Protokoll:
18231

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 231

  • date_rangeDatum: 27. April 2017

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 23:52 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/231 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 231. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 27. April 2017 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Heinz Wiese (Ehingen), Karl-Heinz Wange und Dr. Hans-Ulrich Krüger . . . . . . 23177 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23177 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 8 a, 8 b, 9, 14, 28, 29, 34, 43 d und 43 g . . . . . . . . . . . . 23178 B Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . 23178 D Begrüßung des Präsidenten der Versamm- lung der Volksvertreter der Tunesischen Republik, Herrn Mohamed Ennaceur . . . . . 23179 A Begrüßung des Oberbürgermeisters der Stadt Wolgograd, Herrn Andrej Kossolapow . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23289 A Tagesordnungspunkt 3: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Sondertreffen des Eu- ropäischen Rates zu 27 am 29. April 2017 in Brüssel Dr . Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 23179 B Dr . Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . . . . 23182 D Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 23184 D Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23187 C Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23189 D Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23192 A Dr . Katarina Barley (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 23192 B Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23193 B Norbert Spinrath (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23195 A Michael Stübgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23196 A Detlef Seif (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23197 A Tagesordnungspunkt 4: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen schädliche Steuer- praktiken im Zusammenhang mit Rech- teüberlassungen Drucksachen 18/11233, 18/11531, 18/11683 Nr . 8, 18/12128 . . . . . . . . . . . . . 23198 B b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Steu- erumgehung und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Steuerumge- hungsbekämpfungsgesetz – StUmgBG) Drucksachen 18/11132, 18/11184, 18/12127 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23198 B c) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Lisa Paus, Britta Haßelmann, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Für eine Bundessteuerverwaltung – Gleiche Grundsätze von Flensburg bis zum Bodensee Drucksachen 18/2877, 18/12127 . . . . . . . . 23198 C d) Antrag der Abgeordneten Dr . Sahra Wagenknecht, Dr . Dietmar Bartsch, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Illegale Finanzbezie- hungen bekämpfen – Steueroasen aus- trocknen Drucksache 18/8132 . . . . . . . . . . . . . . . . . 23198 C Dr . Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . . . . 23198 D Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . . 23200 A Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . . 23201 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017II Dr . Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23203 A Dr . Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23204 A Dr . Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23206 A Dr . Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23206 B Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 23206 D Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 23208 B Dr . h . c . Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . 23209 A Dr . Jens Zimmermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . 23210 A Uwe Feiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23210 D Bernhard Daldrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23211 C Tagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Matthias W . Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau), Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Gesetzliche Rente stärken, Rentenniveau anheben und die so- lidarische Mindestrente einführen Drucksache 18/10891 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23213 A in Verbindung mit Tagesordnungspunkt 38: Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Kerstin Andreae, Katja Dörner, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Gesamtkonzept Alterssiche- rung – Verlässlich, nachhaltig, solidarisch und gerecht Drucksache 18/12098 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23213 A Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . 23213 B Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23215 A Matthias W . Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . 23217 A Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23217 D Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23218 C Dr . Martin Rosemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 23220 B Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . 23221 C Ralf Kapschack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23223 B Jutta Eckenbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 23224 C Dagmar Schmidt (Wetzlar) (SPD) . . . . . . . . . 23225 D Tagesordnungspunkt 42: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Protokolls vom 24. Juni 1998 zu dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüber- schreitende Luftverunreinigung betref- fend persistente organische Schadstoffe (POP) Drucksache 18/11843 . . . . . . . . . . . . . . . . 23227 A b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Einbeziehung von Polymerisati- onsanlagen in den Anwendungsbereich des Emissionshandels Drucksache 18/11844 . . . . . . . . . . . . . . . . 23227 B c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Protokolls vom 30. November 1999 (Multikomponen- ten-Protokoll) zu dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüber- schreitende Luftverunreinigung betref- fend die Verringerung von Versauerung, Eutrophierung und bodennahem Ozon Drucksache 18/11845 . . . . . . . . . . . . . . . . 23227 B d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Protokolls vom 24. Juni 1998 zu dem Übereinkommen von 1979 über weiträumige grenzüber- schreitende Luftverunreinigung betref- fend Schwermetalle Drucksache 18/11846 . . . . . . . . . . . . . . . . 23227 C e) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen von Minamata vom 10. Oktober 2013 über Quecksilber (Minamata-Übereinkom- men) Drucksache 18/11847 . . . . . . . . . . . . . . . . 23227 C f) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zu dem Abkommen vom 29. Juni 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Armeni- en zur Vermeidung der Doppelbesteue- rung und zur Verhinderung der Steuer- verkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen Drucksache 18/11867 . . . . . . . . . . . . . . . . 23227 C g) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Protokoll vom 12. November 2012 zur Unterbindung des unerlaubten Handels mit Tabakerzeugnissen Drucksache 18/11868 . . . . . . . . . . . . . . . . 23227 D h) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 III zes zu dem Protokoll vom 14. November 2016 zur Änderung des Abkommens vom 13. Juli 2006 zwischen der Regie- rung der Bundesrepublik Deutschland und der mazedonischen Regierung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkom- men und vom Vermögen Drucksache 18/11869 . . . . . . . . . . . . . . . . 23227 D i) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 21. Novem- ber 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Panama zur Vermeidung der Doppelbesteue- rung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen betreffend den Betrieb von Seeschiffen oder Luftfahrzeugen im in- ternationalen Verkehr Drucksache 18/11878 . . . . . . . . . . . . . . . . 23228 A j) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 12. Janu- ar 2017 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Moldau über Soziale Sicherheit Drucksache 18/11879 . . . . . . . . . . . . . . . . 23228 A k) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundeszen- tralregistergesetzes (7. BZRGÄndG) Drucksache 18/11933 . . . . . . . . . . . . . . . . 23228 A l) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung des Bundesnatur- schutzgesetzes Drucksache 18/11939 . . . . . . . . . . . . . . . . 23228 B m) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 1143/2014 über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfrem- der Arten Drucksache 18/11942 . . . . . . . . . . . . . . . . 23228 B n) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer wasser- rechtlichen Genehmigung für Behand- lungsanlagen für Deponiesickerwasser und zur Änderung der Vorschriften zur Eignungsfeststellung für Anlagen zum Lagern, Abfüllen oder Umschlagen was- sergefährdender Stoffe Drucksache 18/11946 . . . . . . . . . . . . . . . . 23228 B o) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung des Chemikali- engesetzes und zur Änderung weiterer chemikalienrechtlicher Vorschriften Drucksache 18/11949 . . . . . . . . . . . . . . . . 23228 C p) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung des Bundesversor- gungsgesetzes und anderer Vorschriften Drucksache 18/12041 . . . . . . . . . . . . . . . . 23228 C q) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu der am 15. Oktober 2016 in Kigali beschlossenen Änderung des Montrealer Protokolls vom 16. September 1987 über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozon- schicht führen Drucksache 18/12048 . . . . . . . . . . . . . . . . 23228 D r) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Aufhebung der Gesetze über Bergmannssiedlungen Drucksache 18/12049 . . . . . . . . . . . . . . . . 23228 D s) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung gebührenrechtlicher Regelungen im Aufenthaltsrecht Drucksache 18/12050 . . . . . . . . . . . . . . . . 23228 D t) Antrag der Abgeordneten Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Manuel Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Euro- päischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG zwecks Verbesserung der Kosteneffizi- enz von Emissionsminderungsmaßnah- men und zur Förderung von Investitio- nen in CO2-effiziente Technologien KOM(2015) 337 endg.; Rats- dok. 11065/15 hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung gemäß Arti- kel 23 Absatz 3 des Grundgeset- zes Drucksache 18/11744 . . . . . . . . . . . . . . . . 23229 A u) Antrag der Abgeordneten Birgit Menz, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verbot der Haltung wild lebender Tier- arten in Zirkussen Drucksache 18/12088 . . . . . . . . . . . . . . . . 23229 A v) Antrag der Abgeordneten Andrej Hunko, Azize Tank, Wolfgang Gehrcke, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Neustart der Europäischen Union auf der Grundlage Sozialer Men- schenrechte Drucksache 18/12089 . . . . . . . . . . . . . . . . 23229 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017IV w) Antrag der Abgeordneten Kathrin Vogler, Pia Zimmermann, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Patientinnen und Patienten entlasten – Zuzahlungen bei Arzneimitteln abschaffen Drucksache 18/12090 . . . . . . . . . . . . . . . . 23229 B Zusatztagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung futtermittelrechtlicher und tierschutz- rechtlicher Vorschriften Drucksache 18/12085 . . . . . . . . . . . . . . . . 23229 B b) Antrag der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Stefan Liebich, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transpersonen und Intersexuellen (LGBTI) in Tschet- schenien entgegentreten Drucksache 18/12091 . . . . . . . . . . . . . . . . 23229 C c) Antrag der Abgeordneten Dr . Julia Verlinden, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Klimaschutz stärken – Energiesparen verbindlich machen Drucksache 18/12095 . . . . . . . . . . . . . . . . 23229 C Tagesordnungspunkt 43: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Proto- koll vom 29 . Juni 2016 über die Vorrechte und Immunitäten des Einheitlichen Patent- gerichts Drucksachen 18/11238 (neu), 18/11746, 18/11822 Nr . 12, 18/12147 . . . . . . . . . . . . 23229 D b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der personellen Struktur beim Bundeseisenbahnvermögen und in den Postnachfolgeunternehmen sowie zur Änderung weiterer Vorschriften des Post- dienstrechts Drucksachen 18/11559, 18/12134 . . . . . . . 23230 A c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neufassung der Re- gelungen über Funkanlagen und zur Än- derung des Telekommunikationsgesetzes sowie zur Aufhebung des Gesetzes über Funkanlagen und Telekommunikations- endeinrichtungen Drucksachen 18/11625, 18/12139 . . . . . . . 23230 C e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes Drucksachen 18/11281, 18/11407, 18/12081, 18/12126 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23230 D f) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Klaus Ernst, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Befristung von Ar- beitsverträgen ohne Sachgrund – zu dem Antrag der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kein Sachgrund – Keine Befristung Drucksachen 18/11598, 18/11608, 18/11802 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23231 B h) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Pharmazeutische Forschung gegen In- fektionskrankheiten stärken – Nationale Wirkstoffoffensive starten Drucksachen 18/10972, 18/12075 . . . . . . . 23231 C i) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: MINT-Bildung als Grundlage für den Wirtschafts- standort Deutschland und für die Teilhabe an unserer von Wissen- schaft und Technik geprägten Welt – zu dem Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter- Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für ein gerechtes und innovatives Deutschland 2030 – Als Konsequenz aus den Ergebnissen von PISA 2015 eine Bildungsoffensi- ve starten Drucksachen 18/11164, 18/11179, 18/12063 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23231 D j) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung und Landwirt- schaft zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Gartenbau sowie Garten- und Landschaftsbau als inno- vativen Wirtschaftszweig stärken und zukunftsfest machen Drucksachen 18/10018, 18/12150 . . . . . . . 23232 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 V Zusatztagesordnungspunkt 2: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zu verschärften Abgas- tests in Europa Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23232 B Alexander Dobrindt, Bundesminister BMVI . 23233 C Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 23235 C Arno Klare (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23237 A Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) . 23238 A Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23239 C Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23240 D Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23242 A Patrick Schnieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23243 A Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23244 A Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 23245 C Dr . Matthias Heider (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 23246 C Tagesordnungspunkt 6: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskrimi- nalamtgesetzes Drucksache 18/11163 . . . . . . . . . . . . . . . . 23247 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes Drucksachen 18/11326, 18/11658, 18/11822 Nr . 11, 18/12076, 18/12141 . . . . 23247 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12077 . . . . . . . . . . . . . . . . 23247 D Dr . Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23248 A Martina Renner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 23249 A Uli Grötsch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23250 A Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23251 C Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 23252 C Susanne Mittag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23254 D Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23255 D Tagesordnungspunkt 7: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stär- kung des Schutzes von Vollstreckungs- beamten und Rettungskräften Drucksachen 18/11161, 18/12153 . . . . . . . 23257 B – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des Schut- zes von Vollstreckungsbeamten und Ret- tungskräften Drucksachen 18/11547, 18/12153 . . . . . . . 23257 B Christian Lange, Parl . Staatssekretär BMJV . . 23257 C Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23258 A Dr . Günter Krings, Parl . Staatssekretär BMI . 23259 B Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23260 B Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 23261 B Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23262 B Bettina Bähr-Losse (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 23264 A Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/ CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23264 D Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 23265 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23267 A Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Luise Amtsberg, Omid Nouripour, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Abschiebungen nach Afgha- nistan aussetzen Drucksache 18/12099 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23268 C Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23268 C Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23269 D Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 23271 C Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 23272 A Dr . Lars Castellucci (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 23273 D Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23274 D Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23275 B Nina Warken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 23275 D Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23277 C Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 23278 A Tagesordnungspunkt 19: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017VI eines Gesetzes zum weiteren quantita- tiven und qualitativen Ausbau der Kin- dertagesbetreuung Drucksachen 18/11408, 18/12158 . . . . . . . 23279 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12159 . . . . . . . . . . . . . . . . 23279 B Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23279 C Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . 23280 D Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . . 23282 B Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23284 B Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23285 C Maik Beermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 23286 C Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Wolfgang Gehrcke, Andrej Hunko, Dr . Alexander S . Neu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Für eine neue Ostpolitik Deutschlands Drucksachen 18/11167, 18/11671 . . . . . . . . . . 23288 D Dr . h . c . Gernot Erler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 23289 A Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 23290 D Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23291 C Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 23292 C Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) . . . . . . . . 23293 C Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23295 A Dr . Alexander S . Neu (DIE LINKE) . . . . . . 23296 A Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 23296 C Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 23296 D Dr . Andreas Nick (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23298 A Tagesordnungspunkt 11: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des Da- tenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Daten- schutz-Anpassungs- und -Umsetzungs- gesetz EU – DSAnpUG-EU) Drucksachen 18/11325, 18/11655, 18/11822 Nr . 10, 18/12084, 18/12144 . . . . 23299 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Jan Korte, Frank Tempel, Dr . André Hahn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Daten- schutzrechte der Bürgerinnen und Bür- ger stärken Drucksachen 18/11401, 18/12084, 18/12144 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23299 B Dr . Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23299 C Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23300 B Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 23301 A Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23302 D Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 23304 A Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 23305 D Tagesordnungspunkt 12: Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Jürgen Trittin, Dr . Frithjof Schmidt, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schlüssel für eine globale, ökologische und gerechte Energieaußenpolitik Drucksachen 18/10147, 18/11694 . . . . . . . . . . 23307 A Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23307 B Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 23308 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 23310 D Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 23311 A Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23311 C Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 23312 A Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 23312 C Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23313 C Tagesordnungspunkt 13: – Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD einge- brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Aus- weitung des Maßregelrechts bei extre- mistischen Straftätern Drucksachen 18/11162, 18/12155 . . . . . . . 23314 D – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern Drucksachen 18/11584, 18/12155 . . . . . . . 23314 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 VII Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 23315 A Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23315 D Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23317 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23318 A Bettina Bähr-Losse (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 23319 A Dr . Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . 23319 D Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 23320 C Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, Dr . Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausstellungsvergütung gesetzlich veran- kern – Gerechtigkeitslücke für bildende Künstlerinnen und Künstler schließen Drucksache 18/12094 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23322 B Sigrid Hupach (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 23322 B Dr . Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) . . . . . . . . . 23323 C Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23324 B Burkhard Blienert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23325 C Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23327 A Tagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des von der Bundes- regierung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Anpassung des Umwelt-Rechts- behelfsgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben Drucksachen 18/9526, 18/9909, 18/10102 Nr . 8, 18/12146 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23328 A Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretä- rin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23328 B Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 23329 A Oliver Grundmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23330 A Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23332 B Tagesordnungspunkt 16: a) Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Dr . Franziska Brantner, Ulle Schauws, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Geld, Zeit, Bildung und Teilhabe – Familien gezielt unterstützen Drucksache 18/12110 . . . . . . . . . . . . . . . . 23333 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frau- en und Jugend zu dem Antrag der Abge- ordneten Katja Dörner, Kerstin Andreae, Dr . Franziska Brantner, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Familien stärken – Kinder fördern Drucksachen 18/10473, 18/12156 . . . . . . . 23333 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordne- ten Katja Dörner, Dr . Franziska Brantner, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zeit für mehr – Damit Arbeit gut ins Leben passt Drucksachen 18/9007, 18/12156 . . . . . . . . 23333 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 5: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Antrag der Abgeordne- ten Dr . Franziska Brantner, Katja Dörner, Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Alleinerziehende stärken – Teilhabe von Kindern sichern Drucksachen 18/4307, 18/11592 . . . . . . . . . . . 23334 A Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23334 A Markus Koob (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 23335 B Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . 23336 D Dr . Fritz Felgentreu (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 23338 B Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23340 B Tagesordnungspunkt 17: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Tele- kommunikationsgesetzes Drucksachen 18/9951, 18/11811 . . . . . . . . . . . 23342 A Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23342 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 23343 B Andreas G . Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 23344 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 23345 C Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23346 A Tagesordnungspunkt 18: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Technik- folgenabschätzung zu dem Antrag der Abge- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017VIII ordneten Dr . Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kein Lobbyismus im Klassenzimmer Drucksachen 18/8887, 18/12064 . . . . . . . . . . 23347 B Tagesordnungspunkt 20: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Verhütung und Bekämp- fung von Gewalt gegen Frauen und häusli- cher Gewalt Drucksache 18/12037 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23347 C Tagesordnungspunkt 21: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verarbeitung von Fluggastdaten zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/681 (Fluggastda- tengesetz – FlugDaG) Drucksachen 18/11501, 18/12080, 18/12149 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23347 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12157 . . . . . . . . . . . . . . . . 23347 D Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Euro- pol-Gesetzes Drucksachen 18/11502, 18/11931, 18/12122 . 23348 A Tagesordnungspunkt 23: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 über Maß- nahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Union Drucksachen 18/11242, 18/11620, 18/11808 . 23348 B Tagesordnungspunkt 24: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ioni- sierender Strahlung Drucksachen 18/11241, 18/11622, 18/11822 Nr . 6, 18/12151 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23348 C Tagesordnungspunkt 25: – Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Anla- ge VI des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährden- den Notfällen (Antarktis-Haftungsan- nex) Drucksachen 18/11530, 18/12145 . . . . . . . 23349 A – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung der Anla- ge VI des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährden- den Notfällen (Antarktis-Haftungsge- setz – AntHaftG) Drucksachen 18/11529, 18/12145 . . . . . . . 23349 A Tagesordnungspunkt 26: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren Drucksachen 18/10823, 18/12154 . . . . . . . . . 23349 C Tagesordnungspunkt 27: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Regelun- gen der Gesichtsverhüllung Drucksachen 18/11180, 18/11813 . . . . . . . . . . 23349 D Tagesordnungspunkt 30: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes Drucksachen 18/11236, 18/11535, 18/11683 Nr . 11, 18/12082 . . . . . . . . . . . . 23350 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/12083 . . . . . . . . . . . . . . . . 23350 B Dorothee Bär, Parl . Staatssekretärin BMVI . . 23350 B Gustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23351 C Dr . Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23352 C Tagesordnungspunkt 31: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 IX Sechsten Gesetzes zur Änderung des Kraft- fahrzeugsteuergesetzes Drucksachen 18/11234, 18/11532, 18/11683 Nr . 9, 18/12143 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23354 A Tagesordnungspunkt 32: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnis- sen bei der Mitwirkung Dritter an der Be- rufsausübung schweigepflichtiger Personen Drucksache 18/11936 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23354 B Tagesordnungspunkt 33: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 11. Juli 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- land und der Regierung der Arabischen Republik Ägypten über die Zusammen- arbeit im Sicherheitsbereich Drucksachen 18/11508, 18/11812 . . . . . . . 23354 C b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. September 2016 zwischen der Regierung der Bundesre- publik Deutschland und der Regierung der Tunesischen Republik über die Zu- sammenarbeit im Sicherheitsbereich Drucksachen 18/11509, 18/11797 . . . . . . . 23354 C Tagesordnungspunkt 35: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Wettbewerbsregisters Drucksache 18/12051 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23354 D Tagesordnungspunkt 36: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bun- desregierung: Siebenunddreißigste Verord- nung zur Durchführung des Bundes-Im- missionsschutzgesetzes (Verordnung zur Anrechnung von strombasierten Kraftstof- fen und mitverarbeiteten biogenen Ölen auf die Treibhausgasquote – 37. BImSchV) Drucksachen 18/11283, 18/11472 Nr . 2 .1, 18/12152 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23355 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23355 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 23357 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kein Lobbyis- mus im Klassenzimmer (Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . . . . . 23357 D Xaver Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23357 D Sven Volmering (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23359 A Marianne Schieder (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 23360 C Dr . Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . 23361 D Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23362 C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkom- men des Europarats vom 11 . Mai 2011 zur Ver- hütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Tagesordnungspunkt 20) . . . . . . . . . . . . . . . . 23363 A Dr . Silke Launert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23363 A Sylvia Pantel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 23363 D Cornelia Möhring (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 23365 B Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23365 D Elke Ferner, Parl . Staatssekretärin BMFSFJ . 23366 C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verarbeitung von Fluggastdaten zur Umsetzung der Richt- linie (EU) 2016/681 (Fluggastdatengesetz – FlugDaG) (Tagesordnungspunkt 21) . . . . . . . . . . . . . . . . 23367 C Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23367 C Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . . 23368 B Wolfgang Gunkel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23369 A Martina Renner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 23369 D Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23370 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017X Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Europol-Gesetzes (Tagesordnungspunkt 22) . . . . . . . . . . . . . . . . 23371 D Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . . 23371 D Barbara Woltmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23372 C Susanne Mittag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23373 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 23374 B Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23375 B Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6 . Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Union (Tagesordnungspunkt 23) . . . . . . . . . . . . . . . . 23375 D Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23375 D Marian Wendt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 23377 C Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 23378 C Martina Renner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 23380 A Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23380 D Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wir- kung ionisierender Strahlung (Tagesordnungspunkt 24) . . . . . . . . . . . . . . . . 23382 A Stephan Albani (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23382 A Oliver Grundmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23383 A Hiltrud Lotze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23384 A René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23384 C Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 23385 A Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23385 D Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretä- rin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23387 B Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Ant- arktis-Vertrag vom 14 . Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährdenden Notfäl- len (Antarktis-Haftungsannex) – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausfüh- rung der Anlage VI des Umweltschutzpro- tokolls zum Antarktis-Vertrag vom 14 . Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefähr- denden Notfällen (Antarktis-Haftungsge- setz – AntHaftG) (Tagesordnungspunkt 25) . . . . . . . . . . . . . . . . 23388 B Dr . Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU) . . . . . . . 23388 B Carsten Träger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23389 C Birgit Menz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 23390 A Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23390 D Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenz- verfahren (Tagesordnungspunkt 26) . . . . . . . . . . . . . . . . 23391 C Dr . Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23391 C Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 23392 C Dr . Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 23393 A Dr . Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 23393 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 23394 A Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu bereichsspezifi- schen Regelungen der Gesichtsverhüllung (Tagesordnungspunkt 27) . . . . . . . . . . . . . . . . 23394 D Robert Hochbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23394 D Dr . Tim Ostermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23395 B Dr . Lars Castellucci (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 23396 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 23396 D Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23397 D Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes (Tagesordnungspunkt 30) . . . . . . . . . . . . . . . . 23398 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 XI Gero Storjohann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 23398 B Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23399 A Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Ände- rung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (Tagesordnungspunkt 31) . . . . . . . . . . . . . . . . 23399 C Dr . h . c . Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . 23399 D Dr . Philipp Murmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 23400 A Arno Klare (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23401 A Andreas Schwarz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23401 C Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 23402 A Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 23402 D Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwir- kung Dritter an der Berufsausübung schweige- pflichtiger Personen (Tagesordnungspunkt 32) . . . . . . . . . . . . . . . . 23403 C Dietrich Monstadt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23403 D Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 23404 D Dr . Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . 23405 B Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 23405 D Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 23406 C Christian Lange, Parl . Staatssekretär BMJV . 23407 B Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 11 . Juli 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- land und der Regierung der Arabischen Re- publik Ägypten über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 26 . September 2016 zwi- schen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tune- sischen Republik über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich (Tagesordnungspunkt 33 a und b) . . . . . . . . . . 23408 A Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . . 23408 B Wolfgang Gunkel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 23409 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 23410 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23411 A Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung eines Wettbewerbsregisters (Tagesordnungspunkt 35) . . . . . . . . . . . . . . . . 23412 A Barbara Lanzinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23412 A Marcus Held (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23413 B Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 23413 D Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23414 B Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Siebenunddreißigste Ver- ordnung zur Durchführung des Bundes-Im- missionsschutzgesetzes (Verordnung zur An- rechnung von strombasierten Kraftstoffen und mitverarbeiteten biogenen Ölen auf die Treib- hausgasquote – 37 . BImSchV) (Tagesordnungspunkt 36) . . . . . . . . . . . . . . . . 23414 D Oliver Grundmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 23415 A Florian Oßner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 23416 A Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23416 D Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 23417 D Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23418 C (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23177 231. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 27. April 2017 Beginn: 9 .00 Uhr
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    2) Anlage 16 Vizepräsidentin Claudia Roth (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23357 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Dağdelen, Sevim DIE LINKE 27 .04 .2017 De Ridder, Dr . Daniela SPD 27 .04 .2017 Dröge, Katharina * BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27 .04 .2017 Ehrmann, Siegmund SPD 27 .04 .2017 Fabritius, Dr . Bernd CDU/CSU 27 .04 .2017 Haase, Christian CDU/CSU 27 .04 .2017 Heil (Peine), Hubertus SPD 27 .04 .2017 Hellmich, Wolfgang SPD 27 .04 .2017 Hornhues, Bettina CDU/CSU 27 .04 .2017 Irlstorfer, Erich CDU/CSU 27 .04 .2017 Kiesewetter, Roderich CDU/CSU 27 .04 .2017 Kindler, Sven-Christian BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27 .04 .2017 Kudla, Bettina CDU/CSU 27 .04 .2017 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 27 .04 .2017 Leutert, Michael DIE LINKE 27 .04 .2017 Leyen, Dr . Ursula von der CDU/CSU 27 .04 .2017 Liebing, Ingbert CDU/CSU 27 .04 .2017 Möring, Karsten CDU/CSU 27 .04 .2017 Nahles, Andrea SPD 27 .04 .2017 Obermeier, Julia CDU/CSU 27 .04 .2017 Özoğuz, Aydan SPD 27 .04 .2017 Pitterle, Richard DIE LINKE 27 .04 .2017 Post, Florian SPD 27 .04 .2017 Pronold, Florian SPD 27 .04 .2017 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Roth (Heringen), Michael SPD 27 .04 .2017 Schlecht, Michael DIE LINKE 27 .04 .2017 Schön (St . Wendel), Nadine CDU/CSU 27 .04 .2017 Schwabe, Frank SPD 27 .04 .2017 Siebert, Bernd CDU/CSU 27 .04 .2017 Tank, Azize DIE LINKE 27 .04 .2017 Werner, Katrin DIE LINKE 27 .04 .2017 Zertik, Heinrich CDU/CSU 27 .04 .2017 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kein Lobbyismus im Klas- senzimmer (Tagesordnungspunkt 18) Xaver Jung (CDU/CSU): Heute diskutieren wir aber- mals den Antrag „Kein Lobbyismus im Klassenzimmer“, in dem die Fraktion Die Linke (praktisch) vorschlägt, Un- ternehmen und Wirtschaftsverbände aus unseren Schulen zu verbannen . Dies gilt es entschieden abzulehnen! Denn weder können noch wollen wir externe Partner auf Kos- ten unserer Schülerinnen und Schüler ausschließen . Lehr- und Lernmittel müssen nach den Schulgeset- zen der Länder zur Erfüllung des Erziehungsauftrages der Schule sowie der besonderen Aufgaben der einzel- nen Schulart geeignet sein . Lehr- und Lernmittel, die an öffentlichen Schulen des Landes verwendet werden, bedürfen in der Regel einer Genehmigung durch die Kul- tusministerien . Der Genehmigungspflicht unterliegen auch Program- me und als Reihe konzipierte Themenhefte, die durch ihren aufeinanderfolgenden Einsatz ein genehmigungs- pflichtiges Schulbuch ersetzen. Entscheiden müssen also Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723358 (A) (C) (B) (D) die Länder, ob uns dies gefällt oder nicht . Solange die Länder dieses Recht nicht an den Bund weitergeben, hal- ten wir hier Fensterreden . In Ihrem Antrag fordern Sie eine Prüfstelle für the- menbezogene zivilgesellschaftliche Lehrmaterialien auf Bundesebene . Na, da wäre ich auf die Reaktion der Län- der gespannt, wenn wir gegen den Willen der Länder ei- nen Oberschiedsrichter beim Bund installieren wollten . Die Linken sehen Probleme bei der Übersichtlichkeit des angebotenen Materials und bei einer möglichen Ein- seitigkeit . Soweit stimme ich Ihrer Problembeschreibung zu. Bei Ihrer Furcht vor einseitiger Beeinflussung über- ziehen Sie erheblich . Sie schütten förmlich das Kind mit dem Bade aus . Es ist zudem naiv, zu glauben, dass wir den Material- einsatz eines jeden einzelnen Lehrers in jeder einzelnen Unterrichtsstunde kontrollieren können . Deshalb haben wir einen Rahmen geschaffen, um einseitige interessen- geleitete Einflussnahmen im Unterricht zu verhindern. Dieser Rahmen bildet sich neben einer Empfehlung der Kultusministerkonferenz, den Lehrmaterial-Zulassungs- stellen der Kultusministerien, den Schulaufsichtsbehör- den und Schulleitungen auch aus dem Beutelsbacher Konsens. Dieser verpflichtet die Lehrenden, den Schü- lerinnen und Schülern keine Meinung aufzuzwingen, sondern sie dabei zu unterstützen, eine eigene Meinung zu bilden . Außerdem müssen Themen, die in der Wis- senschaft und Politik kontrovers erscheinen, auch von Lehrenden kontrovers dargestellt werden . Ferner gilt es, die Lernenden in die Lage zu versetzen, sich eine eigene Meinung zu ihrer Position in der Gesellschaft zu bilden und auch entsprechend aktiv werden zu können . Des Weiteren gibt es noch den „Materialkompass“, dessen Finanzierung mit dem nächsten Koalitionsvertrag fortge- schrieben werden könnte. Dieses Onlineangebot klassifi- ziert Lernmaterial – und kann ebenfalls als Orientierung für die Unterrichtsauswahl dienen . Es zeigt sich also: Wir haben genügend Kriterien für die Sicherung von Qualitätsstandards von Lehrmaterial . Innerhalb dieses Rahmens haben das letzte Wort je- doch immer noch die Lehrerinnen und Lehrer . Wir bil- den sie über viele Jahre darin aus, eine dem Unterricht angemessene Lernmaterialauswahl zu treffen. Denn auch zwischen zugelassenen Materialien muss eine Auswahl getroffen werden, unterscheidet sich dieses doch quali- tativ sehr stark . Mehr Vertrauen seitens aller, auch der Linken, erscheint deshalb angemessen . Zudem sind Lehrende in der Lage, Material von Un- ternehmen kritisch zu hinterfragen, und zwar gemeinsam mit ihren Schülerinnen und Schülern . Ein Problem mit Lobbyismus entsteht doch erst, wenn unklar ist, wer mit welchem Interesse das Material erstellt hat, damit reflek- tiert werden kann, wer mit welchem Interesse das Mate- rial erstellt hat . Es ist doch vollkommen naiv und lebensfern, das, was im Leben der Schülerinnen und Schüler tagtäglich außerhalb der Schule passiert, nicht aufzugreifen, um Neutralität zu erzeugen und zu wahren . Denn die Unter- nehmen sind Teil unserer Gesellschaft und prägen mit ih- ren Produkten den Alltag. Dies muss aufgegriffen, nicht verdrängt werden! Die Frage, die sich mir stellt, ist also: Welches Ziel könnte eine solche Prüfstelle noch verfolgen? Soll sie eine Einteilung in „gute“ und „schlechte“ Einflussnahme vornehmen? Wo wäre denn da die Grenze, und wer kann diese Grenze ziehen, ohne selbst beeinflusst zu sein? Die Grenze, die der DGB vorschlägt, ist auf jeden Fall auch keine Alternative . In seiner Handreichung „Schu- le und Wirtschaft“ kritisiert die Gewerkschaft, dass Unternehmen Einfluss auf die Unterrichtsvermittlung nehmen . Unter anderem würden prekäre Beschäftigung und gerechte Löhne nicht thematisiert werden . Die Ge- werkschaft bietet ihre Hilfe zur Beseitigung dieses Miss- standes an, indem sie Schülerinnen und Schülern einen „objektiven, hinterfragenden Blick ermöglichen“ möch- te . Als Material dafür schlägt sie einzig und allein die Publikation „Böckler Schule“ der Hans-Böckler-Stiftung vor . Das ist keine wertneutrale Quelle . Für die Entwick- lung eines kritischen Blickes ist es unbedingt notwendig, eine andere Meinung hinzuzuziehen . Es zeigt sich: Ein systematischer Ausschluss von Un- ternehmen ist nicht begrüßenswert, würde damit doch der Verlust einer befruchtenden Perspektive einhergehen . Meine Fraktion, die CDU/CSU, ist im Gegenteil sogar davon überzeugt, dass Unternehmen, Initiativen und Ver- bände sogar eine Bereicherung für unsere Schulen dar- stellen! So haben diese externen Partner teilweise eine Ausstattung, die Schulen nicht haben und nicht haben können . Denken Sie nur an die naturwissenschaftlichen Labore, die Mikroskope oder speziellen Pipetten, die sich staatliche Schulen nicht leisten können . Wenn naturwis- senschaftliche Unternehmen hier Labore mit Lehreinhei- ten und Material anbieten, ist das für den Unterricht eine tolle Bereicherung . Im gleichen Berufsfeld sind zudem Fachreferenten eine weitere Bereicherung . Unternehmen wissen, wie der aktuelle Stand der Technik genau ist und sich wirt- schaftlich nutzen lässt, jetzt oder in der Zukunft . Auch dies müssen wir unserem Nachwuchs vermitteln – nicht, weil wir ihre Bildung an den Interessen der Unterneh- men ausrichten wollen, wie es die Linke immer und auch wieder in ihrem Antrag unterstellt, sondern weil es für die Sicherung des Wirtschafts- und Innovationsstandor- tes Deutschland kreativen Nachwuchs braucht, der es versteht, Ideen und Wissen zu entwickeln und auch in wirtschaftlich tragfähige Projekte zu überführen . Es kann doch nicht falsch sein, sich schon vor dem Abschluss da- rüber zu informieren, welche Perspektiven eine Region oder eine Branche bietet . Das können Lehrerinnen und Lehrer in der Regel nicht leisten, weil sie ihr Leben lang in der Schule weilen und die Erfahrung in der Wirtschaft und das Expertenwis- sen einfach selten vorhanden sind . Sie sind daher in der Regel dankbar für aktuelle praxissichere, ideologiefreie Materialien . Sie entnehmen meist nur einzelne Seiten . Sie kennen den Autor und reflektieren mit ihren Schüle- rinnen und Schülern auch die Absicht eines Autors . Mein letzter Punkt ist die Berufs- und Studienorien- tierung . Am Ende eines jeden Schulbesuches steht – so Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23359 (A) (C) (B) (D) sollte es zumindest sein – der Übergang in den Beruf . Damit dieser flüssig und zielgerichtet verlaufen kann, ist es essenziell, dass die Schülerinnen und Schüler wissen, welche Perspektive sie vor allem in ihrer Region haben . An meinem Wahlkreis wird sehr deutlich: Die Region ist ländlich, landschaftlich beeindruckend, aber tendenziell strukturschwach . In unseren vielen Dörfern verstecken sich aber zum Teil weltmarktführende kleine und mit- telständische Unternehmen . Diese brauchen den Nach- wuchs und sind ein attraktiver Arbeitgeber – nur muss das der Jugend erst einmal bewusst werden . Betriebe sind darauf angewiesen, in den Schulen sichtbar zu werden . Dies ist für die Zukunft der gesamten Region ein wichti- ger Schritt und hat nichts mit einseitiger Einflussnahme zu tun . In unseren Schulen handeln wir nach demokratischen Grundsätzen . Einer davon ist die Pluralität von Meinun- gen und Informationsquellen . Dies ist bereichernd, für die Schülerinnen und Schüler, für die Lehrenden und auch für externe Partner . Ein Ausschluss dieser Partner aufgrund irgendwelcher Kriterien, für deren Erstellung wir als Bund nicht einmal zuständig sind, wäre ein Ver- lust für unsere Schulen . Deshalb ist der Antrag der Lin- ken zum Lobbyismus abzulehnen und das zunehmende Engagement verschiedener Akteure für gute Bildung zu begrüßen . Sven Volmering (CDU/CSU): Die gute Nachricht gleich zu Beginn meiner Rede: Die CDU/CSU-Bundes- tagsfraktion wird den vorliegenden Antrag ablehnen . Viel Mühe hat sich die Linke mit dieser Wiederaufbe- reitung einer längst beantworteten Kleinen Anfrage vom 22 . August 2014 nicht gemacht . Dieser Antrag ist ein Do- kument des Misstrauens gegenüber allen, die mit Schule zu tun haben; er ist inhaltlich schwach, und er dient dazu, aus ideologischen Gründen die „ach so böse“ Wirtschaft bloßzustellen . Dass die gewählten Beispiele mit der AOK, mit der das rot-rot-grün geführte Thüringen selbst zusammenarbeitet, nicht die wirklich besten Belege für die Notwendigkeit des Antrags sind, hat die letzte Debat- te ja schon eindrucksvoll bewiesen . Mir erschließt sich in Ihrem Antrag einiges nicht . Grundsätzlich ist festzuhalten, dass alle Bundesländer Regelungen und Richtlinien in ihren Gesetzen und Er- lassen zum Thema Werbung und Sponsoring in Schulen getroffen haben. Die von Ihnen unter Punkt 2 geforderten klaren Kriterien gibt es . Ob dazu zwingend immer eine gesetzliche Regelung in den Schulgesetzen geschaffen werden muss, ist aus meiner Sicht eine Aufgabe, die die Landesregierungen und vor allem die Länderparlamen- te im Rahmen ihrer Zuständigkeit selbst entscheiden müssen . Der Bund braucht sich dort aus meiner Sicht nicht einzumischen . Zusätzlich hilft es zu wissen, dass die KMK am 12 . September 2013 einen Beschluss zur Verbraucherbildung gefasst hat, in dem es ganz klare Hinweise für die Zusammenarbeit mit außerschulischen Partnern gibt . Diese müssen sich „inhaltlich am schuli- schen Bildungs- und Erziehungsauftrag orientieren, den Gegebenheiten der einzelnen Schule gerecht werden und die Schulqualität“ fördern . Grundlagen des Unterrichts seien die ja auch von Ih- nen genannten Prinzipien des Beutelsbacher Konsenses, nämlich das Überwältigungsverbot, das Kontroversitäts- gebot und die Schülerorientierung . Ich verstehe wirklich nicht, warum Sie diesen in den 70er-Jahren entwickelten, gut funktionierenden, bis heute unstrittigen und präg- nanten Konsens durch einen bürokratischen Transpa- renzkodex durch die Offenlegung ersticken wollen, wer Unterrichtsmaterialien finanziert, wer die Autoren sind und welche Drittmittel es dafür gibt . Diese Forderung ist schlichtweg nicht umsetzbar . Sie haben in der letz- ten Debatte zu diesem Thema, liebe Frau Hein, darauf hingewiesen, dass bei vielen Hunderttausend – in Ihrem Antrag sprechen Sie dann sogar von 1 Million – Unter- richtsmaterialien kein Ministerium und kein Lehrer in der Lage sei, diese alle zu sichten . Wenn Sie dies selbst nicht mal Ministerien zutrauen, die für die Genehmigung von Schulbüchern und Curricula-Erstellungen zuständig sind, dann brauchen wir auch keine sogenannte unabhän- gige Monitoringstelle, deren rechtliche Legitimation ich deutlich anzweifle. Den Lehrern und Lehrerinnen haben Sie die Kompe- tenz abgesprochen, Materialien auszuwerten . Hier wider- spreche ich . Sie unterschätzen die Kompetenzen der Leh- rer . Mein ehemaliger Fachleiter Werner Völlering hat uns im Referendariat den Spruch eingebläut, dass Lehrer Zeit ihres Lebens Jäger und Sammler seien, immer auf der Suche nach guten Materialien, die sie sichten, kritisch prüfen, wenn es passt, im Unterricht einsetzen und bei Bedarf eben auch wieder austauschen . Bei dieser Suche helfen seriöse Foren und Angebote wie der Bildungsser- ver in NRW, die immer aktuelles Material liefern, aber auch Schulbuchverlage . Oder man nutzt OER, erstellt selbst Materialien, oder man recherchiert eben . Dafür wurden Lehrer ausgebildet, dies ist eine der Kernkompe- tenzen . Ich sage mit entsprechendem Selbstbewusstsein als Lehrer, dass ich eine Monitoringstelle, die mir sagt, welche Materialien ich zu nutzen habe oder nicht, nicht brauche . Dies gilt auch für die überwältigende Mehrheit meiner Kollegen . Ich habe ein wenig den Eindruck, dass Sie mit diesem Antrag eher Lobbyismus für LobbyControl betreiben, wenn ich sehe, wie viele Forderungen dieser Organisa- tion Sie übernommen haben . Bei allem Respekt vor dem Engagement von LobbyControl: Es gehört zur Wahrheit, dass diese Organisation eine bestimmte politische Agen- da verfolgt, die man an verschiedenen Stellen zwingend kritisch hinterfragen muss . Ihr Bestreben, alle Unterrichtsmaterialen zentral be- werten zu wollen, ist noch aus einem anderen Grund voll- kommen unmöglich . In dieser Woche ist eine Broschüre der von Ihnen im Antrag stark kritisierten Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft an mein Büro gesandt worden . Der Titel lautet „Deutschland hat die Wahl . Parteien, Positionen, Perspektiven“ . Dort werden Fragen gestellt zur Bundestagswahl, zur sozialen Gerechtigkeit, zum Ar- beitsmarkt, zur Pflegeversicherung, zur Steuerpolitik etc. Beantwortet haben diese Fragen Cem Özdemir, Katarina Barley, sehr überzeugend aus meiner Sicht Peter Tauber für die CDU und Andreas Scheuer für die CSU, sowie – schau an, schau an – Dietmar Bartsch von der Linken . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723360 (A) (C) (B) (D) Warum sollte ein Lehrer diese Broschüre, die nicht ein- mal als Unterrichtsmaterial gedacht ist, nicht im Un- terricht einsetzen, um die verschiedenen Antworten der Politiker durch die Schüler analysieren und bewerten zu lassen? So schlimm können die Fragen nun nicht gewe- sen sein, sonst hätte die Linke sicher nicht mitgemacht . Ähnlich könnte man mit den Wahlprüfsteinen vom DGB umgehen . Allein dieses Beispiel zeigt deutlich, dass Sie niemals in der Lage sein werden, alles zu er- fassen oder zu bewerten, was im Unterricht eingesetzt werden kann . Wenn wir aus ideologischen Gründen je- des Engagement der Wirtschaft hinterfragen, dann darf man sich konsequenterweise als Schule nicht mehr vom Förderverein unterstützen lassen; dann müssten Hunder- te durch Werbung finanzierte Schülerzeitungen, Wettbe- werbe oder Projekte wie „Zeitung in der Schule“ einge- stellt werden . Wenn der Lehrer sich dafür rechtfertigen muss, warum er beim Zeitungsprojekt lieber mit einem Blatt aus Frankfurt statt aus Hamburg oder umgekehrt arbeitet, weil die Zeitung sicher auch junge Leser als zu- künftige Abonnenten im Blick hat, dann schütten wir das Kind mit dem Bade aus . Ich habe es bei meiner letzten Rede zu diesem The- ma bereits gesagt: Sie trauen Direktoren, Lehrern, Eltern und Schülern nichts zu . Sie unterstellen, dass diese nicht in der Lage sind, klare existierende Regeln bei Werbung und Sponsoring sowie bei kontroversen Auseinanderset- zungen einzuhalten . Dies entspricht nicht der Realität und wird von uns als CDU/CSU auf das Schärfste zu- rückgewiesen . Das bisherige System reicht aus, um Fehl- leistungen und eindeutige Fälle von Beeinflussung von Schülern und Schülern zu erkennen und abzustellen . Wir sind der Auffassung, dass wir insgesamt mehr Le- bensrealität in die Schulen holen müssen, um Unterricht lebendiger zu machen . Dazu zählt die Wirtschaft ebenso wie Arbeitnehmerorganisationen, NGOs oder die Bun- deswehr . Entscheidend ist, dass über eine gesamte Un- terrichtsreihe gesehen der Beutelsbacher Konsens einge- halten wird . Zum Abschluss ein letzter Punkt . Wenn man mit Leh- rern spricht, dann spielt das Thema Lobbyismus über- haupt keine Rolle . Ich komme aus NRW, und dort ist die Unzufriedenheit mit der grünen Schulministerin ein viel drängenderes Problem als die Frage einer Koopera- tion mit der Wirtschaft . Viele Lehrer fragen sich: Warum funktioniert das mit der Inklusion in NRW so schlecht? Warum sind so viele Lehrerstellen nicht besetzt? Warum ist man nicht in der Lage, den Unterrichtsausfall digital zu erfassen? Warum kommen Programme wie „Gute Schule“ rein zufällig kurz vor der Wahl, während man ansonsten die Investitionspauschale für Schulbauten nicht erhöht hat? Warum sind die Fortbildungsetats bei gestiegenen Anforderungen so niedrig? Bevor Sie mir nun Wahlkampfgetöse vorwerfen, möchte ich Ihnen einige Zitate der grünen Basis in NRW vorlesen . Vielleicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, glauben Sie ja denen . Am 30 . März berichtete das BBV über die Vorstandswahlen der Grü- nen in Hamminkeln . Was man dort alles lesen konnte, widerspricht schon dem, was Sie hier oft im Bundestag erzählen: Löhrmann, die „schwächste Ministerin“, „Im Grunde hat sie nichts erreicht“, „beim Thema Inklusion stehen ihm die Haare zu Berge“, „die Inkonsequenz beim Thema G8/G9-Abitur sei . . . nicht nachvollziehbar“, „Un- terrichtsausfall“, „Die Stimmung im Kollegium ist abso- lut anti gegenüber unserer Chefin“. Ich glaube, dass die Abstellung dieser Probleme wichtiger ist als irgendeine Materialkontrolle . Ich bin froh, dass wir im Bund mit Frau Wanka jeman- den haben, der immer bereit ist, den Ländern mit sinn- vollen Programmen zu helfen, der Kooperation anbietet und sinnvolle Projekte wie den Digitalpakt auf den Weg bringt und damit dem Gesamtsystem Schule wirklich weiterhilft . Der Antrag tut dies nicht, und wir denken an Johann Wolfgang von Goethe, der gesagt hat: „Wer selbst mißtrauisch ist, verdient kein Vertrauen.“ Treffender kann man den Antrag der Linken nicht zusammenfassen . Marianne Schieder (SPD): Wir beraten heute ab- schließend den Antrag der Fraktion Die Linke „Kein Lobbyismus im Klassenzimmer“ . Und ich muss sagen: Die Kritik, die ich schon zur ersten Lesung geäußert habe, bleibt bestehen . Nichts hat sich geändert . Keines der Probleme konnte ausgeräumt werden . Darum werden wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dem Antrag auch nicht zustimmen können . Doch beginnen wir vorne: Die Grundüberlegung ist ja gar nicht so verkehrt: Lobbyverbände sollen nicht ein- fach in den Schulen Werbung für die eigene Sache ma- chen dürfen . Das würden die meisten von uns hier wohl so unterschreiben können . Ganz selbstverständlich ist der Staat in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass Schülerinnen und Schüler kritisches Denken erlernen und nicht einsei- tig eine Meinung vorgegeben bekommen . So weit, so gut . Dann beginnen aber schnell die Pro- bleme des Antrags . Denn wenn man ihn sich so durchliest, könnte man meinen: Schulen in Deutschland sind reine Schaufens- ter, in denen sich Konzerne und Unternehmensverbände nach Lust und Laune präsentieren, und niemanden küm- mert es . Ganz so einfach und einseitig ist es nun aber doch nicht . Die Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke schreiben in ihrem Antrag selbst: „Auftrag der Schule ist die Herausbildung selbstständig denkender, ihre gesellschaftliche Umwelt kritisch reflektierender Menschen.“ Und an anderer Stelle: „Gute Schulen öffnen sich darum dem regionalen Umfeld, sie gehen Koopera- tionen mit unterschiedlichsten Partnern aus der Zivilge- sellschaft ein . . .“ Jawohl, da haben Sie recht! Leider verstehe ich nicht, warum Sie dann alles in einen Topf werfen und jegli- ches Material, das nicht vorher staatlich geprüft und autorisiert wurde, verteufeln . Da gibt es doch unzählige Beispiele, die gut geeignet sind, um den Unterricht zu ergänzen . Denken Sie allein an Broschüren der Kranken- kassen, die über Gesundheitsrisiken aufklären . Das ist doch eine prima Ergänzung für den Unterricht und die Standardlehrbücher – was genau ist daran falsch? Man Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23361 (A) (C) (B) (D) könnte da noch unzählige weitere positive Beispiele nen- nen: von Lehrveranstaltungen mit dem Landesbund für Vogelschutz bis hin zu Betriebsbesichtigungen oder der Gründung von Schülerfirmen, die oft von regionalen Un- ternehmen unterstützt werden . Ist es nun also gut oder schlecht, wenn sich die Schu- len ihrem regionalen Umfeld öffnen und Partner suchen, um den Stoff in der Gesundheitserziehung, Naturkunde oder des Wirtschaftsunterrichts zu veranschaulichen? Wenn Ihr Antrag konsequent umgesetzt würde, wären viele solcher Kooperationsprojekte entweder gar nicht mehr oder zumindest nur erschwert möglich . Darüber hinaus kann es sehr sinnvoll sein, im Unterricht mit Ma- terialien zu arbeiten, die verschiedene Sichtweisen auf bestimmte Sachverhalte vermitteln . Gerade dadurch ler- nen die Schülerinnen und Schüler, vorliegendes Material kritisch zu hinterfragen und sich eine eigene Meinung zu bilden . Auch der Beutelsbacher Konsens, von dem im An- trag gesprochen wird, sieht das Prinzip der Kontroversi- tät vor . Wenn die geforderte Monitoringstelle sämtliche Unterrichtsmaterialien auf Konformität überprüfen soll, dann würde mich interessieren, worin die Kolleginnen und Kollegen von der Linken hier genau das Prinzip der Kontroversität verwirklicht sehen . Vollkommen ab- wegig ist auch die Idee, sämtliche externen Lehrinhalte von dieser eben erwähnten Monitoringstelle überprüfen zu lassen . Man muss sich nur einmal vorstellen, welche konkreten Auswirkungen das auf den tagtäglichen Lehr- betrieb hätte! Konsequenterweise würde das jegliche Mathetextaufgaben betreffen, die nicht aus einem zuge- lassenen Lehrbuch stammen; schließlich wären diese ja nicht bezüglich unerwünschter kommerzieller Einfluss- nahme geprüft worden und dürften demnach wohl nicht mehr verwendet werden . Bereits heute gibt es den Materialkompass der Ver- braucherschutzzentrale . Das ist ein gutes Instrument, das mit übersichtlichen Indikatoren Lehrmedien bewertet . Eine Fortführung des Materialkompasses kann ich mir darum gut vorstellen . Da wissen die Lehrerinnen und Lehrer gleich, woran sie mit einem bestimmten Buch sind, und können abwägen, ob es für ihren Unterricht sinnvoll ist oder nicht . Warum daneben noch eine staat- liche Stelle, die praktisch dasselbe macht, eingerichtet werden soll, verstehe ich nicht . Grundsätzlich bin ich nämlich der Meinung, dass Lehrerinnen und Lehrer sehr wohl Unterrichtsmateria- lien selbstständig in kritischer Weise hinsichtlich ihrer pädagogischen Eignung einschätzen können . Der Antrag suggeriert allerdings, dass Lehrkräfte dazu nicht in der Lage wären . Ich frage mich, ob die Antragstellerinnen und Antragsteller schon einmal mit Lehrkräften über ih- ren Vorschlag gesprochen haben, Fortbildungen darüber abzuhalten, wie man brauchbares Unterrichtsmaterial von unbrauchbarem unterscheidet . Die werden nämlich sagen, dass sie das in einem guten Pädagogikstudium oh- nehin gelernt haben . Unabhängig von der Kritik im Einzelnen muss ich nochmals wiederholen, was ich bereits in der ersten Lesung gesagt habe: Der Antrag überschreitet jegliche Bundeskompetenz . Nun diskutieren wir zum Glück seit längerem eine Aufweichung des Kooperationsverbo- tes, die hoffentlich bald kommt. Eine Entmachtung der Länder bei der Bildungshoheit hat meines Wissens aber vollkommen zu Recht noch niemand gefordert . Genau dem kommt so ein Antrag aber gleich: einer unzuläs- sigen Einmischung in die Angelegenheiten der Länder . Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern scheint dem Antrag aber ohnehin egal zu sein . Immerhin dreht er sich die Argumente, wie er sie braucht . So wird zum Beispiel die Aktion „Unternehmergeist in Schulen“ des Bundeswirtschaftsministeriums angegriffen, weil sie sich angeblich in die Bildungshoheit der Länder ein- mischt . Ja, was denn nun? Soll der Bund sich nun um Bildungsinhalte kümmern oder nicht? Das ist doch alles nicht zu Ende gedacht . Unabhängig davon scheint mir der Antrag ohnehin ein anderes Ansinnen zu haben . Da geht es weniger da- rum, für sinnvolle Verbesserungen zu sorgen, damit es in den Schulen vernünftiges Lehrmaterial gibt . Vielmehr scheint der Antrag gegen jegliche Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Fragen gerichtet zu sein . Wenn ich junge Menschen dazu befähigen will, dass sie mündig wirtschaftliche Entscheidungen treffen können, sei es als Verbraucher, als Bausparerin oder sonst irgendwie, dann kann die Lösung nicht sein, sie möglichst fernzuhalten von der Wirtschaft . Nur wenn sie verstehen, wie das Sys- tem funktioniert, können sie kritisch damit umgehen und müssen es nicht als gegeben hinnehmen . Dazu leistet der vorliegende Antrag unabhängig von der fehlenden Bun- deskompetenz leider keinen Beitrag . Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Der Kulturpoliti- sche Ausschuss im Hessischen Landtag hat am 19 . April dieses Jahres ein Werbeverbot an Schulen im Schulge- setz beschlossen . Nun bekommen die beiden regierungs- führenden Fraktionen offensichtlich Schwansfedern und rudern zurück . Für den 2 . Mai wurde extra eine Sonder- sitzung des Kulturpolitischen Ausschusses einberufen, um einen relativierenden Antrag zum Gesetz zu verhan- deln . Angst vor der eigenen Courage, liebe Grüne, kann ich da nur sagen! Seit Jahren laufen Institutionen und zivilgesellschaft- liche Akteure Sturm gegen sich ausbreitende Werbe- strategien vor allem größerer Unternehmen und Lob- bygruppen, die die Schule längst als Adressaten ihrer Unternehmensstrategien erkannt haben und mit viel Geld große und professionelle Werbeabteilungen damit beauf- tragt haben, Lernende als Ziel werberischer Strategien auszumachen und geschickt zu umgarnen . Die Kritik kommt von der Bundeszentrale für politische Bildung ebenso wie von den Verbraucherzentralen und Lobby- Control . Auch die Uni Augsburg und viele Medien haben schon vor Jahren auf die Flut von werbeträchtigen Unter- richtsmaterialien aufmerksam gemacht . Nun muss, wer guten Unterricht machen will, sich an der Lebenswelt orientieren, aktuell sein und anschaulich . Lehrbücher sind nicht immer topaktuell . Für andere ver- fügbare Materialien gibt es oft urheberrechtliche Schran- ken . Da kommen die kostenlosen bunten Heftchen, Ar- beitsblätter und digitalen Angebote von Unternehmen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723362 (A) (C) (B) (D) gerade recht, und man traut ihnen zu, dass sie von ihrem Handwerk etwas verstehen . Mitunter sind diese Materi- alien auch didaktisch gut aufbereitet und auf den Unter- richt zugeschnitten . Mit solchen Materialien verbinden die Absender aber auch offen oder verdeckt Botschaften zur eigenen Unter- nehmensstrategie . Uneigennützigkeit darf man da nicht unterstellen . Schülerinnen und Schülern wird so nicht selten ein- seitig die von ebendiesem Unternehmen oder Verband vertretene Sichtweise auf das eigene Tun nahegebracht . Doch Schulen sind Lernorte, in denen man nicht nur viel fachliches Wissen erwerben soll, sondern auch den kritischen Umgang damit . Darum verbieten sich Werbung und einseitige Informationsstrategien an der Schule . Wir wollen, dass auch im Alltag der Schule und im Unterricht das Kontroversitätsgebot und das Überwältigungsverbot aus der politischen Bildung gelten . Das heißt dann, dass ich bei Themen, die in der Gesellschaft kontrovers disku- tiert werden, immer beide Seiten hören muss . Das wür- de bewirken, dass Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzt werden, sich ein eigenes Urteil zu bilden . Materialien außerhalb der zugelassenen Lehrbücher im Unterricht verwenden zu können, ist unerlässlich für gute Schule . Wie man das macht und was dabei zu be- achten ist, diese Verantwortung liegt immer stärker bei den Lehrkräften . Die Kritikerinnen und Kritiker unseres Antrages aus der CDU/CSU-Fraktion und auch manche aus der SPD halten entgegen, dass Lehrkräfte das schon alleine kön- nen und keine Belehrung brauchen . Belehrung sicher nicht, aber Unterstützung . Denn Lehrerinnen und Leh- rer haben inzwischen einen ziemlichen Rucksack zu tragen: Sie sollen immer mehr Wissen vermitteln und kompetenz orientiert und interkulturell bilden, sie sollen inklusiv arbeiten, Berufsorientierung betreiben, sollen digitale Bildung implementieren, individuell fördern usw . usf . Da wäre es doch hilfreich, wenn man unter dem zeit- lichen Druck, unter dem man steht, sich schnell und verlässlich vergewissern kann . Das könnten unabhän- gige Stellen exemplarisch leisten . Hingegen eine Zerti- fizierung und Zulassung aller zur Verfügung stehenden Materialien durch die jeweiligen Kultusministerien, wie das bei den Lehrbüchern üblich ist, ist nicht umsetzbar, weltfremd und auch nicht mehr zeitgemäß . Darum fordern wir, bereits bestehende Instrumente zu erhalten und auszubauen . Eine unabhängige Moni- toringstelle könnte beispielsweise beim Deutschen Bil- dungsserver eingerichtet werden, der heute schon wert- volle Informationen zur Unterrichtsgestaltung bei vielen Themen liefert . Und natürlich geht es uns darum, das Bewusstsein für solche offenen oder auch unterschwelligen Einflussnah- men bei Lernenden, Eltern und auch Lehrenden zu entwi- ckeln . Ein Werbeverbot in den Schulgesetzen würde den kritischen Umgang mit externen Materialien befördern . Dazu gehört auch, dass Bundesministerien sich nicht zum Anwalt einseitiger Interessen machen und ihre Au- torität für Empfehlungen nutzen . Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Staat hat die Aufgabe, die Schulen besser auszustatten, damit Lobbyisten nicht die Deutungshoheit im Unter- richt übernehmen. Dieser Pflicht müssen wir zum Wohle unserer Kinder und im Interesse unseres Landes ohne Wenn und Aber nachkommen . Die Beschreibung der aktuellen Situation in dem Antrag der Linken ist zutreffend. In den letzten Jahren versuchen einige Unternehmen, sich mit scheinbar un- verfänglichen Angeboten wie Broschüren oder attrakti- ven Wettbewerben in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler, also der Konsumentinnen und Konsumenten von morgen, festzusetzen . Lobbyismus macht eben kei- nen Halt vor Schultoren . Mittlerweile ist dieser Bereich so professionalisiert, dass Agenturen sich ausschließlich darauf spezialisieren, Kinder und junge Menschen im Schulalltag interessengeleitet zu gewinnen bzw . im Ex- tremfall gar zu manipulieren . Das Ziel hierbei ist es oft, eine frühe Produktbindung zu sichern . Die Frage ist, wo Lobbyismus beginnt und wo die Grenzen zu ziehen sind . Klar ist, dass systematische und einseitige Beeinflussung nicht ins Klassenzimmer gehö- ren . Hier müssen wir Sorge tragen, dass für Lehrkräfte transparent wird, welche Interessen hinter den Materiali- en stecken und dass keine – insbesondere finanziellen – Abhängigkeiten entstehen . Die Gefahr ist gegeben; schließlich ist unser Bildungs- system chronisch unterfinanziert. Daher verwundert es auch nicht, wenn Schulen sich nach anderen Geldgebern oder Sponsoren umsehen . Es ist allgemein bekannt, dass Deutschland im internationalen Vergleich zu wenig in sein Bildungssystem investiert . Die KfW-Studie belegt: Der Investitionsstau in deut- schen Schulen beträgt 34 Milliarden Euro . Viele Kommu- nen und Gemeinden sind nicht in der Lage, die dringend benötigten Investitionen alleine zu tätigen . Stichwort „Kooperationsverbot“, sage ich an dieser Stelle! Der öffentliche Bildungsauftrag darf sich nicht durch geschickt verpackte PR im Klassenzimmer verwässern lassen . Ich habe grundsätzlich nichts gegen Koopera- tionen . Die Wirtschaft kann sich gerne in den Schulen einbringen: Betriebspraktika, Betriebserkundungen oder Jobmessen benötigen selbstverständlich das Mitwirken von Unternehmen . Aber im Unterricht müssen Schüler und Schülerinnen kontrovers und kritisch diskutieren können, sie müssen befähigt werden, ihre eigene Mei- nung zu bilden, um mündige Bürgerinnen und Bürger zu werden . Wir müssen Sorge tragen, dass für Lehrkräfte trans- parent wird, welche Interessen hinter den Materialien stecken und dass keine – insbesondere finanziellen – Abhängigkeiten entstehen . Nur so können wir unserem Leitbild, dem Humboldt’schen Bildungsideal, gerecht werden . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23363 (A) (C) (B) (D) Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, das Projekt Materialkompass Verbraucherbildung zu ver- längern . Obwohl alle Fraktionen das Projekt begrüßen, läuft der Materialkompass Verbraucherbildung im Okto- ber 2017 aus . Wir dürfen Lehrkräfte und Schulen nicht mit der Aus- wertung der Materialfülle alleine lassen . Die Befunde der PISA-Studie 2006 belegen, dass in Deutschland der Einfluss von Wirtschaft und Industrie auf die Lehrinhalte in den Schulen enorm groß ist . Tendenz steigend! Es be- steht riesiger Handlungsbedarf seitens des Bildungsmi- nisteriums und der KMK . Denn Schule muss weiterhin ein geschützter Raum für unsere Kinder bleiben . Wir setzen auf kreative und konstruktive Wege der Kooperation mit der Wirtschaft – ohne Abhängigkeiten und Lobbyismus mit dem schlichten Ziel der Produkt- vermarktung! Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Überein- kommen des Europarats vom 11. Mai 2011 zur Ver- hütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Tagesordnungspunkt 20) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): Wir sprechen heu- te über ein Thema, das immer noch ein Tabuthema in Deutschland ist, obwohl es sich dabei keineswegs nur um eine Randerscheinung handelt: Es geht um Gewalt gegen Frauen . Häusliche Gewalt und sexueller Missbrauch von Frauen finden überall, zu jeder Zeit und in allen sozia- len Schichten statt . Und spätestens seit der Silvesternacht in Köln wissen wir, dass sexuelle Gewalt nicht einmal heimlich geschieht . Gewalt gegen Frauen macht vor nichts und nieman- dem halt und greift durch alle Gesellschaftsschichten: junge Frauen wie alte, reiche wie arme, gebildete wie un- gebildete . Und genau das ist der Grund, weshalb die Zahl der Betroffenen auch so hoch ist. Im vergangenen Herbst veröffentlichte das Bundes- kriminalamt erschreckende Zahlen zu Gewalt gegen Frauen in Partnerschaften . Allein im Jahr 2015 wurden 104 000 Frauen in Deutschland durch ihren Partner oder Expartner Opfer von Mord, Totschlag, Körperverletzung, Vergewaltigung, sexueller Nötigung oder Stalking . Und diese Zahlen zeigen längst nicht das gesamte Ausmaß . Experten gehen von einem weitaus größeren Dunkelfeld aus, da viele Frauen gewalttätige oder sexu- elle Übergriffe aus Angst oder Scham gar nicht erst zur Anzeige bringen und ihr Schweigen nicht brechen . Ich freue mich, dass wir heute einen wichtigen Schritt gehen, um den Frauen in Deutschland umfassenden Schutz vor allen Formen von Gewalt zu bieten . Wir werden heute ein Gesetz auf den Weg bringen, das die Istanbul-Konvention des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen umsetzt . Damit nehmen wir eine weitere Hürde auf dem Weg zu einem europaweit einheitlichen Rahmen für Prävention, Opfer- schutz und Strafverfolgung . In den 81 Artikeln der Konvention werden die Maß- nahmen definiert, die die Mitgliedstaaten zu ergreifen ha- ben: Es geht um Maßnahmen des Gewaltschutzes, Schutz und Unterstützung der Opfer und auch um rechtliche Re- gelungen zur Ermittlung und Verfolgung von Straftaten sowie Monitoring und statistische Erhebungen . Deutschland hat bereits alle Verpflichtungen aus der Konvention umgesetzt . Dazu gehört insbesondere die Einrichtung eines bundesweiten Hilfstelefons, über das in den letzten zwei Jahren bereits 100 000 Beratungsge- spräche geführt wurden . Man hat die Hürden bewusst niedrig gehalten, sodass wirklich jede Frau, die Hilfe braucht, auch Hilfe bekommen kann: So besteht das An- gebot rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr per Telefon, Chat oder E-Mail . Die Hilfe wird in insgesamt 17 ver- schiedenen Fremdsprachen sowie in Gebärdensprache angeboten und ist natürlich anonym und vertraulich . Die Nummer lautet 08000 116016 und soll auch an dieser Stelle noch einmal genannt werden . Eine weitere Verpflichtung aus der Konvention betraf das Sexualstrafrecht . Konkret ging es darum, dass alle sexuellen Handlungen, die nicht einvernehmlich gesche- hen, unter Strafe gestellt werden müssen . Ein Nein des Opfers muss ausreichen, um deutlich zu machen, dass es die sexuelle Handlung nicht wünscht . Eigentlich eine Selbstverständlichkeit . Seit November letzten Jahres ist das nun auch gesetzlich klargestellt . Die Istanbul-Konvention und ihre Ratifikation durch das vorliegende Gesetz sind wichtige Schritte im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen . Und dabei geht es nicht nur darum, Maßnahmen zu treffen und neue Gesetze zu schreiben . Es geht vor allem auch darum, das Thema „Gewalt gegen Frauen“ in den Fokus der Öffentlichkeit zu stellen, denn mehr Aufmerksamkeit kann auch schon helfen . Wir sollten daher weiter sensibel und gewiss nicht hinter verschlossenen Türen mit diesem Thema umge- hen . Wir sollten die Scham und das Schweigen brechen und die Frauen dazu ermutigen, auszusprechen, was ih- nen wiederfahren ist, und die Hilfe einzufordern, die sie benötigen . Mir ist es daher ein wichtiges Anliegen, die Stellen zu fördern, die vor Ort die erste Hilfe und Beratung leisten . Das sind die kleinen ehrenamtlichen Vereine, Selbsthil- fegruppen, Frauenhäuser oder auch Frauennotrufe . Diese Einrichtungen leisten wirklich Enormes, um den betrof- fenen Frauen zu helfen und ihnen Mut zu machen . Hier muss unsere Unterstützung einfließen. Ich appelliere da- her an alle, sich dort einzusetzen und starkzumachen . Sylvia Pantel (CDU/CSU): Gewalt gegen Frauen ist in keiner Form und durch nichts zu rechtfertigen . Wir sind uns einig, dass die Bekämpfung von Gewalt gegen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723364 (A) (C) (B) (D) Frauen ein wichtiges und in diesem Haus zu Recht im- mer wiederkehrendes Thema ist . Jeder Mensch hat Anspruch auf Unversehrtheit und ein Leben in Würde . Jede Gewalttat gegen Frauen ist ein Verstoß gegen Menschenrechte und ein Verbrechen . So deutlich müssen wir das formulieren . Und auch keine Re- ligion oder Kultur auf der Welt rechtfertigt es, die Rechte von Frauen einzuschränken, sie zu missachten oder gar Gewalt gegen Frauen anzuwenden . Religionsfreiheit ist ein Grundrecht in unserem Land, aber sie muss dort ihre Schranken finden, wo sie Menschenrechte verletzt. Die Bundesregierung hat am 8 . März dieses Jahres, dem Internationalen Frauentag, dem Entwurf des Geset- zes zum Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häus- licher Gewalt zugestimmt und somit den Weg freige- macht zur Ratifizierung des Abkommens. Die sogenann- te Istanbul-Konvention stuft Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung und eine Form der Diskrimi- nierung ein. Sie wurde bisher von 22 Staaten ratifiziert. 81 Artikel definieren politische und rechtliche Maßnah- men, die Staaten ergreifen müssen, um die vorgeschrie- benen Ziele zu erreichen . Dem Vorwurf, Deutschland hätte die Konvention schon viel früher ratifizieren sollen, möchte ich zwei Punkte entgegenhalten: Erstens war es notwendig, die rechtlichen Voraus- setzungen für eine Ratifizierung zu schaffen. Dazu war zunächst eine Reform des Sexualstrafrechts, des § 177 Strafgesetzbuch, erforderlich . Durch die gesetzliche „Nein heißt Nein“-Regelung, die vorschreibt, dass sich nun jeder strafbar macht, der sich über „den erkennbaren Willen“ des Opfers hinwegsetzt, schaffen wir Rechtssi- cherheit . Die Reform war damit ein wichtiger Schritt und zugleich Voraussetzung für eine Ratifizierung der Istan- bul-Konvention . Ich komme nun zum zweiten Punkt, und zwar zu der Tatsache, dass allein die Unterschrift unter ein Abkom- men noch keine Frau aus häuslicher Gewalt befreit oder diese verhindert hat. Die Ratifizierung der Istanbul-Kon- vention ist richtig und wichtig, aber sie ersetzt nicht kon- krete Maßnahmen vor Ort . Vermeintlicher Schutz auf dem Papier bewirkt noch keine Veränderung der Lebenswirklichkeit von betrof- fenen Frauen . Mit der Unterzeichnung des Abkommens verpflichten sich die Staaten, Maßnahmen zu ergreifen, die geschlechtsbezogene Gewalt verhindern . Dazu zäh- len Prävention, Schutz, Strafverfolgung, organisatori- sche Zusammenarbeit staatlicher und nichtstaatlicher Stellen sowie das Monitoring der Umsetzung . Umfassende Verpflichtungen dienen vor allem dazu, die Gleichstellung von Mann und Frau zu stärken . Dies ist ein wichtiger Punkt . Denn es geht auch und vor allem um die Stärkung des Bewusstseins der Frauen für ihre Rechte . Denn was nutzen Statistiken zu von Gewalt be- troffenen Frauen, wenn diese gar nicht das Bewusstsein dafür haben, dass ihnen Unrecht widerfährt? Wenn diese Frauen nicht den Mut haben, ihre Stimme zu erheben, sich gegen gesellschaftliche Konventionen oder kulturel- le Traditionen zu wehren und Hilfe zu suchen? Die Türkei hat die Istanbul-Konvention bereits 2012 ratifiziert. Und trotzdem ist in Teilen des Landes Ge- walt gegen Frauen nach wie vor ein großes Problem, die „Ehre“ ist häufig die Existenzgrundlage der Fami- lie und nicht selten eine Rechtfertigung von Gewaltta- ten an Frauen. Dabei verpflichten sich, laut Vertrags- text der Istanbul-Konvention, die Unterzeichner dazu, Verhaltensweisen zu ändern, die auf althergebrachten Geschlechterrollen beruhen . So fordert Artikel 12 von den Vertragsparteien, Maßnahmen zu ergreifen, die da- rauf zielen, „Vorurteile, Bräuche, Traditionen und alle sonstigen Vorgehensweisen, die auf der Vorstellung der Unterlegenheit der Frau oder auf Rollenzuweisungen für Frauen und Männer beruhen, zu beseitigen .“ Artikel 42 hält gesondert fest, dass es mit Blick auf Kultur, Traditionen und Religion keine Rechtfertigung für Gewalt gegen Frauen gibt . Dies gelte insbesondere für Verbrechen, die im Namen der „Ehre“ begangen wer- den . Gewalt gegen Frauen ist leider oftmals Ausdruck der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und ein Spie- gel gesellschaftlicher Machtverhältnisse . Sie reicht von sexueller Belästigung und häuslicher Gewalt über Geni- talverstümmelung bis hin zu Frauenhandel und Zwangs- prostitution . Auch Kinderehen möchte ich hier explizit erwähnen, zumal die Istanbul-Konvention in Artikel 3f unterstreicht, dass der Begriff „Frauen“ ausdrücklich auch Mädchen unter 18 Jahren, also auch Kinder, mit einbezieht . In Artikel 32 ist geregelt, dass sich die Vertragspartei- en dazu verpflichten, erforderliche Maßnahmen zu tref- fen, um sicherzustellen, dass unter Zwang geschlossene Ehen für nichtig erklärt und aufgelöst werden können – und das ohne eine unangemessene finanzielle oder admi- nistrative Belastung für das Opfer . Artikel 37 zur Zwangsheirat regelt, dass die Vertrags- parteien Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass vorsätzliches Verhalten, durch das eine erwachsene Per- son oder ein Kind zur Eheschließung gezwungen wird, unter Strafe gestellt wird . Auch ein Verbot von Zwangs- abtreibungen und Zwangssterilisationen umfasst das Ab- kommen . Mit der Konvention verpflichten sich die Unterzeich- nerstaaten, Schutz- und Hilfsdienste für Frauen, die Gewalt erlitten haben, bereitzustellen . Dazu zählt unter anderem, über Hilfsangebote und juristische Mittel zu in- formieren . Ebenso sollen Schutzräume, Telefon-Hotlines und spezielle Hilfszentren für Vergewaltigungsopfer ge- schaffen werden. Darüber hinaus sieht die Konvention vor, die Gesetzeslage dahin gehend zu ändern, dass es der Polizei erlaubt ist, bei häuslicher Gewalt den gewalt- tätigen Partner aus der Wohnung zu holen und ihn anzu- weisen, sich vom Opfer fernzuhalten . Ich möchte noch einmal erwähnen, dass allein die Ra- tifizierung eines Abkommens wie der Istanbul-Konven- tion nicht die Lösung des Problems ist . Wir müssen das Thema aus der Tabu-Ecke holen, wir müssen aufklären http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/newsletter/57216/deutschland-mehr-hilferufe-wegen-zwangsehen-und-gewalt-im-namen-der-ehre http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/newsletter/57216/deutschland-mehr-hilferufe-wegen-zwangsehen-und-gewalt-im-namen-der-ehre Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23365 (A) (C) (B) (D) und Hilfsangebote vor Ort schaffen, unbürokratische kur- ze Wege und Angebote anbieten, die es den Betroffenen leichtmachen, Hilfe auch anzunehmen . Genau hier haben wir, hat Deutschland, gute Ergebnisse vorzuweisen . Wir haben mittlerweile ein breites Netzwerk von Hilfs- und Beratungsangeboten . Das Hilfetelefon „Ge- walt gegen Frauen“, ein bundesweites und vom Bund finanziertes Beratungsangebot, hat vor kurzem, am 30. März, seinen vierten Jahresbericht veröffentlicht. Demnach gab es im Jahr 2016 über 34 400 Beratungen, die auch von immer mehr Frauen mit Fluchthintergrund angenommen werden . Dies entspricht einem Anstieg von rund 27 Prozent im Vergleich zum Vorjahr 2015 . Auch das mehrsprachige Beratungsangebot des Hilfetelefons wird häufig genutzt. Zum 1. Januar dieses Jahres wurde der Dolmetscherdienst um die Sprachen Albanisch und Kurdisch erweitert . Beratungen sind nun in 17 Fremd- sprachen möglich . Diese Zahlen bestätigen, dass Gewalt gegen Frauen weit verbreitet ist, sie machen aber auch deutlich, dass unsere Hilfsangebote bekannt sind und von immer mehr betroffenen Frauen genutzt werden. Allein in 16 000 Fäl- len konnten die Expertinnen des Hilfetelefons 2016 be- troffene Frauen an örtliche Unterstützungseinrichtungen wie Frauenhäuser oder Beratungsstellen weitervermit- teln . Das Hilfetelefon ist damit eine wichtige Säule im Unterstützungssystem für von Gewalt betroffene Frauen und hat sich als sinnvolle Ergänzung der Angebote vor Ort bewährt . Cornelia Möhring (DIE LINKE): Die Ratifizierung der Istanbul-Konvention ist nun nur noch eine Formali- tät . Wie sehr sich Frau Ministerin Schwesig dafür jetzt dennoch feiern lässt, verdeckt, wie lange die Bundesre- gierung gebraucht hat, die notwendigen Gesetzesände- rungen umzusetzen und damit ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung, Mädchen und Frauen das Recht auf ein Leben ohne Gewalt zu gewährleisten, nachzukommen – ganze drei Jahre . Und es verdeckt noch viel mehr, wie viele Maßnahmen noch folgen müssen, wenn wir dieses Recht ernst nehmen . Letztes Jahr haben wir hier im Bundestag einstimmig die Reform des Sexualstrafrechts beschlossen . Ein Rie- senerfolg vor allem für all die engagierten Frauen, die jahrelang dafür gekämpft haben, dass Nein auch Nein heißt! Aber die rechtliche Verankerung reicht nicht, denn es kommt immer auch auf die Umsetzung an . Damit das sexuelle Selbstbestimmungsrecht zukünftig auch tat- sächlich in der Praxis geachtet wird, braucht es allem voran qualifizierte und verpflichtende Fortbildungen und Sensibilisierungen für Polizei und Justiz . Ja, es gibt nicht nichts: Es wurde das Hilfetelefon ein- gerichtet, es gibt Beratungsstellen und rund 350 Frauen- häuser und etwa 40 Zufluchtswohnungen mit insgesamt circa 6 800 Plätzen für gewaltbetroffene Frauen und de- ren Kinder. Ich finde nicht, dass damit die Anforderun- gen der Istanbul-Konvention erfüllt sind, wie es die Bun- desregierung in der Denkschrift schreibt, und wundere mich, ehrlich gesagt, stark über diese Interpretation . Aber ich möchte mich nicht mit Ihnen streiten, ob das formal stimmt oder nicht; das ist nicht mein Maßstab . Der sprin- gende Punkt ist doch: Es gibt auf keinen Fall genug . 18 000 Frauen mit ihren Kindern werden jährlich in den Frauenhäusern aufgenommen – aber noch mal genauso viele werden jährlich abgelehnt, wie es der 7 ./8 . CEDAW-Alternativbericht feststellt . Und dass nicht noch viel mehr Frauen, die von ihrem Partner ge- schlagen, gedemütigt und misshandelt werden, an der Schwelle zu einem Schutzraum abgewiesen werden, ist vor allem dem Personal zu verdanken, das längst jenseits der Belastungsgrenze arbeitet, ohne dafür angemessen bezahlt zu werden . Das erkennen wir an den wenigen Zahlen, die über- haupt erhoben wurden: 35 Prozent der Frauen in Deutschland haben körperliche und/oder sexualisierte Gewalt erfahren . Die aktuellen Zahlen des BKAs gehen von 100 000 Opfern von häuslicher Gewalt aus . Und da die Gewalt gegen Frauen meistens vom Partner ausgeübt wird, ist anzunehmen, dass die Dunkelzahl noch um ei- niges höher liegt . All diesen Frauen hilft ein Recht ohne konkrete Maßnahmen zu dessen Verwirklichung und ohne angemessene Infrastruktur erst einmal wenig, vie- len hilft es rein gar nichts . Ja, es gibt Hilfsangebote, Beratung, Betreuung, Sensi- bilisierungsmaßnahmen, Frauenhäuser . Aber es gibt eben von allem nicht genug – und das ist der Hauptgrund, wa- rum häusliche Gewalt immer noch die größte Lebensge- fahr für Mädchen und Frauen bedeutet . Deshalb brauchen wir endlich einen Rechtsanspruch auf sofortigen Schutz und umfassende Hilfe für von Ge- walt betroffene Frauen und deren Kinder. Ein Recht, das Frauen und ihre Kinder unabhängig von Einkommen, Wohnort, Aufenthaltstitel, Herkunftsort, gesundheitli- chen Einschränkungen oder Behinderungen wirklich in Anspruch nehmen können! Das bleibt trotz der Ratifizie- rung der Istanbul-Konvention das drängende Problem in Deutschland . Die Bundesregierung muss hier endlich ihre Verant- wortung übernehmen, anstatt sich nur feiern zu lassen . Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der Istanbul-Konvention haben die europäischen Staaten 2014 ein starkes Instrument geschaffen, um die vielfäl- tigen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt an Frau- en zu bekämpfen, weil sie zum ersten Mal umfassende Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Betreuung und Hilfe, Rechtsschutz und Verfahren vorsieht . Dass die Bundesregierung diesen wichtigen völkerrechtlichen Vertrag nun endlich ratifizieren will, ist allerdings längst überfällig, und das haben wir Grüne schon seit langem gefordert . Denn Gewalt gegen Frauen ist kein individu- elles, sondern ein gesellschaftliches Problem . Jede drit- te Frau in Deutschland wurde bereits einmal Opfer von körperlicher oder sexualisierter Gewalt. Betroffen sind Frauen jeden Alters, jeder Schicht und jeder Nationalität . Leider haben Sie von der Bundesregierung, insbeson- dere Bundesjustizminister Maas sowie das Kanzleramt, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723366 (A) (C) (B) (D) sehr lange gezögert, die Reform des Sexualstrafrechts mit dem Prinzip „Nein heißt Nein“ umzusetzen . Und ich will hier noch einmal ganz klar sagen: Nur dem großen Druck der Frauenverbände, dem Gesetzent- wurf von uns Grünen und der politischen Lage nach Köln ist es letztlich zu verdanken, dass diese zentrale Voraus- setzung zur Ratifizierung der Konvention heute gegeben ist . Jedoch kann das materiell-rechtliche Strafrecht al- lein das Problem der sexualisierten Gewalt nicht lösen . Auch in den Erläuterungen zu Artikel 36 der Konvention heißt es, dass eine wirksame Strafverfolgung gewährleis- tet werden muss . Deshalb braucht es dringend weitere Maßnahmen wie eine qualifizierte Notfallversorgung der Opfer sowie eine gute Ausstattung, systematische Sensi- bilisierung und Schulung von Polizei und Staatsanwalt- schaften . Nach den kürzlich vorgelegten aktuellen Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik 2016 haben sich die Straf- taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung signifikant um 18 Prozent gegenüber 2015 erhöht . Auch darum ist es notwendig, die Praxis und Strafverfolgung nach dem neuen Sexualstrafrecht regelmäßig zu evaluieren, damit seine Wirksamkeit überprüft werden kann . Neben den Maßnahmen im Rahmen des Sexualstraf- rechts muss die Bundesregierung aber noch weitere Schritte im Hinblick auf eine koordinierte Gesamtstra- tegie gehen, um eine effektive Umsetzung der Istan- bul-Konvention sicherzustellen . Den von körperlicher und sexualisierter Gewalt betroffenen Frauen und Mäd- chen Schutz und Hilfe zu gewähren, ist ein Menschen- recht und staatliche Verpflichtung. Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frau- ennotrufe (Bff) und die Zentrale Informationsstelle au- tonomer Frauenhäuser (ZIF) mahnen in ihren Stellung- nahmen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung mit zahlreichen Beispielen hier weiteren dringenden Hand- lungsbedarf an . Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ko- alition, fordere ich Sie auf, sicherzustellen, dass Fach- beratungsstellen, Frauenhäuser und Notrufe finanziell und personell besser ausgestattet werden . Es muss durch Bund und Länder gemeinsam gewährleistet werden, dass allen von Gewalt betroffenen Frauen ein schneller, siche- rer und unbürokratischer Zugang zu diesen Einrichtun- gen gewährt wird . Auch im Bereich der in Artikel 11 der Konvention geforderten umfangreichen Erhebung und Aufschlüs- selung von Daten über alle Formen der Gewalt, über die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen zu ihrer Verhinderung sowie Forschungsprojekte zum Thema „Gewalt gegen Frauen in Deutschland“ muss die Bun- desregierung noch weitere Anstrengungen unternehmen, um diese Vorgaben zu erfüllen . Außer der Polizeilichen Kriminalstatistik sind beispielsweise weitere Statistiken zu Strafverfahren oder Verurteilungen oft nicht nach Ge- schlechtern differenziert. Um eine stringente Koordinierung, Umsetzung, Beob- achtung und Bewertung aller der von der Istanbul-Kon- vention geforderten Maßnahmen zur Verhütung und Be- kämpfung von Gewalt gegen Frauen zu gewährleisten, ist eine Monitoringstelle auf Bundesebene erforderlich . Die in der Denkschrift zu Artikel 10 vorgesehenen vier Bund-Länder-Arbeitsgruppen können diese weitreichen- den Aufgaben meines Erachtens nicht zielführend über- nehmen . Zum Schluss fordere ich die Bundesregierung auf, sich nicht länger an ihre eingelegten Vorbehalte zu den Artikeln 59 Absatz 2 und 3 zu klammern und die Kon- vention endlich vorbehaltlos zu ratifizieren. Die Bundes- regierung darf nicht länger geflüchteten oder migrierten Frauen und Mädchen, die von häuslicher Gewalt betrof- fen sind oder als Zeuginnen in Strafverfahren aussagen, die Möglichkeit auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht verweigern . Elke Ferner, Parl . Staatssekretärin bei der Bun- desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Ju- gend: Ich freue mich sehr, dass wir nun auch endlich in Deutschland die Istanbul-Konvention ratifizieren kön- nen . Deutschland hat bei den Verhandlungen über die Istanbul-Konvention eine treibende Rolle gespielt und das Übereinkommen sofort am Tag der Zeichnungsaufle- gung am 11 . Mai 2011 in Istanbul gezeichnet . Doch ratifizieren konnten wir die Istanbul-Konventi- on bisher nicht, weil die Regelungen der Konvention bis zum Herbst letzten Jahres noch nicht vollständig in nati- onales Recht umgesetzt waren . Dennoch war die Istan- bul-Konvention für die nationale Gleichstellungspolitik ein wertvolles Druckmittel . Nach und nach haben wir die Lücken geschlossen . Die Istanbul-Konvention verlangt ein adäquates Hilfs- und Unterstützungssystem für gewaltbetroffene Frauen. Dazu gehört auch eine Telefonberatung . Artikel 24 der Istanbul-Konvention wurde mit dem bundesweiten Hil- fetelefon „Gewalt gegen Frauen“ 2013 umgesetzt . Das Hilfetelefon ist 24 Stunden entgeltfrei erreichbar, jeden Tag, barrierefrei und mittlerweile in 17 Sprachen . Auch Beratung in Gebärdensprache wird angeboten . Fach- kräfte, durchweg Frauen, leisten am Hilfetelefon eine qualifizierte Erstberatung und vermitteln auf Wunsch zu Einrichtungen am Ort der Anruferin . Zusätzlich gibt es über die Webseite des Hilfetelefons Beratung per E-Mail und im Chat . Bis Ende 2016 hatte das Hilfetelefon über 100 000 Beratungskontakte – von Frauen, die von Ge- walt betroffen sind, von Menschen aus ihrem Umfeld und von Fachkräften aus Hilfe und Beratung . Änderungsbedarf gab es auch bei der Datenerhebung . Artikel 11 der Konvention wurde mit einer geänderten Polizeilichen Kriminalstatistik umgesetzt . Wir haben die Erfassung in der Polizeilichen Kriminalstatistik wei- terentwickelt, sodass Fälle häuslicher Gewalt nun ab- gebildet werden . Dadurch wissen wir, dass allein 2015 104 000 Frauen von häuslicher Gewalt in der Partner- schaft betroffen waren. Fast die Hälfte dieser Frauen leb- te zum Tatzeitpunkt mit dem Tatverdächtigen unter einem Dach . Wir wissen mehr über die Merkmale der Opfer und der Tatverdächtigen und über deren Beziehung . Dadurch lassen sich Fälle häuslicher Gewalt besser identifizieren Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23367 (A) (C) (B) (D) und besser analysieren, um geeignete Maßnahmen für Schutz und Intervention zu treffen. Auch das deutsche Sexualstrafrecht stand einer Rati- fizierung im Wege. Denn Artikel 36 der Istanbul-Kon- vention verlangt, dass alle nichteinvernehmlich sexu- ellen Handlungen unter Strafe gestellt werden . Hier gab es noch Schutzlücken im Sexualstrafrecht: Obwohl nach den Vorgaben der Istanbul-Konvention der Straf- tatbestand erfüllt war, blieben die Täter nach deutschem Strafrecht straffrei. Im letzten Jahr hat der Deutsche Bun- destag mit Zustimmung aller Fraktionen einen Paradig- menwechsel im Strafrecht beschlossen und das Prinzip „Nein heißt Nein“ im deutschen Strafrecht verankert . Dafür möchte ich Ihnen nochmals danken – vor allem den weiblichen Abgeordneten, die sich fraktionsüber- greifend dafür eingesetzt haben . Ich erinnere mich noch gut an die Debatten hier im Bundestag zur Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe . Vor fast 20 Jahren, am 15 . Mai 1997, waren die Mehrheiten knapper . Aber auch 1997 waren es die Frauen, die fraktionsübergreifend die Mehrheit im Bundestag davon überzeugen konnten, dass auch die Vergewaltigung in der Ehe ein Verbrechen ist . Mein besonderer Dank gebührt allerdings der Zivilge- sellschaft und dem Bündnis „Nein heißt Nein“ . Ohne de- ren Unterstützung und ohne die Unterstützung der Sach- verständigen hätten wir die Reform des Sexualstrafrechts nicht hinbekommen . Endlich ist der Wille der Frau ausschlaggebend . End- lich ist es nicht mehr erforderlich, dass zusätzlich eine Gewaltanwendung des Täters hinzukommen muss, damit eine Tat als Vergewaltigung strafbar ist . Wer ein Nein der Frau ignoriert, macht sich strafbar . Strafbar macht sich auch, wer eine Frau überrumpelt . Und es gibt einen Straf- tatbestand der sexuellen Belästigung, mit dem Grapsche- reien bestraft werden können . Die geänderte Gesetzesla- ge wird dazu beitragen, dass sich mehr betroffene Frauen zu einer Anzeige entschließen, dass weniger Strafver- fahren eingestellt werden und dass sexuelle Übergriffe besser geahndet werden können . Dies ist ein historischer Schritt im Kampf gegen sexualisierte Gewalt und für die sexuelle Selbstbestimmung der Frauen . Die Voraussetzungen zur Ratifizierung der Istan- bul-Konvention haben wir erfüllt . Mit dem Gesetz zur Ratifizierung verpflichten wir uns, die geschaffenen Standards im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen dau- erhaft aufrechtzuerhalten und weiterzuentwickeln . Denn Gewalt gegen Frauen ist kein Randphänomen. Sie findet mitten in unserer Gesellschaft statt; viele Frauen erlei- den Gewalt, doch viele von ihnen schweigen – aus Angst vor weiterer Gewalt oder aus Angst, dass niemand ihnen glaubt . Bürgerinnen und Bürger können sich bei Klagen in Zukunft vor Gericht direkt auf die Istanbul-Konvention beziehen. Die Ratifizierung der Istanbul-Konvention ist ein wichtiger Meilenstein, aber nicht das Ende des We- ges . Das ist erst dann erreicht, wenn die Forderungen der Istanbul-Konvention nicht nur im Recht, sondern im Alltag Wirklichkeit geworden sind und in der Rechtspre- chung angewandt werden . Dazu ist eine Fortbildung für Angehörige von Justiz, Ermittlungsbehörden und Polizei erforderlich . Das liegt in der Zuständigkeit der Länder, und ich kann diese nur ermutigen, Justiz-, Ermittlungs- und Strafverfolgungsbe- hörden schnell mit den neuen Anforderungen vertraut zu machen . Denn nur wenn Gewalt gegen Frauen erkannt wird, kann sie auch bekämpft und geahndet werden . Die Ratifizierung der Istanbul-Konvention und die sich daraus ergebenden Rechte müssen aber auch in der Bevölkerung bekannt gemacht werden . Nur so können gewaltbetroffene Frauen und Mädchen geschützt werden. Jede Gewalttat ist eine zu viel . Die BVG hier in Berlin hat vor kurzem bereits eine tolle Kampagne zur Bekannt- machung des Prinzips „Nein heißt Nein“ initiiert . Ich hoffe, dass es noch viele solche Kampagnen geben wird. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Ver- arbeitung von Fluggastdaten zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/681 (Fluggastdatengesetz – FlugDaG) (Tagesordnungspunkt 21) Clemens Binninger (CDU/CSU): Mit dem Flug- gastdatengesetz, das wir heute beschließen, setzen wir die EU-Richtlinie über die Verwendung von Fluggastda- tensätzen in nationales Recht um . Luftfahrtunternehmen, Reisebüros und Reiseveran- stalter werden Informationen über ihre Fluggäste – wie Namen, Adresse, Angaben zur Reiseroute und zur Zah- lungsart etc . – an die nationale Fluggastdatenzentralstel- le, in Deutschland das Bundeskriminalamt, übermitteln . Die Zentralstelle gleicht die Fluggastdaten mit bestimm- ten Datenbanken und Kriterien ab, um auf diese Weise Personen zu identifizieren, die mit einer terroristischen Straftat oder mit schweren Kriminalitätsdelikten in Zu- sammenhang stehen könnten . Damit verfügen wir über ein weiteres Instrument im Kampf gegen den internati- onalen Terrorismus und bei der Bekämpfung schwerer Kriminalität . Europäische Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich ist nicht neu . Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden in Europa tauschen Erkenntnisse und Informationen zu verdächtigen Personen regelmäßig aus, wobei ich mir von manchen Mitgliedstaaten deutlich mehr Engagement wünschen würde. Die Erkenntnisse betreffen bei den bereits bestehenden Instrumenten und Einrichtungen je- doch hauptsächlich bereits bekannte Personen . Wir wissen aber, dass die Täter in den Bereichen in- ternationaler Terrorismus und schwere Kriminalität häu- fig von Drittstaaten aus in die Europäische Union und zurück reisen . Sie bewegen sich darüber hinaus oft auch länderübergreifend innerhalb der Europäischen Union selbst . Die Täter sind hochmobil, und sie agieren ver- stärkt deliktübergreifend und international . Es ist daher Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723368 (A) (C) (B) (D) nur konsequent, den zuständigen Behörden die Befugnis- se an die Hand zu geben, die es ihnen ermöglichen, auch solche Personen zu identifizieren, die ihnen bislang noch nicht bekannt waren und die mit einer schweren oder ter- roristischen Straftat in Zusammenhang stehen könnten . Die EU-Richtlinie heute in nationales Recht umzuset- zen, ist daher ein richtiger Schritt . Die genannten Gründe gebieten es auch, über die Richtlinie hinauszugehen und ebenfalls innereuropäische Flüge einzubeziehen . In der Sachverständigenanhörung waren die rechtli- chen Bewertungen – wie zu erwarten war – sehr unter- schiedlich . Stellen die Maßnahmen einen Grundrechts- eingriff dar? Ja. Sind die mit dem Gesetz verfolgten Ziele, nämlich die Verhütung und Verfolgung terroristischer Straftaten und schwerer Kriminalität, weniger gewich- tig? Nein, im Gegenteil! Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und auch des EuGH hat der Staat die grundrechtlich und rechtsstaatlich fundier- te Pflicht, eine effektive Strafverfolgung sicherzustellen und Individualrechte vor den Taten durch Schwerkrimi- nelle und Terroristen zu schützen . Um schließlich noch der zu erwartenden Kritik von- seiten der Opposition bezüglich eines Mangels an Daten- schutz entgegenzutreten: Es besteht einerseits eine enge Zweckbindung für die Verwendung von Fluggastdaten im Rahmen des Fluggastdaten-Informationssystems . Sie dürfen nur zu den im Gesetzentwurf bezeichneten Zwe- cken an die zuständigen deutschen Behörden übermittelt werden . Andererseits werden personenbezogene Daten auch streng geschützt . Daten, die etwa Angaben zur ras- sischen oder ethnischen Herkunft enthalten, zu politi- schen Meinungen, zu religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen, zur sexuellen Orientierung etc ., werden unverzüglich nach ihrem Eingang bei der Fluggastda- tenzentralstelle gelöscht . Darüber hinaus werden die Fluggastdaten, die verwendet werden dürfen, sechs Mo- nate nach der Übermittlung depersonalisiert, sodass die Identität der betroffenen Person nicht mehr festgestellt werden kann bzw . nur dann, wenn der Datenabgleich zur Verhütung oder Verfolgung von terroristischen Straftaten erforderlich und richterlich genehmigt ist . Ehrlicherweise muss man in der Debatte aber darauf hinweisen, dass die Kosten, die unter anderem den deut- schen Behörden entstehen, sehr hoch sind . Allein beim Bundesverwaltungsamt und beim Bundeskriminalamt sind für diese Aufgabe über 500 neue Stellen vorgesehen . Ich rate daher dringend dazu, das Gesetz zu evaluieren, sobald valide Zahlen vorliegen, damit wir auch sicher sagen können, ob der hohe Personalaufwand und der Er- kenntnisgewinn durch die Maßnahme in einem vernünf- tigen Verhältnis stehen . Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): In zweiter und dritter Lesung beraten wir heute abschließend über das neue Fluggastdatengesetz . Mit diesem Gesetz set- zen wir eine europäische Richtlinie zur Speicherung von Fluggastdaten aus dem letzten Jahr um . Wie die ebenfalls heute beschlossene Novelle des Eu- ropol-Gesetzes ist auch dieses Gesetz ein Baustein, um Terrorismus und Kriminalität in der EU zu bekämpfen . Ich betone dabei ausdrücklich: ein Baustein, denn – und darin sind wir uns, glaube ich, alle einig – Verbrechen werden wir niemals völlig verhindern können . Wir kön- nen es allerdings denen, die Verbrechen begehen, schwe- rer machen . Und schon dies ist aus meiner Sicht ein Fort- schritt . Zudem sind wir es als Politiker den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes schuldig, alles Mögliche zu tun, um Verbrechen zumindest zu erschweren . Mit dem nun zu verabschiedenden Gesetz werden un- sere Sicherheitsbehörden in die Lage versetzt, zukünftig noch besser Passagierlisten mit Fahndungsbeständen ab- zugleichen und, wenn nötig, entsprechend zu reagieren, um zu verhindern, dass verdächtige Personen Deutsch- land verlassen oder nach Deutschland einreisen können . Weiterhin wird es anhand der demnächst vorliegenden Daten möglich sein, kriminellen Netzwerken schneller auf die Spur zu kommen, um so ihrem Treiben ein Ende zu bereiten . In diesem Zusammenhang ist es wichtig, zu erwäh- nen, dass nicht nur die Passagierdaten von Flügen aus Europa und nach Europa ausgewertet werden . Im nun zu beschließenden Gesetz ist von Artikel 2 der EU-Richt- linie Gebrauch gemacht worden, nach dem auch Passa- gierdaten von Flügen innerhalb der EU ausgewertet wer- den können . Aus meiner Sicht ist dies richtig, und man kann sich schon die Frage stellen, warum diese Regelung erst auf Anregung des Europäischen Rates Eingang in die PNR-Richtlinie gefunden hat . Denn Kriminelle und Terroristen reisen ja nicht nur über die Außengrenzen der EU . Sie reisen auch innerhalb der EU, und auch dies muss aus unserer Sicht verhindert werden . Mir ist natürlich bewusst, dass viele Reisende ange- sichts der Sammlung und Auswertung von Millionen von Passagierdaten große Sorgen bezüglich des Datenschut- zes haben . Im vorliegenden Gesetzentwurf ist aus mei- ner Sicht hierzu eine gute Lösung gefunden worden . Die Daten werden beim Bundesverwaltungsamt im Auftrag des BKA gespeichert und nach dessen Weisung verarbei- tet . Erst im Fall einer Übereinstimmung mit Merkmalen, die einen Verdacht begründen, wird dies an das BKA als zuständige Fluggastdatenzentralstelle gemeldet, damit dann aus polizeilicher Sicht entschieden wird, wie weiter zu verfahren ist . Damit ist sichergestellt, dass dem BKA nur solche Personen bekannt werden, bei denen es An- haltspunkte gibt, dass sie eine im Fluggastdatengesetz genannte Straftat begangen haben oder innerhalb eines übersehbaren Zeitraumes begehen werden . Die übrigen Passagierdaten verbleiben beim Bundesverwaltungsamt und werden dem BKA nicht zugänglich gemacht . Im Zusammenhang mit dem Datenschutz möchte ich noch erwähnen, dass in der diesem Gesetz zugrunde lie- genden EU-Richtlinie geregelt ist, dass die gespeicherten Daten sechs Monate nach der Übermittlung anonymisiert werden müssen und sie nur auf richterliche Anordnung wieder mit Namen verknüpft werden können . Nach ins- gesamt fünf Jahren müssen die Daten insgesamt gelöscht werden . Wie ich eingangs schon gesagt habe: Der heute zu be- schließende Gesetzentwurf ist nur ein Baustein, um zu verhindern, dass Verbrecher und Terroristen ihre Taten Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23369 (A) (C) (B) (D) begehen können . Gänzlich verhindern können wir Taten nicht . Dennoch sollten wir keine Möglichkeit außer Acht lassen, es zumindest so schwer wie möglich zu machen, Straftaten zu begehen oder Terroranschläge zu verüben . In diesem Zusammenhang können Passagierdaten wert- voll sein, um dieses Ziel zu erreichen . Daher sollten wir dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht nur zustimmen, weil wir dazu verpflichtet sind, eu- ropäische Vorgaben in deutsches Recht umzusetzen, son- dern weil es ein sinnvoller Schritt ist, um die Sicherheit in Deutschland und Europa zu erhöhen . Wolfgang Gunkel (SPD): Seit fast zwölf Jahren bin ich nun schon Bundestagsabgeordneter, und genauso lan- ge begleiten mich Fluggastdaten . Erst die verschiedenen Abkommen der EU mit den USA, Kanada und Australien und nun europaweit . Wir haben den Gesetzentwurf schon hier im Plenum diskutiert und zu Beginn dieser Woche auch noch eine Expertenanhörung im Innenausschuss durchgeführt . Für mich war diese Anhörung sehr aufschlussreich . Die Punkte, bei denen ich Bauchschmerzen habe, wurden auch von einigen Experten kritisch gesehen . Einige mei- ner Bedenken konnten aber auch ausgeräumt werden . Ein Punkt, den ich schon in meiner ersten Rede er- wähnt habe und bei dem ich weiterhin sehr große Be- denken habe, ist die Weitergabe der Fluggastdaten an Drittländer . Da sehe ich eine Weitergabe von Daten, die unter Umständen völlig zweckentfremdet werden oder ganz anderen datenschutzrechtlichen Standards unterlie- gen, sehr kritisch . Wir haben es einfach nicht mehr in der Hand, was mit unseren Daten passiert . Wer Daten abgibt, hat die Kontrolle darüber verloren . Auch in der Anhörung wurden meine Bedenken nicht ausgeräumt; einige Sachverständige teilten diese . Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entschei- dung zum BKA-Gesetz im Jahr 2016 darauf hingewie- sen, dass eine Übermittlung von Daten ins Ausland dazu führt, dass die Gewährleistungen des Grundgesetzes nach der Übermittlung nicht mehr als solche zur Anwendung gebracht werden können und stattdessen die im Ausland geltenden Standards Anwendung finden. Das Bundes- verfassungsgericht hat deshalb die Datenübertragung an Drittstaaten nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber einige Bedingungen gestellt . So ist die Gewährleistung eines angemessen materiellen datenschutzrechtlichen Niveaus für den Umgang mit den übermittelten Daten im Empfängerstaat geboten . Zwingend auszuschließen ist außerdem die Datenübermittlung an Staaten, wenn zu be- fürchten ist, dass elementare rechtsstaatliche Grundsätze verletzt werden . Keinesfalls darf der Staat seine Hand zu Verletzungen der Menschenwürde reichen . Der Gesetz- entwurf verweist auf das Datenschutzgesetz und auf die Kontrolle durch den Datenschutzbeauftragten des BKA . Das ist richtig und wichtig, aber ich möchte dennoch auf die Wahrung der Standards, die uns das Bundesverfas- sungsgericht mit auf den Weg gegeben hat, hinweisen . Ein weiterer Punkt, den ich bereits in der ersten Le- sung ansprach, war für mich die Erhebung der Daten durch das Bundesverwaltungsamt . Es war für mich nicht verständlich, warum eine weitere Behörde für eine so sensible Aufgabe herangezogen wird . Ich bin dem von der SPD benannten Sachverständigen für die Anhörung im Innenausschuss, Herrn Münch, dem Präsidenten des Bundeskriminalamtes, dankbar, dass er diese Bedenken in der Anhörung ausräumen konnte . Das Bundesverwal- tungsamt ist auch in anderen Bereichen schon Datenhal- ter für das Bundeskriminalamt und insofern ein bewähr- ter Partner . Es stößt den Abgleich der Daten an, sieht aber die Treffer nicht. Ich gehe davon aus, dass diese gute Zu- sammenarbeit auch bei der Erhebung der Fluggastdaten stattfinden wird. Ein Aspekt, der mir in der Diskussion bisher etwas zu kurz gekommen ist, betrifft die Überprüfung des Flug- gastdatenabkommens zwischen der EU und Kanada durch den Europäischen Gerichtshof . Obwohl der Sach- verhalt nicht unmittelbar vergleichbar ist, finde ich es bedauerlich, dass das Gesetzgebungsverfahren hier ab- geschlossen wurde, bevor es zu einer Entscheidung des EuGH kam . Es wird schon interessant sein, zu erfahren, für wie vereinbar mit der Grundrechtecharta der EU der EuGH das Abkommen mit Kanada halten wird . Der Ge- neralanwalt beim EuGH zweifelte eine Vereinbarkeit mit dem Grundrecht auf Schutz personenbezogener Daten und der Privatsphäre bei seinem Schlussvortrag zu dem Abkommen im September des vergangenen Jahres an . Wir diskutieren hier eine Vorlage aus Brüssel, und wir sind verpflichtet, die Richtlinie umzusetzen; insofern ist unser Gestaltungsspielraum nicht allzu groß . Ich erkenne an, dass sich der Gesetzentwurf stark an der Richtlinie orientiert . Ich hätte es aber gern gesehen, wenn man das Gesetz nicht auf innereuropäische Flüge ausgedehnt hätte . Die- se Variante war optional, und nach meinem Empfinden wäre es völlig ausreichend gewesen, wenn wir uns auf Flüge von einem Mitgliedstaat in einen Drittstaat oder umgekehrt beschränkt hätten . Gleichzeitig begrüße ich es, dass es keine weiter ge- henden Verschärfungen oder etwa eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches auf Züge wie etwa in Belgien gibt . Eine völlige Überwachung aller Reisebewegungen innerhalb der EU ist doch völlig utopisch und mit dem Gedanken der Freiheit, der für mich die EU sehr stark ausmacht, unvereinbar . Ich habe einige Kritikpunkte genannt; aber mir ist auch klar, dass wir nicht umhinkommen, angesichts der stei- genden Gefahr durch islamistischen Terror zu handeln . Die Speicherung von Fluggastdaten und somit die Kon- trolle von Gefährdern und das Herausarbeiten von Mus- tern können dafür geeignete Bausteine sein . Ich werde aufmerksam verfolgen, welche Bedrohungen verhindert und welche Fahndungserfolge durch die Speicherung und Bewertung aller Fluggastdaten eintreten werden . Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt dem Gesetzent- wurf zu . Martina Renner (DIE LINKE): Auch dieser von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf reiht sich ein Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723370 (A) (C) (B) (D) in die Reihe jener Antiterrorgesetze, die über die rech- te Leitplanke der Verfassungsmäßigkeit hinausschießen und nicht nur daran entlangschrammen . Erneut ein Gesetz mit Mindesthaltbarkeitsdatum . Wer sich die Messlatten der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenrichtlinie oder des Bundes- verfassungsgerichts zur Rasterfahndung anschaut, der weiß: Dieses Gesetz wird nicht bestehen . Die Gründe dafür sind: Mit dem Gesetzentwurf wird das BKA im Verbund mit dem Bundesverwaltungsamt zur anlasslosen Erhebung, Speicherung, Rasterung der Daten von jährlich circa 170 Millionen Menschen ermächtigt . Bis zu 60 Einzelda- ten sollen verdachtsunabhängig gesammelt und für fünf bis zu 15 Jahre lang gespeichert werden . Hinzu kommt die uferlose Weitergabemöglichkeit der Daten ohne ei- nen konkreten Anhaltspunkt für künftige Straftaten und ohne Zweckbindung auch an ausländische Nachrichten- dienste . Das ist eine verdachts- und anlasslose Massen- datenerhebung und -speicherung! Egal ob ein Flug nur innerhalb der Europäischen Union stattfindet oder in ein Land außerhalb der EU, einziger Anknüpfungspunkt ist eine Flugreise . Dies soll ausreichen, um anhand von Algorithmen und Mustern als Terrorverdächtiger der Zukunft enttarnt zu werden? Wohl kaum . Eher werden unzählige Menschen falschen und abwegigen Verdäch- tigungen ausgesetzt, die zudem heimlich und ohne ihr Wissen durch ganz Europa verbreitet werden . Problematisch ist weiter, welche Fülle an Informatio- nen dem BKA für die Rasterung zur Verfügung gestellt werden soll . Dazu gehören nicht nur Namen und ähnli- che Daten . Zahlungsinformationen, genutzte Buchungs- portale und nicht zuletzt ein Freifeld . Welche sensiblen Daten in diesem Freifeld eingetragen werden können, kann kaum begrenzt oder ernsthaft datenschutzrechtlich geprüft werden . Am Ende kann dort vermerkt sein, wel- che Tageszeitung ich mit habe oder ob ich ein Kopftuch trage . Welche Anhaltspunkte sich daraus für die Raste- rung geben, ist völlig unklar und nicht erkennbar . Die Richtlinie sollte eigentlich dazu dienen, „auslän- dische Kämpfer“, die nach Syrien und in den Irak bzw . wieder nach Europa zurückkehren, zu finden. So wurde es nach dem EU-Gipfel im August 2014 verkündet . Wie dieses Ziel mit den Daten von Urlaubsreisenden auf die Kanaren, nach Athen oder Rom erreicht werden kann, bleibt ein Geheimnis der Big-Brother-Fraktion im Bun- desinnenministerium und in der Großen Koalition . Noch 2011 war die damalige Bundesregierung selbst gegen die Aufnahme von innereuropäischen Flügen in eine Da- tenbank. Aber die Verlockungen des unerschöpflichen Heuhaufens zur Datenauswertung waren wohl zu groß . Erst mal alles speichern und rastern . Den Bürgerinnen und Bürgern wird ein angeblicher Mehrwert an Sicher- heit verkauft . Dass damit tatsächlich Straftaten verhütet werden, erscheint kaum vorstellbar und konnte auch vom BKA in der Anhörung des Innenausschusses nicht an ei- nem einzigen Fall aus den Ländern mit entsprechender Praxis belegt werden . Immer wieder ist zu hören, dass beispielsweise das Bundeskriminalamt kaum in der Lage sei, die Vielzahl von Verfahren mit Terrorismus- oder OK-Bezug noch zu bewältigen . Wären dann die 200 Stellen für die geplan- ten zwei neuen Referate nicht sinnvoller dafür eingesetzt, die bereits vorhandenen Aufgaben zu bewältigen? Dann würde vielleicht eine Liste mit Besitzern kinderporno- grafischer Bilder nicht monatelang ungesichtet und unbe- arbeitet herumliegen . Oder die Hinweise auf Aktivitäten der Mafia oder rechtsterroristischer Gruppen in Deutsch- land mit Nachdruck untersucht . Das wäre allemal zweck- dienlicher, als unbescholtene Bürgerinnen und Bürger zu Verdächtigen zu machen . Das würde die Sicherheit in Deutschland tatsächlich verbessern! Die Fraktion Die Linke lehnt deshalb den Gesetzent- wurf zur Fluggastdatenspeicherung ab . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): In die Flut von Gesetzen, welche die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in der Bundesrepublik schüt- zen und die Gefahren des internationalen Terrorismus be- kämpfen sollen, reiht sich nun auch die Umsetzung der Richtlinie über die Verarbeitung von Fluggastdaten ein . Nach ihrem Willen sollen die Fluggastdaten von al- len Flugreisenden, die in und aus der EU ein- und aus- reisen oder innerhalb der EU eine Flugreise antreten, gespeichert werden . Dienen soll dies der Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung von terroristi- schen Straftaten und schwerer Kriminalität . Ziel ist es, durch die Einführung einer Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten nicht nur bekannte, sondern auch „bisher unbekannte Verdächtige“ zu identifizieren. So weit die bekannte Datensammelwut der großkoalitionären Bun- desregierung . Aber um die Fragwürdigkeit und Absurdität dessen, dass Sie heute hier diesen Gesetzentwurf verabschieden wollen, muss man sich seine Genese in Brüssel verdeut- lichen . Es handelt sich um die Umsetzung einer Richtlinie, die bereits einmal auf europäischer Ebene gestoppt wur- de . Der LIBE-Ausschuss des Europäischen Parlaments hatte sie damals zurückgewiesen . Auch die juristischen Dienste sowohl des Rates der EU als auch des Europä- ischen Parlaments hielten sie für rechtswidrig . Aus die- sem Grund wurde sie erst in einem zweiten Anlauf 2016 verabschiedet . Aber die Zweifel an ihrer Vereinbarkeit mit den eu- ropäischen und deutschen Grundrechten bleiben . Denn nach Artikel 16 Absatz 1 AEUV und Artikel 8 Absatz 1 der EU-Grundrechtecharta hat jede Person das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Da- ten . Dieses Grundrecht darf nach Artikel 52 Absatz 1 der EU-Grundrechtecharta nur eingeschränkt werden, wenn die gesetzliche Regelung den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achtet . Zudem bedarf es bei der Einschränkung der Wahrung des Grundsatzes der Ver- hältnismäßigkeit . Dies bedeutet, eine sie einschränkende Regelung muss erforderlich sein und den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23371 (A) (C) (B) (D) Dies ist aber bei der massenhaften und völlig anlass- und verdachtslosen Speicherung der Fluggastdaten von allen Flugreisenden gerade nicht der Fall . Gespeichert werden sollen zig Datenkategorien von allen Bürgerinnen und Bürgern, die in ein Flugzeug steigen, darunter sämtliche Kontaktangaben, Sitzplatz, Gepäck bis hin zur Sachbearbeiterin des Reisebüros . In keiner Weise wird aber in dem Gesetzentwurf festgelegt, weshalb diese Kategorien im Einzelnen für den Zweck der „Verhütung von Straftaten“ – ein denkbar weiter Be- griff, der bereits Fragen hinsichtlich der Normbestimmt- heit aufwirft – notwendig sein sollen . Hinzu kommt, dass es zusätzlich ein „Freitextfeld“ geben soll, bei dem sogar all das gespeichert werden kann, was über diese Katego- rien hinausgeht, und eine gesetzgeberische Bestimmtheit nicht einmal mehr vorgegaukelt wird . Damit werden die Daten von unbescholtenen Bürge- rinnen und Bürgern bis zu fünf Jahre beim Bundeskrimi- nalamt gespeichert, ohne dass diese Bürger irgendeinen anderen Anlass dazu gegeben haben, als in ein Flugzeug zu steigen . Die umfangreiche Fluggastdatenspeicherung geht also bereits deutlich über das Maß hinaus, das zur Verhinderung und Aufdeckung terroristischer Straftaten und grenzübergreifender schwerer Kriminalität erforder- lich ist . Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht einen sogenannten Abgleich mit Mustern vor . Hierbei handelt es sich faktisch um eine Rasterfahndung ohne hinrei- chende Eingriffsschwelle. Die Rasterfahndung aber ist eine polizeiliche Ermittlungsmaßnahme mit besonders hoher Eingriffsintensität: Diejenigen Daten einer großen Menge unverdächtiger Personen werden herausgefiltert, die aus Sicht des BKA für den weiteren Verlauf konven- tioneller Ermittlungen „interessant“ sind, ohne dass ir- gendein Verdacht gegen die Person oder eine konkrete Gefahr besteht . Der Verdacht wird also überhaupt erst durch ein mögliches Muster generiert . Für die Vereinbar- keit einer solchen Maßnahme, die tief in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingreift, mit dem Grundgesetz bedarf es aber – das hat das Bundesverfas- sungsgericht 2006 entschieden – einer konkreten Gefahr für hochrangige Rechtsgüter wie den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person . Gerade an diese Vorgaben an die Eingriffsschwelle hat sich die Große Koalition in ihrem Gesetzentwurf aber nicht gehalten – mit möglicherweise hochproblemati- schen Konsequenzen und massiven Einschränkungen der Grundrechte auch für unbescholtene Bürgerinnen und Bürger. Denn es ist bei jeder Profiling-Maßnahme immer auch mit „false positive alerts“ zu rechnen und nicht aus- zuschließen, dass die Muster selbst diskriminierend sein können . Nach alledem ist sowohl die Erforderlichkeit der Speicherung einer Vielzahl der vorgesehenen Datenka- tegorien als auch die hinreichende Eingriffsschwelle für den Musterabgleich verfassungs- und europarechtlich bedenklich . Die Möglichkeiten zur Verarbeitung von PNR-Daten über das unbedingt erforderliche Maß hinaus, unabhän- gig von dem Zweck der öffentlichen Sicherheit und der Verhinderung und Aufdeckung terroristischer Straftaten und grenzübergreifender schwerer Kriminalität, hat auch der Generalanwalt beim EuGH Paolo Mengozzi in sei- nem Schlussplädoyer in der Verhandlung des EuGH über das Fluggastdatenabkommen der EU mit Kanada für mit den europäischen Grundrechten unvereinbar bezeichnet . Und ebendies macht die Tatsache, dass wir heute über die Umsetzung dieser Richtlinie zu entscheiden haben, besonders perfide. Denn die Entscheidung des EuGH über das Fluggastdatenabkommen mit Kanada steht unmittelbar bevor . Aus den dargelegten Gründen ist es sehr wahrscheinlich, dass eine Entscheidung die Unvereinbarkeit mit EU-Grundrechten in Teilen erklä- ren wird, welche die Richtlinie und somit auch das hier vorliegende Umsetzungsgesetz unmittelbar betreffen. Sehenden Auges schaffen Sie also ein wahrscheinlich verfassungs- und europarechtswidriges Gesetz, welches die Steuerzahler sage und schreibe 65 Millionen Euro im Jahr und einmalig 78 Millionen Euro kostet und einen tiefen Einschnitt in die Bürgerrechte bedeutet . Und dies übrigens ohne Not – denn die Umsetzungsfrist der Richt- linie endet erst 2018 . Die Entscheidung des EuGH hätte also bequem abgewartet werden können . All dies in Betracht ziehend, kann man Ihnen beim besten Willen keine Fahrlässigkeit mehr unterstellen . Sie wollen Fakten schaffen, ohne Rücksicht auf Verluste. Und nach Ihrer Manier wieder einmal zulasten der Bür- gerrechte . So diskreditiert man einen Rechtsstaat . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Europol-Gesetzes (Tagesordnungs- punkt 22) Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Diese No- velle war aufgrund der neuen Europol-Verordnung aus dem vergangenen Jahr, die zum 1 . Mai dieses Jahres in Kraft treten wird, nötig geworden . Es ist aus meiner Sicht erfreulich, dass der Deutsche Bundestag mit der Anpas- sung des Europol-Gesetzes fristgerecht fertig wird . Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen ist auch eine Anregung des Bundesrates aufgegriffen wor- den, welche eine Klarstellung zum Zugriff bzw. zur Zusammenarbeit der Polizeien der Länder und Europol vorsieht . Mit dieser Klarstellung wird eindeutig geregelt, dass auch die Länderpolizeien direkten Zugriff auf den Wissens- und Analyseschatz von Europol bekommen werden . In der europäischen Richtlinie ist ein solcher Zugriff ebenfalls angelegt. In der heutigen Zeit, in der wir alle mobiler werden und immer schneller durch Europa reisen können, ist auch das Verbrechen – gerade das organisierte Verbre- chen – immer mobiler geworden und macht auch an den nationalen Grenzen keinen Halt . Von daher ist es aus Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723372 (A) (C) (B) (D) meiner Sicht wichtig, dass wir auf europäischer Ebene verstärkt zusammenarbeiten . In diesem Zusammenhang spielt Europol eine ent- scheidende Rolle, um dem grenzüberschreitenden Ver- brechen mit möglichst wenig Zeitverlust entgegentreten zu können . Aber auch die Polizeibehörden der Bundes- länder spielen hier eine entscheidende Rolle . Von daher ist die Anregung des Bundesrates zu dieser Klarstellung wichtig und richtig . Wir haben sie daher gerne in die vor- liegende Gesetzesnovelle mit aufgenommen . Zu diesem organisierten Verbrechen gehören aber auch professionelle Schleppernetzwerke . Diese Netz- werke agieren nicht aus reiner Menschlichkeit, um den Flüchtlingen einen gut organisierten Weg in die EU zu ebnen . Nein, hier geht es um das ganz große Geschäft auf dem Rücken von Menschen, deren Flucht ich zuwei- len auch nachvollziehen kann . Gerade wenn die Heimat verlassen wird, um vor politischer Verfolgung oder Krieg zu fliehen. Leider wird mit den Einnahmen aus diesem Geschäft aber in der Regel nichts Gutes gemacht. Es fließt zu gro- ßen Teilen in die Taschen einiger weniger Hintermänner, die es für den Ausbau weiterer Geschäfte nutzen, um so ihren persönlichen Reichtum zu mehren, oder sogar Ter- rorismus damit finanzieren. Dies können und dürfen wir nicht zulassen . Daher ist es richtig, dass Europol auch gegen diese Netzwerke vorgeht . Aus diesem Grund, werte Kollegin Jelpke, kann ich auch nicht Ihre Äußerungen in der ersten Lesung zu der vorliegenden Gesetzesnovelle nachvollziehen, in der Sie ein Verständnis für die Arbeit von Schleppernetzwerken haben anklingen lassen . In der im vergangenen Jahr verabschiedeten Euro- pol-Verordnung findet sich auch eine Regelung bezüg- lich der parlamentarischen Kontrolle von Europol . Die nationalen Parlamente und das Europaparlament sollen gemeinsam die Arbeit von Europol kontrollieren . In den vergangenen Wochen haben wir fraktionsübergreifend – zusammen mit dem Bundesrat – an einer gemeinsamen Position bezüglich der Zusammensetzung und Arbeits- weise dieses Kontrollgremiums gearbeitet . Dies war nicht einfach, aber vieles von dem, was uns in Deutsch- land wichtig war, konnten wir auf europäischer Ebene auch durchsetzen . Das nun Erreichte wird sicherlich auch für eine zu- künftige Zusammenarbeit der Parlamente auf europäi- scher Ebene wegweisend sein . Gerade in einer Zeit der Europa-Skepsis und des Brexits ist diese Zusammenar- beit wichtig, damit niemand das Gefühl hat, dass über seinen Kopf hinweg entschieden wird . Die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes erwarten, dass wir für die Si- cherheit in Deutschland arbeiten. Dies schaffen wir aber nur, wenn wir über die nationalen Grenzen hinweg in Europa kooperieren . Ein wichtiges Instrument für diese Kooperation im Kampf gegen Verbrechen und Terroris- mus ist Europol . Mit der zum 1 . Mai dieses Jahres in Kraft tretenden neuen Europol-Verordnung hat die europäische Ebene geliefert, und nun liegt es an uns, dass wir die Vorausset- zungen auch in Deutschland für einen Erfolg von Euro- pol schaffen. Ich bitte Sie daher, der vorliegenden Geset- zesnovelle die Zustimmung zu geben . Barbara Woltmann (CDU/CSU): Am 1 . Mai 2017 wird die neue europäische Europol-Verordnung, be- schlossen vom Europäischen Parlament und Rat im Jah- re 2016, in Kraft treten . Sie ersetzt bisherige Beschlüsse des Rates von 2009 zur damaligen Errichtung des Euro- päischen Polizeiamtes . Diese neue EU-Verordnung ist in nationales Recht zu übernehmen . Es handelt sich auch nach Aussage des Nationalen Normenkontrollrates um eine Eins-zu-eins- Umsetzung von europäischem Recht in unser nationales Recht . Die CDU/CSU-Fraktion wird daher ihre Zustim- mung zu diesem ersten Gesetz zur Änderung des Euro- pol-Gesetzes geben . Gerade in Zeiten von internationalem Terrorismus und grenzüberschreitender organisierter Kriminalität ist die Stärkung der Sicherheitsarchitektur der Europäischen Union besonders wichtig . Es gilt für den Gesetzgeber, konzentriert und schnell zu handeln . Und das haben wir mit dem Europol-Gesetzentwurf getan . Wenn es um Sicherheit geht, dann bringt Europa ei- nen erheblichen Mehrwert . Wenn wir auf europäischer Ebene besser zusammenarbeiten, führt Europa zu mehr Sicherheit . Die Arbeit von Europol ersetzt natürlich die notwendigen nationalen Maßnahmen nicht, aber sie er- gänzt sie . Aufgrund seiner Stellung im Zentrum der europä- ischen Sicherheitsarchitektur ist Europol in der Lage, spezifische Dienstleistungen zu erbringen. Europol un- terstützt Strafverfolgungsmaßnahmen und ist die zentrale Schaltstelle für Informationen über kriminelle Aktivitä- ten in Europa . Eine der wichtigsten Neuerungen im Eu- ropol-Gesetz ist die Erweiterung und Vereinheitlichung des polizeilichen Informationsaustausches . Dies ermög- licht den Mitgliedstaaten, einen erweiterten Zugang zu Analysedaten zu erhalten . Bislang erhalten die Mitglied- staaten nur die sie selbst betreffenden Analyseberichte. Zukünftig erhalten sie die Befugnis, auf thematische und strategische Analysedaten und auch auf operative Analy- sedaten zuzugreifen . Vor dem Hintergrund der hohen Zahl von Wohnungs- einbrüchen, nicht nur bei uns in Deutschland, sondern auch in unseren Nachbarländern, ist die internationale Zusammenarbeit bei der Erarbeitung von Ermittlungs- ansätzen gegen die Strukturen reisender Täter enorm wichtig . Hier ist beispielsweise die Erhebung, Auswer- tung und Eingabe von Tatortspuren in die polizeilichen Informationssysteme von großer Bedeutung, ohne die die Tatzusammenhänge nicht erkannt werden können . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf erhalten die Bundespolizei, der Zollfahndungsdienst und die Länder- polizeien direkten Zugriff auf alle Daten und auf opera- tive Analysedateien bei Europol, und zwar in Form eines Vollzugriffs. Dies erleichtert die Ermittlungsarbeit im- mens, die ja so schnell wie möglich erfolgen soll . Durch einen direkten Zugriff auf das Europol-System durch die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23373 (A) (C) (B) (D) oben genannten Stellen und nicht mehr wie bisher über das BKA werden die Ermittlungsmöglichkeiten der zu- greifenden Stellen erweitert und beschleunigt . Der Zugriff auf Personendaten wird mit dem Ände- rungsgesetz datenschutzrechtlich flankiert. Der Europäi- sche Datenschutzbeauftragte, der zuständig für die Kon- trolle von Europol ist, wird darauf festgelegt, dass er mit den nationalen Kontrollbehörden für den Datenschutz eng zusammenarbeiten muss . Die Datenmenge, die na- tionale Zentralstellen mit Europol bislang austauschen, hat sich in den vergangenen zwei Jahren verzehnfacht . Wir gehen davon aus, dass sich der Datenverkehr mit dem neuen Europol-Gesetz drastisch erhöht . Erwartet werden allein aus der Bundesrepublik 5 000 zusätzliche Abfragen sowie 800 neue Zulieferungen für die Auswer- teschwerpunkte . Wichtig erscheint mir die Einrichtung eines Beirates zu sein, in den Deutschland seine Datenschutzbeauftrag- te entsenden wird . Auch der Europäische Datenschutz- beauftragte wird diesem Gremium angehören . Dem Bundesrat soll die Befugnis eingeräumt werden, einen Vertreter oder eine Vertreterin zu benennen . Die Umsetzung der zum 1 . Mai 2017 wirksam wer- denden Europol-Verordnung ist aufgrund des europäi- schen Rechtsrahmens vorgeschrieben und findet in dem vorliegenden Gesetzentwurf unsere Zustimmung . Die ef- fektive und schnelle Zusammenarbeit der Sicherheitsbe- hörden in der Europäischen Union ist von entscheidender Bedeutung, um unseren Bürgerinnen und Bürgern Schutz vor grenzüberschreitenden international agierenden Ban- den oder Einzeltätern zu gewähren . Susanne Mittag (SPD): Heute haben wir schon ei- nige Gesetze beschlossen, die unsere Sicherheit stärken sollen: das Bundeskriminalamtgesetz, damit unmittelbar verknüpft die Umsetzung der neuen europäischen Richt- linien zum Datenschutz . Diese Gesetze ergänzen sich in der praktischen Umsetzung, organisatorisch und ermitt- lungstechnisch, und wir reagieren damit auf neue Gefah- ren- und Kriminalitätsstrukturen . Mit dem jetzt zu beratenden Gesetz zur Anwendung der EU-Verordnung 2016/7694 – wie es nun nach dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen heißt – pas- sen wir unser deutsches Europol-Gesetz der neuen Eu- ropol-Verordnung an . Wir organisieren dienstlich kurze Wege, damit die deutschen Polizeien den direkten Aus- tausch von Informationen mit Europol nutzen können . Grenzen, seien es zwischen Bundesländern oder Staa- ten, seien es innereuropäische oder außereuropäische, sind keine Hindernisse für Kriminelle und ihre Straftaten . Sie schlagen zu, wo es sich lohnt . Und entziehen sich ger- ne den Ermittlungen durch ein Ausweichen über Grenzen hinweg . Damit müssen sich auch die ermittelnden Poli- zeien über Grenzen hinweg austauschen und kooperieren können . Europol ist dafür ein wichtiger Baustein! In den langen Verhandlungen auf europäischer Ebene wurde das Europäische Polizeiamt neu aufgestellt und gestärkt . Denn wir brauchen einen starken, international sehr guten Polizeipartner, um den Herausforderungen der organisierten Kriminalität und des Terrorismus begegnen zu können . Diese Erkenntnis ist ja nicht erst seit den letz- ten Anschlägen vorhanden . Dabei spielt der Datenaustausch, den Europol zwi- schen den Mitgliedstaaten organisiert, eine herausragen- de Rolle . Darauf werde ich gleich noch eingehen . Aber Europol ist nicht nur eine Sammelstelle für Da- ten, sondern die Ermittler analysieren die Daten, stellen ihre Erkenntnisse den Polizeien zur Verfügung und er- mitteln auch selbst . Ein gutes Beispiel für die erfolgreiche Arbeit von Europol konnten wir in dieser Woche sehen: Bei der gemeinsamen Operation OPSON VI, die Europol mit Interpol in 61 Staaten unternommen hat, wurden knapp 10 000 Tonnen sowie 26 Millionen Liter verfälschte Le- bensmittel durch Polizei, Zoll und die Lebensmittelbe- hörden beschlagnahmt . Ob das gefälschtes Mineralwas- ser in Italien oder mit billigsten Zusatzstoffen gestrecktes Olivenöl in Dänemark oder eben nicht bzw . falsch de- klarierte Nüsse in Deutschland sind: Das organisierte Verbrechen nutzt den freien Warenverkehr in der EU, um sich durch Betrug zu bereichern . Aber es bleibt eben nicht nur bei einem riesigen fi- nanziellen Schaden von geschätzten 230 Millionen Euro für den Verbraucher . Nein, man bedenke nur, was falsch deklarierte Inhaltsstoffe bei Allergikern auslösen kön- nen . Diese Kriminellen nehmen schwerste gesundheitli- che Risiken für ihren Gewinn in Kauf . Gefälschte und verfälschte Waren haben inzwischen einen erheblichen Anteil am Handelsvolumen . Um diese Ermittlungsarbeit aber erledigen zu können, war es nötig, Europol auch in der Informationsverarbei- tung zukunftsfähig zu machen . Deshalb wurden in der Verordnung nicht mehr konkret einzelne IT-Systeme, wie Europol-Informationssystem oder die Arbeitsdatei zu Analysezwecken, benannt . In der neuen Europol-Ver- ordnung wurde die Informationsverarbeitung technik- neutral anhand der Verarbeitungszwecke bestimmt . Also nicht mehr das festgelegte System, bei dem technische Neuerungen dann wieder auch gesetzgeberisch nach- vollzogen werden müssten . Nein, es wurden die Zwecke der Verarbeitung benannt, ohne sich auf die technische Ebene zu begeben, die sich immer wieder ändert durch neue Techniken . Das ist der richtige Weg, führt aber auch dazu, dass wir in Deutschland unseren gesetzlichen Rah- men jetzt anpassen müssen . Die Vielzahl unterschiedlicher Datensysteme ist schon länger als Problem erkannt . Aber nicht nur bei den Syste- men selbst, sondern auch bei den Zugriffsmöglichkeiten wurden Veränderungen vorgenommen: Bisher war das BKA immer die Zentralstelle, über die alle Kommunikation mit Europol laufen musste . Nun können auch die Bundespolizei, das Zollkriminalamt und die Länderpolizeien auf die Daten zugreifen . Das BKA wird aber nicht von den Informationen abgehängt, son- dern bleibt als Zentralstelle weiterhin von herausragen- der Bedeutung . Das haben wir auch im Änderungsantrag zu diesem Gesetzentwurf klargestellt . Im Bundesrat kamen Be- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723374 (A) (C) (B) (D) fürchtungen auf, dass durch das ebenfalls heute verän- derte Bundeskriminalamtgesetz die Länderpolizeien wieder nur in Ausnahmefällen sich direkt an Europol wenden können, um schnell Informationen zu erhalten . Diese Befürchtungen sind unbegründet . Und es ist klar: Wo Sicherheitsbehörden mit teils sehr sensiblen Daten umgehen, braucht es einen guten Da- tenschutz – in Europa und in Deutschland . Deshalb war es auch im Änderungsantrag nötig, zu präzisieren, wie Daten, die von Europol stammen, in das neu zu schaffen- de System des BKA integriert und unter welchen daten- schutzrechtlichen Vorgaben das Ganze stattfinden soll. Wir haben daher festgeschrieben, dass die Berichtigung und Löschung von personenbezogenen Daten sowie die Einschränkung der Verarbeitung künftig unter dem Dach des Bundesdatenschutzgesetzes in der Fassung des Entwurfes zur Anpassung des Datenschutzrechts an die EU-Verordnung 2016/679 und zur Umsetzung der EU-Richtlinie 216/680 geregelt ist . Die Europol-Verordnung tritt schon in der kommen- den Woche, nämlich am 1 . Mai 2017, in Kraft . Durch die enge inhaltliche Verzahnung mit dem neuen BKA-Gesetz und dem ebenfalls heute beschlossenen Bundesdaten- schutzgesetz ist es notwendig, das Inkrafttreten des Eu- ropol-Gesetzes nach hinten zu verschieben . Diese treten nämlich erst am 25 . Mai 2018 in Kraft . Ich denke aber, dass ein guter und effektiver Datenschutz ein etwas spä- teres Nachvollziehen der europäischen Beschlüsse unse- rerseits rechtfertigt und die Rechtskraft des Europol-Ge- setzes ebenfalls erst zum Mai 2018 eintreten sollte . Deshalb möchte ich Albert Einstein zitieren: „Meine Arbeit ist getan .“ Ulla Jelpke (DIE LINKE): Es geht in dieser Debatte um die Anpassung des deutschen Rechts an die neue Eu- ropol-Verordnung . Ich möchte hier zunächst eines betonen: Die Euro- pol-Verordnung selbst steht in unserem Parlament über- haupt nicht zur Debatte . Sie wurde vom Europaparlament und dem Europäischen Rat, also den Regierungen der Mitgliedstaaten, ausgekungelt; die nationalen Parlamen- te dürfen da gar nicht mitreden . Das ist eines von vielen Beispielen, die Zweifel an der demokratischen Legitima- tion der Europäischen Union säen . Trotzdem ist es mir wichtig, dass auch im Bundestag einmal beschrieben wird, was das Problematische an Eu- ropol ist . Selbstverständlich ist es vom Prinzip her nicht ver- kehrt, vielmehr geboten, dass europäische Polizeien grundsätzlich zusammenarbeiten – Kriminelle machen ja an den Grenzen auch nicht halt . Nur: Die Art und Weise, wie das geschieht, geht eindeutig auf Kosten der Grund- und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger . Denn Europol erhält immer mehr Kompetenzen, ohne dass der Datenschutz damit Schritt hält . Wir können ja schon froh sein, dass Europol jetzt – jetzt erst! – wenigs- tens grundsätzlich einer parlamentarischen Kontrolle durchs Europaparlament unterzogen wird . Allerdings: Während die Europol-Verordnung Anfang Mai dieses Jahres wirksam wird, ist das Datenschutzreglement nach wie vor nicht festgelegt. Das zeigt schon die Schiefla- ge, die wir zwischen europäischen Polizeibefugnissen und ihrer Kontrolle haben, und ich sage ganz klar: Einen Polizeiapparat, der außerhalb einer effektiven, auch par- lamentarischen, Kontrolle agiert, den wollen wir nicht, weil das mit dem Schutz unserer freiheitlichen Gesell- schaft nichts mehr zu tun hat . Ich nenne dafür nur einige Beispiele: Europol hat in jüngster Zeit eine sogenannte Internetmeldestelle aufge- baut . Dort werden jede Menge Daten über „verdächtige“ Internetnutzer, insbesondere wo es um Gewaltverherrli- chung geht, gesammelt . Was als verdächtig gilt, was als Gewaltverherrlichung, das entscheidet Europol selbst bzw . jene nationalen Polizeibehörden, die Europol mit den Daten versorgen . Das Amt darf aber die Daten der Nutzer an die private Wirtschaft, zum Beispiel an Face- book, weitergeben und auf eine „freiwillige“ Löschung des jeweiligen Internetinhaltes drängen . Problematisch daran ist schon, dass Europol quasi exekutive Befugnis- se erhält . Nicht weniger problematisch ist, dass private Unternehmen von der Polizei personengebundene Daten über Verdächtige erhalten sollen . Das hatten wir so noch nie . Doch im vorliegenden Gesetzentwurf wird die damit verbundene Grundrechteproblematik noch nicht einmal angedeutet . Anderes Beispiel: das Europäische Zentrum für Ter- rorismusbekämpfung. Dort werden nach offiziellen An- gaben von Europol jede Menge Informationen zwischen den nationalen Polizeibehörden ausgetauscht . Aber was denn genau? Das bleibt im Dunkeln, ebenso wie die zu- nehmende Kooperation von Europol mit Geheimdiens- ten . Bekannt ist allerdings die Absicht der Kommission, eine Art gemeinsames Zentrum europäischer Polizeibe- hörden und Geheimdienste zu installieren . Dabei haben die verschiedenen Polizeibehörden in Europa ganz verschiedene Befugnisse zur Datenerhe- bung . Wir können diese unterschiedlichen Rechtsgrund- lagen ja gar nicht alle überblicken . Aber bei Europol fließt alles zusammen, und jede andere nationale Polizei- behörde kann diese Daten abrufen . Die Tatsache, dass es in Ländern wie Polen und Portugal Polizeibehörden gibt, die zugleich geheimdienstliche Befugnisse haben, wird dabei überhaupt nicht berücksichtigt . Das Europol-Ge- setz erlaubt in Deutschland künftig nicht nur dem BKA, sondern auch jeder Länderpolizei den Datenabruf, sofern er zur eigenen Aufgabenerfüllung als „erforderlich“ er- achtet wird . Dabei ist es angesichts der realen Gefahren durch Kriminalität nicht verkehrt, den Informationsfluss zwischen den Polizeibehörden zu vereinfachen . Aber es wäre im Interesse des Datenschutzes gewesen, hier we- nigstens klarzustellen: Informationen abrufen dürfen nur solche Organisationseinheiten bei den LKA, die auch selbst in den entsprechenden Bereichen arbeiten, also vereinfacht gesagt: Auf Europol-Daten zu Drogenhan- del greifen nur die Drogendezernate zu und nicht alle anderen, die denken, sie könnten die Daten vielleicht auch ganz gut gebrauchen . Aber eine solche Beschrän- kung fehlt im Gesetz, was erneut zeigt, wie gering hier der Datenschutz geachtet wird und wie einseitig nur auf vermeintliche polizeiliche Effektivität gesetzt wird. Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23375 (A) (C) (B) (D) Wenn künftig auch noch alle Polizeien mit allen Geheimdiensten zusammensitzen und ihre Erkenntnis- se miteinander tauschen, dann wäre dies wirklich ein schwarzes Loch für das Recht auf informationelle Selbst- bestimmung . So ein Europa, ein Europa der totalen Über- wachung, wollen wir nicht! Und noch ein Beispiel: Erst vor wenigen Tagen war in den Medien zu lesen, dass Europol jetzt auch mit dem US-Militär zusammenarbeitet. Man hofft darauf, von dort Informationen aus den diversen Kriegsschauplätzen zu erhalten – DNA-Spuren, Fingerabdrücke usw . Unsere Polizei soll also von völkerrechtswidrigen Kriegen profi- tieren – wollen wir das? Die Linke jedenfalls lehnt diese Entwicklung ab . Ich fasse das einmal zusammen: Europol soll künftig alle Informationen von den europäischen Polizeibehör- den erhalten, die es für nötig hält . Jede Länderpolizei wiederum kann nahezu nach Belieben Informationen von Europol abrufen. Dabei fließen die Ergebnisse polizei- licher und perspektivisch auch geheimdienstlicher und militärischer „Recherche“ zusammen . Und weil wir wis- sen, dass es nichts geschenkt gibt, können wir uns aus- rechnen, dass dieser Datenfluss natürlich auch umgekehrt verläuft: Alles, was bei Europol eingegeben wird, kann am Ende zum Beispiel bei der NSA und dem US-Militär wieder herauskommen . Wenn also ein deutsches Landes- kriminalamt Informationen über einen mutmaßlichen „Gefährder“ an Europol übermittelt – ohne dass über- haupt klar geregelt wäre, was eigentlich einen Gefährder ausmacht –, riskiert es damit, dass die CIA eine Killer- drohne startet . Das ist unverantwortlich . Es entsteht ein Datenberg, wie wir ihn uns heute noch gar nicht vorstellen können . Die Bürgerinnen und Bürger verlieren vollends die Kontrolle über ihre Daten . Aus diesem Grund haben die linken Parteien im Eu- ropaparlament die Verordnung abgelehnt . Wie eingangs erwähnt, ist der Bundestag in Hinblick auf die Verord- nung gar nicht zustimmungspflichtig. Wir haben hier nur noch über den Vollzug zu beraten . Nach dem, was ich eben geschildert habe, versteht es sich von selbst, dass wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen . Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Über die Neuordnung der polizeilichen Datenstruktur beim Bundeskriminalamt haben wir gerade heute noch im Rahmen der Debatte zu dem Entwurf für ein neues BKA-Gesetz gesprochen . Jetzt soll diese Struktur, de- ren Verfassungskonformität mindestens zweifelhaft ist und die sich noch kein Stück in der Praxis bewährt hat, auch gleich im Europol-Gesetz festgeschrieben werden . Ich finde das falsch! Auf meine schriftliche Frage hat mir die Bundesregierung erst letzte Woche mitgeteilt, dass es beim BKA dazu erst seit wenigen Monaten oder Wochen ein „Vorprojekt“ gibt . Die Pläne haben aber noch nicht „die nötige Reife“, um sie insbesondere mit der Bundes- beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit zu erörtern, so die Antwort der Bundesregierung . Warum also diese Eile, zumal die Regelung erst in über einem Jahr in Kraft treten soll? Glauben Sie wirklich, ein zukünftiger Bundestag würde sich einer entsprechenden Anpassung verschließen, wenn das System einmal tat- sächlich umgesetzt sein wird und sich im polizeilichen Alltag bewährt? Oder schätzen Sie die parlamentarische Befassung schlicht so gering, dass es Sie einfach nicht stört, dass wir hier über die Anwendung von etwas ent- scheiden sollen, von dem noch niemand wirklich sagen kann, wie es tatsächlich einmal aussehen soll? Meine Vorstellung von parlamentarischer Demokratie sieht jedenfalls anders aus, und vor allem vermisse ich – gerade in der Innenpolitik dieser Bundesregierung – den Bezug zu Fakten . Deutschland ist ein großer Wissen- schaftsstandort, aber die Sicherheitspolitik tut gerne so, als agiere sie im luftleeren Raum . Was nicht per se alter- nativlos ist, wird behandelt, als gäbe es keine Alternati- ven . Wie eng dieser Blickwinkel in Zeiten der Großen Koalition allgemein geworden ist, erschreckt mich . Europol bietet für die Sicherheitsbehörden in Europa eine gute Möglichkeit, zusammenzuarbeiten und sich zu vernetzen . Wäre es da nicht eigentlich naheliegend gewe- sen, einmal nachzufragen, wie die anderen europäischen Staaten ihre polizeilichen Daten organisieren und diese Schnittstellen zu Europol betreiben? Da das Gesetz in- soweit erst Ende Mai 2018 in Kraft treten soll, bestünde dazu eigentlich auch jetzt noch Zeit . Und überhaupt: Wer kann schon sagen, ob die IT beim BKA in einem Jahr be- reits umgestellt und einsatzbereit ist? Mit Großprojekten ist das ja manchmal so eine Sache . Eines darf dabei aber vor allem nicht aus dem Auge verloren werden: Die Verbesserung der Arbeit der Sicher- heitsbehörden ist eine Daueraufgabe . Die Kooperation in Europa darf auch nicht einen Moment ins Stocken gera- ten . Das erwarten die Menschen – hier und anderswo – zu Recht von dieser und der nächsten Bundesregierung . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen ge- meinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und In- formationssystemen in der Union (Tagesordnungs- punkt 23) Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Ende Novem- ber 2016 gab es den wahrscheinlich zahlenmäßig größten Angriff auf IT-Infrastruktur in Deutschland. Nur mit viel Glück im Unglück sind 900 000 Internetrouter der Deut- schen Telekom nicht Bestandteil eines weltumspannen- den Botnetzes geworden . Daneben gibt es immer wie- der Meldungen zum Verlust von Nutzerdaten bei großen Internetplattformen; Spielzeug überträgt mitgeschnittene Unterhaltungen der Kinder mit einer Spielzeugpuppe an den Hersteller . Die Gefahren aus dem Internet sind allgegenwärtig . Nicht alles ist ein Hackerangriff, nicht immer steckt eine Cyberarmee hinter entwendeten Nutzerdaten . Für alle Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723376 (A) (C) (B) (D) erdenklichen Szenarien gibt es ausreichend Beispiele tat- sächlicher Fälle im Netz . Einen Kulturwandel zu mehr Sicherheit im Internet gibt es aber immer noch nicht . Das weltweit beliebteste Passwort des vergangenen Jahres war „123456“, in Deutschland lagen „hallo“; „passwort“ und „hallo123“ auf den ersten drei Plätzen . Mit der Digitalen Agenda hat sich die Bundesregie- rung im Jahr 2014 vorgenommen, die IT-Sicherheit durch den Ausbau von Partnerschaften mit Betreibern kritischer Infrastrukturen und durch gesetzliche Vorgaben zu Min- destsicherheitsstandards und eine Meldepflicht für erheb- liche IT-Sicherheitsvorfälle im Rahmen eines IT-Sicher- heitsgesetzes zu stärken . Im Rückblick kann man sagen, dass hier nicht nur versprochen, sondern auch geliefert wurde . Natürlich ist es Augenwischerei eine, hundertpro- zentige Sicherheit im Internet zu versprechen; man muss aber den Blick darauf richten: Was ist kritisch, und was ist nicht kritisch? Deutschland war Vorreiter mit dem IT-Sicherheitsge- setz, war Blaupause für europäische Verhandlungen . Die deutsche Position wurde in Verhandlungen auf europäi- scher Ebene erfolgreich eingebracht . Die EU hat mit der NIS-Richtlinie nachgezogen . Das Gesetz erhöht die Sen- sibilität messbar, denn Betreiber kritischer Infrastruktu- ren müssen sich spätestens jetzt auf Mindeststandards verpflichten. Wichtig ist hier immer, dass die Sicherheits- maßnahmen auch immer realistisch sein müssen, der Wi- derspruch zwischen Nutzerkomfort und Sicherheit muss immer wieder neu austariert werden . Es bringt nichts, die Maßnahmen hochzuschrauben, wenn der Nutzer von IT-Infrastruktur sich quasi zum Ausweichen auf unsiche- re Lösungen gezwungen sieht . Das IT-Sicherheitsgesetz hat aber auch konkret das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) gestärkt – sowohl finanziell als auch personell. Im letzten Haushaltsjahr gab es insgesamt 88,7 Millio- nen Euro bei 661,5 Planstellen . Das IT-Sicherheitsgesetz war wichtig, um für die Gefahren erfolgreicher Angriffe auf die IT-Systeme kritischer Infrastrukturen zu sensibi- lisieren und auch die Abwehrfähigkeiten zu verbessern . Kritische Infrastrukturen finden sich nicht nur in Atom- kraftwerken und in Wasserwerken, sondern auch der Ausfall von Flughäfen, Krankenhäusern, Banken und Versicherungen kann schwerwiegende Folgen für das Funktionieren unseres Alltags und die öffentliche Sicher- heit haben . Bisher haben wir immer Glück gehabt, wenn Verschlüsselungstrojaner, sogenannte Ransom-Ware, die IT in Krankenhäusern lahmgelegt haben . Zwar muss- ten Operationen verschoben werden, aber es gab keine weiteren lebensbedrohlichen Folgen . Gerade weil es immer wieder diese Beispiele gibt, die zum Glück ohne schwerwiegende Folgen geblieben sind, bin ich mir si- cher, wir haben den richtigen Weg beschritten, und es ist richtig, dass sich die deutschen Vorschriften auch in der NIS-Richtlinie der Europäischen Union wiederfinden. Die betroffenen Anbieter werden verpflichtet, ihre IT-Systeme auf Schwachstellen zu überprüfen und gege- benenfalls zusätzliche Schutzmaßnahmen zu ergreifen . Außerdem erstreckt sich die Meldepflicht auf Sicher- heitsvorfälle mit erheblichen Auswirkungen, wobei auch anonyme Meldungen erfolgen können, sofern nicht ein Systemausfall droht . Hier zeigen sich deutlich die Paral- lelen zum IT-Sicherheitsgesetz . Ich begrüße außerdem sehr, dass der Bundesminister des Innern Thomas de Maizière das nationale Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/1148 des Europäi- schen Parlaments und des Rates vom 6 . Juli 2016 über Maßnahmen zur Gewährleistung eines hohen gemeinsa- men Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssys- temen in der Union so schnell vorgelegt hat . Das zeigt: Die Sicherheit der kritischen Infrastrukturen in unserem Land hat in diesem Haus eine hohe Bedeutung, und dank des IT-Sicherheitsgesetzes ergibt sich nur ein geringer Anpassungsbedarf für deutsches Recht . Außerdem sollen die von der Richtlinie erfassten Betreiber und Dienstean- bieter so früh wie möglich Rechtssicherheit erhalten . Mit dem neuen § 5a des BSI-Gesetzes werden Unter- stützungsleistungen des BSI zur Wiederherstellung der Sicherheit oder Funktionsfähigkeit von IT-Systemen in herausgehobenen Fällen durch Mobile Incident Respon- se Teams (MIRT) geregelt . In der Vergangenheit haben einige IT-Vorfälle offen gezeigt, dass die betroffenen Unternehmen teilweise nur auf unzureichende Unterstüt- zung zurückgreifen können . Operativ einsetzbare Exper- ten für solche Fälle sind rar . Das Bundesinnenministe- rium und das BSI haben daher an einem Konzept zum Ausbau von Mobile Incident Response Teams (MIRT) beim BSI gearbeitet . Der Bundestag hat dazu bereits ent- sprechende Haushaltsmittel für das laufende Jahr bewil- ligt, jetzt schaffen wir die rechtlichen Voraussetzungen für den Einsatz . Experten aus der Wirtschaft können also mit ihrem Know-how und als zusätzliches Personal zur Verfügung stehen und die Response Teams des BSI un- terstützen . Gelegentlich werden diese Teams als Cyberwehr be- zeichnet . Diese Cyberwehr soll aus freiwillig und kos- tenlos zur Verfügung stehenden Spezialisten von Un- ternehmen bestehen, die bei der schnellen Beseitigung technischer Folgen eines erfolgreichen IT-Angriffs zur Verfügung stehen . Das BSI soll dazu mit entsprechenden Unternehmen Kooperationsvereinbarungen abschließen . Angesichts des hohen Wettbewerbs auf dem Markt von IT-Fachkräften ist das ein nachvollziehbarer Schritt . Gleichzeitig möchte ich hier die Möglichkeit nutzen, mit Befürchtungen und Halbwahrheiten aufzuräumen: Schon jetzt unterliegen nach den geltenden Vorschriften qualifizierte Dritte, die im Auftrag des BSI tätig werden, denselben Vertraulichkeits- und Unabhängigkeitsanfor- derungen wie das BSI selbst . Der heute zu debattierende Gesetzentwurf ist aber mit- nichten nur die Umsetzung der NIS-Richtlinie, sondern er wird durch einen wichtigen Änderungsantrag ergänzt . Die Koalition hat sich darauf verständigt, das Telekom- munikationsgesetz zu ergänzen . Der massenhafte Angriff auf die Internetrouter der Deutschen Telekom Ende November 2016 hat die Bedeu- tung von Maßnahmen zur IT-Sicherheit auch einer brei- ten Öffentlichkeit deutlich gemacht. Leider sind Angriffe von Botnetzen nichts Neues, sie sind aber Anlass zu gro- ßer Sorge. Nicht mehr nur der infizierte Laptop oder PC kann Ausgangspunkt solcher Attacken werden, sondern Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23377 (A) (C) (B) (D) auch IP-Kameras, Drucker mit Internetverbindung, Rou- ter oder andere mehr oder weniger smarte Geräte, die mit dem Internet verbunden sind . Gleichzeitig wird prognos- tiziert, dass die Zahl von Nutzern ohne technische Erfah- rung zunimmt, die Geräte in der Standardkonfiguration ins Netz bringt . Die Gefahren, die aus solchen Botnetzen erwachsen, sind vielfältig. Schon jetzt ein häufiges Pro- blem sind DDoS-Attacken auf Zahlungssysteme, Web- shops oder andere Plattformen . Deshalb ist es richtig, dass wir mit dem Änderungsan- trag neu regeln, wie Internetanbieter zukünftig mit dem Datenverkehr in ihren Netzen umgehen können, um von Netzseite die IT-Sicherheit zu verbessern . Denn nicht nur die Nutzer haben die Verantwortung für ein sicheres Netz . Zukünftig sollen Diensteanbieter Teile des Daten- verkehrs von und zu einem Nutzer, von denen eine Stö- rung ausgeht, zum Zwecke der Information der Nutzer umleiten können (sogenanntes Sinkholing) . So können noch im eigenen Netz Nutzer mit schadhaften Systemen identifiziert und in die Lage versetzt werden, die Störung zu beseitigen . Wird ein Nutzer nicht tätig, soll der Netz- betreiber das Recht erhalten, den Datenverkehr eines Nutzers bei Vorliegen einer Störung einzuschränken, um- zuleiten oder zu unterbinden oder den Datenverkehr zu filtern, um Gefahren, insbesondere für die Verfügbarkeit von Informations- und Kommunikationsdiensten, durch IT-Angriffe abzuwehren. Wir müssen auch nach diesem Gesetz weiterarbeiten . In der nächsten Periode müssen wir den gesetzlichen Rahmen für das Internet of Things verschärfen . Das be- deutet Produkthaftungsregeln für IT-Sicherheitsmängel und Sicherheitsvorgaben für Hard- und Softwareherstel- ler im Internet der Dinge . Leider konnten wir das Thema IT-Produkthaftung in diesem Gesetzgebungsvorhaben nicht mehr aufgreifen, da Teile des Hauses zu der Auffassung gekommen sind, dass dies Gegenstand europäischer Regelungen ist . Ich bedaure das, denn seit Jahren lässt sich ein gewisses Laissez-faire bei bestimmten Herstellern beobachten . Die Cyber-Sicherheitsstrategie der Bundesregierung 2016 stellt daher Vorgaben für eine angemessene Vertei- lung von Verantwortlichkeiten und Sicherheitsrisiken im Netz in Aussicht . Das müssen der neue Bundestag und die nächste Bundesregierung mit der notwendigen Auf- merksamkeit wieder aufgreifen . Ich persönlich kann mir vorstellen, dass hier Schadenersatzansprüche im Rahmen von Rücknahmepflichten der Hersteller diskutiert werden sollten, wenn während des üblichen Nutzungszeitraums eines Produktes keine Sicherheitsupdates mehr zur Ver- fügung gestellt werden oder wenn Hersteller nichts ge- gen bekannte Sicherheitslücken unternehmen . Hier sehe ich klare Defizite. Das muss auf EU-Ebene flankiert wer- den, um verbindliche IT-Sicherheitseigenschaften für in- ternetfähige Produkten zu schaffen. In meinen Augen kann das freiwillige Gütesiegel ein weiterer Schritt zur Verbesserung der IT-Sicherheit sein . In der aktuellen Cyber-Sicherheitsstrategie der Bun- desregierung heißt es deshalb richtigerweise, dass die Sicherheit von IT-Produkten und Dienstleistungen ins- besondere für die Bürgerinnen und Bürger sowie kleine und mittelständische Unternehmen transparenter darge- stellt werden kann . Dazu wird die Bundesregierung ihre Aktivitäten auf dem Gebiet der Gütesiegel und Zertifika- te für IT-Sicherheit ausbauen und geeignete Vorschläge unterbreiten, insbesondere hinsichtlich übergreifender Systeme für die Zertifizierung und einer einheitlichen Kennzeichnung . Die Anwender sollen künftig auf Basis eines einheitlichen Gütesiegels bei der Kaufentscheidung für neue IT-Produkte und bei der Inanspruchnahme ent- sprechender Dienstleistungen leicht und schnell feststel- len können, welches Angebot sicher ausgestaltet ist und hierdurch zum Schutz der Daten beiträgt . Der Hersteller eines IT-Produktes sollte zum Beispiel im Rahmen eines Gütesiegels seinen zukünftigen Umgang mit Sicherheits- updates offenlegen müssen. Cybersicherheit soll dadurch für jedermann verständlicher und leichter realisierbar ge- macht werden . Das erhöht das Vertrauen in die sichere Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft . Marian Wendt (CDU/CSU): Der europäische digitale Binnenmarkt braucht einheitliche Standards für die IT-Si- cherheit . Die Richtlinie (EU) 2016/1148 vom 8 . August 2016 gibt einen einheitlichen europäischen Rechtsrah- men für den EU-weiten Aufbau nationaler Kapazitäten für die Cybersicherheit und eine stärkere Zusammenar- beit der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vor . Da- rüber hinaus werden Mindestsicherheitsanforderungen für Netze und Systeme geschaffen und Meldepflichten für Betreiber festgelegt . Ziel unserer Bemühungen insgesamt und dieses Ge- setzes im Besonderen ist, ein hohes Sicherheitsniveau von Netz- und Informationssystemen in Deutschland und der Europäischen Union zu erwirken . Ein solches hohes Niveau kann nicht mit Sonntagsreden und guten Absich- ten erreicht werden . Es muss auch gegen Widerstand er- arbeitet werden . Die Arbeit der Europäischen Union ist auch hier zu loben . Der Gesetzgeber muss für ein Mindestmaß an Si- cherheit sorgen, wo die Hersteller von internetfähigen Geräten sich gegen ausreichende Sicherheitsvorkehrun- gen entscheiden . Die Unternehmen unterliegen einem Zielkonflikt: Sicherheit macht ein Produkt meistens komplizierter, damit auch teurer . Aber tendenziell nutze- runfreundlicher. Diesen Zielkonflikt kann die Wirtschaft bisher nicht zufriedenstellend lösen . Das marktwirt- schaftliche Argument, Kunden würden ein weniger si- cheres Produkt nicht kaufen, zieht nicht . Hersteller haben noch keinen einen eigenen Anreiz, nur Geräte herzustel- len, die einem hohen Sicherheitsstandard entsprechen . Hersteller haben diesen Anreiz nicht, weil die meis- ten Menschen die Folgen ihrer unsicheren Geräte gar nicht direkt zu spüren bekommen . Das Babyphon mit WLAN-Schnittstelle funktioniert zwar, aber dass es im Hintergrund gerade für einen Angriff auf eine Anlage der kritischen Infrastruktur genutzt wird, erfahren die Besit- zer im Normalfall nicht . Hier liegen Haftung und Risiko nicht in einer Hand . Da muss der Gesetzgeber korrigie- rend eingreifen . Auf nationaler Ebene hat die unionsgeführte Bundes- regierung bereits entscheidende Schritte unternommen, die NIS-Richtlinie umzusetzen . Das IT-Sicherheitsge- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723378 (A) (C) (B) (D) setz sorgt für sicherere Einrichtungen der kritischen In- frastruktur, und die Cyber-Sicherheitsstrategie gibt den Rahmen vor für die Absicherung Deutschlands gegen das digitale organisierte Verbrechen . Mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informati- onstechnik, BSI, auf deutscher Ebene und der Europä- ischen Agentur für Netz- und Informationssicherheit, ENISA, auf europäischer Ebene haben wir bereits zwei höchstkompetente staatliche bzw . überstaatliche Stellen . In deren Hand liegt nun nicht nur Beratung, sondern im Falle des BSI aktive Bekämpfung von digitalen Bedro- hungen. Die geschaffenen Mobile Incident Response Teams sind ein Beispiel für koordiniertes Vorgehen des Staates gegen Cybercrime . Sie sollen Unternehmen, die von Angriffen betroffen sind, schnell helfen, die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen . Dies ist entscheidend, weil von befallenen Systemen wiederum Gefahr für an- dere Systeme ausgeht . Hervorzuheben ist neben den besonderen Maßnah- men in unserer Sicherheitsarchitektur auch, dass es Diensteanbietern nun ausdrücklich erlaubt ist, Daten- verkehr, von dem eine Störung ausgeht, zu unterbinden . So können Störungen in den Telekommunikations- und Datenverarbeitungssystemen abgewendet werden . Einen entsprechenden Änderungsantrag haben meine Kollegen und ich, nach schwierigen Gesprächen mit der SPD-Sei- te, eingebracht und wollen ihn heute mit beschließen . Wichtig ist meines Erachtens, auf den heute ebenfalls in der Beschlussempfehlung aufgefassten Entschlie- ßungsantrag hinzuweisen . Hier stellen wir noch einmal klar fest, dass grundsätzlich von sämtlichen an das Inter- net angeschlossenen Geräten Gefahren für unsere Tele- kommunikationsnetze und damit für unsere Infrastruktur ausgehen können. Die Anzahl entsprechender Angriffe steigt stetig und wird auf absehbare Zeit nicht kleiner werden . Es ist daher absolut erforderlich, weitere Maß- nahmen zur Erhöhung der IT-Sicherheit vorzunehmen . Darunter sollte den Anbietern von Telekommunikations- dienstleistungen ermöglicht werden, stärker als bisher gegen Störungen und Schadprogramme vorzugehen . Im gleichen Atemzug muss die Sicherheit jedes einzelnen an das Internet angeschlossenen Geräts erhöht werden . Dies soll durch die Schaffung eines freiwilligen Gü- tesiegels erreicht werden . Ein Gütesiegel, das den Men- schen in Deutschland zeigt, welches Produkt ausreichend hohe Sicherheitsstandards erfüllt und welches nicht . Ein solches Gütesiegel würde die ungleiche Verteilung des Wissens, was ein sicheres Produkt ist und was nicht, zu- mindest zum Teil auflösen und so Hersteller motivieren, bessere Geräte zu verkaufen . Insbesondere im Bereich der regelmäßigen Sicherheitsupdates kann ein Gütesiegel Transparenz schaffen. Es ermöglicht sicheres und selbst- bestimmtes Handeln in einer digitalisierten Umgebung . Ein solches Gütesiegel ist bereits in der Cyber-Sicher- heitsstrategie für Deutschland 2016 angelegt . Wichtig ist es, dass ein solches Gütesiegel bedarfsgerecht ausgestal- tet wird . Ein völlig am Markt vorbeidesigntes digitales Produkt wird kein Mensch brauchen, und dementspre- chend wird es die digitale Sicherheit nicht erhöhen . Es muss also von vornherein klar sein, was ein solches Gü- tesiegel leisten kann und was nicht . Ein Gütesiegel muss dem einzelnen Nutzer glaubwürdig vermitteln, dass das jeweilige mit dem Internet verbundene Produkt auch wirklich sicher ist, und dieses Versprechen muss es hal- ten . Die Festlegung von Standards, die Produkte erfüllen müssen, um mit einem Gütesiegel ausgestattet werden zu können, ist ein komplexes Problem . Daher muss dem BSI, dem die Festlegung dieser Standards auf nationa- ler Ebene obliegen sollte, ein entsprechender Ansatz an Stellen und Mitteln zur Verfügung gestellt werden . Ein Gütesiegel ohne glaubwürdige Vergabestelle ist nutzlos, internationale, neueste Standards zu erfassen, und in Vor- gaben für ein Gütesiegel umzusetzen, ist die große He- rausforderung in dieser Sache . Die Errungenschaften einer digitalisierten Gesell- schaft zu nutzen, bringt den Menschen mehr Wohlstand und mehr Freiheit . Freiheit geht aber nicht ohne Sicher- heit . Diese Sicherheit gibt es nur, wenn sich die Unkultur der Nachlässigkeit im Bereich der IT-Sicherheit ändert . Den großen Schaden, den mangelhafte IT-Sicherheit in der Zukunft anrichten wird, können wir nur abwenden, wenn Verbraucher und Hersteller gemeinsam mit der Politik an besseren Mechanismen arbeiten und Anreize schaffen, dass jeder so sicher wie möglich im Netz ist. Gerold Reichenbach (SPD): 10 660 379 . Dies ist die von dem Unternehmen Check Point ermittelte Anzahl der Hackerangriffe, die allein gestern weltweit stattge- funden hat. Deutschland befindet sich hier zumeist unter den ersten zehn der am meisten attackierten Länder, aber auch der Länder, aus denen Attacken gefahren werden . Dabei handelt es sich oft nicht nur um Server, sondern auch sogenannte Botnetze, also infizierte private Rechner oder andere internetfähige Geräte . Was sagen uns diese Zahlen? Zum einen: Wir haben ein enormes Problem im Bereich der Cyberkriminalität . Zum anderen: Cybersicherheit ist ein Thema, das ganz oben auf der politischen Agenda stehen muss . Das Internet der Dinge hat in einem sehr kurzen Zeit- raum eine enorme Größe erreicht. Selten finden bei die- sen Geräten Softwareupdates statt . Weltweit entstehen so bei Millionen Geräten Sicherheitslücken, die es Krimi- nellen leichtmachen, die Geräte zu kapern . Dieses Pro- blem zeigt, dass wir nicht nur auf gesetzgeberischer Seite im Bereich der Produktsicherheit und der Produkthaf- tung aktiv werden müssen, sondern auch in der Gesamt- bevölkerung über Bildungsmaßnahmen und Kampagnen ein Bewusstsein für die Thematik schaffen müssen: Wer von uns würde permanent die Fenster und Türen seines Hauses oder seiner Wohnung unverschlossen lassen, ins- besondere dann, wenn er wüsste, dass sich in unmittelba- rer Nähe potenzielle Einbrecher aufhalten? Und wer von uns würde den Einbrechern dauerhaften Zugang zur ei- genen Wohnung gewähren? Hier schaltet sich schnell der gesunde Menschenverstand ein, der sagt: Niemals! Hier gibt es ein Bewusstsein für Eigentum, für Privatsphäre und für Eigenverantwortung . In der IT-Welt sieht es jedoch anders aus . Dafür, dass ein unzureichend geschützter IT-fähiger Fernseher Kri- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23379 (A) (C) (B) (D) minellen Einblick in das eigene Wohnzimmer gewähren kann oder dass unzureichend geschützte IT-fähige Baby- phones, Kühlschränke und Waschmaschinen von Krimi- nellen gehackt und vom Besitzer unbemerkt über Wochen und Monate gekapert und für den Aufbau eines Botnetzes zum Angriff auf kritische Infrastrukturen wie beispiels- weise die Stromversorgung genutzt werden können, ist die allgemeine Bewusstseinslage noch sehr gering . So werden Massenwaren, die von jeder Privatperson gekauft werden können, leichtfertig zu einer Gefährdungsquelle der öffentlichen Sicherheit. Ein Schritt, um das Bewusst- sein für dieses Problem zu erhöhen, ist die Einführung eines IT-Gütesiegels, das dem Verbraucher Orientierung mit Blick auf den Sicherheitsaspekt beim Kauf von IT-fä- higen Produkten bietet. Wir benötigen Eingriffsbefugnis- se für die Provider, um Gefahren erkennen und abwehren zu können, und wir benötigen Produkthaftungsregeln in diesem Bereich, um Hersteller zur Erhöhung der Sicher- heitsstandards ihrer Produkte zu bewegen . Zumindest in Teilen konnten einige dieser Aspekte im Zuge des Um- setzungsgesetzes der Richtlinie zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen Sicherheitsniveaus von Netz- und Informationssystemen in der Europäischen Union, kurz NIS-Richtlinie, über welches wir heute in zweiter und dritter Lesung beraten, angegangen werden . Wir haben mit dem IT-Sicherheitsgesetz 2015 bereits viel erreicht . Gleichzeitig sind weiterführende Maßnah- men wie die im NIS-Richtlinien-Umsetzungsgesetz und unseren Anträgen nötig, da das Problem, wie die eingangs angeführten Zahlen eindrucksvoll belegen, ein globales Problem ist . Eine engere Abstimmung auf europäischer Ebene ist daher ein wichtiger und richtiger Schritt . Die NIS-Richtlinie bildet die Grundlage für einen einheit- lichen europäischen Rechtsrahmen, einen EU-weiten Ausbau nationaler Kapazitäten für die Cybersicherheit und eine stärkere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten in diesem Bereich . Es werden außerdem Mindestanfor- derungen und Meldepflichten nicht nur für die Betreiber wesentlicher Dienste, also für Betreiber kritischer In- frastrukturen, sondern auch für die Betreiber bestimmter digitaler Dienste geschaffen, also für Unternehmen, die Cloud-Services, Onlinemarktplätze oder auch Online- suchmaschinen anbieten . Unseren Änderungsantrag zum Umsetzungsgesetz sowie den Antrag zum Gütesiegel sehen wir als eine notwendige Ergänzung, um die IT-Sicherheit in Deutsch- land und der Europäischen Union zu erhöhen . In einem im Innenausschuss von den Koalitionsfraktionen parallel zum Änderungsantrag verabschiedeten Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, ein Gütesiegel in Abstim- mung mit Verbraucherschützern, Wirtschaftsvertretern, IT-Sicherheitsexperten und Gewerkschaften auszuar- beiten und sich auf europäischer Ebene für verbindliche Anforderungen an IT-Sicherheitseigenschaften von in- ternetfähigen Produkten einzusetzen . Denn nur sichere IT-fähige Produkte, deren Verbreitung durch ein IT-Gü- tesiegel und durch eine Produkthaftungskette gefördert werden können, könnten langfristig die Cybersicherheit in Deutschland erhöhen und das geschilderte Problem einzudämmen helfen . Hierfür bedarf es Regelungen auf Ebene der EU sowie langfristig auch auf internationaler Ebene . Denn weder das Internet noch der Handel enden heute an nationalen Grenzen . Mit dem Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung nehmen wir weitere Schritte zur Erhöhung der IT-Sicherheit vor . Im Bereich der Meldepflichten führen wir die doppelte Meldepflicht von Sicherheitsvorfällen ein: die Meldung an die Bundesnetzagentur (BNetzA) und an das Bun- desamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) . Aktuelle Cyberangriffe im Telekommunikationsbereich haben gezeigt, dass die Meldewege von der Bundesnetz- agentur zum BSI bei Vorfällen in Telekommunikations- netzen nicht mehr gerecht werden . Durch die parallele Meldung wird es dem BSI ermöglicht, seine Ressourcen und Kompetenzen zeitnah und besser einzusetzen . Aus den Sicherheitsvorfällen der vergangenen Monate haben wir darüber hinaus weitere Lehren gezogen und die Befugnisse von Anbietern von Telekommunikations- diensten zur Abwehr oder Beseitigung von erheblichen Störungen auf rechtssicheren Boden gestellt . Unter sehr engen Vorgaben werden Anbieter nun befugt, Netzwerk- daten zu analysieren, um Angriffswellen und gravierende Folgeschäden einzudämmen sowie Angriffe erkennen und abwehren zu können . Kommunikationsinhalte blei- ben hiervon unberührt . Entgegen mancher Spekulation im Vorfeld handelt es sich hierbei folglich auch um kei- ne Light-Version von Deep Packet Inspection . Hier gilt die Koalitionsvereinbarung . Im Gegenteil, wir haben im Gesetzeswortlaut deutlich formuliert, dass es sich ledig- lich um solche Netzwerkprotokolldaten handeln darf, die unabhängig vom Inhalt eines Kommunikationsvorganges übertragen werden, und dass der Zugriff auf Inhaltsdaten vollständig ausgeschlossen ist . DPI geht so in keinem Fall . Zur Abwehr von Attacken ist es zwingend erfor- derlich, die Netzwerkprotokolldateien zu analysieren . Entscheidend ist, dass dies die Ausnahme und nicht die Regel ist, dass also konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die eine solche Analyse zwingend erforderlich machen . Aber dieser Zugriff auf Netzwerkprotokolldaten muss im Bereich der Abwehr von Angriffen erlaubt sein, sonst kann man keine Angriffe und Muster erkennen und alle Cyberabwehr vergessen . Die Gewährleistung von Notrufverbindungen bleibt von den neuen Eingriffsbefugnissen der Diensteanbieter unberührt . Der Diensteanbieter hat weiterhin alle erfor- derlichen Maßnahmen zu treffen, damit Notrufverbin- dungen jederzeit möglich sind . Die Entwicklungen in unserer extrem verwundbaren IT-basierten Lebenswelt sind rasant schnell, und täglich nimmt die Zahl der Hackerangriffe zu. Da zunehmend al- les mit allem vernetzt ist – Stichwort Internet der Dinge, Internet of Things, IoT –, stellt sich immer drängender die Frage, wie die IT-Sicherheit der vernetzten Dinge si- chergestellt werden kann und wer in der Haftung ist . Wir dürfen uns daher nicht ausruhen . Die Bundesregierung sollte gesetzgeberische Maßnahmen zur Produkthaftung und die Einführung eines verlässlichen Gütesiegels weit oben auf die Agenda setzen und hier auch in Europa mit gutem Beispiel vorangehen . Der vorliegende Gesetzent- wurf der Bundesregierung sowie Änderungsantrag und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723380 (A) (C) (B) (D) Antrag bieten hierfür eine gute Grundlage, die als Aus- gangspunkt für weiter gehende gesetzgeberische Maß- nahmen auf EU-Ebene genutzt werden sollte . Martina Renner (DIE LINKE): Die Sicherheit der Informationstechnologie ist eine wichtige Aufgabe, die nicht nur in Deutschland, sondern auch in Europa und weltweit seit Jahren an Bedeutung gewinnt . Aufgrund der fortschreitenden Vernetzung durch Smartphones, IP-Te- lefonie, der Digitalisierung von Arbeit und Leben und des Internets der Dinge ist Politik gefordert . Es besteht eine staatliche Schutzpflicht gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, die sich nicht in der Einrichtung eines Cy- berabwehrzentrums, eines Cyber-Sicherheitsrates oder Meldepflichten für kritische Infrastrukturen erschöpft. Und schon gar nicht durch das ständige Wiederholen von Cyber, Cyber, Cyber . Tatsächlich ist dem vorgelegten Entwurf zur Um- setzung der Richtlinie zur Verbesserung der Netz- und Informationssicherheit anzumerken, dass Deutschland nicht – wie der Kollege Binninger in der ersten Beratung behauptete – vorangegangen ist . Die Bundesregierung hechelt hinterher! Der Gesetzentwurf zum Umsetzungsgesetz bleibt so- wohl in der Definition als auch in der Konkretisierung der Anforderungen für digitale Diensteanbieter weiter- hin völlig unbestimmt . Im Zweifel müssten sich diese Anbieter sowohl an die Regelungen für Anbieter von Telemediendiensten als auch für Anbieter von „digita- len Diensten“ halten . Eine solche Doppelregulierung und unklare Sicherheitspflichten für die Anbieter stärken die Netz- und Informationssicherheit im Ergebnis nicht . Eine nicht eindeutige Regelung widerspricht vielmehr dem Zweck der Richtlinie . Netz- und Informationssi- cherheit werden nicht erhöht, sondern Schlupflöcher geschaffen. Niemandem, weder den Verbrauchern noch den Anbietern, ist damit gedient . Der Systematisierung der IT-Sicherheitspflichten für alle Anbieter und Dienste geht die Bundesregierung aus dem Weg . Tatsächlich sind die Sicherheitsanforderungen von Telekommunikations- netzen, Telemediendiensten, den sogenannten wesentli- chen Diensten, den Vertrauensdiensten und den digitalen Diensten aufgesplittert . Dieses Manko wird nicht durch das vorliegende Umsetzungsgesetz beseitigt . Mittels Änderungsantrag hat die Große Koalition zwischenzeitlich eine begleitende Ergänzung des Te- lekommunikationsgesetzes auf den Weg gebracht . Zur Begründung wird angeführt, dass Telekommunikations- anbieter neben den Bestandsdaten bei einer Störung auch die sogenannten Steuerungsdaten auswerten müssten . Allerdings ist auch dieser Vorschlag viel zu unbestimmt . Tatsächlich wird hier der Weg freigemacht, um bei spä- teren Gesetzänderungen draufsatteln zu können . Dass die Diensteanbieter gehalten sind, Störungen und deren Ursachen zu analysieren, ist das eine . Dass aber dabei aber die Möglichkeit eröffnet wird, die Steuerungsdaten auch für künftige Analysen greifbar zu machen, ist mit dem Datenschutz nicht vereinbar . Der Ausschluss der In- haltsdaten dient hierbei nur der Kosmetik. Der Zugriff auf die Steuerungsdaten erlaubt im Zusammenspiel mit den Bestandsdaten weitreichende Analysen der Betreiber und der Behörden . Anders als behauptet wird das Bundesamt für Sicher- heit in der Informationstechnik (BSI) nicht etwa für die kommenden Entwicklungen gerüstet . Tatsächlich wird das BSI weiter zu einer operativen Behörde ausgebaut . Demgegenüber bleibt der Geburtsfehler der Behörde bestehen, denn sie wird institutionell nicht gestärkt . Das BSI bleibt dem Bundesinnenministerium unterstellt . Sei- ne Unabhängigkeit ist also nicht gewährleistet . Die Sen- sibilität der beim BSI gesammelten Informationen über Sicherheitslücken und -strukturen sowie der Umgang mit persönlichen Daten aus Unternehmen und von Pri- vatpersonen erfordert aber zwingend, es als unabhängige Bundesbehörde mit unzweideutigem Sicherheitsauftrag aufzustellen . Nur so kann das unklare Verhältnis des BSI zu den polizeilichen Sicherheitsbehörden und den Geheimdiensten beseitigt werden . Es braucht diese kla- ren Zuständigkeiten . Andernfalls droht der Sicherheits- auftrag des BSI durch die intensive Zusammenarbeit mit BND, BfV und MAD national über das Cyber-Ab- wehrzentrum oder international in der Kooperation mit der NSA ins Leere zu laufen . Erst recht, wenn die Ge- heimdienste gleichzeitig Sicherheitslücken einkaufen oder erforschen, wie mit der Behörde ZITiS geplant . Das Vertrauensproblem in Bezug auf die für IT-Sicherheit hauptsächlich zuständige Bundesbehörde BSI wird auf diese Weise nicht gelöst . Schließlich verzichtet die Bundesregierung erneut darauf, Regelungen zur Produktsicherheit und Produkt- haftung für IT-Produkte und IT-Dienste einzuführen . Schon bei Verabschiedung des IT-Sicherheitsgesetzes 2015 wurde dies versäumt und bis heute nicht nachge- holt . Ausgangspunkt von Sicherheitsproblemen aber sind in den allermeisten Fällen Sicherheitslücken in der ein- gesetzten Software . Aber auch Router und vernetzte Ge- räte sind eine besondere Gefahrenquelle . Zum Kern des Problems in der IT-Sicherheit vorzudringen, heißt daher, Haftungsverschärfungen für IT-Sicherheitsmängel im IT-Sicherheitsrecht aufzunehmen . Da entsprechende Re- gelungen fehlen, springt das Umsetzungsgesetz zu kurz . Die fehlenden Verschärfungen im IT-Sicherheitsrecht und die Zersplitterung der Sicherheitsanforderung zeigen einmal mehr, dass die Bundesregierung keineswegs vor- angeht, sondern Bruchstücke zur Strategie verklärt . Aus diesen Gründen werden wir dem Umsetzungs- gesetz im Ergebnis nicht zustimmen und den Gesetzent- wurf ablehnen . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Nahezu wöchentlich häufen sich die Meldungen über Hacking-Angriffe auf den Bundestag, auf kleinere und größere Unternehmen mit teils umfangreichen Kun- dendatenbanken, auf Krankenhäuser oder auch immer öfter auf vernetzte Geräte in Küche und Kinderzimmer: All das macht deutlich, dass die Sicherheit im Digitalen zu einer zentralen Herausforderung unserer Infrastruk- turen und Kommunikationssysteme geworden ist, und zwar in so gut wie jedem Lebens-, Gesellschafts- und Wirtschaftsbereich . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23381 (A) (C) (B) (D) Angesichts dieser vielfachen systemischen Risiken in einer immer vernetzteren Welt besteht ein enormer Hand- lungsdruck. Scheinbar simple Programmier- und Konfi- gurationsfehler in Produkten, bei Diensten und Dienst- leistungen können weitreichende Folgen für die gesamte Bevölkerung haben . Potenziell jedes System kann von staatlichen wie nichtstaatlichen Akteuren gehackt und zum Ziel von Überwachung, Kriminalität oder militäri- schen Strategien werden . Die Sicherheit im Digitalen ist somit heute eine wesentliche Bedingung unserer grund- rechtlichen Freiheiten, unserer verfassungsrechtlichen Ordnung sowie der völkerrechtlichen Friedensordnung . IT-Sicherheit geht mithin uns alle an, der entsprechen- de Schutz steht uns allen zu – und nicht nur kritischen Infrastrukturen und strategischen Zielen . Zu oft wird die Debatte um Cyberwar auf militärische Eskalationsszena- rien und kritische Infrastrukturen verengt . Gerade hier darf die Verantwortung zum Selbstschutz nicht allein auf die einfachen Endnutzerinnen und -nutzer oder auch die kleinen und mittelständischen Unternehmen abgewälzt werden . Dem Staat kommt eine direkt aus unserer Ver- fassung abzuleitende Schutzverantwortung zu . Vielmehr ist daher ein ganzheitlicher Ansatz insbesondere auch auf europäischer und internationaler Ebene gefragt . Vielleicht sollte sich die Bundesregierung anlässlich des gestrigen Hochamts auf ihre Digitale Agenda einmal an das eigene Versprechen, Deutschland zum Verschlüs- selungsland Nummer eins zu machen, besinnen – denn genau das wäre eine solche grundlegende Maßnahme, die Sicherheit im Digitalen effektiv für alle anzugehen. Stattdessen ergingen Sie sich während der vergangenen Jahre vornehmlich in Sonntagsreden, nur um dann in eine Art aktionistischen Schweinsgalopp zu verfallen . Ihre immer neuen hochtrabendenden „Strategien“ von wenig Substanz und umso kürzerer Lebensdauer wirken planlos und wenig koordiniert: Man denke nur an das Cyberabwehrzentrum, die fragwürdigen Hacking-Pläne im ZITiS oder zuletzt gar eine private Cyberwehr . Zum überhasteten nationalen Alleingang mit dem IT-Sicher- heitsgesetz komme ich noch im Folgenden . Anstatt aus den Snowden-Enthüllungen gerade mit Blick auf die Sicherheit im Digitalen die eigentlich ja offensichtlich zwingenden Konsequenzen zu ziehen, mussten wir viel eher ein Rollback der Massenüberwa- chung erleben: Mit dem BND-Gesetz wurde diese Pra- xis schlichtweg nachträglich legalisiert . Unkontrollierte Massenüberwachung gefährdet nicht nur unsere Grund- rechte, sie gefährdet auch immer unsere Sicherheit im Digitalen . Umso bezeichnender ist nun, dass Sie dem staatlichen und militärischen Aufrüsten im Digitalen das Wort reden . Weiterhin halten staatliche Stellen Sicher- heitslücken für ihre Überwachungszwecke offen, kaufen gar entsprechendes Wissen auf – anstatt diese zugunsten der Allgemeinheit umgehend bekannt zu geben und zu schließen . Es ist diese Ambivalenz in der Frage der Sicherheit im Digitalen, die leider die noch so überfälligen und in vielem richtigen Ansätze der nun vorliegenden NIS-Um- setzung konterkarieren . Und genau dieses staatliche Überwachungsinteresse überschattet auch die Arbeit des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik . Solange dieses am langen Arm des Innenministers bleibt, wird es bei noch so guter Arbeit kein vertrauenswürdiger, weil unabhängiger und allein der IT-Sicherheit verpflich- teter Akteur werden können . Die weit hinter den Erwar- tungen gebliebenen Meldezahlen zu erfassten Anlagen bzw . Störfällen in jenen Sektoren, die bereits nach dem IT-Sicherheitsgesetz meldepflichtig sind, sprechen hier Bände . Und umso problematischer sind in der vorliegen- den NIS-Umsetzung die schwammigen Datenschutzvor- gaben für die nun noch erweiterten Eingriffsbefugnisse der BSI-Response-Teams . Gerade in einem so sensiblen Bereich wie den kritischen Infrastrukturen stellt sich hier die Frage nach Datenschutz und Fernmeldegeheimnis zu- mal bei personenbezogenen Daten in verschärfter Form . Apropos IT-Sicherheitsgesetz: Obwohl bereits 2015 absehbar war, dass in Bälde mit der NIS-Richtlinie eine weiter gehende Harmonisierung ganz sinnvollerweise auf europäischer Ebene ansteht, mussten Sie entgegen aller Warnungen partout noch mit einem nationalen Schnellschuss vorpreschen . Immerhin wurden nun dank Brüssel mit den ver- schärften Melde- und Auditpflichten auch jene Störfälle erfasst, die wegen ihrer potenziellen System- und Aus- fallrelevanz so sensibel sind, und auch die entsprechen- den ursächlichen Störungsfälle in Gänze meldepflichtig gemacht . Studien zeigen, dass Sicherheitsbeauftragte solcher Infrastrukturen systematisch das eigene Angriffs- risiko unterschätzen – umfassende Kontroll- und Mel- depflicht sind hier dringend angebracht, wie auch ein abgestimmtes Verfahren bei den ja allzu oft länderüber- greifenden Störfällen . Hingegen werden Sie bei den di- gitalen Diensten mit Ihrer rein formalen Umsetzung ein Dickicht überlappender Regelungen schaffen – Rechtssi- cherheit stellt man so nicht her in diesem Bereich . Zudem wird interessanterweise just in eigener Sache, nämlich bei der Nutzung von Cloud-Angeboten durch die öffent- liche Verwaltung, eine Ausnahme gemacht . Und leider haben die Koalitionsfraktionen mit ihrer Änderung einer TKG-Erweiterung kurz vor der Aus- schusssitzung eine gravierende Verschlimmbesserung eingebaut . Es ist ja löblich, wenn Sie mit Blick auf die schon nach geltender Rechtslage weitreichenden Ein- griffsrechte der Anbieter zur Störungsabwehr eine Prä- zisierung vornehmen wollen . Nur sorgen Sie mit dem rechtlich unbestimmten Begriff der Steuerdaten eher für mehr Sorgen vor einer Deep Packet Inspection durch die Hintertür, die eben nicht trennscharf von Kommunika- tionsinhalten erfolgt . Spätestens seit der parlamentari- schen Aufklärung der massenhaften Geheimdienstüber- wachung sollten wir doch wissen, welchen Aussagewert eben gerade jene Verbindungsdaten zum Beispiel aus entsprechenden Protokolldaten haben . Daher haben wir hierzu im Ausschuss wie auch jetzt im Plenum klar Nein gesagt . Auch diese an sich überfällige, aber leider unent- schlossen umgesetzte und zu wenig abgestimmte Re- form wird an der Grundsatzproblematik nichts ändern: Solange die Bundesregierung aufgrund eigener Überwa- chungsinteressen wie auch aufgrund des Lobbydrucks in der Regulierungs- und Haftungsfrage weiterhin so ambi- valent bleibt und einen umfassend entschlossenen Ansatz Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723382 (A) (C) (B) (D) scheut, steht es schlecht bestellt um die Sicherheit im Di- gitalen von uns allen . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuord- nung des Rechts zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung (Tagesordnungs- punkt 24) Stephan Albani (CDU/CSU): Dies ist ein guter Tag für die forschende Wissenschaft! Nach monatelangen zähen Verhandlungen konnten wir erreichen, dass mit unserem Änderungsantrag die deutsche Forschungsland- schaft endlich Fortschritt im Bereich der Genehmigungs- verfahren für Studien mit ionisierender Strahlung im Be- reich der medizinischen Forschung sieht . Nach 15 Jahren Stillstand ist dies ein gutes Ergebnis . Wir beraten hier über die Novellierung des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädli- chen Wirkung ionisierender Strahlung . Hintergrund hier- bei ist, dass wir einer Umsetzung der Euratom-Grundnor- men in deutsche Rechtsnormen nachkommen wollten, zur Festlegung grundlegender Sicherheitsnormen für den Schutz vor den Gefahren einer Exposition gegenüber io- nisierender Strahlung zum Schutz des Menschen . Bislang war das Strahlenschutzrecht in der auf dem Atomgesetz basierenden Strahlenschutzverordnung und der Röntgenverordnung geregelt . Wir novellieren also hiermit nicht nur ein vorhandenes Gesetz und wollen bisherige Einzelgesetze zusammenfügen, sondern möch- ten erstmals und grundsätzlich auf Basis von neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen den Einsatz von Stof- fen oder ionisierender Strahlung zur Früherkennung von Krankheiten regeln . Darüber hinaus gilt es ebenso, die Grenzwerte von Verfahren in der Messung und Überprüfung im Zusam- menhang mit Strahlenbelastung zu verbessern . Diese Reformierung ist für die deutsche Forschungslandschaft dringend nötig und längst überfällig . In der Wissenschaft gibt es ja bekanntermaßen keinen Stillstand . Hier hat sich in den vergangenen Jahren sehr viel getan . So war bislang der Einsatz von Röntgenstrahlung allein für die Früherkennung von Brustkrebs erlaubt . Die neue Rege- lung zur medizinischen Forschung betrifft auch weiterhin nur studienbedingte zusätzliche Strahlenbelastungen und nicht Maßnahmen in der klinischen Routine . Seit dem Jahre 2003 machten medizinische Fachge- sellschaften und Prüfzentren das Bundesministerium für Umwelt wiederholt auf die Problematik aufmerk- sam, dass es im Bereich der Genehmigungsverfahren in der Begleitdiagnostik in Deutschland keine gesetz- lichen Fristen gibt und Anträge teilweise über ein Jahr lang beim Bundesamt für Strahlenschutz liegen bleiben . Dies hatte in der Vergangenheit erhebliche Auswirkun- gen auf unsere Forschungslandschaft, exakt also auf die Gesundheitsforschungsfelder, in denen unser Land heute eine globale Führungsrolle einnimmt . Forschende Phar- maunternehmen in Deutschland können ohne kalkulier- bare Fristen im Strahlenschutz nicht arbeiten . So kam es in den letzten Jahren zu einer stetigen Abwanderung der Phase-1- und Phase-2-Studien ins Ausland . Es führte in der Vergangenheit sogar dazu, dass deutsche Prüfzentren von multinationalen Studien ausgeschlossen wurden . Dies alles gilt es zu verhindern! Stellen Sie sich vor, Sie sind Inhaber eines Logistikunternehmens und auf den täglichen Transport von Waren wirtschaftlich angewie- sen . Sie haben einen Transporter, der zwecks Straßenver- kehrstauglichkeit von einer Prüfstelle (TÜV, DEKRA) abgenommen werden muss . Diese Prüfstelle teilt Ihnen dann jedoch mit, dass sie Ihnen leider nicht sagen kann, ob und wann Sie Ihr Fahrzeug weiter einsetzen können, „sie bräuchten noch mehr Zeit“ und „wissen nicht, wann Sie Ihren Transporter wieder einsetzen dürfen“ . Diesen Zustand gilt es dringend zu verbessern . Das Beispiel zeigt, dass solche Ungewissheiten nicht tragbar sind und zu eklatanten Planungsrisiken nicht zuletzt auch bei den forschenden Unternehmen führen . Aus diesem Grunde ist es wichtig und richtig, dass die CDU/CSU-Fraktion sich der Sache angenommen hat, um nicht nur forschende Unternehmen, sondern auch zahl- reiche Patientenverbände und medizinische Fachgesell- schaften in ihrem drängenden Streben nach der Einfüh- rung eines Anzeigeverfahrens mit verbindlichen Fristen zu unterstützen . Mit Einsatz unserer Fraktion haben wir nicht zuletzt im Jahre 2013 dieses wichtige Vorhaben im Koalitionsvertrag mit auf den Weg gebracht . Und seit- dem nicht lockergelassen! Mit unserem Antrag „Transfer von Forschungser- gebnissen und Innovationen in die Gesundheitsversor- gung beschleunigen“ vom 15 . Dezember 2015 (Druck- sache 18/7044) forderten wir, „bei der Zulassung der Anwendung ionisierender Strahlung am Menschen in der medizinischen Forschung durch das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) für Fälle der sog . Begleitdiagnostik statt des Genehmigungsverfahrens ein Anzeigeverfahren mit verbindlichen Fristen einzuführen“ . Vieler Schreiben an das Bundesumweltministerium hat es bedurft, um den klaren Auftrag aus unserem Antrag in der Bundesregie- rung in eine schnelle Umsetzung zu bringen . Nicht zuletzt die Ergebnisse des Pharmadialogs im April 2016 zeigen, dass dieses drängende Problem im Strahlenschutzgesetz aufgenommen wurde . Genehmigungsverfahren mit verbindlichen Fristen gibt es in vielen Lebensbereichen . Auch für Studien mit Arzneimittel- und Medizinprodukten sind diese vorhan- den . Heute wollen wir analog dazu auch beim Strahlen- schutz für die medizinische Forschung erreichen, dass es zu einer angemessenen Fristenregelung mit radioaktiven Substanzen und ionisierender Strahlung kommt . Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem uns vorlie- genden Gesetzentwurf der Bundesregierung in geänder- ter Fassung . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23383 (A) (C) (B) (D) Oliver Grundmann (CDU/CSU): Nur die Dosis macht das Gift! Diese rund 500 Jahre alte Erkenntnis des berühmten Arztes und Alchemisten Paracelsus ist unverändert gültig – insbesondere bei der radioaktiven Strahlung. Der Begriff „Radioaktivität“ erzeugt bei vie- len Menschen, auch in meinem Wahlkreis Stade und Ro- tenburg, Unbehagen, und von radioaktiven Stoffen aus- gesandte Strahlung wird oft als bedrohlich empfunden . Dabei wird manchmal vergessen, dass jeder Mensch auf der Erde auf natürliche Weise stets und überall der Strah- lung radioaktiver Stoffe ausgesetzt ist. Hinzu kommen künstliche Strahlungsquellen, die in der heutigen Welt nicht mehr wegzudenken sind, zum Beispiel Röntgenun- tersuchungen oder Nutzung radioaktiver Stoffe in Medi- zin und Technik . Es handelt sich dabei um sogenannte ionisierende Strahlung . Keine Frage also: Das Strahlenschutzrecht, über das wir heute beraten, hat weitreichende Bedeutung für die menschliche Gesundheit und Relevanz für viele Lebens- bereiche . Der vorgelegte Gesetzentwurf der Bundesre- gierung dient der Umsetzung einer EU-Richtlinie von 2013 zur Festlegung grundlegender Sicherheitsnormen für den Schutz vor den Gefahren einer Exposition gegen- über ionisierender Strahlung und zur Aufhebung weiterer Richtlinien in nationales Recht . Die Umsetzung der Richtlinie soll das deutsche Strah- lenschutzsystem grundlegend neu strukturieren . Gleich- zeitig werden zahlreiche bestehende Vorgaben infolge des wissenschaftlichen Fortschritts angepasst sowie der thematisch bereits breite Anwendungsbereich des deutschen Strahlenschutzrechts erheblich erweitert . Die damit verbundene umfassende Novellierung des Strah- lenschutzrechts bezweckt, den Strahlenschutz zu verbes- sern, übersichtlich und vollzugsfreundlich zu gestalten sowie unnötige bürokratische Hemmnisse abzubauen . Ferner wird der radiologische Notfallschutz auf Grundla- ge der Erfahrungen der Ereignisse in Fukushima konzep- tionell fortentwickelt . Der umfangreiche Gesetzentwurf der Bundesregie- rung stellt ein Rahmengesetz dar . Vielfache Detailrege- lungen müssen also nachträglich durch entsprechende Rechtsverordnungen festgelegt werden . Zum Gesetzent- wurf haben wir als Koalition einen umfangreichen Ände- rungsantrag eingebracht, der fast alle in der Gegenäuße- rung der Bundesregierung zugestandenen Punkte aus der Stellungnahme des Bundesrates umsetzt . Ich bin damit sehr zufrieden; entscheidende Punkte sind aus Sicht der CDU/CSU-Fraktion umgesetzt . Ein schnelleres Zulassungsverfahren für medizinische Forschung und Diagnostik war dabei ein Herzensan- liegen der Unionsfraktion . In der Vergangenheit wurde seitens Industrie und Forschungseinrichtungen immer wieder stark kritisiert, dass für Zulassungs- bzw . Anzei- geverfahren für die Anwendungen ionisierender Strah- lung am Menschen – Begleitdiagnostik und medizinische Forschung – keine Genehmigungsfristen festgelegt sind, wodurch einzelne Verfahren sehr stark in die Länge ge- zogen wurden . Dem wird jetzt durch die Festlegung von festen Fristen entgegengewirkt . Das ist ein ganz wichtiger Punkt, ins- besondere auch für die Menschen, deren Gesundheit von Forschung und Diagnostik abhängt. Wer selbst betroffen ist oder nahestehende Angehörige bei einer Strahlenthe- rapie begleitet hat, weiß darum, dass diese Therapiefor- men oftmals die letzte Hoffnung auf Heilung bedeuten. Und deshalb ist der Faktor Zeit so wichtig . In meiner Heimatstadt Stade gibt es mit der Klinik Hancken eine der renommiertesten onkologischen Einrichtungen in Deutschland . Hier leisten die Mitarbeiter des Hauses mit viel Einfühlungsvermögen einen großartigen Job . Aus zahlreichen Gesprächen weiß ich: Komplizierte und lan- ge Zulassungsverfahren bei neuartigen Bestrahlungsver- fahren kosten nicht nur Zeit und Geld, sondern können sogar Menschenleben gefährden, wenn die bestmögliche Therapie nicht – oder zu spät – zur Anwendung kommt . Ein anderer uns wichtiger Punkt: Im Gesetzentwurf wird eine gesundheitlich zulässige Radonkonzentrati- on in Innenräumen (Wohnräume und Arbeitsplätze) mit einem Referenzwert von 300 Becquerel/Kubikmeter festgelegt . Für Neubauten müssen bei höheren Referen- zwerten Schutzmaßnahmen getroffen werden. Bestands- bauten sind hiervon ausgenommen. Für betroffene Ar- beitsplatzbereiche müssen entsprechende Maßnahmen seitens des Arbeitgebers ergriffen werden. Die Länder werden zukünftig verpflichtet, Gebiete auszuweisen, in denen in Gebäuden mit erhöhten Radonwerten zu rech- nen ist, sogenannte Radonvorsorgegebiete . Um den Län- dern hierbei entgegenzukommen, werden diese Pläne nun die Länder im Rahmen der Bundesauftragsverwal- tung erarbeiten . Die hierbei entstehenden Kosten für den Bund werden für die nächsten Jahre auf circa 20 Milli- onen Euro geschätzt (vor allem Kosten der Vorortmes- sungen von Radon). Das Bundesfinanzministerium hat zugestimmt . Auch der radiologische Notfallschutz zwischen Bund und Ländern wird verbessert: Alle Behörden und Organi- sationen, die bei einer gegebenen Notfallbewältigung ge- braucht werden, müssen ab sofort ihre Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung eng miteinander abstimmen . Im Gesetzentwurf werden deshalb abgestimmte Notfallplä- ne zwischen Bund und Ländern sowie die Einrichtung eines radiologischen Lagezentrums unter der Leitung des Bundesumweltministeriums vorgeschrieben . Als ehemaliger Geschäftsführer aus der Privatwirt- schaft begrüße ich, dass auch einem Anliegen der Leicht- betonindustrie unbürokratisch Rechnung getragen wird . Es ging um die Frage, ob im Gesetz Bims als Rohstoff benannt werden soll, bei dessen Verwendung als Baupro- dukt eine Bestimmung der spezifischen Aktivität erfor- derlich ist . Eine Aufzählung der Regelbeispiele, um wel- che Gesteine es sich bei sauren magmatischen Gesteinen sowie daraus entstandenen metamorphen und sedimentä- ren Gesteinen handelt, ist nach unserer Intervention nun aber nicht mehr erforderlich . Das Umweltministerium war erfreulicherweise bereit, die ursprünglichen Regel- beispiele, die auch Bims umfassten, wieder zu streichen . Dadurch kann Missverständnissen vorgebeugt werden, beispielsweise im Hinblick auf Bims, dessen Zusammen- setzung sowohl sauer als auch basisch sein kann . Mit dem heute vorgelegten umfangreichen Gesetzes- werk, das ich für die CDU/CSU-Fraktion ausdrücklich Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723384 (A) (C) (B) (D) begrüße, ist ein weiteres wichtiges Vorhaben aus dem Ko- alitionsvertrag auf den Weg gebracht worden . Das neue Strahlenschutzrecht hat weitreichende Bedeutung für die menschliche Gesundheit und Relevanz für viele Lebens- bereiche auch in meiner Heimat Niedersachsen . Mit dem modernisierten und ausgeweiteten Regelwerk schaffen wir aus meiner Sicht nun eine verlässliche Grundlage für einen umfassenden Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor ionisierender Strahlung . In diesem Sinne danke ich abschließend den Mitar- beiterinnen und Mitarbeitern des Bundesumweltministe- riums, der Kollegin Hiltrud Lotze als SPD-Berichterstat- terin sowie meinem Kölner Fraktionskollegen Karsten Möring, der als Berichterstatter für die Union die intensi- ven und detailreichen Verhandlungen in den letzten Mo- naten erfolgreich geführt hat . Hiltrud Lotze (SPD): Ionisierende Strahlung tritt in sehr vielen Situationen auf . Deswegen hat der Strahlen- schutz eine hohe Bedeutung für die menschliche Gesund- heit . Bislang war das Strahlenschutzrecht in der Strahlen- schutzverordnung und der Röntgenverordnung geregelt . Jetzt werden alle Bereiche des Schutzes vor ionisieren- der Strahlung systematisch in einem Gesetz zusammen- gefasst . Das Gesetz regelt unter anderem den Einsatz von Röntgenstrahlung oder radioaktiven Stoffen an Men- schen zur Früherkennung von Krankheiten . Auch der Schutz vor Radon an Arbeitsplätzen und in Wohnräumen wird geregelt . Radon ist ein radioaktives Edelgas, das aus dem Erdreich in Gebäude eindringen kann . Radon ist sta- tistisch nach Tabakrauch die zweithäufigste Ursache für Lungenkrebs . Es ist deswegen gut, dass der Schutz vor Radon erheblich ausgeweitet wird . Der radiologische Notfallschutz zur Bewältigung von Katastrophen in kerntechnischen Anlagen wird weiter- entwickelt . Abgestimmte Notfallpläne von Bund und Ländern decken sowohl Unfälle in Atomkraftwerken im In- und Ausland als auch regionale Unfälle wie zum Bei- spiel Transportunfälle ab . Gerade dieser Tage jährt sich die Katastrophe von Tschernobyl zum 31 . Mal, und wir denken an die Opfer . Wir hoffen, dass uns nie ein Atomunfall ereilt. Sollte es aber doch zu einem ernsthaften Zwischenfall kommen, sind wir mit diesem Gesetz besser vorbereitet . Der Rahmen für den Umgang mit radioaktiven Alt- lasten, die zum Beispiel beim Rückbau von Atomkraft- werken entstehen, wird geregelt . Details müssen in einer noch folgenden Rechtsverordnung festgelegt werden . Auch die Regelungen zur medizinischen Forschung werden grundlegend modernisiert, insbesondere durch die Einführung verbindlicher Fristenregelungen zur Prü- fung von Forschungsvorhaben . Wir haben hier einen gu- ten Kompromiss zwischen den Sicherheitserfordernissen und den Interessen der Forschung gefunden . Das Gesetz stellt einen erheblichen Fortschritt für den Umwelt- und Gesundheitsschutz dar . Der Strahlenschutz wird modernisiert, an den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse angepasst, und bisherige Schutzlücken werden geschlossen . Ich bitte Sie, diesem wichtigen Gesetzentwurf zuzu- stimmen . René Röspel (SPD): Als Forschungspolitiker möchte ich die Aufmerksamkeit auf die medizinische Forschung und den entsprechenden Absatz im Gesetz lenken . Deutschland ist weltweit mit an der Spitze der Gesundheitsforschung . In kaum einem anderen Land werden mehr klinische Studien durchgeführt als bei uns . Diese Forschungsergebnisse leisten einen wichtigen Bei- trag zur Verbesserung der Patientenvorsorge, denn nur durch Forschung entstehen Innovationen und damit neue Behandlungsmöglichkeiten in der Medizin . Bei vielen dieser klinischen Studien ist es notwendig, Untersuchungsverfahren mit ionisierender Strahlung ein- zusetzen . Zum Schutz der Probanden und Patientinnen und Patienten ist für solche Untersuchungen eine Ge- nehmigung notwendig . Diesen klinischen Studien ging bisher ein kompliziertes, mitunter lang dauerndes Geneh- migungsverfahren voraus, das weder für die Gesellschaft noch für Probanden, Patientinnen und Patienten und die Forscherinnen und Forscher zusätzliche Vorteile gebracht hat . Viele Studien konnten aufgrund des langwierigen und komplizierten Genehmigungsverfahrens nur mit zum Teil großer Verzögerung beginnen . Oftmals wurden dadurch klinische Studien mit ionisierender Strahlung in anderen Ländern oder ohne eine deutsche Beteiligung durchgeführt . Seit vielen Jahren wird die Vereinfachung des Genehmigungsverfahrens von vielen Forscherinnen und Forschern nachvollziehbar gefordert . Bislang konn- ten wir in den Verhandlungen nur kleine Änderungen und damit zu wenige Verbesserungen für die Genehmigung von klinischen Studien erreichen . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf können wir nun endlich eine deutliche Verbesserung für die medizinische Forschung in Deutschland durchsetzen . Insbesondere die Einführung von Fristen für die Genehmigung von For- schungsvorhaben mit ionisierender Strahlung war drin- gend notwendig . Dabei möchte ich betonen, dass die Einführung von Fristen in keinem Fall zulasten der Probanden- oder Pa- tientensicherheit vorgenommen wird . Der Schutz der Patientinnen und Patienten steht für uns an erster Stelle, und das soll auch so bleiben! Die Bestätigung des medi- zinisch-wissenschaftlichen Vorhabens durch eine Ethik- kommission bleibt weiterhin Grundvoraussetzung für die Durchführung einer klinischen Studie . Die langwierigen Genehmigungsverfahren ohne Zusatznutzen schaden aber nicht nur dem deutschen Forschungsstandort, son- dern auch den vielen Patientinnen und Patienten, die auf die Ergebnisse der medizinischen Forschung angewiesen sind . Medizinischer Fortschritt und damit neue Behand- lungsmöglichkeiten werden beschleunigt, wenn klini- sche Studien nicht monatelang auf eine Genehmigung warten müssen . Auch wenn ich mir natürlich wünsche, dass Geneh- migungsverfahren sorgfältig, aber auch so schnell wie Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23385 (A) (C) (B) (D) möglich und innerhalb der Fristen bearbeitet werden, kann in begründeten Fällen eine Fristverlängerung not- wendig sein . Mit einer Fristverlängerung um weitere 90 Tage können auch kompliziertere medizinische Unter- suchungsvorhaben geprüft werden . Wichtig war uns aber auch – und dafür haben wir uns in den parlamentarischen Verhandlungen stark gemacht –, dass nach Ablauf dieser insgesamt 180-tägigen Frist eine Entscheidung getroffen wird . Wir haben uns lange für eine Verbesserung der Bedin- gungen für klinische Studien eingesetzt . Mit der Rege- lung eines Anzeigeverfahrens für Begleitdiagnostik und darüber hinaus einem klaren Genehmigungsverfahren, wenn radioaktive Stoffe oder ionisierende Strahlung Ge- genstand des Forschungsvorhabens sind, ist ein deutli- cher Fortschritt erzielt worden . Hubertus Zdebel (DIE LINKE): Wie sind die Men- schen vor den gesundheitlich schädlichen Wirkungen ra- dioaktiver Strahlung zu schützen? Nach dem Willen der Bundesregierung und dem hier nun vorgelegten Strahlenschutzgesetz können wir sagen: unzureichend . Denn der Gesetzentwurf ist nach Stand von Wissenschaft und Forschung von vorgestern . Von vorgestern war im Grunde auch schon die Richt- linie der EU, als sie 2014 verabschiedet wurde . Als Basis für die Festsetzung der Dosiswerte für die radioaktiven Strahlen wird auf eine veraltete Empfehlung der Interna- tionalen Strahlenschutzkommission IRCP zurückgegrif- fen, die aus dem Jahr 2007 stammt . Schon damals gab es massive Kritik, dass diese Stellungnahme wichtige For- schungsergebnisse ignorierte . Vor diesem Hintergrund ist es im Grunde beschämend, wenn das Bundesumweltministerium auch noch erklärt, es wolle mit diesem Gesetzentwurf lediglich eine Eins- zu-eins-Umsetzung einer entsprechenden EU-Richtlinie vollziehen . Also genauer: Das BMUB erklärt, dass es se- henden Auges einen veralteten Stand von Wissenschaft und Forschung zur Grundlage dieses Gesetzes macht, und die Regierungsfraktionen stimmen dem im Kern auch noch zu . Studien über die Schädlichkeit auch geringer Strah- lenbelastungen kommen immer wieder zu dem Ergebnis, dass die IRCP nicht ausreichend konservativ vorgeht . Es geht um die biologische Wirksamkeit der Strahlung . Die Kinderkrebsstudie KiKK hat aufgezeigt, dass die Gesundheitsrisiken steigen, je näher Kinder an einem Atomkraftwerk wohnen . Auch für Beschäftigte in Atom- anlagen in England, Frankreich und den USA hat sich gezeigt: Die Risiken einer Erkrankung auch bei geringen, dafür langanhaltenden Strahlenwerten sind höher als er- wartet . Die Konsequenz daraus muss sein: Die Dosiswerte, wie hier jetzt wieder festgezurrt werden sollen, müssten insgesamt um den Faktor 10 reduziert werden . Genau diese Konsequenz aber ziehen Bundesregierung und die Fraktionen von CDU/CSU und SPD mit dem vorliegen- den Gesetzentwurf nicht . Damit setzen sie die Bevölke- rung und die Beschäftigten, die mit Radioaktivität zu tun haben, einem höheren Gesundheitsrisiko aus . Das halten wir nicht für verantwortbar! Ähnlich ist es auch beim Schutz gegen das natürlich vorkommende Radon, das für einen hohen Anteil von Lungenkrebs verantwortlich ist . Das Bundesamt für Strahlenschutz hält einen Richtwert von 100 Beque- rel pro Kubikmeter Luft für notwendig . Aber der Wert wird im Gesetzentwurf nicht übernommen . Dort wird ein Richtwert von 300 reingeschrieben . Das ist nicht verant- wortbar, wenn man sieht, wie viele Lungenkrebserkran- kungen damit schlicht hingenommen werden . Auch beim Umgang mit den Abfällen, die beim Abriss der Atommeiler jetzt in großen Mengen entstehen, sehen wir nicht, dass die mangelhafte Praxis verbessert werden soll, auch wenn eine entsprechende Verordnung noch aussteht . Unstrittig ist: Abrissabfälle, die tatsächlich frei von Radioaktivität sind, können in den Bereich der nor- malen Abfallwirtschaft . Das aber muss mit Messungen zweifelsfrei belegt werden . Die Abfälle aber, die gering kontaminiert sind, dürfen nicht länger freigemessen und zum Beispiel im Straßenbau oder beim Stahlrecycling landen . Wir brauchen eine kontrollierte Lagerung und Überwachung dieser Abfälle auf verbesserten Deponien . Ein letztes Wort noch zu den Notfallplanungen: Die Bundesregierung versucht in dem Gesetzentwurf mit al- len Mitteln, so zu tun, als könnten staatliche und andere Stellen im Falle einer Nuklearkatastrophe die Menschen schützen . Das ist natürlich Unsinn . Neue Untersuchun- gen mit Blick auf Fukushima zeigen, dass die Gebiete, in denen Schutzmaßnahmen erfolgen müssten, viel größer sind als bislang unterstellt . Der Staat muss nach dem Grundgesetz die Gesundheit der Menschen schützen . Bei der Atomenergie aber kann das nur heißen: Schalten Sie jetzt alle noch laufenden AKWs ab, bevor es zu spät ist! Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Radioaktive Strahlung ist mit den menschlichen Sinnen nicht zu fassen, sie ist geruchlos, geräuschlos, unsicht- bar. Strahlenbelastungen können uns daher zwangsläufig nicht so bewusst sein wie andere Gesundheitsgefahren, wie zum Beispiel sichtbarer und riechbarer Zigaret- tenrauch . Und dementsprechend können wir im Alltag Strahlenbelastung oft auch dann nicht aus dem Weg ge- hen, wenn wir das gerne täten . Umso wichtiger ist es, dass der Staat hier seiner Pflicht der Schadensvorsorge für die Bevölkerung möglichst gut nachkommt . Mög- lichst gut heißt, der Gesundheitsschutz muss an erster Stelle stehen . Grundsätzlich ist es sehr begrüßenswert, dass es in Deutschland für den Strahlenschutz nunmehr ein eigenes Gesetz geben wird . Bedauerlicherweise geht die Bun- desregierung bei der Umsetzung der zugrundeliegenden Richtlinie 2013/59/Euratom jedoch inkonsequent vor und nutzt die Möglichkeit, über deren Maßgaben hinauszuge- hen, nur an einzelnen Stellen . In weiten Teilen setzt Ihr Gesetzentwurf die Richtlinie dagegen selbst dann eins zu eins um, wenn deren Vorgaben um Jahre hinter den Stand der deutschen Fachdebatte zurückfallen – gerade auch an entscheidenden Stellen . Dies führt dazu, dass der Ge- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723386 (A) (C) (B) (D) setzentwurf dem wesentlichen Ziel eines möglichst guten Strahlenschutzes nicht gerecht wird . Daran haben auch nach der Einbringung noch vorgenommene Änderungen nichts geändert . Der vorliegende Gesetzentwurf fällt also nach wie vor weit hinter das zurück, was er leisten müss- te . Wie wir in unserem Entschließungsantrag dargelegt haben, beginnt es damit, dass der Gesetzentwurf kon- sequent am Ziel des Gesundheitsschutzes und am Vor- sorgeprinzip auszurichten ist . Das heißt insbesondere, es muss über die Regelungen der Grundnormenrichtlinie hi- nausgegangen werden, wenn entsprechende Erkenntnisse bzw . Positionen hiesiger Fachkreise vorliegen . Konkret müssen deshalb etliche Grenz- und Referenzwerte deut- lich gesenkt werden . Denn den im Entwurf festgelegten Werten liegt eine Fehlannahme zugrunde, die die deut- sche Fachszene in breiter Einmütigkeit von staatlichen Stellen über selbstständige Expertinnen und Experten bis hin zu Umweltschutzverbänden schon vor etlichen Jahren abgeräumt hat: dass Dauerniedrigstrahlung weni- ger schädlich sei als kurzzeitige höhere Strahlendosen . Doch anstatt diese fachliche Steilvorlage zu nutzen und mit dem Gesetz endlich eine längst überfällige Fehler- korrektur vorzunehmen, von der Tausende Menschen in Deutschland gesundheitlich profitieren würden, hat sich die Regierung bewusst anders entschieden . Das ist un- klug, mutlos und pflichtvergessen. Wenn selbst einem so evidenten Handlungsbedarf nicht nachgekommen wird, verwundert es nicht, dass sich die Bundesregierung mit weitergehenden Forde- rungen der Expertinnen und Experten nach Grenzwert- senkungen ebenfalls nicht konstruktiv auseinandersetzt . Dabei kann auch das Argument nicht gelten, dass sich bestimmte Forderungen noch nicht so eindeutig begrün- den lassen wie andere . Denn gerade im Strahlenschutz gilt das Prinzip der Vorsorge, also dass man im Zweifel auch dann präventive Maßnahmen ergreifen soll, wenn es noch keine wissenschaftliche Gewissheit über das ge- naue Ausmaß einer Gefährdung gibt . Wir fordern daher, dass es einen Fachdialog gibt zwischen der Bundesregie- rung und reformorientierten Expertinnen und Experten, um weitere sinnvolle Verschärfungen bei Grenzwerten und anderen Regelungen zu identifizieren. Die Bevölkerungsgruppe, die in der Regel den höchs- ten Dosen ausgesetzt ist, sind die Menschen, die von Berufs wegen Strahlung ausgesetzt sind . Um ihre Ge- sundheit besser zu schützen, fordern wir neben Grenzwer- tehalbierungen unter anderem, das Strahlenschutzregister so zu erweitern, dass man herausstechende Belastungen identifizieren kann. Beispielsweise wenn beim Rück- bau eines Atomkraftwerks das dortige Personal deutlich mehr Strahlung abbekommt als in anderen AKW, die auch zurückgebaut werden . Oder auch, um beim Bei- spiel AKW-Rückbau zu bleiben, wenn der Großteil der Monatsdosis auf eine bestimmte Dekontaminationsmaß- nahme zurückzuführen ist . Dann kann man gezielt anset- zen mit Veränderungen, die die größten Reduktionen der Strahlenbelastung bringen und damit besonders großen Nutzen für die Gesundheit . Ein weiteres Problem bei die- ser Berufsgruppe ist die Frage, inwieweit sich immer an die Vorschriften gehalten wird . Ohne jemandem etwas zu unterstellen, sollte man dieser Frage mit einer Erhebung, mit einem Forschungsvorhaben nachgehen . Denn wenn zum Beispiel die Strahlenschutzvorschrift besagt, dass bei einer bestimmten Arbeit ein Mundschutz zu tragen ist, der aber in Wirklichkeit nicht getragen wird, besteht das Risiko, dass es zu einer relevanten, aber unerkannten Aufnahme von Radioaktivität kommt . Für die Bevölkerung muss und kann der Strahlen- schutz durch verstärkte Aufklärung über Strahlenbe- lastungen im Alltag gestärkt werden . Wer weiß schon, welche Belastungen ein Langstreckenflug, eine Rönt- genuntersuchung oder Strahlenbelastungen aus der Natur im Vergleich zueinander bedeuten? Wo man im Alltag besonders viel Strahlung abbekommt, ohne es zu ah- nen? Hier gibt es Aufklärungsbedarf, den man nicht der Nuklearindustrie überlassen darf, die damit gerne die Ge- fahren aus ihrem Bereich verharmlost . Denn gerade im AKW-Bereich liegt natürlich eines der größten Risiken für die Bevölkerung; deshalb steigen wir ja auch richti- gerweise aus der Atomkraft aus in Deutschland . Aber mit diesen Abschaltdaten für AKW ist es nicht getan . Der Strahlenschutz in Notfallsituationen, so wie ihn das Gesetz vorsieht, ist wieder ein Negativbeispiel . Er basiert auf einer Empfehlung der sogenannten Inter- nationalen Strahlenschutzkommission ICRP aus dem Jahr 2007 . Darin heißt es, dass die Vorsorge und der Umgang mit radiologischen Notfallsituationen wie zum Beispiel einer Atomkatastrophe wie die von Fukushima so gestaltet werden sollten, dass die Belastung für die Be- völkerung sich in einer Bandbreite von 20 bis 100 Mil- lisievert bewegt . Wenn man den Katastrophenschutz so plant, dass er auf die untere Grenze, also möglichst we- nig Strahlung für die Bevölkerung, abzielt, ist das natür- lich besser . Natürlich auch anspruchsvoller, aber es muss doch darum gehen, einen möglichst guten Katastrophen- schutz zu haben und nicht einen möglichst unaufwendi- gen . Von den schon genannten Strahlenbelastungen aus der Natur hat das natürliche Gas Radon eine große Be- deutung. Es ist nach dem Rauchen die zweithäufigste Ursache für Lungenkrebs . Und hier ist es ähnlich wie bei den eingangs erwähnten Grenzwerten . Obwohl das Bundesamt für Strahlenschutz, also der Teil der Exekuti- ve mit der betreffenden Expertise, die Behörde, die man zusammen mit der Weltgesundheitsorganisation extra ein Radon-Handbuch hat erarbeiten lassen, sich seit Jahren aus gesundheitlichen Gründen für einen bestimmten Re- ferenzwert beim Radonschutz ausspricht, legen Sie einen Gesetzentwurf vor, der erheblich davon abweicht, der um ein Dreifaches laxer ist . Das ist inakzeptabel . Dement- sprechend fordert unser Entschließungsantrag auch hier eine sofortige Korrektur . Ein Thema, das bereits kontrovers in der Öffent- lichkeit diskutiert wird, ist der Strahlenschutz beim AKW-Rückbau . Da wir in unserem Antrag auch hierzu konkrete Forderungen aufgestellt haben, lassen Sie mich hervorheben: Es wird Zeit, dass die Bundesregierung in den Dialog mit den Kritikerinnen und Kritikern der bisherigen Praxis tritt. Erstens betrifft das Thema ganz Deutschland, zweitens ist der Konflikt jetzt schon groß, drittens wird er mit jedem weiteren AKW, das zurück- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23387 (A) (C) (B) (D) gebaut wird, noch zunehmen . Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die gängige Praxis nicht dazu geeignet ist, Vertrauen zu schaffen. Da hilft es wenig, wenn man sie einfach verteidigt oder schweigt . Schließlich bleibt wieder einmal festzustellen, dass es zu vielen Fragen im Strahlenschutzbereich immer noch erheblichen Forschungsbedarf gibt . Es ist unverständ- lich, ärgerlich und inakzeptabel, stattdessen gebetsmüh- lenartig Millionenausgaben für sinnlose Atomforschung zu verteidigen . Damit muss endlich Schluss sein . Sowohl das Forschungsministerium als auch der eine oder ande- re unbeirrbar atomkraftvernarrte Professor muss endlich einsehen, dass Deutschland einen Beschluss gefasst hat, den man nicht mit steuergeldfinanzierter Forschung hin- tertreiben kann . Es ist doch aberwitzig, dass wir immer noch Millionen für die Forschung an neuen Reaktortypen oder andere Blütenträume atomkraftbegeisterter Forscher ausgeben, andererseits viele Fragen zu Strahlenschäden und Gesundheitsrisiken auch nach Jahrzehnten immer noch nicht und nicht ausreichend beantworten können . Mit dieser Fehlallokation von öffentlichen Mitteln muss endlich Schluss sein! Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass vieles, was wir an dem Gesetzentwurf kritisieren, rasch geändert werden könnte . Es gibt auch keinen Grund, wa- rum wir ihn nicht erst in der kommenden Sitzungswoche beschließen könnten . Darum meine eindringliche Bitte: Es gibt erheblichen Verbesserungsbedarf an dem Ge- setzentwurf . Kommen wir ihm nach! Die Maxime muss dabei sein: Die staatliche Pflicht der Schadensvorsorge gilt hier umso mehr, als sich Bürgerinnen und Bürger vor Strahlung nicht so gut selbst schützen können wie vor anderen Gesundheitsgefahren . Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: Ich freue mich, dass das Gesetz zur Neuordnung des Rechts zum Schutz vor der schädli- chen Wirkung ionisierender Strahlung heute in eine ent- scheidende Phase kommt . Das Gesetz erfüllt den Auftrag aus dem Koalitionsver- trag, das Strahlenschutzrecht zu modernisieren und den radiologischen Notfallschutz auf Grundlage der Erfah- rungen nach Fukushima konzeptionell fortzuentwickeln . Gleichzeitig setzt das Gesetz die neue europäische Strah- lenschutz-Richtlinie um . Radioaktivität ist ein Phänomen, das uns in vielen Si- tuationen begegnet . Uns ist sie vor allem im Zusammen- hang mit der Kerntechnik ein Begriff. Strahlung kommt jedoch auch in ganz anderen Bereichen unseres Alltags vor . Ein großer Anteil der Strahlenbelastung für die Be- völkerung entsteht zum Beispiel im Zusammenhang mit der Medizin . Hier müssen Regeln und Vorkehrungen ge- troffen werden, damit der Schutz der Patientinnen und Patienten sowie des Personals gewährleistet wird . Des Weiteren spielt auch die natürlich vorkommende Strah- lung eine deutlich größere Rolle als die Strahlenbelastung bei kerntechnischen Anwendungen und muss ebenfalls von den Regelungen zum Strahlenschutz erfasst werden . Im Zusammenhang mit der Kerntechnik hat Fukushi- ma uns gelehrt, dass ein Unfall in einem Atomkraftwerk oder ein anderer radiologischer Notfall auch in einem modernen Industriestaat eintreten kann . Die Bevölkerung erwartet daher von uns zu Recht, dass wir im Strahlen- schutzgesetz möglichst effektive Vorkehrungen für einen solchen Notfall treffen. Dies alles wird mit dem neuen Strahlenschutzgesetz erreicht, und deshalb ist es für mich ein Meilenstein für den Umwelt- und Verbraucherschutz . Bisher ist der Strahlenschutz vor allem in der Strahlenschutzverord- nung und in der Röntgenverordnung adressiert worden . Nun wird das Strahlenschutzrecht erstmals umfassend in einem eigenen formellen Gesetz geregelt . Dadurch bekommt das Thema die Sichtbarkeit, die ihm aufgrund seiner großen Bedeutung für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes gebührt . Der hohe Schutz, den das bisherige Strahlenschutz- recht für die Bürgerinnen und Bürger gewährleistet hat, wird mit der Umsetzung der Richtlinie noch deutlich ver- bessert: Das Strahlenschutzgesetz erleichtert den Vollzug des Strahlenschutzrechts durch die Zusammenführung von Regelungen, die bisher in unterschiedlichen Verordnun- gen zu suchen waren . Es setzt Rahmenbedingungen, wenn ionisierende Strahlung zur Früherkennung von Krankheiten einge- setzt wird . Es bestimmt, wie bei radioaktiven Altlasten vorzuge- hen ist . Es enthält Anforderungen für die Prüfung von Radio- aktivität in Bauprodukten . Es enthält erstmals Vorgaben zum Schutz der Bürge- rinnen und Bürger vor Radon in Aufenthaltsräumen . Das Gesetz schafft ferner – und das ist mir beson- ders wichtig – die Grundlage für ein zwischen Bund und Ländern abgestimmtes modernes Notfallmanage- mentsystem . Dabei geht der Bund, und hier speziell das Bundesumweltministerium, mit der Einrichtung eines ra- diologischen Lagezentrums und der Beschaffung der Jod- tabletten für die sogenannte Jodblockade in Vorleistung . Mithilfe der zu erstellenden Notfallpläne werden wir alle für eine Notfallbewältigung erforderlichen Ressourcen von Bund und Ländern konkret aufeinander abstimmen . Ich erwarte, dass wir dadurch, sollte es einen Ereignisfall geben, auf allen Ebenen sofort voll handlungsfähig sein werden . Ich hoffe, meine Aufzählung vermittelt Ihnen einen Eindruck von der Breite des Strahlenschutzes und seiner Relevanz für uns alle . Erstmals adressiert das Strahlenschutzrecht den Schutz vor Radon in Aufenthaltsräumen . Radon ist ein natürliches radioaktives Edelgas, das im Boden vor- kommt und sich in Gebäuden anreichern kann . Es gibt Regionen in Deutschland, in denen das Vorkommen von Radon höher ist als in anderen . Es gilt, Vorgaben zu ma- chen, die einerseits für einen wirksamen Schutz der Bür- gerinnen und Bürger sorgen, ohne sie – auf der anderen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723388 (A) (C) (B) (D) Seite – in unverhältnismäßiger Weise zu belasten . Ich glaube, dies ist in dem Gesetzentwurf gut gelungen . Zum Beispiel gewährleistet der vorgesehene Referenzwert von 300 Becquerel pro Kubikmeter ein hohes Schutzni- veau im Einklang mit dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand . Er entspricht auch vollumfänglich den Anforderungen der Richtlinie 2013/59/Euratom . Das Prinzip preisgünstigen Bauens wird dadurch trotzdem nicht gefährdet . Das Gesetz modernisiert außerdem die Regelungen zur Prüfung medizinischer Forschungsvorhaben, bei denen ionisierende Strahlung eingesetzt wird . Es sieht nun verbindliche Fristenregelungen vor . Dadurch wer- den die Prüfverfahren wesentlich beschleunigt und ein wichtiger Beitrag zur Sicherung des Forschungsstandor- tes Deutschland geleistet . Wir haben entsprechend den Wünschen der Unionsfraktion und der Bundesländer ins- besondere die Fristenregelungen für das Genehmigungs- verfahren weiter präzisiert und mit noch mehr Berechen- barkeit für die Antragsteller versehen . Das Gesetz stellt einen erheblichen Fortschritt für den Umwelt- und Gesundheitsschutz dar . Der Strahlen- schutz in Deutschland wird durch das Gesetz wesentlich modernisiert und an den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse angepasst . Bisherige Schutzlücken werden geschlossen . Ich möchte daher schon jetzt an die Länder appellie- ren, diesem Gesetz im kommenden Monat im Bundes- rat zuzustimmen und so sicherzustellen, dass die darin enthaltenen Verbesserungen für den Strahlenschutz noch vor den Bundestagswahlen verabschiedet werden . Ich hoffe auf Ihre breite Unterstützung für den vorgelegten Gesetzentwurf . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anlage VI des Um- weltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haftung bei umwelt- gefährdenden Notfällen (Antarktis–Haftungs- annex) – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung der Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährdenden Notfällen (Antarktis-Haftungsgesetz – AntHaftG) (Tagesordnungspunkt 25) Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): Als James Cook während seiner zweiten Südseereise die Antarktis umsegelte, war auch ein junger Preuße namens Georg Forster an Bord . Während der Reise beteiligte er sich an Studien zur Tier- und Pflanzenwelt sowie zur Länder- und Völkerkunde . Forster wurde später zu einem angese- henen Ethnologen und war zudem glühender Verfechter der französischen Revolution . Wohl aus diesen Gründen wählte die DDR ihn als Namenspatron für ihre antarktische Forschungsstation, die sie im Jahr 1976 in Betrieb genommen hatte . Heute verfügt Deutschland über fünf Stationen in der Antarktis . Auf diesen werden unter anderem das antarktische Kli- ma, die Tier- und Pflanzenwelt sowie das Erdmagnetfeld erforscht . Insgesamt gibt es in der Antarktis über 80 Forschungs- stationen, in denen bis zu 4 000 Wissenschaftler aus der ganzen Welt arbeiten . Die Forschung ist somit die wich- tigste menschliche Aktivität im ewigen Eis am Südpol . Die mit der Wissenschaft verbundenen Personen- und Logistiktransporte führen allerdings auch zu Umweltbe- lastungen . Zudem kann es bei Unfällen zum Austritt von Öl oder Chemikalien kommen . Mit Blick auf das Span- nungsverhältnis zwischen der überaus wichtigen For- schung und dem Schutz der antarktischen Umwelt gilt es somit, die negativen Umweltauswirkungen so gering wie möglich zu halten . Der zweite nennenswerte Bereich, der in der Antarktis zu Umweltbelastungen führt, ist der Tourismus . Mittler- weile kommen pro Saison mehr als 30 000 Besucher vor allem auf Kreuzfahrtschiffen in die Antarktis. Früher lag der Schwerpunkt des Tourismus auf kleinen Landgängen in Küstennähe und dem reinen Besichtigen der Natur . Mittlerweile haben sich die touristischen Aktivitäten je- doch grundlegend gewandelt . Heute steht das Abenteuer Wildnis mit Berg- und Skiwanderungen, Paragliding und Touren ins Landesinnere im Mittelpunkt . Die mit dem Tourismus einhergehenden Umweltbelastungen haben folglich in den vergangenen Jahren zugenommen . Hinzu kommt, dass sich die antarktische Umwelt aufgrund der niedrigen Temperaturen deutlich langsamer regeneriert als in anderen Gebieten der Erde . Der Umfang der Forschungsaktivitäten sowie der wachsende Tourismus machen deutlich, wie wichtig eine umfassende internationale Regelung zum Schutz der sensiblen antarktischen Umwelt und der verbundenen Ökosysteme ist . Im letzten Jahr wurde bereits ein wichtiger Schritt vollzogen, um den Schutzstatus der Antarktis weiter zu verbessern: die Einrichtung des weltweit größten Mee- resschutzgebietes im antarktischen Rossmeer . Das Ross- meer ist ein Teil des Südpolarmeeres und gilt als eines der letzten intakten Meeresökosysteme der Erde . Das Schutzgebiet ist mehr als viermal so groß wie Deutsch- land . Im größten Teil ist für die nächsten 35 Jahre jegliche Fischerei verboten . Deutschland tritt darüber hinaus für die Einrichtung eines weiteren Meeresschutzgebiets in der Antarktis ein . Dabei handelt es sich um das Weddell- meer, dessen Artenvielfalt mit der tropischer Korallenrif- fe vergleichbar ist. So gibt es im Weddellmeer Eisfische, die mit Frostschutzproteinen ein Gefrieren ihres Blutes verhindern . Die große biologische Vielfalt ist Grund für das deutsche Bestreben, die Aktivitäten im Weddellmeer allein auf die wissenschaftliche Forschung zu beschrän- ken . Bisher konnte sich Deutschland mit seinem Anlie- gen leider nicht durchsetzen . Die Europäische Union Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23389 (A) (C) (B) (D) will aber im Herbst dieses Jahres einen entsprechenden Vorschlag bei der Antarktis-Schutzkonferenz einbringen . Der Antarktis-Vertrag stellte das erste internationale Abkommen nach dem Zweiten Weltkrieg dar . In einer Hochphase des Kalten Krieges einigten sich die West- mächte und die Sowjetunion auf eine gemeinsame, fried- liche Nutzung der Antarktis . Der im Jahr 1961 in Kraft getretene Vertrag umfasste dabei noch keine Bestimmun- gen zum Schutz der Umwelt . Diese Ergänzung übernahm das 1991 beschlossene Antarktis-Umweltschutzproto- koll . Die Anlage VI des Protokolls, der sogenannte Haf- tungsannex, wurde im Jahr 2005 vereinbart und regelt für alle Betreiber von Aktivitäten in der Antarktis den Um- gang in Bezug auf umweltgefährdende Notfälle . Ziel ist es, solche Notfälle in der Antarktis zu vermeiden sowie deren Auswirkungen auf die Umwelt zu beschränken . Der Haftungsannex des Antarktis-Umweltschutzpro- tokolls enthält Bestimmungen, die erst noch in das natio- nale Recht übertragen werden müssen . Hierfür nun wird das Antarktis-Haftungsgesetz verabschiedet . Es bildet die rechtliche Grundlage, damit die entsprechenden Re- gelungen auch für die Bundesrepublik Deutschland An- wendung finden. Für den Schutz der antarktischen Umwelt sieht das Gesetz verschiedene Regelungen vor . Diese zielen auf die Bereiche Prävention, Gegenmaßnahmen und Haftung ab . Im Hinblick auf die Prävention bestehen für die Be- treiber von Aktivitäten in der Antarktis Vorgaben . Diese betreffen die technische Ausrüstung von Transportmit- teln, die Schulung von Personal sowie die Anfertigung von Einsatzplänen für den Notfall . Sollte es trotz dieser präventiven Maßnahmen zu einem umweltgefährdenden Notfall kommen, sind die Betreiber zu Gegenmaßnah- men verpflichtet. Diese Gegenmaßnahmen sollen die negativen Auswirkungen auf die Umwelt verhindern oder abmildern . Kommt der Verursacher eines umwelt- gefährdenden Notfalls dieser Pflicht nicht nach, können ihm Kostenersatz- und Ausgleichszahlungen auferlegt werden . Wie Maßnahmen zu Verminderung umweltschädli- cher Auswirkungen aussehen können, zeigt das Vorgehen deutscher staatlicher Betreiber bei entsprechenden Vor- fällen in der Vergangenheit . Um die negativen Folgen für die antarktische Umwelt so gering wie möglich zu halten, wurde öl- oder treibstoffkontaminierter Schnee einge- sammelt, in Fässern gelagert und zurück nach Deutsch- land transportiert . Das Umweltbundesamt ist die zuständige Genehmi- gungsbehörde für alle Tätigkeiten in der Antarktis, die in Deutschland organisiert werden oder vom deutschen Ho- heitsgebiet ausgehen . Dabei ist es Aufgabe der Behörde, zu prüfen, ob die jeweiligen Aktivitäten umweltverträg- lich durchgeführt werden . Aus diesem Grund betraut das Antarktis-Haftungsgesetz das Umweltbundesamt mit der Überwachung der Einhaltung der im Gesetz vorgesehe- nen Betreiberpflichten. Die Antarktis hat eine große Bedeutung für das Weltklima und den globalen Süßwasserhaushalt . Zu- dem befinden sich hier einige der letzten unberührten Ökosysteme mit einer großen Artenvielfalt . Die globa- le Gemeinschaft hat eine historische Pflicht, dieses Ge- biet mit seinen empfindlichen Tiergemeinschaften und Ökosystemen zu schützen . Der Antarktis-Haftungsannex und somit das Antarktis-Haftungsgesetz leisten hier ei- nen wichtigen Beitrag . Carsten Träger (SPD): Die Antarktis ist eines der wenigen noch weitgehend unbeeinflussten natürlichen Ökosysteme und verdient besonderen Schutz . Deshalb wurde schon im Jahre 1961 der Antarktisvertrag beschlos- sen . In ihm haben die Unterzeichnerstaaten geregelt, dass die Antarktis ausschließlich zu friedlichen, nicht aber zu militärischen Zwecken genutzt werden darf . Schwer- punkt muss die wissenschaftliche Forschung sein . Die Antarktis ist aber nicht nur als Ökosystem schützenswert, sie ist auch eine Schlüsselregion für das Klima auf unse- rer Erde . Und sie ist das größte Süßwasserreservoir der Welt . Rund 70 Prozent des Süßwassers der Erde sind in der Antarktis als Eis gebunden . Gründe für einen beson- deren Schutz der Antarktis gibt es somit mehr als genug . Um das fragile Ökosystem zu schützen, wurde der Antarktisvertrag 1991 durch das Zusatzprotokoll ergänzt . Es verbietet seither unter anderem alle Aktivitäten zur Öl- und Erzförderung bis 2046 – eine wichtige Entscheidung für den Schutz dieser letzten großen Wildnis der Erde . Doch wer haftet, wenn in der Antarktis ein Unfall passiert, der die Umwelt gefährdet? Nachdem 13 Jah- re verhandelt wurde, konnte im Jahr 2005 endlich die Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Antark- tis-Vertrag (USP) beschlossen werden . In ihr werden Haftungsfragen bei umweltgefährdenden Notfällen in der Antarktis geregelt . Damit wird eine bislang bestehen- de Lücke im völkerrechtlichen System des antarktischen Umweltweltschutzes geschlossen . Nach jahrelangen Ver- handlungen ist endlich klar geregelt: Wer die Umwelt in der Antarktis beschädigt oder verschmutzt, soll zukünftig für die Vermeidung oder Beseitigung der Schäden haf- ten . Wer in Zukunft in der Antarktis aktiv ist, muss dann Vorsorge- und Gegenmaßnahmen zur Vermeidung und Bekämpfung umweltgefährdender Notfälle treffen. Als Notfall wird jeder Unfall definiert, der zu erheblichen nachteiligen Auswirkungen auf die antarktische Um- welt führt oder unmittelbar zu führen droht . Auch wird im Antarktis-Haftungsgesetz festgelegt, dass Organisa- tionen oder Unternehmen für entstandene Schäden und deren Beseitigung aufkommen müssen . Die neuen Regelungen müssen nun international und national umgesetzt werden . Mit dem Antarktis-Haf- tungsgesetz setzt Deutschland den Haftungsannex zum internationalen Antarktis-Umweltschutzprotokoll in in- nerstaatliches Recht um . Er wurde im Januar vom Bun- deskabinett verabschiedet . Neben dem Haftungsgesetz hat das Kabinett einen weiteren Gesetzentwurf beschlos- sen . Dieser dient der Genehmigung des Haftungsannexes und schafft damit die Voraussetzung, dem Haftungsan- nex völkerrechtlich bindend beitreten zu können . Als zuständiger Berichterstatter für Naturschutz und Biodiversität begrüße ich diese Umsetzung ausdrücklich und bin mir sicher, dass dieser Gesetzentwurf hier im Haus große Zustimmung finden wird. Es ist ein weiterer Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723390 (A) (C) (B) (D) Schritt, um die einzigartige Umwelt in der Antarktis zu schützen . Endlich gibt es konkrete Regeln und Verfahren, um die Auswirkungen umweltgefährdender Situationen auf die antarktische Umwelt zu verhindern oder zu kom- pensieren . So wichtig die heutige Verabschiedung von Haftungs- regeln ist, für den Erhalt der Antarktis steht etwas ande- res ganz oben auf der Tagesordnung: die Begrenzung der globalen Erderwärmung . Lange Zeit schien der Klima- wandel der Antarktis nichts anhaben zu können . In den vergangenen Jahren aber mehren sich die Hinweise der Wissenschaftler darauf, dass in der Antarktis schon ver- hältnismäßig kleine Veränderungen gigantische Folgen haben können . Denn nirgendwo sonst auf der Erde wird es schneller warm als in der Arktis und Antarktis . Ent- sprechend schrumpfen die Eisflächen an Nord- und Süd- pol . Nach Berechnungen verschiedener Wissenschaftler würde das Verbrennen aller weltweit verfügbaren fos- silen Ressourcen von Kohle, Öl und Gas dazu führen, dass es zu einem vollständigen Abschmelzen der antark- tischen Eisdecke kommen kann . Wir müssen also – auch um die Antarktis zu schützen – dem Klimaschutz obers- te Priorität einräumen und alles tun, damit die Staaten ihre Klimaziele erhöhen und die globale Erwärmung die Zwei-Grad-Schwelle nicht überschreitet . Birgit Menz (DIE LINKE): Zwar gleicht die Antarktis einer unwirklichen Welt, die scheinbar nur aus einer di- cken Schicht Eis besteht . Doch so karg und verlassen die- ser riesige Kontinent wirkt, ist er bei Weitem nicht . Vor allem an und in den umliegenden Meeren leben verschie- denste Tier- und Pflanzenarten. An den teils eisfreien Küsten gibt es unter anderem Wale, Robben, aber auch zahlreiche Vogel- und Pinguinarten . Nicht zu vergessen, die gigantischen Krill- und Fischschwärme, die elemen- tar für eine funktionierende Nahrungskette sind . Um die Antarktis in ihrer Einzigartigkeit und weit- gehenden Unberührtheit als wichtiges Element des glo- balen Ökosystems zu schützen und dennoch zu nutzen, wurde bereits im Jahr 1991 das Umweltschutzprotokoll als Teil des antarktischen Vertragssystems beschlossen . Es ist mit seinen insgesamt sechs Anhängen eines der umfangreichsten internationalen Regelungsabkommen für den Schutz der Umwelt einer bestimmten Region un- seres Planeten . Nun, nach fast zwölf Jahren, liegt uns endlich der Ent- wurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Haftungsrege- lungen für die Antarktis vor . Die Umsetzung und Etablie- rung geeigneter Regeln und Verfahren zur Haftung bei umweltgefährdenden Notfällen sind von großer Wich- tigkeit, um negative Auswirkungen auf die antarktische Umwelt zu verhindern . Betrachtet man die globale und ökologische Wichtig- keit der Antarktis, kann die Umsetzung des Haftungs- annexes jedoch nur ein weiterer Schritt von vielen noch folgenden sein, um einen nachhaltigeren und umfassen- deren Schutz der Antarktis voranzutreiben . Denn trotz aller Bemühungen, menschliche Einflüsse von der Antarktis fernzuhalten, stellen auch hier Um- weltverschmutzung, Überfischung – insbesondere durch illegale Fischerei – und Klimawandel für das antarkti- sche Ökosystem eine reale Bedrohung dar . Vor allem der ansteigende Tourismus hat das Potenzi- al, die antarktische Umwelt negativ zu beeinträchtigen . Damit einher gehen beispielsweise der vermehrte Perso- nenverkehr mittels Flugzeug oder Schiff und somit auch der zunehmende Ausstoß von Abgasen, mehr Müll und natürlich auch die Gefahren potenzieller Schiffsunfälle und deren für die Umwelt verheerenden Folgen . In diesem Zusammenhang zitiere ich gerne das Um- weltbundesamt mit den Worten: „Touristinnen und Tou- risten haben die Möglichkeit, in bisher völlig unberührte Gebiete der Antarktis zu gelangen, und stellen somit per se eine Gefährdung für die unangetastete Wildnis dar .“ Es ist daher wichtig, im Rahmen zukünftiger Entwick- lungen des antarktischen Vertragssystems dafür Sorge zu tragen, dass der menschliche Einfluss durch Tourismus, Forschung oder auch Fischerei auf ein absolutes Min- destmaß reduziert wird, um dieses Gebiet in seiner Ur- sprünglichkeit und Wichtigkeit für das globale Öko- und Klimasystem so weit wie möglich zu erhalten . Im Sinne des internationalen Ratifizierungsprozesses wäre es wichtig gewesen, einen Entwurf zum Haftungs- gesetz schon viel eher einzubringen . Beabsichtigt man, eine tragende Rolle in Sachen Umweltschutz in der Ant- arktis zu spielen, ist Deutschland in der Pflicht, derartige Abkommen so schnell wie möglich in nationales Recht umzusetzen und damit ein Signal an die übrigen Staaten zu senden . Meeres- und Umweltschutz sind entscheidend, um die ökologische Vielfalt der Antarktis zu bewahren, aber auch, um die Widerstandsfähigkeit im Kampf gegen den Klimawandel zu erhöhen . Daher ist es nicht nur wichtig, Verantwortliche für entstandene Umweltschäden in der Antarktis haftbar zu machen, sondern in Zukunft auch unberührte Ökosysteme und Meeresgebiete in der Ant- arktis vor menschlichen Eingriffen zu schützen. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mehr als ein Jahrzehnt ist es her, dass die internationalen Ver- tragsstaaten des 1961 in Kraft getretenen Antarktis-Ver- trags in Stockholm zusammengekommen sind, um Ei- nigung über Haftungsfragen bei umweltgefährdenden Notfällen in der Antarktis zu erzielen . Und so hat es auch länger als ein Jahrzehnt gedauert, damit die Bundesregie- rung nun endlich die Anlage VI des Antarktis-Umwelt- protokolls in die Deutsche Rechtsordnung überträgt . Durch den vorliegenden Gesetzentwurf werden Prä- ventions-, Reaktions- und Kompensationspflichten für in der Antarktis agierende Akteure etabliert . Es hat Si- gnalwirkung, dass Deutschland sich diesen Pflichten stellt, und es ist wichtig, dass weitere Staaten diesem Beispiel folgen . Denn die Einzigartigkeit des antarkti- schen Ökosystems und seine Rolle für die Regulation des Weltklimas und als Kinderstube für Tausende von Polar- und Meeresorganismen sind herausragend . Durch die ex- tremen Eigenschaften dieses Ökosystems besteht jedoch auch eine besondere Fragilität . Deswegen begrüßen wir die Umsetzung des Antarktis-Haftungsannexes in dem Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23391 (A) (C) (B) (D) von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf . Dass dieser jedoch erst ein Jahrzehnt nach der Einigung von Stockholm vorgelegt wird, ist schlicht und einfach zu spät . Mit 80 internationalen Forschungsstationen und bis zu 4 000 stationierten Wissenschaftlern, zunehmendem Tourismus und Nutzungsinteressen im Südpolarmeer ist auch die Gefahr von umweltgefährdenden Notfällen in den letzten Jahren angestiegen und wird weiter steigen . Gerade Deutschland hat die Verantwortung, als eine der führenden Forschungsnationen im Bereich der Meeres- und Polarforschung mit positivem Beispiel voranzu- gehen . Für die Bundesregierung gilt es nun, sich dieser Verantwortung bewusst zu sein und sich auf internatio- naler Ebene engagiert für die Ratifizierung durch weitere Staaten einzusetzen, damit der Schutz der Antarktis wei- ter gestärkt wird . Seit der Übereinkunft der Vertragsstaaten zum Ant- arktis-Vertrag 1959 und der Verabschiedung des Um- weltschutzprotokolls in den 1990ern hat sich die Welt drastisch verändert . Die dramatischen Auswirkungen der Klimakrise sind der eigentliche umweltgefährdende Not- fall in der Antarktis . Bisher galt die Antarktis als weitest- gehend verschont von der Klimakrise und musste als Ar- gumentationsstütze für Klimakrisenleugner von der AfD bis zum US-amerikanischen Präsidenten herhalten . Doch spätestens in diesem antarktischen Sommer ist Schluss damit . Die Eisbedeckung hat einen nie dagewesenen Negativrekord erreicht, und die Temperaturen haben mo- natlich neue Hitzerekorde erreicht . Das bedroht nicht nur die an die antarktischen Lebensbedingungen angepassten und hochgradig spezialisierten Tiere, sondern durch das massive Abschmelzen der antarktischen Gletscher auch Millionen von Menschen weltweit: auf Inselstaaten, in Küstenregionen und durch vermehrt auftretende Extrem- wetterereignisse auch in Deutschland . Wer übernimmt die Haftung für diesen umweltgefährdenden Notfall in der Antarktis? Zwar war der Anteil der Antarktis am ansteigenden Meeresspiegel bisher eher zu vernachlässigen, die letz- ten Erkenntnisse von deutschen Wissenschaftlern lassen jedoch einen klaren Trend erkennen . Das bisher als Kor- ken fungierende Schelfeis schmilzt durch den Anstieg der Temperaturen dahin . Der Korken der antarktischen Gletscher wird langsam, aber stetig gezogen . In der Ant- arktis befinden sich bis zu 80 Prozent des weltweiten Süßwasservorrats . Rein theoretisch würde ein gesamtes Abschmelzen der antarktischen Gletscher einen Mee- resspiegelanstieg von 60 Metern zur Folge haben . Ganz real hat jedoch schon heute jeder Zentimeter Meeresspie- gelanstieg weitreichende Konsequenzen weltweit . In der gestrigen Sitzung des Umweltausschusses hat die Parlamentarische Staatssekretärin Rita Schwarzelühr- Sutter verdeutlicht, dass sich die Bundesregierung der Lage in der Antarktis durchaus bewusst ist, und auf den Klimavertrag von Paris verwiesen . Und selbstverständ- lich ist der Klimavertrag von Paris ein historischer Erfolg für den Klimaschutz, aber dann muss die Bundesregie- rung eben auch national für diesen entschieden eintreten und nicht schon im ersten Jahr diesen nach allen Regeln der Kunst verwässern . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchfüh- rung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insol- venzverfahren (Tagesordnungspunkt 26) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren . Erstens . Der Entwurf passt zunächst die Bestimmun- gen der Neufassung der Europäischen Insolvenzverord- nung (EuInsVO) in das deutsche Verfahrensrecht ein . Dazu sieht er insbesondere die Einführung eines neuen Artikels 102c EGInsO vor, der sich an den geltenden Bestimmungen des Artikels 102 EGInsO orientiert . Der neue Artikel 102c EGInsO berücksichtigt jedoch auch die Ergänzungen und Änderungen, die die Neufassung im Vergleich zur noch geltenden Fassung der EuInsVO erfahren hat . So enthält er insbesondere Bestimmungen zu den in der Neufassung erstmals vorgesehenen Rechts- behelfen und gerichtlichen Entscheidungen, zur örtli- chen Zuständigkeit bei sogenannten Annexklagen, zu verfahrensrechtlichen Einzelheiten der „synthetischen“ Abwicklung von Sekundärinsolvenzverfahren und zu Einzelfragen bei der Bewältigung der Insolvenz der Mit- glieder von Unternehmensgruppen . Das alles ist im We- sentlichen „technisches Recht“ . Wir konnten hier noch viele Details im Gesetzge- bungsverfahren klarer regeln . Den Sachverständigen Kolja von Bismarck, Stephan Madaus und Christoph Niering, die uns hierbei mit ihren Stellungnahmen für unser erweitertes Berichterstattergespräch unterstützt haben, sei deshalb auch an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön gesagt . Zweitens . Wichtiger erscheint – wie ich schon in meiner Rede anlässlich der ersten Lesung des Gesetz- entwurfs gesagt habe – die sozusagen am Rande vorge- schlagene Änderung der §§ 13 und 15a der Insolvenzord- nung . Hier geht es um Reaktionen auf Unstimmigkeiten, die sich bei früheren Änderungen der Insolvenzordnung ergeben haben . So hatte der Deutsche Bundestag näm- lich im ESUG die Anforderungen an einen „korrekten“ Insolvenzantrag in § 13 InsO deutlich erhöht, letztlich um den Insolvenzgerichten eine schnellere und bessere Sachbehandlung des Antrags zu ermöglichen . Das aber hat – naturgemäß – die Fehleranfälligkeit von Insolvenz- anträgen erhöht . Nachdem aber im aktuell geltenden Recht § 15a Ab- satz 4 InsO die Strafbarkeit auch eines „nicht richtig“ gestellten Insolvenzantrages wegen Insolvenzverschlep- pung begründet, gibt es einen Zielkonflikt: Die eigentlich vom Gesetzgeber gewollte zügige Antragstellung wird nämlich schwierig, wenn alle Anforderungen des § 13 InsO korrekt beachtet werden sollen . Werden sie ande- rerseits nicht beachtet, droht Strafbarkeit . Die Insolvenz- gerichte haben sich hier damit beholfen, die (schnelle) Nachbesserung eines zunächst nicht richtigen – und da- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723392 (A) (C) (B) (D) mit möglicherweise unzulässigen – Insolvenzantrages zu verlangen . Wer in einem solchen Fall rechtzeitig nach- bessert, entgeht auch der Strafbarkeit . Diesen Ansatz greift der Gesetzentwurf nunmehr – zu Recht – auf . Gegenüber der Fassung des Regierungsentwurfs ha- ben wir die zunächst vorgeschlagene Neufassung des § 13 Absatz 3 InsO geändert: Die jetzt vorgeschlagene Fassung sieht vor, dass das Gericht den Antragsteller im Falle der Unzulässigkeit des gestellten Insolvenzan- trags auf diese Unzulässigkeit hinweist und ihm Gele- genheit gibt, den Mangel binnen einer angemessenen Frist zu beseitigen . Unvollständigkeiten des Antrages sind danach nur noch dann von Bedeutung, wenn sie zur Unzulässigkeit des Antrags führen . Vor allem aber haben wir auf die Festlegung einer Höchstfrist verzich- tet, um kein Einfallstor dafür zu öffnen, die Eröffnung von Insolvenzverfahren durch fehlerhaft gestellte Insol- venzanträge zu verschleppen . Für die Bestimmung des für eine Insolvenz anfechtung maßgeblichen Zeitraums bleibt aber alles beim Alten: Es kommt also für etwaige Rückrechnungen auf den Zeitpunkt der Stellung des un- richtigen Insolvenz antrages an, auch wenn ein zunächst unrichtig gestellter Antrag erst infolge seiner späteren Nachbesserung zur Verfahrenseröffnung führt. Als Folge konnte § 15a Absatz 4 InsO zunächst ver- einfacht werden, indem – wie im bislang noch geltenden Recht – nur noch auf die „nicht richtige“ Stellung des Insolvenzantrages abgestellt wird . Das Stellen eines un- richtigen Insolvenzantrags ist damit zunächst unabhängig davon strafbar, ob dem Antragsteller ein entsprechender Hinweis nach dem auch neu zu fassenden § 13 Absatz 3 InsO gegeben wurde oder er sonst Kenntnis davon erhal- ten hat . Allerdings wollen wir die Strafbarkeit, wie im neuen § 15a Absatz 6 InsO vorgeschlagen, jetzt an die „objektive Bedingung“ knüpfen, dass das Insolvenzge- richt den gestellten Antrag auch tatsächlich als unzuläs- sig zurückweist . Eine Strafbarkeit soll danach künftig nur noch dann in Betracht kommen, wenn der Antragstel- ler einen entsprechenden gerichtlichen Hinweis mit dem Ziel einer Nachbesserung binnen einer gesetzten Frist missachtet oder ihn nicht richtig umsetzt, der Antrag also unzulässig bleibt . Drittens . In der ersten Lesung zum Gesetzentwurf hatte ich darauf hingewiesen, dass es im Bereich der In- solvenzantragspflicht noch weiteren Handlungsbedarf, insbesondere für den Bereich der „Gründungsfinanzie- rung“ gibt; meine Fraktion hatte hierzu entsprechende Formulierungsvorschläge vorgelegt . Alle genannten Sachverständigen haben diese Einschätzung in dem er- wähnten Berichterstattergespräch geteilt, insbesondere was den Vorschlag angeht, die Strafbarkeit wegen Ver- letzung der Insolvenzantragspflicht nur noch auf Antrag zu verfolgen . In diesem Punkt abweichend von unserem Vorschlag ergab sich dort zudem ein relativ weit reichen- der Konsens, dass es Sinn machen könnte, die Antragsbe- rechtigung in die Hände des Insolvenzrichters zu legen . Bedauerlicherweise war unser Koalitionspartner un- ter Verweis auf die Position des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz nicht bereit, diese – ei- gentlich recht einfache – Änderung in diesem Gesetzge- bungsverfahren zu verwirklichen . Dass die ebenfalls un- sererseits vorgeschlagenen Änderungen im Bereich des Überschuldungsbegriffs (§ 19 InsO) breit diskutiert wer- den müssen, ist zwar richtig . Ich meine aber: Diese Dis- kussion haben wir schon lange geführt, und wir sollten jungen Unternehmensgründern nicht noch weiter Steine in den Weg legen . Ich bitte um Zustimmung zu dem Gesetzentwurf . Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Das deutsche Insolvenzrecht unternimmt den Versuch, in der schwieri- gen Situation der Zahlungsunfähigkeit zu einem gerech- ten Ausgleich der unterschiedlichen Interessen zu kom- men, die im Raum stehen . Dabei geht es auch um den Schutz des Rechtsverkehrs und der Allgemeinheit . Den- noch muss der Rechtsstaat der Versuchung widerstehen, zu diesem Schutzzweck übertriebene Anforderungen zu stellen. Dies betrifft insbesondere die Frage, welche Anforderungen an einen Insolvenzantrag zu stellen sind . Deshalb bin ich froh, dass der vorliegende Entwurf hier für Klarheit in der Praxis sorgen wird . Zudem ziehen Veränderungen der Märkte und der praktischen Handhabe auch immer wieder Änderungs- und Anpassungsbedarf in der Rechtsordnung nach sich . Ziel ist, die Rechtsordnung an die Herausforderungen unserer Zeit anzupassen . Im Mittelpunkt steht zunächst eine Neufassung des § 15a Insolvenzordnung . Die Tatbestandsalternative des „nicht richtig“ gestellten Insolvenzantrags wird gestri- chen werden . Stattdessen erfolgt eine Neustrukturierung des Absatzes 2 . Eine Strafbarkeit wegen eines rechtzeitig, aber nicht richtig gestellten Insolvenzantrags soll dem- nach nur noch dann vorliegen, wenn der antragstellende Schuldner seinen Antrag innerhalb von drei Wochen ab Zustellung einer richterlichen Aufforderung nicht nach- bessert . Diese Neuregelung verklart und konkretisiert damit in erfreulicher Art und Weise die bisherige Rechts- praxis und verändert diese Sachfrage sachgerecht und angemessen . Daneben werden weitere Unklarheiten beseitigt, die in der bisherigen Rechtspraxis seit der letzten EU-Ver- ordnung durch die Rechtsprechung aufgeworfen wurden . Auch hier enthält der vorliegende Entwurf zahlreiche weitere Verbesserungen in der Praxis . Ich bin dem Kollegen Hirte sehr dankbar, dass er im parlamentarischen Verfahren eine weitere praktische He- rausforderung aufgeworfen hat: Gerade im Bereich der Start-ups und der Gründungen besteht immer wieder das Problem, dass dort die Finanzausstattung von Tag zu Tag stark schwanken kann – gerade dann, wenn die Neugründung auch ohne ein großes Polster an Eigenka- pital gewagt wird . Umgekehrt wünschen wir uns aber am Technologie- und Forschungsstandort Deutschland Gründergeist und Start-up-Initiativen . Leider sind wir hier in den parlamentarischen Bera- tungen mit unserem Koalitionspartner nicht weiter ge- kommen . Um Missverständnisse auszuräumen: Es geht bei dieser Frage nicht um eine Aufweichung des Insol- venzrechts, sondern um eine praxistaugliche Ausrich- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23393 (A) (C) (B) (D) tung – ein Ansatz, den wir über die heutige Anpassung hinaus nicht aus den Augen verlieren sollten . Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Mit der heutigen Debatte schließen wir eine gute Sache ab . Ich kann sehr stolz sagen, dass wir den Prüfauftrag, den wir im Koaliti- onsvertrag vereinbart haben, mit dem Gesetz zur Durch- führung der EU-Verordnung über Insolvenzverfahren vollständig erfüllt haben . Es ist uns nicht nur gelungen, unterschiedliche Schwachstellen in den bisherigen Vor- schriften zu finden und diese nachzubessern, nein, es ist auch gelungen, die deutsche Insolvenzordnung in Ein- klang mit den europäischen Vorschriften zu bringen . Einer Umsetzung in das deutsche Recht bedarf die Verordnung nicht; das Gesetz passt aber die Bestim- mungen der Neufassung in das deutsche Verfahrensrecht ein . Es sieht insbesondere die Einführung eines neuen Artikels 102c EGInsO vor, der sich an den geltenden Bestimmungen des Artikels 102 EGInsO orientiert . Der neue Artikel 102c EGInsO enthält insbesondere Bestim- mungen zu den in der Neufassung erstmals vorgesehenen Rechtsbehelfen und gerichtlichen Entscheidungen, zur örtlichen Zuständigkeit bei sogenannten Annexklagen, zu verfahrensrechtlichen Einzelheiten der Abwicklung von Sekundärinsolvenzverfahren und zu Einzelfragen bei der Bewältigung der Insolvenz der Mitglieder von Unternehmensgruppen . Wie es zu einer ordentlichen Gesetzgebung gehört, wurden Expertenmeinungen auch hier nicht außer Acht gelassen . Nach dem intensiven fachlichen Austausch der Sachverständigen wurden durch den Änderungsantrag weitere Nachbesserungen eingepflegt. Bemerkenswert war jedoch, dass sämtliche Sachverständige den Regie- rungsentwurf als durchaus gelungen bezeichneten . Die- ses Lob gebe ich gerne an Bundesminister Maas und sein Haus weiter . Darüber hinaus wurde das vom Bundestag am 9 . März 2017 mühsam verabschiedete Gesetz zur Er- leichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen eingepflegt. Die Ausschussberatungen haben gezeigt, dass die Re- gelungen des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Insolvenzverschleppung (§§ 13, 15a der Insolvenzord- nung in der Entwurfsfassung – InsO-E) Anlass geben, das Insolvenzstrafrecht weitergehend und grundlegend zu ändern . In der nun geänderten Fassung sieht § 13 Ab- satz 3 InsO-E vor, dass das Gericht den Antragsteller im Falle der Unzulässigkeit des gestellten Antrags auf die Unzulässigkeit hinweist und ihm Gelegenheit gibt, den Mangel binnen einer angemessenen Frist zu beheben . Das ist gut und richtig . Mit der Anknüpfung an die Un- zulässigkeit des Antrags stellt § 13 Absatz 3 InsO-E in seiner geänderten Fassung klar, dass eine Unvollständig- keit des Antrags nur dann relevant ist, wenn die fehlende Angabe zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen gehört . Mit den Änderungen des § 15a InsO-E soll sicherge- stellt werden, dass das Stellen eines unrichtigen Eröff- nungsantrags unabhängig davon strafbar sein kann, ob dem Antragsteller der gerichtliche Hinweis im Sinne von § 13 Absatz 3 InsO-E zugestellt worden ist oder der Antragsteller auf sonstige Weise von diesem Kenntnis erlangt . Die Strafbarkeit wird allerdings an die objekti- ve Bedingung geknüpft, dass das Gericht den Antrag als unzulässig zurückweist . Ich freue mich ausdrücklich, dass die konstruktive Zusammenarbeit aller Beteiligten zu einen guten Ergeb- nis geführt hat . Es bedeutet aber nicht, dass wir weitere Entwicklungen nicht berücksichtigen werden . Nach der Evaluierung des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen ist es nicht ausgeschlossen, ich meine sogar erwartbar, dass wir erneut nachsteuern müssen . Aber auch hier gilt der Grundsatz allen Han- delns: Das Einzige, was gewiss ist, ist die Veränderung . Dr. Axel Troost (DIE LINKE): Seit Inkrafttreten der Europäischen Insolvenzverordnung 1346/2000 im Jahr 2002 besteht in der Europäischen Union ein einheit- licher Rechtsrahmen für die Behandlung von grenzüber- schreitenden Insolvenzen . Aus dem 2012 von der Euro- päischen Kommission vorgelegten Evaluationsbericht zur Europäischen Insolvenzverordnung ist die Verord- nung 2015/848 hervorgegangen, die am 26 . Juni 2017 in Kraft tritt und die bisherigen Regelungen der Europäi- schen Insolvenzverordnung neu fasst . Bei den Regelungen handelt es sich nicht um eine Anpassung oder Vereinheitlichung der nationalen Vor- schriften zum jeweiligen Insolvenzrecht, sondern über- wiegend um Kollisions- und Verfahrensregeln, um die unterschiedlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten so zu verzahnen, dass grenzüberschreitende Insolvenzen im Binnenmarkt besser bewältigt werden können . Es werden damit unter anderem Fragen der Gerichtszustän- digkeit, der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit so- wie des im Einzelfall anwendbaren Rechts beantwortet . Europäische Verordnungen wie die Insolvenzverord- nung sind Rechtsakte, die in jedem Mitgliedstaat unmit- telbar als Gesetz gelten . Im Gegensatz zu Richtlinien bedürfen sie keiner Umsetzung in nationales Recht und lassen keine nennenswerten Spielräume für den nationa- len Gesetzgeber offen. Der deutsche Gesetzgeber nahm das Inkrafttreten der Europäischen Insolvenzverordnung dennoch zum An- lass, im deutschen Recht Verfahrensvorschriften aufzu- nehmen, um das nationale Insolvenzrecht besser in die vorgeschriebenen Verfahrensabläufe des Unionsrechts einzupassen . Auch das vorliegende Gesetz ist ein solches Durch- führungsgesetz, das die Änderungen der Europäischen Insolvenzverordnung aufgreift . Es ist eine undankbare Aufgabe für Abgeordnete, zu einem solchen Gesetz zu debattieren . Zwar ist das internationale Insolvenzrecht durchaus eine praktisch relevante und spannende Materie . Doch die laut zu ver- nehmende Kritik an Einzelregelungen der Europäischen Insolvenzverordnung muss in Brüssel debattiert werden . Hier im Deutschen Bundestag müssen wir uns auf das Durchführungsgesetz beschränken . Und selbst wenn es, wie bei jedem Gesetz selbstverständlich auch hier, auf eine ordentliche handwerkliche Umsetzung ankommt – praktische Relevanz haben die Regelungen im Zweifels- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723394 (A) (C) (B) (D) fall nicht, da die Europäische Verordnung Vorrang hat und alleiniger Maßstab bei der Bewältigung auftretender Rechtsprobleme ist . Insgesamt ist die Fachwelt, die täglich mit dem Gesetz konfrontiert ist, mit den Durchführungsvorschriften ein- verstanden . Wir begrüßen, dass sich die Koalitionsfrak- tionen im Rechtsausschuss die Verbesserungsvorschläge der Praktiker zu Herzen genommen und entsprechend nachgebessert haben . Besonders begrüßen wir die in der Beschlussempfeh- lung dargelegte Einsicht, nicht das gesamte Insolvenz- strafrecht auch noch im Zuge dieses Gesetzgebungsvor- habens und allein aufgrund von Ausschussberatungen umfassend zu reformieren – eine Einsicht, die bei ande- ren Vorhaben in diesem Hause leider nicht häufig zu be- obachten ist . Die von meinem Kollegen Professor Hirte in den Beratungen zur Diskussion gestellten Vorschläge zur Begrenzung der Strafbarkeit im Rahmen von Insol- venzen sind rechtspolitisch diskussionswürdig, bedürfen aber intensiverer Beratungen in einem eigenständigen Gesetzgebungsvorhaben . Abschließend bleibt anzumerken, dass die vom Rechtsausschuss hier empfohlene Änderung des § 15a InsO – Insolvenzverschleppung – gegenüber dem Regie- rungsentwurf ein erster richtiger Schritt zu mehr Klarheit und Bestimmtheit der Norm ist . Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Diesen Gesetzentwurf hätten wir eigentlich bereits im März in abschließender Lesung gemeinsam mit dem Konzernin- solvenzrecht behandeln können . Gleich zu Beginn möchte ich vorwegnehmen, dass ich dem Gesetzentwurf in seiner jetzigen Fassung zustim- men werde . Er dient im Wesentlichen der Durchführung der EU-Verordnung vom 20 . Mai 2015 über Insolvenzver- fahren und löst die bestehende Verordnung aus dem Jahr 2000 für neu zu eröffnende Insolvenzverfahren ab. Das Gesetz passt das deutsche Verfahrensrecht an die neue EU-Verordnung an und schafft in Zeiten zuneh- mender grenzüberschreitender Handelsbeziehungen ein- heitliche Regelungen für die Abwicklung in der EU im Falle des wirtschaftlichen Scheiterns . Die Umsetzung des europäischen Rechts in nationales Recht wird zum Anlass genommen, auch die Regelungen zur Insolvenz- verschleppung zu reformieren . Eine Strafbarkeit wegen Insolvenzverschleppung wird nach dem neu eingefügten Absatz 6 in § 15a InsO auf die Fälle beschränkt, in denen der Antragsmangel dazu führt, dass das Gericht den Antrag auf Eröffnung des Insol- venzverfahrens rechtskräftig zurückweist . Die Strafbar- keit tritt also nur noch dann ein, wenn der Antragsteller den Eröffnungsantrag nach einem erteilten gerichtlichen Hinweis nicht nachbessert oder wenn die entsprechende Nachbesserung nicht zur Zulässigkeit des Eröffnungsan- trags führt und die Chance zur Antragsberichtigung so- mit ungenutzt bleibt . Das bloße „nicht richtige“ Stellen eines Antrags ge- nügt anders als bisher also nicht mehr für die Strafbarkeit und trägt in sinnvoller Weise dem Umstand Rechnung, dass das Verfahren der Insolvenzeröffnung sehr komplex ist . Für den Laien ist es oftmals kaum durchschaubar, welche Angaben für eine wirksame Verfahrenseröffnung erforderlich sind . Nach dem gerichtlichen Hinweis ist der Antragsteller damit im Bilde und in der Lage, die fehlen- den Angaben zu ergänzen . In der im vorigen Entwurf vorgesehenen Fassung soll- te bereits der „nicht vollständig“ gestellte Antrag eine Strafbarkeit begründen, wenn dieser nicht innerhalb einer Frist von drei Wochen nach Zustellung ergänzt wird . Das hätte gegenüber der jetzigen Rechtslage keine Verbesse- rung gebracht . Von daher ist es zu begrüßen, dass sich die Koalition an dieser Stelle doch noch durchgerungen hat, eine Strafvorschrift zu entschärfen . Angesichts der Fülle an neuen Straftatbeständen und Strafverschärfungen, die Sie in den letzten Monaten hier verabschiedet haben, ist jede Strafentschärfung mal eine erfreuliche Nachricht . In diesem Fall wurden die Sachverständigen, die als Prak- tiker näher an der Materie dran sind und die alltäglichen Probleme in der praktischen Umsetzung kennen, mit ihren Vorschlägen ausnahmsweise mal gehört, und ihre vorgeschlagenen Änderungen haben teilweise Eingang in das Gesetz gefunden . Daher hat sich das Expertenge- spräch in diesem Fall doch sehr gelohnt . Trotzdem bleibt das Grundproblem bei den Insolvenz- anträgen aber bestehen . Wir müssen von vornherein mehr zulässige Anträge schaffen, indem das Verfahren an sich vereinfacht wird und den Antragstellern mehr Hilfen etwa bei der Antragstellung zur Verfügung ge- stellt werden . Es wäre ja auch zu schade, wenn es in der nächsten Legislaturperiode keinen Anlass mehr gäbe, das Insolvenzrecht auf die Tagesordnung zu setzen . Ich be- fürchte allerdings, dass wir an diesen Anlässen auch in der nächsten Periode keinen Mangel haben werden . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zu bereichsspe- zifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung (Ta- gesordnungspunkt 27) Robert Hochbaum (CDU/CSU): Der heute ver- handelte Gesetzentwurf ist von größerer Bedeutung für unsere Bundeswehr . Denn neben jenen Regelungen zur Gesichtsverhüllung wird er auch die Neuregelung des Auslandsverwendungszuschlags umfassen . Und dieser ist insbesondere für unsere Soldatinnen und Soldaten be- deutsam, die fernab ihrer Heimat Dienst leisten . Es ist ja kein Geheimnis, dass sich die Sicherheitsla- ge, auch in Europa, verändert hat . Zu Recht wurde in der Vergangenheit von verschiedenen Seiten nachdrücklich darauf hingewiesen, dass Deutschland diesen veränder- ten Bedingungen vielfach Rechnung tragen muss . Wenn nun besonders unsere östlichen NATO-Part- ner in Sorge sind und auf den entschlossenen Beistand ihrer Verbündeten hoffen, so ist es nur natürlich, wenn Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23395 (A) (C) (B) (D) Deutschland diese Sorgen ernst nimmt und entsprechend handelt . Deshalb sind zum Beispiel auch Einheiten der Bundeswehr in das Baltikum entsandt worden . Diese Art von Aufträgen bezeichnen wir als einsatzgleiche Ver- pflichtungen, und sie werfen die Frage auf, wie wir sie unseren Soldatinnen und Soldaten vergüten sollen . Aktuell wird der AVZ ja nur denjenigen Frauen und Männern gewährt, die sich in mandatierten Einsätzen befinden. Einsatzgleiche Verpflichtungen werden jedoch nicht entsprechend vergütet . Momentan werden sie durch Auslandsdienstbezüge oder durch Vergütung zeitlicher Mehrleistung abgegolten . Das sollte kein dauerhafter Zustand bleiben! Denn damit entsteht ein prinzipieller Unterschied zwischen Soldatinnen und Soldaten in ähn- lichen Gebieten und mit ähnlicher Belastung . Das führt zum Beispiel zu Ungerechtigkeiten bei Soldatinnen und Soldaten, die im Baltikum eingesetzt sind, oder jenen Marineangehörigen, die in der Ägäis gegen das Schlep- perwesen engagiert sind . Auch diese Frauen und Männer sind über Wochen und Monate von zu Hause, von ihren Familien, getrennt . Auch sie sind täglich harten Bedin- gungen ausgesetzt, die sich nicht gravierend von denen mandatierter Einsätze unterscheiden . Völlig zu Recht hat unsere Ministerin betont, dass es eine Frage der Gerechtigkeit ist, wenn auch für diese ein- satzgleichen Verpflichtungen der AVZ gewährt wird. Es ist unser Auftrag, dem heute nachzukommen . Wenn nun von manchen gefordert wird, dass die Zah- lung dieser Vergütung auch rückwirkend gilt, so mag dies durchaus nachvollziehbar sein . So verständlich es aber ist, so muss doch festgehalten werden – und das Bun- desministerium der Justiz hat es bestätigt –: Ein rückwir- kendes Inkrafttreten ist ein Fall der echten Rückwirkung . Und dieser ist grundsätzlich verfassungsrechtlich unzu- lässig . Dieses Rückwirkungsverbot zu ignorieren, mag die Absicht auch noch so edel sein, hieße nichts anderes, als geltendes Recht bewusst zu ignorieren . Das ist sicher nicht Ziel dieses Vorstoßes und dient auch nicht den da- mit verbundenen Absichten . Jedes Gesetz entsteht in einem Prozess des Austauschs von Interessen und des Findens von Kompromissen . Der hier vorliegende Gesetzentwurf ist ein wichtiger Schritt im Interesse unserer Soldatinnen und Soldaten und unse- rer Sicherheitspolitik . Wenn wir uns mit diesen Themen befassen, so dürfen wir nicht vergessen: Sicherheit und Frieden in Deutsch- land werden nicht zuletzt durch die Soldatinnen und Sol- daten gewährleistet, die oft unter zahlreichen Risiken und mit größtem persönlichem Einsatz täglich ihren Dienst verrichten. Darum sollten wir uns ihnen verpflichtet füh- len . Ich bitte um Ihre Zustimmung zum Gesetzentwurf . Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Zum Abschluss des parlamentarischen Verfahrens zu den bereichsspezi- fischen Regelungen der Gesichtsverhüllung möchte ich die Gelegenheit nutzen, meine Zustimmung zu dem Ge- setzentwurf einschließlich der Änderungen, die wir von der CDU/CSU-Fraktion gemeinsam mit unserem Koali- tionspartner eingebracht haben, zu erläutern . Demnach dürfen Beamtinnen und Beamte sowie Sol- datinnen und Soldaten bei Ausübung ihres Dienstes so- wie bei Tätigkeiten mit unmittelbarem Dienstbezug ihr Gesicht nicht verhüllen . Ausnahmen sind nur aus dienst- lichen und gesundheitlichen Gründen möglich . Endlich schaffen wir als Gesetzgeber eine klare Regelung, mit der untersagt wird, aus weltanschaulich-religiösen Mo- tiven in bestimmten Bereichen im Dienst das Gesicht zu verhüllen. Wir leben in einer offenen Gesellschaft. Unser Zusammenleben beruht darauf, dass man sich unterei- nander offen begegnet. So ist es meiner Ansicht nach nur folgerichtig, dass die Repräsentanten des Staates bei der Ausübung ihrer Tätigkeit Offenheit zeigen und dadurch zur Vertrauensbildung beitragen . Dies ist mit einem ver- hüllten Gesicht nicht möglich . Aus dem gleichen Grund finden sich im vorliegen- den Gesetzentwurf Verbote der Gesichtsverhüllung auch für Mitglieder der Wahlausschüsse und Bürger, die ihre Stimme abgeben möchten . Es muss zu jeder Zeit ein Ab- gleich des Gesichts mit einem Ausweispapier möglich sein . Für mich ist dies eigentlich eine Selbstverständlich- keit . Keiner, der sich in unserem Land aufhält, kann sich einer Identitätsfeststellung entziehen . Dies werden wir nun im Personalausweisgesetz regeln . Wir haben uns in den Beratungen zu dem Gesetzent- wurf darauf geeinigt, das Verfahren dazu zu nutzen, wei- tere dienstrechtliche Regelungen zu treffen. Ich möchte hierzu einzelne Punkte herausgreifen: Um den Dienstbetrieb und die Einsätze der Bundes- wehrfeuerwehr weiterhin sicherzustellen, werden wir eine kurzfristige Verlängerung der bis 2017 befristeten Opt-out-Regelung der Arbeitszeitverordnung festlegen . Die freiwillige Erhöhung der Arbeitszeit für Feuerwehr- leute der Bundeswehr wird bis Ende 2019 gelten . Mit einer Änderung des Beamtenversorgungsgesetzes bezüglich der Ruhensregelung für Renten aus der Al- terssicherung der Landwirte haben wir den Forderungen des Bundesrechnungshofes und des Rechnungsprüfungs- ausschusses des Deutschen Bundestages Rechnung ge- tragen . Nunmehr unterliegt künftig die Anrechnung von Renten aus der Alterssicherung für Landwirte auf die be- amtenrechtlichen Versorgungsbezüge nicht der Ruhens- regelung . Eine Verbesserung für unsere Bundeswehrsoldaten wird durch eine Änderung des Beamtenbesoldungsge- setzes erfolgen . Verwendungen von Bundeswehrsolda- ten sollen künftig einheitlich mit dem Auslandsverwen- dungszuschlag abgegolten werden . Damit werden die bislang für vergleichbare Verwendungen mit vergleich- baren Belastungen in unterschiedlicher Höhe gezahlten Bezüge auf einen einheitlichen Satz gebracht . Viele notwendige Neuerungen im Zuständigkeitsbe- reich des Innenressorts werden mit dem vorliegenden Gesetzentwurf angegangen und sinnvoll umgesetzt . Den Kern des Entwurfes bilden aber die bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung . Wir von der Uni- onsfraktion im Deutschen Bundestag sind davon über- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723396 (A) (C) (B) (D) zeugt, dass wir mit dem Gesetz das richtige Signal an unsere Gesellschaft senden . Ich möchte noch einmal verdeutlichen: In der Burka oder Nikab sehen wir ein Integrationshemmnis . Für mich bedeutet Integration auch, dass wir unsere Werte und die Grenzen unserer Toleranz gegenüber anderen Kulturen deutlich machen . Der vorliegende Gesetzentwurf leistet hierzu einen wertvollen Beitrag . Dr. Lars Castellucci (SPD): Wir beraten heute den Gesetzentwurf zur bereichsspezifischen Regelung der Gesichtsverhüllung in zweiter und dritter Lesung . Im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf wurde in der Diskussion gerne argumentiert, dies sei Symbolpo- litik oder symbolische Politik. Dabei wird der Begriff „symbolische Politik“ meist unpräzise und oft abfällig verwendet . Es ist deshalb sehr erhellend, sich einmal mit den theoretischen Konzeptionen zur symbolischen Poli- tik zu beschäftigen . Grundlegend für das Verständnis des Begriffs ist das auf Murray Edelman zurückgehende Konzept der „sym- bolischen Politik“ . Edelmans Ansatz geht von einer Dop- pelung der politischen Realität aus . Darunter versteht er, dass alle politischen Handlungen und Ereignisse gekenn- zeichnet sind durch die Trennung in eine instrumentelle Dimension bzw . einen Nennwert – also die tatsächlichen Effekte der politischen Handlung – und eine expressive Dimension bzw . einen dramaturgischen Symbolwert – die Darstellung der Handlung für die Öffentlichkeit. In unserem Fall beschreibt gerade diese Zweiteilung – Nennwert und Symbolwert – die Problematik recht gut . Denn im Nennwert, also bei der Frage, was der tatsächli- che Effekt dieses Gesetzes ist, ist relativ wenig geregelt, das den Alltag der Menschen in unserem Land betrifft. Es gibt nach unseren Erkenntnissen kaum Soldatinnen, die eine Burka tragen wollen . Auch in den Wahllokalen zur Bundestagswahl waren vollverschleierte Frauen bisher nicht als Problem aufgefallen, soweit mir das bekannt ist . Insofern regelt der Entwurf vor allem Probleme, die nur am Rande und in vernachlässigenswerten Größenord- nungen und Fallzahlen vorkommen . Auf der anderen Seite ist der Symbolwert recht hoch, denn wir zeigen damit unsere Missbilligung für eine sol- che Verschleierung und Entpersonalisierung von Frauen an . Wir zeigen damit auf, dass wir – wo wir können – die offene Gesellschaft auch leben wollen und wir deshalb auch eine gewisse Offenheit von anderen erwarten bzw. erhoffen. Zudem können sich die Verfechterinnen und Verfech- ter dieses Antrags der Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung sicher sein: Nach einer ARD-Umfrage sind bis zu 80 Prozent der Deutschen für ein Burkaverbot; rund 50 Prozent für ein generelles Verbot und immerhin 31 Prozent für ein teilweises Verbot etwa im öffentlichen Dienst und in Schulen . Häufig werden dafür Gründe wie Integration und die Wahrung westlicher Werte angeführt . Vollschleier wie Burka oder Nikab werden als Zeichen der Unterdrückung der Frauen angesehen, als Zeichen einer patriarchalen Gesellschaft, als Hindernis der Integration und des wech- selseitigen Austausches . Das mag alles stimmen – und in der Tat ist es schwierig, mit einem Gegenüber, das als Individuum quasi unsichtbar ist, in Kontakt zu treten . Die Frage ist allerdings, inwiefern Kleiderverbote und Buß- geldverfahren kulturelle Differenzen aufbrechen sollen, geschweige denn Wege der Integration öffnen. Aber wenn wir bei den Umfragezahlen bleiben, wür- den wir also das Bedürfnis der Mehrheit der Bürgerin- nen und Bürger bedienen, wenn wir ein Gesetz erlassen würden, das die Burka verbieten soll, und könnten zur Tagesordnung übergehen . Ich möchte jedoch nochmals etwas differenzierter auf die Diskussion eingehen, die sich um ein Burkaver- bot in den letzten Jahren entsponnen hat . Der Innenmi- nister Dr . de Maizière hat im Dezember 2015 der Welt am Sonntag gesagt, dass er Bedenken gegen ein Burka- verbot habe . Ein Verbot wäre kompliziert; zudem seien viele Verfassungsrechtler der Meinung, dass ein solches Verbot vor dem Bundesverfassungsgericht nicht Bestand haben würde, so der Minister damals, und man könne schließlich nicht alles verbieten, was einem nicht gefällt . Hier kann ich Herrn de Maizière nur recht geben . Auch ich denke, dass wir ein generelles Verbot nicht verfassungskonform erreichen können . Daher haben wir uns auf einen eher symbolträchtigen Verbotskatalog ge- einigt, der niemanden in seinen religiösen Selbstbestim- mungsrechten verletzt . Verbunden ist dies aber mit einem starken Appell, dass Integration nur gelingen kann, wenn beide Seiten aufeinander zugehen und Offenheit nicht nur vom Gegenüber erwartet wird . Zum Schluss noch einige Worte zu den Vorwürfen, wir würden mit dem Verschleierungsverbot das Geschäft der AfD betreiben und antimuslimische Ressentiments ver- stärken . Aus meiner Sicht sollte es schon möglich sein, Dinge anzusprechen und Debatten zu initiieren . Denn nur so schaffen wir ein Verständnis auch füreinander – für unsere Gemeinsamkeiten und unsere Differenzen. In den Debatten zur Verschleierung wurde sehr viel darüber gesprochen, was dies für die Frauen bedeutet und dass sie dadurch unterdrückt werden; auch ich habe mich in dieser Richtung geäußert . Aber: Hat irgendwer von uns auch mit diesen Frauen gesprochen? Oder nehmen wir das einfach auf Basis unseres – vermeintlichen – Wissens an? Ich bin überzeugt, dass auf dieser Ebene viel eher eine Lösung und Verständigung zu erreichen ist als durch Verbote und Strafen . Deshalb hoffe ich, dass wir mit diesem Gesetz nicht das Ende der Debatte erreicht haben, sondern sie im Ge- genteil erst beginnen . Diese Debatte müssen wir aber mit den Menschen führen, die davon betroffen sind und die uns etwas dazu sagen können . Denn sonst ist das nur eine selbstreferenzielle Ausgrenzung von Personen und Lebensstilen, die an der Debatte nicht beteiligt werden . Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung will mit dem Entwurf eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung verbieten, dass Be- amtinnen und Beamten während ihres Dienstes ihr Ge- sicht verbergen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23397 (A) (C) (B) (D) Neue Gesetze werden in der Regel beschlossen, weil ein gesellschaftliches Problem erkannt wurde, dem zu- mindest nach Meinung der Regierenden mit den bishe- rigen Gesetzen nicht beizukommen ist . Doch im vorlie- genden Fall haben wir es mit einer Gesetzesinitiative zu tun, der keinerlei reelles Problem zugrunde liegt . Es geht hier um rein ideologisch motivierte Propaganda . Union und SPD lassen sich hier vor den Karren der AfD span- nen . Zum Glück nicht im Bund, aber auf Länderebene in Sachsen-Anhalt machen da sogar die Grünen mit . Und das ist nicht nur peinlich, das ist regelrecht gefährlich! Denn auch wenn es nicht so explizit im Gesetzestext genannt ist, so ist doch jedem klar, dass es beim geplan- ten Verbot um gesichtsverhüllende Schleier muslimi- scher Frauen geht . In letzter Zeit ist oft von Fake News die Rede . Doch bei der Debatte um ein sogenanntes Bur- kaverbot haben wir es mit noch weniger als Fake News zu tun, nämlich mit gar keinen, auch keinen erfundenen Fakten . Denn die Bundesregierung konnte bislang kein einziges praktisches Beispiel für die Notwendigkeit die- ses Gesetzes anführen . Amtliche Statistiken darüber, wie viele Frauen in Deutschland Nikab oder gar Burka tragen, gibt es nicht, da hier zum Glück – noch? – keine Meldepflicht besteht. Die niedrigsten Schätzungen liegen bei 200 bis 300 Bur- katrägerinnen, wobei hier wohl nicht zwischen der af- ghanischen Burka und dem wenigstens die Augen frei- lassenden Nikab unterschieden wird . Der Betreiber der Website www .burkaverbot .de kommt auf eine Zahl von 4 000 bis 6 500 Mitgliedern der Nikabi-Gemeinschaft, also aus religiösen Gründen vollverschleierten Mädchen und Frauen in Deutschland . Die Zahl beinhaltet auch Flüchtlinge und arabische Touristinnen sowie andere nur vorübergehend in Deutschland aufhältige Muslimas mit Gesichtsschleier, die sich garantiert nicht um eine Stelle im öffentlichen Dienst bewerben werden. Die Website www .burkaverbot .de setzt sich übrigens entgegen ihrem Namen für das Recht der Muslimas auf freie Religions- ausübung einschließlich des Rechts auf Vollverschleie- rung ein und will Fakten zu dieser Debatte liefern . Egal welche dieser Zahlen wir nehmen: Es geht hier nur um eine verschwindend geringe Zahl unter den rund 2 Millionen Muslimas in Deutschland, die sich überhaupt zumindest zeitweilig vollständig verschleiern . Wie vie- le in ihrer Freizeit vollverschleierte Frauen als Bundes- beamtinnen tätig sind, ist nicht bekannt . Auf jeden Fall habe ich noch von keinem einzigen Fall gehört, in dem eine Beamtin tatsächlich vollverschleiert zum Dienst er- schienen ist . Entweder haben wir es also mit einem unnötigen Vor- ratsgesetz für einen bislang nicht eingetretenen hypothe- tischen Fall zu tun oder sogar mit einem rechtlich unzu- lässigen Einzelfallgesetz . Beides ist abzulehnen . Nach Ansicht der Bundesregierung steht eine Ge- sichtsverhüllung einer „vertrauensvollen Kommunikati- on der staatlichen Funktionsträger mit den Bürgerinnen und Bürgern“ entgegen . Da diese Kommunikation heute in vielen Fällen telefonisch, per Post oder E-Mail statt- findet, kann der Bürger in der Regel gar nicht erfassen, ob die Beamtin, mit der er kommuniziert, Minirock oder Nikab trägt . Eine Ausnahme ist mir freilich bekannt, und das sind Mitglieder von Polizeisonderkommandos . Deren freilich nicht religiös begründete Vermummung etwa am Rande von Demonstrationen und zum Schutze von Großver- anstaltungen stellt allerdings alles andere als eine „ver- trauensvolle Kommunikation“ dar . Doch ein derartiges einschüchterndes Auftreten von SEK-Polizisten wird ja durch den vorliegenden Gesetzentwurf ausdrücklich ge- deckt . Wir haben es nicht nur mit einer Regelung zu tun, die einfach nur sinnlos ist . Es ist schlimmer: Diese Regelung trägt, genauso wie die zum Teil noch viel weiter gehen- den Gesetze auf Landesebene, zur Stimmungsmache gegen ganze Bevölkerungsgruppen bei . Denn hier wird eine seit Jahren wachsende Muslim- und Islamfeind- schaft weiter mit Nahrung versorgt . Und auch viele Mus- lime und Muslimas, die selbst die Vollverschleierung oder überhaupt das Kopftuch ablehnen, empfinden diese Debatte zu Recht als ausgrenzend und diskriminierend . Lassen Sie mich abschließend noch klarstellen, dass ich persönlich nicht nachvollziehen kann, warum sich eine Frau im Namen einer Religion gänzlich verhüllt . Ich kann darin nichts Emanzipatorisches erkennen . Doch letztlich müssen die Muslimas selbst entscheiden . Sollte allerdings Zwang dabei sein – etwa durch männliche Fa- milienmitglieder –, dann lehne ich das entschieden ab . Frauen, die sich aus freier Entscheidung von Nikab oder Burka oder auch nur dem einfachen Schleier lossagen wollen, verdienen dabei jede moralische Unterstützung . Sondergesetze wie das vorliegende sind aber gänzlich ungeeignet zum Schutze der Rechte der betroffenen Frauen. Daher lehnt die Linke dieses völlig überflüssi- ge, aber gleichwohl in seiner Signalwirkung schädliche Gesetz ab . Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Wir sollten bei den Regelungen bleiben, die wir haben, und nicht neuen Unfrieden in unser Land bringen mit einer so sehr spaltenden Diskussion“, so äußerte sich der Bundes- innenminister noch im August letzten Jahres zum Thema Burkaverbot . Dennoch wurde die Diskussion geführt, als habe die Frage der Gesichtsverhüllung für die innere Si- cherheit irgendeine Relevanz . Dem ist nicht so, und da- von ist im vorliegenden Gesetzentwurf auch nicht mehr die Rede . Der Entwurf eines Gesetzes zu bereichsspezifischen Regelungen der Gesichtsverhüllung datiert auf den 15 . Februar 2017, und es wäre wahrlich besser gewesen, der Entwurf wäre früher vorgelegt worden; denn von den markigen Forderungen aus den Reihen der schwarzen Sheriffs bei CDU und CSU ist wahrlich nicht viel übrig geblieben. Dennoch ist offen, ob es für die nun vorgeleg- ten Regelungen, die sich insbesondere auf Bundesbeam- tinnen, Soldatinnen und Richterinnen beziehen, je einen möglichen Anwendungsfall gegeben hat . Dieser Nachweis hätte jedoch geführt werden müs- sen, denn die allgemeine Erfahrung deutet darauf hin, dass die allgemeinen Regelungen für Beamte, Richter http://www.burkaverbot.de http://www.burkaverbot.de Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723398 (A) (C) (B) (D) und Soldaten ausreichen, im notwendigen Maß Fragen der amts- und dienstangemessenen Bekleidung zu regeln . Ohne diesen Nachweis stellt die Regelung – eben gerade aufgrund dieser fehlenden Regelungsbedürftigkeit – in ihrer speziellen Ausprägung eine ungerechtfertigte Vor- verurteilung dar . Dasselbe gilt für jene Regelungen des Entwurfs, die die Identifizierung anhand von Lichtbildern regeln. Auch hier ist nicht bekannt, dass es tatsächlich zu Anwen- dungsfällen kommt, die aufgrund der bestehenden ge- setzlichen Regelungen nicht zu lösen sind . Anders verhält es sich jedoch hinsichtlich derjenigen Regelungen, die gänzlich ohne Sachbezug zur Frage der Gesichtsverhüllung zum ursprünglichen Antrag durch den Änderungsantrag hinzugekommen sind . Eine An- passung der Versorgungsregelungen insbesondere auch für die Soldatinnen und Soldaten erscheint angezeigt . Meine Fraktion hat dieses Anliegen durch einen eigenen Änderungsantrag konstruktiv unterstützt . Die Verbin- dung zweier völlig unterschiedlicher Sachfragen in einer Initiative mag dem baldigen Ende der Legislaturperiode geschuldet sein; für die öffentliche Wahrnehmung parla- mentarischer Entscheidungen finde ich es wenig glück- lich . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Siebten Gesetzes zur Än- derung des Bundesfernstraßengesetzes (Tagesord- nungspunkt 30) Gero Storjohann (CDU/CSU): Die Verantwortung für den Bau der Radverkehrsinfrastruktur liegt unstreitig bei Land und Kommunen . 1,3 Milliarden Euro stellt der Bund den Ländern als Entflechtungsmitteln unter ande- rem auch für Radverkehr zur Verfügung . Diese bleiben zum größten Teil für den Radverkehr ungenutzt . Daher schieben wir als Bund das Thema Radschnellwege jetzt an . Mit einer erstmaligen Fördersumme von 25 Milli- onen Euro im Haushaltsjahr 2017 für Radschnellwege investieren wir in ein nachhaltiges und zukunftsfähiges Verkehrssystem in Deutschland . Radschnellwege verei- nen die Begriffe Mobilität und Modernität als ein neues Instrument der Verkehrsplanung . Sie sind gerade für ur- bane Räume und Metropolregionen geeignet . Denn Rad- schnellwege sollen gezielt dazu genutzt werden, Quel- le-Ziel-Verkehre zu zentrifugieren, Pendlerverkehre auf das Fahrrad zu verlagern, Staus zu minimieren und den Verkehr zu verflüssigen. Weiter dienen sie auch der Ent- lastung des Bundesfernstraßennetzes, welches gerade in Ballungsgebieten stark für Kurstrecken frequentiert wird . Neben diesen vielen positiven Effekten auf den Ver- kehr können durch Radschnellwege auch negative Ver- kehrsfolgen wie Lärmbelastung und Schadstoffemissio- nen stark minimiert werden . Im Klimaschutz liegt auch der Kern für die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Schaffung einer bundesgesetzlichen Ermächtigungs- grundlage zur Gewährung von Finanzhilfen für den Bau von Radschnellwegen in fremder Straßenbaulast . Die Ermächtigungsgrundlage folgt aus Artikel 104b Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz . Nach diesem Artikel ist es möglich, dass der Bund den Ländern Finanzhilfen für besondere bedeutsame Investitionen gewährt . Für den vorliegenden Fall des Baus von Radschnellwegen in der Baulast der Länder und Gemeinden liegt diese bedeutsame Investiti- on in Artikel 74 Absatz 1 Nummer 24 Grundgesetz, der Luftreinhaltung . Die Einführung von Radschnellwegen ist somit sehr im Interesse des Bundes als Träger der Straßenbaulast für Bundesfernstraßen . Zwar bestehen jetzt schon Möglich- keiten, den Bau von Radwegen als Bestandteil von Bun- desfernstraßen in der Baulast des Bundes zu finanzieren, jedoch wird mit dem vorliegenden Gesetz nun ermöglicht werden, sich finanziell am Bau von Radschnellwegen in fremder Baulast, das heißt an Radverkehrswegen, welche in der Baulast von Ländern, Gemeinden und Gemeinde- verbänden stehen, durch die gezielte Gewährung von Finanzhilfen zu beteiligen, mit dem Ziel, somit eine er- höhte Umsetzung von Radverkehrsprojekten zu fördern . Die Voraussetzungen für diese Finanzhilfen haben wir bereits 2016 mit der Verabschiedung des Bundesver- kehrswegeplanes 2030 geschaffen. Mit der Umsetzung des vorliegenden Gesetzeses haben wir unseren Arbeits- auftrag erfüllt und eine gesetzliche Grundlage zur Um- setzung der Förderung von Radschnellwegen geschaf- fen . Einzelheiten zu der Verteilung dieser Finanzmittel regelt eine Verwaltungsvereinbarung, welche zwischen Bund und Ländern jetzt geschlossen werden muss . Die- se Verwaltungsvereinbarung wird bis zum Sommer 2017 erstellt werden, sodass es möglich sein wird, noch in die- sem Jahr Finanzhilfen für Radschnellwege abzurufen . Gegenstand dieser speziellen Förderung sind nicht Radwege im Allgemeinen, sondern wirklich nur spezifi- sche Radschnellwege . Diese Radschnellwege werden durch speziel- le Merkmale gekennzeichnet: bauliche Anforderun- gen zur Gewährleistung eines schnellen Radverkehrs; eine Prognosebelastung von in der Regel mindestens 2 000 Fahrradfahrten pro Tag; ein Fahrbahnquerschnitt von in der Regel von 4 Metern Breite; Bildung eines zu- sammenhängenden Netzes; alleiniger oder Mitbestand- teil einer Radschnellwegeverbindung mit einer Mindest- länge von in der Regel 10 Kilometern . Es freut uns, dass auch der Bundesrat dieses Radver- kehrsvorhaben so positiv unterstützt hat . Auf seine Forde- rung der Herabsetzung der Mindestlänge auf 5 Kilometer konnten wir nicht eingehen . Denn für die Förderkriterien müssen wir Radschnellwege von sonstigen Radwegen unterscheiden können . Um größere Nutzerpotenziale zu erschließen, bedarf es einer längeren Fahrstrecke, die mit dem Fahrrad abgewickelt werden kann . Radschnellwege generieren uns auch einen volkswirt- schaftlichen Nutzen, zum Beispiel durch Stauvermei- dung . Bis 2030 werden wachsende Verkehre im Straßen- verkehr bis zu 18 Prozent prognostiziert . Eine Entlastung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23399 (A) (C) (B) (D) des Straßenverkehrs ist daher dringend notwendig; auch hierfür können Radschnellwege wichtige Impulse setzen . Bereits heute blicken wir auf eine aufstrebende Zu- kunft für Radschnellwege . Schon vor Umsetzung dieses Bundesfernstraßengesetzes sind dem Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur 80 Maßnahmen mit einer Streckenlänge von rund 1 400 Kilometern benannt worden . Ein Bedarf an diesen Projekten ist da und wird auch noch steigen, was eine Erhöhung der Haushaltsmit- tel erforderlich macht . Daher stimmen Sie bitte mit Freude für diesen Gesetz- entwurf, denn er dient der Verbesserung des Radverkehrs und fördert ein modernes, nachhaltiges und zukunftsfähi- ges Verkehrssystem in Deutschland . Sabine Leidig (DIE LINKE): Mit dem Siebten Ge- setz zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes will die Regierungskoalition vor allem eines: 41 Autobahn- und fünf Bundesstraßenausbauprojekte möglichst un- gehindert durchsetzen, damit noch mehr Lkw-Verkehr durch die Republik rollen kann . Das aber ist genau das Gegenteil von Klimaschutz und Verkehrswende, die wir dringend brauchen . Vielerorts haben Bürgerinitiativen und Umweltverbände sinnvolle Alternativen zu noch mehr Autobahnen ausgearbeitet; und es gibt sehr viele berechtigte Einwände, die bei den Plänen der Bundesregierung nicht berücksichtigt werden . Um sich diese möglichst schnell „vom Hals zu schaffen“, will sie für diese 46 im § 17e Absatz 1 genannten Vor- haben den Klageweg einschränken: Das Bundeverwal- tungsgericht soll in erster und letzter Instanz zugleich entscheiden . Das Verfahren auf Landesebene entfällt, und Berufung wird unmöglich . Die Linksfraktion beantragt, dass dieser Paragraf ge- strichen wird . Die ohnehin mageren Rechte der Bürge- rinnen und Bürger dürfen nicht eingeschränkt werden! Es entspricht auch nicht dem föderalen Zustän- digkeitsverständnis, dass ein Bundesgericht erst- und letztinstanzlich entscheidet . Dies ist nur in begrenzten Ausnahmen zulässig, was mit dieser Regelung deutlich überschritten wird . Bedenklich ist zudem, dass damit ein Bundesgericht verbindlich über die Anwendung und Auslegung von Landesrecht entscheidet, weil die Ver- einbarkeit mit den Naturschutz-, Wasser-, Wege- oder Denkmalschutzgesetzen der Länder regelmäßig Teil des gerichtlichen Prüfungsumfangs bei Klagen gegen Plan- feststellungsbeschlüsse ist . Die Gründe, die dazu führten, dass die Alleinzuständigkeit des Bundesverwaltungsge- richtes bei der Anwendung des früheren Verkehrswe- geplanungsbeschleunigungsgesetzes von Verfassungs- experten für ausnahmsweise zulässig erachtet wurde, beruhen ausschließlich auf den Erfordernissen im Zu- sammenhang mit der deutschen Einheit . Die Regierungskoalition will aber die Verfassungs- rechte aus vielerlei Gründen aushebeln: Einbindung der neuen Mitgliedstaaten in die Europäische Union, Verbes- serung der Hinterlandanbindung der deutschen Seehäfen, sonstiger internationaler Bezug oder „besondere Funkti- on zur Beseitigung schwerwiegender Verkehrsengpäs- se“ – damit lässt sich fast jedes Straßenbauprojekt be- gründen . Der ursprüngliche Grund „Herstellung der deutschen Einheit“ gilt auch noch und soll ausgerechnet den völlig unsinnigen und (vom Land Berlin) unerwünschten Wei- terbau der A 100 (17 . Bauabschnitt) beschleunigen . Auch andere hochumstrittene Autobahnen wie die A 20 oder die A 39 stehen auf der „Beschleunigungsliste“ . Wir lehnen diese Projekte ab, und wir lehnen die Ein- schränkung der Bürgerbeteiligung ab! Einem ganz anderen Punkt, der ebenfalls Teil der vor- gelegten Gesetzesänderung ist, stimmen wir allerdings zu: Sie führen die Möglichkeit ein, dass der Bund Finanz- hilfen für den Bau von Radschnellwegen an Länder, Ge- meinden und Gemeindeverbände geben kann . Das wird von der Linksfraktion selbstverständlich unterstützt . Al- lerdings haben wir dafür plädiert, dass der Bund den Bau solcher Radwege nicht erst ab einer Mindestlänge von 10 Kilometern fördern kann, sondern schon ab 5 Kilo- meter – so wie es auch der Bundesrat vorgeschlagen hat . Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes (Ta- gesordnungspunkt 31) Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Mit der vorliegenden Gesetzesänderung übernehmen wir die Er- gebnisse eines neuen Testverfahrens für den CO2-Aus- stoß von Kraftfahrzeugen als Grundlage für die künftige Bestimmung der Kraftfahrzeugsteuer . Zur Bestimmung realitätsnäherer Werte für Abgasemissionen für soge- nannte leichte Kraftfahrzeuge hat man sich weltweit auf ein neues einheitliches Testverfahren verständigt . Diese Einführung des Verfahrens in der EU ist schrittweise bis zum 1 . September 2018 vorgesehen . Damit entfällt zu- gleich das bisherige Verfahren, dessen Werte in die Be- rechnung unserer Kfz-Steuer eingehen . Eine Änderung des Kfz-Steuergesetzes ist also unausweichlich . Wir müssen aber als Gesetzgeber dafür sorgen, dass dieses Verfahren transparent und ohne Verwirrung für den Verbraucher geschieht . Deshalb begrüßen wir es als Unionsfraktion, dass die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf vorsieht, die neuen Werte erst ab 1 . Sep- tember 2018 zur Grundlage der Kfz-Steuerberechnung bei Neuzulassungen zu machen . Damit wird verhindert, dass in einem Übergangszeitraum zwei Berechnungs- verfahren für Neuzulassungen nebeneinander bestehen . Alles andere würde zu einem für die Verbraucher unüber- schaubaren Durcheinander führen . Außerdem wäre eine gleichmäßige Anwendung der neuen Werte und damit auch der Steuerberechnung unmöglich . Deshalb ist das gewählte Vorgehen für die Verbraucher transparent und fair . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723400 (A) (C) (B) (D) Dass die Bundesregierung der Forderung des Bun- desrates nicht folgt, zusätzlich ein Förderprogramm für Maßnahmen zur Reduzierung des Schadstoffausstoßes in durch Stickoxide belasteten Innenstädten aufzulegen, ist für uns nachvollziehbar . Diese Forderung ist nur ein weiterer Versuch, immer neue Programme finanziell ein- seitig beim Bund abzuladen, und zwar völlig unabhängig von der tatsächlichen Zuständigkeit und Verantwortung . Abgesehen davon, dass hier erneut einseitig auf einen einzigen Abgaswert abgehoben wird . Wir können schon erwarten, dass die Länder und Kommunen die vorhande- nen Möglichkeiten nutzen, um ihren Beitrag zu leisten . Die Behauptung, dass den Ländern und Kommunen kei- ne ausreichenden Möglichkeiten zur Senkung der Luft- schadstoffe zur Verfügung stehen, ist nicht nachvollzieh- bar . Abgesehen davon bestehen bereits Programme zur Elektromobilität und zu Carsharing . Deshalb stimmen wir dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Fassung zu . Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Wir beraten heu- te nun abschließend die Änderung des sechsten Kraft- fahrzeugsteuergesetzes . Mit diesem Gesetz legen wir den Grundstein für die Einführung eines neuen Messverfah- rens zur Ermittlung von Emissionswerten bei Autos . Durch die Einführung des WLTP-Verfahrens – das steht für Worldwide Harmonized Light Duty Test Proce- dure – werden wir zukünftig verbesserte, und das heißt realitätsnähere, CO2-Emissionswerte im Zuge der Er- mittlung von Abgasemissionen erhalten . Das neue WLTP-Verfahren löst das bisher geltende NEFZ-Verfahren (Neuer Europäischer Fahrzyklus) ab . Im Gegensatz zum NEFZ-Verfahren, bei dem die Emissi- onswerte der Autos unter reinen „Laborbedingungen“ er- mittelt werden, wird das WLTP-Verfahren unter realitäts- nahen Bedingungen die Emissionswerte messen . Wobei diese Realitätsnähe natürlich differenziert zu betrachten ist, da der tatsächliche CO2-Ausstoß im Alltag auch im- mer vom persönlichen Fahrverhalten und den jeweiligen Streckenbedingungen abhängt . Realitätsnähe heißt hier, dass so, wie ein Auto im Straßenverkehr durchschnittlich genutzt wird, auch der Emissionsausstoß gemessen wird . Kein erhöhter Reifen- druck, keine abgebauten Außenspiegel zur Reduzierung des Luftwiderstandes, kein leerer Tank, keine ausgebaute Klimaanlage . Ab dem 1 . September 2018 ist für jedes zugelassene Auto die Abgasmessung mit dem neuen WLTP-Verfah- ren verpflichtend. Die Anhörung hat deutlich gemacht, dass diese Stichtagsregelung allen Betroffenen Planungs- sicherheit bietet, zwangsläufig aber eine unterschiedliche Besteuerung der Fahrzeuge mit sich bringt . Alle anderen Autos auf unseren Straßen, die vor diesem Stichtag zu- gelassen wurden, haben aber natürlich Bestandsschutz! Was wir im Zuge des neuen Messverfahrens ändern, ist aber nicht die Steuerbemessungsgrundlage, sondern die Zulassungsbestimmungen . Haben wir bisher nur „typenbezogen“ zugelassen, so werden wir in Zukunft „autobezogen“ zulassen . Demnach wird es nicht mehr nur eine Rolle spielen, ob man einen Golf, eine S-Klasse oder einen Corsa fährt, sondern welche konkreten Beson- derheiten das Fahrzeug aufweist . Mit oder ohne Klima- anlage? Schmale oder breite Reifen? Wie viele Airbags? Wie viel Hubraum? In der Konsequenz heißt das: Nicht nur der Prüfzyklus wird kleinteiliger, auch die Zulassung von Fahrzeugen wird differenzierter. Diese Differenzierung spiegelt auch die immense Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Autos wider, die auf deutschen Straßen unterwegs sind . Inner- halb eines Autotyps wird es aber wohl zur Bildung von „Familien“ kommen, denn eine vollständig individuelle, autobezogene Zulassungsmessung würde den Aufwand extrem in die Höhe treiben . Nach dem ersten großen Aufschrei sollte also nun auch dem Letzten klar geworden sein, dass wir nicht an der Steuerschraube drehen, sondern ausschließlich die Erfassung der Bemessungsgrundlage für die Steuererhe- bung ändern . Weil hier oft Fakten durcheinandergeraten, möchte ich noch einmal folgende Punkte klarstellen: Erstens . Der vorliegende Gesetzentwurf regelt aus- schließlich die Einführung eines neuen Messverfahrens im Verkehrsrecht . Die konkrete technische Ausgestaltung des Messverfahrens wird hingegen über eine unmittelbar wirkende EU-Verordnung ins deutsche Recht implemen- tiert . Die Verordnung kommt aller Voraussicht nach im Mai 2017 . Ab dann gilt prinzipiell auch die Anwendung des WLTP-Verfahrens bei Neufahrzeugen . Diese Verord- nung beschreibt dann genau, wie der Testzyklus auszuse- hen hat . Wir als Gesetzgeber haben auf die Ausgestaltung des Testzyklus keinen Einfluss. Eine Einschätzung, wie das Messverfahren in der Praxis konkret aussehen wird, konnte auch bei der Anhörung keiner der Sachverständi- gen vornehmen . Um bei Käufern und Herstellern Planungs- und Rechtssicherheit zu schaffen und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung sicherzustellen, ist der Stichtag zur An- wendung des neuen Messverfahrens zur Ermittlung der CO2-Werte für die Besteuerung aber erst der 1 . Septem- ber 2018 . Klarzustellen ist: Bestandsfahrzeuge bleiben unangetastet! Zweitens . Anhand früherer Tests mit Fahrzeugen unter realitätsnahen Bedingungen geht man davon aus, dass es zu einem 20 Prozent höheren CO2-Ausstoß beim WLTF-Verfahren kommen wird . Im Vorhinein können jedoch weder Aussagen über erwartete CO2-Werte ge- macht, noch kann die dadurch zu erwartende Höhe der Kfz-Steuer prognostiziert werden . Studien, die schon jetzt konkrete Zahlen nennen, sehe ich skeptisch . Denn wir wissen de facto weder genau, wie die Autoindustrie auf dieses Messverfahren reagieren wird – zum Beispiel durch veränderte Antriebskonzepte –, noch, für welches Auto sich der Käufer am Ende entscheidet – ob für oder gegen ein CO2-armes Fahrzeug mit mehr oder weniger Ausstattung . Klar ist nur: Wir setzen mit diesem Gesetz einen ganz klaren Anreiz, sich für ein emissionsarmes Fahrzeug zu entscheiden und dadurch selbst zu entschei- den, welche Steuerlast man tragen kann oder will . Drittens . Das vorliegende Gesetz bringt ausdrücklich keine Steuererhöhung mit sich . Was sich ändert, ist aus- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23401 (A) (C) (B) (D) schließlich die Erfassung der Bemessungsgrundlage für die Kfz-Steuer . Und auf die, so habe ich es ausgeführt, haben wir keinen Einfluss. Eine realitätsnähere Ermittlung des Emissionsaussto- ßes ist in unser aller Interesse und wird auf EU-Ebene im Übrigen auch nicht erst seit dem VW-Abgasskandal forciert . Die deutschen Kraftfahrzeughersteller stellen sich schon seit Jahren auf ein neues Messverfahren ein und haben die internationale Standardisierung mit voran- getrieben . Abschließend möchte ich festhalten: A: Unser Ziel, mit der Kfz-Steuer eine Lenkungswir- kung zu erreichen und kleinere und emissionsarme Fahr- zeuge zu bevorteilen, wird mit dem neuen Messverfahren weiter verstärkt . B: Wie sich das Aufkommen der Kfz-Steuer tatsäch- lich entwickelt, haben Sie in der Hand – die Käufer neuer Fahrzeuge, je nachdem, wofür Sie sich entscheiden . Sie haben die Freiheit und damit auch die Verantwortung . C: Unser wirtschaftspolitisches Leitziel gilt weiter: Deutschland soll ein attraktiver Standort für moderne Fahrzeugtechnologien bleiben – für die Fahrer ebenso wie für die Autohersteller und ihre Technologiezuliefe- rer . Dafür werden wir uns auch weiter einsetzen! Sie können dem Gesetzentwurf also mit Freude zu- stimmen . Arno Klare (SPD): Das Gesetz vollzieht einen im Grunde lapidaren Schritt: Es wird ein steuerrechtlicher Stichtag festgesetzt, ab dem Neufahrzeuge nach dem neuen Fahrzyklus WLTP eingestuft werden . WLTP steht übersetzt für „weltweit harmonisiertes Testverfahren für leichte Nutzfahrzeuge“; damit sind Pkw gemeint . Was so einfach erscheint, ist aus verkehrs- und umweltpoliti- scher Sicht ein Meilenstein . In der EU-Verordnung 715/2007 ist bei der Rand- notiz 15 sowie im eigentlichen VO-Teil unter Arti- kel 14 Absatz 3 davon die Rede, dass die Testverfahren zur Feststellung der Verbrauchswerte – und damit der CO2-Emissionen – in einem neuen Prüfstandsmessver- fahren gemessen werden sollten . Seit zehn Jahren, das heißt meilenweit vor dem sogenannten VW-Skandal, begannen die Überlegungen zum neuen Verfahren . Der WLTP wurde seit 2008 auf der Ebene der Wirtschafts- kommission der Vereinten Nationen für Europa entwi- ckelt und als globale technische Regelung (GTR) Nr . 15 durch das Weltforum für die Harmonisierung der Rege- lungen für Kraftfahrzeuge (WP . 29) im März 2014 an- genommen . Später wurde er in EU-Europa zum neuen Testzyklus, der ab dem 1 . September 2018 gilt . Insofern markiert dieses Datum sehr richtig auch den heute zu be- schließenden Stichtag . Der WLTP ist deutlich realitätsnäher als der alte Prüfzyklus NEFZ . Parallel zur Entwicklung des WLTP begannen – auch dies weit vor dem VW-Skandal – die Überlegungen, Fahrzeuge nicht nur auf der Rolle, also im Labor, sondern auch sozusagen live, also bei der Fahrt im Straßenverkehr, zu testen . Dieses Verfahren heißt RDE, Real Driving Emissions . WLTP plus RDE ergeben zu- sammen ein realistisches Bild der Emissionen . Der La- bortest dient der Ermittlung der steuerrelevanten Ver- brauchsdaten . Diese zu ermitteln, geht rechtssicher nur in Labortests, weil diese allein standardisiert und reprodu- zierbar sind . RDE misst dann zusätzlich, ob die Emissio- nen auch im realen Betrieb auf der Straße unter definier- ten Limits bleiben . Alles in allem haben Verbraucher ab dem 1 . September 2018 bei Autokauf wirklichkeitsnahe Verbrauchswerte und können über die Aussagen aus dem RDE-Test überdies ersehen, ob ihr Wagen die Werte ein- hält, die er verspricht . Der heutige Beschluss ist also weit mehr als lediglich die notwendige Fixierung eines steuerrechtlich notwen- digen Stichtags . Andreas Schwarz (SPD): Mit dem heutigen Be- schluss schließen wir ein Gesetzgebungsverfahren ab, dessen Umsetzung einer EU-Richtlinie geschuldet ist . Mit dem heutigen Beschluss implementieren wird das neue sogenannte WLPT-Verfahren, eine weltweit harmo- nisierte Testprozedur zur Ermittlung von Abgasemissio- nen, das realitätsnähere CO2-Emissionswerte darstellen soll. Auch vor dem Hintergrund der Dieselaffären ver- schiedener Autokonzerne begrüßen wir dieses Gesetz . Wir begrüßen, dass das neue Prüfverfahren bei uns erst ab dem 1 . September 2018 für alle dann neu zuge- lassenen Fahrzeuge gelten soll und für alle anderen Fahr- zeuge Bestandsschutz gilt . Ich betone: Die Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf bedeutet keineswegs, dass nun alles geklärt ist und wir uns jetzt um nichts mehr küm- mern müssen . Das Gegenteil ist der Fall . Denn die gro- ße Frage lautet: Wie entwickelt sich die Kfz-Steuer? Ich weiß, da machen sich manche Leute Sorgen . Zur Kenntnis genommen haben wir Äußerungen des Bundesfinanzministeriums, wonach Auswirkungen auf die Steuereinnahmen nur schwer voraussagbar seien, zumal es ja auch noch einige Details beim Messverfah- ren zu klären gibt und die Verordnung wohl erst Ende Mai 2017 vorliegen wird . Wir haben uns deshalb mit unserem Koalitionspartner darauf verständigt, dass wir vom Bundesfinanzministe- rium zwölf Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes eine Evaluierung erhalten . Das BMF wird die Auswirkungen des neuen Gesetzes prüfen und den Finanzausschuss des Deutschen Bundestages unterrichten . Wir wollen wissen, wie sich durch die Neuberechnung die Kraftfahrzeugsteuerbeträge entwickeln und ob und vor allem in welcher Höhe sich eventuelle Mehrbelastun- gen für die Bürgerinnen und Bürger ergeben . Zunächst ändert sich durch das Gesetz lediglich die Bemessungs- grundlage . Ob es dadurch tatsächlich zu Steuererhöhun- gen kommt, ist also überhaupt noch nicht absehbar . Wir wollen uns als Gesetzgeber nach einem Jahr genau an- schauen, wie sich der Fahrzeugbestand in der Bundes- republik entwickelt und ob wir hier gegebenenfalls ge- gensteuern und Maßnahmen ergreifen müssen, damit die Beiträge nicht zu stark ansteigen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723402 (A) (C) (B) (D) Herbert Behrens (DIE LINKE): Der Neue Europäi- sche Fahrzyklus (NEFZ) ist inzwischen gar nicht mehr so neu . Ein in den 70er-Jahren entwickeltes Verfahren zur Ermittlung des Schadstoffausstoßes kann das Emissions- verhalten von Kraftfahrzeugen nicht mehr angemessen abbilden . Die Autos sind heute viel schwerer und leis- tungsstärker als vor 40 Jahren . Und so hat sich die Sche- re zwischen Laborwerten – gemessen nach NEFZ – und realem Kraftstoffverbrauch und Ausstoß von Kohlendi- oxid in den letzten Jahren immer weiter geöffnet. Autos verbrauchen inzwischen fast die Hälfte mehr, als in den Hochglanzprospekten angegeben . Das ist nichts anderes als eine systematische Täuschung der Verbraucherinnen und Verbraucher, und es ist überfällig, dass der Uraltzy- klus NEFZ aus dem Verkehr gezogen wird . Mit dem neuen Prüfverfahren Worldwide Harmoni- zed Light Duty Test Procedure (WLTP) und dem dazu- gehörigen neuen Prüfzyklus kommt man der Wahrheit zumindest ein bisschen näher . In diesem Zyklus werden höhere Geschwindigkeiten gefahren, und die Standzeiten werden reduziert . Reduziert werden damit auch die Mög- lichkeiten für die Hersteller, durch kleine Tricks große Emissionskosmetik zu betreiben . Das ist ein Fortschritt und sollte sofort angewendet werden . Von daher wundere ich mich sehr, dass die Einfüh- rung des WLTP faktisch um ein Jahr verschoben wird . Bereits in diesem Jahr könnte für neue Fahrzeugtypen dieses strengere Prozedere Anwendung finden. Opel hat für seinen neuen Astra das WLTP-Verfahren schon für Juni 2016 angekündigt . Aber die Bundesregierung nimmt lieber eine Kernforderung der Autoindustrie auf und verschiebt den Stichtag auf September 2018 . Das ist völlig kontraproduktiv, und die Linke kann dem vorge- legten Gesetzentwurf daher nicht zustimmen . Dieses Detail im vorgelegten Gesetzentwurf sagt zu- dem viel darüber aus, wie ernst es der Bundesregierung mit der Einführung realistischer Tests wirklich ist . Glei- ches gilt auch für die jahrelangen Bemühungen der Bun- desregierung, in den internationalen Verhandlungsrunden den WLTP zu verwässern . Es sind Unterlagen bekannt geworden, in denen sich die Bundesregierung für einen pauschalen Abschlag von 4 Prozent auf WLTP-Messer- gebnisse einsetzte . Durch Anpassungen der Rahmenbe- dingungen des Fahrzyklus sollten die Werte um weitere 10 Prozent schlechter ausfallen dürfen . Mit ihren Bemü- hungen war die Bundesregierung leider so erfolgreich, dass die USA und Japan aus dem WLTP-Prozess aus- gestiegen sind, weil dessen Vorgaben ihnen schlicht zu lasch sind . Es ist also keineswegs so, dass wir uns jetzt entspannt zurücklehnen können, weil mit dem WLTP alle Probleme gelöst wurden . Am Ende kommt es nämlich darauf an, dass die Zielwerte für klimaschädliche Abgase in der täg- lichen Fahrpraxis eingehalten werden und nicht auf dem Prüfstand . Um Verbrauchern realistische Werte angeben zu können und vor allem endlich einen wirksamen An- reiz zur Reduktion des CO2-Ausstoßes zu schaffen, müs- sen Verbrauchs- und CO2-Werte auf der Straße ermittelt werden . Denn wir wissen alle, dass Testzyklen durch die Motorsoftware erkannt werden können; das heißt, Be- trügereien können im Labor nie ausgeschlossen werden . Mit dem Real-Driving-Emissions-Verfahren (RDE), das für die Messung von Stickoxiden und Rußpartikeln bald zum Standard wird, haben wir bereits eine gute Vorlage, an dem sich eine realistischere Messmethode des Kraft- stoffverbrauches orientieren kann. Dies ist sicherlich Zu- kunftsmusik, aber wenn wir heute nicht mit der Entwick- lung einer Verbrauchsprüfung im Realbetrieb beginnen, wird in den nächsten zehn Jahren auch nichts Anwendba- res auf dem Tisch liegen . Wer dem Klima einen Gefallen tun will, muss aufhö- ren, der Autoindustrie stets und ständig Gefallen zu tun . Diese Forderung richtet sich vor allem an den Verkehrs- minister, der in den letzten Monaten die Hersteller nur mit Samthandschuhen angefasst hat, obwohl die harte Hand nötig gewesen wäre . Wenn es Ihnen, meine Damen und Herren von CDU/CSU und SPD, mit den eigenen Klimazielen wirklich ernst ist, dann werden Sie sofort aktiv und sorgen dafür, dass die wohlklingenden, aber völlig aberwitzigen „Supercredits“, durch die die Au- tokonzerne mit ein paar Elektroautos den CO2-Ausstoß ihrer Fahrzeugflotte schönrechnen können, nicht mehr angewendet werden . Sorgen Sie für Tempolimits auf Autobahnen, für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, und fahren Sie klima- schädliche Subventionen wie das Dienstwagenprivileg und die Steuerbegünstigung für Diesel sofort zurück . Das nützt dem Klima mehr als der beste Prüfzyklus . Politi- sche Stellschrauben zum Klimaschutz im Straßenverkehr gibt es wirklich genügend; man muss nur gewillt sein, daran zu drehen . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir haben heute in der Aktuellen Stunde schon ausführlich darüber gesprochen, wie die Bundesregierung unabhängige Ab- gaskontrollen für die Autoindustrie in Brüssel blockiert und den Dieselskandal einfach aussitzt, anstatt dafür zu sorgen, dass die Automobilindustrie zur Verantwortung gezogen und die Autobesitzer entschädigt werden . Da passt sehr gut ins Bild, was die Experten der Kraft- fahrzeughersteller bei der öffentlichen Anhörung verlaut- baren lassen haben . Ab dem 1 . September 2018 werden die bei der Bemes- sung der Kfz-Steuer relevanten CO2-Emissionen nach ei- nem neuen Verfahren gemessen . Das weltweit harmoni- sierte Testverfahren WLPT bietet weniger Schlupflöcher für Tricksereien als sein Vorgänger – das derzeit noch verwendete NEFZ-Verfahren . Und es orientiert sich stär- ker am realistischen Fahrverhalten, weil es beispielswei- se mehr Beschleunigungs- und Bremsvorgänge abdeckt . Durch die Umstellung auf das verbesserte WLTP-Ver- fahren werden sich die gemessenen CO2-Emissionen der Fahrzeuge deswegen aller Voraussicht nach erhöhen . Was eigentlich ein Grund zur Freude ist, verringert sich doch so die Diskrepanz zwischen Real- und Laborwert . Die liegen laut Berechnungen des International Council on Clean Transportation im aktuellen NEFZ-Verfahren bei durchschnittlich 42 Prozent . Nicht so für die deutsche Automobilindustrie . Deren Experten beschwerten sich in der öffentlichen Anhörung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23403 (A) (C) (B) (D) darüber, dass es durch die Erhöhung der CO2-Emissio- nen zu einer Erhöhung der Kraftfahrzeugsteuer kommen wird . Um eine solche „Steuererhöhung durch die Hin- tertür“ zu verhindern, forderten sie doch allen Ernstes Steuersenkungen – in Form eines Abschlagsfaktors beim Steuertarif. Und das finde ich dann schon ein starkes Stück – werden hier doch Tatsachen verdreht und zu- rechtgebogen . Ohne die leiseste Einsicht, was in den ver- gangenen Jahren alles schiefgelaufen ist . Das Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft hat die gegenteilige Rechnung aufgestellt . Es zeigt, dass dem Fiskus durch die Differenz zwischen realem CO2-Aus- stoß und Laborwert allein für den Zeitraum 2010 bis 2015 Steuereinnahmen in Höhe von 3,3 Milliarden Euro entgangen sind . Die geringeren Laborwerte und damit auch die gerin- geren Steuereinnahmen erklären sich teilweise aus den Unzulänglichkeiten des aktuellen NEFZ-Verfahrens, aber teilweise eben leider auch, wie im Abgasskandal deutlich wurde, aus betrügerischem Vorgehen bis hin zur bewuss- ten Manipulation seitens der Automobilhersteller . Die durch die Umstellung auf das neue Verfahren zu erwar- tenden höheren Kfz-Steuern sind also keinesfalls Steu- ererhöhungen, sondern schlicht und einfach die Anpas- sung der Kfz-Steuer an die Realität . Die wird diejenigen härter treffen, die die bestehenden Spielräume im NEFZ systematisch ausgenutzt haben und nun im neuen Ver- fahren mit stark erhöhten CO2-Werten rechnen müssen . Eine pauschale Verschiebung der Bemessungsgrundlage in Form eines Abschlagsfaktors wäre also nicht nur nicht sachgerecht, sondern auch ungerecht, weil es die ehrli- cheren Hersteller bestrafen würde . Beipflichten muss ich den Experten vom VDA und vom VDIK in dem Punkt, dass die Umstellung des Ver- fahrens nichts an der Effizienz der Fahrzeuge ändern wird. Hier ist die Automobilindustrie selbst in der Pflicht, mit innovativen Antrieben weltweite Standards zu setzen und sich fit für den Markt des 21. Jahrhunderts zu ma- chen . Aber auch die Politik kann noch mehr tun, um einen erfolgreichen Technologiewandel in der Automobilin- dustrie einzuleiten . Durch die Umstellung auf das neue Verfahren wird die Lenkungswirkung der Kfz-Steuer aufgrund realistischerer CO2-Werte zwar verbessert . Hier ist aber noch deutlich Luft nach oben . Erstens handelt es sich bei dem WLPT-Verfahren nach wie vor um ein Laborverfahren, das nicht vor Manipulationen gefeit ist . Hinzukommen müssen deswegen strukturelle Reformen, was die Typgenehmigung betrifft. Bis heute können die Hersteller sich ihren Lieblingsprüfdienst auswählen . Hier brauchen wir Veränderungen, wie sie auch die EU-Kom- mission anstrebt: Prüfdienste müssen rotieren und dürfen zudem nicht mehr direkt von Herstellern, sondern sollten über ein Gebührensystem und den Staat bezahlt werden . Dem Umweltbundesamt wollen wir zudem eine klare Zuständigkeit für eine wirksame Marktüberwachung in Betrieb befindlicher Fahrzeuge geben. Außerdem kann kein noch so gutes Verfahren reale Straßentests ersetzen. Für Schadstoffe sollen solche RDE (Real Driving Emissions) demnächst eingeführt und für die Zulassung neuer Fahrzeugtypen relevant werden . Wir fordern diese realen Straßentests nicht nur für Stickoxi- de, sondern auch für CO2-Emissionen . Vor allem muss aber Schluss damit sein, dass wir in Deutschland eine Technologie unterstützen, die verhee- rende Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt hat . Deswegen wollen wir die Dieselsubventionen schrittwei- se abbauen . Gleichzeitig wollen wir die Fahrer von Die- sel-Pkw entlasten, indem wir die Kfz-Steuer konsequent nach dem CO2-Ausstoß von Kraftfahrzeugen ausrichten und so jene Dieselmotoren belohnen, die im realen Fahr- betrieb effizienter sind als Ottomotoren. Obwohl wir also die Umstellung auf das verbesserte WLPT-Verfahren ausdrücklich begrüßen, werden wir uns bei der Abstimmung über den Gesetzentwurf enthalten . Ganz einfach um deutlich zu machen, dass uns die Be- mühungen der Großen Koalition in Bezug auf den drin- gend notwendigen Wechsel hin zu effizienten und emissi- onsfreien Antrieben in der deutschen Automobilindustrie nicht weit genug gehen . Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen (Tagesordnungspunkt 32) Dietrich Monstadt (CDU/CSU): Wir alle müssen uns darauf verlassen, dass Vertrauliches vertraulich bleibt . Das gilt beim Anwalt . Das gilt beim Arzt . Das gilt in vielen anderen Fällen . Der Schutz privater Geheimnis- se genießt in Deutschland einen hohen Stellenwert . Und zwar zu Recht! In Deutschland macht sich nach § 203 StGB strafbar, „wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart“. Natürlich handelt ein Berufsgeheimnisträger nicht un- befugt, wenn er sich bei seiner Arbeit durch Berufsge- hilfen im Sinne des § 203 StGB unterstützen lässt . Hier geht es um enge Mitarbeiter, die zum Beispiel Ärzte und Anwälte bei ihrer täglichen Arbeit unterstützen und Ih- nen zuarbeiten, die Informationen aufnehmen und wei- terleiten, die Recherchen durchführen und vieles mehr . Doch oft reicht dies nicht aus: Gerade heutzutage gibt es viele Aufgaben, die eine besondere Spezialisierung er- fordern . Denken Sie zum Beispiel an die Einrichtung und Wartung komplexer IT-Anlagen . Derartige Aufgaben können regelmäßig nicht durch Berufsgehilfen übernom- men werden . Die Einstellung von spezialisiertem Perso- nal ist im Regelfall hier nicht wirtschaftlich – gerade mit Blick auf unsere überwiegend mittelständisch geprägten Strukturen . Regelmäßig und praxisnah sind Berufsgeheimnisträ- ger daher auf die Unterstützung externer Unternehmen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723404 (A) (C) (B) (D) oder selbstständig tätiger Personen angewiesen . Doch gerade diese Notwendigkeit bedeutet für Ärzte, Anwälte und viele andere nicht selten, sich potenziell strafbar zu machen . Dies kann unter Umständen dann der Fall sein, wenn externe Dienstleister bei ihrer Arbeit Kenntnis über Geheimnisse erlangen können bzw . keine ausdrückliche Einwilligung des Berechtigten vorliegt . Diesen Graube- reich schließen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung und erreichen einen deutlichen Zu- gewinn an Rechtssicherheit . Dafür danke ich schon jetzt allen Beteiligten ausdrücklich . In der gebotenen Kürze darf ich die wichtigsten An- sätze kurz umreißen: Die für Rechtsanwälte und Patentanwälte bereits im Satzungsrecht bestehende Pflicht, Mitarbeiter zur Ver- schwiegenheit zu verpflichten, wird in das Gesetz über- nommen . Außerdem werden in die Bundesrechtsanwaltsord- nung, Bundesnotarordnung, Patentanwaltsordnung, das Steuerberatungsgesetz und die Wirtschaftsprüferordnung Befugnisnormen eingefügt . Damit werden Voraussetzungen und Grenzen, unter denen dritten Dienstleistern der Zugang zu fremden Ge- heimnissen eröffnet werden darf, festgelegt. Für andere Berufsgruppen ist eine Einschränkung der Strafbarkeit vorgesehen, soweit dies für die ordnungsge- mäße Durchführung der Tätigkeit der mitwirkenden Per- sonen erforderlich ist . Dazu wird zunächst klargestellt, dass ein Offenlegen von Geheimnissen gegenüber unmit- telbar in die Sphäre des Berufsgeheimnisträgers einge- bundenen Personen kein strafbares Offenbaren ist. Ist das Offenbaren auch gegenüber externen Dritten beruflich erforderlich, handelt der Berufsgeheimnisträger befugt und damit nicht rechtswidrig . In beiden Konstellationen folgt eine Verringerung des Geheimnisschutzes . Dies wird jedoch dadurch ausgegli- chen, dass mitwirkende Personen in die Strafbarkeit nach § 203 StGB einbezogen werden . Auch haben Berufs- geheimnisträger verpflichtend dafür zu sorgen, dass die einbezogenen Personen zur Geheimhaltung verpflichtet werden . Mit dem vorliegenden Entwurf haben wir eine solide Grundlage, mit der wir nun ins parlamentarische Verfah- ren gehen können . Bereits im Mai werden wir im Rah- men einer Anhörung die Gelegenheit haben, bezüglich der konkreten Ausgestaltung ins Detail zu gehen . Lassen Sie mich abschließend einige Punkte anreißen, die wir dabei unter anderem noch einmal in den Fokus nehmen sollten: § 203 Absatz 4 Satz 2 Nummer 1 und 2 StGB-Ent- wurf: Wie bereits erwähnt, sollen Berufsgeheimnisträger künftig dafür sorgen, dass in ihre Berufsausübung einge- bundene externe Personen zur Geheimhaltung verpflich- tet werden . Bei Verwirklichung bedeutet dies das Bege- hen einer vorsätzlich strafbaren Handlung . Praxisnah könnte dies jedoch oft eine Sorgfaltspflicht- verletzung darstellen . Aufgrund fehlender Fahrlässig- keitsstrafbarkeit bliebe dies sanktionslos . Erforderlichkeitsanforderung in § 203 StGB unbe- stimmt: Auch im vorliegenden Gesetzentwurf sollten wir Wert darauf legen, unbestimmte Rechtsbegriffe möglichst zu vermeiden . Mit Blick auf die Erforderlichkeit des § 203 StGB sollten wir zumindest prüfen, ob die Aufnahme praxisnaher Beispiele in die Begründung mehr Rechtssi- cherheit schaffen kann. Mitwirkende Personen: Auch bezüglich des Kreises der mitwirkenden Perso- nen scheint eine Nachschärfung sinnvoll . Beispielswei- se ist in vielen Berufsordnungen von Dienstleistern die Rede. Dabei werden wir in der Praxis häufig Fälle sehen, in die ein beauftragter Dienstleister wiederum seine Mit- arbeiter einsetzen wird, die dann die tatsächlich mitwir- kenden Personen sind . Auch hier sollten wir geeignet für Klarheit sorgen . Insgesamt schafft der vorliegende Gesetzentwurf ei- nen guten Ausgleich zwischen dem Schutz von Geheim- nissen und einer praxistauglichen Neuerung, die die Le- benswirklichkeit abbildet . Es war höchste Zeit, insbesondere für eine Vielzahl von Freiberuflern, mehr Rechtssicherheit zu schaffen. Dementsprechend positiv ist auch die Resonanz, die uns bisher erreicht hat . In diesem Sinne freue ich mich auf die weiteren Beratungen . Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Die Verschwiegen- heit zählt zu den Kardinalspflichten eines jeden Arztes, Rechtsanwalts oder Steuerberaters . Verstöße können für die Beteiligten zu irreparablen Schäden führen . Neben einer zivilrechtlichen Haftung wird das unbefugte Offen- baren von Geheimnissen in § 203 Strafgesetzbuch unter Strafe gestellt . Schwerwiegender sind oftmals die berufs- rechtlichen Konsequenzen, die bis zu einem Entzug der Zulassung reichen . Berufsgeheimnisträger können ihre Tätigkeit nicht al- leine bewerkstelligen, sodass sie sich oftmals von weite- ren angestellten Personen unterstützen lassen . Damit die Verschwiegenheitspflicht nicht ins Leere läuft, ist diese Gruppe in strafbewehrter Weise ebenfalls darin einge- schlossen . Allerdings hat sich die Arbeitswelt gewandelt . Eine Vielzahl der unterstützenden Tätigkeiten werden von angestelltem Personal nicht mehr erledigt . Als Beispie- le seien nur die IT-Systemwartung, die Speicherung von Daten durch Cloud-Lösungen oder die Aktenarchivie- rung genannt . Selbst die klassischen Tätigkeiten in Kanz- leien wie die Entgegennahme von Telefonanrufen oder Schreibarbeiten werden oftmals von externen Dienstleis- tern erbracht . Diese externen Dienstleister sind im Gegensatz zum angestellten Personal in der Sphäre des Berufsgeheim- nisträgers jedoch nicht mehr zu verorten . Ein Berufsge- heimnisträger macht sich möglicherweise strafbar, wenn Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23405 (A) (C) (B) (D) er externe Personen, beispielsweise bei der Wartung des IT-Systems, Zugang zu Geheimnissen gewährt . Es be- steht eine erhebliche Rechtsunsicherheit, die gelöst wer- den muss . Mit diesem Gesetzentwurf möchten wir wieder Rechtssicherheit schaffen. Der Gesetzgeber ist aufgeru- fen, die Vorschriften zum Geheimnisschutz an die tat- sächlichen Gegebenheiten anzupassen . Es soll festgeschrieben werden, dass sich Berufsge- heimnisträger nicht strafbar machen, wenn sie sich der Unterstützung externer Dienstleister bedienen . Das hohe Schutzniveau von Geheimnissen muss jedoch aufrechter- halten bleiben, sodass die Erweiterung des Personenkrei- ses unter mehreren Voraussetzungen stehen muss . Die Mitwirkung eines externen Dienstleisters muss für den Berufsgeheimnisträger erforderlich sein . Damit soll der Notwendigkeit einer Ausweitung des Geheim- nisses auf einen nur begrenzten Personenkreis Rechnung getragen werden . Zugleich ist der erweiterte Kreis von Geheimnisträgern zur Verschwiegenheit verpflichtet und macht sich bei Verstößen strafbar . Die Grundrichtung des Gesetzentwurfs ist damit vor- gegeben . Im Detail besteht jedoch noch Bedarf an Ände- rungen und Klarstellungen . Ich möchte dabei drei Punkte herausgreifen: Der Gesetzentwurf spricht im Strafgesetzbuch von be- rufsmäßig tätigen Gehilfen und sonstigen mitwirkenden Personen . Im Recht der freien Berufe, wie beispielswei- se der Wirtschaftsprüferordnung, finden sich stattdessen die Begriffe der beschäftigten Person und des Dienstleis- ters . Für mehr Rechtssicherheit und zur Vermeidung von Strafbarkeitslücken sollte eine einheitliche Terminologie verwendet werden . Es wäre beispielsweise an den ein- heitlichen Begriff der mitwirkenden Person zu denken, der sich schließlich in allen relevanten Regelungen wie- derfindet. Eine weitere Frage stellt sich bei sogenannten Unter- auftragsketten . Darf sich der externe Dienstleister weite- rer mitwirkender Personen bedienen? Um einer Absen- kung des Schutzniveaus entgegenzuwirken, sollten wir noch eine gesetzliche Klarstellung vornehmen . Ohne Beauftragung oder Einverständnis des Berufsgeheim- nisträgers sollte die Offenbarung von Geheimnissen an Unterauftragsnehmer unzulässig sein . Wir müssen auch noch korrespondierende Regelun- gen in der Strafprozessordnung schaffen. Der Geheim- nisschutz wäre nicht durchgehend gewahrt, wenn ein externer Dienstleister im Rahmen seiner Zeugenpflicht in einem Gerichtsverfahren aussagen und das Geheimnis offenbaren müsste. Es bedarf für diese Gruppe der Schaf- fung eines Zeugnisverweigerungsrechts, um Widersprü- che in der Rechtsordnung zu vermeiden . Ich bin zuversichtlich, dass wir die noch offenen Fra- gen in der Anhörung und den Beratungen im Ausschuss klären können . Machen wir uns an die Arbeit! Dr. Johannes Fechner (SPD): Angehörige be- stimmter Berufsgruppen gewinnen innerhalb ihrer beruf- lichen Tätigkeit Einblick in die Privatsphäre derer, die sich hilfesuchend an sie wenden . Bei Rechtsanwälten, Ärzten oder auch Psychologen ist die Kenntnis des per- sönlichen Lebensbereichs des Mandanten oder Patienten mehr oder weniger Voraussetzung für die Erbringung ih- rer Dienstleistung . Umgekehrt muss der Hilfesuchende darauf vertrauen können, dass die von ihm anvertrauten Details nicht unbefugt Dritten offenbart werden. Die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht ist – neben be- rufsrechtlichen Konsequenzen – gemäß § 203 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bedroht . Das gleiche gilt für die Beschäftigten der sogenannten Berufsgeheimnisträger . Im Binnenverhältnis Berufsge- heimnisträger/Angestellter begründet die Offenbarung von Geheimnissen keine Strafbarkeit, da das Geheimnis den Wissenskreis nicht verlässt . So weit, so gut – zumindest für lange Zeit . Die Digi- talisierung der Arbeitsprozesse hat jedoch zu Schutzlü- cken geführt. Immer häufiger werden Tätigkeiten nicht mehr von eigenen Angestellten erledigt, sondern „ausge- lagert“ . Dies ist zum Beispiel dann der Fall, wenn für die Tätigkeit spezielle Kenntnisse erforderlich sind, über die das eigene Personal nicht verfügt, die Einstellung ei- ner Person mit entsprechenden Kenntnissen jedoch nicht wirtschaftlich wäre . Zudem bieten Betrieb, Wartung und Anpassung von informationstechnischen Anlagen und Systemen die Möglichkeit, Kenntnis von allen Daten und damit von geschützten Geheimnissen zu nehmen . Perso- nen, die an der beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit des Geheimnisträgers mitwirken, ohne jedoch in seine Sphä- re eingebunden zu sein, sind nach herrschender Meinung nicht von § 203 StGB erfasst . Dies führt zu der Situation, dass sich der Berufsgeheimnisträger strafbar zu machen droht, wenn er bestimmte Aufgaben auslagert . Zudem ist der Patient, Mandant oder der sonst eine Dienstleistung in Anspruch Nehmende nur lückenhaft strafrechtlich geschützt, da die Offenbarung von Geheimnissen durch sonstige Mitwirkende nicht strafbewehrt ist . Der Entwurf will die geschilderte Strafbarkeitslücke schließen . Der Berufsgeheimnisträger soll zur Weiter- gabe oder dem Zugänglichmachen von Geheimnissen an externe Dienstleister befugt sein, soweit es für die Inanspruchnahme der Tätigkeit erforderlich ist . Im Um- kehrschluss machen sich diese mitwirkenden Personen strafbar, wenn sie das Geheimnis ihrerseits Dritten offen- baren . Die vorgeschlagene Regelung trägt den veränderten Umständen der Arbeitswelt adäquat Rechnung . Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Grundsätzlich ist der Gesetzentwurf längst überfällig, Deutschland hat aber insbesondere auch hier mal wieder die technische Entwicklung verschlafen und alle Berufsgeheimnisträger seit Jahren der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung ausge- setzt, wenn sie zum Beispiel IT-Systeme verwenden, die von Dritten betreut werden . Dies ist jedoch zwischenzeit- lich der Standard bei jeder noch so kleinen Anwaltskanz- lei oder Arztpraxis . Denn diese Helfer waren bisher nicht ausreichend in § 203 StGB berücksichtigt und der im Rahmen ihrer Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723406 (A) (C) (B) (D) vertraglichen Tätigkeit notwendige Zugriff durch sie auf Daten der entsprechenden Berufsgeheimnisträger de lege lata strafbar . Das betraf auch andere Dienstleistungen wie Aktenvernichtung, Aktenarchivierung etc . Die BRAK hat schon versucht, dem durch Änderun- gen der Berufsordnung der Rechtsanwälte Rechnung zu tragen . Dort ist in § 2 geregelt, dass der Rechtsanwalt seine Mitarbeiter zur Verschwiegenheit schriftlich zu verpflichten und anzuhalten hat, auch soweit sie nicht im Mandat, sondern in sonstiger Weise für ihn tätig sind . Dies gilt auch hinsichtlich sonstiger Personen, de- ren Dienste der Rechtsanwalt in Anspruch nimmt und denen er verschwiegenheitsgeschützte Tatsachen zur Kenntnis gibt oder die sich gelegentlich ihrer Leistungs- erbringung Kenntnis von verschwiegenheitsgeschützten Tatsachen verschaffen können. Nimmt der Rechtsan- walt die Dienste von Unternehmen in Anspruch, hat er diesen Unternehmen aufzuerlegen, ihre Mitarbeiter zur Verschwiegenheit über die Tatsachen gemäß Satz 1 zu verpflichten. Die vorgenannten Pflichten gelten nicht, soweit die dienstleistenden Personen oder Unternehmen kraft Gesetzes zur Geheimhaltung verpflichtet sind oder sich aus dem Inhalt der Dienstleistung eine solche Pflicht offenkundig ergibt. Nun soll dem durch Änderung des § 203 StGB Rech- nung getragen werden, indem die Kenntnisnahme von Geheimnissen im Rahmen der vorgenannten Tätigkeiten kein Offenbaren im strafrechtlich relevanten Sinne dar- stellen soll . Allerdings werden die Änderungen nicht durch das Prozessrecht – wie zum Beispiel dem Zeugnisverweige- rungsrecht der Berufshelfer entsprechend § 53a StPO – hinreichend flankiert, was Folgeprobleme aufwirft und zu Rechtsunsicherheit führen wird . Bezeichnenderweise enthält der Gesetzentwurf dazu keinerlei Aussagen . Auch ist der Gesetzgeber wieder im Bereich der In- formationstechnik naiv, wenn er im Rahmen der Ände- rungen zur Rechtsanwaltsordnung bei der Inanspruch- nahme von Dienstleistungen ausländische Anbieter nur zulässt, wenn ein entsprechendes Schutzniveau im Aus- land herrscht. Begriffe wie Cloud und das Problem, dass selbst die USA unter Datenschutzgesichtspunkten nicht als gleichwertig betrachtet werden, finden damit keine hinreichende praxistaugliche Abbildung . Dass darüber hinaus spezifische berufsrechtliche Re- gelungen notwendig sind, erscheint überengagiert und dürfte der Rechtssicherheit ebenfalls abträglich sein . Vollkommen abwegig ist die Einführung eines neu- en Straftatbestandes für Berufsgeheimnisträger, die die Hilfs personen ihrerseits nicht auf Geheimhaltung verpflichten – die Geheimhaltungspflicht ist bereits ge- setzlich für die Hilfspersonen fixiert, und wer sich als Dienstleister in einem solchen Umfeld bewegt, muss seine Pflichten selbst kennen. Überspitzt gesagt: Auch der Messerverkäufer wird nicht bestraft, wenn er Messer verkauft, ohne darauf hinzuweisen, dass damit tunlichst keine Menschen umgebracht werden dürfen . Allenfalls als sanktionierbare Berufspflicht käme die Geheimhal- tungsverpflichtung in Betracht. Na, mal sehen, ob die Beratungen was retten; derzeit kann man den Gesetzentwurf nur ablehnen . Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Ge- setzentwurf der Bundesregierung nimmt sich eines Pro- blems an, dass für viele Berufsgeheimnisträger in der Praxis schon länger besteht und will dazu sowohl das Strafrecht als auch das anwaltliche Berufsrecht ändern . Anwälte, Steuerberater oder Ärzte sind zur Verschwie- genheit verpflichtet und benötigen dennoch die Unter- stützung Dritter bei der Ausübung ihres Berufs . Anwalts- gehilfen oder Arzthelfer sind schon berufsmäßig in die Geheimnisse der Mandanten bzw . Patienten eingebunden und gehören zum sogenannten „geschlossenen Geheim- nisträgerkreis“ . Die freien Berufe müssen sich aber heute aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung immer häufiger externer Dienstleister bedienen . Das fängt bei der Datenspeiche- rung an und geht bis hin zur regelmäßigen Nutzung von IT-Dienstleistern, um nur einige relevante Beispiele zu nennen . Jede Anwältin, die eine IT-Firma beauftragt, steht quasi mit einem Fuß im Knast, weil die Firmen- mitarbeiter Zugang zu den Mandatsdaten haben . Und seit neuestem zwingen wir per Gesetz sogar kleine Kanzleien zu diesem Schritt, weil alle ein elektronisches Postfach vorhalten müssen, das die Datensicherung und -speiche- rung immer komplizierter macht . Für alle Berufsgeheimnisträger soll deshalb jetzt das Strafrecht angepasst bzw . der strafrechtliche Geheimnis- schutz „verlängert“ werden . Es geht um die Vorschrift des § 203 StGB: „Verletzung von Privatgeheimnissen“ . So soll das Offenbaren eines Geheimnisses nicht mehr rechtswidrig sein, wenn die Inanspruchnahme der mit- wirkenden Personen „erforderlich“ war und der Dienst- leister zur Verschwiegenheit verpflichtet wurde. Hier stellt sich schon die Frage, was eigentlich „erfor- derlich“ ist. Entsprechendes soll auch bei mehrstufigen Auftragsverhältnissen gelten, also wenn sich die Dienst- leister ihrerseits weiterer Personen zur Aufgabenerfül- lung bedienen . Wie aber soll der Berufsgeheimnisträger praktisch da- für Sorge tragen, dass ein von ihm beauftragter Dritter auch seine Angestellten zur Verschwiegenheit verpflich- tet? Was muss er tun, um das auch zu überprüfen? Hier muss klar bestimmt werden, welchen Umfang die Sorg- faltspflichten zum Geheimnisschutz tatsächlich haben. Immerhin geht es um Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr . Zudem hat der Bundesrat zu Recht moniert, dass es hier eigentlich um eine Vorsatztat geht und nicht um die Verletzung von Sorgfaltspflichten. Der schwerwiegendste Mangel des Gesetzes ist aller- dings der, dass das Problem nicht zu Ende gedacht wur- de: Es fehlt nämlich das Zeugnisverweigerungsrecht für mitwirkende Personen in der Strafprozessordnung . Bislang ist in § 53a StPO geregelt, dass die klassi- schen Berufshelfer – ebenso wie Ärzte und Rechtsanwäl- te selbst – ein Zeugnisverweigerungsrecht haben . Davon sind aber die IT-Dienstleister gerade nicht erfasst! Was bringt also eine Verschwiegenheitserklärung, wenn die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23407 (A) (C) (B) (D) Mitarbeiter der IT-Dienstleister ihre Kenntnisse ggf . als Zeugen gegenüber der staatlichen Ermittlungsbehörde preisgeben müssen? Auf Seite 22 der Begründung Ihres Gesetzentwurfs wird auf ein gesondertes Gesetzgebungs- verfahren verwiesen, in dem das demnächst geregelt wer- den soll . Dieses Gesetz zur Umsetzung der Berufsaner- kennungsrichtlinie haben wir allerdings in der vorletzten Sitzungswoche bereits verabschiedet, nachdem Sie alles Mögliche daraus wieder gestrichen haben . Auch das Zeugnisverweigerungsrecht wurde dort ge- rade nicht geregelt, weil die Dinge mal wieder kompli- zierter sind, als gedacht . Die Frage, die beantwortet werden muss, ist doch, ob wirklich alle Mitarbeiter von IT-Dienstleistern, Reini- gungsfirmen etc. vom Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53a StPO erfasst werden sollen oder nicht?! Ich finde darüber kann und muss man nachdenken . Der Kreis der zeugnisverweigerungsberechtigen Per- sonen wird dann in der Tat zwar sehr groß, aber ande- rerseits betrifft es ja auch nur Geheimnisse, von denen gerade im Hinblick auf das konkrete Dienstverhältnis Kenntnis genommen wurde . Auf der anderen Seite hat der Bundesrat nicht zu Unrecht angemahnt, dass die Geheimschutzbelange der betroffenen Personen – also Mandanten bzw. Patienten – nicht genug berücksichtigt werden . Es geht mal wieder um des Pudels Kern in der digitalisierten Welt: Muss ich wirklich damit rechnen, dass meine Scheidungsakte oder meine Vergewaltigungsakte in einer I-Cloud oder wo auch immer gespeichert sind, auf die dann eine un- begrenzte Zahl mir nicht bekannter IT-Spezialisten einer von meiner Anwältin beauftragten Firma zugreifen kön- nen? Ich habe hier schon mehrfach deutlich gemacht, dass ich die Pflicht zum elektronischen Rechtsverkehr kritisch sehe . Wenn Sie aber zu dieser Entscheidung stehen wol- len, müssen Sie auch beim Zeugnisverweigerungsrecht nachziehen . Beides sind Seiten ein und derselben Me- daille . Solange Sie diese Frage nicht klar beantworten, ist Ihr Gesetzentwurf in dieser Form bloßes Stückwerk . Christian Lange, Parl . Staatssekretär beim Bun- desminister der Justiz und für Verbraucherschutz: Nach § 203 des Strafgesetzbuches machen sich die dort ge- nannten Berufsgeheimnisträger strafbar, wenn sie ein Geheimnis, das ihnen in beruflicher Eigenschaft anver- traut wurde, unbefugt offenbaren. Das gilt beispielsweise für Ärzte, Apotheker, Rechtsanwälte, Notare, Steuerbe- rater und Wirtschaftsprüfer . Dieser strafrechtliche Schutz ist notwendig, denn ohne die Pflicht zur Verschwiegenheit kann kein Vertrau- ensverhältnis zwischen den Berufsgeheimnisträgern und dem Anvertrauenden entstehen. Und ohne diese Pflicht kann auch der Berufsgeheimnisträger die ihm zugedach- te Funktion nicht sinnvoll erfüllen . Allerdings können diese Berufsgruppen heute ihre be- ruflichen Tätigkeiten nicht mehr allein oder ausschließ- lich mit der Unterstützung eigenen Personals ausüben . Vielmehr sind sie für bestimmte Tätigkeiten auf darauf spezialisierte Unternehmen oder selbständig tätige Per- sonen angewiesen . Ein besonders plastisches Beispiel ist die Einrichtung, der Betrieb, die Wartung und die Anpassung von IT-Sys- temen . Schon aus Gründen der Informationssicherheit, die nicht zuletzt auch den Personen dient, die den Berufs- geheimnisträgern ihre Geheimnisse anvertrauen, ist es angezeigt, dass hier Fachleute tätig werden . Dass solche Fachleute in einer kleinen Arztpraxis oder Anwaltskanz- lei nicht als eigenes Personal beschäftigt werden können, liegt auf der Hand . Aber auch bei größeren Unternehmen ist es oftmals wirtschaftlich nicht sinnvoll, für all diese unterstützenden Tätigkeiten eigenes Personal vorzuhal- ten . Wer sich mit IT auskennt, dem ist klar, dass mit der Arbeit an solchen Systemen in den meisten Fällen die Möglichkeit verbunden ist, von den dort verarbeiteten Daten Kenntnis zu erlangen . Liegt in diesen Fällen nicht die ausdrückliche Einwil- ligung aller Personen vor, von denen die dort abgespei- cherten Geheimnisse stammen, und regelt auch das Be- rufsrecht die Inanspruchnahme externer Unterstützung nicht, so läuft der Berufsgeheimnisträger nach geltender Rechtslage Gefahr, sich nach § 203 des Strafgesetzbu- ches strafbar zu machen . Mit unserem Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung schweigepflichtiger Personen wollen wir hier Rechtssicherheit schaffen. Der Gesetzentwurf schlägt daher im Wesentlichen vor, ein Offenbaren von Geheimnissen durch den Berufsge- heimnisträger gegenüber dritten Personen zu erlauben, die an der beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit der Berufsgeheimnisträger mitwirken, soweit dieses Offen- baren für die Inanspruchnahme der Tätigkeit der mitwir- kenden Person erforderlich ist . Kompensiert werden soll die damit verbundene Ver- ringerung des strafrechtlichen Geheimnisschutzes durch eine Einbeziehung aller mitwirkenden Personen in den Kreis der tauglichen Täter nach § 203 des Strafgesetz- buches. Den Berufsgeheimnisträger selbst trifft eine strafbewehrte Pflicht dafür Sorge zu tragen, dass die einbezogenen Personen ihrerseits zur Verschwiegenheit verpflichtet werden. Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf Änderungen in einigen Berufsordnungen vor . In die Bundesrechts- anwaltsordnung, die Bundesnotarordnung, die Patent- anwaltsordnung, das Steuerberatungsgesetz und die Wirtschaftsprüferordnung werden nun insbesondere Be- fugnisnormen eingefügt, die Voraussetzungen und Gren- zen festlegen, unter denen Dienstleistern, die an der Be- rufsausübung der Berufsgeheimnisträger mitwirken, der Zugang zu fremden Geheimnissen eröffnet werden darf. Damit regeln wir berufsrechtlich das, was der Bun- desgesetzgeber regeln kann . Denn für andere Berufsge- heimnisträger, wie zum Beispiel Ärzte, liegt die Gesetz- gebungskompetenz nicht beim Bund . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723408 (A) (C) (B) (D) Ich bitte um Unterstützung für diesen Gesetzentwurf . Es ist dringend notwendig, die rechtlichen Regelungen für die Berufsgeheimnisträger den tatsächlichen Erfor- dernissen anzupassen. Bei den Verbänden der betroffe- nen Berufsgruppen, die wir zu dem Referentenentwurf beteiligt hatten, ist das Vorhaben auf breite Zustimmung gestoßen und allgemein die Hoffnung geäußert worden, dass dieses Projekt schnell zu einem erfolgreichen Ab- schluss kommt . Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 11. Juli 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regie- rung der Arabischen Republik Ägypten über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 26. September 2016 zwischen der Regie- rung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tunesischen Republik über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich (Tagesordnungspunkte 33 a und b) Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Heute be- raten wir abschließend über zwei Abkommen im Si- cherheitsbereich mit Tunesien und Ägypten . Mit diesen Abkommen wird die Zusammenarbeit im Sicherheitsbe- reich auf eine neue Stufe gestellt, und die freundschaft- lichen Beziehungen mit Ägypten und Tunesien werden vertieft . Ziel ist insbesondere die Zusammenarbeit im Kampf gegen die schwere Kriminalität, wie zum Beispiel Menschenhandel und Zuhälterei, Schleuserkriminalität, aber auch Geldwäsche, Korruption und Computerkrimi- nalität . Daneben spielt der Kampf gegen den Terrorismus eine wichtige Rolle . Um diese Ziele zu erreichen, sollen sich zukünftig Fachleute aus Deutschland, Tunesien und Ägypten über Methoden der Kriminalitätsverhütung und -bekämpfung austauschen und voneinander lernen . Über diese prak- tische Zusammenarbeit hinaus wird in den Abkommen auch der Informationsaustausch zwischen den Vertrags- parteien geregelt, wobei klargestellt ist, dass hierbei in- nerstaatliches Recht beachtet werden muss . Zusätzlich zu dieser vereinbarten Zusammenarbeit im Bereich der Verbrechensbekämpfung enthält insbe- sondere das Abkommen mit Tunesien noch ausführliche Kapitel zu den Themen Migration und Flüchtlinge sowie der Zusammenarbeit im Bereich des Katastrophenschut- zes . Dabei geht es im Bereich Migration auch um die „Sicherstellung des Schutzes der Rechte von Migranten und Flüchtlingen entsprechend den internationalen Stan- dards“ . Mir ist bewusst – und dies wurde auch im Innenaus- schuss diskutiert –: Die menschenrechtliche Lage gera- de in Ägypten entspricht nicht unseren Vorstellungen . Die ägyptische Regierung schränkt vielmehr massiv die Rechte der eigenen Bürger ein . Ich will in diesem Rah- men auch noch einmal klar unterstreichen, dass wir die Todesstrafe als nicht mit den Menschenrechten vereinbar ansehen und sie ablehnen . Daher appelliere ich an dieser Stelle an die ägyptische Regierung, hier Schritte für Ver- besserungen zu unternehmen . Uns allen sollte aber klar sein, dass wir in einer Welt leben, in der Menschenrechte und Demokratie nach un- seren Vorstellungen leider nicht der globale Standard sind, wobei man anmerken könnte, dass wir auch Mit- gliedstaaten in der Europäischen Union haben, in denen dieser Standard nicht unbedingt hundertprozentig erfüllt wird . Wenn aber nun aus dieser Erkenntnis, dass nur die wenigsten Staaten in dieser Hinsicht unseren Wertvor- stellungen entsprechen, die Konsequenz gezogen werden sollte, mit den übrigen Staaten keine Zusammenarbeit im Kampf gegen Kriminalität und Terror anzustreben, dann macht das weder das Leben in Deutschland noch woan- ders in der Welt sicherer . Dies kann und sollte nicht unser Ziel sein . Wie Sie dem Vertragstext im Abkommen mit Ägypten entnehmen können, ist sich die Bundesregierung der dor- tigen Probleme bei den Menschenrechten bewusst und hat deren Schutz ausdrücklich in den Vertragstext mit aufgenommen . Das geht bis zum möglichen Abbruch der Kooperation, um auf Verletzungen der Menschenrechte zu reagieren . Ich möchte außerdem hervorheben, dass die Zusam- menarbeit im Bereich Forschung und Aus- und Weiter- bildung einen zentralen Teil des Abkommens darstellt . Daraus ergibt sich für uns die Möglichkeit, im Rahmen dieser Kooperation einen konstruktiven Einfluss auf die Ausbildung der Sicherheitskräfte in den betreffenden Ländern zu nehmen . Ich bin überzeugt, dass die Erfah- rungen, die die ägyptischen und tunesischen Sicherheits- kräfte im Austausch mit der Bundesrepublik Deutschland und ihren rechtsstaatlichen Standards machen werden, langfristig positiv auf deren Arbeit zurückwirken werden . Die Welt, in der wir leben, ist nicht perfekt, damit müssen wir zurechtkommen. Die nun zur Ratifikation vorliegenden Verträge können aber dazu beitragen, zu- mindest einen kleinen Schritt in die richtige Richtung zu gehen, um die Welt besser zu machen . So können wir Tunesien helfen, auf seinem Weg zu mehr Demokratie und Menschrechten voranzukommen . Gerade dieses Land hat ja seit dem Beginn des sogenann- ten Arabischen Frühlings eine für die Region recht vor- bildliche Entwicklung genommen . Wenn wir einen Anteil zur Stabilisierung der tunesi- schen Erfolge leisten wollen, dürfen wir nicht die Hände in den Schoß legen . Wir müssen auf mehreren Ebenen ansetzen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23409 (A) (C) (B) (D) Da sehe ich zum einen ganz stark die politische Bil- dung und die Förderung der Zivilgesellschaft und der demokratischen Strukturen . All diese Bemühungen können ihre Wirkung aber nur in einem sicheren Umfeld entfalten . Dazu können die vorliegenden Abkommen einen wertvollen Beitrag leis- ten . Ebenso haben wir auch in Ägypten die Chance, un- seren positiven Einfluss in diesem Bereich geltend zu machen . Besonders im Falle Ägyptens mit seinen über 87 Millionen Einwohnern muss es uns ein Herzensanlie- gen sein, die Bindungen und Kanäle zu diesem wichtigen Staat aufrechtzuerhalten . Denn das Land am Nil kann im besten Falle ein nach außen wirkender Stabilitätsanker für die Region sein, im schlechtesten Falle Herkunfts- und Transitland von Terroristen, die nicht nur die Leben der Menschen dort, sondern auch bei uns in Europa be- drohen . Die Ägypter sind bereits erheblich durch die Gefahr des Terrorismus bedroht . Gerade Minderheiten leiden unter der jetzigen Situation . Besonders die seit längerem bedrohten christlichen Gemeinden werden immer mehr zur Zielscheibe von gewalttätigen Extremisten . Dass wir den Kontakt zur ägyptischen Regierung auch in schwierigen Zeiten halten und auch in der Sicherheits- kooperation vertiefen, ist im Interesse unserer beiden Staaten und deren Bewohner . Das Gleiche gilt für Tunesien . Dies sage ich im Be- sonderen vor dem Hintergrund des Anschlages in Berlin im vergangenen Dezember . Der Fall des Berlin-Attentä- ters Anis Amri, der ja aus Tunesien kam, zeigt doch ganz eindeutig, dass wir die Zusammenarbeit im Sicherheits- bereich vor allem mit den Ländern, die besonders unter dem Extremismus leiden, ausbauen müssen . Dazu gehört im Rahmen des vorliegenden Abkom- mens dementsprechend auch ein Schwerpunkt auf der Fälschungssicherheit von Ausweisdokumenten sowie der Steuerung von Migration in legale und besser kontrollier- bare Kanäle . Glaubt denn jemand hier im Haus ernsthaft, dass sich unsere Sicherheit hier in Deutschland oder die Situation in unseren Partnerländern verbessert, wenn wir auf Abkommen wie dieses verzichten? Gerade auch damit wir Verbrechen wie den Berliner Anschlag in Zukunft effektiver verhindern können, brau- chen wir eine bessere Zusammenarbeit mit den Her- kunftsstaaten von Gefährdern . Und dazu gehören bedau- erlicherweise nun einmal auch Tunesien und Ägypten . Die Abkommen bieten hier die Möglichkeit für positive Entwicklungen . Nichts zu tun, wird jedenfalls nichts be- wirken . Ich bitte Sie daher, den vorliegenden Gesetzen die Zu- stimmung zu erteilen, damit die Abkommen mit Tunesi- en und Ägypten zur Zusammenarbeit im Sicherheitsbe- reich in Kraft treten können . Wolfgang Gunkel (SPD): Polizeiliche Zusammen- arbeit ist ein wichtiger Eckpfeiler unserer inneren Si- cherheit . Ohne länderübergreifende polizeiliche Zusam- menarbeit sind wir den aktuellen Bedrohungen nicht gewachsen, denn im Bereich des Terrorismus und auch im Bereich der organisierten Kriminalität wird durchaus länderübergreifend zusammengearbeitet . Dem können wir uns nicht verschließen . Polizeiliche Zusammenarbeit ist wichtiger denn je . Immer wieder haben wir in den vergangenen Jahren über diese Art von Abkommen diskutiert . Zuletzt ging es um die Zusammenarbeit mit Serbien, Albanien und Ge- orgien, und nun wird die Kooperation auch über Europa hinaus ausgedehnt . Wie sieht die Zusammenarbeit konkret aus? Im Bereich der Kriminalitäts- und Terrorismusbe- kämpfung geht es vor allem um Informationsaustausch unter Fachleuten: zu Methoden der Kriminalitätsbe- kämpfung und Verhütung, ebenso zu Tätern und Metho- den im Bereich der kriminalistischen und kriminologi- schen Forschung . Bei operativen Maßnahmen soll kooperiert werden . So soll bei operativen Ermittlungen durch aufeinander abgestimmte polizeiliche Maßnahmen zusammenge- wirkt und dabei personell, materiell und organisatorisch Unterstützung geleistet werden . Weiterhin sollen sich die Vertragsparteien einander bei der Durchführung von Seminaren, Lehrgängen und praktischen Übungen, der Entsendung von Fachleuten zum Erfahrungsaustausch sowie bei der Erarbeitung von Lehrgangsunterlagen und Lehrplänen unterstützen . Im Bereich des Katastrophenschutzes geht es um die Zusammenarbeit bei Ausbildung und Ausstattung sowie der Entsendung von qualifiziertem Personal im Katast- rophenfall . Im Innenausschuss haben wir bereits die Kehrseite solcher Abkommen diskutiert . Wir können nicht überall von den menschenrechtli- chen Standards ausgehen, die wir an Polizeiarbeit stellen . Gerade das Thema Ägypten bereitet sicher nicht nur mir erhebliche Bauchschmerzen . Die menschenrechtli- che Lage ist nach wie vor sehr angespannt . Die Polizei- arbeit ist nicht immer frei von Willkür und Korruption . Oppositionelle und Minderheiten werden verfolgt, und die Gefahr besteht, dass der Wissensaustausch und die Zusammenarbeit dazu führen, dass Repressionen noch erfolgreicher durchgeführt werden können . Solche Probleme gilt es auch im Rahmen eines part- nerschaftlichen Zusammenarbeitens klar zu benennen . Der vielfältige Erfahrungsaustausch, aber auch die Zu- sammenarbeit bei der Ausbildung und der Gestaltung von Lehrplänen wurden bereits erwähnt . Hier sind die deutschen Partner gefordert, ihre rechtsstaatlichen Ideale und Kenntnisse zu vermitteln und vorbildhaft einzuset- zen . Das Abkommen zeigt daneben auch die Grenzen der Zusammenarbeit auf: Der Zusammenarbeit kann wider- sprochen werden, wenn zum Beispiel wesentliche Inte- ressen einer Vertragspartei beeinträchtigt werden oder die Zusammenarbeit im Widerspruch zu ihrem inner- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723410 (A) (C) (B) (D) staatlichen Recht steht . Hier wird klar formuliert, dass eine Zusammenarbeit nicht stattfinden kann, wenn damit Menschenrechtsverletzungen unterstützt werden . Ich vertraue auf die Kompetenz der handelnden Be- hörden, diese Grenzen zu erkennen und aufzuzeigen . Insgesamt überwiegen die sicherheitspolitischen Inte- ressen, die eine solche Zusammenarbeit erforderlich ma- chen, sodass die SPD-Bundestagsfraktion den Gesetzent- würfen zustimmen kann . Ich bin mir sicher, dass wir durch eine effiziente Zu- sammenarbeit viel erreichen können . Ulla Jelpke (DIE LINKE): Wir beraten hier über Ent- würfe für zwei Gesetze zu Sicherheitsabkommen zwi- schen der Bundesrepublik und den nordafrikanischen Staaten Tunesien und Ägypten . Dabei geht es nicht nur um Kooperation bei der Be- kämpfung von Terrorismus und schwerer Kriminalität, sondern auch um die Bekämpfung unerwünschter Migra- tion . Zum Hintergrund beider Abkommen gehört das Be- streben der Bundesregierung, die Migration von Flücht- lingen immer stärker zu kontrollieren und diese Kontrolle auch geografisch vorzuverlagern. Denn geht es nach der Bundesregierung, dann sollen Flüchtlinge bereits in ih- ren Herkunfts- und Transitstaaten gestoppt werden . Ob dort autoritäre Regimes herrschen und Flüchtlinge in ih- ren Menschenrechten auf Verlassen eines Landes verletzt werden, das ist der Bundesregierung offensichtlich völlig egal . Über die derzeitigen Regelungen hinausgehende Si- cherheitsabkommen mit Ägypten und Tunesien verbieten sich zum jetzigen Zeitpunkt aus Sicht der Linken, da bei- de Staaten nicht die erforderlichen menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Standards aufweisen . Dies gilt ins- besondere für Ägypten . Nach dem Putsch gegen die Zi- vildiktatur des islamistischen Präsidenten Mursi herrscht dort jetzt eine noch rigidere Militärdiktatur unter General el-Sisi . Laut dem Jahresbericht 2016 von Amnesty In- ternational ist die Menschenrechtslage verheerend . Es gibt Massenverhaftungen bei Protesten gegen die Regie- rung, auch Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden von Sicherheitskräften verschleppt, Gefangene des Geheimdienstes verschwinden an unbekannten Or- ten . Immer wieder kommt es zu Todesopfern durch un- verhältnismäßige Polizeigewalt . Die Todesstrafe wird regelmäßig verhängt und auch vollstreckt . Polizei und Küstenwache hindern zudem Tausende Flüchtlinge am Verlassen des Landes und damit an der Wahrnehmung ihres Menschenrechts, in einem anderen Land Asyl zu suchen . Gleichzeitig sind Schutzsuchende in Ägypten nicht sicher vor Abschiebungen in ihre Verfolgerstaaten . Mit dem bereits am 11 . Juli 2016 von der deutschen und ägyptischen Regierung unterzeichneten Sicher- heitsabkommen, das jetzt durch das vorliegende Gesetz umgesetzt werden soll, wurde der berüchtigte ägypti- sche Sicherheitsdienst NSS zum Partner des Bundes- kriminalamtes . Der über geheimdienstliche Befugnisse verfügende NSS ist bekannt für seine Folterungen auf Polizeiwachen und in Gefängnissen . Dutzende ranghohe NSS-Beamte wurden bereits nach Deutschland eingela- den, um sie dort in der Bekämpfung des „Terrorismus und Extremismus“ zu schulen . Gelehrt werden etwa Überwachungstechniken für das Internet – die Leidtra- genden werden gewaltfreie Oppositionelle und regime- kritische Journalisten in Ägypten sein, die ebenfalls im Fokus des NSS stehen . Einer der Kooperationspartner deutscher Polizeibehörden wird die ägyptische Stadi- onpolizei sein, die für das Massaker in einem Fußball- stadion in Port Said im Jahr 2012 verantwortlich ist, bei dem über 70 Menschen getötet wurden . Zukünftig soll die Bundespolizei dieser Mördertruppe Fortbildungen geben . Das ist doch ungeheuerlich! Die Bundesregierung wäre gut darin beraten, das Militärregime zu ächten, anstatt mit den Generälen zu kollaborieren . In einer gerade laufenden Petition von Ägyptern gegen dieses Sicherheitsabkommen heißt es: „Unterstützung benötigen wir bei der Aufarbeitung von Verbrechen der ägyptischen Regierungen der vergange- nen Jahrzehnte und nicht beim Verüben von neuen Ver- brechen durch Polizei, Geheimdienste und Militär von el-Sisi .“ Dem kann sich die Linke nur anschließen . Ganz so dramatisch wie in Ägypten ist die Lage zwar in Tunesien nicht . Doch auch dort herrscht seit Novem- ber 2015 der Ausnahmezustand im Kampf gegen isla- mistische Terrorgruppen . Ein Ende Februar von Amnesty International vorgelegter Bericht über „Menschenrechts- verletzungen unter dem Ausnahmezustand“ beklagt willkürliche Verhaftungen, Einschränkungen der Bewe- gungsfreiheit von Verdächtigen, Repression gegen An- gehörige von Terrorismusverdächtigen . Konkret benennt der Amnesty-Bericht 23 Fälle von Folter, Misshandlun- gen und Vergewaltigung durch Sicherheitskräfte . Für den Bereich der Strafverfolgung reichen die beste- henden gesetzlichen Regelungen mit Tunesien völlig aus . Doch darüber hinaus soll das Abkommen eine Grund- lage für den Austausch von Informationen im Bereich der Verhütung von Straftaten bei vielen verschiedenen Kriminalitätsbereichen schaffen. Datenschutzrechtliche Bestimmungen sind zwar vorgesehen . Doch ob diese wirklich konsequent eingehalten werden, ist zu bezwei- feln, da keine wirksamen Mechanismen gegen den Miss- brauch von Informationen durch die tunesischen Sicher- heitskräfte vorgesehen sind . Die Intention der Bundesregierung, Fluchtbewegun- gen aus Tunesien durch den Erhalt und Ausbau innen- politischer Stabilität in dem nordafrikanischen Land zu begegnen, ist nachvollziehbar . Wenn eine solche Stabili- tät aber vor allem auf einem repressiven Apparat lastet, werden damit nicht Fluchtursachen bekämpft, sondern erst geschaffen. Dass die Bundesregierung zugleich darauf drängt, sogenannte islamistische Gefährder, die sich häufig erst in Europa radikalisiert haben, schneller und unbü- rokratischer nach Tunesien abzuschieben, führt die Si- cherheitszusammenarbeit geradezu ad absurdum . Denn schon jetzt gibt es in Tunesien Demonstrationen, die von der Regierung fordern, dschihadistischen Kämpfern die Rückkehr zu verweigern . Die junge tunesische Demokra- tie verdient jede Unterstützung . Doch durch das Sicher- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23411 (A) (C) (B) (D) heitsabkommen würden gerade die autoritären, willkürli- chen und nicht rechtsstaatlichen Strukturen gestärkt . Und das lehnt die Linke ab . Was wir brauchen, ist eine ernsthafte Bekämpfung von Fluchtursachen . Dazu gehört auch eine Stabilisie- rung der Staaten in Nordafrika durch wirtschaftliche und infrastrukturelle Förderung . Doch wer Militärdiktaturen und autoritäre Regimes als Türsteher der Festung Euro- pas einspannt und dafür zu Menschenrechtsverletzungen in diesen Ländern schweigt, trägt nur zu weiteren Flucht- gründen bei . Das hat uns der Flüchtlingspakt mit der Türkei gezeigt . Und das wird mit Ägypten oder Tunesien nicht anders sein . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Bundesregierung plant erneut, mit zwei Staaten Sicherheitsabkommen zu schließen, in denen die menschenrechtliche Lage problematisch ist . Beson- ders mit Ägypten steht ein Land zur Debatte, in dem mit staatlicher Beteiligung systematische Menschenrechts- verletzungen wie Folter, willkürliche Verhaftungen, Ver- schwindenlassen sowie Unterdrückung der Opposition oder die Anwendung der Todesstrafe alltäglich sind . Es ist daher dringendst geboten, klarzustellen, ob und unter welchen Voraussetzungen Deutschland Sicherheits- abkommen mit Staaten schließen sollte und mit welchen Staaten wir gar nicht zusammenarbeiten sollten . Wir sind nicht grundsätzlich gegen Zusammenarbeit im Sicher- heitsbereich, aber es macht einen großen Unterschied, mit welchen Ländern die Bundesrepublik zusammenar- beitet und welche Sicherheitsbehörden sie damit legiti- miert und unterstützt . Die Bundesregierung sieht das offenkundig anders: Sie hält daran fest, immer wieder die gleichen Textbausteine für die Abkommen zu verwenden . Dieser Standardtext enthält aber keine verbindlichen und überprüfbaren Be- dingungen bezüglich der Achtung der Menschenrechte oder Rechtsstaatsprinzipien . Solange die Bundesregie- rung nicht bereit ist, Sicherheitszusammenarbeit neu zu gestalten und in den Abkommen die Staaten in konkreten verbindlichen Klauseln zur Einhaltung menschenrecht- licher und rechtsstaatlicher Standards zu verpflichten, können wir einer solchen Zusammenarbeit nicht zustim- men . Unsere Fraktion hat das bereits Ende 2014 in einem Antrag gefordert, doch die Bundesregierung lehnt diesen Vorschlag weiter ab . Zwar ist die Präambel des Gesetzentwurfs, nach der die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Ägypten unter Beachtung von Grund- und Menschenrechten zu erfolgen habe, begrüßenswert, aber die bloße Erwähnung von Menschenrechten im Text reicht bei weitem nicht . Es müssen überprüfbare menschenrechtliche Standards und deren Kontrollen vereinbart werden . Dafür braucht es klare Definitionen und eine Exit-Option bei Nichtein- haltung . Das alles fehlt völlig . Der Bundestag ist während der Verhandlungsphase der Abkommen wieder nicht ausreichend über die ver- handelten Punkte informiert worden . Wieder gibt es kei- ne Pflicht der Bundesregierung, dem Bundestag Berichte über die Tätigkeiten und Erfahrungen der Verbindungs- beamten vorzulegen . Wir fordern erneut, dass anhand klarer und vorab verbindlich festgelegter Kriterien über Fort- oder Rückschritte im Bereich der Menschenrech- te und der Korruptionsbekämpfung in den jeweiligen Kooperationsländern berichtet werden muss . Anhaltend negative Ergebnisse müssen zu einer Aussetzung oder Beendigung des Sicherheitsabkommens führen . Im April 2016 haben wir die Bundesregierung gefragt, ob jemals ein geplantes Sicherheitsabkommen aufgrund einer bedenklichen Menschenrechtslage nicht abge- schlossen wurde . Es gab keinen einzigen Fall . Das ist eine erschütternde Bilanz . Das bedeutet, dass nicht mal eine desaströse menschenrechtliche Lage wie in Sau- di-Arabien Grund genug ist, um auf ein solches Abkom- men zu verzichten . Desaströs ist auch die Lage in Ägypten . Zum Bei- spiel wurde diese Woche ein Video in sozialen Netzwer- ken veröffentlicht, das sowohl Amnesty International als auch die New York Times für authentisch halten, das zeigte, wie Mitglieder des ägyptischen Militärs im November 2016 im Norden der Sinai-Halbinsel mehre- re unbewaffnete auf dem Boden liegende Gefangen er- schießen. Danach platzieren die Soldaten Waffen neben den Toten und filmen sie für ein Propagandavideo der ägyptischen Armee . Ein weiteres Beispiel ist der Fall des gefolterten und ermordeten italienischen Studenten Giulio Regeni, der international für Empörung gesorgt hat, in dem vieles auf eine Verstrickung der ägyptischen Behörden hindeutet . Organisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International dokumentieren seit Jahren Fälle von Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen . Wir wissen, dass der NSS fürchterlich fol- tert . Selbst Mitarbeiter des Bundeskriminalamts haben größte Bedenken geäußert, die Sicherheitspartnerschaft mit Ägypten weiter fortzusetzen oder zu intensivieren . Letzten Monat hat Ägyptens höchstes Berufungsgericht zehn Todesurteile gegen Fußball-Ultras bestätigt, die an den Ausschreitungen in Port Said beteiligt gewesen sein sollen . In den letzten Jahren ergingen gegen Hun- derte Personen – nach übereinstimmend als grob unfair bezeichneten Gerichtsverfahren – Gefängnisstrafen oder Todesurteile . Auch das Recht auf freie Meinungsäuße- rung sowie die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit werden immer stärker eingeschränkt . Die Bundesregierung selbst antwortete auf die Kleine Anfrage 2016, „dass bei Bekanntwerden von Menschen- rechtsverletzungen sowie bei Nichteinhaltung demokra- tischer und rechtsstaatlicher Grundsätze die polizeiliche Zusammenarbeit mit diesen Staaten reduziert bezie- hungsweise komplett eingestellt wird“ . Was muss denn noch aus Ägypten bekannt werden, damit die Bundesre- gierung endlich die Zusammenarbeit einstellt? Es ist mit diesen Kooperationsabkommen einfach nicht sichergestellt, dass die Ausbildung, das Know-how und die Ausrüstung nicht für solche schweren Straftaten und Menschenrechtsverletzung, wie ich sie beschrieben habe, genutzt werden . Wer glaubt, mit solchen Sicher- heitsbehörden ein Kooperationsabkommen schließen zu können, ohne sich für die gravierenden Menschen- rechtsverletzungen möglicherweise mitverantwortlich zu machen, täuscht sich entweder selbst oder die Bevölke- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723412 (A) (C) (B) (D) rung und den Bundestag . Bei der momentanen Lage in Ägypten kann niemand, der Menschenrechten Geltung verleihen will, die ägyptischen Behörden ausbilden, un- terstützen und ausrüsten wollen . Daher lehnen wir die Si- cherheitsabkommen mit Ägypten und Tunesien ab . Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfüh- rung eines Wettbewerbsregisters (Tagesordnungs- punkt 35) Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Wir beraten heute in erster Lesung den Gesetzentwurf zur Einführung eines bundesweiten Wettbewerbsregisters . Ich begrüße den Entwurf ausdrücklich . Warum brau- chen wir dieses Gesetz? Weil es der letzte Baustein der umfassenden Modernisierung des Vergaberechts in die- ser Legislaturperiode ist und für einen fairen Wettbewerb sorgt . Bund, Länder und Kommunen vergeben jährlich Auf- träge im Wert von über 300 Milliarden Euro an private Unternehmen . Ein Wettbewerbsregister, in das bestimm- te rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilungen oder Strafbefehle und Bußgeldentscheidungen eingetragen werden, hilft, einen fairen Wettbewerb sicherzustellen . Schon vor einem Jahr haben wir das Vergaberechts- modernisierungsgesetz und die Vergaberechtsmoder- nisierungsverordnung im Deutschen Bundestag ver- abschiedet und damit den Wettbewerb um öffentliche Aufträge gestärkt . Vergabeverfahren sind nun deutlich effizienter, ein- facher und flexibler. Kleine und mittlere Unternehmen können leichter an öffentlichen Vergabeverfahren teil- nehmen . Hintergrund der Reform waren Vorgaben aus Brüssel: das EU-Richtlinien-Paket zur Modernisierung des Verga- berechts, das bis April 2016 umgesetzt werden musste . Erklärtes Ziel der Vergaberechtsmodernisierung ist, Wettbewerb und Transparenz der öffentlichen Auftrags- vergabe zu stärken . Genau dafür ist das bundesweite Wettbewerbsregister, das wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einrichten, ein wichtiges weiteres Instru- ment . Mit ihm ermöglichen wir öffentlichen Auftraggebern, schwarze Schafe einfacher als bisher von öffentlichen Vergaben auszuschließen . Dabei gehen wir mit Augenmaß vor . Bereits im Vorfeld der parlamentarischen Beratungen ist es uns gelungen, in guter Zusammenarbeit mit dem Bundeswirtschaftsmi- nisterium und dem Koalitionspartner die Weichen so zu stellen, dass ein praktikables Gesetz dabei herauskommt: Öffentliche Auftraggeber werden ab einem Auftrags- wert von 30 000 Euro verpflichtet, vor Erteilung des Zu- schlags auf das von ihnen ausgewählte wirtschaftlichste Angebot beim Register nachzufragen, ob das Unterneh- men, das den Auftrag erhalten soll, eingetragen ist . Nach Ablauf bestimmter Fristen sind eingetragene Unterneh- men aus dem Register zu löschen . Außerdem erhalten öffentliche Auftraggeber eine Ab- fragemöglichkeit für Aufträge unterhalb von 30 000 Euro . Das Gesetz regelt in einem abschließenden Katalog die zur Eintragung führenden Straftaten und Ordnungs- widrigkeiten – rechtskräftige Verurteilungen, Strafbefeh- le oder bestandskräftige Bußgeldentscheidungen, zum Beispiel wegen Bestechung, Geldwäsche und Betrug, Vorenthalten von Sozialabgaben, Steuerhinterziehung, Kartellrechtsverstöße, u .a . Der Katalog enthält Straftaten, die vergaberechtlich zwingende Ausschlussgründe darstellen, sowie nicht zwingende Ausschlussgründe, die die Vergabestellen bis- her im Gewerbezentralregister abfragen mussten . Die Unternehmen werden vor der Eintragung infor- miert und können Einwände erheben . Das Bundekartellamt, das bereits die Zuständigkeit für die Vergabekammern hat, wird als Registerbehörde benannt. Wir schaffen somit Synergien und stellen sicher, dass die Führung des Wettbewerbsregisters in kompeten- ten Händen liegt . Das Bundeskartellamt als registerführende Behörde soll außerdem Leitlinien für die Selbstreinigung erarbei- ten . Unternehmen haben zudem die Möglichkeit, nach erfolgter Selbstreinigung – also insbesondere nach Um- setzung der erforderlichen Compliance-Maßnahmen – einen Antrag auf vorzeitige Löschung aus dem Register zu stellen . Für die vorzeitige Löschung sollen den Unternehmen aber nur die zur Deckung des Verwaltungsaufwands un- bedingt notwendigen Kosten auferlegt werden, wir wol- len keine Sanktionierung durch die Hintertür . Mit der Einführung eines Wettbewerbsregisters auf Bundesebene entfallen gleichzeitig die Länderregister, sodass es keine unterschiedlichen Eintragungsvorausset- zungen mehr geben wird . Für Auftraggeber und betrof- fene Unternehmen wird dadurch mehr Transparenz und Rechtssicherheit geschaffen. Die Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zur Prüfung der Übermittlungsvoraussetzungen im Hinblick über die Zurechnung der Handlungen des strafrechtlich Verant- wortlichen auf das Unternehmen wird eindeutig veran- kert . Darüber hinaus verankern wir Ermittlungsbefugnisse für die Registerbehörde – etwa Zeugenbefragung u . a . – im Hinblick auf die von einem eingetragenen Unterneh- men durchgeführten Selbstreinigungsmaßnahmen im Gesetz, für den Fall, dass das Unternehmen die Löschung der Eintragung wegen Selbstreinigung beantragt . Wichtig ist uns dabei: Einen automatischen Aus- schluss der Unternehmen von öffentlichen Aufträgen wird es nicht geben . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23413 (A) (C) (B) (D) Die öffentlichen Auftraggeber entscheiden eigenver- antwortlich beziehungsweise nach Maßgabe der Rege- lungen des Vergaberechts, ob sie ein eingetragenes Un- ternehmen von der Vergabe ausschließen . Die Vorteile eines bundesweiten Registers liegen auf der Hand: Für öffentliche Auftraggeber wird es bedeu- tend einfacher, wenn sie sich nur noch an eine einzige Stelle wenden müssen, um Informationen über die Un- ternehmen einzuholen . Auch für die Unternehmen ist ein bundesweites Re- gister von Vorteil: Unterschiedliche Behandlungen durch unterschiedliche Eintragsvoraussetzungen in den Bun- desländern entfallen . Wie wichtig das Vergaberecht für die Wirtschaft und die öffentlichen Auftraggeber ist, haben bereits die inten- siven Beratungen zur Modernisierung des Vergaberechts im vergangenen Jahr gezeigt . Mit diesem wichtigen letzten Baustein vervollstän- digen wir die neuen Regelungen, mit denen wir mehr Transparenz und fairen Wettbewerb bei der öffentlichen Auftragsvergabe erreichen wollen . Schwarze Schafe werden es künftig schwerer haben, an öffentliche Aufträge zu kommen. Dies stärkt diejeni- gen Unternehmen, die sich rechtskonform und fair ver- halten . In den anstehenden parlamentarischen Beratungen werden wir darauf achten, dass das Wettbewerbsregister nicht doch noch zu einer politischen Spielwiese wird . Ich bitte Sie daher um Ihre Zustimmung . Marcus Held (SPD): Nach der erfolgreichen Verga- berechtsreform im Jahr 2016, bei der wir als Deutscher Bundestag mit Zustimmung der Bundesländer auch die Möglichkeiten zum Ausschluss von Unternehmen von Vergabeverfahren erstmals auf gesetzlicher Ebene im GWB geregelt haben, behandeln wir heute in erster Lesung nun die Einführung eines sogenannten Wettbe- werbsregisters, mit welchem wir die soeben genannte Möglichkeit in ein praktikables Gesetz für die öffentliche Hand umsetzen . Mit der Einführung dieses Wettbewerbsregisters wird Deutschland in der Europäischen Union Vorreiter in Sa- chen Korruptionsprävention im öffentlichen Auftrags- wesen . Damit werden wir schwarzen Schafen das Hand- werk legen . Für uns als SPD war dieses bundeseinheitliche Wett- bewerbsregister seit Jahren ein wichtiges Anliegen . Zwar gibt es schon in einigen Bundesländern solche schwarzen Listen, jedoch werden diese nur im jeweiligen Bundes- land geführt und reichen daher nicht aus . Ich bin deswegen sehr dafür, dass nach der Einführung des Wettbewerbsregisters auf Bundesebene alle beste- henden Landesregister wegfallen . Denn nur ein einheit- liches Bundesregister kann auch die dementsprechende Wirkung auf schwarze Schafe vollumfänglich entfalten . Aber wenn ich mir beispielsweise das Landesregister in Baden-Württemberg anschaue, wo überhaupt kein Unter- nehmen eingetragen ist, sollte das auch problemlos mög- lich sein . Und obendrauf gibt es noch eine wesentliche Bürokratieentlastung . Zudem plädiere ich dafür, dass die Bundesländer ebenso noch einmal über ihre Landesvergabegesetze nachdenken – derzeit sind es ja noch 14 – und die Mög- lichkeit des neuen modernen Vergabegesetzes, was wir in Zusammenarbeit mit den Bundesländern im Jahr 2016 umfassend reformiert haben, nutzen . Auch hier würde es dann zu einer wesentlichen Bürokratieentlastung kom- men . Wir haben uns innerhalb der Koalition auch verstän- digt, dass das Bundeskartellamt die Führung dieses Bun- desregisters künftig übernehmen soll . Bestechung, Terrorismusfinanzierung, Geldwäsche, Betrug zulasten öffentlicher Haushalte und zulasten des Haushalts der EU, Steuerhinterziehung, Kartellrechtsver- stöße, Schwarzarbeit und Verstöße gegen das Mindest- lohngesetz, all das werden zukünftig Ausschlussgründe für kriminelle Unternehmen bei einer öffentlichen Auf- tragsvergabe sein . Rechtskräftige Verurteilungen von Unternehmen oder gegen diese verhängten Bußgeldbe- scheide bei den eben dargestellten Ausschlussgründen sollen künftig in dieses Wettbewerbsregister eingetragen werden. Für öffentliche Auftraggeber wird dies zukünf- tig bei Vergabeverfahren sofort ersichtlich . Denn jährlich vergeben Bund, Länder und Kommunen Aufträge im Wert von 300 Milliarden Euro . Damit stärken wir Un- ternehmen, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen . Wichtig ist es mir auch, zu betonen, dass eingetragene Straftaten nach Ablauf von fünf Jahren, Eintragen von Bußgeldentscheidungen spätestens nach Ablauf von drei Jahren ab dem Tag der Rechts- oder Bestandskraft der Entscheidung gelöscht werden . Ebenso wird in § 8 eine vorzeitige Löschung der Eintragung aus dem Wettbe- werbsregister wegen Selbstreinigung geregelt . Ich freue mich auf die vor uns stehende Zusammen- arbeit in der Koalition zu diesem Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren, insbesondere mit meinen beiden Unionskolleginnen Frau Dr . Gundelach und Frau Lanzinger, mit denen ich auch schon bei der Vergabe- rechtsreform hervorragend zusammengearbeitet habe . Wir sollten dieses wichtige Gesetz schnellstmöglich auf den Weg bringen, damit die Registerbehörde auch schnell ihre Arbeit aufnehmen kann . Thomas Lutze (DIE LINKE): Die Linke begrüßt die Einführung von Maßnahmen, die die Korruption großer Konzerne verhindern und die Bürgerinnen und Bürger vor den weitreichenden Auswirkungen von Wirtschafts- kriminalität schützen . Korruption schädigt die gesamte Gesellschaft, und es ist gut, wenn die Bundesregierung hier Maßnahmen ergreifen will . Unternehmen, die hier Rechtsverstöße begangen haben, sollten weder von öf- fentlichen Aufträgen und noch Konzessionen profitieren. Wer sich der Korruption schuldig gemacht hat, hat be- reits vom Steuerzahler gestohlen und sollte nicht weiter an ihm verdienen dürfen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723414 (A) (C) (B) (D) Die Einführung eines Wettbewerbsregisters, anhand dessen öffentliche Stellen vor der Auftragsvergabe un- saubere Unternehmen aussortieren können, wäre für diesen Zweck ein geeignetes Mittel . Allerdings wählt die Bundesregierung wie im Umgang mit Wirtschaftskrimi- nalität mal wieder die mildeste Umsetzung . Schon nach drei beziehungsweise fünf Jahren soll eine Eintragung aus dem Wettbewerbsregister wieder gelöscht werden . Dieser Zeitraum ist inakzeptabel kurz und dürfte auch seine abschreckende Wirkung verfehlen . Darüber hinaus können Unternehmen eine vorzeitige Löschung beantragen, wenn sie daran ein berechtigtes Interesse nachweisen . Sinn und Zweck von Wirtschaftsunterneh- men ist das Erzielen von Profit, und eine Eintragung im Wettbewerbsregister schmälert die Profitaussichten. Also haben alle Unternehmen per Definition ein sogenanntes berechtigtes Interesse . Zusätzlich sollen Maßnahmen ei- ner sogenannten Selbstreinigung nachgewiesen werden . Doch dazu verlassen sich die Kartellbehörden nicht auf eigene Kontrollen, sondern akzeptieren Gutachten als Nachweis . Auch das halte ich für völlig unzureichend . Weiter weist der Gesetzentwurf Schlupflöcher zur Umgehung negativer Konsequenzen eines Eintrages im Wettbewerbsregister auf, die groß wie Scheunentore sind . Tochterunternehmen beispielsweise werden nur er- fasst, wenn der obersten Leitungsebene des Mutterkon- zerns ein Fehlverhalten nachgewiesen werden kann . Es ist absehbar, dass Konzernleitungen ihre Vergehen noch stärker auf einzelne Mitarbeiter abwälzen werden . Aus- und Neugründungen von Tochterunternehmen werden die Regel zur Umgehung eines Registereintrages werden . Wieder einmal vergibt die Bundesregierung in vo- rauseilendem Gehorsam gegenüber der Wirtschaft eine Chance zur wirklichen Bekämpfung von Wirtschaftskri- minalität . Wenn das Gesetz in den Ausschussberatungen nicht noch deutlich verschärft wird, kann die Linke hier nicht zustimmen . Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir begrüßen die Vorlage eines Gesetzentwurfes zur Schaffung eines bundesweit einheitlichen Wettbewerbs- registers . Dieser Schritt ist richtig . Viel zu lange war der Grundsatz, wonach Unternehmen, die gegen bestehendes Recht verstoßen, keine öffentlichen Aufträge bekommen dürfen, in der Praxis reine Makulatur . Er ist aber auch längst überfällig . Denn die Diskus- sion um ein bundeseinheitliches Wettbewerbsregister ist leider keinesfalls neu . Schon seit fünfzehn Jahren gab es immer wieder Versuche, eine für ganz Deutschland ein- heitliche Gesetzgebung zu schaffen und damit ein wirk- sames Instrument zur Bekämpfung von Korruption und Wirtschaftskriminalität . Seit 2002 gab es dazu schon vier Versuche, die alle- samt am Widerstand aus der CDU und CSU gescheitert sind . Dass es mittlerweile in zehn Bundesländern eigene Wettbewerbsregister gibt, liegt deshalb auch an dieser absolut unverständlichen Blockadehaltung der Union . Umso mehr freut es mich, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU und CSU, endlich eingesehen haben, dass so eine Blockade unsinnig ist und der Be- kämpfung von Korruption und Wirtschaftskriminalität im Weg steht . Denn wir alle wissen doch: Fairer Wettbewerb ist ein Eckpfeiler unserer sozialen Marktwirtschaft . Fai- ren Wettbewerb kann es aber nur geben, wenn sich alle Wettbewerber an die gleichen Regeln halten – und wenn diejenigen, die das nicht tun, für ihr Fehlverhalten auch bestraft werden . Bleibt eine solche Bestrafung aus, schafft das Anreize für Fehlverhalten, für Betrug und Korruption . Und um nichts anderes geht es bei der Schaffung von Wettbe- werbsregistern. Wir wollen die öffentliche Hand in die Lage versetzen, gegen solche Straftaten konsequent vor- zugehen und öffentliche Aufträge nur an Unternehmen zu vergeben, die sich an die Spielregeln konsequent halten . Erfreulicherweise könnte der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf diese Ziele durchaus erreichen . Aller- dings muss ich auch Wasser in den Wein gießen . Denn an einer Reihe von Punkten tun Sie viel zu wenig, um den Vergabestellen das richtige Rüstzeug für eine erfolgrei- che Bekämpfung von Korruption und Wirtschaftskrimi- nalität zu gewährleisten . Das sehen wir zum Beispiel bei der Frage der Tatbe- stände, die laut Gesetzentwurf ins Register eingetragen werden müssen . Hier rächt sich Ihre unzureichende Ar- beit bei der GWB-Novelle . Denn § 124 GWB folgend, geht es hier eben nur um Verstöße, die in Deutschland oder in der EU begangen wurden . Wenn ein Unterneh- men aber an anderer Stelle etwa in der Lieferkette gegen internationale Bestimmungen verstößt, führt das nicht zu einer Eintragung . Das ist nicht nachvollziehbar, hier be- steht Nachholbedarf . Überhaupt stellen Experten fest, dass die Eintragungs- voraussetzungen im Gesetzentwurf zu hoch sind . So würde das Register hinter seinen Möglichkeiten zurück- bleiben und Korruption nur ineffektiv bekämpfen. Transparency International hat etwa richtigerweise da- rauf hingewiesen, dass es unangemessen und sachwidrig ist, nur solche Unternehmen einzutragen, die rechtskräf- tig verurteilt worden sind . Dabei verweisen die Experten von Transparancy International auch auf die in Nord- rhein-Westfalen bestehenden Regelungen zur Korrupti- onsbekämpfung, die diesem Problem effektiv begegnen. An dieser Stelle sollten Sie ebenfalls nachbessern . Insgesamt bleibt dennoch ein durchaus positiver Ge- samteindruck . Der Gesetzentwurf kann einen wertvol- len Beitrag zur Bekämpfung von Korruption und Wirt- schaftskriminalität leisten, und eine bundeseinheitliche Regelung wäre für alle Vergabestellen von Kiel bis Kon- stanz eine große Erleichterung . Die genannten Kritik- punkte sollten Sie allerdings dringend aufgreifen, denn ansonsten vergeben Sie eine wichtige Chance . Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Na- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23415 (A) (C) (B) (D) turschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Sieben- unddreißigste Verordnung zur Durchfüh- rung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verordnung zur Anrechnung von strombasierten Kraftstoffen und mitverarbeiteten biogenen Ölen auf die Treibhausgasquote – 37. BImSchV) (Tagesordnungspunkt 36) Oliver Grundmann (CDU/CSU): „Das Wasser ist die Kohle der Zukunft . Die Energie von morgen ist Wasser, das durch elektrischen Strom zerlegt worden ist. Die so zerlegten Elemente des Wassers, Wasserstoff und Sauerstoff, werden auf unabsehbare Zeit hinaus die Energieversorgung der Erde sichern .” Das schrieb der französische Schriftsteller Jules Verne 1874 in seinem berühmten Roman Die geheimnisvolle Insel . 2011 war es Daimler-Chef Dieter Zetsche, der bei einem Auftritt ent- husiastisch rief: „Wasserstoff ist das neue Öl.“ Nun, diese Vision hat sich noch nicht bewahrheitet . Was nicht heißt, dass wir nicht versuchen, das zu ändern! Und die Energie aus Wasserstoff und Sauerstoff könnte hier durchaus eine wichtige Rolle spielen . Eine Ausweitung des sogenannten Quotenhandels auf strombasierte Kraftstoffe, insbesondere auf Kraftstoffe aus regenerativ erzeugtem Wasserstoff, ist in den vergan- genen Jahren auf europäischer Ebene intensiv diskutiert worden und schließlich in der EU-Richtlinie 2015/652 des Rates vom 20 . April 2015 verankert worden . Die vorliegende Verordnung zur Anrechnung von strom- basierten Kraftstoffen und mitverarbeiteten biogenen Ölen auf die Treibhausgasquote dient der Umsetzung dieser EU-rechtlichen Vorgaben . Diese Vorgaben wer- den eins zu eins in nationales Recht umgesetzt . Mit der 37 . BImSchV wird unter anderem geregelt, dass strom- basierte Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien im Sinne des EEG auf die Biokraftstoffquote angerechnet werden können . Nicht angerechnet werden darf Energie aus Bio- masse einschließlich Biogas, Biomethan, Deponiegas und Klärgas sowie aus biogenen Abfällen aus Haushalten und Industrie . Die Mineralölwirtschaft wird gemäß Bundes-Immis- sionsschutzgesetz verpflichtet, die Treibhausgasemissio- nen – bezogen auf die jährliche Gesamtabsatzmenge an Otto- und Dieselkraftstoff (einschließlich des Biokraft- stoffanteils) – durch das Inverkehrbringen von Biokraft- stoffen zu senken. Die jeweilige Treibhausgaseinsparung ist prozentual festgelegt und steigt in den nächsten Ka- lenderjahren . Die durch Elektrolyse hergestellten strombasierten Kraftstoffe Wasserstoff und Methan, die mit erneuerba- rem Strom nichtbiogenen Ursprungs hergestellt wurden, können künftig auf die seit 2015 in Deutschland geltende Treibhausgasquote angerechnet werden . Da Elektrolyse einen hohen Energiebedarf aufweist, soll dieser Kraft- stoff nur dann auf die Treibhausgasemissionen ange- rechnet werden können, wenn der Strom aus Erneuerba- re-Energien-Anlagen stammt . Hierfür werden zwei Wege geöffnet, entweder eine direkte Kopplung einer Elektrolyseanlage mit einer Erneuerbare-Energien-Anlage oder die Entnahme des Stroms aus dem Stromnetz (sogenannte netzentkoppelte Anlagen) für die Elektrolyse . Für Letzteres werden Be- dingungen festgelegt, damit auch sichergestellt ist, dass nur EEG-Überschussstrom verwendet wird . Bei mitver- arbeiteten biogenen Ölen werden Pflanzenöle dergestalt verarbeitet, dass sie bestimmte Eigenschaften wie Tem- peraturfestigkeit aufweisen . Damit können sie direkt in der Raffinerie als Bestandteil des Kraftstoffs verarbeitet werden . Ich möchte betonen: Es ist richtig, erneuerbare Ener- gie auch für den Kraftstoffbereich zu nutzen. Es ist auch richtig, damit den Einsatz von landwirtschaftlichen Primärrohstoffen mit den Nutzungskonkurrenzen und Nachhaltigkeitsproblemen durch die Anrechenbarkeit von Biomethan und Wasserstoff zu reduzieren. Die hier getroffenen Einschränkungen sind aus umweltpolitischer Sicht sinnvoll und tragen zur Akzeptanz der strombasier- ten Kraftstoffe bei. Ressourcen effizient zu nutzen, ist extrem wichtig. Ich hatte es eingangs erwähnt: „Wasserstoff ist das neue Öl“. Hier können wir den Verbrauch der kostbaren Ressource Erdöl vermeiden . Und gerade im Bereich Windwasser- stoff sehe ich riesige ungenutzte Potenziale. Überschuss- strom einer sinnvollen Verwendung zuführen, dafür setze ich mich mit aller Kraft ein . Im Norden Deutschlands, insbesondere in der Elbe-Weser-Region vor den Toren Hamburgs, haben wir die allerbesten Voraussetzungen: Wir haben Windstrom im Überfluss, das nötige Know- how für die Umwandlung in Windwasserstoff, natürliche unterirdische Kavernen zur Speicherung – und wir haben mit der Metropolregion Hamburg den idealen Abnehmer . Die Hansestadt will ihren Busliniennahverkehr in den nächsten Jahren auf wasserstoffbasierte Antriebstech- niken umstellen . Zusammen mit Verkehrsstaatssekretär Enak Ferlemann möchte ich hier eine fortschrittliche Wind-Wasserstoff-Modellregion entwickeln. Und hier können wir auch von anderen Ländern ler- nen . Gemeinsam mit meinem geschätzten SPD-Kollegen Andreas Rimkus, ebenfalls ein großer Befürworter der Wasserstofftechnologie, habe ich mir in Japan die gro- ßen Zukunftsfelder in diesem Bereich angesehen . Wir haben festgestellt, dass wir hier ordentlich in die Riemen greifen müssen, um mit den Japanern mitzuhalten . Die Aufholjagd beginnt . Und ich bin mir sicher: Wenn wir dieses Ziel fest vor Augen halten, fraktionsübergreifend zusammenstehen und auch Geld für Investitionen und Forschung in die Hand nehmen, dann können wir für unsere deutsche Wirtschaft und für unsere Umwelt ganz viel rausholen . Wer wissen will, was heute technisch möglich und vielleicht schon morgen Alltag ist, sollte nach Nieder- sachsen reisen: Gerade in dieser Woche gilt bei der Han- nover Messe das Motto „Get new technology first“. Das ist etwas, das auch meine Arbeit im Wahlkreis Stade – Rotenburg immer wieder beflügelt: Forschung, Wissen- schaft, neue Erkenntnisse – das sind wichtige Treiber . Wir wollen ja unseren hohen Lebensstandard erhalten . Wir schaffen das, indem wir innovativer sind als andere. Deshalb müssen wir auch immer wieder aufs Neue die richtige Balance von Chancen und Risiken finden, und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723416 (A) (C) (B) (D) bürokratische Hemmnisse abbauen, um voranzukom- men . Gestatten Sie mir daher an dieser Stelle noch einen Ap- pell an die Bundesregierung bezüglich der 38 . BImSchV, also die direkt anstehende neue Verordnung zur Festle- gung weiterer Bestimmungen zur Treibhausgasminde- rung bei Kraftstoffen. Ich möchte ausdrücklich anmah- nen, dass diese Verordnung jetzt ebenfalls schnell auf den Weg gebracht werden muss, gerade um den Unterneh- men wichtige Planungssicherheit zu geben . Die 37 . BImSchV hat aus meiner Sicht das Potenzial für eine ressourcenschonende Schaffung von Arbeits- plätzen . Die Reduzierung von Ressourcenimporten kann die Kosten der Energiewende reduzieren sowie Industrie und Haushalte entlasten . Die CDU/CSU-Fraktion stimmt daher der 37 . Verordnung zur Durchführung des Bun- des-Immissionsschutzgesetzes zu . In diesem Sinne danke ich abschließend den Mitar- beiterinnen und Mitarbeitern des Bundesumweltministe- riums, der Kollegin Ulli Nissen als SPD-Berichterstat- terin sowie meinem Kölner Fraktionskollegen Karsten Möring, der als CDU/CSU-Berichterstatter die intensi- ven detailreichen Verhandlungen in den letzten Monaten erfolgreich geführt hat . Florian Oßner (CDU/CSU): Mit dem vorliegenden Verordnungsentwurf setzen wir einen weiteren Baustein für die Erreichung unseres Klimaschutzzieles . Unternehmen, die Kraftstoffe in den Verkehr bringen, sind seit dem Jahr 2015 verpflichtet, die Treibhausgase- missionen ihrer Kraftstoffe um einen gesetzlich festge- legten Prozentsatz zu mindern . Man spricht hierbei von der sogenannten Treibhausgasquote . Innerhalb dieser Quote werden Biokraftstoffe, die eine günstigere Klima- bilanz aufweisen, höher angerechnet als Biokraftstoffe mit einer ungünstigeren Bilanz . Als wir diese Quote eingeführt haben, wollten wir ei- nen Anreiz zur Nutzung klimaschonender Biokraftstof- fe schaffen. Dies hat sich derart bewährt, dass wir uns entschieden haben, die Anrechnung auf die Treibhaus- gasquote zu erweitern um Wasserstoff aus erneuerbarem Strom, um Methan sowie um mitverarbeitete biogene Öle . Der Einsatz von Biokraftstoffen hat einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf den Klimaschutz. Denn ohne Biokraftstoffe müssten mehr fossile Kraftstoffe ver- braucht werden, konkret im Jahr 2015 etwa 2,9 Millio- nen Tonnen Benzin und Diesel mehr . Hier gilt es, beson- ders unserem Bundesverkehrsminister ein Dankeschön auszusprechen für seine großen Anstrengungen zur De- karbonisierung der Mobilität; lieber Alexander Dobrindt, herzlichen Dank . Mit Kraftstoffen wie Wasserstoff, Power to Gas oder Power to Liquid, die mit Strom aus erneuerbaren Ener- gien produziert werden und bislang nicht auf die Treib- hausgasquote angerechnet wurden, können wir den Ver- brauch fossiler Kraftstoffe weiter reduzieren. Auch in meiner Heimatregion Landshut-Kelheim kämpfen wir gemeinsam in einer Wasserstoffinitiative für den Ausbau dieser Technologie. Zudem trägt jede Tonne Biokraftstoff mit 386 Euro zur Bruttowertschöpfung in Deutschland bei . Im Jahr 2015 leisteten sie insgesamt einen Beitrag von 1,3 Milliarden Euro . Mit ihren umfassenden Investitionen im Wirtschafts- sektor sichert die Biokraftstoffbranche darüber hinaus schätzungsweise 22 000 Arbeitsplätze, die überwiegend im ländlichen Raum angesiedelt sind . Aufgrund der hohen klimapolitischen und volkswirt- schaftlichen Bedeutung von Biokraftstoffen möchte ich die Gelegenheit nutzen, ein paar Worte zu der sich bereits in der Ressortabstimmung befindlichen 38. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu verlieren . Das Bundesumweltministerium beabsich- tigt hier nämlich, die energetische Obergrenze für kon- ventionelle Biokraftstoffe auf 5 Prozent herabzusenken. Konventionelle Biokraftstoffe oberhalb der Obergrenze sollen wie fossile Kraftstoffe behandelt werden. Das BMUB möchte damit direkte Landnutzungsänderungen vermeiden, also eine Verlagerung von Nahrungs- und Futtermittelproduktion zu einem Anbau an Rohstoffen für die Biokraftstoffproduktion. Die Herabsetzung der Obergrenze von derzeit 7 auf 5 Prozent ist jedoch hierfür nicht nötig und hinsichtlich der Erreichung unserer Klimaschutzziele völlig kontra- produktiv . Der kürzlich von der Bundesregierung vor- gelegte Bericht über die Umsetzung und Effekte der Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung für den Be- richtzeitraum 2013/2014 zeigt nämlich, dass mit der der- zeit gültigen Obergrenze von 7 Prozent konventioneller Biokraftstoffe eine Verschiebung des Rohstoffanteils zu mehr Rohstoffen aus europäischer Herkunft und zu mehr Abfallstoffen möglich ist. Das Hauptargument für eine Absenkung der Obergrenze auf 5 Prozent ist somit hin- fällig . Nur mit konventionellen Biokraftstoffen kann das EU- Ziel zur Steigerung des erneuerbaren Energieanteils im Verkehrsbereich auf 10 Prozent in 2020 erreicht werden . Das im Klimaschutzplan vorgesehene Ziel, die Treib- hausgasemissionen im Verkehrsbereich bis 2030 um 40 bis 42 Prozent zu senken, ist nur mit einem signifikan- ten Beitrag der konventionellen Biokraftstoffe machbar. Deshalb möchte ich hier an die zuständigen Kollegen appellieren, dies bei den weiteren Beratungen für die nächste Verordnung zu berücksichtigen, und bitte jetzt um Zustimmung für den vorliegenden Verordnungsent- wurf . Ulli Nissen (SPD): Letzter Punkt auf der heutigen Ta- gesordnung ist die Siebenunddreißigste Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes . Zunächst geht mein Dank an das BMUB für die gute Zusammenarbeit und vor allem für die gute und kons- tante Information . Mein Dank geht aber auch an meinen Mitberichterstatter von der Union, Herrn Möring, für die wie immer gute Zusammenarbeit . Wir haben nicht nur mit dem BMUB eine Reihe von Runden über diese Verordnung gedreht, sondern auch mit Interessenvertretern unterschiedlichster Art und auch mit Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23417 (A) (C) (B) (D) unseren Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fachge- bieten . Sehr interessant ist, welche Begehrlichkeiten diese Verordnung dann geweckt hat . Teilweise hatte ich den Eindruck, die THG-Quote ist die Lösung aller Probleme . Vieles ging dann irgendwann auch mal durcheinander . Aber: Die THG-Quote und allen voran die heute dis- kutierte Verordnung sind leider nicht die Lösung aller Probleme . In der 37 . BImSchV geht es um nicht mehr und nicht weniger als das, was da auch steht: die Anrech- nung strombasierter Kraftstoffe auf die Treibhausgasquo- te und die Anrechnung von mitverarbeitenden biogenen Ölen auf die Treibhausgasquote . Wir haben 2015 die Biokraftstoffquote von einer ener- gischen Quote auf eine Treibhausgasminderungsquo- te (THG-Quote) umgestellt . Das war mit Blick auf den Klimaschutz ein wichtiger Schritt . Das macht aber auch Verordnungen wie diese nötig, damit EU-rechtliche Vor- gaben umgesetzt werden . Mit dieser Verordnung werden für die Quotenver- pflichteten – für die Mineralölwirtschaft also – zwei wei- tere Möglichkeiten geschaffen, die Quote zu erfüllen: Wasserstoff und Methan nicht biogenen Ursprungs können nun auf die THG-Quote angerechnet werden . Wichtig ist, dass die Anrechnung nur möglich ist, wenn der Wasserstoff oder das Methan als Kraftstoff im Fahr- zeug eingesetzt wird . Geregelt ist in der Verordnung auch, wo der Strom, der zur Herstellung genutzt wird, herkommen muss . Denn: Sichergestellt werden muss, dass die gesamte Kli- mabilanz besser ist im Vergleich zu Benzin und Diesel . Das heißt, es muss grüner Strom verwendet werden . Es sind zum einen strombasierte Kraftstoffe aus Anla- gen anrechenbar, die nicht netzgekoppelt sind . Das heißt, es besteht eine direkte Verbindung mit Wind-/Photovol- taikanlagen . Im zweiten Fall wird Netzstrom ausschließ- lich auf Basis von Stromüberschüssen verwendet . Auch hier legt die Verordnung fest, welche Bedingungen er- füllt werden müssen . Die Verordnung legt auch fest, dass biogene Öle, die im raffinerietechnischen Verfahren gemeinsam mit mine- ralölstämmigen Ölen hydriert worden sind, angerechnet werden können . Dieses sogenannte Co-Processing ist in der 37 . BImSchV bis 2020 begrenzt . Eine dauerhafte An- rechnung dieser Kraftstoffe ist EU-rechtlich auch nicht erforderlich . Wir könnten es über 2020 hinaus fortführen, müssen es aber nicht . Denn wir haben gute Gründe, warum wir es zeitlich begrenzt haben . Hier geht mein Blick auch ganz bewusst zu den Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, die im Ausschuss vermuteten, wir wüssten nicht, was wir mit dem Co-Processing täten . Ihr könnt sicher sein: Das tun wir . Aus guten Gründen begrenzen wir das Co-Processing bis 2020 . Denn die Gefahr ist groß, dass sonst ein Anreiz gesetzt wird, der nicht ge- wollt ist, nämlich verstärkt Palmöl zu importieren und einzusetzen . Und das ist etwas, was wir auf keinen Fall wollen – wir wollen nicht mehr Palmöl vertanken . Wir wollen nicht die Nachfrage nach Palmöl noch zusätzlich durch den Biokraftstoffsektor anheizen und verstärken. Das wollen wir genauso wenig wie ihr, und deshalb ist die Anrechenbarkeit begrenzt bis 2020 . Damit setzen wir keinen Anreiz, sondern im Gegenteil – wir setzen eher einen „Anti-Anreiz“ . Was in dieser Verordnung nicht geregelt wird und auch nicht geregelt werden kann, ist jedoch: die Klimawen- de im Verkehr und den Beitrag des Verkehrssektors zur Erreichung der Klimaziele entscheidend voranzubrin- gen . Das ist nicht die Stellschraube hierfür . Aber wir alle wissen, dass hier noch viel geschehen muss . Wir haben heute in der Aktuellen Stunden erneut über die Abgaspro- blematik gesprochen, und auch da wird nur wieder deut- lich, wie hoch die tatsächliche Schadstoffbelastung durch Diesel-Pkw ist . Für den Klimaschutz, aber auch für den Umweltschutz und vor allem den Schutz der Gesundheit müssen wir endlich einmal eine emissionsarme, ja emis- sionsfreie Verkehrswende entscheidend vorantreiben . Die THG-Quote kann einen Beitrag dazu leisten . Bei der 37 . Bundes-Immissionsschutzverordnung geht es heute lediglich um zwei weitere Optionen, um die THG-Quote zu erfüllen . Und die THG-Quote ist auch nicht nach oben unbegrenzt, sondern eine Quote . Das heißt, wir sparen durch die 37 . BImSchV nicht mehr Emissionen ein, sondern andere Kraftstoffe erbringen die Einsparungen . Die Verordnung befasst sich auch nicht mit dem The- ma Einsparungen im Raffineriebetrieb. Auch hier gab es Begehrlichkeiten . Die Verordnung befasst sich auch nicht mit dem Thema Upstream-Emissionen, also mit den Treibhausgasemissionen, die entstanden sind, bevor der Rohstoff in eine Raffinerie kommt. Dieses Thema der UER wird BMUB und uns noch beschäftigen . Aber dies passiert nicht heute und nicht mit dieser Verordnung . Klar ist aber in diesem Zusammenhang eins: Emis- sionsminderungen in der Raffinerie selber können nicht angerechnet werden . Das gibt die EU-Richtlinie nicht her . Wir sollten diese Verordnung also als das sehen, was sie ist: Methan und Wasserstoff, die als Kraftstoff ver- wendet werden, können angerechnet werden . Das ist gut für den grünen Wasserstoff und nicht schlecht für ihn. Grundsätzlich möchte ich BMUB aber bitten und auf- fordern, gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministe- rium, das bei den Energiethemen federführend ist, sich dem Thema grüner Wasserstoff anzunehmen. Und mit „annehmen“ meine ich, sich tatsächliche Förderkulissen zu überlegen, die diese Technologie voranbringen kön- nen . Denn daran sollten wir gemeinsam arbeiten – und das ist das gemeinsame Interesse der Umweltpolitiker, der Wirtschafts- und der Verkehrspolitiker . Wir müssen mehr machen und innovativer werden, um unsere Klimaziele zu erreichen . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Die Verord- nung soll aus Ökostrom hergestellte synthetische Kraft- stoffe anrechenbar machen auf die seit dem Jahr 2015 im Kraftstoffsektor geltende Treibhausgasquote. Das klingt Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 201723418 (A) (C) (B) (D) zunächst logisch, weil solcherart Kraftstoff nicht fossilen Ursprungs ist, sondern letztlich auf Ökostrom basiert . Leider hat die Sache einen Haken . Denn stromba- sierte Kraftstoffe sind nur extrem aufwendig herstellbar. Da macht uns die Physik einfach einen Strich durch die Rechnung . Ich zitiere einmal zwei relevante Studien: Erstens . Das „Klimaschutzszenario 2050“ im Auftrag des BMUB kommt auf Seite 213 zu dem Ergebnis: „Die Herstellung stromgenerierter Kraftstoffe ist mit hohen Wirkungsgradverlusten verbunden … Vergleicht man die Verbrennung stromgenerierter Kraftstoffe in einem Ver- brennungsmotor mit dem direkten Einsatz von Strom im Elektromotor, so ist der Strombedarf für die erste Vari- ante rund 6 Mal so hoch . Der direkte Einsatz von Strom im Verkehr über den Elektromotor ist daher wo immer möglich zu priorisieren .“ Zweitens . Die Umweltbundesamt-Studie „Klima- schutzbeitrag des Verkehrs bis 2050“, schreibt auf Sei- te 104: „Aufgrund der direkten Stromverwendung ist bei der Verwendung von EE-Strom der Wirkungsgrad von der Primär- zur Nutzenergie im Vergleich mit dem Einsatz von strombasierten EE-Kraftstoffen in Verbren- nungsmotorkonzepten um etwa den Faktor vier höher .“ Da Ökostrom aber ein ausgesprochen knappes und wertvolles Gut ist, sehen wir diese Anrechenbarkeit kri- tisch . Denn eine Strategie, die nicht auf eine Verkehrs- wende und auf einen Ausstieg aus dem Verbrennungsmo- tor setzt, sondern Unmengen von Ökostrom verlustreich in flüssige Kraftstoffe verwandeln will, ist unserer An- sicht nach nicht effizient und kaum zukunftsfähig. Dabei muss Effizienz erster Maßstab sein. Ansonsten wächst der zusätzliche Bedarf an Ökostrom genauso ins Uner- messliche wie die Kosten . Und dies schadet der Ener- giewende . Aber auch aus Akzeptanzgründen darf man Ökostrom nicht verschwenden, denn diese Methode in größerem Stil würde letztlich höhere Akzeptanzprobleme erzeu- gen – wir haben schon jetzt regional Antiwindkraftpro- teste wachsenden Ausmaßes . Es ist in Ordnung, wenn in zeitweisen Netzengpass- gebieten mit der Sektorkopplung experimentiert wird . Wir sollten aber nicht so tun, als gäbe es heute schon Ökostrom im Überfluss. Zwei Drittel des Strombedarfs werden nach wie vor mit fossil-atomarem Strom gedeckt . Ferner sollen mit der Verordnung künftig biogene Öle – etwa Rapsöle – auf die seit dem Jahr 2015 geltende Treibhausgasquote auch dann anrechenbar sein, wenn sie gemeinsam (und nicht getrennt) mit klassischen Mine- ralölen hydriert worden sind, um daraus Diesel zu ma- chen . Diese Regel sehen wir ebenfalls kritisch . Denn sie wird die zentralistische Großproduktion von Biodiesel erleichtern . Aber auch das ist eine Sackgasse, denn die Flächen sind begrenzt und die Treibhausgasbilanz von Biodiesel ist fraglich, wenn man auch indirekte Effekte einbezieht . Zudem könnten auch mehr und mehr Palmöle untergemixt werden, was ja ohnehin schon in wachsen- dem Maße geschieht . Das ist ja vermutlich bekannt, zu welchem Kahlschlag die Palmölproduktion in Ländern wie Indonesien und Malaysia führt . Unser riesiger Hun- ger nach Palmöl darf nicht noch steigen . Wir lehnen daher diese Verordnung ab . Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Un- ter dem harmlos klingenden Titel „37 . Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes“ befasst sich der Deutsche Bundestag auf Initiative von CDU/CSU und SPD heute mit der Ausweitung der Palm- ölbeimischung in Dieselkraftstoff. Die Koalitionsfraktio- nen haben diese Verordnung ganz am Ende der Tagesord- nung zu nachtschlafender Zeit versteckt und versuchen der Öffentlichkeit diese Verordnung als einen Beitrag zum Klimaschutz zu verkaufen . Das Gegenteil ist jedoch der Fall! Die Folgen der Klimakrise spüren wir schon heute deutlich: Die Arktis hat so wenig Eis wie nie zuvor . In Peru sterben Menschen, weil der zu warme Ozean Un- wetter auslöst, und das wundervolle Great Barrier Reef ist durch das Korallensterben wahrscheinlich für unse- re Nachkommen unwiederbringlich verloren . In Paris hat die Weltgemeinschaft und damit auch Deutschland im letzten Jahr das Internationale Klimaabkommen be- schlossen, das die globale Erderhitzung auf 1,5 Grad be- grenzen soll. Nur wenige Monate später ist offensichtlich, dass die Bundesregierung ihr Klimaziel für 2020 nicht halten wird und auch nichts Relevantes unternimmt, um es zu erfüllen . Stattdessen versucht die Bundesregierung nun an allen Ecken, die deutsche Klimabilanz zu schö- nen, und dafür ist sie sogar bereit, die Beimischung von Palmöl in den Dieselkraftstoff massiv auszuweiten. Mit dieser Verordnung erkauft sich die Große Koalition Kli- maschutz in Deutschland mit der Regenwaldzerstörung in Indonesien . Unternehmen, die Kraftstoffe in Verkehr bringen, sol- len durch das Beimischen von Agrokraftstoffen Emissi- onen sparen; das besagt die Treibhausgasquote . Schon das allein war fraglich, denn es hat dazu geführt, dass in Deutschland dem Dieselkraftstoff Palmöl beigemischt wird und die Autofahrer – in der Regel ohne es zu wis- sen – den Regenwald durch ihren Auspuff jagen. Der Globiom-Bericht der EU-Kommission macht deutlich, dass Agrokraftstoff eine schlechte Klimabilanz hat; im Durchschnitt sind die CO2-Emissionen um 80 Prozent höher als die aus fossilen Kraftstoffen. Grund dafür sind unter anderem die Treibhausgasemissionen aus der indi- rekten Landnutzung, beispielsweise der Rodung von Re- genwald und dem Abbrennen tropischer Torflandschaf- ten für Palmölplantagen . Schon jetzt landen 45 Prozent des importierten Palm- öls im Tank . Bereits jetzt trägt Deutschland mit einem Verbrauch von 1,8 Millionen Tonnen Palmöl jährlich massiv zur Waldzerstörung und Naturvernichtung bei, ohne damit irgendeinen Beitrag zum Klimaschutz zu leis- ten, wie immer wieder versucht wird zu suggerieren . Im Gegenteil: Die Klimabilanz von Palmöl ist ganz klar ne- gativ . Die Palmölproduktion steigt aber seit Jahrzehnten immer weiter an . Mehr als 17 Millionen Hektar werden derzeit für den Anbau genutzt . Die vorgeschriebene Zer- tifizierung der Nachhaltigkeit des Palmöls für Agrosprit Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 231 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 27 . April 2017 23419 (A) (C) (B) (D) greift nicht, denn indirekte Landnutzungsänderungen werden gar nicht berücksichtigt . Wie viel Hektar Land in anderen Regionen der Erde sollen denn noch für die falsche Politik der Bundesregierung verbraucht werden? Diese Fehlentwicklung soll nach dem Willen der Bun- desregierung nun weiter angeheizt werden . Die hier vor- gelegte Verordnung macht es Mineralölunternehmen nun möglich, auch mitverarbeitete biogene Öle auf die Treib- hausgasquote bis 2020 anzurechnen . Diese entstehen während der gemeinsamen Verarbeitung von biogenen mit fossilen Ölen in Mineralölraffinerien. Hier wird aber hautsächlich Palmöl zum Zuge kommen, denn technisch ist es am einfachsten zu verwenden und am günstigsten . Die Bundesregierung ermöglicht Mineralölunternehmen, den Verbrauchern in noch größerem Maßstab Palmöl in den Tank zu schmuggeln, um ihre Treibhausgasquote zu erfüllen . Der Einsatz von Palmöl wird also weiter stei- gen – mit allen negativen Konsequenzen für Regenwald, Landrechte, Menschenrechte, Artenvielfalt und Klima . Und die Verbraucher werden über das Palmöl in ihren Tanks noch nicht einmal informiert! Bei der Beratung im Umweltausschuss hat das Bun- desumweltministerium diese ganze Palmölsauerei sogar eingeräumt und versucht sich damit herauszureden, dass das Ganze nur bis 2020 gelten solle . Das ist an Naivität fast nicht mehr zu übertreffen, denn was ab 2021 passiert, darauf gibt uns das im letzten Herbst vorgestellte „Win- terpaket“ der EU einen Vorgeschmack: Von der Abkehr von Agrosprit und insbesondere Palmöl ist dort nichts zu finden. Palmöl und andere Agrokraftstoffe müssen raus aus dem Tank – das ist längst überfällig . Darüber hinaus brauchen wir eine Reduktionsstrategie für den Verbrauch von Palmöl in allen Sektoren und ein Importverbot von Palmöl, das nicht sozialen und ökologischen Mindestan- forderungen entspricht . Die europäische Richtlinie für erneuerbare Energien lässt zahlreiche andere Möglichkeiten zur Minderung von Treibhausgasen im Verkehrssektor zu . Ich fordere die Bundesregierung auf, diese endlich zu nutzen, anstatt noch mehr Umweltzerstörung durch den forcierten Pal- möleinsatz zu verursachen . Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 231. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3 Regierungserklärung zum Europäischen Rat TOP 4 Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken TOP 5, 38 Rentenpolitik TOP 42, ZP 1 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 43 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 2 Aktuelle Stunde zu verschärften Abgastests in Europa TOP 6 Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes TOP 7 Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten ZP 3 Abschiebungen nach Afghanistan TOP 19 Ausbau der Kindertagesbetreuung TOP 10 Deutsche Ostpolitik TOP 11 Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz EU TOP 12 Energieaußenpolitik TOP 13 Aufenthaltsüberwachung extremistischer Straftäter ZP 4 Ausstellungsvergütung für Kunstschaffende TOP 15 Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes TOP 16, ZP 5 Förderung von Familien und Kindern TOP 17 Änderung des Telekommunikationsgesetzes TOP 18 Lobbyismus in Schulen TOP 20 Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen TOP 21 Fluggastdatengesetz TOP 22 Änderung des Europol-Gesetzes TOP 23 Sicherheit von Informationssystemen in der EU TOP 24 Recht zum Schutz vor ionisierender Strahlung TOP 25 Antarktis-Haftungsannex TOP 26 Gesetz zur EU-Verordnung über Insolvenzverfahren TOP 27 Gesetz zu Regelungen der Gesichtsverhüllung TOP 30 Änderung des Bundesfernstraßengesetzes TOP 31 Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes TOP 32 Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen TOP 33 Abkommen mit Ägypten und Tunesien TOP 35 Einführung eines Wettbewerbsregisters TOP 36 37. Verordnung zum Bundes-Immissionsschutzgesetz Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14 Anlage 15 Anlage 16
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823100000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich zu unserer 231 . Sitzung .

Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich dem Kol-
legen Heinz Wiese zu seinem 72 . und dem Kollegen
Karl-Heinz Wange zu seinem 71 . Geburtstag gratulie-
ren sowie dem Kollegen Dr. Hans-Ulrich Krüger, der
seinen 65 . Geburtstag gefeiert hat . Alle guten Wünsche
des Hauses für das neue Lebensjahr und darüber hinaus!


(Beifall)


Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tages-
ordnung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:

ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren


(Ergänzung zu TOP 42)


a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Änderung futtermittelrechtlicher
und tierschutzrechtlicher Vorschriften

Drucksache 18/12085
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Petzold (Havelland), Stefan Liebich, Jan Korte,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bise-
xuellen, Transpersonen und Intersexuellen

(LGBTI) in Tschetschenien entgegentreten


Drucksache 18/12091
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)


Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Julia
Verlinden, Oliver Krischer, Annalena Baerbock,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Klimaschutz stärken – Energiesparen ver-
bindlich machen

Drucksache 18/12095
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

ZP 2 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Haltung der Bundesregierung zu verschärften
Abgastests in Europa

ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise
Amtsberg, Omid Nouripour, Volker Beck (Köln),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen

Drucksache 18/12099

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sigrid
Hupach, Nicole Gohlke, Dr . Rosemarie Hein,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Ausstellungsvergütung gesetzlich verankern –
Gerechtigkeitslücke für bildende Künstlerin-
nen und Künstler schließen

Drucksache 18/12094
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien

ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13 . Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Dr . Franziska Brantner,
Katja Dörner, Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn,






(A) (C)



(B) (D)


weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Alleinerziehende stärken – Teilhabe von Kin-
dern sichern

Drucksachen 18/4307, 18/11592

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Annalena Baerbock, Dr . Wolfgang
Strengmann-Kuhn, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Renteneinheit vollenden – Gleiches Renten-
recht in Ost und West

Drucksache 18/10039
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Grenzregionen vor Atomrisiken schützen –
Export von Brennelementen stoppen

Drucksache 18/12093

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Tschernobyl und Fukushima mahnen – Atom-
ausstieg konsequent umsetzen

Drucksache 18/11743
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 9 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Bekämpfung von Kinderehen

Drucksache 18/12086
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Dabei soll wie immer von der Frist für den Beginn der
Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden .

Der Tagesordnungspunkt 5 – hier geht es um den An-
trag mit dem Titel „Gesetzliche Rente stärken, Renten-
niveau anheben und die solidarische Mindestrente ein-
führen“ – soll zusammen mit dem Tagesordnungspunkt
38 – „Gesamtkonzept Alterssicherung – Verlässlich, soli-
darisch und gerecht“ – beraten werden .

Die Tagesordnungspunkte 8 a – abschließende Be-
ratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Aufenthaltsgesetzes – und 8 b – Beratung des Antrags

„Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlingen uneinge-
schränkt gewährleisten“ – sollen abgesetzt werden, und
an ihrer Stelle soll der Antrag auf Drucksache 18/12099
mit dem Titel „Abschiebungen nach Afghanistan aus-
setzen“ mit einer Debattenzeit von 38 Minuten beraten
werden .

Der Tagesordnungspunkt 9 – abschließende Beratung
des Entwurfs eines Hochwasserschutzgesetzes II – soll
ebenso abgesetzt werden, und an dieser Stelle soll der
Tagesordnungspunkt 19 – abschließende Beratung des
Entwurfes eines Gesetzes zum Ausbau der Kinderta-
gesbetreuung – mit einer Debattenzeit von nunmehr
38 Minuten aufgerufen werden .

Des Weiteren soll der Tagesordnungspunkt 14 – ab-
schließende Beratung des Entwurfs eines Zweiten Ge-
setzes zur Änderung des Gesetzes zur Zahlbarmachung
von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto – ab-
gesetzt werden; stattdessen soll der Antrag auf Druck-
sache 18/12094 mit dem Titel „Ausstellungsvergütung
gesetzlich verankern – Gerechtigkeitslücke für bildende
Künstlerinnen und Künstler schließen“ unter Beibehal-
tung der vorgesehenen Debattenzeit von 25 Minuten be-
raten werden .

Die Tagesordnungspunkte 28 – abschließende Bera-
tung des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elek-
tronischen Identitätsnachweises –, 29 – abschließende
Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung
der Sachaufklärung in der Verwaltungsvollstreckung –,
34 – Entwurf eines Gesetzes zu dem Beitrittsprotokoll
zum Handelsübereinkommen zwischen der EU sowie
Kolumbien und Peru betreffend den Beitritt Ecuadors –,
43 d – Entwurf eines Gesetzes zur Erstellung gesamt-
wirtschaftlicher Vorausschätzungen der Bundesregie-
rung – und 43 g – abschließende Beratung des Antrags
„Missstände und Stillstand beim Tierschutz beenden –
Gesellschaftlichen Konsens umsetzen“ – sollen ebenfalls
heute abgesetzt werden .

Schließlich soll nach dem Tagesordnungspunkt 37
der Antrag auf der Drucksache 18/11743 mit dem Titel
„Tschernobyl und Fukushima mahnen – Atomausstieg
konsequent umsetzen“ in verbundener Beratung mit
dem Antrag auf der Drucksache 18/12093 mit dem Titel
„Grenzregionen vor Atomrisiken schützen – Export von
Brennelementen stoppen“ aufgerufen werden . Die De-
battenzeit soll hier 60 Minuten betragen .

Schließlich möchte ich noch auf eine nachträgliche
Ausschussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunkte-
liste aufmerksam machen:

Der am 23 . März 2017 (225 . Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-

(15 . Ausschuss)


Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Moder-
nisierung des Rechts der Umweltverträglich-
keitsprüfung

Drucksache 18/11499

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur

Sind Sie mit diesen Vereinbarungen je einzeln und im
Zusammenhang einverstanden? – Das ist erfreulicher-
weise der Fall . Dann ist es so beschlossen .

Auf der Ehrentribüne hat heute Morgen der Präsident
der Versammlung der Volksvertreter der Tunesischen
Republik, Herr Mohamed Ennaceur, mit seiner De-
legation Platz genommen . Ich möchte Sie herzlich be-
grüßen .


(Beifall)


Sehr geehrter Herr Präsident, Sie gehören mit Ihren in-
zwischen weit über 80 Lebensjahren nicht nur zu den Ve-
teranen der tunesischen Politik, sondern sind in den ver-
gangenen Jahren zu einer der Säulen des Erneuerungs-,
Veränderungs- und Demokratisierungsprozesses Ihres
Landes geworden, an dessen Gelingen wir ein gemein-
sames Interesse haben und bei dem wir Ihr Land gern
weiter nach Kräften unterstützen werden .


(Beifall)


Herzlich willkommen und alle guten Wünsche für die
weitere Arbeit!

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 auf:

Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin

zum Sondertreffen des Europäischen Rates zu
27 am 29. April 2017 in Brüssel

Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktio-
nen der CDU/CSU und SPD, ein Entschließungsantrag
der Fraktion Die Linke sowie zwei Entschließungsanträ-
ge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung 77 Minuten vorgesehen. – Auch das ist offensicht-
lich einvernehmlich . Dann verfahren wir so .

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundeskanzlerin, Frau Dr . Angela Merkel .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1823100100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Lassen Sie auch mich vor
Beginn einen herzlichen Gruß an die Vertreter Tunesi-
ens richten; denn ich erinnere mich gern daran, dass ich
vor wenigen Wochen im tunesischen Parlament sprechen
konnte . Wir wünschen Tunesien allen Erfolg bei seiner

Arbeit und auf seinem schwierigen, aber bislang doch
sehr hoffnungsfrohen Weg.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Europäische Rat
wird sich am Samstag in Brüssel im Kreis der zukünftig
27 Mitgliedstaaten mit dem Austritt Großbritanniens aus
der Europäischen Union beschäftigen . Die Austrittsver-
handlungen werden der Europäischen Union genauso
wie auch Großbritannien selbst in den zwei Jahren mit
Sicherheit einiges abverlangen . Das steht, glaube ich,
völlig außer Zweifel . Außer Zweifel steht aber auch, dass
diese Austrittsverhandlungen beileibe nicht die einzige
Herausforderung sind, die Europa in den nächsten zwei
Jahren zu bewältigen hat . Erlauben Sie mir deshalb bitte,
dass ich zunächst einige Sätze zur Entwicklung in der
Türkei sage . Die Situation dort kann im Rahmen dieser
Debatte nicht unangesprochen bleiben, und sie wird si-
cher auch bei unserem Treffen am Samstag nicht unan-
gesprochen bleiben, obwohl ich darauf hinweisen muss,
dass Befassungen mit der Türkei offiziell im Rat der
28 Mitgliedstaaten stattfinden müssen, weil Großbritan-
nien nach wie vor Mitglied der Europäischen Union mit
allen Rechten und Pflichten ist, also die eigentliche Be-
fassung am Samstag nicht stattfinden kann.

Vorweg: Natürlich respektieren wir das Recht der tür-
kischen Bürgerinnen und Bürger, frei und demokratisch
über ihre eigene Verfassungsordnung zu entscheiden . Ich
glaube, das versteht sich für uns von selbst . Mit umso
größerer Sorge jedoch müssen wir den gemeinsamen
Bericht der OSZE und der Parlamentarischen Versamm-
lung des Europarats zum Ablauf dieser Abstimmung zur
Kenntnis nehmen . Ich möchte an dieser Stelle den betei-
ligten Abgeordneten wie auch dem Leiter des OSZE-Bü-
ros für demokratische Institutionen und Menschenrechte,
Michael Link, für ihre wichtige Arbeit danken .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ihrer Einschätzung kommt besondere Bedeutung zu;
denn sie stammt von unabhängigen Beobachtern .

Die türkische Regierung muss sich an diesem Bericht
messen lassen und die darin aufgeworfenen Fragen be-
antworten . Der im Bericht enthaltene Vorwurf, dass es
für die verschiedenen Lager im Referendumswahlkampf
keine Chancengleichheit gegeben hat, ist ebenso gravie-
rend wie die Feststellung, dass demokratische Grund-
rechte unter dem Ausnahmezustand eingeschränkt wor-
den sind . Wir werden sehr aufmerksam verfolgen, wie
die Türkei sich bei der Aufklärung möglicher Unregel-
mäßigkeiten verhält .

Gleiches gilt für die weiteren Schritte der türkischen
Regierung bei der konkreten Umsetzung der Verfas-
sungsreform und bei ihrer Zusammenarbeit mit dem
Europarat . Hierzu gehört auch das umfassende Monito-
ringverfahren, das die Parlamentarische Versammlung
des Europarats an diesem Dienstag beschlossen hat . Die
massiven Bedenken, die die Venedig-Kommission des

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Europarats hinsichtlich des Verfahrens und des Inhalts
der Verfassungsreform geäußert hatte, wiegen schwer .
Diesen Bedenken muss die Türkei Rechnung tragen – als
Mitglied des Europarats, als Mitglied der OSZE und als
Beitrittskandidat der Europäischen Union . Es ist – um
das unmissverständlich zu sagen – mit einem Rechtsstaat
nicht vereinbar, wenn eine Exekutive – in diesem Fall die
türkische Exekutive – Vorverurteilungen vornimmt, wie
das etwa mit Deniz Yücel öffentlich geschehen ist.


(Beifall im ganzen Hause)


Die Bundesregierung wird nicht nur mit Blick auf sein
Schicksal, sondern auf die vielen Strafverfahren in der
Türkei insgesamt unvermindert und wieder und wieder
die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards einfordern,
einschließlich des hohen Guts der Meinungs- und Pres-
sefreiheit .

Es steht außer Frage, dass die Entwicklungen der
vergangenen Woche das deutsch-türkische und das eu-
ropäisch-türkische Verhältnis stark belastet haben . Wir
werden uns in dieser Lage weiterhin darum bemühen,
zu einem konstruktiven deutsch-türkischen und europä-
isch-türkischen Dialog zurückzukehren . Die Außenmi-
nister werden sich heute und morgen treffen und dabei
auch mit dem türkischen Außenminister zusammenkom-
men . Eine endgültige Abwendung der Türkei von Euro-
pa, aber auch – und das sage ich mit Bedacht – Euro-
pas von der Türkei wäre weder im deutschen noch im
europäischen Interesse . Es ist also Klugheit ebenso wie
Klarheit gefragt . Und genauso – mit Klugheit wie mit
Klarheit – werden wir im Kreise der Europäischen Uni-
on darüber beraten, welche präzisen Konsequenzen wir
zu welchem Zeitpunkt für angemessen halten; die Bun-
desregierung strebt dabei ein gemeinsames Handeln der
europäischen Institutionen an .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Sondertreffen
des Europäischen Rates am kommenden Samstag wur-
de eingeladen, nachdem das Vereinigte Königreich am
29. März offiziell mitgeteilt hat, dass es aus der Euro-
päischen Union austreten möchte . Die britische Regie-
rung setzt damit das um, wofür sich eine Mehrheit der
britischen Wählerinnen und Wähler vor etwas mehr als
zehn Monaten bei einem Referendum entschieden hat .
Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Wir – Deutsch-
land und die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union – haben uns diesen Austritt nicht gewünscht . Aber
auch hier gilt, dass wir – Deutschland und die anderen
Mitgliedstaaten der Europäischen Union – diese demo-
kratisch getroffene Entscheidung respektieren und jetzt
nach vorne schauen .

Mit dem offiziellen Schreiben der britischen Regie-
rung hat die zweijährige Frist begonnen . Nach Ablauf
dieser Frist wird die Mitgliedschaft Großbritanniens in
der Europäischen Union, so wie es in den Verträgen be-
schrieben ist, enden . Jetzt liegt es an uns, den zukünftig
27 Mitgliedstaaten und den europäischen Institutionen,
unsere eigenen Interessen und Ziele für die bevorstehen-
den Verhandlungen zu definieren. Dazu wird der Euro-
päische Rat am Samstag den ersten Schritt gehen und im
Format der 27 gemeinsame Leitlinien für die Verhand-
lungen verabschieden .

Der Präsident des Europäischen Rates, Donald Tusk,
hat hierfür nach intensiven Vorbereitungen, an denen sich
natürlich auch die Bundesregierung beteiligt hat, einen,
wie wir finden, sehr guten und ausgewogenen Textent-
wurf vorgelegt – ich möchte Donald Tusk dafür herzlich
danken –;


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


denn in diesem Entwurf werden nicht nur die Anliegen
der 27 Mitgliedstaaten in vollem Umfang berücksichtigt,
sondern auch die übergeordneten Interessen der Euro-
päischen Union als Ganzes . Meine vielen Gespräche in
den vergangenen Wochen haben gezeigt, dass im Kreise
der 27 Mitgliedstaaten und der Institutionen mittlerweile
ein großes Einvernehmen über unsere gemeinsame Ver-
handlungslinie gegenüber Großbritannien besteht . Wir
können deshalb davon ausgehen, dass vom Europäischen
Rat der 27 übermorgen ein starkes Signal der Geschlos-
senheit ausgehen wird .

Die Leitlinien des Europäischen Rates werden die
Grundlage für das Verhandlungsmandat bilden, das die
27 Mitgliedstaaten der Europäischen Kommission in ei-
nem weiteren Schritt – voraussichtlich Ende Mai – ertei-
len werden . Dieses Verhandlungsmandat wird erheblich
umfangreicher sein als die Leitlinien, die wir am Samstag
verabschieden werden . Ich betone jedoch ausdrücklich,
dass ich die Erwartung des Präsidenten der Europäischen
Kommission, Jean-Claude Juncker, teile, dass die eigent-
lichen politischen Verhandlungen mit Großbritannien
erst nach den britischen Unterhauswahlen am 8 . Juni
richtig Fahrt aufnehmen werden und richtig Fahrt auf-
nehmen können . In diesen Verhandlungen wird die Eu-
ropäische Union durch die Europäische Kommission mit
ihrem Chefunterhändler Michel Barnier vertreten sein .

Ich habe mich zugleich von Anfang an dafür einge-
setzt, dass während des gesamten Verhandlungsprozes-
ses alle wichtigen Entscheidungen nur mit Zustimmung
der Mitgliedstaaten getroffen werden. Das gilt natür-
lich – dies ist auch die Haltung der gesamten Bundes-
regierung –, und das ist auch sichergestellt; denn das
Ausscheiden eines Mitgliedstaates aus der Europäischen
Union berührt natürlich die Interessen aller übrigen Mit-
gliedstaaten unmittelbar .

Für uns stehen drei Anliegen im Mittelpunkt der Ver-
handlungen:

Erstens . Es gilt, die Interessen unserer, der deutschen
Bürgerinnen und Bürger zu wahren . Dabei geht es ins-
besondere um die ganz konkreten Alltagsfragen, die
die vielen vom Brexit direkt betroffenen Menschen be-
schäftigen . Das gilt ganz besonders für diejenigen, die
derzeit als deutsche und europäische Staatsangehörige in
Großbritannien leben. Geschätzt trifft dies im Moment
auf ungefähr 100 000 Deutsche zu, alle mit individuellen
Biografien und ganz persönlichen Sorgen vor einer unge-
wissen Zukunft .

Denken wir zum Beispiel an eine Rentnerin, die viel-
leicht schon vor Jahren aus beruflichen Gründen von
Deutschland nach Großbritannien gezogen ist, dort ein
Haus gekauft hat und jetzt im Ruhestand mit erheblichen
rechtlichen Unsicherheiten konfrontiert ist . Oder: Den-

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


ken wir an einen jungen Studenten, der den Traum eines
grenzenlosen Europas lebt und sich nun sorgt, ob er nach
seiner bereits laufenden Hochschulausbildung in Schott-
land im Vereinigten Königreich bleiben kann . Oder: Den-
ken wir an ein in London lebendes deutsches Elternpaar,
dessen Kinder in Großbritannien aufgewachsen sind, und
das jeden Tag auf Zugang zu Schule, Arbeitsplatz und
Krankenversicherung angewiesen ist .

Viele weitere Beispiele könnten folgen . Sie alle stehen
dafür, dass sich die Bundesregierung in den Verhandlun-
gen mit Großbritannien intensiv dafür einsetzen wird, im
Interesse aller betroffenen deutschen Staatsbürgerinnen
und Staatsbürger so schnell wie möglich Klarheit und
Planungssicherheit in all diesen Fragen zu erzielen . Wir
werden natürlich alles dafür tun, dass mögliche negati-
ve Auswirkungen für den Alltag unserer Bürgerinnen
und Bürger so gering wie möglich ausfallen . Im Gegen-
zug sind wir dann natürlich auch bereit, den bei uns in
Deutschland und in den anderen EU-Mitgliedstaaten
lebenden britischen Staatsangehörigen ein faires Ange-
bot zu unterbreiten . Sie sind natürlich ein wichtiger Teil
unseres Zusammenlebens und sollen dies auch bleiben .

Zweitens . Es gilt, Schaden von der Europäischen
Union insgesamt abzuwenden, den ein nicht geglückter
Übergang Großbritanniens zu seinem zukünftigen Sta-
tus als Drittstaat mit sich bringen könnte . Unternehmer
zum Beispiel wollen wissen, ob sie ihre Produkte weiter
auf den jeweils anderen Markt bringen können . Wissen-
schaftler fragen, ob sie die Zusammenarbeit mit ihren
britischen Kollegen fortsetzen können . Deshalb gilt es,
vorneweg Rechtssicherheit über die Folgen des Austritts
zu schaffen. Dort, wo es unsere Interessen gebieten, wer-
den wir selbstverständlich auch künftig eine enge Zusam-
menarbeit zwischen der EU und Großbritannien anstre-
ben . Das gilt beispielsweise für den gemeinsamen Kampf
gegen den Terrorismus und die organisierte Kriminalität
oder für die Zusammenarbeit in der Sicherheits- und
Verteidigungspolitik . Zugleich werden wir aber immer
darauf achten, bei dieser Zusammenarbeit die Errungen-
schaften der europäischen Integration zu wahren und zu
stärken . Ich bin fest davon überzeugt: Die Europäische
Union wird auch nach dem Ausscheiden Großbritanniens
eine einzigartige Wertegemeinschaft und einer der welt-
weit stärksten Wirtschaftsräume sein .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Drittens . Es gilt, den Zusammenhalt der Europäischen
Union der 27 zu stärken . Vor kaum mehr als einem Monat
haben wir in Rom den 60 . Jahrestag der Unterzeichnung
der Römischen Verträge gefeiert . Bei dieser Gelegenheit
haben sich alle Beteiligten noch einmal ausdrücklich
dazu bekannt, dass und wie sehr wir zu unserem Glück
vereint sind . 60 Jahre europäischer Integration sind eine
einzigartige Erfolgsgeschichte, und diese Erfolgsge-
schichte wird mit den zukünftig 27 Mitgliedstaaten fort-
zuschreiben sein .

Ich werde alles daransetzen, dass wir 27 Mitgliedstaa-
ten in allen schwierigen Fragen auch weiter so zusam-
menstehen, wie uns das seit dem britischen Referendum
vor zehn Monaten doch hervorragend gelungen ist; denn
wir haben es immerhin geschafft, trotz manchmal diver-

gierender Einzelinteressen geschlossen und vereint auf-
zutreten. Dass wir das schaffen würden, war am Morgen
nach dem britischen Referendum alles andere als aus-
gemacht, und wir sollten das auch einmal ausdrücklich
anerkennen . Alle 27 Mitgliedstaaten, die Europäische
Kommission und das Europäische Parlament haben sich
an das gehalten, was wir damals vereinbart haben .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir haben gerade keine Vorverhandlungen mit Groß-
britannien geführt, keine Einzelaspekte vorab in den Vor-
dergrund gestellt; stattdessen haben wir uns als Europä-
ische Union gut auf die Verhandlungen vorbereitet und
uns eng abgestimmt . Es gibt natürlich eine Vielzahl von
ganz besonderen Interessen . Denken wir nur einmal an
die Republik Irland und ihren gemeinschaftlichen Raum
mit Großbritannien oder an die Probleme in Nordirland .
Deshalb war es eine gute Leistung, so zusammenzuhal-
ten . Im Ergebnis sind wir heute inhaltlich und organisa-
torisch bestens vorbereitet .

Ich begrüße ausdrücklich, dass sich auch die Ent-
schließung des Europäischen Parlaments vom 5 . April
auf genau derselben inhaltlichen Linie bewegt, die wir
übermorgen im Europäischen Rat beschließen wollen .
Ein solches Vorgehen ist allerdings auch unverzichtbar,
weil wir uns auf sehr komplexe Verhandlungen zwischen
der Europäischen Union und Großbritannien einstellen
müssen, denen im Übrigen zum Schluss nicht nur der
Rat, sondern auch das Europäische Parlament zustimmen
muss .

In 44 Jahren Mitgliedschaft Großbritanniens in der
Europäischen Union hat sich ein dichtes Geflecht an Be-
ziehungen entwickelt, das nun Stück für Stück entfloch-
ten werden muss . Dabei ist auch der Umgang mit allen
finanziellen Verpflichtungen zu klären, die Großbritanni-
en als EU-Mitgliedstaat verbindlich eingegangen ist und
die sich auch auf die Zeit nach dem Austritt erstrecken .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Joachim Poß [SPD])


Wir sind der Meinung – das füge ich noch hinzu; ich hof-
fe, dafür gibt es auch Unterstützung –, dass diese Ver-
handlungen nicht erst ganz zum Schluss geführt werden
können, sondern zu den wichtigen Aspekten gehören, die
von Beginn an ein Thema sein müssen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Reihenfolge unseres Vorgehens dabei ist klar,
auch wenn es nicht immer ganz einfach sein wird, dies
einzuhalten: Ein Abkommen über das zukünftige Ver-
hältnis mit Großbritannien können wir erst schließen,
wenn alle Austrittsfragen zufriedenstellend geklärt sind .
Das bedeutet also: Je schneller die britische Regierung
zu konstruktiven Lösungen bereit ist, desto eher können
wir uns mit ihrem Wunsch befassen, bereits während der
Austrittsverhandlungen über das zukünftige Verhältnis
zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europä-
ischen Union zu sprechen . Aber zuerst müssen wir wis-

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


sen, wie sich Großbritannien die zukünftigen Beziehun-
gen mit uns vorstellt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es kann und wird nur in dieser Reihenfolge gehen, nicht
umgekehrt . Genau auf diese Reihenfolge werden wir
27 Mitgliedstaaten achten und bestehen .

Ohne Fortschritte bei den vielen offenen Fragen des
Austritts, inklusive der finanziellen Fragen, macht es
keinen Sinn, parallel über Details des zukünftigen Ver-
hältnisses zu verhandeln . Die Europäische Kommission
mit Jean-Claude Juncker an der Spitze und ihrem Chef-
verhandler Michel Barnier hat diese Haltung wieder und
wieder deutlich gemacht . Jean-Claude Juncker war zu-
sammen mit Michel Barnier gerade gestern in Großbri-
tannien und hat dies dort noch einmal vorgebracht . Dafür
hat die Kommission die volle Unterstützung der Bundes-
regierung . Klar ist außerdem: Ein Drittstaat – und das
wird Großbritannien sein – kann und wird nicht über die
gleichen Rechte verfügen oder womöglich bessergestellt
werden können als ein Mitglied der Europäischen Union .
Auch darüber sind sich alle 27 Mitgliedstaaten und die
europäischen Institutionen einig .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielleicht denken
Sie, dass das eigentlich Selbstverständlichkeiten sind .
Doch ich muss das leider hier so deutlich aussprechen;
denn ich habe das Gefühl, dass sich einige in Großbri-
tannien darüber noch Illusionen machen . Das aber wäre
vergeudete Zeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Selbstverständlich muss es auch im zukünftigen Ver-
hältnis zwischen Großbritannien und der Europäischen
Union wieder ein ausgewogenes Verhältnis von Rechten
und Pflichten geben. Wenn Großbritannien hierzu be-
reit ist, dann sollte einer engen und langfristigen Part-
nerschaft mit der Europäischen Union allerdings nichts
im Wege stehen . Wir als Europäische Union jedenfalls
streben gute, enge und vertrauensvolle Beziehungen zu
Großbritannien an . Wir haben auch ein Interesse an ei-
nem prosperierenden und erfolgreichen Vereinigten Kö-
nigreich . In einem Wort: Wir werden die Verhandlungen
fair und konstruktiv führen, und genau das erwarten wir
auch von der britischen Seite . Unser Ziel wird immer
sein, das beste Ergebnis für Europa und seine Bürgerin-
nen und Bürger zu erzielen . So werden wir als EU der 27
die Gespräche führen, und so werden wir sie dann hof-
fentlich auch erfolgreich beenden können .

