbeit . Wir leisten aber auch kulturelle Unter-
stützung . Mali ist ein Land, das reich an Kultur ist . Wir
bemühen uns gemeinsam mit malischen Kräften, dieses
Kulturerbe, das für das Selbstbewusstsein einer solchen
Nation enorm wichtig ist, zu fördern und zu unterstützen .
Es gibt in Timbuktu wichtige historische Handschriften,
die mit deutscher und afrikanischer Hilfe restauriert wer-
den, sodass diese Zeugnisse der Vergangenheit, die für
ein solches Land identitätsstiftend sind, bewahrt werden .

Wir wissen, dass unsere Soldaten in diesem Einsatz
Bedrohungen ausgesetzt sind . Es ist schon zur Sprache
gekommen: Erst vor kurzer Zeit hat es in der Nähe von
Gao einen Anschlag mit sieben toten malischen Soldaten
und 17 Verwundeten gegeben; das hätte natürlich auch
EUTM- oder MINUSMA-Soldaten, also auch deutsche
Soldaten, treffen können . Deswegen ist es ganz wichtig,
dass wir alles tun, um unseren Soldaten im Fall des Falles
gut helfen zu können . Ich bin stolz darauf, dass die Bun-
desrepublik Deutschland gegenwärtig mit insgesamt acht
Hubschraubern sicherstellt, dass die Soldatinnen und
Soldaten oder auch zivile Kräfte im Ernstfall schnell zur
medizinischen Versorgungseinrichtung geflogen werden
können . Es handelt sich um vier Tiger-Kampfhubschrau-
ber und vier Sanitätshubschrauber, SAR-Hubschrauber
vom Typ NH90 .

Ich würde mir wünschen, dass wir diesen deutschen
Beitrag nicht endlos aufrechterhalten müssen, sondern
möglicherweise im Sommer nächsten Jahres eine Ablö-
sung bekommen . Ich würde mich freuen, wenn sich zum
Beispiel die kanadische Regierung entschließen könnte,
uns ihrerseits zu entsetzen, wie man das, glaube ich, mi-
litärisch nennt . Wenn Deutschland den Kanadiern sagen
würde: „Okay, wenn ihr nach einem Jahr Hilfe sucht und
keinen findet, sind wir vielleicht wieder bereit, einzu-
springen“, wären die Gespräche, glaube ich, auf einem
guten Weg .

Gott sei Dank ist der Einsatz in Mali aus deutscher
soldatischer Sicht bisher glimpflich verlaufen. Ich möch-
te unsere Unterstützung für diesen Einsatz, die wir gleich

Christine Buchholz






(A) (C)



(B) (D)


in der namentlichen Abstimmung bekunden werden, mit
meinem dringenden Wunsch und meiner Hoffnung unter-
streichen, dass alle unsere Soldatinnen und Soldaten mit
dem nötigen Soldatenglück heil und unversehrt aus die-
sem Einsatz zurückkommen und wir nach jeder Etappe
des Einsatzes sagen können: Es ist tatsächlich ein kleines
Stück besser geworden . – In diesem Sinne werden wir
unsere Unterstützung für die Mission in Mali in der vor-
gesehenen Form fortsetzen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823418600

Nächster Redner ist der Kollege Dr . Frithjof Schmidt

für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Lage in Mali ist nicht gut . Wir haben das
hier schon vor drei Monaten ausführlich diskutiert, als
wir das Mandat für die UN-Mission beschlossen haben .
Meine Fraktion ist überzeugt, dass es richtig und notwen-
dig ist, dass die UNO in Mali Verantwortung übernimmt,
um im politischen Friedensprozess zu vermitteln und
diesen militärisch abzusichern . Deshalb haben wir den
UN-Mandaten immer zugestimmt . Wir sind auch dafür,
dass die Europäische Union die UNO dabei unterstützt,
finanziell, mit ziviler Hilfe und mit einer Ausbildungs-
mission für die malische Armee, gerade weil für die
UNO eine politische Lösung im Zentrum steht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb werden wir auch diesem Mandat der Bundes-
wehr für die europäische Mission heute wieder zustim-
men .

Wenn wir die Bundeswehr in diesen Einsatz schicken,
haben wir aber die Pflicht, uns ein ungeschminktes Bild
von der Lage zu machen . Der Friedensprozess ist ins
Stocken geraten. Ein Scheitern ist möglich. Ich finde, die
Bundesregierung sollte das auch klar so sagen . Der Nor-
den Malis ist weitgehend außerhalb staatlicher Kontrolle .
Es gibt permanent Kämpfe mit bewaffneten Gruppen und
auch zwischen verschiedenen bewaffneten Gruppen . Die
Blauhelmsoldaten geraten dort immer wieder zwischen
die Fronten . Aber auch in Zentralmali nehmen Instabilität
und Gewalt zu . Die politischen Antworten der malischen
Regierung, aber auch der internationalen Gemeinschaft
auf diese Entwicklung – das müssen wir, glaube ich, ehr-
lich einräumen – sind bisher nicht wirklich überzeugend .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch die humanitäre Lage ist weiterhin dramatisch .
Es befinden sich rund 200 000 Menschen auf der Flucht .
2,5 Millionen Menschen sind von Hunger betroffen . Die
bereitgestellte humanitäre Hilfe reicht immer und immer

wieder – es ist jedes Mal dasselbe – bei weitem nicht aus .
Die Bundesregierung muss das alles in der Europäischen
Union massiv zum Thema machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das bisherige Konzept der EU muss jetzt kritisch über-
prüft werden . Sonst schliddern wir auch im zentralen und
südlichen Teil von Mali in eine kaum zu kontrollierende
Krise . Es wird höchste Zeit, dass die EU hier eine wirkli-
che Kraftanstrengung unternimmt und ihr Konzept über-
prüft und evaluiert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie le-
gen uns hier eine zum Teil neue politische Begründung
für dieses Mandat vor . Sie erwecken im Text faktisch den
Eindruck, dass wir die Bundeswehr für – ich zitiere – „die
Umsetzung der migrationspolitischen Ziele der Bundes-
regierung“ nach Mali schicken . Das stand so nicht in der
Begründung für das letzte Mandat . Hier haben wir eine
deutliche politische Differenz . Um es klar zu sagen: Wir
setzen die Bundeswehr nicht, wie es bei Ihnen heißt, zur
verbesserten Migrationssteuerung in Afrika ein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wer so redet, der untergräbt die Legitimation des ganzen
UN-Einsatzes in Mali . Es geht eben nicht um eine Instru-
mentalisierung des UN-Einsatzes zur Friedenssicherung
für eine europäische Politik zur Abwehr der Migration .
Wer so etwas unterstellt – sei es auch unabsichtlich –, der
richtet enormen politischen Schaden an: für die UNO, für
das europäisch-afrikanische Verhältnis und nicht zuletzt
für die Bundeswehr .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren von der Koalition, ich kann
Sie nur auffordern: Lassen Sie das sein!

In der Europäischen Union gibt es gerade eine Debatte
über die Reform des Instruments für Frieden und Stabi-
lität . Es gibt Vorschläge, die Gelder für zivile Krisen-
prävention in Mittel für die militärische Ausrüstung von
Drittstaaten umzuwidmen, und EUTM Mali wird dabei
als mögliches Beispiel angeführt . Da bekommt der Text
in Ihrer Mandatsbegründung einen besonders schlechten
Beigeschmack . Ich sage Ihnen: So etwas ist dazu geeig-
net, den ganzen internationalen Einsatz in Mali in brei-
ten Teilen unserer Gesellschaft zu diskreditieren . Gerade
weil wir diesen Einsatz für wichtig halten und ihn unter-
stützen, können wir davor wirklich nur warnen .

Danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823418700

Der Kollege Thomas Hitschler spricht jetzt für die

Fraktion der SPD .


(Beifall bei der SPD)



Thomas Hitschler (SPD):
Rede ID: ID1823418800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Mali ist eines der gefährlichsten Einsatzlän-

Jürgen Hardt






(A) (C)



(B) (D)


der der Welt . Im vergangenen Jahr wurden dort – wir
haben das vorhin schon gehört – durch Terroranschläge
70 Menschen getötet und 184 verletzt . Auch in diesem
Jahr sieht es nicht besser aus . Am 18 . Januar ermordete
ein islamistischer Selbstmordattentäter in einem mali-
schen Militärlager 77 Menschen und verletzte mindes-
tens 150 weitere – nur einen Kilometer von der Bundes-
wehr entfernt . Vor allem der Norden des Landes wird von
Dschihadisten terrorisiert . Aber auch im Süden drohen
jederzeit Sprengfallen und Anschläge .

Bei einer solchen Lage müssen wir uns ganz genau
überlegen, ob, warum und wie wir deutsche Soldatinnen
und Soldaten einem solchen Risiko aussetzen wollen .
Wir müssen dafür sorgen, dass sie die beste und für den
Einsatz passende Ausrüstung bekommen . Hierbei gilt
es, Kolleginnen und Kollegen, aus den Fehlern von Af-
ghanistan zu lernen . Die Soldatinnen und Soldaten im
Einsatz brauchen die richtige Ausrüstung von Anfang
an und nicht erst dann, wenn es brennt . Ebenso wichtig,
sehr geehrter Herr Staatssekretär – da bitte ich Sie auch
um Unterstützung –, sind die Betreuungseinrichtungen
vor Ort . Bitte sorgen Sie dafür, dass die OASE, also die
Einrichtung, in die sich die Soldatinnen und Soldaten zu-
rückziehen können, schnellstmöglich fertig wird .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Soldaten brauchen materielle Unterstützung; sie brau-
chen aber auch moralische Unterstützung . Dazu gehört,
Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns als Parlament zu
unserer Parlamentsarmee bekennen . Dazu gehört, dass
wir uns, wenn nötig, vor unsere Soldatinnen und Solda-
ten stellen und nicht pauschale Urteile über sie fällen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Kern des Mandats ist die Ausbildung der malischen
Streitkräfte . Seit Beginn der Trainingsmission wurden
etwa 10 000 Soldaten ausgebildet; das sind zwei Drittel
der malischen Armee . Das ist eine gute Arbeit im Sinne
der Sicherheit dieses Landes .

EUTM Mali ist keine isolierte Mission . Sie ist Teil ei-
nes vernetzten und umfassenden Ansatzes . Dazu gehören
die weit größere UN-Mission MINUSMA und EUCAP
Sahel Mali zur Ausbildung der malischen Polizei; wir
haben schon viel davon gehört . Gerade diese sicherheits-
politischen Maßnahmen schaffen die Voraussetzung für
weitere wichtige Projekte, die zur Stabilisierung Malis
dringend benötigt werden . Dazu gehört die Unterstüt-
zung der Kommission für Wahrheit, Justiz und Versöh-
nung . Dazu gehört die Zerstörung von Kleinwaffen .
Dazu gehören über 33 Millionen Euro für Krisenpräven-
tion und humanitäre Hilfsprojekte . Dazu gehören über
240 Millionen Euro im Rahmen bilateraler Zusagen für
Entwicklung und Zusammenarbeit seit 2013 . All diese
Projekte gehören zusammen und haben ein gemeinsames
Ziel: Frieden und Sicherheit für die Menschen in Mali
wiederherzustellen, Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD)


Dieses Ziel verfolgen wir, weil wir bei den Gräuel-
taten der Dschihadisten im Norden Malis nicht einfach

wegschauen können und weil wir es nicht dulden kön-
nen, wenn im Norden Malis ein zweiter „Islamischer
Staat“ entsteht . Dieses Ziel verfolgen wir aber auch, weil
die Stabilität Malis für unsere eigenen sicherheitspoliti-
schen Interessen eine enorme Bedeutung hat . Mali liegt
in Nordwestafrika ähnlich zentral wie Deutschland in
Europa. Damit hat es eine besondere geografische Bedeu-
tung . Mali ist eine Drehscheibe für Handel, für Flücht-
lingsbewegungen, aber auch für Waffenschmuggel . Ein
Failed State Mali wäre eine Katastrophe für die gesamte
Region, die bis an die Mittelmeerküste und damit bis vor
unsere Haustür reicht . Damit, Kolleginnen und Kollegen,
sind die Probleme Malis auch unsere Probleme hier in
Deutschland .

Die Frage, ob und warum wir uns in Mali engagie-
ren sollten, sollte damit beantwortet sein . Auch zur Frage
nach dem Wie liegen uns konkrete Maßnahmen vor .

Funktioniert dieser Ansatz? Gibt es Fortschritte in
Mali? Die vorliegenden Berichte belegen: Ja, wenn
auch nur langsam . Zwar gibt es weiterhin 37 000 mali-
sche Binnenflüchtlinge; aber 80 Prozent konnten bereits
in ihre Heimatregionen zurückkehren . Das Friedensab-
kommen – wir haben es gehört – wird Stück für Stück
umgesetzt . Mitglieder der ehemaligen Rebellengruppen
wurden in die malischen Streitkräfte integriert . Auch sie
werden im Rahmen von EUTM Mali ausgebildet, ge-
nauso wie Verbindungsoffiziere der G 5 Sahel. In dieser
Gruppe arbeitet Mali mit den Nachbarstaaten Mauretani-
en, Niger, Burkina Faso und dem Tschad eng zusammen .
Das stärkt die grenzüberschreitende Handlungsfähigkeit
und damit die Sicherheit in der Region .

Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen Mali nicht al-
leinlassen . Deshalb unterstütze ich die Weiterführung
dieses Mandats ausdrücklich . Aber wir müssen auch klar
formulieren, welche Meilensteine erreicht sein müssen,
damit Mali wieder selbstständig für seine Sicherheit sor-
gen kann . Das wird seine Zeit in Anspruch nehmen . Aber
wir sollten vermeiden, dass wir in eine dauerhafte Prä-
senz ohne realistisches Ausstiegsszenario rutschen; denn
das würde am Ende weder uns helfen noch den Men-
schen in Mali .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823418900

Für die Fraktion der CDU/CSU spricht jetzt der Kolle-

ge Dr . Reinhard Brandl .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Reinhard Brandl (CSU):
Rede ID: ID1823419000

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Ich finde, die Debatte heute ist etwas unfair. Wir alle re-
den über die 150 Bundeswehrsoldaten bei EUTM Mali,
und bis auf die Linke loben wir sie auch alle; aber ei-
gentlich hätten dieses Lob genauso verdient die Mitar-
beiter, die im Auftrag des Auswärtigen Amtes, des Bun-
desministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung, des Landwirtschaftsministeriums, des

Thomas Hitschler






(A) (C)



(B) (D)


Umweltministeriums und des Innenministeriums in Mali
im Einsatz sind . Unser Dank gilt natürlich allen gleicher-
maßen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


– Der Applaus gibt mir, glaube ich, recht . – Ich wollte
mit dieser Aufzählung aber nicht nur danken, sondern
auch zeigen, was deutsche Sicherheitspolitik heute ist,
nämlich eine ressortübergreifende, vernetzte Antwort auf
eine mehrdimensionale Herausforderung, die gute Re-
gierungsführung genauso im Blick hat wie zum Beispiel
die Ausbildung von Sicherheitskräften, den Aufbau von
Infrastruktur oder den Kampf gegen den Hunger .

Der Einsatz EUTM Mali ist in diesem Gesamtansatz ein
Puzzlestein mit dem Ziel der Ausbildung der malischen
Streitkräfte .

Meine Kolleginnen und Kollegen, wir erinnern uns:
2012 waren es diese Streitkräfte, die nicht in der Lage
waren, das Land und die Menschen dort vor den einfal-
lenden Tuareg-Rebellen und den islamistischen Terro-
risten zu schützen . Infolge dessen ist vieles, was damals
über die Jahre hinweg in Mali an Entwicklung stattge-
funden hat, zerstört worden . Das wird auch erst wieder
aufgebaut werden, wenn ein Mindestmaß an Sicherheit
herrscht: Sicherheit für die Bevölkerung und Sicherheit
für die Helfer . Die malischen Streitkräfte darauf vorzu-
bereiten, ist Aufgabe von EUTM Mali . Hier geht es um
Leistungsfähigkeit, aber auch um die Integrität der Streit-
kräfte . Ob EUTM Mali ein Erfolg ist, wird man erst se-
hen, wenn es darauf ankommt, wenn die Streitkräfte der
malischen Armee richtig gefordert sind . Aber es wird in
keinem Fall gelingen, wenn die Streitkräfte keine Struk-
tur haben, wenn sie keine Ordnung haben, wenn sie kei-
ne Kontrolle haben, wenn sie keine vernünftige Führung
haben und wenn Menschenrechte nicht beachtet werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823419100

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht völlig

ungewöhnlich, dass hier vor einer namentlichen Abstim-
mung dringender Gesprächsbedarf besteht . Trotzdem
bitte ich, diesem Gesprächsbedarf nicht in der Weise
nachzukommen, dass man dem Redner nicht mehr folgen
kann . Ich bitte also um etwas Disziplin .


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)



Dr. Reinhard Brandl (CSU):
Rede ID: ID1823419200

Vielen Dank, Herr Präsident . – Die Frage ist: Wird der

Auftrag ein Erfolg? Ich kann sagen: EUTM Mali hat sich
in den letzten Jahren gut entwickelt . Ich war 2013 zum
ersten Mal in Koulikoro, als dort mit der Ausbildung der
ersten Soldaten begonnen wurde . Das war damals noch
sehr improvisiert . Dort standen einige Baracken, und
die Ausbildung fand teilweise mit Holzgewehren statt;
wir haben darüber gesprochen . Im Vergleich dazu ist
festzustellen, dass sich die Mission hervorragend ent-
wickelt hat . Ende letzter Woche kam die Meldung, dass
mittlerweile 10 000 Soldaten die Ausbildung durchlau-

fen haben . Das sind – Kollege Hitschler hat es vorhin
erwähnt – ungefähr zwei Drittel der malischen Armee .
Der letzte Lehrgang dauerte von Januar bis Ende April .
In diesem Lehrgang wurden erstmals die Führungskräfte
der malischen Armee ausgebildet – Stichwort: Train the
Trainer –, um sicherzustellen, dass die Ausbildungsinhal-
te des Lehrgangs immer wieder an die Truppe vermittelt
werden .

Wir haben im letzten Jahr das Mandatsgebiet erwei-
tert mit dem Ziel, die Ausbildung auch in die Fläche zu
bringen . Das war ein Wunsch der malischen Armee, der
nachvollziehbar ist . Wer schon einmal in dem Land war
und gesehen hat, in welchem Zustand die Straßen sind,
weiß, dass das Sinn macht, um die Soldaten nicht Tau-
sende von Kilometern transportieren zu müssen . Auch
das ist gut angelaufen . In Gao und Ségou fanden die ers-
ten Ausbildungslehrgänge statt .

Es gibt einen weiteren Meilenstein, über den ich be-
richten möchte . Ende letzter Woche ist ein gemeinsamer
Lehrgang für Verbindungoffiziere der G 5 Sahel in Mali
zu Ende gegangen. Offiziere aus Mali, Burkina Faso,
Mauretanien, Niger und Tschad haben gemeinsam geübt,
um die Interoperabilität ihrer Streitkräfte zu verbessern
und die Zusammenarbeit im Kampf gegen den internati-
onalen Terrorismus, gegen grenzüberschreitende Krimi-
nalität weiter zu stärken .

Meine Damen und Herren, all das sind wichtige
Schritte . EUTM Mali läuft gut und nimmt an Fahrt auf .
Aber das ist nur ein Puzzlestein eines Gesamtansatzes,
zu dem wir einen wichtigen Beitrag leisten . Wir leisten
auch mit anderen Puzzlesteinen Beiträge; ich habe die
anderen Ressorts erwähnt . Auch MINUSMA ist schon
angesprochen worden . Es wird noch lange dauern, bis
aus den einzelnen Puzzlesteinen ein rundes Bild entsteht .
Es bedarf unserer Geduld und wahrscheinlich auch noch
einiger Mandatsverlängerungen, bis wir sagen können:
Mali ist sicher, Mali ist stabil . Aber es ist in jedem Fall
besser, daran zu arbeiten, als zuzusehen, wie dieses Land
auseinanderfällt .

In diesem Sinne bitte ich Sie um Zustimmung und be-
danke mich für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823419300

Abschließender Redner vor der dann folgenden na-

mentlichen Abstimmung ist der Kollege Michael Vietz
für die Fraktion der CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bitte um die entsprechende Aufmerksamkeit .


Michael Vietz (CDU):
Rede ID: ID1823419400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Ist alles gut in Mali?
Sicherlich nicht . Aber ohne die Anstrengungen der inter-
nationalen Gemeinschaft – und über einen Baustein die-
ser Einsätze reden wir heute – sähe es nach meiner tiefs-
ten Überzeugung noch viel schlimmer aus . Seit Beginn

Dr. Reinhard Brandl






(A) (C)



(B) (D)


der europäischen Ausbildungsmission im Süden Malis ist
einiges im Friedensprozess bewegt worden . Diese Fort-
schritte würden wir riskieren, wenn wir unsere Beteili-
gung an EUTM Mali nicht fortsetzten, unsere Partner im
Stich ließen .

Erreicht die humanitäre Nothilfe die Menschen in
Mali, die diese wirklich benötigen? Gelingt unsere Ent-
wicklungszusammenarbeit auch in entlegenen Teilen des
Landes? Wo in Mali finden wir eine funktionierende Zi-
vilgesellschaft und staatliche Strukturen? Unser Einsatz
in Mali ist ein wichtiger Teil der Antwort auf diese Fra-
gen .

Sicherheit, Stabilität, Frieden – diese Dreifaltigkeit
treibt uns in unserem Engagement weiter an . Wir wol-
len Perspektiven für die Menschen vor Ort mit entwi-
ckeln . Deutschland ist weiterhin bereit, Mali auf seinem
schwierigen und sicherlich langen Weg zu begleiten,
gemeinsam mit unseren Partnern . Wir stehen zu unserer
internationalen Verantwortung – auch aus eigenem Inte-
resse .

Wir haben ein vitales Interesse daran, Terrorismus, Kri-
minalität, Armut und Elend entschieden zu bekämpfen .
Wenn wir diese Herausforderungen nicht vor Ort ange-
hen, dann kommen sie – eine Binsenweisheit, die nicht
wirklich neu ist – unweigerlich zu uns .

Der Friedensprozess in Mali gestaltet sich zäh . Mit
Beginn des internationalen Engagements hat sich die
humanitäre Situation allgemein verbessert . Ein verläss-
licher Zugang für humanitäre Hilfe und Entwicklungszu-
sammenarbeit ist aber immer noch nicht flächendeckend
gegeben .

Die Sicherheitslage ist fest verknüpft mit der Gemen-
gelage im westlichen Afrika: fragile Staatlichkeit, inter-
nationale Terrornetzwerke und organisierte Kriminalität .
Sie destabilisieren die ganze Region und fachen den
Konflikt immer wieder an. Der Schmuggel von Drogen,
Waffen, Menschen ist allgegenwärtig . Dies hat Auswir-
kungen auf Deutschland und Europa; es wurde hier aus-
reichend dargestellt . Daher bleibt es richtig, dass wir uns
weiter in Mali einbringen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Worum geht es konkret bei der Fortsetzung der europä-
ischen Ausbildungsmission? Um die Weiterentwicklung
von Ausbildung und Beratung der malischen Sicherheits-
kräfte – den Ausbilder ausbilden –, um die Ausbildung
auch der Streitkräfte der übrigen G-5-Sahel-Staaten zur
Schaffung grenzübergreifender Handlungsfähigkeit, um
Schutz und Unterstützung im Sanitätsdienst und in der
Logistik, gerade auch um Unterstützung der Einsatzkräf-
te von MINUSMA im Norden Malis .

Durch die Fortsetzung des Mandats senden wir wei-
terhin ein deutliches Signal an unsere europäischen und
westafrikanischen Partner . Deutschland bleibt einer der
größten Truppensteller der Mission . Zahlreiche Solda-
tinnen und Soldaten dienen dort für unser Land . Erst im
März habe ich persönlich Panzerpioniere vom Standort
Holzminden, aus dem Zentrum meines Wahlkreises, nach
ihrem Einsatz in Mali wieder zu Hause begrüßen können .

Ein besonderes Merkmal unserer Pionierausbildung
ist die Vermittlung von Menschenrechten . Der men-
schenwürdige Umgang mit überwältigten Gegnern ist
seit Beginn der Mission ein wichtiger Bestandteil der
Ausbildung . Dies wird auch in der malischen Gesell-
schaft anerkannt . Das ist eine wichtige Botschaft und
spricht für die hervorragende Arbeit unserer Kräfte vor
Ort, für die Qualität unserer Bundeswehr .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bin stolz auf unsere Soldatinnen und Soldaten und
dankbar für den Einsatz, den sie täglich leisten . Meine
besondere Anerkennung gilt ihren Angehörigen, die je-
den Einsatz mittragen, den Vätern, Müttern und Kindern,
die mitfiebern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Haltung und Führung!)


Gleiches gilt für die zahlreichen zivilen Einsatzkräfte,
wie die Mitarbeiter des Roten Kreuzes und die Polizisten
von EUCAP sowie unsere Einsatzkräfte in der UN-Mis-
sion MINUSMA .

Wir verfolgen einen vernetzten Ansatz, auch mit bi-
lateralen Abkommen . Projekte der zivilen Krisenpräven-
tion kombinieren wir mit Entwicklungszusammenarbeit .
Wir leisten einen ausgewogenen Beitrag zur langfristigen
Ertüchtigung Malis . Unser dortiges Engagement ist gut
abgestimmt . Ich bin der festen Überzeugung, dass Frie-
den, Stabilität und Sicherheit nur im Zusammenspiel al-
ler Instrumente und Partner möglich sind .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Beteiligung
an der Mission ist weiterhin richtig und notwendig . Ich
bitte um Ihre Zustimmung .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823419500

Vielen Dank . – Damit schließe ich die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-
trag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung
bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Militärmissi-
on der Europäischen Union als Beitrag zur Ausbildung
der malischen Streitkräfte, EUTM Mali . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Druck-
sache 18/12205, den Antrag der Bundesregierung auf
Drucksache 18/11628 anzunehmen . Wir stimmen über
diese Beschlussempfehlung namentlich ab . Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen
Plätze an den Urnen einzunehmen . – Ich bitte, mir ein
Zeichen zu geben, ob die Plätze an den Abstimmungsur-
nen alle besetzt sind . – Ich sehe, dass alle entsprechenden
Positionen besetzt sind . Deshalb kann ich die namentli-
che Abstimmung jetzt eröffnen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer ohne Wartezeit
seine Stimmkarte einwerfen möchte, sollte dies direkt

Michael Vietz






(A) (C)



(B) (D)


beim Rednerpult tun . Hier gibt es fast keine Kollegen,
die eine Stimmkarte einwerfen möchten .

Gibt es ein Mitglied des Hohen Hauses, das seine Stim-
me noch nicht abgegeben hat und das noch tun möchte? –
Ich sehe niemanden, der seine Stimmkarte noch nicht
abgegeben hat . Dann schließe ich jetzt die Abstimmung
und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit
der Auszählung zu beginnen . Das Ergebnis der namentli-
chen Abstimmung wird Ihnen später mitgeteilt .1)

Ich bitte, jetzt Platz zu nehmen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe (17 . Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Katja Keul, Dr . Franziska
Brantner, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht nicht
ungesühnt lassen

Drucksachen 18/10031, 18/10626

b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Katja Keul, Luise Amtsberg, Volker Beck

(Köln), weiteren Abgeordneten und der Frakti-

on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des

(Verankerung eines Verfahrens zur Überprüfung von Entscheidungen über den Einsatz der Bundeswehr im Ausland)


Drucksache 18/8277

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/12413

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Recht und Ver-
braucherschutz (6 . Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Katja Keul, Renate Künast,
Dr . Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Internationale rechtliche Zusammenarbeit
stärken und ausbauen

Drucksachen 18/9675, 18/11780

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Widerspruch
dagegen erhebt sich keiner . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und bitte alle, die sich nicht
unmittelbar beteiligen wollen, entweder Platz zu nehmen
oder die wichtigen Gespräche außerhalb des Plenarsaals
fortzusetzen .

1) Ergebnis Seite 23692 C

Als erste Rednerin darf ich die Kollegin Dr . Ute
Finckh-Krämer für die Fraktion der SPD aufrufen .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Hendrik Hoppenstedt [CDU/CSU])



Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):
Rede ID: ID1823419600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lie-

be Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Der vor-
liegende Antrag der Fraktion der Grünen mit dem Titel
„Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht nicht ungesühnt
lassen“ hat schon bei der ersten Lesung hier dazu geführt,
dass wir uns noch einmal überlegt haben, wie wichtig das
deutsche Völkerstrafgesetzbuch ist, das 2002 in zeitli-
chem Zusammenhang zur Einrichtung des Internationa-
len Strafgerichtshofs in diesem Parlament einvernehm-
lich, also über Fraktionsgrenzen hinweg, verabschiedet
wurde .

Dieses Völkerstrafgesetzbuch schließt die Lücke, die
sich international dadurch ergibt, dass beim Internati-
onalen Strafgerichtshof nur Verfahren geführt werden
können gegen Personen aus Staaten, die das Römische
Statut unterzeichnet und ratifiziert haben, oder aufgrund
einer Entscheidung des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen . In dem Antrag wird aufgeführt, dass wir zum
Beispiel bei Kriegsverbrechen und bei Verbrechen gegen
die Menschlichkeit in Syrien weder das eine noch das
andere als Grundlage haben . Inzwischen ist aber eine
ganze Menge Menschen aus Syrien nach Deutschland,
nach Europa geflohen. Diese Menschen können Informa-
tionen über das, was sie miterlebt haben, Informationen
über Verbrechen gegen die Menschlichkeit, über Kriegs-
verbrechen in Syrien – das sind teilweise ihre Flucht-
gründe, die Fluchtursachen –, für eventuelle Verfahren in
Deutschland zur Verfügung stellen .

Deswegen hatten wir für den 26 . April 2017 den Lei-
ter der Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegs-
verbrechen und weiteren Straftaten nach dem Völ-
kerstrafgesetzbuch beim Bundeskriminalamt in den
Menschenrechtsausschuss, der mit diesem Antrag befasst
war, eingeladen . Er hat uns berichtet, dass das, was in
Asylverfahren zur Sprache kommt, oft an seine Zentral-
stelle im BKA weitergeleitet wird . Das Gleiche gilt für
den Generalbundesanwalt .

Sehr gefreut hat mich ein ausführlicher Bericht in der
tageszeitung, taz, vom letzten Freitag über mehrere Ver-
fahren, die im Augenblick in Deutschland und in Spanien
aufgrund der Berichte von Flüchtlingen eingeleitet wer-
den gegen konkret identifizierbare Personen. Dazu trägt
unser Völkerstrafgesetzbuch bei . Darüber können wir
froh sein .

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um der Organisa-
tion, die solche Klagen hier in Europa unterstützt, dem
Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschen-
rechte, ausdrücklich zu danken . Denn eine der Stärken
solcher Nichtregierungsorganisationen mit Fachjuristen
ist, dass sie über diese besondere Expertise zu internatio-
nalem Recht verfügen .


(Beifall bei der SPD)


Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


Insofern hat der Antrag zum Völkerstrafrecht auf jeden
Fall etwas mitbewirkt . Ich hoffe, dass wir uns über wei-
tere Fortschritte in dieser Hinsicht freuen können .

Danke .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Frank Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823419700

Der Kollege Dr . Alexander Neu spricht jetzt für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823419800

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr

Präsident! Wir reden heute über zwei Anträge und einen
Gesetzentwurf der Fraktion der Grünen . Der erste Antrag
trägt den Titel „Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht
nicht ungesühnt lassen“ . Die Überschrift ist allerdings
irreführend, suggeriert sie doch eine allgemeingültige
Forderung, nämlich die Verfolgung der Täter ungeach-
tet der staatlichen Herkunft und des politischen Status .
Im Feststellungsteil wird dann Klartext geredet. Es findet
eine zeitliche und räumliche Eingrenzung statt: Irak und
Syrien, und das seit 2012 . Hinzu kommt: Der künftige
Straftatbestand des Angriffskrieges wird nicht genannt .

Diese Eingrenzung verdeutlicht: Es geht konkret ge-
gen den IS, gegen die syrische Regierung und allenfalls
noch gegen die kurdischen Peschmerga . Der Umkehr-
schluss ist: Ausgenommen davon sind, auch wenn sie
Blut an den Händen haben, Teile der internationalen Ge-
meinschaft sowie die sogenannte moderate Opposition .
Ich finde eine Tätereingrenzung erstaunlich angesichts
von rund 1,3 Millionen getöteten Zivilisten, die auf das
Konto des US-geführten Kriegs gegen den Terror gehen .
Nicht wenige dieser Opfer sind keine Kollateralschä-
den – allein dieser Begriff ist schon pervers –, sondern
Opfer unmittelbarer Kriegsverbrechen oder Verbrechen
gegen die Menschlichkeit, zum Beispiel wurde 2004 in
Falludscha mit Phosphorbomben gearbeitet .

Warum aber diese zeitliche und räumliche Eingren-
zung? Warum die Auslassung des künftigen Straftat-
bestandes des Angriffskrieges? Die relevanten An-
griffskriege der letzten 20 Jahre kamen vom Westen:
NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999, US-ge-
führter Angriffskrieg gegen den Irak 2003 . Warum sollen
nicht auch westliche Politiker bei entsprechenden Straf-
taten zur Verantwortung gezogen werden? Ich verstehe
es nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Frage bleibt: Warum wollen die Grünen das in ihrem
Antrag nicht?


(Zuruf der Abg . Katja Keul [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Mein Fazit lautet: Der Antrag der Grünen ist ein Bei-
trag des in Teilen erfolgreichen Projekts des Westens,
den globalen Süden mit einseitiger Anwendung der
Strafrechtsnormen zu knebeln, sprich: unliebsame Re-

gierungen strafrechtlich zu verfolgen oder aber durch
Einschüchterung gefügig zu machen .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit dem los?)


Solche Maßnahmen tragen dazu bei, dass die ersten Staa-
ten bereits die Zusammenarbeit mit dem Internationalen
Strafgerichtshof aufkündigen . Die Linke muss diesen
Antrag aufgrund seiner Einseitigkeit ablehnen .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Dem zweiten Antrag mit dem Titel „Internationale
rechtliche Zusammenarbeit stärken und ausbauen“ kön-
nen wir – ich fasse mich kurz – zustimmen .

Abschließend komme ich zum Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes .
Ziel ist die Schließung einer Rechtslücke . Worin besteht
diese Rechtslücke? Sie besteht darin, dass eine materielle
verfassungsrechtliche Prüfung der Bundestagsbeschlüs-
se zur Entsendung der Bundeswehr in Auslandseinsätze
auf Initiative der Opposition nicht möglich ist . Die Or-
ganklage ebenso wie das Verfahren der abstrakten Nor-
menkontrolle scheiden als Klageweg laut herrschender
Rechtsauffassung bislang aus . Die Linke hat in Karlsruhe
geklagt – das Verfahren ist immer noch anhängig –, um
eine Klärung herbeizuführen .

Die Lösungsvorschläge im Gesetzentwurf, um die be-
stehende Rechtslücke zu schließen, sind a) eine Erwei-
terung des Verfahrens der abstrakten Normenkontrolle
oder b) die Schaffung einer neuen Klageart durch den
Deutschen Bundestag . Dem stimmen wir ausdrücklich
zu .

Dennoch gibt es eine kleine Kritik an dem Gesetz-
entwurf, und zwar mit Blick auf das Quorum . Hier wird
seitens der Grünen wieder mit angezogener Handbremse
gearbeitet . Das vorgeschlagene Quorum soll verhindern,
dass die Linke auch allein gegen Auslandseinsätze kla-
gen kann, wenn die Grünen gegebenenfalls einen Aus-
landseinsatz unterstützen wollen .


(Henning Otte [CDU/CSU]: Versteht ihr euch doch nicht so gut? – Gegenruf der Abg . Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut ja weh! Jetzt auch noch eine Verschwörungstheorie!)


Die Linke fordert: Eine einzige Fraktion im Deut-
schen Bundestag muss die Möglichkeit zur Klage haben .
Denn die Prüfung der materiellen Verfassungskonformi-
tät bei rechtlich umstrittenen Auslandseinsätzen der Bun-
deswehr darf nicht am Quorum scheitern, sondern muss
rechtlich geklärt werden .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg . Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823419900

Vielen Dank . – Ich darf jetzt das Ergebnis der eben

erfolgten namentlichen Abstimmung über den Antrag

Dr. Ute Finckh-Krämer






(A) (C)



(B) (D)


der Bundesregierung mit dem Titel „Fortsetzung der Be-
teiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Mili-
tärmission der Europäischen Union als Beitrag zur Aus-
bildung der malischen Streitkräfte (EUTM Mali)“ auf

den Drucksachen 18/11628 und 18/12205 bekanntgeben:
abgegebene Stimmen 565 . Mit Ja haben gestimmt 500,
mit Nein haben gestimmt 64, Enthaltungen 1 . Die Be-
schlussempfehlung ist damit angenommen .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 565;
davon

ja: 500
nein: 64
enthalten: 1

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann


(Karlsruhe-Land)


Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann

(Dort mund)

Karl Holmeier

Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld

Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller

(Braun schweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr . Wolfgang Schäuble
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder

(Wies baden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl

Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner

Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack

Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Lars Klingbeil
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff






(A) (C)



(B) (D)


Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae

Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche

Dr . Wolfgang Strengmann-
Kuhn

Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms

Fraktionslos

Erika Steinbach

Nein

SPD

Ulrike Bahr
Klaus Barthel
Marco Bülow
Dr . Ute Finckh-Krämer
Wolfgang Gunkel
Cansel Kiziltepe
Christian Petry

(Wol mirstedt)


DIE LINKE

Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij

Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Peter Meiwald
Corinna Rüffer
Hans-Christian Ströbele

Enthalten

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Monika Lazar

Wir fahren in der Aussprache zum Tagesordnungs-
punkt 15 fort . Das Wort hat der Kollege Dr . Hendrik
Hoppenstedt für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU):
Rede ID: ID1823420000

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Da-

men und Herren! Bündnis 90/Die Grünen möchten mit

dem Gesetzentwurf erreichen, dass Auslandseinsätze der
Bundeswehr vom Bundesverfassungsgericht überprüft
werden können . Es wird richtigerweise ausgeführt, dass
derzeit keine Möglichkeit zur rechtlichen Überprüfung
besteht, auch wenn im Falle einer Nichtbeteiligung des
Bundestages natürlich ein Organstreitverfahren möglich
und häufig genug auch schon angewandt worden ist.

Um es vorweg zu sagen: Für mich, vor allen Dingen
aber auch für meine Fraktion ist es eine Selbstverständ-






(A) (C)



(B) (D)


lichkeit, dass wir unsere Soldatinnen und Soldaten nur
in einen solchen Einsatz entsenden, der mit unserem
Grundgesetz vereinbar ist .


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider nicht! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön wär’s! – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das wäre das erste Mal!)


Nun wirft uns die Opposition vor, dass einige Einsätze
verfassungswidrig seien . Ich möchte das nachdrücklich
zurückweisen .


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)


Zwar sehe ich zum Beispiel in Bezug auf unseren Ein-
satz im Nordirak die vom Auswärtigen Amt ins Spiel
gebrachte Rechtsgrundlage des Artikels 24 Absatz 2 un-
seres Grundgesetzes kritisch, weil ein formeller UN-Si-
cherheitsratsbeschluss, der eigentlich vorhanden sein
müsste, tatsächlich fehlt,


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ah!)


das heißt aber noch lange nicht, dass der Einsatz rechts-
widrig wäre . Artikel 87a Grundgesetz, der auf Vertei-
digung abstellt, ist in den Augen fast aller Experten,
übrigens auch des Wissenschaftlichen Dienstes dieses
Hauses, eine tragfähige Rechtsgrundlage . Sie hätte im
Übrigen gegenüber Artikel 24 Absatz 2 unseres Grund-
gesetzes den Vorteil,


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Einsatz im Irak ist keine Landesverteidigung!)


dass wir nicht mehr, wie im Sicherheitsrat jetzt notwen-
dig, auf das Wohlwollen von Russland oder China an-
gewiesen wären, um unsere Bundeswehr in den Einsatz
schicken zu können .


(Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Das ist aber das Konstrukt!)


Ich halte diese Unabhängigkeit für einen souveränen
Staat eigentlich für eine Selbstverständlichkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! – Zurufe von der LINKEN)


Meine Damen und Herren, anders als in fast allen an-
deren Staaten dieser Welt entscheidet bei uns der gesamte
Deutsche Bundestag über die Frage, ob die Bundeswehr
in einen Einsatz geschickt wird oder nicht, und nicht,
wie fast überall sonst, ein einzelner Premierminister oder
Staatschef .


(Zuruf des Abg . Dr . Rolf Mützenich [SPD])


In Artikel 20 unseres Grundgesetzes steht, dass wir
alle als Gesetzgeber an unser Grundgesetz gebunden
sind . Wir müssen uns also, wenn wir über einen Bun-
deswehreinsatz entscheiden, jedes Mal kritisch die Frage

stellen, ob er denn nun verfassungsgemäß ist oder nicht .
Sonst dürften wir ihm ja gar nicht zustimmen .


(Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Da haben Sie recht!)


Dem misstrauen Bündnis 90/Die Grünen ganz offen-
sichtlich . Daher gibt es jetzt diesen Gesetzentwurf .


(Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir misstrauen offensichtlich Ihnen!)


Meine Damen und Herren, wir werden diesen Gesetz-
entwurf aus vier Gründen ablehnen .

Erstens . Es gibt kein Oppositionsrecht, nach Karlsruhe
gehen zu können, und wir sind Ihnen gleich zu Beginn
dieser Wahlperiode bei der Anwendung von Minderhei-
tenrechten weit entgegengekommen .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Keine Almosen!)


Zweitens . Der Gesetzentwurf ist handwerklich
schlecht .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na, na! – Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Das sind aber eine Menge Belehrungen heute!)


– Hören Sie doch erst einmal zu! – Sie möchten de facto,
dass drei Viertel aller Abgeordneten der Oppositionsfrak-
tionen Karlsruhe anrufen können . Das ist sozusagen das,
was im Sinn rüberkommt . Da das Bundesverfassungs-
gericht in 2016 ausgeurteilt hat, dass Oppositionsfrak-
tionsrechte nicht existieren, orientieren Sie sich bei der
Bemessung des Quorums an der Anzahl derjenigen Ab-
geordneten, die die Bundesregierung nicht tragen . Nun
sind auch Oppositionsabgeordnete kein Stimmvieh und
unterliegen hoffentlich keinem Fraktionszwang .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Anders als ihr! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Ich habe „auch“ gesagt . – Insoweit stellt sich also die
Frage, wie man feststellt, welcher Abgeordnete denn nun
eigentlich die Regierung trägt und welcher nicht . Man
müsste wahrscheinlich jeden Morgen, wenn sich die Ab-
geordneten mit ihrer Unterschrift in die Anwesenheitslis-
te eintragen, gleichzeitig abfragen, ob sie die Bundesre-
gierung tragen oder nicht,


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Das haben sie gerade bei der namentlichen Abstimmung bewiesen!)


um das notwendige Quorum zu ermitteln . Schon deswe-
gen ist der Gesetzentwurf ablehnungswürdig .


(Inge Höger [DIE LINKE]: Unglaublich!)


Drittens . Auch rechtssystematisch passt der Gesetzent-
wurf nicht . In nahezu allen Klageverfahren, die das deut-
sche Recht kennt – auch in den Klageverfahren vor dem
Bundesverfassungsgericht –, muss der Kläger eine Ver-
letzung seiner eigenen subjektiven Rechte geltend ma-
chen . Nur dann hat er eine Klagebefugnis . Das gilt zum
Beispiel für das Organstreitverfahren, das Bund-Län-

Dr. Hendrik Hoppenstedt






(A) (C)



(B) (D)


der-Streitverfahren und auch die Verfassungsbeschwer-
de . Anderes gilt in der Tat für die abstrakte Normenkont-
rolle, mit der meines Wissens jedenfalls nicht Beschlüsse
des Deutschen Bundestages angegangen werden können,
sodass das Argument auch in dem Fall leider nicht zieht .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Antrag nicht gelesen! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Doch, Gesetzesverstöße!)


Viertens . Angesichts der Tatsache, dass zum Beispiel
die Linken gegen jegliche Auslandseinsätze sind, würde
Karlsruhe wahrscheinlich bei allen Einsätzen zu einer
dauerhaften Kontrollinstanz bezüglich dieser Frage wer-
den .

Ich halte die Kompetenzen des Bundesverfassungs-
gerichtes in unserer gelebten Verfassungswirklichkeit
schon jetzt für ausgesprochen weitreichend, und ich habe
kein Bedürfnis, diese weitreichenden Kompetenzen noch
weiter zulasten des Deutschen Bundestages, der übrigens
das einzig direkt gewählte Verfassungsorgan in Deutsch-
land ist, auszuweiten und zu verschieben .

Von den Auswirkungen auf die Bündnisfähigkeit un-
seres Landes will ich gar nicht erst sprechen . Wir würden
als NATO-Partner, aber auch als Teilnehmer an UN-Ein-
sätzen zu Recht nicht mehr ernst genommen werden .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Das ist die Motivation!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823420100

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin

Katja Keul .


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823420200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Der Kollege Neu hat, glaube ich, zu dem Ge-
setzentwurf der Bundesregierung zur Strafbarkeit des
Angriffskrieges gesprochen . Die Kritik daran teile ich,
aber das steht hier gar nicht zur Debatte .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)


Wir haben Ihnen heute drei grüne Antragsinitiativen
zur Abstimmung vorgelegt, die auf den ersten Blick zwar
sehr unterschiedlich aussehen, aber alle eine gemeinsame
Klammer haben . Ob Völkerstrafrecht, Verfassungsrecht
oder internationale rechtliche Zusammenarbeit: Immer
geht es um Frieden als übergeordnetes Ziel und um die
Stärke des Rechts, kurz: um Frieden durch Recht .

Wie wichtig gerade die rechtliche Aufarbeitung für
die Opfer brutalster Gewalt ist, haben uns die jesidischen
Verbände eindrucksvoll verdeutlicht, die uns im letzten
Jahr mehrfach im Bundestag besucht haben . Sie sind
2014 Opfer eines Völkermordes geworden . Dennoch for-
dern sie weder Rache noch Waffen, sondern justizielle
Aufklärung . Die Täter sollen ermittelt und vor Gericht
gestellt werden .

Da weder Syrien noch der Irak Vertragsstaaten des
Internationalen Strafgerichtshofes sind, kann dessen Zu-
ständigkeit leider nur durch einen Beschluss des Sicher-
heitsrates herbeigeführt werden . Eine solche Resolution
ist in Bezug auf Syrien im Mai 2014 leider gescheitert .
Deswegen ist es gut, dass sich die Bundesanwaltschaft
der Aufgabe stellt, bei Verbrechen nach dem Völkerstraf-
recht selbst zu ermitteln und Zeugenaussagen zu sam-
meln . Dabei sollte sie jede erdenkliche Unterstützung
bekommen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zudem hat die UN-Vollversammlung im Dezember
letzten Jahres einen Mechanismus zur Unterstützung
von Strafermittlungen durch einzelne Mitgliedstaaten
beschlossen . Hier sollte es unbedingt eine gute Zusam-
menarbeit geben .

Auch wenn eine Überweisung an den Strafgerichts-
hof für Syrien bereits einmal gescheitert ist, sollten wir
nicht aufgeben . Was spricht dagegen, es wenigstens für
die Menschenrechtsverbrechen auf dem Gebiet des Iraks
noch einmal zu versuchen, da doch die politische Inter-
essenlage der Großmächte dort durchaus eine andere ist?
Die gemeinsame Resolution vom November 2015 zeigt,
dass nicht jeder Versuch vergebens ist, wenn der ernst-
hafte politische Wille vorhanden ist .

Kontraproduktiv war es allerdings, dass die Resoluti-
on vom November 2015 gleich wieder ausgenutzt wurde,
um ein militärisches Eingreifen in Syrien zu begründen,
obwohl die Einigung doch gerade nur deshalb zustande
kam, weil der Wortlaut dies gerade nicht legitimiert .

Damit komme ich zu einem weiteren Antrag von
uns . – Die Bundeswehr beteiligt sich seit Ende 2015 am
Luftkrieg über Syrien, obwohl es dafür kein UN-Mandat
gibt . Die Bundeswehr agiert damit außerhalb eines Sys-
tems kollektiver Sicherheit im Rahmen einer Koalition
der Willigen . Das ist ein Verstoß gegen Artikel 24 unse-
res Grundgesetzes und damit verfassungswidrig .

Der Hinweis auf diese Norm ist weder Rechtsförmelei
noch antiquiert, sondern aktueller denn je . Die Anwen-
dung militärischer Gewalt kann immer nur dann zur
Konfliktbeendigung beitragen, wenn sich die internatio-
nale Gemeinschaft über die gemeinsamen Ziele und die
Strategie einig ist . Ohne diese Voraussetzung ist sie we-
der legitim noch ein geeignetes Mittel, um das Morden
zu beenden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun wissen wir zu gut, dass es auch bei Ihnen in der
Koalition erhebliche Zweifel daran gibt, ob die Voraus-
setzungen nach Artikel 24 Grundgesetz vorliegen . Es
wäre daher in unser aller Sinne, dass diese bedeutsame
Frage vom Verfassungsgericht geklärt werden könnte .
Leider gibt es aber für eine solche Vorlage bislang keinen
Rechtsweg zum Verfassungsgericht .

Um Klarheit zu schaffen, schlagen wir vor, die Klage-
möglichkeiten im Bundesverfassungsgerichtsgesetz um
die Überprüfung von Auslandseinsätzen des Militärs zu
ergänzen . Wir brauchen eine solche Klärung umso drin-

Dr. Hendrik Hoppenstedt






(A) (C)



(B) (D)


gender, als die Verteidigungsministerin in ihrem Weiß-
buch bereits angekündigt hat, dass ein Einsatz, wie er
jetzt in Syrien stattfindet, keinesfalls eine Ausnahme
bleiben, sondern vielmehr eine Blaupause für die Einsät-
ze der Zukunft sein soll .

In unserem dritten Antrag werden die Stärkung und
der Ausbau der internationalen rechtlichen Zusammen-
arbeit gefordert . Wenn wir rechtzeitig Richter, Staatsan-
wälte und Verwaltungsjuristen für die Rechtsstaatsförde-
rung in krisengeschüttelte Regionen schicken, brauchen
wir am Ende vielleicht keine Soldatinnen und Soldaten
zu entsenden . Das gilt genauso in der Zeit nach einem
bewaffneten Konflikt.

Ein Land, in dem eine Gewaltherrschaft mit Gewalt
beendet wurde, findet noch lange keinen Frieden, erst
recht nicht, wenn beispielsweise wie in Libyen keiner-
lei rechtsstaatliche Fundamente vorhanden sind, auf die
die Menschen aufbauen können . Ohne internationale
Hilfe und ohne Übergangsjustiz hatten die Libyer keine
Chance, wenigstens die schlimmsten Kriegsverbrechen
juristisch aufzuklären und einen Weg zur Versöhnung zu
finden.

Lassen Sie uns also künftig mehr in die Rechtsstaats-
förderung investieren, sowohl zur Krisenprävention
als auch zur Post-Konflikt-Bearbeitung. Frieden durch
Recht ist ein langer und mühevoller Weg, aber allemal
erfolgversprechender als alles andere .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823420300

Die Kollegin Bettina Bähr-Losse spricht als Nächste

für die Fraktion der SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Bettina Bähr-Losse (SPD):
Rede ID: ID1823420400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Der freie Zugang
zum Recht und zu einem funktionierenden Justizwesen
ist unerlässliche Voraussetzung für einen stabilen und
nachhaltigen Frieden . Diese Voraussetzung ist bei uns,
anders als in vielen fragilen Staaten, Nachkriegsgesell-
schaften und Autokratien, glücklicherweise gegeben .
Es liegt daher nahe, dass die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen fordert, die internationale rechtliche Zusammen-
arbeit zu stärken und auszubauen . Konkret werden fünf
Forderungen aufgestellt .

Die erste Forderung lautet: Die Bund-Länder-Arbeits-
gruppe zur Stärkung des internationalen Einsatzes von
Justizbediensteten möge zügig ihre Arbeit aufnehmen .


(Beifall des Abg . Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Fakt ist: Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe hat bereits im
November letzten Jahres getagt und vereinbart, die Ab-
stimmung zwischen Bund und Ländern durch einen ge-
zielten und regelmäßigen Austausch zu verbessern .

Die zweite Forderung lautet: Im deutschen Recht soll
die Freistellung von Juristinnen und Juristen verschie-
dener Berufsgruppen besser ermöglicht und Stellen im
Bereich der Justiz geschaffen werden, auf die von den
Ländern freigestellte Justizbedienstete für die Dauer des
Auslandseinsatzes abgeordnet werden können .


(Beifall des Abg . Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Fakt ist: Es bestehen bereits jetzt die notwendigen recht-
lichen Rahmenbedingungen, um eine Entsendung, Zu-
weisung oder Sekundierung von Personen der infrage-
kommenden Berufsgruppen zu ermöglichen .

Die dritte Forderung lautet: Die Bundesregierung soll
sich dafür einsetzen, dass auf Ebene der Vereinten Nati-
onen, der Europäischen Union und der Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa über deren
Programme zur rechtlichen Zusammenarbeit Angebote
zu allen Rechtsbereichen, also Straf-, Zivil-, Staats- und
Verwaltungsrecht, bereitgehalten werden .


(Beifall des Abg . Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Fakt ist: Nichts ist so gut, als dass es nicht besser werden
könnte . Weitere Optimierungen sind meistens möglich .


(Beifall des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Allerdings wird bereits jetzt über die Tätigkeit des Bun-
desministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz
und der Deutschen Stiftung für internationale rechtliche
Zusammenarbeit ein breites Fachspektrum abgedeckt,
das über das Strafrecht hinaus insbesondere auch das
Verfassungs- und Verwaltungsrecht umfasst .

In den Forderungen 4 und 5 des Antrags wird die Be-
reitstellung von Geld für Werbung gefordert .


(Beifall des Abg . Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Was damit konkret gemeint ist, lässt der Antrag leider
offen . Fakt ist: Das Bundesministerium der Justiz und
für Verbraucherschutz wirbt bereits jetzt in Gesprächen
mit den Ländern sowie der Bundesrechtsanwaltskammer,
dem Deutschen Anwaltverein, der Bundesnotarkammer
und anderen Institutionen für den Einsatz von Rechtsex-
pertinnen und -experten an internationalen Friedens- und
Rechtsstaatsmissionen . Schulungs- und Werbemaßnah-
men werden bereits durchgeführt .

Abschließend bleibt festzustellen, dass der Antrag
suggeriert, dass internationale rechtliche Zusammen-
arbeit nicht stattfinde und von der Regierungskoalition
vernachlässigt werde .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Unsinn!)


Ich hoffe, dass ich mit meinen Ausführungen dazu beitra-
gen konnte, aufzuzeigen, dass das Gegenteil der Fall ist .
Internationale rechtliche Zusammenarbeit liegt selbst-
verständlich im Interesse der SPD-Bundestagsfraktion .
Der freie und gleiche Zugang zum Recht und zu einem
funktionierenden Justizwesen ist unerlässliche Voraus-

Katja Keul






(A) (C)



(B) (D)


setzung für einen stabilen und nachhaltigen Frieden und
eine funktionierende Demokratie .

Die mit dem Antrag gestellten Forderungen werden
aber bereits erfüllt . An Verbesserungen wird bereits an
vielen Stellen gearbeitet . Deshalb ist der Antrag abzuleh-
nen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823420500

Vielen Dank . – Dr . Patrick Sensburg hat als Nächster

das Wort für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1823420600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Nachdem die letzten beiden Vorrednerinnen ge-
rade auf den Antrag eingegangen sind, der die rechtliche
Zusammenarbeit stärken möchte, der darauf ausgerichtet
ist, die internationale rechtliche Zusammenarbeit zu stär-
ken und auszubauen, möchte auch ich noch einmal auf
diesen wesentlichen Punkt eingehen; denn ich glaube, es
ist gut, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den Fo-
kus auf ein so wesentliches Thema lenkt .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde den Antrag von seiner Intention her wirklich
berechtigt .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)


Wir haben auch im Ausschuss darüber diskutiert, Frau
Kollegin Keul . Sie haben dieses Thema stark vorange-
bracht. Ich finde das richtig. Ich werde noch einiges zum
Inhalt sagen, aber ich glaube, mit der Debatte sind wir
auf dem richtigen Weg .

Als Intention haben Sie den freien und gleichen Zu-
gang zum Recht und zu einem funktionierenden Jus-
tizwesen genannt . Das, sagen Sie, sei die unerlässliche
Voraussetzung für Stabilität und Nachhaltigkeit . Das ist
so, und das ist richtig . Deshalb bemühen wir uns ganz
vielfältig – das beschreiben Sie auch in Ihrem Antrag –,
über viele Organisationen – die IRZ-Stiftung wurde
schon genannt, aber beispielsweise auch über die poli-
tischen Stiftungen – einen intensiven Rechtsstaatsdialog
zu betreiben, die Voraussetzungen für einen demokrati-
schen Staat in Ländern zu etablieren und Wissenstransfer
zu leisten . Von daher gibt es bereits einen Ansatz .

Frau Bähr-Losse hat auch gerade beschrieben, was wir
in diesem Bereich schon alles machen . Die Erkenntnis,
dass Rechtsstaatsdialog und Demokratietransfer wichtig
sind, haben wir, und deswegen ist der Antrag auch rich-
tig .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, dass es wichtig ist, in den Staaten, in de-
nen wir die Chance haben, Grundlagen der Demokratie

zu stärken, zu etablieren und wesentliche Aspekte der
Gewaltenteilung, aber auch des Funktionierens eines
Staates voranzutreiben, dies auch zu tun . Da sollten wir
nicht warten, bis möglicherweise in fragilen Strukturen
im Grunde die nicht demokratisch legitimierte Seite die
Macht ergreift und die kleinen demokratischen Struk-
turen, die sich teilweise herausgebildet haben, zerstört
werden .

Deswegen haben wir auch darüber diskutiert, was wir
machen können, um Staaten dabei zu unterstützen . Ich
denke beispielsweise an den Südsudan, wo in einem Ge-
sellschaftsdiskurs, in einem demokratischen Dialog gera-
de versucht wird, den nächsten Schritt zu gehen, nämlich
eine Verfassung zu schreiben . Hier müssen wir darüber
nachdenken, ob wir die Strukturen, die wir zum Beispiel
mit der IRZ-Stiftung haben, nicht unterstützen und stär-
ken sollten, um ganz konkrete Projekte zu machen .

Das ist der Punkt, an dem ich sage: Da müssen wir
mit dem Antrag einen Schritt weitergehen . Wir haben
auch schon den Dialog gesucht, und wir müssen jetzt ein
bisschen weiter in die Tiefe gehen und überlegen, ob wir
nicht beispielsweise für die IRZ-Stiftung für ganz kon-
krete Projekte, zum Beispiel für den Verfassungsprozess
im Südsudan, Gelder bereitstellen, um ihn damit unter-
stützen zu können .

Deutschland engagiert sich da zum Beispiel auch mit
dem Max-Planck-Institut in Heidelberg . Das ist ein un-
heimlich spannender Prozess, bei dem – das ist wirklich
interessant – auch wir lernen, unsere demokratischen
Strukturen immer wieder zu hinterfragen und zu stärken;
denn man sieht im Diskurs mit diesen Ländern, welche
Probleme auftauchen können .

Deswegen würde ich sagen, dass alle Fraktionen –
insbesondere dann, wenn die Kollegen von den Linken
einmal aufpassen und die richtigen Anträge lesen –


(Beifall der Abg . Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


sich diesen Antrag vornehmen und überlegen, für welche
Institutionen und politischen Stiftungen – die IRZ-Stif-
tung und das Max-Planck-Institut hatte ich gerade ge-
nannt; dort würde es, glaube ich, gut passen – Mittel im
Haushalt eingestellt werden können, um in den Ländern,
die wir auf dem Weg zu Demokratie und Rechtsstaat un-
terstützen wollen, konkrete Projekte weiter zu fördern .

Für den Antrag wünsche ich mir mehr Konkretheit
und Fakten . Natürlich ist es richtig, dass wir Staatsan-
wälte und Richter, vielleicht aber auch einmal Rechtsan-
wälte entsenden . Auch das würde mich freuen . Für die ist
es natürlich manchmal etwas schwieriger . Aber warum
eigentlich sollte es nicht auch über die Kammern, den
DAV und die BRAK Möglichkeiten geben, Anwälte in
diese Länder zu schicken?

Wir sollten also einmal schauen, welche Möglichkei-
ten und Rahmen wir schaffen müssen . Dabei handelt es
sich ja oft um eine Länderthematik . Den Ländern fällt
es schwer, Staatsanwälte und Richter freizustellen und
sie beispielsweise für ein Jahr in ein anderes Land zu
entsenden . Was können wir machen, um dies zu unter-
stützen? Auch da sind es, glaube ich, wieder Akteure

Bettina Bähr-Losse






(A) (C)



(B) (D)


wie Stiftungen und Institutionen, die das zum Beispiel
über Drittmittelprojekte ermöglichen könnten . Beim
Max-Planck-Institut ginge so etwas . Dort unterrichten
viele Staatsanwälte und Lehrer nebenamtlich . Wir sollten
das befördern, um hinzubekommen, dass Rechtsstaatsdi-
alog und Demokratietransfer wirklich funktionieren .

Ich würde raten, diesen Antrag in seiner Kürze und
Knappheit heute nicht anzunehmen, aber den Diskurs –
insbesondere im Ausschuss für Recht und Verbraucher-
schutz – weiter zu führen, um die Gelder, die wir, glaube
ich, finden könnten, für diese aus meiner Sicht im Hin-
blick auf Ihre Intention richtigen Dinge, die wir anpacken
sollten, bereitstellen zu können .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823420700

Vielen Dank . – Die Aussprache ist damit beendet .

Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 15 a zur Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Verbrechen nach dem
Völkerstrafrecht nicht ungesühnt lassen“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/10626, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/10031 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen
angenommen .

Unter Tagesordnungspunkt 15 b stimmen wir über
den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen zur Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgeset-
zes ab . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12413, den Gesetzentwurf der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8277 abzulehnen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Be-
ratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Opposition abgelehnt . Damit entfällt
nach unserer Geschäftsordnung die weitere Beratung .

Unter Tagesordnungspunkt 15 c kommen wir zur Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Ver-
braucherschutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Internationale rechtliche Zu-
sammenarbeit stärken und ausbauen“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/11780, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/9675 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Opposition angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses


(3 . Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre-

gierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der durch die Eu-
ropäische Union geführten EU NAVFOR
Somalia Operation Atalanta zur Bekämp-
fung der Piraterie vor der Küste Somalias

Drucksachen 18/11621, 18/12207


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/12208

Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
mentlich abstimmen .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Dagmar Freitag für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1823420800

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Erneut befinden wir heute über die Operation
Atalanta . Sie hat – ich denke, darin sind wir uns alle ei-
nig – in den vergangenen Jahren ganz unbestritten dazu
beigetragen, die Piraterie am Horn von Afrika erheb-
lich zurückzudrängen . Bereits seit 2008 beteiligt sich
Deutschland an der Marinemission und schützt somit
auch die Transporte des Welternährungsprogramms, der
Mission der Afrikanischen Union sowie Seeleute und
Handelsschiffe . Lassen Sie uns kurz zurückschauen . Gab
es zwischen 2008 und 2012 noch knapp 600 Übergriffe
auf Schiffe, sind es zwischen 2013 und 2017 weniger als
10 . Das ist ein großer Erfolg dieser Mission .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Nach Angaben der Bundeswehr konnte auf diese Weise
die Auslieferung von 1,3 Millionen Tonnen Hilfsgüter
nach Somalia sichergestellt werden . Ich denke, an dieser
Stelle ist es angebracht, den Soldatinnen und Soldaten,
die sich in diesem Einsatz engagieren, ein herzliches
Dankeschön von unserer Seite für ihre hervorragende
Arbeit zu sagen .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich leisten sie damit gleichzeitig einen entschei-
denden Beitrag zur Stabilisierung dieser doch sehr ge-
beutelten Region .

Ohne eine grundlegende Verbesserung der politi-
schen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhält-
nisse in dem Land wird es keine nachhaltige Sicherung
der Seewege geben . Jahrzehntelanger Bürgerkrieg hat –
das wissen wir – Anarchie im Land hinterlassen, eine
Sicherheitslage, die mit „fragil“ nur unzureichend be-
schrieben ist . Das ostafrikanische Land zählt noch immer
zu den ärmsten, aber auch zu den gefährlichsten Staaten
der Welt . Außerhalb der Stadtgrenzen von Mogadischu

Dr. Patrick Sensburg






(A) (C)



(B) (D)


beispielsweise haben staatliche Institutionen kaum Kon-
trolle . In Zentralsomalia und auch im Süden gibt es wei-
terhin komplexe Angriffe der islamistischen Terrororga-
nisation al-Schabab .

Über 1 Million somalischer Flüchtlinge sind laut
UNHCR in benachbarten Ländern am Horn von Afri-
ka registriert . Auch aufgrund der anhaltenden schweren
Dürre steht diesem Krisenstaat wohl erneut eine huma-
nitäre Katastrophe bevor . 2011 sind – ich darf das in
Erinnerung rufen – bereits 250 000 Menschen verhun-
gert . Nach UN-Angaben sind derzeit rund 50 Prozent der
Bevölkerung auf humanitäre Hilfe angewiesen, allein
2,9 Millionen Menschen auf die Verteilung von Nah-
rungsmitteln . Das Kinderhilfswerk rechnet in diesem
Jahr mit 1,4 Millionen akut mangelernährten Kindern .
Auch die medizinische Grundversorgung kann nicht ge-
währleistet werden .

Die Entwicklung Somalias zu einem stabilen Staat ist
zweifellos eine langfristige Aufgabe . Das Land braucht
Hilfe vor allem in der Verwaltung, in der Justiz und im
Sicherheitssektor .


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber keine Militäreinsätze!)


Dazu gehört natürlich auch die Unterstützung beim Auf-
bau der Sicherheitsbehörden an Land und auf See . Daher
beteiligt sich Deutschland auch an der zivilen Mission
EUCAP Somalia und an der Ausbildungsmission EUTM
Somalia . Staatsminister Roth hat noch vor wenigen Ta-
gen in Brüssel die Forderung nach einer verstärkten Be-
ratung der somalischen Streitkräfte durch die erwähnte
EU-Mission bekräftigt . Zudem hat Bundesaußenminister
Gabriel angekündigt, die deutsche Nothilfe auf 140 Mil-
lionen Euro zu verdoppeln .

Vor wenigen Tagen, am 11 . Mai, fand die internationa-
le Somalia-Konferenz in London statt . Dort sprach auch
UN-Generalsekretär António Guterres die unverzichtba-
ren Maßnahmen an: Stabilisierung der Sicherheitslage,
mehr politische Transparenz und – wir nennen das Good
Governance – verantwortungsvolle Regierungsführung .
Hoffnung liegt zurzeit auf dem neuen Präsidenten Ab-
dullahi, der im Februar 2017 gewählt wurde . In London
hat er den Kampf gegen die größten Feinde Somalias
ausdrücklich betont: Terrorismus, Korruption und Ar-
mut, und das mit dem Ziel, natürlich ein wirtschaftlich
erfolgreicheres Somalia zu schaffen, ein stabiles Land,
das endlich wieder auf eigenen Füßen stehen kann .

Aber ich denke, uns allen ist klar: Das Land wird noch
sehr lange die Hilfe der internationalen Gemeinschaft be-
nötigen . Der Hauptauftrag der Operation Atalanta bleibt
die Abschreckung, die Verhinderung und natürlich auch
die Bekämpfung von seeräuberischen Handlungen ge-
nauso wie von bewaffneten Raubüberfällen . Im Rahmen
verfügbarer Mittel und Kapazitäten kann die Mission
aber auch der Überwachung illegaler Aktivitäten im Be-
reich der Fischerei dienen, zum Beispiel durch Informa-
tionsaustausch zum maritimen Lagebild .

Geplant ist, dass im laufenden Jahr eine Übergangs-
strategie erarbeitet wird, um die Operation – natürlich
unter Beibehaltung der bereits erreichten Erfolge – been-

den zu können . Auch das ist im Übrigen ein Beitrag zur
nachhaltigen Stabilisierung dieser Region . Eines muss
aber auch klar sein: Solange allerdings die grundlegen-
den Ursachen der Piraterie nicht erfolgreich bekämpft
und beseitigt sind, bleibt die Präsenz auch unserer Schif-
fe vor der Küste Somalias unverzichtbar .

Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung zu dem vorlie-
genden Mandat .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823420900

Vielen Dank . – Als Nächste hat Inge Höger für die

Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823421000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Rund um

das Horn von Afrika sind laut Angaben der UN 20 Mil-
lionen Menschen vom Hungertod bedroht . Es geht um
Länder wie Somalia, Jemen und den Südsudan . Es ist die
größte Zahl seit Bestehen der Vereinten Nationen . Ange-
sichts der humanitären Katastrophe ist die internationale
Hilfe ein erbärmlicher Tropfen auf den heißen Stein .


(Beifall bei der LINKEN)


Das Antipirateriemandat Atalanta, das heute hier zur
Abstimmung steht, zeigt wieder einmal eine völlig fal-
sche Prioritätensetzung . Militär hilft nicht gegen den
Hunger .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Deutsche Welthungerhilfe berichtete im April, dass
bisher nur 10 Prozent der zur Bekämpfung des Hungers
dringend benötigten Gelder überwiesen wurden . Der
Hunger ist auch Folge von Klimaveränderungen . Dafür
sind die westlichen Industrienationen maßgeblich ver-
antwortlich . Außerdem trägt das saudische Militär mit
seiner illegalen Blockade von jemenitischen Häfen zum
Hunger in der Region bei . Saudi-Arabien ist ein Ver-
bündeter des Westens und wird politisch und militärisch
massiv unterstützt . Es ist eine Schande, dass nach wie
vor auch aus Deutschland Waffen nach Saudi-Arabien
exportiert werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Angesichts des Hungers in Somalia könnten die
Fischer einen wichtigen Beitrag zur Selbsthilfe leisten .
Doch internationale Fangflotten plündern legal und ille-
gal die Fischbestände vor der somalischen Küste . Wäh-
rend der Hochphase der Piraterie in der Region hielten
sich die internationalen Flotten zurück, und die Bestände
konnten sich erholen . Was für die Handelsschifffahrt am
Horn von Afrika ein Segen ist, nämlich der Rückgang der
Bedrohung durch die Piraterie, ist für die Fischer in der
Region ein Fluch .

Von 2013 bis Anfang dieses Jahres kam es auf den
Seewegen insgesamt nur zu etwa zehn Angriffen auf
Schiffe . Das ist gut für die Besatzung, das ist gut für den

Dagmar Freitag






(A) (C)



(B) (D)


internationalen Handel, und das ist gut für die interna-
tionalen Raubfischer. Die verbrecherische Ausbeutung
der somalischen Fischbestände muss dringend beendet
werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Menschen in der Region um das Horn von Afri-
ka bemerken die falschen Prioritäten der westlichen Mi-
litärmission durchaus . Es ist absurd: Erklärtes Ziel der
Atalanta-Mission ist der Schutz des Welternährungspro-
gramms . Gleichzeitig stehen nicht genügend Gelder zur
Verfügung, um den Hunger wirksam zu bekämpfen . Auf
der einen Seite sollen kriminelle Piratennetzwerke be-
kämpft werden . Gleichzeitig wird die illegale Blockade
von jemenitischen Häfen unterstützt . Die Menschen in
Jemen hungern, und humanitäre Hilfe kommt nicht an .
Durch die Unterbindung des regulären Schiffsverkehrs
durch saudisches Militär werden kriminelle Netzwerke
gestärkt, die angeblich bekämpft werden sollen .

Das Problem der Fischerei ist zwar Teil des Atalan-
ta-Mandats, doch während der Dauer des Mandates hat
die räuberische Ausbeutung der Fischgründe kontinuier-
lich zugenommen . Die einzige wirkliche Priorität für das
Militär ist der Schutz der Handelsrouten . So werden die
Probleme in der Region nicht gelöst, sondern nur ver-
stärkt . Das muss sich grundlegend ändern .


(Beifall bei der LINKEN)


Somalische Fischer berichten davon, dass ihre kleinen
Boote von großen internationalen Trawlern gerammt
werden . Auf Fischer wird geschossen, und es kommt im-
mer wieder zu Todesfällen . Gelegentlich wird ihnen so-
gar der Fang geraubt . Die Fischbestände sind dramatisch
geschrumpft .

Ein Unrecht rechtfertigt kein anderes; aber wir sollten
nicht ignorieren, dass Not und Verzweiflung die Grund-
lagen für die Piraterie sind . Es ist wenig überraschend,
dass seit Beginn dieses Jahres die Zwischenfälle rund um
das Horn von Afrika wieder zugenommen haben . 2017
gab es im Einsatzgebiet von Atalanta bisher in etwa so
viele Überfälle wie in den vergangenen vier Jahren zu-
sammen . Nun wieder mehr Militär zu schicken, bringt
keine dauerhafte Lösung . Not und Hunger in der Region
müssen endlich bekämpft werden . Nötig sind ein Ende
der Raubfischerei und ein Ende der Rüstungsexporte in
die Region, und das sofort .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823421100

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt

der Kollege Dr . Johann Wadephul das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Johann Wadephul (CDU):
Rede ID: ID1823421200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Die Kollegin Freitag hat freundlicherweise
schon auf die zweite internationale Somalia-Konfe-
renz hingewiesen, die in der Tat wichtig war . Ich fand
bemerkenswert – das konnte man im Tagesspiegel die-
ser Tage nachlesen –, dass Boris Johnson, der britische

Außenminister, dort das Wort ergriffen hat und sich zur
Situation in Somalia geäußert hat . Er hat natürlich da-
rauf hingewiesen, wie sehr es ihn besorge, dass es dort
eine andauernde Dürre gebe und dass dort eine Hungers-
not bevorstehe . Er hat aber auch seiner Freude Ausdruck
verliehen, dass es einen friedlichen Machtwechsel und
einen neuen Präsidenten gebe und dass es auch die Chan-
ce gebe, Streitkräfte und natürlich auch eine Sicherheits-
struktur in diesem Land aufzubauen, die dann auch in der
Lage sei, gegen die islamistischen Al-Schabab-Milizen
zu kämpfen .

Ich finde es überraschend, dass gerade ein britischer
Außenminister, der bedauerlicherweise an der Spitze der-
jenigen stand, die dafür plädiert haben, die Europäische
Union zu verlassen, an dieser Stelle eine EU-Kommissi-
on gelobt und festgestellt hat: Die Europäische Union tut
hier etwas Gutes für die Menschen in der Region, aber
natürlich letzten Endes auch für den Weltfrieden . – Auch
das sollte uns vielleicht zu der Erkenntnis bringen, dass
das insgesamt eine gute Sache ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich können wir die Situation und die Lage der
Menschen in Somalia nicht einfach so ändern . Der Ein-
fluss der deutschen und der europäischen Politik ist be-
grenzt . Es gibt islamistischen Terror . Es gibt Clan-Struk-
turen, die leider immer noch nicht zerschlagen worden
sind, Armut und Hungersnot und natürlich auch eine
schlechte Agrar- und fast gar keine industrielle Struktur .
Aber gerade deshalb ist es doch umso wichtiger, dass
wir diesen Einsatz hier unterstützen; das ist nämlich eine
der Grundvoraussetzungen dafür, dass in diesem Land
überhaupt wieder Friede, wirtschaftliches Wachstum und
auch ein sozialer Standard einkehren können, den sich
doch eigentlich alle Menschen wünschen müssen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mich überrascht eigentlich, dass Sie von der Links-
fraktion hier den Anspruch – das gilt auch für Ihren be-
merkenswerten Beitrag gerade, Frau Höger – erheben,
das sei irgendwie humanitär und besonders edel – so
kommen Sie ja immer daher –, gegen militärische Ein-
sätze zu sein . Jeder militärische Einsatz ist natürlich das
letzte Mittel und ist natürlich keine Sache, die sich ir-
gendein Abgeordneter, auch kein Regierungsmitglied in
der Bundesrepublik Deutschland leicht macht . Niemand
freut sich: Hey, toll, wir können Soldaten einsetzen . –
Angesichts des Umstandes, dass wir hier wirklich einen
großen Erfolg erzielt haben und dass es gelungen ist, die
Piraterie fast vollständig zu besiegen – jetzt ist es endlich
wieder möglich, dass durch Schiffe des Welternährungs-
programms humanitäre Maßnahmen geleistet werden
können –,


(Inge Höger [DIE LINKE]: Die Ursachen des Hungers bekämpfen!)


muss ich sagen: Sie von der Linksfraktion haben eine
inhumane und keine besonders edle, humane Position .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Karin Evers-Meyer [SPD])


Das sollten Sie an der Stelle einmal einsehen .

Inge Höger






(A) (C)



(B) (D)


Es ist kein Gegensatz, ebenso für die Handelswege
der westlichen Welt – Europas, auch Amerikas; der Golf
von Aden ist einer der wichtigsten Handelswege – ein-
zutreten und diese zu verteidigen . Für deren Sicherheit
zu sorgen, ist per se nichts Schlechtes, sondern das ist in
unserem allseitigen, auch wirtschaftlichen Interesse hier
in Deutschland und Europa. Dazu kann man sich, finde
ich, durchaus bekennen; aber es ist kein Gegensatz zu
humanitärer Hilfe, sondern beides ergänzt sich . Es wer-
den praktisch zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen .

Sie verkennen, dass wir seitens der Europäischen Uni-
on insgesamt einen umfassenden Einsatz haben, auf den
die Kollegin Freitag schon hingewiesen hat . Wir haben
nicht nur einen militärischen Ansatz, sondern natürlich
auch einen entwicklungspolitischen Ansatz sowie mit
dem Versuch, die Sicherheitsstrukturen in dem Land zu
verbessern, auch einen darüber hinausgehenden Ansatz .

Die Mission EUCAP NESTOR, die Sie sicherlich
auch kennen, hilft dabei, die von Ihnen angesprochene
Küstengebiets- und Seeraumkontrolle zu verbessern . Es
ist notwendig, die Raubfischerei dort zu bekämpfen; ich
bitte Sie aber, die Dimension zu wahren . Nur weil es im
Bereich der Raubfischerei noch Probleme gibt, ist nicht
der gesamte Einsatz gegen die Piraterie schlecht, sondern
er ist gut .

Vor diesem Hintergrund plädiere ich dafür, dass der
Deutsche Bundestag diesen Einsatz, der wirklich zu den
erfolgreichsten Einsätzen gehört, die die Bundeswehr in
den letzten Jahren durchgeführt hat, fortführt, dass wir
uns dort im europäischen Sicherheitsrahmen weiter en-
gagieren und in dieser Region für ein kleines bisschen
mehr Frieden und die Chance auf Wohlstand eintreten .
Wir sollten zeigen, dass wir das Entfliehen aus einer
schlimmen humanitären Situation gewähren und an der
Seite der Menschen in Somalia stehen .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823421300

Vielen Dank . – Als Nächster spricht Omid Nouripour,

Bündnis 90/Die Grünen .


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823421400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt

gute Nachrichten aus Somalia – allerdings ist das Land
noch weit entfernt von Stabilität . Ein Symptom dieser
Instabilität ist die Piraterie . Es ist richtig, es gibt auch an-
dere Gründe, wie zum Beispiel die Raubfischerei. Aber
dieses Symptom wird bekämpft, was auch notwendig ist .

Die Mission Atalanta macht das seit neun Jahren
ziemlich erfolgreich: Die Piraterie ist tatsächlich zu-
rückgegangen, und die humanitären Hilfslieferungen
sind gewährleistet . Das Problem ist aber noch da: In den
letzten zwölf Monaten ist die Piraterie zurückgekommen .
Es gibt einen massiven humanitären Notstand am Horn
von Afrika; allein in Somalia brauchen 7 Millionen Men-

schen Hilfslieferungen, vor allem vom Welternährungs-
programm .

Das Problem in diesen Tagen ist, dass das Welternäh-
rungsprogramm immer mehr Schiffe einsetzen muss –
nicht nur, weil man mehr Menschen versorgen muss,
sondern weil das Welternährungsprogramm nicht mehr
genug Geld hat, um die großen Schiffe, die im Übrigen
gegen Piratenangriffe immuner sind, zu chartern, und es
vermehrt auf kleinere Schiffe zurückgreifen muss . Das
stellt ein erhöhtes Risiko für das Welternährungspro-
gramm dar .

Dieses Risiko wird steigen, wenn in den USA die
Administration von Präsident Trump tatsächlich den
Haushaltsentwurf, den sie vorgelegt hat und mit dem
sie 230 Millionen Dollar aus dem Etat des Welternäh-
rungsprogramms streichen würde, durch den Kongress
bekommt . Ich wünschte mir, dass die Bundesregierung
Präsident Trump beim NATO-Gipfel in diesen Tagen zu-
sichert, dass Deutschland und andere EU-Staaten bereit
wären, diese Deckungslücke zu schließen, dass das dann
aber nötige und konkrete Sicherheitsausgaben bedeute .
Das ist Sicherheit – und nicht die 2 Prozent, von denen
Trump und die Bundesregierung die ganze Zeit sprechen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Ute Finckh-Krämer [SPD])


Im Übrigen ist es völlig richtig, dass das, was die
Mission Atalanta leistet, langfristig keine Lösung ist .
Aber, verehrte Kollegin Höger: Manchmal braucht man
kurzfristige Lösungen . Sie können den Seeleuten nicht
einfach sagen: Ihr müsst warten, bis es eine langfristige
Lösung gibt . – Ja, wir müssen vor allem die Schiffe des
Welternährungsprogramms schützen; dafür wird Atalan-
ta gebraucht . Atalanta wird gebraucht, um die Schiff-
fahrt zu sichern, und nicht, um militärische Abenteuer an
Land, die es seit ein paar Jahren in diesem Mandat gibt,
abzusichern . Es ist ausgesprochen bedauerlich, dass die
Bundesregierung versäumt hat, dieses Landelement aus
diesem Mandat herauszunehmen . Das ist der Grund, wa-
rum die Mehrheit meiner Fraktion nicht wird zustimmen
können .

Die Bundesregierung hat auch versäumt, ihre Soma-
lia-Politik grundsätzlich zu überprüfen . In diesem Man-
dat steht zum ersten Mal im Mandatstext selbst drin, dass
Atalanta die Unterstützung für die Ausbildungsmission
liefern wird . Wir bilden Soldaten aus, die danach aber
kein Gehalt bekommen . Wofür bilden wir sie denn dann
eigentlich aus? Das ist ein riesengroßes Problem, weil
wir Menschen an Waffen ausbilden, von denen wir nicht
genau wissen, wo sie am Ende des Tages landen werden .

EUCAP NESTOR sollte in drei Staaten die Küsten-
wache auf Vordermann bringen . Nach Jahren stellte sich
heraus: Es gibt gar keine Küstenwache . Was ist die Kon-
sequenz? EUCAP NESTOR wird in EUCAP Somalia
umbenannt, statt grundsätzlich zu überprüfen, ob das ein
richtiger Beitrag war .

Gleichzeitig haben wir Verbündete, die mit dem so-
genannten Krieg gegen den Terror viele Perspektiven für
eine politische Lösung in Somalia zerstören . All diese
Ansätze gehen an den Bedürfnissen des Landes vorbei .

Dr. Johann Wadephul






(A) (C)



(B) (D)


Was das Land braucht, ist ein Aufbau von unten . Ich bin
sehr dankbar: nicht nur dafür, dass unsere Soldatinnen
und Soldaten dort einen wahrlich nicht einfachen Einsatz
unter schwierigen Bedingungen fahren, sondern auch
dafür, dass es auch deutsche NGOs gibt, die tatsächlich
versuchen, diesen Ansatz, von unten aufbauend, zu ver-
folgen . Ich wünschte mir, dass die Bundesregierung die-
sen NGOs, diesen Gruppierungen mehr zuhören würde


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und auch die Chance, die sich durch die positive Nach-
richt von der Wahl von Präsident Farmajo ergibt, ergrei-
fen würde, endlich einen Neubeginn ihrer Somalia-Po-
litik zu lancieren, statt immer nur auf alte Rezepte zu
setzen . Ja, Symptombekämpfung ist richtig . Auf lange
Sicht wird dies allerdings nicht ausreichen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823421500

Vielen Dank . – Jetzt hat Florian Hahn für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1823421600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zuallererst möchte ich festhalten: Atalanta ist eine erst-
klassige, eine erfolgreiche maritime Sicherheitsoperation .
Die Piratenangriffe in der Region konnten durch Atalan-
ta und die Schwestermissionen massiv reduziert werden .
Wir sollten nicht vergessen, dass auf dem Höhepunkt der
Krise am Horn von Afrika im Jahr 2010 49 Schiffe ent-
führt wurden . Über 1 000 Seeleute waren zeitweise Gei-
seln . Es kam zu Toten . Im Jahr 2011 wurde Lösegeld mit
einem Gesamtbetrag von 160 Millionen Dollar gezahlt,
das einzig einer kriminellen Elite zugutekam . Durch die
maritime Operation gingen diese Zahlen deutlich zurück .
Zuletzt gab es lange Zeit überhaupt keine Entführungen
mehr . Vor kurzem hat es wieder einige einzelne Angriffe
gegeben, in der Intensität aber keinesfalls vergleichbar
mit denen früherer Zeiten . Allein das zeigt doch schon
den Erfolg der Operation Atalanta .


(Beifall des Abg . Dr . Franz Josef Jung [CDU/ CSU])


Atalanta ist auch deshalb erfolgreich, weil die Missi-
on in einer einzigartigen Weise auf internationale Zusam-
menarbeit setzt . Für Atalanta haben neben den EU-Staa-
ten auch andere Länder wie Norwegen, die Ukraine oder
Kolumbien Kriegsschiffe gestellt, Neuseeland hat mit
Aufklärungsfähigkeiten beigetragen, Serbien und Mon-
tenegro mit Stabsoffizieren. Im Februar dieses Jahres
wurde sogar eine südkoreanische Fregatte für einige Zeit
Atalanta unterstellt . Derzeit beteiligen sich Spanien und
Italien mit Schiffen . Deutschland und Spanien stellen
die Aufklärungsflugzeuge. Hinzu kam bis Ende 2016 die
NATO-Operation Ocean Shield . Aber auch viele andere
Nationen beteiligen sich am gemeinsamen Kampf gegen
die Piraterie .

Ich halte es für wichtig und gut, dass so auch prakti-
sche Zusammenarbeit zum Beispiel mit China oder In-

dien stattfindet. Gerade China übernimmt hier in einer
sehr positiven Weise internationale Verantwortung . Die
chinesische Lenkwaffenfregatte Yulin hat Anfang April
2017 eingegriffen, um einen bedrohten Frachter zu retten .
Sie wurde von einer indischen Fregatte unterstützt . Beide
Länder stehen ja sonst nicht für eine so enge Zusammen-
arbeit . Insofern ist auch das ein positiver Nebenaspekt .

Zugleich ist die Mobilisierung der internationalen
maritimen Wirtschaft hervorzuheben . Die Selbstschutz-
maßnahmen der zivilen Seeschifffahrt und die Best-Ma-
nagement-Practices haben maßgeblich zu den Erfolgen
der letzten Jahre beigetragen . Dazu gehören vor allem
die Ausweisung bestimmter Korridore sowie der Einsatz
privater Sicherheitsteams .

Wir haben aber gesehen: Die Situation bleibt sehr fra-
gil . Seit Beginn dieses Jahres hat es wieder eine ganze
Reihe von Piratenangriffen gegeben, sogar eine Entfüh-
rung . Einschätzungen, das Geschäftsmodell der Piraten
sei unrentabel geworden, haben sich leider als falsch
erwiesen . Warum? Die Zahl der Marineeinheiten wurde
zurückgenommen . Einige Frachtschiffe halten sich nicht
mehr an die empfohlenen Korridore, kürzen ab, fahren zu
nahe an die Küste oder zu langsam und führen keine be-
waffneten Teams mehr mit sich . Die weiter existierenden
kriminellen Netzwerke sind aufmerksam und schlagen
sofort wieder zu .

Aber zudem, meine Damen und Herren, bleibt die
Situation in Somalia und in der Region natürlich insge-
samt komplex und dramatisch; wir haben es hier schon
gehört . Viele tiefere Gründe für die Piraterie sind nicht
beseitigt . Somalia bleibt ein Failed State – trotz kleiner
Hoffnungszeichen durch eine neue Führung im Land .
Armut, Hungersnot, Seuchen, die Cholera, organisierte
Kriminalität, der Terrorismus halten das Land weiter in
ihrem Griff . Terroristen und Kriminelle rekrutieren die
Armen und die, die ohne Hoffnung sind . Wenn der Staat
kein Geld hat, seine Sicherheitskräfte zu bezahlen, wenn
Jobs und Perspektiven fehlen, wird eine Abwärtsspirale
in Gang gesetzt .

Was folgt daraus? Die Fortsetzung von Atalanta ist
derzeit alternativlos . Wir sind auf sichere Handelswe-
ge angewiesen . Ein Einstellen der Patrouillen hätte de-
saströse Effekte für die Handelsschifffahrt und die Liefe-
rungen des Welternährungsprogramms – wichtig gerade
wegen der aktuellen Dürre und Hungersnot .

Da ist ein umfassender, ganzheitlicher Ansatz richtig .
Der braucht viel Geld, der braucht viel Zeit, und er zeigt
leider nur langsam Erfolge . Aber wir müssen schließlich
weiter die Not und die Armut bekämpfen und versuchen,
Berufs- und Lebensperspektiven vor Ort zu schaffen . Wir
leisten hier schon sehr viel: über die Entwicklungszu-
sammenarbeit, über die humanitäre Hilfe . Wir dürfen es
nicht der al-Schabab überlassen, den hungernden Men-
schen dort zu helfen, sondern wir müssen uns selbst dort
noch stärker engagieren .

In diesem Sinne ist auch Atalanta als erfolgreicher
und wichtiger Einsatz zur Bekämpfung der Piraterie ein

Omid Nouripour






(A) (C)



(B) (D)


wichtiger Baustein . Ich bitte deswegen, einer Verlänge-
rung dieses Mandats zuzustimmen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823421700

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An-
trag der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteili-
gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der durch die
Europäische Union geführten maritimen Mission Opera-
tion Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste
Somalias .

Zu dieser Abstimmung liegen mehrere Erklärungen
gemäß § 31 Absatz 1 der Geschäftsordnung vor .1)

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/12207, den Antrag der Bundes-
regierung auf Drucksache 18/11621 anzunehmen . Wir
stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich ab .
Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen . Sind die Plätze an
den Urnen besetzt? – Dort fehlt die Opposition . Das ist
heute schon wiederholt der Fall gewesen . Ich bitte um
Beeilung . – Sind die Plätze jetzt besetzt? – Das ist der
Fall . Dann eröffne ich die Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung .

Noch einmal eine besondere Durchsage an die CDU/
CSU-Fraktion: Hier gibt es noch drei Urnen, bei denen es
keinen Andrang gibt . – Hat jetzt jeder seine Stimmkarte
abgegeben? – Herr Diaby, jetzt aber schnell .

Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen . Das Ergebnis der namentlichen Abstim-
mung wird später bekannt gegeben .2)

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von den Abge-
ordneten Azize Tank, Katja Kipping, Sabine
Zimmermann (Zwickau), weiteren Abgeordne-
ten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten
Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des

(Aufnahme sozialer Grundrechte in das Grundgesetz)


Drucksache 18/10860

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/12412

b) Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker
Beck (Köln), Luise Amtsberg, Dr . Franziska
Brantner, weiteren Abgeordneten und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Gewährleistung

1) Anlagen 3 und 4
2) Ergebnis Seite 23706 C

der Wahrnehmung sozialer Rechte von Men-
schen ohne Aufenthaltsstatus

Drucksache 18/6278
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich sehe und
höre keinen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich bitte alle, ihre Plätze einzunehmen . – Wenn die
Gespräche auf der rechten Seite außerhalb des Plenar-
saals weitergeführt werden, dann können wir mit der
Aussprache beginnen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Dr . Matthias Bartke, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1823421800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Linke, Ihr Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgeset-
zes beginnt mit dem Satz:

Soziale Grundrechte sind unabdingbar für ein wür-
diges Leben in einer sozial gerechten Gesellschaft .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte Ihnen sagen: Dem stimmen wir zu . Ich sage
das ganz ausdrücklich, weil das ziemlich die einzige Stel-
le in Ihrem Gesetzentwurf ist, der wir zustimmen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Sachverständigenanhörung, die wir zu Ihrem Ge-
setzentwurf durchgeführt haben, wird mir noch lange in
Erinnerung bleiben . So etwas habe ich vorher noch nicht
erlebt . Kein Sachverständiger hat Ihrem Gesetzentwurf
Zustimmung signalisiert, nicht einmal Ihr eigener, Pro-
fessor Eichenhofer . Er hat zwar erläutert, dass er grund-
sätzlich für soziale Grundrechte sei . Ich glaube, Herr
Kollege Hoppenstedt war es, der nachgefragt hat . Dann
hat Herr Professor Eichenhofer deutlich gemacht, dass
er die gesamte Programmatik Ihres Gesetzentwurfes für
nicht zustimmungsfähig hält . Ich sage Ihnen: Vernich-
tend!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ihr Gesetzentwurf ist verfassungsrechtlich ebenso
verfehlt, wie er politisch schädlich ist . Das Grundgesetz,
meine Damen und Herren, ist ein fein austariertes, hoch-
filigranes Konstrukt. Das gilt umso mehr für die Grund-
rechte . Mit Ihrem Antrag fuhrwerken Sie regelrecht im
Grundrechtskatalog herum . Nach Artikel 1 Grundgesetz
wollen Sie einen neuen Artikel 1a einfügen, nach Arti-
kel 2 einen neuen Artikel 2a, nach Artikel 3 einen neu-
en Artikel 3a, einen neuen Artikel 3b, einen neuen Ar-
tikel 3c, einen neuen Artikel 3d, nach Artikel 16 einen
neuen Artikel 16a .