Natürlich werden in den kommenden beiden Jahren
die Parlamente eine enorm wichtige Rolle spielen . Der
regelmäßige Austausch der jeweiligen nationalen Regie-
rungen mit den nationalen Parlamenten ist aus meiner
Sicht ganz entscheidend, um am Ende zu einem trag-
fähigen Verhandlungsergebnis zu kommen . Die Bun-
desregierung und der Deutsche Bundestag werden dies
im Rahmen der gewohnt engen Zusammenarbeit hand-
haben . Ich möchte hier ausdrücklich hervorheben, wie
sehr es der Bundesregierung bei den anspruchsvollen

Verhandlungen den Rücken stärkt, wenn das Parlament
ihr im Rahmen dieser Zusammenarbeit beisteht . Deshalb
begrüße ich außerordentlich, dass der Deutsche Bundes-
tag einen Entschließungsantrag zu den Leitlinien vorbe-
reitet hat, der heute zur Abstimmung vorgesehen ist und
der sich auf derselben inhaltlichen Linie bewegt, die auch
die Bundesregierung vertritt und die wir am Samstag im
Europäischen Rat beschließen wollen .

Lieber Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, meine Damen und Herren, wir sind uns der Größe
der Aufgabe, vor allen Dingen auch ihrer Komplexheit
bewusst . Wir sind gut vorbereitet, aber es wird noch viel
Arbeit mit sich bringen . Unser Ziel ist es dabei, die Er-
folgsgeschichte der Europäischen Union fortzuschrei-
ben . Gut leben zu können in Deutschland und Europa,
das ist und bleibt das Ziel, das uns leitet . Wir wissen,
dass die Zeiten insgesamt fordernd sind . Viel zu ernst, zu
tiefgreifend, zu vielfältig sind die Krisen und Konflikte
in Europas unmittelbarer Nachbarschaft, zu groß auch
die globalen Herausforderungen von Flucht und Migra-
tion, von Hunger – wenn wir in diesen Tagen an Afrika
denken – und Not, zu groß sind die Herausforderungen
des Welthandels, des Klimaschutzes, als dass es sich Eu-
ropa nun leisten könnte, sich in den kommenden beiden
Jahren nur mit sich selbst zu beschäftigen – Brexit hin
oder her .

Wir 27 wollen unsere Werte und Interessen auch in
Zukunft weltweit behaupten . Wir wollen das zum Wohle
der Bürgerinnen und Bürger unserer einzigartigen, gro-
ßen Wertegemeinschaft tun . Es geht genau um sie, die
Bürgerinnen und Bürger, die zukünftig 450 Millionen
Unionsbürgerinnen und -bürger . Es geht um unser ge-
meinsames gutes Leben in Deutschland und Europa in
den kommenden Jahren und Jahrzehnten . Hierfür bitte
ich um Ihre Unterstützung .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823100200

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin

Sahra Wagenknecht für die Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823100300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Bundeskanzlerin, ich stimme Ihrer eingangs geäu-
ßerten Kritik an den aktuellen Entwicklungen in der Tür-
kei natürlich zu . Aber ich muss schon sagen, dass ich mir
gewünscht hätte, dass Sie sich nur einmal dazu durchrin-
gen würden, klar und deutlich hier vor diesem Bundestag
zu sagen: Ich verurteile die aktuelle Verhaftungswelle in
der Türkei, und ich fordere Erdogan auf, den Tausenden
unschuldig im Gefängnis Sitzenden endlich die Freiheit
zurückzugeben . – Das wäre angemessen gewesen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)


Das hätten wir gerne von Ihnen so gehört .

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel






(A) (C)



(B) (D)


Für die Linke kann ich jedenfalls ganz klar sagen: Wir
fordern die Freilassung der Tausenden politischen Ge-
fangenen, und wir halten es für absolut untragbar, dass
ungeachtet der Wandlung der Türkei in eine islamistische
Diktatur die EU-Beitrittsgespräche immer noch fortge-
führt werden und Erdogan weiter mit deutschen Waffen
und Panzern hochgerüstet wird . Das ist Politik ohne An-
stand und Moral, und eine solche Politik lehnen wir ab .


(Beifall bei der LINKEN)


In Bezug auf Ihre EU-Politik finden wir die Gleichgül-
tigkeit schon bemerkenswert, mit der die Bundesregie-
rung daran mitwirkt, das Erbe der großen Gründerväter
Europas zu verspielen . Ein Ereignis nach dem nächsten
widerlegt Ihre Politik, jedes könnte ein Weckruf sein;
aber Sie machen ungerührt weiter, als ginge es um Ne-
bensächlichkeiten . Aber die Zukunft Europas ist keine
Nebensache, und die großartige Idee eines in seiner Viel-
falt und Unterschiedlichkeit geeinten Europas, in dem
nach Jahrhunderten der Zwietracht und blutiger Kriege
Völkerhass und Nationalismus nie wieder eine Chance
bekommen, war und ist aktuell,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sagen Sie das mal Ihrem französischen Spitzenkandidaten Mélenchon!)


und wir alle sollten uns ihr verpflichtet fühlen,


(Beifall bei der LINKEN)


allerdings nicht mit hohlen Bekenntnissen, sondern mit
einer realen Politik, die den europäischen Zusammenhalt
stärkt, statt ihn immer weiter zu untergraben .

Schauen Sie sich die Ereignisse des zurückliegenden
Jahres an . Im Juni stimmte die Bevölkerung Großbritan-
niens für den Austritt aus der EU . Statt nur einen Moment
darüber nachzudenken, warum die EU so unpopulär ge-
worden ist, dass derartige Entscheidungen möglich wer-
den, feiern Sie auch heute wieder die EU als einzigartige
Erfolgsgeschichte . Da hat man wirklich manchmal das
Gefühl, man ist im falschen Film .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Dann gehen Sie halt in den richtigen!)


Europa droht der Verfall . In den meisten Ländern ist
die Arbeitslosigkeit höher und die Wachstumsraten sind
niedriger als vor der Einführung des Binnenmarktes,
die Mittelschicht hat akute Abstiegsängste, die Armut
wächst, und Sie reden von einer Erfolgsgeschichte . Trotz
Brexit-Unsicherheit hat sich die britische Wirtschaft im
letzten Halbjahr sogar noch besser entwickelt als der
Durchschnitt der Euro-Zone, aber das gibt Ihnen offenbar
noch nicht einmal zu denken .

In vielen Ländern ist die nationalistische Rechte auf
dem Vormarsch . Bei den Wahlen in den Niederlanden
erzielte Geert Wilders eines seiner besten Ergebnisse .
Die Sozialdemokratie wurde mit weniger als 6 Prozent in
die politische Bedeutungslosigkeit geschickt . Am letzten
Wochenende erreichte der Front National in Frankreich
das beste Ergebnis seiner Geschichte . 45 Prozent der Ar-
beiter haben Le Pen gewählt, die französische Sozialde-
mokratie wurde pulverisiert, und auch die Konservativen
haben es nicht einmal in die Stichwahl geschafft.

Aber all das ist offenbar kein Grund – selbst für die
SPD nicht –, an der EU-Erfolgsgeschichte zu zwei-
feln . Immerhin gibt es den smarten Investmentbanker
Emmanuel Macron, dessen stramm neoliberales Sozial-
abbauprogramm nicht nur die Börsianer feiern, sondern
auch eine ganz große Koalition in der deutschen Poli-
tik, die von Frau Merkel über Herrn Schulz bis zu Cem
Özdemir reicht .


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Gott sei Dank ist Mélenchon nicht gewählt worden!)


Selbstverständlich ist Marine Le Pen unwählbar, aber
es waren Politiker wie Macron, die Le Pen stark gemacht
haben . Darauf hat auch der französische Intellektuelle
Didier Eribon hingewiesen. Ich finde, das sollte man be-
denken, ehe man Macron als angeblich proeuropäischen
Politiker bejubelt .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ihr Kandidat war allenfalls antieuropäisch!)


Ich zumindest würde eine Politik, die belegbar den Nati-
onalismus stärkt, nicht gerade als proeuropäisch bezeich-
nen .


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Na, Mélenchon auch nicht! Wovon reden Sie?)


Zurück zum Brexit: Statt jetzt wenigstens auf beider-
seits vorteilhafte Regelungen zu drängen, unterstützen
Sie de facto den unverantwortlichen Kurs der EU-Kom-
mission, den Austritt so abschreckend wie möglich zu
gestalten . Damit erweisen Sie nicht nur der deutschen
Wirtschaft einen Bärendienst, für die Großbritannien
immerhin ein wichtiger Markt ist, sondern Sie merken
offenbar auch gar nicht, dass sich die EU mit der Strate-
gie, durch möglichst schlechte Austrittskonditionen po-
tenzielle Nachahmer abzuschrecken, selbst ein Armuts-
zeugnis ausstellt; denn wer glaubt, auf Einschüchterung
angewiesen zu sein, um den europäischen Zusammenhalt
zu sichern, der hat Europa längst aufgegeben .


(Beifall bei der LINKEN)


„Europa wird sozial sein, oder es wird nicht sein .“
Davon war schon der französische Präsident Mitterrand
überzeugt . Tatsächlich ruhte die europäische Idee der
Nachkriegszeit auf zwei Fundamenten: Demokratie und
Sozialstaatlichkeit . Von beiden ist heute nicht mehr viel
übrig; denn beides wird durch die aktuellen EU-Verträge
nicht gefördert, sondern abgebaut und vielfach unmög-
lich gemacht . Immerhin wurden die Verträge doch extra
so verfasst, dass sie Länder daran hindern, sich gegen
Dumpingkonkurrenz – sei es bei den Löhnen, sei es bei
den Konzernsteuern – zur Wehr zu setzen .

Wirtschaftskämpfe unter europäischen Staaten wür-
den der Idee der … Einheit Europas … so vollstän-
dig widersprechen, daß nur der Gedanke daran in
einem scharfen Gegensatz zu der großen Arbeit ste-
hen würde, die für eine Einigung … geleistet wurde .

Dr. Sahra Wagenknecht






(A) (C)



(B) (D)


Es ist wirklich traurig, in welchem Grade die deutsche
Politik diese Einsicht Konrad Adenauers in den Wind ge-
schrieben hat .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Denn seit in unserem Land die Agenda 2010 prekä-
re, mies bezahlte Jobs zum Boomen gebracht und einen
riesigen Niedriglohnsektor geschaffen hat, exportieren
wir eben nicht nur gute Autos und Maschinen, sondern
Fleisch, Nahrungsmittel und andere arbeitsintensive
Produkte, während die Importe wegen fehlender Kauf-
kraft weit hinter den Exporten zurückgeblieben sind .
Im Ergebnis sind die deutschen Überschüsse explodiert
und spiegelbildlich dazu natürlich die Defizite und die
Arbeitslosigkeit in anderen europäischen Staaten . Das ist
genau der unfaire Wirtschaftskampf, vor dem Adenauer
so eindringlich gewarnt hat .


(Beifall bei der LINKEN)


Das heißt – ob Sie es verstehen oder nicht –: Was Sie da
machen, das ist antieuropäische Politik .


(Beifall bei der LINKEN)


Gleiches gilt natürlich auch für das aggressive Steu-
erdumping, das Luxemburg und andere zu ihrem Ge-
schäftsmodell gemacht haben . Solange sich in Europa
die fleißigsten Steuerhinterziehungshelfer für höchste
EU-Ämter empfehlen – siehe Herr Juncker – und die
Bundesregierung das auch noch unterstützt, so lange
wird sich daran wohl nichts ändern . Die EU droht aus-
einanderzufallen . Schuld daran sind nicht die Menschen,
die so abstimmen und so wählen, wie sie es tun; schuld
daran ist die Politik, die in Europa gemacht wird und für
die die Bundesregierung die Hauptverantwortung trägt .


(Beifall bei der LINKEN)


Wer ein geeintes Europa will, der darf es eben nicht
zum Lohndrückerladen und zur Sozialkürzungsmaschi-
ne verkommen lassen . Dass ein Europa, in dem Brüs-
seler Lobbykraten oder auch deutsche Politiker immer
selbstherrlicher in andere Länder hineinregieren, viele
Menschen abstößt und nicht gewinnt, das sollte, finde
ich, niemanden wundern .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber in die Türkei dürfen wir reinregieren, oder?)


Deswegen schlagen wir anstelle Ihres Weiter-so drei
sofort umsetzbare Signale für eine soziale Wende in Eu-
ropa vor:


(Zuruf von der SPD: Wir hören!)


Erstens. Beenden Sie den Ratifizierungsprozess des
CETA-Abkommens mit Kanada .


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Um Gottes willen! – Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!)


Dieses neoliberale Konzernschutzabkommen braucht in
Europa kein Mensch . Es wird nur die Standards noch

weiter absenken . Es wird aus gutem Grund von der
Mehrheit der europäischen Bevölkerung abgelehnt .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Unglaublich! Diese Rede hat Adenauer nicht verdient! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Schlechter Vorschlag! Weiter!)


Zweitens . Stoppen Sie die unsozialen Kürzungsdikta-
te und das Lohndumping, und investieren Sie endlich in
die Zukunft des europäischen Kontinents, in gute Schu-
len und Arbeitsplätze, in umweltfreundliche Energie und
Infrastruktur . Nur so können wir die Menschen wieder
für Europa begeistern; denn dann spüren sie, dass es ihr
Leben verbessert und nicht ihre soziale Lage immer wei-
ter verschlechtert .


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Weiter!)


Drittens . Machen Sie einen Vorstoß, die unsäglichen
EU-Verträge zu verändern, in denen die Freiheit des Ka-
pitalverkehrs, also die Freiheit von Investmentbankern,
Steuerdieben und Geldwäschern, Vorrang vor sozialen
Rechten hat . Diese Verträge haben einen wesentlichen
Anteil daran, dass sich immer mehr Menschen von Eu-
ropa abwenden .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja! Zurück zur Planwirtschaft, weil sie so erfolgreich war!)


Setzen Sie sich für ein neues europäisches Vertragswerk
ein, das Demokratie und Sozialstaat in den einzelnen
Mitgliedsländern absichert und nicht immer weiter un-
tergräbt .


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Europäerinnen
und Europäer haben ein Recht auf eine friedliche Zu-
kunft ohne Aufrüstung und Kriegsabenteuer . Sie haben
ein Recht auf soziale Sicherheit, Wohlstand und Demo-
kratie und auf ein Europa der guten Nachbarschaft ohne
deutsche Dominanz . Das war die europäische Idee der
Gründerväter Europas, und das ist das Europa, für das die
Linke sich einsetzt und engagiert, damit die europäische
Einigung am Ende vielleicht wirklich noch eine Erfolgs-
geschichte werden kann .


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Ein überraschendes Ende!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823100400

Nächster Redner ist der Kollege Thomas Oppermann,

der heute seinen Geburtstag feiert . Ich gratuliere ihm
herzlich im Namen des Hauses . Alles Gute!


(Beifall)



Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1823100500

Vielen Dank, Herr Präsident . Das größte Geschenk für

mich ist allerdings nicht, dass ich an meinem Geburtstag

Dr. Sahra Wagenknecht






(A) (C)



(B) (D)


auf die Regierungserklärung der Bundeskanzlerin ant-
worten darf .


(Zurufe von der CDU/CSU und der LINKEN: Oh!)


Das größte Geschenk ist, dass gestern Abend Borussia
Dortmund in einem großartigen Spiel 3 : 2 gegen Bayern
München gewonnen hat .


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Jetzt will ich im Protokoll präzise lesen, wer geklatscht hat! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Roten verlieren halt gerade überall!)


Das müssen Sie aber von der Redezeit abziehen, Herr
Präsident .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823100600

Ich werde dazu jetzt keine Abstimmung im Bundestag

herbeiführen .


(Heiterkeit)


Insofern empfehle ich, dass wir auf den eigentlichen Ge-
genstand der Debatte zurückkommen .


Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1823100700

Das Ergebnis von gestern könnte man auch mit einer

Abstimmung nicht korrigieren .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am vergan-
genen Sonntag hat Emmanuel Macron die erste Runde
der Präsidentschaftswahlen in Frankreich gewonnen .
Viele sind erleichtert über den Ausgang der Wahl . Nach
Österreich und den Niederlanden hat jetzt auch Frank-
reich die Chance, den Vormarsch der Rechten zu stoppen .
Deshalb drücken wir alle Macron die Daumen, dass er
auch in der zweiten Runde die Nase vorn hat .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Frau Wagenknecht, Sie haben es geschafft, in
einer zehnminütigen Rede über Europa nicht ein einziges
positives Wort über die Europäische Union zu verlieren .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ist überhaupt nicht wahr!)


Sie malen hier ein Krisenszenario und ignorieren, dass
die Euro-Zone im Augenblick dabei ist, sich wirtschaft-
lich zu stabilisieren .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ist ja alles in Ordnung nach dem Brexit, oder was?)


Ihre Rede strotzte teilweise nur so von alternativen Fak-
ten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Trotzdem habe ich eine Bitte an Sie: Springen Sie über
Ihren eigenen Schatten . Reden Sie mit Ihren Freunden
von der Schwesterpartei in Frankreich; denn das sind die
Einzigen, die bisher nicht zur Wahl von Macron aufgeru-
fen haben . Machen Sie das; sonst nehmen Sie billigend in
Kauf, dass die kommunistischen Wählerinnen und Wäh-
ler in Frankreich Frau Le Pen wählen . Das wollen Sie
doch ganz bestimmt nicht .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Bevormunder! – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


– Ich habe das nicht gehört . – Mir gibt das Ergebnis natür-
lich zu denken: In Frankreich haben es der linksradikale
Kandidat und die rechtsradikale Kandidatin geschafft,
dass 41 Prozent der Wähler klar gegen Europa votieren .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ihnen sollte zu denken geben, dass der Sozi 6 Prozent hat!)


Ich finde, der Wahlausgang in Frankreich, aber auch
der Brexit zeigen: Wir müssen für ein vereintes Europa
kämpfen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg . Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Richard von Weizsäcker hat einmal gesagt: Die Wei-
marer Demokratie ist eigentlich nicht daran zugrunde
gegangen, dass es zu früh zu viele Nazis gab, sondern
daran, dass es zu lange zu wenig Demokraten gab . – Das
gilt auch heute: Europa darf nicht daran scheitern, dass es
zu wenig überzeugte Europäer gibt .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Was macht denn die Politik?)


Wenn Macron die Wahlen gewinnt, dann ist das auch
eine große Chance; denn es ist vielleicht die letzte Ge-
legenheit, die Mehrheit des französischen Volkes davon
zu überzeugen, dass ein solidarisches Europa gut für
Frankreich ist . Ein französisches Bekenntnis zu Europa
braucht auch deutsche Unterstützung .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir können nicht einfach nur mit dem erhobenen Zei-
gefinger sagen: Weiter so wie bisher. – Wir müssen die
Probleme in Europa anpacken . Wir müssen endlich für
mehr Investitionen und Wachstum sorgen,


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Wer regiert hier eigentlich?)


Thomas Oppermann






(A) (C)



(B) (D)


die Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen, ein soziales Eu-
ropa schaffen, von dem nicht nur einige wenige, sondern
von dem alle Menschen profitieren.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn wir weitere Austritte wie den Brexit verhindern
wollen, dann brauchen wir einen kraftvollen Neubeginn
in der Europapolitik . Auch die Präsidentschaftswahlen in
Frankreich haben gezeigt, wie gespalten viele westliche
Länder in diesen Tagen sind . In der Türkei, in den USA,
in Polen und in Großbritannien zieht sich die Spaltung
quer durch die Gesellschaft . Wir in Deutschland blicken
bisweilen mit Fassungslosigkeit auf die Mehrheitsent-
scheidungen in diesen Ländern . Wir können uns nicht
in demokratische Wahlen einmischen . Aber wir können
diejenigen unterstützen, die die europäischen Werte ver-
teidigen, die für die Demokratie kämpfen, die zur euro-
päischen Einheit stehen . Ihnen müssen wir zeigen, dass
wir an ihrer Seite stehen .


(Beifall bei der SPD)


In Großbritannien sind es vor allem die Jüngeren . Es
ist die jüngere Generation, die sich ihr Land weiterhin in
der Europäischen Union gewünscht hätte . Gerade diesen
jungen Briten sind wir es schuldig, dass wir in den kom-
menden zwei Jahren mit Großbritannien fair verhandeln .
Aber ebenso klar ist auch: Wir werden keine Sonderbe-
handlung zulassen . Die EU ist eine Solidargemeinschaft
mit Rechten und Pflichten. Wer austritt, kann nicht nur
die Vorteile mitnehmen; das muss klar sein . Sonst leisten
wir Beihilfe zum Zerfall der Europäischen Union .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich freue mich, Frau Bundeskanzlerin, dass wir, was
die Brexit-Verhandlungsstrategie betrifft, wirklich Ein-
vernehmen in der Koalition haben . Um die wirtschaft-
lichen Beziehungen mit Großbritannien zu regeln, wird
ein Handelsabkommen notwendig sein . Da bitte ich die
Bundesregierung, Lehren aus unserem Abkommen mit
Kanada zu ziehen: Es darf kein Handelsabkommen ge-
ben, das ohne demokratische Kontrolle, ohne ordentliche
Gerichtsbarkeit und ohne ökologische und soziale Stan-
dards daherkommt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, vor einer Woche hat sich
die Türkei mit einer knappen Mehrheit gegen die parla-
mentarische Demokratie und für ein autoritäres Präsidi-
alsystem entschieden . Es ist bitter, dass die demokrati-
sche Opposition das Referendum so knapp verloren hat .
Aber eines finde ich großartig und mutig: dass sich trotz
aller Drohungen und Einschüchterungen, trotz aller will-
kürlichen Verhaftungen, trotz einer geknebelten Presse
23 Millionen Türkinnen und Türken für die Demokratie
entschieden haben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht sogar noch mehr! – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht war es sogar eine Mehrheit! Es kann ja sein, dass das Ergebnis durch Wahlfälschung zustande kam!)


Diese Menschen sind die Hoffnung der Türkei. Wir dür-
fen diese Menschen nicht alleine lassen .

Einige hofften, nach dem Referendum werde es bes-
ser, Erdogan werde sich mäßigen . Der gestrige Tag – mit
der Inhaftierung von 1 000 angeblichen Staatsfeinden –
hat gezeigt: Nichts wird besser . Es ist falsch, Erdogan
in dieser Situation das Gefühl zu vermitteln, dass wir
einfach teilnahmslos zusehen . Die türkische Regierung
hat Forderungen und Interessen . Sie hat Forderungen
an Deutschland und an die Europäische Union . Sie will
Visaerleichterungen . Sie will Wirtschaftshilfen . Sie will
eine Vertiefung der Zollunion . Wir müssen in dieser Si-
tuation ganz deutlich machen – das ist auch mein Appell
an die Bundesregierung –: Zugeständnisse wird es nur
geben, wenn Zug um Zug die inhaftierten Journalisten
und die politischen Gefangenen freigelassen werden,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


wenn Zug um Zug die Demokratie und die politischen
Freiheiten wieder in Kraft gesetzt werden . Europa darf
Autokraten gegenüber nicht wie ein zahnloser Tiger er-
scheinen .


(Lachen des Abg . Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE])


Nun fordern einige das sofortige Ende der EU-Beitritts-
gespräche mit der Türkei . Ich höre diese Forderungen in
bemerkenswerter Allianz, von Manfred Weber, CSU,
bis zu Sahra Wagenknecht, Linke . Ich kann mich da nur
wundern . Denn das ist doch genau das, worauf Erdogan
wartet: dass er die Schuld für den Abbruch der Verhand-
lungen den Europäern in die Schuhe schieben kann .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Natürlich ist klar: Wenn es in der Türkei zur Einfüh-
rung der Todesstrafe kommt, dann sind die Verhandlun-
gen automatisch beendet. Aber ich finde, diese Verant-
wortung vor seinem Volk muss Erdogan schon selbst
übernehmen . Wir sollten klarmachen, Kollege Kauder –
da wünsche ich mir ein gemeinsames, kraftvolles Be-
kenntnis der gesamten Koalition –: Nicht wir schlagen
der Türkei die Tür zu Europa zu, sondern es ist allein
Erdogan, der sein Land systematisch von der EU und den
europäischen Werten wegführt .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


63 Prozent der türkischen Staatsangehörigen, die in
Deutschland an dem Referendum teilgenommen haben,
haben sich für die Abschaffung der parlamentarischen
Demokratie ausgesprochen . Das ist zweifellos ein depri-
mierender Befund . Es gibt nun aber Stimmen auch aus

Thomas Oppermann






(A) (C)



(B) (D)


Ihren Reihen, Frau Merkel und Kollege Kauder, die eine
Abschaffung der doppelten Staatsangehörigkeit fordern,
allen voran Ihr neuer Schatteninnenminister Joachim
Herrmann. Ich frage aber alle, die eine Optionspflicht
jetzt wieder einführen wollen: Glauben Sie wirklich, dass
nur ein einziger Türke bei dem Referendum anders abge-
stimmt hätte, wenn wir ihm den deutschen Pass wegge-
nommen hätten?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Dann wäre es aber kein Deutscher gewesen!)


Wollen Sie wirklich deutsch-türkische Kinder und Ju-
gendliche mit dem Entzug des deutschen Passes und da-
mit der Staatsangehörigkeit dafür bestrafen, weil ein Teil
ihrer Eltern jetzt für Erdogan gestimmt hat? Ich glaube,
das wäre der falsche Weg .

Wir haben in dieser Koalition die doppelte Staatsan-
gehörigkeit für in Deutschland geborene Kinder einge-
führt . Wir wollen diesen jungen Menschen zeigen: Ihr
gehört zu uns, und zwar auch dann, wenn eure Eltern
und Großeltern aus einem anderen Land kommen und ihr
diese Verbindung nicht ganz abbrechen wollt . Wer jetzt
die Rückkehr zur Optionspflicht fordert, der signalisiert
diesen jungen Menschen: Ihr gehört doch nicht dazu, ihr
seid keine richtigen Deutschen . Ich sage in aller Klar-
heit: Wer in diese trübe Vergangenheit zurück will, der
wird auf den entschiedenen Widerstand meiner Fraktion
stoßen .


(Beifall bei der SPD)


Wir werden nicht zulassen, dass jetzt auf dem Rücken
dieser jungen Menschen Wahlkampf um die Stimmen am
rechten Rand betrieben wird .


(Beifall bei der SPD)


Frau Merkel, wir haben die doppelte Staatsangehö-
rigkeit in dieser Koalition gemeinsam beschlossen . Ich
erwarte von Ihnen eine klare Aussage, ob Sie noch immer
zu diesem Beschluss stehen .

Meine Damen und Herren, in dieser Woche hat der is-
raelische Ministerpräsident Netanjahu sein geplantes Ge-
spräch mit Außenminister Sigmar Gabriel abgesagt . Das
ist sehr bedauerlich . Ich danke Sigmar Gabriel ausdrück-
lich dafür, dass er die Diskussionsrunde mit kritischen
Nichtregierungsorganisationen trotz des politischen
Drucks nicht abgesagt hat . Solche Gespräche sind fes-
ter Bestandteil der deutschen Außenpolitik . Deutschland
trägt eine besondere Verantwortung für die Sicherheit Is-
raels . Unsere beiden Länder verbindet eine tiefe Freund-
schaft, die vor allen Dingen auf gemeinsamen Werten
beruht . Freundschaft bewährt sich gerade da, wo man
unterschiedlicher Meinung ist . Deutschland wird auch in
Zukunft an der Seite Israels stehen .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823100800

Katrin Göring-Eckardt ist die nächste Rednerin für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und liebe Kol-
legen! Auf meinem Pass steht ganz oben „Europäische
Union“ und darunter „Bundesrepublik Deutschland“ .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Auf meinem auch!)


Leider steht nicht „Thüringen“ darauf, aber das muss ich
verschmerzen . Dieser Reisepass ist ein Symbol dessen,
was wir der EU zu verdanken haben, was ich ihr zu ver-
danken habe: Mauerfall, Freiheit, Grenzen überwinden .
Dieser Pass sagt: Du bist Bürgerin der Europäischen Uni-
on, du lebst in Frieden und Freiheit, und du kannst fast
überall hinreisen . Wir haben gemeinsam Standards er-
arbeitet, Standards für Klimaschutz und Umweltschutz,
und zwar im Rahmen der Europäischen Union . Das gilt
genauso für sozialen Fortschritt, Gleichberechtigung,
Datenschutz .

Jetzt haben sich 53 Prozent der Britinnen und Briten
dafür entschieden, nicht mehr Teil dieser Union zu sein .
Das ist ein Drama . Das ist aber auch Auftrag: Auftrag,
uns Gedanken zu machen über das Warum und über das
Wie .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt, Frau Merkel, geht es um das Verhandeln des Bre-
xits . Jetzt muss sich zeigen: Geht es um Größe oder um
Kleinmut? Jetzt muss sich zeigen: Sind Sie bei denen,
die Sonntag für Sonntag im Rahmen von Pulse of Europe
auf die Straße gehen und leidenschaftlich für die Euro-
päische Union, für dieses gemeinsame Europa, streiten,
oder landen Sie doch wieder beim Kleinmut und beim
ausschließlichen Vertreten der Lobbyinteressen von
deutschen Konzernen und von deutscher Politik? Diese
Entscheidung steht jetzt an .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben zu Recht gesagt: Die Probleme sind groß . –
Ja, in der Tat . Aber welche Rolle spielen wir eigentlich
in Deutschland? Wir haben es gerade wieder erlebt . In
dieser Woche ist deutlich geworden: Sie torpedieren in
der EU eine stärkere Kontrolle der Abgastrickser, Sie tor-
pedieren, dass es eine unabhängige Kontrolle in Deutsch-
land und in der Europäischen Union gibt .

Wenn man sich den Dieselskandal und die Verantwor-
tung der deutschen Autokonzerne anschaut, dann liegt
es doch erst recht in Ihrer Verantwortung für die Bür-
gerinnen und Bürger in Deutschland, aber auch für das
große Ganze der Europäischen Union zu sagen: Selbst-
verständlich verschärfen wir die Regeln, und selbstver-
ständlich machen wir das gemeinsam . Die Autokonzerne
in Deutschland haben nur dann eine Chance, wenn das
gelingt,


(Beifall der Abg . Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Thomas Oppermann






(A) (C)



(B) (D)


und wir haben nur dann eine Chance, wenn wir das euro-
päisch gemeinsam machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Man kann sich das weiter anschauen: Sie torpedieren
weiterhin das Stopfen von Steuerschlupflöchern und ver-
bieten nicht das Ausbringen des giftigen Glyphosats auf
die Felder, das am Schluss in unserem Essen landet und
unsere Gesundheit gefährdet .

Frau Merkel, Sie haben hier sehr viel darüber geredet,
was wir in Europa gemeinsam machen müssen . Sie müs-
sen dann auch deutlich sagen: Uns ist dieses gemeinsame
Europa wichtiger als die Partikular- und Lobbyinteres-
sen innerhalb Deutschlands . Darum muss es jetzt gehen,
wenn dieses gemeinsame Europa Anziehungskraft für
alle und nicht nur für die Starken haben soll, sodass man
nicht mehr mit dem Finger auf Deutschland zeigen kann,
nach dem Motto: Die machen doch nur ihres . Nein, für
uns muss klar sein: Wir müssen doch europäischer sein
als alle anderen, weil wir so stark sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, wie es den
Briten geht, die in Deutschland leben, und wie es den
Deutschen geht, die derzeit in Großbritannien leben . Sa-
gen Sie ihnen sehr schnell zu – und nicht nur mit wohl-
feilen Worten –, was sie zu erwarten haben: unsere So-
lidarität .

Bei den Brexit-Verhandlungen kommt es aus unserer
Sicht auf drei große Dinge an:

Erstens. Geben Sie den direkt betroffenen Familien
noch in diesem Sommer Sicherheit . Sicherheit heißt zum
Beispiel Doppelpass .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens . Halten Sie den Binnenmarkt zusammen,
und opfern Sie die Personenfreizügigkeit am Ende nicht
doch noch dem Populismus . Darauf wird es ankommen .
Das wird in diesen Tagen das Zeichen für Europa sein .

Drittens . Stellen Sie vor allem endlich die vermeint-
lichen Interessen, die wir Deutschen und die deutschen
Konzerne in Einzelfällen haben, hinter das Gemeinwohl
des großen Ganzen . Was gut für Deutschland ist, kann in
Zukunft nur noch das sein, was gut für das gemeinsame
Europa ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen, dass von diesen Verhandlungen ein kla-
res Signal ausgeht . Dieses klare Signal muss lauten: Wir
brauchen eine Bundesregierung, die endlich wieder in
und für Europa kämpft – für eine Klimaschutzpolitik, die
ehrlich und mutig ist, für eine Agrarpolitik, die das ge-
sunde Essen in den Mittelpunkt stellt, und gegen Jugend-
arbeitslosigkeit . Es muss egal sein, ob der Jugendliche
aus der Pariser Vorstadt, aus Ostdeutschland oder aus der
griechischen Provinz kommt . Sie alle sind unsere euro-
päischen Jugendlichen, für die wir alle gleichermaßen
eine gemeinsame Verantwortung haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kämpfen Sie also für die Anziehungskraft dieses Eu-
ropas und für eine souveräne EU, die sozial stark ist, die
ökonomisch stark ist und die ökologisch stark ist . Alle
Anfeindungen, die wir im Moment von Trump aus den
Vereinigten Staaten erleben, zeigen doch: Wir müssen
als Europa gemeinsam stärker werden und unsere Werte
und diese Politik, die uns stark gemacht hat, voranstel-
len, und wir dürfen uns nicht selber auf Partikularinteres-
sen und nationalstaatliche Interessen zurückziehen . Nur
dann werden wir auch diese Auseinandersetzung für die
Demokratie, für das Gemeinsame und für die Solidarität
bestehen . Das müssen wir jetzt leisten .

Ich möchte nicht, dass in Europa am Ende die Nati-
onalstaatlichkeiten wieder wichtiger und wir schwächer
sind – auch gegenüber einem amerikanischen Präsiden-
ten, dem es vollkommen egal ist, ob hier eine starke EU
ist und ob der Klimaschutz funktioniert, und dem am
Ende auch die Solidarität vollkommen egal ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja, Sie könnten es sich anschauen: Man kann mit ei-
nem proeuropäischen Kurs Wahlen gewinnen . Das haben
wir in Österreich mit der Wahl von Alexander Van der
Bellen gesehen. Jetzt hoffen wir in Frankreich auf Herrn
Macron . Frau Wagenknecht, bei der Wahl zwischen
Macron und der rechtsextremen Marine Le Pen muss
es doch für Demokratinnen und Demokraten selbstver-
ständlich sein, auf welcher Seite sie stehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Man kann sich doch heute nicht hinstellen und sagen:
Herr Macron ist irgendwie kein Linker . – Deswegen ris-
kieren wir, dass die Anhänger von Herrn Mélenchon in
Frankreich Marine Le Pen wählen .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Wer macht das denn? – Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das ist Unsinn! – Weitere Zurufe von der LINKEN)


Ich erwarte von Ihnen, ich erwarte von jedem Demo-
kraten in diesem Land, dass, wenn auf der einen Seite
Hass, Hetze und Spaltung stehen und auf der anderen
Seite Demokratie, Sie sich für die Demokratie entschei-
den. Alle anderen in diesem Hause werden das hoffent-
lich tun, meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Mittelmeer ris-
kieren täglich Tausende von Menschen ihr Leben . Sie
wollen den Weg nach Europa finden: für ein besseres Le-
ben in Frieden, in Wohlstand, in Freiheit, vielleicht auch
dafür, dass irgendwann oben auf ihrem Pass „Europäi-
sche Union“ steht .

In diesem Jahr sind bereits dreimal so viele Men-
schen ums Leben gekommen wie Anfang des letzten
Jahres . Ist das 2017 eigentlich die Europäische Union,
wie wir sie uns vorstellen? Erst vor wenigen Tagen sind
16 Menschen vor Lesbos ertrunken . Ist Ihnen auch egal,

Katrin Göring-Eckardt






(A) (C)



(B) (D)


was vor zwei Jahren noch alle erschüttert hat und wo-
rüber wir fast jede Woche eine Debatte geführt haben?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Europa, das seine
Werte und seinen Zusammenhalt verteidigen sowie für
Menschlichkeit stehen will, in diesen Tagen nicht mehr
dafür tut, dass die Seenotrettung funktioniert, nicht mehr
dafür tut, dass es einen europäischen Verteilungsmecha-
nismus gibt, nicht endlich mehr dafür tut, dass die Länder
Italien und Griechenland bei der Aufnahme von Flücht-
lingen unterstützt werden .

Meine Damen und Herren, wenn wir dieses gemeinsa-
me Europa wollen, dann heißt das, dass Humanität auch
an seinen Außengrenzen selbstverständlich sein muss .
Ein gemeinsames Europa heißt Menschlichkeit und heißt
auf der anderen Seite auch Sachlichkeit bei der Vertei-
lung der Flüchtlinge . Ich kann nicht verstehen, dass es
der Papst sein muss, der Herrn Orban und andere dafür
kritisiert, wie die Flüchtlinge in Europa untergebracht
werden, und dass Sie mit Herrn Orban noch nicht einmal
darüber reden – er gehört zu Ihrer Parteifamilie –, dass es
nicht geht, dass die Flüchtlinge unter menschenunwürdi-
gen Bedingungen leben müssen . Wenn wir ein gemein-
sames Europa wollen, dann ein menschliches Europa,
meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es freut mich natürlich sehr, dass Sie heute ein paar
Worte über die Türkei gefunden haben . Auch wir sind
für eine unabhängige Untersuchung der Wahlen . Ich hät-
te mir aber noch mehr gewünscht, dass Sie früher etwas
gesagt hätten, dass Sie schon vor dem Referendum klar
Stellung bezogen hätten . Jetzt sind wir in einer Situ-
ation, in der wir klar sagen müssen: Nein, wir werden
keine Verhandlungen oder Gespräche abbrechen; das ist
Quatsch . Die Verhandlungen zum Beitritt liegen auf Eis;
das weiß jeder . Darüber muss man nicht reden .

Aber man muss sehr klare Forderungen stellen . Man
muss auch selbst klar handeln . Es kann doch nicht sein,
dass wir weiterhin Rüstungsgüter in die Türkei exportie-
ren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Ute Finckh-Krämer [SPD])


Dieses Land führt Krieg gegen die eigene Bevölkerung .
Wenn man Klarheit haben will, so wie Sie es gesagt ha-
ben, Frau Merkel, gehört das dazu .

Es kann auch nicht sein, dass wir uns weiter mit dem
Flüchtlingsdeal von Herrn Erdogan abhängig machen . Es
kann auch nicht sein, dass wir nicht klar und deutlich be-
nennen, was dort gerade passiert . Dialog heißt eben auch
Klarheit und heißt nicht Kriechen, wenn es uns am Ende
doch besser passt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, der Reisepass ist der
Schlüssel für die Freiheit, um in andere Länder zu reisen .
Er ist natürlich ein Ausweis von Demokratie . Ich frage
mich manchmal, wie es gewesen wäre, wenn ich in dem
Land weitergelebt hätte, in dem ich geboren bin und das

es zum Glück nicht mehr gibt, was da heute auf dem Pass
stehen würde .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Hammer und Sichel wird da draufstehen!)


Es wäre jedenfalls kein Pass, der verbunden wäre mit
Frieden, Freiheit und Einigung . Wenn wir mutig genug
sind und wenn wir die Vision verwirklichen wollen, die
wir heute auf der Straße erleben, dann wird es vielleicht
eines Tages so sein, dass wir nicht mehr darüber disku-
tieren müssen, ob Herr Özil die Nationalhymne mitsingt .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ein Schmarrn! Genau!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823100900

Frau Kollegin .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielleicht wird es eines Tages so sein, dass auf unse-
ren Pässen und auf denen unserer Kinder „Europäische
Union“ steht und Punkt . Dann kann man gerne Deutsche
sein oder Thüringerin und darauf auch stolz sein, aber
das eigentlich Verbindende muss das Europäische sein .
Das muss die Europäische Union mit ihren Werten, ihrer
Menschlichkeit, ihrer Solidarität und ihrem ökonomi-
schen und ökologischen Erfolg sein, meine Damen und
Herren .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823101000

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun Volker Kauder

das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1823101100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Lie-

be Kollegen! Ja, es war für Europa keine gute Entschei-
dung, dass man im Vereinigten Königreich eine Mehrheit
für den Austritt aus Europa bekommen hat .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: EU!)


Aber es war eine schöne Demonstration der Geschlos-
senheit, dass die 27 sich nicht haben hinreißen lassen,
einzelne Abmachungen anzukündigen, sondern gesagt
haben: Wir wollen gemeinsam die Verhandlungen mit
Großbritannien führen und gemeinsam dafür sorgen,
dass die Standards auch eingehalten werden müssen .

So hat der Brexit bisher dazu geführt, dass die verblei-
benden 27 zu einer Geschlossenheit gekommen sind, die
wir in der Vergangenheit immer wieder vermisst haben,
liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Bisher!)


Katrin Göring-Eckardt






(A) (C)



(B) (D)


Deswegen ist es auch richtig, dass am kommenden Sams-
tag der Versuch unternommen wird, gemeinsame Richtli-
nien für die Verhandlungen zu finden.

Als Erstes – das ist ja wohl völlig klar – muss deutlich
werden, dass es einen Unterschied bedeutet, ob man Mit-
glied der EU ist oder nicht . Und dann muss auch deutlich
werden, welche Konsequenzen dies hat . Darüber wird
nun auch im Detail gesprochen, und es werden schwieri-
ge Verhandlungen .

Aber genau das, was Großbritannien versucht, näm-
lich die Zukunft der Beziehungen zwischen der EU und
Großbritannien mit den Austrittsverhandlungen zu ver-
mischen, darf nicht geschehen . Es muss zunächst einmal
klar sein, welche Konsequenzen der Brexit hat, und dann
reden wir miteinander darüber, wie die Zusammenarbeit
in Zukunft aussehen soll .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Axel Schäfer [Bochum] [SPD])


Natürlich – die Bundeskanzlerin hat darauf hingewie-
sen – ist es zwingend, dass auch bei diesen Verhandlun-
gen der Deutsche Bundestag beteiligt wird . Darauf sind
wir – das können wir der Bundesregierung auch zusa-
gen – vorbereitet . Auch in der Zeit der Sommerpause,
wo wir im Deutschen Bundestag keine regelmäßigen
Sitzungen haben, sind wir jederzeit in der Lage, zusam-
menzukommen, wenn es notwendig ist, um über Fragen
zu sprechen, die im Zusammenhang mit den Brexit-Ver-
handlungen stehen . Der Deutsche Bundestag ist bereit,
sich an diesen Verhandlungen zu beteiligen und sich auch
entsprechend einzubringen . Dem dient auch der Antrag,
den die Koalitionsfraktionen heute vorgelegt haben, in
dem deutlich wird, wo wir die Prämissen sehen .

Ein zentrales Ziel – und wir erwarten, dass dies in
den Verhandlungen deutlich wird – ist für uns, dass in
allen Fragen, die mit den Verhandlungen und dem da-
raus folgenden Vertrag in Zusammenhang stehen, auch in
Zukunft der Europäische Gerichtshof zuständig ist, statt,
wie die Briten meinen, irgendeine Sonderform . Das muss
von Anfang an deutlich werden: Die Rechtskontrolle für
die Konsequenzen findet auch in Zukunft beim Europä-
ischen Gerichtshof statt und nicht vor irgendeinem briti-
schen Gericht, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Natürlich muss eine Antwort auf die Frage gegeben
werden: Wie können wir Europa wieder attraktiver ma-
chen? Um diese Frage wirklich beantworten zu können,
kann man aber nicht eine eigene Ideologie vortragen,
sondern muss sich einmal fragen: Was war der entschei-
dende Grund, der zu der Entscheidung für den Brexit ge-
führt hat?

Das war die Freizügigkeit, liebe Kolleginnen und Kol-
legen . In Großbritannien wurde wegen der 600 000 Po-
len, die dort arbeiten, eine entsprechende Diskussion
begonnen . Da kann ich, an Großbritannien gewandt, nur
sagen: Es wird keine besonders gute Zusammenarbeit im

wirtschaftlichen Bereich geben, wenn die Personenfrei-
zügigkeit nicht auch in Zukunft eingehalten wird .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Über diesen ganz zentralen Punkt ist gestritten wor-
den – nicht über Klimaschutz und sonstige Fragen . Wir
sollten die Verhandlungen nicht mit etwas belasten, was
gar nicht Gegenstand war . Gegenstand war die Personen-
freizügigkeit . Auf diese werden wir auch in Zukunft nicht
verzichten können; denn sie ist ein wesentliches Element
des freien Europas, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich glaube, dass es nicht um solche Detailfragen geht –
um das auch einmal deutlich zu machen: der Diesel hat
beim Brexit nun wirklich keine Rolle gespielt –,


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Wer weiß?)


sondern dass wir uns im Zusammenhang mit dem, was
da geschehen ist, in Europa wieder auf einen wichtigen
Grundsatz besinnen müssen . Frau Bundeskanzlerin, wir
müssen in Europa einmal darüber sprechen: Was soll in
Zukunft Europa leisten, und was können genauso gut die
Nationalstaaten leisten?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


An dieser Stelle muss ich schon noch einmal auf Fol-
gendes hinweisen: Es gibt Aufgaben, die der National-
staat nicht alleine bewältigen kann, weil sie für ihn zu
groß sind . Es gibt aber auch Aufgaben, die der National-
staat übernehmen kann . Die Sicherung der Außengrenze
ist eine Aufgabe für Europa, die Festlegung von Vogel-
schutzgebieten aber nicht, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Darüber muss jetzt einmal eine Einigung erzielt werden .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit den Grenzwerten?)


Wir brauchen also im Zusammenhang mit den Ver-
handlungen mit Großbritannien eine Aufgabenkritik . Es
kann nicht sein, dass sich Europa immer mehr auf klei-
ne Dinge konzentriert und dafür einen Haufen Personal
braucht, aber die wirklich große Aufgabe der Sicherung
unserer Außengrenze bis zum heutigen Tag noch nicht
zufriedenstellend geregelt ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Zukunft von Europa wird sich daran entscheiden,
ob man erkennt, dass man für die Aufgaben, die man sel-
ber nicht erledigen kann, eine Einrichtung hat, nämlich
Europa .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: EU!)


Zweitens . Frau Kollegin Göring-Eckardt, ich bin ja
sehr Ihrer Meinung . In der Tat müssen wir in Europa ge-
rade einer jungen Generation Perspektiven geben . Was
soll eine junge Generation von Europa halten, wenn die
Antwort Jugendarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit

Volker Kauder






(A) (C)



(B) (D)


ist? Ich bin aber nicht bereit, zu akzeptieren, dass man
dann hier erklärt, dafür trage Europa die Verantwortung .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: EU!)


Europa trägt eine Verantwortung dafür, dass bestimm-
te Standards, die wir miteinander formuliert haben, nicht
eingehalten werden – beispielsweise, dass Haushaltsdis-
ziplin aus politischen Gründen nicht eingefordert wird .
Dafür trägt Europa Verantwortung .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Europa trägt aber keine Verantwortung für die Dinge, bei
denen sich die Nationalstaaten ihre eigene Zuständigkeit
vorbehalten haben .

Ich will noch einmal auf meine Grundsatzthese zu-
rückkommen . Dort, wo die Dinge groß sind und Europa
handeln muss, trägt Europa die Verantwortung . Wenn wir
gemeinsam vereinbart haben, dass es Bereiche gibt, für
die der Nationalstaat zuständig ist, darf man dafür aber
auch nicht Europa die Verantwortung geben, sondern
muss im Nationalstaat mahnen: Ihr müsst bestimmte Re-
formen auch umsetzen . – Dass es bei uns in Deutschland
so gut funktioniert, hat doch damit zu tun, dass wir Re-
formen durchgeführt haben, die andere europäische Län-
der nicht gemacht haben . Man muss immer wieder darauf
verweisen, dass solche Reformen zwingend notwendig
sind .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn am kommenden Samstag der europäische Gip-
fel in Brüssel stattfindet, wird über die eine oder ande-
re wichtige Frage – weil nicht 28 europäische Länder
zusammenkommen – nicht beraten werden können;
die Bundeskanzlerin hat das bereits angesprochen . Ich
halte es aber für zwingend erforderlich, Frau Bundes-
kanzlerin, dass man im Europa der 28 recht schnell zu-
sammenkommt, um eine gemeinsame Antwort auf die
Situation in der Türkei zu finden. Wir alle wissen, dass
Entscheidungen über die Verhandlungen mit der Türkei
einstimmig gefällt werden müssen . Wenn nun Kollegin-
nen und Kollegen sagen: „Nicht mit erhobenem Zeige-
finger!“, dann kann ich nur erwidern, lieber Herr Kollege
Oppermann: Richtig, aber dann sollten wir auch nicht
ständig von Deutschland aus öffentlich Ratschläge zum
Umgang mit der Türkei geben, bevor wir im Kreis der 28
nicht gemeinsame Grundsätze vereinbart haben . Wenn
der Zeigefinger im Zusammenhang mit den Verhandlun-
gen mit der Türkei nicht erhoben werden soll, dann sollte
er auch hier nicht erhoben werden .

Ich kann nur raten, relativ rasch eine gemeinsame
Antwort zu geben . Einen Menschen wie Herrn Erdogan
überzeugt nur eines: wenn er auf eine geschlossene Posi-
tion trifft. Wenn er aber den Eindruck hat, dass er die ein-
zelnen Mitglieder in Europa auseinanderdividieren kann,
dann ist das für ihn kein Zeichen der Stärke . Deswegen
halte ich die Position der Bundeskanzlerin für richtig,
rasch zu einer gemeinsamen Position der 28 in Europa
gegenüber der Türkei zu kommen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Politik beginnt bekanntlich mit dem Betrachten der
Wirklichkeit .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Schön wär’s! – Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Das stimmt!)


Manchmal habe ich den Eindruck, dass nicht jeder weiß,
dass das so ist . Aber tatsächlich beginnt sie mit dem Be-
trachten der Wirklichkeit .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Jetzt ganz vorsichtig!)


– Bei Ihnen ist das Bewusstsein für die Wirklichkeit
durch Ideologie so verdrängt, dass ich mit Ihnen darüber
gar nicht rede .


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei der LINKEN)


Ein Teil unserer politischen Wirklichkeit ist die He-
rausforderung durch den islamistischen Terror . Wir sind
uns alle doch darüber im Klaren, dass die Bekämpfung
dieses Terrors weder ein Nationalstaat in Europa noch
Gesamteuropa leisten können . Vielmehr brauchen wir
mehr Anstrengungen . Da ist die NATO ein wesentlicher
Teil . Wir haben ein Interesse daran, dass die Briten auch
in Zukunft ihren wichtigen Beitrag zur NATO leisten;
das wird in den Verhandlungen eine Rolle spielen . Aber
es ist auch Tatsache – ich bin gespannt, ob jemand da-
ran etwas ändern will –, dass die Türkei NATO-Mitglied
ist . Denjenigen, die sich hier an dieses Rednerpult stel-
len und sagen: „Das, was für alle NATO-Mitglieder gilt,
nämlich dass wir in Rüstungsfragen zusammenarbeiten,
gilt für die Türkei nicht mehr“, kann ich nur sagen: Einen
größeren Unsinn über die NATO kann man nicht erzäh-
len als mit diesem Satz .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Thomas Oppermann [SPD])


Wir müssen mit der Türkei natürlich darüber reden, wie
es dort zugeht . Aber gleichzeitig kann man der Türkei
nicht sagen: In der NATO gibt es Mitglieder erster und
zweiter Klasse . – So werden wir den Kampf gegen den
IS nicht gewinnen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823101200

Herr Kollege Kauder, darf die Kollegin Hänsel eine

Zwischenfrage stellen?


Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1823101300

Nein, die Kollegin Hänsel nicht .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Wir haben also eine Reihe von großen Herausforde-
rungen vor uns, deren Bewältigung und das, was jetzt in
Europa gemacht wird, über das Leben unserer Bürgerin-
nen und Bürger und über unseren Wohlstand entschei-
den . Da kann ich nur mahnen: Redet nicht zu kleinka-
riert über einzelne Themen! Macht Europa nicht kleiner,
sondern reden wir über die großen Herausforderungen,
die Europa bewältigen muss . Wenn Europa die besteht,

Volker Kauder






(A) (C)



(B) (D)


dann bekommt Europa auch wieder Zustimmung . Wenn
Europa aber die großen Herausforderungen nicht besteht
und sich in kleinlichen, ständig neuen Regularien und
Gesetzesvorhaben erschöpft, dann wird dieses Europa
keine gute Zukunft haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823101400

Die Kollegin Hänsel bekommt jetzt die Möglichkeit

zu einer Kurzintervention . Bitte schön, Frau Hänsel .


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823101500

Vielen Dank, Herr Präsident . – Herr Kauder, ich muss-

te zu diesem Mittel greifen, weil das, was Sie hier be-
züglich der Rüstungsexportpolitik gegenüber der Türkei
erzählt haben, wirklich hanebüchener Unsinn ist . Sie
haben hier unsere Position angegriffen und gesagt, Ihr
Ziel sei der Kampf gegen den islamistischen Terror . Das
CDU-geführte Innenministerium hat uns im letzten Jahr
geantwortet, dass die Türkei eine Drehscheibe für Un-
terstützergruppen des islamistischen Terrors ist . Dennoch
argumentieren Sie hier, weil die Türkei in der NATO sei,
brauche sie trotzdem weiterhin Waffen? Wir halten es
für völlig unverantwortlich, ein Land, das nachweislich
islamistische Terrorgruppen unterstützt, auch noch mit
deutschen Waffen auszustatten. Dazu hätte ich gerne eine
Stellungnahme von Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der LINKEN: Da hat er keine Antwort! Da schweigt er still!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823101600

Nächste Rednerin ist die Kollegin Barley .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Katarina Barley (SPD):
Rede ID: ID1823101700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Liebe Gäste! Trotz meiner knappen Redezeit möchte
ich die Gelegenheit ganz kurz dazu nutzen, der Kollegin
Dorothee Schlegel zum Geburtstag zu gratulieren . Sie ist
nämlich eine besonders engagierte Europäerin aus unse-
rem Hause .


(Beifall bei der SPD – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Im Willy-Brandt-Haus, oder was?)


Der Tag des britischen Referendums war definitiv
eine Niederlage für die europäische Idee . Ich glaube, da-
rin sind wir uns alle einig . Es lohnt sich aber dennoch,
einmal zu schauen: Warum ist es dazu gekommen? Wie
ist es dazu gekommen?

Ich will Ihnen gerne eine Erfahrung aus meinem per-
sönlichen Bereich schildern . Die meisten hier wissen
wahrscheinlich inzwischen, dass ich auch die britische
Staatsangehörigkeit habe .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Doppelpass!)


Weil in Großbritannien ebenso wie sonst in Europa nie-
mand vorher absehen konnte, was der Brexit ganz kon-

kret bedeutet, habe ich mir in meiner Eigenschaft als bri-
tische Staatsangehörige erlaubt, in der britischen Presse
die Anregung zu unterbreiten, ob man nicht erst einmal
verhandelt und dann, wenn man das Verhandlungsergeb-
nis absehen kann, ein neues Referendum durchführt . Die
Reaktionen, die ich darauf aus Großbritannien bekom-
men habe, waren wie folgt: Es gab natürlich vereinzelt
Zustimmung, aber ich habe vor allen Dingen einen wahn-
sinnigen Shitstorm bekommen .

Wenn man diesen liest, wird einem klarer, was in Eu-
ropa eigentlich los ist . Ich glaube, wir müssen das ernst
nehmen, weil das nicht nur in Großbritannien so ist, son-
dern auch in anderen Staaten der Europäischen Union .
Da werden ganz viele Fehlinformationen weitergetragen,
da werden Vorurteile bestätigt . Ein Satz hat mich aber be-
sonders beeindruckt: Wir haben Deutschland doch nicht
militärisch besiegt, um uns jetzt wirtschaftlich über den
Tisch ziehen zu lassen . – Das war ein Motiv, das immer
wieder kam .

Ich will jetzt nicht sagen, dass das stimmt . Ich will nur
sagen: Die Wahrnehmung bei viel zu vielen Menschen
ist, dass diese Europäische Union nicht für sie da ist, dass
das ein Projekt ist, bei dem es um andere geht, bei dem es
um Staaten, um Besserverdienende, um Wirtschaft geht,
aber bei dem es nicht um ihre Interessen geht .

Deswegen ist unsere wichtigste Aufgabe, das Ver-
trauen der Menschen in die Europäische Union wie-
derherzustellen . Dafür ist entscheidend, dass unsere
eigenen Politiker und Minister nicht wie Schulmeister
durch die Europäische Union gehen und Hausaufgaben
und Noten an andere Mitgliedstaaten verteilen . Die EU
wird scheitern, wenn sie von Politikern geführt wird, die
nur in Bilanzen und in Durchschnittswerten denken, die
nicht verstehen, dass hinter Bruttoinlandsprodukten und
Staatsschuldenquoten Menschen stehen – Menschen, die
oft weder Einfluss darauf hatten noch verstehen, wer ih-
nen die Suppe eingebrockt hat, die aber spüren, dass die
EU ihnen nicht dabei hilft, ihre Probleme zu lösen und
ihr Leben leichter zu machen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich habe so wenig Zeit; deswegen muss ich schnell
reden .

Wir müssen den Mut haben, zu sagen, dass wir als
Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht nur Ver-
antwortung für unseren eigenen Staat übernehmen, son-
dern auch für die anderen Staaten . Das ist ein Stück weit
wie in der Familie . Die funktioniert auch nicht nur dann,
wenn man an sich selber denkt, sondern man muss die
anderen mitdenken . Es ist eben an der Zeit, dass sich Eu-
ropa den großen sozialen Fragen zuwendet .

Frau Wagenknecht, Sie haben klargemacht, dass Sie
von der EU wirklich überhaupt keine Ahnung haben: Es
gab nie ein soziales Europa . Wir sind auf dem Weg dahin .
Das ist ein historischer Weg . Die EU ist entstanden aus
einer Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft, und wir
müssen in und mit der Europäischen Union dafür kämp-
fen – das ist der Punkt –, dass es ein soziales Europa gibt,

Volker Kauder






(A) (C)



(B) (D)


und wir dürfen nicht gegen sie kämpfen . Das haben Sie
immer noch nicht kapiert .


(Beifall bei der SPD)


Europa ist das, was wir aus Europa machen, wir
Menschen, wir Mitgliedstaaten . Wir müssen eine neue
Begeisterung für Europa wecken . Wir sehen das im Mo-
ment: junge Menschen, alte Menschen, die auf die Straße
gehen . Pulse of Europe ist in aller Munde . Die Europäi-
sche Union kann nicht klappen – das spüren diese Men-
schen –, wenn wir ein Klub von 27 Egoisten sind, wenn
sich 27 egoistische Regierungschefs zusammenfinden
und jeder nur für sein Land das Größte herausschlagen
will .

Was passiert, wenn die Leute das Gefühl haben, dass
Europa nicht für sie da ist, das sehen wir jetzt in Frank-
reich wie durch ein Brennglas . Es gibt die einen, die
sagen: „Wenn schon Egoismus, dann richtig, dann nati-
onalistisch, dann autoritär; dann gehen wir volle Lotte
auf die autoritäre Rechte .“ Es gibt andere, die sagen: Wir
wählen den Einzigen, der sich wirklich pro Europa aus-
spricht . – Trotz aller Schwierigkeiten, die man im Einzel-
nen mit der Politik von Herrn Macron haben kann, bleibt
festzuhalten: Er hat ganz klar gesagt: Was wir brauchen,
ist eine ganz starke Europäische Union, in der wir mit-
einander Verantwortung füreinander übernehmen . – Sie
werden es mir nachsehen, dass ich auch deswegen so froh
bin, dass die Sozialdemokratische Partei Deutschlands zu
ihrem Vorsitzenden und zu ihrem Kanzlerkandidaten ei-
nen überzeugten Europäer gewählt hat, der nicht nur mit
Verstand, sondern auch mit Herz und mit Leidenschaft
diese grundeuropäische Idee vertritt und der weiß, dass
man sie verändern muss, der aber auch weiß, wo man sie
anpacken muss .


(Beifall bei der SPD – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: So wie die Kanzlerin, meinen Sie!)


Ich freue mich sehr darauf, mit Macron und mit Martin
Schulz eine neue europäische Idee aufbauen zu können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823101800

Das Wort erhält nun die Kollegin Gerda Hasselfeldt

für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1823101900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Dass mit Großbritannien ein Mitgliedstaat aus der Eu-
ropäischen Union ausscheidet, das war für viele von uns
zunächst gar nicht vorstellbar . Ich bedauere diese Ent-
scheidung; aber wir haben sie zu respektieren . Wir haben
nach vorne zu blicken, und wir haben die Gespräche und
Verhandlungen konstruktiv und zielgerichtet zu führen .

Wir haben sie immer im Interesse der Menschen in
Europa zu führen . Wir haben sie zu führen im Blick da-
rauf: Was bedeutet dieser Austritt für die Arbeitsmög-

lichkeiten, für die Ausbildungsmöglichkeiten, für die
Studienmöglichkeiten der Menschen? Was bedeutet die-
ser Austritt für die wirtschaftliche Entwicklung in Euro-
pa, in unserer Heimat? Welche Auswirkungen hat dieser
Austritt auf die Arbeitsplätze und damit auf die Men-
schen? Wir haben sie mit Blick auf die Zusammenarbeit
in den Fragen der Sicherheit unseres Landes zu führen,
mit Blick auf die Fragen der Zusammenarbeit in der For-
schung und Wissenschaft . Das alles hat enorme Auswir-
kungen – nicht in Rechtstexten, nicht irgendwie theore-
tisch, sondern ganz konkret auf die Menschen in unserer
Heimat, und mit Blick darauf müssen die Verhandlungen
geführt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bisher hat sich schon gezeigt, dass es ein großes Ein-
vernehmen zwischen den 27 Mitgliedstaaten und den
EU-Institutionen in Bezug auf die Zielsetzung und auf die
Verhandlungslinie gibt – etwas, was in der Europäischen
Union nicht bei allen Themen gleich von Anfang an Usus
ist . Es wurden keine Vorverhandlungen betrieben, es
wurden keine Einzelaspekte herausgegriffen. Vielmehr
gibt es ein Einvernehmen unter den 27 Mitgliedstaaten .
Ich finde, das ist ein hervorragendes Signal. Es ist der
Geist, der Europa guttut, der Europa auch guttun würde
bei so manchen anderen Themen. Deshalb hoffe ich, dass
dieses Einvernehmen, gemeinsam zu verhandeln, sich
nicht nur auf die Verhandlungen zum Brexit bezieht, son-
dern auch zur Grundlage für vieles andere wird, was in
Europa zu entscheiden ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, ich glaube, dass es notwendig ist, sich auch
über das im Klaren zu sein, was am Ende steht . Auch
wenn der Brexit, das Ausscheiden von Großbritannien,
für viele schmerzhaft ist und auch wenn manche das für
falsch halten, muss für uns klar sein: Am Ende darf nicht
ein zerrüttetes Verhältnis zwischen der EU auf der einen
Seite und Großbritannien auf der anderen Seite stehen,
sondern am Ende muss es zur Fortsetzung der guten,
der erfolgreichen und der vertrauensvollen Beziehungen
zwischen der Europäischen Union und Großbritannien
kommen . Das sollte die Zielsetzung sein, auf die wir uns
in den nächsten zwei Jahren hinbewegen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Worum geht es? Es geht zum Ersten darum, dass die
Rechtsposition für die Bürger – für die vielen EU-Bürger,
die in Großbritannien leben und arbeiten, zugleich aber
auch für die Briten, die in den europäischen Staaten leben
und arbeiten – klargestellt wird .

Es geht zum Zweiten darum, Klarheit und Planungs-
sicherheit für die Wirtschaft zu schaffen, und dabei geht
es nicht darum, dass wir irgendwelchen Konzernen et-
was Gutes tun, sondern darum, die Arbeitsplätze für die
Menschen in unserem Land zu sichern und die Grund-
lagen für eine weitere gute wirtschaftliche Entwicklung
in unserer Heimat zu legen . Darum geht es, wenn wir
Rechtssicherheit, Planungssicherheit und Klarheit in die-
ser Frage einfordern .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Katarina Barley






(A) (C)



(B) (D)


Natürlich muss dabei gelten, dass ein Nichtmitglied
nicht dasselbe ist wie ein Mitglied . Natürlich muss dabei
gelten, dass Rechte und Pflichten ausgewogen verteilt
sein müssen . Das wird nicht einfach sein . Es wird über
all die Fragen des Binnenmarkts und der Freizügigkeit,
über all das, was heute schon Gegenstand der Diskus-
sion war, ernsthaft diskutiert werden müssen – das wird
sicher eine schwierige Angelegenheit –, aber immer mit
Blick darauf: Was nutzt den Menschen? Wir dürfen uns
nicht davon leiten lassen, irgendeine Form von Bestra-
fung vornehmen oder eine Emotion loswerden zu wollen,
weil wir mit dieser Entscheidung von Großbritannien
vielleicht nicht so ganz einverstanden waren . Es wird na-
türlich auch darum gehen: Wie geht es weiter? Wie gehen
wir mit den finanziellen Verpflichtungen um? Wie gehen
wir mit den Programmen auf EU-Ebene um?

Ein ganz wesentlicher Punkt wird auch sein, das wei-
terzuführen, was außerhalb des Binnenmarkts schon er-
reicht worden ist: die Zusammenarbeit bei der inneren
und äußeren Sicherheit, die Zusammenarbeit bei der Kri-
minalitäts- und Terrorismusbekämpfung, die Zusammen-
arbeit in Forschung und Wissenschaft . Auch dies gilt es
so weiterzuführen, dass es den Menschen und den Län-
dern jeweils guttut .

Ich bedanke mich sehr herzlich, dass die Bundeskanz-
lerin auch zum Ausdruck gebracht hat: In all diese Ver-
handlungen auf europäischer Ebene wird das Parlament
intensiv mit einbezogen . – Wir stehen dazu bereit . Vorar-
beiten für den Verhandlungsprozess sind ja mit unserem
Entschließungsantrag, der heute zur Abstimmung steht,
schon geleistet worden .

Meine Damen und Herren, der Brexit stellt eine He-
rausforderung, eine Riesenherausforderung für uns alle
dar; er bietet aber auch eine Chance . Und machen wir
uns nichts vor: Diese Chance müssen wir ergreifen;
denn Europa befindet sich einem schwierigen Zustand.
Wir haben nationalistische Parteien und Populismus in
vielen europäischen Staaten . Wir haben unterschiedliche
wirtschaftliche Entwicklungen . Und nicht zu vergessen:
Es gibt eine Stimmung im Land, die so nach dem Motto
geht: Alles, was gut ist, das ist national gemacht worden,
und alles, was kritisch zu sehen ist, wird auf die Europä-
ische Union geschoben . – Deshalb ist es schon wichtig,
über die Frage nachzudenken: Wo müssen wir ansetzen?

Zur Ehrlichkeit gehört aber auch, zu sagen, dass in
Großbritannien die Entscheidung zum Brexit auch des-
halb zustande kam, weil es Missbrauch der Freizügigkeit
und daraus resultierend Skepsis gegenüber dieser Freizü-
gigkeit gegeben hat . Das war der Anlass . Deshalb ist es
auch richtig, dass die Bundesregierung jetzt zum Beispiel
das Thema „Kindergeldbezug von EU-Ausländern hier
im Land“ aufgegriffen hat. Deshalb ist es auch richtig,
dass wir jetzt zum Beispiel, was den sozialen Missbrauch
angeht, Planken insoweit eingezogen haben, als Sozial-
leistungen erst nach einigen Jahren des Aufenthaltes in
Deutschland bezogen werden können . Das, meine Da-
men und Herren, war noch nicht die ausreichende, aber
die richtige Antwort auf so manche Probleme und auf die
Skepsis in diesem Punkt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Nachdem in der heutigen Debatte gelegentlich ange-
sprochen wurde, dass wir uns in Europa auch mehr um
die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und um soziale Fra-
gen kümmern müssen, will ich, meine Damen und Her-
ren, deutlich sagen: Auch ich bin dafür, dass alle Men-
schen in Europa einen Arbeitsplatz haben, dass alle die
Möglichkeit haben, sich ihren Talenten entsprechend zu
qualifizieren und ausbilden zu lassen. Auch ich bin da-
für, dass Armut in allen Regionen bekämpft wird . Auch
ich bin dafür, dass Familie und Beruf gut zu vereinbaren
sind . Aber, meine Damen und Herren: Nicht jede Aufga-
be in Europa ist eine Aufgabe für Europa!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Nationalstaaten müssen ihre Aufgaben schon selbst
bewältigen . Sie müssen ihre Hausaufgaben selbst ma-
chen . Darauf müssen wir immer wieder hinweisen . Es
kann nicht sein, dass beispielsweise im Rahmen einer ge-
meinsamen europäischen Arbeitslosenversicherung, wie
sie manche fordern, die deutschen Beitragszahler für De-
fizite in anderen europäischen Staaten, zum Beispiel hin-
sichtlich Strukturreformen, geradestehen . Das ist nicht
mein Verständnis von Europa .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich war am letzten Sonn-
tag – auf meine alten Tage habe ich das noch einmal ver-
sucht – bei einer Demonstration,


(Zurufe von der SPD: Oh! – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Jetzt wird es spannend!)


auf der Demonstration von Pulse of Europe in München .
Und ich war beeindruckt von den vielen jungen und älte-
ren Menschen, die dort mit Begeisterung für Europa auf
die Straße gehen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danach haben Sie wieder Herrn Orban getroffen!)


Meine Damen und Herren, das muss uns schon im-
mer wieder deutlich gemacht werden: Auch wenn wir so
manches in Europa kritisch sehen – wir haben in dieser
Hinsicht ja Aufgaben zu bewältigen –, muss festgehalten
werden: Diese europäische Einigung ist eine einzige his-
torische Erfolgsgeschichte . Und diese Erfolgsgeschich-
te wird nicht dadurch geschmälert, dass jetzt ein Land
dabei ist, aus der Europäischen Union auszutreten . Sie
wird nicht geschmälert, wenn wir diese Aufgabe richtig
und gut bewältigen . Und die Leitlinien, die es dazu gibt,
bilden – ergänzt durch den heute von der Koalition in den
Bundestag eingebrachten Entschließungsantrag – meines
Erachtens eine richtige und gute Grundlage .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823102000

Nächster Redner ist der Kollege Norbert Spinrath für

die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)


Gerda Hasselfeldt






(A) (C)



(B) (D)



Norbert Spinrath (SPD):
Rede ID: ID1823102100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Hasselfeldt, es ist
gut, zu hören, dass Sie an Demonstrationen für Europa
teilnehmen . Gut wäre es, auch zu hören, dass Sie an Ter-
minen mit Herrn Orban nicht mehr teilnehmen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Austrittswunsch
des Vereinigten Königreichs ist ein tiefer Einschnitt in
die europäische Geschichte . Ich bedaure diesen Schritt,
ja, ich halte ihn auch für eine epochale Fehlentscheidung .
Aber sie ist aus der Mitte der dortigen Gesellschaft he-
raus getroffen worden. Ich glaube, es ist beinahe wün-
schenswert, dass das Volk seine Entscheidung noch ein-
mal revidiert, wenn es nämlich erkennt, dass es vor dem
Referendum von denselben Protagonisten systematisch
belogen wurde, die sich am Tag danach aus dem Staub
gemacht haben, wenn es erkennt, dass seine Regierungs-
chefin zwar markige Worte findet, aber keine wirklichen
Lösungen präsentieren kann, und wenn es erkennt, dass
es über eine sehr lange Zeit massive Einschnitte in prak-
tisch allen Lebensbereichen hinnehmen muss . Zu Letz-
terem möchte ich klar und deutlich feststellen: Diese
Einschnitte werden nicht das Ergebnis einer böswilligen
und strafenden EU sein, sondern das Resultat der Ent-
scheidung einer – wenn auch sehr knappen – Mehrheit
des britischen Volkes .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Sehr wahr!)


Frau May muss endlich der Legendenbildung Ein-
halt gebieten . Ohne ein Umsteuern in der Rhetorik und
eine Vorbereitung der britischen Öffentlichkeit auf viele
schmerzhafte Zugeständnisse werden die Austrittsge-
spräche scheitern . Dann würde die EU-Mitgliedschaft
ungeordnet enden . Manche nennen das einen „hard Bre-
xit“ . Ich bezeichne es eher als einen „dirty“ oder „chaotic
Brexit“ . Das wäre aber weder im Interesse der EU, noch
hilft es Großbritannien .

Der Schlüssel zu vernünftigen Lösungen liegt in Lon-
don, nicht in Brüssel, nicht in irgendeiner Hauptstadt der
EU und auch nicht in Berlin . Unsere Aufgabe hier ist es,
unsere Ziele für den Austrittsprozess festzulegen . Das
tun wir heute mit dem Entschließungsantrag der Koaliti-
onsfraktionen . Für das Protokoll sage ich aber ausdrück-
lich auch: Mit diesem Entschließungsantrag nehmen wir
gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes zum Entwurf der
Leitlinien Stellung .

Oberstes Ziel, liebe Kolleginnen und Kollegen, für die
Brexit-Verhandlungen ist die Wahrung der Einheit der
Europäischen Union . Deutschland hat eine besondere
Verantwortung für die europäische Integration und hat in
seiner ganz eigenen Weise von ihr profitiert: historisch,
staatspolitisch, ökonomisch . Für Großbritannien darf es
bei den Verhandlungen keine Rosinenpickerei geben .
Ein zukünftiges Verhältnis kann nicht nur mit Rechten,
sondern muss auch mit Pflichten einhergehen. Es darf
keine Besserstellung Großbritanniens gegenüber anderen

Nichtmitgliedern geben, auch nicht gegenüber Nicht-
mitgliedern, die in einem besonderen Verhältnis zur EU
stehen .

Bei allem Verständnis für sehr unterschiedliche Par-
tikularinteressen muss deshalb auch für uns in Deutsch-
land gelten: Wir müssen auch von unserer Seite weiterhin
jedem Versuch widerstehen, Rosinenpickerei zu betrei-
ben . Ansonsten können wir erst recht nicht von anderen
Mitgliedstaaten, die in einer weniger komfortablen Situ-
ation sind, dasselbe erwarten .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Im Gegenteil: Wir müssen von allen EU-Partnern abfor-
dern, gemeinsam, geschlossen und solidarisch zu han-
deln . Ich bin angenehm überrascht, dass es derzeit keine
wesentlichen Aufweichungstendenzen gibt .

Unser Höchstmaß an Solidarität muss aber den Men-
schen gelten, die als EU-Bürgerinnen und -Bürger in
Großbritannien leben, und den britischen Staatsangehö-
rigen, die sich in anderen Ländern der EU aufhalten, um
dort zu arbeiten, zu studieren oder den Ruhestand zu ge-
nießen . Diesen Menschen droht der Brexit den Boden un-
ter den Füßen wegzuziehen, ihre gesamte Lebensplanung
über den Haufen zu werfen . Das darf nicht passieren . Sie
dürfen nicht zum Spielball der Verhandlungen werden .
Deshalb unterstützen wir das Ziel, die Sicherstellung ih-
rer Statusrechte zu priorisieren .


(Beifall bei der SPD)


Wir werden sehr nachdrücklich darauf achten, dass nie-
mand unter die Räder des Brexits gerät . Auch wenn es
rechtlich und verwaltungstechnisch schwierig bleibt und
Zeit braucht: Wir müssen alles dafür tun, so schnell wie
möglich hohe Planungssicherheit für die betroffenen
Menschen zu schaffen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich mache mir aber
auch Sorgen, dass der Brexit-Prozess alle politischen und
administrativen Kapazitäten in der EU bindet . Auch das
darf nicht sein . Wir müssen uns parallel zum Verhand-
lungsprozess auch um die Zukunft der EU kümmern .
Das Weißbuch der Kommission und die Erklärung von
Rom sind wichtige Diskussionsbeiträge dazu . An beidem
müssen wir arbeiten: an einem Brexit, der die Prinzipien
und die Einheit der Europäischen Union wahrt und da-
bei den Schaden für alle Beteiligten gering hält, und an
einer Zukunft der EU, die als eine sozial gerechte und
wirtschaftlich erfolgreiche Gemeinschaft zu einem hand-
lungsfähigen Akteur auf der Weltbühne wird, um unsere
gemeinsamen europäischen Werte zu verteidigen und
dem Frieden zu dienen .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823102200

Das Wort erhält nun der Kollege Michael Stübgen für

die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)



Michael Stübgen (CDU):
Rede ID: ID1823102300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Neben der
Tatsache, dass wir heute – wir haben das schon mehrfach
gemacht; das ist jetzt nicht das erste Mal – über die Fra-
ge des britischen Austrittsprozesses debattieren und die
Bundeskanzlerin mit einer Regierungserklärung öffent-
lich macht, wie wir als Parlament uns daran beteiligen
können und welche strategischen Ziele verfolgt werden,
gehen mit dieser Debatte zusätzlich noch zwei Dinge ein-
her, auf die ich kurz eingehen will .

Punkt eins . Zu dieser Debatte haben alle Fraktionen
des Bundestages Entschließungsanträge zu den vorberei-
teten Leitlinien des Europäischen Rates zum Austritts-
prozess Großbritanniens aus der Europäischen Union
eingereicht; die Grünen sogar zwei – Masse ist nicht in
jedem Fall Klasse . Ich gehe davon aus, dass der Koa-
litionsantrag hier eine deutliche Mehrheit findet. Damit
signalisiert der Deutsche Bundestag ganz eindeutig, dass
er sich mit den Facetten des britischen Austrittsprozesses
und dem, was danach folgen soll und kann, sehr detail-
liert, sehr intensiv beschäftigen und seine Verantwortung
wahrnehmen wird, und zwar unabhängig von der Frage,
auf welcher rechtlichen Grundlage der Bundestag dies
kann, ob freiwillig oder ob er sogar Beschlüsse fassen
muss, weil sich die gesetzliche Grundlage während der
Austrittsverhandlungen ändert . Wir werden unsere Ver-
antwortung auf jeden Fall wahrnehmen . Das ist ein deut-
liches Signal an die deutsche Bevölkerung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Axel Schäfer [Bochum] [SPD])


Punkt zwei . Mit unserem Entschließungsantrag zei-
gen wir auch: Der Deutsche Bundestag stimmt, und zwar
bis in einzelne Details, mit der Strategie der EU 27 und
insbesondere mit der Strategie der deutschen Bundesre-
gierung für den Austrittsprozess überein . Es gibt in kei-
nem einzigen Punkt unterschiedliche Auffassungen. Wir
als Bundestag unterstützen die EU 27 bei der Verfolgung
ihrer Leitlinien . Wir werden sie unterstützen, wenn das
Mandat ausgehandelt wird . Und wir senden ein Zeichen
der Unterstützung insbesondere an die Bundeskanzlerin
im Hinblick auf die wichtigen Beratungen und den Be-
schluss übermorgen beim Europäischen Rat der 27 .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Norbert Spinrath [SPD])


Meine sehr verehrten Damen und Herren, am Sonn-
abend, wenn also die Leitlinien der EU 27 zum Austritts-
prozess beschlossen sind, beginnt die zweite Phase des
britischen Austrittsprozesses . Die erste Phase währt jetzt
schon etwas über zehn Monate. In der breiten Öffentlich-
keit ist nicht bekannt geworden, wie kompliziert dieser
Prozess im Kern eigentlich war . Dabei weiß jeder Insider,
dass der britische diplomatische Dienst unmittelbar nach
dem Referendum in Großbritannien den Versuch unter-
nommen hat, mit einigen Ländern der EU 27 einzelne be-
sonders problematische Themen des Austrittsprozesses,
die die jeweiligen Länder betrafen, separat zu diskutieren
und zu klären . Es ist ja eine Tatsache, dass die Probleme
mit dem Austritt Großbritanniens in Polen andere sind als
in Deutschland, als in Spanien, als in Zypern . Hier könn-

te man alle 27 EU-Mitgliedsländer aufzählen . Die Stra-
tegie der britischen Regierung ist dabei ziemlich einfach
durchschaubar: Sie hat das Ziel verfolgt, eine möglichst
uneinheitliche EU 27 zu haben, möglichst auch zerstrit-
ten in dieser Frage, um ein leichtes Spiel mit uns zu haben
und ihre nationalen Ziele nach dem Austritt selbst besser
durchsetzen zu können . Wenn übermorgen die einheitli-
chen und detaillierten Leitlinien der 27 Staats- und Re-
gierungschefs beschlossen werden, ist dieser Versuch der
britischen Regierung allerdings endgültig gescheitert .

Zu einem Punkt von alldem, was gerade heute von den
Linken erzählt wurde, will ich noch etwas sagen: Natür-
lich ist die Europäische Union insgesamt in vielen Berei-
chen in einer schwierigen Phase, teilweise auch zerstrit-
ten, teilweise ein bisschen zerrüttet; aber die EU 27 zeigt
übermorgen deutlich, dass sie da, wo es darauf ankommt,
in der Lage ist, einheitlich und klar zu agieren . Das ist
einen Beifall für die EU wert . Deswegen glaube ich: Wir
werden diesen Austrittsprozess meistern .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie mich noch zwei Dinge ansprechen, die als
wesentliche Bestandteile für den Austrittsprozess in den
Leitlinien definiert werden.

Als Erstes komme ich zu der fundamentalen Frage
der Rechte der Bürger . Wenn Sie, Frau Kollegin Göring-
Eckardt, da vielleicht zuhören könnten . – Danke . Es
nützt nämlich nicht, wie Sie hinsichtlich der Rechte der
Bürger Scheinlösungen zu fordern . Ich will das kurz er-
klären: Ungefähr 3 Millionen Unionsbürger leben und
arbeiten in Großbritannien, ungefähr 1 Million britische
Bürger in der Europäischen Union, davon allein 300 000
in Deutschland . Den 3 Millionen Unionsbürgern, die
in Großbritannien leben, hilft der von Ihnen geforderte
Doppelpass gar nicht, den 1 Million britischen Bürgern,
die in der Europäischen Union leben, im Allgemeinen
auch nicht . Er hilft maximal vielleicht den 300 000 in
Deutschland lebenden Briten .

Die Forderung nach einem Doppelpass ist aber auch
falsch . Der richtige Ansatz hingegen – das ist auch der
der Bundesregierung – besteht nämlich in einer ein-
heitlichen Regelung für alle: sowohl für alle britischen
Staatsbürger, egal ob sie in Deutschland, in Polen, in
Spanien oder woanders in der EU wohnen, als auch für
alle EU-Bürger, seien es deutsche, polnische oder etc .,
die in Großbritannien wohnen . Der richtige Ansatz ist:
Wir müssen versuchen, einheitliche Regelungen – kaum
einer kennt die komplizierten Regelungswerke der Euro-
päischen Union – zu erreichen, zum Beispiel in der Frage
der Sicherheit von Rentenansprüchen im Heimatland und
im Wohnsitzland, zum Beispiel in der Frage der Siche-
rung der Gesundheitsversorgung, zum Beispiel in Kran-
kenversicherungsfragen, zum Beispiel hinsichtlich der
Ansprüche auf soziale Leistungen . Wir müssen verhin-
dern, dass all dies ersatzlos wegfällt, und müssen – bei al-
lem, was notwendig ist – dafür sorgen, dass der bisherige
Status bzw . Standard so weit wie möglich erhalten wer-
den kann . Es hat allerdings keinen Zweck, den Menschen
vorzumachen, wir könnten denselben Status wie bisher
gewährleisten . Aber wir müssen den Schaden, der auf-






(A) (C)



(B) (D)


grund des Austritts Großbritanniens entsteht, so gering
wie absolut nötig halten . Das ist der wesentliche Ansatz .

Weitere Punkte sind natürlich die Verpflichtungen
Großbritanniens sowie Wirtschaft und Handel .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823102400

Herr Kollege .


Michael Stübgen (CDU):
Rede ID: ID1823102500

Ich weiß, es blinkt hier schon .

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823102600

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Detlef Seif .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Detlef Seif (CDU):
Rede ID: ID1823102700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Meine Damen und Herren! Einigkeit macht stark . Des-
halb begrüßen die Koalitionsfraktionen mit ihrem Ent-
schließungsantrag ausdrücklich das geschlossene Auf-
treten der Europäischen Union . Verhandlungen dürfen
nur in den vorgesehenen Verhandlungskanälen erfolgen .
Separate Verhandlungen des Vereinigten Königreichs mit
den einzelnen Mitgliedstaaten zum Brexit gab es nicht
und wird es auch nicht geben .

Die Verhandlungsleitlinien, die der Europäische Rat
übermorgen beschließen wird, machen deutlich, dass die
Europäische Union und die anderen Mitgliedstaaten an
einer weiteren starken und konstruktiven Zusammenar-
beit interessiert sind und auch ein faires Abkommen an-
streben .

Jetzt ist leider unsere Kollegin Wagenknecht nicht
mehr im Saal, aber sie hat vorhin behauptet, es werde ein
Abkommen angestrebt, das negativ sei und Großbritanni-
en bestrafe . Ich weiß nicht, ob sie den Leitlinienentwurf
gelesen hat . Wenn ja, dann hätte sie festgestellt, dass hin-
sichtlich Form und Inhalt genau das Gegenteil der Fall
ist .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Leitlinien lassen nämlich eine flexible Vorgehens-
weise zu, um Unsicherheiten und Verwerfungen, die
das Brexit-Verfahren ganz klar mit sich bringt, weitest-
gehend auszuschließen . Das ist auch dringend erforder-
lich; denn in der Nettozeit von 15 Monaten, die für die
eigentlichen Verhandlungen zur Verfügung stehen, wird
man nicht im Ansatz alle Vereinbarungen zu wichtigen
Punkten treffen können, die erforderlich wären. Deshalb
sehen die Leitlinien neben Übergangsregelungen sogar
die zeitlich begrenzte Verlängerung des EU-Besitzstan-
des für Großbritannien vor .

Auch die Bereitschaft, Großbritannien im Hinblick
auf Handelsverträge, die die EU mit Drittstaaten ge-

schlossen hat, zu unterstützen, indem man versucht, sie
im Nachhinein, nach dem Austritt Großbritanniens aus
der EU, weiter wirken zu lassen, ist sehr wichtig . Denn
sonst würde Großbritannien hier in ein Loch fallen .

Man muss doch anerkennen: Es gibt eine grundsätz-
lich positive Grundhaltung der EU . – Aber bei aller po-
sitiver Grundhaltung der Europäischen Union und der
anderen Mitgliedstaaten ist für den Deutschen Bundes-
tag eines klar: Sowohl Übergangsregelungen als auch ein
Folgeabkommen müssen zwingend auf dem Grundsatz
fairer Spielregeln und fairer Wettbewerbsbedingungen
beruhen . Die Finanzmarktstabilität der Europäischen
Union darf in keiner Phase des Verfahrens infrage ge-
stellt werden .

Es findet auch breite Zustimmung, dass die Verhand-
lungen zweistufig ablaufen. Als erstes sind Fragen des
geordneten Austritts zu klären, erst danach kann es um
das künftige Verhältnis gehen . Das ist hier im Einzelnen
auch schon dargelegt worden . Die Rechte der Bürger
sind ganz wichtig, die Rechtssicherheit für die Wirtschaft
ist wichtig, um Verwerfungen auszuschließen; aber auch
die Klärung von Grenzfragen, insbesondere aufgrund der
fragilen Situation zwischen Nordirland und Irland, steht
bei uns ganz oben auf der Agenda .

Großbritannien darf sich allerdings keinen schlanken
Fuß machen und sich davor drücken, Verpflichtungen,
die eingegangen wurden und eingehalten werden müs-
sen, zu erfüllen . Natürlich würde Theresa May gerne di-
rekt über Folgevereinbarungen sprechen über das, was
die künftigen Beziehungen angeht; aber das werden wir
ihr nicht durchgehen lassen . Es ist deshalb richtig, dass
wir eine erste Phase vorschalten . Wir erwarten von Groß-
britannien ein deutliches Signal der Vertrauensbildung in
diesem Punkt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es stellt sich dann die Frage: Wie kann das zukünftige
Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU über-
haupt aussehen? Die Formulierungen kennen wir: Kein
Europa à la carte! Kein Rosinenpicken! – Und wir wis-
sen: Die Mitgliedschaft in der Europäischen Union muss
immer einen Mehrwert haben . Aber, meine Damen und
Herren, der Teufel steckt im Detail .

Das Brexit-Verfahren sollten wir als Chance begrei-
fen, die Zusammenarbeit mit Drittstaaten grundsätzlich
neu zu überdenken und gegebenenfalls neue Instrumente
zu schaffen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Schweizer Modell, das norwegische Modell oder
übliche Handelsabkommen sind nicht in Stein gemei-
ßelt; vielmehr gibt es auch andere Möglichkeiten . Groß-
britannien strebt eine maßgeschneiderte Regelung an .
Grundsätzlich spricht auch nichts dagegen . Das setzt
aber voraus, dass Rechte und Pflichten, dass Leistungen
und Gegenleistungen in einem ausgewogenen Verhältnis
stehen . Vor allem darf der Zusammenhalt der Europäi-
schen Union nicht gefährdet werden, und auch die Auto-
nomie der Europäischen Union und ihre Rechtsordnung,
einschließlich der Rolle des Europäischen Gerichtshofs,
sind zu gewährleisten .

Michael Stübgen






(A) (C)



(B) (D)


Das Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit
der Ukraine, das zwar eine Marktöffnung, aber keine
Freizügigkeit vorsieht, könnte als Blaupause für die Ent-
wicklung maßgeschneiderter Vereinbarungen mit Dritt-
staaten dienen. Seien wir offen für flexible Lösungen.

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1823102800

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge .

Zunächst kommen wir zum Entschließungsantrag der
Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf der Drucksa-
che 18/12135 . Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit
ist der Entschließungsantrag mit der Mehrheit der Koali-
tionsfraktionen angenommen .

Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
der Drucksache 18/12136 . Wer stimmt diesem Antrag
zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen aller übrigen
Fraktionen abgelehnt .

Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf der Drucksache 18/12137 . Wer stimmt die-
sem Entschließungsantrag zu? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Auch hier ist der Antrag bei Zustim-
mung des Antragstellers und bei Ablehnung der übrigen
Fraktionen abgelehnt .

Es gibt einen weiteren Entschließungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksa-
che 18/12138 . Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Dieser
Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
Zustimmung der Oppositionsfraktionen abgelehnt .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 d auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zu-
sammenhang mit Rechteüberlassungen

Drucksachen 18/11233, 18/11531, 18/11683 Nr. 8

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/12128

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Bekämpfung der Steuerumgehung
und zur Änderung weiterer steuerlicher Vor-

(Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz – StUmgBG)


Drucksachen 18/11132, 18/11184

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/12127

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Lisa Paus, Britta
Haßelmann, Anja Hajduk, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine Bundessteuerverwaltung – Gleiche
Grundsätze von Flensburg bis zum Bodensee

Drucksachen 18/2877, 18/12127

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr . Sahra
Wagenknecht, Dr . Dietmar Bartsch, Klaus Ernst,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Illegale Finanzbeziehungen bekämpfen –
Steueroasen austrocknen

Drucksache 18/8132

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung gegen
schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rech-
teüberlassungen liegt ein Änderungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Dazu höre ich
keinen Widerspruch . Also können wir so verfahren .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Kollegen Mathias Middelberg für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Mathias Middelberg (CDU):
Rede ID: ID1823102900

Herzlichen Dank, Herr Präsident . – Meine Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich beginne
mit einem Zitat und bitte um Aufmerksamkeit: „Wenn
der kleine Bäckerladen anständig und selbstverständlich
seine Steuern zahlt und dadurch unser Gemeinwesen
finanziert, der globale Kaffeekonzern sich aber davor
drückt und sein Geld in Steueroasen parkt, dann geht es
nicht gerecht zu“ in diesem Land .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist eine zutreffende und richtige Erkenntnis des
Kanzlerbewerbers der SPD bei seiner Nominierungsrede
Ende Januar .


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ein guter Einstieg! Ich bin gespannt, wie es weitergeht!)


Daraus zog der Kollege Schulz den Schluss, Steuerflucht
müsse ein zentrales Wahlkampfthema werden .

Die erste Erkenntnis war richtig, die zweite halte ich
für weniger durchdacht .


(Dr . Jens Zimmermann [SPD]: Ja, das kann ich mir vorstellen!)


Der Kollege Schulz stellt damit auch Ihre Arbeit quasi
unter den Scheffel; denn wir arbeiten hier seit Jahren

Detlef Seif






(A) (C)



(B) (D)


an der Bekämpfung der Steuerflucht, und zwar, wie ich
glaube, mit großem und gutem Erfolg .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Jens Zimmermann [SPD]: Das ist noch nicht zu Ende!)


Das werde ich Ihnen jetzt im Einzelnen auseinander-
dividieren . Fangen wir einmal an: Vor über sechs Jah-
ren, im Jahr 2011, hat unser Finanzminister Wolfgang
Schäuble gemeinsam mit seinem britischen und seinem
französischen Kollegen das Projekt gegen die Aushöh-
lung von Steuerbemessungsgrundlagen und gegen Ge-
winnverlagerungen – wir kennen das als BEPS-Projekt –
auf OECD- und G-20-Ebene initiiert .


(Dr . Jens Zimmermann [SPD]: War das vor oder nach der Schweiz? – Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat sich doch um 180 Grad gedreht!)


Dort sind Regeln gegen die kreative Steuergestaltung der
internationalen Konzerne festgelegt .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit welchem Ergebnis?)


Seitdem setzen wir hier regelmäßig und Schritt für Schritt
Maßnahmen gegen den illegalen Steuerbetrug und gegen
die legale Steuervermeidung um . Ich nenne Folgendes
exemplarisch:

Im Oktober 2014 hat Wolfgang Schäuble hier in Ber-
lin den automatischen Informationsaustausch über Fi-
nanzkonten initiiert . Über 100 Staaten sind diesem Ab-
kommen mittlerweile beigetreten . In Zukunft wird es
nicht mehr möglich sein, dass ein deutscher Steuerbür-
ger ein Auslandskonto eröffnet und wir in Deutschland
davon nichts erfahren . Diese Dinge werden automatisch
gemeldet . Fälle wie Uli Hoeneß oder Alice Schwarzer,
über die wir in diesem Hause intensiv diskutiert haben,
sind in Zukunft nicht mehr möglich .


(Zuruf des Abg . Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das ist bisher das effizienteste Vorgehen gegen Steuer-
betrug international, und das geht auf die Initiative des
Finanzministers Wolfgang Schäuble zurück .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, er hat es verhindern wollen!)


2016 haben wir hier das Gesetz zur Umsetzung der
EU-Amtshilferichtlinie beschlossen und damit den auto-
matischen Informationsaustausch über die Tax Rulings –
das sind die Steuerabsprachen – initiiert . Wir kennen alle
die Diskussionen über Lux-Leaks, die wir auch hier im
Hause intensiv geführt haben . Ich meine, das müsste auch
Herr Schulz mitbekommen haben . Er war ja live vor Ort .
Irgendwie hat er aber nicht mitbekommen, dass wir ein
Gesetz auf den Weg gebracht haben, um dafür zu sorgen,
dass Lux-Leaks in Zukunft nicht mehr nötig sind . Wir ha-
ben mit diesem Gesetz auch das Country-by-Country Re-
porting gegenüber den Steuerbehörden beschlossen . Das
sorgt demnächst für absolute Transparenz über die steu-

erlichen Sachverhalte der Unternehmen in den verschie-
denen Ländern und ermöglicht eine faire Besteuerung .

Heute beschließen wir den Entwurf des Steuerumge-
hungsbekämpfungsgesetzes . Es ist gegen die Briefkas-
tenfirmen in Steueroasen gerichtet; Stichwort „Panama
Papers“ . Dazu wird gleich mein Kollege Feiler das Nä-
here ausführen . Und wir beschließen den Entwurf ge-
gen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit
Rechteüberlassungen. Dabei geht es um Kaffeehausket-
ten wie Starbucks; wir nennen sie hier einmal Buckstars .

Buckstars ist in Deutschland tätig, hat viele Filialen,
verdient hier viel Geld und müsste eigentlich auch gute
Steuern zahlen . Buckstars hat aber irgendeine Partner-
oder Tochtergesellschaft im Ausland, in den Niederlan-
den, in Irland – konzernintern –, und zahlt für Lizen-
zen dahin Geld . Das führt dazu, dass die Gewinne von
Buckstars in Deutschland gemindert werden . Deswegen
zahlen die hier effektiv wenig Steuern. Das wäre noch
okay, wenn sie für die Lizenzeinnahmen im Ausland, in
den Niederlanden oder in Irland, adäquat zur Kasse ge-
beten würden . Das ist aber leider auch nicht der Fall . Das
heißt, am Ende zahlt dieser Konzern ganz wenig Steuern .
Das ist ungerecht, und das ist wettbewerbsschädlich, vor
allen Dingen auch gegenüber unseren Mittelständlern
hier in Deutschland .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen gehen wir jetzt mit einer Lizenzschranken-
regelung dagegen vor . Das ist das gleiche Prinzip wie bei
der Zinsschranke .


(Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Schäuble wollte etwas anderes!)


Die Zinsschranke funktioniert, und die Lizenzschranke
wird in adäquater Weise funktionieren . Wer im Ausland
nicht mindestens 25 Prozent Steuern zahlt, der kann das,
was er im Ausland für irgendwelche Rechte oder Lizen-
zen zahlt, bei uns dann demnächst nicht mehr steuer-
mindernd geltend machen . Es ist richtig, dass wir das so
regeln .

Deswegen – damit komme ich schon zum Schluss –
verabschieden wir heute zum wiederholten Mal grundle-
gende Gesetze – heute sind es zwei –, die gegen Steuer-
flucht und für mehr Steuergerechtigkeit äußerst wirksam
sein werden . Uns wäre lieb, wenn Sie dem Kollegen aus
Würselen vielleicht einmal eine Kopie dieser Vorlagen
zur Verfügung stellen würden; dann wäre er im Hinblick
auf den Wahlkampf besser informiert .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823103000

Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist jetzt für die Frak-

tion Die Linke die Kollegin Susanna Karawanskij .


(Beifall bei der LINKEN)


Dr. Mathias Middelberg






(A) (C)



(B) (D)



Susanna Karawanskij (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823103100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und

Kolleginnen! Liebe Gäste! Die Empörung im Fall Uli
Hoeneß, Fußballboss und bekannter Steuerhinterzieher,
war ziemlich groß, allerdings auch verhältnismäßig kurz .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Er war ja lange im Gefängnis!)


Man kann den Eindruck gewinnen, dass eine Art Gewöh-
nungsprozess eingetreten ist und dass akzeptiert wird,
dass Superreiche und Unternehmen den Staat jährlich
um Milliarden von Euros an Steuern betrügen . Panama
Papers, Offshore-Leaks, Lux-Leaks, Cum/Ex- und Cum/
Cum-Geschäfte – die Liste ließe sich leider noch wei-
ter fortsetzen . An dieser Stelle möchte ich für uns Linke
ganz klar sagen: Steuerhinterziehungen und Steuerver-
meidung sind kriminell . Nach wie vor ist das für uns ein
Megaaufreger .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden nicht annähernd so lange tatenlos zuse-
hen, wie es die CDU/CSU-Fraktion in dieser Legislatur-
periode getan hat . Die Gesetzentwürfe, die heute aller
Voraussicht nach verabschiedet werden, gehen in die
richtige Richtung .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Immerhin!)


Aber wie immer muss die Bundesregierung erst zum Ja-
gen getragen werden . Das kommt tatsächlich alles mit ei-
ner zeitlichen Verzögerung und nur aufgrund des Drucks
im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Pana-
ma Papers . Gemessen daran, wie schnell andere Gesetze
durch den Bundestag getrieben werden – Stichwort Asyl-
verschärfung –, ist das hier schon fast Schneckentempo .


(Beifall bei der LINKEN)


Auch haben die Gesetze immer noch klare Schwä-
chen . Es gibt Lücken, und ein Großteil der Fälle von
Steuerumgehungen wird überhaupt nicht erfasst . Ich
möchte an dieser Stelle einige Schwächen deutlich ma-
chen: Die Anzeigepflicht für Steuerpflichtige über Ge-
schäftsbeziehungen zu Drittstaatengesellschaften, also
Gesellschaften außerhalb der Europäischen Union, auf
die sie beherrschenden Einfluss haben, und zwar unab-
hängig davon, ob sie am Unternehmen formal beteiligt
sind oder nicht, ist erst einmal positiv zu bewerten . Aber
die Anzeigepflicht greift erst für nach 2017 verwirklichte
Sachverhalte . Das heißt, Sie schreiben hier einen Stra-
ferlass für bisherige Steuersünder fest . Das ist mit uns
Linken nicht zu machen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ebenso halten wir die Mitteilungsverpflichtung von
Berufsgruppen wie Anwälten, Steuerberatern oder für
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften für falsch und halb-
herzig . Das Zauberwort muss doch grundsätzlich Trans-
parenz heißen . Wir brauchen keine Transparenz nach
Gutdünken oder Willkür der Bundesregierung, sondern
wir brauchen umfassende Klarheit . Deswegen fordern
wir als Linke ein öffentliches Transparenzregister al-

ler wirtschaftlich Berechtigten von Unternehmen bzw .
Trusts .


(Beifall bei der LINKEN)


Kommen wir zum Bußgeldrahmen für die Steuer-
pflichtigen. Er wird zwar angehoben, ist allerdings viel
zu brav . Meinen Sie tatsächlich, dass 25 000 Euro bzw .
50 000 Euro Milliardäre oder Finanzfirmen, die damit
beschäftigt sind, Milliardenbeträge verschwinden zu las-
sen, erzittern lassen oder in Angst versetzen? Das ist naiv
und nicht angemessen .


(Beifall bei der LINKEN)


Eine weitere Schwäche in Ihrem Gesetzentwurf ist,
dass der Großteil der Informationspflichten nur in Be-
zug auf Staaten gilt, die nicht Mitglied der EU bzw . der
EFTA, der Europäischen Freihandelsassoziation, sind .
Steueroasen wie Luxemburg und Malta werden komplett
ausgespart . Die ganzen Steuerumgehungen, die ganzen
Verschachtelungskonstruktionen über europäische Steu-
eroasen – ich denke an die Schweiz und Liechtenstein –
werden ebenso nicht erfasst . Genau diese Staaten fehlen
aber bei keiner Auflistung von schwarzen Konten – Stich-
wort Bankgeheimnis – bzw . von Möglichkeiten zur Steu-
erumgehung . An dieser Stelle wollen wir für umfassende
Transparenz und Information sorgen . Deshalb lehnen
wir es ab, dass europäischen Steueroasen damit eine Art
Wettbewerbsvorteil verschafft wird.


(Beifall bei der LINKEN)


An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen:
Mir geht es nicht darum, dass wir pauschal alle Bürge-
rinnen und Bürger, die ein sechsstelliges, achtstelliges
oder höheres Jahreseinkommen haben, kriminalisieren .
Aber wir können uns doch bestimmt darauf einigen, dass
sich innerhalb der Klientel der Panama Papers nicht ein
einziger Hartz-IV-Aufstocker, nicht eine einzige Friseu-
rin oder Krankenpflegerin befindet. Die Steuerbetrüger
schaden mit ihrem Verhalten uns allen, da sie sich der
Finanzierung der Gesamtheit der Gesellschaft entziehen
und öffentliche Güter somit nicht mitfinanzieren. Es ist
skandalös, dass Hyperreiche dem Staat eine lange Nase
zeigen, während alle anderen ganz normal ihre Steuern
zahlen . Das kann doch so nicht weitergehen .


(Beifall bei der LINKEN)


Da kommt bei uns allen natürlich auch ein Stück weit
Frust auf . Mir kommen vor allen Dingen Zweifel an der
Steuergerechtigkeit, die Sie gerade so sehr beschworen
haben, Kollege Middelberg . Dabei geht es nicht allein
um höhere Bußgelder; hier scheint der Großen Koalition
der Sinn für die Realität ja komplett abhandengekommen
zu sein . Man kann sich auch nicht länger querstellen,
wenn wir uns darum kümmern wollen, Steuergerechtig-
keit zu schaffen. Wir als Linke wollen die fortschreitende
Spaltung unserer Gesellschaft in Arm und Reich stoppen .
Dafür brauchen wir Umverteilung von oben nach unten .


(Beifall der Abg . Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE])


Wir wollen, dass sich alle Menschen an der Gesellschaft
beteiligen können, dass aber auch alle Menschen zu ihrer
Finanzierung herangezogen werden . Alles andere ist –






(A) (C)



(B) (D)


ich habe das schon beim letzten Mal gesagt – Betrug,
und zwar Betrug an uns allen bei der Mitfinanzierung der
Gesellschaft .


(Beifall bei der LINKEN)


Nun zu den geplanten Änderungen bei den Lizenz-
bzw . Patentboxen . Unternehmen nutzen sie im Prinzip
für Gewinnverschiebungen . Das geht so: Sie gründen ein
Tochterunternehmen, zum Beispiel in einer europäischen
Steueroase . Dort müssen sie auf den Gewinn, den das
Tochterunternehmen macht, nur geringe Steuern zahlen .
Dann überträgt das Unternehmen zum Beispiel die Rech-
te an der eigenen Marke auf das Tochterunternehmen .
Damit es die Marke weiterhin nutzen darf, muss es an das
eigene Tochterunternehmen Lizenzgebühren zahlen; so
weit, so gut . Diese von dem Unternehmen zu zahlenden
Lizenzgebühren werden zum Teil mit dem in Deutsch-
land erwirtschafteten Gewinn verrechnet . Am Ende der
Kette zeigt sich – urplötzlich –, dass das Unternehmen
kaum bzw . nur geringe Steuern zu zahlen hat und arm
wie eine Kirchenmaus ist, während das Tochterunterneh-
men ein sattes Plus macht, für das es in der Steueroase
aber gar nicht so viele Steuern abführen muss . Das klingt
ein bisschen absurd und sehr kompliziert, ist für Unter-
nehmen wie Google, Apple, Amazon, Ikea und Microsoft
allerdings Tagesgeschäft .

Nach langer Zeit legt die Bundesregierung heute ei-
nen Gesetzentwurf vor, nach dem die entsprechenden Li-
zenzgebühren hierzulande nicht mehr grundsätzlich ab-
gesetzt werden können . Aber dieses Modell ist wackelig .
Wie sonst lässt sich erklären, dass es bei gerade einmal
650 Unternehmen greift und Steuermehreinnahmen von
nur 30 Millionen Euro einbringen soll? Hier besteht das
grundlegende Problem, dass nur sogenannte nahestehen-
de Unternehmen erfasst sind . An dieser Stelle lassen Sie
den Tricksern und Täuschern meines Erachtens viel zu
viel Spielraum . Hier brauchen wir einen breiteren Ansatz .


(Beifall bei der LINKEN)


Nun zu den Vorschlägen, die wir Ihnen unterbreiten .
Wir wollen der Steuerbetrügerszene unter anderem – wir
haben viele Punkte aufgeschrieben – eine Bundesfinanz-
polizei entgegensetzen; ich drücke das jetzt einmal so
aus . Dort sollen Kräfte gebündelt werden, um speziali-
sierten Anwälten, Finanzberatern und der ganzen Oasen-
mafia Paroli bieten zu können. Denn dass es die Steu-
ertrickser so leicht haben, liegt vor allen Dingen daran,
dass es zu wenig Personal gibt, das ihnen auf die Finger
schaut . In der Finanzverwaltung fehlen Tausende Stellen .
Die Finanzämter sind flächendeckend um circa 20 Pro-
zent unterbesetzt . Steuerfahnder bringen dem Staat deut-
lich mehr Geld ein, als sie den Staat Geld kosten . Hier
muss endlich gehandelt werden .


(Beifall bei der LINKEN – Margaret Horb [CDU/CSU]: Dafür sind die Länder zuständig!)


– Darauf habe ich gewartet, dass Sie sagen, dafür seien
die Länder zuständig . Das ist total richtig . Aber daran

sieht man einfach, dass die von Ihnen eingeführte Schul-
denbremse völlig kontraproduktiv ist .


(Dr . Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Ich glaube es nicht! Jetzt ist also die Schuldenbremse schuld? Das kann doch wohl nicht wahr sein!)


Sie ist nämlich dafür verantwortlich, dass es in den öf-
fentlichen Haushalten in Ländern und Kommunen keine
Gestaltungsspielräume mehr gibt, sodass hier nicht ge-
handelt werden kann .

Meine Damen und Herren, der Anfang ist mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf gemacht . Allerdings: Die
Probleme rund um die aggressive Steuervermeidung sind
längst nicht vom Tisch . Wir müssen am Ball bleiben, um
alle Steueroasen Stück für Stück auszutrocknen und alle
Menschen an der Finanzierung des Gemeinwohls und
unserer Gesellschaft teilhaben zu lassen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823103200

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion erhält jetzt der

Kollege Carsten Schneider das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1823103300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kollege Middelberg hat diese Debatte mit einem Zitat
von Martin Schulz begonnen . Ich beginne meine Rede
mit einem Zitat des Heiligen Augustinus, um 400 nach
Christus, der sagte, ein Staat ohne Gerechtigkeit sei nichts
anderes als eine Räuberhöhle . Ich glaube, dem können
wir zustimmen . Gerechtigkeit ist eine der entscheidenden
Grundlagen in unserem Land . Die Menschen vertrauen
darauf, dass der Staat für Gerechtigkeit sorgt . Die Steuer-
und Finanzpolitik ist hier das zentrale Element .

Herr Middelberg, Sie haben Martin Schulz vorgewor-
fen – Ihre Sorge muss groß sein, dass Sie sich in Ihrer
ganzen Rede an ihm abarbeiten –, nicht zu wissen, was
in diesem Land passiert . Er weiß es sehr genau . Das will
ich Ihnen erläutern .

Für die Gesetze, die wir heute hier verabschieden
wollen und die sehr wichtig sind – Frau Karawanskij ist
ebenso wie Sie auf die Punkte Gewinnverlagerung und
Steuerdumping eingegangen –, waren die Veröffentli-
chungen der Panama Papers entscheidend . Man muss
großen Respekt vor der Arbeit der Journalisten haben und
ihnen Dank sagen, dass sie deren Veröffentlichung voran-
getrieben haben, wofür sie den Pulitzer-Preis bekommen
haben . Es war nicht die Staatengemeinschaft, die das ge-
schafft hat, sondern es sind Journalisten gewesen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir müssen umso mehr Respekt haben, da auch vie-
le Despoten aus Ländern, in denen keine Demokratie
herrscht, ihr Geld größtenteils in diesen Oasen verste-

Susanna Karawanskij






(A) (C)



(B) (D)


cken. Die Veröffentlichung war eine gewaltige Transpa-
renzinitiative .

Das reicht aber nicht . Ich sage Ihnen: Der politische
Wille der Unionsfraktion, in den Bereichen Steuerver-
meidung, Steuerhinterziehung voranzugehen, ist sehr
unterentwickelt .


(Joachim Poß [SPD]: Sie war immer Bremser!)


Ich kann es Ihnen hier nicht durchgehen lassen, dass Sie
behaupten, Sie waren diejenigen, die das vorangetrieben
haben .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Reden Sie doch keinen Unsinn!)


Im Gegenteil: Sie haben immer den Druck der Öffent-
lichkeit gebraucht, um überhaupt in diesem Bereich vor-
anzugehen und etwas zu machen .

Wenn ich an das deutsch-schweizerische Steuerab-
kommen denke, das Sie im Bundestag mit Stimmen der
Union und der FDP beschlossen haben, muss ich feststel-
len, dass das das glatte Gegenteil war .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir hätten niemals den automatischen Informationsaus-
tausch bekommen, wenn Sie den Entwurf damals durch-
gesetzt hätten . Es waren im Bundesrat die SPD und die
Grünen


(Zuruf des Abg . Joachim Poß [SPD])


– die Linken waren damals noch gar nicht irgendwo in
der Regierung –, die das gestoppt haben, und zwar allen
voran Norbert Walter-Borjans in NRW .


(Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und Kretschmann in Baden-Württemberg!)


– Der war damals noch nicht Ministerpräsident .

Der Ankauf der Steuer-CDs war der entscheidende
Hebel, um dem Missbrauch in diesem Bereich, der Steu-
ervermeidung und der Steuerhinterziehung den Boden
unter den Füßen wegzuziehen . Das war entscheidend;
deshalb sind solche Fälle wie der von Uli Hoeneß öffent-
lich geworden . Sonst wäre das nicht passiert .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nur aus diesem Grund kam es dazu, dass es jetzt in
der Schweiz eine Weißgeldstrategie gibt . Das kann man
offen sagen. Es gibt bei den Steuerhinterziehern, die ihr
Geld dort noch geparkt haben, eher eine Entwicklung
zurück . Der letzte Fall war 2014 . Ein Besitzer eines Un-
ternehmens und dessen Sohn wollten Bargeld in Höhe
von 200 000 Euro nach Deutschland zurückschleusen
und wurden dabei erwischt . Von daher war das der ganz
entscheidende Schritt .

Die SPD ist hier immer an erster Stelle gewesen und
wird hier auch weiterhin immer an erster Stelle stehen .
Es ist eine zentrale Gerechtigkeitsfrage, dass die Steu-
ersätze, die wir hier im Deutschen Bundestag politisch

festlegen, auch umgesetzt werden und gelten, und zwar
nicht nur für den Arbeitnehmer, der die Lohnsteuerkarte
abgibt, sondern insbesondere auch für die Unternehmen
und die Superreichen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Das ist völlig richtig!)


In diesem Gesetz steht viel Richtiges, insbesonde-
re was Transparenz betrifft. Der Möglichkeit, dass über
Stiftungen und anonyme Konten Geld gewaschen wer-
den kann und verheimlicht werden kann, wer der wirt-
schaftlich Berechtigte ist, wird der Garaus gemacht . Wir
hätten uns gewünscht, dass nicht nur Banken zur Veröf-
fentlichung verpflichtet werden – das steuerliche Bank-
geheimnis fällt ja –, sondern auch diejenigen, die bera-
tend tätig sind . Ich würde mich da gar nicht immer hinter
dem Vorwand, dass es sich um freie Berufe handelt,
verstecken . Anwälte und Wirtschaftskanzleien sind gera-
de diejenigen, die genau diese Modelle entwickeln und
immer wieder Gesetzeslücken suchen und dafür sorgen,
dass Steuern nicht gezahlt werden müssen . Wir von der
SPD würden diese Leute dazu verpflichten, das anzeigen
zu müssen . Doch dagegen haben Sie sich gewehrt . Das
ist, glaube ich, ein ganz entscheidender Unterschied . Aus
diesem Grund sind wir hier, meine Damen und Herren,
noch lange nicht am Ende . Das ist ein erster Schritt, den
wir hier machen, aber ein wichtiger .

Wir hatten im Vorfeld die Brexit-Debatte . Der Brexit
ist doch geradezu absurd in einer Zeit, in der wir enorme
Fortschritte gemacht haben hin zu mehr internationaler
Zusammenarbeit zwischen den Staaten . Hinsichtlich der
G-20-Initiative will ich mich bei Herrn Schäuble bedan-
ken . Das war wichtig . Sie haben dafür gesorgt, dass wir
die Führerschaft bei den G-20- und G-7-Prozessen ha-
ben, dass wir dort stärker vorankommen und eben nicht
zum Steuerdumping zurückkehren .

Die Briten und natürlich auch die Ankündigungen
der Amerikaner machen mir hier große Sorgen . Natür-
lich dürfen die Briten ihre Unternehmensteuersätze, die
im europäischen und im weltweiten Vergleich hoch sind,
senken; das ist gar keine Frage . Das, was jetzt angekün-
digt wurde, geht aber zu weit . Ich glaube, wir brauchen
insbesondere eine Allianz der Völker gegen große glo-
balisierte Konzerne, die sich letztendlich von ihrer Steu-
erschuld befreien, sodass nur noch die einfachen Leute
Steuern vor Ort zahlen .


(Beifall bei der SPD)


Das wollen wir als Sozialdemokraten nicht . Jeden
Schritt, der dazu führt, dass wir dort Fortschritte errei-
chen und zu einer faireren Besteuerung kommen, un-
terstützen wir . Dann haben wir das Geld – ich komme
zum Schluss –, um auch kleinen Unternehmen zu hel-
fen . Wir tun das mit diesem Gesetzentwurf, indem wir
die Abschreibungsmöglichkeiten für geringwertige Wirt-
schaftsgüter verbessern und den Abschreibungsbetrag
von 410 Euro auf 800 Euro fast verdoppeln . Ich glaube,
das wird auch zu mehr Wirtschaftswachstum führen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)


Carsten Schneider (Erfurt)







(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823103400

Vielen Dank . – Als Nächster hat jetzt Dr . Thomas

Gambke, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort . Bitte schön .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich will
mit einem Zitat beginnen: „Steuerschlupflöcher schlie-
ßen . . .“ ist die Überschrift der Drucksache 18/9043 vom
6 . Juli 2016 . Darin steht:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-
rung auf, ein Gesetz vorzulegen, durch das . . . der
steuerliche Abzug von Lizenzaufwand in verbunde-
nen Unternehmen . . . eingeschränkt wird, wenn die
effektive Steuerbelastung auf den Lizenzertrag im
ausländischen Staat weniger als 15 % beträgt .

Das war unser Antrag, den Sie abgelehnt haben . Jetzt
bringen Sie einen Antrag ein, in dem aus den 15 Prozent
25 Prozent geworden sind . Sie gehen also noch darüber
hinaus .


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sehr gut ist das!)


Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, dass Sie dem An-
trag der Grünen damit stattgegeben haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Was?)


Es ist sehr wichtig, dass wir das tun .

Herr Middelberg und Herr Schneider haben das Steu-
erabkommen mit der Schweiz thematisiert, und ich the-
matisiere den Punkt Lizenzbox . Herr Bundesminister
Schäuble, ich stand hier an diesem Pult, und Sie saßen
dort, wo Sie jetzt sitzen . Wir haben damals die Lizenz-
schranke gefordert, und ich erinnere mich auch an die
Auseinandersetzung in der Presse, nachdem wir aus Lon-
don zurückkamen . Herr Kollege Middelberg, vielleicht
erinnern Sie sich an ein Gespräch mit Herrn Osborne; ich
glaube, Sie waren dabei . Er sagte uns: Wir kämpfen jetzt
gemeinsam mit euch Deutschen gegen Steuerhinterzie-
hung . – Vier Wochen später wurde die Lizenzbox in UK
eingeführt . Wir hatten hier eine erbitterte Debatte darü-
ber, und Herr Schäuble drohte an, dasselbe zu tun . Wir
haben damals gesagt: Nein, das ist der falsche Weg . – Ich
habe damals in der Presse das Wort „schizophren“ be-
nutzt .

Jetzt machen wir mit der Lizenzschranke Gott sei
Dank genau das, was man tun muss . Sie kommt zwar lei-
der viel zu spät, um die Wirkung zu entfalten, die man
hätte entfalten müssen, um zu so etwas wie einer Min-
destbesteuerung zu kommen . Aber es ist ein Schritt in die
richtige Richtung . Wir brauchen eine konsolidierte Steu-
erpolitik in Europa und kein Muskelzeigen bei Lizenz-
boxen, die immer wieder zu Steuergestaltungen führen .
Ich freue mich, dass wir in diese Richtung gehen . Des-

halb werden wir diesem Teil des Gesetzentwurfes auch
zustimmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Dann ist doch alles gut!)


Dieses Drehen um 180 Grad – sowohl beim automa-
tischen Informationsaustausch als auch bei der Lizenz-
schranke – würde ich mir natürlich auch bei anderen
Themen wünschen . Ich habe gehört, dass man sich in Be-
zug auf die steuerliche Forschungsförderung jetzt auch
drehen wird . Es freut mich sehr, Herr Bundesminister,
dass sich Ihre Meinung hier geändert hat und dass Sie
das jetzt unterstützen . Jetzt müssen wir das auch machen
und umsetzen .

Ich könnte noch andere Themen nennen, die Sie bitte
schön auch noch angehen müssen, zum Beispiel – das
haben Sie sich ja eigentlich vorgenommen – die Erleich-
terung von Finanzierungen in der Gründerszene durch
ein entsprechendes Gesetz . Hier haben Sie bisher nicht
geliefert, und das werden Sie wahrscheinlich auch nicht
tun . Es würde mich aber freuen, wenn Sie hier weiter-
kommen würden; denn wir müssen – wir Grünen stehen
dafür – gerade kleine und mittlere innovative Unterneh-
men fördern, weil viele von ihnen in der heutigen Welt
ganz wichtig sind, um mit den schnellen technologischen
Entwicklungen Schritt zu halten und die Chancen, die
wir hier haben, wirklich zu nutzen .

Lassen Sie mich deshalb, Herr Schneider, das The-
ma GWG ansprechen . Sie haben die Anhebung der
GWG-Grenze gelobt . Was Sie machen wollen, ist aber
kompletter Blödsinn . Sie erhöhen die GWG-Grenze auf
lediglich 800 Euro mit einem fiskalischen Argument,
wohl wissend, dass die 800 DM im Jahre 1964 bzw .
410 Euro heute gleichbedeutend mit einem Betrag über
1 500 Euro wären, wenn es einen Inflationsausgleich
gegeben hätte; das wäre die eigentliche Messlatte ge-
wesen . Was Sie leider nicht durchgesetzt haben, Herr
Middelberg, war, die Grenze auf 1 000 Euro anzuheben
und auf die Poolabschreibung zu verzichten .


(Dr . Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Ja!)


Wenn Sie keine Steuerberater fragen, sondern diejeni-
gen, die im operativen Geschäft tätig sind – ich komme
aus dem operativen Bereich –, dann wissen Sie, dass die
Abschaffung der Poolabschreibung wirklich eine erheb-
liche bürokratische Vereinfachung gebracht hätte . Leider
haben Sie da nicht geliefert. Das ist fiskalisch und ord-
nungspolitisch nicht zu verstehen .

Ich bedauere sehr, dass Sie bei diesem Punkt nicht
über Ihren Schatten gesprungen sind und die Grenze bei
1 000 Euro gezogen haben . Wir hätten mit Blick auf die
Bürokratie eine deutliche Vereinfachung erreicht . Sie ha-
ben diese Möglichkeit noch nicht einmal durchgerechnet .
Insofern glaube ich, dass Sie da einen Fehler gemacht ha-
ben . Dennoch werden wir dem Gesetz zustimmen, weil
es in der Summe wenigstens die Liquidität der Unterneh-
men ein bisschen erhöht .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823103500

Vielen Dank . – Für die Bundesregierung hat jetzt der

Bundesminister der Finanzen, Dr . Wolfgang Schäuble,
das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
zen:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Kampf gegen Steuerhinterziehung und ex-
zessive Steuervermeidung wird ein immerwährender
Kampf sein . Das eigentliche Problem dabei ist, dass wir
in einer globalisierten Welt leben und dass durch die Di-
gitalisierung, durch die Verflechtung der wirtschaftlichen
Entwicklung und der Finanzmärkte und durch die Tat-
sache, dass alle Unternehmen heute weltweit tätig sind,
neue Möglichkeiten bestehen . Wir werden diesen Kampf
nur erfolgreich führen können, wenn wir ihn europäisch
und zugleich international gemeinsam führen .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: National kann man auch etwas tun!)


Das ist im Übrigen ein ungeheuer mühsamer Kampf .
Aber es ist vor allen Dingen wichtig, dass man nicht fal-
sche Erwartungen schürt, weil man sonst hinter der Kom-
plexität der Wirklichkeit zurückbleibt . Das ist dann der
Nährboden für die Demagogen, über die wir uns in der
vorherigen Debatte ausreichend gesorgt haben . Darauf
möchte ich in dieser Debatte gerne hinweisen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben in dieser Legislaturperiode, auch in den
Jahren davor, beachtliche Fortschritte erzielt; Herr Kol-
lege Middelberg hat das dankenswerterweise dargestellt .
Aber es macht keinen Sinn, Herr Kollege Schneider,
wenn man die Geschichte immer wieder falsch darstellt .

Für die Schweiz war es über viele Jahrzehnte und über
Generationen hinweg völlig undenkbar, ihr Verständnis
vom Bankgeheimnis aufzugeben . Deswegen war der
automatische Informationsaustausch für die Schweiz
ein Thema, das mit ihr überhaupt nicht zu bereden war .
Übrigens wäre dieses Problem auch nicht durch die An-
drohung, die Kavallerie ausreiten zu lassen, und anderen
Unsinn zu lösen gewesen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Wandel kam erst durch den Druck der Vereinigten
Staaten von Amerika und von niemandem sonst zustan-
de .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben diesen Druck abgemildert, anstatt mitzumachen!)


– Nein, überhaupt nicht . Das ist doch Quatsch .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie standen auf der falschen Seite! Das ist doch Geschichtsklitterung, was Sie machen!)


– Das ist doch totaler Quatsch . Sie fangen immer wieder
damit an, wenn man nur versucht, einmal in aller Ruhe –
ich weiß, es ist Wahlkampf – darüber zu reden .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie es falsch darstellen!)


– Nein, das ist doch nicht wahr . Die Wahrheit ist, dass die
Amerikaner Druck – Stichwort: amerikanischer Markt-
zugang – ausgeübt haben . Auch wir haben gelegentlich
mit den unangenehmen Nebenwirkungen dieser etwas
einseitigen Anwendung zu tun . Jedenfalls hat dieser
Druck die Schweiz dazu gebracht, etwas zu machen, was
sie vorher niemals für denkbar gehalten hat . Daraufhin
haben wir in Europa sofort gesagt: Wenn die Schweiz
diesen Austausch mit den Amerikanern macht, dann er-
klären wir ihn zum europäischen Standard . Daraus ist der
automatische Informationsaustausch geworden, den wir
in Berlin vorangetrieben haben und der in diesem und
im nächsten Jahr mit über 100 teilnehmenden Ländern
stattfinden wird.

Der Vollzug wird dann übrigens wieder kompliziert
sein . Damit sind wir beim nächsten Punkt .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823103600

Herr Bundesminister, ehe Sie den nächsten Punkt an-

sprechen, darf ich Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage
des Kollegen Gambke zulassen .

Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
zen:

Nein, ich möchte jetzt wenigstens ein paar Sätze am
Stück sagen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823103700

Okay .

Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
zen:

Wir sind gemeinsam mit den Ländern dabei, diesen
Punkt umzusetzen – denn ob es den Linken gefällt oder
nicht: wir sind ein föderaler Bundesstaat, in dem die
Steuerverwaltung Sache der Länder ist –, und wir sind
in einem mühsamen Ringen mit den Ländern, damit wir
wenigstens bei der Einführung der Informationstechnik
und bei der Software etwas mehr bundeseinheitliche Re-
gelungen zustande bekommen . Es ist ein Kampf um Mil-
limeter mit den Ländern auch in den Bund-Länder-Fi-
nanzverhandlungen . Wir werden uns in den nächsten
Wochen noch mit dieser Gesetzgebung befassen .

Wir werden große Aufwendungen dafür machen
müssen, dass es funktioniert . Auch das ist ein wichtiger
Punkt. Das betrifft den automatischen Informationsaus-
tausch .

Wir haben die Initiative ergriffen – das haben Sie rich-
tig erwähnt, Herr Kollege Schneider –, um auf interna-
tionaler Ebene zur Zusammenarbeit in der Bekämpfung
unfairer exzessiver Nutzungen unterschiedlicher steuer-
licher Regelungen in den verschiedenen Jurisdiktionen
zu kommen . Mit dieser BEPS-Initiative sind wir weit vo-






(A) (C)



(B) (D)


rangekommen . Wir setzen sie übrigens in europäisches
Recht um . Herr Kollege Gambke, das haben Sie ein biss-
chen übersehen: Ich habe mit den Landesfinanzministern
schon vor vier oder fünf Jahren darüber geredet, dass wir
die missbräuchliche Nutzung der Rechteüberlassung in
erster Linie durch europäische Zusammenarbeit bekämp-
fen wollen . Da sind wir bei der Umsetzung .

Was wir jetzt als ergänzende nationale Gesetzgebung
machen, ist deswegen in der Anwendung begrenzt: Für
die Länder, die sich nicht an den Standard der internati-
onalen Vereinbarungen halten, führen wir mit einer nati-
onalen, der Zinsschranke ähnelnden Regelung eine zu-
sätzliche Sicherung ein . Der eigentliche Ansatz ist aber,
durch europäische und weltweite Zusammenarbeit die
exzessive Nutzung unterschiedlicher Regelungen stärker
zu bekämpfen . Auf diesem Weg sind wir weit vorange-
kommen . Wir werden ihn aber weiter konsequent gehen
müssen .

Die große Aufgabe, die jetzt vor uns liegt – auch in den
nächsten Legislaturperioden; aber bis vor kurzem gab es
überhaupt keine Bereitschaft, weder europaweit noch in-
ternational, sich mit dem Thema zu beschäftigen; das ha-
ben wir inzwischen während unserer Präsidentschaft auf
der G-20-Ebene ändern können –, ist, dass wir uns viel
intensiver mit den schwierigen Fragen der Besteuerung
von im Wesentlichen digital operierenden Gesellschaften
beschäftigen müssen . Dabei sind wir ganz am Anfang,
und es wird ein langer Weg sein .

Mein Rat an alle, die nicht den Demagogen das Feld
für leichte Volksverhetzung bieten wollen, ist, dass wir
die Kompliziertheit dieser Dinge nicht vereinfachen soll-
ten . Wir haben in den letzten Jahren konsequent Schritt
für Schritt die Bekämpfung krimineller Steuerhinterzie-
hung und legaler, aber exzessiver und damit auch miss-
bräuchlicher Nutzung unterschiedlicher steuerlicher Re-
gelungen ein ganzes Stück vorangebracht .

Dabei helfen uns auch Veröffentlichungen wie die der
Panama Papers . Wir haben sie nicht gebraucht, um anzu-
fangen, aber wir haben sie genutzt, um den internationa-
len Druck zu verstärken . Denn das, was wir jetzt national
machen, haben wir auch international vorangebracht .

Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten
wir uns in der Debatte über die erreichten Erfolge freuen .
Wir haben in den letzten sechs Jahren im Kampf gegen
Steuerhinterziehung und Steuervermeidung mehr er-
reicht als in den 30 Jahren zuvor .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen brauchen wir uns dieser polemischen Diskus-
sion auch nicht zu stellen, sondern wir können wirklich
etwas vorweisen . Aber natürlich wird es auch in der Zu-
kunft noch Möglichkeiten geben .

Meine zweite Bitte ist, Herr Kollege Gambke: Schie-
ben Sie nicht jede steuerberatende Tätigkeit in die Rich-
tung einer illegalen oder verwerflichen Tätigkeit!


(Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich nicht getan!)


– Ja, das klingt in den Debatten immer schnell an .


(Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Ihren Ohren! Unterstellung!)


Die steuerberatenden Berufe haben die berufliche Ver-
pflichtung, den Steuerpflichtigen zu helfen, nicht mehr
Steuern zu zahlen, als sie gesetzlich verpflichtet sind.
Auch das ist Ausdruck einer fairen und transparenten
Praxis .

Die Inkriminierung dieser beratenden Berufe, indem
man sagt, dort würde immer nur nach Schlupflöchern ge-
sucht, ist ein Weg, der in Wahrheit eine notwendige Tä-
tigkeit für eine arbeitsteilige Gesellschaft diskriminiert .
Auch das ist nicht der Weg, der zu einer fairen Steuer-
praxis führt .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss ich zurückweisen!)


Ich will eine letzte Bemerkung machen . Das hier wird
ja eine der letzten steuerpolitischen Debatten in dieser
Legislaturperiode sein . Meines Erachtens sollten wir
auch – jedenfalls diejenigen, die Wahlkampf mit Blick
auf die Verantwortung für die Zeit nach der Wahl füh-
ren – im Auge haben, dass wir bei allen Diskussionen
und Entscheidungen niemals nur ein Ziel verfolgen
können . Natürlich gibt es Debatten, bei denen wir einen
Wettbewerb führen, wer die niedrigsten Steuern hat . Es
gibt aber auch die Debatten, bei denen wir einen Wettbe-
werb führen, wer die höchsten Leistungen für Investitio-
nen, Familien, Renten usw . hat . Eine nachhaltige Politik,
die den Menschen wirklich dient und dafür sorgt, dass
die Löhne steigen, dass die Renten steigen und dass die
Arbeitsplätze sicher sind, erreicht man nur dann, wenn
man durch einen Ausgleich der verschiedenen Interessen
und Gesichtspunkte eine verlässliche und auch ein Stück
weit moderate Politik betreibt .

Wir haben in den letzten Jahren eine Finanz- und Steu-
erpolitik betrieben, die einen wesentlichen Beitrag dazu
geleistet hat, dass es den Menschen in diesem Lande bes-
ser geht als vielen anderen Menschen außerhalb unseres
Landes . Darum werden wir auch beneidet . Wir haben die
Möglichkeiten geschaffen, dass wir größere Fähigkeiten
haben, in Europa dazu beizutragen, dass Europa insge-
samt auf einem guten Wachstumskurs bleibt .

Wenn wir diesen Weg der Berechenbarkeit, der Ver-
lässlichkeit und auch der Mäßigung in den kommenden
Jahren verlassen sollten, werden wir nicht mehr Gerech-
tigkeit, sondern mehr Elend und mehr Arbeitslosigkeit
ernten . Das wäre der falsche Weg .

Deswegen werden wir genau diesen Weg – maßvolle,
nachhaltige, verlässliche Finanzpolitik und kontinuierli-
ches, immer wieder mühsames Wirken dafür, dass wir
ein faires, verlässliches und transparentes Steuersystem
haben – gehen . So dienen wir den Menschen in unserem
Lande und auch der Gerechtigkeit .

Herzlichen Dank . – Ich bitte um Zustimmung zu den
Gesetzentwürfen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823103800

Vielen Dank . – Bevor ich gleich dem nächsten Red-

ner das Wort gebe, komme ich der Bitte des Kollegen
Gambke um die Möglichkeit zu einer Kurzintervention
nach . Bitte schön .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ach Gott! Noch mehr Schmarrn!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielen Dank . – Herr Bundesminister Schäuble, Sie ha-
ben meine Zwischenfrage nicht zugelassen . Es geht mir
aber wirklich um Glaubwürdigkeit .


(Lachen des Abg . Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU])


Es geht mir auch um Ihre Glaubwürdigkeit, die sehr be-
schädigt ist, wenn Sie weiterhin das behaupten, was Sie
vorhin behauptet haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben ja völlig recht: Es war schwer, die Schweiz
zu überzeugen, am automatischen Informationsaustausch
teilzunehmen . Das ist gar keine Frage .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie waren doch gar nicht bei den Verhandlungen dabei! Klugscheißer!)


Der Hinweis auf die Kavallerie ist aber nur ein Hin-
weis . Der zweite Hinweis wäre gewesen, dass parallel
zu Ihnen die US-Amerikaner mit der Schweiz über den
Foreign Account Tax Compliance Act, kurz FATCA, ver-
handelt haben .

Herr Bundesminister, ich weiß nicht, ob Sie bei unse-
rer öffentlichen Anhörung dabei waren. Dort hatten wir
einen wesentlichen Verhandlungsführer der Amerikaner
per Video zugeschaltet . Er hat explizit ausgeführt: Wenn
das Steuerabkommen mit der Anonymität so vereinbart
wird, wie es jetzt auf dem Tisch liegt, werden wir FATCA
gar nicht umsetzen können .

Das heißt: Die Schweiz war auf dem Weg in die Weiß-
geldstrategie . Mit dem Steuerabkommen hätten wir das
zurückgedreht . – Das ist die historische Wahrheit . Ich
bitte Sie, diese endlich anzuerkennen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Geschichtsklitterung! Völliger Unsinn!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823103900

Herr Bundesminister, möchten Sie darauf antworten?

Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
zen:

Frau Präsidentin! Herr Kollege Gambke, ich hatte in
meinen Ausführungen ausdrücklich gesagt, dass es für
die Schweiz über Generationen völlig undenkbar war,
über ihr Bankgeheimnis überhaupt Gespräche zu führen .
Diese Situation, die durch die Kavallerie nicht zu verän-

dern war, war die Ausgangslage für die Verhandlungen
mit der Schweiz, um eine Lösung für diese schrecklichen
Probleme zu finden.

In der Endphase dieser Verhandlungen – auch das
habe ich ausgeführt – haben die Amerikaner den Druck
ausgeübt, den die Amerikaner und nur die Amerikaner
ausüben können, weil sie sagen können: Wer sich nicht
an unsere Gesetze hält, bekommt keinen Zugang zum
amerikanischen Markt . – Das hat die Schweiz dazu ge-
bracht, ihre Position zu verändern . Das ist die historische
Wahrheit . Das können Sie prüfen .

In dem Moment, in dem die Schweiz ihre Position
verändert hat, haben wir Europäer sofort reagiert . Zu-
sammen mit meinen Kollegen habe ich das damals in
Dublin getan .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das torpediert!)


Ich weiß noch genau, wie wir gemeinsam vor die Presse
getreten sind und gesagt haben: Dann werden wir das,
was jetzt – aber nur durch den amerikanischen Druck;
das war FATCA – erreicht worden ist, aufgreifen .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Märchenstunde ist das hier!)


Der Rest entspricht leider nicht der Wahrheit . Sie soll-
ten mir auch nicht die Worte im Munde herumdrehen .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Während der FATCA-Verhandlungen! Dazu sollten Sie stehen!)


Denn ich habe ja ausdrücklich gesagt: FATCA war ur-
sächlich für automatischen Informationsaustausch . –
Deswegen brauchen Sie mich nicht über den Ablauf zu
belehren .

Sie sollten im Übrigen den baden-württembergischen
Ministerpräsidenten – er ist, glaube ich, noch im Amt und
gehört Ihrer Partei an – fragen. Er hat damals öffentlich
gesagt: Dieses Abkommen kann man doch nicht schei-
tern lassen .


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Baden-Württemberg hat es trotzdem nicht unterstützt! – Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Geschichtsklitterung! Das ist peinlich!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823104000

Vielen Dank . – Wir fangen keine Zwiegespräche an .

Jetzt hat der Kollege Lothar Binding für die SPD-Frak-
tion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1823104100

Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Sehr geehrter Herr Schäuble, Sie haben
recht, dass die Schweiz das Bankgeheimnis lange sehr
vornehm verteidigt hat . Insofern bin ich der festen Über-
zeugung, dass es richtig war, dass Peer Steinbrück die
vornehme Abwehrhaltung der Schweiz gegenüber jegli-






(A) (C)



(B) (D)


chem Vorgehen gegen Steuerbetrug angekratzt hat . Ob
„Kavallerie“ das richtige Wort war? – Ja, denn es hat sich
gezeigt, dass der Schweiz ihre vornehme Abwehrhaltung
nicht zugestanden wurde .


(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb war es überhaupt erst möglich, das Schweizer
Abkommen ein bisschen zu entlarven . Besonders geär-
gert hat uns, dass dieser Ablasshandel, wie ihn Carsten
Schneider bezeichnet hat, stilbildend für alle weiteren
Abkommen gewesen wäre . Man stelle sich einmal vor:
Ein solches Abkommen hätten wir ebenfalls mit allen
anderen Staaten weltweit abgeschlossen . Das wäre ein
absolutes Desaster .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Warum haben eigentlich nicht die Europäer oder wir
FATCA gemacht? Wir hätten ebenfalls ein mit FATCA
vergleichbares Abkommen schließen können . – Nein, die
USA haben uns sehr geholfen – das stimmt –, aber auch
Peer Steinbrück und – last, but not least – die SPD-ge-
führten Länder . So viel Parteipolitik muss heute erlaubt
sein . Ihr wart es nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der CDU/CSU, sondern es waren die SPD-geführten
Länder, die sich quergelegt haben . Wir, die SPD-Frakti-
on, haben das sehr gerne mitgetragen .


(Beifall bei der SPD – Ralph Brinkhaus [CDU/ CSU]: Das glaubst du doch selbst nicht!)


Heute geht es um den Entwurf eines Gesetzes gegen
schädliche Steuerpraktiken . Wir sind dafür, dass sich
alle fair am Steueraufkommen beteiligen . Deshalb ist es
wichtig, dass wir ein Lizenzschrankengesetz machen . Da
Kollege Middelberg den Bundestagswahlkampf bereits
in den Fokus gestellt hat, will ich sagen: Wir machen
zusammen wirklich gute Sachen . Deswegen wollte ich
schon alles gegen Frau Karawanskij verteidigen . Aber
ich muss sagen, dass wir trotz der guten Sachen immer
wieder Dinge tun, die die SPD-Fraktion richtig ärgern .
Ich nenne ein paar Beispiele . Das Erbschaftsteuergesetz
ist alles andere als gerecht . Dass Minister Schäuble tat-
sächlich Patentboxen in Erwägung zog, war ein weltweit
verheerendes Signal . Wir sind froh, dass wir das aufhe-
ben konnten .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dass Sie eine Registrierkassenpflicht verhindert haben,
ist ein Desaster. Das öffnet dem weiteren Betrug Tür und
Tor .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dass Sie die Einführung der einzig funktionierenden
technischen Software INSIKA verhindert haben, ist ein
Desaster und öffnet dem Betrug Tür und Tor.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg . Susanna Karawanskij [DIE LINKE])


Dass Sie den Fremdvergleichsgrundsatz gemäß dem ak-
tuellen OECD-Standard verhindert haben, ist ein Desas-
ter . Das hätte man ganz anders machen müssen .


(Beifall bei der SPD)


Dass wir bei den Verlustnutzungsbeschränkungen Ihret-
wegen Ausnahmen einführen mussten, ist ein Desaster .


(Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was Sie so alles mitgemacht haben! Das ist unglaublich!)


Noch ein aktuelles Beispiel: Der Schwellenwert für
die Niedrigbesteuerung liegt bei 25 Prozent und nicht bei
15 Prozent, wie es die Grünen vorgeschlagen haben; das
wäre ein Fehler gewesen . Das haben wir zusammen gut
gemacht . Aber was ist im Gesetzgebungsverfahren pas-
siert? Liebe Kollegen von der Union, Ihr habt darüber
nachgedacht, ihn auf 15 Prozent festzulegen . Das wäre
ein schwerer Fehler gewesen . Das konnten wir Gott sei
Dank verhindern .


(Beifall bei der SPD)


Kommen wir zur Steuer-ID . Um es vorwegzunehmen:
Wir wollen, dass alle Konten transparent sind . Es soll
keine namenlosen, anonymen Konten mehr geben . Dass
Name und Adresse angegeben werden müssen, ist nach
dem Geldwäschegesetz klar . Wir wollen die Steuer-ID
hinzunehmen, damit die Konten sicher identifiziert wer-
den können, sodass man weiß, was alles über ein Konto
abgewickelt wird und wer darüber verfügt . Die Banken-
verbände haben uns gesagt, dass es dann keine Verbrau-
cherkredite mehr gebe . Wenn jemand in einem Geschäft
etwas spontan kaufen wolle, aber seine Steuer-ID nicht
angeben könne, dann platze das Geschäft . Die Kollegen
von der Union haben daraufhin gesagt, dass es wirklich
schlecht sei, wenn jemand eine Waschmaschine als Son-
derangebot nicht kaufen könne, weil er seine Steuer-ID
nicht angeben könne . Wir haben daraufhin gesagt: Wir
machen im Zusammenhang mit Verbraucherkrediten
einen Kompromiss . Wir haben lange diskutiert . Dann
kam die Idee auf, den Freibetrag im Zusammenhang mit
der Steuer-ID auf 25 000 Euro festzulegen . Ich möch-
te die Gäste auf den Zuschauertribünen fragen, wann
sie das letzte Mal eine Waschmaschine für 25 000 Euro
gekauft haben . Das machen wohl die wenigsten . Die
teuerste Waschmaschine, die ich gefunden habe, kostet
8 000 Euro . Im Ergebnis liegt dieser Waschmaschinen-
freibetrag nun bei 12 000 Euro . Das ist im Grunde ein
Desaster und lädt dazu ein, das, was wir heute beschlie-
ßen, zu umgehen . Das ist objektiv ein Fehler .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Gleichwohl machen wir auch Gutes . Wir erhöhen die
Mitwirkungspflichten, verstärken die Ermittlungsmög-

Lothar Binding (Heidelberg)







(A) (C)



(B) (D)


lichkeiten der Finanzbehörden, und wir wollen, dass
die Institute Geschäftsbeziehungen über Briefkastenfir-
men melden . Das erhöht Transparenz . Das ist das Gute .
Auch dass wir das steuerliche Bankgeheimnis aufheben,
ist gut . Weiterhin ist positiv, dass jemand, der Anteile an
ausländischen Gesellschaften hat oder mit diesen Ge-
schäftsbeziehungen pflegt, das anzeigen muss. Da haben
wir, glaube ich, sehr gute Dinge getan .

Wir machen oft sehr gute Gesetze, um kurz vor dem
Ziel dann doch noch hier und da ein Schlupfloch auf-
rechtzuerhalten . Deshalb ist es gut, dass die Wahlen das
nächste Mal anders ausgehen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dann beschließen wir das mit der FDP! Dann geht das schneller!)


Dann können wir nämlich diese offenen Punkte noch
klären, Schlupflöcher schließen und ein gerechtes Steu-
ersystem schaffen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist auch unser gemeinsames Ziel . Dann könnt ihr
künftig als Opposition zustimmen .


(Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wer künftig in der Opposition mehr Einfluss hat, wisst ihr nicht!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823104200

Vielen Dank . – Jetzt hat die Kollegin Lisa Paus für

Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823104300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es

werden tatsächlich jetzt Gesetze vorgelegt, die vorgeben,
etwas grundlegend zu verändern . Herr Binding hat von-
seiten einer der die Regierung stellenden Fraktion sehr
schön dargestellt, dass doch nicht so viel zu erwarten ist .
Das ist ziemlich verheerend angesichts dessen, was doch
eigentlich ansteht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben alle miteinander die Panama Papers im
April 2016 wahrgenommen und gesehen, in welch gi-
gantischem Ausmaß Briefkastenfirmen dazu benutzt
werden, Vermögen in Steueroasen zu verstecken, Vermö-
gen, das aus kriminellen Geschäften stammt und so ge-
waschen wird, Vermögen, das schlichtweg vor der Steuer
versteckt wird . Allein die Kanzlei Mossack Fonseca hat
2 000 Milliarden Dollar durch 300 000 Briefkastenfir-
men in Panama und auf anderen kleinen Inseln für Kli-
enten in Steuerparadiese geschleust . 14 000 Banken und
auch Rechtsanwaltskanzleien waren an den Transaktio-
nen beteiligt – eigentlich unfassbar, meine Damen und
Herren .

Internationale Steuerhinterziehung kann man nicht
ausschließlich national bekämpfen . Das ist wahr . Aber
falsch ist es, zu behaupten, dass man es nur internati-
onal tun könne. Bis zur Veröffentlichung der Panama
Papers war aber genau das die Haltung von Ihnen, Herr
Schäuble, und von der gesamten Bundesregierung .

Mit diesem Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumge-
hung gibt es – welche Überraschung – jetzt doch Maß-
nahmen auch auf nationaler Ebene, Maßnahmen, die
seit langem im grünen Forderungskatalog standen . Aber
leider wurde dann eben doch vieles nicht übernommen,
und es fehlen wichtige Maßnahmen . Herr Binding hat
mir netterweise schon einiges vorweggenommen . Aber
ohne diese Maßnahmen geht es eben nicht, wenn man es
wirklich ernst mit der Steuergerechtigkeit meint .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ihr Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung ist
deswegen bestenfalls halbherzig, vergleicht man es mit
dem, was man hätte tun können, tun müssen. So findet
sich auch auf Seite 2 des Gesetzentwurfes der schlichte
Hinweis, dass mit Steuermehreinnahmen aufgrund die-
ses Gesetzes jedenfalls nicht gerechnet werden kann .

Ich möchte nur zwei Beispiele für Ihre Halbherzig-
keit nennen. Ja, die Abschaffung des Bankgeheimnisses
ist gut, auch die neuen Anzeigepflichten sind richtig und
wichtig. Aber warum gelten diese Meldepflichten nur für
Briefkastenfirmen außerhalb der Europäischen Union?
Briefkastenfirmen gibt es, wie wir wissen, auch inner-
halb der Europäischen Union . Probleme mit Ländern wie
Malta, Zypern, aber auch immer noch der Schweiz, sind
hinlänglich bekannt . Warum gelten sie nur für Banken,
aber eben nicht für Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und
andere Dienstleister im Finanzbereich, da doch auch sie
Briefkastenfirmen vermitteln?

Solange es weiterhin so einfache Auswege gibt, droht
dieses Gesetz nur den Sitz und den Vertriebsweg der
Briefkastenfirmen deutscher Steuerpflichtiger zu verla-
gern, statt tatsächlich die Steuersümpfe endlich trocken-
zulegen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Übrigen zählen im Kampf gegen die Steuerhinter-
ziehung nicht nur die Tonnen Papier, die man mit Geset-
zen produziert . Der Ernst der Absichten spiegelt sich vor
allem darin wider, mit welchen Ressourcen man die Be-
hörden zur Umsetzung des Gesetzes ausstattet . Solange
in Deutschland völlig unterbesetzte, föderal zersplitterte,
für diese Fälle nicht spezialisierte Steuerverwaltungen
weiterhin Heerscharen von Steuerberatern, Wirtschafts-
prüfern und ganzen Steueroptimierungsabteilungen in
Banken allein gegenüberstehen, so lange wird der Kampf
gegen Steuerhinterziehung ein aussichtsloser Kampf
bleiben .

Genau aus diesem Grunde fordern wir Grünen eine
neue Steuerspezialeinheit auf Bundesebene, besetzt
mit Experten der bestehenden Steuerverwaltungen, mit
Fachleuten, die bisher in Steuerberatungsgesellschaf-
ten und Konzernsteuerabteilungen tätig sind, sowie mit
Wissenschaftlern. Eine so geschaffene neue Behörde
wäre für die Veranlagung und Prüfung von Konzernen
und Einkommensmillionären zuständig . Sie wäre end-
lich eine Institution auf Augenhöhe, die dafür sorgt, dass
Steuergesetze tatsächlich wieder für alle Steuerpflichti-
gen in Deutschland gelten, unabhängig vom Geldbeutel,
unabhängig vom Steuerberater und unabhängig vom

Lothar Binding (Heidelberg)







(A) (C)



(B) (D)


Bundesland . Wir haben einen entsprechenden Antrag
eingebracht . Sie haben ihn nicht einmal ernsthaft disku-
tiert .

So bleibt am Ende schlichtweg nur festzuhalten: Herr
Schäuble und die Große Koalition sind beim Kampf ge-
gen Steuerhinterziehung ganz groß in der öffentlichen
Kampfrhetorik, aber ganz klein in der tatsächlichen Wir-
kung .


(Dr . Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das stimmt!)


Spürbar mehr Steuergerechtigkeit wird es mit diesen Ge-
setzen nicht geben, und die einzig passende Reaktion von
unserer Seite darauf ist die Enthaltung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823104400

Jetzt hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege

Dr . Hans Michelbach das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1823104500

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen

und Kollegen! Von Vorwürfen wie „rückwärtsgewandte
Steuerpolitik“ – so lauteten Ihre Vorhaltungen – halte ich
grundsätzlich nichts . Heute ist ein guter Tag für mehr
Steuergerechtigkeit in Deutschland . Wir verabschieden
zwei Gesetzentwürfe, mit denen wir Steuergestaltung,
Gewinnverlagerung, Steuerhinterziehung weitere Riegel
vorschieben . Das passt der Opposition natürlich auch
wieder nicht . Schon mit einem Fragezeichen zu verse-
hen ist, dass ausgerechnet unser Koalitionspartner, die
SPD, auch ihre eigene Politik schlechtmacht . Ich kann
Ihnen nur sagen: Das ist dem Wahlkampf geschuldet .
Das nimmt Ihnen niemand ab . Wir haben gemeinsam Po-
litik gegen Steuervermeidung und Steuerhinterziehung
betrieben, und das ist gut so .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Diese Gesetzentwürfe sind Teil einer ganzen Serie
von Gesetzen, mit denen diese Koalition gegen unfaire
Steuerpraktiken und fragwürdige Geschäftspraktiken
von transnationalen Konzernen und Finanzmarktak-
teuren vorgeht . Das ist in internationale Lösungen inte-
griert. Ohne unseren Bundesfinanzminister Dr. Schäuble,
seine internationale Durchsetzungskraft und sein Anse-
hen wäre das nicht möglich gewesen . Für Ihre Initiativen
danke ich Ihnen ausdrücklich, Herr Minister .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und ohne Whistleblower auch nicht!)


Meine Damen und Herren, das heutige Steuerumge-
hungsbekämpfungsgesetz ist das richtige Instrument im
Kampf gegen Steuervermeidung, Steuergestaltung, Steu-
eroasen und Steuerhinterziehung. Was findet statt? Wir
bekämpfen die Panama Papers . Wir fördern die Trans-
parenz beim Steuersubstrat . Wir haben zudem mehr
Mitwirkungspflichten und Anzeigepflichten von Banken
durchgesetzt . Wir haben das steuerliche Bankgeheimnis

aufgehoben, und wir haben mit Blick auf die täglichen
Markt- und Verbraucherinteressen auch Instrumente mit
Augenmaß und Zielgenauigkeit erarbeitet . Darum geht
es .

Es sollten nicht nur pauschal Forderungen gestellt
werden, sondern wir müssen auch bedenken, dass gera-
de unser Wirtschaftsstandort Deutschland von internati-
onalen Investitionen profitiert und dass wir für Wachs-
tum und Beschäftigung auch die internationalen offenen
Märkte benötigen . Auch das gehört dazu, und das muss
in die Gesetzesarbeit praxisnah und fachgerecht eingear-
beitet werden . Darum geht es, und das werden wir immer
wieder im Auge haben .