Florian Hahn






(A) (C)



(B) (D)


Was für ein Verhältnis Sie zu unserer Verfassung ha-
ben, wird im heute in der taz veröffentlichten Interview
mit Frau Zimmermann deutlich . Sie fängt an:

Wir fordern ein „Recht auf soziale Sicherheit“, ein
„Recht auf frei gewählte Arbeit“, ein „Recht auf
eine menschenwürdige Wohnung“, ein „Recht auf
Bildung“, das „Recht auf politischen Streik“ und
noch einiges mehr .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Zu diesem „einiges mehr“ gehört übrigens auch die
sanktionsfreie Mindestsicherung – so mal ganz neben-
bei . Das erwähnen Sie nicht einmal . Da ist man doch fas-
sungslos, mit welcher Beliebigkeit hier neue Grundrech-
te geschaffen werden sollen, natürlich alles einklagbar
vor dem Bundesverfassungsgericht .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Sozialausschuss können Sie ja jetzt zumachen!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823421900

Herr Kollege Bartke, ich muss mal Ihren Redefluss

unterbrechen . Die Kollegin Zimmermann würde Ihnen
gerne eine Zwischenfrage stellen . Sind Sie damit einver-
standen?


Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1823422000

Aber gerne, Frau Zimmermann .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823422100

Gut .


Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823422200

Vielen Dank, Kollege Bartke, dass Sie die Zwischen-

frage zulassen . – Nehmen Sie zur Kenntnis, dass der So-
zialstaat in Deutschland in den letzten Jahren auch durch
Ihre Regierung massiv geschliffen worden ist,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das ist Politik, nicht Grundgesetz! Machen Sie andere Politik!)


dass die Altersarmut zunimmt, dass die Kinderarmut zu-
nimmt, dass Millionen Menschen im Niedriglohnbereich
arbeiten und sie ihre Familien davon nicht ernähren kön-
nen?


(Zuruf von der CDU/CSU: Wahlkampfrede!)


Nehmen Sie zur Kenntnis, dass von den ganzen entspre-
chenden Deklarationen, zu denen sich Deutschland be-
kannt hat – wie zum Beispiel zur sozialen Sicherheit, zur
Bildung für alle, aber auch zu einer für alle erschwing-
lichen Gesundheitsversorgung –, überhaupt nichts greift
und dass man solche Sachen dann ins Grundgesetz
schreiben muss, damit man es wirklich einklagen kann,
dass die soziale Sicherheit ein wesentlicher Punkt ist,
wenn es darum geht, unser Land in Zukunft armutsfest
zu machen? Sind Sie mit mir einer Meinung, dass die
Situation derzeit so ist? Ihr Kanzlerkandidat hat ja auch
deutlich gemacht: Wir brauchen wieder soziale Gerech-
tigkeit . Sie wollen da ja viel tun, zumindest mit leeren

Worten . Ich habe noch nicht erkennen können, dass sich
die soziale Situation durch Ihr Wahlprogramm verändern
wird .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1823422300

Der Punkt ist: Natürlich wollen auch wir soziale Ge-

rechtigkeit, aber wir wollen nicht in der Art und Weise
am Grundgesetz herumfuhrwerken, wie Sie es tun wol-
len; denn damit würden Grundrechte beliebig . Hören Sie
meiner Rede weiter zu! Ich werde es noch ausführen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Frau Zimmermann, Sie haben es mit der letzten Ant-
wort im taz-Interview mit Herrn Rath noch einmal wun-
derbar dokumentiert . Herr Rath von der taz sagt:

Nach Ihren Angaben haben wir … 3,5 Millionen
Arbeitslose . Hinzu kämen alle, die ihre schlecht
bezahlten Jobs in der Wirtschaft aufgeben und nun
einen gut bezahlten Job vom Staat fordern . Sie alle
hätten nach Ihrem Gesetzentwurf ein Recht auf frei
gewählte Arbeit …


(Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Soziale Sicherheit hätten sie! Soziale Sicherheit!)


Er hat es gut auf den Punkt gebracht . Ihre wunderbare
Antwort – ganz simpel –:

So ein gewaltiges Projekt lässt sich nicht von heute
auf morgen umsetzen . Es müsste wohl eine Über-
gangsfrist geben .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Na und? Das ist doch realistisch!)


„Es müsste wohl eine Übergangsfrist geben“ für die
Schaffung von mehreren Millionen Arbeitsplätzen! Ich
wiederhole mich: Man ist fassungslos . Das ist doch kaum
noch satisfaktionsfähig, was Sie da sagen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg . Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Wenn Sie ein Grundrecht auf frei gewählte Arbeit
schaffen wollen, so sage ich Ihnen: In einer sozialen
Marktwirtschaft ist das nicht möglich . Das Grundrechts-
konzept des Grundgesetzes ist ein anderes . Es sieht vor,
dass Grundrechte in erster Linie Abwehrrechte des In-
dividuums gegen einen übergriffigen Staat sind. Das ist
eine Lehre aus der Vergangenheit . Sie wollen mit Ihrem
Antrag einen Staat erreichen, der für alles sorgt, und das
Bundesverfassungsgericht wird bei Ihnen zur Superins-
tanz, die über alle Konflikte entscheidet.

Meine Damen und Herren, Grundrechte sind einklag-
bar . Sie müssen daher vom Staat auch gewährleistet wer-
den,


(Zuruf von der LINKEN: Ja, eben!)


auch in schlechten Zeiten . In Ihrem Antrag postulieren
Sie etwas, was für den Staat unerfüllbar ist . Wenn wir

Dr. Matthias Bartke






(A) (C)



(B) (D)


die von Ihnen geforderten Grundrechte in die Verfassung
schreiben würden, könnten wir die Grundrechte nicht
mehr gewährleisten . Das Grundgesetz würde zur leeren
Hülse verkommen . Das werden wir zu verhindern wis-
sen .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823422400

Vielen Dank . – Bevor ich die nächste Rednerin auf-

rufe, gebe ich Ihnen das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 564 . Mit Ja
haben gestimmt 461, mit Nein haben gestimmt 71, Ent-
haltungen 32 . Damit ist die Beschlussempfehlung ange-
nommen .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 564;
davon

ja: 461
nein: 71
enthalten: 32

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist

Enak Ferlemann

(Karlsru he-Land)

Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Dr . Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling

Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann

(Dort mund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Dr . Mathias Edwin Höschel
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Dr . Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers

Andreas G . Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller

(Braun schweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein

Dr. Matthias Bartke






(A) (C)



(B) (D)


Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Iris Ripsam
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr . Wolfgang Schäuble
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Ole Schröder

(Wies baden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe

Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Thomas Stritzl
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley

Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Dr . Lars Castellucci
Jürgen Coße
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl

Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Lars Klingbeil
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Angelika Krüger-Leißner
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Dr . Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann






(A) (C)



(B) (D)


Dr . Ernst Dieter Rossmann
Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae

Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Ekin Deligöz
Dr . Thomas Gambke
Kai Gehring
Anja Hajduk
Dieter Janecek
Tom Koenigs
Dr . Tobias Lindner
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Manuel Sarrazin
Kordula Schulz-Asche
Markus Tressel
Doris Wagner
Dr . Valerie Wilms

Fraktionslos

Erika Steinbach

Nein

SPD

Klaus Barthel
Marco Bülow
Dr . Ute Finckh-Krämer
Cansel Kiziltepe
Hilde Mattheis
Christian Petry
René Röspel
Rüdiger Veit

(Wol mirstedt)


DIE LINKE

Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm

Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Dr . Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr . Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/

DIE GRÜNEN

Sylvia Kotting-Uhl
Christian Kühn (Tübingen)

Monika Lazar
Peter Meiwald
Beate Müller-Gemmeke
Lisa Paus
Corinna Rüffer
Hans-Christian Ströbele

Enthalten

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Volker Beck (Köln)

Agnieszka Brugger
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Matthias Gastel
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Renate Künast
Steffi Lemke
Nicole Maisch
Irene Mihalic
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Claudia Roth (Augsburg)

Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Dr . Harald Terpe
Dr . Julia Verlinden
Beate Walter-Rosenheimer

Nächste Rednerin ist Azize Tank, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Azize Tank (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823422500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Herr Bartke, ich sage es Ihnen gleich am An-

fang: Sie haben null Ahnung, was soziale Menschenrech-
te bedeuten .


(Beifall bei der LINKEN)


Die aktuellen Herausforderungen einer globalisierten
Welt verlangen nach sozialer Gerechtigkeit . Die Ergeb-






(A) (C)



(B) (D)


nisse des letzten Armuts- und Reichtumsberichtes zeigen
erheblichen Handlungsbedarf .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: So ist es!)


Selbst IWF und OECD kritisieren die soziale Ungleich-
heit in der Bundesrepublik . Wir müssen uns diesen He-
rausforderungen stellen, um ein Auseinanderbrechen un-
serer Gesellschaft zu verhindern .


(Dr . Matthias Bartke [SPD]: Aber doch nicht so! – Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Aufnahme sozialer Grundrechte in das Grundge-
setz ist eine Notwendigkeit .


(Beifall bei der LINKEN)


Soziale Menschenrechte schützen die Freiheit vor Elend
und Not . Das ist bereits in der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte niedergeschrieben . Sie geht von der
Einheit bürgerlicher und sozialer Menschenrechte aus .
Meine Herren und Damen, schauen Sie sich das erst ein-
mal an, dann können Sie immer noch „Oh!“ sagen .

Die Vereinten Nationen haben 1966 wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Menschenrechte im UN-Sozial-
pakt verbindlich verbrieft. Das ist keine Erfindung der
Linken .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber da steht doch nicht so ein Zeug drin!)


Seit 2008 ermöglicht ein Zusatzprotokoll zum UN-So-
zialpakt eine Individualbeschwerde nach Ausschöpfung
des nationalen Rechtsweges . Dieses Zusatzprotokoll
wurde bisher von insgesamt 22 Staaten ratifiziert, zum
Beispiel von Frankreich, Italien, Spanien . Deutschland
gehört bisher leider nicht dazu . Auch die revidierte Eu-
ropäische Sozialcharta hat Deutschland nicht ratifiziert.
Wir wollen mit unserem vorliegenden Gesetzentwurf die
individuelle Durchsetzung grundlegender sozialer Men-
schenrechte ermöglichen .


(Beifall bei der LINKEN)


Der Beitritt zum UN-Sozialpakt, zu der Europäischen
Sozialcharta und der Grundrechtecharta der EU war
nicht dazu gedacht, in Deutschland rechtsfreie Räume zu
schaffen. Nein, diese Abkommen verpflichten die Bun-
desrepublik zur Umsetzung sozialer Rechte .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wirkt deshalb auch unmittelbar!)


Auch die altmodische Aufteilung von Menschenrechten
in bürgerliche und soziale ist juristisch nicht haltbar . So-
wohl bürgerliche und politische als auch wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Menschenrechte stehen allen Men-
schen zu, unabhängig von ihrer sozialen Stellung und
Herkunft . Alle Menschenrechte sind gleichwertig .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Menschenrechte gelten für alle Menschen: egal ob arm
oder reich, egal welche Staatsangehörigkeit sie haben .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber auch heute schon!)


Soziale Grundrechte zeigen den Weg . Die Antwort auf
die Herausforderungen unserer Zeit ist nicht die Rück-
kehr zu Nationalismus und Chauvinismus . Vielmehr geht
es um den Zugang zu sozialen Rechten und um gesell-
schaftliche Teilhabe für alle .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Soziale Menschenrechte sind unteilbar und universell .
Wir brauchen nicht krank zu sein, um das Recht auf Ge-
sundheit zu verteidigen, so wie wir auch nicht wählen
gehen müssen, um das allgemeine Wahlrecht anzuerken-
nen . Die einen sind ohne die anderen nicht denkbar . Die
bürgerlichen und politischen Freiheiten können nicht in
vollem Umfang wahrgenommen werden, wenn den Men-
schen elementare soziale Menschenrechte vorenthalten
werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb müssen soziale Menschenrechte im Grundge-
setz als einklagbare Rechte verankert werden .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber doch nicht so!)


Der aktuelle Zustand ist weder mit der Völkerrechtsent-
wicklung noch mit den erreichten sozialen Standards der
Bundesrepublik vereinbar .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden alle an
unserer Haltung zu sozialen Grundrechten gemessen und
nicht an leeren Wahlversprechen zur sozialen Gerechtig-
keit in der Zukunft .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823422600

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt

Dr . Hendrik Hoppenstedt das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hendrik Hoppenstedt (CDU):
Rede ID: ID1823422700

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Wenn ich das so höre, Frau Kollegin Tank, denke
ich, dass wir in ziemlich unterschiedlichen Welten leben .
Aber auch darüber sich hier heute einmal auszutauschen,
ist ja interessant .


(Zurufe von der LINKEN)


Mit Ihrem Gesetzentwurf zur Aufnahme sozialer
Grundrechte in das Grundgesetz suggerieren Sie ja in
allererster Linie, dass unsere Verfassung insoweit voll-
ständig defizitär wäre. Dass das ganz bestimmt nicht der
Fall ist, wussten wir schon vor dem erweiterten Bericht-
erstattergespräch; aber auf Wunsch Ihrer Fraktion haben
wir es durchgeführt . Alle Sachverständigen – der Kollege

Azize Tank






(A) (C)



(B) (D)


Bartke hat es schon eindrücklich geschildert – haben ge-
nau das bestätigt .

Selbst Ihr eigener Sachverständiger, der Sympathie
für die Aufnahme weiterer sozialer Grundrechte in den
Text des Grundgesetzes geäußert hat, schrieb zu Ihrer
Forderung nach Gewährleistung des Existenzminimums:
Der Gesetzgebungsvorschlag geht nicht über den recht-
lichen Status quo hinaus . – Auch im Berichterstatterge-
spräch hat er gesagt, es sei ja nicht so, dass die Verfas-
sung das Soziale nicht schützen würde . Auf Nachfrage
hat er weiter gesagt – auch das hat der Kollege Bartke
schon gesagt; ich kann ihn hier nur andauernd anführen,
weil er es vollumfänglich so dargestellt hat, wie es auch
mein Eindruck war –,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


dass Ihr Gesetzentwurf – ich wiederhole: das sagte Ihr
eigener Mann wörtlich – über eine Vielzahl von Inkon-
sistenzen verfügen würde .

Meine Damen und Herren, in Deutschland erhalten
bedürftige Menschen seit Jahrzehnten Hilfe und Schutz .
Im Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von
2010 hat das Gericht ausgeführt, dass aus Artikel 1
Grundgesetz in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip
des Artikels 20 ein „Grundrecht auf Gewährleistung ei-
nes menschenwürdigen Existenzminimums“ folgt . Da-
raus ergibt sich ein verfassungsunmittelbarer Anspruch
auf Sozialleistungen . Jedem Hilfebedürftigen stehen
diejenigen materiellrechtlichen Voraussetzungen zu, die
für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an
Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politi-
schen Leben unerlässlich sind . Es gibt also keine rechtli-
chen Defizite, jedenfalls nicht auf verfassungsrechtlicher
Ebene .

Weitere von Ihnen geforderte Änderungen und Er-
gänzungen des Grundgesetzes sind entweder überflüs-
sig, widersprüchlich oder mit unserem freiheitlichen
Staatsverständnis und der sozialen Marktwirtschaft nicht
vereinbar . Hinter Ihrem Gesetzentwurf steht ein völlig
anderes Gesellschaftsbild und ein völlig anderes Sozial-
modell, als wir es heute haben .

Überflüssig ist zum Beispiel Ihre Forderung, den Staat
zu verpflichten, kollektive soziale Sicherungssysteme zu
schaffen; denn aus dem Sozialstaatsprinzip ergibt sich
bereits, dass die Schaffung sozialer Sicherungssysteme
zum Schutz der sozialen Existenz Grundaufgabe des
Staates ist .

Sie wollen ein Recht auf Gewährleistung eines men-
schenwürdigen Existenzminimums, das sanktionsfrei ge-
währt werden soll . Zugleich soll jeder Mensch das Recht
auf frei gewählte oder angenommene Arbeit haben . Wie
das zusammenpasst, beantworten Sie leider nicht . Wer
soll denn die frei gewählten Arbeitsplätze zur Verfügung
stellen? Der Staat vielleicht?


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Bundesverfassungsgericht!)


Zwischen 1949 und 1989 gab es einen Staat, der genau
das versucht hat . Wenn ich mich recht erinnere, hat das
nicht wirklich gut funktioniert .


(Beifall der Abg . Elisabeth WinkelmeierBecker [CDU/CSU])


Sie wollen das Streikrecht ohne Einschränkungen ge-
währleisten,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Grundrecht!)


inklusive des Rechts zum politischen Streik . Ich glaube,
dass wir in der Bundesrepublik Deutschland mit unserer
Tarifautonomie und mit unserer Koalitionsfreiheit ausge-
sprochen gut gefahren sind .

Sie fordern ein Recht auf eine menschenwürdige
und diskriminierungsfrei zugängliche Wohnung und auf
Versorgung mit Wasser und Energie sowie eine einkom-
mensgerechte Miete . Der Staat soll für Mieterschutz
sorgen und Miet- und Wohnbelastungen ausgleichen .
Die Räumung von Wohnraum soll unzulässig sein, wenn
kein zumutbarer Ersatzwohnraum zur Verfügung gestellt
wird .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie ignorieren dabei völlig, dass das BGB eine Vielzahl
von mieterschützenden Vorschriften enthält . Lesen Sie es
doch einfach mal .


(Zurufe von der LINKEN)


Es ist ein Trugschluss, zu glauben, dass die Ergänzung
des Grundgesetzes generell zu einer verbesserten Durch-
setzung von Rechten führen würde . Das gilt für Forde-
rungen nach Aufnahme weiterer Staatszielbestimmungen
ebenso wie für die Aufnahme von weiteren Grundrech-
ten .

Das Grundgesetz, meine Damen und Herren, sollte die
wichtigsten Rechte im Verhältnis zwischen Bürger und
Staat regeln,


(Beifall des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


einschließlich der Grundrechte . Je mehr wir dort hinein-
schreiben, desto mehr werden wir tendenziell unsere Ver-
fassung relativieren


(Zuruf von der LINKEN: Autobahnprivatisierung!)


und die Durchsetzbarkeit der Ansprüche reduzieren .

Ich habe noch nie in meinem Leben ein erweitertes
Berichterstattergespräch erlebt – auch das hat der Kol-
lege Bartke schon dargestellt –, in dem ein Gesetzent-
wurf derartig zerrissen wurde . Das Gespräch war für Ihre
Fraktion eine einzige Ohrfeige . Zitat aus der Stellung-
nahme eines Sachverständigen – diesmal zugegebener-
maßen nicht Ihr eigener –: Die vorgeschlagenen Grund-
gesetzänderungen sind verfassungsrechtlich verfehlt,
verfassungspolitisch uninformiert, handwerklich dürftig
und insgesamt politisch schädlich .

Es bleibt festzuhalten: Wir leben in einem wohlhaben-
den und vor allen Dingen sozialen Staat, der weltweit zu

Dr. Hendrik Hoppenstedt






(A) (C)



(B) (D)


den besten Staaten gehört . Seien wir uns dessen bewusst .
Wenn wir schon nicht dafür dankbar sind, so würdigen
wir es zumindest . Soziale Rechte sind sowohl in der Ver-
fassung als auch einfachgesetzlich bestens abgesichert .
Deswegen lehnen wir als Fraktion diesen Gesetzentwurf
mit vollem Herzen ab .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823422800

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Volker Beck für

Bündnis 90/Die Grünen .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823422900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich fin-

de, es lohnt sich, über die Frage, ob wir soziale Grund-
rechte im Verfassungstext sichtbarer machen wollen, zu
reden .


(Beifall des Abg . Dr . Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auch manche Formulierungen, die Sie für Änderungen
des Artikels 3 des Grundgesetzes gefunden haben, halte
ich durchaus für diskussionswürdig . Was aber echt nicht
geht, ist, das eigene Parteiprogramm ins Grundgesetz
schreiben zu wollen,


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


einschließlich der Einheit von Wirtschafts- und Sozialpo-
litik aus den guten alten Zeiten . Es ist wirklich unange-
messen, wie Sie damit umgehen .


(Zuruf von der LINKEN: Oberlehrer!)


Ich rate Ihnen, das Interview mit Susanne Baer in der
taz zu lesen . Darin geht es um die Bedeutung von Sozi-
al- und Wirtschaftspolitik und um die verfassungsrecht-
lichen Planken, in deren Rahmen solch eine Diskussion
stattzufinden hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie sagt:

Das Grundgesetz schafft den Rahmen, in dem Ge-
rechtigkeitsfragen von der Gesellschaft und in den
Parlamenten beantwortet werden müssen . . . . Für
diese Diskussion gibt es die Demokratie mit den
Parteien, der Meinungs- und Versammlungsfreiheit,
der Presse .

Das, was Sie machen, beschreibt sie mit dem Satz:

Da wird eine Verfassung zum leeren Versprechen .

Das möchte ich um der Rechtspositionen willen, die in
unserer Verfassung stehen, nicht haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie uns daher die Diskussion über seriöse
Entwürfe führen . Ich will jetzt deshalb zu dem Gesetz-
entwurf kommen, den wir hier vorgelegt haben . Darin

geht es ganz konkret um verfassungsrechtliche und men-
schenrechtliche Ansprüche einer bestimmten Gruppe .
Darin geht es um die Frage: Wie geht unser Rechtssys-
tem mit Illegalen um? Das ist – verfassungsrechtlich wie
ethisch – für mich der Ausgangspunkt . Hierzu möchte
ich die Worte zweier Päpste zitieren .

Jeder Migrant ist eine menschliche Person, die als
solche unveräußerliche Grundrechte besitzt, die von
allen und in jeder Situation respektiert werden müs-
sen .

Das sagte der von mir sonst nicht immer geschätzte Be-
nedikt XVI . in der Enzyklika „Caritas in veritate“ . Und
Johannes Paul II . sagte:

Der Status der Ungesetzlichkeit rechtfertigt keine
Abstriche bei der Würde des Migranten, der mit un-
veräußerlichen Rechten versehen ist, die weder ver-
letzt noch unbeachtet gelassen werden dürfen .

Dem wird unser aktuelles Ausländerrecht hinsichtlich
der Illegalen nicht gerecht .

Der Mensch ist, bloß weil er keine Papiere hat, nicht
rechtlos gestellt . Er verliert dadurch nicht seine Men-
schenrechte, das Recht auf Zugang zur Gesundheitsver-
sorgung und das Recht auf Schutz vor Ausbeutung im
Arbeitsverhältnis . Jedoch ist es durch unsere Melde-
pflichten so geregelt, dass, wenn jemand ohne Papiere
seinen Anspruch auf Gesundheitsbehandlung nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz wahrnimmt – hierauf be-
steht in unserem Rechtssystem ein Rechtsanspruch –,
die zuständige Sozialbehörde die Daten an die Auslän-
derbehörde weitergeben muss . Das führt unmittelbar zu
aufenthaltsbeendenden Maßnahmen .


(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Was?)


Die Realität, die wir dadurch haben, soweit nicht Cari-
tas oder Malteser Hilfsdienst einspringen, ist, dass Men-
schen zum Teil erst dann zum Arzt gehen, wenn Krebs-
geschwüre aufgebrochen sind .

Im Gegensatz zu Ihnen gehe ich jedes Jahr zu einer
Veranstaltung in der Katholischen Akademie, wo Ver-
treter der katholischen Kirche jährlich über die Situation
von Illegalen in Deutschland beraten . Lassen Sie sich das
mal von denen, die die Flüchtlingsgesundheitsversorgung
machen, eins zu eins erzählen . Das ist himmelschreiend!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Ich kann nur an den Gesetzgeber appellieren: Das,
was wir bei der Bildung in der vorletzten Wahlperiode
gemacht haben – da waren Sie dabei –, war, dass man
gesagt hat: Von Kindern, die in die Schule gehen, darf
die Schulbehörde die Daten nicht an die Polizei und die
Ausländerbehörde weitergeben, damit auch Kinder von
Illegalen ihr Recht auf Bildung wahrnehmen können .

Zur Durchsetzung der legitimen Ausweisung von Per-
sonen darf nicht der Preis gezahlt werden, dass sie ihre
Menschenrechte verlieren . Das gilt auch für das Einkla-
gen von Arbeitslohn, der vorenthalten wird, vor Arbeits-
gerichten . Mit unserem jetzigen Recht schützen wir die

Dr. Hendrik Hoppenstedt






(A) (C)



(B) (D)


Ausbeuter . Wenn jemand, der einen versprochenen Lohn
nicht erhält, zum Arbeitsgericht geht, muss das Arbeits-
gericht ihn melden, was zur Abschiebung führt . Also,
wessen Recht wird da geschützt? Die Leute gehen natür-
lich nicht hin . Abgeschoben kriegen Sie sie doch nicht .
Aber Sie liefern diese Menschen aus, machen sie recht-
lich schutzlos, gefährden ihre Gesundheit .

Für die Gruppe der Menschen ohne Papiere stehen
zwar die Menschen- und Grundrechte in der Verfassung
bzw. im Gesetz, aber durch die Meldepflichten anderer
Behörden werden sie faktisch außer Kraft gesetzt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823423000

Herr Kollege Beck .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823423100

Daher appelliere ich an Sie, insbesondere an Sie von

der Union, mit zwei unfehlbaren Päpsten an meiner Sei-
te: Geben Sie sich einen Ruck! Nehmen Sie sich dieses
Themas an! Und setzen Sie sich auch einmal der Diskus-
sion mit den katholischen Hilfswerken aus . Da ist nie ein
CDU-Abgeordneter . Castellucci von der SPD war da .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823423200

Herr Kollege Beck, jetzt muss ich Sie bitten, zum

Schluss zu kommen .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823423300

Nehmen Sie sich dieses Problems an, und überlegen

Sie, ob wir in der nächsten Legislaturperiode da endlich
etwas hinbekommen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823423400

Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Sebastian Hartmann .


(Beifall bei der SPD)



Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1823423500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Lieber Herr Kollege Beck, wer mit zwei Päpsten
beginnt und mit einem SPD-Kollegen, dem geschätzten
Kollegen Castellucci, endet, der kann eigentlich nur Zu-
stimmung bekommen .


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sie haben tatsächlich einen Gesetzentwurf aufgegrif-
fen, den wir in der vergangenen Wahlperiode als Opposi-
tion formuliert haben . Wir haben gemeinsam an der Fra-
ge von aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen gearbeitet
und einen gemeinsamen Gesetzentwurf eingebracht . Tat-
sächlich haben wir in der damaligen Debatte zum Teil
auch die damalige Koalition gelobt und sie darauf hin-
gewiesen, dass sie schon ein paar Verbesserungen durch-
gesetzt hat .

Lassen Sie uns auch benennen, dass es ein grundsätz-
liches Dilemma ist, wenn wir es mit Menschen zu tun
haben, die sich illegal in Deutschland aufhalten, weil be-
stimmte aufenthaltsrechtliche Fragen nicht ausreichend
geklärt sind . Man darf sich jetzt nicht vorstellen, dass
es um jemanden geht, der es böse meint oder etwas an-
deres im Schilde führt, sondern es handelt sich vielfach
um Menschen, die in prekären Verhältnissen leben, die
über Jahre und Jahrzehnte Beschäftigung ausüben, deren
Kinder sogar ohne Aufenthaltsstatus in unsere Schulen
gehen . Meine Damen und Herren, das ist in der Tat ein
Problem . Zugleich müssen wir aber auch sehen, dass ein
handlungsfähiger Staat jederzeit wissen muss, wer sich
in seinem Staatsgebiet aufhält . Und das ist die Problem-
lage . Wir würden allerdings nicht so weit wie die Grünen
in ihrem Antrag gehen, pauschal eine Abschaffung von
ganzen Gesetzesteilen zu fordern oder sich pauschal auf
die EU zu beziehen .

Es ist in der Tat richtig, wenn wir einen der drei Punk-
te einmal herausnehmen, und zwar die Frage der Arbeits-
entlohnung von illegal Beschäftigten,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Gesundheitsversorgung brennt am meisten auf den Nägeln!)


dass wir auf die 2009 beschlossene EU-Richtlinie noch
mal eingehen und an dieser Stelle sagen sollten: Ja, in
der Tat gibt es das Problem, dass zwar einerseits erreicht
werden kann, dass der Lohn gezahlt wird, andererseits
aber der Arbeitsrichter eine sogenannte öffentliche Stelle
ist, die dann die Daten übermitteln muss .

Natürlich ist es, wenn man schon über den Schutz
der Bevölkerung spricht, genauso geboten, darauf hin-
zuweisen: Ja, in der Tat trifft es zu, dass es am Ende,
wenn es einen konkreten Notfall gibt, die Behandlung
in Aufnahmezentren gibt . Dafür einen großen Dank an
die Migrationsdienste, die Fachärzte vermitteln und sich
darum kümmern, dass illegal Aufhältige Zugang zur Ge-
sundheitsversorgung bekommen . Zugleich muss man
sich aber fragen: Kann es sinnvoll sein, finanz- und ge-
sundheitspolitisch diesen Menschen so lange Kranken-
schutz vorzuenthalten, bis es dann zu einer Notaufnahme
kommt?

Es gibt gute Beispiele dafür, was man hier tun kann –
auch aus meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen und
aus Niedersachsen . Dort gibt es zum Beispiel den ano-
nymisierten Krankenschein; diese Initiative möchte ich
ausdrücklich begrüßen . Dadurch kann man möglicher-
weise eine konkrete Verbesserung und eine finanzielle
Auskömmlichkeit im System erreichen und insgesamt
auch etwas für den Gesundheitsschutz tun .


(Beifall bei der SPD)


Wir werden diese Debatte sehr ernsthaft führen, aber
wir müssen sie unter anderen Voraussetzungen als denen
des Jahres 2015 führen, als Sie den Antrag formuliert
und gestellt haben . Wir reden jetzt über eine Vielzahl
von Menschen, deren Aufenthaltsstatus infrage steht und
überprüft wird . Es sind wahrlich nicht wenige Menschen .
Nach einem Zeitungsbericht waren es 2016 allein in Ber-

Volker Beck (Köln)







(A) (C)



(B) (D)


lin 50 000 Menschen, die von diesen Regelungen mögli-
cherweise umfasst sind .

Die SPD wird diesen Ansatz aufnehmen und im Be-
nehmen mit dem Koalitionspartner diskutieren . Dabei
können wir sicherlich auf das zurückgreifen, was wir
in der vergangenen Legislaturperiode erarbeitet und ge-
meinsam eingebracht haben, um hier im Plenum zu einer
großen, breiten Mehrheit zu kommen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823423600

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt Andrea Lindholz .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1823423700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir be-
raten heute zwei Gesetzentwürfe der Opposition . Beide
Vorlagen erinnern mich an ein Zitat von Kurt Tucholsky:

Das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut
gemeint .

Die Linken wollen soziale Grundrechte im Grundge-
setz verankern . Sie wollen, dass jeder Mensch den Staat
auf einen Arbeitsplatz und bezahlbaren Wohnraum ver-
klagen kann . Im Grunde fordern Sie eine grundlegend
andere Wirtschaftsordnung . Sie wollen, dass der Staat
wieder über die Wirtschaft bestimmt . Solche Ideen aus
der sozialistischen Mottenkiste werden, meine sehr ge-
ehrten Damen und Herren, auch nach Jahren nicht besser .
Ausgehend von unserem Grundgesetz, dem Artikel 1 und
unserem Sozialstaatsprinzip, brauchen wir keine neuen
Kreationen im Grundgesetz .

Zur Begründung schreiben Sie:

Die bisherige Ausgestaltung des Grundgesetzes
reicht nicht aus, um wirksam vor Sozialabbau und
sozialer Ausgrenzung zu schützen .

Dieser Vorwurf ist vollkommen absurd . Ich darf heu-
te auch einmal Zahlen nennen: Deutschland hat 2015
888,2 Milliarden Euro für Sozialleistungen ausgegeben .
Das macht fast ein Drittel unseres Bruttoinlandproduktes
aus . Im letzten Jahrzehnt hat sich die Arbeitslosigkeit in
Deutschland halbiert . Trotzdem sind die Sozialleistungen
um über 220 Milliarden Euro gestiegen . Und Sie reden
an dieser Stelle von Sozialabbau!

Bei Ihrem Bild von Deutschland, liebe Kolleginnen
und Kollegen der Linken, wundert es mich nicht, dass
Ihnen sowohl in NRW als auch in Schleswig-Holstein
der Einzug ins Landesparlament verwehrt wurde .

Zum Gesetzentwurf der Grünen: Er ist aus meiner
Sicht leider nicht viel besser, gerade wenn man ihn im
Lichte des Zuzugs nach Deutschland in den letzten zwei
Jahren betrachtet . Sie wollen allen Ernstes öffentlichen
Einrichtungen wie Gerichten und Krankenhäusern ver-

bieten, Ausländerbehörden über Menschen zu informie-
ren, die sich illegal in Deutschland aufhalten .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil sie das Gegenteil erreichen von dem, was sie erreichen wollen! Die Leute gehen dort einfach nicht hin!)


Wir reden nicht von Menschen ohne Papiere; denn Men-
schen ohne Papiere können sich auch legal in Deutsch-
land aufhalten .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie eigentlich manchmal mit den Kirchen? Kennen Sie noch Kirchen von innen?)


Sie begründen das in Ihrem Gesetzentwurf so:

Bislang sehen Menschen ohne Aufenthaltsstatus
oftmals von der Durchsetzung schadensersatzrecht-
licher, arbeitsvertraglicher oder sozialversiche-
rungsrechtlicher Ansprüche ab, weil sie zu Recht
befürchten, dass im laufenden Verfahren ihr Aufent-
halt den Ausländerbehörden mitgeteilt wird . Durch
die Änderung wird ihre Position . . . gegenüber aus-
beuterischen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern
gestärkt .

Wenn ich das lese, dann frage ich mich, ob ich ein fal-
sches Weltbild habe .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie wollen allen Menschen, die sich illegal in Deutsch-
land aufhalten – ich rede von „illegal“ und nicht von
Menschen ohne Papiere –,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne legalen Aufenthaltsstatus, ja!)


den Weg zu den Arbeitsgerichten eröffnen, und gleich-
zeitig sollen die Ausländerbehörden davon nicht erfahren
dürfen . Es tut mir leid, aber damit legalisieren Sie den
unerlaubten Aufenthalt . Sie laden zur Illegalität ein und
untergraben vor allen Dingen den deutschen Rechtsstaat .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Absurd! Sicherheitsbehörden müssen natürlich beteiligt werden! Ach, Frau Lindholz!)


Unser Aufenthaltsrecht können wir dann bald abschaf-
fen, und wir können das, was Sie wollen, auf einen Punkt
bringen: Wer nach Deutschland kommt, erhält ein Blei-
berecht und auch vollen Zugang zum Arbeitsmarkt und
zu Sozialleistungen .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch!)


So wie Sie sich das vorstellen, funktioniert unser Rechts-
staat nicht . Daher lehnen wir auch Ihren Gesetzentwurf
ab .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Über 1,2 Millionen Menschen sind in den letzten bei-
den Jahren nach Deutschland gekommen, 485 000 Aus-

Sebastian Hartmann






(A) (C)



(B) (D)


reisepflichtige werden zum Ende dieses Jahres erwartet.
Wir wollen, dass diese Menschen ihrer Ausreisepflicht
nachkommen, und wir wollen sie nicht in die Illegalität
drängen . Der Bund, die Länder, die Behörden und der
Bundestag betreiben einen großen Aufwand, um diese
Menschen zu registrieren . Im Interesse der inneren Si-
cherheit gilt: Wir müssen wissen, wer zu uns kommt und
wer sich dauerhaft bei uns aufhält . Wir können Illegalität
nicht auch noch zementieren .

Die Lösung ist auch nicht, das Leben in der Illegalität
zu vereinfachen . Die Lösung muss sein, die Menschen
aus der Illegalität herauszuholen . Wir haben mit unserer
Bleiberechtsreform dafür gesorgt, dass sich Menschen,
die sich seit vielen Jahren mit einem umgekehrten Auf-
enthaltsstatus in Deutschland aufhalten, gut integrieren
und einen Aufenthaltstitel bekommen können . Damit ha-
ben wir ein Signal gegen die Illegalität gesetzt .

Wir wollen keine unkontrollierte und auch keine un-
rechtmäßige Zuwanderung . Ihrem Gesetzentwurf kön-
nen wir daher nicht zustimmen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Offensichtlich nicht richtig gelesen!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823423800

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 17 a zur
Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die
Linke zur Änderung des Grundgesetzes . Der Ausschuss
für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12412, den
Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/10860 abzulehnen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Das ist die Linke . Wer stimmt dagegen? – Das ist
die Koalition . Wer enthält sich? – Die Grünen . Damit ist
der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt . Nach
unserer Geschäftsordnung entfällt die weitere Beratung .

Unter Tagesordnungspunkt 17 b wird interfraktionell die
Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/6278
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe,
das ist nicht der Fall . Dann ist so beschlossen .

Wir kommen damit zu Tagesordnungspunkt 18:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der
internationalen Sicherheitspräsenz in Kosovo
auf der Grundlage der Resolution 1244 (1999)

des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
vom 10. Juni 1999 und des Militärisch-Tech-
nischen Abkommens zwischen der internati-
onalen Sicherheitspräsenz (KFOR) und den
Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien

(jetzt: Republik Serbien) und der Republik

Serbien vom 9. Juni 1999

Drucksache 18/12298

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich sehe, Sie
sind damit einverstanden . Dann ist das so beschlossen .

Ich bitte Sie, die Plätze einzunehmen . – Jetzt können
wir anfangen . Das Wort hat für die SPD-Fraktion Josip
Juratovic .


(Beifall bei der SPD)



Josip Juratovic (SPD):
Rede ID: ID1823423900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir diskutieren heute über das Kosovo und
über die Mandatsverlängerung für den Einsatz deutscher
Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der KFOR-Mis-
sion . Das Positive an unserer Debatte ist, dass wir die
Truppenstärke verringern werden: von bisher 1 350 auf
jetzt maximal 800 Soldatinnen und Soldaten . Der nega-
tive Beigeschmack bleibt: Eine Truppenstationierung ist
auch 18 Jahre nach dem Kosovokrieg noch nötig .

Bevor wir in die Diskussion einsteigen, ist mir eines
besonders wichtig: Mein großer Dank und Respekt gilt
den Soldatinnen und Soldaten im Einsatz!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Kosovo schafft
es leider regelmäßig in unsere Nachrichtenticker . Mal
höre ich die nationalistischen Töne, wenn die kosova-
rische Opposition den Grenzverlauf mit Montenegro
anzweifelt . Ein anderes Mal lese ich Drohungen von
bewaffnetem Widerstand, weil Serbien mit einem Pro-
pagandazug an die kosovarische Grenze rollt . Anschlie-
ßend fordert Kosovo eine Armee, wohl wissend, welche
Provokation dies für Serbien ist . Gleichzeitig liebäugeln
nicht wenige im Land mit Großalbanien .

Doch auch die guten Nachrichten sollen nicht ver-
schwiegen werden . Die lange Zeit verbarrikadierte
Brücke von Mitrovica ist wieder offen, und Kosovo hat
endlich eine eigene internationale Telefonvorwahl und
eigene Kfz-Kennzeichen .

So oder so: Die aktuelle Lage im Kosovo und auf dem
Westbalkan im Allgemeinen ist desolat . Am eindrucks-
vollsten wird dies durch jene fast 50 000 Menschen aus
dem Kosovo bestätigt, die in den vergangenen Jahren in
Deutschland Asyl beantragten, oder, noch schlimmer, mit
über 300 IS-Kämpfern aus dem Kosovo . Warum tun sie
das?

Erstens . Die Arbeitslosigkeit, insbesondere die Ju-
gendarbeitslosigkeit, liegt bei 50 Prozent .

Zweitens. Pristina befindet sich seit langem in einer
Regierungskrise . Erst vor wenigen Tagen ist die Regie-
rung endgültig zerbrochen . Neuwahlen stehen bevor . Da-

Andrea Lindholz






(A) (C)



(B) (D)


bei ist das parlamentarische Selbstverständnis schwach
oder aber so radikal, dass der parlamentarische Weg gar
nicht beschritten wird . Die politischen Eliten kranken
an drei Symptomen: Korruption, Vetternwirtschaft und
Nationalismus . Was ich hier vermisse, ist das politische
Verantwortungsgefühl für die wirtschaftliche und soziale
Entwicklung .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, all das, obwohl wir
seit Jahren mit Unterstützungen im Milliardenbereich im
Kosovo aktiv sind!

Die Rolle der internationalen Gemeinschaft ist trotz
dieser beeindruckenden Zahl alles andere als glücklich .
Selbst im Kosovo wird die EU inzwischen zunehmend
mit Skepsis betrachtet . Insbesondere die europäische
Rechtsstaatsmission EULEX hat in der Bevölkerung
den Ruf, eine korrupte Brüderschaft mit den Eliten zu
pflegen. Zur Ehrlichkeit gehört dabei aber auch: Wer ge-
zwungen ist, Kompromisse mit Korrupten zu schließen,
wird den Verdacht nicht los, selbst korrupt zu sein .

Nun könnte man argumentieren, dass wir unser En-
gagement lieber einstellen und die Kosovaren sich selbst
überlassen sollten . Dieser Gedanke mag verführerisch
sein, weil das so einfach klingt, dies aber wäre verhee-
rend für die Sicherheit und Stabilität Europas .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Überzeugung ist: Der Westbalkan ist ein wunder
Punkt mitten in der Europäischen Union, der globalen
politischen Interessen ausgesetzt ist . Deshalb müssen wir
Deutschen und Europäer uns stärker für eine europäische
Zukunft des Westbalkans einbringen, schon unserer eige-
nen Sicherheit wegen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Nachbarstaa-
ten des Kosovo sind auch nicht gerade Musterbeispiele
der Sicherheit und Stabilität . Das gilt zum Beispiel für
Kosovos Nachbarn Mazedonien, wo 25 Prozent der Be-
völkerung ebenfalls zur albanischen Volksgruppe gehö-
ren . Kürzlich haben die Mazedonier ein neues Parlament
gewählt . Nach dem Machtverlust tauchten die mazedoni-
schen Nationalisten auf den Straßen auf und stürmten äu-
ßerst gewalttätig das Parlament mit dem Ziel, slawische
und albanische Mazedonier gegeneinander auszuspielen .

Kolleginnen und Kollegen, die Demokratinnen und
Demokraten Mazedoniens verdienen unseren Respekt
und unsere Unterstützung; denn diese mutigen Menschen
verteidigen unter schwierigsten Bedingungen die demo-
kratischen Werte des immer mehr nach rechts außen kip-
penden Europas .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Doch blicken wir auf Kosovo zurück . Die Verlänge-
rung des KFOR-Einsatzes ist die traurige Bestätigung
dafür, dass unsere Soldatinnen und Soldaten die schlep-
pende EU-Erweiterungspolitik ausgleichen müssen .

Kolleginnen und Kollegen, natürlich handeln die Bun-
desregierung und die EU: Es gibt den Berliner Prozess
für bessere Zusammenarbeit auf dem Westbalkan und
die deutsch-britische Initiative für Bosnien-Herzegowi-

na . – Trotz aller diplomatischer Bemühungen tragen wir
Europäer eine Mitverantwortung für die desolate Lage
auf dem Westbalkan, zum Beispiel, wenn Mazedonien
seit 2008 auf die Eröffnung seiner Verhandlungskapitel
wartet, weil Griechenland jeglichen Fortschritt blockiert,
oder wenn im Kosovo mehr als 1 000 juristische Exper-
tinnen und Experten bei EULEX seit Jahren nicht in der
Lage sind, eine effektive Korruptionsverfolgung aufzu-
bauen . Deshalb sollten wir Europäer jetzt dringend poli-
tische Handlungsfähigkeit beweisen .

Erstens . Das Kosovo braucht endlich gerechte Gleich-
behandlung in der Region des Westbalkans . Dazu gehört
auch die dringende Umsetzung der Visaliberalisierung .

Zweitens . Die EU-Verhandlungskapitel 23 und 24
stehen für die fundamentalen Werte der EU . Wenn man
EULEX als Rechtsstaatsmission ernst meint, muss man
gerade diese Kapitel schleunigst eröffnen, und zwar für
alle Westbalkanstaaten . Den Skeptikern unter uns will ich
sagen: Kapiteleröffnung bedeutet noch lange keinen Au-
tomatismus hin zum EU-Beitritt . Die Kapiteleröffnung
setzt gesellschaftliche und politische Kräfte in Gang, die
glaubwürdig die notwendigen Reformen umsetzen und
unsere demokratischen Werte vor Ort mit Leben erfüllen
können .

Kolleginnen und Kollegen, am allerwichtigsten ist
aber: Wir müssen in der EU endlich entschlossen poli-
tisch handeln, damit unsere KFOR-Soldatinnen und -Sol-
daten ihre Arbeit beenden und nach Hause zurückkehren
können . Bis dahin bitte ich um Ihre Zustimmung zum
Antrag der Bundesregierung .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823424000

Vielen Dank . – Für die Linke spricht jetzt Dr . Alexander

Neu .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823424100

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte

Frau Präsidentin! Wir reden heute wieder über einen
KFOR-Einsatz. Wir befinden uns jetzt, glaube ich, im 16.
oder 17 . Jahr dieses Einsatzes . Es geht also um die Ver-
längerung eines Militäreinsatzes zur fortgesetzten Beset-
zung der südserbischen Provinz Kosovo .


(Lachen bei der CDU/CSU – Zurufe von der CDU/CSU: Da lachen sogar die Linken! Man muss nicht alles ablesen, Kollege Neu!)


– Das zeigt einmal mehr Ihr Selbstverständnis, meine
Kolleginnen und Kollegen, und auch, wie sehr Sie sich
mit Verfassungsrecht und Völkerrecht auskennen .

Vorausgegangen sind dem zwei völkerrechtswidrige
Handlungen . Die erste war der NATO-Angriffskrieg im
Jahr 1999 gegen den damals souveränen Staat Jugosla-
wien unter Beteiligung Deutschlands, das zu dieser Zeit
von einer rot-grünen Regierung geführt wurde . Dieser
Angriffskrieg diente seinerzeit der Unterstützung der

Josip Juratovic






(A) (C)



(B) (D)


UCK, einer terroristisch-nationalistischen Organisation .
Ich sage das deshalb, weil vor mir der Kollege auf den
Nationalismus auf dem Balkan hingewiesen hat . Der
Vorwand für die militärische Unterstützung der UCK war
ein angeblicher oder drohender Genozid, der nie stattge-
funden hat, also auch nicht bewiesen werden konnte .

Die zweite rechtswidrige Handlung bestand darin,
dass die Regierung des Kosovo gegenüber Serbien einen
Territorialraub beging, begründet mit dem Selbstbestim-
mungsrecht der albanischen Ethnien .

Lassen Sie mich mit dem Blick auf die Krim eine klei-
ne Anmerkung machen . Auch dort hat die Bevölkerung
ihr Selbstbestimmungsrecht – allerdings ohne Kriegsfüh-
rung – geltend gemacht . Aber auch das war ein verfas-
sungswidriger Akt seitens der Bewohner der Krim . Und
es war ein Völkerrechtsbruch seitens der Russischen Fö-
deration, die Krim zu integrieren .

Warum aber unterstützen Deutschland und der Westen
solche Organisationen wie die UCK?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Es gibt eine ganz schnöde Antwort: Es geht um geostra-
tegische Machtpolitik . Gerade Serbien hat in der ersten
Hälfte des 20 . Jahrhunderts erfolgreich Widerstand ge-
gen die deutsche und österreichische Imperialpolitik
geleistet . Daher musste Jugoslawien nach dem Kalten
Krieg zerlegt und Serbien geteilt werden . Unter Ihnen
gibt es doch sicherlich den einen oder anderen, der die
Aussage vom damaligen Außenminister Klaus Kinkel
aus dem Jahre 1992 kennt: Wir müssen Serbien in die
Knie zwingen . – Das ist das Vokabular, das zeigt, wie
man mit Kleinstaaten umgeht, die einem nicht unbedingt
wohlgesonnen sind .

Es ist auch kein Zufall, dass Deutschland und Öster-
reich gerade die separatistisch-nationalistischen Kräfte
unterstützten, die sie auch schon im Zweiten Weltkrieg
unterstützt haben:


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


die Domobrancen in Slowenien, die Ustascha in Kroati-
en, die Waffen-Gebirgsdivision der SS „Handschar“ in
Bosnien-Herzegowina sowie die Waffen-Gebirgsdivisi-
on der SS „Skanderbeg“, deren logischer Nachfahre die
UCK war .

Sehr geehrte Damen und Herren, in dem Antrag der
Bundesregierung – das finde ich auch ganz interessant –
steht ja – und ich zitiere –:

Eine fortgesetzte Beteiligung deutscher Soldatinnen
und Soldaten an KFOR liegt damit im deutschen si-
cherheitspolitischen Interesse .

Wenn man „sicherheitspolitisch“ durch „machtpolitisch“
oder „geopolitisch“ ersetzen würde, käme man der Wahr-
heit näher .

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die deutsche und
insgesamt die westliche Außen- und Sicherheitspolitik –
man ging Arm in Arm mit den USA vor – nach dem Ende
des Kalten Krieges eine rücksichtslose geostrategische
Expansionspolitik gewesen ist . Statt ein gemeinsames
Haus Europa zu bauen und einen Wirtschaftsraum zu

schaffen, der von Vancouver bis Wladiwostok reicht, gab
es eine NATO- und EU-Expansion .

Das meistgenutzte Instrument der westlichen Geo-
politik in Osteuropa ist – als staatliches Emanzipati-
onsprojekt – die Unterstützung und Befeuerung des
Nationalismus . Das geschieht mit der Verwendung von
Täuschungsbegriffen wie „Demokratie“ und „Freiheit“ .


(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Die Linke scheint nicht ganz glücklich zu sein mit dieser Rede!)


Das Ergebnis war und ist ein gewaltiger Nationalismus
in der Ukraine und in Jugoslawien in einer militärischen
Dimension, die zu mehr als 100 000 Toten führte .

Im Baltikum, in Ungarn, Polen und Tschechien, in
der Slowakei, in Rumänien und Bulgarien haben wir es
teilweise mit reaktionären Regierungen zu tun, die sich
bisweilen sogar rassistisch äußern . Die Ausgrenzung von
Minderheiten sowie die dezidierte Ablehnung der Auf-
nahme von Flüchtlingen in Osteuropa sprechen doch
Bände, sehr geehrte Damen und Herren . Das können Sie
doch nicht leugnen . Das sind die Früchte Ihrer Politik .


(Beifall bei der LINKEN)


Wegen dieser Politik werden wir den KFOR-Antrag
natürlich nicht unterstützen .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823424200

Nächster Redner ist der Parlamentarische Staatssekre-

tär Dr . Ralf Brauksiepe .


(Beifall bei der CDU/CSU)


D
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU):
Rede ID: ID1823424300


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, es ist nach dem letzten Beitrag sinnvoll, uns
jetzt wieder mit der realen Welt zu beschäftigen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Man hätte ja – wenn man die Beschreibungen zur Kennt-
nis nimmt, die man hier hört – manchmal Lust, zu sehen,
wie eigentlich die Weltkarten von Kollegen aussehen, die
sie vielleicht in ihrem Büro haben . Das wäre lustig, wenn
es angesichts dessen, um was es hier geht, nicht so traurig
wäre .

Ich erinnere mich wie viele, die dabei waren, an die
Entscheidungen, die wir 1998/99 im Deutschen Bundes-
tag damals noch in Bonn getroffen haben und die keinem
von uns leichtgefallen sind . Ich meine die Entscheidun-
gen betreffend die Jugoslawienkonflikte – diesen Flä-
chenbrand und die damaligen Kriegsverbrechen mitten
in Europa – in den 90er-Jahren . Wie gesagt, Herr Kolle-

Dr. Alexander S. Neu






(A) (C)



(B) (D)


ge, wenn es nicht so traurig wäre, könnte man über das
lachen, was Sie hier erzählt haben .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Es ist traurig!)


Ich wünschte, dass Sie einmal Gelegenheit hätten, mit
den Angehörigen der vielen Opfer zu sprechen, von de-
nen Sie eben behauptet haben, es sei gar nicht bewiesen,
dass es sich um Opfer handele .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Ich habe dort zwei Jahre gearbeitet und gelebt!)


An Zynismus ist das, was Sie gesagt haben, kaum zu
überbieten . Es ist einfach peinlich .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben damals erkannt, dass blutige Konflikte auf
unserem Kontinent nicht schon Geschichte waren . Wir
sahen die Zündkraft dieser Konflikte auch und gerade für
Deutschland . Frieden und Stabilität in Europa sind unser
höchstes Gut, heute genauso wie damals, als wir das –
auch aus humanitärer Sicht – Notwendige getan haben .
Deshalb engagieren wir uns seit mittlerweile fast 20 Jah-
ren auf dem westlichen Balkan sehr stark mit zivilen,
aber darüber hinaus auch mit militärischen Mitteln . Wir
haben das trotz vieler Schwierigkeiten beharrlich und mit
Erfolg getan .

Das gemeinsame Engagement mit unseren Partnern in
der NATO, der Europäischen Union und den Vereinten
Nationen hat sichtbar Früchte getragen . Wir sehen das
insbesondere im Kosovo, wo sich die allgemeine Sicher-
heitslage deutlich verbessert hat und wo sich die Bezie-
hungen zu Serbien langsam, aber immerhin normalisie-
ren .

Nicht alles verläuft spannungsfrei, was die Umset-
zung des Normalisierungsabkommens von 2013 zur Ein-
gliederung der kosovo-serbischen Parallelstrukturen an-
geht . Eine nachhaltige Stabilisierung der Grenzregion im
Nordkosovo bleibt daher unsere oberste Priorität; denn
dort besteht nach wie vor Eskalations- und Konfliktpo-
tenzial . Einzelne Zwischenfälle wie etwa die Ausschrei-
tungen bei Demonstrationen in Pristina im Januar letzten
Jahres verdeutlichen, wie schnell sich die Gesamtlage
wieder anspannen kann . Daher bleibt es wichtig, unseren
Einsatz mit unseren Partnern für Frieden und Sicherheit
im Kosovo fortzuführen .

Im Einklang mit den Bekenntnissen des Warschauer
Gipfels der NATO von 2016 ist das militärische Kräf-
tedispositiv der KFOR nun erneut an die insgesamt ver-
besserte Sicherheitslage im Kosovo anzupassen . Es geht
neben der Reduzierung der Truppen um eine Schwer-
punktverlagerung hin zu mehr Aufklärungs- und Be-
ratungsfähigkeiten . Dies bedeutet für die Bundeswehr
nicht nur eine Reduzierung der nationalen Mandatsober-
grenze von 1 350 auf 800 einsetzbare Soldatinnen und
Soldaten . Es wird auch real auf eine Reduzierung unseres
Kräftedispositivs hinauslaufen . Wir schöpfen die Man-
datsobergrenze bisher bei weitem nicht aus . Wir werden
sowohl die im Kosovo stationierten Soldatinnen und Sol-
daten zahlenmäßig reduzieren als auch die Reserve, die

wir und unsere österreichischen Partner in Deutschland
bzw . Österreich vorhalten . Damit reagieren wir auf die
Verbesserung der Sicherheitslage .

Aber wir erkennen genauso an: Es bedarf weiterhin
eines Beitrags zur Stabilisierung des Kosovo . Mit der
Fortsetzung der deutschen Beteiligung an der internati-
onalen Sicherheitspräsenz im Kosovo senden wir das Si-
gnal: Für Frieden und Stabilität in Europa übernehmen
wir weiterhin gemeinsam mit unseren Partnern Verant-
wortung . Wir wissen, dass noch viel zu tun ist und dass
es in den Ländern, zu deren Stabilisierung wir beitragen,
vieler Maßnahmen und Anstrengungen bedarf .

Wir tun gut daran, selbstkritisch das zu betrachten,
was wir tun . Aber wir tun auch gut daran, uns nicht jeden
Schuh anzuziehen und nicht selbstanklagend auf uns zu
zeigen aufgrund jedes Problems, das auf dem Westbal-
kan besteht . Wir haben keinen Grund zur Selbstanklage .
Wir sind Teil der Lösung und nicht Teil des Problems .
Daran wollen wir weiter arbeiten . Dafür bitte ich Sie um
Unterstützung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823424400

Vielen Dank . – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht

jetzt Dr . Tobias Lindner .


Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823424500

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1823424600
1999
hat man zum ersten Mal über dieses Mandat, die Ent-
sendung der Bundeswehr nach Jugoslawien, beraten . Es
spricht für Ihr Lebensalter, dass Sie damals in Bonn da-
bei waren . Ich habe damals als 17-jähriger Schüler die
Debatten vor dem Fernsehgerät verfolgt . Natürlich muss
man angesichts 18 Jahre Einsatz die Frage stellen: Ist
KFOR ein erfolgreicher Einsatz, wenn man bedenkt, dass
wir 18 Jahre engagiert sind?

Schauen wir auf die Mandatszahlen . Das Ganze hat
mit 50 000 Soldatinnen und Soldaten begonnen . Wir
sind jetzt bei einer maximalen Gesamttruppenstärke von
4 400 angekommen . Auch die Aufgaben haben sich ver-
ändert . Wurden die Streitkräfte primär dafür eingesetzt,
die öffentliche Sicherheit zu garantieren, sind wir heute
bei einem Kräftedispositiv angekommen, also eher einer
Art Rückversicherung, die bereitsteht, falls die Lage in-
stabil wird oder die Situation eskaliert .

Deshalb will ich ganz klar sagen: In diesen 18 Jahren
konnten sich staatliche und zivilgesellschaftliche Institu-
tionen entwickeln, wenn auch bei weitem nicht auf dem
Niveau, auf dem wir sie gerne hätten . Unter dem Strich
muss man sagen: Die Entwicklung der letzten 18 Jahre in
dieser Region ist ein Erfolg, und daran hat auch KFOR
ihren Anteil .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg . Josip Juratovic [SPD])


Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe






(A) (C)



(B) (D)


Wenn man die Frage stellt, ob das Mandat erfolgreich
war, muss man aber auch die Frage stellen, ob dieser
Einsatz immer noch notwendig ist . Die Bundesregierung
selbst sieht die Bedrohungslage als niedrig und die Si-
cherheitslage als kontrollierbar an . Man muss sagen: Ja,
der Einsatz ist leider immer noch notwendig .

Sie, Herr Kollege, haben selbst erwähnt, welche Arten
von Provokationen es auf verschiedenen Seiten gibt . Sie
haben auch von dem Zug gesprochen, der an die Gren-
ze fuhr und der zum Glück noch rechtzeitig aufgehalten
wurde . Auf dem stand: Kosovo ist Serbien . – Das sind
keine Ereignisse, die zu einer Entspannung der Situation
beitragen . Im Gegenteil: Sie tragen ein enormes Kon-
fliktpotenzial in sich. KFOR ist notwendig, damit man
im Fall einer Eskalation reagieren kann .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)


Man muss vor allem folgende Frage stellen: Ist KFOR
ausreichend? Darauf ist hoffentlich unsere gemeinsame
Antwort, zumindest von vielen in diesem Haus: selbst-
verständlich nicht . Wenn wir über die Probleme reden,
die die Region hat, dann erweist sich, dass Militär ma-
ximal einen Rahmen bieten kann, um solche Probleme
anzugehen . Aber es müssen die zivilen und die diploma-
tischen Mittel, die Mittel der wirtschaftlichen Koope-
ration und die Mittel der Entwicklungszusammenarbeit
eingesetzt werden . Dazu braucht es in diesem Moment
vor allem ein starkes Europa . Wir als Europäische Union
müssen die gesamte Balkanregion politisch und gesell-
schaftlich unterstützen, und wir müssen schauen, dass die
Beitrittsperspektive, die durch Verhandlungen eröffnet
wurde, auch weiterhin glaubhaft bestätigt wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Lassen Sie uns in unser Bewusstsein rücken, dass unse-
re Gemeinschaft das starke Haus Europa ist, das auch in
diesem Fall Orientierung bieten kann .

Langfristig muss klar sein: Ich will nicht in 18 Jahren
hier stehen und immer noch darüber reden, ob wir dieses
Mandat verlängern . Die sinkenden Mandatszahlen sind
ein gutes Zeichen . Wir alle sollten über die Perspektive
nachdenken, wie wir dieses Mandat in mittlerer Zukunft
beenden können .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen den Abzug unserer Truppen mittelfristig
in den Blick nehmen . Wir müssen schauen, dass wir auf
ziviler Ebene die Voraussetzungen dafür schaffen . Das
zu tun, ist wichtig, und es bleibt wichtig . Wir brauchen
mehr Diplomatie, wir brauchen mehr Entwicklungszu-
sammenarbeit . Aber wir sollten uns nichts vormachen:
Für die nächsten zwölf Monate, über die wir reden, brau-
chen wir auch noch die KFOR .

Das ist unsere Orientierung, aber das ist auch unse-
re Erwartung an die Bundesregierung . Wenn Sie, Herr
Staatssekretär, sagen: „Es ist noch viel zu tun“, dann sa-

gen wir ganz klar: Dann lassen Sie es uns doch tun . Mit
dieser Orientierung werden wir wohlwollend in die kom-
menden Ausschussberatungen gehen und dieses Mandat
prüfen .

Herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823424700

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt der Kollege Dr . Reinhard Brandl .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Reinhard Brandl (CSU):
Rede ID: ID1823424800

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Die Debatte zur Verlängerung des KFOR-Einsatzes
kommt genau zum richtigen Zeitpunkt . Letzte Woche hat
der kosovarische Ministerpräsident seine Mehrheit im
Parlament verloren, und im Juni gibt es Neuwahlen . Bei
diesen Neuwahlen wird es im Wesentlichen darum ge-
hen, ob die Normalisierung der Beziehungen zu Serbien
weitergeht oder ob dieser Weg unterbrochen wird . Meine
Damen und Herren, täuschen wir uns nicht: Das ist eine
Richtungsentscheidung; denn die Normalisierung, die
Aussöhnung mit Serbien, ist eine wesentliche Vorausset-
zung für eine weitere EU-Perspektive des Kosovo .

Bei all meinen Gesprächen auf dem Balkan habe ich
eins gemerkt: Dort werden die Debatten, die wir hier füh-
ren, ganz genau verfolgt, und das auch von denjenigen,
die einer weiteren EU-Perspektive und einer weiteren
EU-Annäherung kritisch gegenüberstehen . Deswegen
sollten wir die Chance, die mit der heutigen Debatte ein-
hergeht, nutzen, um ihnen zuzurufen, dass für uns der
Kosovo ein Teil Europas ist, dass wir für Sicherheit, Ent-
wicklung, Frieden auf dem Westbalkan und insbesondere
im Kosovo eintreten und dass wir als sichtbares Zeichen
unserer Unterstützung die Bundeswehr im Kosovo belas-
sen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dieses Signal ist wichtig; denn der gesamte Westbalkan
ist im Moment in einer kritischen Phase . Ich möchte das
an vier Beobachtungen festmachen .

Erste Beobachtung . Der Westbalkan hat im Moment
in Brüssel nicht die höchste Priorität . Brexit, Ukraine,
Nordafrika, Türkei – überall lodernde Brandherde, die
die volle Aufmerksamkeit erfordern . Dagegen scheint
der Westbalkan fast abgekühlt zu sein; aber ich glaube,
der Eindruck täuscht .

Zweite Beobachtung, dazu passend: Im Moment ist
es doch so, dass die Nationalisten in den verschiedenen
Ländern austesten, wie weit sie gehen können . Der Kol-
lege Lindner hat es angesprochen: Einen Zug mit der

Dr. Tobias Lindner






(A) (C)



(B) (D)


Aufschrift „Kosovo ist Serbien“ von Belgrad nach Mi-
trovica fahren zu lassen, ist doch eine reine Provokation,


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Warum?)


bei der es nur darauf ankommt, lieber Kollege Neu, zu
schauen, wie wer reagiert . Um im Bild von vorhin zu
bleiben: Im Kosovo und auf dem Westbalkan gibt es im
Moment viele, die zündeln .

Dritte Beobachtung . Andere Länder und andere Mäch-
te bemühen sich momentan sehr intensiv um Einfluss in
der Region – Russland vor allem in den slawischen Tei-
len; China investiert in der ganzen Region . Eine Rand-
notiz, die das strategische Interesse und die strategische
Bedeutung des chinesischen Engagements zeigt: Vor
kurzem wurde der serbische Präsident zum Ehrenbür-
ger Pekings ernannt . Die Türkei ist aktiv . Sie sieht sich
als Schutzmacht für die Muslime in der ganzen Region,
und auch andere arabische Länder investieren zum Teil
in Moscheen, aber zum Beispiel auch in Belgrad in die
Infrastruktur der Stadt. Sie wollen sich darüber Einfluss
sichern .

Vierte Beobachtung . Die Anziehungskraft der Europä-
ischen Union lässt im Moment eher nach .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Woher kommt das wohl?)


Damit sinkt auch der Einfluss der EU. Der Weg zu einer
EU-Mitgliedschaft dauert schon lange und ist ohne klare
zeitliche Perspektive . Die EU selbst ist in einer Krise,
Stichwort „Brexit“ . Es gibt andere Länder, die auch gute
Angebote machen, ohne dass es irgendwelche lästigen
Reformvorgaben gibt .

Der Kosovo und der Westbalkan sind ein Teil Euro-
pas . Eine Instabilität innerhalb Europas können wir uns
noch viel weniger erlauben als eine Instabilität außer-
halb Europas oder an den Grenzen Europas . KFOR ist
in einem Teil des Westbalkans, im Kosovo, ein wichtiger
Stabilitätsanker . Deswegen wollen und werden wir auch
KFOR verlängern . Wir können den Ländern auf dem
Westbalkan im Moment keinen schnellen EU-Beitritt
versprechen; aber wir müssen ihnen zeigen, dass Europa
für sie langfristig der bessere Partner ist und dass es sich
lohnt, sich Europa anzunähern .

Ich möchte mit einer weiteren Beobachtung schließen .
Ich glaube, wir haben da alle Chancen . Immer wenn ich
insbesondere mit jungen Leuten auf dem Westbalkan
spreche, dann sagen sie mir alle: Wir wollen in die EU . –
Lieber Herr Neu, ich habe noch keinen getroffen, der
nach Moskau will, und ich habe noch keinen getroffen,
der nach Ankara will,


(Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Neu will nach Moskau!)


sondern es ist die EU, die Anziehungskraft hat . Wir soll-
ten den jungen Menschen auf dem Westbalkan diese Per-
spektive weiterhin geben . Deswegen werden wir den An-
trag der Bundesregierung sehr wohlwollend prüfen und
ihm zustimmen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823424900

Vielen Dank . – Der Kollege Brandl war der letzte

Redner zu diesem Tagesordnungspunkt .

Es wird vorgeschlagen, dass die Vorlage auf Drucksa-
che 18/12298 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse überwiesen wird . – Ich sehe, Sie sind damit
einverstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Jetzt kommen wir zum Zusatzpunkt 6:

Beratung des Antrags der Fraktionen BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE

Sofortiger Abzug der Bundeswehr aus Incirlik

Drucksache 18/12372

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat die Kollegin
Claudia Roth für Bündnis 90/Die Grünen .

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Natürlich spreche ich hier und heute als grüne Abgeord-
nete, aber ich möchte auch ganz explizit als Vizepräsi-
dentin des Deutschen Bundestages sagen: Die Bundes-
wehr ist eine Parlamentsarmee . Es muss doch über alle
Fraktionsgrenzen hinweg zu unserem Selbstverständnis
gehören, dass wir diese Parlamentsarmee auch an ihren
jeweiligen Einsatzorten besuchen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Mit jedem Einsatz, den wir für die Bundeswehr be-
schließen – Sie wissen alle, dass sich meine Fraktion aus
gutem Grund dabei nicht leichttut –, laden wir enorme
Verantwortung auf uns . Wir entsenden Soldatinnen und
Soldaten in schwierigste Missionen . Wir sprechen ihnen
unser Vertrauen aus, bitten sie aber zugleich, auch uns zu
vertrauen . Wie wollen wir dieses gegenseitige Vertrauen
aber aufrechterhalten, wenn uns die unmittelbare Begeg-
nung, wenn uns der inhaltliche Austausch verwehrt wird?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese Frage stelle ich übrigens nicht, obwohl meine
Fraktion gegen den deutschen Tornadoeinsatz über Sy-
rien ist und war, sondern im Gegenteil: Gerade weil wir
dem Einsatz nicht zugestimmt haben, ist es doch ein An-
liegen und unser Recht, unsere Bedenken vor Ort thema-
tisieren zu können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das ist uns nun aber zum wiederholten Male von der
türkischen Seite verboten worden . In diesem Punkt kann

Dr. Reinhard Brandl






(A) (C)



(B) (D)


ich Sigmar Gabriel nur zustimmen: Dieser Zustand ist
absolut inakzeptabel!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Aber: Dieser Zustand ist bereits seit geraumer Zeit ab-
solut inakzeptabel . Was muss also noch geschehen? Wie
lange wollen wir denn noch warten? Wann lassen wir den
vielen Empörungsrufen endlich auch Konsequenzen fol-
gen? Liebe Kolleginnen und Kollegen: Es reicht!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr . Johann Wadephul [CDU/CSU]: Nicht so laut!)


Ich höre immer wieder von Abgeordneten aus ande-
ren Ländern, wie sehr wir um unser Prinzip einer Parla-
mentsarmee in Deutschland beneidet werden .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Wir hören es doch!)


Da wäre es doch ein Armutszeugnis, ja, eine Beleidigung
gegenüber einem regelrechten Parlamentsprivileg, wenn
wir zum wiederholten Male hinnehmen würden, dass wir
unserer eigenen Verantwortung nicht nachkommen dür-
fen . Ich sage hier ganz bewusst: unserer eigenen Verant-
wortung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich ist dieser Bundeswehreinsatz in eine ge-
meinsame Strategie mit Partnern wie den USA eingebet-
tet . Aber das bedeutet doch noch lange nicht, dass Sigmar
Gabriel jetzt glaubt, ausgerechnet Rex Tillerson um Hilfe
bitten zu müssen . Ja, was soll das denn? Es war unsere
Entscheidung, unsere Bundeswehr in Incirlik zu statio-
nieren, also müssen wir auch die Verantwortung über-
nehmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Unter den gegebenen Bedingungen ist der Abzug über-
fällig . Also bitte: Er ist nicht nur anzudenken oder weiter
zu erwägen, nur um Zeit zu gewinnen . Es braucht auch
kein Ultimatum, das heute wohl Kollege Oppermann ge-
stellt hat . Nein, wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von Union und SPD, es mit den vielen Respekts-
bekundungen wirklich ernst meinen, die gestern im Fall
Franco A . gegenüber der Bundeswehr geäußert wurden,
dann bleibt Ihnen nur eine Wahl: Stimmen Sie dem An-
trag zu, und beschließen wir noch heute gemeinsam, die
Bundeswehr aus Incirlik abzuziehen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Erlauben Sie mir noch eine kurze abschließende Be-
merkung. Ich finde es geradezu unerträglich, wenn die
Regierung in Ankara nun die Incirlik-Debatte mit der
Entscheidung verknüpft, Angehörigen des türkischen
Militärs in Deutschland Asyl zu gewähren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Werter Herr Yildirim, das Grundrecht auf Asyl ist keine
Verhandlungsmasse . Bei der Entscheidung, wem wir in
Deutschland Schutz bieten, lässt sich unser Rechtsstaat
nur von einer einzigen Instanz etwas vorschreiben: Das
ist das Recht – das internationale Völkerrecht und das
Grundgesetz .

Bevor Sie mir da hoffentlich alle zustimmen, sage ich,
dass wir dann aber auch aufhören müssen mit Rüstungs-
exporten in die Türkei . Außerdem dürfen wir uns nicht
durch ein Flüchtlingsabkommen abhängig machen, mit
dem wir unsere asylpolitische Verantwortung auslagern
wollen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist dann nämlich auch ein Stück weit Verhandlungs-
masse . Auch damit muss Schluss sein .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823425000

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt der Kollege Roderich Kiesewetter .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Roderich Kiesewetter (CDU):
Rede ID: ID1823425100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es
ist nötig, in diese gleich zu Beginn durch Sie, Frau Roth,
ordentlich temperierte Debatte


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So bin ich halt!)


etwas Ruhe und Gelassenheit zu bringen .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Langweilig!)


Ich denke, wir sind uns in zwei Punkten sehr einig, lie-
be Frau Kollegin Roth: Erstens ist es nicht haltbar, wenn
das Besuchsrecht auf Dauer verweigert wird .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt denn hier „auf Dauer“?)


Zweitens ist die Türkei auf dem Weg in einen Unrechts-
staat, und wir müssen sehr sorgfältig überlegen, mit wel-
chen Maßnahmen und Methoden wir auf die Eskalation,
die vonseiten der Türkei betrieben wird, reagieren .

Ich sage hier sehr deutlich: Ein einseitiger und soforti-
ger Abzug ist weder im europäischen noch im deutschen
Interesse; das sage ich auch im Namen meiner Fraktion .
Denn ein solcher Abzug hätte Konsequenzen . Erstens
würden wir die Isolierung der Türkei vorantreiben . Zwei-
tens wäre das Gesamtthema eine bilaterale Geschichte
zwischen Deutschland und der Türkei . Unser Interesse
muss doch sein, dass man sich auf der diplomatischen
Ebene der NATO darüber unterhält und wir daraus kein
deutsch-türkisches Sonderproblem machen . Entschei-
dend ist, dass der NATO-Rat dies thematisiert .

Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


Das war übrigens, als ich das vor einigen Monaten
vorschlug, nicht im deutschen Interesse und auch nicht
im amerikanischen Interesse . Es wurde damals ver-
hindert . Heute aber wissen wir – das kann ich auch im
Namen meiner Fraktion sagen –, dass es auf wichtigen
Überlegungen beruht, dieses Thema in Brüssel zu debat-
tieren . Denn die Türkei ist kein Land, das auf dem Weg
zu mehr Demokratie ist, sondern ein Land, das sich vom
Wertekanon der NATO verabschiedet . Es ist nicht trag-
bar, dass sich die Türkei, die Südostflanke der NATO, zu-
nehmend dem Iran und Russland annähert und wir durch
einen überzogenen einseitigen Abzug einen Beitrag dazu
leisten .

Ich bin ein Verfechter des Besuchsrechts, empfehle
aber, die Studie des Wissenschaftlichen Dienstes aus dem
letzten Jahr zu dieser Frage sehr sorgfältig zu lesen . Die
Parlamentskontrolle üben wir nicht durch das Besuchs-
recht aus, sondern indem wir Kabinettsentscheidungen
unsere Zustimmung geben oder sie verweigern . Für uns
ist ganz wichtig, dass die Truppe dort gut geführt wird
und dass ein Beauftragter des Bundestages jederzeit Zu-
gang hat, nämlich der Wehrbeauftragte . In der Zeit, in der
die Türkei uns Abgeordneten den Zugang verwehrt, ma-
chen wir etwas ganz Wichtiges: Wir prüfen Alternativen .

Als wir im letzten Jahr dem Vorschlag der Bundesre-
gierung zugestimmt haben, waren Sizilien, Zypern, Jor-
danien und Katar in der Debatte . Wir haben uns damals
entschieden, von einem bewährten NATO-Stützpunkt
aus zu agieren . Das war auch in unserem Interesse . Jetzt
gibt es sehr erfreuliche Signale aus Jordanien . Unsere
Verteidigungsministerin reist am Wochenende dorthin .
Gegenwärtig befinden sich dort Teams zur Prüfung. Die
Bundeswehr ist in Jordanien sehr willkommen . Wenn die
Türkei nicht bereit ist, das Besuchsrecht wieder einzu-
räumen, dann ist das eine sehr gute Alternative .

Wir sollten nicht kurzfristig mit einem einseitigen und
sofortigen Abzug reagieren, liebe Frau Roth . Sie wissen
selbst, dass es etwa acht bis zehn Wochen dauert, bis die
Bundeswehr woanders wieder einsatzfähig ist . Das Ober-
ziel ist doch nicht, unsere Soldaten dort zu besuchen . Das
gehört zwar mit dazu, aber das Oberziel ist der Kampf
gegen den IS .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Den Kampf gegen den IS ohne deutsche Beteiligung acht
Wochen lang fortzuführen, wäre bündnisschädigend .

Ich möchte an dieser Stelle einen Vorschlag anspre-
chen, zu dem Jürgen Hardt und ich heute bereits etwas
gesagt haben . Es ist aus unserer Sicht nicht nachvoll-
ziehbar, dass unser Bundesaußenminister von Washing-
ton aus jetzt auch noch den AWACS-Einsatz der NATO
zur Debatte stellt; hier stellt Deutschland 30 Prozent des
Personals . Plötzlich soll die Bundeswehr auch aus Konja
abziehen . Bei aller Koalitionstreue: Es ist ein Schaden,
wenn Deutschland plötzlich einen NATO-Einsatz auf-
kündigt . Ich bekenne hier sehr deutlich: Wir als Union
stehen hinter dem AWACS-Einsatz . Wir wollen, dass die

NATO zusammenhält und auch im Wahlkampf nicht aus-
einanderdividiert wird, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat mit dem Wahlkampf doch gar nichts zu tun!)


Deswegen werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen,
sondern ihn an den Auswärtigen Ausschuss überweisen
und dort in aller Ruhe debattieren . In der Zwischenzeit
erwarten wir die Ergebnisse des Teams der Bundesre-
gierung zu der Frage, was Jordanien zu bieten hat, und
wir hoffen, dass die Türkei in den Schoß gemeinsamer
NATO-Verantwortung zurückkehrt . Wir sollten uns von
der Türkei nicht in eine unnötige Eskalationsspirale trei-
ben lassen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Die NATO hat gesprochen, das NATO-Hauptquartier!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823425200

Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt

der Kollege Dr . Dietmar Bartsch .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823425300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist schon etwas Besonderes, dass es wenige Wochen
vor den Wahlen einen gemeinsamen Antrag von den Grü-
nen und den Linken gibt . Das ist so kurz vor Wahlen sehr
unüblich . Es ist sicherlich auch sehr unüblich, dass eine
Vizepräsidentin und ein Fraktionsvorsitzender sprechen
und dass wir im Übrigen alle unsere politischen Positi-
onierungen in dem Antrag weggelassen haben . Dafür
muss es schon einen triftigen Grund geben .


(Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Ja, das stärkt die Große Koalition!)


Und ich sage Ihnen: Es gibt einen triftigen Grund . Hier
geht es um das Selbstverständnis von uns als Abgeordne-
te . Hier geht es um das Selbstverständnis unseres Parla-
ments, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist so – wir alle wissen das –: Ein weiteres Mal
verweigert die türkische Regierung Abgeordneten aller
Fraktionen den Besuch in Incirlik . Das ist der schlichte
Fakt, und das ist zum wiederholten Mal der Fall . Es ist
ein Trauerspiel, Herr Kiesewetter, wie Sie hier irgend-
welche, teilweise irren Begründungen finden.


(Peter Beyer [CDU/CSU]: Was?)


Es ist völlig inakzeptabel, dass deutsche Parlamentarier
nicht die von hier mandatierten Soldaten besuchen kön-
nen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Roderich Kiesewetter






(A) (C)



(B) (D)


Sie glauben offensichtlich, dass die Kanzlerin beim
NATO-Gipfel alles richtet . Die muss das offensichtlich
wieder selber machen . Aber ich kann Ihnen eines sagen:
Es ist eine Parlamentsarmee und keine Regierungsarmee .
Wir entscheiden und nicht die Bundesregierung .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Henning Otte [CDU/ CSU]: Warum stimmen Sie sonst nicht mit?)


Sie wissen überhaupt nicht, ob die Kanzlerin vielleicht
sogar froh wäre, wenn Sie mal den Mut hätten . Entschei-
den Sie doch mal! Vielleicht wäre das sogar Rückenwind
für sie, wenn Sie mit einem Mandat des Deutschen Bun-
destages Herrn Erdogan etwas Druck machen können .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir können doch nicht akzeptieren, was da passiert .

Das alles wird hier entschieden, und hier können wir
den sofortigen Abzug entscheiden . Das heißt doch nicht,
dass wir hinfliegen und die Soldaten zurückholen, son-
dern das heißt, dass hier beschlossen und danach der Be-
schluss umgesetzt wird . Die Bundeswehr hat in der Tür-
kei nichts zu suchen .


(Beifall bei der LINKEN)


Weil Sie das angesprochen haben: Das gilt genauso
für die NATO-AWACS im südtürkischen Konya; selbst-
verständlich . Auch da haben wir nichts zu suchen . Wenn
das bei dem einen gilt, dann muss das auch bei dem an-
deren gelten . Ich bin sehr gespannt, ob wir nach Konya
fahren können .


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist doch absurd, wenn Sie deutsche Soldaten in die
Türkei entsenden und gleichzeitig immer mehr türkische
Militärangehörige – das geht bis hoch zu Generälen –
politisches Asyl in Deutschland beantragen . Da ist doch
irgendetwas schief .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir im Bundestag haben nur eine einzige Entscheidung
zu treffen .

Natürlich will ich hier auch Außenminister Gabriel
noch einmal würdigen . Es ist ja wohl absurd, dass der
zu Tillerson rennt, dem ehemaligen Exxon-Manager, und
um Vermittlung bittet . Wo sind wir denn hier hingekom-
men? Das ist hilf- und konzeptionslose Außenpolitik,
meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Fragen Sie doch noch Herrn Lawrow! Vielleicht kann der
auch noch etwas vermitteln – das wäre mal eine Idee –;
vielleicht sogar beide zusammen .

Ich sage Ihnen: Lassen Sie den ganzen Unsinn! Die
Türkei entwickelt sich in Richtung einer islamistischen
Diktatur . Ziehen Sie nicht nur die Bundeswehr von dort

ab; stoppen Sie vor allen Dingen alle Waffenlieferungen
für diese Diktatur!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Da wird Krieg gegen Kurdinnen und Kurden geführt .
Stoppen Sie auch die EU-Vorbeitrittshilfen! Es gibt kei-
nen Grund, dieses Land noch mit Geld zu fördern . Been-
den Sie die militärische und auch die geheimdienstliche
Zusammenarbeit mit diesem Despoten!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das wäre notwendig . Senden Sie doch von hier mal ein
klares Signal in Richtung Türkei! Der Flüchtlingsdeal
hält das alles auf .

Herr Kiesewetter, Sie sprechen vom Wertekanon der
NATO . Ja, aber wenn der gilt, dann muss man die Tür-
kei sogar aus der NATO rausschmeißen . Das wäre die
Situation .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen auch: Wir haben die Aufgabe, die Zi-
vilgesellschaft in der Türkei zu unterstützen . Ja, wir wol-
len, dass die Türkei wieder in eine andere Richtung geht .
Wir wollen mit den Menschen der Türkei zusammenar-
beiten . Aber das, was dort jetzt geschieht, geht genau in
die falsche Richtung .

Also, sehr geehrte Abgeordnete von Union und SPD,
vielleicht helfen Sie Ihrer Kanzlerin sogar, wenn Sie heu-
te diesem kurzen und schlichten gemeinsamen Antrag
zustimmen . Sie können damit auch der Öffentlichkeit
zeigen: Dieses Parlament hat ein Stück weit Selbstbe-
wusstsein, und es lässt sich von niemandem etwas dik-
tieren .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der LINKEN: Bravo!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823425400

Als nächster Redner hat Dr . Rolf Mützenich für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1823425500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist in der Tat ein schwerwiegender Vorgang zwischen
zwei NATO-Partnern . Ich glaube auch, dieser Vorgang
ist beispiellos, einmalig in der Geschichte der NATO . Ich
befürchte ebenfalls: Es ist kein Ende absehbar . Dennoch
glaube ich, ist es gut, dass wir heute versuchen, Argu-
mente in die Debatte einzubringen, die für das Selbstver-
ständnis des deutschen Parlaments, des Parlamentaris-
mus und für eine Parlamentsarmee sprechen . Deswegen
sage ich sehr klar für meine Fraktion: Die Antwort, die
die türkische Regierung auf das Bemühen, einen Besuch

Dr. Dietmar Bartsch






(A) (C)



(B) (D)


in Incirlik zu erreichen, gegeben hat, grenzt an Erpres-
sung .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Es ist Erpressung!)


Wenn Rechtsgrundsätze wie das Asylrecht gegen das
Recht auf eine Besuchserlaubnis aufgerechnet werden,
sage ich sehr deutlich: Wir stehen für das Grundrecht auf
Asyl und lassen uns nicht von der türkischen Regierung
erpressen .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zum anderen will ich sehr deutlich sagen: Es ist gut,
dass Asylanträge von türkischen Bürgern, egal vor wel-
chem beruflichen Hintergrund sie in der Vergangenheit
gestanden haben, ernsthaft geprüft werden und politi-
sches Asyl in Deutschland, wenn die Gründe dafür aus-
reichen, auch gewährt wird .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Lieber Kollege Kiesewetter, ich muss Ihnen wider-
sprechen . Das, was Sie gesagt haben, ist nicht die Hal-
tung meiner Fraktion .


(Beifall des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Ich möchte sehr deutlich davor warnen, die beiden Insti-
tutionen – das Parlament und den Wehrbeauftragten – ge-
geneinander auszuspielen .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Beide Institutionen haben ein Besuchsrecht bei den Bun-
deswehrsoldaten . Ich will gerne daran erinnern, dass wir
in den letzten Tagen – vielleicht ist das noch nicht zu je-
dem in Ihrer Fraktion durchgedrungen – innerhalb der
Koalitionsfraktionen versucht haben, einen gemeinsa-
men Text für die Ausschussberatungen zu erreichen, der
auf Grundlage der Protokollnotiz des letzten Beschlusses
über den Einsatz in Incirlik gefasst worden ist, dass es
nämlich zu den verfassungsmäßigen Aufgaben des Bun-
destages gehört, jederzeit Besuche durchführen zu kön-
nen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hochrangige Gespräche zu führen, ist durchaus ein An-
lass, den wir weiterhin würdigen, auch vonseiten der
Bundesregierung . Dass der NATO-Rat hiermit befasst
werden soll und dass bereits jetzt Handlungsoptionen für
die Verlegungen erfolgen sollen, ist, glaube ich, richtig .
Umso mehr wünsche ich im Namen meiner Fraktion der
Bundeskanzlerin allen Erfolg . Wir werden sie dabei un-
terstützen, wenn sie am kommenden Donnerstag bei Prä-
sident Erdogan versucht, dieses Besuchserfordernis noch
einmal zu unterstreichen . Ich sage aber sehr deutlich: Es
darf kein Gnadenakt sein, sondern es muss letztlich zu ei-
ner grundsätzlichen Übereinstimmung zwischen der tür-
kischen Regierung und der Bundesregierung kommen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es spre-
chen drei gute Gründe für die Überweisung des Antrages .

Zum Ersten spricht dafür, dass die Ergebnisse, die
möglicherweise ausgehandelt werden, in den Fachaus-
schüssen gewürdigt werden, insbesondere dann, wenn
dieses Besuchsrecht ein für alle Mal geklärt werden kann .

Zum Zweiten spricht dafür, dass in den Beratungen
der Fachausschüsse auf die Planung einer möglichen
Verlegung, die jetzt durchzuführen ist, Einfluss genom-
men werden kann . Auch darüber muss die Bundesregie-
rung berichten . Ich glaube, auch das ist notwendig . Ich
bin zurzeit noch nicht ganz davon überzeugt, dass es
Jordanien sein muss . Deswegen gehört eine offene Dis-
kussion in den Fachausschüssen mit dazu . Irgendwelche
publikumswirksamen Reisen nach Jordanien helfen an
dieser Stelle nicht weiter .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN)


Ein Drittes spricht dafür . Kollege Bartsch, Sie sagen,
wir müssten versuchen, die Souveränität auch dieses Par-
laments sehr deutlich zu machen . Ich glaube, die Über-
weisung schafft vielleicht sogar – hier müssen wir uns
alle bewegen – die Grundlage für eine gemeinsame Be-
schlussfassung . Auch das spricht für eine Überweisung .
Deswegen, liebe Kollegin Roth, ist die Formulierung „Es
reicht!“ für mich kein außenpolitisches Argument .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube, wir müssen gerade in der Außenpolitik im-
mer wieder ausprobieren, was vielleicht möglich ist .

Ich möchte ein weiteres Argument in diese Debatte
einzuführen, warum dieses Parlament versuchen sollte,
in der nächsten Sitzungswoche eine gemeinsame Be-
schlussfassung im Sinne des vorliegenden Antrags her-
beizuführen: Es wäre ein deutliches Zeichen nicht nur an
einen türkischen Staatspräsidenten, der mittlerweile alle
demokratischen Rechte mit Füßen tritt, sondern auch an
ein türkisches Parlament, das sich in den vergangenen
Monaten auch selbst entmachtet hat . Diese Chance soll-
ten wir vonseiten des Deutschen Bundestages durchaus
nutzen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zum anderen: Ich sagte, „Es reicht!“ ist kein außenpo-
litisches Argument. Ich finde, wir alle hier im Deutschen
Bundestag sollten uns fragen, ob wir nicht auch eine
Verantwortung dafür tragen, wie sich die Türkei in den
letzten Jahrzehnten entwickelt hat . Ich glaube, manches
Versäumnis sollten wir – –


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


– Dazu kann man auch „Oh!“ sagen . Insofern vermute
ich, dass mein Appell in diese Richtung vielleicht nicht
hilft . – Zumindest ich frage mich, ob manches Verhalten
im Zusammenhang mit dem EU-Beitrittsprozess in den
vergangenen Jahren nicht genau das provoziert hat, was
wir zu Recht immer wieder kritisieren . Es passierte in der
Türkei in jüngster Zeit mehr, als dass nur über eine Prä-
sidialverfassung abgestimmt worden ist . Die Türkei ver-

Dr. Rolf Mützenich






(A) (C)



(B) (D)


sucht, einen anderen regionalpolitischen Weg zu gehen .
Sie versucht sozusagen, einer orientalischen Despotie ein
Vorbild zu sein, gerade auch im Zusammenhang mit den
Umbrüchen in der arabischen Welt .


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das sagen Sie schon seit Jahren!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist aller Ehren
wert, genau für diejenigen zu streiten, die vor wenigen
Wochen mit höchstem Mut, teilweise sogar unter Verhaf-
tungs- und möglicherweise Lebensgefahr, dafür gestrit-
ten haben, dass die Präsidialverfassung nicht Wirklich-
keit wird .


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das ist echt zynisch, was Sie da machen!)


Auch das gehört zur Debatte heute Abend dazu .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823425600

Als nächster Redner hat Florian Hahn für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1823425700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Diese Woche zeigt schon ein bisschen, dass das Wahl-
kampfgetöse


(Widerspruch bei der LINKEN – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch nichts mit Wahlkampf zu tun! Das hier wirklich nicht!)


insgesamt mit voller Wucht auch den Bundestag erreicht
hat. Ich finde schon, dass der Antrag von Grünen und
Linken so einzuordnen ist . Sie haben nämlich etwas ent-
deckt, was zugegebenermaßen


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Parlamentsrecht ist! Richtig! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir machen jetzt zusammen Wahlkampf!)


vielen von uns einleuchtet – gar keine Frage –: der Abzug
der Bundeswehr aus Incirlik .


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Dann stimmen Sie doch zu!)


Nun wollen Sie – vermeintlich trickreich, nur leider
sehr offensichtlich – uns ein Stück weit in die Falle lo-
cken,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Da sitzen Sie schon drin!)


nach dem Motto: Sie haben Konsequenzen gefordert,
nun müssen Sie aber bitte auch sofort folgen, sonst wür-
den Sie Ihr Wort nicht halten . – Konkret: Die Bundes-
wehr soll mit sofortiger Wirkung vom Standort Incirlik

abgezogen werden . Doch so einfach ist Weltpolitik nicht,
ganz zu schweigen von der Praktikabilität Ihrer Forde-
rung . Selbst in der Opposition sollte man so etwas wis-
sen, und auch Wahlkampfzeiten entschuldigen eine sol-
che Kurzsicht nicht .

Wenn man bei den Linken genau hinhört, dann merkt
man, dass es gar nicht um die Frage eines Abzugs aus
Incirlik geht, sondern darum, einen Einsatz, der sowieso
nicht gewollt ist, egal von wo aus er startet, zu beenden .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das habe ich alles weggelassen!)


Zunächst lohnt es sich, in Erinnerung zu rufen, warum
wir in Incirlik stationiert sind; ein Rückblick ist wich-
tig . Am 29 . Juni 2014 ruft die Terrormiliz „Islamischer
Staat“ in Mosul das Kalifat aus . Schätzungen reichen
von 10 000 bis 100 000 Kämpfern, die in Syrien und im
Irak ganze Gegenden zerstören, Frauen verschleppen und
vergewaltigen, aufs Brutalste ermorden . Am 7 . Januar
2015 sterben in Paris 130 Menschen, 352 weitere wer-
den verletzt . Mit den Terrorattacken in der französischen
Hauptstadt fing die blutige Anschlagsserie des IS in Eu-
ropa an, die leider noch immer anhält . Am 2 . Dezember
2015 stimmten wir hier im Deutschen Bundestag darü-
ber ab, unsere Soldatinnen und Soldaten nach Incirlik zu
schicken, um gemeinsam mit unseren Verbündeten den
„Islamischen Staat“ zu bekämpfen .

Seitdem ist viel passiert . Die Türkei hat sich massiv
verändert, die Menschenrechtssituation hat sich gravie-
rend verschlechtert, die Atmosphäre ist aufgeheizt . Die
CSU mahnt seit langem, dass eine Türkei, wie wir sie
heute erleben, nicht Teil der Europäischen Union sein
kann .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das war echte Außenpolitik!)


Daneben – und darum geht es heute – wird uns zum
wiederholten Male der Zugang zu unseren Truppen ver-
weigert . Präsident Erdogan testet immer wieder unsere
Schmerzgrenze .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Hat die Union eine?)