Gerade für uns in Deutschland gilt: Kapitalanlagen
und Investitionen im Ausland machen einen wichtigen
Teil der Stärke unserer Wirtschaft aus . Was aber natür-
lich nicht geht, ist, dass dabei getrickst wird, dass sich die
Balken biegen, vor allem von internationalen Konzernen,
und zwar so lange, bis es praktisch keine Steuerschuld
mehr gibt . Diese Rosinenpickerei von internationalen
Konzernen wie Apple, Google, Amazon, Starbucks, Ikea
und anderen ist unfair gegenüber den Wettbewerbern und
unserem Staat .


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das stimmt, aber die Staaten bieten es an!)


Es geht nicht an, dass Arbeitnehmer und Mittelstand in
Deutschland ordentlich ihre Steuern zahlen, während an-
dere mit Gewinnverlagerungen oder Briefkastenfirmen
jonglieren, um sich ihrer Steuerpflicht zu entziehen oder
Geld aus illegalen Geschäften zu waschen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Das ist genau das Gegenteil von fairem Wettbewerb . Das
ist das Gegenteil von Gemeinwohl . Das ist gemeinwohl-
widrig und wird von uns, der CDU/CSU, maßgeblich
bekämpft .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Von der SPD noch etwas stärker, aber es stimmt!)


Steuern müssen dort gezahlt werden, wo die Erträge
erwirtschaftet werden, und dürfen nicht dort gezahlt wer-
den, wo der niedrigste Steuersatz gilt . Das ist das Prinzip
in der Steuerpolitik der Arbeitsgruppe der CDU/CSU .
Ich darf sagen: Mit dem Gesetz gegen schädliche Steuer-
praktiken und der Lizenzschranke sind wir auf unserem
Weg ein wesentliches Stück vorangekommen .

Daneben nehmen wir für den Mittelstand zwei wich-
tige Entlastungen vor . Einmal ist die Verdoppelung der
Grenze für Abschreibungen auf geringwertige Wirt-
schaftsgüter auf 800 Euro zu nennen; das ist eine kla-
re Entbürokratisierung . Zum anderen sehen wir für die
Sanierung von Unternehmen steuerliche Verbesserungen
vor . Damit werden Insolvenzzerschlagungen im Mittel-
stand verhindert . Auch das ist ein wesentlicher Punkt .

Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich
verdeutlichen: Wir haben in dieser Legislaturperiode die

Lisa Paus






(A) (C)



(B) (D)


Dinge im Kampf gegen Steuerhinterziehung, Steuerver-
meidung und Gewinnverlagerung durch Regulierung
und Reglementierung wesentlich vorangebracht . Meine
Hoffnung ist, dass wir in der neuen Legislaturperiode
genauso engagiert Steuerpolitik betreiben, nämlich eine
Steuerentlastungspolitik . Unsere Arbeitnehmer und Mit-
telständler brauchen eine Entlastung, eine Wachstumsdi-
vidende für die Zukunft . Daran lassen Sie uns arbeiten!
Es geht um eine Abflachung des Steuertarifs und eine
schrittweise Abschaffung des Solis. Das ist die Steuerpo-
litik der Zukunft . Es geht nicht um rückwärtsgewandtes
Handeln in Steuerfragen .

Herzlichen Dank, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823104600

Vielen Dank . – Nächster Redner für die SPD-Fraktion

ist der Kollege Jens Zimmermann .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Jens Zimmermann (SPD):
Rede ID: ID1823104700

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am Ende

haben wir doch noch einmal eine Runde Wahlkampf ge-
habt; Herr Kollege Middelberg hatte ja die Debatte damit
eingeläutet . Da so viele Zitate an den Anfang der Reden
gestellt wurden, will ich auch mit einem Zitat beginnen .
Es stammt vom 27 . April 2017, nämlich genau von heute .
Der Herr Bundesfinanzminister hat vorhin gesagt:

Der Kampf gegen Steuerhinterziehung . . . wird ein
immerwährender Kampf sein .

An dieser Stelle kann ich dem Bundesfinanzminister nur
zustimmen .

Die Frage, warum die SPD und Martin Schulz sagen:
„Das ist ein wichtiges Thema; das muss in unser Wahl-
programm; daran müssen wir in Zukunft alle wieder ar-
beiten“, hat Ihr eigener Finanzminister mit dieser Aussa-
ge meisterlich beantwortet . Umgekehrt muss man daraus
schließen: Die Union will mit den Gesetzesvorhaben, die
wir jetzt abschließen, offensichtlich einen Schlussstrich
darunter ziehen . – Dazu kann ich jetzt schon sagen: Mit
der SPD wird es keinen Schlussstrich unter den Kampf
gegen Steuervermeidung geben, meine Damen und Her-
ren; wir fangen gerade erst an .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich kann Herrn Schäuble wirklich nur zustimmen: Es
ist ein immerwährender Kampf . Wir alle, die wir uns mit
dem Thema beschäftigen, wissen: Es gibt immer neue
Konstellationen . Es gibt immer neue Ideen . Es gibt sehr
viele Leute, die sich den ganzen Tag Gedanken darüber
machen, wie sie die Staaten austricksen können . Des-
wegen ist es unsere Aufgabe, unser aller Aufgabe, den
Finger in die Wunde zu legen und immer wieder nach-
zuziehen, auch wenn das manchmal keine schöne Sache
ist, weil man sich ärgert . Hier werden wir immer wieder
nachlegen müssen . Alle diejenigen, die suggerieren, dass
man jetzt mal ein bisschen langsam machen sollte und
dass keine überschießende Wirkung – das ist auch so ein
schönes Wort – eintreten dürfe, sind, glaube ich, in einer

ganz anderen Richtung unterwegs . Das ist in Ordnung,
aber es ist nicht unsere Meinung .

Ich will noch ein ganz konkretes Thema nennen .
Wir verhandeln gerade über die Umsetzung der Vierten
EU-Geldwäscherichtlinie . In der Vierten EU-Geldwä-
scherichtlinie geht es um ein öffentliches Transparenz-
register . Die SPD fordert mit den SPD-geführten Bun-
desländern, dass es einen umfassenden Zugang zu diesen
Informationen gibt . Wenn die Union beim Kampf gegen
Steuerhinterziehung und Geldwäsche tatsächlich so weit
vorn ist, dann fordere ich sie auf, bei der Debatte – die
werden wir an dieser Stelle noch vor der Sommerpause
führen – den Weg frei zu machen, sodass wir ein Trans-
parenzregister bekommen, auf das alle Zugriff haben.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es ist schon gesagt worden: Wir waren immer wieder
auf die Hilfe von Journalisten bzw . NGOs angewiesen .
Sie fordern jetzt, den Zugang so bürokratisch und schwer
wie irgend möglich zu machen . – An dieser Stelle können
Sie liefern . Dann hätten wir noch einmal einen weiteren
Schritt im Kampf gegen Steuerhinterziehung getan .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823104800

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Uwe Feiler für

die CDU/CSU das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Uwe Feiler (CDU):
Rede ID: ID1823104900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Das Bekanntwerden von Steuervermei-
dungspraktiken mittels Briefkastenfirmen in Panama ist
für mich eine weitere Bestätigung dafür, dass es rich-
tig war und auch in der Zukunft bleibt, Herr Kollege
Zimmermann, mit großem Nachdruck internationale
Schritte gegen Steuerbetrug und unfaire Steuerpraktiken
zu vereinbaren .

Bundesfinanzminister Schäuble hat bereits heute und
auch mehrfach davor dargestellt, welcher Anstrengungen
es bedurfte, um unsere Partner davon zu überzeugen,
dass sowohl Unterbietungswettbewerbe um Steuersätze
als auch die Schaffung von Steuerparadiesen nicht die
Wege sein können, wie Staaten miteinander umgehen .

Der Zehn-Punkte-Plan des Finanzministers, der nati-
onal wie international anerkannt wurde und sich auch in
das BEPS-Projekt der OECD einfügt, bot ebenfalls eine
sehr gute Grundlage für die konkrete Ausgestaltung die-
ser beiden Gesetzentwürfe . Wir setzten dabei – wie bei
anderen Gesetzen auch – auf das Mittel der Transparenz .
Damit erhöhen wir das Entdeckungsrisiko für diejenigen,
die versuchen, auf Auslandskonten Geld zu parken, um
dieses am Fiskus vorbeischleusen zu können . Dazu brau-
chen wir die Kreditinstitute . Wir nehmen sie durch An-
zeige- und Mitwirkungspflichten in die Verantwortung.

Im parlamentarischen Verfahren haben wir noch eine
ganze Reihe von nicht unwesentlichen Veränderungen

Dr. h. c. Hans Michelbach






(A) (C)



(B) (D)


und Ergänzungen vorgenommen, damit wir mit den ge-
setzlichen Regelungen auch die wirkliche Zielgruppe er-
reichen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei allem Eifer in
Bezug auf das, was wir bisher gemacht haben, und auch
im Hinblick auf die Gesetze, die wir heute beschließen
werden, sollten wir nicht über das Ziel hinausschießen .
Lieber Kollege Binding, wenn wir Ihnen in Bezug auf
eine flächendeckende Registrierkassenpflicht in Deutsch-
land gefolgt wären, wäre das „Master of Desaster“ gewe-
sen .


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Na, na!)


Wir wollen keine Flut von Daten produzieren, mit
denen die Finanzverwaltung überhaupt nichts anfangen
kann oder will . Das Steuerumgehungsbekämpfungsge-
setz sieht von seiner Systematik her nämlich vor, dass
bei allen Kontobeziehungen Name, Adresse und Steu-
er-ID-Nummer erfasst und dann der Steuerverwaltung
zur Verfügung gestellt werden, um eine vollständige und
vor allem eindeutige Zuordnung der Daten zu ermögli-
chen .

Speziell bei Kreditkonten, die von Konsumenten ein-
gerichtet werden, weil sie sich zum Beispiel einen neuen
Fernseher, eine Waschmaschine, einen Wäschetrockner
oder ähnliches kaufen und diesen Kauf finanzieren wol-
len, macht die Erhebung der Steuer-ID-Nummer jedoch
überhaupt keinen Sinn, weil sich diese Kreditkonten
überhaupt nicht zur Steuerhinterziehung oder Steuerver-
meidung eignen .

Weltfremd ist ebenfalls die Annahme, dass die Kunden
ihre Steuer-ID-Nummer ständig mit sich führen oder flei-
ßig zu Hause auswendig gelernt haben . Ich schaue hier
in die Runde: Ich glaube, die wenigsten, die hier sitzen,
können ihre Steuer-ID-Nummer auswendig aufsagen .


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ist auch gar nicht nötig!)


Deshalb bin ich dankbar, dass wir uns – das ist von mir
übrigens bereits in der ersten Lesung gefordert worden –
in diesem Gesetz gemeinsam darauf geeinigt haben, den
§ 154 so neu zu fassen, dass die Konsumenten, die Ver-
braucherkredite bis zu einer Höhe von 12 000 Euro in
Anspruch nehmen, ihre Steuer-ID-Nummer nicht ange-
ben müssen . Bei Kreditgeschäften jenseits dieser Summe
kann man davon ausgehen, dass es sich eben nicht um
sogenannte Spontankäufe handelt, sondern dass der Kun-
de diese Kaufentscheidung vorbereitet hat und ihm zuge-
mutet werden kann, dass er zum Beispiel beim Autokauf
seine Steuer-ID-Nummer mitbringt .

So wird auch vermieden, dass Millionen von Daten
nacherhoben werden müssen . Diese Regelung zeugt von
Augenmaß, ohne den Kampf gegen Steuerhinterziehung
zu beeinträchtigen . In allen anderen Fällen haben Kre-
ditinstitute außerdem die Möglichkeit, für Konten die
Steuer-ID durch das maschinelle Abfrageverfahren beim
Bundeszentralamt für Steuern innerhalb von drei Mona-
ten nachzuerheben . Sollte der Kunde seine Mitwirkung
verweigern, wird dies gesondert vermerkt .

Meine Damen und Herren, meine Redezeit ist leider
zu kurz, um auf alle 18 Umdrucke einzugehen . Ich möch-
te mich zum Abschluss meiner Ausführungen aber ganz
herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen des Finanz-
ausschusses für die Beratung und beim Bundesfinanzmi-
nisterium und den Fraktionsmitarbeitern für die hervor-
ragende Unterstützung bei der Umsetzung unserer doch
zahlreichen Änderungswünsche bedanken .


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Machen wir auch!)


Mit diesem Gesetz kommen wir im Kampf gegen Steu-
erhinterziehung und Steuervermeidung ein gutes Stück
voran .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823105000

Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist der Kollege Bernhard Daldrup, SPD-Frak-
tion .


(Beifall bei der SPD)



Bernhard Daldrup (SPD):
Rede ID: ID1823105100

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Zum Thema Steuer-ID möchte ich, ehrlich gesagt,
gar nichts mehr sagen. Ich finde, die Einwände sind zu
belanglos . Wenn man sich damit auf eine Art und Wei-
se auseinandersetzt, als wäre es eine Qual und eine Fes-
selung der Menschen, die Steuernummer mitzuführen,
dann ist das grotesk . Das lohnt sich nicht .

Wir reden ja heute über das Austrocknen von Steu-
eroasen im mehr oder weniger internationalen Kontext .
Das ist sozusagen eine Daueraufgabe . Ich will dabei auf
eine andere Aufgabe hinweisen, die uns noch bevorsteht .
Auch innerhalb Deutschlands nutzen Unternehmen Steu-
erschlupflöcher. Darum müssen wir uns kümmern. Der
Bundesrat hat uns jedenfalls in seiner Sitzung vom De-
zember 2016 mit einer Entschließung noch einmal aus-
drücklich darauf hingewiesen und darum gebeten .

Ich will Ihnen einmal ein konkretes Beispiel vor
Augen führen: Leverkusen ist – viele von uns wissen
das – eine wirtschaftlich starke Stadt inmitten einer sehr
boomenden Region. Die Bayer AG ist ein Flaggschiff
der deutschen Wirtschaft . Trotzdem sind die Kassen
der Kommune Leverkusen mehr oder weniger leer . Bei
160 000 Einwohnern hatte Leverkusen im Jahre 2014
Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von 25 Millionen
Euro .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: In Bayern sind die Kassen voll!)


– Ganz genau . Bei der Firma Bayer sind die Kassen voll .
Da haben Sie in der Tat recht, Herr Michelbach . Ich kom-
me darauf zurück, keine Sorge .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: In Bayern sind die Kassen voll!)


Uwe Feiler






(A) (C)



(B) (D)


Andererseits ist es so, dass in Leverkusen Milliarden-
gewinne bei den Firmen Bayer und Lanxess anfallen .
Was ist also die Erklärung? Die Nachbarstadt Monheim,
40 000 Einwohner, hat Gewerbesteuereinnahmen in
Höhe von 225 Millionen Euro .


(Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steuerdumping!)


Der Unterschied: In Leverkusen gibt es einen Gewerbe-
steuerhebesatz von 475 Prozent, in Monheim, in der di-
rekten Nachbarschaft, sind es gerade noch 265 Prozent .
Das sind die Unterschiede bei den Gewerbesteuerhebe-
sätzen . Laut Handelsblatt verändern Firmen wie Bayer
ihren unternehmerischen Organkreis entsprechend und
gründen in Gemeinden wie etwa Monheim Tochterge-
sellschaften . Das sind in Wirklichkeit die innerdeutschen
Steueroasen . Es ist ein ähnliches Muster wie im interna-
tionalen Kontext: Übertragung von Patenten, Lizenzge-
bühren, geringe Gewerbesteuern . Das ist natürlich, wenn
man es so sieht, falsch verstandene kommunale Selbst-
verwaltung, fehlende interkommunale Solidarität .

Aber was kann man machen? Wir hatten diese Debatte
schon im Jahre 2000 – da waren Sie auch dabei – im Zu-
sammenhang mit der Gemeinde Norderfriedrichskoog .
Sie verzichtete komplett auf die Gewerbesteuer . Bei
47 Einwohnern waren 380 Körperschaften und 180 Per-
sonengesellschaften die Folge . Als Konsequenz wurde
damals der gewerbesteuerliche Mindesthebesatz von
200 Prozent eingeführt . Das war eine vernünftige Sache .
Der Durchschnittshebesatz aller Kommunen – große
Städte, kleine Städte – liegt in Deutschland zum gegen-
wärtigen Zeitpunkt bei etwa 400 Prozent . Es würde also
niemandem schaden, wenn der Mindesthebesatz, wie es
der Bundesrat ja auch von uns erwartet, beispielsweise
auf 300 Prozent angehoben würde . Das wäre jedenfalls
ein Schritt in die richtige Richtung .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Noch besser wäre es, wenn die Differenz zwischen
den Hebesätzen etwas geringer wäre . Das könnte man er-
reichen, indem man die Bemessungsgrundlage beispiels-
weise durch die Einbeziehung der freien Berufe – die
Steuerberater sind ja angesprochen worden – veränderte .
In der Tat wäre das eine vernünftige Variante . Auf diese
Art und Weise könnte man die Gewerbesteuer national
verstetigen, und es bestünde für die Kommunen vielleicht
sogar die Möglichkeit – um gewissermaßen das Aphro-
disiakum für Sie, Herr Michelbach, zu benennen –, die
Gewerbesteuer zu senken .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mit anderen Worten: Es wäre auch keine schädliche
Entwicklung für die Freiberufler, weil sie ja Betrieb-
sausgaben von der Einkommensteuer abziehen könnten,
die Kommunen hätten so auch ein Stück weit Verläss-
lichkeit, und die Unternehmen müssten nicht innerhalb
Deutschlands nach Steueroasen spähen . Es wäre doch
eine schöne Aufgabe, wenn wir das anpacken würden .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823105200

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Wir kommen unter Tagesordnungspunkt 4 a zur Ab-
stimmung über den von der Bundesregierung eingebrach-
ten Gesetzentwurf gegen schädliche Steuerpraktiken im
Zusammenhang mit Rechteüberlassungen . Der Finanz-
ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12128, den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auf den Drucksachen 18/11233 und 18/11531
in der Ausschussfassung anzunehmen . Hierzu liegt ein
Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/12148 vor, über den wir zuerst ab-
stimmen . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Änderungsan-
trag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Opposition abgelehnt .

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthal-
tung der Fraktion Die Linke angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte alle, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu er-
heben . – Das sind CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen . – Wer stimmt dagegen? – Niemand . Wer enthält
sich? – Das ist die Fraktion Die Linke . Damit ist der Ge-
setzentwurf angenommen .

Tagesordnungspunkt 4 b . Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Bekämpfung der Steuerumgehung und zur Änderung wei-
terer steuerlicher Vorschriften . Der Finanzausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12127, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf den Drucksachen 18/11132 und 18/11184 in
der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen bei Enthaltung der Opposition angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte alle, die dem Gesetz-
entwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen zu er-
heben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in dritter Beratung mit dem glei-
chen Stimmenverhältnis angenommen .

Tagesordnungspunkt 4 c . Wir setzen die Abstimmung
zu der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses auf
Drucksache 18/12127 fort. Der Ausschuss empfiehlt un-
ter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/2877 mit dem Titel „Für eine Bundes-
steuerverwaltung – Gleiche Grundsätze von Flensburg bis
zum Bodensee“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Das sind die Koalitionsfraktionen . Wer stimmt
dagegen? – Das ist die Opposition . Wer enthält sich? –
Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen .

Bernhard Daldrup






(A) (C)



(B) (D)


Wir haben noch eine weitere Abstimmung, nämlich
die Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/8132 mit dem Titel „Illegale Finanz-
beziehungen bekämpfen – Steueroasen austrocknen“ .
Wer stimmt für diesen Antrag? – Das ist die Linke . Wer
stimmt dagegen? – Das ist die Koalition . Wer enthält
sich? – Die Grünen . Damit ist der Antrag abgelehnt .

Jetzt kommen wir zu den Tagesordnungspunkten 5
und 38:

5 . Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
W . Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Gesetzliche Rente stärken, Rentenniveau an-
heben und die solidarische Mindestrente ein-
führen

Drucksache 18/10891
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Finanzausschuss

38 . Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Kerstin Andreae, Katja Dörner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Gesamtkonzept Alterssicherung – Verlässlich,
nachhaltig, solidarisch und gerecht

Drucksache 18/12098
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Haushaltsausschuss

Wenn Sie jetzt Ihre Plätze zügig einnehmen würden,
könnten wir in der Debatte fortfahren .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich sehe, Sie
sind damit einverstanden . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Matthias W.
Birkwald für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823105300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! In der ZDF-Kabarettsendung Die Anstalt vom
4 . April war die Rente wieder einmal das wichtigste The-
ma. Max Uthoff und Claus von Wagner berichteten vom
österreichischen Rentenparadies .

Männliche Arbeiter und Angestellte erhalten in Ös-
terreich eine durchschnittliche Altersrente von sage und
schreibe 1 926 Euro brutto im Monat . Bei den Frauen
sind es 1 092 Euro . Für deutsche Verhältnisse ist allein
das schon paradiesisch . Aber es wird noch besser: Die
Pensionisten – so heißen die Rentner und Rentnerinnen
in Österreich – erhalten ihre Renten 14-mal im Jahr . Auf
12 Monate umgerechnet sind das 2 247 Euro brutto bei
den Männern und 1 274 Euro brutto bei den Frauen . Zum

Vergleich: In Deutschland erhielten Männer 2015 eine
Rente von durchschnittlich 1 162 Euro brutto, bei den
Frauen waren es 916 Euro brutto, und da sind die Wit-
wenrenten schon mit drin . 1 085 Euro mehr Rente für
die Männer in Österreich und immerhin 358 Euro mehr
für die österreichischen Rentnerinnen – das zeigt: Es ist
beileibe nicht alles gut, was aus Österreich kommt, aber
in der Rentenpolitik sollten wir unbedingt von Österreich
lernen .


(Beifall bei der LINKEN)


Auch in Österreich regiert eine Große Koalition aus
Sozialdemokraten und Konservativen, und die haben uns
glaubhaft versichert, dass das ausgesprochen leistungsfä-
hige Rentensystem Österreichs bis zum Jahr 2060 nach-
haltig finanziert ist, weil alle mit Erwerbseinkommen
einzahlen . Herr Rosemann und Herr Schiewerling, Sie
waren dabei .


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Nicht bei der Rente!)


Die Beschäftigten zahlen für die wesentlich höheren
Renten in Österreich nur 0,9 Prozentpunkte mehr Beitrag
als bei uns, und bei den Arbeitgebern sind es 3,2 Pro-
zentpunkte mehr . Komplizierte Betriebsrenten und teure
private Vorsorge brauchen die Österreicherinnen und Ös-
terreicher nicht . Darum: Lassen Sie uns die gesetzliche
Rente auch in Deutschland wieder stärken; denn die Ren-
te muss für ein gutes Leben reichen .


(Beifall bei der LINKEN)


Dafür hat die Linke ein Rentenkonzept vorgelegt . Es
umfasst elf aufeinander abgestimmte Bausteine für eine
lebensstandardsichernde und armutsfeste Rente . Hier die
wichtigsten:

Erstens . Das Rentenniveau muss wieder auf 53 Pro-
zent angehoben werden, und die Rente muss wieder eins
zu eins den Löhnen folgen .


(Beifall bei der LINKEN)


Das brächte Menschen, die 45 Jahre lang durchschnittlich
verdient haben, derzeit jeden Monat netto 122 Euro mehr
Rente. Das ist finanzierbar, auch langfristig. Wer zum
Beispiel als Erzieherin im öffentlichen Dienst in NRW
3 100 Euro brutto verdient, müsste aktuell nur 32 Euro
mehr in die Rentenkasse zahlen, ihr Arbeitgeber ebenso .
Union, SPD und Grüne wollen, dass diese Erzieherin je-
den Monat 110 Euro Beitrag zur Riester-Rente zahlt . Das
wäre dann überflüssig.


(Beifall bei der LINKEN)


110 Euro weniger für die Riester-Rente, 32 Euro mehr in
die Rentenkasse – das heißt, diese Durchschnittsverdie-
nerin hätte jeden Monat 78 Euro mehr in der Tasche, und
im Jahr 2030 wären es trotz des demografischen Wandels
immer noch 64 Euro .

Meine Damen und Herren, in Österreich zahlen die
Arbeitgeber 12,55 Prozent des Lohns in die Renten-
kasse . Damit, liebe Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen
hierzulande, könnten wir in den kommenden Jahren ein
lebensstandardsicherndes Rentenniveau von 53 Prozent

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


finanzieren. Ich sage: Was in Wien geht, das geht auch in
Kiel oder in Köln .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, die Grünen wollen das Ren-
tenniveau so lassen, wie es ist . Ganz deutlich: Das reicht
nicht für eine gute Rente .

Zweitens . In Österreich gibt es eine Erwerbstätigen-
versicherung . Das heißt, alle Menschen mit Erwerbs-
einkommen zahlen in die Rentenversicherung ein, auch
Selbstständige, Freiberufler, Beamte und selbstverständ-
lich alle Abgeordneten, Minister und Staatssekretäre .
Meine Damen und Herren, eine solche Erwerbstätigen-
versicherung will die Linke auch in Deutschland einfüh-
ren .


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens . Wir Linken wollen die Beitragsbemessungs-
grenze anheben . Heute müssen Geschäftsführer mit zum
Beispiel 12 700 Euro Monatseinkommen nur Rentenbei-
träge für ihr halbes Einkommen zahlen . Das ist sozial
ungerecht . Darum fordert die Linke, die Beitragsbemes-
sungsgrenze schrittweise anzuheben und sie perspekti-
visch abzuschaffen.


(Beifall bei der LINKEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür kriegen sie auch doppelt so viel Rente! Mannomann!)


Sehr hohe Renten wollen wir in der Spitze abflachen. Das
wäre verfassungsgemäß und sozial gerecht .


(Beifall bei der LINKEN)


Viertens . Die Rente muss schwierige Lebenslagen
wieder ausgleichen. Alleinerziehende, Pflegende, Lang-
zeiterwerbslose und Geringverdienende brauchen unsere
Solidarität . Konkret: Wir wollen 93 Euro Mütterrente für
jedes Kind – in Leipzig und in Düsseldorf, vollständig
steuerfinanziert. Da, liebe Grüne, sind wir uns einig.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, für Hartz-IV-Betrof-
fene müssen endlich wieder Beiträge in die Rentenkassen
gezahlt werden, und zwar so, als ob sie die Hälfte des
Durchschnitts verdienten . Das fordert auch der Deutsche
Gewerkschaftsbund, und das wäre sozial gerecht .


(Beifall bei der LINKEN)


In Nordrhein-Westfalen sorgt der Niedriglohnsektor
zum Beispiel dafür, dass gut ein Fünftel der Beschäf-
tigten später keine ausreichende Rente erhält . Bis 1991
wurden die Renten dieser langjährig Niedrigverdienen-
den aufgewertet; Rente nach Mindestentgeltpunkten
heißt das . Viele Sozialverbände und die Linke fordern:
Die Rente nach Mindestentgeltpunkten muss auch für die
Zeit ab 1992 gelten, und sie muss besser werden .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Denn damit würde die Altersarmut in Ost- und West-
deutschland bekämpft . Das muss drin sein!


(Beifall bei der LINKEN)


Fünftens . Über die linken Vorschläge für deutlich
bessere Erwerbsminderungsrenten und für eine gerech-
te Angleichung der Ostrenten an das Westniveau werden
wir morgen diskutieren und über Betriebsrenten Mitte
Mai .

Sechstens . Zur Rente erst ab 67 . Union und SPD ha-
ben Millionen Menschen die Rente massiv gekürzt, weil
sie bis 67 arbeiten sollen, obwohl viele das gar nicht
schaffen und es auch keine Jobs für sie gibt. Wer es nicht
bis zur persönlichen Regelaltersgrenze schafft, kriegt die
Rente durch Abschläge gekürzt .

Ich komme aus NRW . Dort hatte 2015 von den rund
1,1 Millionen Einwohnern im Alter von 60 bis 65 Jahren
nur jeder Dritte eine sozialversicherungspflichtige Be-
schäftigung, mit der Rentenansprüche aufgebaut werden
konnten . Die Folge: Hunderttausenden drohen gekürzte
Renten, und das bei einem weiter sinkenden Rentenni-
veau . Das geht gar nicht!


(Beifall bei der LINKEN)


Außerdem: In den vergangenen Jahren waren 22 Pro-
zent der Verstorbenen jünger als 70 Jahre . Vor allem die
Armen müssen früher sterben . Nach einer Studie des Ro-
bert-Koch-Instituts sterben arme Frauen 8,4 Jahre früher
als ihre wohlhabendsten Altersgenossinnen . Die armen
Männer müssen sogar 10,8 Jahre eher gehen . Und da-
rum ist jede Forderung nach der Rente erst ab 70, Herr
Schäuble und Herr Spahn, nach der Rente erst ab 73, liebe
Bundesbank, oder nach der Rente erst ab 85, BDI-Vize-
präsident Ulrich Grillo, nichts anderes als Klassenkampf
von oben . Das ist der völlig falsche Weg!


(Beifall bei der LINKEN)


Die Menschen müssen wieder ab 65 abschlagsfrei in
Rente gehen können – wie in Österreich . Wer 40 Bei-
tragsjahre hat, muss ab 60 abschlagsfrei in Rente gehen
dürfen . Bauarbeiter und Krankenschwestern haben dann
genug Steine und Patientinnen und Patienten geschleppt .


(Beifall bei der LINKEN)


Siebter und letzter Punkt . Meine Damen und Herren,
wenn alle diese Bausteine im Einzelfall nicht für eine
Rente oberhalb der Armutsgrenze reichen sollten, dann
wollen wir, dass der Rentner oder die Rentnerin eine
einkommens- und vermögensgeprüfte solidarische Min-
destrente aus Steuermitteln erhält . Es gibt sie schon – in
Österreich . Dort gibt es sogar zwei Mindestrenten . Wer
in Österreich auch nur einen Cent Rentenanspruch hat,
erhält als Single mindestens 1 038 Euro Rente, mit min-
destens 30 Beitragsjahren sind es sogar 1 167 Euro, um-
gerechnet auf zwölf Monate . Ausgleichszulage nennen
die Ösis das offiziell.

Die Garantierente der Grünen ist dagegen ein schlech-
ter Witz . Für langjährig Versicherte, also nach 35 Bei-
tragsjahren,


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 30 Versicherungsjahre!)


soll es eine Garantierente in Höhe von 30 Entgeltpunkten
geben . Das wären derzeit 914 Euro brutto und 811 Euro
netto . Das sind 7 Euro über dem durchschnittlichen

Matthias W. Birkwald






(A) (C)



(B) (D)


Grundsicherungsbedarf im Alter außerhalb von Einrich-
tungen . 7 Euro – das ist doch nur weiße Salbe .

Wir brauchen eine armutsfeste, solidarische Min-
destrente, die ihren Namen verdient . Das heißt zum
Beispiel, wer als Single eine gesetzliche Rente von nur
800 Euro erreichte und 150 Euro an weiteren Altersein-
kommen hätte, hätte einen Anspruch auf einen steuerfi-
nanzierten Zuschlag von 100 Euro . Die würden dann von
der Rentenversicherung ausgezahlt . Das wären dann ins-
gesamt 1 050 Euro netto, knapp über der Armutsgrenze
nach den Kriterien der Europäischen Union . Wir Linken
sagen: Arbeit darf nicht arm machen, auch nicht im Alter .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823105400

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Karl Schiewerling,

CDU/CSU-Fraktion, die Gelegenheit, seine Sicht der
Dinge darzulegen .


(Beifall bei der CDU)



Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1823105500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Birkwald, Ihre
Darstellung des österreichischen Rentensystems glich ei-
nem beeindruckenden Feuerwerk .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Danke schön!)


Leider haben Sie vergessen, zu sagen, welche Nachteile
es hat .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Keine!)


Es hat zum Beispiel gegenüber dem deutschen Rentensys-
tem den Nachteil, dass man erst einmal 15 Jahre arbeiten
muss und nicht 5 Jahre, bis man einen Rentenanspruch
hat . Sie haben nicht dargestellt, dass die Österreicher im
Augenblick riesige Probleme mit der Finanzierung ihres
Rentensystems haben .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Falsch!)


Sie haben nicht dargestellt, dass man im Augenblick da-
bei ist, die hochgelobte Frauenrente abzusenken, weil sie
so nicht mehr zu finanzieren ist. Sie haben völlig verges-
sen, darzustellen, dass die Österreicher wegen ihrer ho-
hen Haushaltsverschuldung Probleme am Arbeitsmarkt
haben und es zu einem Aufwuchs an Arbeitslosigkeit
kommt . Sie haben völlig vergessen, darzustellen, dass
es einen Zusammenhang zwischen Rente, Arbeitsmarkt,
Wirtschaft und Staatsverschuldung gibt . Die Dinge müs-
sen zusammen gesehen werden . Wer den Scheinwerfer
solitär, ausschließlich auf glückliche Rentner richtet, darf
sich nicht wundern, wenn er hinterher ins kurze Gras
kommt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, pünktlich zu den Landtags-
wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen
und zum Aufgalopp zur Bundestagswahl wird ein Antrag
der Linken vorgelegt . Er wurde bereits im Januar be-
schlossen, wird aber erst jetzt, Ende April, auf den Tisch
gelegt, damit vor den Landtagswahlen Drive in die Sache
kommt .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Richtig!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823105600

Herr Kollege Schiewerling, der Kollege Birkwald

möchte eine Zwischenfrage stellen .


Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1823105700

Nein, ich lasse keine Frage zu .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823105800

Sie lassen keine Frage zu . Danke schön .


Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1823105900

Nein . Er kann nachher eine Bündelfrage stellen . Dann

ist das gut .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: „Bündelfrage“?)


Meine Damen und Herren, ich will Ihnen deutlich sa-
gen: Wir als Unionsfraktion könnten uns zurücklehnen;
denn die Darstellungen der Linken kennen wir mittler-
weile . Eigentlich geht es darum, sein Mütchen an der
SPD zu kühlen, sich an der SPD abzuarbeiten . Wir von
der Union könnten uns zurücklehnen und sagen: „Sollen
sie mal“;


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Warum reden Sie dann über die Erwerbsminderungsrenten Mitte Mai? Langohr sagt der eine Esel zum anderen!)


das tun wir aber nicht, weil es in der Tat einige Dinge
gibt, die man in aller Deutlichkeit sagen muss .

Der erste und wichtigste Punkt ist: Die großen Proble-
me, die Sie im Rentenbereich beschreiben, existieren in
dieser Form nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zweitens . Wir müssen natürlich die Gesamtentwick-
lung, die unseren Planungen bis 2030 zugrunde lagen,
berücksichtigen . Die Zahlen sind samt und sonders bes-
ser als ursprünglich angenommen . Die Renten steigen,
das Rentenniveau steigt, und die Rücklage kann trotz zu-
sätzlicher Ausgaben im Bereich der Rentenversicherung
stabilisiert und sogar gesteigert werden . Wir haben stabi-
le Renten mit stabilen Grundlagen .

Es geht um die Frage, was in den Jahren ab 2030, pas-
sieren wird . Wir stehen miteinander vor großen Heraus-
forderungen und müssen dabei zwei Dinge berücksichti-
gen, die das Rentensystem in Deutschland betreffen – das
gilt übrigens für jedes Rentensystem, für das umlagefi-
nanzierte Rentensystem, das kapitalgedeckte Renten-

Matthias W. Birkwald






(A) (C)



(B) (D)


system und sogar für das österreichische System –: Es
geht um Fragen der demografischen Entwicklung und
der wirtschaftlichen Entwicklung . Beide Entwicklun-
gen – demografische und wirtschaftliche Entwicklung –
bestimmen die Alterssicherung . Da es um die Zukunft
der Rente geht, müssen wir alles tun, um unter diesem
Eindruck die Stellschrauben richtig zu stellen . Das heißt,
wir müssen schauen, dass die umlagefinanzierte Rente
als Grundlage einer allgemeinen Alterssicherung erhal-
ten bleibt . Natürlich können wir, wie Sie, Herr Birkwald,
den Wunsch äußern, in das Rentensystem alle möglichen
Gruppen mit eigenen Versorgungswerken zu integrieren,
wie die Österreicher das machen . Das würde die Gruppe
derjenigen verbreitern, die Rentenversicherungsbeiträge
einzahlen, aber auch die Gruppe derjenigen, die Renten
bekommen . Das würde nicht nur mehr Einnahmen, son-
dern auch mehr Ausgaben bedeuten .


(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: So ist es!)


Und das heißt keineswegs, dass die Risiken, die damit
verbunden sind, auf einmal über Nacht verschwunden
wären .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben eine Situation in Deutschland, in der wir –
anders als Sie das darstellen, Herr Birkwald – einen Auf-
wuchs an Beschäftigung der über 60-Jährigen haben; es
gibt eine deutliche Zunahme an Menschen, die über ihr
60 . Lebensjahr hinaus in Beschäftigung sind . Das alles
kann noch besser werden . Dafür haben wir in dieser Ko-
alition gemeinsam die Flexirente eingeführt . Wir haben
dadurch Wege eröffnet, dass man den Ausstieg aus dem
Berufsleben gleitend gestalten kann .


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)


Ich bin sicher, dass die Flexirente ihre Wirkung entfalten
wird .

Aber was nicht geht, ist, dass das System der umla-
gefinanzierten Rente aus dem Gleichgewicht gebracht
wird . Hierbei gibt es im Wesentlichen vier Stellschrau-
ben: der Beitrag, der eingezahlt wird, das Rentenniveau,
die Rücklage bzw . der Zuschuss des Staates und natürlich
die Rentenlaufzeit . Es geht nicht, dass wir nach Belieben
an den Schräubchen drehen;


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Nicht nach Belieben! Nach Sinn und Unsinn! Nach Notwendigkeit!)


denn letztendlich ist es ein mathematisches System, das
in sich stimmig ist und im Gleichgewicht gehalten wer-
den muss . Darüber, wie das zu geschehen hat, gibt es im
Augenblick Auseinandersetzungen .

Ich freue mich sehr, dass es hier im Hohen Haus eine
breite Mehrheit gibt, die nicht infrage stellt, dass die um-
lagefinanzierte Rente das stabilste System ist, das wir
haben .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wir auch nicht! Wir wollen sie stärken!)


Es ist gut, dieses System weiterhin zu stabilisieren . Wir
müssen alles tun, dass es weiterhin seine Wirkung ent-
falten kann .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will darauf hinweisen, dass wir dabei sind, die be-
triebliche Altersvorsorge, also die zweite Säule, und die
private Altersvorsorge, also die dritte Säule – beide lei-
den unter den Kapitalmärkten –, zu stabilisieren, damit
auch sie für die Bevölkerung besser ihre Wirkung ent-
falten können, auch für diejenigen, die Geringverdiener
sind, die weniger Geld haben . Ihnen wollen wir helfen,
über diesen Weg die Basis für ihre Alterseinkünfte zu
verbessern .

Aber Grundlage dafür, dass die Rente altersfest ist,
eine Zukunft hat und auch eine Sicherung für das Alter
darstellt, sind im umlagefinanzierten Rentensystem die
Beiträge, die man eingebracht hat . Was wir nicht wollen,
ist, dass die Rente ein Gemischtwarenladen von Beiträ-
gen, die man selbst erwirtschaftet hat, und von sozialen
Fürsorgeleistungen wird . Wenn diese Dinge miteinander
vermischt werden, ist nicht mehr klar, was jeder selbst
eingebracht hat . Wir werden damit den Menschen, die
ihre Rente durch eigene Beiträge erwirtschaftet haben,
unter dem Strich nicht gerecht . Deswegen werden wir,
was die zukünftige Altersabsicherung angeht, schauen
müssen, wie wir die Dinge miteinander kombinieren .

Ein wichtiger zentraler Punkt ist natürlich, was wir
tun, damit möglichst viele Menschen in Erwerb kommen,
in Erwerb bleiben und entsprechend mit guten Einkünf-
ten für ihre Alterssicherung sorgen können . Im Bereich
der Arbeitsmarktpolitik besteht eine Aufgabe im Bereich
der Bildung . Es geht – das ist gar keine Frage; das berei-
tet uns große Sorgen – um die Langzeitarbeitslosen im
SGB-II-Bereich und vor allem um diejenigen, die noch
jung sind, nämlich um die 6 Prozent, die den Schulab-
schluss nicht schaffen. Das sind jedes Jahr in Deutsch-
land 80 000 Jugendliche, die dadurch eine schlechte
berufliche Perspektive haben. Ihre Altersvorsorge treibt
uns um . Wir müssen für die Zukunft klären, was wir mit
diesen Kindern und Jugendlichen machen . Welche Per-
spektiven können wir entwickeln? Daran werden wir ar-
beiten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich betrachte diese Frage als die eigentliche soziale
Frage der Zukunft . Wir sollten jedem in diesem Land
Chancen und Wege eröffnen. Wir sollten jedem – das ge-
bietet die soziale Gerechtigkeit – Chancen zur Teilhabe
geben. Wir sollten jedem die Möglichkeit eröffnen, sei-
ne eigenen Potenziale zu entfalten, sodass er sich seine
Alterssicherung selbst erwirtschaften kann und nicht auf
Fürsorge des Staates angewiesen ist; sie sollte nur dann
notwendig sein, wenn anderes nicht reicht . Diese Wege
müssen wir konsequent gehen . Ich glaube, dass wir damit
letztendlich den Menschen dienen .

Das ist etwas anderes als das Malen eines bunten,
hochalpinen Bildes des Herrn Kollegen Birkwald, der
glaubt, er könnte einen bestimmten Aspekt aus Öster-

Karl Schiewerling






(A) (C)



(B) (D)


reich hierhin übertragen, alles andere ausblenden und
damit völlig außer Acht lassen, vor welchen Herausfor-
derungen auch Österreich steht .


(Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Aber mehr Rente kriegen die da!)


Es ist eine Frage der Ehrlichkeit, auch dies zu sagen . Ich
habe in meiner Rede das deutlich gemacht . Leider ist
mein Beitrag im Fernsehen ausgeblendet worden,


(Zurufe von der LINKEN: Oh! – Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Unfassbar!)


weil es der Berichterstattung nicht passte .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Unglaublich!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823106000

Vielen Dank . – Bevor der Kollege Markus Kurth das

Wort erhält, hat der Kollege Birkwald um eine Kurzinter-
vention gebeten .


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823106100

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Herr Schiewerling,

Sie haben meine Kurzintervention sozusagen provoziert .

Zunächst einmal: Das Thema Rente interessiert mitt-
lerweile auch sehr, sehr junge Menschen, auch 20-Jäh-
rige . Die Gewerkschaft IG Metall hat eine Beschäftig-
tenbefragung durchgeführt . 680 000 Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer haben geantwortet . Sie haben zum
Beispiel folgender Aussage zugestimmt:

Das Rentenniveau muss stabilisiert und mittelfristig
erhöht werden, auch wenn dadurch die Beiträge von
Arbeitgebern und Beschäftigten zur gesetzlichen
Rentenversicherung steigen .

Insgesamt haben dieser Aussage 85 Prozent zugestimmt .
Bei den 25- bis 34-Jährigen waren es 75 Prozent . Wenn
das so ist, dann kann das Rentensystem nicht so gut sein,
wie Sie es hier dargestellt haben . Fakt ist: Die Rentnerin-
nen und Rentner in Österreich bekommen deutlich höhe-
re Leistungen . Das, werter Kollege Schiewerling, haben
Sie ausgeblendet .

Zu ihren Einwänden .

Erstens zu den 15 Jahren . Nur 7 dieser 15 Jahre müs-
sen Erwerbsarbeit sein; die restlichen Jahre können sich
auf Kindererziehungszeiten und andere Zeiten beziehen .
Das ist schon ein riesiger Unterschied .

Zweitens . Dadurch, dass es sich um eine Erwerbstä-
tigenversicherung handelt, sind auch fast alle drin und
haben die meisten auch diese 15 Jahre . Selbst wenn sie
die 15 Jahre nicht haben, bekommen sie eine von den
Ländern finanzierte Mindestsicherung in Höhe von
889,84 Euro .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Grundsicherung haben wir auch!)


Sie wird in Wien, wo 2,1 Millionen Menschen leben,
auch 14-mal im Jahr gezahlt, im Rest Österreichs 12-mal .

Selbst das sind 85 Euro mehr, als die Grundsicherung im
Alter derzeit in Deutschland durchschnittlich beträgt .
Wenn die Ösis das bei einem Preisniveau finanzieren
können, das nur 5 Prozent höher ist als das unsere, dann
muss man hier schon ganz schön filibustern, um das nicht
hinzubekommen .


(Zuruf von der CDU/CSU: Fragen Sie da mal die Länder!)


Was die Finanzierung angeht, habe ich Ihnen etwas
mitgebracht .


(Der Redner hält ein Schaubild hoch)


Das Blaue und das Schwarze sind die wichtigen Linien .
Sozialminister Alois Stöger hat Ihnen, Herrn Rosemann,
Herrn Strengmann-Kuhn und mir persönlich gesagt – das
sagt übrigens nicht nur er, sondern auch der Finanzmi-
nister –, bis 2060 sei das durchgängig finanziert. Wa-
rum schaffen die das? Es ist ganz einfach: Sie haben die
Beamten einbezogen, die jetzt einzahlen, da die gebur-
tenstarken Jahrgänge in Rente gehen, und erst dann eine
Rente bekommen werden, wenn wir alle schon da oben
oder da unten sind – je nachdem, ob wir brav waren oder
nicht und ob wir gläubig sind oder nicht . Deswegen sage
ich Ihnen, Herr Schiewerling: Lassen Sie uns eine Er-
werbstätigenversicherung auf den Weg bringen, in die
alle Menschen mit Erwerbseinkommen einzahlen . Dann
bekommen wir das auch hin .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Weil ich meine Zeit nicht überstrapazieren will, –


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schon passiert!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823106200

Dazu möchte ich auch raten .


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823106300

– will ich mit einer Frage an Herrn Schiewerling en-

den: Herr Schiewerling, sind Sie für die Rente erst ab
70 – das würde mich interessieren –, oder finden Sie, dass
die Rente erst ab 67 reicht?

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823106400

Vielen Dank . – Sie haben die Zeit zwar nicht überstra-

paziert, aber voll ausgenutzt .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das darf ich ja wohl auch!)


Jetzt hat der Kollege Schiewerling die Gelegenheit zur
Antwort . – Bitte schön .


Karl Schiewerling (CDU):
Rede ID: ID1823106500

Herzlichen Dank . – Ich bleibe bei meiner Aussage . Wir

haben nämlich nicht nur mit dem Finanzminister geredet,
sondern auch mit verschiedenen Instituten in Österreich .
In diesen Gesprächen kam schon sehr deutlich zum Aus-

Karl Schiewerling






(A) (C)



(B) (D)


druck, dass Österreich vor großen Finanzierungsproble-
men steht und dass man dabei ist, die Rente zu verändern,
weil man die Leistungen in der jetzigen Form nicht mehr
erbringen kann . Das gehört zur Wahrheit dazu . Ich sage
Ihnen, Herr Birkwald: Ich verstehe Ihre Begeisterung .
14 Monate Rentenzahlungen lassen die Augen leuchten .
Da leuchten die Augen auch bei mir . Ich sage Ihnen aber:
Das muss auch finanziert werden.

Ich bin strikt dagegen, dass wir uns die Situation in an-
deren Ländern anschauen, uns die Rosinen herauspicken,
ausblenden, welche Nachteile das dortige System hat,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Welche denn?)


und glauben, die einzelnen Puzzleteile in Deutschland
zum Wohle aller wieder zusammensetzen zu können .
Am Ende des Tages bedeutet das Systemveränderungen,
und es kostet Geld. Es muss finanziert werden, es muss
tragfähig sein, und es muss akzeptiert werden . Ich sage
Ihnen: Das ist nicht so einfach, wie Sie es darstellen .

Zu Ihrer Frage . Ich bin dafür, dass wir zunächst ein-
mal das, was wir bis zum Jahre 2029 beschlossen haben,
umsetzen . Dann nämlich werden wir die Rente mit 67 ha-
ben, vorher noch nicht . Sie wird erst dann ihre Wirkung
entfalten . Dann schauen wir, wie weit wir sind . Man
muss aber zumindest die demografische Entwicklung in
Deutschland zur Kenntnis nehmen . Die Menschen leben
länger, und es werden weniger geboren . Eine Rolle spielt
darüber hinaus die Rentenlaufzeit .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: 22 Prozent sterben vor 70!)


Jemand, der 1961 in Rente gegangen ist, hatte als Rent-
ner statistisch noch sieben oder acht Jahre zu leben . Je-
mand, der heute in Rente geht, hat noch 18 bis 19 Jahre
zu leben .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wie hoch war das Bruttoinlandsprodukt damals?)


Das muss ich doch zur Kenntnis nehmen, damit Renten-
system finanzierbar bleibt, weil es gleichzeitig auch ein
Versicherungssystem ist, und darf den Menschen keinen
Sand in die Augen streuen und sagen: Es spielt alles kei-
ne Rolle, es wird alles schon so gehen .

Ich bin mir sicher, dass sich ab 2029 die eine oder
andere Frage im Lichte aktueller Entwicklungen mög-
licherweise neu stellen wird . Deswegen diskutiere ich
nicht über einzelne Dinge . Ich sage nicht: Das Renten-
niveau darf auf keinen Fall zu tief sinken oder zu hoch
gehen . Ich sage auch nicht: Der Beitragssatz darf eine
bestimmte Höhe nicht überschreiten oder unterschreiten .
Wir haben hier Regelungen eingeführt . So sage ich auch
nicht: Die Rente mit 67 ist das letzte Wort . Wir müssen
uns vielmehr die Dinge im Lichte der Gesamtentwick-
lung, in der wir uns befinden, anschauen.

Im Übrigen: Wenn ich zum Thema Rente vortrage,
dann wundere ich mich immer, dass die Rentnerinnen
und Rentner in Deutschland die meiste Sorge haben we-
gen der in ihren Augen zu langen Lebensarbeitszeit . Die
jüngeren Menschen wissen längst, dass sie für das, was

sich im Augenblick demografisch abspielt, eines Tages
mit zu bezahlen haben werden;


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Deswegen sind sie auch bereit, mehr Beiträge zu zahlen, wenn sie dafür eine anständige Rente bekommen!)


denn die Situation ist so, wie sie ist . Die jungen Men-
schen sind realistischer als die Linken .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823106600

Vielen Dank . – Jetzt hat aber der Kollege Markus

Kurth für Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823106700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Ich glaube, man muss zu die-
sem Zeitpunkt der Debatte den Menschen draußen im
Land und auch den vielen jungen Menschen heute hier
auf der Tribüne eines klarmachen: Die gesetzliche Ren-
tenversicherung, die umlagefinanzierte, ist grundsätzlich
leistungsfähig, solidarisch und anpassungsfähig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


– Ja, ich glaube, da können wir eigentlich alle klatschen .

Die gesetzliche Rentenversicherung ist so leistungs-
fähig, dass sie in den mehr als 125 Jahren ihres Beste-
hens nur in einem einzigen Monat die Rentenzahlung
nicht pünktlich geleistet hat, und das war der Mai 1945 .
Sie ist so solidarisch, dass sie die große Anstrengung der
deutschen Einheit mit bewältigt hat . Wir hätten uns die
Finanzierung anders vorgestellt, aber das System der
deutschen Rentenversicherung hat das geschafft. Sie ist
so anpassungsfähig, dass sie das Leistungsspektrum wei-
terentwickelt hat. Beispielhaft sei hier nur die berufliche
Rehabilitation genannt, wo die gesetzliche Rentenversi-
cherung beispielsweise in ihren Berufsförderungswerken
bei Neuausbildungen und anderem Großartiges leistet .
Ich glaube, das muss ich zu Beginn meines Beitrages der
Schwarzmalerei, die von der Fraktion Die Linke kommt,
entgegenstellen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Mit dem so beschriebenen Spektrum ist die gesetzliche
Rente jedem kapitalmarktgestützten System haushoch
überlegen . Manche neoliberalen Ökonomen, die unter
Beweis stellen wollen, dass der Aktienmarkt die Alterssi-
cherung genauso gut oder sogar noch besser übernehmen
könne, nennen gerne folgendes Argument . Sie sagen, in
jedem beliebigen, 20 Jahre umfassenden Zeitraum seit
Ende des Zweiten Weltkrieges habe der Aktienmarkt
eine positive Rendite gebracht . 20 Jahre! 20 Jahre sind
nicht einmal ein halbes Erwerbsleben . 40 Jahre – denken
wir in diesen Zeiträumen? 60 Jahre? Nein, es kann bis zu

Karl Schiewerling






(A) (C)



(B) (D)


80 Jahre dauern: von der ersten Beitragszahlung bis zum
letzten Schnaufer auf dem Totenbett . Das sind die Zeit-
räume, mit denen die gesetzliche Rentenversicherung,
das Umlagesystem, operiert . Das muss man sich einmal
vor Augen halten .


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Deswegen bestreitet die gesetzliche Rentenversi-
cherung auch 90 Prozent der Gesamtausgaben für die
Alterssicherung; das sind im Moment knapp 300 Mil-
liarden Euro . Die kapitalgestützte Vorsorge ist eine zu-
sätzliche Alterssicherung, nicht weniger, aber eben auch
nicht mehr . Darum sollten wir vielleicht nicht von einem
Drei-Säulen-System sprechen, sondern besser von einem
Drei-Schichten-System mit einem Fundament – das ist
die gesetzliche Rentenversicherung – und darauf aufbau-
end weiteren Sicherungsbereichen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Cappuccino-Modell!)


Gleichwohl ist die Rentenversicherung natürlich
nichts Statisches, was unveränderlich ist . Man redet in
der Öffentlichkeit immer gerne vom Bismarck-System.
Wenn die Versicherung immer noch so wäre, wie sie zu
Bismarcks Zeiten war, dann gäbe es sie gar nicht mehr .


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Genau!)


Sie hat sich weiterentwickelt, und auch Bündnis 90/Die
Grünen wollen sie weiterentwickeln und stabilisieren .

Was braucht es dazu? Ich will mich auf drei Kern-
punkte beschränken: Wir brauchen eine vernünftige
Einkommensversicherung – damit wird das Thema Ren-
tenniveau adressiert –, wir brauchen eine verlässliche
Armutssicherung, und wir brauchen eine funktionierende
Solidargemeinschaft .

Ich will mit dem letzten Punkt anfangen . Wir brauchen
diese funktionierende Solidargemeinschaft, und darum
wollen wir die Bürgerversicherung – aus zwei Gründen:

Zum einen verändert sich die Arbeitswelt . Wir haben
es mit neuen Formen von Selbstständigkeit zu tun . Dort
drohen auch neue Formen von Altersarmut . Darum ist es
eine sozial- und ordnungspolitische Aufgabe, den Kreis
der Versicherten zuerst insbesondere um die nicht ander-
weitig abgesicherten Selbstständigen zu erweitern .

Zum anderen brauchen wir als funktionierende Soli-
dargemeinschaft eine Bürgerversicherung, weil die Ver-
sicherten – die Mehrheit der Bürger in diesem Land –,
glaube ich, merken und es nicht gut finden, dass sich
Leute vom Acker machen. Sie unterstellen ihnen – häufig
ist es ja auch so –, dass sie in einer wirtschaftlich besse-
ren Situation sind . Wir wollen perspektivisch alle einbe-
ziehen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier blicke ich auch
auf uns . Auch wir Abgeordnete müssen in die Bürgerver-
sicherung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: In die Erwerbstätigenversicherung!)


Es wird viel ausmachen, wenn die Bürgerinnen und Bür-
ger wissen, dass auch wir Abgeordnete das, was wir hier
beschließen, in unserer Renteninformation sehen wer-
den . Das ist ein wichtiger Schritt für mehr Akzeptanz .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie von der Großen Koalition – das kann ich Ihnen
nicht ersparen – haben in der vergangenen Legislaturpe-
riode durch Sonderregelungen für Honorarärzte und für
angestellte Anwälte, sogenannte Syndikusanwälte, die
funktionierende Solidargemeinschaft, die besteht, leider
sogar noch ausgehöhlt . Das ist genau das Gegenteil von
dem, was Bündnis 90/Die Grünen wollen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daneben brauchen wir die Armutssicherung . Wer in
seinem Leben mehr als 30 Jahre lang gearbeitet, Kinder
großgezogen und Eltern gepflegt hat, vielleicht auch ein-
mal ein, zwei oder drei Jahre arbeitslos war, also eine
halbwegs intakte Erwerbsbiografie vorweisen kann, aber
nur sehr wenig verdient hat, der muss mindestens 30 Ent-
geltpunkte, also eine Rente oberhalb des Existenzmini-
mums, haben .


(Zuruf des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Wir sagen: Auch Ansprüche aus der Betriebsrente und
der Riester-Rente müssen geschützt sein . Sie dürfen auf
diese Garantierente nicht angerechnet werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: 30 Jahre: Das steht nicht in eurem Antrag!)


Der letzte Punkt, den ich hier noch ansprechen kann,
ist die Einkommensversicherung . Es geht um das Ren-
tenniveau. Hier bildet sich ein neuer Konsens; das finde
ich schon einmal gut .

Der Arbeitnehmerflügel der CDU hat, wie ich gehört
habe, 45 Prozent angepeilt, Andrea Nahles schlägt ein
Rentenniveau von 46 Prozent vor . Wir haben auf unse-
rem letzten Parteitag unser Wahlprogramm beschlossen,
nach dem das Rentenniveau nicht weiter sinken sollte .
Das heißt, wir haben hier schon eine Orientierungsmar-
ke . Die brauchen wir auch, weil sonst die Angehörigen
der Mittelschicht, die wir für dieses System brauchen,
nicht mehr erkennen können, dass ihr Einkommen an-
ständig versichert ist .

Aber natürlich muss man das vernünftig finanzieren.


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wir haben einen Vorschlag gemacht!)


Dafür machen wir verschiedene Vorschläge: Wir wollen
die Erwerbsbeteiligung von Frauen weiter vorantreiben;


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Sehr gut!)


Zuwanderung kann zwar nicht kurzfristig, aber perspek-
tivisch zur Finanzierung beitragen; auch die Erweiterung
des Versichertenkreises im Rahmen einer Bürgerversi-
cherung wird zumindest helfen, den demografischen Bu-
ckel zu bewältigen, und natürlich müssen wir durch eine

Markus Kurth






(A) (C)



(B) (D)


alters- und alternsgerechte Gestaltung der Arbeitswelt
die Voraussetzungen dafür schaffen,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Richtig!)


dass wir besser, länger und gesünder arbeiten können .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Macht die Linke mit!)


Das ist eine Finanzierungsgrundlage, die es erlaubt, dass
sich eventuelle Beitragsanstiege im Rahmen halten .

Wir könnten mit der Verbesserung der Finanzierung
der Rentenversicherung sofort anfangen, wenn wir Dinge
wie die Mütterrente nicht aus Beitragsgeldern, sondern
aus Steuergeldern finanzieren würden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch hier, muss man sagen, haben Sie von der Großen
Koalition in den letzten vier Jahren wieder etwas versagt .

Meine Damen und Herren, Sie sehen also: Die Renten-
politik von Bündnis 90/Die Grünen, unser Gesamtkon-
zept, das wir in dieser Debatte vorgelegt haben, versucht,
das Wünschenswerte, das Machbare und das Notwendi-
ge zusammenzubringen und nachhaltig zu entwickeln . In
Anlehnung an unsere Spitzenkandidatin Katrin Göring-
Eckardt möchte ich auf jeden Fall sagen: Was wir hier
vorschlagen – lesen Sie es im Internet nach –, das ist ein
heißes Ding .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Der war gut!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823106800

Vielen Dank . – Jetzt hat Dr . Martin Rosemann für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Martin Rosemann (SPD):
Rede ID: ID1823106900

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein
zentrales Versprechen unseres Sozialstaats ist es, dass
diejenigen, die ihr Leben lang gearbeitet und unsere so-
zialen Sicherungssysteme mit ihren Beiträgen unterstützt
haben, im Alter anständig leben können . Rente muss
Altersarmut verhindern und muss einen angemessenen
Lebensstandard sichern . Das gilt heute, aber auch in Zu-
kunft. Alterssicherung muss verlässlich und finanzierbar
sein . Das gilt sowohl für Jung als auch für Alt; das gilt
für die Generation von heute und für die Generation von
morgen und von übermorgen .

Genau da setzt das Gesamtkonzept zur Alterssiche-
rung, das unsere Ministerin Andrea Nahles vorgelegt hat,
an . Es stärkt die gesetzliche Rente und die betriebliche
Altersvorsorge . Es bekämpft Altersarmut gezielt . Es
verbessert die soziale Absicherung von Selbstständigen .

Und es schafft 27 Jahre nach der deutschen Einheit ein
einheitliches Rentenrecht in Ost und West .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Zulasten zukünftiger Rentenbezieher im Osten!)


Meine Damen und Herren, für die SPD ist klar: Die
gesetzliche Rente ist und bleibt der zentrale Grundpfeiler
unserer Alterssicherung . Wir wollen ein weiteres Absin-
ken des Rentenniveaus verhindern . Deshalb begrüßen
wir den Vorschlag der Ministerin für eine doppelte Hal-
telinie .


(Beifall bei der SPD)


Markus Kurth, dir will ich an dieser Stelle sagen:
46 Prozent sind die gesetzliche Haltelinie im Gesamt-
konzept der Ministerin, aber das ist nicht die politische
Zielgröße . Natürlich müssen wir alles tun – das muss das
politische Ziel bleiben –, damit das Rentenniveau über
diesen 46 Prozent bleibt . Mit dieser doppelten Haltelinie
wird das Rentenniveau stabilisiert, ohne dass die Bei-
träge übermäßig steigen . Das ist insbesondere deshalb
wichtig, weil wir wissen, dass eben nicht nur die Ren-
tenversicherung von der demografischen Veränderung
betroffen ist, sondern auch die Krankenversicherung und
die Pflegeversicherung.

Beides, eine Stabilisierung des Niveaus und eine Ver-
hinderung eines übermäßigen Anstiegs der Rentenbeiträ-
ge, funktioniert nur, wenn wir mehr Steuermittel in Form
eines Demografiezuschusses, wie das die Ministerin ge-
nannt hat, einbringen und wenn wir gesamtgesellschaftli-
che Aufgaben konsequent über Steuermittel finanzieren.

Dieses Konzept der doppelten Haltelinie ist in der
Anhörung, die der Ausschuss für Arbeit und Soziales zur
Rentenpolitik gemacht hat, auf positive Resonanz gesto-
ßen . Ich darf mit Erlaubnis der Frau Präsidentin Herrn
Dr . Thiede von der Deutschen Rentenversicherung zitie-
ren, der gesagt hat:

Wir halten dieses Konzept für sehr sinnvoll, weil es
sicherstellt, dass die demographischen Belastungen
nicht einseitig einer Gruppe zugewiesen werden .
Wenn man gar keine Haltelinie hätte, oder nur eine,
dann wäre die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass
die demographische Belastung ganz überwiegend
oder sogar komplett entweder die Beitragszahler
oder die Rentenempfänger tragen müssten .

Die gleiche Anhörung hat auch deutlich gemacht, dass
Altersarmut eben nicht vorrangig eine Frage des Ren-
tenniveaus ist, sondern eine Frage der Erwerbsbiografie.
In diesem Zusammenhang wurden bestimmte Perso-
nengruppen genannt: Kleinselbstständige, Erwerbsge-
minderte, Langzeitarbeitslose, die von Altersarmut be-
sonders betroffen sind. Auch hier hat die Ministerin mit
ihrem Gesamtkonzept zielgerichtete Vorschläge vorge-
legt . Wir als Große Koalition verbessern – das werden
wir am Freitag debattieren – zum zweiten Mal die Er-
werbsminderungsrente, weil Erwerbsminderung ein so
zentrales Risiko für Altersarmut ist .

Darüber hinaus hat die Ministerin vorgeschlagen,
Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung
einzubeziehen . Das unterstützt unsere Fraktion als ersten

Markus Kurth






(A) (C)



(B) (D)


konkreten Schritt hin zu einer Erwerbstätigenversiche-
rung ganz ausdrücklich .


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen: Wer sein Leben lang gearbeitet, Kinder
erzogen oder Angehörige gepflegt hat, der soll, auch
wenn das Einkommen gering war, im Alter nicht zum
Sozialamt gehen müssen . Das ist für uns Sozialdemo-
kratinnen und Sozialdemokraten eine Frage der Würde .
Deshalb unterstützen wir den Vorschlag der Ministerin
für eine Solidarrente . Wir halten es für einen sehr klugen
Vorschlag, dass sie für diese Personen in jedem Fall über
der Grundsicherung liegt, unabhängig davon, ob sie auf
dem flachen Land in Mecklenburg-Vorpommern oder in
Ballungsräumen wie in Stuttgart oder Tübingen leben .
Wir fragen uns, warum der Koalitionspartner an dieser
Stelle diesen pragmatischen und sinnvollen Vorschlag
nicht unterstützen konnte .


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren, um die demografischen
Herausforderungen – also Babyboomer, sinkende Ge-
burtenrate und steigende Lebenserwartung – auch in
Zukunft bewältigen zu können, braucht es neben einer
starken gesetzlichen Rente auch eine möglichst flächen-
deckende betriebliche Altersvorsorge . Mit unserer Be-
triebsrente Plus setzen wir genau da an . Wir setzen auf
eine zielgenaue Förderung von Geringverdienern, eine
stärkere Arbeitgeberfinanzierung bei der betrieblichen
Altersvorsorge und auf einfache und attraktive Angebote
für Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch die Tarifpartner,
von denen auch kleine und mittlere Unternehmen profi-
tieren können . Vor allem setzen wir bei der betrieblichen
Altersvorsorge auf Solidarität: große kollektive Systeme
statt individuelle Lösungen .

Ich komme zum Schluss . Egal ob gesetzliche Ren-
te oder betriebliche Altersvorsorge: Grundlage für gute
Renten ist immer eine gute wirtschaftliche Entwicklung .
Auch gilt für jede und jeden Einzelnen der Zusammen-
hang zwischen guter Bildung, guter Arbeit, guten Löh-
nen und guten Renten . Deswegen fängt gute Rentenpo-
litik schon mit der Bildungspolitik an und geht auf dem
Arbeitsmarkt weiter . Deshalb müssen wir Erwerbsbio-
grafien stärken und gleiche Chancen schaffen.

Genau das haben wir in dieser Wahlperiode an unter-
schiedlichen Stellen begonnen: mit der Einführung des
gesetzlichen Mindestlohns, mit Anreizen für eine bes-
sere Tarifbindung, mit der Regulierung von Leiharbeit
und Werkverträgen, mit all dem, was wir getan haben
und noch tun wollen, um die Lohnungleichheit zwischen
Frauen und Männern zu reduzieren, und vor allem auch
dadurch, dass wir es Menschen ermöglichen, länger ge-
sund im Arbeitsleben zu bleiben, mit einem vorsorgen-
den Sozialstaat, der in Prävention und Rehabilitation und
in die Qualifikation der Beschäftigten investiert und sie
auf dem Weg durch das Arbeitsleben begleitet und auch
bei Umbrüchen unterstützt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823107000

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Peter Weiß für die

CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1823107100

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Sie diese
Debatte verfolgen! Man kann feststellen: Es nahen Wah-
len: in Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und
dann im September die Bundestagswahl, und das befeu-
ert natürlich die politischen Parteien und die Fraktionen,
viel Gutes, Neues, Schönes und auch Teures zu verspre-
chen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wir versprechen nicht! Wir fordern!)


Ich empfehle, den alten Spruch „Wahltag ist Zahl-
tag“ ernst zu nehmen und sich vielleicht erst einmal an-
zuschauen, was in der Vergangenheit und vor allem in
dieser Legislaturperiode gemacht worden ist . Meine sehr
geehrten Damen und Herren, über ein Vierteljahrhundert
lang sind in Sachen Rentenpolitik wegen der ökonomi-
schen Zwänge eher Verschlechterungen eingetreten, üb-
rigens vor allem in einer Zeit, in der die Grünen mitre-
giert haben, Herr Kurth .

Diese Legislaturperiode seit 2013 ist die erste seit
25 Jahren, in der in der Rente einmal zusätzliche Leis-
tungen beschlossen worden sind – und kein Minus . Diese
Legislaturperiode ist deshalb ein Gewinn für die Rentne-
rinnen und Rentner in Deutschland .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer bezahlt das denn?)


Das Bemerkenswerteste ist erstens die Mütterrente:
10 Millionen Rentnerinnen in Deutschland haben dank
der Mütterrente, die wir beschlossen haben, mehr Rente
als zuvor . Ein großartiger Erfolg!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Aber nicht im Osten! Die Kinder im Osten sind Ihnen weniger wert!)


Zweitens zu den Erwerbsminderungsrenten . Darauf
ist in den vorherigen Reden zu Recht Bezug genommen
worden . Warum? Wenn jemand wegen eines Unfalls
oder einer Krankheit vorzeitig aus dem Erwerbsleben
ausscheiden muss und nichts mehr für seine Altersver-
sorgung tun kann, dann ist in der Tat der Sozialstaat ge-
fordert, so jemanden finanziell so auszustatten, dass er
möglichst ohne zusätzliche staatliche Stütze leben kann .
Deswegen haben wir zu Beginn dieser Legislaturperiode
die Zurechnungszeit, also die Zeit, wie lange jemand hät-
te arbeiten können, wenn der Unfall nicht passiert wäre,
um zwei Jahre verlängert . Darüber hinaus bringen wir in

Dr. Martin Rosemann






(A) (C)



(B) (D)


dieser Woche einen Gesetzentwurf ein, mit dem wir noch
einmal drei Jahre obendrauf setzen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja, 4,50 Euro bringt das! Mehr wird das nicht im ersten Jahr! Super!)


Noch nie ist in Sachen Erwerbsminderungsrente so viel
gemacht worden . Das ist auch richtig so .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: 4,50 Euro! Super!)


Außerdem hat die Rentenversicherung eine wichtige
Aufgabe, die manche manchmal vergessen . Sie soll näm-
lich auch etwas dafür leisten, dass die Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer, die in die Rentenversicherung
einzahlen, möglichst gesund und munter bis zum Renten-
alter arbeiten können . Hier geht es also um das Angebot
von Rehaleistungen . Weil wir sehen, dass wir in unseren
Betrieben zunehmend ältere Belegschaften haben, haben
wir beschlossen, den Rehadeckel, also das Budget für die
Rehaleistungen der Rentenversicherung, hochzusetzen .
Das Thema Reha kommt übrigens in den Anträgen der
beiden Oppositionsfraktionen überhaupt nicht vor .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Doch! Wir haben jedes Mal Anträge eingebracht! Die haben Sie alle abgelehnt, Herr Weiß!)


Ja, es ist richtig: Wir wollen mehr Mittel für die Gesund-
heit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Be-
trieben in Deutschland einsetzen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dazu gehört auch, dass wir der Rentenversicherung
erstmals erlaubt haben, mehr in Sachen Prävention, also
Vorsorge, zu machen . Wir führen jetzt erste Modellver-
suche durch . Der Kollege Rosemann, der vor mir gespro-
chen hat, und ich waren vor einiger Zeit gemeinsam in
Stuttgart bei der Auftaktveranstaltung für ein Projekt, mit
dem die Rentenversicherung zusammen mit den Berufs-
genossenschaften speziell für die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter in der Pflege, also einem Berufsfeld, in der
man besonderen psychischen und auch physischen Be-
lastungen ausgesetzt ist, neue Vorsorgemodelle auspro-
biert. Ich finde, es ist eine großartige Sache, dass wir in
dieser Legislaturperiode auch mehr Präventionsleistun-
gen durch die Rentenversicherung neu eingeführt haben .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Martin Rosemann [SPD]: Es ist ja schön, dass wir euch davon überzeugt haben!)


Dann komme ich zum Stichwort „Flexirente“ . Meine
sehr geehrten Damen und Herren, wir haben es möglich
gemacht, dass derjenige, der mit 63 oder 64 Jahren vor-
zeitig mit Abschlägen in Rente gehen will, nicht bestraft
wird, wenn er dann noch irgendeine Arbeit ausüben oder
einen Job annehmen will, und mehr behalten kann als in
der Vergangenheit . Das attraktive Angebot an alle Rent-
nerinnen und Rentner, Rentenbezug und Hinzuverdienst
durch Arbeit miteinander zu verbinden, halte ich für eine
Lösung, die zukunftsgerichtet ist; denn so gleitet man
langsam aus dem Erwerbsleben heraus und bezieht schon

einmal einen Teil Rente, arbeitet aber auch noch einen
Teil . Damit haben wir endlich eine Sache umgesetzt, die
vernünftig ist und Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern mehr Wahlmöglichkeiten bei der Rente schenkt .
Das ist ein großartiger Erfolg, den wir hinbekommen
haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Weil in der Debatte das Thema Steuermittel angespro-
chen worden ist: Wir geben in diesem Jahr, im Jahr 2017,
so viele Steuermittel in die Rente wie noch nie, nämlich
91 Milliarden Euro . Das sind 27,6 Prozent des gesamten
Bundeshaushalts . Angesichts der umfänglichen Aufga-
ben, die der Staat zu erfüllen hat, sind 27,6 Prozent allein
für die Rente eine großartige Leistung, die der Staat für
die Sicherung unseres Rentensystems erbringt – und das
bei dem seit 20 Jahren niedrigsten Beitragssatz zur Ren-
tenversicherung . Er liegt derzeit bei 18,7 Prozent . Bitte
denken Sie einmal zurück, wann es das je gegeben hat .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Wahl-
tag Zahltag ist, dann sollte man sich das anschauen, was
wir geleistet haben, und weniger auf das Wolkenkucku-
cksheim dessen schauen, was einem für die Zukunft
Großartiges versprochen wird .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Martin Rosemann [SPD])


Trotzdem will ich gerne zugeben, dass die Frage, wie
sich das Rentenniveau in der Zukunft entwickelt, für uns
eine entscheidende Rolle spielt . Seinerzeit hat Rot-Grün
bei der Riester’schen Rentenreform Sicherungsziele, auf
die man sich verlassen kann, also gesetzliche Garantien,
wie tief das Niveau höchstens sinken darf, nur bis zum
Jahr 2030 festgelegt . Deswegen wird es die Aufgabe in
der nächsten Legislaturperiode sein – und das wollen wir
als Union machen –, festzulegen, dass auch nach 2030
verlässliche Ziele sowohl für die Beitragssätze als auch
für das Rentenniveau in Deutschland gelten .


(Beifall bei der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Wie viel? Dazu sagt ihr nichts!)


Jeder weiß, dass die gesetzliche Rente umlagefinan-
ziert ist . Das, was die Jungen heute einzahlen, erhalten
morgen die Alten als Rente ausgezahlt . Die gesetzliche
Rente ist die wichtigste und verlässlichste Säule in der
Altersversorgung . Aber sie bedarf einer Zusatzrente, die
nach dem Motto finanziert wird: Das sparen Sie sich für
das Alter an . – Deswegen werden wir noch im Mai ein
Gesetz beschließen, das die Zielsetzung hat, möglichst
jedem Arbeitnehmer in Deutschland die Finanzierung
und den Aufbau einer solchen Zusatzrente zu ermögli-
chen . Wir werden erstmalig einen Geringverdienerzu-
schuss für die betriebliche Altersversorgung einführen .
Wir werden erstmalig eine gesetzliche Regelung einfüh-
ren, dass das, was man sich als zusätzliche Altersversor-
gung angespart hat, dann, wenn man im Alter doch zu
wenig hat und staatliche Unterstützung beantragen muss,
auf die Grundsicherung nicht voll angerechnet wird, son-
dern dass mindestens 100 Euro zusätzlich übrig bleiben .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Genau, 904 statt 804 Euro! Super!)


Peter Weiß (Emmendingen)







(A) (C)



(B) (D)


Das ist eine starke Botschaft an die Mitbürgerinnen und
Mitbürger: Wenn du zusätzlich für die Altersversorgung
ansparst, dann hast du auf jeden Fall 100 Euro jeden Mo-
nat mehr in der Tasche als derjenige, der nichts gemacht
hat . – Das wird die Bereitschaft vieler Mitbürgerinnen
und Mitbürger stärken, zusätzlich etwas für die Rente zu
tun; denn sie wissen: Wer zusätzlich für das Alter vor-
sorgt, steht am Schluss besser da als derjenige, der nichts
getan hat . Das ist die Kernbotschaft .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Grundherausforderung, die unsere Gesellschaft
gemeinsam stemmen muss, ist folgende: Wir wissen, dass
in den kommenden Jahren und Jahrzehnten geburtenstar-
ke Jahrgänge in Rente gehen . Wir werden eine große Zahl
neuer Jungrentnerinnen und Jungrentner zu verzeichnen
haben . Diese Jungrentnerinnen und Jungrentner werden
länger leben und länger Rente beziehen als die heutigen
Rentnerinnen und Rentner . Alle sagen uns: Jawohl, die
Lebenserwartung steigt weiter an . Diese Chance ist ge-
geben . – Das ist auch eine schöne Sache . Wir wissen aber
auch, dass im Vergleich dazu relativ geburtenschwache
Jahrgänge, also wenige junge Leute, neu in das Erwerbs-
leben eintreten . Das ist die riesige Herausforderung, die
wir stemmen müssen . Wer in einer solchen Situation den
Mitbürgerinnen und Mitbürgern Wolkenkuckucksheime
verspricht nach dem Motto: „Es gibt mehr, und man muss
weniger zahlen; es ist keine zusätzliche Anstrengung not-
wendig, um die Altersversorgung für die Zukunft abzusi-
chern“, der lügt die Bevölkerung schlichtweg an .

Vor diesem Hintergrund sage ich: Wahltag ist Zahltag .
Schauen Sie sich die Fakten an, die geschaffen wurden,
und misstrauen Sie denjenigen, die zu viel versprechen!

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Sie versprechen Altersarmut! Das ist viel schlimmer!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823107200

Das Wort hat jetzt der Kollege Ralf Kapschack für die

SPD .


(Beifall bei der SPD)



Ralf Kapschack (SPD):
Rede ID: ID1823107300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ver-

ehrte Zuschauerinnen und Zuschauer! Gute Arbeit, gute
Löhne sind die Grundlage für eine ordentliche gesetzli-
che Rente . Rente ist eben ein Spiegelbild des Erwerbsle-
bens . Das gilt auch für die betriebliche Altersversorgung,
die schon ein paar Mal angesprochen wurde . Grau ist alle
Theorie; entscheidend ist auf dem Platz . Das hat man
nicht nur gestern Abend bei diesem wunderbaren Fuß-
ballspiel gesehen . Das gilt auch im richtigen Leben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei der betrieblichen Altersversorgung ist der Platz das
Unternehmen, in dem man arbeitet . Wer in Großbetrie-

ben und in Branchen mit starken Tarifpartnern arbeitet,
hat in der Regel Anspruch auf eine Betriebsrente, und
das ist gut so . Wir wollen aber, dass alle Beschäftigten
Zugang zur Betriebsrente bekommen . Das ist für uns
eine Frage der Gerechtigkeit . Die betriebliche Altersver-
sorgung ist ein eingeführtes Instrument . Deshalb spielt
sie bei der Altersversorgung eine wichtige Rolle . In der
schon genannten Befragung der IG Metall sprechen sich
die Beschäftigten der Metallindustrie für eine stärkere
betriebliche Altersversorgung aus .


(Beifall bei der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja, aber nur arbeitgeberfinanziert!)


Die betriebliche Altersversorgung ist für uns die beste
Ergänzung zur gesetzlichen Rente – damit das klar ist:
eine Ergänzung und kein Ersatz –, weil sie eine Men-
ge Vorteile gegenüber der privaten Vorsorge bietet, wie
Martin Rosemann bereits ausgeführt hat . Die betriebli-
che Altersversorgung wird im Kollektiv, in großer Zahl
organisiert und hat dementsprechend Vorteile, was Kos-
ten und Anlagemöglichkeiten angeht . Sie trägt auch dazu
bei, gesellschaftliche Solidarität in die Altersversorgung
zu bringen .

Ich sage ganz offen: Mir wäre es am liebsten, es gäbe
endlich nicht nur eine Verpflichtung der Arbeitgeber, ein
Angebot zur betrieblichen Altersversorgung zu machen,
sondern auch die Verpflichtung, sich finanziell daran zu
beteiligen .


(Beifall bei der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Mindestens zur Hälfte! Dann wären wir auch einverstanden!)


Dabei gibt es eine deutliche Übereinstimmung mit Bünd-
nis 90/Die Grünen . Politisch durchsetzbar ist das im Mo-
ment allerdings leider nicht . Deshalb wählen wir zurzeit
einen anderen Weg und setzen auf die Tarifpartner . Tarif-
partner können am besten beurteilen, wo es Regelungen
der betrieblichen Altersversorgung geben soll, die sich
an den jeweiligen Gegebenheiten, Arbeitsbedingungen,
Alters- und Qualifikationsstrukturen orientieren. Tarif-
partner sind für uns auch diejenigen, die mit ihrer Kom-
petenz und Erfahrung für die Qualität der betrieblichen
Altersversorgung stehen . Ich weiß, das wird bei unserem
Koalitionspartner nicht uneingeschränkt so gesehen .

Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz, das wir in
den nächsten Wochen verabschieden werden, erfinden
wir die betriebliche Altersversorgung nicht neu, nein, wir
stärken sie, wir schaffen eine Betriebsrente plus.


(Beifall bei der SPD)


Wir schaffen eine steuerliche Förderung für Arbeitgeber,
die einen Beitrag leisten. Wir schaffen eine neue Förde-
rung für Geringverdiener. Wir schaffen einen Freibetrag
in der Grundsicherung – das ist eben vom Kollegen Weiß
schon angesprochen worden –, und wir wollen – das sage
ich an dieser Stelle ganz klar –, dass die eingesparten Ar-

Peter Weiß (Emmendingen)







(A) (C)



(B) (D)


beitgeberbeiträge bei der Entgeltumwandlung vollstän-
dig bei den Beschäftigten landen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Bisher stehen im Gesetz aber nur 15 Prozent drin, nicht 20,7 Prozent!)


So könnte auch die ärgerliche Belastung durch den vol-
len Krankenkassenbeitrag auf Betriebsrenten zumindest
abgemildert werden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dem Sozialpart-
nermodell schaffen wir einfache und übersichtliche Zu-
gänge . Gerade die Komplexität und der Aufwand sind in
kleinen und Kleinstunternehmen oft der Grund, warum
es dort keine Betriebsrenten gibt . Das wollen wir ändern .

Wir geben den Tarifpartnern neue Möglichkeiten, aber
auch mehr Verantwortung . Mir ist schon klar, dass der
Verzicht auf Garantien in diesem Modell eine kommuni-
kative Herausforderung ist . Ich sage aber ganz deutlich
an die Adresse der Linken: Es ist nicht nur unredlich,
sondern schlicht falsch, zu behaupten, dass der Verzicht
auf Garantien mit dem Verzicht auf Sicherheit einher-
geht .


(Beifall bei der SPD – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das werden wir dann sehen! Bei der Riester-Rente haben Sie auch das Blaue vom Himmel versprochen!)


Außerdem stehen die Tarifpartner mit ihrem Renom-
mee für eine seriöse Anlagepolitik . Es ist doch kein Zu-
fall, Matthias, wenn sich gerade in dieser Situation Verdi
mit dem Gedanken trägt, ein eigenes Versorgungswerk
aufzubauen, um eine zusätzliche betriebliche Altersver-
sorgung im Dienstleistungsbereich zu schaffen.


(Beifall bei der SPD)


Es kann doch nicht wirklich euer Ernst sein, dass ihr
glaubt, Frank Bsirske sei ein Zocker, der mit dem Geld
von Verkäuferinnen und Putzkräften spielt . Das kann
doch wohl nicht ernst gemeint sein .


(Beifall bei der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Herr Bsirske ist ein ehrenwerter Mann bei den Grünen!)


Also: Lasst das sein und bringt die Gewerkschaften nicht
in Misskredit, die sonst immer euer erster Bündnispart-
ner sind .

Klar ist: Bei dem starken Wunsch nach Sicherheit beim
Thema Altersversorgung wird es darauf ankommen, das
Sozialpartnermodell so darzustellen, dass Chancen und
Risiken in einem vernünftigen Verhältnis stehen . Mit der
Betriebsrente plus schaffen wir neue Möglichkeiten. Wir
schaffen schlicht und ergreifend ein Angebot. Vielleicht
haben einige Unternehmen beim Thema Betriebsren-
te künftig ein bisschen von der Fantasie, der Dynamik
und der Entschlossenheit, die Ousmane Dembélé gestern
Abend beim 3 : 2 gegen Bayern gezeigt hat .


(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Da ist aber jemand beseelt!)


Das wäre gut für die künftigen Rentnerinnen und Rent-
ner . Wir zeigen Ihnen gerne, wo das Tor steht .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823107400

Die Kollegin Jutta Eckenbach spricht als Nächste für

die CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jutta Eckenbach (CDU):
Rede ID: ID1823107500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem

ich einigen Reden heute Morgen hier zugehört habe,
muss ich sagen: Das ist schon sehr polemisch und sehr
spaltend . Natürlich gebe ich den Kollegen Peter Weiß
und Karl Schiewerling recht: Es geht um Wahlen . Man
will hier einfach Wahlveranstaltungen durchführen .

Wir müssen schauen, wie wir mit dem umgehen, was
wir in Deutschland alle gemeinsam hart erarbeiten . Die
Linken haben ihren Rentenantrag bereits im Januar 2017
eingebracht; das wurde schon gesagt . Das geschah er-
staunlicherweise kurz nach Vorlage des Alterssiche-
rungsberichtes, und jetzt reden wir über den Armuts- und
Reichtumsbericht . Das lässt vermuten, dass Ihre Anträge
immer dann eingebracht werden, nachdem zuvor die ent-
sprechenden Berichte vorgelegt worden sind . Aber das
lasse ich einmal außer Acht .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja, weil wir uns auf die Zahlen der Bundesregierung verlassen! Wir wollen seriöse Datengrundlagen verwenden!)


Die Alterssicherung in Deutschland steht nach wie
vor auf drei Säulen – das finde ich ganz wichtig –: ge-
setzliche Rente, betriebliche Altersvorsorge und private
Altersvorsorge . Alle drei Säulen – das ist das Wichtigs-
te überhaupt – sind abhängig von der wirtschaftlichen
Entwicklung . Ohne gute wirtschaftliche Entwicklung ist
eine Alterssicherung nur sehr schwer erreichbar; ohne
sie wird es nicht gehen . In der letzten Legislaturperio-
de haben wir bewiesen, dass wir in der Bundesrepublik
Deutschland auf einem wirtschaftlich verdammt guten
Weg sind . Die Arbeitslosigkeit war noch nie so niedrig
wie im Moment, bezogen auf einen Zeitraum von 25 Jah-
ren – auch das muss man an dieser Stelle sagen –, und das
bewirkt eine gute Konjunktur .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben ein solidarisches Rentensystem im Hin-
blick auf den Generationenvertrag . Es ist deswegen so-
lidarisch, weil es von allen Steuerzahlern mitfinanziert
wird . Diese Solidarität ist auch an den vier Grundlagen
des Sicherungssystems erkennbar: den Beiträgen, dem
Rentenniveau, der Laufzeit von Renten und dem Bun-
deszuschuss .

Ich will es noch einmal sagen: Die Renten werden
auch über Steuern finanziert. Ich glaube, im aktuellen
Haushalt sind 13,1 Milliarden Euro hierfür veranschlagt .
Das nur noch einmal dazu, dass gefordert wurde, wir

Ralf Kapschack






(A) (C)



(B) (D)


müssten hier noch mehr tun . Die Mütterrente hat Kosten
in Höhe von 13,1 Milliarden Euro verursacht . Sie ist also
steuerfinanziert. All das, was ansonsten dazu gesagt wor-
den ist, ist zumindest an dieser Stelle nicht ganz richtig .


(Beifall des Abg . Karl Schiewerling [CDU/ CSU])


Lassen Sie mich auch noch etwas zu dem ausführen,
was hier immer über das Rentenniveau gesagt wird . Ich
habe mir einmal die Mühe gemacht, Folgendes nachzu-
sehen: Im Jahre 2002 gab es bei einem Durchschnitts-
verdienst von 23 341 Euro eine Standardrente in Höhe
von 12 356 Euro bei einem Rentenniveau von 52,9 Pro-
zent vor Steuern . Im Jahre 2016 gab es bei einem Durch-
schnittsverdienst von 30 020 Euro eine Standardrente
in Höhe von 14 367 Euro bei einem Rentenniveau von
47,9 Prozent . – Das heißt, das Rentenniveau ist zwar
eine wichtige Stellschraube, aber nicht die einzige Stell-
schraube, an der wir drehen müssen . Wir dürfen nicht
immer so tun, als ginge es nur um die Höhe des Renten-
niveaus . Zu berücksichtigen ist, dass wir es in Deutsch-
land mit unterschiedlichen wirtschaftlichen Lagen zu tun
haben . Das ist doch die Ausgangslage dafür, wie wir die
Berechnung vornehmen . Worüber wir reden müssen, ist,
dass wir gesetzlich beschlossen haben – ich hoffe, ich
habe es richtig im Kopf –, dass das Rentenniveau bis zum
Jahre 2029 nicht unter 43 Prozent sinkt . Diese Garantie
gilt letztendlich .

Lassen Sie mich noch – so viel Zeit bleibt ja nicht – ei-
nen ganz wichtigen Punkt ansprechen, der meines Erach-
tens in der Diskussion über die Rente heute ein bisschen
zu kurz gekommen ist . Viele Leute interessiert – auf der
Besuchertribüne sitzen jüngere und auch ältere –, wel-
che Rentenleistungen sie mit dem vollendeten 65 ., 66 .
oder, wenn sie 45 Jahre gearbeitet haben, 63 . Lebensjahr
bekommen . Das ist wichtig . Bis 2030 ist das alles gut
abgesichert, mit Nachrüstungen . Wir werden über die
betriebliche Altersvorsorge, die bAV, reden und an eini-
gen Stellschrauben drehen . Aber die Frage ist: Was ist
ab 2030? Wir haben heute 2017 . Ganze Jahrgänge sind
in Schule, in Bildung . In die müssen wir investieren .
Wenn wir jetzt nicht in Bildung investieren, wenn wir
jetzt nicht gut für Bildung in Deutschland sorgen – die
Bundesregierung hat eine Menge getan, um den Ländern
behilflich zu sein, in Bildung zu investieren –, wenn wir
uns nicht um die Jugendlichen kümmern, wenn wir uns
nicht darum kümmern, dass die Jugendlichen übergangs-
los von der Schule auf einen Arbeitsplatz wechseln und
damit den Weg in unsere Leistungsgesellschaft finden
können, dann wird in den nächsten Jahrzehnten kein
Rentensystem, egal wie wir es gestalten, funktionieren .

Es ist unsere Aufgabe, mit darauf zu achten: Wie geht
es der nächsten Generation, die ins Arbeitsleben kommt?
Wie schaffen wir Arbeitsbedingungen, dass Menschen
auch über 45 Jahre hinaus Leistung erbringen können?
Dazu haben wir in dieser Legislaturperiode Gesetze be-
schlossen . Ich erinnere hier an die Rehabilitation . Ich
erinnere aber auch an das Präventionsgesetz . Das ist et-
was wirklich Neues in dieser Legislaturperiode gewesen .
Das haben wir beschlossen, um in den nächsten Jahren
Menschen behilflich zu sein, am Arbeitsplatz bleiben
und Leistung erbringen zu können . Denn eines ist klar:

Es geht nur mit einer guten Leistung, einem guten Ar-
beitsplatz, einer guten Bezahlung; ansonsten wird es kei-
ne auskömmliche Rente geben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aber da sind auch die Tarifpartner mit im Boot . Sie
werden hier überhaupt nicht genannt . Ich denke, die Ta-
rifpartner müssen an der Stelle mit dafür Sorge tragen;
denn das kann doch keine gesetzliche Aufgabe sein . Es
ist nicht meine Auffassung, dass wir gesetzlich in Tarif-
verträge eingreifen sollten .


(Zuruf des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


– Da sind wir unterschiedlicher Meinung . – Wir sollten
eines nicht tun, nämlich als Gesetzgeber dort eingreifen .

Wir sollten den Menschen sagen: Es ist nicht erstre-
benswert, von Sozialhilfe und Grundsicherung zu leben .
Es ist erstrebenswert, sein Leben selbst gestalten zu
können, in einer offenen, in einer freiheitlichen Gesell-
schaft . – Dieses zu ermöglichen, dazu sind wir da, dazu
haben wir in Deutschland auch eine Menge getan .

Ich würde mir sehr wünschen, dass wir das auch in
Nordrhein-Westfalen erreichen könnten, wo am 14 . Mai
die Wahl ansteht . Ich wäre sehr froh darüber, wenn wir
es schaffen würden, auch in Nordrhein-Westfalen etwas
mehr für die Bildung zu tun, etwas mehr dafür zu tun,
dass die Menschen in Arbeit kommen, damit unser Land
auf gute Füße gestellt wird . Ich sage „unser Land“; denn
ich komme aus Nordrhein-Westfalen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Gutes Bundesland!)


Dieses Land hat es verdient, eine neue Regierung zu be-
kommen .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wird gut regiert!)


Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823107600

Abschließende Rednerin zu diesem Tagesordnungs-

punkt ist die Kollegin Dagmar Schmidt für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Dagmar Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823107700

Zum Thema Wahlkampf: Ich kündige an, in meiner

Rede nicht einmal Martin Schulz zu erwähnen .


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das war und
ist noch eine erfolgreiche Legislatur für Rentnerinnen
und Rentner . Mehr fordern, lieber Matthias Birkwald,
geht immer .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Das ist mein Job als Opposition!)


Jutta Eckenbach






(A) (C)



(B) (D)


Aber lassen Sie mich noch einmal kurz bilanzieren, was
wir alles geschafft haben.

Die SPD hat dafür gesorgt, dass es seit langem wieder
bessere Rentenleistungen für die Bürgerinnen und Bür-
ger gibt,


(Beifall bei der SPD)


erstens mit der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitrags-
jahren, vor allem für die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer, die lange gearbeitet und eingezahlt haben, denen
es aber oftmals schwerfällt, bis 65, 66, 67 zu arbeiten .

Zweitens haben wir deutliche Verbesserungen bei der
Erwerbsminderungsrente für diejenigen erreicht, die aus
gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten können .
Nach Einführung der Günstigerprüfung und der Verlän-
gerung der Anrechnungszeiten von 60 auf 62 Jahre im
Rahmen des Rentenpakets 2014 werden wir morgen in
erster Lesung in den Bundestag einbringen, die Anrech-
nungszeiten noch einmal um drei Jahre auf 65 Jahre zu
erweitern . Das ist auch gut und richtig so .

Drittens haben wir mit den flexiblen Übergängen in
den Ruhestand die Voraussetzungen dafür verbessert,
lange gesund im Berufsleben bleiben zu können .

Last, but not least hat die Mütterrente – es ist kein Ge-
heimnis, dass wir sie lieber steuerfinanziert hätten – vie-
len Frauen zu Recht eine bessere Rente verschafft.

Am Ende der Debatte möchte ich zwei Punkte beson-
ders hervorheben, nämlich erstens das, was wir für die
Rente von Frauen gemacht haben, und zweitens, was wir
dafür getan haben, dass Menschen gesund bis zur Rente
arbeiten können .

Das Thema Altersarmut ist angesprochen worden .
59 Prozent derjenigen, die Grundsicherung im Alter
erhalten, sind Frauen . Die Gründe dafür sind uns allen
bekannt: Unterbrechung der Erwerbstätigkeit wegen
Kindererziehung, geringere Löhne und Teilzeitbeschäf-
tigung . Was haben wir gemacht? Wir haben uns gefragt:
Was brauchen die Frauen, um eine bessere Erwerbsbio-
grafie zu bekommen?

Die Antwort lautet: Wir brauchen Ordnung auf dem
Arbeitsmarkt . Da haben wir mit der Einführung des Min-
destlohns einen wichtigen Schritt getan .


(Beifall bei der SPD)


Zwei Drittel derjenigen, die vom Mindestlohn profitie-
ren, sind Frauen . Das IAB hat festgestellt, dass die Ein-
führung des Mindestlohnes dazu geführt hat, dass Mini-
jobs in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse
umgewandelt wurden . Dabei geht es um fast 50 000 Ar-
beitsverhältnisse . Das ist, glaube ich, ein Riesenerfolg .


(Beifall bei der SPD)


Als Zweites nenne ich die Frauenquote in Aufsichts-
räten . Jetzt fragen Sie sich: Was hat das mit Altersarmut
von Frauen zu tun? Die Quote ist aber nicht nur eine Fra-
ge der Gerechtigkeit gegenüber Frauen, sie ist auch der
Anstoß für unternehmerische Veränderungsprozesse . Es
gibt nachweislich dann Veränderungen zum Vorteil für
Frauen in Unternehmen, wenn der Anteil von Frauen

auch in Führungspositionen eine Mindestgröße erreicht
hat . Eine Frau allein macht noch keinen Fortschritt . Des-
wegen gibt es – statt einer Alibiregelung – die Quote .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Mit dem Entgeltgleichheitsgesetz befördern wir die
gleiche Bezahlung von Frauen und Männern durch mehr
Transparenz . Wir hätten gerne das Rückkehrrecht in Voll-
zeit eingeführt . Das müssen wir in der nächsten Legisla-
turperiode mit dem Rückenwind aus Europa nachholen .

Was brauchen Frauen noch für eine gute Erwerbsbio-
grafie? Sie brauchen Unterstützung bei der Vereinbarkeit
von Familie und Beruf . Wir haben als Bund 4,1 Milliar-
den Euro in die Hand genommen, um sie in die Kinderbe-
treuung zu stecken. Wir haben das Pflegeunterstützungs-
geld und das Recht auf Familienpflegezeit eingeführt,
und wir berücksichtigen die Pflegezeit bei der Rente. Des
Weiteren fördern wir zum Beispiel durch das Kindergeld
Plus die Partnerschaftlichkeit .

All das verbessert die Situation von Frauen auf dem
Arbeitsmarkt und damit auch ihre Rente .


(Beifall bei der SPD)


Mit der Mütterrente haben wir erstmalig auch Verbesse-
rungen bei den Bestandsrenten durchgesetzt .

Was haben wir dafür getan, dass Menschen bis zur
Rente gesund arbeiten können? Wir haben mit dem Flexi-
rentengesetz einen Paradigmenwechsel herbeigeführt .
Wir machen uns nicht mehr ausschließlich Gedanken da-
rüber, was passiert, wenn Menschen krank sind und nicht
mehr weiterarbeiten können; das müssen wir auch und
haben es getan . Vor allem aber wollen wir Sorge dafür
tragen, dass Menschen ihre Gesundheit erhalten und ge-
sund das Rentenalter erreichen können . Dafür brauchen
wir mehr Prävention, Gesundheitsschutz und Flexibilität
unseres Sozialsystems .

Wir haben mit dem Präventionsgesetz die Kranken-
kassen verpflichtet, mindestens 2 Euro pro Versicherten
für die betriebliche Gesundheitsförderung auszugeben;
aber wir brauchen noch mehr. Wir brauchen ein flexi-
bles System sozialer Sicherheit, das Schutz gibt, bevor
das Kind in den Brunnen gefallen ist bzw . bevor der Ar-
beitnehmer oder die Arbeitnehmerin krank und arbeitslos
geworden ist . Dieses Prinzip heißt „Prävention vor Reha
vor Rente“ . Dem sind wir nachgekommen:


(Beifall bei der SPD)


Wir haben Prävention und Nachsorge im Rehabudget ge-
stärkt und die Kinder- und Jugendreha deutlich verbes-
sert; denn je früher man sich kümmert, desto besser . Wir
haben mit dem sogenannten Ü-45-Check-up, den wir in
Modellprojekten testen werden, erstmalig eine Verbin-
dung von Gesundheitsschutz und Qualifizierung erreicht.
Damit werden wir neue Wege beschreiten . Wir wollen
ein individuelles Recht auf Gesundheitsschutz, Beratung
und Förderung . Ich glaube, das ist im Sinne der hart ar-
beitenden Menschen in unserem Land .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Karl Schiewerling [CDU/CSU])


Dagmar Schmidt (Wetzlar)







(A) (C)



(B) (D)


Für eine gute, zukunftsfeste und gerechte Rente
braucht es mehr als ein anständiges Rentenniveau . Wir
setzten dafür viele Hebel in Bewegung und drehen das
Rad nach vorn und nicht zurück .

In diesem Sinne: Glück auf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823107800

Damit schließe ich diese Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/10891 und 18/12098 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen . – Dagegen erhebt sich kein Widerspruch . Dann sind
diese Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 42 a bis 42 w
sowie die Zusatzpunkte 1 a bis 1 c auf:

42 . a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Protokolls vom 24. Juni
1998 zu dem Übereinkommen von 1979
über weiträumige grenzüberschreitende
Luftverunreinigung betreffend persisten-
te organische Schadstoffe (POP)


Drucksache 18/11843
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

b) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Einbeziehung von Polymerisati-
onsanlagen in den Anwendungsbereich
des Emissionshandels

Drucksache 18/11844
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Protokolls vom 30. Novem-
ber 1999 (Multikomponenten-Protokoll)

zu dem Übereinkommen von 1979 über
weiträumige grenzüberschreitende Luft-
verunreinigung betreffend die Verringe-
rung von Versauerung, Eutrophierung
und bodennahem Ozon

Drucksache 18/11845
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Protokolls vom 24. Juni
1998 zu dem Übereinkommen von 1979
über weiträumige grenzüberschreitende

Luftverunreinigung betreffend Schwer-
metalle

Drucksache 18/11846
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

e) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Übereinkommen von Minamata
vom 10. Oktober 2013 über Quecksilber

(Minamata-Übereinkommen)


Drucksache 18/11847
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

f) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Abkommen vom 29. Juni 2016
zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und der Republik Armenien zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung und
zur Verhinderung der Steuerverkürzung
auf dem Gebiet der Steuern vom Einkom-
men und vom Vermögen

Drucksache 18/11867
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

g) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Protokoll vom 12. November
2012 zur Unterbindung des unerlaubten
Handels mit Tabakerzeugnissen

Drucksache 18/11868
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

h) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Protokoll vom 14. November
2016 zur Änderung des Abkommens vom
13. Juli 2006 zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und der
mazedonischen Regierung zur Vermei-
dung der Doppelbesteuerung auf dem
Gebiet der Steuern vom Einkommen und
vom Vermögen

Drucksache 18/11869
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

i) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Abkommen vom 21. Novem-
ber 2016 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Panama
zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

Dagmar Schmidt (Wetzlar)







(A) (C)



(B) (D)


auf dem Gebiet der Steuern vom Einkom-
men betreffend den Betrieb von Seeschif-
fen oder Luftfahrzeugen im internationa-
len Verkehr

Drucksache 18/11878
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur

j) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Abkommen vom 12. Janu-
ar 2017 zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Republik Moldau
über Soziale Sicherheit

Drucksache 18/11879
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

k) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Siebten
Gesetzes zur Änderung des Bundeszent-
ralregistergesetzes (7. BZRGÄndG)


Drucksache 18/11933
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss

l) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes

Drucksache 18/11939
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Tourismus

m) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Durchführung der Verordnung

(EU) Nr. 1143/2014 über die Prävention

und das Management der Einbringung
und Ausbreitung invasiver gebietsfrem-
der Arten

Drucksache 18/11942
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

n) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Einführung einer wasserrechtlichen Ge-
nehmigung für Behandlungsanlagen für
Deponiesickerwasser und zur Änderung
der Vorschriften zur Eignungsfeststellung
für Anlagen zum Lagern, Abfüllen oder
Umschlagen wassergefährdender Stoffe

Drucksache 18/11946

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

o) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Chemikaliengesetzes und
zur Änderung weiterer chemikalien-
rechtlicher Vorschriften

Drucksache 18/11949
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

p) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Bundesversorgungsgeset-
zes und anderer Vorschriften

Drucksache 18/12041
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

q) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu der am 15. Oktober 2016 in Kigali
beschlossenen Änderung des Montrealer
Protokolls vom 16. September 1987 über
Stoffe, die zu einem Abbau der Ozon-
schicht führen

Drucksache 18/12048
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

r) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Aufhebung der Gesetze über Bergmanns-
siedlungen

Drucksache 18/12049
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss

s) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung gebührenrechtlicher
Regelungen im Aufenthaltsrecht

Drucksache 18/12050
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

t) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Manuel
Sarrazin, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des
Europäischen Parlaments und des Rates
zur Änderung der Richtlinie 2003/87/

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


EG zwecks Verbesserung der Kostenef-
fizienz von Emissionsminderungsmaß-
nahmen und zur Förderung von Inves-
titionen in CO2-effiziente Technologien
KOM(2015) 337 endg.; Ratsdok. 11065/15

hier: Stellungnahme gegenüber der Bun-
desregierung gemäß Artikel 23 Ab-
satz 3 des Grundgesetzes

Drucksache 18/11744
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

u) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Birgit Menz, Eva Bulling-Schröter, Caren
Lay, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on DIE LINKE

Verbot der Haltung wild lebender Tierar-
ten in Zirkussen

Drucksache 18/12088
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

v) Beratung des Antrags der Abgeordne-
ten Andrej Hunko, Azize Tank, Wolfgang
Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Neustart der Europäischen Union auf der
Grundlage Sozialer Menschenrechte

Drucksache 18/12089
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales

w) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Kathrin Vogler, Pia Zimmermann, Sabine
Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE

Patientinnen und Patienten entlasten –
Zuzahlungen bei Arzneimitteln abschaffen

Drucksache 18/12090
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

ZP 1 a) Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung futtermittel-
rechtlicher und tierschutzrechtlicher Vor-
schriften

Drucksache 18/12085
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Harald Petzold (Havelland), Stefan Liebich,
Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Verfolgung von Lesben, Schwulen, Bise-
xuellen, Transpersonen und Intersexuellen

(LGBTI) in Tschetschenien entgegentreten


Drucksache 18/12091
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

c) Beratung des Antrags der Abgeordne-
ten Dr . Julia Verlinden, Oliver Krischer,
Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Klimaschutz stärken – Energiesparen ver-
bindlich machen

Drucksache 18/12095
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

Dabei handelt es sich um Überweisungen im ver-
einfachten Verfahren ohne Debatte und ohne eine ab-
schließende Beschlussfassung .

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . Sind Sie mit diesem Verfahren einverstan-
den? – Das ist der Fall . Dann sind alle diese Überweisun-
gen so beschlossen .

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 43 a bis 43 c,
43 e und 43 f sowie 43 h bis 43 j auf . Dabei handelt es
sich um Beschlussfassungen zu Vorlagen, zu denen kei-
ne Aussprache vorgesehen ist . Es sind aber Tagesord-
nungspunkte, bei denen entschieden wird . Deshalb wer-
de ich auch, um keinerlei Zweifel, um was es dabei geht,
entstehen zu lassen, jeweils in einigen kurzen Sätzen
sagen, worum es bei den entsprechenden Themen geht .

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 a:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom
29. Juni 2016 über die Vorrechte und Immuni-
täten des Einheitlichen Patentgerichts

Drucksachen 18/11238 (neu), 18/11746,
18/11822 Nr. 12

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/12147

Das Einheitliche Patentgericht ist eine neue internati-
onale Organisation mit Völkerrechtspersönlichkeit . Dem
Patentgericht und seinen Mitarbeiterinnen und Mitar-

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


beitern sollen durch das genannte Protokoll im üblichen
Rahmen Vorrechte und Befreiungen eingeräumt werden .

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksa-
che 18/12147, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/11238 (neu) und 18/11746 an-
zunehmen .

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung . Eine dritte Lesung brauchen
wir in diesem Verfahren nicht zu machen . Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu
erheben . – Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit einstim-
mig angenommen .

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 b:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung
der personellen Struktur beim Bundeseisen-
bahnvermögen und in den Postnachfolgeun-
ternehmen sowie zur Änderung weiterer Vor-
schriften des Postdienstrechts

Drucksache 18/11559

Beschlussempfehlung und Bericht des Haus-
haltsausschusses (8 . Ausschuss)


Drucksache 18/12134

Mit diesem Änderungsgesetz wird die bislang beste-
hende Möglichkeit für die bei den Postnachfolgeunter-
nehmen im Personalüberhang beschäftigten Beamtinnen
und Beamten, ab dem vollendeten 55 . Lebensjahr versor-
gungsabschlagsfrei in den Ruhestand zu treten, in einer
modifizierten Weise fortgeführt. Die neue Regelung sieht
als weitere Voraussetzung die Bereitschaft vor, im Rah-
men eines engagierten Ruhestandes für mindestens zwölf
Monate Bundesfreiwilligendienst oder eine vergleichba-
re Tätigkeit zu leisten . Der Gesetzentwurf enthält darü-
ber hinaus noch administrative und redaktionelle Anpas-
sungen des Postpersonalrechtsgesetzes .

Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf der Drucksache 18/12134, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf der Drucksa-
che 18/11559 anzunehmen . Ich bitte jetzt diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom-
men mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD sowie
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke .

Wir kommen jetzt zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist
der Gesetzentwurf angenommen mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke .

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 c:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Neufassung der Regelungen über
Funkanlagen und zur Änderung des Telekom-
munikationsgesetzes sowie zur Aufhebung des
Gesetzes über Funkanlagen und Telekommu-
nikationsendeinrichtungen

Drucksache 18/11625

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss)


Drucksache 18/12139

Der Gesetzentwurf dient der Umsetzung der Richtli-
nie 2014/53/EU des Europäischen Parlaments und des
Rates über die Harmonisierung der Rechtsvorschriften
der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung von Funkan-
lagen auf dem Markt der Europäischen Union .

Der Ausschuss für Wirtschaft und Energie empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12139,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/11625 in der Ausschussfassung anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung angenom-
men mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Ge-
setzentwurf angenommen mit den Stimmen von CDU/
CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Lin-
ke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 e:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Sicherheitsüber-
prüfungsgesetzes

Drucksachen 18/11281, 18/11407

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksachen 18/12081, 18/12126

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf den Drucksachen 18/12081 und 18/12126,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Druck-
sachen 18/11281 und 18/11407 in der Ausschussfassung
anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bünd-
nis 90/Die Grünen .

Wir kommen jetzt zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen gibt es keine . Der
Gesetzentwurf ist damit angenommen mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktio-
nen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen .

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 f:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Jutta
Krellmann, Klaus Ernst, Sabine Zimmermann

(Zwickau), weiterer Abgeordneter und der

Fraktion DIE LINKE

Keine Befristung von Arbeitsverträgen
ohne Sachgrund

– zu dem Antrag der Abgeordneten Beate
Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Brigitte
Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kein Sachgrund – Keine Befristung

Drucksachen 18/11598, 18/11608, 18/11802

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/11598
mit dem Titel „Keine Befristung von Arbeitsverträgen
ohne Sachgrund“ . Wer für diese Beschlussempfehlung
des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist damit mit den Stimmen von
CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen
angenommen .

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11608
mit dem Titel „Kein Sachgrund – Keine Befristung“ . Wer
für die Beschlussempfehlung des Ausschusses stimmt,
den bitte ich um ein Handzeichen . – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen gibt es keine . Die Beschlussemp-
fehlung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen
sowie der Fraktion Die Linke angenommen .

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 h:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD

Pharmazeutische Forschung gegen Infektions-
krankheiten stärken – Nationale Wirkstoff-
offensive starten

Drucksachen 18/10972, 18/12075

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf der Drucksache 18/12075, den Antrag der
Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf der Drucksa-
che 18/10972 anzunehmen . Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung des Ausschusses? – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung
ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD ge-
gen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung
von Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 i:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD

MINT-Bildung als Grundlage für den Wirt-
schaftsstandort Deutschland und für die
Teilhabe an unserer von Wissenschaft und
Technik geprägten Welt

– zu dem Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu,
Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Für ein gerechtes und innovatives Deutsch-
land 2030 – Als Konsequenz aus den Ergeb-
nissen von PISA 2015 eine Bildungsoffensi-
ve starten

Drucksachen 18/11164, 18/11179, 18/12063

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Annahme des Antrags der
Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf der Drucksa-
che 18/11164 mit dem Titel „MINT-Bildung als Grund-
lage für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für
die Teilhabe an unserer von Wissenschaft und Technik
geprägten Welt“ . Wer für diese Beschlussempfehlung
stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und von Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen .

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung
empfiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksa-
che 18/11179 mit dem Titel „Für ein gerechtes und in-
novatives Deutschland 2030 – Als Konsequenz aus den
Ergebnissen von PISA 2015 eine Bildungsoffensive star-
ten“ . Wer für die Beschlussempfehlung des Ausschusses
stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen . – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Ent-
haltung der Fraktion Die Linke angenommen .

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 43 j:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung und Land-
wirtschaft (10 . Ausschuss) zu dem Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD

Gartenbau sowie Garten- und Landschafts-
bau als innovativen Wirtschaftszweig stärken
und zukunftsfest machen

Drucksachen 18/10018, 18/12150

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf der Drucksache 18/12150, den Antrag der
Fraktionen von CDU/CSU und SPD auf der Drucksa-
che 18/10018 anzunehmen . Wer für die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses stimmt, den bitte ich um ein
Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Die Beschlussempfehlung ist damit angenommen
mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD bei Enthal-
tung von Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die
Linke .

Ich rufe jetzt Zusatzpunkt 2 auf:

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Haltung der Bundesregierung zu verschärften
Abgastests in Europa

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Oliver Krischer für Bünd-
nis 90/Die Grünen .


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823107900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor

eineinhalb Jahren erreichte mit den Ermittlungen der
US-amerikanischen Umweltbehörde EPA einer der größ-
ten Industrieskandale das Licht der Öffentlichkeit. Heu-
te, eineinhalb Jahre später, müssen wir leider feststellen,
dass die Bundesregierung nahezu jede ernsthafte Konse-
quenz aus diesem Skandal verweigert .

Mehr noch: Im Untersuchungsausschuss hat die Bun-
deskanzlerin zu diesem Skandal von „Vorkommnissen“
und „Verfehlungen Einzelner“ gesprochen . Ich sage:
Diese Äußerungen sind ein Hohn für die Tausenden
Menschen, die wegen der Stickoxidemissionen in unse-
rem Land jedes Jahr vorzeitig sterben, und für Millionen
betrogener Autofahrer . Die Worte der Bundeskanzlerin
haben, ehrlich gesagt, das Potenzial für die Verharmlo-
sung des Jahres .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich bin froh, dass wenigstens die EU-Kommission ei-
nige Vorschläge – wir würden uns noch sehr viel mehr
wünschen – macht, um Konsequenzen zu ziehen, um
Verbesserungen zu erreichen und um solche Skandale in
Zukunft zu verhindern . Es passt ins Bild, dass die deut-
sche Bundesregierung in Person von Verkehrsminister
Alexander Dobrindt die Umsetzung dieser Vorschläge in
Brüssel boykottiert, sabotiert und verhindern will . Auch

das zeigt: Man will keine Konsequenzen aus dem Skan-
dal ziehen, meine Damen und Herren .


(Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Quatsch, Herr Krischer! Quatsch!)


Ich sage in aller Deutlichkeit: Der Vorschlag der
EU-Kommission, die nationalen Zulassungsbehörden
zu überwachen, ist notwendig und richtig . Wir haben
in Deutschland erlebt, wie das Kraftfahrt-Bundesamt
mit seinem Chef, Herrn Zinke, der Herrn Dobrindt un-
tersteht, den Skandal ignoriert und keine Konsequenzen
gezogen hat . Der eigentliche Skandal ist, dass Herr Zinke
immer noch im Amt ist, wo er uns doch im Ausschuss
erklärt hat, es sei überhaupt nicht seine Aufgabe, nach-
zuweisen, wie viel Emissionen Fahrzeuge auf der Straße
haben . Wenn solche Menschen im Amt bleiben und vom
Verkehrsminister gestützt werden, wenn weiter vertuscht
wird, dann bedeutet das, dass die notwendigen Konse-
quenzen nicht gezogen werden . Das zeigt nur, wie rich-
tig die europäische Überwachung der nationalen Zulas-
sungsbehörden ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das Schärfste ist aber, dass die Bundesregierung auch
stärkere Sanktionen und Strafen gegen die Trickser und
Betrüger in der Automobilindustrie ablehnt . Wenn ir-
gendwo in Deutschland ein Ladendieb erwischt wird,
dann ist sofort ein Unionsabgeordneter zur Stelle, der
schärfere Strafen fordert . Aber wenn es um die Trick-
ser und Betrüger in der Automobilindustrie geht, wenn
es um diejenigen geht, die die Verantwortung für diesen
Skandal tragen, wollen Sie Strafen sogar verhindern . Sie
unternehmen schon heute nichts, und Sie sorgen dafür,
dass nicht einmal die Europäische Union die Grundlage
für Strafen und Sanktionen schaffen kann. Das finde ich,
ehrlich gesagt, skandalös .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde es genauso skandalös und da passt ins Bild,
dass Herr Dobrindt seit inzwischen eineinhalb Jahren
CO2-Messungen, die das Kraftfahrt-Bundesamt durch-
geführt hat und die ganz offensichtlich nicht den Regeln
entsprechen, der Öffentlichkeit vorenthält. Hier soll im
Sinne der Konzerne vertuscht und verschwiegen werden .
Herr Dobrindt, Sie sind der Schutzpatron der Trickser
und Betrüger . Das möchte ich hier in aller Klarheit sagen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Sabine Leidig [DIE LINKE] – Widerspruch bei der CDU/CSU – Zurufe von der CDU/CSU: Schäbig!)


Meine Damen und Herren, mit dieser Aussage stehe
ich nicht alleine . Ich zitiere wörtlich aus Onlinemedien
von vorgestern . Da heißt es:

Es ist bis jetzt nichts für eine tiefgreifende Verbesse-
rung getan worden .

Das hat nicht die Deutsche Umwelthilfe gesagt, das hat
nicht Greenpeace gesagt, das hat niemand von der Oppo-

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


sition gesagt, sondern das hat die sogenannte Umweltmi-
nisterin, Frau Hendricks, gesagt .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Ich sage: An dieser Stelle hat Frau Hendricks absolut
recht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Es ist nichts getan worden, es sind keine Konsequenzen
gezogen worden .

Dass Sie, Frau Hendricks, im Untersuchungsaus-
schuss vor nicht allzu langer Zeit das exakte Gegenteil
erzählt haben und gegenüber Herrn Dobrindt eine regel-
rechte Schleimspur gezogen haben, müssen Sie mit sich
selber ausmachen;


(Ulli Nissen [SPD]: Unfug!)


das ist mir egal . Aber Sie müssen sich schon die Frage
gefallen lassen, warum eine Umweltministerin in an-
derthalb Jahren keinen einzigen Millimeter durchsetzt
beim Thema Abgasskandal . Dafür gibt es nur eine Er-
klärung, meine Damen und Herren: Die Wirkungen Ihrer
Forderungen sind geringer, als wenn irgendwo ein Sack
Kartoffeln umfällt. Meine Damen und Herren, Sie for-
dern jede Woche etwas Neues, doch es endet immer im
Nichts . So wird es auch jetzt wieder sein . Am Ende wird
sich Herr Dobrindt durchsetzen . Das ist das Problem die-
ser Bundesregierung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen: Es kann nicht sein, dass dieser Ab-
gasskandal am Ende bei den Städten und Kommunen
abgeladen wird und bei den Autofahrern, die Autos ge-
kauft haben im guten Glauben, dass ihre Fahrzeuge die
Grenzwerte einhalten . Wir brauchen Programme zur
Umrüstung . Da muss die Bundesregierung tätig werden .
Es kann doch nicht sein, dass weiter jeden Tag Tausende
nagelneue Euro-6-Fahrzeuge auf unsere Straßen kom-
men, die ebenfalls die Grenzen um das Fünf-, Sechs-,
Sieben- oder Zehnfache überschreiten . Ich erwarte von
einer Bundesregierung, dass sie endlich dafür sorgt, dass
Grenzwerte Grenzwerte sind und eingehalten werden,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herrschaft des Rechts!)


dass es Sanktionen gibt, dass es Konsequenzen gibt, dass
die betroffenen Fahrzeuge entweder umgerüstet oder die
Besitzer entschädigt werden .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823108000

Kollege Krischer, darf ich Sie an die Redezeit erin-

nern?


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823108100

Das wäre notwendig . Das müssen wir endlich machen .

Ich danke Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823108200

Für die Bundesregierung hat jetzt das Wort Bundesmi-

nister Alexander Dobrindt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr
Krischer, 2,5 Millionen VW-Fahrzeuge befinden sich
gerade im verpflichtenden Rückruf, 680 000 Fahrzeuge
anderer Hersteller in Deutschland stehen im Rahmen der
Serviceaktion zur Umrüstung an .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Emissionsreduktion! Das ist gar nichts! Das ist Betrug am Verbraucher, was Sie da machen!)


Und Sie reden hier davon, dass nichts getan wird . Das ist
pure Heuchelei, weil Sie nicht wissen, wie man mit der
ganzen Affäre umgeht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie haben keinen Plan, was notwendig ist, weil Sie dafür
vernünftig in Richtung Brüssel blicken müssten .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sagt denn Ihre Umweltministerin dazu? Wieso redet die denn nicht?)


Ich habe bereits im letzten Jahr vor dem Untersu-
chungsausschuss des Europäischen Parlaments klarge-
stellt, was notwendig ist, damit wir in Zukunft in der Tat
mehr Kontrolle und bessere Prüfungen haben, damit sol-
che Manipulationen, wie wir sie erlebt haben, vermieden
werden .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn?)


Erster und bedeutendster Punkt dabei ist, dass wir
natürlich das Recht verändern . Heute steht aufgrund der
europäischen Richtlinie ein Scheunentor offen. In dieser
Situation ist man für Manipulationen anfällig .


(Ulli Nissen [SPD]: Richtig!)


Wir haben heute eine Richtlinie, die auf der einen Seite
besagt, dass Abschalteinrichtungen verboten sind, und
auf der anderen Seite besagt, dass es eine ganze Vielzahl
von Ausnahmen gibt, die sich die Hersteller zunutze ma-
chen können .


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Die erfinden „Thermofenster“!)


„Motorschutz“ ist an dieser Stelle das Schlüsselwort, auf
das sich nach europäischem Recht jeder berufen kann,

Oliver Krischer






(A) (C)



(B) (D)


um am Schluss in die Motorsteuerung einzugreifen,
wenn es um die Emissionsstrategien geht .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie könnten das alles unterbinden, wenn Sie wollten! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen Sie denn, Herr Dobrindt? Nichts machen Sie!)


Das ist natürlich falsch . Das muss verändert werden .
Ansonsten bekommen wir diese manipulationsanfällige
Regelung nicht in den Griff.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen habe ich bereits im letzten Jahr gegenüber
der Europäischen Kommission, im Untersuchungsaus-
schuss und übrigens auch am 7 . Juni 2016 im Verkehrs-
ministerrat gesagt: Wir haben nur eine Möglichkeit durch
Veränderung des europäischen Rechts . Wir müssen dafür
sorgen, dass sich Hersteller, dass sich Ingenieure nicht
mehr darauf berufen können, dass ihr Motor nicht leis-
tungsfähig genug sei, um auf Dauer eine ordentliche Ab-
gasstrategie zu verfolgen . – Ich kann dies sehr plakativ
formulieren: Heute ist nach europäischem Recht mög-
lich, dass der schlechteste Ingenieur, dass der schlech-
teste Motor, dass die unausgereiftesten und unterdimen-
sioniertesten Motoren für sich die meisten Ausnahmen in
Anspruch nehmen und dann die meisten Schadstoffe aus-
stoßen . Das ist grundfalsch und muss geändert werden .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das segnen Sie ab! Das hat mit europäischem Recht überhaupt nichts zu tun!)


Im Gesetz müssen der Stand der Technik und die mo-
dernsten Technologien vorgeschrieben sein . Dann ver-
meiden wir in Zukunft solche Manipulationen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist billigstes EU-Bashing! Die Verantwortung auf die EU schieben! – Gegenruf der Abg . Kirsten Lühmann [SPD]: Die EU sind wir!)


Mit dieser Sachfrage wollen Sie sich nicht auseinan-
dersetzen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum blockieren Sie die Vorschläge der EU?)


Dabei geht es überhaupt nicht um EU-Bashing – das
ist der Vorwurf, den Sie machen, anstatt sich mit der Sa-
che auseinanderzusetzen –, sondern geht es darum, dass
das, was vor vielen Jahren festgelegt wurde, überholt
ist . Die Richtlinie ist von 2007 . Das heißt, 2004 wurde
begonnen, darüber zu diskutieren . Damals hat man über
Motorengenerationen geredet, bei denen gar nicht vor-
stellbar war, was durch Digitalisierung, was durch Tech-
nisierung an Eingriffen möglich sein wird. Dass diese
Richtlinie natürlich irgendwann verändert werden muss,
dass das Recht natürlich den technischen Möglichkeiten
folgen muss – das, was jetzt möglich ist, muss sich in
der rechtlichen Konstruktion wiederfinden –, ist doch ge-
radezu logisch . Das ist kein Vorwurf an diejenigen, die

damals dieses Recht geschaffen haben. Aber das ist ein
Vorwurf an diejenigen, die sich heute verweigern, dieses
Recht zu ändern . Es ist in unserem Interesse, das Recht
zu ändern .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum blockieren Sie dann die Vorschläge auf EU-Ebene?)


Übrigens ist die EU-Kommission an der Stelle gar
nicht so unwillig, unseren Vorschlägen zu folgen . Sie hat
am 26 . Januar dieses Jahres Leitlinien herausgegeben,
wie man die europäische Verordnung 715/2007 zu inter-
pretieren hat . Interessanterweise schreibt sie genau das in
die Leitlinien, was wir an Rechtsänderungen einfordern:
Wenn es andere Technologien gibt, die am Markt ver-
fügbar sind, wenn es moderne Technologien gibt, die das
Risiko beseitigen, dass der Motor einen Schaden nimmt,
dann sollten sie, soweit technisch möglich, verwendet
werden . – Das schreibt jetzt die Kommission in ihren
Leitlinien . Das ist ein Weg in die richtige Richtung . Das
ist ein Zugehen auf unsere Forderungen . Das Problem ist
nur: Diese Leitlinien sind für die Mitgliedstaaten nicht
rechtlich verpflichtend.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann wenden Sie sie doch an!)


Wir gehen viel weiter, als es die Kommission vorschlägt .
Wir wollen, dass es rechtlich verpflichtend wird, die mo-
dernsten Technologien einzusetzen . Das muss jetzt in
Brüssel entschieden werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum wenden Sie sie nicht an?)


Des Weiteren ist auch der Vorwurf von Ihnen, wir wür-
den uns dem entziehen wollen, dass es mehr Kompeten-
zen auf europäischer Ebene gibt, vollkommen falsch . Wir
haben bereits im letzten Jahr gegenüber der Kommissi-
on, im Rat am 7 . Juni und im Untersuchungsausschuss
in Brüssel wie auch im Untersuchungsausschuss hier im
Bundestag klargemacht, dass wir eine Clearingstelle in
Europa brauchen . Wir haben aktuell die Situation, dass
die Zulassungsbehörden der Länder und vielleicht auch
die Länder zu einer unterschiedlichen Bewertung darü-
ber kommen, was im Rahmen des geltenden Gesetzes an
Abgasstrategie zulässig ist oder nicht .

Genau solche Diskussionen gibt es aktuell auch zwi-
schen den Zulassungsbehörden in Deutschland und
Italien und übrigens auch zwischen den Ministerien in
Deutschland und Italien hinsichtlich des Falles Fiat .
Wenn man zu unterschiedlichen Bewertungen kommt,
braucht man logischerweise einen Schiedsrichter, der
in der Lage ist, erstens selber zu prüfen, zweitens auch
fachlich zu bewerten und drittens zu einer Entscheidung
zu kommen, wer recht hat . Sind es die einen, die sagen:
„Ja, da ist wahrscheinlich etwas, was sich außerhalb des
Rechts bewegt“, oder haben die anderen recht, die sagen:
„Nein, es ist alles in Ordnung“? Solch eine Entschei-
dungsstelle, eine Clearingstelle wird von uns gefordert .
Sie muss in Brüsseler Kompetenz liegen . Wir wollen

Bundesminister Alexander Dobrindt






(A) (C)



(B) (D)


nicht, dass die Brüsseler nur moderieren und sagen: Wir
wissen auch nicht, ob die Deutschen oder die Italiener
recht haben . – Sie müssen zum Schluss entscheiden, wer
recht hat, ob hier Manipulation stattfindet oder nicht.
Auch das ist unsere Forderung ans europäische Recht .

Es ist unser Auftrag, dafür zu sorgen, dass diese Kom-
petenz in Europa geschaffen wird. Aber die Europäer
müssen sie auch wollen . Leider ist diese Clearingstelle
in dem, was bisher aus Europa gekommen ist, so nicht
vorgesehen . Wir fordern sie aber von Brüssel ein .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Europa ist also wieder schuld, ja? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein einziges Europa-Bashing, was Sie hier machen! An allem ist wieder Europa schuld!)


– Ich weiß nicht, warum Sie nicht bereit sind, sich mit
diesen wichtigen Sachfragen auseinanderzusetzen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind Sie nicht!)


Wenn wir nicht wollen, dass es zu einem späteren
Zeitpunkt wieder zu ähnlichen Debatten kommt, dann
werden wir die Gesetze ändern müssen . Wenn wir nicht
wollen, dass zu einem späteren Zeitpunkt die Frage ge-
stellt wird: „Wieso konnte man das wieder nicht verhin-
dern?“, dann müssen wir jetzt an das europäische Recht
heran . Die Prüfmechanismen haben wir verbessert . Wir
wenden in Zukunft die RDE-Verfahren, die realistische-
ren Prüfverfahren, an . „Real Driving Emission“ heißt,
wir nehmen die Messungen auf der Straße vor – wir
gehen also weg von der Rolle – und passen sie stärker
an das Fahrverhalten der Bürger an . Das ist schon ent-
schieden und wird in diesem Jahr, übrigens auf Druck der
Bundesregierung, umgesetzt .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trotz der Bundesregierung!)


Wir erwarten davon natürlich, dass deutlich realistische-
re Ergebnisse erkennbar werden .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch ein Witz!)


Wir haben auch Dopingtests eingeführt


(Lachen des Abg . Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


und fordern, dass dies in ganz Europa geschieht . Fahr-
zeuge müssen auch während ihrer Lebenszykluszeit
daraufhin überprüft werden, ob sie noch den Regeln
entsprechen . Dafür haben wir portable Messgeräte an-
geschafft, und wir schaffen beim KBA eigene Test- und
Prüfanlagen an .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was ist ein Dopingtest, Herr Dobrindt? „Dopingtest“ oder „Dobrindt-Test“?)


Außerdem gehen wir – das ist eine Beratungsleis-
tung, die mit vom Verkehrsausschuss erbracht worden

ist – bei den Abgasuntersuchungen wieder auf Endrohr-
messungen über . Denn es geht nicht nur um werkssei-
tige Manipulationen, sondern auch darum, dass es im
Laufe des Lebenszyklus eines Fahrzeugs natürlich auch
zu Veränderungen kommen kann, die nicht dem Recht
entsprechen . Das können wir bei den Abgasuntersuchun-
gen zukünftig durch Endrohrmessungen überprüfen und
feststellen und es gegebenenfalls auch ahnden .

Das ist ein Teil der Maßnahmen, die wir ergriffen ha-
ben, um dafür zu sorgen, dass solche Manipulationen zu-
künftig nicht mehr möglich sind . Jetzt ist die Aufgabe,
daran zu arbeiten, dass in Europa die Weichen richtig
gestellt werden, damit wir solche Manipulationen in Zu-
kunft verhindern können .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann stellen Sie denn mal eine Weiche? Eine Weiche wenigstens!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823108300

Nächster Redner ist der Kollege Herbert Behrens für

die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823108400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Herr Dobrindt, es geht nicht um Regelungen
in der Zukunft, und es geht auch nicht darum, was in Eu-
ropa entschieden wird und manchmal nicht entschieden
worden ist .


(Alexander Dobrindt, Bundesminister: Natürlich geht es darum!)


Es geht auch darum, dass denjenigen, die unter den Ab-
gasemissionen leiden – das sind Allergiker, schwache
und alte Menschen –, bereits heute die zugesicherten und
real existierenden Grenzwerte zugebilligt werden . Sie
wollen geschützt werden, und zwar dadurch, dass aktu-
elle Grenzwerte tatsächlich eingehalten werden und sie
sich nicht als völlig fehlerhaft darstellen .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Menschen haben sich darauf verlassen, dass Eu-
ro-6-Fahrzeuge saubere Fahrzeuge sind . Da sie die neu-
este Technologie enthalten, musste man davon ausgehen,
dass sie die Grenzwerte einhalten . Es geht schließlich
darum, dass die Menschen vor den lebensgefährlichen
Stickoxiden, die die alten Dreckschleudern ausgestoßen
haben, geschützt werden wollen und sollen . Es geht auch
darum, dass es eine vernünftige und wirksame Durchset-
zung der Gesetze gibt, die zwar der Gesetze, die heute
bestehen, und nicht der, die morgen erst verabschiedet
werden müssen .

Mit einem Mal bekommt der Begriff „Euro 6“ eine
ganz andere Bedeutung . Die UBA-Studie stellt fest, dass
Euro-6-Fahrzeuge mit neuester Technologie – seit dem

Bundesminister Alexander Dobrindt






(A) (C)



(B) (D)


Jahr 2014 gültig – offenbar sechsmal mehr Schadstoffe
ausstoßen, als sie ausstoßen dürfen .


(Kirsten Lühmann [SPD]: „Sollten“!)


Die Motoren verfügen über die neuesten Bauarten,


(Kirsten Lühmann [SPD]: Leider ist es legal, was da passiert!)


aber die Fahrzeuge stoßen sechsmal mehr aus, als die
Automobilkonzerne bei der Typgenehmigung angegeben
haben . Das ist nicht nur eine grobe Missachtung gelten-
der Vorschriften, und das ist keine Ordnungswidrigkeit
mehr; vielmehr kommt das einem Abgasbetrug gleich .


(Beifall bei der LINKEN)


Betrogen werden die Behörden, die für die Zulas-
sung der Motoren zuständig sind . Betrogen werden die
Bürgerinnen und Bürger, die erwarten können, dass ihre
Gesundheit geschützt wird; das hat einen wichtigen Stel-
lenwert für uns . Betrogen werden die Autofahrerinnen
und Autofahrer, die ein vermeintlich sauberes Auto fah-
ren wollen, wenn sie denn auf ein Auto angewiesen sind .
Auf dieses Handeln der Automobilkonzerne muss doch
sofort reagiert werden, und zwar nicht, indem man darauf
hinweist, was morgen in Europa geregelt werden muss .
Es muss Tacheles geredet werden . Ein Ende muss her bei
diesen Betrügereien .


(Beifall bei der LINKEN)


Doch was unternehmen Sie, Herr Dobrindt, als verant-
wortlicher Verkehrsminister? Wieder einmal antworten
Sie – ich bleibe dabei – mit Nichtstun . Beim Nichtstun
sind Sie, Herr Dobrindt, eindeutig ein Wiederholungstä-
ter .


(Alexander Dobrindt, Bundesminister: Das ist falsch!)


Wenn Sie, Herr Dobrindt, angesichts dieser Untersu-
chungsergebnisse des UBA nicht sofort und angemessen
scharf reagieren, dann gefährden Sie nicht nur die Ge-
sundheit der Menschen, Sie zerstören auch das Vertrauen
der Verbraucherinnen und Verbraucher in die Werte, die
ihnen immer vorgetragen werden . Sie gefährden damit
auch Arbeitsplätze von Zehntausenden von Kolleginnen
und Kollegen in der Automobilindustrie . Beenden Sie Ihr
Nichtstun! Handeln Sie jetzt!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was ist zu tun? Die Automobilkonzerne müssen klar
und deutlich nachweisen, ob sie die Abgaswerte, die sie
angegeben haben, bei der Motorenprüfung einhalten
können . Können sie das nicht nachweisen, dann sind die-
se Motoren unter Umständen aus dem Verkehr zu ziehen,
dann darf es sie nicht geben .


(Beifall bei der LINKEN)


Nach Nachrüstungen sind Messungen zu machen, und
diese sind zu kontrollieren . Die Ergebnisse der Nach-
messungen müssen offengelegt werden und dürfen nicht
weiterhin verheimlicht werden, wie wir auf unsere Nach-
fragen in der Fragestunde gestern gehört haben .

Abgasbetrüger unter den Automobilkonzernen müs-
sen Strafen zahlen, weil sie sich nicht an geltendes Recht
halten . Das ist nicht nur nötig, sondern auch möglich .
Auf europäischer Ebene ist verabredet, dass Sanktionen
gegenüber den Herstellern verhängt werden können und
müssen, die „wirksam, verhältnismäßig und abschre-
ckend“ sind . So steht es geschrieben .


(Beifall bei der LINKEN)


Nicht zuletzt müssen Verbraucherinnen und Verbrau-
cher, die durch diesen Betrug einen wirtschaftlichen
Schaden erleiden, Anspruch auf Entschädigung haben .

Das alles muss, wie schon gesagt, sofort passieren,
weil wir die Gesundheit der Menschen schützen wollen,
weil wir den Beschäftigten der Automobilindustrie Si-
cherheit geben wollen . Sie wollen wissen, wohin die Rei-
se in Sachen Antriebstechnologie geht . Wir müssen uns
als Gesetzgeber ernst nehmen und dürfen uns nicht zum
Büttel der Konzerne machen, die uns bei der Angabe von
Grenzwerten offenbar an der Nase herumführen. Jeder
Bürger und jede Bürgerin muss sich an geltendes Recht
halten . Das gilt genauso für die wirtschaftlich Mächtigen
in unserem Land .


(Beifall bei der LINKEN – Kirsten Lühmann [SPD]: Die halten sich aber an geltendes Recht! Das ist das Problem!)


Die Verkehrsminister der Länder beraten zurzeit
in Hamburg darüber, wie die Gesundheitsgefährdung
durch einen niedrigeren Ausstoß von Stickoxiden und
Feinstaub verringert werden kann . Sie behandeln auch
die UBA-Studie . Das sind die Themen, die auf den Tisch
gehören, die jetzt einer Lösung zugeführt werden müs-
sen. Die Schadstoffausstöße müssen real gesenkt werden.
Es darf nicht immer auf das Recht verwiesen werden, das
so etwas vermeintlich nicht möglich macht . Wir sind der
Meinung, diese rechtlichen Grundlagen sind vorhanden;
denn die Motoren sind nach Euro 6 genehmigt, die diese
Grenzwerte reißen . Von daher sind wir gehalten, sofort
zu handeln . Ich fordere die SPD auf, in dieser Frage zu-
mindest selber ihre Umweltministerin ernst zu nehmen .
Fordern Sie Frau Hendricks auf, dem untätigen Verkehrs-
minister auf die Füße zu steigen,


(Ulli Nissen [SPD]: Wir sind nicht gewalttätig!)


damit es zu einem Ende beim Abgasbetrug kommt und
es keine Fortsetzung des Abgasbetruges in weiteren Län-
dern gibt .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823108500

Der Kollege Arno Klare spricht jetzt für die SPD-Frak-

tion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herbert Behrens






(A) (C)



(B) (D)



Arno Klare (SPD):
Rede ID: ID1823108600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In gefühlt un-
gefähr zehn Aktuellen Stunden – ich sage es etwas sa-
lopp – seit dem 15 . September 2015, seit der Skandal bei
VW in den Zeitungen stand, habe ich von diesem Pult aus
Forderungen erhoben, was gemacht werden müsse . Jetzt
möchte ich das Soll, das ich damals aufgestellt habe, mit
dem Ist heute vergleichen .

Erstens . Wir haben immer gefordert, dass wir realis-
tische Testverfahren brauchen . Wir werden irgendwann
heute in der Nacht einen Stichtag beschließen – wahr-
scheinlich werden die Reden zu Protokoll gegeben –, ab
dem der neue Testzyklus WLTP steuerrechtlich relevant
wird . Das ist hinsichtlich der Änderung des Kraftfahr-
zeugsteuergesetzes ein sehr lapidarer Vorgang, aber was
dieses Prüfverfahren angeht, ist es natürlich ein Meilen-
stein . Das muss man einfach sehen .

Wir sagen jetzt: WLTP gilt . Damit haben die Verbrau-
cher deutlich realistischere Verbrauchswerte . Diese For-
derung haben wir immer erhoben .

Zweitens wurde etwas erledigt – das, was ich jetzt
sage, ist sehr technisch –, das ich immer wieder kritisiert
habe . Die Ermittlung der Ausrollwerte, nach denen die
Versuchsstände, auf denen der WLTP läuft, kalibriert
werden, ist endlich normiert und reguliert . Wer in diese
WLTP-Gesetzgebung schaut, wird feststellen, dass sogar
das Gewicht des Fahrers normiert ist . Hier gab es vorher
Tricks . Man hat irgendwelche Fugen abgeklebt, über-
schwere Räder verwendet etc ., um die Ausrollwerte zu
verbessern . Das alles geht nicht mehr . Das ist jetzt auch
mit erledigt .


(Beifall bei der SPD)


Der dritte Punkt, den ich immer wieder gefordert habe,
war: Wir brauchen RDE, wir brauchen Tests, die wirklich
live laufen . Auch das ist jetzt – das gehört übrigens mit
dem WLTP zusammen – State of the Art . Ab diesem Jahr
wird das gemacht werden .

Viertens haben wir immer gefordert – ich war übri-
gens der Erste, der das überhaupt gefordert hat –, dass
die Motorsteuerungssoftware offengelegt werden muss.
Die Emissionsstrategie – die Motorsteuerungssoftware
ist ein Teil davon – muss bereits seit dem 1 . April 2016
beim KBA hinterlegt werden . Das geschieht also schon
seit einem Jahr; das ist also schon vollzogen .


(Kirsten Lühmann [SPD]: Sehr gut!)


Ich habe fünftens immer gefordert, Conformi-
ty-in-Use-Tests zu machen . So heißt das im schönen
Neuhochdeutsch . Die Fahrzeuge sollen also getestet wer-
den, wenn sie im Feld laufen .


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Es müssen Handlungen daraus folgen!)


Auch das macht das KBA – der Minister hat gerade da-
rauf hingewiesen – seit dem 1 . Januar 2017 . Das wird
jetzt verstärkt sozusagen in der Realität ankommen .

Die Endrohrmessungen – Punkt sechs – sind gerade
schon erwähnt worden . Der Herr Kollege Wittke – ich

weiß nicht, ob er da ist – und ich sind mit den Herstellern
von Katalysatoren im Gespräch . Sie haben uns vorge-
schlagen, ein Testverfahren zu entwickeln, das sogar in
der Lage ist, NOX auf der Rolle in der Werkstatt zu mes-
sen . Ich warte einmal darauf, was sie uns liefern .

Die von mir sehr geschätzte Umweltministerin hat
in den letzten Tagen die Forderung erhoben, Fahrzeuge
nachzurüsten . Ich kann nur sagen: Ja, das geht .


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Genau!)


Im Hightechland NRW – das ist jetzt der Werbeblock für
NRW –


(Beifall bei der SPD)


gibt es eine Firma mit Namen Twintec . Sie sitzt in Kö-
nigswinter . Sie baut solche Dinge .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie brauchen eine Bundesregierung, die das durchsetzt, Herr Klare! Das ist das Problem!)


– Hören Sie mal zu . – Sie hat jetzt ein Euro-5-Fahr-
zeug – einen VW-Diesel mit 1,6 Litern – mit einem
Nachrüst-KAT umgerüstet . Dessen Werte sind jetzt um
93,5 Prozent besser als nach der Euro-5-Norm . Das heißt,
es geht .


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Genau!)


Es muss nur in Serie hergestellt werden . Insofern sind
wir hier auf einem guten Wege .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Dobrindt sitzt da!)


Wir müssen in den Städten natürlich zum Beispiel
auch die letzte Meile in der Logistik dieselfrei machen .
DHL macht vor, wie es geht . Sie hat Elektrofahrzeuge,
mit denen die Briefe und Pakete ausgeliefert werden .
Diese Fahrzeuge werden übrigens in Aachen, also auch
in Nordrhein-Westfalen, produziert .


(Beifall der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Daneben müssen wir die Busflotten entdieseln. Wer
fördert das? Die Bundesumweltministerin, die gerade so
viel gescholten wurde, hat ein Programm aufgelegt, mit
dem die Umrüstung von ÖPNV-Bussen auf E-Busse ge-
fördert wird .


(Beifall bei der SPD)


Das ist sehr sinnvoll .


(Alexander Dobrindt, Bundesminister: Der Verkehrsminister ist nicht ganz unbeteiligt!)


– Der Verkehrsminister ist da nicht ganz unbeteiligt; das
stimmt . Sorry, dass ich hier jetzt einmal Frau Hendricks
erwähnt habe . – Das Land Nordrhein-Westfalen macht
das, und das Land Niedersachsen macht das sozusagen
zusätzlich . Das sind die richtigen Schritte .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Daneben müssen wir die Taxiflotten entdieseln, um
den Menschen zu nutzen . Das ist der nächste große
Schritt .






(A) (C)



(B) (D)


Außerdem müssen wir die Steuerverbesserungen in
Bezug auf Erdgas und Autogas, die es im Moment gibt,
endlich fortsetzen bzw . fortschreiben, weil das Über-
gangstechnologien sind .


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Genau! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch endlich, was Sie tun wollen! Sie tun doch nichts! – Gegenruf der Abg . Ulli Nissen [SPD]: Zuhören!)


– Wir müssen das jetzt noch tun, und ich ermahne uns
sozusagen selbst, das jetzt noch einmal auf die Tagesord-
nung zu heben .

Vielen Dank, dass Sie mir zugehört haben .


(Beifall bei der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Herr Krischer nicht!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823108700

Das Wort hat jetzt der Kollege Carsten Müller für die

CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Carsten Müller (CDU):
Rede ID: ID1823108800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hatten

heute ja eine ganze Reihe von Werbeblöcken mit Blick
auf NRW . Beim ersten Werbeblock hat man gar nicht
gemerkt, dass es zwei Werbepartner waren, die in NRW
eigentlich Hand in Hand regieren wollen . Die scharfen
Angriffe des Kollegen Krischer auf die Bundesumwelt-
ministerin Hendricks waren schon ganz bemerkenswert .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulli Nissen [SPD]: Pfui war das!)


Man wundert sich, dass Ihre beiden Landesverbände dort
zusammen etwas zustande bringen wollen . Aber ich sage
einmal – damit will ich Ihren Werbeblock abrunden –: Es
ist Besserung in Sicht .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, in den letzten Tagen hat
Frau Göring-Eckardt – sie hat es vorgezogen, an die-
ser Diskussion nicht mehr teilzunehmen – behauptet:
10 000 Menschen in Deutschland sterben aufgrund der
Belastung durch Stickoxide . Der Kollege Krischer


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


wusste es noch etwas besser . Er hat nämlich im Untersu-
chungsausschuss gesagt: Es sind nicht 10 000, sondern
genau 10 610 Menschen .


(Ulli Nissen [SPD]: Das war Herr Resch!)


– Herr Krischer hat es wiederholt, aber auch Herr Resch
hat es behauptet .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt die Europäische Umweltagentur!)


Meine Damen und Herren, es ist bemerkenswert, dass
Sie in dieser Diskussion, die etwas mehr Sachlichkeit

erfordert, unterschlagen haben, dass selbst die Sachver-
ständigen, die auf Vorschlag der Opposition im Abgasun-
tersuchungsausschuss gehört worden sind, eine Kausali-
tät überhaupt nicht erkennen konnten und auch in Abrede
gestellt haben .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sagen, es ist gar kein Problem! Das ist ja interessant! – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Aber gesundheitsschädlich ist es schon! Gehen Sie da mit?)


Es hilft in einer Diskussion, die man sehr sachlich füh-
ren soll, die Dinge in einen Rahmen einzuordnen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum tut denn der Umweltminister dann so viel, wenn es so klar ist? – Gegenruf der Abg . Ulli Nissen [SPD]: Es ist die Umweltministerin! Vorsicht!)


Es gibt Stickoxidgrenzwerte für die Umgebungsluft . Der
Jahresmittelwert ist danach auf 40 Mikrogramm pro Ku-
bikmeter festgelegt . Der maximale Stundenwert beträgt
200 Mikrogramm pro Kubikmeter und darf 18-mal im
Jahr überschritten werden . Das passiert .

Jetzt hält sich der Mensch, insbesondere in der Bun-
desrepublik Deutschland, zu 80 Prozent seiner Lebens-
zeit in geschlossenen Räumen auf . Viele gehen anstän-
dig einer Arbeit nach . Deswegen macht es Sinn, sich
vergleichbare Grenzwerte an anderen Stellen anzugu-
cken, um das, wie gesagt, einordnen zu können . Es war
durchaus überraschend, festzustellen, dass ein Komitee
der Europäischen Kommission, die Kommission zur
Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deut-
schen Forschungsgemeinschaft sowie der Ausschuss für
Gefahrstoffe beim Bundesministerium für Arbeit und So-
ziales einen Stickoxidgrenzwert für Arbeitsplätze festge-
legt haben . Er beträgt – das hat mich zugegebenermaßen
überrascht – 950 Mikrogramm pro Kubikmeter Raumluft
als Dauerbelastung, und zwar acht Stunden am Tag, ge-
messen über die gesamte Lebensarbeitszeit .

Dieses Komitee stellt zur noch größeren Überra-
schung fest, dass ein Erreichen dieses Grenzwertes zu
keiner Gesundheitsbeeinträchtigung führen wird . Vor
diesem Hintergrund ist es geradezu ausgeschlossen –
deswegen gelingt es Ihnen nicht –, die von Ihnen immer
wieder leichtfertig behauptete und zur Skandalisierung
herangezogene Kausalität zu untermauern .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, Herr Müller, was macht die Europäische Union alles: Vertragsverletzungsverfahren! Es ist nicht zu fassen, was Sie da erzählen! Unfassbar!)


Meine Damen und Herren, mein Kollege Klare hat
eben die Maßnahmen, die die Bundesregierung ergriffen
hat, sinnvoll dargestellt . Der Beitrag von Bundesver-
kehrsminister Alexander Dobrindt hat die Dinge entspre-
chend profiliert. Wir müssen insofern die Erkenntnisse
des Abgasuntersuchungsausschusses am besten in dieser
Aktuellen Stunde – wir führen sie zu diesem Thema nicht
das erste Mal durch – rekapitulieren . Es war die Bundes-

Arno Klare






(A) (C)



(B) (D)


regierung, die auf europäischer Ebene fortgesetzt für die
Einführung von Real Driving Emissions


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


und des WLTP-Standards gekämpft und sich dafür ein-
gesetzt hat .


(Lachen des Abg . Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Arno Klare [SPD], an den Abg . Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] gewandt: Jetzt ist es aber gut!)


Sie hat das gemacht, obwohl wir bekanntermaßen ein
Kfz-Produktions-Land sind .

Die Bundesregierung hat sich durchaus Unterstützung
von anderen Ländern gewünscht . Diese gab es sehr spär-
lich . An unserer Seite waren regelmäßig die Österreicher .
Die Niederländer waren dabei . Viele Länder haben sich
in Attentismus geübt, im Übrigen auch viele Länder, in
denen seinerzeit Grüne an den Regierungen beteiligt wa-
ren, und haben diese Verfahren eher blockiert .

Deswegen ist es richtig, sinnvoll und gut, dass die Din-
ge jetzt auf den Weg gebracht werden . Es ist auch richtig,
sinnvoll und gut, dass wir entsprechend nachhalten, und
zwar mit einer Aufstockung der Mittel für das KBA, um
eigene Tests – nicht durch Beauftragte, auch wenn das
sicherlich seriöse Unternehmen sind – durchführen und
die Ergebnisse überprüfen zu können .

Es gibt weitere Maßnahmen, etwa die Offenlegung
der Quellcodes bei der Fahrzeugsteuerung . Der Kollege
Klare hat für sich in Anspruch genommen, das als Erster
gefordert zu haben . Ich glaube, Sie hatten damals in der
ersten Aktuellen Stunde zu diesem Thema kurz nach mir
gesprochen; auch ich hatte das erwähnt .


(Heiterkeit bei der SPD – Ulli Nissen [SPD]: Das können wir im Protokoll nachlesen!)


Im Grunde genommen gibt es viele gute Initiativen aus
dem Parlament heraus . Auch das gehört dazu . Auch das
Stichwort „Endrohrmessung“ ist schon gefallen .

Meine Damen und Herren, was müssen wir machen?
Wir müssen auf alternative Antriebsformen achten und
Gasantriebe weiter fördern . Es ist sinnvoll, Feinstaub
und die CO2-Emissionen zu reduzieren; auch darauf
müssen wir achten . Die Fokussierung nur auf Stickoxide
ist sogar fehlerhaft . Uns geht es doch um Umwelt- und
Klimaschutz . Deswegen müssen wir eben auch auf den
CO2-Ausstoß achten .

Wir müssen Gasantriebe fördern und Endrohrmessun-
gen machen . Wir müssen Filternachrüstungen unterstüt-
zen, im Übrigen eine Initiative der Unionsfraktion . Dann
kommen wir auf einen guten Weg . Bei dieser Bundesre-
gierung können Sie ganz sicher sein, dass wir das so ma-
chen werden und dass wir auf europäischer Ebene die ho-
hen Standards, die wir für uns wollen, umsetzen werden .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Ulli Nissen [SPD])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823108900

Die Kollegin Sabine Leidig spricht jetzt für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823109000

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste! Fast alle Autohersteller – von VW über
Daimler, Fiat, Peugeot und BMW – haben über Jahre bei
den Abgaswerten ihrer Automobile betrogen, und sie tun
es weiter . Es ist etwa eineinhalb Jahre her, dass dieser
Skandal aufgeflogen ist – das wurde gerade schon ange-
sprochen –, aber passiert ist nichts oder nur relativ wenig
bzw . nichts Spürbares .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts!)


Wir haben jetzt die Situation, dass gerade heute, am
selben Tag, an dem wir tagen, vor dem Landgericht
Stuttgart ein Strafverfahren stattfindet, das die Deutsche
Umwelthilfe gegen Daimler angestrengt hat, weil dieser
Automobilkonzern für ein Fahrzeug mit den niedrigst-
möglichen Emissionswerten wirbt und sich bei einer
Überprüfung durch unabhängige Teststellen herausge-
stellt hat, dass auch dieses Fahrzeug die Grenzwerte um
ein Mehrfaches überschreitet .