Das ist natürlich indiskutabel . Die Bundeswehr ist eine
Parlamentsarmee, und der Zugang zu ihr muss durchge-
hend möglich sein; da sind wir uns alle einig . Daher habe
ich schon früh gefordert, dass alternative Stützpunkte für
die Tornados geprüft werden müssen .


(Dr . Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben Abzug gefordert! Mehrfach! Sie!)


Und selbstverständlich wurden bereits Alternativstandor-
te geprüft . Jordanien, Zypern und Kuwait wurden inspi-
ziert . Diese Prüfungen müssen jetzt zügig abgeschlossen
werden .

Fest steht: Es kann dauerhaft nicht sein, dass Erdogan
unsere Soldatinnen und Soldaten als Faustpfand einsetzt .
Und trotzdem: Die Türkei ist aufgrund ihrer geostrate-
gischen Lage ein entscheidender Mitspieler im Kampf

Dr. Rolf Mützenich






(A) (C)



(B) (D)


gegen den „Islamischen Staat“ . Seit der Einnahme von
Mosul 2015 hat die Terrormiliz schwere Verluste erlitten .
Ihr Gebiet ist von der Größe Großbritanniens auf weniger
als die Größe Irlands zusammengeschrumpft . Wir müs-
sen daher auch weiter mit Ankara sprechen, wie wir das
gemeinsame Ziel, den Kampf gegen den IS, fortführen
können . Aus diesem Grund kann Ihr Antrag heute nur ab-
gelehnt werden .

Wir müssen zweigleisig fahren, Alternativen vorberei-
ten, den Druck erhöhen und trotzdem versuchen, in ver-
traulichen diplomatischen Gesprächen gesichtswahrende
und praktikable Lösungen zu finden. Nur so funktioniert
eine verantwortungsvolle Politik gegenüber unseren
Truppen wie auch mit Blick auf unseren Auftrag .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Daneben wäre auch aus praktischen Gründen ein
sofortiger Abzug nicht möglich . Incirlik ist aus militä-
rischer Sicht weiterhin der günstigste Standort für den
schwierigen Kampf gegen die Terrormiliz . Richtig ist,
dass Jordanien beispielsweise eine Alternative darstellt .
Und trotzdem: Es gäbe deutliche operationelle Ein-
schränkungen, gerade in der Zusammenarbeit mit unse-
ren Partnern . Wir könnten nicht an eine gleich gute Infra-
struktur andocken . Der Umzug würde dauern . Das geht
nicht, wie von Ihnen gefordert, von heute auf morgen . Es
geht allein um ungefähr 180 bis 200 Container Material .
Man kann nicht einfach ein Umzugsunternehmen anru-
fen, dann läuft der Umzug, und morgen ist alles erledigt .
Um es klar zu sagen: Es ist möglich, von Jordanien aus
Tankflugzeuge zu schicken und Aufklärungsflüge durch-
zuführen . Aber eine Verlegung benötigt Zeit . Ein Abzug
mit sofortiger Wirkung funktioniert nicht .

Ich glaube, wir sind uns alle im Bundestag einig: Prä-
sident Erdogan ist ein unberechenbarer Partner gewor-
den . Zum wiederholten Male hat er unser Vertrauen miss-
braucht und die Karte des Besuchsverbots gespielt . Wir
können und werden so nicht weitermachen . Die Bundes-
regierung bemüht sich daher um eine schnellstmögliche
Lösung . Daneben ist es aber auch an der Zeit, dass wir
innerhalb der NATO grundsätzlich klären, wie zukünf-
tig eine Zusammenarbeit mit den Türken funktionieren
kann; denn die Sperenzchen Erdogans schaden nicht
nur dem deutsch-türkischen Verhältnis, sondern dem ge-
meinsamen Wirken innerhalb der NATO .

In der Ruhe liegt die Kraft . Deshalb kann über den
vorliegenden Antrag heute nicht entschieden werden .
Wir sollten – Herr Kollege Mützenich hat die Gründe
angeführt – das Thema in aller Ruhe in den Ausschüs-
sen diskutieren . Klar ist aber auch: Sollte es bei der Hal-
tung der Türkei bleiben, kann die Bundeswehr langfristig
nicht in Incirlik stationiert bleiben .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823425800

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die

Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke auf
der Drucksache 18/12372 mit dem Titel „Sofortiger Ab-
zug der Bundeswehr aus Incirlik“ . Die Fraktionen Bünd-
nis 90/Die Grünen und Die Linke wünschen Abstim-
mung in der Sache . Die Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD wünschen Überweisung, und zwar federführend
an den Auswärtigen Ausschuss und mitberatend an den
Verteidigungsausschuss .

Wir stimmen – so wie wir das hier immer machen –
zuerst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab .
Ich frage deshalb: Wer stimmt für die Überweisung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit ist
die Überweisung so beschlossen, und damit stimmen wir
heute über den Antrag auf Drucksache 18/12372 nicht in
der Sache ab .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht

Drucksachen 18/11546, 18/11654, 18/11822
Nr. 9

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/12415

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die Plätze zü-
gig einzunehmen und die Gespräche außerhalb des Ple-
nums zu führen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in die-
ser Aussprache hat der Parlamentarische Staatssekretär
Dr . Ole Schröder für die Bundesregierung das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


D
Dr. Ole Schröder (CDU):
Rede ID: ID1823425900


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Die Durchsetzung bestehender Ausreise-
pflichten und die Bekämpfung illegaler Migration ist in
einem Rechtsstaat das notwendige Gegenstück zur gebo-
tenen humanitären Aufnahme von Schutzbedürftigen .

Ende März 2017 standen rund 217 000 Ausreisepflich-
tigen nur etwas mehr als 7 000 Rückführungen durch die
zuständigen Länder gegenüber . Ohne die zwangsweise
Rückführung sinkt aber auch die Bereitschaft zur frei-
willigen Rückreise . Eine Verbesserung im Bereich der
zwangsweisen Rückführung ist daher dringend geboten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Darüber hinaus ist es notwendig, die Abschiebung von
Gefährdern sicherzustellen .

Beides gehen wir mit dem vorliegenden Gesetzent-
wurf an . An diesem Anspruch haben sich auch die parla-

Florian Hahn






(A) (C)



(B) (D)


mentarischen Beratungen orientiert . Ich greife die wich-
tigsten Änderungen heraus:

Wir regeln, dass Gefährder in Abschiebungshaft ent-
sprechend ihrer Gefährlichkeit auch in Justizvollzugs-
anstalten untergebracht werden können . Sie sollen auch
andere Personen im Gewahrsam nicht gefährden oder für
ihre extremistischen Ideen werben können .

Damit wir noch besser identifizieren können, wer zu
uns kommt, darf das BKA entsprechende Daten mit an-
deren Staaten austauschen . Wir erhalten dadurch wichti-
ge Erkenntnisse durch diese anderen Staaten .

Zudem ändern wir behutsam das Rechtsmittelrecht
im Asylverfahren, um eine höchstrichterliche Rechtspre-
chung und damit mehr Rechtssicherheit herbeizuführen .
Das soll insgesamt zur Beschleunigung von Einzelklagen
führen .

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird
künftig von anderen Behörden zwingend informiert,
wenn Asylberechtigte in ihren Heimatstaat reisen . Wir
bekämpfen auf diese Weise Sozialleistungsmissbrauch
und überprüfen, ob ein Schutzbedürftiger auch wirklich
in seinem angeblichen Verfolgerstaat gefährdet ist .

Im Zuge der parlamentarischen Beratungen haben wir
einen weiteren Gesichtspunkt aufgegriffen . Es handelt
sich um die Verhinderung missbräuchlicher Vaterschafts-
anerkennungen . Aus der Praxis hören wir: Scheinva-
terschaften sind die neuen Scheinehen . Es gibt hier ein
erhebliches Missbrauchspotenzial . Wenn der Anerken-
nende weder der biologische Vater ist noch eine sozi-
al-familiäre Bindung zum Kind anstrebt, muss der Staat
einschreiten . Die Anerkennung erfolgt hier ausschließ-
lich zu dem Zweck, Aufenthaltsrechte zu vermitteln, die
ansonsten nicht bestehen würden . Meine Damen und
Herren, wir haben uns daher entschlossen, dass miss-
bräuchliche Vaterschaftsanerkennungen gar nicht erst
beurkundet und durchgeführt werden können .

Meine Damen und Herren, die Änderungen aus dem
parlamentarischen Verfahren haben diesen wichtigen Ge-
setzentwurf weiter verbessert . Ich sage aber auch ganz
offen: Wir hätten uns noch mehr vorstellen können . Die
Einbeziehung der Bundespolizei in die automatische Si-
cherheitsabfrage beispielsweise war mit dem Koalitions-
partner SPD nicht zu machen . Das wundert mich sehr .
Dabei ist die Bundespolizei die Sicherheitsbehörde, die
gegen Schleuserkriminalität vorgeht und bei der natür-
lich die entsprechenden Informationen auch vorliegen,
meine Damen und Herren .

Auf dem Weg zu noch mehr Sicherheit im Asylver-
fahren haben wir zudem für das Auslesen der Geodaten
aus dem Handy eines Asylbewerbers plädiert . Wir hätten
hierdurch wichtige Rückschlüsse auf den Reiseweg und
das Herkunftsland erhalten können . Das war allerdings
mit der SPD nicht möglich . Ich sage ganz klar: Das sind
weiterhin wichtige Punkte für uns, und wir sind natürlich
weiterhin gesprächsbereit .

Meine Damen und Herren, das beste Recht hilft nicht,
wenn es nicht angewendet wird . Der rechtliche Rahmen
für die Abschiebung von Ausreisepflichtigen und insbe-
sondere von Gefährdern besteht . Was mancherorts fehlt,

ist der Wille zur Durchsetzung . Ich denke zum Beispiel
an Schleswig-Holstein mit dem Winterabschiebestopp
oder dem Abschiebestopp nach Afghanistan . Das ist
nicht verantwortbar .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Wird sich jetzt ändern! – Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich appelliere an die Länder, alles für die konsequente
Durchsetzung von Ausreisepflichten zu tun. Dazu gehört
zum Beispiel auch, ausreichende Haftkapazitäten in den
Ländern zu schaffen und auf neue Vollzugshemmnisse
zu verzichten . Wir hier im Bundestag haben das Recht
optimiert . Der Bund unterstützt die Länder auch operativ .
Ohne den Willen zum Vollzug können diese Angebote
aber keine positive Wirkung entfalten . Es ist Sache der
Länder, den Rechtsstaat auch wirklich durchzusetzen .

Wir wollen weiterhin, dass diejenigen Schutz erfahren
und integriert werden, die wirklich schutzbedürftig sind .
Dazu gehört aber auch, Abschiebungen effektiv durch-
zusetzen und gefährliche Ausreisepflichtige besser zu
überwachen,


(Inge Höger [DIE LINKE]: Dann überwachen Sie doch selber!)


um auch andere vor ihnen zu schützen . Ich bitte daher um
Zustimmung zu diesem Entwurf .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823426000

Als nächste Rednerin spricht Ulla Jelpke für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823426100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Schon

der Titel des hier zur Diskussion stehenden Entwurfs
eines Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreise-
pflicht unterstellt, die Ausreisepflicht würde nicht ausrei-
chend durchgesetzt .


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Stimmt ja!)


Das ist eine der großen Lügen dieser Großen Koalition .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich kann in der Kürze der Zeit nicht auf alle Aspekte
dieses Sammelsuriums flüchtlingsfeindlicher Schwei-
nereien – darum handelt es sich im wahrsten Sinne des
Wortes – eingehen .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Hey!)


– Ja, man muss hier wirklich von Schweinereien spre-
chen .


(Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Jetzt geht es los! Wo sind wir denn?)


Deshalb möchte ich nur einige wenige Punkte herausstel-
len .

Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder






(A) (C)



(B) (D)


Hier wird das offenbar vorsätzliche Behördenversa-
gen im Fall Anis Amri zur Schaffung eines neuen Ab-
schiebegrunds für Gefährder instrumentalisiert .


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Der war auch ausreisepflichtig!)


Dabei ist nirgendwo gesetzlich definiert, wer überhaupt
ein Gefährder ist . Die Einstufung erfolgt nach wie vor
nach Gutdünken der Polizei . Faktisch haben wir es hier
mit einer Präventivhaft mit aufenthaltsrechtlichen Mit-
teln zu tun, obwohl gegen die Betroffenen nichts Ge-
richtsverwertbares vorliegt . Das ist schlicht menschen-
rechtswidrig .


(Beifall bei der LINKEN)


Lassen Sie mich eine grundsätzliche Bemerkung ma-
chen: In diesem Gesetzentwurf findet eine unzulässige
Vermischung von Aufenthalts-, Sicherheits- und Ord-
nungsrecht statt. Das Aufenthaltsrecht ist definitiv nicht
das richtige Instrument, um den Umgang mit Terrorge-
fahren zu regeln, und zwar schon deshalb nicht, weil vie-
le Gefährder die deutsche Staatsangehörigkeit haben .

Nach dem Willen der Koalition soll eine Überra-
schungsabschiebung selbst nach mehrjähriger Duldung
möglich sein, wenn Flüchtlinge ihre Abschiebung durch
fehlende Mitwirkung verhindert haben .


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Das ist nur recht und billig!)


Das ist rechtsstaatswidrig und im Falle von Kindern so-
gar ein ganz klarer Verstoß gegen die UN-Kinderrechts-
konvention .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Handys von Flüchtlingen sollen generell zur Identi-
tätsfeststellung durchsucht werden können, wenn – ich
betone das – kein Reisepass vorliegt . Dies betrifft mehr
als die Hälfte der Asylsuchenden .


(Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/ CSU]: Das ist ja das Merkwürdige!)


Die Bundesdatenschutzbeauftragte und der Deutsche
Anwaltverein haben diese Vorschrift als unverhältnismä-
ßig und verfassungswidrig gebrandmarkt . Asylsuchende
sind doch kein Freiwild, sondern sie haben die gleichen
Grundrechte wie wir alle .


(Beifall bei der LINKEN – Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU]: Und die gleichen Pflichten!)


Schließlich sollen Geflüchtete, die vermeintlich ohne
Bleiberechtsperspektive sind, bis zu zwei Jahre in Erst-
aufnahmeeinrichtungen wohnen . Das muss man sich ein-
mal vorstellen . Für diese Zeit gelten ein Arbeits- und ein
Ausbildungsverbot, Sachleistungsvorrang und die Resi-
denzpflicht. Das ist also eine enorme Verschärfung.


(Zuruf der Abg . Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Im Änderungsantrag folgt nun auch noch die Mär
von – wir haben es eben schon gehört – missbräuchli-

chen Vaterschaftsanerkennungen zum Erhalt eines Auf-
enthaltstitels . Beamte der Ausländerbehörde sollen ent-
scheiden, ob eine Vaterschaft akzeptiert wird oder die
Mutter und das Kind abgeschoben werden können . Eine
Klage dagegen hat keine aufschiebende Wirkung . Das
heißt, hier werden im Grunde Familien zerrissen . Ich hal-
te es für einen Riesenskandal, dass Sie das so nebenbei
mit einem Änderungsantrag einfach durchziehen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine Anhörung war von der Großen Koalition nicht
gewünscht . Fachverbände haben am Gesetzentwurf ganz
massiv Kritik geübt . Es ist eine absolut unparlamentari-
sche Vorgehensweise, wie Sie hier Gesetze durchziehen .

Die Koalition wird heute dieses Gesetz verabschie-
den, aber ich sage Ihnen ganz klar: Wir werden diesem
widerwärtigen Abschiebegesetz unsere Zustimmung ver-
weigern . Es ist wirklich ein einziger Skandal, was Sie
hier zusammengeschrieben haben .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823426200

Burkhard Lischka hat als nächster Redner für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Burkhard Lischka (SPD):
Rede ID: ID1823426300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kollegin Jelpke, ich habe Ihrer Rede aufmerksam zuge-
hört . Eine solche Rede kann man nur halten, wenn man
den eigentlichen Anlass für diesen heute vorliegenden
Gesetzentwurf weitestgehend ausblendet,


(Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


nämlich Anis Amri, der am 19 . Dezember hier in Berlin
12 Menschen getötet, 60 Menschen zum Teil schwer ver-
letzt hat, ein Attentat, das mitten in der Weihnachtszeit


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es war mir überhaupt nicht bewusst, dass es bei dem Vaterschaftsfragen gab!)


viel Leid über die Opfer und ihre Angehörigen aus
Deutschland, aus Israel, aus Italien, aus Polen, aus der
Ukraine, aus Tschechien gebracht hat . Frau Jelpke, Anis
Amri war nicht irgendwer . Anis Amri war ein abgelehn-
ter Asylbewerber .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was war das Vaterschaftsproblem bei Anis Amri?)


Er war vorbestraft, er war gefährlich, er hat mehrfach sei-
nen Hass und seine Anschlagspläne geäußert und sollte

Ulla Jelpke






(A) (C)



(B) (D)


abgeschoben werden . Und so jemand kam nicht hinter
Gitter .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Den hätten Sie mit dem Strafrecht verfolgen können!)


– Entschuldigung, Frau Jelpke, selbstverständlich gehör-
te Anis Amri hinter Gitter . Wir müssen solche Menschen
stoppen, bevor sie zu Mördern werden .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Mit dem Strafrecht! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum ist das nicht passiert?)


– Frau Jelpke, die Opfer vom Breitscheidplatz könnten
noch leben, wenn Anis Amri am 19 . Dezember in Ab-
schiebehaft gesessen hätte . Das ist doch eine ganz we-
sentliche Lehre aus diesem Attentat .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hätte sogar in Untersuchungshaft sitzen können, wenn die Polizei ihre Arbeit gemacht hätte!)


Dass er nicht in Abschiebehaft saß, muss doch Konse-
quenzen haben . Wir können doch das Vertrauen in diesen
Rechtsstaat nur wiederherstellen,


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Indem Sie die Gesetze anwenden!)


wenn wir solche Fehler und Versäumnisse klar benennen
und daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen . Bei
Anis Amri war es so, dass er schon nach einem Tag wie-
der aus der Abschiebehaft entlassen wurde .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Ja, und warum?)


– Offensichtlich, Frau Hänsel, weil es die Sorge gab,
dass bei einer längeren Anordnung der Abschiebehaft
man Schiffbruch vor einem deutschen Gericht erleiden
würde . Deshalb beschließen wir heute Abend ein Ge-
setz, sodass sich das nicht wiederholt . Ein Gefährder, der
abgeschoben werden soll, gehört in Abschiebehaft . Ich
weiß ehrlich nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von
der Opposition, was daran kritikwürdig ist .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich will noch auf einen zweiten Aspekt eingehen . Anis
Amri war ja nicht nur gefährlich, er war auch mit 14 un-
terschiedlichen Aliasnamen und Identitäten unterwegs .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist so etwas möglich? Das frage ich mich!)


Dazu könnte man vieles sagen . Bei dieser ganzen Sache
haben sich viele deutsche Behörden nicht gerade mit
Ruhm bekleckert .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Was hat Ihr Kollege Jäger da gemacht in NRW? – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum wurde nicht ermittelt, angeklagt und verurteilt?)


Klar ist: Wir müssen wissen, wer sich in unserem Land
aufhält und woher er kommt . Wenn das eben mit anderen
Mitteln nicht feststellbar ist, wenn da Zweifel bleiben,
trotz Dolmetscher, trotz Sprachidentifizierungssoftware,
trotz Text- und Schriftanalyse, trotz einer Anhörung, wo
nach regionalen Besonderheiten gefragt wird, dann muss
es als letztes Mittel auch möglich sein, sich die Sprach-
einstellung eines Handys anzuschauen, meine Damen
und Herren .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das zeigt doch übrigens auch der jüngste Fall des
Bundeswehroffiziers Franco A.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ein deutscher Terrorist, ja!)


Dazu können wir auch vieles sagen . Da haben Mit-
arbeiter des BAMF bei simpelsten Prüfungsschritten
versagt . Aber genauso klar ist: Ein Blick auf das Han-
dy von Franco A ., und der ganze Schwindel wäre sofort
aufgeflogen. Deshalb ist es übrigens auch in diesem Fall
richtig, dass man solche Lücken benennt und schließt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Instrumentalisierung! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätte man ja gar nicht gebraucht! Er hätte nur einmal auf Arabisch angesprochen werden müssen!)


Der Fall Franco A . zeigt auch noch etwas anderes,
nämlich dass die Dinge, die wir hier im Deutschen Bun-
destag beschließen, auch konsequent angewendet werden
müssen . Nach bestehender Rechtsgrundlage hätte Franco
A . nie eine Asylanerkennung bekommen . Wir müssen
die Dinge, die wir hier beschließen, also tatsächlich auch
vollziehen . Das ist das A und O .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Deshalb verschärfen wir jetzt alles!)


Dafür gibt es tatsächlich auch einen Hauptverantwort-
lichen: Das ist der Bundesinnenminister . Aus dieser Ver-
antwortung werden wir ihn auch nicht entlassen, und ich
sage es einmal ganz offen: Hier würde ich mir hin und
wieder auch einmal die Tatkraft wünschen, die der Ber-
liner Innensenator Andreas Geisel gerade im Fall Anis
Amri gestern noch an den Tag gelegt hat .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823426400

Als nächster Redner hat Volker Beck für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823426500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich fin-

de, Herr Lischka hat schön illustriert, was der Sinn die-
ses Gesetzgebungsverfahrens ist: ein großes Blendwerk,
eine einzige juristische Blendgranate gegen das exekuti-

Burkhard Lischka






(A) (C)



(B) (D)


ve Versagen im Bund und in den Ländern im Fall Anis
Amri .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das, was Sie hier vorlegen, hat mit der Problematik doch
überhaupt nichts zu tun .

Eines will ich Ihnen sowieso sagen: Ja, Leute, die hier
kein Aufenthaltsrecht haben, sollen ausreisen . Dafür soll
man auch alles im Rahmen des Rechtsstaatlichen tun .
Aber am Ende entscheidet sich diese Frage nicht an der
Menge der Tinte, die Sie in Gesetzbücher gießen, son-
dern daran, ob die Bundesregierung belastbare Verein-
barungen mit anderen Regierungen über die Rücknah-
me von ausreisepflichtigen Personen aus ihren Ländern
hinbekommt oder eben nicht . Am Ende können Sie die
Leute stattdessen auch nicht jahrelang in Haft nehmen,
bloß weil die Bundesregierung ihre exekutiven Aufgaben
nicht wahrgenommen hat .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie sagen: „Das alles ist jetzt die Antwort auf
Anis Amri“, dann erklären Sie mir jetzt doch mal, was
das Problem der Vaterschaftsanerkennung, von dem
in Ihrem Gesetzentwurf zu lesen ist, mit dem Fall Anis
Amri zu tun hat .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja, eine gute Frage!)


Das hat überhaupt nichts damit zu tun . Sie gehen hier
robust an das Recht auf ein Familienleben dann heran,
wenn Migranten oder Flüchtlinge betroffen sind . Das,
was Sie hier machen, ist schofel, respektlos und desin-
tegrativ .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich habe nichts gegen die ersten Abschnitte zur Va-
terschaftsanerkennung, in denen steht, dass man den
Vorwürfen gegen diejenigen nachgeht – und das entspre-
chend anficht –, die Geld dafür nehmen, dass sie eine
Vaterschaftsanerkennung aussprechen, oder die sagen,
dass sie das machen, damit jemand einen Aufenthaltstitel
erwirken kann .

Es geht aber nicht, dass man bei jeder Familienkon-
stellation, bei der eine Vaterschaftsanerkennung einen
aufenthaltsrechtlichen Effekt hat – ich denke insbeson-
dere an Mütter, von denen man weiß, dass sie ihren Part-
ner hier nicht heiraten können, weil sie keine Papiere
haben –, behauptet, dieses Familienverhältnis existiere
nicht, sodass man die entsprechenden Behörden los-
schickt . Man glaubt ihnen also nicht, dass diese Famili-
enkonstellation existiert . Das ist ein genereller Verdacht
gegen alle diese Menschen, und es wundert mich schon
sehr, dass Sie hier versuchen, Anis Amri als Blendgrana-
te zu nutzen und das entsprechend zu verkaufen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit diesem Gesetzentwurf schießen Sie in weiten Tei-
len einfach vollkommen über das Ziel hinaus .

Schauen Sie sich an, was Sie hier zur Sicherungshaft
aufgeschrieben haben . Sie müssen sich doch einmal in
Erinnerung rufen, was uns das Bundesverfassungsgericht
zur Sicherungsverwahrung von verurteilten Straftätern
gesagt hat . Sie können Menschen doch nicht beliebig
ihre Freiheit nehmen, weil Sie denken, dass sie vielleicht
mal was machen könnten . Aber sie haben noch nichts
gemacht . – Diese Konstruktion wählen Sie hier . Sobald
es einen findigen Anwalt gibt, wird Ihnen das Bundes-
verfassungsgericht das beim ersten Fall um die Ohren
hauen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE])


Erinnern Sie sich doch daran, dass wir selbst verur-
teilte, schwergefährliche Sexualverbrecher und Mörder
aus der Sicherungshaft entlassen mussten, weil das aus
rechtlichen Gründen – ne bis in idem – rechtsstaatlich
nicht anders gemacht werden konnte . Das fand ich da-
mals sehr schwierig, und trotzdem war es im Rechtsstaat
richtig, auf solche Rechtsgrundsätze zu achten . Und das,
was Sie hier heute vorlegen, wiegt doch drei- oder vier-
mal schwerer!

Was machen Sie, wenn Sie gegen einen Verdächtigen
nichts in der Hand haben, wenn er nicht Mitglied einer
terroristischen Vereinigung ist, also auch keine terroris-
tischen Aktivitäten unterstützt, sondern er nur, wie Sie
glauben, den falschen Umgang hat? Viel mehr steht im
Gesetz nicht als Voraussetzung, wenn man genauer hin-
schaut . „Gefahr für die innere Sicherheit“ – was ist denn
das bitte schön? Das ist nicht genug . Wenn man noch
nicht einmal einen vernünftigen Anfangsverdacht hat,
der konkretisiert wird und sich an Tatsachen orientiert,
dann ist das hier einfach keine seriöse Gesetzgebung .

Wissen Sie, wenn die Polizei hier in Berlin im Fall
Anis Amri – das wissen wir; das können Sie in der morgi-
gen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung nachlesen – ihren
Job gemacht hätte, dann hätte sie ausreichend Beweise
für einen Haftbefehl gehabt, aber nicht, weil er vielleicht
mal was machen würde, sondern weil er vermutlich
Straftaten begangen hat, die eine Verhaftung gerechtfer-
tigt hätten . Es gab ein Totalversagen . Das können Sie hier
mit diesem Gesetzentwurf nicht verdecken, mit dem Sie
viele rechtsstaatliche Kriterien zerstören .

Was bitte schön hat das Auslesen von Handydaten mit
Anis Amri zu tun? Es ist ja sogar die Erlaubnis vorgese-
hen, dass in Zukunft das BKA diese Informationen selbst
mit Drittstaaten tauschen darf .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823426600

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823426700

Nach der Sache mit Trump und Lawrow sollten wir

mit der Weitergabe von personenbezogenen Daten von
Menschen, die sich noch nichts haben zuschulden kom-
men lassen, sehr vorsichtig sein . Über diese reden wir bei
diesem Gesetzentwurf .

Volker Beck (Köln)







(A) (C)



(B) (D)


Ich bin schon sehr erstaunt über Ihre Rede, Herr
Lischka . Sie haben noch nicht einmal versucht, in der
Sache zu begründen, sondern haben sich allein auf das
Ablenkungsmanöver bezogen .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823426800

Herr Kollege, ich muss Sie noch einmal bitten, zum

Schluss zu kommen .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823426900

Vielen Dank, Frau Präsidentin, für Ihre Geduld . – Ich

hoffe, der Gesetzentwurf wird nicht beschlossen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823427000

Als nächster Redner hat Stephan Mayer für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1823427100

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Das Gesetz zur besseren
Durchsetzung der Ausreisepflicht, das wir verabschieden
werden, Herr Kollege Beck, ist aus meiner Sicht eine
weitere sehr wichtige Etappe auf dem Weg, ausreise-
pflichtige Migranten schneller und konsequenter abzu-
schieben .

Wir sprechen zwar bei diesem Gesetzespaket nicht
von einem dritten Asylpaket . Aber ich bin der festen
Überzeugung, dass es mit Blick auf den Inhalt und den
Umfang mit den ersten beiden Asylpaketen durchaus ver-
gleichbar ist .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So viel verfassungswidriges Zeug haben Sie in den anderen nicht gehabt!)


Es geht darum, dass wir konsequenter die Personen
außer Landes bringen, die in unserem Land kein Blei-
berecht haben . Ende April dieses Jahres waren das rund
220 000 Menschen, die an sich Deutschland verlassen
müssten, das aber aus unterschiedlichen Gründen bislang
nicht getan haben . Ich mache, meine sehr verehrten Kol-
leginnen und Kollegen, keinen Hehl daraus: Mir wäre es
sehr lieb gewesen, wenn wir dieses Gesetz deutlich frü-
her verabschiedet hätten .

Herr Kollege Beck, ich möchte mit einem Vorurteil
aufräumen . Dieses Gesetz hat nicht unmittelbar etwas
mit Anis Amri zu tun .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Herr Lischka gerade anders gesagt! Was denn nun? Kann sich mal die Koalition einigen, warum sie das hier überhaupt macht? – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was denn jetzt?)


Ein Großteil des Inhaltes dieses Gesetzes geht auf weit-
aus ältere Vorschläge des Bundesinnenministers zurück .
Bundesinnenminister de Maizière hat bereits am 11 . Au-

gust letzten Jahres im Nachgang zu den Anschlägen von
Würzburg und Ansbach einen Großteil der Vorschläge,
die jetzt Inhalt dieses Gesetzes sind, gemacht .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja! Wenn irgendetwas passiert, holen Sie immer alles aus den Schubladen raus!)


Es gibt einen Gesetzentwurf aus dem Bundesinnenmi-
nisterium vom Oktober letzten Jahres, also lange vor dem
Anschlag vom Breitscheidplatz . Dieser Gesetzentwurf
hat leider nicht das Licht der Öffentlichkeit erblickt, weil
er am Widerstand unseres Koalitionspartners geschei-
tert ist . Ich bin aber froh, dass es jetzt gelungen ist, Herr
Kollege Lischka, die Verhandlungen nach dem Anschlag
vom Breitscheidplatz sehr schnell aufzunehmen und die-
sen Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also jetzt doch Breitscheidplatz! Herr Mayer, Sie widersprechen sich jetzt schon selber!)


Ich bin, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kolle-
gen, sehr froh, dass es uns im parlamentarischen Verfah-
ren gelungen ist, den an sich schon sehr guten Gesetzent-
wurf noch besser zu machen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben im parlamentarischen Verfahren noch wichti-
ge Punkte mit aufgenommen, beispielsweise was die Re-
sidenzpflicht für Gefährder betrifft. Herr Kollege Beck,
der Begriff „Gefährder“ ist schon klar definierbar. Es
handelt sich dabei um Personen der Preisklasse von Anis
Amri,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Preisklasse“ ist jetzt kein konkreter Rechtsbegriff!)


also um Personen, von denen eine erhebliche Gefahr für
Leib und Leben Dritter oder für bedeutende Rechtsgüter
der inneren Sicherheit ausgeht .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sind denn die tatsächlichen Voraussetzungen dafür, Herr Mayer? Erklären Sie das mal!)


Es ist richtig, dass wir jetzt klarmachen, dass diese Ge-
fährder in Abschiebehaft gehören und dass sie in der Ab-
schiebehaft vor allem in Justizvollzugsanstalten unterge-
bracht werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823427200

Herr Mayer, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kol-

legen Beck zu?


(Marian Wendt [CDU/CSU]: Er hat schon geredet!)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1823427300

Selbstverständlich, sehr gerne .

Volker Beck (Köln)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823427400

Herr Beck .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823427500

Gesetzgebungsdiskussionen haben ja immer auch die

wichtige Funktion, Voraussetzungen zu definieren und
unbestimmte Rechtsbegriffe aufzulösen . Was sind denn
die tatsächlichen Voraussetzungen für die Fälle der Ge-
fahr für die innere Sicherheit, die Sie gerade beschrieben
haben? Was muss da gegeben sein bei Leuten, die sich
nicht strafbar gemacht haben, um die Voraussetzungen
zu erfüllen?

„Preisklasse Anis Amri“ ist kein Hinweis . Was soll
das konkret bedeuten? Was muss vorgefallen sein? Was
muss die Polizei in ihren Händen haben, damit diese Re-
gelung tatsächlich greifen kann? Das würde ich gerne
mal wissen .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht das in Ihrem Gesetzentwurf?)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1823427600

Herr Kollege Beck, der Begriff des Gefährders stammt

aus dem Polizeirecht,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht aber gar nicht im Gesetz! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Der steht nicht im Gesetz!)


und wir haben derzeit in Deutschland ungefähr 600 von
den Landeskriminalämtern eingestufte Gefährder .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da steht „Gefahr für die innere Sicherheit“, nicht „Gefährder“!)


Dabei handelt es sich um Personen, zu denen nicht etwa
irgendwelche vagen Vermutungen vorliegen, sondern es
bedarf konkreter Hinweise, dass diese Personen in sala-
fistische bzw. islamistische Netzwerke mit einbezogen
sind, dass sie zu Islamisten Kontakt haben, dass sie an-
gekündigt haben, in Deutschland Anschläge zu verüben,
oder dass sie sich in salafistischen Kreisen aufhalten.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht da nirgendwo!)


Es ist eben nicht so, wie Sie behaupten, Herr Kollege
Beck, dass hier mit reiner Willkür jeder einbezogen wer-
den kann, sondern es bedarf ganz konkreter Hinweise,
dass eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter
oder für bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit
besteht .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine tatsachengestützte Gefahrenprognose! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht gar nicht drin im Gesetzentwurf! – Gegenruf von der CDU/CSU: Hören Sie doch auf, Mensch!)


Ich bin sogar froh, dass es jetzt gelungen ist, diesen Be-
griff des Gefährders erstmals im Bundesrecht klar fest-
zulegen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
bin vor allem froh darüber, dass diese Gefährder jetzt
auch in normalen Justizvollzugsanstalten untergebracht
werden können . Auch in meinem Wahlkreis gibt es eine
Abschiebehaftanstalt, und ich sage ganz offen: Es wäre
der Bevölkerung nicht zumutbar, dass in relativ kleinen,
auch durchaus nicht optimal gesicherten Abschiebehaft-
anstalten Gefährder untergebracht werden . Sie können
vielmehr in Hochsicherheitsgefängnissen oder in Justiz-
vollzugsanstalten untergebracht werden .

Wichtig ist darüber hinaus, dass wir Möglichkeiten
schaffen, um konsequent gegen Personen vorzugehen, die
unsere Regeln ausnutzen, um sich ein Aufenthaltsrecht in
Deutschland zu erschleichen . Dabei ist die Mitteilungs-
pflicht von Behörden, die Wind davon bekommen, dass
sich ein Flüchtling in sein Heimatland zurückbegibt, ge-
genüber dem jeweiligen Ausländeramt von entscheiden-
der Bedeutung . Wenn ein Flüchtling in sein Heimatland
zurückkehren kann, muss zumindest überprüft werden
können, ob die Voraussetzungen für die Einstufung als
Flüchtling oder als subsidiär Schutzberechtigter über-
haupt noch vorliegen . Es ist kein zwingender Automa-
tismus, dass dann der Flüchtlingsstatus aberkannt wird,
aber es muss doch zumindest die Möglichkeit bestehen,
dass man die Ausländerbehörde in die Lage versetzt, die
Tatsachen noch einmal zu überprüfen .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei Bundeswehrsoldaten, finde ich, sollten wir das ändern!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823427700

Herr Mayer, lassen Sie noch eine Zwischenfrage, dies-

mal der Kollegin Mihalic, zu?


Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1823427800

Selbstverständlich . Sehr gerne .


Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823427900

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Frage zulas-

sen . – Sie haben vorhin gesagt, dass der Gefährderbegriff
aus dem Polizeirecht stammt . Können Sie mir mal bitte
das Gesetz nennen, wo der Gefährderbegriff legal defi-
niert ist?


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Gut! Sehr gute Frage!)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1823428000

Frau Kollegin Mihalic, ich habe dem Kollegen Beck

erläutert, dass der Begriff des Gefährders aus dem Poli-
zeirecht stammt, also aus dem Landesrecht .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)







(A) (C)



(B) (D)


Die Länder haben die Befugnis, festzulegen, welche
Personen sie für so gefährlich erachten, dass sie sie bei-
spielsweise mit einer Telefonüberwachungsmaßnahme
überziehen .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Nennen Sie mal das Gesetz, das es darstellt! Wo steht es drin?)


– Die Länder haben die Befugnis aufgrund ihrer Poli-
zeiaufgabengesetze, festzulegen, wen sie als so brisant
und gefährlich einstufen, dass sie davon ausgehen, dass
zumindest die Gefahr besteht, dass der Betreffende einen
Anschlag in Deutschland unternimmt .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben echt keinen blassen Schimmer!)


Das ist keine Bundeskompetenz .

Ich bin Ihnen ja dankbar, Frau Kollegin Mihalic, dass
Sie diese Frage noch einmal stellen . Von daher bezieht
sich meine Antwort auch darauf . Kollege Lischka hat
insinuiert, als wären jetzt bei allem der Bund und der
Bundesinnenminister in der Verantwortung . Man muss
nun einmal sehen: Das Bundeskriminalamt hat keinen
einzigen Gefährder eingestuft . Alle Gefährder, die wir in
Deutschland haben, sind von den Landeskriminalämtern
eingestuft worden .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fundstelle! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Fundstelle!)


Deswegen ist auch das Hauptversagen, das zu dem
Anschlag am Breitscheidplatz geführt hat, bei den Lan-
deskriminalämtern in Nordrhein-Westfalen und Berlin
anzusiedeln . Da liegt die Ursache . Da ist geschludert
worden,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


auch zum Beispiel aufgrund noch fehlender rechtlicher
Instrumente wie der Möglichkeit, Gefährder in Nord-
rhein-Westfalen oder Berlin präventiv mit einer Telefon-
überwachungsmaßnahme zu überziehen, was beispiels-
weise in Bayern selbstverständlich möglich ist .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch einfach, wenn Sie es nicht wissen! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss nicht alles wissen, Herr Mayer! Mut zur Lücke! – Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Antwort!)


Ein weiterer wichtiger Punkt ist der schon erwähnte,
dass wir auch Regelungen schaffen, um Scheinvater-
schaften effektiv bekämpfen zu können . Das, was Sie,
Herr Kollege Beck, immer so stereotyp von sich geben,
dass hier alle unter Generalverdacht gestellt werden,
stimmt einfach nicht . Das trifft einfach nicht zu . Auch
hier müssen konkrete Hinweise vorliegen, dass eine Va-

terschaft in missbräuchlicher Weise anerkannt wurde, um
einen Aufenthaltstitel zu erschleichen .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wer entscheidet das denn? Die Ausländerbehörde?)


Ich finde, dann ist es auch recht und billig, die Möglich-
keit zu schaffen, eine Vaterschaft wieder abzuerkennen .

Darüber hinaus ist es auch in sicherheitspolitischer
Hinsicht wichtig, dass wir das Bundeskriminalamt in die
Lage versetzen, die Daten von Migranten mit den Daten-
banken befreundeter Länder abzugleichen .

Ich sage zum Abschluss, meine sehr verehrten Kolle-
ginnen und Kollegen, ganz deutlich: Dieses Paket ist ab-
gerundet . Es führt zu einem deutlichen Fortschritt, wenn
es darum geht, ausreisepflichtige Personen effektiver und
konsequenter außer Landes zu bringen . Aber wir hätten
uns an der einen oder anderen Stelle durchaus noch mehr
vorstellen können, beispielsweise wenn es um das Ausle-
sen eines Handys geht . Herr Kollege Lischka, Sie haben
ja die Vorteile erwähnt . Uns wäre es sehr lieb gewesen,
wenn wir das Auslesen eines Handys nicht nur zur Fest-
stellung der Identität nutzen könnten, sondern auch zur
Feststellung des Reiseweges . Auch die Einbeziehung der
Bundespolizei in den automatisierten Datenabgleich ist
ein wichtiger Punkt .

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, das
sind Punkte, die auf der Agenda bleiben . Sie sind nicht
aufgehoben, sondern nur aufgeschoben . In diesem Sin-
ne bitte ich um die größtmögliche Unterstützung dieses
wichtigen und bedeutsamen Gesetzentwurfes .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823428100

Ich schließe die Aussprache, und wir kommen zur

Abstimmung über den von der Bundesregierung einge-
brachten Gesetzentwurf zur besseren Durchsetzung der
Ausreisepflicht. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12415, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa-
chen 18/11546 und 18/11654 in der Ausschussfassung
anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich
jemand? – Damit ist der Gesetzentwurf in der zweiten
Beratung mit den Stimmen der Koalition – bis auf zwei
Mitglieder der SPD – bei Gegenstimmen der Opposition
angenommen worden .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . Wer
stimmt dagegen? – Entschuldigung! Wer stimmt dafür?


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abgelehnt, Frau Präsidentin! Kein zweiter Versuch! Die Vorlage ist futsch! Die Blendgranate ist geplatzt! – Heiterkeit)


Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)


– Nein, das muss ich jetzt korrigieren, liebe Kolleginnen
und Kollegen . Das betraf diejenigen, die dafür gestimmt
haben .

Jetzt frage ich: Wer stimmt dagegen? – Enthält sich
jemand? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stimmen
der Koalition bei Gegenstimmen der Opposition und
zweier Abgeordneter der SPD-Fraktion angenommen
worden .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt zwei vernünftige Sozialdemokraten! Sie zeigen es bloß nicht!)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin
Binder, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Lebensmittelretterinnen und Lebensmittelret-
ter entkriminalisieren

Drucksache 18/12364
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Die Reden zu dieser Debatte sollen zu Protokoll ge-
geben werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/12364 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall . Dann ist das auch so
beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäsche-
richtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtrans-
ferverordnung und zur Neuorganisation der
Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersu-
chungen

Drucksachen 18/11555, 18/11928, 18/12181
Nr. 1.8

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/12405

Hierzu liegen drei Änderungsanträge der Fraktion Die
Linke vor .

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann
ist das auch so geschehen .2)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12405, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/11555 und 18/11928 in der
Ausschussfassung anzunehmen . Dazu liegen drei Ände-

1) Anlage 5
2) Anlage 6

rungsanträge der Fraktion Die Linke vor, über die wir
zuerst abstimmen .

Zunächst stimmen wir über den Änderungsantrag auf
Drucksache 18/12428 ab . Wer stimmt für diesen Ände-
rungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich je-
mand? – Damit ist dieser Änderungsantrag mit den Stim-
men der Koalition gegen die Stimmen der Opposition
abgelehnt worden .

Ich lasse jetzt über den Änderungsantrag auf Druck-
sache 18/12429 abstimmen . Wer stimmt diesem Ände-
rungsantrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich
jemand? – Dann ist auch dieser Änderungsantrag mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi-
on abgelehnt worden .

Jetzt lasse ich über den Änderungsantrag auf Druck-
sache 18/12430 abstimmen . Wer stimmt für diesen Än-
derungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich
jemand? – Damit ist auch dieser Änderungsantrag mit
den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Op-
position abgelehnt worden .

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalition bei Enthaltung der Opposition
angenommen worden .

Ich komme zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition bei Ent-
haltung der Opposition ohne Gegenstimmen angenom-
men worden .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Omid
Nouripour, Katrin Göring-Eckardt, Cem
Özdemir, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für einen radikalen Kurswechsel in der Je-
menpolitik

Drucksache 18/12121

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in der
Aussprache hat Omid Nouripour für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort .


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823428200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Je-

men stirbt – still . Seit über zwei Jahren sehen wir zu –
ohne größere öffentliche Aufmerksamkeit der internati-
onalen Gemeinschaft –, wie das arme und stolze Land
in die Steinzeit gebombt wird, wie Zehntausende Men-
schen getötet werden, wie Millionen vertrieben werden,

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


wie sie unter Unterernährung und Krankheiten leiden .
Fast 20 000 Fälle von Cholera – Cholera im 21 . Jahr-
hundert! – gibt es bereits, und die Epidemie hat gerade
erst begonnen . 500 000 Kinder sind akut mangelernährt .
Das heißt, 500 000 Kinder könnten jeden Augenblick an
Unterernährung sterben oder werden mit schweren kör-
perlichen und geistigen Folgeschäden rechnen müssen .
Wir sehen seit nun über zwei Jahren, wie das reiche kul-
turelle Menschheitserbe Jemens, die Vergangenheit des
Landes, zerstört wird . Aber auch die Lebensadern, die
von deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern mit
finanziert und von deutschen Entwicklungshelferinnen
und Entwicklungshelfern mit aufgebaut wurden, werden
zerstört, genauso wie die Zukunft des Landes, nämlich
die Kinder und die Familien .

Der Krieg im Jemen ist eine der größten humanitä-
ren Katastrophen unserer Zeit und wird trotzdem kaum
wahrgenommen, erstens weil keine Flüchtlinge kom-
men – schon aus geografischen Gründen und wegen der
Sperre kann niemand aus dem Land herauskommen –
und zweitens weil die internationale Gemeinschaft, aber
auch die Regierungen keine klaren Worte finden, um das
auszudrücken, was dort passiert . Ich bin sehr dankbar,
dass das Auswärtige Amt sehr viel tut und zahlreiche di-
plomatische Aktivitäten angestoßen hat . Das ist ein gro-
ßer Beitrag, um den Konflikt hoffentlich zu beenden.

Reicht das? Die Frage ist legitim angesichts einer
der größten Katastrophen unserer Zeit . Haben wir, hat
Deutschland, hat diese Bundesregierung alles getan, was
sie konnte? Die Antwort lautet: Nein . – Während Sau-
di-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate so-
wie andere Staaten das Rückgrat Jemens weggebombt –
und das mit europäischen Flugzeugen und Bomben; auch
Deutschland hat seinen Anteil daran –, Schulen, Kran-
kenhäuser, Flüchtlingslager und Zementfabriken zerstört
sowie Häfen und Flughäfen geschlossen haben, hat die
Bundesregierung nicht nur die Genehmigungen für be-
reits bestehende Rüstungsexporte nicht widerrufen – das
wäre notwendig gewesen –, sondern sogar auch neue Ge-
nehmigungen erteilt, die sich auf diese Länder beziehen .

Die Damen und Herren der Regierung finden keine
klaren Worte . Im Gegenteil: Der ehemalige Bundesau-
ßenminister Steinmeier sprach im Zusammenhang mit
dem Krieg im Jemen über legitime saudische Sicher-
heitsinteressen . Er sagte, das Land spiele weiterhin eine
Schlüsselrolle für die Sicherheit und Stabilität in der ge-
samten Region . Keine Sicherheit für die jemenitischen
Kinder!

Der Kollege Joachim Pfeiffer von der Union sagte
von diesem Pult aus am 8 . Juni letzten Jahres, er sei froh,
dass Saudi-Arabien dafür sorge, dass auf der Arabischen
Halbinsel, also auch im Jemen, das Töten von Menschen
und der Bürgerkrieg beendet würden . Es tut mir leid: Das
ist einfach nur verblendeter Zynismus .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Der aktuelle Außenminister, Sigmar Gabriel, hat vor-
gestern eine Presseerklärung verfasst . Er spricht über
die humanitäre Katastrophe, er spricht von Cholera, er
spricht von Hunger und von Krankheiten . Das, was er

aber nicht schafft, ist, das Wort „Saudi-Arabien“ aus-
zusprechen oder auch nur eines der anderen Länder in
dieser Koalition zu nennen. Ich finde, wenigstens das ist
man den Menschen im Jemen derzeit schuldig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich will nicht falsch verstanden werden: Die Situati-
on im Jemen ist nicht alleine die Schuld der Koalition
um Saudi-Arabien . Die Huthis haben diesen Krieg be-
gonnen; der Exdiktator Saleh hat ihn vorangetrieben .
Die Iraner schauen auch nicht nur friedlich zu – das ist
richtig –, aber genau deswegen kommt niemand auf die
Idee, dem Iran Waffen zu verkaufen . Genau deswegen
kommt niemand auf die Idee, davon zu sprechen, dass
Saleh legitime Sicherheitsinteressen habe, während seine
Milizen die Stadt Taizz seit Monaten abriegeln und keine
humanitären Güter hineinlassen . Das ist die Heuchelei
bei der Art und Weise, wie wir mit dem Jemen umgehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sollten in dieser Lage tun, was wir können . Dazu
gehören die Einstellung der Rüstungsexporte und das
klare Aussprechen dessen, was notwendig ist und wie die
Lage derzeit aussieht . Es reichen keine Ausreden mehr .
Das hat auch das Europäische Parlament begriffen . Es
hat neulich einen Stopp der Waffenexporte in die Region
gefordert, Gott sei Dank auch mit den Stimmen der Sozi-
aldemokratie . Wir hätten heute die Möglichkeit, diesem
wirklich klugen Vorbild zu folgen . Darüber würde ich
mich sehr freuen . Ich glaube, das Mindeste, was wir den
Menschen im Jemen schulden, ist auszusprechen, was
dort gerade passiert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823428300

Als nächster Redner hat Dr . Johannes Wadephul für

die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Johann Wadephul (CDU):
Rede ID: ID1823428400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Kollege Nouripour hat zu Recht darauf hin-
gewiesen: Wir erleben im Jemen eine Krise ungeahnten
Ausmaßes . Die Choleraepidemie weitet sich offenbar
bedauerlicherweise aus . Es gibt viele Todesfälle . Die
Provinz Hadramaut erklärte sich für unabhängig . Präsi-
dent Hadi hat den Gouverneur der Stadt Aden entlassen .
Darauf flohen alle Minister der Hadi-Regierung aus der
Stadt . Bedauerlicherweise nehmen die Unabhängigkeits-
bestrebungen im Süden wieder zu . Das Land droht erneut
auseinanderzubrechen, was eine schlimme Entwicklung
wäre . Trotz der militärischen Überlegenheit hat die sau-
disch geführte Allianz im Kampf gegen die Huthi-Re-
bellen den Frontverlauf nicht entscheidend verändern
können .

Die Krisen im Jemen sind vielfältig . Viele von ihnen
sind durch die innenpolitischen Entwicklungen haus-
gemacht . Wer sich die innenpolitische Lage des Jemen
anschaut, stellt fest: Die saudischen Luftangriffe sind

Omid Nouripour






(A) (C)



(B) (D)


schlimm, sie sind auch unverhältnismäßig, sie sind aber
nur eines von vielen Problemen . Deswegen ist es erstaun-
lich, dass Ihr Antrag, Herr Kollege Nouripour, nur einen
Hauptschuldigen nennt: Saudi-Arabien .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben mir, glaube ich, nicht zugehört!)


Wenn wir dem Entwurf Ihres Antrags, den Sie vor-
gelegt haben, folgen würden – vielleicht können wir ihn
verbessern –, dann würde Deutschland aus unserer Sicht
keinen sinnvollen Beitrag zu einer Friedenslösung leis-
ten, sondern nur den moralischen Zeigefinger heben.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben den Antrag nicht gelesen! Tut mir leid! Es ist nicht der Antrag, über den Sie sprechen!)


Außenpolitik ist aber, glaube ich, ein bisschen mehr .
Wenn Sie bewerten, was die deutsche Regierung in der
Vergangenheit gemacht hat, dann sollten Sie bitte nicht
zu gering schätzen, dass die Bundeskanzlerin in diesen
Zeiten – es standen einige Wahlkämpfe an, und es steht
der Bundestagwahlkampf bevor – eine Reise in die Re-
gion gemacht hat, in Dschidda war und auch mit den
Saudis gesprochen hat . Sie hat sehr klare und deutliche
Worte auch zu den Luftangriffen im Jemen gefunden . Ich
hätte gut gefunden, wenn Sie das gewürdigt hätten . Da
Sie es nicht tun, will ich es tun . Ich freue mich, dass die
Bundeskanzlerin in der Region gewesen ist und sich klar
positioniert hat .


(Beifall bei der CDU/CSU – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat sie nicht!)


Ich will darauf hinweisen, dass der UN-Sonderge-
sandte für den Jemen, Sheikh Ahmed, der im März hier
in Berlin war, gesagt hat, dass man im Jemen keinen
Fortschritt erzielt, wenn man die Sicherheitsinteressen
Saudi-Arabiens bei den Verhandlungen zu wenig be-
rücksichtigt . Saudi-Arabien ist seit zwei Jahren unter Be-
schuss ballistischer Raketen durch die Huthis; das muss
man sehen . Diese Raketen können sogar die Hauptstadt
und sie könnten auch die heiligen Stätten erreichen . Jeder
ahnt, was dann in der Region los wäre . Die Huthis grei-
fen mit sprengstoffbeladenen Boten Schiffe in der Meer-
enge Bab al-Mandab an und verminen den Seeraum . Im
Oktober 2016 – so lange ist das noch nicht her – wurde
dabei ein Frachter der Vereinigten Arabischen Emirate
zerstört . Dem muss man Einhalt gebieten, wenn auch
weiterhin Hilfslieferungen in den Jemen gelangen sollen .
Ich glaube, das ist unser gemeinsames Interesse .

Ich will nicht verschweigen – das habe ich gerade
schon angesprochen –, dass die saudischen Luftangriffe
erhebliches Leid unter der Zivilbevölkerung hervorru-
fen und dass es bislang keine positive strategische Ver-
änderung gegeben hat . Wir haben Saudi-Arabien immer
wieder gesagt, dass es eine politische Lösung braucht
und keine militärische geben wird . Sie sind ja bei einem
Besuch des damaligen Außenministers Frank-Walter
Steinmeier dabei gewesen und haben miterlebt, wie er
das dort sehr deutlich gesagt hat . Sigmar Gabriel hat

sich dem angeschlossen und dazu am 16 . Mai 2017 eine
entsprechende Erklärung abgegeben . Deswegen möchte
ich da den ehemaligen und den jetzigen Außenminister
ausdrücklich in Schutz nehmen . Das Außenamt der Bun-
desrepublik Deutschland hat sich ganz eindeutig hinter
die Vermittlungsbemühungen des UN-Sondergesandten
gestellt .


(Beifall des Abg . Niels Annen [SPD])


Diese Politik werden wir weiterhin unterstützen . Das ist
das einzig Sinnvolle, was hier zu einem Ergebnis führen
kann . Herr Kollege Nouripour, Deutschland ist hier ins-
gesamt gut positioniert .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir sind an dieser Stelle auf keinem Auge blind .

Im Übrigen ist Deutschland zum Glück in der Lage,
auch finanzielle Mittel bereitzustellen. Ich will auf die
Geberkonferenz am 25 . April dieses Jahres hinweisen,
auf der von deutscher Seite 50 Millionen Euro für huma-
nitäre Hilfe und 55 Millionen Euro für die Entwicklungs-
zusammenarbeit zugesagt wurden . Das ist zwar nur ein
minimaler Beitrag zur Linderung der Not, aber ein nicht
zu unterschätzender Beitrag insgesamt .

Ich glaube, wir brauchen einen Ansatz, der etwas
übergreifender ist als derjenige, den Sie in Ihrem Antrag
geliefert haben . Ihre Rede hat schon erste Andeutungen
enthalten, wie man das noch verbessern kann . Da soll-
ten wir in den Ausschussberatungen ansetzen, um zu ge-
meinsamen Lösungen zu kommen . Denn eines ist klar:
Das menschliche Leid im Jemen muss verringert werden,
und dazu müssen wir an alle appellieren . Dazu brauchen
wir Saudi-Arabien, dazu brauchen wir aber auch den
Iran, und dazu brauchen wir auch Einfluss auf die Huthis.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823428500

Als nächste Rednerin hat Sevim Dağdelen für die

Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823428600

Verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Reden wir doch bitte Klartext zum Jemen und
zur Mitverantwortung vor allen Dingen der Bundesregie-
rung für die katastrophale humanitäre Situation in diesem
Land .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Der machtpolitisch motivierte Krieg Saudi-Arabiens
gegen den Jemen, der vor allem die jemenitische Zi-
vilbevölkerung trifft, ist die Hauptursache für das sich
täglich zuspitzende Elend . UNICEF beklagt: Infolge der
saudisch geführten Angriffe sind mehr als 1 500 Kinder
getötet worden . 2 500 Kinder wurden infolge der Kämpfe
verstümmelt . Nach UNO-Angaben sind bis heute etwa
10 000 Zivilisten getötet und etwa viermal so viele ver-

Dr. Johann Wadephul






(A) (C)



(B) (D)


letzt worden, und die Dunkelziffer ist viel höher . Durch
die Zerstörung der Infrastruktur im Jemen durch die
saudi-arabische Luftwaffe ist jetzt auch noch die Chole-
ra ausgebrochen . Die Vereinten Nationen sprechen von
über 180 Toten und 14 000 Verdachtsfällen . Dazu kommt
vor allem, dass durch die saudische Blockade jemeniti-
scher Häfen – man spricht auch von der Hungerblocka-
de – 7 Millionen Menschen im Jemen der Hungertod
droht . Hunderttausende Kinder sind gefährdet . Das, was
hier unter unseren Augen abläuft, ist nichts anderes als
ein Massaker ungeheuerlichen Ausmaßes durch die isla-
mistische Kopf-ab-Diktatur Saudi-Arabien, Ihrem Ver-
bündeten, besonders bei der Union .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Außenminister Gabriel hat vorgestern im Ge-
spräch mit der saudischen Marionettenregierung des
Jemen erklärt, Deutschland wolle bei der Lösung des
Konflikts eine aktive Rolle einnehmen. Zugleich muss
man aber konstatieren: Deutschland spielt schon eine
sehr aktive Rolle . Deutschland liefert weiter Waffen
an Saudi-Arabien, und Frau Bundeskanzlerin Merkel
hat darüber hinaus bei ihrem jüngsten Besuch bei der
Kopf-ab-Diktatur Saudi-Arabien zugesagt, saudische
Militärs von der deutschen Bundeswehr ausbilden zu las-
sen .


(Zuruf von der LINKEN: Pfui Teufel!)


Ich finde Ihre Außenwirtschaftspolitik wirklich unerträg-
lich .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Saudi-Arabien ist ein Großkunde der deutschen Rüs-
tungskonzerne . 2016 betrug das Exportvolumen 529 Mil-
lionen Euro . Die Saudis bekommen Patrouillenboote und
Technik für Radarüberwachung . Diese Kopf-ab-Diktatur
darf sich zudem deutsches Waffen-Know-how ins Land
holen . Die Düsseldorfer Waffenschmiede Rheinmetall ist
an einer Munitionsfabrik vor Ort beteiligt und verdient
über Lizenzen kräftig mit . Pro Tag können dort 300 Ar-
tilleriegranaten oder 600 Mörsergranaten produziert wer-
den . Wissen Sie was? In der deutschen Rüstungsexport-
statistik tauchen diese Zahlen überhaupt nicht auf . Was
Sie mit Ihrer Außenwirtschaftspolitik veranstalten, ist
nichts anderes als Beihilfe zum Mord .


(Beifall bei der LINKEN)


Die saudische Diktatur mordet im Jemen und ist
Hauptverantwortlicher für diese humanitäre Katastro-
phe . Sie unterstützen dieses mörderische Regime, das
weltweit islamistischen Terror fördert, und das auch noch
militärisch . Eben haben wir noch über die Gefährder ge-
sprochen, die Sie wegsperren wollen . Aber wieso pak-
tieren Sie denn mit denen, die weltweit diese Gefährder
fördern? Warum paktieren Sie mit diesen Terrorpaten?


(Beifall bei der LINKEN)


Wer sich nicht weiter am Massensterben mitschuldig
machen und am Massenmord im Jemen beteiligen will,

der muss sofort alle Rüstungsexporte nach Saudi-Arabi-
en und an die anderen Golfdiktaturen stoppen .


(Beifall bei der LINKEN)


Wer gerade in dieser Region keine weiteren Fluchtursa-
chen schaffen will, der muss sofort jegliche Ausbildung
saudischer Sicherheitskräfte unterbinden . Wer tatsäch-
lich etwas gegen den islamistischen Terrorismus unter-
nehmen möchte, der muss seinem größten Förderer, dem
Schreckensregime in Riad, endlich die Rote Karte zei-
gen . Der saudische König und Diktator Salman ist kein
Fall für üppige diplomatische Bankette, wie es Merkel
mit Salman übt, sondern ein Fall für den Internationalen
Gerichtshof .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir wollen keine Pakte, keine Kumpanei mit solchen
Terrorpaten wie Salman oder auch Erdogan . Wir wollen
eine radikale Wende in der deutschen Arabien-Politik .
Wir wollen keine Beihilfe zum Mord leisten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823428700

Niels Annen hat für die SPD-Fraktion als nächster

Redner das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1823428800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich glaube, es ist ganz legitim im politischen
Meinungsstreit, dass man aus Sicht der Opposition die
Koalitionsfraktionen, die Bundesregierung auch einmal
ordentlich attackiert . Dagegen hat niemand etwas .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Aber?)


Ich habe dennoch den Eindruck, dass Sie sich das falsche
Thema ausgesucht haben . Ich will gerne versuchen, nach
dem Beitrag der Kollegin Dağdelen wieder zu den Fak-
ten zurückzukehren und etwas zu dem zu sagen, was im
Antrag der Grünen steht .


(Zuruf von der SPD: Sehr gut!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben einen An-
trag präsentiert, in dem Sie – das sagt der Titel – einen
radikalen Kurswechsel in der Jemenpolitik verlangen,
und eine Vielzahl von Forderungen formuliert, die die
Bundesregierung und gerade auch das Auswärtige Amt
schon längst umsetzen . Ich will das einmal ein bisschen
zuspitzen: Wenn das die neue Radikalität der Grünen ist,
dann sitzen im Auswärtigen Amt nur Extremisten .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Eines ist allerdings richtig – darin sind wir uns in
diesem Hause hoffentlich einig –: Der Krieg im Jemen
genießt viel zu wenig Aufmerksamkeit in unserem Land

Sevim Dağdelen






(A) (C)



(B) (D)


und in der Weltöffentlichkeit . Dafür gibt es Gründe . So
gibt es bedauerlicherweise auch andere bewaffnete Kon-
flikte, um die wir uns in diesem Hause kümmern. Trotz-
dem ist das eine Aussage, die, glaube ich, von allen hier
geteilt werden kann . Insofern hat Ihr Antrag – bei aller
Fehlerhaftigkeit seiner Stoßrichtung – auch etwas Gutes,
nämlich dass wir heute über dieses Thema diskutieren .

Eines will ich ganz klar und deutlich festhalten: Frau
Dağdelen, wir kennen dieses Spiel von Ihnen ja schon
aus anderen Debatten .


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Spiel?)


Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken – leider ver-
sucht auch der Kollege Nouripour, diesen Eindruck zu
erwecken –, dass wir in Deutschland Verantwortung da-
für tragen, dass Saudi-Arabien den Jemen bombardiert .
Deswegen will ich hier festhalten: Deutschland beteiligt
sich nicht an der Militärkoalition im Jemen,


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sondern liefert die Waffen!)


und Deutschland strebt eine solche Beteiligung auch
nicht an .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das nennt man „Mitverantwortung“!)


Die Bundesregierung


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Bewaffnet die eine Seite!)


ist überzeugt – das ist öffentlichen Äußerungen und Do-
kumenten zu entnehmen –, dass keine militärische Lö-
sung für diesen Konflikt anzustreben ist, sondern – im
Gegenteil – dass wir eine Befriedung nur dann erreichen
können, wenn wir eine politische Lösung erzielen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Warum dann die Rüstungsexporte?)


Es wurde eben von Herrn Nouripour so dargestellt, als
würden wir nur zuschauen, als würden wir nichts tun,


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Ich habe für die Initiative gedankt! – Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Doch, Sie tun schon etwas! Aber das Falsche!)


als würde uns der Konflikt nicht interessieren. Außenmi-
nister Sigmar Gabriel


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Reden Sie jetzt für die Regierung oder für Ihre Fraktion?)


hat erst vorgestern den Premierminister der jemeniti-
schen Regierung getroffen und die Position der Bundes-
regierung ganz deutlich unterstrichen .


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Der Pressesprecher des Auswärtigen Amts spricht hier oder ein Abgeordneter?)


Die Bundesregierung – das könnten Sie wissen, wenn
Sie sich ernsthaft mit diesem Thema beschäftigt hätten

und nicht nur versuchen würden, hier einen PR-Effekt
zu erzielen –


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Ach, nur Sie beschäftigen sich ernsthaft mit diesen Themen? Exportieren Sie mal weiter Waffen!)


unterstützt aktiv die Vermittlungsbemühungen des Son-
dergesandten der Vereinten Nationen; das hat der Kollege
Wadephul eben zu Recht erwähnt . Die Bundesregierung
ist einer Bitte der Vereinten Nationen nachgekommen
und hat angeboten, diesen fragilen politischen Prozess
mit einer aktiveren Rolle und mit ihren eigenen Ressour-
cen stärker zu unterstützen .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat die Bundesregierung aber nicht von selbst gemacht, sondern das waren die VN!)


Ich darf noch sagen: Just in dieser Woche, in der Sie in
einer interessanten Koalition in der Opposition versucht
haben, den Eindruck zu erwecken, wir würden uns nicht
interessieren und die Bundesregierung sei quasi passiv,
hatten wir ein Treffen von hochrangigen Vertretern der
Konfliktparteien aus dem Jemen,


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Oh! Super! – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke! Aber reicht das?)


die in Form eines „Track II“, also eines informellen Di-
alogs, versucht haben, durch das Gespräch und den poli-
tischen Dialog Lösungen für diesen Konflikt zu erzielen.
Das unterstützen wir . Ich denke, das sollte auch vonsei-
ten des Parlaments unterstützt werden . Das ist auch die
Politik der Bundesregierung .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das reicht nicht!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, die huma-
nitäre Lage im Jemen muss angesprochen werden, wenn
man über diesen Konflikt miteinander diskutiert.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Und die Verantwortung dafür!)


Ich bin dankbar dafür, dass das auch geschehen ist . Die
humanitäre Lage im Jemen ist katastrophal . 17 Millionen
Menschen sind von Nahrungsunsicherheit direkt betrof-
fen . Weit über 3 Millionen Menschen sind mangeler-
nährt . Wir hatten vor kurzem – darauf ist hingewiesen
worden – den Ausbruch der Cholera zu beklagen . Das
bedeutet, es ist in der Tat an der Zeit, dass wir nicht nur
hier im Deutschen Bundestag darüber diskutieren, wie
wir die Initiativen unserer Regierung noch stärker unter-
stützen können,


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sondern dass Sie dieses Thema tatsächlich auch an sie adressieren!)


sondern dass wir auch darüber sprechen, wie wir die in-
ternationale Aufmerksamkeit auf dieses Thema lenken
können .

Niels Annen






(A) (C)



(B) (D)


Ich darf darauf hinweisen – auch das steht in schar-
fem Kontrast zu der Art und Weise, wie die Dinge von
der Opposition dargestellt werden –, dass das Auswärtige
Amt die Mittel für die humanitäre Hilfe für den Jemen
bereits 2016 erhöht hat . Dieses Jahr belaufen sie sich auf
125 Millionen Euro . Deutschland ist damit der drittgröß-
te Geber für den Jemen .


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es! – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und liefert gleichzeitig Waffen!)


Ich möchte auf einen weiteren Aspekt hinweisen . Alle
Kriegsverbrechen – ganz gleich, von welcher Seite sie
begangen werden; das gilt natürlich auch für die saudi-
sche Regierung, die hier die größte Verantwortung trägt,
weil sie mit der Luftwaffe und ihren übrigen Wirkmitteln
eine ganz andere Eskalationsdynamik entwickeln kann –
müssen untersucht werden . Das ist die Politik dieser Re-
gierung, der Großen Koalition, nicht nur im Jemen-Kon-
flikt, sondern, wie Sie wissen, auch im Syrien-Konflikt.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt noch ein Wort zu den Rüstungsexporten und ein Wort zu den Verantwortlichkeiten! Dann kommen wir zusammen!)


– Sie können so viel schreien, wie Sie möchten . Ich tra-
ge Ihnen hier die Fakten vor . Vielleicht trägt das ja ein
bisschen dazu bei, dass wir eine sachliche Debatte mitei-
nander führen .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zur Sachlichkeit gehört die Erwähnung der Rüstungsexporte!)


– Ich weiß, dass das Zuhören nicht zu Ihren Stärken ge-
hört,


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei solchen Reden ist das wahr! Das geht einfach nicht! Das ist kaum zu ertragen!)


aber ich will das trotzdem vortragen . – Deshalb hat sich
die Bundesregierung in Genf immer dafür eingesetzt,
dass der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen eine
unabhängige Kommission einsetzt .


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Wie viele Waffen haben Sie denn heute schon vertickt?)


Wir wissen, an wem das gescheitert ist . Es lag, meine
sehr verehrten Damen und Herren, nicht an der Bundes-
regierung .

Ich möchte Sie gerne einladen, weil Sie das in Ihrem
Antrag erwähnt haben, sich noch einmal die Schlussfol-
gerungen des Rates der EU dazu anzuschauen, mit der
Stimme und der Unterstützung der Bundesregierung . Es
sind zum Teil exakt die Forderungen, die Sie uns hier zur
Beschlussfassung vorlegen. Viele Punkte finden sich dort
wieder . Deswegen wäre es, glaube ich, nur fair gewesen,
wenn man das zumindest erwähnt hätte,


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist fair, wenn jetzt noch ein Satz zu den Rüstungsexporten kommt! Ein einziger! Komm, gib ihn mir!)


anstatt hier den Eindruck zu erwecken, wir würden nur
zuschauen .

Die Europäische Union verurteilt die Angriffe auf
Zivilisten und äußert sich ausgesprochen besorgt zum
Einsatz unter anderem von Streumunition . Die EU for-
dert einen sicheren Zugang für humanitäre Helfer, eine
Frage, die wir nicht nur für den Jemen miteinander zu
diskutieren haben, sondern die wir beispielsweise auch
aus dem Krieg in Syrien kennen . Da die Redezeit jetzt
quasi abgelaufen ist,


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo bleiben die Rüstungsexporte? Wo bleibt das Wort „Saudi-Arabien“? Wo bleibt die Sozialdemokratie im Europäischen Parlament?)


will ich Ihnen das gerne noch einmal zur Lektüre emp-
fehlen .

Ich kann Ihnen nur eines sagen: Wir betreiben, was
den Jemen-Konflikt angeht, eine ausgewogene Politik,
sowohl was die humanitäre Hilfe angeht, als auch was
die politischen Initiativen angeht .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausblenden der Fakten!)


Im Übrigen darf ich Sie darauf hinweisen, dass es der
ehemalige Wirtschaftsminister und noch amtierende Vi-
zekanzler Sigmar Gabriel gewesen ist, der beispielsweise
nach von einer vorherigen Regierung genehmigten Ex-
porten und Lizenzverträgen für die Errichtung einer Fa-
brik zur Herstellung von Sturmgewehren des Typs G36
die Produktion dadurch gestoppt hat, dass die zentralen
Komponenten bis heute nicht geliefert worden sind, was
in gewisser Weise sogar vertragswidrig ist, aber aus poli-
tischen Gründen die richtige Entscheidung war . Also tun
Sie hier nicht so, als würden wir auch an dieser Stelle
nicht aktiv werden! Das Gegenteil ist der Fall .

Ich danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Salman und Erdogan werden es danken!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823428900

Als letzter Redner in dieser Debatte hat Thorsten Frei

für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thorsten Frei (CDU):
Rede ID: ID1823429000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich bin sehr dankbar, lieber Herr Annen, dass Sie etwas
Sachlichkeit in diese Debatte gebracht haben


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Wadephul konnte es ja nicht!)


und dass Sie im Großen und Ganzen ein Stück weit rela-
tiviert haben, was hier vorgetragen worden ist .

Wenn man sich den Antrag der Grünenfraktion an-
schaut, stellt man fest, dass er zunächst einmal durchaus
positive Aspekte enthält – darauf sind die Vorredner ein-

Niels Annen






(A) (C)



(B) (D)


gegangen –, etwa wenn es darum geht, die größte huma-
nitäre und auch Hungerkatastrophe der Welt ein Stück
weit in das Licht der Öffentlichkeit zu rücken und dafür
zu sorgen, dass auch unser Haus dieses Thema diskutiert .
Was da zu diskutieren ist, haben wir ja gehört . Dabei geht
es in der Tat im Ergebnis um nichts anderes als darum,
dass das seit Jahren ärmste Land der arabischen Welt im
Grunde genommen in die Steinzeit zurückkatapultiert
wird . Vieles, was dort passiert ist, ist angesprochen wor-
den . Nach drei Jahren des Bürgerkriegs, nach zwei Jah-
ren des Bombardements sind letztlich das Gesundheits-
system und die Infrastruktur so zerstört, dass auch an sich
heilbare oder vermeidbare Krankheiten zu massenhaftem
Sterben führen . Es gibt auch schreckliche Verbrechen,
die in diesem Zusammenhang begangen werden . Dass
auf der Seite der Huthis zehnjährige Kinder an die Waf-
fen und an die Fronten gebracht werden, ist etwas, was
ebenfalls zum Gesamtbild gehört .

Was Sie in Ihrem Antrag auch noch richtigerweise er-
wähnen, ist die Tatsache, dass es am Ende keine militä-
rische Lösung, sondern nur eine politische und Verhand-
lungslösung geben kann . Aber gerade wenn man das als
richtig voraussetzt, muss doch klar sein, dass man sich
ein Stück weit in die unterschiedlichen Kombattanten hi-
neinfühlen muss, dass man sich anschauen muss, wo die
Problemlagen sind, damit man eine Basis für Verhand-
lungslösungen finden kann. Das setzt voraus, dass man
nicht einseitig argumentiert,


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Eben!)


sondern klarlegt, dass man es hier mit vielen Verbrechern
zu tun hat . Natürlich ist es so, dass die Saudis gemein-
sam mit der Hadi-Regierung Verantwortung tragen . Aber
die Hadi-Regierung ist letztlich auch eine legitime und
von der internationalen Staatengemeinschaft anerkann-
te Regierung . Sie ist von den Huthis vertrieben worden,
und nicht nur von denen . Sie haben sich ausgerechnet
mit dem früheren Machthaber Saleh verbündet, der vor-
her Hunderttausende Huthis verfolgt, bekämpft und er-
mordet hat . Insofern muss man schon das gesamte Bild
zeichnen .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir alles gesagt!)


Es ist auch richtig, dass es an der Hunderte Kilometer
langen Grenze zwischen den beiden Ländern auch Si-
cherheitsinteressen Saudi-Arabiens gibt,


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An der Grenze, nicht im Jemen!)


die es zu respektieren gilt .

Gleiches gilt letztlich für die Rolle der USA; ich sage
das vor dem Hintergrund des anstehenden Besuchs des
amerikanischen Präsidenten . Tatsächlich ist es so, dass
die Amerikaner hier durchaus eine gute Rolle spielen .
Schauen Sie sich beispielsweise die Geberkonferenz an,
die Sie angesprochen haben, bei der 1,1 Milliarden Euro
eingesammelt worden sind . Allein die Hälfte des Geldes
kommt von den USA . Schauen Sie sich doch einmal an,
wie sich andere Weltmächte gerieren . Schauen Sie sich
einmal an, was China und Russland machen . Ich kann

Ihnen sagen: Die tun nichts, gar nichts . Auch das gehört
zu dem Gesamtbild .

Sie sprechen in Ihrem Antrag davon, dass wir in
Deutschland eine radikale Änderung der Jemenpolitik
brauchen . Ich frage mich: Was sollen wir denn ändern?
In dieser Woche war der jemenitische Premier in Berlin .
Seit dem vergangenen Sonntag diskutieren unterschied-
liche Vertreter jemenitischer Gruppen und Parteien in
Berlin, wie man Verhandlungslösungen erzielen kann .
Deutschland wirft seine Position in der Region und das
Vertrauen, das es genießt, in die Waagschale, um zu Ver-
handlungslösungen zu kommen .

Wenn Sie sich auf die Waffenlieferungen kaprizieren,
dann ist es falsch, zu behaupten, dass dort mit deutschen
Waffen getötet würde . Man muss sich genau anschauen,
um was es geht . Es geht um Patrouillenboote und um
Radarsysteme, die letztlich zum Schutz von Küsten und
zum defensiven Einsatz verwendet werden . Zur Wahr-
heit gehört auch, was nicht geliefert wird, beispielsweise
Bestandteile für Gewehre des Typs G36 oder Panzerbe-
standteile, also all die Dinge, die für offensive Einsätze
und damit auch für Krieg, Bürgerkrieg und zum Mor-
den eingesetzt werden können . Das gehört doch zum
Gesamtbild . Wenn Sie das nicht berücksichtigen, dann
werden Sie nie die Basis dafür schaffen, zu einer Ver-
handlungslösung zu kommen; aber nichts anderes kann
das Ziel sein .

Im Hinblick auf den Besuch des amerikanischen Prä-
sidenten hoffen wir, dass er auf seinen Verteidigungsmi-
nister hört, der genau das statuiert hat: Es kann nur eine
Verhandlungslösung geben . – Wir sind bereit, auch in
diesen Zeiten unseren Beitrag dazu zu leisten . Ich glau-
be, dass Deutschland viel dazu beitragen kann und dies
auch tut .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823429100

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich

die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksa-
che 18/12121 mit dem Titel „Für einen radikalen Kurs-
wechsel in der Jemenpolitik“ . Wer stimmt für diesen
Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? –
Dann ist der Antrag mit den Stimmen der Koalition ge-
gen die Stimmen der Opposition abgelehnt .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Förderung des elektronischen Identi-
tätsnachweises

Drucksache 18/11279

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/12417

Thorsten Frei






(A) (C)



(B) (D)


Die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt sollen zu
Protokoll gegeben werden . – Ich sehe, Sie sind damit
einverstanden . Dann ist das so beschlossen .1)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12417, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/11279 in der Ausschussfassung an-
zunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ein
Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich je-
mand? – Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der
Opposition angenommen .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf mit den Stimmen der Koalition gegen die
Stimmen der Opposition angenommen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 24 a und 24 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Waffengesetzes
und weiterer Vorschriften

Drucksachen 18/11239, 18/11938, 18/12181
Nr. 1.12

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/12397

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Irene
Mihalic, Dr . Konstantin von Notz, Luise
Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mehr Sicherheit durch weniger Waffen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Irene
Mihalic, Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangs-
stoffen beschränken

Drucksachen 18/11417, 18/7654, 18/12397

Der Innenausschuss hat den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7654 mit
dem Titel „Abgabe von anschlagsfähigen Ausgangsstof-
fen beschränken“ in seine Beschlussempfehlung mitein-
bezogen . Dieser Antrag soll daher jetzt ebenfalls beraten
werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann
ist das so beschlossen .

1) Anlage 7

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe, Sie sind auch damit einverstanden .
Dann ist das so geschehen . 2)

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschrif-
ten. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12397,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
chen 18/11239 und 18/11938 in der Ausschussfassung
anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Damit ist der
Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalition und der Fraktion Die Linke, bei der es auch
eine Enthaltung gibt, und bei Gegenstimmen der Frakti-
on Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Enthält sich jemand? – Damit, liebe
Kolleginnen und Kollegen, ist der Gesetzentwurf mit den
Stimmen der Koalition und der Fraktion Die Linke gegen
die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen worden .

Ich komme zum Tagesordnungspunkt 24 b . Wir setzen
die Abstimmungen zu der Beschlussempfehlung des In-
nenausschusses auf der Drucksache 18/12397 fort .

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrages
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksa-
che 18/11417 mit dem Titel „Mehr Sicherheit durch
weniger Waffen“ . Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich
jemand? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Oppositi-
on angenommen worden .

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf der Drucksache 18/7654 mit dem Titel „Abgabe von
anschlagsfähigen Ausgangsstoffen beschränken“ . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Gibt es jemanden, der sich enthält? – Damit
ist diese Beschlussempfehlung ebenfalls mit den Stim-
men der Koalition gegen die Stimmen der Opposition
angenommen worden .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver-
besserung der Beistandsmöglichkeiten unter
Ehegatten und Lebenspartnern in Angelegen-
heiten der Gesundheitssorge und in Fürsorge-
angelegenheiten

Drucksache 18/10485

2) Anlage 8

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/12427

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und bitte die Kolleginnen
und Kollegen, ihre Plätze einzunehmen, damit wir begin-
nen können . – Als erster Redner in der Aussprache hat
Dr . Matthias Bartke für die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1823429200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „In guten

wie in schlechten Zeiten, in Gesundheit und Krankheit“ –


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wird es romantisch!)


diese Worte sind uns wohlbekannt . Die wenigsten wer-
den bei ihrem Eheversprechen tatsächlich darüber nach-
denken, was es heißt, in Zeiten der Krankheit für den
anderen da zu sein .

Ehegatten und Partner in einer eingetragenen Le-
benspartnerschaft können nach geltendem Recht keine
Entscheidungen über medizinische Behandlung für ihren
Partner treffen, wenn dieser nicht mehr selbst handlungs-
fähig ist . Auch im Rechtsverkehr können sie ihn dann
nicht vertreten . Eine Vorsorgevollmacht würde an dieser
Stelle Abhilfe schaffen . Sie kann dauerhaft rechtliche Be-
treuung vermeiden und das Selbstbestimmungsrecht der
Betroffenen in vollem Umfang gewährleisten . Wir halten
daher die Vorsorgevollmacht für absolut vorzugswürdig .


(Beifall der Abg . Katja Keul [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Jeder hat es selbst in der Hand, wen er als Bevollmäch-
tigten einsetzen will . Das kann der Ehepartner, aber eben
auch das eigene Kind, der Nachbar oder die beste Freun-
din sein . Was ist, wenn ich selber keine Entscheidung
treffen kann? Diese Frage verdrängen viele von uns oder
schieben die Beantwortung immer wieder auf . Es wun-
dert mich daher leider nicht, dass Mitte 2015 nur etwa
2,8 Millionen Vollmachten registriert waren . Das sind
gerade einmal 4 Prozent der Erwachsenen in Deutsch-
land . Unsere Aufgabe wird es daher weiterhin sein, die
Vorsorgevollmacht zu stärken und bekannt zu machen .

Bis Vorsorgevollmachten von der Mehrheit der Be-
völkerung in Anspruch genommen werden, müssen wir
über ergänzende Regelungen nachdenken . Der Bundes-
rat hat mit seinem Gesetzentwurf zur Verbesserung der
Beistandsmöglichkeiten dafür einen Vorschlag gemacht .
Es soll eine gesetzliche Annahme der Bevollmächtigung
zwischen Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern
geschaffen werden . Sie soll für den Bereich der Gesund-
heitssorge und der Fürsorge greifen . Der Bundesrat will
Betroffene mit dieser Regelung entlasten und Betreuer-
bestellungen vermeiden .

Wenn der Partner gerade einen Unfall oder einen
Schlaganfall erlitten hat oder schwer erkrankt ist und
dadurch handlungsunfähig ist, muss vieles neu geregelt
werden . In dieser Situation ist jede Entlastung willkom-
men. Das Ansinnen des Gesetzentwurfes findet daher un-
sere volle Unterstützung .

Wir sehen gleichzeitig aber auch wichtigen Ände-
rungsbedarf . Der Gesetzentwurf des Bundesrates birgt
gleich an mehreren Stellen Missbrauchspotenzial . Dem
müssen wir unbedingt vorbeugen . Wir wollen das Vertre-
tungsrecht deshalb auf die Gesundheitssorge beschrän-
ken . Eine Vertretung in vermögensrechtlichen Angele-
genheiten ist dann also nicht möglich .

Auch die im Bundesratsentwurf vorgesehenen Erklä-
rungen sehen wir kritisch . So ist zum Beispiel vorgese-
hen, dass der Ehegatte für den Abschluss von Verträgen
ein ärztliches Zeugnis vorlegen muss . Ein ärztliches
Zeugnis, das sechs Monate alt sein darf, sagt aber wenig
über die aktuelle Situation aus . Darauf werden wir also
verzichten .

In der Anhörung haben unsere Änderungsvorschlä-
ge bereits vorgelegen . Die Sachverständigen haben uns
einhellig bestätigt: Die von uns vorgesehene enge zeitli-
che Begrenzung wie auch die Beschränkung auf die Ge-
sundheitssorge beugen Missbrauch vor . Es gab von den
Sachverständigen aber auch Kritik, die wir sorgsam ab-
gewogen haben . Wir haben deswegen die entsprechende
Anwendung der §§ 1901a, 1901b sowie 1904 BGB in
unseren Änderungsantrag aufgenommen . Damit ist ganz
klar geregelt: Auch der vertretende Ehegatte muss dem
in einer Patientenverfügung niedergelegten Willen Aus-
druck verschaffen .

Wenn es keine Patientenverfügung gibt, muss der
Ehegatte die Behandlungswünsche des Partners feststel-
len . Dabei spielen frühere Äußerungen und ethische und
religiöse Überzeugungen des Patienten eine Rolle . Auch
der behandelnde Arzt hat unter Berücksichtigung des Pa-
tientenwillens die medizinischen Maßnahmen mit dem
Ehegatten zu erörtern .

Für Ärzte schaffen wir außerdem ein unmittelbares
Auskunftsrecht . Gegen die Vertretung durch den Ehegat-
ten oder Lebenspartner kann Widerspruch im Zentralen
Vorsorgeregister eingetragen werden . Damit der Arzt
schnellstmöglich weiß, ob ein solcher Widerspruch oder
eine Vorsorgevollmacht vorliegt, wird Ärzten künftig
darüber Auskunft erteilt . So kann dem Patientenwillen
schneller und effektiver Rechnung getragen werden .

Das Für und Wider verbesserter Beistandsmöglich-
keiten von Ehegatten und Lebenspartnern haben wir also
sorgsam abgewogen . Wir haben so zu einer unkompli-
zierten, wirksamen Regelung für Notsituationen gefun-
den, die Missbrauch vermeidet und Betroffene entlastet .


(Beifall bei der SPD)


Mindestens ebenso sehr beschäftigt hat uns aber die
Frage der Vergütung von Berufsbetreuern, die auch in
dem vorliegenden Gesetzentwurf geregelt ist . Diese
Vergütung ist seit 2005 unverändert . Die Einkommen
vergleichbarer Berufsgruppen sind im vergleichbaren
Zeitraum deutlich gestiegen, und auch die Kosten der

Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Betreuung sind in die Höhe geklettert . Vor allem die Be-
treuungsvereine befinden sich in einer absolut prekären
finanziellen Situation. Für uns ist es höchste Zeit, zu han-
deln . Wir haben uns daher entschieden, die Vergütungs-
erhöhung unabhängig von anderen Fragen des Betreu-
ungsrechts schon jetzt zu regeln .

In der nächsten Legislatur wollen wir eine umfassen-
de Debatte über die Qualität in der Betreuung führen
und damit eine umfassende Reform in Angriff nehmen .
Aber so eine Reform braucht Zeit, Zeit, die vor allem
die Betreuungsvereine nicht mehr haben . Wenn wir jetzt
keine Vergütungserhöhung mehr beschließen, werden
wir in der nächsten Legislaturperiode eine ganz andere
Strukturdebatte führen müssen; denn dann werden wir
nicht mehr auf Ehrenamt und Betreuungsvereine setzen
können, weil es eine große Zahl der Betreuungsvereine,
die das Ehrenamt begleiten, dann schlicht und ergreifend
nicht mehr geben wird .


(Beifall bei der SPD)


Betreuung bedeutet zum Beispiel Entscheidungen am
Lebensende, aber auch ärztliche Zwangsmaßnahmen .
Vor allem die unterstützende Entscheidungsfindung und
sensible Grundrechteeingriffe setzen eine hohe Quali-
tät der rechtlichen Betreuung voraus . Wir können und
wollen es uns als Gesellschaft nicht leisten, dass hier
am falschen Ende gespart wird . Die unveränderten Stun-
densätze führen dazu, dass die Fallzahlen erhöht werden .
Darunter leidet unweigerlich die Qualität der Betreuung .

Ich freue mich, dass wir uns in der Frage der Vergü-
tungserhöhung in allen im Bundestag vertretenen Frakti-
onen einig sind .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir müssen es auch nicht bezahlen!)


Ich appelliere auch an die Länder, der Erhöhung der
Betreuervergütung zuzustimmen . Hier zu kurzfristig
zu denken, wäre fatal . Jegliche Qualitätsdebatte könnte
dann zu spät kommen .

Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823429300

Als nächster Redner spricht Harald Petzold für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823429400

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Besucherinnen und Besucher! Wir sprechen heute
hier abschließend über den Entwurf eines Gesetzes des
Bundesrates zur Verbesserung der Beistandsmöglichkei-
ten unter Ehegatten und Lebenspartnern in Angelegenhei-
ten der Gesundheitssorge und in Fürsorgeangelegenhei-
ten in einer geänderten Fassung des Rechtsausschusses .
Das heißt, der ursprüngliche Gesetzentwurf liegt nicht
mehr zur Abstimmung vor . Er ist ergänzt worden um die

durch den Kollegen Bartke vorgestellte Regelung zur Er-
höhung der Betreuer- und Vormündervergütung .

Worum geht es bei dem Gesetzentwurf? Stellen
Sie sich vor, Sie leben mit Ihrem Ehepartner oder Le-
benspartner seit vielen Jahren zusammen . Ihr Glück ist
ungetrübt . Nicht im Traum würden Sie auf den Gedanken
kommen, einmal nicht mehr selbst handlungsfähig oder
selbstbestimmt zu sein . Und dann kommt es plötzlich und
unerwartet zu einem Unfall oder einer schweren Erkran-
kung Ihres Partners oder Ihrer Partnerin . Plötzlich stellen
Sie fest, Sie haben für einen solchen Fall nicht vorge-
sorgt . Eine Vorsorgevollmacht ist nicht erteilt worden,
und ohne eine solche Vollmacht sind Sie weder als Ehe-
partnerin oder Ehepartner noch als Partnerin oder Partner
in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft berechtigt,
Entscheidungen, zum Beispiel über die medizinische Be-
handlung, für Ihren dann nicht mehr selbst handlungsfä-
higen Partner zu treffen oder diesen im Rechtsverkehr zu
vertreten . Es bedarf dann erst eines gerichtlichen Verfah-
rens zur Betreuerbestellung, um dem geliebten Ehe- oder
Lebenspartner auch rechtlich und in medizinischer Hin-
sicht beistehen zu können . Eine Vorsorgevollmacht ist
daher ein wichtiges Instrument, um selbstbestimmt da-
rüber entscheiden zu können, wer im Falle des Verlustes
der eigenen Handlungsfähigkeit oder Selbstbestimmung
einmal anstelle derjenigen oder desjenigen handeln und
entscheiden soll .

Untersuchungen belegen – der Kollege Bartke hat ja
darauf hingewiesen –, dass leider viel zu wenige Paare
oder Lebensgemeinschaften von diesem Instrument Ge-
brauch machen . Meist wird es auf später verschoben oder
verdrängt . Insofern begrüßen wir natürlich eine gesetzli-
che Regelung . Das steht außer Zweifel . Aber – das kann
ich Ihnen leider nicht ersparen – gut gemeint ist eben
nicht gleich gut gemacht .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


So komme ich hier für die Linke nach Abwägung al-
ler Kriterien zu dem Schluss, dass die in dem Gesetz-
entwurf vorgeschlagenen Regelungen zur Einführung
eines gesetzlichen Vertretungsrechts weder erforderlich
noch sachdienlich sind . So, wie sie hier zur Abstimmung
vorliegen, könnten sie sogar stark nachteilige Folgen
für die Rechtssicherheit und die Selbstbestimmung von
Ehe- oder Lebenspartnerinnen und -partnern haben bzw .
bergen sie die Gefahr des Missbrauchs . Das ist uns in
den öffentlichen Anhörungen bestätigt worden . So sind
beispielsweise die im Entwurf des Bundesrates vorge-
schlagenen Regelungen eines Vertretungsrechts in Ange-
legenheiten mit vermögensrechtlichen Bezügen viel zu
weitgehend gewesen; dies kann zudem eigentlich bereits
über bestehende Rechtsinstitute geregelt werden . Dies ist
glücklicherweise durch einen Änderungsantrag der Ko-
alitionsfraktionen korrigiert worden . Eine weitere Kor-
rektur betraf die zeitliche Begrenzung der Dauer der Ver-
tretung auf einen überschaubaren Zeitraum von wenigen
Tagen oder Wochen .

Ich will unsere Zustimmung zu den Änderungsvor-
schlägen der Koalitionsfraktionen zur Verbesserung der
Betreuer- und Vormündervergütung ausdrücklich festhal-
ten . Seit zwölf Jahren ist die Vergütung von gesetzlicher

Dr. Matthias Bartke






(A) (C)



(B) (D)


Betreuung nicht mehr erhöht worden . Sie ist dringend
notwendig, um das System der Betreuung in den nächs-
ten Jahren aufrechtzuerhalten .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die diesbezüglichen Korrekturen am Gesetzentwurf sind
dafür allerdings nur ein erster notwendiger Schritt . Auch
das kann ich Ihnen nicht ersparen . Wenn es so wäre, wie
Sie es hier vorgetragen haben, Herr Kollege Bartke, hät-
ten Ihre Vorschläge viel weitgehender sein müssen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich stimme dem Vorschlag von Bündnis 90/Die Grü-
nen zu, die Abstimmungen zu trennen . Wir werden dem
Änderungsvorschlag der Koalitionsfraktionen aus den
von mir genannten Gründen unsere Zustimmung geben .
Mit dem Vorgehen, hieraus ein Omnibusgesetz zu ma-
chen, also zwei Dinge miteinander zu verknüpfen, die
eigentlich nichts miteinander zu tun haben, riskieren Sie
die Zustimmung der Bundesländer zu diesem Gesetzent-
wurf . Sie sind hauptsächlich für die Finanzierung zustän-
dig; das wissen Sie . Insofern halte ich den Vorschlag von
Bündnis 90/Die Grünen, diese Abstimmungen voneinan-
der zu trennen, für zielführend . Wir sollten das eine als
das eine abstimmen und das andere als das andere . Der
Gesetzentwurf insgesamt kann unsere Zustimmung nicht
finden. Die Gründe hierfür habe ich vorgetragen. Damit
komme ich zum Ende meiner Ausführungen, Frau Prä-
sidentin .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823429500

Als nächste Rednerin hat Dr . Sabine Sütterlin-Waack

das Wort für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU):
Rede ID: ID1823429600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die noch hier
bei uns auf der Tribüne sitzen! Hinter der Überschrift des
Gesetzentwurfs verbirgt sich ein äußerst sensibler und
emotionaler Sachverhalt, von dem die Bürger denken,
er sei schon lange geltende Rechtslage . Im Falle einer
plötzlich auftretenden schweren Erkrankung oder eines
Unfalls können Ehegatten und Lebenspartner gegenwär-
tig nicht füreinander Entscheidungen über medizinische
Behandlungen treffen . Ohne Vorsorgevollmacht muss
jetzt grundsätzlich ein Betreuer in einem gerichtlichen
Verfahren bestellt werden . Dies ist für die meisten Ehe-
gatten und Lebenspartner eine nicht nachvollziehbare
Belastung . Deshalb wollen wir nun ein Notvertretungs-
recht im eng begrenzten Rahmen der Gesundheitssorge
schaffen, und zwar ausschließlich dort . Die Bedenken
der Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung ha-
ben wir dabei berücksichtigt .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja! Nicht wirklich!)