Der Betrug geht also weiter, und Sie brüsten sich mit
irgendwelchen Spitzfindigkeiten, mit denen Sie vielleicht
irgendwann irgendetwas regeln. Ich finde, dass der Skan-
dal damit fortgesetzt wird . Und der größte Skandal ist
eigentlich, dass es die Bundesregierung ermöglicht, dass
sich an den tatsächlichen Emissionen nichts geändert hat .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kollege Carsten Müller hat gerade gesagt, dass das ja
nicht so schlimm sei, weil die Leute sich zu 80 Prozent
im Haus aufhalten


(Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Sie verdrehen das schon wieder! Sie arbeiten fortgesetzt mit Verdrehungen und Unterstellungen! Bleiben Sie bitte präzise! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Müller, Sie sind eine einzige Verdrehung!)


und sich von daher diese Grenzwertüberschreitung ohne
Probleme verschmerzen ließe . Das kommt mir ein biss-
chen so vor wie in der Zeit, als die Atomkraft noch sehr
umstritten war und man gesagt bekam, wenn es ernst
wird, müsse man die Aktentasche über den Kopf halten
und sich ansonsten mit Alufolie zudecken; das sei alles
nicht so schlimm .


(Zuruf von der CDU/CSU: Da muss man fast schon Mitleid haben!)


Es ist schlimm, und es ist deshalb schlimm, weil die
unterschiedlichen Schadstoffe, die aus den Autoauspuffen
ausgestoßen werden, eben nicht nur Klima und Umwelt
schädigen, sondern auch die Gesundheit . Die Atemwege
werden angegriffen. Die Schleimhäute werden gereizt.

Carsten Müller (Braunschweig)







(A) (C)



(B) (D)


Husten, Augenreizungen, Kreislauf- und Herzerkran-
kungen können die Folge sein. Besonders betroffen sind
Menschen, die mit Asthma geschlagen sind, und Kinder,
die einen viel höheren Luftumsatz haben als Erwachsene .
Es ist unverantwortlich, dass zugelassen wird, dass die
Atemluft permanent vergiftet wird .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir es mit einer Gruppe von habgierigen Men-
schen zu tun hätten, die es sich in den Kopf gesetzt ha-
ben, tröpfchenweise unser Trinkwasser zu vergiften, um
daraus Profit zu schlagen, dann – da bin ich mir sicher –
wäre der Aufschrei auch in diesem Hause groß, und es
würde alles darangesetzt werden, diese Leute dingfest zu
machen, ihnen das Handwerk zu legen, das Trinkwasser
sofort zu reinigen und die Verantwortlichen zu bestrafen .

Bei dem Abgasskandal geht es um die Atemluft . Sie
ist genauso relevant für die Menschen wie das Trinkwas-
ser, und ich finde, es müssen genauso harte, starke und
sichtbare Konsequenzen ergriffen werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Leider ist das nicht der Fall .

Schauen Sie sich einmal die ziemlich populäre Kaba-
rettsendung Die Anstalt vom 7 . März dieses Jahres an .
Darin werden die Zusammenhänge beleuchtet, wie das
Management der Automobilindustrie systematisch die
winzigen Gesetzeslücken ausnutzt, wie systematisch
nicht nur Herr Dobrindt, sondern auch die Bundeskanz-
lerin dafür sorgen, dass das möglich ist, wie sie systema-
tisch dafür sorgen, dass es keine unabhängigen Kontrol-
len gibt, dass es auf europäischer Ebene keine schärferen
Maßnahmen gibt, dass selbst die bestehenden Abgas-
grenzwerte deutlich zu hoch sind, weil die Bundesregie-
rung darauf Einfluss genommen hat.

Dies alles kann man dort hervorragend nachvollzie-
hen . Einer der Sätze, die mir aus dieser Sendung haf-
ten geblieben sind und den ich hier gerne zitiere, ist:
„Dobrindt organisiert das Verbrechen .“


(Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Geht es auch ein bisschen weniger scharf? Das ist ja unglaublich!)


– Ich kann Sie nur anregen, sich diese Sendung anzu-
schauen . Sie ist noch bis Mitte nächsten Jahres in der
Mediathek des ZDF abzurufen .


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Das überschreitet das parlamentarisch zulässige Maß! – Ulrich Lange [CDU/CSU]: Irgendwann ist es gut! – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Die Sendung war gut!)


– Dann können Sie sich ja mit einer Beschwerde an die
Sendungsmacher wenden .


(Ulrich Lange [CDU/CSU]: Vertreter der SED-Nachfolgeorganisation! – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Satire darf alles!)


Ich habe das hier nur zitiert .


(Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Da klatschen ja noch nicht einmal Ihre eigenen Leute! Frau Kollegin Leidig, das, was Sie sich jetzt hier zu ei gen gemacht haben, ist nicht parlamentarisch . Ich erteile Ihnen deshalb einen Ordnungsruf . Okay . Ich gebe ihn dann an das ZDF weiter . Wir haben vor anderthalb Jahren mit einem umfangreichen Antrag der Linken eine ganze Palette von Vorschlägen gemacht, wie mit diesem Abgasskandal konsequent umgegangen werden muss . Eine klitzekleine, aber wirksame Konsequenz wäre zum Beispiel, die Geschwindigkeit zu begrenzen; denn je schneller die Autos fahren, desto mehr Abgase werden ausgestoßen . Angesprochen haben wir aber natürlich auch das ganze Thema der unabhängigen Kontrolle, die Bestrafung der Verantwortlichen und die Pflicht, an die Betrogenen Entschädigungen zu zahlen . Das alles haben Sie nicht in Angriff genommen. Deshalb ist unser Antrag nach wie vor aktuell . Wir werden weiter darum ringen, dass mit solchen ungerechten Verhältnissen gerecht umgegangen wird . Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulli Nissen für die SPD . Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute nicht zum ersten Mal über dieses Thema, und es wird wohl auch nicht das letzte Mal sein . Die Meldungen der letzten Tage haben uns alle wieder aufgeschreckt . Seit „Dieselgate“ bekannt wurde, ist vieles passiert . Wir haben einen Untersuchungsausschuss dazu eingesetzt, in dem ich selber Mitglied bin, der in langen Sitzungen und Zeugenbefragungen die Hintergründe und Verstrickungen klären soll . Wir haben über Umrüstungsmöglichkeiten gesprochen . Wir haben auf die RDE gesetzt, also auf Tests im realen Fahrzeugbetrieb und nicht im Labor . Was kommt jetzt? Zum einen hören wir, die Bundesregierung blockiere schärfere Kontrollen in Europa . Zum anderen zeigt eine aktuelle Studie des Umweltbundesamtes, dass Diesel der Euro-6-Norm 507 Milligramm Stickoxide pro Kilometer ausstoßen . Der erlaubte Grenzwert liegt bei 80 Milligramm . Das ist also mehr als das Sechsfache . Sabine Leidig Die Euro-6-Norm ist die strengste der Abgasnormen in der Europäischen Union . Sie gilt seit September 2014 für alle neuen Pkw-Typen und seit September 2015 für alle neuen Pkw . Fahrzeuge, die diese strengste Norm erfüllen sollen, stoßen auf der Straße, also im realen Fahrbetrieb, mehr als das Sechsfache des Erlaubten an Schadstoffen aus. Damit erscheinen jegliche Überlegungen, Fahrverbote zu erlassen und nur noch Dieselfahrzeugen der Euro-6Norm die Zufahrt zu gestatten, eigentlich erledigt . Es überrascht jetzt auch niemanden mehr, dass der UBA-Studie zufolge alle älteren und neuen Dieselautos viel mehr Schadstoffe ausstoßen als angenommen. Statt wie vermutet 575 Milligramm Stickoxide wurden 2016 tatsächlich durchschnittlich sogar 767 Milligramm ausgestoßen . Es geht hier aber nicht nur um die Zahlen und Grenzwerte . Es geht darum, was dahintersteckt und was diese Überschreitungen tatsächlich für Mensch und Umwelt bedeuten . Sie bedeuten, dass die Gesundheitsgefährdung noch höher ist als angenommen . Denn Luftverschmutzung macht krank . Lieber Kollege Müller, ob es nun 10 000, 7 000 oder 1 000 sind: Jeder einzelne Tote ist mir zu viel . Das sind Zigtausende Schicksale . Mit ihnen sind auch ihre Angehörigen betroffen. Im Interesse der erkrankten Menschen – denken Sie nur daran, was sie mitmachen – müssen wir intensiv handeln . Das sind ebenfalls zigfach mehr als durch Verkehrsunfälle Betroffene. Darum muss es uns gehen, wenn wir über die Überschreitungen der Grenzwerte reden . Ich selber versuche, mit gutem Beispiel voranzugehen . 90 Prozent meiner Wege in Frankfurt mache ich mit meinem Elektroroller oder mit meinem kleinen Elektroauto . Wir müssen schauen, was wir in Zukunft besser machen können . Es muss darum gehen, dass wir den Schadstoffausstoß aus Kraftfahrzeugen deutlich verringern, damit wir die Gefahr für Mensch und Umwelt minimieren . Nun heißt es, die Bundesregierung blockiere in Europa . Jetzt muss ich einmal deutlich trennen . Ich spreche hier als Mitglied des Umweltausschusses . Wenn ich die Äußerungen unserer Bundesumweltministerin Barbara Hendricks – auch aus den letzten Tagen – betrachte, dann kann ich nur sagen: Hier klingt nichts nach Blockade . Was ich von ihr höre, sind vielmehr klare, deutliche Aussagen und Positionierungen . Liebe Barbara Hendricks, dafür großen Dank! (Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat nur leider keine Konsequenzen! Herr Dobrindt sagt, was geschieht!)

Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823109100

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823109200

(Beifall bei der LINKEN)

Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823109300

(Beifall bei der SPD)

Ulli Nissen (SPD):
Rede ID: ID1823109400




(A) (C)


(B) (D)


(Beifall bei der SPD)


Die Haltung der Bundesumweltministerin und somit
auch eines Teils der Bundesregierung ist klar: Unsere
Bundesumweltministerin will die Hersteller stärker in
die Pflicht nehmen. Sie fordert eine unabhängige Über-

wachung des Marktes . – Dabei hat sie meine volle Un-
terstützung .


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Treten Sie Dobrindt doch einmal auf die Füße!)


Barbara Hendricks verlangt von den Herstellern, die
existierenden Dieselfahrzeuge nachzurüsten . Sie ver-
langt auch, dass die Hersteller die Kosten dafür tragen .
Das wird teuer .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Herr Dobrindt sagt das Gegenteil!)


Aber damit tragen diejenigen die Kosten, die den Scha-
den verursacht haben, nämlich die Hersteller .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer setzt sich durch? Dobrindt!)


Formulieren wir es klar: Das Verursacherprinzip kreischt .
Herr Krischer, das Wortspiel tut mir leid . Es passt aber
so, und damit haben Sie, Herr Krischer, jetzt in mir etwas
ausgelöst .


(Heiterkeit im ganzen Hause)


Das Verursacherprinzip greift .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Bundesum-
weltministerin will wirksame Kontrollen und eine bes-
sere Überprüfung der Umweltstandards . Das ist keine
Blockade . Man kann sicherlich diskutieren, ob die Vor-
schläge, die Prüfung von der nationalen auf die euro-
päische Ebene zu verlagern, zielführend sind . Ich bin
der Meinung, dass es wichtiger ist, dass nicht mehr die
Hersteller selber TÜV oder DEKRA beauftragen . Wer es
macht, ist mir egal; aber es muss vernünftig und richtig
geprüft werden .


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Und es muss eingehalten werden!)


Herr Dobrindt, hier sind Sie federführend . Wegducken
hilft nicht . Die Automobilindustrie zu schützen, hilft hier
auch nicht weiter . Der Automobilindustrie hilft es mehr,
wenn der Vertrauensverlust endlich beseitigt wird . Des-
halb müssen wir handeln .

Wir brauchen Tests unter realen Bedingungen, um die
tatsächlichen Schadstoffausstöße zu messen. Wir brau-
chen eine Umrüstung der bestehenden Flotte . Wir brau-
chen den Einsatz des Know-hows unserer Automobilin-
dustrie, um endlich emissionsarme Pkw auf den Markt zu
bringen, Kraftfahrzeuge, die halten, was sie versprechen .
Wir brauchen jetzt aber vor allem eines: einen Verkehrs-
minister, der unsere Bundesumweltministerin bei ihren
Vorschlägen unterstützt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke Ihnen für
die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD)


Ulli Nissen






(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823109500

Wir kommen zum nächsten Redner . Der Kollege

Stephan Kühn spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen .


(Arno Klare [SPD]: Mal sehen, was der jetzt auslöst!)


Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Schadstoffausstoß von Dieselautos in
Deutschland ist immens, und er ist viel höher als bislang
angenommen . Das ist das Ergebnis der aktuellen Mes-
sungen durch das Umweltbundesamt . Dass die meisten
Diesel-Pkws die Abgastests nur im Labor bestehen, aber
nicht auf der Straße und dort die Schadstoffe um ein Viel-
faches höher sind, ist für mich als Papa eines vierjährigen
Sohnes kein abstraktes Technologieproblem .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn die Schadstoffkonzentration ist in Höhe von Kin-
dernasen am höchsten .

Es muss deshalb endlich Schluss damit sein, dass Au-
tomobilkonzerne zulasten der Gesundheit vieler Men-
schen mit legalen oder illegalen Tricks die Abgasreini-
gung drosseln können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Herbert Behrens [DIE LINKE])


Denn niemand würde akzeptieren, dass Schadstoffgren-
zwerte für Lebensmittel oder Trinkwasser nur unter La-
borbedingungen gelten . Das Bundesverkehrsministerium
kommentiert die UBA-Messergebnisse mit dem Hinweis,
dass kein anderes Land wie Deutschland in der Abgasaf-
färe so weitgehende Konsequenzen gezogen habe . Einen
so schlechten Witz habe ich lange nicht mehr gehört .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn Verkehrsminister Dobrindt betreibt reine Pseudo-
aufklärung mit Phantommaßnahmen .

Bereits im November 2015 hat er Schadstoffantido-
pingtests angekündigt . Was glauben Sie, wie viele Fahr-
zeuge bis heute getestet wurden?


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Null!)


Kein einziges! Jetzt wird immer deutlicher: Auf europä-
ischer Ebene ist Herr Dobrindt einer der zentralen Blo-
ckierer von Reformen . Bereits im letzten Jahr hat die
EU-Kommission einen Vorschlag zur Reform des Typge-
nehmigungsverfahrens und der Marktüberwachung von
Fahrzeugen vorgelegt . Damit sollen insbesondere die
notwendigen europäischen Konsequenzen aus dem Ab-
gasskandal gezogen werden . Wenn Sie, Herr Dobrindt,
nun behaupten, Sie wollten das europäische Recht dahin
gehend anpassen, dass künftig nur noch die besten Mo-
toren mit der besten Technologie zum Einsatz kommen,
dann beantworten Sie endlich einmal die Frage, die Sie
im Untersuchungsausschuss nicht beantwortet haben:
Wer definiert das eigentlich? Und vor allen Dingen: Wer

überprüft das? Nichts anderes als Nebelkerzen werden
hier gezündet .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die EU-Kommission zum Beispiel hat vorgeschlagen,
eigene Prüfungen und Kontrollen von bereits zugelas-
senen Fahrzeugen durchzuführen, um nachzuprüfen, ob
diese Fahrzeuge den Typgenehmigungen auch tatsäch-
lich entsprechen . Aus der Antwort auf eine Kleine Anfra-
ge meiner Fraktion geht hervor, dass sich die Bundesre-
gierung bis heute nicht dazu durchringen konnte, diesen
Vorschlag zu unterstützen . Dabei war es ausgerechnet
Verkehrsminister Dobrindt, der im Fall der Abgasmani-
pulationen bei Dieselfahrzeugen aus dem Fiat-Konzern
zu Recht die italienischen Behörden für ihr Nichtstun
kritisiert hat . Mit Umsetzung des EU-Vorschlags würden
solche Manipulationen in Zukunft nicht mehr möglich
sein . Doch jetzt ist es Herr Dobrindt selbst, der nichts tut .


(Alexander Dobrindt, Bundesminister: Das Gegenteil ist der Fall!)


Ebenso wären gegenseitige Kontrollen der Typgeneh-
migungsbehörden angemessen . Die nationalen Kontroll-
behörden sollen sich alle zwei Jahre einer Überprüfung
durch zwei Behörden anderer Mitgliedstaaten unterzie-
hen . Das ist nicht nur sinnvoll, weil wir in Deutschland
mit dem Kraftfahrt-Bundesamt eine Behörde haben, die
die Kultur des Wegschauens bis zur Präzision beherrscht,
sondern auch, weil man in diesem Zusammenhang ein-
mal die Frage stellen sollte, warum die Automobilher-
steller gerade in Ländern wie Luxemburg und Malta, die
bisher nicht als Automobilgroßnationen bekannt sind,
viele Fahrzeugteile typgenehmigt haben . Für den Be-
trugsmotor von Audi wurde die Zulassung zum Beispiel
in Luxemburg eingeholt .


(Kirsten Lühmann [SPD]: Das ist unser Problem!)


Die technischen Dienste werden für die Tests von
Fahrzeugen und Fahrzeugteilen direkt von der Automo-
bilindustrie bezahlt . Damit sind wirtschaftliche Interes-
senkonflikte vorprogrammiert. Die EU-Kommission hat
das Problem erkannt, doch die Bundesregierung blockiert
schon wieder und lehnt eine unabhängige Finanzierung
der technischen Prüfdienste ab .

Meine Damen und Herren, in Zukunft muss auch für
die Automobilindustrie in Europa gelten: Wer betrügt,
wird bestraft . Deshalb will Brüssel bei Fahrzeugen,
die den Anforderungen nicht entsprechen, Sanktionen
in Höhe von bis zu 30 000 Euro verhängen . Auch hier
verweigert die Bundesregierung ihre Zustimmung . Sie
hat offenbar keine Eile, die notwendigen Konsequenzen
aus dem Abgasskandal zu ziehen . Die Bundesregierung
bremst die EU-Kommission ganz klar aus . Insbesondere
die Bußgeldfrage macht deutlich: Die Große Koalition
legt weiter schützend ihre Hand über die Automobilin-
dustrie . Umweltschutz und die Interessen der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher bleiben auf der Strecke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823109600

Nächster Redner ist der Kollege Patrick Schnieder für

die CDU/CSU .

(Beifall bei der CDU/CSU)



Patrick Schnieder (CDU):
Rede ID: ID1823109700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nach allerlei künstlicher Empörung seitens der Grünen,

(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie keine eigenen Kinder? – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


die man gut nachvollziehen kann, Herr Krischer, wenn
man aus Nordrhein-Westfalen kommt, wo die Umfrage-
werte für die Grünen in den Keller gehen und auch der
Boden noch nicht absehbar ist,


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


sollten wir zu einer sachlichen Betrachtung der Thematik
zurückkehren .

Bezogen auf das Thema der Aktuellen Stunde „Hal-
tung der Bundesregierung zu verschärften Abgastests in
Europa“ kann man zunächst nur festhalten: Die Bundes-
regierung, Minister Alexander Dobrindt und die Unions-
fraktion haben sich in der Vergangenheit für schärfere
Abgastests in Europa ausgesprochen, und sie tun es auch
heute .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Die Darstellung, wir würden Brüssel in dieser Frage aus-
bremsen, ist eine Verdrehung der wirklichen Verhältnis-
se .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist eine präzise Umschreibung!)


Wir sind deutlich weiter als alle anderen EU-Staaten .

(Beifall bei der CDU/CSU)


Unsere Vorschläge müssen wir in Europa umsetzen .

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN]: Oh Gott!)

Wir haben eine Reihe von Änderungen in Deutschland

auf den Weg gebracht . Die Kollegin und der Minister ha-
ben das hier schon ausgeführt . Deshalb will ich den Blick
darauf lenken, woran das europäische Abgastestsystem
krankt .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt ist es wieder Europa!)


Die geltenden europäischen Vorschriften sind nicht mehr
als der technische Minimalkonsens . Zwei systemimma-
nente Probleme treten ganz deutlich zutage .

Erstens . Formulierungen der europäischen Prüfvor-
schriften lassen zu viel Raum für nationale Interpretatio-
nen und legale Optimierungen . Anstelle von engmaschi-
gen Vorgaben gelten großzügige Ausnahmetatbestände .
Der geltende Gesetzesrahmen hat somit zu Fehlanreizen

geführt, die Regeldehnung belohnen und Regeltreue be-
strafen .

Zweitens . Vorschriften haben Wettbewerb geschaf-
fen, wo wir eigentlich keinen Wettbewerb gebrauchen
können, nämlich zwischen den nationalen Typgeneh-
migungsbehörden . Der Kollege Kühn hat ja eben aus-
geführt, wo was genehmigt worden ist . Es war übri-
gens nicht in Deutschland . Der Zulassungstourismus in
EU-Staaten mit zahnlosen Genehmigungsbehörden führt
den Freizügigkeitsgedanken ad absurdum und muss un-
terbunden werden .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ganzen manipulierten VW sind in Deutschland zugelassen worden!)


Wir müssen deshalb zunächst, lieber Herr Krischer,
die Analyse vornehmen, um dann zu sagen, was wir tun
wollen und was wir tun müssen . Der Fehler liegt in bei-
den Fällen, die ich genannt habe, im europäischen Sys-
tem und seinem Regelrahmen . Die Lösung hierfür kann
auch nicht eine europäische Superbehörde sein . Wir müs-
sen nicht alles nach Brüssel delegieren . Stattdessen brau-
chen wir – da hat der Minister vollkommen recht – einen
engmaschigen, vor allem verbindlichen europäischen
Rechtsrahmen, der Nachuntersuchungen ermöglicht und
Ausnahmen zurückdrängt . Nur dort, wo Unklarheiten
verbleiben, sollte eine europäische Clearingstelle im
Einzelfall entscheiden, ob Abschalteinrichtungen zum
Motorschutz zulässig sind .

Wie muss nun der europäische Rechtsrahmen weiter-
entwickelt werden? Zunächst die Feststellung: Wir brau-
chen eine Generalüberholung des europäischen Rechts-
rahmens, und in diesem müssen die folgenden Ziele
umgesetzt werden:

Erstens . Wir müssen die Ausnahmetatbestände über-
prüfen . Nationale Handlungsspielräume machen in vie-
len Fällen Sinn, aber nicht bei der Interpretation von
Abgasvorgaben . Für diejenigen Abschalteinrichtungen,
an denen festgehalten werden soll, erwarten wir von den
Herstellern überprüfbare Begründungen, warum man auf
die jeweilige Vorrichtung nicht verzichten kann .

Zweitens. Die Hersteller müssen die Software offen-
legen. Die Hersteller müssen hierzu verpflichtet werden.
Wir haben das bei uns auf den Weg gebracht . Das müs-
sen wir auch europäisch verankern . Wir wollen nicht nur
wissen, dass Emissionsgrenzen eingehalten werden, son-
dern wir müssen auch verstehen, wie die Hersteller sie
einhalten . Die Regelkonformität der Emissionsstrategie
muss die Bedingung für die Erteilung der Typgenehmi-
gung sein .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben?)


Drittens . Unabhängige Nachprüfungen müssen mög-
lich sein . Deutschland hat sich dafür eingesetzt, dass das
Prüfinstrumentarium erweitert wird. Wir wollten und wir
wollen der Feldüberwachung in den europäischen Vor-
schriften eine prominentere Bedeutung einräumen . Dazu
müssen die Prüfabläufe zur einheitlichen Anwendung
in allen europäischen Mitgliedstaaten in den Einzelvor-






(A) (C)



(B) (D)


schriften verankert werden . An die Stelle der Rollenprüf-
stände müssen Labormessungen sowie Messungen mit
mobilen Messinstrumenten auf der Straße treten .

Entscheidend ist und bleibt – das möchte ich noch ein-
mal festhalten –: Diese Regelungen müssen verbindlich
sein . Empfehlungen reichen nicht aus . Überall in Europa
brauchen wir eine rechtlich bindende Vorschrift, keine
Empfehlung aus Brüssel . Ebenso wie Minister Alexander
Dobrindt beim Kraftfahrt-Bundesamt angewiesen hat,
wie vorzugehen ist, brauchen wir auch auf europäischer
Ebene einen verbindlichen Rahmen .

Wir können, glaube ich, festhalten: Mit den ange-
stoßenen Prozessen, mit dem, was in Deutschland seit
Herbst 2015 unter Alexander Dobrindt auf den Weg ge-
bracht worden ist, sind wir auf einem guten Weg, und den
werden wir so fortsetzen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1823109800

Die Kollegin Kirsten Lühmann hat jetzt das Wort für

die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1823109900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe

Kolleginnen! Sehr verehrte Anwesende! Warum reden
wir heute über dieses Thema? Das hat zwei Gründe: Der
erste Grund ist der Klimawandel, der zu einem großen
Teil von CO2 verursacht ist . Der zweite Grund ist die Tat-
sache, dass die Luftqualität in vielen großen deutschen
Städten immer schlechter wird . Zu beiden Sachverhalten
trägt der Straßenverkehr nicht unerheblich bei .

Ja, wir müssen dort mehr tun . Allerdings, liebe Kol-
legen und Kolleginnen, wenn ich die einfachen Lösun-
gen höre, die hier in einigen Reden präsentiert werden,
sage ich: Das greift wesentlich zu kurz und ist vielleicht
auch dem beginnenden Wahlkampf geschuldet . Wenn
wir zu den Bürgern und Bürgerinnen in unserem Land
wirklich ehrlich sind, dann müssen wir ihnen sagen: Ein-
fache Lösungen gibt es nicht, sondern wir brauchen ein
abgestimmtes Programm . Ich möchte auf einige Punkte
eingehen .

Der erste Punkt, auf den ich eingehe, beinhaltet das,
was wir für die Zukunft machen müssen . Es wurde schon
gesagt: Die Tatsache, dass das UBA festgestellt hat, dass
auch die neuesten Fahrzeuge im realen Betrieb sechsmal
mehr Abgas ausstoßen, als wir in einer Richtlinie festge-
legt haben, kann ich als Betrug bezeichnen .


(Beifall der Abg . Ulli Nissen [SPD] – Herbert Behrens [DIE LINKE]: So ist es!)


Ich verstehe, wenn die Menschen sagen: Wir sind be-
trogen worden . – Ja . Aber es ist ein Unterschied, ob wir
sagen: „Das ist Betrug“, oder ob es in juristischem Sinne
Betrug ist .


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das hilft der Gesundheit wenig, Frau Lühmann!)


Leider, liebe Kollegen und Kolleginnen, ist es im juristi-
schen Sinne kein Betrug; denn sonst könnte die Bundes-
regierung handeln; sonst könnten wir es unterbinden . Es
geht nicht, und das ist das, was uns hier so aufregt .


(Beifall bei der SPD)


Das heißt: Wir müssen das verhindern . Und das tun wir
auch .


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Dann stünde ich aber jeden Tag auf der Matte der Autokonzerne! Die Autobosse nicht zum Frühstück, sondern zum Rapport einladen!)


Wir haben zukünftig ein neues Prüfverfahren . Eine Über-
schreitung des Grenzwerts um das Sechsfache ist in Zu-
kunft nicht mehr möglich .

Damit wir das noch besser überprüfen können, muss
zur Unterstützung noch etwas geschehen . Zukünftig
muss, wie gesagt, bei neuen Typgenehmigungen die Mo-
torsteuerungsstrategie offengelegt werden. Das haben
wir leider noch nicht überall; in Deutschland ist das von
der Bundesregierung angeregt worden . Nur wenn auch
die gesamte Motorsteuerung hinterlegt wird, können wir
überprüfen, ob das, was angegeben wird, real ist oder ob
es hintenherum nicht doch noch irgendeine Betrügerei
gibt .

Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, wenn wir solche
Regeln aufstellen, müssen wir auch deren Einhaltung
überprüfen können . Was nützt mir da, sehr geehrter Herr
Krischer, eine europäische Behörde, die eine nationale
Typgenehmigungsbehörde überprüft, wenn diese Typge-
nehmigungsbehörde ein zahnloser Tiger bleibt?


(Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das verstehe ich nicht!)


Das bringt uns gar nichts . Wir müssen vielmehr endlich
regeln, dass die Feldüberwachungen anders durchgeführt
werden, als sie bis jetzt durchgeführt werden,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum tut das denn der Verkehrsminister in der von Ihnen mitgetragenen Bundesregierung nicht?)


dass bei uns das Kraftfahrt-Bundesamt vernünftige In-
strumente in die Hand bekommt . Wir zum Beispiel sind
der Meinung, dass bei den Feldüberwachungen auch
der CO2-Ausstoß mit überprüft werden kann . Natürlich
macht das UBA das jetzt schon . Aber die können doch
mit den Ergebnissen nichts machen, weil sie keine recht-
liche Handhabe haben .

Wir wollen also, dass die Feldüberwachungen ver-
nünftig durchgeführt werden . Und wenn wir dann fest-
stellen, dass es zwischen den Nationen unterschiedliche
Auffassungen gibt, dann nützt uns auch die von Ihnen
vorgeschlagene europäische Behörde nichts; wir brau-
chen vielmehr eine klare Entscheidung von der EU, wel-
che Rechtsauffassung denn nun die richtige ist. Ob Sie
das „Clearingstelle“ oder „Überwachung“ nennen, ist
mir völlig egal . Ich will nur, dass so ein Fall nicht wieder
eintritt, wie wir ihn jetzt mit Fiat haben: Wir stellen etwas

Patrick Schnieder






(A) (C)



(B) (D)


fest, kommen aber an die Typgenehmigungsbehörde in
Italien nicht heran, und Europa sagt nur: Wollen Sie nicht
einmal ein Gespräch führen? – Das reicht mir nicht . Ich
erwarte von Europa, dass zukünftig eingeschritten wird .


(Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen die, aber Herr Dobrindt hindert sie daran!)


Wir brauchen auch mehr und deutlichere Sanktionen .
Wir haben Sanktionsmöglichkeiten in Deutschland . Wir
können die Typgenehmigung entziehen . Aber, liebe Kol-
leginnen und Kollegen, das trifft doch die Falschen. Wen
trifft das nämlich? Das trifft die Leute, die sich in gutem
Glauben ein Auto gekauft haben und das dann plötzlich
nicht mehr fahren dürfen. Insofern finde ich das sehr
richtig, was wir gemacht haben: nämlich Nachrüstung
gefordert, sodass die Leute weiter fahren können . Ich
möchte also abschreckende Sanktionen, ohne dass jahre-
lang überprüft wird: Welcher Ingenieur hat wo eine fal-
sche Zahl eingetragen? – Nein, wer betrügt, muss zahlen,
und zwar jetzt und sofort .


(Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum ist die Bundesregierung dann dagegen? – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Wo ist der Antrag dazu? Den würden wir gerne einmal sehen!)


Beim letzten Punkt geht es um das, was wir jetzt ma-
chen müssen . Wir müssen dafür sorgen, dass die Luft in
unseren Städten besser wird . Herzlichen Dank an unsere
Umweltministerin Barbara Hendricks, dass sie deutlich
aufgezeigt hat, wo die Handlungsnotwendigkeiten sind,
und gesagt hat: Zur Not brauchen wir ein Fahrverbot .


(Zustimmung der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Ich empfinde das als Warnung für uns. Das wollen wir
nicht, weil auch das die Falschen trifft. Aber wenn wir
jetzt nichts tun, wird das die letzte Möglichkeit sein .
Also müssen wir etwas tun . All denen, die meinen, wir
könnten uns als Bund heraushalten, das sei nicht unsere
Aufgabe, sage ich ganz deutlich: Wir müssen etwas tun .
Wir müssen Elektromobilität mehr fördern . Wir müssen
Elektrobusse mehr fördern . Wir müssen Flotten mehr
fördern . Und wir müssen uns auch um die Nachrüstung
vorhandener Fahrzeuge kümmern .

Sie sehen also: Wir haben schon viel getan, aber es ist
noch viel zu tun . Ich freue mich auf die nächste Legisla-
tur . Die Arbeit wird uns wahrlich nicht ausgehen . Ich bin
sicher: Wenn wir unsere Hausaufgaben machen, werden
wir das hinbekommen – zum Wohl unserer Bevölkerung
in den Städten und auf dem Land .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823110000

Vielen Dank, Frau Kollegin . – Als Nächster hat Ulrich

Lange von der CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Sehr guter Mann!)



Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1823110100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Jetzt fällt mir schon das Wort „liebe“ schwer, deshalb:
Sehr geehrte Frau Kollegin Leidig und sehr geehrter Herr
Kollege Krischer


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke! Ich hatte schon Sorge!)


– Liebe wird das zwischen uns keine mehr –,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lieber Herr Oberlehrer!)


der Stil der Debatte von Ihnen beiden war heute – ich
sage das ganz offen – unangemessen und schwer erträg-
lich .


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wäre auch schlimm, wenn Sie etwas anderes sagen würden! Dann hätte ich Depressionen)


– Lieber Kollege Krischer, die Süddeutsche Zeitung – sie
ist wahrlich kein Parteiorgan der CSU –


(Ulli Nissen [SPD]: Nicht? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das klingt, als wenn Sie das bedauerten!)


hat Ihnen bereits am 3 . Januar ins Stammbuch geschrie-
ben:

Erst wird der nächste Skandal ausgerufen, und dann
wird geprüft . So führen die Grünen den . . . auf ihr
Betreiben vom Bundestag eingesetzten Untersu-
chungsausschuss, der staatliche Versäumnisse auf-
arbeiten soll, ad absurdum . Das ist, nicht zum ers-
ten Mal, Populismus statt Aufklärung . Oder, anders
ausgedrückt: politische Geschäftemacherei . . .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt macht die CSU Populismusvorwürfe!)


Genau das gilt heute so wie im Januar .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lieber Kollege Kühn,


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe schon gedacht, Sie vergessen mich!)


wenn Sie dann gemeinsam mit dem Kollegen Krischer
zum großen Bashing gegen die Automobilindustrie aus-
holen, dann sieht man einmal mehr die ganze Doppel-
züngigkeit und Heuchelei der Grünen . Einer der größten
Schutzpatrone und Schutzheiligen der Automobilindus-
trie ist Ihr grüner Ministerpräsident in Baden-Württem-
berg, Winfried Kretschmann .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hört er gern!)


Er sagt – das können Sie in der Frankfurter Allgemei-
nen Zeitung vom 15 . März nachlesen –:

Kirsten Lühmann






(A) (C)



(B) (D)


Es gibt den sauberen Diesel . Den brauchen wir lan-
ge . Das ist der beste Verbrennungsmotor .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat er recht! – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Eindeutig!)


Und jetzt geht es erst richtig weiter:

Diese Technologie werde aus Gründen des Klima-
schutzes und auch aus wirtschaftspolitischen Grün-
den benötigt, denn schließlich brauche die Automo-
bilindustrie die Gewinne aus dem Dieselgeschäft …


(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)


So Winfried Kretschmann!


(Beifall bei der CDU/CSU – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Auf diesen falschen Ratgeber sollten Sie nichts geben!)


Er hat recht . Natürlich hat er recht .

Vor diesem Hintergrund frage ich Sie, wie Sie hier
jedes Mal zum Dauerbashing und zur Dauerskandalisie-
rung auflaufen können, wenn wir und Minister Dobrindt
uns seit Monaten im Rahmen sachlicher Arbeit mit dieser
Dieselaffäre auseinandersetzen.


(Zurufe der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Da wäre etwas mehr Seriosität von Ihrer Seite aus wirk-
lich angebracht!


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vertuschen! Verschleppen! Nichtstun! Das ist das Problem!)


Über 3 Millionen Rückrufe gab es . Es wurde bereits
konsequent gehandelt . Am 7 . Juni des vergangenen Jah-
res wurde beim Ministerrat die Einrichtung einer Clea-
ringstelle angemahnt bzw . eingefordert . Des Weiteren
wurde sofort eine Untersuchungskommission eingesetzt .
Außerdem gab es für das KBA neues Geld für eigene
Prüftechnik sowie die Wiedereinführung der Endrohr-
messung .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was passiert? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es passiert nichts!)


Wer handelt? Das ist unser Minister! Herzlichen Dank,
Alexander Dobrindt .


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und die Verbraucher sind betrogen!)


Insofern freuen wir uns natürlich auch, dass die Bun-
desumweltministerin im Untersuchungsausschuss das
Ganze entsprechend anerkannt und gewürdigt hat . Herz-
lichen Dank, Frau Bundesumweltministerin, für das Lob
für unseren Verkehrsminister .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind auf euro-
päischer Ebene unterwegs, die Dinge klarzustellen – sie

sind heute schon genannt und abgeschichtet worden –,
die noch geklärt werden müssen . Wir sind national unter-
wegs und haben in den letzten Wochen und Monaten in
der Großen Koalition vieles gemeinsam umgesetzt . Wir
stehen zur Technologie in der Automobilindustrie, und
wir werden eines nicht mitmachen: Dinge gegeneinander
auszuspielen, die man auf dieser Ebene so nicht gegenei-
nander ausspielen kann . Wir machen bei dieser allgemei-
nen Skandalisierung nicht mit .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823110200

Vielen Dank, Herr Kollege Lange . – Als letzter Red-

ner in der Aktuellen Stunde spricht jetzt Dr . Matthias
Heider von der CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Matthias Heider (CDU):
Rede ID: ID1823110300

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Meine Damen und Herren! Ich darf als letzter
Redner in der Debatte erst einmal feststellen: Von Ord-
nungsruf bis Heiterkeit ist alles dabei gewesen . – Aber
vor allen Dingen darf ich feststellen, dass trotz des The-
mas, das die Grünen sich heute gewählt haben, der Ver-
such einer Skandalisierung der Abgastests nicht gelun-
gen ist . Das ist die wichtigste Feststellung .


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und warum sagt Ihre Umweltministerin das Gegenteil von dem, was der Verkehrsminister sagt?)


Ich will Sie gleich einmal mit einer Zahl konfrontie-
ren, Herr Krischer: 4 Prozentpunkte . Diesen Wert haben
die Grünen in Umfragen der Forschungsgruppe Wahlen
seit Januar 2016 verloren . Damit haben die Grünen gut
36 Prozent an Zustimmung verloren, seitdem die Vor-
schläge der EU-Kommission zur Einhaltung von Um-
welt anforderungen durch die Automobilhersteller vor-
gestellt worden sind . Ich kann verstehen, dass vor dem
Hintergrund der anstehenden Wahlen Nervosität bei Ih-
nen aufkommt und dass diese Nervosität auf 100 Prozent
steigt, wenn Sie nach Nordrhein-Westfalen schauen . Was
wir hier heute gehört haben, ist ein Beitrag zum Wahl-
kampf gewesen, aber keine wirkliche Auseinanderset-
zung mit dem Sachthema .


(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die machen jetzt Sie?)


Schauen wir uns einmal die Vorschläge an, die
die Kommissarin Bienkowska und der Vizepräsident
Katainen gemacht haben . Im Kern geht es bei den Vor-
schlägen um eine EU-weite Regelung bei den Typenzu-
lassungsverfahren,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Aber warum verhindert Ihre Bundesregierung das denn? Erklären Sie das doch mal!)


Ulrich Lange






(A) (C)



(B) (D)


und das soll insbesondere die Motorensoftware betref-
fen . Diese Regelung, meine Damen und Herren, ist doch
grundsätzlich zu begrüßen . Wir setzen einheitliche Stan-
dards, um verbindliche Vorgaben für Zulassungsverfah-
ren im gesamten Binnenmarkt zu machen. Das schafft
Transparenz, und es ist auch die Aufgabe der Kommis-
sion, unterschiedliche Zulassungsregeln anzupassen und
gemeinsame Standards zu setzen . Denn so gewinnt im
Wettbewerb das umweltfreundlichste Auto und nicht das
teuerste Auto oder das Auto aus dem Land mit den vor-
teilhaftesten Regelungen .

Die Bundesregierung lehnt an dieser Stelle im Übri-
gen an keinem Punkt strengere Abgastests ab .


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Gegenteil: Es ist doch schon lange beschlossen,
dass ab September dieses Jahres Real-Driving-Emissi-
ons-Prüfverfahren gelten,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind wir jetzt bei Grimms Märchen?)


mit denen wir die Emissionen der Fahrzeuge im tatsäch-
lichen Fahrbetrieb analysieren . Das ist der richtige Weg .
Von den sehr theoretischen Werten der Labortests beim
bisherigen Testverfahren sind wir damit weggekommen .

Was völlig zu Recht abgelehnt wird, ist ein weiterer
Kompetenzzuwachs der Europäischen Kommission . Wir
brauchen keine zusätzliche Kontrolle nationaler Behör-
den durch die Kommission . Die Arbeit nationaler Behör-
den kontrollieren, das können wir gut selber machen,


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir ja gesehen, wie es funktioniert! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Super, wie Sie das selber machen! Nichts entdeckt! Bis heute nichts! Da müssen Sie selber lachen!)


zur Not mithilfe des Parlaments . Was die Prüfdienste,
Herr Krischer, angeht, hat die Bundesregierung auch ei-
gene Vorschläge vorgelegt . Durch ein rollierendes Verfah-
ren kann die Unabhängigkeit zwischen Prüfdiensten und
Herstellern genauso sichergestellt werden, und das auch
mit einem deutlich geringeren Verwaltungsaufwand .

Ich stelle einmal fest, dass Sie es mit Ihrem heutigen
Beitrag allenfalls geschafft haben, die Themenflaute in
Ihrer Partei zu bekämpfen . Dazu haben Sie eine Aktuel-
le Stunde beantragt. Der Begriff „Themenflaute“ stammt
übrigens nicht von mir, sondern aus der Westdeutschen
Allgemeinen Zeitung, die heute über das landespolitische
Geschick der Grünen in Nordrhein-Westfalen schreibt .

Ihre Umfragen sind schlecht .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reden hier die ganze Zeit von Wahlkampf!)


Sie kämpfen um Ihre parlamentarische Existenz, sagt
Ihre Spitzenkandidatin Frau Löhrmann .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, die hat nun nichts mit Abgas tests zu tun! – Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU]: Doch! Die ist doch umgestiegen!)


So langsam kommt das ganze Ausmaß der Zwangsbeglü-
ckung der Bürgerinnen und Bürger nämlich ans Licht:
Vergesellschaftung von öffentlichen und privaten Flä-
chen in Nordrhein-Westfalen, die Art und Weise des Aus-
baus der Windenergie in den ländlichen Regionen, die
Überbetonung artenspezifischer Aspekte und, und, und.
Die Aktuelle Stunde ist gar nicht lang genug, damit ich
Ihnen das alles aufzählen kann, und da ist der Veggieday
noch gar nicht mal inbegriffen.

Aber, Herr Kollege Krischer, ich hatte auch ein schö-
nes Erlebnis, als ich die Zeitung gelesen habe . Als ich die
FAZ in der Hand gehalten habe, habe ich ein Zitat von Ih-
rem Kollegen Hofreiter – er ist heute leider nicht da; aber
das ist ein wichtiges Thema – gesehen . Er hat gesagt:

Wir haben großes Interesse an einer umweltfreund-
lichen Regulierung … Eine Industrie, die nicht mehr
in Deutschland ist, kann nicht mehr von deutschen
Grünen reguliert werden …


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Sehr wahr, kann ich an der Stelle nur sagen .

Insofern verdient die Bundesregierung bei ihren in
Brüssel vertretenen Standpunkten Unterstützung: wegen
einer umsichtigen Verschärfung der Abgasregelung, aber
auch, weil die Automobilindustrie viele Hunderttausende
Arbeitsplätze in Deutschland sichert . Deshalb ist Augen-
maß gefragt und nicht das, was Sie hier heute aufgeführt
haben .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823110400

Vielen Dank, Herr Kollege . – Damit ist die Aktuelle

Stunde beendet .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Neustrukturie-
rung des Bundeskriminalamtgesetzes

Drucksache 18/11163

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Neustrukturierung des Bun-
deskriminalamtgesetzes

Drucksachen 18/11326, 18/11658, 18/11822
Nr. 11

Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-
ausschusses (4 . Ausschuss)


Drucksachen 18/12076, 18/12141


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/12077

Dr. Matthias Heider






(A) (C)



(B) (D)


Zu dem Gesetzentwurf der CDU/CSU und SPD liegt
ein Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes-
innenminister Dr . Thomas de Maizière .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Titel des Gesetzes, das wir heute in zweiter und drit-
ter Lesung verabschieden wollen, kommt unprätentiös
daher . Aber es geht um weit mehr als um die Neustruktu-
rierung eines Gesetzes . Es geht um nichts weniger als die
Zukunft deutscher Polizeiarbeit .

Seit einem Jahr ist mein Haus damit beschäftigt, die
Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsge-
richts, das vor fast genau einem Jahr, am 20 . April 2016,
verkündet wurde, zu ziehen und die Anforderungen aus
der europäischen Datenschutzrichtlinie für die Zusam-
menarbeit im Polizei- und Justizbereich umzusetzen . Ich
habe mich früh dazu bekannt, diese anspruchsvolle Auf-
gabe nicht sozusagen minimalinvasiv vorzunehmen, son-
dern als richtige Chance zu nutzen . Der Gesetzentwurf
setzt natürlich alle Vorgaben des Bundesverfassungsge-
richtsurteils um, aber steckt die Aufgaben weiter .

Das neue BKA-Gesetz macht den Weg frei für eine
moderne polizeiliche IT-Infrastruktur, eine Infrastruktur,
die das Fundament für gute, rechtsstaatliche Polizeiarbeit
auf einem neuen Niveau darstellt . Jede Polizistin, jeder
Polizist soll sämtliche Informationen phänomenübergrei-
fend zusammenführen und nutzen können, die sie oder
er braucht und wenn sie oder er dazu berechtigt ist . Eine
Unterteilung des Informationsaufkommens in verschie-
dene Datentöpfe wird überflüssig.

All denen – vor allen Dingen den Grünen –, die in der
Abkehr von der Datenhaltung in getrennten Dateien den
Untergang des datenschutzrechtlichen Abendlandes be-
fürchten, sage ich: Ihre Kritik geht an der Sache vorbei .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


In der Geburtsstunde der polizeilichen Datenlandschaft
und der Informationsverbindungen zwischen Bund und
Ländern war technisch und organisatorisch schlicht
nichts anderes möglich und vorstellbar, als in Dateien zu
denken und die analoge, papiergebundene Arbeit in das
damals technisch Machbare umzusetzen .

Das ist aber heute nicht mehr State of the Art, nirgend-
wo: weder technisch, auch nicht datenschutzrechtlich,
noch kriminaltaktisch, auch nicht sicherheitspolitisch .
Mit dem neuen BKA-Gesetz ändern wir das, und zwar
in verfassungsrechtlich zulässiger Art und Weise und un-
ter Nutzung modernster Technik, die wir mit modernem
Datenschutz verbinden . Der Gesetzentwurf sieht, anders
als es in Ihrem Entschließungsantrag steht, keine neuen
Speicherbefugnisse für das BKA vor . Die Abkehr von der

Speicherung in Dateisystemen führt zu keiner weiter rei-
chenden Speicherung als bisher . Insofern geht Ihre Kritik
ins Leere .

Aber das neue System ermöglicht es, personen- und
ereignisbezogene Daten zusammenzuführen und Zusam-
menhänge besser zu erkennen . Das ist für die Sicherheit
besser. Das ist für die Polizei effektiver. Und das heißt
trotzdem eben nicht weniger Datenschutz . Daten werden
gekennzeichnet, um jedem Bearbeiter deutlich zu ma-
chen, in welchem Umfang das jeweilige Datum weiter-
verarbeitet werden kann . Und schließlich – das geht in
dem System getrennter Datentöpfe, das wir jetzt haben,
schon technisch nicht – gibt es eine Vollprotokollierung
aller Datenverarbeitungsvorgänge, auf die die Bundesbe-
auftragte für den Datenschutz vollen Zugriff hat.

Mit diesem Gesetz schaffen wir also die Vorausset-
zungen dafür, dass die deutschen Polizeien die heute
verfügbare Technik auch nutzen können – zum Sicher-
heitsgewinn aller . Die Planungen im Bundeskriminalamt
und in den Bund-Länder-Gremien zur Umsetzung dieses
Gesetzes laufen auf Hochtouren . Hinter dem Arbeitsti-
tel „Polizei 2020“ verbirgt sich ein Großprojekt, das die
Polizeien in Bund und Ländern lange beschäftigen wird .
Das neue BKA-Gesetz legt hierfür heute den Grundstein .

Daneben – ich habe es schon erwähnt – setzen wir die
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um und führen
die Möglichkeit ein, dass auch das Bundeskriminalamt
im Bereich terroristischer Gefahrenlagen die Fußfessel
einsetzen kann, um Gefährder besser beobachten zu kön-
nen, obwohl wir wissen, dass die Fußfessel nicht die al-
lein selig machende Lösung in der Terrorabwehr ist . Das
hat auch niemand behauptet .

Meine Damen und Herren, heute werden wir Großes
für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger beschlie-
ßen, und das im Stundenrhythmus . Gleich beschließen
wir das BKA-Gesetz . Im Anschluss beschließen wir die
Änderungen der §§ 113 und 114 des Strafgesetzbuches .
Damit werden wir die Strafen bei Angriffen auf Polizei-
beamte und Rettungskräfte bei jeder Diensthandlung er-
höhen – ein wichtiger Schritt und ein Zeichen für alle,
die Tag und Nacht ihren Kopf für unsere Sicherheit hin-
halten .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dann stimmen wir über das neue Bundesdatenschutz-
gesetz ab . Auch das ist ein grundlegendes Werk; ich
werde dazu später noch etwas sagen . Ohne das neue Da-
tenschutzrecht, ohne die neuen auf das BKA anwendba-
ren Regelungen, wäre das neue BKA-Gesetz gar nicht
vollständig . Danach weiten wir – auch noch heute – das
Maßregelrecht bei extremistischen Straftätern aus . Wir
ermöglichen damit eine bessere Überwachung von Ge-
fährdern, um unsere Bürgerinnen und Bürger besser zu
schützen . Am Abend machen wir den Weg für den Aus-
tausch der Fluggastdaten frei . Dem BKA wird damit als
deutsche Fluggastdatenzentralstelle ein wirkungsvolles
Instrument im Kampf gegen Terrorismus und schwere
Kriminalität in die Hand gegeben . Ferner liegt dann das
veränderte Europol-Gesetz zur Beschlussfassung vor,
das diesen Kampf grenzüberschreitend erleichtern wird .
Mit dem neuen Sicherheitsüberprüfungsgesetz schützen

Vizepräsidentin Michaela Noll






(A) (C)



(B) (D)


wir den öffentlichen Dienst noch besser vor Extremisten
und Spionen .

Dieser Tag ist also ein besonderer Tag . Wir ernten heu-
te gemeinsam die Früchte harter Arbeit der vergangenen
Monate auch in der Koalition . Es ist ein Reigen an Si-
cherheitsgesetzen, der sich in ein sicherheitspolitisches
Gesamtgefüge einpasst und den Herausforderungen un-
serer Zeit gerecht wird . Heute ist ein guter Tag für die
Sicherheit und ein guter Tag für Deutschland .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823110500

Herzlichen Dank, Herr Minister . – Als nächste Redne-

rin spricht die Kollegin Martina Renner von der Fraktion
Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Martina Renner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823110600

Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Wo stehen wir eigentlich in der Sicherheitsdebatte? Dass
Anis Amri nicht gestoppt wurde, bevor er zwölf Men-
schen ermordete, lag nicht daran, dass über ihn nicht
genügend Daten vorlagen oder dass er keine Fußfessel
trug . Man ließ ihn gewähren, weil die Behörden sich ein-
fach nicht vorstellen konnten, dass jemand, der Alkohol
trinkt und die Gebete vernachlässigt, ein fanatischer Is-
lamist sein könnte . Falsche Annahmen gab es auch im
Fall des rassistischen Attentats am Münchener Olym-
pia-Einkaufszentrum . Der Täter war ein Anhänger von
Breivik und Hitler, die Opfer waren Migranten . Es gibt
ein schriftliches Bekenntnis . Aber es sei kein rechter Ter-
ror – so sagen es die Behörden bis heute .

Beides sind Beispiele dafür, dass aus falschen Analy-
sen falsche Schlussfolgerungen gezogen werden . Das ist
das wahre Problem Ihrer Sicherheitsarchitektur .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wer den Terrorismus bekämpfen und überwinden will,
muss verstehen, warum Menschen zu Attentätern wer-
den . Ihr Technikfetisch wird Ihnen darauf keine Antwort
geben können .


(Beifall bei der LINKEN)


Der Gesetzentwurf folgt dem bekannten Muster: Ihr
Erzfeind ist eigentlich der Datenschutz . Das sieht man
insbesondere an den Regelungen zum Datenpooling:
Einmal erhobene Daten können fast ohne besondere Vo-
raussetzungen weiter genutzt, auf Vorrat gehalten und im
Ergebnis noch Jahrzehnte später verwertet werden . Nach
Verhältnismäßigkeit und Zweckbindung fragt hier nie-
mand mehr .


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Steht doch im Gesetz!)


Der Besuch eines Fußballspiels oder einer Demonstrati-
on, bei denen die Personalien erhoben wurden, ohne dass
man sich irgendetwas zu Schulden hat kommen lassen,
kann im Zweifel Anlass genug dafür sein, dass die per-

sönlichen Daten fast ewig gespeichert werden – über Jah-
re hinweg . Das ist ein Albtraum in Big Data .


(Beifall bei der LINKEN – Clemens Binninger [CDU/CSU]: Wo steht denn das?)


Das Bundesverfassungsgericht hat im April 2016 eben
nicht eine dauerhafte Vorratsspeicherung gestattet, son-
dern nur eine unmittelbare Anschlussnutzung inklusive
anschließender Löschung . Man braucht keine Glaskugel,
um heute schon sagen zu können: Die vorgeschlagenen
Regelungen haben gute Chancen darauf, in Karlsruhe
wieder kassiert zu werden .

Die Linke lehnt außerdem die Einführung der elektro-
nischen Fußfessel gepaart mit Aufenthalts- und Kontakt-
verboten ab . Wenn ein konkreter Verdacht einer unmittel-
bar bevorstehenden Straftat vorliegt und der Täter bereit
ist, sein Leben dafür zu opfern, dann nutzt die Fußfessel
gar nichts . Sie unterliegen auch hier dem Irrtum, fehlen-
des Personal bei der Polizei und mangelnde Gefahren-
prognose durch Überwachungstechnik heilen zu können .
Das wird nicht funktionieren .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich nenne Ihnen zwei Beispiele, um das zu belegen .
Adel Kermiche stand in der Normandie unter Hausar-
rest inklusive Fußfessel, als er den 86-jährigen Priester
Jacques Hamel tötete . Oder: Der aus der Strafhaft ent-
lassene Rafik Yousef trug eine Fußfessel, als er in Berlin
mit einem Messer bewaffnet auf eine Polizistin losging.
Hören Sie endlich auf, den Bürgern und Bürgerinnen
vorzumachen, diese Maßnahmen würden schützen! Sie
gaukeln lediglich Sicherheit vor .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Linke lehnt auch den Einsatz von Staatstrojanern
und die Onlinedurchsuchung ab .


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sie lehnen alles ab!)


Im Gesetz fehlen jegliche Regelungen über die vom Tro-
janer einzuhaltenden technischen Anforderungen . Ob
der Trojaner tatsächlich nur Daten ausliest, angegriffe-
ne Systeme manipuliert oder Daten sogar selbst erzeugt,
wissen wohl nur das BKA und die beteiligten externen
Ermittler . Die Kontrolleure sind blind, und blind sind
auch das Parlament und die Justiz . Das für die Kontrol-
le zuständige Amtsgericht Wiesbaden ist zur Beurteilung
der Eingriffstiefe der Software gar nicht in der Lage. Dies
hat das Amtsgericht Wiesbaden in der Anhörung vor dem
Bundesverfassungsgericht selbst erklärt .

Dann bleibt fraglich, wie das BKA eigentlich Zugriff
auf den Rechner bekommt, möglicherweise durch Aus-
nutzung von Sicherheitslücken in Hard- und Software,
gekauft auf einem kriminellen Markt von einem Staat,
der im Interesse der Bürger und Bürgerinnen diese Si-
cherheitslücken eigentlich schließen müsste und sie nicht
für sich nutzen sollte .

Die Onlinedurchsuchung greift in die Arbeitsgrund-
lage von Psychologen und Presse ein . Sie kennen die
vielen Stellungnahmen, die uns als Parlament zugegan-

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière






(A) (C)



(B) (D)


gen sind . Patientengeheimnis, Informantenschutz und
Zeugnisverweigerungsrecht sind Kern der freiheitlichen
Rechtsordnung . Es ist bedauerlich, dass sie einigen hier
im Haus so wenig wert sind .


(Beifall bei der LINKEN)


Das alles bringt kein Mehr an Sicherheit, nur ein Mehr
an Überwachung . Das alles führt zur Preisgabe des Da-
tenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre . Aus die-
sen Gründen werden wir den Entwurf eines Gesetzes
zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes
ablehnen .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823110700

Danke, Frau Kollegin Renner . – Als nächster Redner

spricht Uli Grötsch von der SPD-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Marian Wendt [CDU/CSU])



Uli Grötsch (SPD):
Rede ID: ID1823110800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich habe es gestern im Ausschuss gesagt und ich sage es
gerne auch heute noch einmal, weil mir das wirklich ein
Anliegen ist . Was den Einsatz des sogenannten Staatstro-
janers und die Thematik der Onlinedurchsuchung an-
geht: Eine entsprechende Einschätzung hierzu hat, glau-
be ich, viel damit zu tun, welchen grundsätzlichen Blick
man auf die Sicherheitsbehörden in unserem Land hat .
Ich möchte betonen: Unser Blick ist ein klarer, und wir
haben keinen Zweifel daran, dass die Polizeibehörden,
das Bundeskriminalamt in diesem Fall, die Instrumente,
die wir als Gesetzgeber ihnen an die Hand geben, so nut-
zen, wie es im Gesetz vorgesehen ist und dass sie verant-
wortungsvoll für die Ermittlungsarbeit und für sonst gar
nichts eingesetzt werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit dem vorliegenden Gesetz zur Neustrukturierung
des Bundeskriminalamtgesetzes bringen wir einen Ge-
setzentwurf zum Abschluss, der dem Bundeskriminal-
amt – eigentlich allen Polizeibehörden in Deutschland –
die Tür ins 21. Jahrhundert öffnet. Ein Kompliment ist
es im Grunde nie, wenn das Bundesverfassungsgericht
ein Gesetz an uns zurückgibt . In diesem Fall aber sagt
das Urteil auch, dass die verdeckten Überwachungsmaß-
nahmen grundsätzlich mit dem Grundgesetz vereinbar
sind . Die geforderten Nachjustierungen bezüglich der
Bestimmtheit, der Verhältnismäßigkeit oder der richter-
lichen Kontrolle der Maßnahmen setzen wir mit diesem
Gesetz um .

Wir begrüßen es, dass das Urteil auch Anlass war,
eine komplette Neustrukturierung der polizeilichen Da-
tenbanksysteme von Bund und Ländern unter dem Dach
des Bundeskriminalamtes in Angriff zu nehmen; natür-
lich gab es darüber hier im Parlament Diskussionen . Wir
wollen mit einer zentralen Datenbank und einem poli-
zeilichen Informationsverbund, also mit einer komplett

neuen IT-Architektur, dem Bundeskriminalamt den Weg
ins 21 . Jahrhundert ebnen . Wer sich dem versperrt, setzt
weiterhin auf einen Datenflickenteppich aus 19 unter-
schiedlichen Dateien, auf eine Infrastruktur, die aus den
1970er-Jahren stammt . Das kann nicht der Anspruch ei-
ner modernen Sicherheitspolitik sein .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Wir wollen nicht, dass unsere Polizistinnen und Po-
lizisten sehnsüchtig in unsere Nachbarländer blicken
müssen, etwa nach Holland, weil die Kollegen dort mit
modernster Technik und entsprechenden Befugnissen
ausgestattet sind und dadurch leistungsfähiger fahnden
können . Wir wollen technisch auf der Höhe der Zeit
sein . Bildlich gesprochen: Wir wollen nicht, dass unse-
re Beamten Terroristen am Commodore 64 bekämpfen,
obwohl Terroristen – das ist hinlänglich bekannt – ver-
schlüsselt mit High-End-Geräten arbeiten .

Ich sage Ihnen, dass die Zeit des Nebeneinander-
arbeitens, dass die Zeit der Länderbefindlichkeiten in
Deutschland vorbei sein muss .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben eine Regelung gefunden, wie der Aufwand für
die Länder bei der Übernahme der Altdaten in das neue
Regime so gering wie möglich bleibt . Unser Vorschlag
ist damit praxistauglich . Das haben wir im parlamentari-
schen Verfahren hinlänglich abgeprüft .

Der Terror macht nicht an Ländergrenzen halt . Das ist
nun wirklich keine neue Erkenntnis . Das BKA muss und
wird deshalb auch in Zukunft als Zentralstelle eine maß-
gebliche Rolle spielen . Ein Fall wie Anis Amri darf sich
natürlich nie wiederholen . Die Maxime dabei lautet: Ein
Ermittler in Bayern muss wissen können, dass ein Kolle-
ge in Nordrhein-Westfalen oder anderswo am selben Fall
bzw . an derselben Person dran ist,


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war doch nicht das Problem, Herr Grötsch!)


und zwar nicht erst nach ein paar Tagen, sondern immer
sofort .

Mit diesem Gesetz ziehen wir Konsequenzen aus dem
Zuständigkeitswirrwarr nach dem Anschlag vom Breit-
scheidplatz . Das ist immer ein Spagat zwischen Freiheit
und Sicherheit; das haben wir auch bei diesem Gesetz-
entwurf gesehen . Gerade wir Sozialdemokraten schielen
immer in Richtung Freiheit und achten sehr genau auf die
Verhältnismäßigkeit .


(Beifall bei der SPD – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie gehen halt nie hin! Schielen reicht nicht!)


Frau Renner, weil Sie eben den Albtraum Big Data –
ewig speichern – angesprochen haben, möchte ich Ihnen
eine gute Nachricht überbringen: Sie können aus diesem
Albtraum aufwachen . Die Regelung, von der Sie eben

Martina Renner






(A) (C)



(B) (D)


gesprochen haben, ist im Gesetzentwurf so nicht mehr
enthalten .


(Zuruf der Abg . Martina Renner [DIE LINKE])


Ich habe diese Regelung auch sehr kritisch gesehen – ich
habe das in den Gesprächen im Rahmen des Gesetzge-
bungsverfahrens immer gesagt –, weil sie im schlimms-
ten Fall bedeutet hätte, dass meine personenbezogenen
Daten, auch wenn es sich dabei nur um Bagatelldelikte
gehandelt hätte, unbegrenzt gespeichert worden wären .
Es wäre gewissermaßen eine lebenslange Polizeiakte ent-
standen, und jeder neue Eintrag hätte zur Verlängerung
der Aussonderungsprüffrist geführt. Ich bin sehr froh,
dass das vom Tisch ist und wir den bisherigen Rechts-
zustand beibehalten, weil jeder die Möglichkeit haben
muss, wieder eine weiße Weste zu bekommen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Gut, dass auch hier das Struck’sche Gesetz gegolten
hat: Kein Gesetz verlässt den Bundestag so, wie es rein-
kommt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sicherheitslücken,
die es gibt, schließen wir . Manchmal schießt unser Ko-
alitionspartner vielleicht ein bisschen übers Ziel hinaus .


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: In die richtige Richtung!)


Dann müssen die Sozialdemokraten sie wieder einfan-
gen .


(Lachen der Abg . Martina Renner [DIE LINKE])


Das gelingt insbesondere in Zusammenarbeit mit dem
Bundesjustizministerium ganz hervorragend . Dafür darf
ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Große Koalition forever! Love forever!)


Ein bisschen verwundert war ich daher schon, Herr de
Maizière, über die ungewohnte Zurückhaltung des Bun-
desinnenministeriums bei der anstehenden Änderung des
Waffenrechts. Anstatt eine eindeutige Regelung vorzule-
gen, damit die Waffenbehörden vor jeder Erlaubnisertei-
lung eine Abfrage bei den Verfassungsschutzämtern über
verfassungsfeindliche Einträge durchführen können,
drucksen Sie herum und unterbreiten einen halbherzigen
und sehr ungenauen Vorschlag . Wir sagen: Keine legalen
Waffen an Extremisten.


(Zuruf von der CDU/CSU: Und keine illegalen! Überhaupt keine Waffen!)


Sie aber trauen sich nicht und zögern . Die bei allen an-
deren Fragen der Terrorabwehr an den Tag gelegte Ent-
schlossenheit erwarte ich auch in dieser Sache . Wir wer-
den hier nicht lockerlassen .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Clemens Binninger [CDU/CSU])



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823110900

Vielen Dank, Herr Kollege . – Als Nächste spricht die

Kollegin Irene Mihalic von Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823111000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Herr Grötsch, Sie haben in Ihrer Rede als Re-
aktion auf die Ausführungen der Frau Kollegin Renner
die Mitziehautomatik angesprochen . Da haben Sie sich
in der Tat von den Experten in der Anhörung belehren
lassen und die Regelung aus Ihrem Gesetzentwurf ge-
nommen .

Dennoch – das muss man sagen – bedeutet das neue
BKA-Gesetz das Ende des polizeilichen Datenschutzes,
wie wir ihn kannten;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


denn ob mit oder ohne Mitziehautomatik: Der zentrale
Grundsatz der Zweckbindung von Informationen und
Daten, Herr de Maizière, wird in pauschaler Weise auf-
gehoben .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!)


Das wissen auch Sie .

Die Neuverknüpfung von Daten kommt einer Neu-
erhebung gleich . Deswegen spielt das schon eine große
Rolle. Ich kann offen gestanden nicht nachvollziehen,
warum Sie solche verfassungsrechtlichen Risiken, die
damit verbunden sind, in Kauf nehmen . Das Einzige,
was Sie damit erreichen, ist ein Klageabo in Karlsruhe .
Stattdessen sollten Sie lieber die bekannten Probleme im
Rahmen der bestehenden Systeme lösen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Anstatt massenhaft alles Mögliche zu speichern, wäre
es viel besser, valide Informationen möglichst zeitnah
und gründlich auszuwerten; das zeigen auch die Sach-
verhalte, mit denen wir es in der Vergangenheit zu tun
hatten . Sie wissen ganz genau, dass Polizeiarbeit immer
dann besonders erfolgreich ist, wenn sie spezifisch ist.
Spezifische und zielgerichtete Polizeiarbeit hat auch kein
Datenschutzproblem .

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil
zum BKA-Gesetz viele bestehende Befugnisse beanstan-
det und einen engen Entscheidungskorridor definiert. Mit
Ihrem Gesetzentwurf schrammen Sie permanent an der
rechten Leitplanke dieses Korridors entlang . Das, was
nach Einschätzung des Gerichts gerade noch so verfas-
sungsrechtlich zulässig wäre, haben Sie dann per Co-
py-and-paste ins Gesetz geschrieben . Copy-and-paste ist
aber nicht nur schlechter gesetzgeberischer Stil, sondern
Sie verkennen damit auch Ihre Aufgabe, für die Verhält-
nismäßigkeit im weiteren Sinne zu sorgen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie gehen nicht minimalinvasiv vor, wie Sie es gerade
gesagt haben, Herr de Maizière, sondern Sie gehen rich-
tig in die Vollen .

Uli Grötsch






(A) (C)



(B) (D)


Unser Entschließungsantrag macht diese Versäumnis-
se noch einmal deutlich . Durch die Neustrukturierung der
Datenbanken beim BKA betreiben Sie eine unverhältnis-
mäßig weite Speicherung – und die noch auf Vorrat –,
ohne dass in einem einzigen Fall belegt wäre, dass eine
solche Neustrukturierung tatsächlich zur Verbrechens-
verhütung beiträgt . Eine Regelung zu Staatstrojanern, die
nicht mindestens auch die technischen Anforderungen an
die Software klar definiert, lässt nicht einmal den Ver-
such erkennen, dass Sie sich mit den verfassungsrechtli-
chen Vorgaben beschäftigt haben .

Auch der kriminalistische Nutzen eingriffsintensiver
Maßnahmen wurde im Rahmen dieses Entwurfs nicht
hinreichend berücksichtigt . Das sehen wir am Beispiel
der Fußfessel . Die Fußfessel ist als Maßnahme zur Über-
wachung von Gefährdern schlicht ungeeignet,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])


selbst dann, wenn die Überwachung ausnahmsweise ein-
mal nicht verdeckt erfolgen soll . Sie ist ein reines Pla-
cebo . Selbst das BKA sagt in seiner internen Einschät-
zung, die wir alle kennen, eindeutig, dass die Fußfessel
so ziemlich das Letzte ist, was Gefährder daran hindert,
Anschläge zu begehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Fußfessel zur polizeilichen Überwachung von Ge-
fährdern – ich rede jetzt nicht über die Fußfessel im Maß-
regelvollzug, sondern über die polizeirechtliche Fußfes-
sel, wie sie hier im BKA-Gesetz vorgesehen ist – gibt es
nirgendwo sonst auf der Welt .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nirgendwo auf der Welt!)


Das ist absolutes Neuland; so würden Sie von der Union
es vielleicht bezeichnen . Sie planen hier einen groß ange-
legten Feldversuch, ein riesiges Experiment am offenen
Herzen der öffentlichen Sicherheit. Mir wäre es an dieser
Stelle lieber, Sie würden endlich einmal konkrete Schlüs-
se aus dem Fall Anis Amri ziehen, der übrigens niemals
ein Kandidat für die Fußfessel gewesen wäre .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Neben all den verfassungsrechtlichen Fragen macht
mich ein Aspekt besonders betroffen. Für uns alle steht
die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger ganz oben auf
der Agenda .


(Zurufe von der CDU/CSU: Na ja!)


– Haben Sie etwa Zweifel daran, dass wir uns um die Si-
cherheit der Bürgerinnen und Bürger sorgen? Wenn das
so ist, möchte ich gerne, dass Sie das hier einmal laut
sagen . – Deshalb ist es im Sinne der Sicherheit der Bür-
gerinnen und Bürger keine gute Politik, die Polizei und
die Sicherheitsbehörden mit Gesetzen im Regen stehen
zu lassen, deren Nutzen fragwürdig ist und die am Ende
in Karlsruhe wieder eingesammelt werden . Damit ist nie-
mandem gedient, weder der Polizei noch der Sicherheit
der Bürgerinnen und Bürger . Mehr Sorgfalt in der Be-

ratung und mehr Präzision in der Ausgestaltung wären
dringend angebracht . All das lassen Sie leider vermissen .

Dazu kommt: Die bereits bestehenden gesetzlichen
Möglichkeiten, sowohl repressiv als auch präventiv, wur-
den in bestimmten Fällen überhaupt nicht ausgeschöpft .
Der Fall Amri ist solch ein trauriges Beispiel . Für diese
Defizite gibt es klare Belege. Wenden Sie die bestehen-
den Gesetze an, anstatt immer neue Gesetze zu schaffen,
die letztlich sowieso wieder in Karlsruhe landen und nie-
mandem weiterhelfen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823111100

Vielen Dank, Frau Kollegin . – Das Wort hat jetzt

Stephan Mayer von der CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1823111200

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kol-

leginnen! Sehr geehrte Kollegen! Die erste Lesung des
BKA-Gesetzes fand am 17 . Februar dieses Jahres noch
unter dem starken und sehr authentischen Eindruck des
schrecklichen, unfassbaren Anschlags vom Breitscheid-
platz kurz vor Weihnachten 2016 statt . Aber die Welt ist
seitdem nicht stillgestanden . Es gab weitere terroristisch
bzw . islamistisch motivierte Anschläge – in London, in
Stockholm, in Paris – mit vielen weiteren Toten .

Die terroristische Bedrohung ist unvermindert hoch .
Ich glaube, man kann mit Fug und Recht behaupten: Sie
war nie größer . Auch die vom Bundesinnenminister am
vergangenen Montag vorgestellte Polizeiliche Kriminal-
statistik für das Jahr 2016 zeigt auf sehr eindrucksvolle
Weise, dass insbesondere die Anzahl der Delikte im Be-
reich der politisch motivierten Ausländerkriminalität von
2015 auf 2016 deutlich gestiegen ist, und zwar um sage
und schreibe 66,5 Prozent .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die rechten Straftaten auch! Gut, dass Sie das ansprechen, Herr Mayer!)


Damit haben wir die höchste absolute Zahl von politisch
motivierten Ausländerkriminalitätsdelikten seit 2001,
seit Beginn dieses Meldedienstes, erreicht .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt täuscht schon ein Rechtsextremist angebliche islamistische Anschläge vor! – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal etwas zu rechts!)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, un-
sere Sicherheitsbehörden stehen vor großen, enormen
Herausforderungen . In der Sicherheitsarchitektur unse-
res Landes kommt dem Bundeskriminalamt aufgrund
seiner Zentralstellenfunktion eine besondere Bedeutung
zu, natürlich auch wegen seiner originären Kompetenz

Irene Mihalic






(A) (C)



(B) (D)


bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und
der Bekämpfung der organisierten Kriminalität .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie das mal Herrn Herrmann!)


Die Novellierung des BKA-Gesetzes, die wir heute
abschließen, ist nicht die erste Novellierung des Bun-
deskriminalamtgesetzes, das es seit 1951 gibt, aber mit
Sicherheit seine umfassendste . Mit der Beschlussfassung
über dieses Gesetz schaffen wir es, die Vorgaben des Ur-
teils des Bundesverfassungsgerichts vom 20 . April letz-
ten Jahres umzusetzen .

Frau Kollegin Renner, es stimmt nicht, dass der Da-
tenschutz durch dieses neue Gesetz unterminiert oder
reduziert wird . Der Datenschutz wird sogar ausgeweitet .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo?)


Es gibt mehr datenschutzrechtliche Kontrolle . Es gibt
eine Stärkung der Transparenz . Es gibt eine Ausweitung
der Löschungspflichten. Es gibt mit diesem Gesetz auch
eine Stärkung des individuellen Rechtsschutzes .


(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)


Frau Kollegin Mihalic und Frau Kollegin Renner, Sie
müssen sich schon einmal entscheiden . Sie werfen uns
einerseits vor, dass wir Copy-and-paste machen und die
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu detailgenau
im Gesetz niederschreiben .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Ihre Experten Ihnen vorgeworfen! – Gegenruf des Abg . Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das war kein Vorwurf! Das war nur eine Feststellung!)


Andererseits werfen Sie uns vor, wir würden verfas-
sungswidrig handeln .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehen Sie noch mal zu Ihren Experten aus der Anhörung! Ihre Experten waren das! – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das waren doch Ihre Sachverständigen!)


Es kann nur eine Argumentation stimmen . Entweder hal-
ten wir uns zu eng an das Urteil des Bundesverfassungs-
gerichts, oder wir negieren das Urteil des Bundesver-
fassungsgerichts und arbeiten mit weit überschießender
Tendenz verfassungswidrig .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es waren Ihre Sachverständigen, Herr Mayer!)


Beides kann nicht zusammenpassen, meine sehr verehr-
ten Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Burkhard Lischka [SPD])


Ich bin der festen Überzeugung, dass wir hier, ins-
besondere vor dem Hintergrund des Grundsatzes der
hypothetischen Datenneuerhebung, den das Bundesver-

fassungsgericht aufgestellt hat, gesetzgeberisch sehr or-
dentlich und sehr genau gearbeitet haben .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das attestiert man sich gerne!)


Wir setzen darüber hinaus die Datenschutzrichtlinie der
Europäischen Union für den öffentlichen Sicherheitsbe-
reich um . Auch das ist ein sehr wichtiger Aspekt . Der
Austausch von Informationen zwischen den Sicherheits-
behörden in Europa ist von elementarer Bedeutung, auch
für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in unse-
rem Land . Indem wir als erstes EU-Land die EU-Daten-
schutzrichtlinie in nationales Recht umsetzen, erleichtern
wir die Datenweitergabe an andere Sicherheitsbehörden
in Europa . Damit stärken wir die Sicherheitslage in unse-
rem Land, aber auch in anderen Ländern .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ein
sehr wesentlicher Punkt ist – das ist, glaube ich, ein wirk-
lich epochaler Schritt –, dass wir die IT-Infrastruktur der
gesamten Sicherheitsbehörden in Deutschland auf neue
Beine stellen . Die IT-Sicherheitsarchitektur hat über eine
zu lange Zeit hinweg immer noch den Geist der 70er-Jah-
re in sich getragen .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, stimmt!)


Es ist richtig, dass wir hier eine Modernisierung bzw . Er-
tüchtigung vornehmen .

Ich bin auch sehr dankbar, dass es insbesondere auf
Initiative der Innen- und Sicherheitspolitiker der Unions-
bundestagsfraktion gelungen ist, im parlamentarischen
Verfahren einen Änderungsantrag zustande zu bringen,
der gewährleistet, dass vorhandene Altdaten von den
Ländern weiter genutzt werden können . Ich sage hier
sehr ernsthaft und sehr eindringlich: Es wäre wirklich
unwürdig und aus meiner Sicht der Sicherheit unseres
Landes nicht zuträglich gewesen, wenn wir auf Basis des
Ausgangsentwurfs die Regelung getroffen hätten, dass
die Altdaten zwar weiterhin von den Ländern vorgehal-
ten werden dürfen, wir den Länderpolizeibehörden aber
untersagt hätten, diese Daten weiter zu nutzen . Das wäre
unverantwortlich gewesen .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre ein Stück aus dem Tollhaus gewesen!)


Deswegen ist es richtig, dass wir es mit unserem Ände-
rungsantrag, der heute ebenfalls zur Abstimmung gestellt
wird,


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gratulieren wir Ihnen!)


ermöglichen, dass die Länderpolizeibehörden nicht
künstlich blind gehalten und künstlich zur Untätigkeit
verdammt werden, sondern dass diese Altdaten weiter
genutzt und verwertet werden dürfen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Burkhard Lischka [SPD])


Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, die
elektronische Fußfessel ist nun mit Sicherheit kein All-
heilmittel .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dafür gibt es jetzt 5 Euro ins Phrasenschwein! Aber was ist sie dann? – Gegenruf des Abg . Clemens Binninger [CDU/ CSU]: Eine Fußfessel!)


Frau Kollegin Mihalic, niemand hat behauptet, dass Anis
Amri prädestiniert gewesen wäre für das Tragen einer
elektronischen Fußfessel . Aber ich bin der festen Über-
zeugung, Herr Kollege von Notz, dass der Einsatz der
elektronischen Fußfessel in dem einen oder anderen Fall


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In wie vielen Fällen?)


unterstützend durchaus ein wertvolles Instrument sein
kann, um Gefährder, die auch wissen, dass sie als Ge-
fährder eingestuft werden, zu kontrollieren .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gibt es sonst nirgendwo auf der Welt!)


Es ist bekannt, dass die Rund-um-die-Uhr-Überwa-
chung eines Gefährders 24 bis 30 Mitarbeiter des Verfas-
sungsschutzes bindet .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unstreitig!)


Gerade vor dem Hintergrund der starken personellen In-
anspruchnahme der Verfassungsschutzämter ist es mei-
nes Erachtens richtig, dass wir mit der Möglichkeit des
Einsatzes der elektronischen Fußfessel hier ein weiteres
Instrument zur Unterstützung schaffen.


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich dachte, das machen die Länder!)


Ich sage auch ganz offen: Derzeit gibt es auf Bundes-
ebene keinen einzigen Gefährder, der für das Tragen der
elektronischen Fußfessel prädestiniert wäre .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach so!)


Deshalb sind mein klarer Wunsch und mein klarer Appell
im Rahmen dieser Gesetzgebung, dass sich die Länder
bitte ein Beispiel an der Novellierung des BKA-Gesetzes
nehmen und in ihren Polizeiaufgabengesetzen die Mög-
lichkeit schaffen, die Gefährder, die bei den Ländern ge-
halten werden,


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch die haben keine Gefährder, die dafür in Frage kommen! Das macht alles keinen Sinn!)


auch mit der elektronischen Fußfessel entsprechend
überwachen zu können .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Burkhard Lischka [SPD])


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich
bin gespannt – wir werden ja den Praxistest machen kön-

nen –, welche Länder von dieser Möglichkeit Gebrauch
machen . Ich bin mir zum Beispiel sicher, dass mein Hei-
matland Bayern diese Möglichkeit sehr schnell in das
bayerische Polizeiaufgabengesetz übernehmen wird .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie ja in Hammelburg damit anfangen!)


Ich bin mir sehr sicher, dass es auch andere Länder geben
wird . Frau Mihalic, wenn Ihr Heimatbundesland Nord-
rhein-Westfalen so weiterregiert werden würde, wie es
jetzt regiert wird, wird es von dieser Möglichkeit nicht
Gebrauch machen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Burkhard Lischka [SPD] – Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Machen wir deshalb in einem Jahr den Praxistest und
sehen wir dann, wie viele Länder entsprechend verant-
wortungsbewusst handeln . Ich bitte um Zustimmung zu
diesem wichtigen Gesetzentwurf .

Danke für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das Niveau abgefallen! Unfassbar!)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823111300

Herzlichen Dank, Herr Kollege Mayer . – Als Nächs-

te hat das Wort die Kollegin Susanne Mittag von der
SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hoffentlich kommst du aus dem richtigen Bundesland!)



Susanne Mittag (SPD):
Rede ID: ID1823111400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr de

Maizière! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehr-
te Damen und Herren! Mit der heute zu beschließenden
Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes ha-
ben wir es mit einem, wie man bei uns im Norden – da
sind die richtigen Bundesländer – sagt, echten Dickschiff
zu tun, und zwar nicht nur, was den Tiefgang der Be-
ratungen angeht – wir haben uns damit ordentlich be-
schäftigt –, sondern auch, welche Bugwelle das Ganze
gesetzgeberisch und besonders organisatorisch für das
BKA vor sich herschiebt . Denn wir haben es nicht nur
mit einer vollkommenen Umstrukturierung – das ist
schon erwähnt worden – des Datenbestandes des BKA
zu tun, die auch die Länder betrifft, nein, in diesem Ge-
leitzug werden wir heute auch das Datenschutz-Anpas-
sungs- und -Umsetzungsgesetz und das Europol-Gesetz
beschließen . Alle drei Gesetze haben Bezüge zueinander .
Das Europol-Gesetz wird heute Abend ebenfalls im Ple-
num behandelt und wurde hinsichtlich der Umsetzungs-
fristen dem BKA-Gesetz angepasst .

Bei der Diskussion und Prüfung wurde deutlich, dass
die Gesetze nur bedingt aufeinander bzw . auf die Bun-
desländer abgestimmt waren . Wir haben nochmals Ex-
perten aus den Polizeien der Länder zu Rate gezogen .

Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)


Dabei stellte sich heraus, dass das BKA-Gesetz in seinem
ersten Entwurf in der Praxis gar nicht hätte umgesetzt
werden können .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach so!)


Die Daten der Länderpolizeien hätten nicht automatisiert
in das neue System übernommen werden können, son-
dern hätten erst überprüft und katalogisiert werden müs-
sen . Das wäre nur mit einem immensen Personalaufwand
möglich gewesen und war damit indiskutabel . Ich möch-
te mich deswegen ganz ausdrücklich bei den Länderpoli-
zeien aus Niedersachsen, Baden-Württemberg und Bay-
ern bedanken, die uns innerhalb kürzester Zeit mit ihrer
Expertise geholfen und zu einer praktikablen Lösung
beigetragen haben, wie auch beim Kollegen Binninger .
Sie haben das Gesetz zusammen mit der SPD gemacht,
damit es umsetzbar ist und sich nicht die Länder fragen,
was wir hier im Bund beschlossen haben .

Ausgangspunkt für die komplette Umstrukturierung
der Datensysteme war das Urteil des Bundesverfassungs-
gerichtes – das ist hier schon erwähnt worden –, das das
BKA-Gesetz in der bisherigen Form in Teilen als nicht
rechtmäßig ansah .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil Sie Mist gemacht haben!)


Das hat dazu geführt, dass das BMI uns sicherheitshal-
ber – wie passend – einen Entwurf vorgelegt hat, der
sich zum Teil wortwörtlich an den Vorgaben des höchs-
ten deutschen Gerichtes orientiert . In Anhörungen haben
einige Sachverständige bemängelt, so genau hätte man
das gar nicht machen müssen, das wäre gar nicht nötig
gewesen . Das mag sein, verhindert, wie ich denke, aber
sicherlich eine neue Verfassungsrechtsproblematik .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na!)


Denn wir müssen dem BKA die nötige Zeit und Sicher-
heit geben, um die so wichtige Aufgabe der Umstruktu-
rierung neben den bereits erheblich gewachsenen Aufga-
ben erfüllen zu können . Dabei fangen sie jedoch nicht
bei Null an .

Ich habe gerade schon die Zusammenarbeit mit den
Länderpolizeien bei den Beratungen gelobt . Diese Zu-
sammenarbeit wird sich in den nächsten Jahren noch ver-
tiefen, und zwar als gleichberechtigte Partner .

Ich möchte hier klarstellen, dass das Bundeskrimi-
nalamt eine Zentralstellenfunktion für das polizeiliche
Nachrichten- und Auskunftswesen hat und Dienstleister
ist . Das heißt nicht, dass sich daraus eine übergeordnete
Vorgesetztenfunktion ergibt . Ziel ist eine informations-
technische Verknüpfung in einem föderalen System . Wir
alle haben es mitgekriegt: Das hat in den letzten Jahren
nicht immer gut geklappt .

Bei endlichen finanziellen und personellen Ressour-
cen, wachsenden Aufgaben und neuen Phänomenen kön-
nen wir uns 19 Parallelstrukturen in diesem Land nicht
leisten . Man denke nur an das Ausmaß der Netzkrimi-
nalität, die zu bearbeiten ist . Bei den Verfahren geht es
derzeit locker um Daten im Terabyte-Bereich .

Als Beispiel möchte ich hier auch einmal das Hinweis-
portal des BKA nennen, die sogenannte Boston Cloud .
Diese vom BKA betriebene Infrastruktur wird anlass-
bezogen und für einen begrenzten Zeitraum, in dem die
Bürgerinnen und Bürger Fotos und Videos hochladen
können, freigeschaltet . Diese Daten stehen dann den Po-
lizeibehörden in den Ländern für ihre Ermittlungen zur
Verfügung. Das ist zuletzt nach den Angriffen bei dem
Bundesligaspiel des BVB gegen Leipzig am 4 . Februar
2017 der Fall gewesen .

Das sind wichtige Strukturen, die die Polizei für ihre
länderübergreifende Arbeit benötigt. Durch die flächen-
deckende Verbreitung und den andauernden Gebrauch
von Smartphones kommen hier riesige Datenmengen
zusammen, die den Behörden übermittelt werden . Diese
müssen auch erst einmal verarbeitet und geschützt wer-
den; denn es gab auch schon Hackerangriffe auf dieses
Portal .

Es ist zukunftsorientiert, dass das BKA als Zentral-
stelle diesen Service anbietet und die Arbeit der Poli-
zei vernetzt und unterstützt . Das gilt auch in Bezug auf
die Informations-, Einsatz- und Kriminaltechnik in der
bisherigen Form – diese ganze Arbeit läuft ja weiter –,
in Bezug auf die neuen Bereiche wie die elektronische
Aufenthaltsüberwachung – so heißt das nämlich – und
in Bezug auf die Organisation des Inneren Sicherheits-
fonds – unter anderem zur Bekämpfung der organisierten
Kriminalität –, was nämlich auch beim BKA stattfindet.

Ich denke, dieser Gesetzentwurf ist ein wichtiger
Schritt zur Verbesserung unserer Sicherheitsstruktu-
ren und zur effizienten Kriminalitätsbekämpfung. Über
die haushalterischen Auswirkungen unterhalten wir uns
demnächst noch einmal; denn dazu gibt es auch noch ei-
niges zu beschließen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823111500

Herzlichen Dank, Frau Kollegin . – Als letzter Redner

in dieser Debatte spricht jetzt Clemens Binninger von der
CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1823111600

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Auch an die Adresse der Rednerinnen und Redner
der Opposition gewandt, will ich mit einem Fallbeispiel
beginnen, das deutlich macht, warum wir dringend eine
andere Form der Zusammenarbeit im Bereich des Daten-
austausches brauchen .

Anfang der 2000er-Jahre gab es in Sachsen und Thü-
ringen eine Serie von Banküberfällen . Es waren immer
zwei männliche Täter, die, bewaffnet mit Faustfeuerwaf-
fen, Banken überfallen haben und danach mit Fahrrädern
geflüchtet sind. Es war eine Serie von 13 Überfällen.
Diese wurden isoliert bearbeitet . Zwei solcher Fälle fan-
den außerdem in Mecklenburg-Vorpommern statt, und
man konnte der Täter nicht habhaft werden .

Susanne Mittag






(A) (C)



(B) (D)


Viel tragischer ist aber: In den alten Bundesländern
gab es in der gleichen Zeit eine Mordserie, bei der zehn
Menschen – darunter neun ausländische Mitbürger –
kaltblütig ermordet wurden . Der einzige Hinweis, den
man hatte, war, dass es zwei männliche Personen mit
Faustfeuerwaffen waren, die mit Fahrrädern geflüchtet
sind . – Es war der NSU .

Aufgrund der Struktur der Datenbanken und auch
durch Recherche war es für die Polizisten in Sachsen,
Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern nicht mög-
lich, zu erkennen, dass es im Rest von Deutschland eine
Mordserie gab, bei der die Beschreibung der flüchtenden
Mörder identisch war mit der Beschreibung der Täter bei
den Banküberfällen . So wurden diese beiden Serien pa-
rallel bearbeitet, ohne dass man je den Zusammenhang
erkannt hat, bevor 2011 der NSU aufflog.

Das wird jetzt beseitigt . Dagegen etwas zu haben,
kann ich persönlich nicht verstehen und ist wirklich nie-
mandem in diesem Land erklärbar .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es geht nämlich beim BKA-Gesetz nicht nur um Ter-
rorismusbekämpfung . Es ist richtig: Ein ganzer Abschnitt
befasst sich mit der Terrorismusbekämpfung . Wir setzen
damit die Vorgaben um, die uns das Bundesverfassungs-
gericht in Karlsruhe gemacht hat: beim Kernbereichs-
schutz, beim Schutz von Berufsgeheimnisträgern – dazu
haben wir manche Debatte zu führen gehabt – oder bei
Eingriffen in den Datenschutz.

Ja, Kollege von Notz, wir haben das Urteil, das äußerst
anspruchsvoll war – übrigens wurde es im Senat nicht
einstimmig beschlossen, sondern im Stimmenverhältnis
5 : 3 –, in vielen Passagen übernommen . Die Sachver-
ständigen haben das aber nicht kritisiert, sondern sie ha-
ben selber zugegeben, dass sie angesichts der Komplexi-
tät für den Gesetzgeber Verständnis haben, wenn er sagt:
Da begibt er sich auf die sichere Seite . Ich glaube, an
diesem Punkt kann man keine Kritik an uns festmachen .
Sie haben sogar gesagt: Wir gehen an manchen Stellen
darüber hinaus . Deshalb verstehe ich die Kritik, dass hier
der Datenschutz aufgegeben wird, wirklich nicht .

Was wir jetzt bekommen, ist, dass 19 Systeme und
über 200 verschiedene Dateien – über 200 verschiede-
ne! –, die es bei den Polizeien in Bund und Ländern gibt,
in einer „Polizeicloud“ zusammengeführt werden, in der
man dann recherchieren kann . Jedes Datum muss, bevor
es in diese Cloud eingegeben wird – die Altdaten sind
davon ausgenommen und werden so lange parallel ge-
nutzt, bis sie die Voraussetzungen erfüllen –, die erhöhten
Anforderungen von § 14 BKA-Gesetz erfüllen . Da die
Sorge zu haben, wir könnten den Datenschutz aufgeben,
ist wirklich nicht nötig .

Wir machen das, was notwendig ist . Dieses Gesetz ist
modern . Das Ganze wird ein Riesenprojekt sein, Herr
Minister . Ich weiß nicht, ob dieses Projekt 2020 fertig
sein wird . Es könnte ein bisschen länger dauern . Aber
dieses Projekt ist notwendig, weil die Herausforderun-
gen für die innere Sicherheit sehr groß sind . Wir geben
damit eine richtige, präzise und fortschrittliche Antwort .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Auf die Fußfessel will ich nicht eingehen . Die Rege-
lungen dazu finden sich in einem Paragrafen. Sie sind
aber nicht entscheidend .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür haben wir aber viel darüber geredet!)


Ich will zum Schluss auf etwas eingehen, was schon
ein paarmal angesprochen wurde . Mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf schaffen wir einen umfassenden rechtli-
chen und technischen Rahmen für das BKA, der für alle
Kriminalitätsbereiche gilt: Terror, Allgemeinkriminalität,
Zusammenarbeit mit den Ländern und internationale Zu-
sammenarbeit . Wir werden dafür im Haushalt, Frau Kol-
legin Mittag, vorsorgen: Das BKA bekommt über 1 000
neue Stellen und auch sonst entsprechende Mittel . Also,
das Parlament gibt all das, was notwendig ist .

Aber ich glaube, an einer Stelle müssen wir in der
nächsten Legislatur in diesem Haus oder wo auch immer
eine Debatte führen: Sind die Strukturen für die Bekämp-
fung des internationalen Terrorismus, wie wir sie haben,
für den Umgang mit 600 Gefährdern die richtigen? Kann
es sein, dass 40 verschiedene Behörden für den Umgang
mit Gefährdern in Deutschland parallel zuständig sind?
Kann das so bleiben, oder müssten wir Verantwortlich-
keiten nicht stärker bündeln?


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss doch nicht so sein!)


Das betrifft den Umgang mit Gefährdern bei Strafverfah-
ren, bei Terrorverfahren und bei der Abschiebung, wenn
es um ausreisepflichtige Gefährder geht. Diese Lehren
aus dem Fall Amri sind alle noch zu ziehen .

Ich will uns einfach ermutigen . Auch ich weiß nicht,
was am Ende wirklich hilft oder nicht . Aber die Debatte
gar nicht zu führen und zu sagen: „Wir machen mit die-
ser Struktur einfach weiter, weil das auch den Ländern
lieber wäre“, wird den aktuellen Anforderungen in Bezug
auf die Sicherheit der Bürger nicht gerecht . Deshalb: Das
BKA-Gesetz ist eine gute Grundlage für die Datenverar-
beitung und für die Terrorismusbekämpfung . Aber lassen
Sie uns über die Strukturen – der Minister hat hierzu ei-
nen Aufschlag gemacht – eine wichtige und notwendige
Debatte führen, vielleicht mehr im Verhältnis des Bundes
zu den Ländern und weniger im Verhältnis der Parteien
untereinander . Aber verzichten können wir auf eine sol-
che Debatte nicht .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823111700

Herzlichen Dank, Herr Kollege . – Damit schließe ich

die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskri-
minalamtgesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf den Druck-
sachen 18/12076 und 18/12141, den Gesetzentwurf der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksa-

Clemens Binninger






(A) (C)



(B) (D)


che 18/11163 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich
bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koa-
lition gegen die Stimmen der Opposition angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit dem gleichen Stimmergebnis angenommen .

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/12131 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali-
tion gegen die Stimmen der Opposition abgelehnt .

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des In-
nenausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregie-
rung zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtge-
setzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksachen 18/12076
und 18/12141, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksachen 18/11326 und 18/11658 für erledigt
zu erklären . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gibt es Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen des ganzen
Hauses angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrach-
ten Entwurfs eines … Gesetzes zur Ände-
rung des Strafgesetzbuches – Stärkung des
Schutzes von Vollstreckungsbeamten und
Rettungskräften

Drucksache 18/11161

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
… Gesetzes zur Änderung des Strafgesetz-
buches – Stärkung des Schutzes von Voll-
streckungsbeamten und Rettungskräften

Drucksache 18/11547

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/12153

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der
Parlamentarische Staatssekretär Christian Lange .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


C
Christian Lange (SPD):
Rede ID: ID1823111800


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Heute beraten wir abschließend den Gesetzentwurf zur
Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und
Rettungskräften . Die Dringlichkeit dieses Gesetzge-
bungsvorhabens unterstreicht die Polizeiliche Kriminal-
statistik für das Jahr 2016 . Im vergangenen Jahr wurden
über 71 000 Polizeivollzugsbeamtinnen und -vollzugs-
beamte Opfer von Gewaltdelikten: 2016 sind damit
6 345 Polizeivollzugsbeamtinnen und -vollzugsbeamte
mehr Opfer solcher vollendeter Gewaltdelikte geworden .
Das ist ein Anstieg um 11,2 Prozent .

Meine Damen und Herren, die Wirklichkeit ist für die
Betroffenen noch düsterer als diese Zahlen. Wenn Sie mit
Polizistinnen und Polizisten reden, werden diese bestä-
tigen, dass ihnen immer öfter Hass, Beleidigungen und
Gewalt entgegenschlagen . Immer öfter wird ihre Arbeit
durch einen Mangel an Respekt erschwert: mangelnder
Respekt vor dem Gesetz und vor den Menschen, die es
durchsetzen . Auch andere Vollzugsbeamte – beispiels-
weise Gerichtsvollzieher – sind davon betroffen.

Mit dem Gesetz, das wir nun heute beschließen wol-
len, werden tätliche Angriffe gegen alle Vollzugsbeamte
künftig härter bestraft, und dies unabhängig davon, ob
sie gerade eine Vollstreckungshandlung vornehmen oder
in sonstiger Weise dienstlich handeln . Vollstreckungsbe-
amte sind als Repräsentanten des Staates besonders ex-
poniert, und sie brauchen alle unseren Schutz . Das ist das
Mindeste, was wir für sie tun können .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Neuregelung für Vollstreckungsbeamte kommt
außerdem den Männern und Frauen von Feuerwehren,
Katastrophenschutz, zum Beispiel dem THW, und den
Rettungsdiensten bei Hilfseinsätzen zugute . Das ist eben-
falls längst überfällig; denn auch sie sind leider zuneh-
mend Opfer .

In der Ausschussberatung ist nun gegenüber dem ur-
sprünglichen Gesetzentwurf noch ein wichtiger Punkt
hinzugekommen. Als Ergebnis der öffentlichen Anhö-
rung zu dem Gesetzentwurf sollen zukünftig Verhaltens-
weisen strafbar sein, durch die Rettungsmaßnahmen be-
hindert werden, und zwar unabhängig davon, auf welche
Weise die Behinderung geschieht und ob die hilfeleisten-
de Person zu den Rettungskräften im Sinne des § 115 Ab-
satz 3 unseres Strafgesetzbuches in der Entwurfsfassung
gehören .

Da diese Vorschrift alle Personen schützt, die Hilfe
leisten oder Hilfe leisten wollen, soll sie systematisch
nicht bei den Widerstandsdelikten in den §§ 113 ff. unse-
res Strafgesetzbuches eingefügt werden; sie ergänzt viel-
mehr die Strafvorschrift der unterlassenen Hilfeleistung
in § 323c StGB .

Mit dieser neuen Vorschrift wird nicht nur die soge-
nannte Gafferproblematik erfasst, zu der der Bundesrat
einen Gesetzentwurf vorgelegt hat . Vielmehr kann sie
auch zum Beispiel bei einem Blockieren von Notfallgas-
sen auf der Autobahn oder bei einer Beeinträchtigung der

Vizepräsidentin Michaela Noll






(A) (C)



(B) (D)


Tätigkeit von Ärztinnen und Ärzten oder Krankenhaus-
personal in der Notaufnahme greifen .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist alles schon strafbar! Alles!)


Meine Damen und Herren, zollen wir also den Polizis-
tinnen und Polizisten sowie den Rettungskräften den not-
wendigen und, wie ich meine, ihnen auch gebührenden
Respekt und Schutz und stimmen dem Gesetzentwurf der
Koalition zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungs-
beamten und Rettungskräften zu . Darum möchte ich Sie
herzlich bitten .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823111900

Vielen Dank, Herr Staatssekretär . – Als Nächster hat

der Kollege Frank Tempel von der Fraktion Die Linke
das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823112000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Die Linke begrüßt ausdrücklich, dass wir
uns als Legislative mit der Gewalt gegen Polizei und Ret-
tungsdienste und natürlich auch mit der Behinderung von
Rettungseinsätzen beschäftigen .

Als ehemaliger Polizeibeamter macht es mich aber
richtig sauer, wenn mir unterstellt wird, die Bekämpfung
dieser Phänomene läge mir nicht am Herzen, nur weil wir
vielleicht Vorschläge, die die Unionsfraktion macht, hier
ablehnen, weil sie nicht zielführend sind .

Zunehmende Gewalt muss ganz einfach Ursachen ha-
ben . Am Anfang der Woche wurde die Polizeiliche Kri-
minalstatistik vorgelegt . Wir wissen, dass die Gewaltkri-
minalität insgesamt gestiegen ist .


(Unruhe bei der CDU/CSU)


– Da sollten Sie schon einmal zuhören . Denn die Zahlen
haben auch Sie bekommen .

Es macht zumindest aus Sicht der Linken keinen Sinn,
hier einzelne Phänomene wie die Gewalt gegen Polizei-
beamte herauszugreifen . Vielmehr müssen wir diesem
gesamtgesellschaftlichen Problem ernsthaft auf den
Grund gehen .


(Beifall bei der LINKEN – Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Das eine schließt das andere ja nicht aus!)


Meine Damen und Herren, wenn ein Wasserhahn
tropft, wechsele ich nicht den Scheuerlappen, sondern
versuche erst einmal, den Wasserhahn zu schließen . Sol-
che einfachen Regeln des täglichen Lebens sollten auch
hier langsam einmal eine Rolle spielen .

Ich möchte eine mögliche Ursache für die zunehmen-
de Gewaltbereitschaft ansprechen. Wie häufig werden
Strafverfahren wegen einfacher Gewaltdelikte in der

Praxis auch bei sehr jungen Tätern mittlerweile wegen
Geringfügigkeit ohne jegliche Konsequenz eingestellt,
weil den Staatsanwaltschaften und Gerichten einfach
die personellen Ressourcen fehlen, die Masse dieser An-
zeigen tatsächlich zu bewältigen? Das betrifft übrigens
auch einfache Straftaten gegen Polizeibeamte oder Feu-
erwehrleute .

Ich habe als Polizeibeamter oft solche Anzeigen ge-
schrieben und Monate später die Bescheide über die
Einstellung des Verfahrens ohne jegliche Konsequenzen
bekommen .

Damit hier keine Missverständnisse aufkommen: Ich
beklage nicht fehlende Verurteilungen . Ich rede von zeit-
nahen Konsequenzen. Das können auch Auflagen in Ver-
bindung mit sozialen Projekten unter Aufsicht geschulten
Personals sein, also gewissermaßen Anti-Gewalt-Projek-
te; denn dadurch könnte man die Anzahl der Täter tat-
sächlich langfristig reduzieren und damit auch die An-
zahl der Straftaten senken .


(Beifall bei der LINKEN)


Gesetzlich ist zum Umgang mit Gewaltstraftätern alles
ausreichend geregelt . Es scheitert aber am Vollzug dieser
Möglichkeiten. Sie erfinden lieber neue Straftatbestände,
statt Vollzugsdefizite zu beheben. Das hilft niemandem,
auch nicht Polizeibeamten und Feuerwehrleuten .


(Beifall bei der LINKEN)


Vollzugsdefizite haben wir auch bei dem viel disku-
tierten Problem der Gaffer. Die Gaffer belasten jeden, am
meisten natürlich die Opfer und Helfer . Wie wir auch der
aktuellen Presse entnehmen können, sind Verurteilungen
bereits jetzt möglich. Dazu, dass sich auch Gaffer vor Ge-
richt verantworten müssen, gab es heute ein Urteil .

Wir kennen aber auch die personellen Möglichkeiten
der Einsatzkräfte vor Ort . Wer, bitte schön, soll denn die
Strafanzeigen aufnehmen, wenn 100 Gaffer auf der Au-
tobahn die Einsatzkräfte behindern?

Ich hoffe, Sie wissen wenigstens, was an einer solchen
Strafanzeige dann noch alles dranhängt: die Identitäts-
feststellung, die oft problematisch ist, weil nicht jeder
einen Ausweis mit sich führt, die Beschuldigtenverneh-
mung zur Person, die Beschuldigtenvernehmung zur Sa-
che, eine Zeugenvernehmung oder zumindest Aktenver-
merke und dann die Abgabe an die Staatsanwaltschaft .

Damit sind wir schon wieder beim Thema „überlastete
Polizei und überlastete Staatsanwaltschaften“ . Hätten Sie
doch wenigstens zum Beispiel Bußgelder vorgeschlagen!
Dann gäbe es für die Gaffer direkt vor Ort eine zeitnahe
Konsequenz und damit auch einen Lerneffekt und gleich-
zeitig für die staatlichen Behörden einen geringeren Auf-
wand . Aber nein! Sie wollen erneut mittels Strafrecht
Wahlkampfsignale setzen und verursachen damit einen
erheblichen zusätzlichen Aufwand für Polizei und Justiz,
der in der Praxis – wie gesagt; auch die sollte hier eine
Rolle spielen – sehr schwer zu stemmen sein wird .

Der Fairness halber möchte ich aber anerkennen, dass
der Kollege Harbarth von der CDU/CSU-Fraktion in der
ersten Lesung von einem Dreiklang gesprochen hat . Das
haben wir ja auch gehört . Neben der Verschärfung des

Parl. Staatssekretär Christian Lange






(A) (C)



(B) (D)


Strafrechts erwähnte er auch mehr Personal und eine bes-
sere Ausrüstung bei den Sicherheitsstrukturen . Wenn er
damit mehr Personal in der Fläche und bessere Schut-
zausrüstung meint, ist die Linke einverstanden . Wenn
beim Personal auch Justiz und staatliche soziale Pro-
gramme gemeint sind, dann ist die Linke für Vorschläge
offen, obwohl wir wissen, dass hier in erster Linie die
Länder zuständig sind .

Nur um eines möchte ich bitten: Wer wie die Union
jahrelang in Regierungsverantwortung gerade bei mo-
derner Ausrüstung und Personalbedarf geschlampt hat,
sollte sich nicht stolz auf die Brust trommeln, wenn er
ganz langsam anfängt, die eigenen Fehler zu beheben .
Es wird dauern, bis der Investitionsstau bei der Ausrüs-
tung abgebaut ist . Es wird dauern, bis ausreichend zu-
sätzliches Personal bei Polizei und Staatsanwaltschaften
aufgebaut ist . Es wird vermutlich noch länger dauern, bis
insbesondere die Union erkennt, dass eben nicht Sym-
bolpolitik im Strafrecht, sondern die Stärkung der Prä-
vention in Ländern und Kommunen der zunehmenden
Verrohung in der Gesellschaft entgegenwirkt . Das wird
Polizeibeamten, Feuerwehrleuten und Rettungsdiensten
helfen . Wir müssen daran mit kompetenten Vorschlägen
arbeiten und überlegen, wie wir das dann gemeinsam mit
den Ländern finanziell stemmen. Da wird die Linke sehr
gerne mitmachen .


(Beifall bei der LINKEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823112100

Vielen Dank, Herr Kollege Tempel . – Als Nächster hat

der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Günter Krings
für die Bundesregierung das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


D
Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1823112200


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Am Beginn dieser Woche hat Bundesinnen-
minister Thomas de Maizière die Polizeiliche Krimi-
nalstatistik 2016 vorgestellt . Erfreulicherweise haben
wir positive, das heißt zurückgehende Zahlen in vielen
Deliktsbereichen zu verzeichnen . Zu den Bereichen mit
einem besorgniserregenden Anstieg bei den Straftaten
gehören – genauso wie in den vorangegangenen Jahren –
die allgemeine Gewaltkriminalität und insbesondere Ge-
walttaten gegen Polizei und Rettungskräfte .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und rechte Gewalt!)


Angesichts dieser Zahlen dürfen wir nicht zur Tages-
ordnung übergehen . Diejenigen, die für uns und unsere
Sicherheit tagtäglich ihren Kopf hinhalten, dürfen erwar-
ten, dass wir ihnen den Rücken stärken .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Bundesregierung ergreift daher ein ganzes Bün-
del an Maßnahmen, mit denen wir Polizisten bei ihrer
schweren Arbeit unterstützen wollen sowie ihnen und
anderen Uniformträgern die Wertschätzung zuteilwerden

lassen, die sie für ihren Einsatz für Staat und Gesellschaft
verdienen . Dazu gehört in der Tat eine bessere Schutz-
ausrüstung für die Einsatzkräfte des Bundes . Teil des
Konzepts ist auch die beschlossene Ausstattung unserer
Bundespolizisten mit Körperkameras zu ihrem Schutz
und zur Sicherung von Beweisen, um Gewalttäter bes-
ser dingfest machen zu können . In diesen Kontext gehört
auch ein Aufwuchs bei der Bundespolizei um 6 000 Stel-
len . Das alles sind Erfolgspunkte dieser Bundesregie-
rung . Da, wo Sie von der Linken mitregieren, sieht es
leider ganz anders aus .


(Beifall bei der CDU/CSU – Frank Tempel [DIE LINKE]: Nein, finde ich nicht!)


Dazu gehören ferner kommunikative und werbende
Maßnahmen, die deutlich machen, dass hinter jeder Uni-
form nicht nur der Staat steht, sondern dass in ihr auch ein
Mensch steckt, der Achtung und Respekt erwarten kann .
Das Bundesministerium des Innern wird daher noch in
diesem Jahr eine Kampagne für uniformierte Polizei- und
Rettungskräfte starten . Sie geht dankenswerterweise auf
eine Initiative aus der Mitte des Deutschen Bundestags
zurück . Mit der Kampagne werden wir sicherheits- und
gesellschaftspolitische Aspekte miteinander verzahnen .
Wir wollen damit aber auch dafür sorgen, dass die Miss-
achtung staatlicher Einsatzkräfte nicht vom Rand – wo
sie heutzutage stattfindet – auf die Mitte der Gesellschaft
überspringt . Gerade aus der Zeit des großen Flüchtlings-
zustroms aus dem Jahr 2015 haben wir alle noch zu gut
die Bilder und die Berichte von Menschen im Kopf, die
in Deutschland oft erstmals mit Polizisten zu tun hatten,
die sie als Menschen behandelten und ihnen tatsächlich
halfen . Umgekehrt können Polizisten und andere staatli-
che Uniformträger das dann aber auch erwarten .

Polizei und Rettungskräfte stehen dabei nicht nur für
sich selbst, sondern auch für unseren Staat mit seiner
ganzen Ordnungs- und Sanktionsgewalt . Gerade in die-
ser Funktion verdienen sie Vertrauen, weil der Staat nur
durch sie verlässlich und rechtsstaatlich handeln kann .
Für unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt und die
Ausübung unserer Freiheitsrechte ist es essenziell, dass
die Bürgerinnen und Bürger darauf vertrauen können,
dass sie in Deutschland sicher leben, dass ihnen in der
Not geholfen wird und dass der Staat sie erforderlichen-
falls – unter Ausübung seines Gewaltmonopols – vor
rechtswidrigen Angriffen schützt.

Mit einer guten Öffentlichkeitskampagne wollen wir
das Bild festigen, dass Polizei und Rettungskräfte Garan-
ten unserer Freiheit sind und uns helfen . Wir wollen aber
auch das Bild verankern, dass die Polizeikräfte gerade
aus diesem Grund zur Durchsetzung von Recht und Ord-
nung sowie zum Schutz Dritter nötigenfalls Anweisun-
gen geben müssen oder sogar Gewalt anwenden dürfen
und erforderlichenfalls auch anwenden werden .

Meine Damen und Herren, es ist in der Tat ein Pa-
radoxon: Allgemein sind in der breiten Masse der Be-
völkerung Polizei und Rettungskräfte zu Recht hoch an-
gesehen . Die übergroße Mehrheit der Menschen bringt
Polizisten, Feuerwehrleuten und anderen Einsatzkräften
daher den Respekt entgegen, den sie auch verdienen .
Aber ein Teil der Bevölkerung lässt genau diesen Res-

Frank Tempel






(A) (C)



(B) (D)


pekt vermissen . Er hindert die Einsatzkräfte an der Ar-
beit, oder er wendet gar gegen sie Gewalt an . Wir müs-
sen und wir dürfen diesen Respekt vor dem Staat, seinen
Regeln und seinem Personal auch von der Minderheit
militanter Chaoten in unserem Lande einfordern, die
heute noch meinen, sie könnten ihre Verachtung unseres
Staates durch die Drangsalierung seiner Repräsentanten
zum Ausdruck bringen . Dagegen wollen wir ein klares
Zeichen setzen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein solches Verhalten ist in jeder Hinsicht inakzepta-
bel . Wir werden es nicht nur mit persönlicher Schutzaus-
rüstung – sie ist Teil des Konzepts, aber nicht nur – und
nicht nur mit Öffentlichkeitsarbeit bekämpfen, sondern
auch mit der ganzen Härte unseres Strafrechts .

Der § 113 StGB, der den Widerstand gegen Vollstre-
ckungsbeamte unter Strafe stellt, hat bereits in der letzten
Wahlperiode auf Drängen des damaligen Innenminis-
ters – auch der hieß Thomas de Maizière – eine nötige
Verschärfung erfahren, und mit dem heutigen Gesetzes-
beschluss, durch die Zufügung der §§ 114, 115 StGB,
sorgen wir und hoffentlich auch Sie gleich dafür, dass der
Schutz von Polizisten und Einsatzkräften auch in seinem
Anwendungsbereich erweitert wird . Für die Erarbeitung
dieses neuen Gesetzentwurfs, der eine klare rechtsstaat-
liche Sprache spricht, danke ich dem Bundesministerium
der Justiz und für Verbraucherschutz und den Koalitions-
fraktionen sehr herzlich .

Während aufgrund des alten § 113 Strafgesetzbuch
noch vor wenigen Jahren in Teilen der Angriff auf Po-
lizisten gegenüber allgemeinen Nötigungshandlungen
privilegiert wurde, also milder bestraft wurde, ist unser
heutiges Regelungskonzept zu Recht ein ganz anderes,
nämlich der besondere und verstärkte Schutz von Poli-
zisten, Amtsträgern, Soldaten und anderen Einsatz- und
Rettungskräften in ihrer gesamten Tätigkeit für unser
Gemeinwesen; denn – ich betone es abschließend noch
einmal – denjenigen, die für uns tagtäglich ihren Kopf
hinhalten, wollen wir den Rücken stärken .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823112300

Vielen Dank, Herr Staatssekretär . – Als Nächste hat

die Kollegin Irene Mihalic vom Bündnis 90/Die Grünen
das Wort .


Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823112400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Wir sind uns alle einig, dass wir Gewalt
gegen Einsatzkräfte nicht hinnehmen können . Die aktu-
ellen Zahlen – hier ist die PKS gerade mehrfach zitiert
worden – zeichnen in der Tat ein düsteres Bild . Aus den
Erfahrungen und vielen Einzelberichten ist die Dimensi-
on dieses Problems hier allen sehr bewusst . Der Dienst
an unserer Gesellschaft ist in Teilen sehr gefährlich, un-
abhängig davon, ob dieser Dienst auf der Straße, in der

Schule, in einer Behörde oder auch vor Gericht geleistet
wird . Das können und dürfen wir nicht hinnehmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Das alles ist Ausdruck einer gesellschaftlichen Situa-
tion, die wir sehr ernst nehmen müssen, zweifellos . Hier
sind wir alle gefragt, mit einer klugen Politik für einen
besseren Zusammenhalt in der Gesellschaft zu sorgen,
gegen Ausgrenzung und Gewalt zu wirken und darauf zu
achten, die gesellschaftliche Stimmung durch politische
Maßnahmen nicht noch zusätzlich anzuheizen .

Doch was tun wir nun? Bei der Expertenanhörung, die
wir zu diesem Gesetzentwurf im Rechtsausschuss hatten,
waren sich die Sachverständigen im Grunde alle einig,
dass eine höhere Strafandrohung, gerade mit Blick auf
die Taten, um die es hier geht, definitiv nichts bringen
wird .


(Beifall der Abg . Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Frank Tempel [DIE LINKE])


Warum also tun Sie es? Sie, Herr Staatssekretär Lange,
und Sie, Herr Staatssekretär Krings, sagen, es gehe Ihnen
um Anerkennung und Wertschätzung . Nun, ich sage Ih-
nen: Wertschätzung für Einsatzkräfte, die einen wertvol-
len Dienst an unserer Gesellschaft leisten, lässt sich nicht
über das Strafgesetzbuch verteilen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie sollten sich lieber darauf konzentrieren, für eine
gute personelle und materielle Ausstattung zu sorgen .
Herr Krings, stärken Sie diese Teile Ihres Maßnahmen-
bündels, das Sie vorhin vorgestellt haben . Damit tun Sie
den Einsatzkräften einen weitaus größeren Gefallen . Das
nützt der Eigensicherung der Beamtinnen und Beamten
und macht deren Job tatsächlich sicherer . Es geht eben
darum, Risiken zu vermeiden, die man auch vermeiden
kann: mit genügend Leuten vor Ort zu sein beispielswei-
se; Digitalfunk, der tatsächlich funktioniert,


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre was!)


also auch in den Gebäuden der Deutschen Bahn; Schutz-
ausstattung, die wirklich schützt . Sie wissen alle, wovon
ich rede . Nehmen Sie die Stellungnahmen der Sachver-
ständigen ernst, und setzen Sie sich nicht dem Vorwurf
symbolischer Gesetzgebung aus .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])


Dass die Täter, um die es hier geht, nicht über das
Strafgesetzbuch zu erreichen sind, das wissen Sie ganz
genau . Aber ich rufe es Ihnen auch gerne noch einmal ins
Gedächtnis: Alle Studien zu diesem Thema belegen, dass
die Alkoholisierung der Täter bei der Tatausführung eine
wichtige Rolle spielt . Auch die Gruppe der psychisch
auffälligen Personen ist hier zu beachten. Bei diesen Tä-
tern findet doch vorher keine rationale Abwägung der
strafrechtlichen Folgen statt; das liegt doch auf der Hand .

Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings






(A) (C)



(B) (D)


Noch etwas spricht gegen eine weitere Strafverschär-
fung: Seit 1998 ist auch die versuchte einfache Körper-
verletzung allgemein strafbar . Damit ist die gesonderte
Strafbarkeit des tätlichen Angriffs eigentlich obsolet;
denn nahezu jeder tätliche Angriff, der die Erheblich-
keitsschwelle überschreitet, ist ohnehin gleichzeitig als
versuchte Körperverletzung strafbar . Ihr Gesetz ist also
auch darauf bezogen einfach überflüssig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])


Das gilt auch für das, was Sie mit Ihrem Änderungsan-
trag erreichen wollen: Sie wollen, dass die Behinderung
von Personen, die anderen Menschen Hilfe leisten, be-
straft wird . Aber auch das ist bereits heute möglich . Denn
wenn Schaulustige, die andere bei der Hilfeleistung stö-
ren, dafür nicht zur Rechenschaft gezogen werden, dann
liegt das nicht etwa an fehlenden Gesetzen, sondern dann
ist das einzig und allein ein Vollzugsproblem: Derjenige,
der nicht hilft und nicht beiseitetritt, um andere Helfer
durchzulassen, macht sich bereits nach geltendem Recht
wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar .

Besonders schwer bestraft wird außerdem, wer bei
Unglücksfällen Hilfeleistende der Feuerwehr, des Ka-
tastrophenschutzes oder eines Rettungsdienstes durch
Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt behindert oder
sie tätlich angreift; das ist alles heute schon strafbar . Das
Vollzugsproblem erklärt sich aber auch aus den besonde-
ren Umständen der Tat; denn Polizeikräfte, die vor Ort
sind, haben bei Unglücksfällen in aller Regel Wichtige-
res zu tun, als die Personalien der Schaulustigen aufzu-
nehmen . Da nützen aber auch die vielen neuen Gesetze
nichts, wenn die Taten nicht verfolgt werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Ich finde es sehr
bedauerlich, dass Sie hier Ihre und unsere Zeit mit der
Beratung solcher symbolischen Gesetze verschwenden,


(Beifall der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Widerspruch bei der CDU/CSU)


anstatt ernsthaft daran zu arbeiten, die Rahmenbedin-
gungen für Einsatzkräfte im täglichen Dienst spürbar zu
verbessern und so für einen besseren Schutz zu sorgen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823112500

Vielen Dank, Frau Kollegin . – Als Nächster hat das

Wort Dr . Johannes Fechner von der SPD-Fraktion .


Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1823112600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribü-
nen! In der Tat zeigt die schon zitierte Polizeiliche Kri-
minalstatistik einen erschreckenden Anstieg der Zahl
von Gewaltattacken gegen Polizisten . Der Anstieg um
10 Prozent ist erschreckend, und deshalb ist auch für uns

in der SPD-Fraktion klar: Wir müssen Polizisten besser
vor Gewaltattacken schützen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Denn die Polizistinnen und Polizisten sind ja gerade
die, die für unsere Sicherheit und für die Sicherheit der
Bürger sorgen . Wir müssen die Gewalt gegen Polizisten
nicht nur deshalb bekämpfen, weil es hier um die Ge-
sundheit der Bürger in Uniform, der Polizisten, geht,
nein, es geht auch darum, das Gewaltmonopol des Staa-
tes zu verteidigen und keinen Zweifel daran zu lassen,
dass wir die Organe, die die Staatsgewalt für uns aus-
üben, in diesen oft gefährlichen Tätigkeiten unterstützen
und schützen . Wir wollen deshalb vermehrt Bodycams
einsetzen, weil sich in den Testläufen schon jetzt ge-
zeigt hat, dass dann Täter von Attacken ablassen, weil
sie mit ihrer Identifizierung und einer Verurteilung rech-
nen müssen . Wir brauchen mehr Personal . Wir haben bei
der Bundespolizei Tausende Stellen geschaffen. Auch die
nordrhein-westfälische Landesregierung zeigt vorbildli-
ches Engagement, was die Neueinstellung von Polizisten
angeht .

Außerdem wollen wir – deswegen dieser Gesetz-
entwurf heute hier – den Schutz der Polizistinnen und
Polizisten durch das Strafrecht verbessern . Deswegen
erhöhen wir das Strafmaß bei Gewaltdelikten auf ein
Höchstmaß von fünf Jahren . Es ist auch richtig, dass wir
den Anwendungsbereich ausweiten, dass wir die Polizis-
ten nicht nur schützen, wenn sie Vollstreckungshandlun-
gen ausüben, sondern dass zukünftig bei allen Dienst-
handlungen tätliche Angriffe bestraft werden. Denn es
darf keinen Unterschied machen, ob ein Platzverweis
durchgesetzt wird, ob eine Verkehrskontrolle erfolgt oder
ob einfach nur auf Streife gegangen wird . Gewalt gegen
Polizisten muss generell bestraft werden .


(Beifall bei der SPD – Frank Tempel [DIE LINKE]: Das ist bereits möglich!)


Aber nicht nur Polizistinnen und Polizisten setzen sich
täglich, oft unter Einsatz ihrer Gesundheit, für unsere
Sicherheit ein . Deswegen war es uns wichtig, dass aus-
drücklich und zur Klarstellung auch die Gerichtsvollzie-
her in der Gesetzesbegründung genannt sind, dass auch
diese wichtige Berufsgruppe geschützt ist .

Ein großes Anliegen war es uns in der SPD-Fraktion,
diejenigen zu schützen, die sich, oft ehrenamtlich und oft
in ihrer Freizeit, für uns, für die Allgemeinheit, einset-
zen . Ich spreche von Mitarbeitern beim Roten Kreuz, im
Rettungsdienst, von Feuerwehrfrauen und Feuerwehr-
männern oder auch von Mitarbeitern beim Technischen
Hilfswerk . Diese ehrenamtlichen Helfer – man glaubt es
kaum – werden zunehmend Opfer von Gewalt . Deswe-
gen müssen wir diejenigen, die sich in ihrer Freizeit, die
sich ehrenamtlich für uns alle engagieren, besser straf-
rechtlich schützen . Auch dem dient dieser Gesetzentwurf .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Armin Schuster [Weil am Rhein] [CDU/CSU])


Man kann sich auf YouTube Videos anschauen, die
zeigen, wie Retter manchmal nicht zum Unfallort kom-
men, weil die Rettungsgasse blockiert wird oder weil
Gaffer aus Sensationsgeilheit die Rettungswege versper-

Irene Mihalic






(A) (C)



(B) (D)


ren . Die Sanitäter müssen dann mit dem Rettungsmate-
rial unter dem Arm neben der Autobahn entlangrennen,
um noch Hilfe leisten zu können . Das sind unfassbare
Szenen . Deswegen ist es richtig, dass wir hier einen neu-
en Straftatbestand schaffen. Wer Retter behindert, der
gefährdet das Leben der Unfallopfer . Deswegen ist hier
eine Strafbarkeit gerechtfertigt, meine sehr geehrten Da-
men und Herren .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gibt es schon! – Frank Tempel [DIE LINKE]: Das ist bereits strafbar!)


Nun gab es die Kritik, dass wir keinen eigenen Straf-
tatbestand brauchen . Ja, in der Regel werden hier die Re-
gelungen zu Körperverletzungsdelikten greifen . Aber bei
Gewalt gegen Polizisten geht es nicht nur darum, dass die
Person, der Polizist, geschützt wird; hier wird auch das
Gewaltmonopol des Staates attackiert. Deswegen finde
ich, dass die bloße Verurteilung wegen einer Körperver-
letzung das Unrecht nicht ausreichend zum Ausdruck
bringt . Deswegen ist ein solcher Straftatbestand gerecht-
fertigt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: § 113 schützt Vollstreckungshandlungen!)


Ich möchte noch darauf verweisen, dass wir eine
wichtige Regelung im Opferentschädigungsgesetz ge-
troffen haben, nämlich dass Polizisten, die attackiert wur-
den und ihre Ansprüche nicht geltend machen können,
weil bei den Tätern oft nichts zu holen ist, eine staatliche
Entschädigung bekommen . Ich glaube, auch das war eine
wichtige Maßnahme .

Zum Schluss möchte ich noch einmal unterstreichen,
dass Polizisten und Rettungskräfte eine wichtige Arbeit
für uns alle, für die Sicherheit bei uns leisten . Tun wir
deshalb alles uns Mögliche, damit diese Menschen bes-
ser geschützt sind!

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823112700

Vielen Dank, Herr Kollege . – Als nächster Redner

spricht Dr . Volker Ullrich von der CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1823112800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Mit der zweiten und dritten Lesung des Ge-
setzentwurfs zum Schutz von Vollstreckungsbeamten
geben wir die rechtsstaatlich gebotene Antwort auf die
Zunahme der Zahl von Gewaltdelikten gegen Polizisten,
Rettungskräfte und Feuerwehrleute . Der § 113 Strafge-
setzbuch wird geändert . Er schützt die Vollstreckungs-
handlung, und der tätliche Angriff gegen Personen aus
dieser Personengruppe wird in dem neuen § 114 des
Strafgesetzbuches geregelt und mit einer höheren Straf-
drohung versehen .

Das ist eine gesetzliche Maßnahme, die notwendig
ist, weil dieser Rechtsstaat nicht bereit sein darf, die Re-
spektlosigkeit und die zunehmende Gewalt gegen Poli-
zeibeamte und Rettungskräfte hinzunehmen . Es ist die
deutliche Absage an Gewalt und Respektlosigkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich habe von Ihnen gehört, Frau Kollegin Mihalic:
Verschwenden Sie nicht unsere Zeit mit diesem Gesetz-
entwurf!


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hat sie recht! – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um wirklich was für die Beamten zu machen! Sie ist selbst eine!)


Ich frage Sie, ob Sie diesen Satz auch Polizisten ins Ge-
sicht sagen würden, die Tag und Nacht im Schichtdienst
den Kopf für unsere Sicherheit hinhalten .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben keine Symbole, Herr Kollege! Machen Sie mal wirklich was! Tag der Symbolpolitik ist das hier! Unfassbar! Wirklich! Empörend! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie, meine Damen und Herren, haben den Sinn und
Zweck dieses Gesetzentwurfs nicht verstanden . Polizei-
beamte werden nicht allein als Individualpersonen an-
gegriffen; der Angriff gilt ihnen als Repräsentanten des
staatlichen Gewaltmonopols und unserer Rechtsordnung,
und darauf reagieren wir .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Das kann ein Richter berücksichtigen!)


Natürlich haben Polizeibeamte bereits jetzt einen um-
fassenden strafrechtlichen Schutz durch die Regelungen
zu Beleidigungs- und Körperverletzungsdelikten .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja!)


Das stellt niemand in Abrede .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber?)


Aber Sie verkennen, dass Polizeibeamte im Einsatz einer
besonderen Gefahrensituation ausgesetzt sind .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Das kann ein Richter würdigen! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer verkennt das denn? – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer sagt das denn?)


Sie können der Situation nicht ausweichen . Sie sind aus
beruflichen Gründen zur Gefahrtragung verdonnert. Des-
wegen haben sie auch einen besseren gesetzlichen Schutz

Dr. Johannes Fechner






(A) (C)



(B) (D)


verdient . Den lassen wir ihnen mit diesem Gesetz zuteil-
werden .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das versteht doch kein Mensch, Herr Ullrich!)


Ich möchte daran erinnern, dass es nach unserem Ver-
ständnis kein Über- und Unterordnungsverhältnis zwi-
schen Bürger und Staat gibt . Unsere Polizei begegnet
den Bürgern durch einen offenen Umgang ja gerade auf
Augenhöhe. Und gerade weil die Polizei einen offenen
Umgang pflegt, müssen wir Polizeibeamte im Dienst
auch besser schützen . Das ist die Kehrseite einer demo-
kratischen und offenen Polizei.


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit diesem Gesetz ist niemandem gedient! – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das scheint noch nicht einmal logisch, was Sie sagen!)


Ich habe mich, meine Damen und Herren, neulich mit
einem jungen Polizeibeamten unterhalten,


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Haben Sie einen gefunden? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Schauen Sie ins Plenum, da gibt es auch welche!)


der mir von seinen Streifengängen und Schichtdiensten
in der Nacht in der Nähe des Hauptbahnhofes und an
einigen Brennpunkten erzählt hat . Ich habe ihn gefragt,
was denn die Politik für ihn tun könnte .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn?)


Er hat mir geantwortet, dass er gerne Schichtdienst macht
und den Kopf hinhält . Für ihn wäre aber ein deutliches
Zeichen wichtig, dass die Politik hinter ihm steht .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, richtig!)


Mit diesem Gesetz


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kostet Sie keinen Cent!)


werden wir deutlich machen, dass sich die Polizisten,
Feuerwehrleute und Rettungskräfte auf die Union und
diese Koalition verlassen können, meine Damen und
Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber für vernünftige Ausstattung zu sorgen, das ist Ihnen zu teuer! – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Nulltarif wollen Sie das machen! Das ist die Wahrheit!)


Auf uns verlassen können sollen sich auch die Ret-
tungskräfte wie zum Beispiel Sanitäter .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben jahrelang auf Kosten der Bundespolizei gespart!)


– Herr Kollege Dr . von Notz, ich weiß, dass gute Argu-
mente manchmal wehtun können .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind ein richtiger Bescheidwisser!)


Im Augenblick geht es darum, dass wir auch unsere Ret-
tungskräfte schützen, die oftmals nach Feierabend in ih-
rer Freizeit bei Großveranstaltungen, aber auch bei ganz
normalen Einsätzen ehrenamtlich bzw . unbezahlt zur
Stelle sind, wenn Menschen verletzt worden sind . Auch
sie haben unseren Schutz verdient .

Wer spürbar und nicht unerheblich eine Rettungshand-
lung behindert, wer im Krankenhaus Ärzte und Kranken-
hauspersonal behindert und wer, obwohl er es könnte,
eine Rettungsgasse nicht freimacht, muss mit der straf-
rechtlichen Antwort dieses Staates rechnen, weil wir die
Gefährdung von Menschenleben in Rettungssituationen
nicht dulden und akzeptieren wollen . Deswegen haben
wir einen neuen § 323c StGB geschaffen, der genau diese
Situation zum Schutz der Rettung von Menschen – und
aus keinem anderen Grund – regelt .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Heute sind vier Gaffer verurteilt worden!)


Meine Damen und Herren, Respekt für unsere Poli-
zei, für Feuerwehr und Rettungskräfte lässt sich natürlich
nicht allein durch das Strafrecht erzielen .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lässt sich überhaupt nicht durch Strafrecht erzielen! Das ist das Problem!)


Wir brauchen neben einer strafrechtlichen Lösung auch
eine bessere Ausstattung und mehr Stellen bei der Polizei
dort, wo es notwendig ist .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Die abgebaut worden sind!)


Der bessere strafrechtliche Schutz aber ist ein wichtiges
Zeichen auch für die Haltung dieses Staates,


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kostet nichts! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Symbol, das nichts kostet!)


dass wir Polizisten, Feuerwehrleute und Rettungskräfte
nicht allein lassen und dass wir bei ihrem schwierigen
Dienst für Demokratie und unsere Rechtsordnung an ih-
rer Seite stehen . Deswegen kann ich Ihnen nur zurufen:
Unterstützen Sie diesen Rechtsstaat durch ein Ja zu die-
sem Gesetz .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823112900

Vielen Dank, Herr Kollege . – Als Nächste spricht die

Kollegin Bettina Bähr-Losse von der SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)


Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)



Bettina Bähr-Losse (SPD):
Rede ID: ID1823113000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine Damen und Herren! Jeder Mensch
verdient Respekt – übrigens auch die Kolleginnen und
Kollegen, die hier vorne stehen und reden . Jeder hat ja
hier die Möglichkeit, seine Meinung kundzutun . Deswe-
gen fände ich es eigentlich ganz gut, wenn wir uns nicht
immer extrem ins Wort fallen würden .

Respekt verdienen aber insbesondere Polizistinnen
und Polizisten, andere Vollstreckungsbeamte sowie Ret-
tungskräfte in Ausübung ihres Dienstes . Denn es handelt
sich um Menschen, die nicht wie Sie und ich frei wäh-
len und entscheiden können, ob sie sich in gefährliche
Situationen begeben wollen oder eben nicht . Vielmehr
verlangt ihre Arbeit gerade auch das von ihnen . Und sie
tun das in unser aller Interesse als Repräsentanten der
staatlichen Gewalt .

Genau das ist es, was den Unterschied zu einem An-
griff auf eine Individualperson ausmacht. Es ist also fol-
gerichtig, einen tätlichen Angriff auf einen Repräsentan-
ten des Staates stärker zu bestrafen als den Angriff auf
eine Individualperson. In diesem Zusammenhang finde
ich es auch richtig, dass künftig – so jedenfalls unser
Wunsch – jede Diensthandlung geschützt wird – und
nicht nur die, die unmittelbar in Verbindung mit einer
Vollstreckungshandlung steht .

Widerstandsdelikte gegen Polizisten und andere Voll-
streckungsbeamte hat es auch früher schon gegeben . Lei-
der übertreibe ich aber wohl nicht, wenn ich sage, dass
es in unserer Gesellschaft nicht nur eine Verrohung und
Enthemmung in der mündlichen und schriftlichen Kom-
munikation gibt, sondern leider auch durch ein zum Teil
schlagkräftiges Handeln gegenüber Menschen, die den
Staat repräsentieren, oder gegenüber jenen, die anderen
Hilfe leisten wollen .

Mit Letztgenannten sind Rettungsdienste, aber bei-
spielsweise auch Hilfskräfte – wir haben es schon ge-
hört – des Katastrophenschutzes und der Feuerwehr
gemeint . Bisher war die Behinderung, zum Beispiel von
Rettungsdiensten, nur strafbewehrt, wenn sie durch Ge-
walt, Drohung mit Gewalt oder einen tätlichen Angriff
erfolgte . Der Katastrophentourist, der die Rettungs- und
Aufräumarbeiten behinderte, und auch der Schaulustige,
der dem Notarzt und anderen zu Hilfe eilenden Perso-
nen im Weg stand und eine Hilfeleistung verzögerte oder
behinderte, konnten nicht bestraft werden . Wir müssen
leider feststellen, dass diese Arten von Behinderungen
ebenfalls zugenommen haben . Es darf daher auch nicht
verwundern, dass in der öffentlichen Anhörung deutlich
wurde, dass die Behinderung von Rettungsmaßnahmen
strafrechtlich sanktioniert werden muss, und zwar unab-
hängig davon, auf welche Weise diese Behinderung ge-
schieht, und unabhängig davon, ob die hilfeleistende Per-
son zu dem von § 115 Absatz 3 Strafgesetzbuch erfassten
Personenkreis, also Polizei und Rettungskräfte, gehört .


(Beifall bei der SPD)


Aus diesem Grund soll in § 323c Absatz 2 Strafgesetz-
buch die Behinderung von Personen unter Strafe gestellt
werden, die bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr

oder Not Dritten Hilfe leisten oder leisten wollen . Da-
mit erweitert die Vorschrift den Schutz für uns alle vor
Gefahren durch eine verzögerte oder verhinderte Hil-
feleistung . Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßt diese
neue Sanktionsmöglichkeit ausdrücklich, und ich ganz
persönlich erachte es als ausgesprochen wichtig, dass der
Gesetzgeber deutlich aufzeigt, dass er die zunehmende
Gewalt gegen Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste
und die Behinderung von Rettern ernst nimmt und wei-
ter gehend sanktioniert als bisher . Ich verstehe dieses
Gesetz als Signal an unsere Vollstreckungsbeamten und
Rettungskräfte: Wir stehen hinter euch! Wir wertschät-
zen und respektieren die Arbeit von Polizei, Feuerwehr
und Rettungsdiensten, ihren Dienst für uns alle . In die-
sem Sinne bitte ich um Unterstützung für das Gesetz zur
Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und
Rettungskräften .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823113100

Vielen Dank, Frau Kollegin . – Als letztem Redner er-

teile ich das Wort dem Kollegen Armin Schuster von der
CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1823113200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Kollegin Bähr-Losse und viele Vorredner
haben, glaube ich, selbst den Grünen und Linken juris-
tisch sehr gut erklären können, warum das ein sehr gutes
Gesetz ist .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Nein! Das ist gescheitert! – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, dann ist es ja politisch schon vorbei! – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Es ist kein gutes Gesetz!)


– Doch, da bin ich ganz sicher .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Nein, ist gescheitert!)


Ich bedanke mich, dass ich als Innenpolitiker diese
Debatte in dem fachfremden Ressort Justiz abschließen
darf . Wir fühlen uns als gemeinsames Team .

Ich möchte den Grünen recht geben .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann haben wir was falsch gemacht! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist jetzt der 1 . April, oder was?)


In diesem Gesetzentwurf steckt neben den vielen richti-
gen rechtlichen Dingen, die wir gemacht haben, ein gu-
tes Stück Haltung und Körpersprache dieses Staates . Das






(A) (C)



(B) (D)


soll eine Signal- und Symbolwirkung haben, nämlich:
Null Toleranz gegenüber Angriffen auf den Staat.


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja mal eine Pointe!)


Dass das nach Ihrer Meinung Symbolpolitik ist, finde ich
ein gutes Zeichen . Insofern haben Sie uns eigentlich nur
bestärkt . Sie haben verstanden, was wir wollen:


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenigstens behaupten Sie nicht, dass Sie die Beamten schützen!)


Wer den Staat angreift, wer die Regeln nicht einhalten
will, wer die Repräsentanten des Staates angreift, wird,
mindestens aus Sicht der Union und der SPD, nicht auf
Verständnis stoßen, sondern auf das Gegenteil .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir haben aber auch kein Verständnis! Diese Unterstellung ist wirklich das Letzte, Herr Schuster! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie fachfremd ist das?)


Meine Damen und Herren, vor allem von den Lin-
ken und den Grünen, ich gebe Ihnen recht, dass man mit
Präventionsinstrumenten gegen Gewalt und Kriminalität
vorgehen muss .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit einer gut ausgestatteten Justiz zum Beispiel!)


Ich gebe Ihnen nicht recht, dass das ein Allheilmittel ist .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Das hat niemand gesagt!)


– Doch, Sie haben nämlich keine anderen Angebote in
Ihrer Rede gemacht .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Stärkung der Justiz! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Justiz stärken, mehr Personal – das ist der ganze Kasten!)


Sie haben keine Angebote und keine Lösungsvorschläge
gemacht, wie Sie vorgehen würden .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Justiz stärken! Mehr Personal! Bessere Ausstattung!)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823113300

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kol-

legen Tempel zu?


Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1823113400

Meine Damen und Herren, mit allem Respekt vor den

Sachverständigen:


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unbelehrbar! Wirklich!)


Es gibt Täter, bei denen Prävention nicht wirkt .


Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823113500

Herr Kollege, lassen Sie die Zwischenfrage des Kolle-

gen Tempel von der Fraktion Die Linke zu?


Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1823113600

Ich führe noch den Gedanken zu Ende . – Es gibt Täter,

bei denen weder Prävention noch Deeskalation wirken,


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da wirkt auch keine Symbolpolitik! sondern nur eine einzige Sprache: eine kompromisslos konsequente Haltung des Staates, die die Regelhüter einnehmen müssen . (Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber diese Normen gibt es, Herr Schuster!)


Und das möchte die Union: Wir möchten eine kompro-
misslos konsequente Haltung .

Jetzt mache ich Ihnen noch den Unterschied zwischen
Körperverletzung und dem neuen § 114 Strafgesetzbuch
klar, den Sie nicht verstehen . Dass Ihnen das ein Innen-
politiker erklären muss, ist komisch . Wir haben folgen-
den Einstieg gewählt: Wer rempelt oder tätlich angreift,
wird dafür mit Freiheitsstrafe rechnen müssen . Das ist
ein ganz starkes Signal eines starken Staates . Bei der
Körperverletzung läuft es eventuell auf eine Geldbuße
hinaus . So hätten Sie es gerne, wir nicht . Wer einen Po-
lizisten anrempelt oder tätlich angreift, geht künftig mit
Freiheitsstrafe nach Hause .


(Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: So ist es! – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Der „geht künftig mit Freiheitsstrafe nach Hause“ – was ist das für ein schönes Bild!)


Das ist das Signal, was wir senden müssen und wollen,
meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Bettina Bähr-Losse [SPD])


Jetzt kann Herr Tempel fragen .


Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823113700

Herr Kollege Schuster, wir kommen beide aus dem

Polizeidienst .


Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1823113800

Nein, ich bin Bundestagsabgeordneter .


Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823113900

Insofern bin ich solidarisch und will noch einmal hel-

fen .

Es ist natürlich kein Allheilmittel, hier mit präventi-
ven Mitteln zu arbeiten . Deswegen habe ich auch eine
ganze Reihe von Mitteln angesprochen, auf die Sie in
Ihrer Antwort gerne noch einmal eingehen können . Wir
haben eben gesagt, dass es hauptsächlich an den fehlen-
den Ressourcen liegt, dass es nach ersten Straftaten eine
Konsequenzenlosigkeit gibt . Kein Gewalttäter fällt vom
Himmel, sondern es ist eine Entwicklung, in die wir lange

Armin Schuster (Weil am Rhein)







(A) (C)



(B) (D)


nicht eingreifen . Es gibt auch keine sozialen Reaktionen
des Staates mit entsprechend geschultem Personal . Das
ist eine Baustelle . Es wird seit Jahren angesprochen, dass
der Staat viel zu spät reagiert . Das war eine Möglichkeit .

Ich habe auch die personellen Ressourcen bei der
Staatsanwaltschaft angesprochen . Ich bin nach der ers-
ten Lesung auf Vorschläge Ihrer Fraktion eingegangen .
Ich habe gesagt: Selbstverständlich reden wir beim The-
ma Personal und beim Thema Ausrüstung mit . Auch das
habe ich angesprochen .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, haben wir alle gesagt!)


Wenn Sie aufmerksam und konzentriert zugehört hät-
ten, dann müssten Sie doch mitbekommen haben – dass
ich nur ein Beispiel herausgegriffen habe, das war die
Prävention; weil ich in der Opposition bin, habe ich nur
fünf Minuten Redezeit –, dass ich aber mehrere Sachen
angesprochen habe,


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen hat man Fragerecht, um noch einmal ein ganz langes Statement zu machen!)


die sich zum Teil mit Ihren Vorschlägen decken . Ich habe
angeboten, dass wir darüber diskutieren . Meine Rede en-
dete mit der Ausführung, dass wir sehr gerne bereit sind,
bei allen tatsächlich wirkungsvollen Mitteln zur Sen-
kung der Gewalt – auch gegen Polizeibeamte, aber nicht
nur – mitzudiskutieren . Wir wollen keine Placebos, die
niemandem helfen; das Strafrecht eignet sich nicht für
Symbolpolitik .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Würden Sie das anerkennen? Das ist die Frage!)



Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1823114000

Herr Tempel, ich kann das eine tun, ohne das andere

zu lassen .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann machen Sie mal!)


Ihre Rede begann mit den Worten: Wir müssen uns mit
dem gesamten Problem der Gewaltkriminalität – sie er-
fährt eine große Steigerung, 6,7 Prozent; das ist gewal-
tig in einem Jahr – auseinandersetzen . Das ist aber nicht
Gegenstand dieser Debatte . Gegenstand dieser Debatte
ist: Was tun wir, wenn Täter Vollstreckungskräfte, Ret-
tungsdienstler, Ehrenamtler in Ausübung ihres Dienstes
angreifen, verletzen?


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das eine ist ein Teil von dem anderen!)


Für die Zuschauer: Es gab 67 114 verletzte Polizeibeamte
im Jahr 2016 . Was tun wir mit den Tätern? Nur darum
geht es jetzt .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Krings hat gesagt: Wir machen eine Kampagne!)


Jetzt kommt der diametrale Unterschied zwischen uns
beiden: Ich glaube felsenfest daran, dass der Warnschuss,
den der neue § 114 Strafgesetzbuch abgibt – die Andro-
hung einer Freiheitsstrafe –, eine enorme Wirkung erzielt,


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei wem denn?)


und zwar dann – jetzt kommt der Appell an die deutschen
Polizeibehörden –, wenn wir erstens alles konsequent zur
Anzeige bringen,


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei den Betrunkenen, bei häuslichen Gewaltfällen!)


wenn zweitens die Staatsanwaltschaft – es gibt mittler-
weile gute Beispiele in der Republik; Herr Fechner hat
eines in seiner Nähe; die Staatsanwaltschaft Offenburg
wirbt dafür – konsequent jede Anzeige zur Anklage
bringt und die Richter drittens konsequent aburteilen .

Meine Damen und Herren, wenn die Sanktionskette –
erst der Angriff auf einen Staatsdiener, dann die Aburtei-
lung und das Ableisten des Strafvollzugs – wirkt,


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das ist doch das Problem!)


dann ist das das große Signal, das von diesem § 114 Straf-
gesetzbuch ausgeht . Ich verspreche Ihnen: Dann sinken
die Zahlen .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das liegt doch nicht am Gesetz, son dern an mangelnden Ressourcen!)


Im Übrigen kommen Sie mir mit Ihren Vorschlägen
vor wie meine Mutti: Egal mit welcher Verletzung ich
heimkam, sie hatte immer Mobilat bereit, aber geholfen
hat es nie . Es tut mir leid .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Dann hören Sie mal auf Ihre Mutter! – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt muss ich mich einmal für Ihre Mutter starkmachen!)


Wir machen Vorschläge, die helfen . Noch einmal eine
Idee, Herr Dr . von Notz:


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ich spreche hier für Mutter Schuster! Ich finde das ungeheuerlich!)


Sie können Wirkungsanalysen über Politik machen .
Schauen Sie sich die Polizeiliche Kriminalstatistik ein-
mal an . Wo sind denn die sichersten Bundesländer in
Deutschland?


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Hört! Hört!)


Sie sind dort, wo CDU- und CSU-Innenminister regieren
und eine klare Sprache sprechen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist eine klare Sprache, das sind klare Gesetze .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wie seit zwölf Jahren im Bund!)


Frank Tempel






(A) (C)



(B) (D)


– Ich habe mir vorgenommen, diese Debatte friedlich zu
Ende zu bringen .


Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823114100

Herr Kollege Schuster, der Kollege Ströbele von

Bündnis 90/Die Grünen drängt darauf, Ihnen eine Frage
zu stellen .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da drängen sich auch viele Fragen auf bei Ihren Ausführungen!)



Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1823114200

Gerne . – Habe ich eigentlich noch Redezeit, oder bin

ich schon drüber?


Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823114300

Noch 1 Minute und 15 Sekunden .


Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1823114400

Ich kann ja mein Manuskript verschenken oder so .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Danke . – Herr Kollege Schuster, wir verlassen viel-
leicht für einen Augenblick Ihren Wahlkampf und kom-
men auf die konkreten Sachverhalte zurück . Sie haben
von 67 000 Verletzten gesprochen . Vorhin haben wir
schon die Zahl von über 40 000 angezeigten Straftaten
gehört . Können Sie denn auch hinzufügen, in wie vie-
len Fällen die Täter dingfest gemacht werden konnten,
festgestellt werden konnten? Daraus ergibt sich nämlich,
dass das eigentliche Problem nicht die Frage der Strafbar-
keit ist – nach allgemeinem Strafrecht, nach § 113 StGB,
ist es sowieso heute schon strafbar –, sondern es ein Voll-
zugsproblem gibt .

Sie als Polizeibeamter müssen doch wissen, dass es
sehr schwierig ist, sich während einer polizeilichen Maß-
nahme oder in einem Unglücksfall dann auch noch um
die Leute zu kümmern, die etwa einen Polizisten ange-
rempelt haben, beleidigt haben oder etwas Ähnliches ge-
tan haben – ganz abgesehen davon, dass das alles nichts
hilft, wenn ein Polizist beispielsweise alleine auf Streife
ist, weil es zu wenige Polizeibeamte gibt, um Doppel-
streifen zu besetzen . Da liegt das Problem .


Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1823114500

Herr Kollege Ströbele, Sie geben jetzt schon zu, dass

das ziemlich schwache Argumente sind,


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, hat er nicht!)


wenn Sie von der eigenen Ohnmacht sprechen, es versu-
chen zu wollen .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Es ist ein Vollzugsdefizit!)


Ich werbe ungerne mit irgendwelchen individuellen
Maßnahmen aus irgendwelchen Wahlkreisen und lasse
es auch jetzt . Aber ich kann Ihnen eines versichern: Ich

könnte Ihnen auf der Stelle einen Polizeipräsidenten be-
nennen, der seine Mitarbeiter mit Einsatzleitlinien, in de-
nen er eine ganz niedrige Toleranzschwelle festlegt, dazu
anhält, konsequent jede Beleidigung, jedes Rempeln, je-
den Angriff anzuzeigen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wenn sie den Täter nicht haben? – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit dem Anzeigen ist es ja nicht getan! Es muss ja Konsequenzen haben!)


Jetzt sage ich mal, weil es nicht mein Wahlkreis ist – der
rechtspolitische Sprecher der SPD nimmt mir das be-
stimmt nicht übel; es ist in seiner Nähe –: Die Staatsan-
waltschaft Offenburg klagt konsequent bei jeder dieser
Straftaten an, sorgt für eine beschleunigte Behandlung
und beantragt von vornherein einen höheren Strafrah-
men, und sie schafft es.


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Und deswegen braucht es Ihr Gesetz nicht, Herr Schuster! Das ist genau der Punkt! Exakt! Wir haben ein Vollzugsdefizit! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben sich selber widerlegt! – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das beste Argument gegen Ihr Gesetz!)


Ich gebe zu, dass man damit neue Prioritäten setzt .
Das ist das Signal, das von diesem Gesetz ausgehen soll:
Der Staat sendet ein Signal der Nulltoleranz . Für die Um-
setzung sind die Polizei, die Staatsanwaltschaft und das
Gericht verantwortlich .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das nämlich!)


Wer das will, wer eine Politik wie in Bayern oder Ba-
den-Württemberg will – Sie wissen, wer da regiert –,


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Mehr Grün hilft!)


der kriegt jetzt eine Chance . Wer es nicht will, muss halt
damit leben, so wie Nordrhein-Westfalen . Tut mir leid,
ich kann es nicht anders sagen – da ist es halt so, wie es
ist .

Ich bin der Überzeugung, meine Damen und Herren:
Wenn Sie diesem Gesetz zustimmen, machen Sie zum
ersten Mal in Ihrem Leben etwas Gescheites .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Beweisen Sie mal, dass Sie in der Innenpolitik Mumm
haben .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den haben Sie verloren!)


Das wäre mal ein Signal der Grünen .

Letzter Satz . Herr Dr . von Notz, ich wäre unglaublich
froh, wenn Sie im nächsten Bundestag noch vertreten
wären – da kann man ja Zweifel haben – und die Chao-

Armin Schuster (Weil am Rhein)







(A) (C)



(B) (D)


ten rechts von uns, die eventuell reinwollen, nicht rein-
kämen .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wollen wir es behalten!)


Aber dafür müsst ihr mal eure Frau und euren Mann in
der Innenpolitik stehen .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jeden Tag, Herr Schuster, jeden Tag!)


Das gilt es zu tun, und wir tun das .

Es war die Legislaturperiode der inneren Sicherheit in
diesem Land – da werden Sie keine vergleichbare finden.
Dank an die SPD . Und: Ich stehe gerne für Beratungen
zur Verfügung .

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823114600

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzent-
wurf zur Änderung des Strafgesetzbuches – Stärkung des
Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräf-
ten . Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12153, den Gesetzentwurf der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD auf der Drucksache 18/11161
in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte dieje-
nigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Das sind die
SPD-Fraktion und die CDU/CSU-Fraktion . Wer stimmt
dagegen? – Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die
Linke . Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung mit den Stimmen der SPD-Fraktion
und der CDU/CSU-Fraktion angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Gibt es Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis
angenommen .

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem
Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des
Strafgesetzbuches – Stärkung des Schutzes von Voll-
streckungsbeamten und Rettungskräften . Der Aus-
schuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12153, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/11547 für erledigt zu erklären . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gibt es Ent-
haltungen? – Gegenprobe! – Die Beschlussempfehlung
ist einvernehmlich angenommen .


(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erledigt ist immer gut!)


Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Luise
Amtsberg, Omid Nouripour, Volker Beck (Köln),
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen

Drucksache 18/12099

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst
Luise Amtsberg von Bündnis 90/Die Grünen .


Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823114700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Gäste! Eigentlich wollten wir heute in
diesem Parlament über unseren Antrag, den Nachzug
der Familien geflüchteter Menschen nach Deutschland
wieder zu ermöglichen, diskutieren . Dass es dazu nicht
kommt, haben wir tragischerweise der SPD zu verdan-
ken, die aus wahltaktischen Gründen die Beratung hier
blockiert. Offenbar fürchtet sie sich, hier im Bundestag
öffentlich Farbe zu bekennen und öffentlich zuzugeben,
dass sie weiter an ihrem Gesetz, mit dem geflüchtete Fa-
milien dauerhaft voneinander getrennt werden, festhalten
will . Ich kann Ihnen nur sagen: Jeder Tag des Wartens
und jeder Tag der Trennung ist für diese Familien ein Tag
zu viel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg . Rüdiger Veit [SPD])


Und ich sage Ihnen auch: Sie werden nicht umhinkom-
men, hier in diesem Parlament zu entscheiden, ob Sie in
dieser Frage mit uns sind oder gegen uns sind, liebe SPD .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Rüdiger Veit [SPD]: Können wir machen!)


In der heutigen Debatte geht es um die Afghanis-
tan-Politik dieser Bundesregierung, die trotz weiter stei-
gender Zahlen ziviler Opfer an Abschiebungen nach Af-
ghanistan festhält . Sie beruft sich dabei auf vermeintlich
sichere Gebiete, die sie selbst aber nicht klar benennen
kann .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, erst vergangenen
Freitag sind bei einem Taliban-Angriff auf eine Militär-
basis in der nordafghanischen Provinz Balkh mindestens
140 Soldaten ums Leben gekommen . Die Sicherheitslage
in Afghanistan ist so schlecht wie schon lange nicht mehr .
Und während die Bundeskanzlerin nach diesem Blut-
bad noch kondoliert, verteidigt Außenminister Gabriel,
ohne überhaupt Bezug auf den Anschlag zu nehmen, die
nächste Sammelabschiebung nach Afghanistan . Mich,
uns lässt das sprachlos zurück . Das hat weder etwas mit
respektvollem Umgang auf Augenhöhe mit der afghani-

Armin Schuster (Weil am Rhein)







(A) (C)



(B) (D)


schen Regierung zu tun, noch wird es unserer außenpoli-
tischen Verantwortung gegenüber diesem Land gerecht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich sage es ganz deutlich: Es darf nicht sein, dass nach
so einem massiven Anschlag die erste Amtshandlung der
Bundesregierung ist, erneut eine Chartermaschine zu bu-
chen, damit abgeschoben werden kann . Wie sollen wir
der Bundesregierung vor diesem Hintergrund ernsthaft
abnehmen, dass sie die Sicherheitslage täglich prüft und
tatsächlich einschätzen kann? Das geht sogar so weit,
dass sich in den Antworten auf unsere Frage, aus welchen
afghanischen Provinzen die Abgeschobenen kommen,
iranische Provinzhauptstädte finden. So viel zum Thema
Kenntnis. Ich finde, das zeugt von großer Unkenntnis,
aber auch von Ignoranz .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Deswegen fordern wir in unserem Antrag, dass Außen-
minister Gabriel seine Sicherheitseinschätzung ändert
und endlich die Erkenntnisse und Einschätzungen der
Akteure vor Ort mit einbezieht .

Selbst unsere Bundeswehr wertet den Angriff auf das
afghanische Militärlager als weiteres Zeichen einer ver-
schlechterten Sicherheitslage, nachdem bereits das Ge-
neralkonsulat 2016 in Masar-i-Scharif schließen musste .
Der UNHCR macht unmissverständlich klar, dass das
gesamte Staatsgebiet Afghanistans von einem innerstaat-
lichen bewaffneten Konflikt betroffen ist und man auf-
grund der sich ständig ändernden Sicherheitslage eben
keine sicheren und unsicheren Regionen ausmachen
kann .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Abschiebungen sind eines der sensibelsten Themen
in der Asylpolitik . Deshalb haben wir, die grüne Frak-
tion, in einer Kleinen Anfrage nach den Umständen der
Abschiebungen nach Afghanistan gefragt . Die Antwor-
ten der Bundesregierung sind teilweise flapsig, vor allen
Dingen aber auch schockierend . So werden wichtige
medizinische Informationen über die Betroffenen nicht
übermittelt . Es sind reine Zufälle, wenn Mitarbeiter der
Ausländerbehörden dem mitfliegenden Arzt Infos oder
Medikamente zustecken . Über den Verbleib der Abge-
schobenen hat die Bundesregierung keinerlei Kenntnis-
se . Es ist noch nicht einmal sichergestellt, dass die Ab-
geschobenen ihren wenigen Besitz mitnehmen können
oder Pässe haben . Die einzelnen Flüge sind extrem teuer .
So kostet ein Flug mindestens 300 000 Euro . Ich sage
an dieser Stelle aus voller Überzeugung: Dieses Geld
wäre sinnvoller in der Integrationsarbeit hier in Deutsch-
land oder im Aufbau von Infrastruktur für die freiwillige
Rückkehr nach Afghanistan eingesetzt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es ist mitnichten so, wie uns die Generalsekretärin der
SPD, Katarina Barley, heute in der Presse glauben ma-
chen will, dass es sich bei den Abgeschobenen nur um
schwere Straftäter handelt . Ich nenne Ihnen einen Fall,

der beispielhaft ist für den Großteil der bislang abge-
schobenen Afghanen: Ein 23-jähriger Afghane, der als
Minderjähriger in Deutschland Schutz suchte und seit
fast sieben Jahren in München lebt, mit einer Deutschen
verlobt ist, seit Jahren fest angestellt seinen Lebensun-
terhalt selbst verdient, nie straffällig geworden ist, wurde
von der Arbeitsstelle in die Abschiebehaft nach Mühldorf
verbracht und am vergangenen Montag nach Kabul ab-
geschoben . – Solche Fälle belasten auch die vielen in der
Flüchtlingsarbeit engagierten Menschen . Sie haben alles
getan, um die Menschen bei uns gut und schnell zu inte-
grieren . Nun müssen sie denen, die ebenfalls alles getan
haben, um hier auf eigenen Beinen zu stehen, erklären,
warum sie nach so vielen Jahren abgeschoben werden .
Ich finde, das geht überhaupt nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg . Rüdiger Veit [SPD])


Gut integrierte Menschen werden in ein unsicheres
Land abgeschoben, mit mehr als drei Bundespolizis-
ten an der Seite . Ich weiß nicht, aber was ist das ande-
res als populistischer Wahlkampf auf dem Rücken von
Schutzsuchenden? Wir fordern deshalb in unserem An-
trag das Einvernehmen des Bundesinnenministeriums
zur Verlängerung des Abschiebestopps, eine Aussetzung
der gemeinsamen deutsch-afghanischen Erklärung zur
Rückführung, keine Widerrufe von Anerkennungen oder
Abschiebeschutzentscheidungen bei afghanischen Ge-
flüchteten durch das Bundesamt, wie es derzeit passiert,
und schlussendlich eine der Sicherheitslage in Afghanis-
tan angemessene Entscheidungspraxis des Bundesamtes;
denn nur so sieht eine würdige und humane Asylpolitik
gegenüber diesem Land aus .

Herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg . Rüdiger Veit [SPD])



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823114800

Vielen Dank, Frau Kollegin . – Als Nächste hat das

Wort die Kollegin Andrea Lindholz von der CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1823114900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ja, Afghanistan ist ein sehr armes Land, und es befindet
sich seit Jahrzehnten nicht im Friedenszustand . Afgha-
nistan ist aber leider kein Einzelfall . Es leben heute laut
Weltbank 2 Milliarden Menschen in Ländern, die unter
Konflikten, unter Gewalt, unter schwacher Staatlichkeit
leiden, und 80 Prozent aller humanitären Not in der Welt
wird von Konflikten verursacht. Es ist besonders traurig,
dass dieselben zehn Konfliktherde, die heute 95 Prozent
der Flüchtlinge weltweit verursachen, schon vor 25 Jah-
ren existiert haben. Afghanistan ist einer dieser Konflikt-
herde . Der Sudan, Eritrea, die Demokratische Republik
Kongo und Myanmar sind weitere .

Luise Amtsberg






(A) (C)



(B) (D)


In Afghanistan engagiert sich Deutschland besonders
stark . Wir sorgen dort seit 15 Jahren mit der Bundeswehr
für mehr Sicherheit . Wir haben erst im Dezember 2015
unser Bundeswehrmandat mit Zustimmung von Teilen
der Fraktion der Grünen verlängert . Wir haben in den
letzten drei Jahren viel in die Krisenhilfe dort investiert .
Allein für die kommenden drei Jahre sind es 1,7 Milliar-
den Euro .

Die Frage, die sich heute stellt, ist, liebe Frau Kollegin
Amtsberg, ob es gerechtfertigt ist, wegen des neuerlichen
Anschlags einen vollständigen Rückführungsstopp, ei-
nen vollständigen Stopp der Abschiebungen nach Afgha-
nistan auch politisch zu vertreten .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Auch deswegen!)


Auch nach meinen zwei neuerlichen Anfragen an das
Auswärtige Amt ergibt sich keine neue, keine andere
Einschätzung der Sicherheitslage .


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Afghanistan ist ein Land, das doppelt so groß wie
Deutschland ist . Dort leben 33 Millionen Menschen .
Es gibt Gebiete, in denen auch nach Ausführungen des
UNHCR keine bewaffneten Konflikte und keine kon-
fliktbezogene Binnenvertreibung stattfinden. Auch die
Internationale Gesellschaft für Menschenrechte sagt,
dass es für die zivile Bevölkerung in Teilen Afghanistans
Gebiete gibt, in denen die Menschen sicher sind .


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zynisch! – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Welche, Frau Lindholz? Welche?)


Das ist der Grund, warum wir uns nach wie vor nicht
für einen vollständigen Abschiebestopp mit Blick auf Af-
ghanistan einsetzen . Das wäre das falsche Signal .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht hier um Asyl, nicht um Signale! Wir sind hier keine Ampel!)


Wir sind der Auffassung – dieser Auffassung waren wir
schon die ganze Zeit –, dass es immer um eine sorgfältige
Einzelfallprüfung gehen muss .

Genau das steht auch auf Seite eins des Berichtes des
UNHCR .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind aber nicht zufrieden mit Ihrer Arbeit! Sollten Sie mal weiterlesen!)


Manchmal schadet es nicht, wenn man einen Bericht
vollständig liest . Genau das ist auch die Praxis, die in
Deutschland erfolgt: Jeder Einzelfall wird geprüft . Wenn
Abschiebungen und Rückführungen erfolgen, werden al-
leinstehende junge Männer und Straffällige abgeschoben
und keine Familien .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch alleinstehende junge Männer können Schutzanspruch haben!)


Dazu können Sie sich die Zahlen aus dem letzten Jahr
und aus diesem Jahr ansehen . Diese legen eindrucksvoll

dar, wie vorsichtig Deutschland, die Bundesregierung,
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und die
zuständigen Rückführungsbehörden sind . Im Jahr 2016
hatten wir 25 000 abgelehnte Asylbewerber aus Afgha-
nistan . Von diesen sind nur 67 Menschen zurückgeführt
bzw . abgeschoben worden . Im Jahr 2017 hatten wir bis
Ende Februar 12 800 vollziehbar Ausreisepflichtige. Da-
von sind nur 72 Personen zurückgeführt worden, weil
eben jeder Einzelfall genau betrachtet wird . Das ist für
uns auch weiterhin der Maßstab im Umgang mit Rück-
führungen nach Afghanistan .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im letzten Jahr sind 3 300 Menschen freiwillig nach
Afghanistan zurückgekehrt . Wir haben die Rückfüh-
rungshilfen des Bundes auf 90 Millionen Euro aufge-
stockt . Das muss der richtige Weg sein . Wir können in
diesen Fällen nicht pauschal sagen: Wir setzen die Rück-
führung grundsätzlich aus . – Wir müssen uns auch immer
überlegen, was das für ein Signal senden würde . Wollen
wir nach Afghanistan das Signal senden, dass alle jungen
Männer – diese sind teilweise gut ausgebildet – dieses
Land verlassen sollen?


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie ein Signal setzen, oder wollen Sie Einzelfallprüfungen?)


Es ist auch Aufgabe der Afghanen, in ihrem Land für
bessere Verhältnisse zu sorgen . Die Probleme Afghanis-
tans können wir nicht allein und ausschließlich hier bei
uns in Deutschland lösen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Asylanerkennungsquote für Afghanen in Deutsch-
land liegt bei knapp 50 Prozent . In anderen europäi-
schen Ländern liegt sie durchschnittlich bei nur knapp
32 Prozent . Länder wie die Niederlande, Großbritannien,
Schweden, Dänemark und Norwegen führen wesentlich
mehr Menschen nach Afghanistan zurück, als wir das im
Jahr 2016 und auch im Jahr 2017 getan haben .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Grönland?)


Liebe Frau Kollegin, Sie haben gerade Einzelschick-
sale, Einzelfälle und deren Bleibeperspektiven angespro-
chen . Dazu sage ich: Wir haben mit dieser Koalition in
den letzten anderthalb, zwei Jahren sehr viel gemacht,
um insbesondere Härtefälle abzufedern . Einen Fall haben
Sie gerade genannt . Wir haben dafür Sorge getragen, dass
es bessere Bleibeperspektiven für die Menschen gibt,
die – je nachdem, ob sie Familie haben oder nicht – sechs
oder acht Jahre hier sind, die für ihren Lebensunterhalt
weitestgehend selber aufkommen können, eine Ausbil-
dung gemacht haben oder eine Arbeitsstelle haben . Diese
Menschen können einen Anspruch auf ein Bleiberecht
erwirken, wenn sie sich entsprechend anstrengen .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe gerade ein Beispiel genannt, wo das nicht geklappt hat! – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht die Realität!)


Andrea Lindholz






(A) (C)



(B) (D)


Wir haben mit der Drei-plus-zwei-Regelung im Be-
reich der Ausbildungsverhältnisse Ausnahmen geschaf-
fen . Wenn wir uns überhaupt einen Vorwurf machen müs-
sen, dann den, dass wir falsche Signale gesendet haben,
nach Deutschland zu kommen . Es gibt viele junge Män-
ner, auch in meinem Wahlkreis, die nicht aus Afghanistan
hierhergekommen sind. Sie sind in der Hoffnung auf ein
besseres Leben aus anderen Ländern hierhergekommen .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Jetzt kommt wieder diese Schote!)


Das ist nachvollziehbar und verständlich . Aber dafür ha-
ben wir nicht unser Asylrecht . Für viele dieser jungen Af-
ghanen, die hier sind und jetzt nach Afghanistan zurück-
kehren, ist es eine schwierige Situation . Deswegen muss
es auch für die Zukunft heißen: Wir müssen klarmachen,
wer in unserem Land eine Bleibeperspektive hat und wer
in diesem Land keine Bleibeperspektive hat .


(Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum Beispiel die, die sieben Jahre hier sind!)


Es gibt auch Menschen, die sich aufgrund der langen
Asylverfahren schon länger hier aufhalten; das ist richtig .
Da gibt es Einzelfälle, bei denen ich, wenn ich mich mit
dem einen oder anderen unterhalte, sagen muss: Das ist
hart . – Es sind Menschen, die länger hier waren, weil wir
mit den Verfahren nicht schnell genug waren . Deswegen
haben wir alles darangesetzt, die Verfahrensdauer beim
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu verkürzen .
Die Menschen müssen schnell und zügig Klarheit haben
und wissen, ob sie bleiben dürfen oder nicht . Das sind die
richtigen Wege .

Wir können keine Ausnahmefälle zulassen, wenn je-
mand keinen Anspruch darauf hat, bei uns zu bleiben .
Wenn jemand dieses Land nicht freiwillig verlässt, müs-
sen wir zum letzten Mittel der Rückführung greifen;
denn sonst ist unser Asylrecht schlicht nicht glaubhaft .
Welches Bild vermitteln wir den Bürgerinnen und Bür-
gern, wenn wir Recht und Gesetz, die bei uns gelten,
schlussendlich nicht auch umsetzen?


(Beifall bei der CDU/CSU)


Um zum Schluss zu kommen: Wenn wir Einzelfälle
betrachten, bei denen wir vielleicht der Auffassung sind:
„Da müsste man noch ein bisschen mehr tun“, dann liegt
es an uns, den § 22 unseres Aufenthaltsgesetzes, der be-
sondere Härtefälle normiert, anders auszugestalten . Hie-
rauf hat sich die Koalition im letzten Koalitionsausschuss
verständigt . Auch da geht es dann wieder um Einzelfall-
regelungen, wenn wir vom Generellen abweichen .

Für Afghanistan gilt: Solange das Auswärtige Amt
keine andere Einschätzung der Sicherheitslage vornimmt


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben recht: Es liegt am Auswärtigen Amt! Das stimmt!)


und solange es Gebiete gibt, in die die Menschen zurück-
kehren können und in denen es für die zivile Bevölke-
rung weniger bzw . keine Gefahren gibt, können wir auch
keinen generellen Rückführungsstopp nach Afghanistan
vertreten . Das wäre der falsche Weg .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823115000

Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz . – Als Nächste

spricht Ulla Jelpke für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823115100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau

Kollegin Lindholz, ich finde Sie unglaublich zynisch.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU/ CSU)


Ich will ganz deutlich sagen, dass auch junge Männer, die
Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sind, nach der
Genfer Flüchtlingskonvention ein Recht darauf haben,
dass wir sie schützen . Es ist einfach nur zynisch, wenn
Sie sich hierhinstellen und sagen: Es sind ja nur junge
Männer .


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Das hat keiner gesagt! – Gegenruf des Abg . Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, doch! Das stimmt schon! – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt! Ich lasse mir von Ihnen nichts unterstellen, was ich nicht gesagt habe! Hören Sie sich meine Rede an! Ich lasse mir das von Ihnen nicht länger gefallen! Hören Sie mal bei einer meiner Reden richtig zu!)


Es sind psychisch Kranke . Es sind Menschen, die in
der Ausbildung sind . Es sind Leute, die seit Jahren in
Deutschland leben . Also bitte: Schauen Sie sich die Liste
derjenigen an, die Sie im Moment in ein Kriegsland – in
ein Kriegsland! – zurückschicken! Das ist der entschei-
dende Punkt . Deswegen sind wir dafür, dass diese Ab-
schiebungen ausgesetzt werden .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum An-
lass der heutigen Debatte kommen . Ursprünglich wollten
wir – die Kollegin Amtsberg hat es schon gesagt – den
Familiennachzug debattieren, der ausgesetzt worden ist,
insbesondere für subsidiäre Flüchtlinge, also für Flücht-
linge, die hierzulande nur vorübergehend, für ein Jahr, ei-
nen Schutzstatus haben . Dieses Unrecht, das im Rahmen
des Asylpakets II beschlossen wurde, hätten wir heute
rückgängig machen können . Die Anträge von Grünen
und Linken sind abstimmungsreif . In Anhörungen usw .
wurde über sie diskutiert .

Ich möchte Ihnen nur ein Beispiel für die Grausamkei-
ten vorführen . Der Soldat Salah J . ist 2015 nach Deutsch-
land gekommen, weil er nicht gegen seine eigene Bevöl-
kerung Krieg führen wollte .


(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Wieder ein Einzelfall! Um den geht es hier aber nicht!)


Andrea Lindholz






(A) (C)



(B) (D)


Seine schwangere Frau und sein Kind musste er zurück-
lassen . Seine Frau ist nach zwei Jahren Wartezeit, weil er
keine Familienzusammenführung genehmigt bekommen
hat, auf ein Boot gestiegen . Im März dieses Jahres ist sie
ertrunken . Das ist die Familie .


(Die Rednerin hält ein Bild hoch)


Ich möchte, dass Sie alle einmal sehen, wie grausam das
Schicksal hierzulande ist . Im Grunde genommen wird
von der Bundesregierung verhindert, dass Familien zu-
sammengeführt werden . Sie tragen eine Mitverantwor-
tung dafür, dass Menschen zu Tode kommen .

Meine Damen und Herren, ich möchte natürlich auch
noch einiges zum Thema Afghanistan beitragen .


(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Ich habe eine Zwischenfrage!)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823115200

Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kol-

legin Lindholz zu?


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823115300

Ja, gerne .


Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1823115400

Frau Kollegin, ich glaube, wir waren beide bei der

Anhörung, als es um die Aussetzung des Familiennach-
zuges ging . Er ist bis März nächsten Jahres ausgesetzt .
Ich kann mich an die Stellungnahme des Vertreters des
Auswärtigen Amtes erinnern, der uns gesagt hat: Wenn
zu den Anträgen auf Familiennachzug, die von Flücht-
lingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention gestellt
worden sind – für sie haben wir den Familiennachzug
ja nicht ausgesetzt –, die Anträge auf subsidiären Schutz
hinzukommen würden, dann wäre das Auswärtige Amt
überhaupt nicht mehr in der Lage, diese Vielzahl an An-
trägen so abzuarbeiten, dass ein Einzelner einen schnel-
leren Familiennachzug genehmigt bekommt .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Bundesamt spricht von einer Person pro Familie! – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So sieht Ihre Einzelfallprüfung aus! – Rüdiger Veit [SPD]: Das ist ja das Schlimme!)


Ich frage Sie deshalb: Glauben Sie, dass wir ohne Aus-
setzung des Familiennachzugs in der Lage gewesen wä-
ren, alle Anträge – die von Flüchtlingen nach der Genfer
Flüchtlingskonvention und die von subsidiär Schutzbe-
rechtigten – zahlenmäßig zu bearbeiten?

Danke schön .


(Beifall des Abg . Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU] – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg . Andrea Lindholz [CDU/ CSU] nimmt wieder Platz)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823115500

Frau Lindholz, vielleicht bleiben Sie stehen, damit ich

von meiner Redezeit nichts abgezogen bekomme .


(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Gut, das mache ich!)


Abgesehen davon, dass ein Vertreter des Auswärtigen
Amtes in einer Anhörung natürlich kein unabhängiger
Sachverständiger ist,


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das zu einem Gesetz der Bundesregierung! – Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Ach herrje!)


sondern jemand, der die Behördenmeinung vertritt,


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


also die politische Meinung, die in erster Linie Sie ver-
treten,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Ja, ja! Nur Grüne und NGO-Vertreter sind unabhängig!)


will ich Ihnen deutlich sagen: Es gab auch ganz viele
Sachverständige, die im Grunde das Grundrecht auf Fa-
milienzusammenführung betont haben .

Das ist ein Grundrecht, das ist ein Menschenrecht .

Wir reden hier – Sie übertreiben immer maßlos, was
die angeblichen Zahlen angeht – über rund 50 000 Men-
schen, die gegenwärtig bewilligte Anträge haben . Die
subsidiären Flüchtlinge dürfen übrigens erst im nächsten
Jahr Anträge stellen – Anträge stellen, wohlgemerkt!


(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das war meine Frage!)


Das heißt, wir reden hier über eine solche Zahl . Ja, wenn
es so ist, dann muss man mehr Menschen in den Bot-
schaften und beim Auswärtigen Amt einstellen,


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


damit das menschliche Leid endet, das ich Ihnen gerade
mit diesem Bild vorgeführt habe; denn diese Familie gibt
es nicht mehr . Die Frau und die Kinder sind ertrunken,
weil es keine Genehmigung gab, mit der sie hierherkom-
men konnten .

Ich finde es einen Riesenskandal, dass Sie diesen
Punkt heute von der Tagesordnung abgesetzt haben, weil
Sie offenbar Angst davor haben, dass hier Kollegen unse-
ren Anträgen zustimmen könnten .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Beantwortet ist die Frage noch nicht!)


– Ich denke, ich habe Ihnen die Frage sehr klar beantwor-
tet . Stellen Sie mehr Leute ein! In so einer Situation muss
man einfach die erforderlichen Strukturen schaffen. Ich

Ulla Jelpke






(A) (C)



(B) (D)


sage Ihnen: Es ist möglich . Sie tun immer so, als wenn es
nicht möglich wäre .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bleiben Sie ruhig weiter stehen!)


Es ist im Grunde genommen ein Skandal, dass Men-
schen, die die Bewilligung haben, denen nur noch der
Visumsantrag fehlt, damit sie hierherkommen können,
über ein Jahr in den Botschaften warten müssen, bis das
Visum ausgestellt ist . Ja, wo sind wir denn? Sie tun hier
doch immer so, als wenn wir alles machen könnten .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kommen wir zur Lage in Afghanistan: Es ist ein Bür-
gerkriegsland; das ist hier bereits gesagt worden . Die
Lage hat sich tatsächlich verschlechtert . Wir müssen da-
von ausgehen, dass allein 2016 11 418 Zivilisten ums
Leben gekommen sind . Das ist eine Verdoppelung der
letzten sieben Jahre. Die Dunkelziffer dürfte sehr viel hö-
her liegen .

Der Bundesminister argumentiert immer damit, nicht
die Zivilbevölkerung sei das Ziel, sondern sie seien nur
die Opfer der Angriffe. Es ist meines Erachtens ein Skan-
dal, davon auszugehen, dass die Anschläge – von der
NATO oder von Terroristen dort – zufällig auch Zivilis-
ten treffen. Das finden wir eine zynische Argumentation.

Zudem will ich Ihnen, Frau Lindholz, sagen: Es ist
falsch . Der UN-Bericht aus dem vergangenen Jahr beleg-
te, dass 1 118 Zivilisten Opfer gezielter Mordanschläge
waren . Allein im Juli starben 100 Angehörige von den
schiitischen Hazara bei einem Anschlag der Islamisten .

Die Bundesregierung behauptet immer wieder, es
gäbe sichere Gebiete .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wenn sie sie nennen, schicken sie sie dorthin zurück!)


Fragt man die Bundesregierung aber danach, kann sie
diese sicheren Gebiete nicht nennen . Hierzu sagt das
UN-Flüchtlingskommissariat Ende letzten Jahres ganz
klar: Das ganze Staatsgebiet Afghanistans ist von einem
bewaffneten innerstaatlichen Konflikt betroffen. Im Klar-
text heißt das nichts anderes als: Es gibt keine sicheren
Gebiete in Afghanistan . Nichts anderes ist hier gesagt
worden .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Rüdiger Veit [SPD])


Trotzdem halten Sie weiterhin daran fest, afghani-
schen Flüchtlingen immer weniger Schutz zu gewäh-
ren . Betrachtet man die Entwicklung, waren es 2015
noch 77,6 Prozent der afghanischen Flüchtlinge, die den
Schutzstatus anerkannt bekommen haben . Jetzt, Anfang
Februar, sind wir bei 47,9 Prozent . Ja, wie kommt denn
das? Die Lage verschlechtert sich, und die Zahl der Men-
schen, die Schutz bekommen, geht herunter?


Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823115600

Kommen Sie bitte zum Schluss .


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823115700

So geht es nun wirklich nicht . Das ist Willkür, die Sie

hier veranstalten . Das ist eine wahltaktische Überlegung .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist eine Frechheit, zu behaupten, dass Behördenhandeln hier politisch motiviert war!)


Sie eifern mit Ihrer Abschiebehysterie der AfD nach; das
ist ganz offensichtlich. Das kann man hier einfach nicht
mitmachen .


Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1823115800

Frau Kollegin, bitte kommen Sie zum Schluss .


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823115900

Ich komme zum Schluss, ja . – Ich will am Ende noch

darauf hinweisen, dass man sich wirklich einmal die Be-
richte von Hilfsorganisationen anschauen muss . Meine
Kollegin Frau Amtsberg hat schon darauf hingewiesen .
Es ist wirklich erschütternd, was afghanische Flüchtlinge
hier in Deutschland zurzeit durchmachen, von welchen
Erlebnissen man dort lesen kann: Sie haben ständige
Angst vor Abschiebung, sie werden vom Arbeitsplatz ab-
geholt, sie werden nachts aus dem Bett geholt . Das ist ein
Riesenskandal .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823116000

Liebe Frau Kollegin, wir haben hier oben auch schon

den Wechsel gemacht, deshalb kommen auch Sie bitte
zum Schluss .


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823116100

Stimmen Sie dem Antrag der Grünen zu, damit wir

endlich eine andere Politik bekommen!


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823116200

Als nächster Redner hat für die SPD-Fraktion Dr . Lars

Castellucci das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Lars Castellucci (SPD):
Rede ID: ID1823116300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Be-
reits im Dezember, als der erste Flug mit Flüchtlingen
nach Afghanistan entsendet wurde, habe ich hier im Par-
lament deutlich gemacht, dass ich Abschiebungen nach
Afghanistan zum derzeitigen Zeitpunkt für unverant-
wortbar halte .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe damals auch einige Einzelfälle genannt, von de-
nen ich durch Gespräche mit Flüchtlingshelfern in mei-
nem Büro erfahren habe . Es kam dann der Vorwurf, man
könne Entscheidungen in der Politik nicht auf irgend-
welchen rührseligen Geschichten gründen, sondern man
müsse doch ordentliche Grundlagen dafür haben . Dem

Ulla Jelpke






(A) (C)



(B) (D)


stimme ich ausdrücklich zu . Deswegen möchte ich heute
sehr grundsätzlich begründen, warum ich Abschiebun-
gen nach Afghanistan zum jetzigen Zeitpunkt für unver-
antwortbar halte .

Eines aber will ich vorausschicken: Wenn wir uns von
Einzelschicksalen, wie wir sie eben gehört haben – egal
zu welchem Thema uns die Menschen diese vortragen –,
nicht mehr berühren lassen, dann sind wir als Abgeord-
nete hier auch fehl am Platz .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich begründe meine Haltung in drei Schritten:

Erster Punkt sind die innerstaatlichen Fluchtalternati-
ven . Ich halte es für ein sehr sinnvolles Konstrukt, dass,
wenn es innerstaatliche Fluchtalternativen gibt, diese
Vorrang vor der Aufnahme in anderen Ländern haben .
Ich breche das einmal herunter: Wenn es in Bayern ir-
gendwann einmal unerträglich würde, dann wären Sie im
schönen Badener Land herzlich willkommen und müss-
ten nicht in Afghanistan Asyl beantragen . So weit, so gut .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Momentan ist es noch anders! Die meisten gehen von Berlin nach Bayern!)


Im zweiten Schritt müssen wir konkret schauen, ob es
diese innerstaatlichen Fluchtalternativen gibt . Das möch-
te ich sehr grundsätzlich machen und dabei noch einmal
den Staatsbegriff ansprechen. Ein Staat ist nicht irgendet-
was, was mit einem Pinsel auf die Landkarte gezeichnet
wurde, sondern er muss eine bestimmte Qualität haben .
Ein Land, das diese Qualität hat, zeichnet sich dadurch
aus, dass jemand in diesem Land willens und in der Lage
ist, das Gewaltmonopol wahrzunehmen . Genau diese
Frage ist in Afghanistan offen. Eigentlich ist es sehr na-
heliegend, dass heute niemand sagt, dass die staatlichen
Stellen in ganz Afghanistan in der Lage sind, das Gewalt-
monopol wirklich durchzusetzen .

Wenn ein Gericht bei uns entscheidet, dass jemand
kein Asyl bekommt, weil nicht der Staat ihn verfolgt,
sondern irgendwelche Gruppen, dann muss ich sagen:
Das ist aus der Perspektive der Betroffenen das Gleiche,
solange der Staat nicht in der Lage ist, diese Verfolgung
zu verhindern und einzudämmen . An dieser Stelle will
ich klar sagen: Die Bevölkerungsgruppen der Hindus
und der Sikhs haben in diesen Abschiebeflügen nichts
verloren . Diese Menschen haben in Afghanistan keine
Lebensperspektive .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielleicht können wir uns darauf verständigen: Es ist
keinesfalls eindeutig, wie die Sicherheitslage in Afgha-
nistan in den einzelnen Bereichen und für einzelne Be-
völkerungsgruppen ist .

Ich finde es eine Krux – vielleicht können Sie mir
hier sogar zustimmen –, dass diejenigen, die eher pro
Abschiebung sind, die Zahlen zur Hand nehmen, die
besagen, dass es dort einigermaßen sicher ist, während
diejenigen, die eher die Schutzbedürfnisse der Menschen
in den Vordergrund stellen, die Zahlen und die Bewer-

tungen zur Hand nehmen, die besagen, dass es unsicher
ist . Wir müssen zu konsistenten und objektiven Berichten
kommen, in die auch die zivilgesellschaftlichen Organi-
sationen eingebunden sind . Es kann nicht dabei bleiben,
dass jeder hier im Raum ständig die Zahlen nimmt, die
für die eigene Argumentation passen . Das ist völlig un-
befriedigend .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gehen wir einfach einmal von der Tatsache aus, dass
wir uns hier nicht einig sind, dass es nicht eindeutig ist .
Damit komme ich zu meinem dritten Schritt, den ich
Hans Jonas entliehen habe . Er hat in seinem Buch Das
Prinzip Verantwortung einen Grundsatz aufgestellt, der
sehr vereinfacht lautet: Wenn es um existenzielle Dinge
geht – er hat sich mit der existenziellen Frage des Überle-
bens der Menschheit beschäftigt –, dann hat die schlechte
Prognose Vorrang vor der guten Prognose . – Ich glaube,
dass dieses ethische Grundprinzip auch auf diesen Fall
anwendbar ist, nämlich auf die Frage der Existenz und
der Lebenschancen von Menschen .

Es ist nicht unsere Aufgabe, zu sagen: Es wird schon
nichts passieren . Vielmehr ist es unsere Aufgabe, das zu
tun, was wir tun können und was in unserer Verantwor-
tung liegt, damit diesen Menschen nichts passiert . Mit
anderen Worten: Es ist unsere Verantwortung, Abschie-
bungen nach Afghanistan zum jetzigen Zeitpunkt zu un-
terlassen .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es geht also nicht um Einzelschicksale, sondern um
eine sehr grundsätzliche Argumentation . Es geht um ein
ethisches Grundprinzip, das ich hier vorgetragen habe .
Man kann natürlich auch sagen: Nun gut, die Menschen
sind nicht Ziel der Anschläge, sondern nur Opfer der An-
schläge . – Aber dabei handelt es sich eben nicht um ein
ethisches Grundprinzip, sondern um blanken Zynismus .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823116400

Herr Castellucci, auch wenn Sie nur noch ganz wenig

Redezeit haben: Lassen Sie eine Zwischenfrage der Kol-
legin Amtsberg zu?


Dr. Lars Castellucci (SPD):
Rede ID: ID1823116500

Ja, selbstverständlich .


Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823116600

Herr Kollege Castellucci, danke, dass Sie die Frage

zulassen . – Ich habe die ganze Zeit über auf das Aber in
Ihrer Rede gewartet . Sie müssen mir schon nachsehen,
wenn sich uns in der Opposition, die wir uns mit diesem
Antrag sehr viel Mühe gemacht haben und mit diesem
Anliegen immer wieder an die Bundesregierung heran-
treten, die Frage aufdrängt: Halten Sie die bisherige Ein-
schätzung der Sicherheitslage in Afghanistan seitens des
Bundesaußenministers Sigmar Gabriel für richtig? Und

Dr. Lars Castellucci






(A) (C)



(B) (D)


finden Sie, dass die verschiedenen Quellen, die wir zur
Grundlage machen wollen, nämlich UNHCR, UNAMA
und andere Akteure, ausreichend gewürdigt sind?


Dr. Lars Castellucci (SPD):
Rede ID: ID1823116700

Ich habe es eben im Grunde vorgetragen, verehrte

Kollegin Amtsberg: Ich glaube, dass die Einschätzung
der Sicherheitslage uneinheitlich getroffen wird. Das ist
die Lage, die sich mir als Parlamentarier stellt . Mein Pe-
titum ist, dass sich die betreffenden zuständigen Orga-
nisationen und die Hilfsorganisationen zusammensetzen
und auf der Basis von objektivierbaren Kriterien nach-
vollziehbar und transparent zu einer gemeinsamen Ein-
schätzung kommen .


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ah! – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, die Grundlage für die richterliche Entscheidung ist die Einschätzung des Auswärtigen Amtes!)


Das ist meine Position .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823116800

Es gibt von der Kollegin Jelpke den Wunsch nach ei-

ner weiteren Zwischenfrage .


Dr. Lars Castellucci (SPD):
Rede ID: ID1823116900

Ja, gerne .


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823117000

Danke, Herr Kollege, dass ich die Frage stellen

kann. – Ich finde es schon sehr bewegend und freue mich
natürlich über Ihre Position . Aber zurzeit ist es so, dass
beispielsweise Ihr Kanzlerkandidat Schulz eine andere
Haltung dazu hat . Auch Ihre Generalsekretärin hat erst
gestern in Schleswig-Holstein, wo ein Abschiebestopp
verhängt wurde, die eigene Regierung dafür ganz klar
kritisiert und sinngemäß erklärt – ich habe es nicht wort-
wörtlich im Kopf –: Wo wir deutsche Soldaten hinschi-
cken, können wir auch Flüchtlinge zurückschicken .

Dazu möchte ich gerne eine Stellungnahme . Wie wird
das bei Ihnen diskutiert? Wie werden Sie beispielsweise
mit diesem Antrag umgehen? Er ist schon einmal abge-
lehnt worden; das ist noch gar nicht so lange her . Die
Situation hat sich nicht geändert . Wird die SPD noch vor
der Sommerpause bereit sein, gemeinsam mit uns diesem
Antrag zuzustimmen?


Dr. Lars Castellucci (SPD):
Rede ID: ID1823117100

Was ich vorgetragen habe, ist Basis meiner eigenen

Gewissensentscheidung, zu der ich laut Abgeordneten-
gesetz und Grundgesetz verpflichtet bin. Wenn ich hier
meine Gewissensentscheidung vortrage, dann spreche
ich damit anderen ihre Gewissensentscheidung nicht ab .
Ich glaube, das ist eine Haltung, die wir hier in diesem
Haus pflegen sollten. Wenn es immer eindeutig wäre,
was uns unser Gewissen aufträgt, dann bräuchten wir
diese Passage im Grundgesetz gar nicht . Es geht um Ge-

wissensentscheidungen . Das ist es, was ich hier vorge-
tragen habe .


(Beifall bei der SPD)


Ich will aber ergänzen – ich habe das im Dezember
letzten Jahres bereits ausgeführt und es mir deshalb heute
erspart –: Es ist doch eine Qualität von Parteien, um die
Fragen, die uns und die Menschen in der Welt umtreiben,
zu ringen . Es ist überhaupt nicht angemessen, wenn so
getan wird, als könnte man einen Keil in die Parteien trei-
ben . Ich habe bei der letzten Diskussion zu diesem The-
ma den Grünen entgegnet: Auch in Baden-Württemberg
werden Flüchtlinge abgeschoben . Es ist doch nicht so, als
gäbe es hier eine Schwarz-Weiß-Verteilung . Also, lassen
Sie uns um die Fragen, die uns alle betreffen, sachlich
ringen und in Zeiten des Wahlkampfs keine Parteipolitik
betreiben .


(Beifall bei der SPD)


Ich habe im Januar dieses Jahres gesagt, dass zum
Asylrecht auch Abschiebungen gehören . Zu diesem
Grundsatz stehe ich . Niemand versteht, wenn Menschen
in Deutschland kein Bleiberecht haben und trotzdem hier-
bleiben . Es versteht aber auch niemand, wenn bei Leuten,
die seit langem hier leben und für den Lebensunterhalt
ihrer Familie aufkommen, deren Kinder in der Schule an-
dere in den naturwissenschaftlichen Fächern abhängen,
die sich wohlverhalten und deren Arbeitgeber Petitionen
lostreten, in denen sie darum bitten, dass sie hierbleiben
können, weil sie einen guten Job im Geschäft oder Un-
ternehmen machen, morgens um sieben der Transporter
vorfährt, um sie abzuholen .

Ich habe von Grundprinzipien gesprochen . Mein
Grundprinzip ist zum einen: Menschen, die Schutz brau-
chen, sollen, solange wir das können, unseren Schutz
auch bekommen . Der andere Grundsatz ist: Wer sich in
diesem Land anständig verhält und zum Wohlstand in
diesem Land beiträgt, der sollte auch eine Bleibeperspek-
tive haben .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Josef Göppel [CDU/CSU])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823117200

Als nächste Rednerin hat Nina Warken für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Nina Warken (CDU):
Rede ID: ID1823117300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der neuerliche Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen trägt den Titel „Abschiebungen nach Afghanistan
aussetzen“ . Ich darf aber zu Beginn kurz auf Sie, Frau
Kollegin Jelpke, eingehen, weil Sie vorhin das Thema
Familiennachzug angesprochen haben. Ich finde, Sie
machen es sich einfach, indem Sie ein Einzelschicksal
plakativ hervorheben und uns indirekt vorwerfen, wir
würden uns nicht darum kümmern, das würde uns nicht
berühren . Wir kümmern uns auch um Einzelschicksale .
Uns berühren Einzelschicksale; uns berührt aber auch

Luise Amtsberg






(A) (C)



(B) (D)


das große Ganze . Wir kümmern uns auch darum . Wir
schaffen steuernde Regelungen, treffen dazu Entschei-
dungen und übernehmen Verantwortung . Das ist nicht
immer einfach, aber das tun wir, und ich glaube, das ist
eine wichtige Entscheidung gewesen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber worum geht es in dem vorliegenden Antrag ei-
gentlich? In dem Antrag wird gefordert, dass der Bun-
desinnenminister das BAMF anweist, allen afghanischen
Asylbewerbern zumindest subsidiären Schutz zu gewäh-
ren . Die Zusammenarbeit mit Afghanistan soll ausge-
setzt werden, und es soll nicht mehr dorthin abgeschoben
werden . Es soll also allen afghanischen Asylbewerbern
pauschal und unabhängig von den konkreten Umständen
Schutz zuteilwerden,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht im Antrag nicht drin!)


und das, obwohl die afghanische Regierung ausdrücklich
darum bittet, keine weiteren Anreize zu setzen, da dem
Land gerade die verloren gehen, die es dringend braucht,
und das, obwohl nicht nur Deutschland, sondern auch die
EU selbst Vereinbarungen mit Afghanistan geschlossen
haben und Deutschland eine der höchsten Schutzquoten
für afghanische Staatsangehörige in der EU hat .

Was das Thema Schutzquoten angeht, Frau Kollegin
Jelpke: Ich glaube, man kann dem BAMF sicherlich
nicht vorwerfen, dass es in den letzten Monaten über eine
Vielzahl von Asylanträgen – ich glaube, es waren über
68 000 Asylanträge afghanischer Staatsangehöriger im
ersten Quartal – entschieden hat; dadurch verändern sich
auch die Schutzquoten .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Warum ist dann die Quote so gesunken?)


Daraus kann man dem BAMF keinen Strick drehen; das
muss man vielmehr anerkennen und die Zahlen so ver-
wenden, wie sie auf dem Tisch liegen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn wir entgegen all diesen Tatsachen eine Abkehr
von der individuellen Prüfung vornehmen sollen, dann
müssen wir ganz genau hinschauen .

Afghanistan ist ein vielschichtiges Land, Afghanistan
ist ein kompliziertes Land . Die Menschen sprechen 50
unterschiedliche Sprachen . Hinzu kommen endlos viele
Dialekte . Es gibt etliche ethnische Gruppierungen . Drei
Viertel des Landes bestehen aus schwer zugänglichen
Gebirgsregionen . Zwei Drittel der Gesamtbevölkerung
leben in den städtischen Zentren der 34 Provinzen . Dazu
gehört auch die Hauptstadt Kabul . Afghanistan ist auch
ein unruhiges Land; wir müssen nicht drum herumreden .
Die Machtverhältnisse in der afghanischen Gesellschaft
sind seit langem extrem komplex . Afghanistan ist ein
zerrissenes und gebeuteltes Land .

Aber Afghanistan ist auch kein pauschal zu bewerten-
des Land . Die Sicherheitslage dort weist deutliche regio-
nale Unterschiede auf . Die Situation ändert sich laufend .
Für die städtischen Zentren wie Herat und Kabul und für

das zentrale Hochland gilt etwas anderes als für andere
Regionen . Nicht nur der Lagebericht des Auswärtigen
Amtes, sondern auch der aktuelle EASO-Report bestäti-
gen das; auch der EGMR sieht diese starken regionalen
Unterschiede .

Wir müssen aber nicht nur regional, sondern auch
zwischen der Gefahr für Militär und für Zivilisten durch
die Konflikte unterscheiden. Der furchtbare Anschlag,
auf den die Antragsteller Bezug nehmen, kostete über
140 Soldaten das Leben . Man kann hieraus aber nicht au-
tomatisch folgern, dass sich die Sicherheitslage der Zivil-
bevölkerung allgemein geändert hat . Man kann nicht ein-
fach sagen, dass der Gefahrengrad durch innerstaatliche
Konflikte überall so hoch ist, dass praktisch jede Zivil-
person allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betrof-
fenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung
ausgesetzt wäre . Hier von einer insgesamt gravierenden
Verschlechterung zu sprechen, erscheint mir daher nicht
ganz richtig . Die Zahlen der zivilen Opfer sind auch nach
dem neuen UNAMA-Report 2015 und 2016 ungefähr
gleich geblieben .

Meine Damen und Herren, auch die steigenden Zah-
len der freiwilligen Rückkehrer zeigen, dass eine pau-
schale Bewertung falsch ist . Tatsächlich sind über 3 300
afghanische Staatsangehörige im letzten Jahr freiwillig
zurückgekehrt .

Der UNHCR-Bericht, der viel, aber leider oft pauschal
und einseitig zitiert wird, kommt auch zu dem Schluss,
dass es für jede Entscheidung über den internationalen
Schutzbedarf erforderlich ist, den Fall auf individueller
Grundlage unter Einbeziehung sämtlicher Aspekte des
Einzelfalls zu bewerten . Das tun wir .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, eben nicht!)


Die Schicksale der Menschen, die aus Afghanistan
zu uns kommen, sind sehr unterschiedlich; das spiegeln
die Entscheidungen des BAMF auch wider . Das BAMF
schert mitnichten alle über einen Kamm . Vielmehr schaut
es genau hin . Afghanische Staatsangehörige bekommen
in Deutschland Asyl, Flüchtlingsstatus und subsidiären
Schutz . Hinzu kommen viele Fälle von Abschiebungs-
verboten . Das sieht für mich eben nicht nach Blindheit
gegenüber den Realitäten und auch nicht nach irgend-
welchen Anweisungen aus . Gerade die vielen nationalen
Abschiebungsverbote zeigen,


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die jetzt alle widerrufen werden!)


dass eine umfassende Prüfung stattfindet und die Mitar-
beiter nicht nach Schema F handeln .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen auch
nicht vergessen, dass die Entscheidungen des BAMF vor
Gericht überprüft werden können . Das werden sie auch .
Auch hier werden die Besonderheiten jedes Einzelfalls
noch einmal aktuell gewürdigt .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf der Grundlage der Lageeinschätzung des Auswärtigen Amtes! – Luise Nina Warken Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da beißt sich die Katze in den Schwanz!)





(A) (C)


(B) (D)


Meine Damen und Herren, am Ende all dieser sorgfäl-
tigen Prüfungen, Rechtsmittel und Neubewertungen steht
eine Entscheidung . Wenn dann festgestellt ist, dass ein
Schutzbedarf nicht gegeben ist, muss diese Entscheidung
auch Konsequenzen haben; denn eines darf nicht sein:
Der Inhalt der Entscheidungen des BAMF darf nicht egal
sein . Unsere Bürger und auch die Antragsteller dürfen
nicht das Gefühl bekommen, dass die Entscheidungen
nichts daran ändern, ob jemand bleiben kann oder gehen
muss . Das würde kein Mensch verstehen, und das kann
auch nicht sein .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, genauso wenig, wie
pauschal entschieden wird, wird pauschal abgeschoben .
In jedem Einzelfall müssen die Ausländerbehörden der
Länder genau prüfen, ob eine Rückführung möglich
ist . In die Risikoprüfung müssen alle persönlichen Um-
stände einbezogen werden. Nicht umsonst betreffen die
Sammel abschiebungen keine Frauen und Kinder .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schreiben in der Antwort auf die Kleine Anfrage, dass Sie das noch nicht einmal wissen! Da geben Sie es sogar zu!)


Alle bislang aus Deutschland Zurückgeführten waren
junge Männer, viele davon Straftäter . Es wird eben auch
geguckt, zu welcher Volksgruppe jemand gehört, aus
welcher Region er stammt und welche familiären Struk-
turen bestehen .

Um es noch einmal klar zu sagen: Für diese Auswahl
sind die Ausländerbehörden der Länder zuständig .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber auf Grundlage der Lageeinschätzung des Auswärtigen Amtes, die falsch ist!)


Ich vertraue darauf, dass das sorgfältig durchgeführt
wird. Aber stattfinden muss es nun einmal.

Meine Damen und Herren, nicht nur die Rückfüh-
rung selbst wird betreut . Die Bundesregierung arbeitet
mit der Internationalen Organisation für Migration und
dem afghanischen Flüchtlingsministerium zusammen .
Auch die deutsche Botschaft stellt sicher, dass die Be-
troffenen empfangen werden und im Land sicher an ihren
gewünschten Zielort gelangen .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In 14 Tagen!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können nicht
alle über einen Kamm scheren, weder im Guten noch
im Schlechten . Aber eines können und müssen wir ver-
meiden, nämlich pauschal zu bewerten, pauschal zu ent-
scheiden und pauschal zu agieren . Deshalb werden wir
den Antrag ablehnen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823117400

Als nächster Redner hat Rüdiger Veit für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1823117500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst einmal will und muss ich leider der Kollegin
Amtsberg und anderen, die das kritisiert haben, aus-
drücklich recht geben in dem Bedauern, dass wir heute
nicht über den Antrag der Grünen beraten und beschlie-
ßen, damit die Aussetzung des Familiennachzugs für le-
diglich subsidiär Geschützte wieder aufgehoben wird,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


und zwar nicht deswegen, weil das hier eine Geschäfts-
ordnungsfrage wäre, sondern aus folgendem Grund: Die
Frage, ob man, wenn dieser Antrag denn Erfolg haben
sollte, einen weiteren Monat mit einer solchen Entschei-
dung zuwartet, betrifft Menschen. Sie betrifft Frauen und
Kinder, die weitere überflüssige Monate von ihren Män-
nern bzw. ihren Vätern getrennt sind, die es geschafft ha-
ben, nach Deutschland zu kommen . Um deren Schicksal
mache jedenfalls ich mir meine Gedanken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Frau Kollegin Lindholz, um Ihre Frage an Frau Jelpke
zu beantworten: Die Tatsache, dass die Anträge derjeni-
gen Flüchtlinge, die Flüchtlingsschutz nach der Genfer
Flüchtlingskonvention genießen, auf Familiennachzug
schon jetzt leider nicht zügig bearbeitet werden können,
weil es zu viele sind, und die Tatsache, dass ein Verfah-
ren regulär 15 Monate oder noch länger dauert, macht
die Sache noch schlimmer . Das ist doch kein Entschul-
digungsgrund .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE])


Umso länger ist doch die Frist, innerhalb derer Väter von
ihren Kindern, Ehemänner von ihren Frauen getrennt
sind . Daher ist meine Sorge groß – das treibt mich um –,
dass die Betreffenden auf nicht legale Wege ausweichen,
die für sie lebensgefährlich sind . Deswegen verstehe ich
nicht, dass Sie von der Union – obwohl die zahlenmä-
ßigen Voraussetzungen ganz anders sind – mit Ihrem
christlichen Familienbegriff vereinbaren können, dass
vielleicht 50 000 Frauen und Kinder in eine gefährliche
Situation gebracht werden .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Nina Warken [CDU/CSU]: Sprechen Sie mit Ihrer Fraktion! Dann können wir darüber reden!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823117600

Herr Kollege Veit, lassen Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Lindholz zu?

Nina Warken






(A) (C)



(B) (D)



Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1823117700

Ja .


Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1823117800

Herr Kollege Veit, ich habe zwei Fragen . Ich hätte

von Ihnen gerne gewusst, ob es richtig ist, dass man trotz
Aussetzung des Familiennachzugs in besonderen Härte-
fällen einen entsprechenden Antrag stellen kann . Das ist
meine erste Frage .

Meine zweite Frage lautet: Können Sie bestätigen,
dass die kommunalen Spitzenverbände in der Anhörung,
die wir zu diesem Thema durchgeführt haben, klar gesagt
haben, dass die Kommunen kaum in der Lage sind, einen
kompletten Familiennachzug auf einen Schlag zu be-
wältigen, dass die Kommunen uns ausdrücklich gebeten
haben, den Familiennachzug sukzessiv durchzuführen,
und dass eine Abstufung – zuerst die Flüchtlinge gemäß
der Genfer Flüchtlingskonvention und dann subsidiär
Schutzberechtigte – der richtige Weg ist, wenn wir alle
Menschen vernünftig unterbringen wollen?

Danke schön .


Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1823117900

Es war vielleicht einmal so gedacht – das war für vie-

le in der SPD-Fraktion eine gewisse Erleichterung –, in
besonderen Härtefällen von der Aussetzung des Fami-
liennachzugs abzusehen . Die Realität ist aber, dass da-
von bisher nur ganz wenige – es handelt sich noch nicht
einmal um eine zweistellige Zahl – profitiert haben. Was
die Koalition vereinbart hat, nämlich nur noch in Einzel-
fällen die Härtefallregelung anzuwenden, ist – entschul-
digen Sie bitte, das sage ich auch an die Adresse meiner
Fraktion – eine Verschlimmbesserung der Situation, aber
keine Erleichterung .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE])


Es stimmt, dass die kommunalen Vertreter gesagt ha-
ben, sie schafften es im Augenblick nicht, alle auf einmal
aufzunehmen . Aber was ich gerade auf die Beantwor-
tung Ihrer Frage von vorhin gesagt habe, ist zutreffend,
nämlich dass leider aus Kapazitätsgründen die Anträge
gar nicht gleichzeitig bearbeitet werden können, dass der
ganz normale Prozess ohnehin schon mehr als ein Jahr
dauert und dass daher ein allmähliches und verzögertes
Eintreffen der Familienmitglieder leider zwangsläufig
die Folge ist .

Zurück zum Antrag auf Aussetzung der Abschiebun-
gen nach Afghanistan. Ich bin der Auffassung – das wur-
de schon mehrfach geäußert –, dass der UNHCR-Bericht
nicht die Tatsachen hergibt, die rechtfertigen, ohne Wei-
teres nach Afghanistan abzuschieben . Ich wundere mich,
wie man einen Bericht so unterschiedlich lesen und in-
terpretieren kann .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die einen lesen ihn ganz, und die anderen nur zur Hälfte!)


Insgesamt heißt es im UNHCR-Bericht, die Sicherheits-
lage habe sich nochmals deutlich verschlechtert . Es gibt
keine eindeutige innerstaatliche Schutzalternative . Das
gesamte Staatsgebiet Afghanistans ist von einem inner-
staatlichen bewaffneten Konflikt betroffen.


(Nina Warken [CDU/CSU]: Es findet aber eine Einzelfallprüfung statt!)


Die Lage habe sich – so die Zusammenfassung – wei-
ter rapide verschlechtert, und gleichzeitig sei die höchste
Anzahl an Flüchtlingen und Opfern unter der Zivilbevöl-
kerung zu verzeichnen . Wenn ich das alles zusammen-
nehme, dann kann ich doch nicht sagen: Neuerdings ist
alles viel besser; wir können die Menschen ohne Weite-
res zurückschicken . – Das Gegenteil ist der Fall . Ich hebe
dabei nicht auf die kürzlich stattgefundenen Anschläge
mit zahlreichen beklagenswerten Opfern ab, sondern auf
die Würdigung der Gesamtsituation und komme zu dem
Ergebnis – bedauernswerterweise nur höchstpersönlich
und nicht für die gesamte SPD –, dass Abschiebungen
nach Afghanistan derzeit nicht verantwortet werden kön-
nen .

Der immer wieder geäußerten Argumentation, die Zahl
der freiwilligen Ausreisen belege, dass man dorthin pro-
blemlos zurückkehren könne, und es gebe keine weite-
ren freiwilligen Ausreisen, wenn es keine Abschiebun-
gen gäbe, liegt doch ein Zirkelschluss zugrunde . Die
freiwilligen Ausreisen gab es schon die ganze Zeit . Die
sind nicht erst dadurch ausgelöst worden, dass Sammel-
abschiebungsflüge organisiert worden sind. Von daher
gesehen zählt auch dieses Argument nicht .

Ich bedaure, um auch das deutlich anzusprechen, dass
mein jetzt amtierender Parteivorsitzender das Verhalten
der schleswig-holsteinischen Landesregierung und des
dortigen Innenministers Stefan Studt, den ich sehr schät-
ze, leider nur als nobel bezeichnet hat, und mein nicht
minder geschätzter und geliebter früherer Parteivorsit-
zender davon gesprochen hat, dass das menschenrecht-
lich hochverständlich sei, dass beide im Ergebnis aber
der Auffassung waren, Abschiebungen nach Afghanistan
könnten weiter erfolgen. Ich teile diese Auffassung nicht.
Ich halte das nicht für vertretbar .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen ist aus meiner Sicht dem Antrag der Grünen in
vollem Umfang zuzustimmen .

Ich möchte ausdrücklich an den jetzt amtierenden Au-
ßenminister die Bitte richten, eine neue Bewertung der
Sicherheitslage für Afghanistan vorzunehmen, die dann
hoffentlich eine andere Entscheidung zur Folge hat.

Danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823118000

Damit schließe ich die Aussprache .






(A) (C)



(B) (D)


Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/12099 mit dem Titel „Abschiebungen nach Af-
ghanistan aussetzen“ . Die Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen wünscht Abstimmung in der Sache . Die Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD wünschen Überweisung,
und zwar zur federführenden Beratung an den Innenaus-
schuss und zur Mitberatung an den Auswärtigen Aus-
schuss, an den Ausschuss für Menschenrechte und huma-
nitäre Hilfe sowie an den Ausschuss für Angelegenheiten
der Europäischen Union .

Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den
Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Ich frage deshalb:
Wer stimmt für die beantragte Ausschussüberweisung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die
Überweisung so beschlossen .


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein!)


– Doch! Die Jastimmen waren eindeutig in der Mehrheit,
auch wenn man bei der Opposition enger sitzt . Es war
eine eindeutige Mehrheit . Meine beiden Beisitzer sehen
das auch so .


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Bei der SPD haben ja gar nicht alle zugestimmt! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Hälfte von der SPD hat gar nicht mitgestimmt!)


– Es gab wirklich eine klare Mehrheit für die Überwei-
sung .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir zweifeln das an! – Gegenruf des Abg . Manfred Grund [CDU/CSU]: Das Präsidium hat entschieden!)


– Es ist eine Mehrheit .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wer sagt das denn?)


– Hier wurde gezählt .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zum weiteren quantitativen und
qualitativen Ausbau der Kindertagesbe-
treuung

Drucksache 18/11408

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend (13 . Ausschuss)


Drucksache 18/12158


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/12159

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, ihre Plät-
ze einzunehmen. Ich eröffne die Aussprache. Als erste
Rednerin in dieser Aussprache hat die Bundesministerin
Manuela Schwesig das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste! Das ist heute ein
guter Tag für Familien in Deutschland, weil Mütter und
Väter darauf vertrauen können, dass wir in den nächsten
Jahren weitere 100 000 Kitaplätze schaffen. Wir stellen
dafür über 1 Milliarde Euro zur Verfügung . Das ist gut
und richtig; denn wir brauchen in Deutschland gute Kita-
plätze, um Beruf und Familie zu vereinbaren, aber auch,
um alle Kinder gut fördern zu können .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordne-
te, mit diesem Gesetz unternehmen wir einen weiteren
wichtigen Schritt zum Ausbau der Kindertagesbetreuung
in Deutschland. Erstmals schaffen wir als Bund nicht
nur Plätze für die unter Dreijährigen – darauf lag in den
letzten zehn Jahren der Schwerpunkt –, sondern stellen
auch Geld dafür zur Verfügung, dass Plätze für über
Dreijährige, also Kindergartenplätze bis zum Eintritt in
die Schule, geschaffen werden. Dieses Kitaprogramm
schließt endlich die Lücke . Wir fördern Kitaplätze vom
Kitaeintritt bis zum Schulübergang, und das ist das, was
wir in Deutschland brauchen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


In den letzten zehn Jahren hat sich das Angebot an
Kitaplätzen enorm verbessert . 400 000 neue Plätze sind
entstanden . Knapp 720 000 Plätze für unter Dreijährige
gibt es mittlerweile . Wir haben gerade in dieser Legis-
laturperiode viel erreicht . Zu Beginn haben wir 6 Milli-
arden Euro für den Bildungsbereich inklusive Kinderta-
gesstätten bereitgestellt . Wir haben 2014 ein Kitagesetz
verabschiedet, die Kommunen entlastet, das Sonderver-
mögen aufgestockt . 2015 haben wir im Rahmen unseres
Qualitätsprozesses mit den Ländern die Wirtschaft für
eine gemeinsame Erklärung zur Kinderbetreuung als
Zukunftsinvestition gewonnen . 2016 ist das neue Bun-
desprogramm „KitaPlus“ für flexible Kinderbetreuung in
Randzeiten entstanden, und wir haben mit dem Sprach-
kitaprogramm erheblich die Qualität verbessert . Weil
Sprache der Schlüssel für die Bildung von Kindern ist,
haben wir die Mittel für das Sprachprogramm verdop-
pelt, und wir stellen viel mehr Stellen für Spracherzieher
in den Kitas zur Verfügung . Dies dient den Bildungs-
chancen, der Chancengleichheit der Kinder .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


Da schließen wir 2017 mit diesem Investitionspro-
gramm an . Inklusive der zusätzlichen Programme inves-
tiert der Bund 2017 eine Rekordsumme von 2,5 Milliar-
den Euro . An dieser Stelle, sehr geehrte Abgeordnete der
Grünen, möchte ich das richtigstellen: Sie haben beim
letzten Mal behauptet, wir hätten 1,7 Milliarden Euro für
2017 versprochen . Das stimmt . Jetzt liefern wir 2,5 Mil-
liarden Euro und nicht, wie Sie sagen, 1,2 Milliarden
Euro . Neben den in diesem Gesetz verankerten Program-
men gibt es ja noch mehr Programme, wie ich es eben
gesagt habe . 2,5 Milliarden Euro, so viel hat der Bund
noch nie in einem Jahr zur Verfügung gestellt .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, warum brau-
chen wir diese Plätze? Erstmals seit 15 Jahren werden
wieder mehr Kinder geboren, und das jetzt schon im
zweiten Jahr in Folge . Immer mehr Mütter und Väter
wollen berufstätig sein, brauchen wohnortnahe Kita-
plätze . Die Inanspruchnahme steigt also . Außerdem gibt
es Kinder, die zu uns geflüchtet sind, und die natürlich
schnell in eine Kita gehen sollen, damit sie schnell die
deutsche Sprache lernen, damit sie Anschluss finden und
gut integriert werden .

All das sind Bedarfe . Wir wollen nicht, dass Familien
in Deutschland gegeneinander ausgespielt werden . Wir
wollen, dass alle Mütter und Väter, die einen Kitaplatz
für ihre Kinder brauchen, auch einen bekommen .

An dieser Stelle möchte ich mich auch bei den Kom-
munen und den Ländern für den enormen Aufholprozess
bedanken . Außerdem möchte ich mich bei den Erziehe-
rinnen und Erziehern bedanken . Ich selbst durfte heute
Morgen bei der Kitaeingewöhnung meiner kleinen Toch-
ter in eine Gruppe von Kleinkindern – sie bestand aus
nur fünf Kindern – dabei sein . Ich muss sagen: Ich habe
großen Respekt vor den Erzieherinnen und Erziehern .
Was sie dort leisten, ist brillante Arbeit . Bei allem Wer-
ben dafür, dass die Qualität besser werden muss, dürfen
wir nicht vergessen: Das, was in Deutschland bereits ge-
leistet wird, insbesondere von den Erzieherinnen und Er-
ziehern, ist großartig . Dafür einen herzlichen Dank!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg . Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])


Ich bin sehr froh, dass wir zum Abschluss der Legis-
latur dieses Investitionsprogramm auf den Weg bringen .
Natürlich wird das nicht das Ende sein . Wir werden in
den nächsten Jahren die Qualität weiter verbessern . Das
ist auch Thema auf der Jugend- und Familienminister-
konferenz . Ich habe mich gefreut, dass es im Ausschuss
für dieses Programm von allen Unterstützung gab . Ich
weiß, dass es auch allen Fraktionen am Herzen liegt .

Ich habe mir in den letzten Debatten insbesondere von
den Grünen immer wieder anhören müssen: Wo bleibt
das Qualitätsgesetz?


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Von uns auch!)


– Von Ihnen auch; stimmt . Gut, dass Sie mich daran er-
innern! – Weil es heute auch wieder so sein wird, darf

ich mir erlauben, Ihnen Folgendes zu sagen: Politik hat
etwas mit Machen zu tun . Dass man etwas macht, hat
etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun . Hier immer nur zu
fordern und da, wo man selbst regiert, die Dinge nicht
nur nicht zu machen, sondern sogar zu behindern, das ist
unglaubwürdig .


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es sind Ihre Ministerpräsidenten von den Grünen – –


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch haben wir ziemlich viele von der SPD!)


– Ja, aber die SPD behauptet nicht, dass es an mir liegt;
die SPD unterstützt mich im Qualitätsprozess mit den
Ländern .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es ist der Ministerpräsident der schwarz-grünen Regie-
rung in Hessen, der in die Ministerpräsidentenkonferenz
eingebracht hat, dass es kein Qualitätsgesetz geben soll .


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Ihr Koalitionspartner! – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist der bei Ihnen Koalitionspartner oder bei uns?)


Ihr linker Ministerpräsident Bodo Ramelow hat mitge-
stimmt, wie alle anderen . Deshalb ist es unglaubwürdig,
dass Sie hier Qualität von uns fordern, aber da, wo Sie
selbst regieren, ablehnen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Deshalb werbe ich sehr dafür, dass alle die, die wol-
len, dass sich die Qualität verbessert, den Qualitätspro-
zess unseres Hauses mit den Ländern unterstützen und
dort Einfluss nehmen, wo sie in den Ländern regieren.
Das ist dann glaubwürdige Politik. In diesem Sinne hoffe
ich, dass es uns gemeinsam gelingt, auf der Jugend- und
Familienministerkonferenz auch bei der Qualität voran-
zukommen .

Heute sollten wir dieses Gesetz beschließen, damit
wir vor Ort loslegen können . Es geht um 100 000 neue
Kitaplätze für die Kinder in unserem Land, die dringend
gebraucht werden . Das ist ein guter Tag für die Kinder
und die Familien in Deutschland .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823118100

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Norbert

Müller das Wort für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Norbert Müller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823118200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf den
Tribünen, die Sie diese Debatte verfolgen! Frau Ministe-
rin Schwesig, ich habe eigentlich direkt darauf gewartet,
dass Sie Ihre Rede beginnen mit: Das ist ein guter Tag

Bundesministerin Manuela Schwesig






(A) (C)



(B) (D)


für die Familien in Deutschland . – Diesen Satz kann ich,
ehrlich gesagt, nicht mehr hören .

Ich verfolge die Debatte heute mit einem lachenden
und einem weinenden Auge . Ja, wir werden dem vierten
Ausbauprogramm zustimmen . Ja, die 100 000 Plätze sind
dringend nötig . Ja, es ist gut, dass diese 100 000 Plätze in
den nächsten Jahren geschaffen werden.


(Sönke Rix [SPD]: Und was ist daran schlecht?)


Das ist das lachende Auge . Das weinende Auge: Der
Ausbau – das wissen Sie auch – hinkt den Bedarfen seit
Jahren hinterher .


(Marcus Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Ach, Herr Müller!)


Ich übersetze Ihnen das einmal praktisch .

In der Anhörung im Familienausschuss, die wir zu den
Gesetzesvorhaben durchgeführt haben, hat der Direktor
des Deutschen Jugendinstituts, Thomas Rauschenbach,
auf meine Frage zum Bedarf geantwortet – ich zitiere –:

Wenn ich das alles zusammenrechne . . ., dann wer-
den wir nicht 100 000 Plätze, dann werden wir
nicht 200 000 Plätze, dann werden wir auch nicht
300 000 Plätze, sondern wir werden 350 000 Plätze
in den nächsten Jahren benötigen . Das zeigt, dass
das, was möglicherweise beschlossen wird, nämlich
100 000 Plätze mehr, einfach nicht reichen wird .

Im Folgenden führt er aus, dass die Dynamik noch zu-
nimmt . Er glaubt, dass der Bedarf von 350 000 Plätzen –
Status quo – nur eine Zwischenetappe ist, dass es einen
enorm steigenden Bedarf an Plätzen gibt .

Ich mache das einmal praktisch . An einem Ort, wo
das erste Mal eine gut funktionierende Kita errichtet
wird, steigt der Bedarf einfach . Dann muss man hinter-
herkommen und kann nicht sagen: In Zukunft hat jedes
Kind wirklich einen Anspruch, der auch mit einem Platz
unterlegt ist . – Das ist heute nicht so . Selbst wenn 2020
die 100 000 Plätze sozusagen am Netz sind, haben wir
immer noch eine Viertelmillion unversorgter Kinder . Das
ist ein erhebliches Problem . Das kann man nicht einfach
wegdiskutieren . Man kann sich nicht über kleine Schritte
freuen, die man gegangen ist, wenn das Problem einer
Viertelmillion fehlender Plätze weiter existiert .

Beim Kitaausbau ist es ein bisschen wie im Märchen
vom Hasen und dem Igel . Immer dann, wenn die Bun-
desregierung mit etwas kommt und das Parlament mit
Mehrheit sagt: „Wir haben etwas geschafft und sind ei-
nen Schritt vorangekommen“, ist der Igel bereits da und
sagt: Hier fehlt noch ganz viel . – Das ist die Realität in
Deutschland .


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben zum heu-
tigen Gesetzesvorhaben einen eigenen Entschließungs-
antrag vorgelegt . Wir möchten als Linke in dieser De-
batte drei zentrale Forderungen erheben, von denen wir
glauben, dass deren Erfüllung notwendig ist . Weil Sie
aufgefordert haben, das mit Glaubwürdigkeit zu verbin-
den, sage ich Ihnen auch einmal, was wir in den links-

regierten Ländern in Bezug auf diese Punkte genau tun,
um deutlich zu machen, was die Bundesregierung nicht
macht .

Erstens . Wir brauchen mehr Kitaqualität . Wir als Lin-
ke stehen – aber auch Kollegen der SPD vertreten das
nach wie vor – weiter für bundesweite Standards in ei-
nem Kitaqualitätsgesetz . Das heißt, dass wir uns, was die
Fachkraft-Kind-Relation anbetrifft, annähern müssen.
Da muss es bundesweite Standards geben . Dies gilt auch
für Leitungsfreistellungen und gute Essensversorgung .
Des Weiteren muss es vernünftige Standards geben,
was Raumkapazitäten und Außenbereiche angeht, usw .
Diesen Prozess muss man vorantreiben . Den kann man
nicht nur ankündigen . Inzwischen ist es so, dass man das
machen muss . Im Grundgesetz ist von gleichwertigen
Lebensverhältnissen in Deutschland die Rede . Das muss
auch für die Allerjüngsten umgesetzt werden .

Ich sage Ihnen jetzt einmal, was Brandenburg ge-
macht hat . Bevor Rot-Rot an die Regierung kam, hat dort
eine große Koalition regiert . Die hat den Rechtsanspruch
auf einen Kitaplatz geschliffen. Das geschah, bevor der
Bundes-Rechtsanspruch kam . Wir haben diesen Rechts-
anspruch wiederhergestellt, und wir haben die Kitaqua-
lität im Land deutlich verbessert . Das rot-rot regierte
Brandenburg wird 2019, wenn zehn Jahre Regierungszeit
vergangen sind, 1 Milliarde Euro mehr in die Verbesse-
rung des Betreuungsschlüssels investiert haben . Wir
haben im Land 3 000 Erzieherinnen und Erzieher – nur
zur Verbesserung des Betreuungsschlüssels – zusätzlich
eingestellt . Sie brauchen in diesem Zusammenhang nicht
über Glaubwürdigkeit zu reden . Die Länder tun so etwas
zum Teil, manchmal auch – was sehr bedauerlich ist –
gegen die Widerstände vonseiten der SPD .

Zweitens. Es werden 100 000 neue Plätze geschaffen.
Für diese 100 000 neuen Plätze fehlen aber die Erzie-
herinnen . Faktisch haben wir heute keine Erzieherinnen
für diese 100 000 Plätze . Das heißt, dass wir über den
Erzieherberuf sowie über eine Aufwertung desselben re-
den müssen . Wir müssen darüber reden, wie die Erzie-
herinnen für diese Plätze ausgebildet werden sollen . Ich
sage Ihnen noch einmal: Das wird nicht gehen, indem
sich die Länder weiter herausmogeln und die Kommu-
nen neue Berufsbilder – wie in Bayern die Fachkraft für
Mittagsbetreuung; das wird über die Bundesagentur mit
einem Weiterbildungsbedarf von 40 Stunden gefördert –
erfinden. Vielmehr brauchen wir in den Kindertagesstät-
ten staatlich anerkannte Erzieherinnen und Erzieher mit
einer ordentlichen Ausbildung . Das sind wir den Famili-
en schuldig . Das heißt aber auch, den Beruf aufzuwerten,
ihn für Männer attraktiver zu machen .


(Beifall bei der LINKEN)


Das heißt aber auch, diesen Beruf endlich besser zu
bezahlen . Da kann man nur noch einmal die Forderungen
aus dem Streik der Angehörigen der Erziehungsberufe
im letzten Jahr wiederholen: Wir brauchen eine deutli-
che – auch finanzielle – Aufwertung des Berufsbildes,
damit mehr Menschen diesen Beruf ergreifen . Die brau-
chen wir nämlich in den Kitas .

Des Weiteren werden wir darüber reden müssen – ei-
gentlich müssen wir das umsetzen –, dass der Erzieher-

Norbert Müller (Potsdam)







(A) (C)



(B) (D)


beruf als Mangelberuf ausgewiesen wird, um ihn auch
handhabbarer zu machen . Es kann doch nicht sein, dass
wir überall im Land Kitas haben, die aber keine Erzieher
finden. Diese Kitas können niemanden einstellen. Die
Bundesagentur aber meldet immer, dass es keinen Bedarf
gibt . Da passen Realität und das, was hier oben disku-
tiert wird, längst nicht mehr zusammen . Wir brauchen die
Einstufung des Erzieherberufes als Mangelberuf .


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens . Wir brauchen den Einstieg in die Beitrags-
freiheit . Ich habe das bis jetzt nicht gesagt, aber der Kol-
legen Weinberg hat es ja von selber angesprochen . Ich
sage ihm aber jetzt noch einmal deutlich: Wir brauchen
den Einstieg in die Beitragsfreiheit .


(Beifall bei der LINKEN)


Warum? Wir brauchen ihn nicht, weil wir Menschen nur
einfach so von den Beiträgen entlasten wollen . Nein,
Kinderbetreuung ist eine Bildungsaufgabe . Und so, wie
wir kein Schulgeld mehr haben, ist es auch völlig richtig,
dass frühkindliche Bildung beitragsfrei sein muss . Des-
wegen brauchen wir den Einstieg in die Beitragsfreiheit .
Den werden wir nicht von heute auf morgen bekommen .
Aber das rot-rot regierte Brandenburg sowie auch andere
Länder mit Regierungsbeteiligung von Linken, Grünen
und SPD – zum Teil betrifft das auch, wie in Berlin oder
Hamburg, die CDU – haben sich auf den Weg gemacht,
die Beitragsfreiheit umzusetzen . Zu gleichwertigen Le-
bensverhältnissen gehört, diese Beitragsfreiheit in ganz
Deutschland umzusetzen . Dafür brauchen wir erste
Schritte .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir stimmen heute diesem Ausbauprogramm zu, aber
wir werden nicht feiern, weil im Bereich der Kitas nicht
alles gut ist und weil die Aufgaben, vor denen wir stehen,
größer als das sind, was wir gerade bewältigen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823118300

Vielen Dank . – Wir kommen zum nächsten Redner .

Das ist Marcus Weinberg für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1823118400

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Werter Herr Müller, ich weiß nicht, wo
Sie in den letzten Jahren gewesen sind. Ich finde es schon
sehr skurril, dass wir im Deutschen Bundestag jetzt ein
viertes – viertes! – Investitionsprogramm für den quanti-
tativen und qualitativen Ausbau im Kitabereich – für eine
Aufgabe, für die wir originär gar nicht zuständig sind –
auf den Weg bringen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bei allem Respekt: Hier werden – das ist der ers-
te Punkt – 1,126 Milliarden Euro für eine Aufgabe der

Länder ausgegeben . Das ist eine originäre Aufgabe der
Länder, die ich an dieser Stelle herzlich bei der Debatte
begrüße . Sie werfen der Ministerin – ich hätte mir auch
nicht vorgestellt, dass ich jetzt die SPD in Schutz nehmen
muss; das ist aber so – vor, sie würde der Erfüllung der
Aufgaben wie ein Igel hinterherhecheln . Das ist natürlich
völlig falsch .

Ich darf im Übrigen an eines erinnern: Seit wir mit
dem Kitaausbau angefangen haben, gibt es eine kontinu-
ierliche, gerade Linie des Ausbaus in Bezug auf Qualität
und Quantität . Beim Bund sehen wir sie seit 2005 – ups,
seit dem Regierungswechsel 2005 .

Wenn Sie dann schauen, wie sich die Nachfrage ent-
wickelt hat, dann stellen Sie fest: Es fing einmal mit
32 Prozent im Krippenbereich an, dann waren es 35 Pro-
zent, dann 38 Prozent . Heute liegt die Nachfrage bei
42 Prozent . Wir decken aber bereits eine Nachfrage von
nahezu 35 Prozent ab . Natürlich hinken wir immer et-
was hinterher . Das ist aber auch klar . Man muss wissen,
dass man beim Kitaausbau sozusagen immer ein, zwei,
drei oder vier Jahre hinterherhinkt . Trotzdem können wir,
glaube ich, stolz darauf sein, dass der Bund dieses Geld
zur Verfügung stellt und damit die Länder entlastet .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zum zweiten Punkt Ihrer Kritik, zur Höhe der Beiträ-
ge. Wir haben dieses Thema hier ja häufig diskutiert. Sie
werden demnächst 30 Milliarden Euro für die Beitrags-
freiheit aufrufen . Ich weiß nicht, wie hoch die Beiträge
in Thüringen sind . Das können Sie mir gerne einmal
verraten . Wahrscheinlich haben Sie die Beitragsfreiheit
in Thüringen schon erreicht . Ich will einmal aus der An-
hörung, aus der Sie auch zitiert haben, eine Passage der
Stellungnahme des Deutschen Vereines für öffentliche
und private Fürsorge zitieren:

Angesichts der schwierigen Haushaltslage in den
Kommunen und der bereits bestehenden Beitrags-
staffelung nach sozialen Kriterien ist eine Freistel-
lung von Eltern, die durchaus in der Lage sind, die
Beiträge zu zahlen, nicht prioritär .

Dem können wir nichts hinzufügen . Das ist genau
richtig so . Deswegen sage ich: Erst einmal die Quanti-
tät ausbauen, dann die Qualität erhöhen, bevor wir uns
irgendwann einmal sicherlich auch über Beitragsfreiheit
unterhalten können . Aber das kann keine Priorität sein,
solange Menschen weiter Kitaplätze suchen .

Ein weiterer Punkt, der auch angesprochen wurde,
ist die Frage der Qualität . Wir sind der Meinung, dass
dies ein Prozess ist, bei dem die Länder, die im födera-
tiven System diese Aufgabe originär haben, gemeinsam
mit dem Bund zu einer Lösung kommen müssen . Dieser
Prozess ist durchaus gut angelegt, wenn man sagt, dass
man das gemeinschaftlich macht . Auch ich hätte mir ge-
wünscht, dass das eine oder andere Bundesland bei der
Frage, wie man diesen Prozess entwickelt bzw . ob man
ein Entwicklungsgesetz auf den Weg bringt, zustimmt .
Da sind wir auch nicht abgeneigt – das sage ich ganz
deutlich –, weil wir wollen, dass Standards gesetzt wer-
den . Aber ich glaube, es ist richtig, dass wir das in der

Norbert Müller (Potsdam)







(A) (C)



(B) (D)


Freiwilligkeit der Länder belassen, weil diese letztend-
lich für den Ausbau verantwortlich sind .

Wenn Sie die Geschichte des Kitaausbaus seit 2005
betrachten, dann stellen Sie fest, dass das eine Erfolgsge-
schichte ist . Dass wir jetzt noch einmal über 1 Milliarde
Euro investieren, ist richtig . Dass wir den Fokus auf die
Betreuung von Schulkindern erweitern wollen, ist rich-
tig, weil das der Wunsch der Eltern ist . Die Forderung
der Eltern ist: Wir wollen nicht nur bis zum sechsten Le-
bensjahr unseres Kindes eine gute Ganztagsbetreuung,
sondern wir wollen auch darüber hinaus eine Ganztags-
betreuung haben . Insofern ist es, glaube ich, richtig, hier
auch diese Erweiterung mit Blick auf Schulkinder anzu-
streben .

Nächster Punkt . Auch die Erweiterung war richtig . Es
war richtig, dass wir gefragt haben: Wie sieht es denn
aus mit Gesundheitsförderung? Wie sieht es aus mit Fa-
milienangeboten? Auch hier kann man, glaube ich, den
Ausbau insoweit als Erfolg bezeichnen, als es gelungen
ist, auch diese Maßnahmen zu finanzieren. Nun hatte der
Bundesrat ja in seiner Stellungnahme drei Wünsche ge-
äußert . Ich habe bei der Debatte zur ersten Lesung schon
ganz deutlich gesagt: Mit zwei Wünschen haben wir
ein Problem . Wenn wir feststellen, dass Bedarf besteht
und dass dieser Bedarf weiterhin vorhanden ist, und wir
noch einmal 100 000 neue Plätze schaffen wollen, dann
kommt es doch darauf an, dass wir neue Plätze schaf-
fen . Das heißt, wenn wir Geld investieren, muss die erste
Voraussetzung immer sein, dass neue Plätze geschaf-
fen werden . Die zweite Voraussetzung muss sein, dass
die Länder sich daran beteiligen . Wir werden nicht zu
100 Prozent den Ausbau von Kitaplätzen übernehmen .
Das ist nicht unsere Aufgabe, und deswegen werden wir
dies auch nicht mittragen . Was wir als Große Koalition
mittragen, ist die Entscheidung, die Frist dafür zu ver-
längern . Ich glaube, dass es sinnvoll und in Ordnung ist,
dass wir durch eine Fristverlängerung bis zum 31 . De-
zember 2019 für die Länder die Möglichkeit schaffen,
ihre Ausbauoption weiterzuentwickeln . Insoweit, glaube
ich, können wir in der Großen Koalition sagen, dass wir
im Hinblick auf diese Ausbaukapazitäten gut gearbeitet
haben .

Außerdem ist ja noch etwas passiert . Kitaausbau und
Qualitätsausbau heißt ja auch, dass wir schauen – Stich-
wort „KitaPlus“ –: Wo haben wir denn Maßnahmen er-
griffen, bei denen es um die Themen Integration, Sprache
oder um Randzeiten geht? Der Kitaausbau und die Quali-
tätssicherung im Kitabereich sind ja wie ein Mosaik, bei
dem einzelne Elemente zusammengreifen müssen . Ich
glaube, wir müssen auch betrachten, dass diese einzelnen
Punkte, die wir entwickelt haben, jetzt als solche Wir-
kung entfalten und den Bedarf der Eltern auch abdecken .
Die Betreuungsquote – das habe ich bereits gesagt – liegt
2016 bei 32,7 Prozent und kommt von 13,6 Prozent im
Jahre 2006 . Man muss sich einmal vorstellen, was in die-
sen Jahren passiert ist .

Herr Müller, ich weiß, dass es Ihre Aufgabe als Oppo-
sitionspolitiker ist, auch ein bisschen zu schimpfen . Aber
ich würde mir von Ihnen bzw . der Linken ein bisschen
mehr Respekt vor der Aufbauleistung in diesem Bereich

wünschen, zumal Sie da, wo Sie Verantwortung tragen,
auch in Teilen versagen .


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Ist ja absurd!)


Sie haben die Qualität angesprochen . Nun muss ich
leider die SPD doch noch einmal mit in Haftung nehmen .
Wenn ich mir überlege, wie die Bundesländer, die von
Linken mitregiert werden, mit der Frage des Fachkräfte-
mangels bei Erziehern umgehen, dann kann ich nur sa-
gen: Not macht erfinderisch, aber auch anspruchslos. In
Berlin werden beispielsweise die Anforderungen an das
Kitapersonal gesenkt . Sie wollen, dass Sozialassistentin-
nen demnächst als volle Kräfte angerechnet werden . Ich
kann aus meinem eigenen Umfeld berichten . Mir wurde
gesagt: Dann sind wir bald gar nichts mehr wert . – Da
haben Sie Verantwortung . Hier in Berlin können Sie das
verhindern, indem Sie einmal das umsetzen, was Sie hier
groß verkünden, nicht nur Wolken hin- und herschie-
ben, nicht nur Schein – Schein hat mehr Buchstaben
als Sein –, sondern wir erwarten, dass Sie dort, wo Sie
Verantwortung übernehmen, auch einmal handeln . Ich
erwarte nach Ihrer Rede von Ihnen, dass es demnächst
hier eine Erklärung gibt, dass Sie in Berlin Fachkräfte im
Bereich der Kindertagesbetreuung vernünftig behandeln .


(Beifall bei der CDU/CSU)


3,28 Milliarden Euro haben wir schon investiert, plus
1,1 Milliarden Euro obendrauf . Frau Künast, als Sie noch
regiert haben, haben Sie in diesem Bereich von solchen
Investitionen geträumt .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe davon geträumt, dass Sie kein Kooperationsverbot machen!)


Zusätzlich – das wurde auch angesprochen – geben
wir den Ländern dauerhaft Geld – mittlerweile sind es
945 Millionen Euro – für die Betriebskosten . Sprach-
Kitas, „KitaPlus“ – also die Betreuungszeiten flexibler
zu gestalten und den Schwerpunkt gerade bei Integration
zu setzen –, habe ich gerade angesprochen .

Deswegen müssen Sie sich die Frage stellen: Warum
ist der Bedarf so gestiegen? Frau Schwesig hat gesagt,
eine gute Familienpolitik wirkt auch nachhaltig . Frau
Brantner, wir beide freuen uns, denn wir bekommen wie-
der mehr Kinder; also nicht wir, sondern die Gesellschaft


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hier im Bundestag! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das liegt aber nicht an Ihnen!)


bekommt mehr Kinder . Endlich einmal mehr Kinder . Das
heißt, endlich ist der Paradigmenwechsel erfolgt, dass wir
in Deutschland zum einen mehr Kinder bekommen . Zum
anderen haben wir natürlich eine starke Nachfrage, weil
wir bei der Bewältigung der Flüchtlingsaufgabe auch den
Bereich der Kindertagesbetreuung sehen müssen . Des-
wegen sind die Anforderungen auch so gestiegen, zum
Teil dramatisch gestiegen . Aber die Länder bekommen
nicht nur ihre Entlastung im Kitabereich, sondern sie be-
kommen die Entlastung auch in anderen Bereichen, zum

Marcus Weinberg (Hamburg)







(A) (C)



(B) (D)


Beispiel bei der Frage, wie die Kommunen dieses ma-
chen können .

Im Übrigen will ich auch darauf verweisen, dass wir
nicht nur und ausschließlich über den Bereich der Kin-
dertagesbetreuung reden . Es war für die Union damals
ein zentraler Punkt, zu sagen: Ob das Kind in der Kin-
dertagesstätte betreut wird oder bei der Tagespflege, soll-
ten die Eltern entscheiden . Es gibt ja so etwas wie die
Freiheit der Eltern . – Deshalb haben wir auch die Qua-
lifizierung der Tagespflege vorangetrieben, auch mit der
Konsequenz, dass die Qualitätssteigerung im Bereich der
Kindertagespflege immens ist. Das wird auch eine Auf-
gabe für die Zukunft sein, bei der wir sagen, dass wir bei
allem Respekt vor der Bedeutung der Kindertagesstätten
nicht die Qualifizierung und die Arbeit von Erzieherin-
nen in der Tagespflege außer Acht lassen, also die Quali-
tät auch vor Ort steigern .

Bei der Qualitätsentwicklung bin ich sehr optimis-
tisch . Die Handlungsfelder, die jetzt erarbeitet wurden,
sind definiert worden: Fachkraft-Kind-Schlüssel, Qua-
lifizierung von Fachkräften, Schwerpunkt Leitung oder
auch räumliche Gestaltung . Diese Handlungsziele liegen
also auf dem Tisch . Deswegen sage ich: Seit 2005 gibt es
einen Bereich, bei dem wir sagen, dieser Punkt hatte Pri-
orität . Den haben wir erfolgreich weiter aufgebaut . Den
werden wir auch in den nächsten Jahren weiter aufbauen,
zumindest wenn wir Regierungsverantwortung überneh-
men .

Deswegen glaube ich, Herr Müller, bei allem Respekt
vor Ihrer Arbeit als Oppositionspolitiker: Wenn Sie sich
ernsthaft diesen Bereich in den letzten zwölf Jahren an-
schauen, dann erkennen Sie: Es ist tatsächlich eine Er-
folgsgeschichte . Die zusätzlichen 100 000 Plätze sind ein
weiterer Schlüssel, es ist bereits das vierte Programm .
Deswegen sind wir froh und glücklich, dass wir das heu-
te so beschließen können . Ich würde mir wünschen, dass
wir möglicherweise über ein fünftes und sechstes Pro-
gramm die nächsten Ziele anstreben .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823118500

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Dr . Franziska

Brantner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Gute Frau! – Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Gute Frau! Schlechte Rede?)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das können Sie doch erst nach der Rede sagen . Das
können Sie nicht vor der Rede sagen!


(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Da ist ein Fragezeichen dahinter!)


– Oh .

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir
diskutieren heute über Kindertageseinrichtungen, Kin-
dertagespflege und über die Gelder vom Bund dafür. Herr
Weinberg, Sie haben gerade gesagt: Das war bis jetzt eine
Erfolgsgeschichte . Wir stimmen aber heute nicht über die
Vergangenheit ab, sondern darüber, was in der Zukunft
kommt . Hier ist das Problem, dass es in Deutschland für
die Kitas einen Qualitätsaufbruch bräuchte . Diesen Auf-
bruch haben wir heute leider nicht vorliegen . Bei uns im
Ländle würde man sagen: nicht einmal ein Aufbrüchle .
Das ist gar nichts . Das ist nicht einmal das Minimum . Es
ist extrem schade, dass wir diesen Aufbruch nicht weiter-
machen, dass wir diese Erfolgsgeschichte nicht fortfüh-
ren können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es hätte zu dem Aufbruch kommen können, ist es aber
nicht . Es ist natürlich immer noch besser, 100 000 Plät-
ze zusätzlich zu bekommen als keine . Es ist auch bes-
ser, dass über Dreijährige mit gefördert werden können .
Auch eine Raumgestaltung ist positiv .

Aber jetzt schauen wir uns doch einmal an, worum es
eigentlich momentan geht . Sie sagen: Wir haben in den
nächsten vier Jahren Geld für 100 000 zusätzliche Plät-
ze . – In der gemeinsamen Anhörung haben alle Experten
gesagt – es gab nicht einen, der etwas Gegenteiliges ge-
sagt hat –: Das reicht hinten und vorne nicht . – Wir haben
die Zahl schon gehört: 350 000 zusätzliche Plätze wer-
den eigentlich gebraucht . – Für 100 000 Plätze wollen
Sie Geld bereitstellen . Das heißt, wir haben da schon eine
Lücke von 250 000 Plätzen, und da ist noch nicht ein-
mal eingerechnet, dass alle Flüchtlingskinder in die Kitas
kommen und hoffentlich mehr Kinder geboren werden.
Das heißt, wir haben eine Lücke beim Ausbau .

Dann haben wir noch nicht über die Steigerung der
Qualität gesprochen, dann wird noch kein Cent für mehr
Erzieherinnen, geschweige denn für eine bessere Bezah-
lung von Erzieherinnen zur Verfügung gestellt .

Frau Schwesig, wenn Sie mir sagen, dass es Länder
gibt, die da skeptisch sind, dann kann ich nur sagen: Ja,
natürlich! Wenn die Länder wissen, dass das Geld für
die nächsten vier Jahre nicht einmal für den Ausbau,
geschweige denn für die Steigerung der Qualität reicht,
dann ist ihre Bereitschaft nicht so hoch, gemeinsam Ge-
setze zur Qualität zu machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])


Es ist klar, dass der Bund da mit in die Verantwortung
muss . Diese Verantwortung übernehmen Sie nicht, und
dann beschweren Sie sich und schieben es auf die Län-
der . So geht das nicht . Sie sind hier an der Regierung, Sie
müssen ein Zeichen setzen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])


Marcus Weinberg (Hamburg)







(A) (C)



(B) (D)


Das ist Ihre Verantwortung . Das ist kein Angebot .


(Dr . Dorothee Schlegel [SPD]: Was? – Weiterer Zuruf von der SPD: Wir tragen die Hauptkosten jetzt schon!)


Was wir hinsichtlich der Qualität brauchen, ist klar –
es liegt auf dem Tisch –: Es geht darum, dass Erziehe-
rinnen und Erzieher mehr Zeit für die Kinder haben .
Man kann eine Geschichte nicht schneller vorlesen, man
braucht dazu Zeit, und davon hängt so viel ab . Die Er-
zieherinnen und Erzieher sind Vorbilder, Mentorinnen,
Spielkameraden – sie sind so viel für unsere Kinder . Und
wir wissen: Diese Zeit ist für die Kinder das Wichtigste .
Wenn sich keine persönlichen Beziehungen entwickeln,
dann leidet darunter die Qualität . Deswegen wollen wir
endlich regeln, dass sich in der Betreuung der unter Drei-
jährigen eine Erzieherin oder ein Erzieher um drei Kin-
der kümmert – wenn sie älter sind, können es ein paar
mehr Kinder sein . Das ist das, was wir gesetzlich regeln
wollen . Natürlich kostet das Geld, und da muss sich auch
der Bund in die Pflicht nehmen lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])


Zu Ihrem Antrag. Wir hören in der Öffentlichkeit –
von Frau Schwesig, von der SPD – immer wieder etwas
zur Beitragsfreiheit . Natürlich ist sie langfristig unser al-
ler Ziel . Wir haben bei den Kitas aber eine Lücke von
250 000 Plätzen, wir haben also nicht einmal ausreichend
Plätze, noch nicht genügend Qualität . Ich sage Ihnen jetzt
ganz offen: Bevor es dazu kommt, dass ich als Abgeord-
nete keinen Beitrag mehr leisten muss, möchte ich, dass
erst einmal das Gehalt der Erzieherinnen steigt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])


Das ist meine ganz klare Priorität . Ich möchte erst ein-
mal, dass es gute Betreuungsplätze gibt und dass die Er-
zieherinnen besser bezahlt werden . Wenn ich am Ende
keinen Beitrag mehr zahlen muss – von mir aus! Aber das
ist nicht erste grüne Priorität .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Maik Beermann [CDU/CSU]: Meine schwarze Priorität auch nicht!)


Und wenn Sie, Frau Schwesig, obwohl Sie in der Re-
gierung sitzen, es nicht einmal schaffen, den Ausbau vo-
ranzubringen, und dann draußen die Beitragsfreiheit ver-
sprechen, dann finde ich das echt ziemlich frech.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823118600

Als nächster Redner hat Sönke Rix für die SPD das

Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1823118700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Frech“ ist es vielleicht auch manchmal, wenn man ver-
gisst, dass man als Mitglied der Regierung auch eine Ge-
samtverantwortung tragen muss und vielleicht nicht im-
mer eins zu eins das vertreten kann, was die eigene Partei
vertritt . Wenn man schon gegen Beitragsfreiheit wettert
oder ihre Einführung nicht als Priorität ansieht


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Unterschied!)


– ich weiß auch nicht, wer davon gesprochen hat, dass
die SPD es als erste Priorität ansieht, die Beitragsfrei-
heit einzuführen; das hat hier niemand behauptet, Frau
Brantner –, dann muss man angesichts dieser Frechheit
vielleicht auch frech nachfragen, wie es eigentlich in den
einzelnen Landesregierungen gelaufen ist, die die Bei-
tragsfreiheit in Schritten eingeführt haben: Sind da die
Grünen eigentlich gar nicht in der Verantwortung gewe-
sen?


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben doch nichts gegen Beitragsfreiheit! Das ist doch Unsinn!)


Haben sie das alles eigentlich immer nur zulasten der
Qualität und der Bezahlung der Erzieherinnen und Erzie-
her umgesetzt?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal, was die SPD da gemacht hat! Sie haben sich doch um die Gehälter gar nicht gekümmert!)


Diesen Vorwurf würde ich als Vertreter der Grünen in
Hamburg, in Rheinland-Pfalz oder in anderen Ländern
zurückweisen; ich glaube, das würden Ihre Kolleginnen
und Kollegen nicht auf sich sitzen lassen . Das haben die-
se Landesregierungen nämlich auch nicht getan, liebe
Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD)


Wie gesagt: Wir haben uns gar nicht die Priorität ge-
setzt, als Erstes die Beitragsfreiheit zu erreichen . Das
hat nie jemand behauptet – weder Herr Schulz noch die
Kollegen der Linken noch Frau Schwesig noch ich ma-
chen das . Wir wollen, dass das auch in die Diskussion
eingebracht wird, dass es Bestandteil der Debatte darü-
ber wird, wie man Familien entlasten kann und wie man
in dem Zusammenhang mit der Kita umgeht . Da gehört
Beitragsfreiheit genauso dazu wie der Qualitätsausbau
und die bessere Bezahlung von Erzieherinnen und Er-
ziehern . Ich will nicht, dass diese Punkte gegeneinander
ausgespielt werden .


(Beifall bei der SPD)


In anderen Bereichen machen wir das doch auch nicht .

Im Übrigen ist gerade die Opposition schnell dabei,
alles auf einmal zu fordern .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen Sie jetzt in der Regierung! Das ist ja eine tolle Strategie!)


Dr. Franziska Brantner






(A) (C)



(B) (D)


Wir haben eben gehört, was wir noch alles machen soll-
ten . Ich frage mich, warum die Themen „Kinderbetreu-
ung“ und „Entlastung von Familien“ gegeneinander aus-
gespielt werden . Genau an dieser Stelle sollten wir das
nicht tun, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Paul Lehrieder [CDU/CSU])


Lieber Kollege Weinberg, lieber Marcus, ich erinnere
an die Positionierung der CDU Niedersachsen. Sie findet,
dass die Beitragsfreiheit für Kitas durchaus auf die Ta-
gesordnung gesetzt und umgesetzt werden sollte . Das ist
eines der Wahlversprechen der CDU Niedersachsen; als
Land ist man ja auch dafür zuständig. Ich finde, das ist
von der CDU Niedersachsen keine schlechte Idee . Viel-
leicht sollte man bei den Grünen und bei der CDU erst
einmal in den eigenen Reihen klären, wie man mit dem
Thema umgehen will .


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: In Berlin haben sie es sogar mit umgesetzt!)


– In Berlin würde es sogar mit der CDU umgesetzt; schö-
nen Dank für den Hinweis .

Dann möchte ich darauf hinweisen: So zu tun, als ob
wir auf Bundesebene nichts für die Qualitätssteigerung
getan haben, ist auch eine Frechheit . Was ist denn zum
Beispiel mit den Sprachkursen, die wir unterstützen? Hat
das nichts mit Qualität zu tun, wenn wir die Sprachförde-
rung in Kindertagesstätten unterstützen? Natürlich führt
das zu einer Qualitätssteigerung . Das außer Acht zu las-
sen, ist nicht fair, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Noch zu der Frage: Könnten wir nicht noch viel mehr
als das jetzige Programm umsetzen? Es hat keiner gesagt,
dass das das letzte Programm ist, mit dem wir den Län-
dern und Kommunen Mittel für die Kitas zur Verfügung
stellen . Wir stellen die größte Summe zur Verfügung, die
es jemals für diesen Bereich gab . Wir tun das auch ger-
ne . Natürlich kommen noch weitere Programme hinzu .
Wir werden auch weiterhin Mittel für Kindertagesstätten
zur Verfügung stellen . So zu tun, als ob das das Einzige
ist, was wir jemals gemacht haben, ist nicht richtig, liebe
Kolleginnen und Kollegen .

Es werden noch weitere Schritte folgen . Dafür hat
sich auch Herr Rauschenbach ausgesprochen . Er hat ja
nicht gesagt, das vorliegende Programm reiche nicht aus
und das sei zu kritisieren; vielmehr hat er gesagt, er gehe
davon aus, dass es auch in Zukunft weitere Programme
geben werde, und natürlich wird es in Zukunft weitere
Programme geben .

Dann wurde noch kritisiert, warum eine Verlängerung
des Programms vereinbart wurde . Das ist auf Forderung
der Länder passiert . Das ist nicht passiert, weil wir uns
das irgendwie ausgedacht haben . Von daher ist es auch
richtig, dass wir das Programm verlängern .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat keiner kritisiert!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle hier haben be-
kundet, dass sie dem Gesetzentwurf zustimmen . In der
Debatte hörte es sich nicht ganz so an, als ob wir einer
Meinung sind . Ich bin aber froh, dass wir einer Meinung
sind, sodass wir dem Gesetzentwurf geschlossen zustim-
men werden . Nicht nur die Erzieherinnen und Erzieher,
sondern auch die Familien und die Kinder haben es ver-
dient, dass wir ein eindeutiges Signal aussenden .

Wir gehen die Vorhaben gemeinsam an . Es muss aber
auch klar sein, dass das Gesetz nur ein weiterer Schritt
ist . Wir regeln damit nur einen Teil dessen, was wir ge-
meinsam mit Ländern und Kommunen leisten . Es müs-
sen weitere Schritte folgen, aber nicht nur von uns, son-
dern auch von den zuständigen Ebenen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823118800

Als nächster Redner hat Maik Beermann für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Maik Beermann (CDU):
Rede ID: ID1823118900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren, auch auf den
Tribünen! Sir Winston Churchill sagte einst:

Es ist einfacher, eine Nation zu regieren, als vier
Kinder zu erziehen .

Deswegen möchte ich mich gleich zu Beginn meiner
Rede den lobenden Worten der Ministerin anschließen .
Diese anerkennenden Worte für jene, die sich um die
Erziehung kümmern, zeigen den enormen Anspruch an
eine gute Betreuung eines jeden Kindes . Das gilt für die
Erzieherinnen und Erzieher, aber auch für die Eltern zu
Hause .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Gülistan Yüksel [SPD])


Wir haben in dieser Legislaturperiode viel gemacht .
Um den Bedürfnissen von Eltern immer besser gerecht
zu werden, haben wir unter anderem bereits in der vor-
letzten Legislaturperiode unter der damaligen Familien-
ministerin Ursula von der Leyen das Elterngeld einge-
führt und in dieser Legislaturperiode zum Elterngeld Plus
weiterentwickelt .


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Was hat das mit dem Kitaausbau zu tun?)


– Warten Sie ab! – In meinen Augen ist das ein Wende-
punkt in der Familienpolitik . Durch diese Regelung ha-
ben Eltern die Möglichkeit, die Zeit mit ihrem Kind ganz
individuell zu gestalten . Das ist ein wichtiger Schritt in
Richtung Familienzeitpolitik und somit ein gesamtge-
sellschaftlicher Gewinn . Nicht zuletzt die steigenden Ge-
burtenzahlen seit 2010, die aus unserer Sicht durchaus
mit dem Elterngeld zusammenhängen, erfordern einen
Ausbau des Betreuungsangebotes . Dessen sind wir uns
in der Unionsfraktion und in der Koalition bewusst .

Sönke Rix






(A) (C)



(B) (D)


Die richtigen Rahmenbedingungen für diesen Ausbau
werden im heute zur Abstimmung vorgesehenen Gesetz-
entwurf aufgezeigt: 100 000 zusätzliche Betreuungsplät-
ze für den Kitabereich und für die Kindertagespflege bis
zur Einschulung; dafür 1,126 Milliarden Euro bis zum
Jahr 2020 . Meine Damen und Herren, an dieser Stelle
möchte ich deutlich sagen: Ich fordere die Länder auf,
keine klebrigen Finger zu bekommen, sondern die Unter-
stützung, die wir hier auf den Weg bringen, eins zu eins
an die Kommunen weiterzuleiten .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir Abgeordnete des Deutschen Bundestages sollten ge-
nau hinsehen und prüfen, ob diese Gelder da ankommen,
wo sie dringend benötigt werden . Ich jedenfalls werde
das in meinem Wahlkreis, im Schaumburger Land und im
Landkreis Nienburg, tun. Ich hoffe, Sie tun das Gleiche.

Aber auch die Länder müssen ihrer Verantwortung
nachkommen . Sie können nicht immer nur die Hände
aufhalten und nach mehr Geld vom Bund schreien . Bei
der Kinderbetreuung handelt es sich um eine gesamtge-
sellschaftliche Aufgabe, bei der Bund, Länder und Kom-
munen gemeinsam in der Verantwortung stehen . Wir
als Union haben uns immer wieder für die Kommunen
eingesetzt und starkgemacht . Wir haben gemeinsam mit
dem Koalitionspartner Förderungen und Entlastungen
in Milliardenhöhe geleistet . Insgesamt hat der Bund seit
2007 rund 8 Milliarden Euro allein in den Ausbau und die
Betriebskosten der Betreuungseinrichtungen investiert .
Das muss und darf von den anderen Sektoren einfach
einmal anerkannt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Noch ein Thema, über das in der Öffentlichkeit derzeit
immer wieder diskutiert wird, ist mir wichtig – wir haben
das auch heute hier gehört; im Entschließungsantrag der
Linken wird das sogar gefordert –: die Beitragsfreiheit
für den Besuch einer Kita . Meine sehr verehrten Damen
und Herren, verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Alle
Kinder sollen die Möglichkeit haben, in eine Kita zu
gehen . Das sind wir unseren Familien schuldig . Diese
Aufgabe steht auch im Zusammenhang mit dem Grund-
satz der Chancengleichheit . Aber muss alles, was heute
staatlich angeboten und organisiert wird, kostenlos bzw .
beitragsfrei sein?

Kein Kind darf aufgrund sozialer Umstände benach-
teiligt oder ausgeschlossen werden . Darüber sind wir uns
hier im Hohen Haus, glaube ich, alle einig . Auf der an-
deren Seite kann die Forderung aber nicht lauten: Mehr
Plätze, mehr Fachpersonal, mehr Qualität, und das alles
am besten frei von jeglichen Kosten . Das passt nicht zu-
sammen. Das steht nach Auffassung der CDU/CSU auch
in klarem Widerspruch zur Verantwortung gegenüber der
nachfolgenden Generation, weil irgendwer das irgend-
wann bezahlen muss .

Gerecht ist, wenn jeder das leistet, was er leisten
kann . Selbstverständlich sollten Elternbeiträge sozialver-
träglich angepasst werden . Elternbeiträge, die nach Ge-
haltseinkommen gestaffelt sind, gibt es bereits vielerorts.
Vielleicht ist das ein Modell der Zukunft . Die Länder und

Kommunen sollten hier noch einmal genau hinschauen;
denn auch die Gebühren oder Beiträge für den Kitabe-
such sind Angelegenheit der Länder und der Kommunen .
Meine Befürchtung ist, dass die Beitragsfreiheit einher-
gehen würde mit Qualitätsabstrichen bei der Betreuung .
Auch Befragungen von Eltern haben deutlich ergeben,
dass ihnen die Qualität der Betreuung ihrer Kinder wich-
tiger ist als die Abschaffung von Kitabeiträgen. Das soll-
te man an dieser Stelle auch einmal berücksichtigen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein zentrales Qualitätskriterium ist aus unserer Sicht –
das haben wir vorhin schon gehört – ein guter Personal-
schlüssel; denn nur ein guter Personalschlüssel ist ein
maßgeblicher Garant für gute Erziehung, Betreuung
und Bildung . Es gibt große regionale Unterschiede . In
Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise ist der Per-
sonalschlüssel bei der Betreuung von Kindern über drei
Jahren fast doppelt so hoch wie, Frau Brantner, in Ba-
den-Württemberg . Was wir brauchen, sind einheitliche
Qualitätsstandards in den Ländern .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ansprüche an die
Art der Betreuung eines Kindes sind so unterschiedlich
wie die Familien selbst . Mehr Flexibilität ist auch hier
gefragt. Ein Lösungsansatz kann die Kindertagespflege
sein, ein anderer Betriebskitas . Ich hatte gestern Abend
eine interessante Diskussion mit einer erfolgreichen Un-
ternehmerin aus Berlin . Wir haben uns eigentlich über
den Bereich der Digitalisierung unterhalten . Irgendwann
erwähnte sie beiläufig, dass sie vor einigen Jahren ver-
sucht hat, in ihrem Unternehmen eine Betriebskita zu in-
stallieren, was aber von den Behörden abgelehnt wurde .
Über die Details haben wir uns noch nicht unterhalten;
das werden wir aber noch tun . Was wollte sie damit er-
reichen? Sie wollte auf der einen Seite unterstützen, dass
die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrem Unterneh-
men flexibel sein können. Auf der anderen Seite wollte
sie ihr Unternehmen durch diesen Mehrwert für poten-
zielle zukünftige Mitarbeiter attraktiver machen .

Deswegen wäre es mein Wunsch, liebe Frau Ministe-
rin, dass wir uns entscheiden, das Förderprogramm für
die Betriebskitas, das in diesem Sommer ausläuft, nicht
auslaufen zu lassen und uns über eine Verlängerung zu
unterhalten . Gleichzeitig sollten wir aber auch schau-
en, ob die Parameter und Stellschrauben, die damals so
festgelegt wurden, aktuell noch die richtigen sind oder
ob wir da Handlungsbedarf haben . Denn erst die Vielfäl-
tigkeit der Angebote schafft Flexibilität und ermöglicht
den Eltern eine freie und selbstbestimmte Entscheidung;
diese brauchen sie .

Aber auch die Digitalisierung wird in der Zukunft –
wir leben ja schon in einer sehr stark digitalisierten
Welt – immer mehr Chancen bieten . Arbeit wird sich
verändern . In der nächsten Legislaturperiode werden wir
uns hier über ganz andere Herausforderungen und über
ganz andere Modelle unterhalten . Eines ist dabei aus
meiner Sicht allerdings klar: Das Thema Selbstbestim-
mung bzw . Wahlfreiheit der Familien steht für die Union
eindeutig an erster Stelle .

Ich bin stolzer Vater einer fast dreijährigen Tochter .
Weil ich mir um die Zukunft unseres Landes bewusst bin

Maik Beermann






(A) (C)



(B) (D)


und in den letzten Monaten sehr fleißig war, kommen in
wenigen Wochen noch zwei weitere Kinder dazu .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir erwarten in den nächsten Wochen Zwillinge . Weil
wir schon so viel über Quoten gesprochen haben: Drei
Kinder in einer Legislaturperiode – das ist doch auch
eine gute Quote .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich möchte damit aber eigentlich sagen, dass man
sich, wenn man vor einer solchen Herausforderung steht,
natürlich die Frage stellt: Wie geht man mit der Betreu-
ung um? Wie stellt man sich da auf? Wie macht man das?
Meine Frau hat sich damals, als unsere erste Tochter ge-
boren wurde, dafür entschieden, unsere Tochter in ihren
ersten Lebensjahren selbst zu begleiten und die Erzie-
hung zu übernehmen . Ich unterstütze sie dabei, wo ich
kann . Aber Sie wissen genauso gut wie ich: Wir Abge-
ordnete sind viel unterwegs . Da fehlt manchmal die Zeit,
und wir sind nicht so oft zu Hause . – Deswegen habe ich
höchsten Respekt für jene, die sich ganz bewusst dafür
entscheiden, ihre Kinder zu Hause zu erziehen und nicht
in eine staatliche Betreuung zu geben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben aber – das möchte ich fairerweise auch sa-
gen – das große Glück, dass wir mit drei Generationen
unter einem Dach leben und meine Eltern uns unterstüt-
zen, wo sie können . Meine Schwiegereltern wohnen in
unmittelbarer Nähe . Auch sie unterstützen uns da, wo sie
können .


(Inge Höger [DIE LINKE]: Das hat nicht jeder, und das möchte auch nicht jeder!)


– Genau, das hat eben nicht jeder . – Damit möchte ich
sagen, liebe Frau Kollegin: Regelungen, die die Freiheit
der Familiengestaltung beeinflussen oder nur ein ganz
bestimmtes Familienmodell fördern, lehnen wir ab . Für
uns hat eine echte Wahlfreiheit bei familienpolitischen
Überlegungen oberste Priorität .


(Dagmar Ziegler [SPD]: Das brauchen Sie nicht abzulehnen, das will kein Mensch!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823119000

Herr Beermann, jetzt ist Ihre Wahlfreiheit abgelaufen .

Sie haben die Redezeit wirklich deutlich überschritten .


Maik Beermann (CDU):
Rede ID: ID1823119100

Ich komme zum Schluss . – Wir sagen den Familien:

Wir lassen euch in Ruhe, aber niemals im Stich . Deswe-
gen freue ich mich, dass wir heute ein wichtiges Gesetz
auf den Weg bringen, dem alle Fraktionen zustimmen .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Sönke Rix [SPD])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823119200

Ansonsten haben Sie natürlich jede Wahlfreiheit . –

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Schluss
dieser Aussprache .

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zum weiteren quantitativen und qualitativen Ausbau der
Kindertagesbetreuung . Der Ausschuss für Familie, Seni-
oren, Frauen und Jugend empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/12158, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/11408 in
der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen . – Stimmt jemand dagegen? – Das ist nicht der
Fall . Enthält sich jemand? – Das ist auch nicht der Fall .
Dann ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung einstim-
mig angenommen worden .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir sind aber noch nicht am Schluss . Wir müssen noch
einmal abstimmen .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Stimmt jemand dagegen? – Enthält sich jemand? – Das
ist wiederum nicht der Fall . Dann ist der Gesetzentwurf
auch in der dritten Lesung einstimmig angenommen wor-
den .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


– Das ist doch mal was .

Wir kommen zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 18/12164 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Enthält sich
jemand? – Damit ist der Entschließungsantrag mit den
Stimmen der Koalition bei Gegenstimmen durch die Lin-
ken und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
abgelehnt worden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit ist dieser Ta-
gesordnungspunkt abgeschlossen .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des

(3 . Ausschuss)

Wolfgang Gehrcke, Andrej Hunko, Dr . Alexander
S . Neu, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Für eine neue Ostpolitik Deutschlands

Drucksachen 18/11167, 18/11671

Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen bitten, ihre
Plätze einzunehmen, damit wir mit der Aussprache be-
ginnen können .

Maik Beermann






(A) (C)



(B) (D)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .

Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich auf der
Besuchertribüne Herrn Andrej Kossolapow, den Ober-
bürgermeister der Stadt Wolgograd, herzlich begrü-
ßen,


(Beifall)


einer Stadt, die mit dem dunkelsten Kapitel der deutschen
Geschichte verbunden ist, einer traurigen, für uns Deut-
sche beschämenden gemeinsamen deutsch-russischen
Geschichte . Deshalb, Herr Oberbürgermeister, freue ich
mich sehr, dass Sie heute Berlin besuchen und auch an
einer Debatte hier im Deutschen Bundestag teilnehmen .


(Beifall)


Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in der
Aussprache hat Dr . Gernot Erler für die SPD-Fraktion
das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Gernot Erler (SPD):
Rede ID: ID1823119300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Am 16 . Februar dieses Jahres hat es in diesem Hohen
Haus die erste Beratung des Antrags der Linken mit dem
Titel „Für eine neue Ostpolitik Deutschlands“ gegeben .
Die Aussprache war ziemlich kontrovers, mit ein paar
Abgleitungen ins Polemische . Wer den Antrag liest, ist
darüber nicht verwundert, enthält er doch selber polemi-
sche, ja provokative Passagen, sowohl in der Analyse als
auch im Forderungsteil .

Es ist schon erklärungsbedürftig, wenn in einem An-
trag zur deutschen Ostpolitik, der sich auf das Erbe von
Willy Brandt und Egon Bahr beruft, der Gegenstand des
Antrags auf das Verhältnis zu Russland reduziert wird –
als hätte es den Prager Vertrag mit der ČSSR von 1973
oder den Warschauer Vertrag mit Polen von 1970 als
integrale Bestandteile der Ostpolitik nie gegeben . Die
historische Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr
markiert die überfällige Ergänzung der Westbindung
der Bundesrepublik Deutschland, die mit dem Namen
Konrad Adenauer verbunden ist, mit einer Vertrauenspo-
litik gegenüber allen östlichen Nachbarn Deutschlands
auf der Basis der Anerkennung der real existierenden
Verhältnisse in Europa einschließlich der Grenzen nach
dem Zweiten Weltkrieg .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss man beklatschen!)


Das, was die Linkspartei in diesem Antrag aufgeschrie-
ben hat, aber auch das, was sie nicht aufgeschrieben
hat – mit all den auffälligen Ausblendungen –, kann in
keiner Weise den Anspruch erheben, in der Tradition der

deutschen Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr
zu stehen .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sprechen wir von der heutigen Situation und der He-
rausforderung für die deutsche und europäische Politik .
Wir haben tatsächlich nicht irgendeinen Regionalkonflikt
in der Ukraine, sondern die tiefste Krise im Verhältnis
des Westens zu Russland seit dem Ende des Kalten Krie-
ges .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Weil Russland den Putsch nicht akzeptieren will!)


Das ist nicht von heute auf morgen passiert, sondern hat
eine längere Vorgeschichte . Sie ist geprägt von einer aus-
einanderdriftenden Wahrnehmung der politischen Reali-
tät in den letzten 25 Jahren .

Der Westen nimmt für sich in Anspruch, sich durch-
aus konstruktiv um ein gutes Verhältnis zur Russischen
Föderation bemüht zu haben . Die EU hat 1997 ein Part-
nerschafts- und Kooperationsabkommen abgeschlos-
sen. Wir haben uns wirtschaftlich verflochten; dies hat
2013 mit einem Volumen von 356 Milliarden Euro einen
Höhepunkt erreicht . Wir haben uns in der Energiepoli-
tik wechselseitig voneinander abhängig gemacht . Es
gab regelmäßige EU-Russland-Gipfel . In vielen Doku-
menten der EU ist von einer strategischen Partnerschaft
mit Russland die Rede . Deutschland hat auch jährli-
che Regierungskonsultationen durchgeführt . Man hat
eine strategische Arbeitsgruppe für Großprojekte in der
Wirtschaft gebildet . Es gab hier den größten Anteil am
EU-Handel mit Russland; dieser hat im Jahr 2013 mit
einem Volumen von über 80 Milliarden Euro einen Hö-
hepunkt erreicht . In der Zeit von Dimitrij Medwedew
als russischer Präsident gab es die berühmte Moderni-
sierungspartnerschaft, die vorbereitet wurde . Zudem gab
es gesellschaftliche Verflechtungen mit 100 Städtepart-
nerschaften, 950 Hochschulpartnerschaften, zahlreichen
Großforschungsprojekten, den Petersburger Dialog, den
deutsch-russischen Austausch und viele andere gesell-
schaftliche Aktivitäten .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das alles sind gute
Gründe, die Bemühungen um ein gutes Verhältnis zu
Russland als konstruktiv und partnerschaftlich zu bewer-
ten . Das Problem ist nur: Bei den russischen politischen
Eliten gibt es eine völlig andere Wahrnehmung und Dar-
stellung derselben Politik . Dort wird behauptet, dass der
Westen die Schwäche Russlands nach der Auflösung der
Sowjetunion missbraucht hat und dass viel Politik gegen
russische Interessen gemacht worden ist .

Die Argumente sind immer dieselben: Osterweiterung
der EU und der NATO, Kosovo-Krieg und Irakkrieg
gegen russische Proteste, die farbigen Revolutionen im
Umfeld von Russland, die von Russland als Inszenierun-
gen der amerikanischen Geheimdienste angesehen wor-
den sind,


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Was ist daran so falsch?)


Vizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahn






(A) (C)



(B) (D)


und schließlich die Weigerung von Washington, Moskau
auf gleicher Augenhöhe zu betrachten .

Diese völlig unvereinbaren Wahrnehmungen von ein
und derselben Politik – in der Fachwelt „diverging nar-
ratives“ genannt – haben zum Ukraine-Konflikt und zur
Zerrüttung des Verhältnisses zwischen Russland und dem
Westen geführt; denn Moskau hat in dem Angebot des
EU-Assoziierungsabkommens mit den Ländern der östli-
chen Partnerschaft eine Fortsetzung der russlandfeindli-
chen Politik des Westens gesehen – sozusagen als finalen
geopolitischen Zugriff auf die russische Nachbarschaft.

Durch die Maidan-Erhebung, einem wiederum von
den USA gesteuerten Versuch eines Regime Change,
sozusagen als Matrix, als Vorbild für die russische Op-
position, sah sich Russland legitimiert, zu gravierenden
Regelverletzungen zu greifen, wie sie die Annexion der
Krim und die Unterstützung der Separatisten in der Ost-
ukraine darstellen, und im Endeffekt die europäische
Friedensordnung zu beschädigen .

Wer eine Antwort auf diese tiefe Krise zwischen Russ-
land und dem Westen sucht, der muss an dieses Problem
der unvereinbaren Narrative, der unvereinbaren Ge-
schichten von Politik herangehen . Das ist nur möglich
durch einen intensiven politischen und gesellschaftlichen
Dialog zwischen Russland und dem Westen .


(Beifall bei der SPD)


Deutschland hat sich bemüht, den OSZE-Vorsitz 2016
für erste Dialogversuche zu nutzen; wir werden das fort-
setzen . Das ist aber nur machbar auf der Grundlage einer
sehr klaren Position in Bezug auf die russischen Regel-
verletzungen und die russische Infragestellung der euro-
päischen Friedensordnung . Damit muss die permanente
Bereitschaft zu einem offenen, fairen und auf gleicher
Augenhöhe stattfindenden Dialog verbunden sein.

Was finden wir dazu in dem Antrag der Linksfraktion?


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Konstruktive Vorschläge!)


Dort treffen wir auf eine Schuldzuweisung an eine an-
geblich westliche geostrategische Dominanzpolitik, die
für die Konflikte verantwortlich gemacht wird. Dort wird
die Osterweiterung der EU und der NATO angepran-
gert und die Forderung aufgestellt, sich von angeblichen
Konzepten des Regime Change in Moskau abzuwenden
und dem Narrativ einer russischen Aggression im Ukra-
ine-Konflikt entgegenzutreten. Das, liebe Kolleginnen
und Kollegen, heißt nichts anderes, als dass die Linke
eins zu eins das negative russische Narrativ, die russische
Sicht der Dinge übernimmt .


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Tja, so sind sie halt!)


Die Linke blendet die Annexion der Krim und die
russische Unterstützung der Separatisten in der Ostukra-
ine aus und gibt die gesamte Schuld der westlichen Po-
litik, die sich gegen diese Verletzung der europäischen
Friedensordnung wendet . Für die Linke sind nicht die
russischen Regelverstöße und Vertragsbrüche das Pro-
blem – darüber schweigt der Antrag komplett –, sondern

die westliche Reaktion darauf, einschließlich der Sank-
tionen .

Am schlimmsten in diesem Kontext ist: Es gibt keine
Übereinstimmung bei dem gemeinsamen europäischen
Ziel, Russland auf die Grundlagen der europäischen Frie-
densordnung, also auf das Regelwerk von Helsinki von
1975 und die Charta von Paris von 1990, zurückzubrin-
gen . Auch hier wird die Position Moskaus übernommen,
dass etwas Neues ausgehandelt werden soll .

In dem Antrag der Linken heißt es, dass eine neue
KSZE entwickelt werden soll, die den veränderten Be-
dingungen in Europa Rechnung trägt, und es müssten
alle Körbe der Helsinki-Konferenz von 1973 überprüft
werden .


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Vor allen Dingen die Menschenrechte!)


Man kann hier ja nur eines fragen: Was ist denn falsch
an Helsinki und Paris, den beiden entscheidenden Funda-
menten der europäischen Friedensordnung, vielleicht das
Prinzip des Gewaltverzichts oder die Anerkennung der
Souveränitätsrechte der Staaten, vielleicht die Garantie
der Grenzen


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Damit habt ihr Erfahrungen!)


oder die Menschen- und Bürgerrechte, die in diesem be-
rühmten dritten Korb verhandelt wurden?


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Das ist wirklich ein Wahn, hier so aufzutreten! Unglaublich!)


Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, nichts daran ist
falsch oder nicht mehr zeitgemäß .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein OSZE-Revisionismus, dem die Linke das Wort re-
det, führt nur in eine falsche Richtung und in eine Sack-
gasse . Er führt zur Relativierung des KSZE-Regelwerks
und zur Rückkehr in ein System, in dem allein das Recht
des Stärkeren gilt . Das kann keine Basis für eine neue
Russland- und Ostpolitik Deutschlands sein, und deswe-
gen wird meine Fraktion diesen Antrag mit allem Nach-
druck ablehnen .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823119400

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Wolfgang

Gehrcke für die Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823119500

Danke sehr, Frau Präsidentin . – Ich hätte mir sehr ge-

wünscht, dass in dieser Debatte auch andere Fraktionen –

Dr. h. c. Gernot Erler






(A) (C)



(B) (D)


zum Beispiel die Sozialdemokraten oder die CDU-Kolle-
gen – inhaltliche Vorschläge dafür unterbreiten,


(Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Wir machen Politik!)


wie eine neue Ostpolitik und eine neue Russland-Politik
aussehen könnten .


(Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Machen wir doch!)


Diesen Disput würde ich gerne mit euch aufnehmen, aber
ihr schweigt euch aus, setzt auf Sanktionen und glaubt,
dass Sanktionen die Dinge in Europa positiv verändern
würden . Das ist ein grundlegender Fehler .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich fordere Sie auf: Lassen Sie uns tatsächlich über die
Fragen reden, die Gernot Erler aufgeworfen hat . Reden:
Wir haben nicht zu viel Dialog – auch in Deutschland
nicht –, sondern wir haben zu wenig Dialog . Die Kanz-
lerin fährt in fünf Tagen nach Sotschi und trifft sich mit
Putin. Das finde ich völlig richtig, weil der Dialog nicht
abreißen darf .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dagmar Ziegler [SPD]: Na also!)


Reden wir doch einmal über einige inhaltliche Fragen .
Wäre es im Interesse der baltischen Länder, wäre es im
Interesse von Polen oder von Georgien auf der anderen
Seite, wenn sich die Situation in Europa stabilisieren und
alles, was in Richtung Krieg geht, durch das Zusammen-
leben der Völker beseitigt würde? Das wäre doch eine
gemeinsame Aufgabe, die man angehen könnte .


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann wollen wir mal mit der Ukraine anfangen!)


Wir alle müssen die Frage beantworten: Hilft Aufrüstung,
um Veränderungen in diese Richtung durchzusetzen – die
NATO rüstet auf; das werdet ihr doch nicht bestreiten
können –, oder muss man nicht endlich auf Abrüstung
setzen, um konkrete Abrüstungsverhandlungen in Gang
zu bringen? Das ist das, was wir vorschlagen .


(Beifall bei der LINKEN – Niels Annen [SPD]: Sagen Sie das doch einmal Putin!)


Ich finde, das ist im Interesse der baltischen Länder, im
Interesse Polens, im Interesse Deutschlands und auch im
Interesse Russlands .

Ich möchte gerne, dass die Sprachlosigkeit, die ich
sehe, endlich überwunden wird . Warum sollen die Aus-
schüsse des Bundestages und der Duma nicht endlich zu
Debatten zusammentreffen? Warum weigert ihr euch,
dem russischen Auswärtigen Ausschuss der Duma eine
Diskussionsplattform zu bieten?


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Weil die Duma keine Termine anbietet!)


Es ist doch bekannt, dass ihr euch verweigert habt und
das blockiert .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823119600

Herr Gehrcke, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kol-

legin Beck zu?


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823119700

Ja .

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Herr Kollege, um der Mythenbildung vorzubeugen,
dass es keinen Dialog gebe, möchte ich Sie doch einmal
fragen, ob Sie mitbekommen haben, dass der EU-Aus-
schuss, als er vor sechs Wochen nach Moskau gereist
ist, große Schwierigkeiten gehabt hat, überhaupt ir-
gendwelche Termine bei den Kollegen in der Duma zu
bekommen . Ist Ihnen das bekannt? Von den 42 Telefo-
naten – inzwischen sind es vermutlich mehr –, die die
Bundeskanzlerin mit dem russischen Präsidenten geführt
hat, ganz zu schweigen! Es handelt sich um Propagan-
da, wenn gesagt wird, dass der Dialog von unserer Seite
nicht gesucht würde . Ich sage Ihnen: Auch im Europa-
rat stehen die Türen für die Kollegen offen. Sie kommen
aber nicht mehr .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823119800

Lassen Sie uns erst einmal sachlich festhalten:


(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Das war sehr sachlich!)


Wenn es für irgendwelche Bundestagsausschüsse Proble-
me gibt, in Moskau einen Termin zu bekommen, erkläre
ich mich gerne bereit, einen Termin zu vermitteln .


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dagmar Ziegler [SPD]: Herr Putin wartet darauf!)


Das dürfte kein Problem sein . Das werden wir selbstver-
ständlich schaffen. Melden Sie sich einfach.

Ich habe mich sogar dafür eingesetzt, Frau Beck, dass
die Einreisesperre gegen Sie nicht vollstreckt, sondern
aufgehoben wird . Ich möchte, dass sich Abgeordnete frei
treffen können: in Moskau und in Berlin.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


– In Moskau und in Berlin .


(Niels Annen [SPD]: Es gibt keine Einreisesperre in Berlin!)


Deswegen muss zum Beispiel auch der Auswärtige Aus-
schuss der russischen Duma nach Berlin fahren können .
Deswegen muss die Sanktionsliste mit den Namen der
Kollegen der Duma endlich eingestampft werden . Das ist
doch das Mindeste, was man machen könnte .


(Beifall bei der LINKEN)


Wolfgang Gehrcke






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823119900

Herr Gehrcke, die Kollegin Beck wünscht eine zweite

Zwischenfrage . Ich habe allerdings die Bitte, dass sich
das nicht zu einem Dialog auswächst .


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823120000

Wenn das nicht auf meine Redezeit angerechnet wird .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823120100

Sie sehen doch, dass die Uhr nicht weiterläuft .


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823120200

Danke .

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Verehrter Herr Kollege, jetzt bin ich doch etwas irri-
tiert .


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823120300

Warum?

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Sie scheinen Insiderkenntnisse zu haben, wenn Sie da-
von sprechen, dass eine Einreisesperre gegen mich, die
verhängt werden sollte, durch Ihr Wirken nicht verhängt
worden ist . Mir war von einer Einreisesperre noch nichts
mitgeteilt worden .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Haben Sie etwa Kontakte zum russischen Geheimdienst
oder zu anderen Stellen?


(Zuruf von der LINKEN: Er ist eigentlich KGB-Agent! Wussten Sie das noch nicht? – Dr . h . c . Gernot Erler [SPD]: Jetzt gib es zu, Wolfgang! – Florian Hahn [CDU/CSU]: Jetzt wird es spannend!)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823120400

Genau . – Ich wusste ja immer, dass die Grünen und

die CDU irgendwann zu Schwarz-Grün zusammenkom-
men . Die alte CDU-Losung „Alle Wege des Sozialismus
führen nach Moskau“ haben die Grünen so verinnerlicht,
dass sie sie heute wiedergeben .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Antwort auf die Frage bitte!)


Was soll denn dieser Unsinn? Es war doch klar – das
wissen Sie auch –, dass Kolleginnen und Kollegen Ihrer
Partei nicht nach Russland einreisen konnten .


(Dagmar Ziegler [SPD]: Sie haben aber „Sie“ gesagt!)


Das hat nicht Sie, sondern Frau Rebecca Harms getroffen.
Das hat Herrn Wellmann von der CDU getroffen. Selbst-
verständlich habe ich mich dagegen ausgesprochen, dass
Sie auf diese Weise irgendwie belastet werden . Ich bin

für eine freie Debatte . Unsere Fraktion ist für eine freie
Debatte . Das unterscheidet uns .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Antwort!)


Wenn Sie sich genauso energisch dafür einsetzen wür-
den, dass die Kollegen der russischen Duma, die Leitung
der Duma und die Mitglieder des dortigen Auswärtigen
Ausschusses frei nach Deutschland einreisen könnten,
wäre das prima . Springen Sie doch einmal über Ihren
Schatten, und versuchen Sie das einmal . Das tut auch
nicht weh .


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823120500

Es gibt den Wunsch nach einer weiteren Zwischenfra-

ge von Herrn Hunko .


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823120600

Bitte .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823120700

Herr Hunko hat jetzt das Wort . Dann sollten wir die

Debatte fortsetzen .


Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823120800

Herr Kollege Gehrcke, gerade wurde die Reisetätigkeit

des Bundestages und der Ausschüsse angesprochen – der
EU-Ausschuss war in Moskau –: Ich bin, wenn ich das
richtig sehe, von denen, die daran teilgenommen habe,
als einziger Vertreter hier .

Ist Ihnen bekannt, dass der Auswärtige Ausschuss eine
solche Reise bewusst nicht gemacht hat? Ist Ihnen auch
bekannt, dass der EU-Ausschuss hochrangige Termine in
Moskau hatte, darunter Treffen mit dem Vorsitzenden des
Auswärtigen Ausschusses und des Föderationsrates? Ist
Ihnen weiter bekannt, dass an dieser Reise kein Vertreter
der Grünenfraktion teilgenommen hat?


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823120900

Schönen Dank, dass du das hier vorgetragen hast . Ich
könnte zwar sagen: Das ist mir nicht bekannt, aber: Ja, es
ist mir bekannt . Es ist auch bekannt, dass insbesondere
von dem CDU-Kollegen Herrn Röttgen, dem Vorsitzen-
den des Auswärtigen Ausschusses, ein geregeltes Zusam-
mentreffen der Auswärtigen Ausschüsse des Bundestages
und der Duma bislang nicht vorangetrieben, sondern blo-
ckiert worden ist . Das ist einfach die Wahrheit . Es ist ja
auch bekannt, dass man das sehr schnell ändern könnte .

Ich will, dass die Sprachlosigkeit überwunden wird .


(Dagmar Ziegler [SPD]: Was Sie sagen, macht mich gerade sprachlos!)


Ich will, dass man aufeinander zukommt . Das heißt nicht,
dass man in jeder Frage übereinstimmen muss . Aber man
müsste miteinander reden und herausbekommen, warum
es möglicherweise so ist, wie Kollege Erler es hier vorge-






(A) (C)



(B) (D)


tragen hat, dass die politische Wahrnehmung in Moskau
und Berlin höchst unterschiedlich ist .


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Sie tragen mit dazu bei!)


Ich finde es ganz vernünftig, dass die russische Seite
immer wieder darauf zurückkommt, dass man über Inte-
ressen und die Wahrnehmung von Interessen reden muss .
Die ganze Wertedebatte hat in der Abstraktheit, mit der
sie geführt worden ist, lange Zeit überhaupt nichts ge-
bracht . Es war auch einmal Politik von Willy Brandt und
Egon Bahr, dass man über Interessen reden muss, statt
über Werte zu schwafeln . Ich würde mir sehr wünschen,
dass es auch hier zu einem solchen Umgang miteinander
kommt .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich habe mich – das möchte ich betonen – über die Be-
grüßung des Oberbürgermeisters von Wolgograd und Ihre
Bemerkungen, Frau Präsidentin, gefreut . Beim Vorberei-
ten auf diese Debatte ist mir das große Gedicht des russi-
schen Poeten Jewgenij Jewtuschenko in den Sinn gekom-
men, der vor einigen Wochen verstorben ist . Seine große
Frage an die deutsche und an die russische Bevölkerung
war: Meinst du, die Russen wollen Krieg? – Diese Frage
kann man doch heute beantworten . Für mich ist es völlig
eindeutig: Die russische Bevölkerung will keinen Krieg,
und die deutsche Bevölkerung will keinen Krieg . Und ich
will alles ausschalten, was möglicherweise bewusst oder
unbewusst in eine Kriegssituation hineintreibt .


(Beifall bei der LINKEN)


Das wäre eine Politik, die man gemeinsam angehen
könnte .

Meinst du, die Russen wollen Krieg? Nein, die Russen
wollen keinen Krieg . Meinst du, die Deutschen wollen
Krieg? Nein, die Deutschen wollen keinen Krieg . – Wenn
man davon überzeugt ist, dann muss man auch eine dem-
entsprechende Politik machen . Wäre es nicht denkbar,
dass man zumindest auf bestimmte Waffensysteme ver-
zichtet? Wäre es nicht denkbar, Kollege Erler, dass man
die Debatte darüber wieder aufnimmt, atomwaffenfreie
Zonen in Mitteleuropa zu schaffen, die wir einmal ge-
meinsam geführt haben?


(Beifall bei der LINKEN)


Wäre es nicht denkbar, dass man in einer solchen Situa-
tion des Dialoges auch besser und einfacher über Dinge
reden kann, die man höchst unterschiedlich sieht?

Wir kommen doch nicht zusammen, weil ein Klima
vorherrscht, in dem der andere verurteilt wird, statt eines,
in dem über gemeinsame Lösungen nachgedacht wird .
Auch die Lösung der Ukraine-Frage kriegt man nur hin,
wenn man auf Russland zugeht und bereit ist, mit Russ-
land gemeinsam das Problem zu lösen .


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Über den Kopf der Ukraine hinweg, wie schon mal früher?)


Der Ostukraine den Strom abzudrehen und die Renten
nicht zu zahlen, schafft kein Vertrauen, sondern stört und

zerstört Überlegungen, wie man auch künftig in einem
gemeinsamen Staat leben kann .

Ich bin dafür, dass neues Vertrauen geschaffen wird,
dass Vertrauen aufgebaut wird und dass man auch die
Ukraine-Frage so löst, dass man über Dialog zu politi-
schen Lösungen kommt . Das ist das, was wir vorgeschla-
gen haben . Darüber können Sie abstimmen . Ich glaube,
dass wir immerhin eine Debatte in Gang gebracht haben .

Danke sehr .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823121000

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Motschmann

das Wort für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1823121100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Herr Gehrcke, Sie wollen die Sprachlosig-
keit überwinden . Was Sie vorgetragen haben, macht aber
sprachlos . Denn Ihr Blick auf Russland und auch auf Prä-
sident Putin ist seltsam verklärt . Sie nehmen Realitäten
nicht wahr und verdrängen sie vielleicht auch .

Russland sehen Sie – das hat ja Kollege Erler schon
gesagt – als Opfer westlicher Expansionspolitik . Die
NATO erklären Sie für überflüssig. Herr Gehrcke, das ist
gediegen abwegig, was Sie hier vorgetragen haben .


(Niels Annen [SPD]: Das ist eine interessante Formulierung!)


In einem Punkt stimme ich Ihnen zu . Ich zitiere aus
Ihrem Antrag:

Die Verbesserung der deutsch-russischen Beziehun-
gen liegt im Interesse aller friedliebenden Menschen
in Deutschland und Russland . Sie sind auch im Inte-
resse gesamteuropäischer Politik .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr schön!)


Das ist richtig . Da stimme ich zu .

Richtig ist sicherlich auch, dass die Konflikte in Eu-
ropa an seinen Grenzen und die globalen Konflikte im
Nahen Osten nur in Zusammenarbeit mit Russland gelöst
werden können . Das ist auch richtig . Aber wie soll das
gehen? Und wie soll das Verhältnis zu Russland wieder
besser werden? Hier liegen unsere Positionen natürlich
ganz weit auseinander . Ich will drei Punkte herausgrei-
fen: Erstens . Wo liegen die Ursachen für die Verschlech-
terung des Verhältnisses? Zweitens . Welche Bedeutung
kommt der NATO zu? Drittens . Wie beurteilen wir die
Sanktionen? Ähnliche andere Punkte sind auch schon
angeklungen .

Erstens . Sie fordern in Ihrem Antrag von – Zitat –
„beiden Seiten in Europa – Ost wie West – … eine Rück-
kehr zum Völkerrecht“ .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Richtig!)


Wolfgang Gehrcke






(A) (C)



(B) (D)


Sie können doch nicht im Ernst Deutschland und Europa
im Hinblick auf die Einhaltung des Völkerrechts auf eine
Stufe mit Russland stellen .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Jugoslawien! Syrien! Libyen! – Weitere Zurufe von der LINKEN)


Das ist eine völlige Verdrehung der Tatsachen .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Wollen Sie die Leute da oben auf den Arm nehmen? – Gegenruf von der SPD: Ruhe in den hinteren Reihen!)


– Ganz ruhig . Hören Sie zu . Anschließend können Sie ja
auch etwas dazu sagen .

Nicht ein einziges Mal erwähnen Sie die völkerrechts-
widrige Annexion der Krim und die Vorgänge in der Ost-
ukraine . Sie haben ja sicherlich recht: Die Bevölkerung
Russlands will keinen Krieg . – Die Politik Russlands
führt aber einen Krieg, und zwar in der Ostukraine . Nach
wie vor sterben dort täglich Soldaten und Zivilisten, zu-
letzt auch ein Mitarbeiter der OSZE . Es gibt sicherlich –
das will ich hier einräumen – in diesem Konflikt auch
nicht hinnehmbare Aktionen der Ukraine . Das sollte man
ehrlicherweise sagen .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Oh! 10 000 tote Zivilisten sind „nicht hinnehmbar“?)


Aber die Hauptverantwortung für diesen Konflikt – das
muss doch klar sein – trägt eindeutig Russland .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Seine Soldaten, Panzer, Geschütze und Minen haben
nichts, aber auch gar nichts in der Ukraine zu suchen .
Russland hat der Ukraine 1994 wegen des Verzichts auf
Nuklearwaffen territoriale Integrität zugesagt.

Sie sollten nicht die Verlässlichkeit und den politischen
Kooperationswillen des Westens anmahnen, sondern um-
gekehrt die Verlässlichkeit und den politischen Koopera-
tionswillen Russlands einfordern . Das wird höchste Zeit .
Sie haben ja auch gute Beziehungen – bessere als ich .
Ich bin zwar dem Land sehr verbunden . Meine Großmut-
ter ist in Sankt Petersburg geboren, meine Familie hat
lange im Baltikum gelebt . Ich habe eine große Liebe zu
Land, Leuten und Kultur – aber nicht zur Politik, ganz
bestimmt nicht .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das kann ja noch kommen!)


Zweitens . Sie fordern „einen Abbau der Strukturen der
NATO und damit eine Auflösung des westlichen Militär-
bündnisses“ . Dazu gibt es von uns eine ganz klare Ant-
wort, nämlich Nein . Die NATO sollte natürlich nicht ab-
gebaut werden, sondern eher gestärkt werden . Das hat ja
sogar Präsident Trump eingesehen, der zunächst ebenso
wie Sie davon sprach, dass die NATO obsolet sei .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Jetzt lieben Sie Trump wieder!)


Wann werden Sie von den Linken begreifen, dass
die NATO nicht auf Angriff aus ist, sondern ein Vertei-

digungsbündnis ist? Wir verdanken nicht zuletzt diesem
Bündnis unsere Freiheit und Jahrzehnte des Friedens in
Europa . Dafür sollten wir auch einmal richtig dankbar
sein . Sie sind das überhaupt nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Unsere NATO-Partner Polen, Litauen, Lettland und
Estland wären ja entsetzt, Herr Gehrcke – ich weiß nicht,
wann Sie zuletzt dort waren oder ob Sie überhaupt je da
waren –, wenn wir ein Ende der NATO einläuten wür-
den . Diese Länder haben bittere Erfahrungen mit Russ-
land und der Sowjetunion gemacht . Das Leid der Depor-
tationen nach Sibirien ist nicht vergessen . Diese Länder
leiden auch heute unter russischer Desinformation und
unter Propaganda in den russischen Medien . Grenzver-
letzungen durch Überflüge sind ebenfalls an der Tages-
ordnung .

Es ist also völlig abwegig, dass Sie hier fordern, die
Strukturen der NATO abzubauen .

Drittens: Stichwort „Sanktionen“ . Auf die völker-
rechtswidrige Annexion der Krim und auf die russische
Unterstützung der prorussischen Separatisten in der Ost-
ukraine antworteten die USA, Kanada und die EU zu-
nächst mit Sanktionen gegen russische Einzelpersonen
und danach mit allgemeinen Finanz- und Wirtschafts-
sanktionen . Diese Sanktionen sind zurzeit übrigens das
einzige Mittel, eine rote Linie gegenüber der Expansi-
onspolitik Putins zu ziehen . Sie von den Linken fordern
ein Ende der Sanktionen . Aber dazu müssen Minimal-
forderungen erfüllt werden: Waffenstillstand, Rückzug
schweren Geräts und uneingeschränkter Zugang von
OSZE-Beobachtern, eben die Einhaltung des Minsker
Abkommens . Russland hat also den Schlüssel für die Be-
endigung selbst in der Hand .

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . – Natür-
lich muss der Dialog auf allen Ebenen geführt werden .
Das tun Angela Merkel und auch unser neuer Außenmi-
nister Gabriel vorbildlich .


(Niels Annen [SPD]: Stimmt! Vorbildlich! Ganz genau!)


Auch auf anderen Ebenen muss dieser Dialog geführt
werden . Aber es ist eine Legende, dass der Dialog von
unserer Seite nicht gesucht wird, wie Sie meinen . Das ist
falsch . Vielmehr bekommen wir keine Gesprächspartner .
Natürlich müssen wir die Zivilgesellschaft unterstützen
und den Kulturaustausch im Rahmen unserer Auswärti-
gen Kulturpolitik vorantreiben . Heute hat es ja eine Pres-
sekonferenz –


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823121200

Frau Kollegin, ich muss Sie bitten, zum Schluss zu

kommen .


Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1823121300

– ja, Frau Präsidentin – in Sotschi gegeben . Eine Kul-

turolympiade ist geplant, und ein Deutscher ist der Inten-
dant . Wunderbar! Auch der Jugend- und der Studenten-
austausch sind wichtig .

Elisabeth Motschmann






(A) (C)



(B) (D)


Das heißt, wir müssen viel tun, aber nicht das, was Sie
in Ihrem Antrag fordern . Deshalb lehnen wir ihn ab .

Frau Präsidentin, ich habe heute Silberhochzeit mit
dem Pult . Das ist nämlich meine 25 . Rede . Deshalb hat
sie ein bisschen länger gedauert .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823121400

Ich weiß nicht, ob ich zu einer Silberhochzeit mit dem

Pult gratulieren soll, Frau Motschmann .


(Heiterkeit)


Aber dass Sie ein Rednerjubiläum haben, ist auch ganz
nett .

Als nächste Rednerin hat Marieluise Beck das Wort
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(Florian Hahn [CDU/CSU]: Sie hat mindestens diamantene Hochzeit!)


Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Ich hoffe, dass die richtige Silberhochzeit etwas ver-
gnüglicher war, Frau Kollegin .

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Dem, was der Kollege Erler zur Ehrenrettung
der neuen Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr
gesagt hat, ist nur wenig hinzuzufügen . Ich möchte nur
eines noch einmal betonen: Narrative sind das eine . Es
gibt aber auch Tatsachenwahrheiten, wie uns Hannah
Arendt immer wieder gesagt hat . Es geht hier auch um
Tatsachenwahrheiten, und diese sind klar zu benennen,
gerade wenn wir in den schwierigen Dialog mit dem rus-
sischen Gegenüber treten . Dazu gehört, zu sagen, dass
die europäische Friedensordnung durch die russische
Annexion der Krim sowie die Aggression Russlands im
Donbass und die tätige Unterstützung der Rebellen dort
in der Tat infrage gestellt, wenn nicht sogar zerstört wor-
den ist; das wissen wir noch nicht genau . Ich sage den
Kollegen von der Linken noch einmal: Diese europäische
Friedensordnung ist sogar von dem ZK-Generalsekretär
Breschnew mitgestaltet worden . Damals war die Situati-
on also in dieser Hinsicht besser als das, was wir heute
erleben .

Insofern handelt es sich um eine Propagandafigur,
Herr Gehrcke, wenn Sie von Sprachlosigkeit reden .
Das ist ein Mythos . Es gibt Städtepartnerschaften, den
Petersburger Dialog sowie Zusammentreffen auf kultu-
reller Ebene und in der Wissenschaft . Es gibt also einen
ständigen Austausch . Das Problem ist aber die Weige-
rung Russlands – auch vonseiten der Duma-Kollegen –,
in eine ernsthafte Auseinandersetzung mit uns zu treten .
Das erleben wir – ich sage das noch einmal – auch in
der parlamentarischen Arbeit des Europarats, obwohl
dort alle unsere russischen Kollegen Zugangsrechte ha-
ben und nicht durch irgendwelche Reisebeschränkungen

gehindert werden . Aber sie stellen sich dieser Auseinan-
dersetzung schlichtweg nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Aber das Stimmrecht ist ihnen genommen worden!)


Ich möchte eine, wie ich finde, sehr ehrliche Aussage
eines hohen Beamten des Auswärtigen Amts zu Beginn
der Ukraine-Krise zitieren:

Wir haben verstanden, dass sich mit dieser Aggres-
sion die Ausgangslage für jede Politik gegenüber
Russland dramatisch verändert hat . Wir wissen nur
noch nicht, wie wir auf diese Veränderung strate-
gisch und klug antworten sollen .

Die Modernisierungspartnerschaft, die in diesem Haus
gewollt war, ist ja von russischer Seite aufgekündigt
worden . Eines ist aber jedenfalls klar: Rezepte aus den
80er-Jahren werden keine Antworten auf heutige Heraus-
forderungen liefern .

Wer nach neuen Strategien sucht, Herr Gehrcke, der
muss auch einen klaren Blick auf die Realitäten im heuti-
gen Russland zulassen . Nicht nur die Annexion der Krim
überschreitet die rote Linie der europäischen Friedens-
ordnung, auch die innere Verfasstheit von Russland nach
17 Jahren Putin hat sich dramatisch verändert .

Sie haben eben eine Wertedebatte eingeklagt . Ich will
Ihnen konkrete Beispiele nennen . In Tschetschenien wer-
den seit Wochen Homosexuelle brutal verfolgt . Mehr
als 100 Menschen wurden festgenommen und offenbar
in Geheimgefängnissen gefoltert . Mindestens drei Men-
schen sollen ermordet worden sein . Die Journalistinnen
Elena Milaschina und Irina Gordijenko von Nowaja Ga-
seta werden nach ihrer Berichterstattung über diese Er-
eignisse mit massiven Drohungen durch die politische
und religiöse Führung von Tschetschenien überzogen .
Sie mussten aus Moskau fliehen. Ich denke mit Sorge an
die Ermordung von Anna Politkowskaja, deren Spuren in
eben dieses Tschetschenien führen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Dr . h . c . Gernot Erler [SPD])


Es ist Präsident Putin, der Ramzan Kadyrow als seinen
Statthalter eingesetzt hat und damit auch für dessen Ta-
ten die politische Verantwortung trägt . Ich sage an die
Adresse der Bundesregierung: Diese Zustandsbeschrei-
bung aus Tschetschenien muss die Bundesregierung bei
Auslieferungsgesuchen aus der Russischen Föderation
berücksichtigen .

Die staatlich gelenkten russischen Medien schaffen
seit Jahren ein Klima des Hasses gegen Schwule, Lesben
und all jene, die dem Geschlechterbild der orthodoxen
Kirche nicht entsprechen . Das passt nicht zur Europäi-
schen Menschenrechtskonvention .

Nicht nur in der Ukraine führt Russlands Politik zur
Destabilisierung . Mit seinem Veto zu acht Resolutionen
zu Syrien hat Russland diplomatischen Lösungen der in-
ternationalen Gemeinschaft den Weg verstellt .

Elisabeth Motschmann






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823121500

Frau Beck, lassen Sie noch eine Zwischenfrage zu?

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Bitte .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823121600

Herr Neu .


Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823121700

Sehr geehrte Frau Kollegin Beck, als Obmann der

Linksfraktion im Verteidigungsausschuss habe ich schon
zu Anfang der Legislaturperiode in der Obleuterunde
darum gebeten, dass der Verteidigungsausschuss doch
eine Delegationsreise nach Russland machen möge, um
die dortigen Duma-Kollegen zu treffen. Das wurde mit
einem Lächeln abgelehnt: Wir fahren nicht nach Russ-
land . – Das war noch vor der Krise . Wie viele Anfragen
haben Sie eigentlich in der Obleuterunde gemacht, ob der
Auswärtige Ausschuss sich mit den russischen Kollegen
des Auswärtigen Ausschusses in Moskau treffen möge?

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Es hat bei uns keine Debatte gegeben, keine Reise
nach Russland zu unternehmen .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wie oft sind wir gefahren?)


Herr Kollege, erinnere ich mich richtig?


(Zuruf des Abg . Jürgen Hardt [CDU/CSU])


Ich möchte nichts Falsches sagen . Ich nehme seit vier
Jahren am Obleutegespräch teil, aber ich kann mich da-
ran nicht erinnern . Ich würde darum bitten, dass das von
den Kollegen klar und in der Sache richtig – darauf haben
Sie ein Recht – beantwortet wird . – Ich höre, dass das
gleich von den Kollegen der CDU/CSU-Fraktion geklärt
werden wird .

Ich habe über die Reise des EU-Ausschusses gespro-
chen . Da bin ich in der Tat nicht mitgefahren, weil letzt-
lich keine politischen Termine mit den Kollegen in der
Duma zustande gekommen sind . Das zu dieser Frage .