Ehegatten und eingetragene Lebenspartner haben
ähnliche Pflichten wie ein Betreuer. Das bedeutet, dass
die vertretenden Partner grundsätzlich an den Patienten-
willen des erkrankten Ehegatten gebunden sind . Damit
wahren wir das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen
vollumfänglich . Zudem können Ärzte zukünftig Aus-
kunft aus dem Zentralen Vorsorgeregister erhalten . Diese
Änderung haben wir als notwendig angesehen, damit die
behandelnden Ärzte schnellstmöglich ermitteln können,
ob möglicherweise ein Widerspruch gegen das Notver-
tretungsrecht eingetragen wurde .

Ich habe schon in meiner ersten Rede zu diesem Ge-
setzentwurf gesagt, dass wir die inhaltliche Nähe des
Gesetzentwurfs des Bundesrates dazu nutzen wollen, ein
weiteres wichtiges Vorhaben im Betreuungsrecht auf den
Weg zu bringen: eine Erhöhung der Vergütungssätze für
Vereins- und selbstständige Berufsbetreuer . Bald zwölf
Jahre ist es her, dass wir mit dem Inkrafttreten des Zwei-
ten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes ein pauschali-
siertes Vergütungssystem für Vereins- und Berufsbetreuer
eingeführt haben . Die Stundensätze des Vormünder- und
Betreuervergütungsgesetzes sind seitdem, also seit zwölf
Jahren, nahezu unverändert . Durch einen Änderungsan-
trag sollen diese nun um 15 Prozent angehoben werden .
Ich finde es richtig, dass die Vergütungssätze angehoben
werden . Das befürworten im Übrigen auch alle Sachver-
ständigen, die wir in der öffentlichen Anhörung im März
gehört haben .

Wir wissen alle: Qualitativ hochwertige Arbeit muss
auch entsprechend bezahlt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Und die Betreuer müssen genügend Zeit haben, um sich
um ihre Betreuten zu kümmern .


(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Bedenken Sie bitte: Betreuer üben eine sehr verantwor-
tungsvolle Aufgabe aus . Sie unterstützen hilfebedürftige
Menschen, die ihre eigenen Angelegenheiten nicht mehr
ganz allein regeln können .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Juristen kennen das Konstrukt: Vertrag zulasten Dritter . –
So ähnlich ist es hier .

Wir beschließen ein Gesetz, das unmittelbar die
Länderhaushalte und nur diese berührt . Wir sehen: Die
Situation in den einzelnen Bundesländern ist völlig un-
terschiedlich . Die Not der Betreuungsvereine ist auch
unterschiedlich stark ausgeprägt . In meinem Heimat-
bundesland Schleswig-Holstein zum Beispiel läuft die
Förderung der Betreuungsvereine ganz gut . In anderen
Bundesländern ist das weniger der Fall .

Die Justizressorts sehen aber geschlossen und un-
abhängig von der Parteicouleur keinen akuten Hand-
lungsbedarf . Das wurde in einem überfraktionellen Ge-
spräch mit den Vertretern der Länderjustizministerien im
Rechtsausschuss vor wenigen Wochen deutlich . Ich habe
Verständnis für die Position der Länder, wonach man
zunächst das Gesamtbild der Qualität in der rechtlichen
Betreuung abwarten will . Die Endergebnisse der beiden

Harald Petzold (Havelland)







(A) (C)



(B) (D)


Forschungsvorhaben des Bundesministeriums der Justiz
und für Verbraucherschutz werden wir im Sommer dieses
Jahres erfahren . Aber mein Appell an die Länder: Dann
bekommen wir realistisch betrachtet keine Änderung vor
Mitte oder Ende des nächsten Jahres mehr hin . So lan-
ge kann insbesondere eine große Zahl von Betreuungs-
vereinen nicht mehr warten . Wir müssen das bestehende
System noch in dieser Legislaturperiode durch eine An-
hebung der Vergütung stützen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Nur so retten wir insbesondere die Betreuungsvereine,
die bekanntlich auch von der Betreuervergütung abhän-
gen, über die nächsten Monate . Und nur dann können wir
in Ruhe über die Qualität in der Betreuung eine Struktur-
debatte führen .

Die allgemeine Preissteigerung über die letzten zwölf
Jahre und die Einkommens- und Tarifentwicklung wei-
sen deutlich darauf hin, was zu tun ist: Die Vergütungs-
sätze müssen angepasst werden . Wir argumentieren ja
auch nicht ohne empirische Grundlage . Der im Februar
veröffentlichte Zwischenbericht zeigt, dass die Schere
zwischen tatsächlich geleistetem und vergütetem Auf-
wand auseinandergeht . Wir brauchen eine schnelle Ent-
lastung; denn wir können und wollen der Schließung von
weiteren Betreuungsvereinen nicht mehr tatenlos zuse-
hen . Wir würden sonst die über Jahre gewachsene Be-
treuungsstruktur verlieren und damit die Privatisierung
von Betreuung fördern und das Ehrenamt schwächen .
Was einmal verloren ist, meine Damen und Herren, kann
nur mit viel Geld und oftmals viel später wieder aufge-
baut werden .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823429700

Katja Keul hat als nächste Rednerin für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823429800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir haben es gerade schon gehört: Dem ur-
sprünglichen Gesetzentwurf zur Verbesserung der Bei-
standsmöglichkeiten unter Ehegatten wurde im Wege
eines Änderungsantrages, also im Omnibusverfahren,
eine Erhöhung der Betreuervergütung angehängt . Aber
zunächst zum Betreuungsrecht unter Ehegatten .

Die Expertenanhörung im Ausschuss hat meine Be-
denken, die ich bereits in der ersten Lesung deutlich
geäußert hatte, noch weiter verstärkt . Sie schränken das
Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen ohne Not ganz
erheblich ein . Daran ändert auch die Beschränkung auf
den Gesundheitsbereich nichts – im Gegenteil .


(Beifall des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


In der ersten Zeit nach einem Unfall oder dem Aus-
bruch einer unerwarteten schweren Krankheit muss häu-
fig über Leben und Tod entschieden werden, sodass die
Risiken durch Fehler oder Missbrauch besonders hoch
sind . Kann der Betroffene in einer solchen Situation
seinen Willen nicht mehr selbst äußern, muss sein mut-
maßlicher Wille ermittelt werden. Immer häufiger hilft
dabei das Vorliegen einer Vorsorgevollmacht . Diese Vor-
sorgevollmacht ist unmittelbarer Ausdruck des eigenen
Willens des zu Betreuenden und muss daher weiterhin
gefördert und beworben werden . Wenn keine Vorsorge-
vollmacht vorliegt, entscheidet bislang das Betreuungs-
gericht nach Anhörung der Beteiligten, wer am besten
die Entscheidung für den Betroffenen treffen kann und
sollte .

Ihre These, die allermeisten Menschen würden ohne-
hin ihren Ehepartner als Beistand einsetzen wollen und
deswegen könne man auf eine gerichtliche Anhörung
verzichten, stimmt einfach nicht . Das haben wir ja auch
in der Anhörung von der Sachverständigen der Deut-
schen Stiftung Patientenschutz gehört, die aus ihrer Pra-
xis berichtet hat . Die Gründe, jemand anderen als den
Ehegatten zu bevollmächtigen, sind so vielfältig wie das
Leben selbst . Vielleicht sind einfach die Kinder oder En-
kelkinder besser geeignet . Vielleicht will man den Ehe-
gatten von dieser Entscheidung entlasten . Vielleicht gibt
es in dieser Ehe Alkohol- oder Gewaltprobleme, die man
bislang unter den Teppich gekehrt hat .

Völlig unberücksichtigt bleiben bei Ihrem Vorschlag
außerdem alternative Familienmodelle jenseits von Ehe
und eigetragener Partnerschaft . Das hat übrigens auch
der Deutsche Anwaltverein beanstandet .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Der im Gesetzentwurf vorgesehene Automatismus
schwächt die Stellung der Vorsorgevollmacht, indem er
diese vermeintlich entbehrlich macht . Das führt nicht nur
zu mehr Rechtsunsicherheit, sondern auch zu einer grö-
ßeren Missbrauchsgefahr .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Diese Gefahr wollen Sie jetzt eindämmen, indem Sie
Ehegatten die Möglichkeit geben, einen Widerspruch
gegen die gesetzliche Vermutung ins Zentrale Vorsorge-
register einzutragen . Das ist jetzt wirklich absurd; denn
wenn ich schon daran denke, für den Notfall Vorsorge zu
treffen, dann regele ich das doch, indem ich eine Vorsor-
gevollmacht erteile und darin eine ausdrückliche Rege-
lung vornehme .


(Dr . Sabine Sütterlin-Waack [CDU/CSU]: Kann man ja auch machen!)


Die gesetzliche Regelung greift ja gerade dann ein, wenn
ich keine Vorsorge getroffen habe . Bei Zweifeln bleibt
dem behandelnden Arzt also ohnehin nur wieder der Weg
zum Betreuungsgericht .

Dr. Sabine Sütterlin-Waack






(A) (C)



(B) (D)


Im Verfahren haben Sie jetzt auch noch die Pflicht des
Ehegatten gestrichen, sich zu den Ausschlussgründen,
wie beispielsweise die Tatsache, dass sie getrennt leben,
wenigstens formlos zu erklären . Der Hinweis in der Be-
gründung, dass diese Erklärung vom Arzt ohnehin nicht
überprüft werden kann, zeigt gerade auf, dass sich die
Bundesregierung selbst der Rechtsunsicherheit bewusst
ist, die sie da schafft. Ganz ohne Überprüfungspflicht hat
es der Arzt zwar theoretisch leichter, jedoch geht das auf
Kosten des Patienten und seines Selbstbestimmungsrech-
tes .

Der Gesetzentwurf birgt viel Risiko und wenig Nut-
zen . Deswegen können wir diesen Änderungen an den
Beistandsmöglichkeiten für Ehegatten nicht zustimmen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Das ist aber schade!)


Anders verhält es sich mit der Erhöhung der Vergütung
für Berufsbetreuer . Hier gibt es in der Tat Handlungsbe-
darf . Die Konzepte für eine umfassende Reform – dabei
geht es auch um die Qualitätssicherung und um einen
veränderten Stundensatz – liegen heute noch nicht vor;
die Kollegin Sütterlin-Waack hat es ausgeführt .

Fakt ist, dass viele Betreuungsvereine bereits schlie-
ßen mussten oder kurz davor stehen, weil sie die finan-
ziellen Belastungen nicht mehr tragen können . In einer
alternden Gesellschaft wird die Zahl der Betreuungen in
absehbarer Zeit weiter zunehmen, und wir werden so-
wohl mehr ehrenamtliche als auch mehr professionelle
Betreuer benötigen .

Für die Erhöhung der Vergütung der Berufsbetreuer
sind wir als Bundesgesetzgeber zuständig, weshalb wir
hier heute einen Schritt vorangehen . Weitere Reformen –
auch bei der Qualitätssicherung – werden noch folgen
müssen . Darin sind wir uns alle einig .

Deswegen stimmen wir jetzt getrennt ab: Wir lehnen
die Veränderungen an der Beistandsregelung ab und stim-
men der Erhöhung der Betreuervergütung zu . Zu dem ge-
samten Gesetzentwurf werden wir uns deshalb enthalten .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823429900

Das Wort hat der Kollege Alexander Hoffmann für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1823430000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-

nen und Kollegen! Ich bin mit einem Ehepaar befreundet .
Es war im letzten Sommer auf einer Fahrradtour, und es
kam, wie es vielleicht kommen musste: Der Mann stürz-
te . Er zog sich schwere Verletzungen am Kopf zu und
musste einige Tage ins künstliche Koma versetzt werden .

Für die Frau waren das bange Tage, weil viele Fol-
gefragen im Raum standen, nämlich zum Beispiel die

Frage nach den unterschiedlichen Behandlungsmöglich-
keiten und auch die Frage nach der Verlegung von einem
Krankenhaus ins andere . Das Problem war, dass die Frau
keinerlei Entscheidungsbefugnisse hatte, und leider gab
es eben auch keine Vorsorgevollmacht .

Zum Glück ist der Mann heute wieder gesund, und
ja, beide haben daraus gelernt . Beide haben mittlerweile
eine Vorsorgevollmacht verfügt .

Wir beraten heute einen Gesetzentwurf, der genau die-
ses Problem aufgreift und für genau diese Notsituation –
Kollegin Keul, ich glaube, darum geht es – eine Lösung
anbietet . Es wird nämlich gesetzlich eine Bevollmäch-
tigung des Ehegatten bzw . des Lebenspartners für diese
schwierige Situation angenommen, und zwar nur für fol-
gende Bereiche: für den Bereich der Gesundheitssorge,
das heißt, für Untersuchungen und ärztliche Eingriffe,
und für den Bereich der Fürsorge, zum Beispiel, wenn es
um die Verlegung in ein anderes Krankenhaus geht .

Gerade der Änderungsantrag der Koalition hat eine
wesentliche Beschränkung herbeigeführt, und wir kön-
nen jetzt jegliche Missbrauchsrisiken ausschließen . Es
gibt nämlich eben keine Vertretungsvollmacht zum Bei-
spiel in Vermögensfragen, und es gibt zum Beispiel auch
keine Befugnis zum Öffnen der Post des Ehegatten . Wenn
wir darunter einen Strich machen und uns das faktische
Ergebnis anschauen, dann wird das wie folgt sein: Es gibt
letztendlich eine Begrenzung für einen überschaubaren
Zeitraum . Wir werden mit dieser Regelung wenige Tage
überbrücken können . Wir werden den Menschen über
eine Notsituation hinweghelfen können .

Wenn dieser gesundheitliche Ausfall länger dauert,
Kollegin Keul, dann ist es zwangsläufig so, dass ein Be-
treuer bestellt werden muss oder das Betreuungsgericht
entscheiden muss, weil es rechtsgeschäftliche Fragen zu
klären gibt . Das heißt, wir wollen hier kein Ersatzinstitut,
kein Konkurrenzinstitut zur Vorsorgevollmacht schaffen,
sondern es geht ausschließlich darum, den Lebenspart-
nern, den Ehegatten ein Instrument an die Hand zu geben,
mit dem sie sich über diese Notsituation hinweghelfen .

Jetzt sagen Sie: Das ist ein bisschen komisch . Man
kann doch nicht automatisch davon ausgehen, dass der
eine Ehegatte will, dass der andere Ehegatte in dieser
schwierigen Situation entscheidet . – Ich sage ganz ehr-
lich: Dem widerspricht die Statistik . 70 Prozent aller
Lebenspartner und Ehegatten würden sich in diesem
Moment genau das wünschen, dass nämlich der liebende
Partner diese schwierigen Entscheidungen trifft .

Ich sage Ihnen auch ganz ehrlich: Ich kann mir an
dieser Stelle einen kleinen Seitenhieb nicht verkneifen .
Das hört sich an nach dem Motto: Wer ist denn schon der
Ehegatte, dass er das entscheidet? – Wir haben gestern
an dieser Stelle über die Ehe für alle diskutiert . Da haben
Sie die Ehe als Institut in den siebten Himmel gehoben
und gesagt: Das ist der Olymp der zwischenmenschli-
chen Beziehung . – Heute aber sagen Sie: Wer ist denn
schon der Ehegatte, dass er das entscheidet? – Ich bin der
Meinung, da fehlt Ihnen ein bisschen die Linie .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Katja Keul






(A) (C)



(B) (D)


Ganz abgesehen davon will ich Ihnen sagen, dass Sie
nicht unterschlagen dürfen, dass es jederzeit die Mög-
lichkeit einer anderweitigen Regelung gibt . Ich glaube,
das ist richtig, und das ist wichtig .

Ich möchte die letzte Minute meiner Redezeit darauf
verwenden, für den zweiten Teil dieses Gesetzes Wer-
bung zu machen . Es ist schon angesprochen worden: Die
Erhöhung der Betreuungsvergütung soll die schwierige
Situation der Betreuungsvereine beseitigen . Wir sollten
in dieser Situation aber auch an die Länder denken, die
mit der finanziellen Folgefrage ihre Schwierigkeiten ha-
ben . Wir haben im Moment die Konstellation, dass eine
Kostendeckung nicht mehr gegeben ist . Führen wir uns
bitte vor Augen, dass die Betreuungskosten auch die
Nebenkosten decken müssen: Büro, Mitarbeiter, Fahrt-
kosten . Es gibt heute schon den Trend, dass die Zahl der
Betreuungsvereine immer weiter zurückgeht . Das ist ein
unglaublich fatales Signal . Das ist ein Indiz dafür, dass
die Bezahlung im Moment nicht ausreichend ist, da die
Vergütungssätze seit zwölf Jahren nicht mehr erhöht
wurden . Was droht am Ende des Tages? Es droht eine
Kompensation auf andere Art und Weise . Die steigenden
Kosten können nur aufgefangen werden, indem ein Be-
treuer mehr Personen betreut . Da sage ich Ihnen, liebe
Kolleginnen und Kollegen: Das kann nicht in unserem
Interesse sein .

Deswegen möchte ich ausdrücklich um Zustimmung
für beide Teile werben, obwohl ich selbstverständlich
weiß, dass die Länder ihre Bauchschmerzen haben .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823430100

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den vom Bundes-
rat eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesserung der
Beistandsmöglichkeiten unter Ehegatten und Lebenspart-
nern in Angelegenheiten der Gesundheitssorge und in
Fürsorgeangelegenheiten . Der Ausschuss für Recht und
Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/12427, den Gesetzentwurf des
Bundesrates auf Drucksache 18/10485 in der Ausschuss-
fassung anzunehmen .

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat beantragt,
über den Gesetzentwurf in der Ausschussfassung ge-
trennt abzustimmen, und zwar zum einen über den Ar-
tikel 3 Nummer 3 und Artikel 7 – Erhöhung der Betreu-
er- und Vormündervergütung –, zum anderen über den
Gesetzentwurf im Übrigen .

Ich rufe zunächst Artikel 3 Nummer 3 und Artikel 7 in
der Ausschussfassung auf . Ich bitte nun diejenigen, die
Artikel 3 Nummer 3 und Artikel 7 des Gesetzentwurfs in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Artikel 3 Nummer 3 und Artikel 7 sind einstimmig an-
genommen .

Ich rufe nun die übrigen Teile des Gesetzentwurfs in
der Ausschussfassung auf . Ich bitte diejenigen, die zu-

stimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die übrigen Teile des Ge-
setzentwurfs sind mit den Stimmen der CDU/CSU-Frak-
tion und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion
Die Linke angenommen . Alle Teile des Gesetzentwurfs
sind damit in zweiter Beratung angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Lin-
ke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a und 26 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Übereinkommen von Minamata

(Minamata-Übereinkommen)


Drucksache 18/11847

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit (16 . Ausschuss)


Drucksache 18/12401

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Peter Meiwald,
Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Minamata-Konvention zu Quecksilber unver-
züglich ratifizieren

Drucksachen 18/7657, 18/12401

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Über-
einkommen von Minamata vom 10 . Oktober 2013 über
Quecksilber . Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12401,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Druck-
sache 18/11847 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung einstimmig
angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –

1) Anlage 9

Alexander Hoffmann






(A) (C)



(B) (D)


Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen .

Tagesordnungspunkt 26 b . Wir setzen die Abstim-
mung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit auf
Drucksache 18/12401 fort. Der Ausschuss empfiehlt un-
ter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/7657 mit dem Titel „Minamata-Kon-
vention zu Quecksilber unverzüglich ratifizieren“. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Einführung der elektronischen Akte in
Strafsachen und zur weiteren Förderung des
elektronischen Rechtsverkehrs

Drucksache 18/9416

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/12203

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)


(Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Schade eigentlich! – Dr . Volker Ullrich [CDU/ CSU]: Schade eigentlich!)


– Sie haben noch alle Chancen, aber dann jetzt .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/12203, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/9416 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke angenommen .

1) Anlage 10

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ers-
ten Gesetzes zur Änderung des E-Govern-
ment-Gesetzes
Drucksache 18/11614
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/12406
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich

sehe, Sie sind damit einverstanden .2)

Mir liegt eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäfts-
ordnung vor . Wir verfahren entsprechend unseren Re-
geln .3)

Wir kommen nun zur Abstimmung . Der Innenaus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12406, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 18/11614 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Enthal-
tung der Oppositionsfraktionen angenommen .

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Lin-
ke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 sowie den Zu-
satzpunkt 7 auf:

29 Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Zweiten Gesetzes zur Änderung per-
sonenstandsrechtlicher Vorschriften

(2. Personenstandsrechts-Änderungsgesetz – 2. PStRÄndG)

Drucksache 18/11612
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/12124
ZP 7 Erste Beratung des von den Abgeordneten Volker

Beck (Köln), Ulle Schauws, Monika Lazar, wei-
teren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Anerkennung der selbst
bestimmten Geschlechtsidentität und zur Än-

(Selbstbestimmungsgesetz – SelbstBestG)

Drucksache 18/12179

2) Anlage 11
3) Anlage 12

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)

Wir kommen zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Än-
derung personenstandsrechtlicher Vorschriften . Der
Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/12124, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/11612 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion, der
SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
und der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Zusatzpunkt 7 . Interfraktionell wird Überweisung des
Gesetzentwurfes auf Drucksache 18/12179 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht
der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a und 30 b auf:

a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung ei-
nes Anspruchs auf Hinterbliebenengeld

Drucksache 18/11397

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs
auf Hinterbliebenengeld

Drucksache 18/11615

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/12421

b) Zweite und dritte Beratung des von den Ab-
geordneten Katja Keul, Renate Künast, Luise
Amtsberg, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Ge-
setzes über die Entschädigung für Opfer von

1) Anlage 13


(Opferentschädigungsgesetz – OEG)


Drucksache 18/10965

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales (11 . Ausschuss)


Drucksache 18/12400

Die Reden sollen auch hier zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe, Sie sind auch hier damit einverstan-
den .2)

Tagesordnungspunkt 30 a . Wir kommen zur Ab-
stimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU
und SPD eingebrachten Gesetzentwurf zur Einführung
eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld . Der Aus-
schuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12421, den Gesetzentwurf der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/11397 anzuneh-
men . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung einstimmig angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen .

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem
Parallelgesetzentwurf der Bundesregierung . Der Aus-
schuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12421, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/11615 für erledigt zu erklären . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist einstimmig angenommen .

Tagesordnungspunkt 30 b . Abstimmung über den Ge-
setzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Än-
derung des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer
von Gewalttaten . Der Ausschuss für Arbeit und Soziales
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12400, den Gesetzentwurf der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10965 abzulehnen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter
Beratung mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke abgelehnt .

Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die
weitere Beratung .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-

2) Anlage 14

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


zes zu dem Übereinkommen vom 25. Okto-
ber 2016 zur Errichtung der Internationalen
EU-LAK-Stiftung

Drucksache 18/11507

Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti-
gen Ausschusses (3 . Ausschuss)


Drucksache 18/12418

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Auswärtige Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12418, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 18/11507 anzunehmen . Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Bera-
tung einstimmig angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Angleichung des Urheberrechts an die aktu-
ellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft

(Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz – UrhWissG)


Drucksachen 18/12329, 18/12378
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind auch hier damit einverstanden .2)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf den Drucksachen 18/12329 und 18/12378 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen . Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist
nicht der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Förderung von Mieterstrom und
zur Änderung weiterer Vorschriften des Er-
neuerbare-Energien-Gesetzes

Drucksache 18/12355
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

1) Anlage 15
2) Anlage 16

Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Saathoff für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Johann Saathoff (SPD):
Rede ID: ID1823430200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Watt du sülmst maken kannst, bruukst du neet
kopen – was man selber machen kann, braucht man nicht
teuer zu erwerben . Das gilt auch für die Energiewende .
Energie auf dem eigenen Haus produziert, brauche ich
nicht mehr zu kaufen . Wir alle kennen den Spruch: Die
Sonne schickt keine Rechnung .

Die Energiewende findet derzeit in der Regel bei
Menschen statt – das muss man konstatieren –, die über
Eigentum oder zumindest über hinreichend Eigenkapital
verfügen . Man kann die berechtigte Frage stellen, ob das
auch wirklich gerecht ist . Die Energiewende ist richtig,
und das EEG ist ein gutes Gesetz, das weltweit – das
kann man an dieser Stelle festhalten – viele Nachahmer
gefunden hat .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Aber es gibt noch immer die Notwendigkeit für ständige
Anpassungen, nicht weil das Gesetz schlecht ist, sondern
weil sich die Welt weiterdreht und die Energiewelt eben
auch .

Bei der Finanzierung der Energiewende – das ist die
feste Meinung der SPD-Fraktion – könnte es gerechter
zugehen . Die Finanzierung der Energiewende, also die
Zukunft der EEG-Umlage, ist im Moment ein sehr viel
diskutiertes Thema . Da geht es zum Beispiel darum, ob
man nicht vielleicht die EEG-Umlage sozial gerechter
neu verteilen kann oder ob sie nicht sektoraler verteilt
werden könnte, also auf Strom, Wärme und gleichzei-
tig Mobilität . Darüber werden wir viel miteinander in
der nächsten Legislaturperiode sprechen müssen . In der
nächsten Legislaturperiode wird es uns zentral bei dieser
Energiewende darum gehen, dass sie insgesamt gerechter
wird .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mit dem Mieterstromgesetz wollen wir sogar noch vor
der Wahl einige Schritte in Richtung mehr Gerechtigkeit
tun . Es sollen auch Menschen an der Energiewende teil-
haben können, die nicht über Eigentum verfügen . Wir
wollen also auch die Vorteile und nicht nur die Kosten
der Energiewende auf mehr Schultern verteilen .

Dass die Energiewende im ländlichen Raum stattfin-
det, wissen wir alle . Mit dem Mieterstromgesetz wollen
wir die Energiewende aus den ländlichen Räumen heraus

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


auch in die urbanen Zentren tragen . Das ist eine der zen-
tralen Absichten dieses Gesetzes .


(Beifall bei der SPD)


Für das Mieterstromgesetz wollen wir nicht den im
EEG 2017 verhandelten und vorgegebenen Weg über
eine Verordnung gehen, sondern wir werden eine gesetz-
liche Regelung im EEG selber treffen . Da gehört sie ei-
gentlich auch hin; denn dadurch können wir wesentlich
zielführendere Regelungen treffen, die mit der Verord-
nung unmöglich gewesen wären .

Eine der zentralen Fragen ist: Machen wir ein Gesetz
für Mieter oder für Vermieter? Ganz wichtig für uns beim
Mieterstromgesetz ist der Schutz der Ersteren, nämlich
der Mieter . Klar ist, dass auch die Vermieter oder viel-
mehr die Gebäudeeigentümer einen Anreiz brauchen,
eine PV-Anlage aufs Dach zu schrauben . Aber oberste
Priorität für die SPD-Fraktion – das wollen wir an dieser
Stelle festhalten – ist, dass die Förderung aus dem EEG
den Mietern zu einem wesentlichen Anteil zugutekom-
men muss .


(Beifall bei der SPD)


Daher ist geregelt, dass die Mieter bei der Nutzung des
Mieterstroms ihren Strom immer mindestens 10 Prozent
günstiger bekommen müssen, als er im Regeltarif ange-
boten wird . Dafür hat die Bundesregierung einen, wie
ich finde, guten Gesetzentwurf vorgelegt. Es gibt aber
im parlamentarischen Verfahren noch viele Fragen zu
klären . Zum Beispiel: Wer soll eigentlich Mieterstrom-
modelle anbieten können? Wir wollen eine breite Palette
von Anbietern . Dazu gehören auch zwingend die Woh-
nungsbaugenossenschaften . Damit diese Mieterstrom an-
bieten können, bedarf es eigentlich nur kleinerer Anpas-
sungen im Steuerrecht, die aber existenziell sind . Dafür
wollen wir uns als Sozialdemokraten einsetzen . Ich sage
ganz deutlich: Wir wollen diese steuerlichen Anpassun-
gen, damit das Modell Mieterstrom auch wirklich so ein
Erfolgsmodell wird, wie wir uns das alle wünschen und
vorstellen .

Aber auch gute Gesetzesvorlagen haben noch Opti-
mierungspotenzial . Die Quartierslösungen, zumindest in
einem kleinen Rahmen, müssen möglich sein . Ich will an
dieser Stelle deutlich machen: Wenn wir uns die Photo-
voltaikwelt anschauen, dann wird in meiner ersten Hei-
mat Krummhörn auffallen, dass auf jedem dritten Dach
eine Photovoltaikanlage ist . In meiner zweiten Heimat
Kreuzberg ist das nicht der Fall . Wir arbeiten mit die-
sem Mieterstromgesetz daran, dass sich Kreuzberg und
Krummhörn, was die Anzahl der Photovoltaikanlagen
auf Dächern betrifft, ein Stück weit annähern .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Andreas Lenz [CDU/CSU])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823430300

Die Kollegin Eva Bulling-Schröter hat für die Frakti-

on Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823430400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Was lange währt, wird endlich gut“, würde ich gern
heute sagen . Aber es ist noch nicht alles in trockenen Tü-
chern, und wir haben auch sehr lange darauf gewartet,
dass Mieterstrom eine gesicherte gesetzliche Grundlage
erhält . 2014 hatte die Bundesregierung endlich eine Ver-
ordnungsermächtigung dazu versprochen . Es hat noch
weitere drei Jahre gedauert, bis nun eine Regelung vor-
liegt .

Den günstigen Strom vom eigenen Hausdach konnten
bislang vor allem Eigenheimbesitzer nutzen . Mieterinnen
und Mieter blieben bis auf wenige Modellprojekte außen
vor . Immerhin bis zu 3,8 Millionen Haushalte – das ist ja
nicht wenig – könnten Mieterstrom vom eigenen Dach
beziehen, besagt die Mieterstromstudie aus dem Wirt-
schaftsministerium . Wir als Linke halten Mieterstrom für
eine wichtige Form von Bürgerenergien, die die dezen-
trale Erzeugung von Strom und damit eine bürgernahe
Energiewende vorantreibt .


(Beifall bei der LINKEN)


Mieterstrom kann die Photovoltaik endlich auch in
die Städte bringen . Zudem können Mieterstrommodelle
zu einer lokalen Verankerung der Energiewende führen,
was Akzeptanz für den Umbau unseres Energiesystems
schafft, und das brauchen wir .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir unterstützen den Ansatz eines direkten Zuschus-
ses, wie er jetzt vorliegt; denn ein solcher Zuschuss kann
besser justiert werden als eine gesenkte oder vermiedene
EEG-Umlage, wie sie ebenfalls im Gespräch war .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Zudem entfallen beim Mieterstrom wie auch beim
Eigenverbrauch einige Kostenbestandteile wie Netzent-
gelte, netzseitige Umlagen, Stromsteuer und Konzessi-
onsabgaben, die sich derzeit auf etwa 12 Cent pro Kilo-
wattstunde summieren . Auf der anderen Seite müssen die
Betreiber die Kosten der Solaranlage tragen, ohne für je-
nen Teilstrom, der vor Ort verbraucht wird, die EEG-Ein-
speisevergütung zu erhalten . Vermieter dürfen den Mie-
tern – das wurde schon gesagt – den Strom nicht höher
als 90 Prozent des örtlichen Grundversorgers abgeben .

Jetzt kommen aber die Probleme des vorliegenden
Gesetzentwurfs . Sie möchte ich kurz benennen .

Als wichtigstes Hemmnis können wahrscheinlich die
steuerlichen Fragen gelten . Vermieter oder Gebäudeei-
gentümer werden beim Stromverkauf innerhalb des Ge-
bäudes gewerbesteuerpflichtig. Für Wohnungsunterneh-
men, die eigentlich von der Gewerbesteuer befreit sind
und nur eine verminderte Körperschaftsteuer zahlen, ist
das von Belang . Ursprünglich sollten die Vorteile von
Wohnungsunternehmen bei der Gewerbe- und Körper-
schaftsteuer erhalten bleiben . Hier ist also ein Problem,
und wir vermuten, dass es für Wohnungsunternehmen
dann weniger rentabel ist . Wir wollen ja so viel Mieter-
strom wie möglich .

Johann Saathoff






(A) (C)



(B) (D)


Ein weiteres Problem ist, dass es keine Lösung für
das Problem der Quartiersversorgung gibt . Der Bezug
von Strom vom benachbarten Hausdach beispielswei-
se gilt nicht mehr als Mieterstrom . Die Versorgung ei-
nes ganzen Wohnblocks ist nicht vorgesehen . Das wird
Wohnungsunternehmen, die mehrere nahe zusammenste-
hende Wohnhäuser besitzen, kaum zur Installation einer
PV-Dachanlage bewegen, weil sie jedes Haus einzeln ab-
rechnen müssen .


(Johann Saathoff [SPD]: Das wollen wir ändern!)


Auch Blockheizkraftwerke sind ausgeklammert .


(Klaus Mindrup [SPD]: Das haben wir doch schon vor zwei Jahren beschlossen!)


Unklar ist, ob eine Ladesäule für Elektroautos, die neben
einem Haus steht, überhaupt mit Mieterstrom beliefert
werden darf – bitte klären!

Ich verstehe nicht, dass in der langen Zeit, die man
sich hier gelassen hat, diese relevanten und bekannten
praktischen Probleme nicht gelöst wurden . Vielleicht
sagt Kollege Bareiß etwas dazu .

Ich sage: Es ist immer noch Zeit . Wir können noch
einige Dinge klären . Das ist existenziell wichtig . Aber
Mieterstrom ist natürlich besonders wichtig . Dass auf
diesem Gebiet jetzt endlich etwas passiert, können wir
nur begrüßen .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Johann Saathoff [SPD] und Dr . Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823430500

Das Wort hat der Kollege Thomas Bareiß für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1823430600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Mei-

ne Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich will
in dieser Debatte noch einmal sagen, wie erfolgreich
unsere Energiepolitik der letzten Jahre war . Wir haben
es geschafft, mit einem Anteil in Höhe von 33 Prozent
an unserer Stromversorgung die erneuerbaren Energi-
en voranzubringen . Das ist in der Welt einzigartig; kein
Indus trieland hat so viel geschafft wie wir in den letzten
Jahren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Diesen Erfolg unserer Energiepolitik, meine sehr ver-
ehrten Damen und Herren, muss man so einer Debatte
voranstellen . Auch andere Bereiche könnte man hier nen-
nen, ich will es aber aufgrund meiner kurzen Redezeit
nicht tun .

Mit dem Thema Mieterstrom wollen wir diese Er-
folgsgeschichte weiterführen . Wir wollen schauen, dass
wir im Bereich der Solarenergie die Energiewende auch

in die Städte holen . Wir haben die Situation – Johann
Saathoff hat es beschrieben –, dass wir die Investitio-
nen im ländlichen Raum gerade im Bereich der Solar-
energie getätigt haben . Du hast es für den Norden und
für Kreuzberg beschrieben, ich habe mir Marzahn he-
rausgesucht: Allein im Bereich Berlin mit 3,5 Millionen
Einwohnern haben wir derzeit 125 Megawatt Solarener-
gie, im Landkreis Altötting im Süden unseres Landes
mit 108 000 Einwohnern haben wir 180 Megawatt So-
larenergie; hier zeigt sich das Missverhältnis . Wir haben
im ländlichen Raum enorm investiert . In den nächsten
Jahren müssen wir schauen, dass wir gerade in den städ-
tischen Gebieten Investitionen tätigen,


(Beifall des Abg . Peter Stein [CDU/CSU])


dass wir Leistungen aufbauen, dass wir unsere Energie-
versorgung dezentral dort aufbauen, wo der Strom ge-
braucht wird: in den Städten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Schon heute – auch das möchte ich sagen – ist Mie-
terstrom günstig . Mit 11 Cent ist der Strom, der auf den
Dächern produziert wird, für Mieter heute günstiger als
ein Strom, der von außen bezogen wird . Netzentgelte,
Stromsteuer, Konzessionsabgaben sparen Mieter, wenn
sie Mieterstrom nutzen . Aber wir haben auch gespürt,
dass diese Begünstigung nicht ausreicht und dass wir
noch einen kleinen Anreiz brauchen, damit Mieterstrom
auch in der Fläche stärker genutzt wird .

Vor diesem Hintergrund wollen wir dieses Gesetz jetzt
angehen . Wir haben uns dafür lang genug Zeit genom-
men – das möchte ich ganz offen sagen –, wir haben uns
viele Gedanken darüber gemacht, welche Optionen mög-
lich sind, und uns eine sehr umfangreiche Studie vorge-
nommen . Jetzt haben wir die verschiedenen Optionen auf
dem Tisch . Ich glaube, dass der vorliegende Gesetzent-
wurf ein Schritt in die richtige Richtung ist .

Wir wollen jetzt den Mieterstrom nach dem EEG för-
dern, je nach Leistungsklasse mit 2,2 Cent bis 3,8 Cent .
Damit wird Mieterstrom wirtschaftlicher . Ich glaube,
dass der Mieterstrom damit dazu beitragen kann, dass
auch im Solarbereich neue Potenziale entstehen und in
den nächsten Jahren gerade in den Städten der Zubau
weitergeht . Das ist etwas, das wir für die nächsten Jahre
anstreben .

Trotzdem gibt es bei allem Vor- und Nachteile; auch
das möchte ich an dieser Stelle erwähnen . Wenn wir bei-
spielsweise hier in Berlin, in Kreuzberg oder wo auch
immer, mehr Mieterstrom produzieren, wird natürlich der
Strom für andere in Berlin teurer werden, weil das inner-
halb des Netzgebietes gewälzt wird . Deshalb haben wir
ganz klar gesagt: Wir wollen einen Deckel bei 500 Mega-
watt pro Jahr für neu installierte Solaranlagen einrichten,
damit die Förderkosten, die auf uns zukommen können,
73 Millionen Euro in Summe nicht übersteigen . Das ist
ein ganz klares Bekenntnis zur Kostentransparenz auf der
einen Seite, aber auch zur Kostenminimierung auf der
anderen Seite . Wir wollen die Energiewende weiterhin

Eva Bulling-Schröter






(A) (C)



(B) (D)


für alle bezahlbar machen, gerade in den Städten, meine
sehr verehrten Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein weiteres Thema, das uns wichtig gewesen ist, war
die Vertragsfreiheit für die Mieter, damit jeder seinen
Stromanbieter selber aussuchen kann und nicht auf den
Stromanbieter, den der Vermieter wählt, zurückgreifen
muss . Die Vertragsfreiheit ist also weiterhin gewährleis-
tet .

Wir haben – Johann Saathoff hat es schon beschrie-
ben – eine Obergrenze eingeführt: Maximal 90 Prozent
des Grundversorgungstarifs darf der Mieterstrom kosten .
Auch das ist ein klarer Schutz für die Verbraucher und ist
für uns genauso wichtig gewesen wie der weitere Ausbau
der Solarenergie .

Mit dem jetzigen Entwurf gehen wir in die richtige
Richtung . Wir nutzen das Potenzial der Zukunft, wollen
Mieterstrom vor Ort, gerade in den Städten, möglich ma-
chen . Wir wollen die Energiewende weiter sinnvoll ge-
stalten . Ich freue mich auf das jetzt anstehende Gesetzge-
bungsverfahren . Wir wollen es in den nächsten drei, vier
Wochen abschließen, damit Mieterstrom in der Breite
dann noch stärker möglich ist .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823430700

Das Wort hat die Kollegin Dr . Julia Verlinden für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823430800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist

schön, dass sich die Kolleginnen und Kollegen aus den
Koalitionsfraktionen dazu entschieden haben, am Ende
der Legislaturperiode nun doch noch ein Mieterstromge-
setz einzubringen, das die Solarstromerzeugung unter-
stützen soll .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ehrlich gesagt, diese Initiative kommt reichlich spät . Bis-
her haben Sie in der Großen Koalition ja hauptsächlich
darüber nachgedacht, wie Sie den Ausbau der erneuerba-
ren Energien verlangsamen können .


(Zuruf von der CDU/CSU: Wir denken nach! Ganz genau!)


Die Folgen dessen sind aber dramatisch . Andere Länder
haben Deutschland bei der Neuinstallation von Wind-
und Solarenergie längst überholt . Die wissen, wo die Zu-
kunft liegt .

In Deutschland kämpfen die innovativen Erneuerba-
re-Energien-Unternehmen und die engagierten Bürger-
energiegenossenschaften gegen die Hürden dieser Bun-
desregierung . Es wird höchste Zeit, die Energiewende
auch in die Städte zu bringen . Denn auch Mieterinnen
und Mieter wollen sauberen Strom direkt vom Dach ihres

Hauses beziehen können . Aber nicht nur Mieterinnen und
Mieter profitieren von einem vernünftigen Mieterstrom-
gesetz, sondern auch die Solarwirtschaft kann dadurch
neue Impulse bekommen; denn diese Branche haben Sie
mit Ihrer Politik leider ziemlich kleingekriegt .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was ein Skandal ist!)


Aber bevor ich hier zu viel Euphorie aufkommen las-
se, muss ich leider noch ein Fass Wasser in das Glas Wein
gießen . Der Gesetzentwurf aus dem Wirtschaftsministeri-
um, den die Koalitionsfraktionen hier eingebracht haben,
ist noch mit einigen Bremsklötzen versehen . Ich freue
mich sehr, dass die Kollegen gerade Punkte genannt ha-
ben, die sie noch ändern wollen . So wie das Gesetz jetzt
ist, wird es nämlich keinen nennenswerten Effekt auf den
Klimaschutz haben . Damit verschenken Sie wertvolle
Potenziale, auch für die Energiewende zum Mitmachen .

Sie wollen Mieterstrom auf die Mieterinnen und Mie-
ter beschränken, welche genau in dem Haus wohnen, auf
dem die Anlage errichtet wird . Damit lassen Sie viele
Menschen außen vor, die vom Mieterstrom profitieren
könnten . Es gibt nun einmal Häuser, die kein geeignetes
Dach für eine Solaranlage haben . Aber Häuser, welche
direkt daneben liegen, haben vielleicht ein geeignetes
Dach . In einem solchen Fall muss es doch möglich sein,
mit einer Anlage auch die Mieter in den umliegenden
Häusern mit zu versorgen . Wir brauchen also in diesem
Gesetz unbedingt den Quartiersansatz, von dem gerade
schon die Rede war . Ich hoffe, dass es uns gelingt, dies
noch in das Gesetzgebungsverfahren einzubringen . Denn
dann würden alle profitieren, nicht nur die Bewohner ei-
nes Hauses mit geeigneter Dachausrichtung .

Als Nächstes komme ich zu einem Lieblingsthema der
Union, zum sogenannten Deckel . Es gibt den Erneuerba-
re-Energien-Deckel, es gibt den Wind-Onshore-Deckel,
den Wind-Offshore-Deckel, den Netzausbaugebietsde-
ckel, den 52-Gigawatt-Photovoltaik-Deckel, den Photo-
voltaik-Jahresdeckel und den Bioenergiedeckel .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das zur Freiheit bei der Union! Alles gedeckelt!)


Bei der Union gibt es kein Erneuerbare-Energien-Ge-
setz mehr ohne Deckel . Vor dem Hintergrund der Pari-
ser Klimaschutzziele sind diese Deckel fatal . Angesichts
stark gesunkener Preise für erneuerbare Energien tragen
auch Ihre Begründungen für diese Deckel nicht mehr .
Für das Mieterstromgesetz gilt das ganz besonders . Diese
Deckel der Großen Koalition haben keine andere Funk-
tion, als die Energiewende auszubremsen . Das ist grob
fahrlässig .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bremsen statt Freiheit!)


Die Klimakrise interessiert nämlich nicht, ob die Uni-
on beim Ausbau der erneuerbaren Energien doch lieber
etwas langsamer machen möchte . Die Klimakrise kommt
umso schneller und heftiger, je länger wir für die Umset-
zung der Energiewende brauchen . Lassen Sie uns also

Thomas Bareiß






(A) (C)



(B) (D)


den neuen Mieterstromdeckel im Gesetzentwurf und am
besten auch die anderen Deckel streichen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Noch ein Punkt, Johann Saathoff, zum Thema „Ge-
rechtigkeit bei der Energiewende“ . Mit fast 2 Cent pro
Kilowattstunde subventionieren die privaten Haushalte
und der Mittelstand die energieintensiven Unternehmen,
die von den üppigen Industrieprivilegien profitieren.
Auch da müssen wir etwas ändern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns das
parlamentarische Verfahren nutzen, um den Gesetzent-
wurf zu verbessern und den Mieterstrom zu einem Erfolg
werden zu lassen: für die Mieterinnen und Mieter, aber
vor allen Dingen für die Energiewende .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dagmar Ziegler [SPD])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823430900

Der Kollege Klaus Mindrup hat für die SPD-Fraktion

das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Klaus Mindrup (SPD):
Rede ID: ID1823431000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Eben haben wir uns ja

noch bei den Freundinnen und Freunden von den Klein-
gärtnern gesehen . Liebe Kolleginnen und Kollegen!


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ich war hier! – Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Wir waren im Plenum, nicht bei den Kleingärtnern!)


Ich finde, heute ist ein guter Tag: für die Energiewen-
de in Deutschland, für den Klimaschutz, für die Miete-
rinnen und Mieter, für das Handwerk, aber auch für alle
Verbraucherinnen und Verbraucher .

Wir haben als SPD lange für das Mieterstromkonzept
gekämpft . Ich bin jetzt sehr froh, dass wir gemeinsam
mit unserem Koalitionspartner dieses Projekt auf den
Weg gebracht haben, und ich möchte mich dafür auch
ausdrücklich bedanken .

Das Mieterstromkonzept hat zwei Säulen . Die ers-
te Säule ist die dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung mit
hocheffizienten Gaskraftwerken. Das haben wir schon im
vorletzten Jahr beschlossen, Frau Kollegin . Das ist be-
reits auf den Weg gebracht; das läuft . Die zweite Säule ist
die Nutzung von Sonnenenergie, von Photovoltaik, um
sie dezentral in den Quartieren zu nutzen . Das bringen
wir jetzt auf den Weg .

Ich möchte eines hervorheben: Dies ist eine Gesetzes-
initiative, die aus dem Parlament hervorgegangen ist und
die nicht von der Regierung gekommen ist . Das ist etwas
ganz Besonderes .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Warum ist das passiert, und warum haben wir so viel
Unterstützung? Das liegt daran, dass viele in der Zivil-
gesellschaft meinen, dass das etwas Sinnvolles ist . Die
Wohnungswirtschaft, der Deutsche Mieterbund, die Ver-
braucherzentrale, die Umweltverbände und viele Ener-
gieversorger aus der kommunalen Energiewirtschaft,
aber auch die Ökostromanbieter sagen, das sei ein richti-
ger Weg, den wir hier gehen .

Wir können im Bundestag Recht setzen . Wir machen
Gesetze . Die Unterstützung für den Mieterstrom ist des-
wegen so groß, weil Mieterstrom die physikalischen Ge-
setze beachtet . Es ist nämlich sinnvoll, Strom vor Ort zu
erzeugen und zu nutzen; höhere Effizienz. Das wird am
Ende auch dazu führen, dass die Kosten der Energiewen-
de volkswirtschaftlich betrachtet geringer sind . Deswe-
gen ist Mieterstrom nicht nur etwas für die betroffenen
Mieterinnen und Mieter; er wird die gesamten Kosten der
Energiewende begrenzen . Es ist daher auch volkswirt-
schaftlich sinnvoll, die Dachflächen der Mietshäuser zu
nutzen und so die Energiewende in die Städte zu tragen;
das haben wir im Prinzip bereits gehört . Wir gewinnen
so klimafreundlich erneuerbare Energien . Wir schaffen
Arbeitsplätze in der Solarindustrie, Arbeitsplätze im
Handwerk und neue Vermarktungswege für den erneu-
erbaren Strom – das ist mir auch sehr wichtig – jenseits
der Strombörse . Die Mieterinnen und Mieter werden in
ihrer Vertragsfreiheit nicht beschränkt . Sie bekommen
den Strom kostengünstiger .

Wenn jetzt gesagt wird: „Das führt zu Kostennach-
teilen“, dann erwidere ich: Man muss die Ausbauvari-
anten vergleichen . Was ist teurer, die Energiewende in
die Städte zu holen oder den Strom weiterhin nur auf
Einfamilienhausdächern und in großen Solaranlagen vor
den Städten zu gewinnen? Alle Gutachten sagen, dass der
dezentrale Weg der bessere ist .

Wir hören jetzt auch Kritik aus der Energiewirtschaft .
Es wird gesagt: Es wird weniger Strom durch die Netze
geleitet . – Aber dazu muss man sagen: In Zukunft brau-
chen wir eher mehr Strom für Mobilität, für Wärmepum-
pen, sodass es sinnvoller ist, den Strom stärker auch vor
Ort zu nutzen und damit Reserven in unseren Netzkapa-
zitäten zu haben . Auch das spricht dafür, dass wir diesen
Weg gehen .

Wir werden an diesem Gesetzentwurf noch etwas
verbessern müssen; das ist schon deutlich geworden .
Vor allen Dingen macht es keinen Sinn, Mieterstrom nur
für einzelne Hausaufgänge zu machen . Wir werden den
Quartiersansatz durchbringen . Ich hoffe, dass wir das ge-
meinsam mit unserem Koalitionspartner auch hinbekom-
men . Das ist nämlich sehr vernünftig .

Mieterstrom ist ein wichtiger Baustein für die zukünf-
tige Energiewende . Ich möchte Sie herzlich bitten, diesen
Ansatz zu unterstützen, und schließe mit dem alten Wort:
Zur Sonne, zur Freiheit!


(Beifall bei der SPD – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne Deckel!)


Dr. Julia Verlinden






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823431100

Der Kollege Dr . Andreas Lenz hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Andreas Lenz (CSU):
Rede ID: ID1823431200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe zahlreich anwesende Kolle-
ginnen und Kollegen!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es freut mich, dass wir heute noch über das Gesetz zum
Mieterstrom diskutieren können, obwohl es nicht an mir
liegt – das muss ich ehrlicherweise sagen –, dass die De-
batte heute noch stattfindet.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten Ihre Rede auch zu Protokoll geben können!)


Natürlich ist der Gesetzentwurf richtig und wichtig .
Mieterstrom bezeichnet die Lieferung von Strom aus ei-
ner Photovoltaikanlage auf dem Dach eines Wohngebäu-
des an die entsprechenden Mieter . Die Mieter erhalten
Strom direkt vom Dach der Wohnanlage und können so
von günstigen Strompreisen profitieren. Die Energiewen-
de wird in die Städte getragen .

Momentan existieren in der Praxis nur wenige Mieter-
strommodelle . Mit dem Gesetz wollen wir daher einen
Anreiz dafür setzen, dass zukünftig mehr Mieterstrom-
projekte umgesetzt werden . Mieterstrommodelle sollen
dabei in erster Linie den Mietern zugutekommen . Zudem
können sie dazu beitragen, den Zubau bei der Photovol-
taik zu steigern . Aktuell wird das gesetzlich verankerte
Zubauvolumen von 2 500 Megawatt nicht erreicht . Au-
ßerdem ist die Mieterstromförderung deutlich niedriger
als die reguläre Förderung nach dem EEG . Es sollen An-
lagen bis zu einer Größe von 100 kW gefördert werden .
Der Höchstförderbetrag wird letztlich circa 3,81 Cent pro
Kilowattstunde betragen . Große Mieterstromanlagen er-
halten dabei einen geringeren Förderbetrag als die klei-
nen .

Bei Mieterstrommodellen werden die Dachflächen für
Photovoltaik genutzt . Wir haben hier nach wie vor hohes
Potenzial . Studien zufolge bietet gerade das Mieterstrom-
modell auf knapp 370 000 Wohngebäuden für insgesamt
3,8 Millionen Haushalte Zugang zu Photovoltaikstrom
aus eigener Produktion . Mir persönlich ist die Photovol-
taik auf dem Dach immer noch lieber als auf Freiflächen
oder auf landwirtschaftlich nutzbaren Flächen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich ist es wie bei jeder Förderung im Rahmen
des EEG auch hier so, dass die entsprechenden Kosten
von denjenigen Stromverbrauchern getragen werden, die
nicht in den Genuss der Förderung kommen . Auch des-
halb deckeln wir den Zubau in Höhe von 500 Megawatt
jährlich . Zudem sehen wir auch eine Evaluierung dieses
Instruments vor und beobachten sie sehr genau .

Wichtig ist uns auch, dass die Mieter die Wahlfreiheit
haben; das wurde schon mehrfach angesprochen . Miet-
vertrag und Mieterstromvertrag sind klar zu trennen . Es
müssen zwei getrennte Verträge erstellt werden und die
Wahlfreiheit der jeweiligen Mieter genau beachtet wer-
den . Der Preis für Mieterstrom ist außerdem auf 90 Pro-
zent des Grundversorgungstarifes begrenzt . Auch hier
werden wir die Mieter schützen .

Mit dem Mieterstromgesetz bringen wir am Ende die-
ser Legislaturperiode ein weiteres energiepolitisches Ge-
setzesvorhaben auf den Weg: nach dem EEG 2014, nach
dem EEG 2017, nach der Einführung von Ausschreibun-
gen in der Reformierung des KWKG, nach der Sicherung
der Eigenversorgung, nach der Implementierung von
Strommarktregeln – um nur einige Punkte anzusprechen,
die wir miteinander beraten haben . Wir haben Schritte
nach vorne gemacht . Wir haben die Planbarkeit erhöht .
Wir haben die einzelnen Faktoren verknüpft, beispiels-
weise auch hinsichtlich der Synchronisierung des Aus-
baus der Erneuerbaren und des Netzausbaus, damit das
parallel läuft . Wir haben aber nach wie vor Herausforde-
rungen, die mit weiter steigenden Anteilen an erneuerba-
ren Energien eher größer als kleiner werden . Es zeigt sich
auch, dass einige Annahmen aus der Vergangenheit – ich
erinnere nur daran, dass vor sieben Jahren viele gesagt
haben, die Rohölpreise werden jährlich um 2 bzw . 3 Pro-
zentpunkte steigen – so nicht eingetreten sind .

Wir werden keine Stromerzeugung zum Nulltarif be-
kommen . Die Energiewende ist also mehr denn je eine
Generationenaufgabe . Die Energiethemen werden uns
auch in Zukunft beschäftigen, auch hier in der nächsten
Legislatur . Deswegen gilt es natürlich auch, vernunft-
bezogene Ansätze, das Verknüpfen der Bausteine, das
Koordinieren der unterschiedlichen Sektoren voranzu-
treiben .

Mein herzlicher Dank geht an die Berichterstatter, an
Thomas Bareiß und Johann Saathoff .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Trotz zähen Ringens haben wir es immer geschafft,
Lösungen zu erzielen . Selbst zum Ende der Legislatur
schaffen wir das noch . Das ist hochrespektabel .

Ich wünsche noch einen schönen Abend und anschlie-
ßend eine schöne und gute Nacht bei – wie war es vor-
her? bei Sonnenschein – Mondschein oder Kerzenschein .
Ich weiß gar nicht, ob wir heute einen Mond sehen . Es ist
auf jeden Fall ein gutes Gesetz, das wir einbringen . Ich
bitte um Unterstützung .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823431300

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/12355 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .






(A) (C)



(B) (D)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Beitrittsprotokoll
vom 11. November 2016 zum Handelsüberein-
kommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Eu-
ropäischen Union und ihren Mitgliedstaaten
einerseits sowie Kolumbien und Peru anderer-
seits betreffend den Beitritt Ecuadors

Drucksache 18/11556

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss)


Drucksache 18/12410

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)

Mir liegen mehrere Erklärungen nach § 31 unserer
Geschäftsordnung vor .2) Entsprechend unserer Regeln
nehmen wir sie zu Protokoll und kommen nun zur Ab-
stimmung .

Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12410,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/11556 anzunehmen .

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Lin-
ke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 sowie den Zu-
satzpunkt 8 auf:

35 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-

(Kinderund Jugendstärkungsgesetz – KJSG)


Drucksache 18/12330
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate
Walter-Rosenheimer, Katja Dörner, Dr . Franziska
Brantner, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Stark ins eigene Leben – Wirksame Hilfen für
junge Menschen

Drucksache 18/12374
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung

1) Anlage 17
2) Anlage 18

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Wenn jetzt alle Fraktionen wieder mitmachen, dann
eröffne ich die Aussprache . Das Wort hat die Parlamenta-
rische Staatssekretärin Caren Marks .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


C
Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1823431400


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Kinder brauchen stabile Beziehungen,
um stark zu werden . Sie müssen vor Gewalt geschützt
sein, und sie benötigen gute Bildungschancen, und zwar
von Anfang an . Der Gesetzentwurf, den wir heute bera-
ten, die Reform des SGB VIII, ist ein Gesetzentwurf zur
Stärkung von Kindern und Jugendlichen . Er enthält drei
Schwerpunkte:

Erstens: die Stärkung von Pflegekindern und ihren Fa-
milien. Wie alle Kinder brauchen Pflegekinder gute und
stabile Beziehungen und Bindungen . Heute gibt es aber
nicht wenige Kinder, bei denen es zwischen leiblichen
Eltern und Pflegefamilie hin und hier geht, manchmal
sogar mehrfach . Manch stabile Beziehung wird dadurch
zerrissen, kaum dass ein Kind sie aufgebaut hat .

Mit der Reform des SGB VIII wollen wir regeln, dass
über die Perspektive eines Pflegeverhältnisses schneller
und vor allem auch transparenter entschieden wird: Soll
das Kind nur vorübergehend oder dauerhaft in der Pfle-
gefamilie bleiben? Welche Unterstützung brauchen Pfle-
gekind, Pflegeltern und auch Herkunftsfamilie?

Ein Kind aus der Familie zu nehmen, ist und bleibt
das letzte Mittel . Deshalb wollen wir auch die Beratung
und Unterstützung der Herkunftseltern stärken . Das Ju-
gendamt unterstützt die leiblichen Eltern ebenso wie die
Pflegefamilie, stellt Kontakt zwischen einem Kind und
seinen leiblichen Eltern her und begleitet sie .

Außerdem wollen wir den Familiengerichten eine
neue Möglichkeit geben . Sie sollen anordnen können,
dass ein Kind auf Dauer in der Pflegefamilie bleibt, wenn
ziemlich sicher ist, dass es nicht in seine Herkunftsfami-
lie zurückgehen kann. Für Pflegekinder in Dauerpflege-
verhältnissen soll das mehr Stabilität und mehr Sicher-
heit bringen . Kinder, die beispielsweise von ihren Eltern
schwer misshandelt wurden, müssen die Chance haben,
in der Pflegefamilie zu bleiben, anstatt zurückzumüssen
und zu erleben, dass die Misshandlungen wieder losge-
hen .

Der zweite Schwerpunkt des Gesetzentwurfes, lie-
be Kolleginnen und Kollegen, ist die Zusammenarbeit
von Kinder- und Jugendhilfe und Gesundheitswesen im
Kinderschutz . Die Evaluation des Bundeskinderschutz-
gesetzes hat gezeigt, dass der Kinderschutz in unserem
Land besser geworden ist . Sie hat aber auch gezeigt, wo
noch Bedarf besteht . Da gibt es zum Beispiel die Befug-
nisnorm in § 4 des Gesetzes zur Kooperation und Infor-
mation im Kinderschutz . Menschen aus verschiedenen
Berufsgruppen, die genau davon betroffen sind, haben

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


den Hinweis gegeben, dass diese Befugnisnorm nicht
klar genug formuliert ist . Wenn aber eine Ärztin oder
eine Hebamme beispielsweise unsicher ist, wann sie von
ihrer Schweigepflicht entbunden ist, wird sie sich viel-
leicht nicht an das Jugendamt wenden . Deshalb formu-
lieren wir die Befugnisse zur Datenweitergabe an das
Jugendamt für Berufsgeheimnisträger klarer . Wir wollen
ihnen eine klare Orientierungshilfe geben und für mehr
Handlungssicherheit im Kinderschutz sorgen .

Ärztinnen und Ärzte sagen auch: Wir wollen wissen,
was aus unseren Hinweisen wird und wie es mit dem
Kind und seiner Familie weitergeht . Vor allem können
sie aber auch einen wichtigen Beitrag zur Einschätzung
der Gefährdungssituation eines Kindes leisten . Auch des-
halb sollen sie einbezogen werden, wenn das Jugendamt
dies nach fachlicher Einschätzung für notwendig hält .
Wir wollen die Zusammenarbeit zwischen der Kinder-
und Jugendhilfe und dem Gesundheitswesen für den
Kinderschutz stärken .


(Beifall bei der SPD)


Den dritten Schwerpunkt bildet eine verbesserte
Heim aufsicht . Kinder und Jugendliche in Heimen sind
besonders schutzbedürftig . Wir wollen ihre Rechte stär-
ken, indem wir planen, Beschwerdemöglichkeiten au-
ßerhalb der Einrichtung einzuführen . Zudem wollen wir
die Voraussetzungen für eine Betriebserlaubnis und die
Kontrollmöglichkeiten der Aufsichtsbehörden erweitern .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen: Wir
hätten gerne mehr gemacht . Wir wollen weiterhin die
Zusammenführung der Zuständigkeiten für Kinder und
Jugendliche unter dem Dach der Kinder- und Jugendhil-
fe, die sogenannte inklusive Lösung . Für die Kinder und
ihre Familien ist es wichtig, dass alle Leistungen für Kin-
der und Jugendliche aus einer Hand kommen . Egal ob ein
Kind eine körperliche, seelische, geistige oder gar keine
Behinderung hat: Alles aus einer Hand – das kann nur die
Kinder- und Jugendhilfe .

Nach zweijährigen intensiven Beratungen gibt es aber
noch Diskussionsbedarf – weniger über das, was nötig
ist, als über den besten Weg . Deshalb haben wir gemein-
sam mit dem Deutschen Verein das Dialogforum „Zu-
kunft der Kinder- und Jugendhilfe“ gestartet . Genau dort
setzen wir die Debatte über die Umsetzung der inklusi-
ven Lösung fort . Das wird eine Aufgabe für die nächste
Wahlperiode . Liebe Kolleginnen und Kollegen, aber die
Verbesserungen für die Pflegekinder und ihre Familien,
die Verbesserungen beim Kinderschutz und bei der Hei-
maufsicht sollten wir jetzt auf den Weg bringen .

Ich wünsche uns noch eine gute restliche Debatte zu
später Stunde .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823431500
Das Wort hat der Kolle-
ge Norbert Müller für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Norbert Müller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823431600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Wir beraten heute ein zentrales Vorhaben der
Koalition im Bereich der Kinder-, Jugend- und Famili-
enpolitik, nämlich die Reform des Sozialgesetzbuches
Achtes Buch, also des Kinder- und Jugendhilferechtes .

Das SGB VIII wurde nach über 20-jähriger Debat-
te Anfang der 90er-Jahre als Gesetz mit umfassenden
Rechtsansprüchen für Kinder und Jugendliche, für jun-
ge Volljährige, für Heranwachsende und für Familien
beschlossen . Es folgt einem sozialpädagogischen Leit-
bild . Deswegen ist es richtig, dass wir das Kinder- und
Jugendhilfegesetz insgesamt verteidigen .


(Beifall bei der LINKEN)


Eine Gruppe wurde damals aber nicht in die Geltung
des SGB VIII einbezogen; die Staatssekretärin hat darauf
gerade dankenswerterweise hingewiesen . Kinder und Ju-
gendliche mit Behinderungen fallen eben nicht vollum-
fänglich unter den Geltungsbereich des SGB VIII . Wir
haben hier schwierige Rechtskreise in Bezug auf die
Wiedereingliederungshilfe . Das sollte harmonisiert wer-
den . Die große Lösung, hinter der zumindest verbal alle
Parteien stehen, ist Ziel Ihrer Koalition gewesen .

Die Koalition ist also angetreten, das SGB VIII zu re-
formieren und Kinder und Jugendliche mit Behinderung
vollständig in die Kinder- und Jugendhilfe zu überfüh-
ren . Was Sie heute zur Geisterstunde – und wir haben
gleich Geisterstunde – hier vorgelegt haben, hat damit
aber null Komma nichts zu tun .


(Beifall bei der LINKEN)


Dazu passt eben auch, dass das, was Sie heute vor-
stellen, keine große Lösung ist, sondern im Wesentli-
chen Ausdruck von großem Chaos: ein katastrophaler,
intransparenter Gesetzgebungsprozess; acht Gesetzent-
würfe bzw . Vorentwürfe oder Arbeitsfassungen haben in
anderthalb Jahren das Licht der Öffentlichkeit erblickt –
Sie kennen wahrscheinlich noch mehr –; Hunderttausen-
de Beschäftigte, die gnadenlos verunsichert sind; Träger,
Familien, Betroffene, die nicht wissen, wohin die Reise
eigentlich geht . Sie wissen das; denn wir sind überhäuft
worden mit Zuschriften von großen Verbänden, von Trä-
gern, von Beschäftigten, von Mitarbeitern der Jugendäm-
ter, von Jugendhilfeausschüssen, von Familien . Das
heißt, Hunderttausende Beschäftigte, betroffene Kinder,
Jugendliche und Familien sowie große, aber auch kleine
Träger wurden durch diesen Gesetzgebungsprozess hoff-
nungslos verunsichert .

Was Sie heute vorlegen, ist abzulehnen . Ich nenne Ih-
nen kurz drei Gründe, warum wir das insgesamt ablehnen
werden:

Erstens . Das Jugendwohnen, das Sie mit dem Gesetz
auf ein Minimum herunterfahren wollen, bietet Minder-
jährigen und jungen Volljährigen die Möglichkeit, wäh-
rend ihrer Ausbildung preiswert zu wohnen . Wir haben
bereits mehrfach über die Mietensituation in großen
Städten geredet . Daher ist das Jugendwohnen dringend

Parl. Staatssekretärin Caren Marks






(A) (C)



(B) (D)


notwendig . Anstatt das Jugendwohnen auszubauen, fah-
ren Sie es zurück . Das werden wir nicht mittragen .


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens . Die offene Kinder- und Jugendarbeit – ich
finde, das ist der größte Hammer – erschweren Sie noch
zusätzlich . An der Stelle, an der wir die Kinder- und Ju-
gendarbeit ausbauen müssten, wird sie erschwert . Was
passiert jetzt konkret? Sie sagen, dass in der offenen Kin-
der- und Jugendarbeit auch dann, wenn die Beteiligten
vor Ort ehrenamtlich unterwegs sind und keine öffentli-
che Förderung in Anspruch nehmen, bestimmte Melde-
auflagen erfüllt werden müssen und Schutzkonzepte auf-
gestellt werden sollen . Also, wenn fünf junge Menschen
in der Garage ihrer Eltern ein Jugendprojekt starten, dann
sollen sie zukünftig ein Schutzkonzept gegen sexuelle
Übergriffe aufstellen, dann sind sie meldepflichtig, dann
müssen sie das Projekt beim Jugendamt anmelden und
in eine stetige Kooperation eintreten . Das ist völlig irre .
Damit erwürgen Sie die offene Kinder- und Jugendarbeit .
Wir haben bereits in Gesprächen darüber geredet: Das
muss weg . Das können wir nicht mittragen .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Drittens . Sie führen – das war ein besonderer Wunsch
einiger Länder; bedauerlicherweise trägt die Bundesre-
gierung das nun mit – doppelte Standards für Kinder und
Jugendliche mit ausländischem Hintergrund ein, näm-
lich für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge . Durch
eine Öffnungsklausel werden Sie erreichen – das wird in
den Ländern so passieren; das wissen wir ganz genau;
Länderausnahmeklauseln waren ja die Zielvorgabe der
Bundesländer, die Sie quasi beauftragt haben, zumindest
einiger –, dass es in Zukunft ein Kinder- und Jugendhil-
ferecht für deutsche Kinder und Jugendliche gibt und ein
Kinder- und Jugendhilferecht mit niedrigeren Standards
für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge . Auch das
werden wir in keinem Fall mittragen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie haben eine gro-
ße Lösung angekündigt . Sie haben viel Porzellan zer-
schlagen . Am Ende haben Sie eine große Überschrift
produziert: Kinder- und Jugendstärkungsgesetz . Das ist
ein Hohn . Sie stärken Kinder und Jugendliche mit dieser
Reform des Sozialgesetzbuches VIII nahezu nicht . Das
Beste wäre, Sie würden diesen Entwurf zurückziehen
und einen Neustart in der nächsten Wahlperiode ermög-
lichen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823431700

Das Wort hat der Kollege Marcus Weinberg für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Guter Mann!)



Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1823431800

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Werte Kolleginnen

und Kollegen! Ja, es ist richtig: Eine Reform des KJHG
im SGB VIII ist für viele von uns die Königsdisziplin
in der Familienpolitik . Viele von uns, von Bayern bis
Schleswig-Holstein, kommen aus der Kinder- und Ju-
gendhilfe und wissen, welche Auswirkungen eine Re-
form haben kann, nämlich gravierende Auswirkungen
auf die Lebensverhältnisse gerade von Kindern . Des-
wegen ist es für uns wichtig, dass wir uns sehr sorgsam
anschauen, was die Bundesregierung, was das Familien-
ministerium vorgelegt hat .

Das ist tatsächlich ein bisschen die Kür nach drei-
einhalb Jahren Großer Koalition . Ich muss aber einge-
stehen – es tut mir leid, Frau Parlamentarische Staats-
sekretärin –: Kür ist der Gesetzentwurf nicht, in Teilen
entspricht er noch nicht einmal der Pflicht. Wir haben da
deutliche Kritik . Warum ist das Gesetz so wichtig, und
warum ist es so wichtig, die Reformen hinsichtlich ihrer
Auswirkungen zu überprüfen? Weil wir über Kinder und
Jugendliche reden .

Im Übrigen will ich eines sagen: Die UN-Kinder-
rechtskonvention und das Grundgesetz besagen – das ist
unser Verständnis –, dass Kinder zum Beispiel ein Recht
auf Erziehung durch die Eltern haben . Wenn Sie sagen,
dass Sie nicht möchten – das möchten wir auch nicht –,
dass Kinder zurückkommen in eine Familie, in der sie
Gewalt und Missbrauch erfahren haben, dann kann ich
Ihnen nur entgegnen: Das darf es bereits heute nicht ge-
ben . – Ich komme aus Hamburg . Wir haben entsprechen-
de Fälle gehabt . Der Fall Yagmur ist, glaube ich, in ganz
Deutschland bekannt . In diesem tragischen Fall kam das
Kind zu früh zurück zu den leiblichen Eltern und ist dann
verstorben . Das darf es aber bereits heute nicht geben .


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es aber!)


Wir warnen aber davor – das ist unsere große Sorge, Frau
Dörner –, mit Gesetzesänderungen, die wir in wenigen
Wochen durchbringen, das Kind mit dem Bade auszu-
schütten . Das werden wir nicht tun .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es gab auch schon am ersten Entwurf Kritik; ich
glaube, auch wir als Union haben das deutlich gemacht .
Wenn Sie eine solche Reform auf den Weg bringen, dann
ist das eine große Reform . 1990/91 hat man viele, viele
Monate, ja sogar Jahre gebraucht . Man hat gesagt: Wir
brauchen die Verbände, die Träger und die Betroffenen .
Wir reden hier über viele Personengruppen und Interes-
sensgruppen und übrigens auch über viel Geld, zum Bei-
spiel über 7 Milliarden Euro für Hilfen zur Erziehung .
Der Aufwuchs der Mittel ist uns allen bekannt . Da muss
man auch einmal fragen: Wie sind die Strukturen? Die-
se müssen überprüft werden . Aber all das muss gemein-
schaftlich und transparent erfolgen . Dafür braucht man
einen offenen Diskurs, und zwar nach Möglichkeit am
Anfang einer Legislaturperiode und nicht am Ende .

Deswegen muss ich sagen, dass die Kritik vieler Ver-
bände am Verfahren berechtigt ist . Auch das sagen wir
ganz deutlich . Deswegen werden wir in den nächsten

Norbert Müller (Potsdam)







(A) (C)



(B) (D)


Tagen und Wochen mit unserem Koalitionspartner ge-
nau überprüfen, welche Änderungen wir mitgehen kön-
nen . Wir werden nach der Anhörung, die wir demnächst
durchführen, überprüfen, was noch machbar ist . Aller-
dings glaube ich, dass man dieses Verfahren deutlich kri-
tisieren muss .

Ich warne davor, jetzt kurzfristig noch Schlechtes
zu machen, auch wenn man es gut meint . Genauigkeit
geht für uns in der Union vor Schnelligkeit; das sagen
wir ganz deutlich . Wir brauchen also einen sorgfältigen
Prozess . Das steht übrigens auch so in unserer Koaliti-
onsvereinbarung: ein sorgfältig strukturierter Prozess auf
einer fundierten empirischen Grundlage . Wir wollen wis-
sen, welche Maßnahmen welche Auswirkungen haben
und welche Auswirkungen es durch Änderung des KJHG
und natürlich auch des BGB gibt . Ich komme gleich zu
dem einen Beispiel, das auch Sie angeführt haben – das
ist Ihnen wichtig, und das ist auch uns wichtig –, nämlich
die Frage: Wie geht es weiter bei den Pflegekindern?

Es gibt Änderungen, die tragbar sind . Zum Beispiel
mit denen im Bereich der Heimaufsicht sind wir sehr zu-
frieden . Da ist eine gute Regelung gefunden worden . Die
Änderung hinsichtlich der Hilfen zur Erziehung wurde
wieder zurückgenommen . Es gibt weiterhin die Hilfen
zur Erziehung und nicht nur Unterstützung sozialräum-
licher Art . Auch das war uns wichtig . Wir werden uns
das alles anschauen . Über das eine oder andere werden
wir noch intensiv diskutieren . Möglicherweise werden
wir Änderungsvorschläge einreichen . Wir werden aber
auch bei einigen Dingen sagen, dass das mit uns nicht
machbar ist .

Ich komme jetzt zum Thema Pflegekinder. Dabei geht
es um die Kombination von § 36a SGB VIII mit § 91
SGB VIII und § 1697 BGB . Da sind wir in großer Sorge .
Wir verstehen, dass sehr viele Pflegeeltern sagen: Wir
haben, auf Deutsch gesagt, die Nase voll von diesem Be-
fristungsdogma, davon, dass man nicht weiß, was nach
ein, zwei oder drei Jahren mit den Pflegekindern, zu de-
nen man eine Bindung aufgebaut hat, passiert . Wir wol-
len dauerhaft Stabilität haben . – Das verstehen wir . Aber
es wäre in höchstem Maße gefährlich, dass dies durch ein
so genanntes Kontinuitätsdogma gelöst wird . Dass das
vorgesehen ist, sehen Sie, wenn Sie sich den Gesetzent-
wurf genau anschauen .

Man sagt: Das Ziel ist es, dass es für Kinder eine früh-
zeitige Perspektivklärung gibt . – Dazu sagt man zunächst
einmal: Eine frühzeitige Perspektivklärung ist gut . Dann
schaut man auf das Kindeswohl . Das Kindeswohl wird
auch und insbesondere über den Begriff der Kontinuität
definiert. Aber die Kontinuität als Maßstab für das Kin-
deswohl zu nehmen, ist zu wenig . Wir haben durch das
Grundgesetz sozusagen die Verpflichtung, ethisch-mora-
lische Ansätze zu verfolgen . Wenn wir den Ansatz umset-
zen wollen, müssen wir auch dafür sorgen, dass die El-
tern, die nach einer kurzen Zeit wieder in der Lage sind,
sich um ihre Kinder zu kümmern, weiterhin das Recht
haben, über eine Rückholoption die Verantwortung für
die Betreuung ihrer Kinder zu bekommen . Es ist also je-
weils genau zu überprüfen, ob das Kindeswohl erfüllt ist .

Wir haben große Sorge, dass wir das erleben, was wir
in den letzten Jahren sehr häufig erlebt haben. Da sind
Menschen zu uns gekommen und haben uns gesagt, dass
sie nicht mehr an die Kinder herankommen . Sie wollten
eigentlich nur eine Kurzzeitpflege für ein halbes Jahr
oder ein Jahr, weil sie in der Situation kurzfristig überfor-
dert waren . Diese Eltern kommen zum Teil nicht mehr an
ihre Kinder heran bzw . die Kinder kommen nicht mehr
zurück . Deswegen haben wir in diesem Bereich – das
sage ich ganz offen – große Probleme .

Bei uns steht das Kindeswohl im Mittelpunkt . Das
heißt aber auch, dass wir sehen müssen: Wie können wir
die leiblichen Eltern stärken? Wie können wir die Qua-
lifizierung der Pflegeeltern stärken? In welcher Art und
Weise können wir überprüfen, in welcher Situation die
Kinder am besten zurechtkommen?

Eines sei auch noch gesagt, weil es in der öffentlichen
Diskussion nur um Pflegeeltern und leibliche Eltern geht.
Es geht auch – schauen Sie ins Gesetz – um die Heimer-
ziehung . Ich sage ganz deutlich: Da gibt es ein Problem .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823431900

Kollege Weinberg .


Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1823432000

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . – Denn

Heimerziehung hat nichts mit Bindung zu tun . Gar nichts .


(Zuruf von der SPD: Doch!)


Genau deshalb werden wir uns den Gesetzentwurf in die-
sem Bereich sehr intensiv anschauen .

In weiten Teilen werden wir die Diskussion mit der
SPD führen . Darauf und auf die Anhörung freue ich mich .
Allerdings sei diese Kritik an dieser Stelle angebracht .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823432100

Das Wort hat die Kollegin Katja Dörner für die Frakti-

on Bündnis 90/Die Grünen .


Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823432200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Wir diskutieren jetzt rund um Mit-
ternacht über den kümmerlichen Rest eines eigentlich
großen und auch wichtigen Reformvorhabens, eines
Reformvorhabens – das finde ich eben ganz besonders
bitter –, das wir alle im Grundsatz richtig finden. Im Ko-
alitionsvertrag heißt es:

Im Interesse von Kindern mit Behinderung und ih-
ren Eltern sollen die Schnittstellen in den Leistungs-
systemen so überwunden werden, dass Leistungen
möglichst aus einer Hand erfolgen können .

Das hätten auch wir unterschreiben können .

Ein inklusives SGB VIII, ein einheitliches Leis-
tungsrecht, das alle Kinder und Jugendlichen umfasst,
unabhängig von einer Behinderung – diese Reform ist

Marcus Weinberg (Hamburg)







(A) (C)



(B) (D)


überfällig, und es ist bitter, dass dieses Vorhaben in den
letzten Jahren so gegen die Wand gefahren wurde, dass
der Gesetzentwurf Inklusion leider nur noch in ganz ho-
möopathischen Dosen enthält .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich hoffe sehr, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass der
Bundestag in der nächsten Wahlperiode die Kraft haben
wird, sich dieses Themas neu anzunehmen .

Im Vergleich zu den ersten Entwürfen – ich nenne sie
mal so, obwohl wir ja alle wissen, dass es sich zum Teil
nur um Powerpoint-Folien gehandelt hat – fehlen noch
einige andere wichtige Aspekte, die wir für eine gute
Weiterentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe für
sehr essenziell halten . Einen greifen wir mit einem An-
trag auf, den wir heute Abend mitberaten . Es geht um
die Leistungen für junge Volljährige, für die sogenannten
Care Leaver .

Wir müssen dringend davon wegkommen, dass mit
dem 18 . Lebensjahr Schluss ist; denn gerade junge Men-
schen, die nicht in ihrer Herkunftsfamilie aufwachsen,
brauchen über den 18 . Geburtstag hinaus Unterstützung,
um im Leben gut zurechtzukommen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb fordern wir in unserem Antrag die Ausweitung
der Leistungen für junge Volljährige bis zum 23 . Le-
bensjahr in Verbindung mit der Stärkung des Rechtsan-
spruchs . Das ist auch ein Auftrag, den uns der aktuelle
Kinder- und Jugendbericht ganz klar mit auf den Weg
gibt .

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, es gibt übrigens
auch Aspekte aus den ersten Entwürfen, die wir im Ge-
setzentwurf ausdrücklich nicht vermissen . Damit meine
ich die ursprünglich geplante Aufweichung des individu-
ellen Rechtsanspruchs auf Hilfen zur Erziehung . Es ist
sehr gut, dass das jetzt vom Tisch ist . So sehr wir die
sozialräumliche Ausgestaltung der Angebote für richtig
und wichtig finden, so klar halten wir am individuellen
Rechtsanspruch fest .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist völliger Unsinn, hier einen künstlichen Wider-
spruch aufzumachen . Ich hoffe, dass uns eine derartige
Diskussion in der nächsten Legislatur erspart bleibt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Gesetzentwurf
enthält einige Vorschläge, die wir ausdrücklich begrü-
ßen, beispielsweise den eigenständigen Rechtsanspruch
der Kinder und Jugendlichen auf Beratung unabhängig
von den Erziehungsberechtigten, die Regelungen zur
Heimaufsicht und die Möglichkeit für Familiengerichte,
Dauerverbleibensanordnungen erlassen zu können .

Jetzt komme ich aber zu dem ganz großen Aber . Auf
den allerletzten Drücker wurde eine Öffnungsklausel für
die Länder aufgenommen, die faktisch auf eine Zweiklas-
senjugendhilfe auf dem Rücken unbegleiteter minderjäh-
riger Flüchtlinge hinausläuft . Eine Öffnungsklausel – das
klingt erst einmal ganz harmlos . Diese Öffnungsklausel
ist es aber ganz und gar nicht; denn sie kann dazu führen,

dass die Standards für geflüchtete unbegleitete Jugend-
liche und einheimische Jugendliche in der Jugendhilfe
zukünftig unterschiedlich sind . Das ist aus unserer Sicht
völlig indiskutabel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Fachverbände laufen Sturm gegen diese Re-
gelung, und das zu Recht . Sie wissen das auch . Das
SGB VIII ist schon heute flexibel genug, auch was die
Versorgung minderjähriger Flüchtlinge angeht . Es gibt
überhaupt keinen Grund für eine Öffnungsklausel . Das
Kinder- und Jugendhilferecht muss sich am Wohl und an
den Bedarfen des Kindes bzw . des Jugendlichen orien-
tieren . Da darf aus unserer Sicht die Herkunft auf keinen
Fall eine Rolle spielen .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823432300

Das Wort hat die Kollegin Christina Schwarzer für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Christina Schwarzer (CDU):
Rede ID: ID1823432400

Sehr geehrte Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen

und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt
kaum ein Thema, das so sehr von der Mitarbeit und der
Expertise derer abhängt, die tagtäglich an der Basis ar-
beiten, wie die Kinder- und Jugendhilfe . Aus eigener Er-
fahrung aus der kirchlichen Jugendarbeit und aus dem
Jugendhilfeausschuss in meiner Heimat Neukölln weiß
ich: In der Kinder- und Jugendhilfe steckt der Teufel in
aller Regel im Detail . Einfache pauschale Lösungen gibt
es nicht . Die Arbeit der Praktiker ist von einer großen In-
dividualität geprägt . Daher brauchen wir bei dieser gro-
ßen Reform die umfassende Expertise derer, die täglich
mit den Auswirkungen der gesetzlichen Beschlüsse zur
Kinder- und Jugendhilfe zu arbeiten haben .

Mir ist es aus diesem Grund ein Herzensanliegen,
noch einmal deutlich zu machen: Auch wir teilen die Kri-
tik vieler Verbände an dem Verfahren, das in der letzten
Zeit angewandt worden ist . Es gab viel Kritik; wir alle
haben viele Briefe und E-Mails bekommen . Ich glaube,
das bisherige Verfahren wird der Arbeit derer, die mit
Kindern und Jugendlichen arbeiten – um sie geht es ja
letztendlich –, nicht gerecht . Vor allen Dingen wird es
auch den Eltern und Familien mit ihren Bedürfnissen
nicht gerecht . Des Weiteren wird es auch den Fachleuten
nicht gerecht, die natürlich ein großes Interesse an einer
Weiterentwicklung haben und sich hier umfassend und
ernsthaft beteiligen wollen . Diese Beteiligung brauchen
wir aber .

Wichtig ist zudem vorab noch eines zu erwähnen: Die
Fürsorge unserer Kinder und Jugendlichen ist das Recht
und die Pflicht der Eltern. So will es im Übrigen unser
Grundgesetz, und so wollen wir es auch . Der Staat hat
zuallererst die Aufgabe, sich herauszuhalten . Die zweite

Katja Dörner






(A) (C)



(B) (D)


Aufgabe des Staates ist es jedoch, diejenigen Familien zu
unterstützen, die das eben nicht können – aus ganz unter-
schiedlichen Gründen . Dabei geht es zunächst um Arbeit
in der Familie . An erster Stelle muss unseres Erachtens
stehen, Eltern zu befähigen . Dieses Prinzip, das sich aus
unserem Grundgesetz ableitet, sollten wir im gesamten
Prozess vor Augen haben .

Jetzt noch ein paar Worte zu dem eigentlichen Ent-
wurf; einiges ist ja schon gesagt worden . Wir werden den
Entwurf in den nächsten Wochen natürlich noch einmal
auf Herz und Nieren prüfen . Ich will jetzt aber, wie Kolle-
ge Weinberg auch, noch einmal einen Blick auf Artikel 1
§ 36a des Gesetzentwurfes werfen . Hier geht es darum,
die Eltern zu stärken . Unseres Erachtens ist im Entwurf
vorgesehen, das Problem falscher Einzelfallentscheidun-
gen per Gesetz zu lösen . Viele von uns kennen Fälle –
lieber Marcus Weinberg, du hast einen erwähnt; bei mir
in Neukölln waren es andere Fälle –, in denen Kinder
aus Pflegefamilien oder nach einer Heimunterbringung
zu früh zurück zu den leiblichen Eltern gegeben worden
sind . Wir wissen dabei nicht genau, welche Auswirkun-
gen Fremdunterbringungen auf die Kinder und vor allen
Dingen auch auf ihre Entwicklung haben .

Im Koalitionsvertrag – das ist eben schon zitiert wor-
den – haben wir beschlossen, Änderungen in der Kin-
der- und Jugendhilfe auf einer fundierten empirischen
Grundlage zu vereinbaren . Diese Grundlage ist aktuell
noch nicht gegeben . Was wir aber sehr wohl wissen, ist:
Es gibt keine stärkere Bindung als die zwischen Kindern
und ihren Eltern . Das sollten wir immer im Hinterkopf
behalten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Gesetzentwurf sieht eine Perspektivklärung, also
die Einschätzung, ob eine Leistung auf Dauer oder nur
kurz- oder mittelfristig erfolgt, zu Beginn einer stationä-
ren Unterbringung vor . Hier muss deutlich betont wer-
den: „Stationäre Unterbringung“ bedeutet Unterbringung
in einer Pflegefamilie oder eben auch in einem Heim.
Diese frühe Entscheidung nimmt die Möglichkeit einer
umfassenden Einzelfallbetrachtung . Gerade diese ist aber
im sensiblen Zusammenspiel von Kindern, leiblichen El-
tern und pflegerischer Unterbringung sehr wichtig, und
hier gibt es einfach keinen Musterfall .

Was wir auch nicht vergessen dürfen, ist: Bei einem
Großteil der Fälle, in denen Kinder in Pflegefamilien
oder Heimen untergebracht werden, haben die leiblichen
Eltern selbst um Hilfe gebeten . Sie sind überfordert und
suchen nach Unterstützung, um – meist langfristig na-
türlich – wieder ein stabiles Familienleben aufzubauen .
Sie müssen sich darauf verlassen können, diese Unter-
stützung zu erhalten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn die Eltern Angst haben müssen, ihre Kinder zu
verlieren, weil sie sich kurz- oder mittelfristig nicht in
der Lage sehen, sich ausreichend um sie zu kümmern,
werden sie vermutlich nicht mehr um Hilfe bitten .


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Richtig!)


Das ist nur ein Beispiel . Bei vielen Themen werden
wir sehr genau hinschauen müssen, was wir im Gesetz-
entwurf vorsehen und welche Auswirkungen das auf ein-
zelne Punkte in der Praxis haben wird . Deswegen bin ich
gespannt auf die Diskussionen, die wir in den nächsten
Wochen dazu führen werden . Wir haben gestern bereits
eine öffentliche Anhörung zu diesem Thema beschlos-
sen, und ich denke, wir müssen noch viele Experten dazu
hören .

Eines ist ja klar: Die Reform des SGB VIII ist auch
mit dem hier vorliegenden Gesetzentwurf längst nicht
abgeschlossen . Vor dieser großen Aufgabe stehen wir
jetzt, und ich wünsche mir natürlich, dass wir das The-
ma auch noch in die nächste Legislaturperiode mitneh-
men, und zwar in einem geordneten Verfahren und unter
breiterer Beteiligung . Deswegen freue ich mich auf die
Debatte . Ihnen wünsche ich noch einen schönen Abend .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823432500

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/12330 und 18/12374 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a und 36 b auf:

a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Reformbestrebungen weiter mit Leben fül-
len – Leistung, Transparenz, Fairness und
Sauberkeit in den Mittelpunkt der künftigen
Spitzensportförderung stellen

Drucksache 18/12362
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan
Mutlu, Monika Lazar, Anja Hajduk, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Konzept zur Spitzensportreform grundlegend
überarbeiten – Beteiligungsrechte für Athle-
tinnen und Athleten verankern

Drucksache 18/10981
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Haushaltsausschuss

Christina Schwarzer






(A) (C)



(B) (D)


Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/12362 und 18/10981 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe die Zusatzpunkte 9 und 10 auf:

ZP 9 Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Regelung des Rechts auf Kenntnis
der Abstammung bei heterologer Verwendung
von Samen
Drucksache 18/11291
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14 . Ausschuss)


Drucksache 18/12422
ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-
cherschutz (6 . Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Katja Keul, Katja Dörner, Luise
Amtsberg, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Elternschaftsvereinbarung bei Samenspende
und das Recht auf Kenntnis eigener Abstam-
mung
Drucksachen 18/7655, 18/11785

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind auch damit einverstanden .2)

Zusatzpunkt 9 . Wir kommen zur Abstimmung über
den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetz-
entwurf zur Regelung des Rechts auf Kenntnis der Ab-
stammung bei heterologer Verwendung von Samen . Der
Ausschuss für Gesundheit empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/12422, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11291 in
der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen bei Enthaltung der Opposition angenommen .

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktionen Die Lin-
ke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Zusatzpunkt 10 . Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz
zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Elternschaftsvereinbarung bei Samenspende

1) Anlage 19
2) Anlage 20

und das Recht auf Kenntnis eigener Abstammung“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11785, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/7655 abzuleh-
nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfrakti-
onen gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenom-
men .

Ich rufe den Zusatzpunkt 11 auf:

ZP 11 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9 . Ausschuss)


– zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Ra-
tes über die Durchsetzung der Richtli-
nie 2006/123/EG über Dienstleistungen
im Binnenmarkt, zur Festlegung eines
Notifizierungsverfahrens für dienstleis-
tungsbezogene Genehmigungsregelungen
und Anforderungen sowie zur Änderung
der Richtlinie 2006/123/EG und der Ver-
ordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die
Verwaltungszusammenarbeit mit Hilfe
des Binnenmarkt-Informationssystems
KOM(2016)821 endg.; Ratsdok. 5278/17

– zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates
über eine Verhältnismäßigkeitsprüfung
vor Erlass neuer Berufsreglementierungen
KOM(2016)822 endg.; Ratsdok. 5281/17

– zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Ra-
tes über den rechtlichen und operativen
Rahmen für die durch die Verordnung ...
[ESC Regulation] eingeführte Elektro-
nische Europäische Dienstleistungskarte
KOM(2016)823 endg.; Ratsdok. 5283/17

– zu dem Vorschlag für eine Verordnung des
Europäischen Parlaments und des Rates
zur Einführung einer Elektronischen Eu-
ropäischen Dienstleistungskarte und ent-
sprechender Verwaltungserleichterungen
KOM(2016)824 endg.; Ratsdok. 5284/17

hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3
des Grundgesetzes

Drucksachen 18/11229 A.8 bis A.11, 18/12426

Die Stellungnahme bezieht sich auf mehrere Vorschlä-
ge für Richtlinien und eine Verordnung des Europäischen
Parlaments und des Rates betreffend EU-Regelungen
über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ein Notifizie-
rungsverfahren, eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vor
Erlass neuer Berufsreglementierungen sowie die Elek-
tronische Europäische Dienstleistungskarte .

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Sie
sind offensichtlich damit einverstanden .1)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/12426, in Kenntnis der
auf Drucksache 18/11229 unter Buchstaben A .8 bis A .11
genannten Unterrichtungen eine Entschließung gemäß
Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes anzunehmen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist einstimmig angenommen .

1) Anlage 21

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Schluss unserer Tagesordnung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf heute, Freitag, den 19 . Mai 2017, 9 Uhr, ein .

Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen und
im Übrigen auch allen sicht- und unsichtbaren Mitarbei-
terinnen und Mitarbeitern, die uns hier unterstützt haben,
alles Gute bis dahin .


(Beifall)