Noch einmal kurz zu Syrien: Auch die unabhängige
Untersuchung des Giftgasangriffs bei Idlib wurde durch
Russland verhindert . Noch schlimmer: Man muss davon
ausgehen, dass die Giftgasangriffe, die Fassbomben und
der gezielte Krieg gegen die Zivilbevölkerung durch
Assad nur möglich waren, weil Russland dessen poli-
tisches und militärisches Überleben gesichert hat . Der
Kreml kann der russischen Bevölkerung keine Perspekti-
ven bieten . Stattdessen sichert sich Putin die Macht durch
überschwänglichen Nationalismus und imperiale Fanta-
sien. Aber offenbar lässt die Korruptheit in der Führung
die jungen Menschen in Russland nicht mehr unberührt,
wie die jüngsten Demonstrationen gezeigt haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wer wie Sie, Herr Gehrcke und Herr Hunko – beide
sind da –, über dieses Moskau in den besetzen Donbass
fährt, gerät in gefährliche Nähe zu Marine Le Pen und
Frauke Petry .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Das wird in der Tat hier im Hause mit Sicherheit nicht der
Maßstab für eine neue Ostpolitik sein .

Schönen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823121800

Jetzt hat der Kollege Hardt noch die Möglichkeit zu

einer Kurzintervention, um die Frage von eben zu klären
und den Sachverhalt darzustellen .


Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1823121900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte als außenpolitischer Sprecher der CDU/
CSU-Bundestagsfraktion feststellen, dass wir im letzten
Jahr über Monate versucht haben, eine Reise der Obleute
des Auswärtigen Ausschusses nach Moskau zu organisie-
ren .


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Wir haben leider keine positiven Antworten aus Moskau
bezüglich eines Termins bekommen . Das ist möglicher-
weise darauf zurückzuführen, dass wir geplant hatten,
diese Reise mit einer Reise nach Kiew zu verbinden .
Wir hatten ein wenig das Gefühl, dass das vielleicht der
Grund sein könnte, warum unsere russischen Kollegen
keine Lust hatten, uns zu sehen .


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wunderbar!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823122000

Jetzt als nächster Redner Florian Hahn für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1823122100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Antrag „Für eine neue Ostpolitik Deutschlands“ der
Linksfraktion verwundert leider nicht . Er dient einmal
mehr dazu, das Verhalten Russlands zu verklären und
jedes aggressive Handeln des Kremls gütig zu überse-
hen . Es scheint, als wollten Sie mit Ihrem Antrag die
Geschichte neu schreiben, indem Sie ganz maßgeblich
die Augen vor Tatsachen verschließen bzw . sie schlicht
ignorieren .

Sie plädieren für eine Neubewertung des Ukraine-Kon-
flikts und werfen dem Westen implizit die Eskalation in
der Ostukraine vor . Aber mit keiner Silbe erwähnen Sie
den eklatanten und eindeutigen Völkerrechtsbruch durch
Russland .






(A) (C)



(B) (D)


Sie sprechen der NATO jede Legitimation ab und
machen das westliche Bündnis für die verschlechterten
Beziehungen zu Russland verantwortlich . Kein Wort ver-
lieren Sie über das hegemoniale Selbstverständnis Russ-
lands und das daraus abgeleitete Denken in Einflusssphä-
ren .

Sie sprechen von einer friedlichen Koexistenz und
von guter Nachbarschaft mit Russland, lassen aber ei-
nen Kernpunkt unbeachtet: die Gleichberechtigung aller
Staaten, die sich auch auf die Nachbarländer Russlands
erstrecken sollte. Dabei übersehen Sie geflissentlich, dass
der Kreml so manche Souveränitätsrechte infrage stellt .

Sie fordern einen Wandel von westlicher Seite und
eine Annäherung an Russland, vergessen aber vollkom-
men unsere östlichen Nachbarn und deren Befürchtun-
gen . Ein Abkommen zwischen Moskau und Berlin bei
gleichzeitigem Übergehen von Polen und den baltischen
Staaten, das wäre geschichtsvergessen . Es war für Euro-
pa immer verheerend,


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja!)


wenn sich Deutschland und Russland bilateral über ihre
Einflusssphären geeinigt haben.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau! Ganz wichtig!)


Es sind gerade unsere östlichen Partner, die angesichts
der russischen Bedrohung nach einem starken Deutsch-
land an ihrer Seite rufen . Die Ängste sind weder abstrakt
noch übertrieben . Die Liste der Propagandamaßnahmen,
der Manövertätigkeiten, der Verletzungen von Luft- und
Seeräumen, der Stationierung neuer, modernster Waffen-
systeme, sie ist lang .

Wer behauptet, Russland sei sozial gerechter, verteile
Ressourcen fairer und verhalte sich außenpolitisch weni-
ger aggressiv als die westliche Welt, der gibt sich einer
Illusion hin . Fallen die Annexion der Krim, die Bombar-
dements in Syrien und die Idee eines Noworossija nicht
unter die Kategorie „Imperialismus“? Wer die USA so
entschieden wie Sie an die Wand stellt, der müsste sich
zumindest ebenso entschieden gegenüber Russland po-
sitionieren .

Diese erkennbare Vereinfachung der Tatsachen und
das Spielen mit subjektiven Erklärungsmustern be-
schränken sich aber nicht nur auf die Russlandpolitik der
Linken . Blickt man auf die sicherheitspolitischen Leit-
planken der Linken, bietet sich ein erschreckendes Bild .
Lassen Sie mich auf nur einige Beispiele aus dem bereits
veröffentlichten Entwurf zum Wahlprogramm für die
kommende Bundestagswahl eingehen .

Sie möchten alle Soldatinnen und Soldaten aus den
Auslandseinsätzen zurückziehen


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


und künftig keine mehr entsenden . Auch die Ausbildung
anderer Armeen wird strikt abgelehnt . Aber welche Al-
ternativen bieten Sie eigentlich in einer Situation wie bei-
spielsweise 2014 im Nordirak?


(Dagmar Ziegler [SPD]: Wattebäuschchen!)


Wie sollen Entwicklungshelfer eine plündernde, verge-
waltigende, mordende Horde von IS-Kämpfern aufhal-
ten?


(Dagmar Ziegler [SPD]: Genau!)


Ebenso wollen Sie die Beteiligung von Bundes- und
Landespolizei an internationalen Polizeieinsätzen be-
enden . Dabei sind der Aufbau demokratischer Sicher-
heitskräfte und die Reform des Sicherheitssektors eine
elementare Voraussetzung für Stabilität und Ordnung .
Welche Alternativen schlagen Sie vor, um in fragilen
Gesellschaften verlässliche Strukturen zu etablieren und
damit die notwendigen Rahmenbedingungen für eine
tragfähige soziale und ökonomische Entwicklung zu
schaffen? Wie wollen Sie in Ländern wie Somalia solche
Prozesse ohne Sicherheit anregen?

Sehr geehrte Damen und Herren, die Bundeswehr be-
findet sich aktuell in 13 Auslandseinsätzen. Alle Mandate
wurden in dieser Legislaturperiode mehrfach beraten und
dann verabschiedet . Die Linke hat sie allesamt abgelehnt .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das stimmt!)


So unterschiedlich die Positionen hier im Hohen Hause
zuweilen sind – eines haben alle anderen Fraktionen ge-
meinsam: Wir entscheiden nicht aus ideologischen Grün-
den über Auslandseinsätze der Bundeswehr .

Diese konsequente ideologische und realitätsferne
Antihaltung der Linksfraktion zeigt vor allem eins: Die
Linke war und ist und bleibt, wie das Wahlprogramm
sehr klar zeigt, nicht regierungsfähig .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Mit euch sowieso nicht!)


Würden wir Ihren Positionen folgen, stände Deutschland
in kürzester Zeit isoliert auf der Weltbühne . Noch etwas:
Die Welt wäre dann sicherlich nicht sicherer .

Herr Gehrcke, Sie haben gesagt, in der Zusammenar-
beit mit Russland sollten wir über Interessen reden, statt
über Werte zu schwafeln. Offensichtlich teilen Sie nicht
die gemeinsamen Werte, wie wir es tun, wie die anderen
Fraktionen in diesem Hohen Hause, und das zeigt einmal
mehr, dass Sie nicht regierungsfähig sind .


(Zurufe von der LINKEN)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der SPD und
der Grünen, bedenken Sie dies, wenn Sie weiterhin an
einer rot-rot-grünen Bundesregierung arbeiten . Wir dür-
fen das nicht ignorieren, und das werden wir auch nicht;
ganz im Gegenteil . Wie halten Sie es mit den absurden
Positionen der Partei Die Linke zur Außen- und Sicher-
heitspolitik? Schenken Sie hier reinen Wein ein! Denn
das müssen die Bürger wissen, bevor es im September
an die Wahlurnen geht; schließlich geht es hier um die
Sicherheit Deutschlands und Europas .


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Da stimme ich Ihnen völlig zu!)


Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Florian Hahn






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823122200

Dr . Andreas Nick hat als nächster Redner das Wort,

ebenfalls für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Andreas Nick (CDU):
Rede ID: ID1823122300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Dass es sich bereits beim Titel des Antrags um politische
Erbschleicherei handelt, das hat Kollege Erler für die
Sozialdemokraten als Hüter des Erbes von Willy Brandt
und Egon Bahr schon überzeugend dargelegt . Ganz si-
cher aber handelt es sich bei diesem Antrag um politi-
schen Etikettenschwindel; denn in dem Antrag geht es
nur um Russland und in keinem einzigen Satz um Mittel-
und Osteuropa .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Für uns ist eines klar: Deutsche Außenpolitik kann
und darf niemals nur Russlandpolitik sein;


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Oder Berlin/Moskau!)


im Gegenteil . Wir wollen beides: gute und partnerschaft-
liche Beziehungen zu Ost- und Mitteleuropa, gleichzeitig
friedliche und konstruktive Beziehungen zu Russland .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Niemals dürfen wir es zulassen, dass diese beiden Ziele
gegeneinander ausgespielt werden . Unser Verhältnis zu
Russland darf nicht über die Köpfe der Völker in Mittel-
und Osteuropa hinweg entwickelt werden – und schon
gar nicht auf deren Kosten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg . Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Niemals mehr darf die Region zwischen Russland und
Deutschland zur Verhandlungsmasse von ihren beiden
großen Nachbarn werden . Das entspricht unserer histo-
rischen Verantwortung gegenüber unseren unmittelba-
ren Nachbarn in Mitteleuropa wie auch gegenüber den
Bloodlands, wie Timothy Snyder sie genannt hat, die un-
ter den Gräueltaten der Nazis und der Sowjets gleicher-
maßen leiden mussten .

Kulturell und gesellschaftlich sind wir über Jahrhun-
derte eng mit den Partnerländern in Mittel- und Osteu-
ropa verbunden . Die Solidarnosc in Polen und die Re-
former in Ungarn haben 1989 den ersten Stein aus der
Mauer gebrochen . Das werden wir Deutsche den Polen
und den Ungarn niemals vergessen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ NEN)


Wie eng die Beziehungen inzwischen sind, wird am
erreichten Maß wirtschaftlicher Verflechtung deutlich.
Die vier Visegradstaaten Polen, Tschechien, Slowakei
und Ungarn sind zu einem der größten Handelspartner
Deutschlands geworden . Insgesamt ist das Volumen un-

seres Handels mit ihnen größer als das jeweilige Volu-
men unseres Handels mit Frankreich, den USA oder Chi-
na . In unseren Beziehungen zu diesen Ländern setzen wir
uns auch für freiheitliche Werte ein . Deshalb bringen wir
aktuell auch schwierige innenpolitische Entwicklungen
in dieser Region zur Sprache .

Unsere Politik gegenüber Russland hat einen unver-
rückbaren Bezugspunkt, nämlich die Charta von Paris .


(Dr . Christoph Bergner [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Darin haben sich die Staaten Europas im Jahr 1990 zu
Demokratie, Menschenrechten und Grundfreiheiten be-
kannt. Sie haben sich verpflichtet, sich jeder gegen die
territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit ei-
nes Staates gerichteten Androhung oder Anwendung von
Gewalt zu enthalten .

Diese vermeintlichen Gewissheiten unserer europäi-
schen Friedensordnung sind jedoch durch das Verhalten
Russlands in der Ukraine infrage gestellt . In aller Klar-
heit: Die glaubwürdige Rückkehr Russlands zu den Prin-
zipien der Charta von Paris ist grundlegende Vorausset-
zung für eine nachhaltige Verbesserung der Beziehungen
und Intensivierung der Zusammenarbeit .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, nicht Jalta
oder gar Rapallo, sondern Helsinki und die Charta von
Paris sind der Maßstab unserer Politik gegenüber Russ-
land . Wenn Russland die im Minsker Abkommen fest-
geschriebenen Vereinbarungen einhält bzw . umsetzt –
Russland hat diese Regelungen ja selbst als Resolution
in den UN-Sicherheitsrat eingebracht –, dann wäre dies
auch ein wichtiger Schritt hin zur Lockerung und schritt-
weisen Aufhebung der wirtschaftlichen Sanktionen .

Der Schlüssel für eine Verbesserung der Beziehungen
in der Region liegt in Russland . Russland sollte insbeson-
dere das Verhältnis zu seiner Nachbarschaft neu bewer-
ten und den offenkundigen Phantomschmerz in Bezug
auf den Verlust des ehemaligen Sowjetimperiums über-
winden . Demokratie und Prosperität in seiner Nachbar-
schaft sollten von Russland nicht länger als Bedrohung
empfunden werden, sondern als Chance für umfassende
Stabilität und Kooperation .

Unsere Hand gegenüber Russland ist und bleibt aus-
gestreckt . Das ist nicht nur ein Gebot unserer leidvollen
gemeinsamen Geschichte, es entspricht auch der geogra-
fischen Lage und ist deshalb Ausdruck unserer strategi-
schen Interessen . Auch als verantwortlich handelnder
Akteur im internationalen System wäre Russland ein
willkommener strategischer Partner .

Russlands derzeitige Politik aber ist – anders als viele
glauben – kein Ausdruck von Stärke, sondern eher ein
Beleg für systematische Schwäche . Wolfgang Ischinger
hat dazu schon Ende der 90er-Jahre bemerkt:

Russlands Größe bemisst sich nicht an der Zahl
seiner Nuklearsprengköpfe oder seiner Soldaten .
Größe resultiert im 21 . Jahrhundert vielmehr aus
Wirtschaftskraft, Humankapital, einer dynamischen






(A) (C)



(B) (D)


Gesellschaftsordnung, einem international attrak-
tiven Bildungssystem . Großmacht sein kann nicht
gleichbedeutend sein mit einem Freibrief für man-
gelnde Rücksichtnahme auf Kleinere .

Meine Damen und Herren, das wünschen wir uns als
Ausgangspunkt für die weitere Ausgestaltung der Bezie-
hungen zu Russland und für eine neue Ostpolitik .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823122400

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich

diese Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag
der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Für eine neue Ost-
politik Deutschlands“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11671, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11167
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es jemanden, der
sich enthält? – Das ist nicht der Fall . Dann ist die Be-
schlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition und
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke angenommen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Anpassung des Datenschutzrechts an
die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Um-
setzung der Richtlinie (EU) 2016/680 (Daten-
schutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz
EU – DSAnpUG-EU)

Drucksachen 18/11325, 18/11655, 18/11822
Nr. 10

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksachen 18/12084, 18/12144

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Frank
Tempel, Dr . André Hahn, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Datenschutzrechte der Bürgerinnen und Bür-
ger stärken

Drucksachen 18/11401, 18/12084, 18/12144

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen, und ich kann die Aussprache eröffnen.

Als erster Redner in der Aussprache hat Bundesminis-
ter Dr . Thomas de Maizière für die Bundesregierung das
Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Der Datenschutz schützt die Freiheit und die Persönlich-
keitsrechte von Menschen . Das ist der Auftrag des Da-
tenschutzrechts, und darum geht es .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So weit, so gut!)


Was heißt das praktisch? Das heißt zum Beispiel, dass
der Datenschutz kein Selbstzweck – zum Schutz der Da-
ten selbst – ist .

Die Regeln der 90er-Jahre bringen uns angesichts der
rasant fortschreitenden technischen Entwicklung nicht
weiter – weder was die Sicherheit noch was die For-
schung, die Wirtschaft oder die Digitalisierung angeht .
Das Prinzip der Datensparsamkeit um ihrer selbst willen
ist in Zeiten von Big Data überholt . Wir wollen und wer-
den auch angesichts neuer technischer Entwicklungen
das hohe Niveau des Datenschutzes aufrechterhalten und
gleichzeitig die modernen technischen Möglichkeiten
nutzen – und das in ganz Europa mit demselben Recht .

Das war das Anliegen der europäischen Daten-
schutz-Grundverordnung, und das ist auch das Ziel des
vorliegenden Gesetzes . Mit diesem Gesetz setzen wir
zwei europäische Rechtsakte um – wobei das Wort „um-
setzen“ bei der Grundverordnung nicht ganz zutrifft –:
die europäische Datenschutz-Grundverordnung einer-
seits und die Datenschutzrichtlinie für die Zusammenar-
beit von Polizei und Justiz andererseits . Die verbundene
Umsetzung beider europäischen Rechtsakte in einem Ge-
setz ist auch so etwas wie ein Symbol . Das zeigt nämlich:
Schutz vor Kriminalität und Datenschutz sind zwei Sei-
ten derselben Medaille, zwei Seiten unserer Freiheit, und
deswegen müssen wir sie auch beide zusammen denken .

Ab Mai 2018 werden in Deutschland und allen eu-
ropäischen Mitgliedstaaten einheitliche Datenschutz-
regeln und Datenschutzstandards gelten . Das ist eine
datenschutzrechtliche Zäsur in Europa, und genau das
war auch beabsichtigt . Unternehmen mit niedrigen Da-
tenschutzstandards können sich in Zukunft nicht mehr
gezielt in solchen Mitgliedstaaten ansiedeln, die niedrige
Standards akzeptieren oder eine unzureichende Daten-
schutzaufsicht haben. Davon profitieren die Menschen,
die Nutzer, die Anwender, die Forscher, und davon pro-
fitieren auch die Unternehmen in unserem Land. Es gibt
Rechtssicherheit für alle . Schluss mit dem Rosinenpicken
beim europäischen Datenschutz: Unser Markt, unsere
Regeln gelten für alle, ausnahmslos – auch für Unterneh-
men, die etwa aus den USA ihre Dienste in Deutschland
anbieten . Das ist ein großer Fortschritt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Andreas Nick






(A) (C)



(B) (D)


Mit diesem Gesetz, liebe Kolleginnen und Kollegen,
regeln wir auch Teile der Datenverarbeitung im Inte-
resse der öffentlichen Sicherheit. Wir ermöglichen zum
Beispiel, dass Informationen, die durch Private erhoben
wurden, an die Strafverfolgungsbehörden weitergege-
ben werden dürfen . Das ist eine sehr wichtige Regelung .
Ohne eine solche Regelung können zum Beispiel Auf-
nahmen einer privaten Überwachungskamera, die eine
Straftat belegen, nicht an die Polizei übergeben wer-
den. Das kann nicht sein. Jetzt schaffen wir auch hierfür
Rechtssicherheit .

Mit diesem Gesetzentwurf halten wir uns eins zu eins
an die europarechtlichen Vorgaben . Wir sind mit den not-
wendigen Anpassungen so schnell wie kaum ein Land in
Europa . Wir halten das auch für nötig . Denn ab Mai 2018
gilt das neue europäische Recht unmittelbar, und bis da-
hin sind noch etliche Fachgesetze zu ändern: beim Bund,
aber insbesondere auch in den Bundesländern .

Dort, wo der europäische Gesetzgeber Gestaltungs-
spielraum gelassen hat, machen wir davon in verant-
wortlicher und selbstbewusster Weise Gebrauch . So ver-
zichten wir zum Beispiel darauf, die Altersgrenze für die
Einwilligung eines Kindes national unter 16 Jahre abzu-
senken, was wir europarechtlich könnten . Wir halten das
nicht für vernünftig; deswegen machen wir es nicht .

Dieser Gesetzentwurf – ich komme zum Anfang zu-
rück – schützt nicht die Daten . Er schützt die Persönlich-
keitsrechte der Menschen in unserem Land, und er stärkt
den Standort Deutschland in einem starken Europa . Das
ist entscheidend . Ich bitte sehr herzlich um eine mög-
lichst breite Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823122500

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Petra Pau für

die Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823122600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Beim vorliegenden Antrag geht es um den Datenschutz,
konkret um die Anpassung des deutschen Rechts an Vor-
gaben der Europäischen Union . Das ist der formale Hin-
tergrund . Inhaltlich geht es um mehr; denn Datenschutz
ist nicht, wie gelegentlich unterstellt wird, Täterschutz .
Datenschutz ist ein verbrieftes Bürgerrecht und oben-
drein eine unverzichtbare Basis für jedwede Demokratie .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bürgerinnen und Bürger, die nicht mehr wissen oder
nicht mehr wissen können, wer was über sie weiß, sind
manipulierbar und nicht souverän . So hat es das Bun-
desverfassungsgericht mehrfach bekräftigt, und das ist
die politische Dimension dieser Debatte . Folglich heißt
heute die Frage: Schafft dieses Gesetz mehr Daten-
schutz? Stärkt es den Souverän und die Demokratie, oder
schwächt es den Datenschutz und mithin Bürgerrech-

te und Demokratie? Meine Antwort lautet: Das Gesetz
schwächt den Datenschutz . Und deshalb wird die Linke
als moderne sozialistische Bürgerrechtspartei diesen Ge-
setzentwurf auch ablehnen .


(Beifall bei der LINKEN)


Mit diesem Nein stehen wir keineswegs allein da . Im
Innenausschuss des Bundestages hat es am 27 . März eine
öffentliche Expertenanhörung zu diesem Gesetzesvorha-
ben gegeben . Das Gros der Datenschutzexperten äußerte
dabei erhebliche Kritik an der Vorlage von CDU/CSU
und SPD . Trotz aller Änderungen im Detail kommt die
Deutsche Vereinigung für Datenschutz, DVD, zu dem
Schluss: Der vorliegende Gesetzesvorschlag verkehrt
europäische Regelungen in ihr Gegenteil und bedeu-
tet einen massiven Rückfall Deutschlands im Bereich
des Datenschutzes . Ich füge hinzu: Niemand hier im
Rund, auch nicht die Kolleginnen und Kollegen von der
SPD-Fraktion, kann hinterher sagen, sie oder er hätte das
nicht gewusst . Ich will heute hier nur drei gravierende
Kritikpunkte anreißen .

Erstens . Die weitgehende Regelung zur Videoüberwa-
chung stellt eine vermeintliche Sicherheit über verbriefte
Grundrechte dar und ist mithin verfassungswidrig .

Zweitens. Die Rechte betroffener Bürgerinnen und
Bürger werden eher eingeschränkt als ausgeweitet .

Drittens . Kontrollmöglichkeiten und Sanktionen bei
Verstößen gegen den Datenschutz werden unverantwort-
lich kleingeschrieben . So werden im Übrigen auch die
Rolle und die Möglichkeit der Bundesbeauftragten für
den Datenschutz und die Informationsfreiheit tatsächlich
wieder kleingemacht . Das sollte nicht unser Ziel sein .
Wir müssen sie stärken .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Datenschutzinitiativen gehen sogar davon aus, dass
dieses Gesetz vom Europäischen Gerichtshof kassiert
werden könnte . Eine solche Blamage sollte der Deutsche
Bundestag nicht sehenden Auges riskieren . Die Linke je-
denfalls tut das nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Schließlich sollte niemand davon ausgehen, dass die
Datenschutzdebatte mit der Abstimmung heute Abend
beendet ist . Wir leben in einer Zeit fortschreitender
Digitalisierung, und wir beschreiten damit, wie es die
Bundeskanzlerin Merkel einmal formulierte, tatsächlich
Neuland . Sie hat damals sehr viel Häme dafür geerntet,
allerdings nicht von mir; denn sie hat recht . Immer mehr
Daten werden erfasst, gespeichert, verarbeitet, auch per-
sönliche, übrigens nicht nur von Geheimdiensten, die
mit diesem Gesetz eine Art Freibrief erhalten, sondern
ebenso von weltumspannenden Monopolen, für die die
Datenverarbeitung sozusagen eine Art Goldrausch ist .

Das alles stellt an den Datenschutz noch viel weiter
reichende Fragen, als sie mit diesem Gesetz aufgenom-
men wurden. So habe ich die dringende Hoffnung, dass
sich der nächste Bundestag endlich dieser Herausforde-
rung annimmt . Das sei mir noch gestattet: Seitdem ich
Mitglied des Bundestages bin, reden wir über die Not-

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière






(A) (C)



(B) (D)


wendigkeit eines tatsächlichen und modernen Beschäf-
tigtendatenschutzes . Auch mit dieser Gesetzesnovelle
haben wir nicht die Chance ergriffen, nun endlich einmal
anzufangen .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1823122700

Liebe Kolleginnen und Kollegen, als nächster Redner

hat Gerold Reichenbach für die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Gerold Reichenbach (SPD):
Rede ID: ID1823122800

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Liebe Zuhörer und Zuschauer auf der Tribüne!
Wir haben fast alle ein Smartphone in der Tasche . Viele
Haushalte haben inzwischen Geräte, die mit dem Internet
verbunden sind und die Kamerafunktionen und Mikro-
fonfunktionen haben . Überall dort fallen massenweise
Daten an: über uns als Person, über unser Verhalten .
Wir gehen im Internet einkaufen . Wir nutzen elektroni-
sche Medien, um unseren Alltag zu organisieren . Überall
fallen Daten an, die unser ganz persönliches Verhalten
widerspiegeln .

In Zukunft werden wir intelligente fahrende Autos ha-
ben . Hinzu kommt das sogenannte Smart Home: Häuser,
die technisch, elektronisch gesteuert werden, die sozusa-
gen schon im Voraus wissen, wann wir unsere Heizung
anschalten wollen oder wann das Garagentor geöffnet
werden soll . Für all das braucht man Daten, in denen un-
ser ganz persönliches Verhalten abgebildet ist . Deswegen
ist es richtig und wichtig – das hat der Innenminister in
seiner Rede deutlich gemacht –, dass wir diese Daten, die
Aussagen über uns beinhalten, schützen, dass nur der-
jenige Kontrolle über diese Daten hat und sie freigeben
darf, über den sie teilweise intimste Details enthalten .
Darum geht es beim Datenschutz .

Wir haben in Deutschland durchaus ein gutes Daten-
schutzrecht . Aber in der digitalen Welt werden solche
Dienste länderübergreifend angeboten . Herr Minister hat
es angesprochen: Unser Datenschutz war oft nicht durch-
setzbar, weil die Unternehmen, die uns ihre Dienste hier
in Deutschland anboten, häufig in einem Land ansässig
waren, in dem die Kontrolle oder die rechtlichen Anfor-
derungen geringer waren .

Das ist ein Zustand, der für uns als Bürger – übrigens
auch im Hinblick auf das Vertrauen in die weitere Digi-
talisierung, das Vertrauen in moderne Technik, die Daten
kreiert – unhaltbar ist . Denn die Akzeptanz für moderne
Technik hängt auch von Vertrauen ab . Und das Vertrauen
wiederum hängt davon ab, ob ich sicher sein kann, dass
am Ende mit dem, was andere über mich wissen, kein
Missbrauch gegen mich betrieben wird . Darum geht es,
wenn wir über Datenschutz reden . Wir reden hier nicht
über die Daten, die auch Teil der modernen digitalen Welt
und von Big Data sind und uns viele Informationen für
die Verkehrslenkung, die Forschung und anderes bieten .

Mit der Datenschutz-Grundverordnung – Herr Minis-
ter hat es angesprochen – haben wir endlich die Möglich-
keit, dies europäisch zu regeln . Das ist ein Riesenvor-

teil, weil jetzt der Verbraucher, der Bürger seine Rechte
durchsetzen kann . Es gilt das Marktortprinzip: Da, wo
Daten von europäischen Bürgern erhoben werden, gelten
einheitliche Gesetze .

Das ist auch ein Vorteil für Unternehmen, denn jetzt
gibt es Konkurrenzgleichheit: Überall in Europa werden
sie auf die gleichen rechtlichen Voraussetzungen stoßen .
Das ist auch eine Chance; denn damit haben wir erstmals
einen einheitlichen Markt . Natürlich ist es nicht sehr in-
teressant, bestimmte Dienstleistungen oder Geräte, die,
was den Persönlichkeitsschutz betrifft, datenschutz-
freundlich sind, nur für Deutschland zu entwickeln . Zu-
dem gibt es die Konkurrenz der großen Märkte in Asien
und den USA . Aber jetzt werden wir einen Markt haben,
in dem all diese Regeln gelten, und damit gibt es für Un-
ternehmen eine neue Chance .

Wir diskutieren heute die Anpassung des Bundesda-
tenschutzgesetzes an die europäische Verordnung . Mit
Verlaub: Ein Teil der Kritik, die Frau Kollegin Pau vor-
gebracht hat, scheint von einem etwas älteren Sprechzet-
tel zu stammen. Ja, es gab in der öffentlichen Debatte
durchaus die eine oder andere Kritik an der Vorlage, die
das Kabinett geliefert hat .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Lassen Sie mich vorab sagen: Es gab im Vorfeld eine
breite Auseinandersetzung und Diskussion, weil zum
Beispiel Unternehmen gesagt haben, dass sie dieses oder
jenes Geschäftsmodell gerne weiter betreiben würden .

Ich danke ausdrücklich Heiko Maas und seinem Mi-
nisterium, die sich im Vorfeld, bei der Erarbeitung des
Gesetzentwurfes, sehr stark für die Interessen der Ver-
braucher und für die Wahrung der Bürgerrechte einge-
setzt haben .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir schmelzen schon dahin!)


Trotzdem gab es eine Reihe von Punkten, bei denen wir
als SPD-Fraktion entweder der Auffassung waren, dass
sie nicht ganz mit der europäischen Verordnung in Über-
einstimmung zu bringen sind, oder bei denen wir mein-
ten, es müsse im Sinne der Verbraucher und der Nutzer
nachgebessert werden .

Es gab innerhalb der Koalition – dafür bin ich dank-
bar – eine sehr intensive Diskussion über die vorgebrach-
te Kritik, auch über das, was in den Ausschüssen und
Anhörungen an Kritik vorgebracht wurde . Wir haben in-
tensiv über das, was öffentlich zu dem Entwurf geäußert
wurde, diskutiert. Der Ausfluss dessen war eine ganze
Reihe von Änderungsanträgen, mit denen wir in der Ko-
alition – wie ich glaube, im richtigen Maß – die kriti-
schen Punkte ausgeräumt haben, aber gleichzeitig nicht
das Kind mit dem Bade ausgeschüttet haben .

Unser Ziel ist: Wir wollen die Persönlichkeitsrechte
und die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher
im digitalen Zeitalter erhalten und stärken und die Men-
schen nicht einer scheinbar unabwendbar grenzenlosen
Ausforschung preisgeben . Wir haben den Entwurf durch

Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Änderungsanträge an entscheidenden Stellen verbessert;
darüber wurde auch in der Öffentlichkeit breit diskutiert.

Im Zentrum der Kritik – es ist angesprochen worden –
stand die Wahrung der Rechte der Betroffenen. Grund-
sätzlich gilt, dass ein Betroffener darüber informiert wer-
den muss, wenn seine Daten für andere Zwecke genutzt
werden als jene, denen er zugestimmt hat . Der Regie-
rungsentwurf sah zunächst vor, dass dies nicht mehr gel-
ten soll, wenn dies für das Unternehmen mit einem un-
verhältnismäßig hohen Aufwand verbunden ist und dabei
das Interesse des Betroffenen als geringer anzusehen ist.

Das würde aber bedeuten: Wenn ein Unternehmen be-
sonders viele Daten sammelt, dann könnte es einen un-
verhältnismäßig hohen Aufwand bei der Information der
Betroffenen geltend machen. Es könnte sozusagen mit-
hilfe der Konstruktion seiner eigenen Datenverarbeitung
dem Verbraucher seine Rechte vorenthalten, indem es
sich auf diese Ausnahmeregelung beruft . Dies war nicht
so gewollt; denn nur ein Kunde, der über die Weiterwen-
dung seiner Daten informiert ist, kann dem widerspre-
chen .

Und darum haben wir die Regelung auf den Kern
begrenzt – das wurde in der Debatte zu Recht vorge-
tragen –, indem wir eine Ausnahme nur dort vorsehen,
wo sie sinnvoll ist, nämlich dann, wenn es sich bei der
Weiterverarbeitung um analoge Daten handelt . Denn es
ist nicht sinnvoll, die Regelungen bei der automatisierten
Datenverarbeitung, wo dies einfach zu bewerkstelligen
ist, zu übernehmen . Wir wollen den Bäckermeister nicht
dazu zwingen – wenn er seine Lieferantendatei dazu
nutzen will, um zum Betriebsjubiläum einzuladen –,
vorher eine Postkarte zu verschicken, auf der er ankün-
digt, dass er demnächst die Daten für die Einladung zum
Betriebsjubiläum nutzen will . Deswegen haben wir die
Ausnahme auf diesen engen Bereich der analogen Daten-
verarbeitung beschränkt, sodass am Ende die großen Da-
tenverarbeiter dieses Argument des unverhältnismäßig
hohen Aufwands eben nicht als Ausflucht heranziehen
können . Gleichzeitig werden die kleinen Unternehmer
nicht übermäßig belastet .

Das Gleiche gilt für das Recht auf Löschung . Auch
hier war ursprünglich der unverhältnismäßig große Auf-
wand als Möglichkeit für eine Ausnahme vorgesehen .
Aber auch hier gilt: Man könnte seine Datenbank ja
so gestalten, dass die Löschung der Daten einen hohen
Aufwand erfordert . Man könnte also von vornherein die
Ausnahme sozusagen hineinprogrammieren . Deswegen
haben wir die entsprechende Regelung auf den analogen
Teil beschränkt .

Der dritte Punkt beinhaltete die Ausnahme für den
Fall, dass die allgemein anerkannten Geschäftszwecke
gefährdet würden . Auch hier waren weiter gehende Inter-
pretationen möglich . Am Ende hätte man sogar die Aus-
hebelung der Betroffenenrechte per se zum Geschäfts-
zweck machen können . Das war so nicht gewollt . Daher
haben wir uns darauf beschränkt, dass die Möglichkeit
der Betrugsprävention etwa beim Versicherungsbetrug
oder die Durchsetzung eigener Rechtsansprüche nicht
behindert werden darf. Der Betroffene kann nachfragen:

Welche Daten habt ihr von mir gespeichert? Das Gleiche
gilt für das Recht auf Löschung .

Mit den vom Bundesrat angeregten Verbesserungen
und mit einigen anderen Punkten haben wir insgesamt
ein Gesetz gemacht, das im Bundesrat Zustimmung fin-
den wird .


(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!)


Wir haben dort, wo Ausnahmeregelungen möglich sind,
zum Beispiel beim Beschäftigtendatenschutz, diese zu-
nächst einmal – das hat natürlich mit der Kürze der Zeit
zu tun – dazu genutzt, die jetzigen Regelungen im Be-
stand zu erhalten . Aber meine Fraktion ist nach wie vor
der Auffassung, dass wir ein eigenes Beschäftigtendaten-
schutzgesetz brauchen .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Denn auch beim Beschäftigtendatenschutz muss man in
der Lage sein, mit den neuen Herausforderungen einer
digitalisierten Arbeitswelt zurande zu kommen . Dazu
brauchen wir die entsprechenden Anpassungen . Mit den
bestehenden Regelungen alleine werden wir die Heraus-
forderungen der Zukunft nicht meistern .

Ähnliches haben wir mit den Regelungen zum Scoring
getan, also bei der Frage, was Auskunfteien über jeman-
den speichern und weitergeben dürfen . Auch da haben
wir zunächst einmal das jetzige Verbraucherschutzniveau
in den Entwurf des Anpassungsgesetzes übertragen . Es
ist völlig unbestritten, dass der Datenschutz an dieser
Stelle eigentlich der falsche Ansatz ist, weil es nicht um
die Frage der Erhebung der Daten geht, sondern darum,
welche Daten ich für das Profiling benutzen darf. Auch
hier gilt: Wir von der SPD werden einen eigenen Gesetz-
entwurf zu diesem Bereich des Verbraucherschutzes auf
der Tagesordnung behalten .

Insgesamt ist uns – das glaube ich im Gegensatz zu
denjenigen, von denen wir hier Unkenrufe gehört ha-
ben – mit diesem Gesetzentwurf eine gute, europarechts-
konforme Regelung gelungen, mit der wir den Zukunfts-
herausforderungen beim Persönlichkeitsschutz in einer
immer weiter digitalisierten Welt gerecht werden . Ich
muss ehrlich sagen: Ich bin auch ein Stück weit stolz auf
das, was am Ende des Diskussionsprozesses herausge-
kommen ist .

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823122900

Das Wort hat der Kollege Dr . Konstantin von Notz für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Europa ist
die Zukunft unseres Landes in einer globalisierten Welt .

Gerold Reichenbach






(A) (C)



(B) (D)


Dieses Europa hat sich ein Zukunftsthema auf die Fahne
geschrieben: die Digitalisierung . Und das ist gut so .

Doch die Aufbruchstimmung ist vielfach einem Un-
behagen gewichen. Massenüberwachung, Cyberangriffe
und Datenwillkür dominieren seit Jahren die Schlagzei-
len . Die politische Großwetterlage zwischen autoritären
Herrschern wie Erdogan und Orban und einer unbere-
chenbaren Trump-Administration tut ihr Übriges zur
Verunsicherung . Dieser Verunsicherung gilt es auch hier,
im Bereich des Datenschutzes, entgegenzutreten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb war und ist es richtig, dass die EU gerade das
Thema Datenschutz als einen fundamentalen Bestandteil
einer digitalen Agenda erkannt und priorisiert hat; denn
Datenschutz ist nicht einfach ein schönes Feature, das
man haben kann oder auch nicht . Für Bürger bedeutet es
Grundrechts- und Privatsphärenschutz und für Verbrau-
cher und Wirtschaft unverzichtbaren Vertrauensschutz .
Es ist der über Jahre vernachlässigte Datenschutz, der
sich heute als der vielleicht wichtigste Vertrauensanker
der Menschen im digitalen Zeitalter herausstellt; denn der
von Ihnen oft verpönte Datenschutz ist nichts weniger als
eine Schutzgarantie des Staates gegenüber den Bürgern,
die da lautet: Wir sorgen dafür, und komme, was da wol-
le, an weiteren Modernisierungen, an Onlinegeschäften,
an vermeintlich intelligenten Services, dass deine per-
sönlichen Informationen, dass deine Daten, dass deine
Privatsphäre, dass deine Menschenwürde geschützt sind .
Das ist der Kern von Datenschutz, und das geht weit über
Symbolpolitik und Fensterreden hinaus .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei aller nachvollziehbaren Kritik an der europäi-
schen Datenschutz-Grundverordnung in Detailfragen:
Sie war richtig, und sie ist richtig . Sie ist ein Schritt auf
dem Weg, die Facebooks, Googles und Microsofts daran
zu hindern – das sehe ich genauso wie der Minister –,
uns, die Mitgliedstaaten gegeneinander auszuspielen . Ich
denke an Forum Shopping und Ähnliches . Mein Kollege
Jan Philipp Albrecht und ein wackeres EU-Parlament ha-
ben hier tatsächlich Großes geleistet .


(Dr . Thomas de Maizière [CDU/CSU]: Nicht allein!)


– Nicht alleine, aber eben auch .

Die Datenschutz-Grundverordnung überträgt zentrale
Elemente eines modernen Datenschutzes wie das hohe
Privacy by Design, Datenportabilität und einen hohen
Standard bei den Betroffenenrechten wie die Einwilli-
gung auf die europäische Ebene . Europa hat das im We-
sentlichen nicht wegen, sondern trotz der Bundesregie-
rung und trotz der Großen Koalition geschafft, Herr de
Maizière . So haben Sie natürlich in Ihrem Umsetzungs-
gesetz nichts unversucht gelassen, um diese hohen Stan-
dards zu hintertreiben . Das klang in Ihrem Eingangssta-
tement an, als Sie sagten: Die Zeit der Datensparsamkeit
ist eigentlich vorbei . – Das ist genau das Aufbohren die-

ser Grundsätze . Deswegen können wir Ihrer Vorlage hier
nicht zustimmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir lehnen nämlich den Versuch ab, die Informati-
onspflichten der Unternehmen wie auch Auskunfts- und
Löschungsrechte nach Wünschen der Wirtschaft zurück-
zuschneiden . Wir halten es für völlig inakzeptabel, dass
Kontrollen der Aufsichtsbehörden in Krankenhäusern
und Arztpraxen behindert oder unmöglich gemacht wer-
den sollen . Zusätzlich versuchen Sie tatsächlich und völ-
lig unverhohlen, die unabhängige Bundesbeauftragte für
den Datenschutz mit diesem Gesetz politisch mundtot zu
machen;


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unerhört!)


denn sie soll den Ausschüssen dieses Hohen Hauses nicht
mehr Bericht erstatten dürfen und Gebäude von deut-
schen Geheimdiensten unter Umständen zukünftig nicht
mehr betreten können . Das ist völlig inakzeptabel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kann doch ein Parlament nicht zustimmen!)


Diese Sitzungswoche ist eine Schicksalswoche für die
Bürgerrechte . Das hat der Minister vorhin auch schon
in anderen Reden gesagt . Massenhafte Sammlung von
Fluggastdaten, vollautomatisierte Geheimdienstabgriffe
von Passbildern, ein BKA-Google und Vorratsdatenspei-
cher zeigen einen Abgrund an achselzuckender Gleich-
gültigkeit, ja sogar an Grundrechtsnegierung . Das ma-
chen wir nicht mit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auf einen Punkt will ich noch hinweisen: Sie haben
uns in dieser Sitzungswoche mit Fristverkürzungen und
kurzfristigen Sachverständigenanhörungen getrollt . Ich
habe auf der Internetseite der CDU/CSU-Fraktion gese-
hen, dass heute Ihr Tag der inneren Sicherheit ist .


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Gestern! Aber jeder Tag ist ein Tag der inneren Sicherheit für die Unionsfraktion!)


– Gestern . Heute ist der Bericht darüber auf der Inter-
netseite – punktgenau . – Es ist interessant, dass die SPD
diesen Wahnsinn parlamentarisch mitmacht, diese unse-
riösen Beratungen,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Beratungen?)


die wir hier durchführen, damit die Union hier eine
Punktlandung, eine Wahlwerbeveranstaltung durchzie-
hen kann . Das geht so nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE] – Gerold Reichenbach [SPD]: Die Anhörung war vor drei Wochen!)


Sicherheit ist ein wichtiges Thema . Wir haben immer
gesagt, Herr Minister: Wir sind dabei . – Aber Sicherheit

Dr. Konstantin von Notz






(A) (C)



(B) (D)


in einem Rechtsstaat heißt eben auch Bürgerrechte . Das
können Sie nicht . Das haben Sie hier heute vielfach be-
wiesen . Deswegen werden wir nicht zustimmen .

Ganz herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Gerold Reichenbach [SPD]: Die Anhörung war vor drei Wochen! Können wir doch nichts dafür, dass du so lahm bist!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823123000

Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1823123100

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich möchte jetzt nicht so
weit gehen und behaupten, dass das Gesetz, das wir heute
verabschieden, ein Meilenstein ist .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Oh!)


Aber die europäische Datenschutz-Grundverordnung ist
mit Sicherheit ein Meilenstein .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das!)


Dieses Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsge-
setz, das wir heute verabschieden, ist die notwendige
und richtige Ausformung und Umsetzung dieser Daten-
schutz-Grundverordnung .

Herr Kollege von Notz, es ist ja gut, wenn Sie sich
weiterbilden und sich auf der Homepage der CDU/
CSU-Fraktion kundig machen .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der eine Klick war von mir!)


Ja, dort steht ein Bericht über den Tag der inneren Sicher-
heit, aber für die Unionsfraktion ist jeder Tag ein Tag der
inneren Sicherheit .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen des Abg . Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn Sie behaupten, diese Woche sei eine Schicksals-
woche für die Bürgerrechte, dann möchte ich Ihnen ent-
gegnen: Diese Woche ist eine gute Woche für die innere
Sicherheit in unserem Land .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ein schwarzer Tag für Bürgerrechte!)


Denn in dieser Woche verabschieden wir sehr viele wich-
tige und auch zeitlich drängende Gesetze,


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist Wahlkampf, Herr Mayer! Man merkt es deutlich!)


die insbesondere die innere Sicherheit in unserem Land
stärken .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie halten Fristen nicht ein!)


Bei der Datenschutz-Grundverordnung geht es
schlichtweg um die Harmonisierung des Datenschutz-
rechts in der gesamten Europäischen Union, in einem
Raum mit 500 Millionen Einwohnern, mit noch 28 Län-
dern; bald sind es leider nur noch 27 Länder . Ich möchte
klar sagen: Diese Datenschutz-Grundverordnung ist im
deutschen Interesse, und davon wird Deutschland, wer-
den die deutschen Verbraucher, aber auch die deutschen
Unternehmer profitieren. Denn – das ist für mich ein ganz
entscheidender Inhalt – mit dieser Datenschutz-Grund-
verordnung wird das Datenschutzrecht in Europa insge-
samt verbessert, und zwar in vielerlei Hinsicht . Es wird
an das schon hohe deutsche Datenschutzrechtsniveau
angepasst .

Es stimmt einfach nicht, Herr Kollege von Notz, wenn
Sie behaupten, wir hätten für Datenschutz nichts übrig
und Datenschutz wäre bei uns verpönt . Ich möchte hier
wirklich ausdrücklich betonen: Ich gehe nicht so weit, zu
behaupten, Datenschutz sei Täterschutz . Das stimmt so
nicht . Datenschutz ist aus meiner Sicht in unserer heuti-
gen Zeit, in unserem Zeitalter der Digitalisierung ein sehr,
sehr wichtiges Bürgerrecht . Deswegen tun wir gut daran,
dem Datenschutz eine große Bedeutung beizumessen .
Dies tun wir mit diesem Datenschutz-Anpassungs- und
-Umsetzungsgesetz . Deutschland ist das erste Land, das
diese Datenschutz-Grundverordnung umsetzt . Insoweit
sind wir in Europa beispielgebend . Ich habe durchaus die
Hoffnung, dass sich das eine oder andere Land an unse-
rem Umsetzungsgesetz orientieren wird .

Ich möchte auch auf die Feststellung Wert legen, dass
wir von den sich bietenden Öffnungsklauseln – es sind
insgesamt ungefähr 80 – in sehr reduzierter und sehr be-
hutsamer Weise Gebrauch machen . Wir orientieren uns
mit diesem Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungs-
gesetz sehr stark an der Datenschutz-Grundverordnung .
Wir schaffen damit auch die Voraussetzungen, dass die
Länder, aber auch der Bund in ungefähr 300 weiteren Ge-
setzen die notwendigen Änderungen werden vornehmen
können .

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen,
Inhalt dieses Gesetzentwurfes ist auch die Frage: Wer
vertritt Deutschland im Europäischen Datenschutzaus-
schuss? Ich bin der festen Überzeugung: Die Regelung,
die mit den Ländern getroffen wurde, ist eine sehr ver-
nünftige und verträgliche .

Mir ist sehr wichtig, darauf hinzuweisen, dass mit
diesem Datenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsge-
setz der Datenschutz in Deutschland nicht reduziert und
unterminiert, sondern ausgeweitet wird . Trotzdem, trotz
dieser Stärkung des Datenschutzes in Deutschland, ist
es möglich, bewährte Geschäftsmodelle in Deutschland
weiterhin zu betreiben . Es war uns als Unionsfraktion
ein wichtiges Anliegen, dass bewährte Geschäftsmodelle
im Bereich von Inkassounternehmen, von Auskunfteien,
von Direkt- und Dialogmarketing, die nach dem heutigen

Dr. Konstantin von Notz






(A) (C)



(B) (D)


Bundesdatenschutzgesetz legal betrieben werden, auch
in Zukunft betrieben werden können . Das ist der Fall .

Ich lege insbesondere aus Gründen der Rechtssicher-
heit und der Rechtsklarheit Wert auf die Feststellung –
dazu gab es nämlich immer wieder Fragen –, dass von
Verbrauchern nach dem heute geltenden Bundesdaten-
schutzgesetz abgegebene Einwilligungen fortgelten . Sie
müssen, um dies klar zu sagen, nicht erneuert werden,
wenn sie den Voraussetzungen der Datenschutz-Grund-
verordnung entsprechen . Es wäre natürlich mit erhebli-
chem bürokratischem Aufwand verbunden, wenn Millio-
nen von Verbrauchern ihre Einwilligung noch einmal neu
erteilen müssten . Dies ist aus meiner Sicht eine wichtige
klarstellende Feststellung .

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, da-
rüber hinaus möchte ich Wert auf die Feststellung legen,
dass man, was das Thema Profiling anbelangt, klar dif-
ferenzieren muss . Artikel 22 der Datenschutz-Grund-
verordnung differenziert deutlich zwischen Profiling-
maßnahmen, die eine unmittelbare, rechtlich bindende
Wirkung oder beispielsweise eine erhebliche Beeinträch-
tigung der Person zur Folge haben, und Profilingmaßnah-
men zum Zwecke der Werbung oder des Marketings, die
bei weitem nicht so beeinträchtigend sind . Von Artikel 22
der Datenschutz-Grundverordnung sind Profilingmaß-
nahmen zu Marketing- und Werbezwecken nicht umfasst .

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ein
großer Schritt nach vorne ist der parlamentarische Ände-
rungsantrag, den wir mit vorangetrieben haben und der
insbesondere dazu beiträgt – auch das ist mir wichtig –,
dass die Betroffenenrechte gestärkt werden. Sie werden
nicht reduziert, sondern deutlich gestärkt, insbesondere
im Bereich der Auskunftsrechte, der Informationspflich-
ten und der Löschungspflichten der Unternehmen. Um
es kurz auf den Punkt zu bringen: In Zukunft wird für
Facebook & Co nicht mehr die Ausrede gelten können,
dass die Information von Millionen Kunden einen unver-
hältnismäßigen Aufwand erfordert, wenn es darum geht,
zu begründen, dass man seine Kunden, die Verbraucher,
nicht informiert . Wir reduzieren die Ausnahmemöglich-
keiten ausschließlich auf die Unternehmen, deren Daten-
verarbeitung nicht automatisiert, also analog erfolgt . Ich
glaube, das ist gerade im Sinne kleiner und mittelständi-
scher Unternehmen .

Darüber hinaus stärken wir auch die Rechte der Betrof-
fenen, was die Löschungspflichten anbelangt. Es muss
der Grundsatz gelten, dass Daten auch gelöscht werden
können. Ausnahmen von diesen Löschungspflichten sind
sehr reduziert . Das war uns in den Verhandlungen ein
wichtiges Anliegen, immer verbunden mit dem Hinweis
darauf, dass bewährte Geschäftsmodelle dabei nicht zu
Fall kommen dürfen .

Durch einen parlamentarischen Änderungsantrag ver-
ändern wir die Zuständigkeit bei Bußgeldverfahren . Ich
glaube, es ist sachgerecht, dass dann, wenn Bußgelder in
Höhe von mehr als 100 000 Euro erhoben werden – das
mag nicht die Regel sein, kann aber durchaus einmal vor-
kommen, insbesondere bei großen Unternehmen wie den
genannten, also bei Facebook, Google & Co –, nicht der
einzelne Amtsrichter vor Ort zuständig ist, sondern zu-

mindest eine Kammer am Landgericht die Zuständigkeit
bekommt . Ich glaube, dass dies auch die Rechtsprechung
insgesamt stärkt .

Vor diesem Hintergrund möchte ich dringend an die
Opposition appellieren, noch einmal der Überlegung nä-
herzutreten, diesem Gesetzentwurf doch zuzustimmen .
Herr Kollege von Notz, Sie haben erwähnt, dass ein
grüner Europaabgeordneter maßgeblich an der Daten-
schutz-Grundverordnung mitgearbeitet hat . Ich habe die
leise Hoffnung, dass im Bundesrat auch grün mitregierte
Bundesländer diesem Gesetzentwurf zustimmen werden .

Ich glaube wirklich, dass wir stolz auf dieses Da-
tenschutz-Anpassungs- und -Umsetzungsgesetz sein
können und dass es den Datenschutz für Millionen von
Menschen in Deutschland – für Verbraucher, für Arbeit-
nehmer, für Arbeitgeber, für Patienten, für Studenten, für
Rentner – stärken und nicht schwächen wird . Deshalb
habe ich noch einmal die herzliche Bitte: Geben Sie Ih-
rem Herzen einen Stoß, und stimmen Sie diesem guten
und wichtigen Gesetzentwurf zu .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823123200

Ebenfalls für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kol-

lege Thomas Jarzombek das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1823123300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir re-

den heute über einen Gesetzentwurf, der nicht nur ein
Gesetzentwurf zum Schutz der Bürger oder aus dem Be-
reich der Innenpolitik ist, sondern wir reden hier auch
über aktive Wirtschaftspolitik .

Es ist fast eine Plattitüde, wenn man sagt, dass Daten
der Treibstoff für die Ökonomie 2.0 sind. Man muss ein-
fach sagen, dass in diesen Zeiten, in denen wir uns mit
globalen Unternehmen auseinandersetzen, ein nationales
Datenschutzrecht keine Perspektive bietet; denn derje-
nige, der mit seinem Start-up hier in Berlin, in Düssel-
dorf oder von mir aus auch in den Tiefen des ländlichen
Raumes beginnen möchte, braucht überall in Europa – in
allen 28 Nationen – den gleichen Rechtsrahmen . Deshalb
ist diese Datenschutz-Grundverordnung der Europäi-
schen Union eine sehr gute Entwicklung .

Wir standen vor der Herausforderung, den gesam-
ten deutschen Datenschutz komplett auf neue Beine zu
stellen, und ich bin der Regierung wirklich dankbar; das
war ein Kraftakt . Lieber Konstantin von Notz, ich sehe
es nicht als ein Problem, sondern als eine gute Lösung
an, dass wir diese Neuregelung des kompletten Daten-
schutzrechts noch vor der Bundestagswahl geschafft ha-
ben; denn die Umstellungszeiträume für die Unterneh-
men sind aufgrund all der komplexen Veränderungen,
die sich dort jetzt ergeben, sehr lang . Es kann teilweise
sogar Jahre in Anspruch nehmen, die Systeme umzupro-
grammieren, wie wir nicht zuletzt bei der Umsetzung des
IT-Sicherheitsgesetzes gesehen haben .

Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)


Deshalb haben wir auch als Fraktion die Regierung
immer wieder angesprochen und gesagt: Lasst uns das
bitte noch vor der Wahl fertigbekommen . Dafür, dass das
gelungen ist, geht mein Kompliment an den Bundesin-
nenminister und auch an die Kolleginnen und Kollegen
aus dem Innenausschuss . Das war wirklich eine große
Leistung .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bei all den Dingen, die Kollege Stephan Mayer hier
benannt hat und die zeigen, dass der Gesetzentwurf, der
hier vorgelegt wurde, wirklich gut ist, heißt das aber noch
lange nicht, dass wir mit der Diskussion über das Thema
Datenschutz und die Frage, wie wir damit umgehen, am
Ende sind . Ganz im Gegenteil: Es gibt durchaus Dinge,
bei denen wir hier in diesem Hause nicht alle einer Mei-
nung sind .

Ich habe vorhin gesagt, wie wichtig es für das Start-
up aus Düsseldorf ist, dass es mit einem einheitlichen
Rechtsrahmen in ganz Europa agieren kann . Man muss
aber feststellen, dass wir zumindest für Unternehmen
nicht einmal in ganz Deutschland den gleichen rechtssi-
cheren Standard haben; denn es macht eben schon einen
Unterschied, ob jemand mit seinem Start-up im Kreis
Pinneberg


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Super Kreis!)


oder möglicherweise in Garching bei München startet .
All das unterliegt nämlich erst einmal der Hoheit der
Landesdatenschutzbeauftragten, die Entscheidungen
treffen, die – das sieht man in der praktischen Umset-
zung – teilweise sehr stark voneinander abweichen .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Super Datenschutz in Schleswig-Holstein!)


Das ist der Grund, warum zumindest eine ganze Reihe
bei uns hier am Ende zu einheitlicheren Standards kom-
men möchte .

Nun komme ich zu der Frage, wie man das gesam-
te Thema weiterentwickelt . Es ist vorgesehen, dass die
Gruppe 29 auch Vorschläge dazu unterbreitet, wie die
Datenschutz-Grundverordnung weiterentwickelt wird .
Das Thema Datenverarbeitung sollte nicht immer nur aus
einer negativen, risikobehafteten Perspektive betrachtet
werden, sondern es muss ebenfalls Institutionen geben,
die das Thema durch eine Innovationsbrille betrachten
und feststellen, was eigentlich passieren muss, damit un-
sere Unternehmen die gleichen Chancen haben .

Im jetzigen Regime muss man zu vielen Dingen sei-
ne Zustimmung geben, und es besteht das Risiko, dass
die Zustimmungsgiganten aus Amerika trotz der Daten-
schutz-Grundverordnung am Ende die Zustimmung für
viele Dinge bekommen werden, die sie brauchen . Der-
jenige, der sich für fast 1 000 Euro ein iPhone gekauft
hat, wird bei dem Softwareupdate nach zum Beispiel drei
Monaten, bei dem er darum gebeten wird, erneut die Zu-
stimmung für bestimmte Datenverarbeitungen zu geben,
nämlich ganz sicherlich nicht sagen: Ich lehne das jetzt
ab und mache mein schickes neues Gerät unbrauchbar .

Das ist eben der Unterschied zu einem Start-up, das
sich in den Markt hineinbewegt und sich seine Reputati-
on erst noch erarbeiten muss . Hier sagen die Menschen
vielleicht: Ich musste doch schon bei Apple, bei Google
und bei Facebook zustimmen . Ohne die kann ich gefühlt
gar nicht leben . Ich musste vielleicht sogar einem Update
bei meinem Auto zustimmen . Aber jetzt reicht es, und ich
sage am Ende einfach Nein . – Diese Entwicklung müs-
sen wir genau beobachten . Da ist eine Evaluierung not-
wendig, um zu gucken, ob das, was wir hier machen, am
Ende unseren Unternehmen hilft, sich gegen die großen
amerikanischen Unternehmen zu behaupten .

Der letzte Punkt ist – ich hoffe, dass uns das gelingt –,
dass wir das vorhandene Recht tatsächlich durchsetzen .
Ich darf sagen: Die Amerikaner haben eindrucksvoll
deutlich gemacht, wie sie gegenüber deutschen Automo-
bilherstellern ihr Recht mit immensen Schadenersatzzah-
lungen durchsetzen . Ich glaube, es ist an der Zeit, dass
auch wir eindrucksvoll deutlich machen, wie wir unser
Datenschutzrecht gegenüber amerikanischen Unterneh-
men durchsetzen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823123400

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Anpassung des Datenschutzrechts an die Verord-
nung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie

(EU) 2016/680. Der Innenausschuss empfiehlt unter

Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf den Druck-
sachen 18/12084 und 18/12144, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11325 und
18/11655 in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bit-
te diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen an-
genommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen .

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/12132 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der CDU/CSU und der SPD gegen die Stimmen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die
Linke abgelehnt .

Thomas Jarzombek






(A) (C)



(B) (D)


Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 11 b und set-
zen die Abstimmung zu der Beschlussempfehlung des
Innenausschusses auf den Drucksachen 18/12084 und
18/12144 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchsta-
be b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des An-
trags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11401
mit dem Titel „Datenschutzrechte der Bürgerinnen und
Bürger stärken“ . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Jürgen
Trittin, Dr . Frithjof Schmidt, Oliver Krischer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Schlüssel für eine globale, ökologische und ge-
rechte Energieaußenpolitik

Drucksachen 18/10147, 18/11694

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen . – Ich bitte,
die notwendigen Umgruppierungen zügig vorzunehmen .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823123500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bundes-

präsident Frank-Walter Steinmeier hat als Außenminister
einmal gesagt, Energieaußenpolitik sei ein langes Wort .
Aber es ist auch ein wichtiges Anliegen .

Wenn wir die Antworten auf unsere Große Anfrage
zusammenfassen, kann man eigentlich nur feststellen:
Die Große Koalition kann keine Energieaußenpolitik . Sie
können nur fossile Außenwirtschaftspolitik .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Angeblich streitet
die Kanzlerin für die Dekarbonisierung der Weltwirt-
schaft bis 2050 . Angeblich fühlen Sie sich den Klima-
schutzvorgaben von Paris verpflichtet. Was heißt das?
Das heißt, dass vier Fünftel – wahrscheinlich mehr – der
heute bekannten Vorräte an Kohle, Öl und Gas unter der
Erde bleiben müssen .

Und was machen Sie? Seit 2009 hat die Bundesregie-
rung unter Führung von Frau Merkel 19 Milliarden Euro
für Exportgarantien für fossile Projekte ausgegeben . Das
sind drei Viertel der Exportgarantien im Bereich der
Energie .

Noch schlimmer ist es bei den Investitionsgarantien .
Bei den Investitionsgarantien gingen 96 Prozent an fos-
sile Projekte . Allein Ägypten hat 4 Milliarden Euro be-
kommen .

Sie, meine Damen und Herren, fördern aktiv die Kli-
maerhitzung . Mir kommt das ziemlich trumpig vor .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie erzählen in Broschüren des Auswärtigen Amts,
die Energiewende in Deutschland sei ein Vorbild für die
Welt . Aber das war einmal . Sie sind im Inland, was die
Energiewende angeht, mit Sonnensteuer, Ausbaudeckel
und ganz viel Bürokratie mittlerweile voll auf der Brem-
se . Das hat uns über 40 000 Arbeitsplätze in Deutschland
gekostet . Es sind heute China und Indien, die vormachen,
wie man Klimaschutzziele und vertragliche Verpflichtun-
gen einhält, die diese Koalition für 2020 nicht einhalten
wird und wahrscheinlich auch 2030 nicht, wenn Sie denn
weiterregieren würden, aber da habe ich meine Zweifel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit dieser Politik schaffen Sie aber auch neue Abhän-
gigkeiten . Sie erzählen uns beispielsweise, Nord Stre-
am 2 sei ein rein unternehmerisches Projekt .


(Zuruf von der CDU/CSU: Ja, ist es auch!)


Sie erzählen uns auch, der südliche Korridor sei ein rein
unternehmerisches Projekt. Ich finde es sehr spannend,
Gazprom als reines Unternehmen zu betrachten, aber
wenn Sie das so sehen, Herr Kollege, bitte .

Aber sehen wir uns einmal den südlichen Korridor an .
Was ist daran rein unternehmerisch? Es gibt 500 Millio-
nen Anträge auf Millionen Exportgarantien . Es gibt einen
Antrag auf einen 2-Milliarden-Euro-Kredit bei der Euro-
päischen Investitionsbank . Und wer soll all dieses Geld
bekommen?

Das Gasfeld wird von Lukoil erschlossen . Das ist ein
russischer Konzern . Die Pipeline läuft durch Aserbaid-
schan und finanziert die korrupte Autokratie von Alijew.
Anschließend verläuft die Pipeline 2 000 Kilometer lang
durch die Türkei von Erdogan .

Mit anderen Worten: Sie machen sich mit Ihrer Ener-
giepolitik von Erdogan, Alijew und Putins Oligarchen
abhängig . Ich sage Ihnen: Energieunabhängigkeit bzw .
Energieversorgungssicherheit geht nicht so; sie geht ganz
anders .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie geht übrigens auch nicht, wenn Sie als Ergänzung
dazu sagen: Wir importieren ganz viel Flüssiggas aus
dem Fracking der USA, aus Katar oder anderswoher und
landen das dann in Swinoujscie an .

Ich will Ihnen sagen, wie es geht: Würden wir in
Deutschland 3 Prozent unseres Gebäudebestandes jedes
Jahr energetisch wärmedämmen, dann würden wir nicht
nur Zehntausende von Arbeitsplätzen im Handwerk si-
chern, sondern wir würden bis 2030 so viel Gas einspa-
ren, wie wir jetzt jährlich aus Russland importieren . So
geht Energieversorgungssicherheit, und so geht Energie-
außenpolitik: mit Erneuerbaren, Effizienz und Energie-
einsparung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823123600

Der Kollege Jens Koeppen hat für die CDU/CSU-Frak-

tion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jens Koeppen (CDU):
Rede ID: ID1823123700

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! „Energieaußenpolitik ist mehr als Ener-
giepolitik .“ Kollege Trittin, das sind die ersten Worte in
der Vorbemerkung Ihrer umfangreichen Großen Anfra-
ge mit fast 180 Fragen . Und da gebe ich Ihnen unein-
geschränkt recht, weil es schlicht und ergreifend so ist .
Energieaußenpolitik ist natürlich auch Sicherheitspolitik
und Klimapolitik, wie Sie schreiben . Das ist völlig klar .

Ihre Schlussfolgerung allerdings erscheint mir im Hin-
blick auf unsere eigene Energieversorgung und Energie-
wende ein wenig ungeeignet, vielleicht sogar kontrapro-
duktiv . Darauf will ich mich auch beziehen, nämlich auf
die Hausaufgaben, die wir im Inland zu machen haben .
Denn Außenpolitik steht in unmittelbarer Kohärenz mit
der nationalen Energiepolitik . Wenn wir hier im Lande
die Akzeptanz für unsere Energiewende verlieren, haben
wir global gesehen ganz schlechte Karten .


(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)


Energieaußenpolitik ist auch mehr als nur reine Kli-
mapolitik, wie Sie es gerade beschrieben haben . Es darf
daraus auch keine Glaubensfrage gemacht werden . Ener-
giepolitik ist selbst mehr als der bloße Zubau von Erneu-
erbare-Energie-Anlagen ohne die Abnahmemöglichkeit
und ohne die Nutzbarkeit . Es darf bei unserer Energiepo-
litik und bei unserer Energiewende keinen Aktionismus
geben .

Ihre Fragestellungen und Ihre Debattenbeiträge – auch
der Beitrag eben – machen sehr deutlich, dass das ener-
giepolitische Zieldreieck, das wir uns gemeinsam gesetzt
haben, von Ihnen nicht mehr verinnerlicht wird .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt doch keinen Aktionismus!)


Ich darf das noch einmal in Erinnerung rufen . Da ist
zum einen die Versorgungssicherheit – Sie haben sie
angesprochen; sie kommt mir aber zu kurz –, da ist die
Bezahlbarkeit, und da ist natürlich die saubere Energie-
versorgung . Wir haben immer gesagt, dass es sich um
ein gleichschenkliges Dreieck handelt . Es ist also alles
gleichwertig .

Dieses Zieldreieck wird leider zunehmend rein „kli-
mapolitischen Anstrengungen“ – in Anführungsstri-
chen – geopfert . Sie schreiben nämlich in Ihren Vorbe-
merkungen – ich darf zitieren –:

Energiesicherheit wird es … auf Dauer nur geben,
wenn es gelingt, die Klimakrise aufzuhalten und
den Klimawandel zu begrenzen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE] – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)


Das ist natürlich richtig . Da könnte jeder von uns auch
klatschen . Aber Sie ordnen alle anderen energiepoliti-
schen Ziele, die es auch noch gibt – ich habe sie ja er-
wähnt –, dem Klimaschutz unter . Eine solche einseitige
Energiepolitik hat keine Chance auf Erfolg,


(Beifall bei der CDU/CSU)


findet keine Mehrheit in der Bevölkerung und führt in
eine Sackgasse . Das muss man ganz deutlich sagen .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben ja den Pariser Vertrag auch unterschrieben!)


Eine abgestimmte Energieaußenpolitik ist enorm
wichtig . Energie muss für alle Menschen in Zukunft ver-
fügbar sein und muss bezahlbar sein .


(Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Richtig! – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Für alle!)


Energie, Wärme, Strom dürfen niemals zu einem Luxus-
artikel werden .


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer blockiert denn die Mieterstrommodelle? Sie doch!)


Dazu gehört aber auch, anzuerkennen, dass unter-
schiedliche nationale Energiemixe mit einer gemeinsa-
men europäischen Energieaußenpolitik vereinbar sind .
Wir brauchen so viel Europa wie nötig und nicht so viel
Europa wie möglich .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gemeinsame Ziele kann man gerade hier auch mit
national unterschiedlichen Energiemixen und Wegen er-
reichen . So viel Akzeptanz müssen wir auch mitbringen .
Wir können doch nicht unseren europäischen Nachbarn
entsprechende Vorschriften machen und zum Beispiel
den polnischen Nachbarn sagen, sie dürften ihre Kohle
nicht nutzen . Wir dürfen doch den französischen Nach-
barn nicht sagen: Wir verordnen euch jetzt den Atomaus-
stieg .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die haben doch alle in Paris unterschrieben, oder?)


Damit werden wir scheitern und letztendlich gar nichts
erreichen . Dann werden mehr und mehr Menschen auf-
grund der Bevormundung vielleicht sogar Europa verlas-
sen wollen . Das müssen wir verhindern .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wer bevormundet denn?)


Wenn Deutschland Motor einer weltweiten Energie-
wende oder auch Motor für den Ausbau der erneuerbaren
Energien sein will, dann müssen wir selbst erfolgreich
sein . Wir müssen den anderen zeigen, wie es funktioniert .
Und hier müssen wir uns ehrlich machen .






(A) (C)



(B) (D)


Lieber Kollege Trittin, was wir gegenwärtig in dem
Bereich tun, ist wenig stimmig . Es ist zu teuer und vor
allen Dingen auch umweltpolitisch sehr fragwürdig .


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, da haben Sie recht!)


– Ja, selbstverständlich . Mit „wir“ meine ich aber uns
alle und das, was wir in Deutschland in der gesamten Ge-
sellschaft machen .


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie regieren doch! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind ja ein Spaßvogel! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Erkenntnis ist der erste Weg zur Besserung!)


Lieber Kollege Trittin, ich erinnere an unser Stromein-
speisungsgesetz . Das haben Sie auch mitgetragen . Aber
die Stimmigkeit fehlt mir . Es geht doch gar nicht darum,
wer jetzt für die Politik zuständig ist .


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Doch!)


Es geht darum, was wir letztendlich in der Gesellschaft
daraus machen .


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss schon wissen, wer regiert! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie nur so weiter!)


Allein für die Stromwende – jetzt kommen wir ein-
mal zu den Fakten – zahlen die Verbraucher und Un-
ternehmen in Deutschland über 30 Milliarden Euro im
Jahr . Hinzu kommen die Netzentgelte sowie die Kosten
durch Zubau und Redispatch . Ich befürchte, lieber Kol-
lege Trittin, dass allein dieser Kostenblock viele Länder
von einer europäischen Energiewende abhält, ganz zu
schweigen von einer globalen .


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was machen die Chinesen und die Inder?)


Die Energiewende verliert zudem massiv an Rückhalt in
der Bevölkerung . Der Ausbau der erneuerbaren Energien
kann aber nur zusammen mit der Bevölkerung gelingen .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 80 Prozent Zustimmung!)


Ich will Ihnen ein paar schlechte Beispiele aus Bran-
denburg nennen .


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist doch der Volksentscheid gescheitert, oder?)


Die Windeignungsgebiete werden in Brandenburg, aber
auch anderswo gesetzlich durchgedrückt . Sie werden re-
gelrecht durch die regionalen Planungsgemeinschaften
gepeitscht .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sitzen die Bürgermeister drin! Sprechen Sie denen nicht die Legitimität ab!)


Eine Dorfgemeinschaft nach der anderen wird in Oppo-
sition zur Energiewende gebracht. Geringe Abstandsflä-
chen zur Wohnbebauung sind inakzeptabel .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 1 000 Meter!)


Stellen Sie sich vor: Eine Windenergieanlage mit einer
Nabenhöhe von 230 Metern


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir nicht!)


kommt in der Uckermark auf bis zu 800 Meter an die
Wohnbebauung heran, bei Zielabweichungsverfahren so-
gar auf bis zu 500 Meter .


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Unsinn!)


Erklären Sie das den Betreffenden einmal! Ich lade Sie
ein, ein Haus zu betreten, das neben einer Windenergie-
anlage mit einer Nabenhöhe von 230 Metern steht . Selbst
wenn Sie Türen und Fenster schließen, werden Sie den
Infraschall und die Lärmbelästigung nicht leugnen kön-
nen .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Infraschall! Können Sie den einmal erklären!)


Sie müssen die Ängste und Sorgen der Menschen ernst
nehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Akzeptanz geht verloren . Aber die Energiepolitik be-
nötigt Akzeptanz . Zudem werden die Netzentgelte nicht
bundesweit umgelegt .

Nun kommt der größte Treppenwitz: Windkraftanla-
gen werden in den Wald gestellt .


(Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Wälder werden abgeholzt! Auch in Thüringen!)


Der größte CO2-Speicher ist nun einmal der Wald . Um
eine energiearme Versorgung zu gewährleisten, wollen
wir nun den Wald hektarweise abholzen . Das ist absolut
unlogisch .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kennen Sie den Unterschied zwischen Wald und Plantage?)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823123800

Kollege Koeppen, Sie haben nicht bemerkt, dass ich

gerade die Uhr angehalten habe . Sobald ich überwiegend
das Wort habe, stelle ich Ihnen die Frage, ob Sie eine
Bemerkung oder eine Zwischenfrage aus der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen zulassen?

Jens Koeppen






(A) (C)



(B) (D)



Jens Koeppen (CDU):
Rede ID: ID1823123900

Ich erwarte nicht sehr viel Erkenntniszugewinn . Des-

wegen lassen wir das lieber .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollten Sie doch fragen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823124000

Entschuldigung, gilt das auch für die Frage der Kol-

legin Eva Bulling-Schröter, die sich ebenfalls zu einer
Zwischenfrage meldet?


Jens Koeppen (CDU):
Rede ID: ID1823124100

Ja . – Anlagen werden wegen fehlender Leitungen ab-

geschaltet .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mikro abschalten wäre viel besser!)


Die Windmüller bekommen trotzdem ihren Anteil aus-
gezahlt . Das ist gut für Investoren, aber nicht gut für die
Energiewende; denn sie verliert an Akzeptanz .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind also gegen die Energiewende? – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben die in Brandenburg nicht Probleme mit der Braunkohle?)


Es dürfte nur der Strom vergütet werden, der letztend-
lich durch den Zähler fließt. Wenn das nicht der Fall ist,
dann haben wir keine Chance, neue Innovationen, Spei-
chertechnologien und bedarfsgerechte Angebote zu fin-
den . Dann laufen wir mit unserem jetzigen Know-how
unter der hohen Messlatte hindurch .

Nun kommt ein letzter Aspekt, der sehr wichtig ist und
den Sie bereits angesprochen haben, Herr Trittin .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sind wir gespannt! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf den Erkenntniszugewinn bin ich gespannt!)


Die Abhängigkeit von Energieimporten müssen wir
senken . Dazu gehört auch eine ehrliche Energieaußenpo-
litik . Daher ist es notwendig – das sage ich ganz deut-
lich –, unsere heimischen Ressourcen sinnvoll und so
sauber wie möglich zu nutzen .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Braunkohle, ja?)


– Selbstverständlich die Braunkohle .


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die reicht nur bis 2020! Dann ist Feierabend!)


Es ist absolut scheinheilig, die heimische Braunkohle zu
verteufeln und dann über eine Energieaußenpolitik zu
philosophieren .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil dadurch Dörfer abgebaggert werden!)


Wenn wir auf die heimischen Energieträger verzich-
ten, steigt unsere Abhängigkeit, und zwar von fossilen

Energieträgern . Das ist unredlich und verschiebt nur
das Unliebsame ins Ausland . Wir sind sauber, und die
Dreckspatzen sitzen woanders . Wir müssen vielmehr auf
Prozesse und Techniken setzen, die die Kohleverstro-
mung sauberer und umweltverträglicher machen . Wir
können zurzeit nicht auf die heimischen Ressourcen ver-
zichten, da sie zu einer bezahlbaren und sicheren Ener-
gieversorgung beitragen .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit dem Wald, der dafür weggebaggert wird?)


In diesem Sinne plädiere ich an das Umweltministeri-
um, im Rahmen des sogenannten Best-Prozesses in Brüs-
sel – das sind die Verhandlungen über die bestverfügbare
Technik – nichts auszudealen . Das führt möglicherweise
zu mehr Ausstoßmöglichkeiten und einem vermeintlich
freiwilligen Ausstieg aus der Braunkohle bis 2030 .


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist schon 2020 Schluss!)


Das ist energiepolitisch nicht darstellbar . Wir können bis
zum Jahre 2030 aus der Kohle nicht aussteigen, und zwar
aus Gründen der Energieaußenpolitik und aufgrund der
Herausforderungen, die wir bei den erneuerbaren Energi-
en bezüglich der Kosten, der Verfügbarkeit, der Schwan-
kungen, der Akzeptanz, der Versorgungssicherheit, der
Grundversorgung und des Lastmanagements haben .

Lassen Sie uns Ihren komplexen Fragenkatalog also
dazu nutzen, um eine moderne Energieversorgung im
Kontext des Zieldreiecks und eine faire, realistische und
ideologiefreie Energieaußenpolitik zu gestalten . Dazu
haben Sie die herzliche Einladung .


(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823124200

Kollegin Bulling-Schröter, ich bitte Sie einen Moment

um Geduld .


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Warum?)


– Es gibt die Anmeldung von zwei Kurzinterventionen .

Als Erster hat der Kollege Harald Petzold das Wort .


Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823124300

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Ich will es ganz

kurz machen . Zum Ersten will ich hier feststellen, dass
die Aussagen des Kollegen Koeppen, was den Ausbau
der erneuerbaren Energien, vor allem der Windenergie,
in Brandenburg anbelangt, nicht den Tatsachen entspre-
chen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich finde es unredlich, dass er keine Zwischenfrage zu-
lässt, damit man das wenigstens richtigstellen kann .






(A) (C)



(B) (D)


Zum Zweiten möchte ich feststellen, dass die Akzep-
tanzprobleme, was die Energiewende anbelangt, zumin-
dest im Land Brandenburg damit zu tun haben, dass es
eine übergebührliche Belastung vor allen Dingen der ost-
deutschen Bundesländer durch die Stromeinspeisungsge-
bühren gibt, die abzubauen die CDU/CSU nicht bereit ist
und die dazu führen, dass die Menschen in Ostdeutsch-
land höhere Stromgebühren zu bezahlen haben . Der Kol-
lege sollte sich an die eigene Nase fassen, wenn er hier
solche Thesen zur Akzeptanz der Energiewende in den
Raum stellt .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Jens Koeppen (CDU):
Rede ID: ID1823124400

Kollege Petzold, das, was in Brandenburg passiert,

habe ich Ihnen gesagt . Ich selbst arbeite in der Regiona-
len Planungsgemeinschaft Uckermark-Barnim mit . Das,
was ich Ihnen gesagt habe, sind alles Tatsachen . Wind-
energieanlagen von 230 Metern Nabenhöhe kommen bis
500 Meter durch Repoweringanlagen an die Bebauung
heran . Sie können gerne kommen, ich lade Sie ein . Sie
müssen sich einfach vor Ort informieren .


(Zuruf von der LINKEN)


Das Zweite ist: 800-Meter-Anlagen sind gang und
gäbe . Durch ein Zielabweichungsverfahren ist es sogar
möglich, bis zu 500 Meter an die Bebauung heranzukom-
men . Jetzt stellen Sie sich einmal diese Anlagen vor . Das
ist das Problem . Das machen die Leute nicht mit . Die
1 000 Meter Abstand haben alle mitgetragen, aber jetzt
durch Repowering so nahe heranzukommen, ist nicht
möglich .

Ein Wort zu der bundeseinheitlichen Umlage der
Netzentgelte . Soweit ich mich erinnern kann, hatten wir
das im November vergangenen Jahres mit den Minister-
präsidenten alles wasserdicht gemacht . Dann hat sich der
Kollege Gabriel, damals in der Funktion des Wirtschafts-
ministers, mit Frau Kollegin Kraft getroffen, der Minis-
terpräsidentin von NRW .


(Ulrich Freese [SPD]: Denken Sie an den Brief von Brauksiepe!)


Die Kollegin Kraft hat gesagt, dass sie eine Wahl zu be-
stehen habe und der Wirtschaftsminister darauf hinwir-
ken möge, dass das Versprechen, endlich eine bundes-
einheitliche Umlage der Netzentgelte einzuführen, nicht
eingelöst wird, jedenfalls nicht bevor die NRW-Wahl ge-
laufen ist . Das hat er auch in vorauseilendem Gehorsam
gemacht . Das war seine letzte Amtshandlung . Die war
sehr schlecht .

Wir sind seit über 15 Jahren dafür – da können Sie
die Beschlüsse der ostdeutschen Landesgruppen nach-
lesen –, eine bundeseinheitliche, gerechte, faire Umlage
der Netzentgelte zu erreichen .


(Ulrich Freese [SPD]: Lesen Sie Ihre eigenen Bundestagsreden nach! Nicht so viel Unwahrheit!)


Das ist leider wegen der NRW-Wahl nicht gelungen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dagmar Ziegler [SPD]: Der Brauksiepe gehört aber Ihrer Fraktion an!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823124500

Zu einer weiteren und letzten Kurzintervention an die-

ser Stelle hat die Kollegin Annalena Baerbock das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Brandenburg hat viele Abgeordnete . Die sind alle an
der Energieaußenpolitik interessiert: global denken, lo-
kal handeln . Aber mir geht es ähnlich wie Herrn Petzold .
Wir wollen unser Bundesland hier nicht so darstellen,
als würden dort nur Gegner der Windkraft wohnen . Ich
möchte deswegen klarstellen, dass es ein Volksbegehren
gegen Windkraft in Brandenburg gab, bei dem die Un-
terschriften das Quorum bei weitem unterschritten ha-
ben . Das Bild, das Sie hier gezeichnet haben, ist mehr
als falsch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Dasselbe gilt für die Darstellung der Kohle in Bran-
denburg . Wenn Sie die Hektar Wald, die Sie hier an-
gesprochen haben – dabei muss man sagen, dass es in
Brandenburg vor allen Dingen Kiefernforst gibt –


(Volkmar Vogel [Kleinsaara] [CDU/CSU]: Ist das was Schlimmes?)


und die für die Errichtung von Windkraftanlagen abge-
holzt werden, mit denen vergleichen, die für die Kohle-
verstromung in der Lausitz abgebaggert werden, dann
sehen Sie, dass da eine Riesendiskrepanz klafft. Das jetzt
hier so darzustellen, als würden Windkraftanlagen die
Heimat in Brandenburg zerstören, ist absolut falsch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg . Ulrich Freese [SPD])


– Natürlich werden einzelne Bäume auch wegen Wind-
kraftanlagen abgeholzt . Herr Freese, Sie können sich in
dieser Debatte gern zu Wort melden .

Da Sie den Menschen hier dargelegt haben, wie lange
die Kohle noch reicht, möchte ich noch einmal darauf
hinweisen, dass es nicht die Grünen waren, die vor kur-
zem eine Entscheidung für die Lausitz getroffen haben,
sondern das Energieunternehmen LEAG; Herr Freese
kann auch dazu gleich vielleicht noch etwas sagen . Die-
ses Unternehmen hat selbst festgestellt, dass man auf
weitere Tagebaue in Brandenburg verzichten wird . Wenn
Sie jetzt mit der Energiewende Schluss machen wollen,
frage ich Sie, wie Sie die Energiesicherheit, von der Sie
hier immer gesprochen haben, weiter gewährleisten wol-
len .

Dann noch eine abschließende Anmerkung – schließ-
lich haben wir hier über Energieaußenpolitik gesprochen;
zu der außenpolitischen Dimension haben Sie herzlich

Harald Petzold (Havelland)







(A) (C)



(B) (D)


wenig gesagt –: Wir reden hier auch über Nord Stream 2 .
Vom Kollegen Ramsauer habe ich gehört, dass der ganze
Bundestag das Vorhaben unterstütze . Ich stelle das zwar
sehr infrage, aber sei’s drum .

Diese Pipeline soll deutschen Boden bekanntlich in
Mecklenburg-Vorpommern erreichen . In der Folge soll
sie durch Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und
Sachsen weitergeführt werden; nach Tschechien führt
die EUGAL . Mich würde einmal sehr interessieren, wie
Sie als Brandenburger Abgeordneter dazu stehen, kilo-
meterweite Flurstücke neuaufzureißen, um da eine neue
Leitung zu legen, die über die nächsten Jahrzehnte dort
liegen würde . Das wäre fossile Abhängigkeit . Das bedeu-
tete weitere Zerstörung und Abhängigkeit von Russland
für die nächsten Jahrzehnte . Das hätte nichts mit Versor-
gungssicherheit in Deutschland zu tun .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823124600

Der Kollege Koeppen hat das Wort zur Erwiderung .


Jens Koeppen (CDU):
Rede ID: ID1823124700

Ich glaube, dass Sie die Gasverfechter sind . Es steht ja

auch in Ihren Fragestellungen, dass Sie letztendlich die
Gasleitungen wollen .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir bauen Nord Stream?)


– Sie bauen nicht Nord Stream; aber Sie wollen das Gas
haben . Es gibt noch kein Wireless für Gas . Da müssen
Sie schon aufpassen .

Ich will auf das Land Brandenburg zurückkommen .
Sie müssen auch einmal dem einen oder anderen Abge-
ordneten, der nicht aus Ihrer Fraktion kommt, zuhören .
Niemand, aber auch niemand hat gesagt, dass irgendeiner
in diesem Hause gegen die Energiewende ist .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie!)


– Nein . Deswegen sage ich ja: Wer zuhört, ist klar im
Vorteil .

Ich habe gesagt: Wir werden die Akzeptanz für die
Energiewende verlieren, wenn wir die Energiewende
ideologisch so weiterbetreiben, dass es keine Möglich-
keit gibt – weder durch Netze noch durch andere Din-
ge –, dass wir zubauen, sodass der Strom letztendlich
genutzt werden kann .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann bauen Sie doch Netze aus!)


Das ist in Brandenburg der Fall . Die Uckermark-Lei-
tung kann nun einmal nicht gebaut werden, weil ihr
Bau beklagt wurde . Jetzt sind in unserem Planungsge-
biet 750 Windkraftanlagen – mittlerweile sind es schon
mehr – vorgesehen, aber nur die Hälfte davon steht . Die
Windmüller werden trotzdem bezahlt . Was ist denn das
für eine Logik? Diese Frage will ich stellen . Es hat doch
keiner etwas gegen die Energiewende, wir haben nur et-
was dagegen, wie die Energiewende durchgeführt wird .
Das ist nicht stimmig; das geht so nicht .

Noch etwas zu den Anlagen im Wald; schließlich set-
zen Sie sich so dafür ein . Es ist der größte Treppenwitz
der Geschichte der Energiewende, dass man den größ-
ten Energiespeicher dafür opfert, dass eine energiearme
Energieversorgung von dort aus geleistet werden soll .
Das können Sie niemandem erklären . Ich kann das nicht
erklären, und ich werde es auch niemandem erklären .
Windenergieanlagen haben im Wald nichts, aber auch
gar nichts zu suchen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was war jetzt mit Energieaußenpolitik Nord Stream? Da haben Sie nichts zu gesagt!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823124800

Wir fahren in der Debatte fort . Das Wort hat nun die

Kollegin Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Lin-
ke .


(Beifall bei der LINKEN – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kommt auch aus einem Freistaat!)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823124900

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Energieau-

ßenpolitik geht es nicht etwa um Energydrinks; es geht
um Erdöl, um Gas und um Erneuerbare, also um die
Art und Weise, wie wir außerhalb unserer Grenzen den
Grundstoff organisieren, der unseren Wohlstand am Lau-
fen hält: Energie . Darum ist es gut, dass wir heute über
Außenpolitik und Energie sprechen . Energieaußenpolitik
bearbeitet nicht nur die Frage, ob Erdgas aus Russland
preisgünstig und verlässlich ankommt, nicht nur die Fra-
ge, wie wir als Industrieland ohne Rohstoffe immer neue
Lieferanten finden, und nicht nur die Frage, ob sich die
Exportwirtschaft beim Boom der Erneuerbaren ein Stück
vom Kuchen sichert .

Wir Linken sagen immer wieder: Es geht bei Ener-
gieaußenpolitik um Gerechtigkeitsfragen . Wie wird der
Energiereichtum dieser Welt verteilt? Es geht um poli-
tische Einflussnahme. Es geht um Macht, um Kontrolle
über Rohstoffe und Handelswege. Es geht um Pipelines
und Marktanteile . Es geht bei Energie immer auch um
Krieg und Frieden. Deswegen finden wir eure Anfrage
auch so gut, wobei sich die Bundesregierung in ihren
Antworten um klare Worte drückt .

Damit dieser Staat an billiges Erdöl für deutsche Autos
und Fabriken sowie an billiges Gas für unsere Heizungen
kommt, machen sich deutsche Konzerne und die Bundes-
wehr in vielen Teilen dieser Erde die Hände schmutzig .
Allein unter Deutschlands 15 wichtigsten Erdöllieferlän-
dern sind 10 Staaten, in denen entweder Kriege oder ein
undemokratisches Regime herrschen . Die Liste liegt uns
vor, liebe Kolleginnen und Kollegen: Nigeria auf Platz 4:
Krieg und Terror; Kasachstan auf Platz 5: keine Opposi-
tion; Aserbaidschan auf Platz 6: Folter und Korruption;


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gehört auch Venezuela zu!)


Ägypten auf Platz 8: Putschisten; Libyen auf Platz 9:
Bürgerkrieg; Irak auf Platz 10: Chaos und IS; Saudi-Ara-

Annalena Baerbock






(A) (C)



(B) (D)


bien auf Platz 11: Bombenkrieg im Jemen, Demokratie
gleich null – um nur einige zu nennen .

In der Anfrage ist mir diese Beschaffungskriminalität
bei Energierohstoffen ein wenig zu kurz gekommen.


(Beifall bei der LINKEN)


Deutschland ist eben leider kein Land der friedlichen
Saubermänner und Sauberfrauen .

Ein Blick in die Verteidigungspolitischen Richtlinien
reicht, um zu verstehen, dass die Bundesregierung auch
heute, 2017, bereit ist, für Energie zur Waffe zu greifen
und Regime zu unterstützen . Deutsches Sicherheitsinte-
resse sei es – jetzt zitiere ich –, „einen freien und unge-
hinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Ho-
hen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen“ .
Die Verknappung oder Engpässe bei der Versorgung
mit natürlichen Ressourcen und Rohstoffen werden als
Bedrohung ausgemacht . Wie in alten Zeiten verteidigt
Deutschland seine Energieversorgung nach vorne . Weil
die „Erschließung, Sicherung von und der Zugang zu Bo-
denschätzen, Vertriebswegen und Märkten weltweit neu
geordnet“ wird, so das Verteidigungsministerium, „wer-
den Transport- und Energiesicherheit … künftig auch für
unsere Sicherheit eine wachsende Rolle spielen“ . – Das
war alles Zitat . Für Energie rückt die Bundeswehr aus,
auch in „geografisch entfernte Regionen“, wie das im
Militärsprech so heißt .

Wir sagen: Das ist der falsche Weg, liebe Kolleginnen
und Kollegen .


(Beifall bei der LINKEN)


Auf 2 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung will
Schwarz-Rot die Armeeausgaben erhöhen, von 37 Milli-
arden Euro auf 60 bis 70 Milliarden Euro bis 2024 . Noch
einmal: auf 60 bis 70 Milliarden Euro, die wir woanders,
zum Beispiel bei den regenerativen Energien, besser ein-
setzen könnten .


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb sagt die Linke: Nie wieder Krieg, auch nicht für
klimaschädliches Öl und Erdgas!


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Schluss möchte ich noch etwas zum Thema
„Windkraft im Wald“ sagen . Wie man hört, komme ich
aus Bayern . Dort wurde gerade das 100 . Windrad im
Wald geplant, und das wird jetzt zur Ausführung kom-
men . Es ist der Bayerische Staatswald . Ihre Bruderpartei
sieht das ein bisschen anders als Sie .


(Jens Koeppen [CDU/CSU]: Wie sehen Sie es denn?)


Ihr seid euch da also nicht einig – wie in vielen Dingen
nicht .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823125000

Das Wort hat der Kollege Johann Saathoff für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Johann Saathoff (SPD):
Rede ID: ID1823125100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Energiepolitik ist ein gutes Stück auch
Außenpolitik – na sicher . Energiepolitik ist auch Ent-
wicklungspolitik . Es geht um Zugang zu Energie für die
Menschen . Es geht um Ausgleich der Lebensqualität auf
der Welt . Es geht um die Voraussetzungen für Menschen
und Regionen, sich entwickeln zu können . Es geht bei
Energiepolitik natürlich auch um Verteilungsgerechtig-
keit . Energiepolitik, meine Damen und Herren, ist auch
Sicherheitspolitik . Es geht um den Kampf um Rohstof-
fe und Ressourcen . Es geht auch darum, dass fehlender
Zugang zu Energie ein Fluchtgrund sein kann – genau-
so wie der Klimawandel durchaus ein Fluchtgrund sein
kann . Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist
Energiepolitik natürlich auch Klimapolitik .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Energiepolitik – das will ich an dieser Stelle betonen –
ist auch Wirtschaftspolitik . Wir müssen aufpassen, dass
die Menschen in den anderen Ländern nicht glauben, die
Energiewende sei in erster Linie eine deutsche Export-
initiative . Vielmehr müssen wir sie davon überzeugen,
dass die Energiewende nicht nur aus deutscher wirt-
schaftspolitischer Sicht notwendig ist, sondern dass sie
letzten Endes auch, was das Innenverhältnis angeht, für
ihr eigenes Land wichtig ist . Wir müssen aufzeigen, dass
die Einwohner mit der Energiewende von passiven Ver-
brauchern zu aktiven Marktteilnehmern werden können .

Energiepolitik ist also auch Wirtschaftspolitik und
Außenpolitik . Das alles ist – keine Frage – richtig . Im
Hinblick auf die Feststellung, dass die Energiepolitik
aber auch primäres Element der Außenpolitik sein muss,
würde ich an dieser Stelle, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, ein Fragezeichen setzen . Für uns als Energiepoliti-
ker ist das natürlich nachvollziehbar, wahrscheinlich so-
gar zwingend geboten, für die normalen Menschen aber,
glaube ich, eher nicht .

Dazu reicht ein Blick in die Europäische Union . Im
Ranking der Probleme – so weit sind wir ja schon an die-
ser Stelle – der Europäischen Union liegt die Energiepo-
litik – das ist traurig genug – nicht unter den drei Topplät-
zen . Das ist so trotz jahrelanger Diskussionen über eine
Energieunion und trotz der neuerlichen Diskussion über
die neuen Anreize im Clean Energy Package, mit dem
wir aber nicht uneingeschränkt einverstanden sind .

Wie schwierig die internationale Zusammenarbeit in
der Energiepolitik ist, sieht man auf der Ebene der Euro-
päischen Union zum Beispiel schon am Strommix . Polen
und Tschechien favorisieren unter anderem den Kohle-
strom . Frankreich ist mehr ein Fan von Kernenergie . Die
einen legen also keinen Fokus auf eine CO2-Reduzie-
rung, die anderen schon – aber nicht zwingend unseren .
Alle zusammen – das ist noch viel schlimmer – denken,

Eva Bulling-Schröter






(A) (C)



(B) (D)


dass sich doch nur die reichen Deutschen die Energie-
wende leisten können .

Wenn die Diskussion auf europäischer Ebene schon
kompliziert ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, dann ist
sie auf globaler Ebene noch um ein Vielfaches komple-
xer . Die Herausforderungen sind – da gibt es überhaupt
keinen Zweifel – global . Das habe ich im Ausland – zum
Beispiel in Peking – kennengelernt . Unsere Besucher-
gruppe hatte Glück . Der deutsche Grenzwert für Luftver-
schmutzung wurde am Tag unseres Besuches nur um das
Dreißigfache überschritten .

In Australien kann man erleben, dass Steinkohle im
Tagebau mit dem Bagger einfach vom Boden abgekratzt
wird. Sie kann dann gleich weltweit verschifft werden.
In Sambia kann man sehen, wie in einem Bauerndorf auf
dem Land zwar jeglicher Zugang zu Energie fehlt – das
kann eigentlich schon als Problem an sich identifiziert
werden –, dass die Menschen aber noch viel größere Pro-
bleme haben, um die sie sich kümmern müssen . Sie müs-
sen sich nämlich zum Beispiel irgendwie vor dem um
sich greifenden Landgrabbing schützen .

Ich glaube, dass in diesem Zusammenhang auch
wichtig ist, dass hier im Parlament deutlich darauf hin-
gewiesen wird, dass es darauf ankommt, dass wir Parla-
mentarier, was die Energiepolitik angeht, in einem inter-
nationalen Austausch stehen .


(Beifall bei der SPD)


„Liggt di wat dran, dat man di in dien Kollontje mag,
musst du een von de Kollontje ween“ . Albert Einstein hat
das wie folgt – Achtung, ich zitiere – übersetzt:

Um ein tadelloses Mitglied einer Schafherde sein zu
können, muss man vor allem ein Schaf sein .


(Beifall bei der SPD)


Man muss für den Weg der Energiewende aus der Her-
de ausbrechen, liebe Kolleginnen und Kollegen, und be-
reit sein, neue Wege zu gehen . Und es gibt mindestens
eine Trillion Gründe, den Weg der Energiewende zu be-
schreiten . Überall in der Welt gibt es großes Interesse am
deutschen Weg der Energiewende . Wenn ich im Ausland
danach gefragt wurde, habe ich das an der einen oder an-
deren Stelle durch folgendes Bild deutlich gemacht: Die
Energiewende ist so, als wenn man einen Ball auf einem
Finger balanciert . Das kann in der Regel jeder von uns .
Man darf dabei nur nicht einschlafen . Das heißt, man hat
ständigen Nachregelungsbedarf . Es ist keinesfalls so,
dass man ein schlechtes Gesetz gemacht hat, wenn man
später nachregelt, sondern das Gegenteil ist der Fall . Die
Wirkungen des vorherigen Gesetzes gelten, und deswe-
gen muss man neu an die Gegebenheiten anpassen .

Der zweite Hinweis, den ich den ausländischen Parla-
mentariern gebe, ist folgender: Es gibt keine Blaupause
und keinen Königsweg . Man kann nicht die Energiewen-
de eines Landes auf ein anderes Land übertragen; denn
die Geologie ist in jedem Land anders . Und es gibt poli-
tische Rahmenbedingungen, die den einen oder anderen
Weg vielleicht möglich oder auch unmöglich machen .
Des Weiteren kann es traditionelle Gründe geben, das
eine oder andere nicht durchzuführen .

In diesem Zusammenhang war mir bei den Gesprä-
chen mit den Kollegen aus dem Ausland aber auch wich-
tig, auf einen Zusammenhang hinzuweisen, auf den man
nicht sofort kommt, dass nämlich Energiewende, wenn
man sie in einem Land plant, auch immer mit dem damit
einhergehenden Strukturwandel verbunden sein muss .
Man kann die Menschen mit dem Strukturwandel nicht
allein lassen . Man kann verantwortungsvolle Energiepo-
litik nur machen, wenn man auch den Strukturwandel
gleich mitorganisiert . Das, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, gilt auch für Deutschland .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir werden uns daran messen lassen müssen, wie wir
den Strukturwandel, der durch die Energiewende eintritt,
in Deutschland meistern . Die Welt wird uns natürlich auch
auf die Finger schauen, wenn es um die Einhaltung des Pa-
riser Klimaschutzabkommens geht . Da geht es aus meiner
Sicht vor allen Dingen um die Vertragstreue Deutschlands .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Es geht also um Werte und um Standortfaktoren, die
Deutschland auf der ganzen Welt einmalig machen: Es
geht um Vertragstreue, es geht um Zuverlässigkeit, und
es geht um Glaubwürdigkeit . Diese Glaubwürdigkeit
dürfen wir nicht durch die Infragestellung des Pariser
Klimaschutzabkommens verspielen; denn das hätte enor-
me Auswirkungen auf die Wirtschaft .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch auf das Klima!)


In Zeiten, in denen andere große Nationen beginnen, den
Klimawandel wieder infrage zu stellen, muss – davon
bin ich fest überzeugt – Deutschland eine Vorreiterrolle
einnehmen – das sind wir unseren Kindern und unseren
Enkelkindern schuldig –, damit die Energiewende auch
in einem globalen Kontext gelingen kann .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823125200

Ich schließe die Aussprache und rufe nun den Tages-

ordnungspunkt 13 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrach-
ten Entwurfs eines … Gesetzes zur Ände-
rung des Strafgesetzbuches – Ausweitung
des Maßregelrechts bei extremistischen
Straftätern

Drucksache 18/11162

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
… Gesetzes zur Änderung des Strafgesetz-
buches – Ausweitung des Maßregelrechts
bei extremistischen Straftätern

Drucksache 18/11584

Johann Saathoff






(A) (C)



(B) (D)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/12155

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr . Johannes Fechner für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU])



Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1823125300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf der Tribüne! Die
Berichte unserer Verfassungsschutzbehörden zeigen es:
Leider ist auch in Deutschland die Gefahr von terroris-
tischen Anschlägen gestiegen . Deshalb müssen wir als
Gesetzgeber genau prüfen, ob es Gesetzeslücken gibt, die
wir zur Verhinderung von Anschlägen schließen müssen .
Dabei gilt der Satz von Helmut Schmidt, auch im Zorn
einen kühlen Kopf zu bewahren, um effektiv Kriminalität
und Terrorismus zu bekämpfen . Genau dies tun wir mit
diesem Gesetz . Mit diesem Gesetz werden wir das Maß-
regelrecht für extremistische Straftäter erweitern . Insbe-
sondere wollen wir die elektronische Aufenthaltsüberwa-
chung, also die sogenannte Fußfessel, auf extremistische
Straftäter ausweiten . Soweit es in den Diskussionen im
Vorfeld Kritik daran gab, dass dies rechtsstaatlich be-
denklich sei, ist zu sagen: Ja, die Fußfessel ist ein ganz
erheblicher Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen.
Aber wenn feststeht, dass eine Person gefährlich ist und
dass sie schon gerichtlich festgestellt Straftaten began-
gen hat, dann ist eine solche Maßnahme zum Schutz un-
serer Bevölkerung gerechtfertigt .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir erweitern deshalb den Anwendungsbereich der
Fußfessel, damit zukünftig die Fußfessel auch Straftätern
auferlegt werden kann, die sich wegen einer schweren
staatsgefährdenden Gewalttat, wegen Terrorismusfinan-
zierung oder wegen der Unterstützung einer terroristi-
schen Vereinigung strafbar gemacht haben . Denn wenn
durch eine solche Straftat erwiesen ist, dass diese Person
gefährlich ist, dann muss es möglich sein, sie durch die
Fußfessel zu überwachen, um weitere Straftaten zu ver-
hindern .


(Beifall bei der SPD)


Das ist verfassungsgemäß und rechtsstaatlich; denn
die Fußfessel kann nach unserem Gesetzesvorschlag
eben nur Personen auferlegt werden, deren Gefährlich-
keit erwiesen ist . Nur wer sich wegen bestimmter Straf-
taten, die ich genannt habe, strafbar gemacht hat, dem
kann die Fußfessel auferlegt werden . Das ist auch richtig
so . Hier gelten also ganz klare rechtsstaatliche Kriterien
für die Fußfessel .

Richtig ist, dass die Fußfessel kein Allheilmittel ist .
Der schreckliche Mord an einem Priester in Frankreich
hat gezeigt, dass Täter, die zu allem entschlossen sind,

von solchen Taten nicht abgehalten werden können . Den-
noch sprechen zwei Argumente für die Fußfessel: Die
Überwachung durch die Fußfessel führt dazu, dass der
Fußfesselträger weiß, dass die von ihm begangene Straf-
tat aller Wahrscheinlichkeit nach sofort ihm zugerechnet
wird, weil ja festgestellt werden kann, dass er am Tatort
war . Zumindest dem Täterkreis, dem die Entdeckung der
Tat nicht egal ist, wird das Entdeckungsrisiko zu hoch
sein, und man wird von der Straftat absehen .

Vor allem hat aber nicht zuletzt die Sachverständi-
genanhörung ergeben, dass gerichtliche Weisungen
an Extremisten, bestimmte Orte wie etwa Flughäfen,
Großveranstaltungen, Bahnhöfe oder Treffpunkte von
Extremisten nicht zu betreten, durch die Fußfessel ef-
fektiv überwacht werden können . Wenn gegen ein
solches Verbot verstoßen wird, dann kann die Polizei
informiert werden, und die örtliche Polizei kann sofort
einschreiten . Deshalb nochmals: Die Fußfessel mag
kein Allheilmittel sein, aber sie ist eine Möglichkeit,
Straftaten zu verhindern, weil für den Täter ein hohes
Entdeckungsrisiko besteht . Und sie ist ein wirksames
Mittel, um zu verhindern, dass sich Gewalttäter in po-
tenziellen Anschlagszielen wie etwa Flughafengebäu-
den aufhalten .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit diesem Gesetz
erweitern wir den Anwendungsbereich der Fußfessel
maßvoll, damit erwiesenermaßen gefährliche Terroristen
überwacht werden können, um zu verhindern, dass diese
sich in bestimmten Örtlichkeiten aufhalten . Angesichts
der leider bestehenden Bedrohungslage ist diese maßvol-
le Ausweitung der Anwendung der Fußfessel sinnvoll .
Wir schaffen insbesondere eine rechtsstaatliche Grundla-
ge, damit nicht ins Blaue hinein unbescholtenen Bürgern
diese Fußfessel auferlegt wird, sondern nur erwiesener-
maßen gefährlichen Gewalttätern .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kommt dann im nächsten Schritt!)


In diesem Sinne rufe ich Sie auf, diesem maßvollen
Gesetz zuzustimmen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823125400

Das Wort hat der Kollege Frank Tempel für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823125500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Die Gefahr von Terroranschlägen ist tat-
sächlich traurige Realität . Und deswegen ist es unsere
gemeinsame Pflicht, nicht Aktivität in Sicherheitsfragen
zu simulieren, sondern mit effektiven und wirkungsvol-
len Gegenmaßnahmen in die Gänge zu kommen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Wenn wir in diesem Zusammenhang über extremisti-
sche Straftäter reden, also über Menschen, die in solchem
Zusammenhang eine Haft verbüßt haben, dann reden wir
ganz offensichtlich über Menschen, die mindestens zwei
Jahre im staatlichen Gewahrsam waren . Was die Linke
jetzt erwartet, ist eine Debatte, die zeigt, wie die Zeit
dieser Haft noch intensiver zur Deradikalisierung des
Straftäters, also zu seiner Resozialisierung, genutzt wer-
den kann . Wir brauchen Programme, die sich speziali-
siert genau dieses Phänomens annehmen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich kann jetzt bereits ankündigen, dass die Linke für sol-
che Programme zu den Haushaltsverhandlungen 2018
Anträge vorlegen wird . Ganz ähnliche Programme wer-
den wir übrigens auch brauchen, um grundsätzlich der
Radikalisierung von Menschen während ihrer Haftzeit
entgegenzuwirken . Italien wird das zum Beispiel laut
dpa-Meldungen demnächst verstärkt tun . Auch Deutsch-
land sollte darauf einen deutlich stärkeren Fokus legen .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Voraussetzung dafür ist natürlich Wissen . Wann,
warum und auf welche Weise radikalisieren sich Men-
schen derart, dass sie bereit sind, selbst zum Preis des
eigenen Lebens, Menschen zu töten? Genau diese Frage
wird seitens der Bundesregierung zu selten gestellt .

Im sechsten Fortschrittsbericht der Europäischen
Kommission zu einer wirksamen und echten Sicherheits-
union, der vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde, wird
das Aufklärungsnetz gegen Radikalisierung und sein
Exzellenzzentrum angesprochen . Solche Netzwerke und
natürlich Forschung im eigenen Land – davon sind wir
nicht befreit – müssen genutzt werden, um mehr Tempo
in diese Prozesse zu bringen .

Geld, meine Damen und Herren, wollen Sie ganz of-
fensichtlich für die Sicherheit in die Hand nehmen . Aber
Geld für Fußfesseln auszugeben, für die notwendigen
Systeme zur Kontrolle der Fußfesselträger, für das Per-
sonal zur Kontrolle dieser Systeme, ist nach meiner Mei-
nung rausgeschmissenes Geld .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich nenne ihnen aus Sicht eines ehemaligen Polizeibeam-
ten drei Beispiele dafür, warum das so ist .

Erstens . Ein großer Teil der Gefährder muss zunächst
verdeckt beobachtet werden, um festzustellen, ob sie
tatsächlich eine Gefahr darstellen oder nur radikale An-
sichten vertreten . Dann würden sie sinnvollerweise keine
Fußfessel tragen .


(Dr . Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Wir sind jetzt aber repressiv! Das andere war heute Nachmittag!)


– Ja, das habe ich schon mitbekommen . Da saß ich übri-
gens im Gegensatz zu Ihnen im Plenum . Aber wir brau-
chen auch Hinweise, ob jemand, wenn er aus der Haft
entlassen wird, weiter eine Gefahr darstellt .


(Zuruf von der CDU/CSU: Das macht das Gericht!)


Zweitens . Bei ehemaligen extremistischen Straftätern
muss es so oft wie möglich gelingen, diese zu deradika-
lisieren; denn sonst wird die Zahl der Gefährder immer
größer und damit gefährlich unübersichtlich . Eine Fuß-
fessel nach der Haftentlassung ist aber eine Ausgrenzung
und hemmt die Deradikalisierung und Resozialisierung .


(Beifall bei der LINKEN)


Dann, Herr Fechner, muss ich Sie natürlich fragen:
Was soll eine Fußfessel tatsächlich bewirken: die Durch-
setzung von Aufenthalts- und Kontaktverboten, des Ver-
bots des Besuchens potenzieller Anschlagsziele oder des
Verbots des Beschaffens von Tatmitteln? Das würde in
der Realität, in der Praxis heißen, der Träger von Fuß-
fesseln dürfte überall da nicht hin, wo viele Menschen
sind – das sind eben nicht nur Flughäfen . Er dürfte auch
nicht dorthin, wo Lkw geparkt werden, wo Messer zu
kaufen sind . Das durchzusetzen, ist absolut unrealistisch .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Da kann man nicht einfach mal die Flughäfen heraus-
greifen .

Der Justizminister hat bei der Einführung des Geset-
zes gesagt: „Die Fußfessel ist kein Allheilmittel .“ Das
ist richtig . Sie ist ein Placebo für besorgte Menschen im
Wahlkampf . In der Realität sagt uns die Fußfessel gera-
de mal den Aufenthaltsort des Trägers . Sie sagt uns gar
nichts über seine Gefährlichkeit . Sie sagt uns nicht, wo-
mit er sich beschäftigt . Stellen Sie sich das mal bei je-
mandem vor, der wegen Terrorismusfinanzierung geses-
sen hat . Was soll uns eine Fußfessel da sagen? Aber das
Bewusstsein, eine Fußfessel zu tragen, wird sein Verhal-
ten beeinflussen. Er weiß, dass er sie trägt, er kann sich
leicht darauf einstellen und seine wirklichen Absichten
verschleiern . Eine Reaktion von Gefährdern auf die tech-
nischen Möglichkeiten der Sicherheitsbehörden muss-
ten wir doch in der Vergangenheit feststellen: Terroris-
ten nutzen häufiger alltägliche Gegenstände, und selbst
bei strengster Beobachtung ist es sehr schwer und fast
nicht möglich, die tatsächliche Absicht zu erkennen . Anis
Amri hat einen Lkw zum Tatmittel gemacht . Mal abge-
sehen davon, dass er verdeckt beobachtet wurde, hätte
hier eine Fußfessel gar nichts genutzt, und spätestens vor
seiner Flucht hätte er die Fußfessel leicht zerstören und
wegschmeißen können .

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns deswegen
bitte nicht die Zeit mit Debatten zu Fußfesseln und Ähn-
lichem verplempern . Lassen Sie uns gemeinsam nach
den besten Mitteln suchen, um aus Gefährdern ehemalige
Gefährder zu machen; denn das wäre der beste Weg zur
Sicherheit .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frank Tempel






(A) (C)



(B) (D)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823125600

Das Wort hat der Kollege Dr . Volker Ullrich für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Bettina Bähr-Losse [SPD])



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1823125700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung
das Gesetz zur Ausweitung des Maßregelrechts bei extre-
mistischen Straftätern . Damit soll das Strafgesetzbuch so
geändert werden, dass im Rahmen der Führungsaufsicht
eine elektronische Aufenthaltsüberwachung angeordnet
werden kann .

Bereits im Jahr 2011 ist die elektronische Aufent-
haltsüberwachung im Rahmen der Führungsaufsicht in
das Gesetz hineingenommen worden, um beispielsweise
Gebots- und Verbotszonen für verurteilte Straftäter zu
definieren, damit sie von weiteren Straftaten abgehalten
werden und ihre Resozialisierung in unserer Gesellschaft
gefördert wird .

Voraussetzung für die Anordnung der Führungsauf-
sicht war bislang, dass der Straftäter zu einer Freiheits-
strafe von mindestens drei Jahren verurteilt wurde und
eine sogenannte Katalogstraftat vorlag . Diese Maßnah-
me – das will ich heute Abend auch festhalten – hat sich
beispielsweise im Bereich der Sexualstraftaten bewährt .
Straftäter, die wegen einer Sexualstraftat verurteilt wur-
den, haben gewisse Kontaktverbote einzuhalten und ge-
wisse Bereiche zu meiden,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht da auch Sinn!)


damit sie von weiteren Straftaten abgehalten werden und
potenzielle Opfer – was uns sehr wichtig ist – vor ihnen
geschützt werden .

Das, was sich im Bereich der Sexualstraftaten bewährt
hat, wollen wir im begrenzten Umfang auch für Straftä-
ter einführen, die wegen gefährlicher Straftaten verur-
teilt worden sind, wegen schwerer staatsgefährdender
Gewalttaten, wegen beispielsweise Terrorismusfinanzie-
rung oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereini-
gung . Wer wegen dieser Straftaten verurteilt wurde, der
ist nicht unschuldig, sondern ist ein Extremist und ein
Gefährder . Der Rechtsstaat muss im Interesse der Sicher-
heit, der Resozialisierung und des Opferschutzes darauf
achten, dass von diesen Menschen keine weitere Gefahr
ausgeht . Die elektronische Fußfessel, die im Rahmen der
Führungsaufsicht zur Anwendung kommen kann, ist eine
gute und rechtsstaatlich angemessene Möglichkeit, die-
ses Ziel zu erreichen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Bettina Bähr-Losse [SPD])


Natürlich wissen wir auch, dass ein zu allem ent-
schlossener Täter – das schreckliche Beispiel des Mor-
des an einem Priester nahe Rouen hat es gezeigt – damit
nicht unbedingt von einer weiteren schweren Straftat
abgehalten werden kann . Aber es geht nicht allein um
die Schwarz-Weiß-Fälle. Gerade bei der Terrorismusfi-

nanzierung geht es beispielsweise um die Frage: Welches
Netzwerk liegt der Struktur zugrunde? Mit wem hat der
Terrorist Kontakt gehabt? Indem man Verbotszonen de-
finiert, macht man deutlich: Wenn sich jemand in dieser
Verbotszone bewegt, dann wird die Polizei alarmiert .
Dann hängt es von der Polizeitaktik ab, ob sie innerhalb
von fünf oder zehn Minuten vor Ort ist .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fünf Minuten? Wissen Sie, wie lange das dauert, bis die Polizei da ist?)


Das zeigt: Durch die Fußfessel werden die Aufklärungs-
wahrscheinlichkeit und die Verhinderungswahrschein-
lichkeit von schweren Straftaten gesteigert . Auch das ist
ein wichtiger Wert in einem Rechtsstaat . Wenn es An-
haltspunkte dafür gibt, dass Menschen, die bereits verur-
teilt worden sind, weitere Straftaten begehen, dann muss
der Rechtsstaat seine Stärke ausspielen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das sind wir dem Rechtsstaat und der Sicherheit unserer
Bürger schuldig .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es wird immer wieder eingewandt, das sei nicht rich-
tig wirksam . Von Ihnen, Herr Kollege Tempel, haben wir
heute Nachmittag immer wieder gehört, das sei doch al-
les Symbolpolitik .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Das ist es ja auch!)


Ich will Ihnen eines deutlich sagen: Wir haben heute im
Deutschen Bundestag mehrere wichtige und gute Geset-
ze für den Bereich der inneren Sicherheit verabschiedet .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Die Meinung haben Sie!)


Wir haben dafür gesorgt, dass Polizisten besser geschützt
werden, wir haben das BKA-Gesetz reformiert, und wir
werden heute noch über die Fluggastdatenspeicherung
sprechen . All diese Mittel zusammen ergeben ein rundes
Bild .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mussten wir das wegen der CDU-Sicherheitstagung so schnell durchziehen?)


Wir dürfen Freiheit und Sicherheit nicht gegeneinan-
der ausspielen; denn wir werden nur dann frei leben kön-
nen, wenn wir auch unsere Sicherheit verteidigen . Dazu
braucht es viele Mosaiksteine, und die elektronische
Fußfessel für bereits verurteilte Straftäter zur Verhinde-
rung weiterer Straftaten ist ein weiterer Mosaikstein, den
wir heute bitte beherzt beschließen – für die Sicherheit in
unserem Land .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Bettina Bähr-Losse [SPD])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823125800

Herr Kollege Hans-Christian Ströbele hat für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .






(A) (C)



(B) (D)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Schon zum zweiten Mal an diesem Tag beschäftigt sich
der Deutsche Bundestag mit der Einführung einer Sicher-
heitsvorkehrung . In diesem Fall geht es um einen völlig
anderen Bereich als heute Mittag . Das Bedürfnis nach Si-
cherheit in der Gesellschaft, bei den staatlichen Organen
oder bei den Sicherheitsbehörden muss ungeheuer groß
sein, wenn sich der Deutschen Bundestag zweimal an ei-
nem Tag in einer ausgewachsenen Debatte mit diesem
Thema beschäftigt .

Warum eigentlich die Eile? Ich habe gestern bzw . heute
erst gelernt: Die Fußfessel, die heute Mittag beschlossen
worden ist, soll – so hat der Kollege Mayer das hier ver-
kündet – in keinem einzigen der über 600 Gefährderfälle
zur Anwendung kommen . Er hat gesagt: Bei keinem, der
jetzt als Gefährder bekannt ist, treffen die Voraussetzun-
gen zu, dass er ein Aspirant für die Fußfessel sein könnte;
bei keinem einzigen von den vielen Gefährdern! Also, so
ganz dringend notwendig scheint es nicht zu sein, eine
Regelung auf den Weg zu bringen .

Wie ist es mit der Fußfessel, über die wir jetzt disku-
tieren? Wir haben es gestern gehört: Für die Anwendung
der Fußfessel kommen – so haben Sie es gesagt, Herr
Staatssekretär – Personen in einem geringen einstelligen
Bereich in Betracht, das heißt fünf oder weniger, ein oder
zwei . Und dafür verabschieden wir heute den vorliegen-
den Gesetzentwurf?


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Ein Meilenstein!)


Der Kollege Fechner hat den Ursprung des Gedankens
ausgeführt . Er hat erklärt, warum man uns den Gesetz-
entwurf jetzt präsentiert . Der Auslöser war der Fall Amri
und die Diskussion, die danach stattgefunden hat . Und
ich gebe Ihnen sogar recht, dass die Gefahr eines terro-
ristischen Anschlags in Deutschland gegeben ist . Das ist
uns allen durch den Anschlag noch einmal sehr deutlich
und bewusst geworden .

In dieser Diskussion kamen Sie auf die Idee mit der
Fußfessel . Was ist das eigentlich? Die Formulierung
„Fußfessel“ ist eigentlich ein Etikettenschwindel . Die
normale Bürgerin und der normale Bürger sagt wahr-
scheinlich: Ich bin auch dafür, dass Gefährder gefesselt
werden; dann können sie nämlich nichts Böses mehr an-
stellen, erst recht, wenn das eine elektronische Fußfessel
ist . – Aber was macht diese Fußfessel? Der Träger der
Fußfessel wird überhaupt nicht daran gehindert, zu lau-
fen, sich irgendwohin zu begeben, in Lastwagen zu stei-
gen oder gar zu morden, wie das Beispiel aus Frankreich
zeigt . Die Fußfessel ist lediglich ein Lederband, das an
einem Fuß befestigt wird, nicht auch an dem anderen,
sodass man schlechter laufen könnte . An diesem Band ist
ein Sender angebracht . Der Sender löst in dem Augen-
blick ein Signal aus, in dem man einen bestimmten Be-
reich betritt . Dann blinkt in der Alarmstelle in Frankfurt –
die gibt es heute schon; die kann man besichtigen – ein
rotes Lämpchen auf . Die rufen dann beim nächstgelege-
nen Polizeirevier, zum Beispiel in Berlin, an und fragen:
Können Sie da nicht mal hingehen? – Dann fahren die

Polizisten dorthin und gucken, ob er da ist oder nicht . Die
Praxis zeigt, dass diese Lämpchen sehr häufig angehen,
nicht, weil gegen die Auflagen verstoßen wird, sondern
weil jemand daran rummacht, zum Beispiel versucht, das
Bändchen zu lockern, weil es zwickt, weil man es anders
haben möchte, was man aber nicht kann, weil das Bänd-
chen so eng anliegt . Das heißt, Sie erreichen damit erst
einmal gar nichts .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])


Sie erreichen höchstens eine gewisse Aufmerksamkeit .

Jetzt ist die Frage: Wo wollen Sie das anwenden? Sie
haben gesagt: Zum Flughafen dürfen sie nicht gehen . –
Es geht hier um Täter, bei denen Sie davon ausgehen,
dass sie nicht erwischt werden wollen . Wer nicht er-
wischt werden will, der weiß: Ich trage eine Fußfessel,
und die können feststellen, wenn ich den Flughafen be-
trete . – Er wird das also niemals machen . Sie werden die
Objekte nie so eingrenzen können, dass das Sinn macht,
weil es allein in Berlin Tausende von Objekten gibt,
U-Bahn-Stationen, Versammlungsorte, Behörden, Deut-
scher Bundestag, Flughäfen,


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: So viele Flughäfen jetzt nicht!)


Kreuzungen und Ähnliches, die er nicht betreten darf .
Das alles nützt nichts .

Der eigentliche Grund ist, dass Sie von dem Fehlver-
halten der Behörden im Fall Amri ablenken wollen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Im Fall Amri hätte man die geltenden Gesetze anwenden
müssen . Man hätte zum Beispiel ein Sammelverfahren
bei einer Staatsanwaltschaft konzentrieren können, in
dem alle Straftaten gleichzeitig bearbeitet werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])


Das hat keiner gemacht .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823125900

Kollege Ströbele, achten Sie jetzt bitte auf die Rede-

zeit .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja, letzter Satz . – Im Fall Amri hatten die Ermittlungs-
behörden seit Februar 2016, also fast ein Jahr vor dem
Anschlag, ganz klare Anhaltspunkte dafür, dass er mit
IS-Führern, mit seinen Brüdern in Libyen korrespondiert
und sich dort Anweisungen und Ratschläge für einen
Selbstmordanschlag geholt hat . Da hätten Sie gegen ihn
vorgehen müssen . Da hätte ein Haftbefehl beantragt wer-
den müssen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)







(A) (C)



(B) (D)


Von da an hätten Sie ihn Tag und Nacht nicht mehr aus
den Augen lassen dürfen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Da sind die Fehler gemacht worden . Der Fehler war
nicht, dass er keine Fußfessel getragen hat . Er wäre oh-
nehin kein Aspirant für eine Fußfessel gewesen, weil
sämtliche Voraussetzungen nicht vorlagen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823126000

Kollege Ströbele, das war ein sehr langer letzter

Satz . – Die Kollegin Bettina Bähr-Losse hat für die
SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Bettina Bähr-Losse (SPD):
Rede ID: ID1823126100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Meine Damen und Herren oben auf
den Rängen! Wir alle wünschen uns ganz grundsätzlich
und in Ansehung der niederträchtigen Terroranschläge in
den vergangenen Monaten ganz besonders eine hundert-
prozentige Sicherheit . Wir alle oder wenigstens die Ver-
nunftbegabten unter uns wissen gleichzeitig aber auch,
dass es eine hundertprozentige Sicherheit leider nicht
geben kann . An dieser Stelle stehen wir an einer Weg-
gabelung: Entweder wir stecken den Kopf in den Sand
und geben uns mit der aktuellen Gesetzeslage zufrieden,
oder – für diese Richtung wollen sich die Koalitions-
fraktionen mit der Ausweitung des Maßregelrechts bei
extremistischen Straftätern entscheiden – wir sorgen mit
Mitteln, die uns jetzt zur Verfügung stehen, für ein Mehr
an Sicherheit .

Wir müssen die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger,
die auch meine Sorgen sind, ernst nehmen und prüfen,
ob es gesetzliche Lücken gibt und wie wir diese Lücken
schließen können .

Ein Urteil des Oberlandesgerichts München aus dem
letzten Jahr hat uns eine solche Lücke aufgezeigt . In ei-
nem dort entschiedenen Fall wegen Unterstützung einer
islamistischen Vereinigung im Ausland scheiterte die
Weisung zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung
daran, dass es sich nicht um eine taugliche Anlasstat han-
delte und der Verurteilte keine volle drei Jahre in Haft
verbüßt hatte . Die SPD-Bundestagsfraktion hält es in
diesem Zusammenhang für richtig, den Kanon der An-
lasstaten zu erweitern . Gründung einer und Mitglied-
schaft in einer terroristischen Vereinigung, die Finanzie-
rung von Terror, die Unterstützung einer terroristischen
Vereinigung und die Vorbereitung einer schweren staats-
gefährdenden Gewalttat verfolgen dasselbe Ziel . Wer für
solche Straftaten zu mindestens zwei Jahren Haft verur-
teilt wurde und weiterhin als radikalisiert angesehen wer-
den muss, soll künftig die volle Aufmerksamkeit unserer
Sicherheitsbehörden erhalten .

Der vorliegende Gesetzentwurf richtet sich also gegen
Verurteilte und nach wie vor gefährliche extremistische
Straftäter . Dass einige hier im Plenum es lieber bei der

bestehenden Gesetzeslage belassen wollen, steht ihnen
selbstverständlich frei . Ich selber habe an der Anhörung
im vergangenen Monat teilgenommen . Dabei habe ich
auch die Argumente gehört, die gegen die sogenann-
te Fußfessel sprechen sollen . Diese Argumente wurden
in die Meinungsbildung selbstverständlich einbezogen .
Was ich persönlich aber in keiner Weise nachvollziehen
konnte und kann, war, dass man sich ernsthafte Sorgen
darüber machte, dass jemand, der eine solche Fußfessel
tragen muss, dadurch stigmatisiert wird . Unglaublich!


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Patrick Sensburg [CDU/CSU])


Es geht hier auf der einen Seite um verurteilte ge-
fährliche extremistische Straftäter, die sich eventuell
stigmatisiert fühlen könnten . Auf der anderen Seite geht
es um den Schutz der Bevölkerung vor einem terroris-
tischen Anschlag . Die SPD-Bundestagsfraktion erachtet
das Recht auf Schutz vor einem terroristischen Anschlag
ganz eindeutig und ohne Wenn und Aber als schützens-
werter .


(Beifall bei der SPD)


Gefährdern muss und soll klar sein, dass sie unter Be-
obachtung stehen und dass wir ihren Terror nicht einfach
hinnehmen . Ich habe eingangs gesagt, dass es hundert-
prozentige Sicherheit leider nicht gibt . Neben der Aus-
weitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftä-
tern sollten wir uns auch weiterhin bemühen, Menschen
von ihrem Irrweg aus Gewalt, Hass und blinder Zerstö-
rungswut abzubringen . Aber solange das nicht sicherge-
stellt ist, müssen wir das uns Mögliche tun . Dies ist mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf möglich . Deshalb wer-
be ich um Ihre Zustimmung .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823126200

Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tages-

ordnungspunkt ist der Kollege Professor Dr . Patrick
Sensburg, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1823126300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Heute Nachmittag haben wir über das The-
ma Fußfessel im präventiven Einsatz diskutiert, also bei
Gefährdern . Von diesen gibt es – wir haben es eben ge-
hört – in Deutschland fast 600 . Übrigens sind fast 100
dem Land Nordrhein-Westfalen zuzuordnen; auch das
muss man sagen .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die werden auch weiter ohne Fußfessel rumlaufen!)


Hans-Christian Ströbele






(A) (C)



(B) (D)


Man muss feststellen, dass allein diese Zahl zeigt, dass
Nordrhein-Westfalen eines der unsichersten Bundeslän-
der ist .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: So ein Quatsch! – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ist Ihnen das nicht langsam irgendwie peinlich?)


– Das festzustellen, gehört dazu, wenn man sich die
Kriminalitätsstatistik anschaut . – Wenn man sich zum
Beispiel die Zahl der Einbrüche anschaut, stellt man
fest, dass es in Nordrhein-Westfalen genauso viele Woh-
nungseinbrüche gab wie in Bayern, Baden-Württemberg,
Hessen, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz zusammen .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Vergleichen Sie das mal mit Bayern! 10 Prozent Zunahme in Bayern, 3 Prozent Rückgang in NRW! Kriminalstatistik 2016!)


Auch das ist eine Zahl, die dafür spricht, dass die nord-
rhein-westfälische Landesregierung Sicherheit in diesem
Bundesland nicht herstellen kann .


(Dr . Eva Högl [SPD]: Das ist unter Ihrem Niveau!)


Darum ist es traurig – das muss ich ganz ehrlich sagen –,
dass Nordrhein-Westfalen, wenn es um Sicherheitsgeset-
ze geht, im Bundesrat immer wieder blockiert und dage-
genstimmt .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Völliger Quatsch, was Sie erzählen! Völliger Blödsinn!)


Kollege Ströbele hat es gerade angesprochen: Die
Zahl derer, für die die Fußfessel im präventiven Be-
reich – darüber haben wir heute Nachmittag debattiert –
angeordnet werden könnte, ist gering . Heute Nachmittag
haben wir den Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturie-
rung des Bundeskriminalamtgesetzes beschlossen . Da-
rin ging es um die Fußfessel im Zuständigkeitsbereich
des BKA . Die Länder müssen jetzt natürlich auch ihre
Hausaufgaben machen . Gerade die Länder sind mit ihren
Landespolizeien dafür zuständig, dass auch dort die Fuß-
fessel präventiv eingesetzt wird . Nordrhein-Westfalen
könnte da jetzt sehr aktiv werden und zeigen, dass Nord-
rhein-Westfalen es mit der Sicherheitspolitik ernst meint .


(Dr . Eva Högl [SPD]: Die Debatte hatten wir heute schon!)


Aber ich glaube, dass Nordrhein-Westfalen hier wieder
ein Ausfall sein wird und nichts für die Sicherheit der
Bürgerinnen und Bürger tun wird .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Was für ein Quatsch! – Dr . Eva Högl [SPD]: Was für eine schlechte Rede!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823126400

Herr Kollege Sensburg, gestatten Sie eine Zwischen-

frage?


Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1823126500

Ja, gerne .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Hätten Sie die von mir auch angenommen?)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823126600

Vielen Dank, Herr Kollege Sensburg, und vielen

Dank, Frau Präsidentin . – Ich möchte Ihnen eine einfache
mathematische Frage stellen . Wenn von 600 Gefährdern
100 aus NRW kommen, ist das ein Sechstel . Wenn NRW
wirklich so viel gefährdeter sein soll, müsste die Gesamt-
bevölkerungszahl Deutschlands also mehr als 102 Milli-
onen Einwohner betragen,


(Heiterkeit der Abg . Dr . Eva Högl [SPD] – Dr . Johannes Fechner [SPD]: Sehr gut!)


weil Nordrhein-Westfalen, was die Zahl der Gefährder
betrifft, ansonsten unter dem Durchschnitt liegen wür-
de – und liegt .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)



Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1823126700

Ich habe gesagt, dass sie dem Land Nordrhein-West-

falen zuzuordnen sind . Nicht alle 600 Gefährder – das
wissen auch Sie – sind derzeit in Deutschland . Sie kom-
men aus verschiedenen Bundesländern, und es besteht
die Gefahr, dass sie dorthin zurückkehren .


(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn, dann gehen sie nach NRW! Das ist ja klar!)


Die Frage ist, was wir in den Landespolizeigesetzen jetzt
präventiv machen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 100 von 600, das ist ein Sechstel! Nordrhein-Westfalen hat aber ein Fünftel der Einwohner! Wie kann das denn sein?)


Werden die einzelnen Bundesländer präventiv die Fuß-
fessel einführen, werden sie also dem Vorbild des Bun-
des – Stichwort „BKA-Gesetz“ – folgen, oder werden sie
nichts tun?


(Ulli Nissen [SPD]: Wie war das noch mit dem Dreisatz, Herr Kollege? – Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE] nimmt wieder Platz)


– Ich bin noch bei der Beantwortung Ihrer Frage .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823126800

Herr Kollege Lenkert, Sie müssen schon stehen blei-

ben, bis die Frage beantwortet wurde .


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Das ist ja nicht die Antwort auf meine Frage! – Weitere Zurufe von der LINKEN: Das, was er sagt, hat ja mit der Frage nichts zu tun! – Die wird doch nicht mehr beantwortet!)



Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1823126900

Doch, ich bin noch mittendrin .

Dr. Patrick Sensburg






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823127000

Der Kollege Sensburg entscheidet, was zur Antwort

gehört .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist ja noch mit seiner Rechenaufgabe beschäftigt!)


Sie müssen schon stehen bleiben, bis er fertig ist . – Dan-
ke schön .


Dr. Patrick Sensburg (CDU):
Rede ID: ID1823127100

Es geht um die Frage – ich sage es noch einmal –:

Werden die Bundesländer und gerade das Land Nord-
rhein-Westfalen präventiv tätig werden, um die ihnen
zuzuordnenden Gefährder auch mit einer Fußfessel
überwachen zu können? Wenn Sie die Debatte heute
Nachmittag verfolgt hätten, hätten Sie gehört, dass der
Kollege Binninger gesagt hat, man brauche 25 bis 30 Po-
lizeibeamte, um einen Gefährder die ganze Zeit zu be-
obachten. Ich glaube, es ist eine deutlich effektivere
Maßnahme, eine Fußfessel einzusetzen, um zu wissen,
wo sich der jeweilige Gefährder befindet. Wenn man in
einem Bundesland bis zu 100 Personen, die Gefährder
darstellen, zugeordnet hat, dann sollte auch ein Land wie
Nordrhein-Westfalen tätig werden und nicht die Hände in
den Schoß legen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das BKA ist auch für Nordrhein-Westfalen zuständig!)


Jetzt komme ich zur repressiven Anwendung der
Fußfessel; denn darüber debattieren wir heute . Das ist
eben ziemlich durcheinandergegangen . Auch der Kolle-
ge Ströbele hat wieder vom Fall Amri geredet, obwohl
dieser noch gar nicht verurteilt war, sodass es also um
die präventive Fußfessel ging . Schauen wir uns jetzt also
die repressive Anwendung der Fußfessel und die Ände-
rungen im Strafgesetzbuch sowie in der Strafprozessord-
nung an .

Hier geht es – das ist vom Kollegen Dr . Ullrich gesagt
worden, der eben übrigens seine 100 . Rede in dieser Le-
gislaturperiode hier im Plenum gehalten hat –


(Beifall des Abg . Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU] – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh, dann muss er einen ausgeben!)


um Delikte wie die Bildung einer terroristischen Ver-
einigung, schwere staatsgefährdende Gewalttaten und
die Finanzierung solcher Straftaten . Ich muss sagen: In
diesen Fällen wäre der Einsatz der Fußfessel richtig . Als
der Kollege Ullrich eben angesprochen hat, dass wir die
Fußfessel bei Sexualstraftätern schon einsetzen, habe ich
aus den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen Zurufe wie:
„Das ist auch richtig!“ gehört .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben wir ja auch denselben Tätertyp! Da macht das Sinn!)


Wenn der Einsatz der Fußfessel in diesen Fällen richtig
ist, Sie bei solchen Straftaten nicht die Abschaffung der
Fußfessel fordern, Sie also ihre Brauchbarkeit anerken-

nen, dann müssen Sie konsequenterweise sagen, dass wir
sie auch bei schweren Straftaten mit terroristischem Hin-
tergrund einsetzen sollten .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das hat etwas mit dem Tätertyp zu tun!)


Sie macht Sinn, verhindert Straftaten und lässt Straftaten
zuordnen .

Wir werden erleben, dass immer mehr Täter nach Ver-
büßung einer Haftstrafe unter Führungsaufsicht gestellt
werden müssen, weil sie die Gefahr bergen, wieder ähn-
liche Straftaten zu begehen, die Landesgrenzen zu über-
queren, sich an Orten zu treffen, die wir kennen, und sich
möglicherweise an Orten zu verabreden, wo Hasspredi-
ger ihrem schlimmen Treiben nachgehen . Deswegen ist
es gut, dass wir die Fußfessel nicht nur präventiv ein-
setzen, sondern auch dann, wenn jemand schon verur-
teilt worden ist, wir wissen, dass er entsprechende Taten
begangen hat, und er immer noch eine Gefahr birgt . Da
gibt es eben nicht nur Schwarz und Weiß, sondern auch
viele, viele Zwischenstufen . Manche Personen haben
sich vielleicht verleiten lassen . Mit der klaren Ansage:
„Da gehst du nicht mehr hin; das machst du nicht mehr“,
erkennen sie mit der Zeit vielleicht, dass sie auf einem
Irrweg waren .

Den Kolleginnen und Kollegen vom Bündnis 90/Die
Grünen und von den Linken sage ich: Wir haben in den
letzten Jahren sehr viele Gesetze beschlossen, im Bereich
Inneres zum Beispiel Polizeigesetze, aber auch viele Ge-
setze im Bereich der Justiz bzw . der Rechtspolitik . Ich
erinnere an die Debatten über das GTAZ, die Verschär-
fung der Antiterrorgesetze und die Verschärfung der Re-
gelungen gegen Kinderpornografie. Heute ging es um
die Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten,
insbesondere Polizisten, und Rettungskräften . Sie waren
immer dagegen, oft mit dem Argument, das bräuchten
wir nicht, wir bräuchten keine gesetzlichen Verschärfun-
gen . In der heutigen Debatte über den Schutz von Poli-
zei- und Vollstreckungsbeamten war aus Ihren Reihen zu
hören, das sei Zeitverschwendung . Dies zeigt, dass Sie
ein Problem mit dem Schutz des Rechtsstaates und der
Menschen haben .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit dem Gleichheitsgrundsatz, Herr Jurist?)


Ich muss ganz ehrlich sagen: Da, wo Sie regieren bzw .
mitregieren, sind die Kriminalitätsraten bei fast allen De-
likten am höchsten . Überlegen Sie sich noch einmal, ob
Sie diesen Gesetzentwurf ablehnen und den Schutz der
Menschen zurückdrängen wollen oder ob Sie sich bei
einem gut ausgewogenen und verhältnismäßigen Gesetz-
entwurf mit engagieren .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer schickt denn die Polizisten in solche Einsätze? Sie oder wir?)







(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823127200

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Gesetzent-
wurf zur Änderung des Strafgesetzbuches – Ausweitung
des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern . Der
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12155, den Gesetzentwurf der Fraktionen
der CDU/CSU und der SPD auf Drucksache 18/11162 in
der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Opposition angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von den Plätzen
zu erheben . – Das ist die Koalition . Wer stimmt dage-
gen? – Das ist die Opposition . Wer enthält sich? – Nie-
mand . Damit ist der Gesetzentwurf angenommen .

Wir stimmen jetzt ab über die Beschlussempfehlung
des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz zu
dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung
des Strafgesetzbuches – Ausweitung des Maßregelrechts
bei extremistischen Straftätern . Der Ausschuss für Recht
und Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe b sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12155,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/11584 für erledigt zu erklären . Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ein-
stimmig angenommen .

Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Sigrid
Hupach, Nicole Gohlke, Dr . Rosemarie Hein,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Ausstellungsvergütung gesetzlich verankern –
Gerechtigkeitslücke für bildende Künstlerin-
nen und Künstler schließen

Drucksache 18/12094
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre keine
weiteren Vorschläge . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat jetzt die Kol-
legin Sigrid Hupach, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sigrid Hupach (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823127300

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! „von Kunstausstel-
lungen leben viele“, so beginnt ein Plakat des Berufs-

verbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler mit
Sitz in Berlin aus dem Jahr 2009 . Danach werden über
60 Beteiligte aufgezählt, vom Aufsichtspersonal bis zur
Versicherung, „Nur“ – so endet die Aussage dann – „nur
Künstlerinnen und Künstler nicht“ .

Auf einer Veranstaltung der Initiative „Ausstellungs-
vergütung jetzt!“ Anfang März forderte eine Teilneh-
merin, dass eine Einladung zu einer Ausstellungsbetei-
ligung nicht zur Existenzbedrohung werden darf . Denen,
die das als Schwarzmalerei abtun wollen, empfehle ich,
in die aktuelle Studie des BBK-Bundesverbandes zu
schauen .

Das Einkommen der in der Künstlersozialkas-
se versicherten bildenden Künstler lag 2016 bei etwa
18 000 Euro pro Jahr; bei den Künstlerinnen lag es sogar
nur bei 13 000 Euro .


(Zuruf von der LINKEN: Unglaublich!)


Wenn sie dann, wie die Befragten der Studie, drei bis
vier Ausstellungen pro Jahr realisieren, wird in der Re-
gel weder die künstlerische Leistung vergütet noch der
Aufwand entschädigt, der ihnen bei der Vorbereitung,
beim Transport, beim An- und Abbau oder der Anreise
entsteht . Hier wird die Tragik deutlich .

Künstlerinnen und Künstler können nicht kostenlos
im Künstlerbedarf einkaufen, den ÖPNV benutzen oder
einen Transporter mieten . Warum also sollen sie ihre
künstlerische Leistung kostenfrei anbieten? Jetzt sagen
manche: weil Künstlerinnen und Künstler auf diese Wei-
se bekannt werden und den Wert ihrer Werke damit stei-
gern, Ruhm und Ehre wegen des schönen Ausstellungs-
ortes eingeschlossen .

Dass dies aber schon lange nicht mehr stimmt und
vermutlich nie der Realität entsprochen hat, zeigt die ak-
tuelle Studie des BBK . Trotz der regen Ausstellungstätig-
keit nehmen zwei Drittel weniger als 5 000 Euro im Jahr
durch den Verkauf ihrer Werke ein . Es gibt zwar Aus-
nahmen; aber fest steht die Tatsache, dass der größte Teil
der professionellen bildenden Künstlerinnen und Künst-
ler von dem Verkauf ihrer Werke nicht leben kann . Das
liegt nun keineswegs an ihrem unternehmerischen Un-
vermögen, sondern vor allem daran, dass sich die künst-
lerischen Ausdrucksformen geändert haben, dass sich der
Kunstmarkt wandelt und dass viele Ausstellungsorte ent-
weder gar keine Sammlung oder kein Geld mehr haben,
um Kunst einzukaufen . Und überhaupt: Kunst ist mehr
als eine Ware,


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und Ausstellungen in öffentlichen Häusern dienen vor-
rangig der öffentlichen Debatte.

Im Urheberrecht sind im Unterschied zu allen ande-
ren Sparten die bildenden Künstlerinnen und Künstler
benachteiligt . Sie haben keinen Anspruch auf Vergütung
ihrer künstlerischen Leistung . Selbstverständlich werden
Autoren am Buchverkauf beteiligt . Selbstverständlich
bekommen Komponistinnen Anteile, wenn ihr Werk auf-
geführt wird, und das immer, nicht nur beim ersten Mal .

Dr. Patrick Sensburg






(A) (C)



(B) (D)


Warum also sollte das bei den bildenden Künstlerinnen
und Künstlern nicht auch so sein?


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Summe, um die es dabei geht, ist nicht groß . In
Berlin umfasst der Ausstellungsfonds 300 000 Euro pro
Jahr – als erster Schritt . Es geht nämlich nicht darum,
dass Künstlerinnen und Künstler per Gesetz ein gutes Le-
ben führen können . Nein, es geht erst einmal nur darum,
dass ihnen überhaupt ein Anspruch auf die Vergütung ih-
rer Leistung zugestanden wird .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der BBK-Bundesverband hat 2014 eine Leitlinie ver-
öffentlicht, in der Vorschläge sowohl für die Höhe der
Ausstellungsvergütung als auch für Ausstellungshonora-
re unterbreitet werden . Sie ist sehr kurz und prägnant .
Sie unterscheidet zwischen Gruppen- und Einzelausstel-
lungen und bezieht auch geldwerte Leistungen des Aus-
stellers mit ein wie etwa den Druck eines Katalogs oder
einen Ankauf . Es gibt einen Grundbetrag für die Nutzung
eines künstlerischen Werkes pro Woche, der mit einem
Wirtschaftskraftfaktor je nach Veranstalter multipliziert
wird . Ein soziokulturelles Zentrum müsste so lediglich
100 Euro für eine vierwöchige Ausstellung zahlen, ein
Museum dagegen 1 000 Euro . Hinzu käme das Ausstel-
lungshonorar, die Aufwandsentschädigung, entsprechend
differenzierter Stundensätze je nach Art der Leistung.
Also: Reich wird damit keiner . Wichtig ist dieses Ein-
kommen aber, da es als künstlerisches Einkommen zählt
und so den Zugang zur Künstlersozialkasse erleichtert
und sichert .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Neben der Ausstellungsvergütung im Urheberrecht
wollen wir mit unserem Antrag den Bund in die Pflicht
nehmen . Er soll die Zahlung von Ausstellungsvergü-
tungen und Ausstellungshonoraren verbindlich in seine
Förderkriterien aufnehmen und die dafür nötigen Mittel
im Sinne der Einhaltung sozialer Mindeststandards zur
Verfügung stellen .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Vorbildwirkung wäre nicht zu unterschätzen . Es
wäre auch eine wirkliche Wertschätzung der Leistung
bildender Künstlerinnen und Künstler, von der immer so
viel geredet wird .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Eines muss uns allen doch klar sein: Ohne die Leis-
tung von bildenden Künstlerinnen und Künstlern gäbe
es keine Ausstellungen . Die anderen auf dem Plakat ge-
nannten Beteiligten hätten auch nichts mehr davon .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823127400

Vielen Dank . – Als Nächstes hat für die CDU/

CSU-Fraktion der Kollege Dr . Philipp Lengsfeld das
Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Philipp Lengsfeld (CDU):
Rede ID: ID1823127500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag greift
das Anliegen von Künstlerinitiativen auf, das ich, das wir
durchaus ernst nehmen . Trotzdem sind wir von dem vor-
geschlagenen Lösungsansatz nicht überzeugt .

In unserem Land herrscht verfassungsrechtlich ver-
ankerte Kunstfreiheit . Das ist gerade in heutigen Zeiten
ein sehr hohes Gut . Als Künstler darf man hierzulande
fast alles tun . Aber die Kehrseite der Medaille ist natür-
lich, dass die Entscheidung für Kunst als Lebensunterhalt
auch eine freie Entscheidung ist . So hart es klingen mag:
Wer von seiner Kunst leben will, der muss am freien
Markt erfolgreich sein .


(Zuruf von der LINKEN: Das klingt nicht nur hart!)


Die bildenden Künstler leben primär vom Verkauf ihrer
Werke . Dazu muss man die Kunden überzeugen und be-
kannt sein . Dafür sind Ausstellungen das A und O .

Jetzt sind wir beim Kern der Diskussion . Hilft eine
staatlich verordnete Ausstellungsvergütung dabei, dass
es im Land mehr Möglichkeiten zum Ausstellen für jun-
ge und noch nicht etablierte Künstler gibt? Das ist frag-
lich . Aber schauen wir genauer hin: Die Einführung einer
Ausstellungsvergütung würde zum Beispiel eine starke
Belastung für die ohnehin nicht immer üppig finanzier-
ten kleinen Museen und kommunalen Galerien bedeuten,
die – ich weiß aus meinen langen Jahren in der Berliner
Kommunalpolitik genau, wovon ich rede – oft deutlich
unter 5 000 Besucher im Jahr haben und die wirklich
ständig infrage gestellt werden . Meine Befürchtung ist:
Im Ergebnis einer gesetzlich festgeschriebenen Ausstel-
lungsvergütung gibt es weniger Ausstellungen für we-
niger Künstler in diesem Land . Das kann nicht die Idee
dieser Regelung sein; denn die Ausstellungsvergütung
soll letztlich helfen, die wirtschaftliche Situation von
Künstlern zu verbessern, von denen viele – ja – in prekä-
ren Verhältnissen leben . Aber für die soziale Absicherung
haben wir die Künstlersozialkasse, und die haben wir in
dieser Legislatur noch einmal gestärkt .

Die vorgeschlagene gesetzliche Ausstellungsvergü-
tung ist für mich ein Schritt in Richtung einer Art Kunst-
sozialismus .


(Zurufe bei der LINKEN: Oh! – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe darauf gewartet, dass das kommt! Der Sozialismus hält bei Ihnen in jeder Rede Einzug!)


Sigrid Hupach






(A) (C)



(B) (D)


Ich finde es gefährlich, überall den Staat hereinholen zu
wollen .


(Zuruf von der LINKEN: Da werde ich zu später Stunde wieder wach! – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei den Musikern ist das auch so!)


– Jetzt mal ganz ruhig! – Wir schafften zusätzliche Büro-
kratie – das ist schon in der Rede der Kollegin angeklun-
gen –, hätten die Möglichkeit zu mehr staatlichen Ein-
griffen – das kann nicht gewollt sein – und stärkten eine
Versorgungsmentalität; auch das ist nicht richtig . Das ist
das Gegenteil von Kreativität und Wettbewerb, die ge-
rade für den künstlerischen Bereich so wesentlich sind .

Der politisch richtige Weg ist deshalb, Galerien und
Museen finanziell zu stärken, etwa durch die Erhöhung
des Ankaufetats . Und natürlich kann es nicht sein, dass
ein Künstler mit seiner Ausstellung Verluste macht; das
ist überhaupt keine Frage . Und ja, auch neue künstleri-
sche Ausdrucksformen wie Performanceaktionen muss
man im Blick haben . Sie lassen sich nicht wie Gemälde
oder Skulpturen verkaufen . Auch das ist richtig .

Insgesamt finde ich es auch richtig, dass wir gegen
den Geist der Umsonstkultur, die sich gerade durch das
Internet in den letzten Jahren schon relativ stark ausge-
breitet hat, vorgehen . Kreative sollen angemessen für
Leistungen honoriert werden; aber die Kernleistung ei-
ner Ausstellung ist die Möglichkeit zur Präsentation der
Werke . Das ist das Zentrale .

Trotzdem unterstütze ich ausdrücklich, dass auch Ver-
gütungen von Ausstellungen stärker angereizt oder ge-
fordert werden, aber auf freiwilliger Basis . So macht es
das Land Berlin gerade – Kollegin Hupach hat es schon
erwähnt – mit einem neu kreierten Fonds für Ausstel-
lungshonorare . Das ist auch gut so . Allerdings ist meine
Heimatstadt Berlin auch in der sehr komfortablen Son-
dersituation, dass der Bund gut 600 Millionen Euro für
die Hochkultur in Berlin ausgibt . Da bleibt natürlich für
den neu gewählten Senator Lederer Geld zur Verteilung
übrig; das ist klar . Aber das ist eine Sondersituation . In-
sofern: Es ist eine gute Initiative, aber wir können daraus
keine gesetzliche Legitimation herleiten .

Die Kunst ist frei . Wir müssen in der Tat die wirt-
schaftliche Lage der Künstlerinnen und Künstler im
Blick behalten, aber eine gesetzlich verordnete Ausstel-
lungsvergütung ist nicht der richtige Weg .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823127600

Vielen Dank . – Als Nächstes hat Ulle Schauws, Bünd-

nis 90/Die Grünen, das Wort .


Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823127700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Lieber Kollege, Sie haben gerade Vergleiche
gezogen und festgestellt, dass Kunst eine freiwillige und
leistungsgerechte Angelegenheit sein muss . Kunst nach
Leistungsprinzip, das kann auf die bildende Kunst ange-

wendet werden . Für alle anderen Kunstsparten haben wir
eine Regelung gefunden . Wir reden hier über die Gerech-
tigkeitslücke – darauf bezieht sich auch der Antrag, den
wir heute beraten –, und davon haben wir ein deutlich
anderes Verständnis als Sie .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Debatte um die Einführung einer Ausstellungsver-
gütung – das will ich ganz klar sagen – wird vonseiten
der Kunstverbände und von Verdi seit über 30 Jahren
geführt . Nicht zuletzt 2007 hat die Enquete-Kommission
„Kultur in Deutschland“ klare Forderungen zu diesem
Thema aufgestellt . Wir haben 2011 einen Antrag dazu
vorgelegt und begrüßen den Antrag der Linken deswe-
gen sehr .

Wir reden über einen wirklich alten Hut; denn in der
Praxis hat sich bis heute nichts getan . Einst war die Aus-
stellungsvergütung ein Steckenpferd der SPD . Seit Sie in
der Großen Koalition sitzen, haben wir zu diesem Thema
von Ihnen leider nichts mehr gehört .


(Burkhard Blienert [SPD]: Das kommt gleich!)


Ich muss noch einmal festhalten, Herr Kollege: Die
Einführung einer Ausstellungsvergütung – das zeigt
der Blick ins europäische Ausland – ist nicht nur längst
überfällig, sondern vor allem auch machbar . Aber Sie
machen nichts . Schlimmer noch: Die Versäumnisse der
Bundesregierung hinsichtlich der Verbesserung der so-
zialen und wirtschaftlichen Lage von Kulturschaffenden
sind dramatisch . Niedrige Honorare, mangelnde soziale
Absicherung und infolgedessen Altersarmut – das ist die
ungeschminkte Realität vieler Kulturschaffender und
Kreativer in diesem Land . Es ist weiter brotlose Kunst .

Dagegen können wir etwas tun . Gerade gestern haben
wir Grüne in einem öffentlichen Fachgespräch mit zahl-
reichen Kulturleuten und Kreativen über wirkungsvolle
Wege zur Absicherung von Arbeitslosigkeit und Krank-
heit sowie der prekären Situation im Alter diskutiert . Wir
erarbeiten im Dialog mit ihnen neue Konzepte, Konzep-
te, die zur Lebensrealität von Kreativen und Kulturschaf-
fenden passen . Und darauf kommt es an .

Eine Regelung, die überhaupt nicht zur Beschäfti-
gungsrealität vieler Künstlerinnen und Filmleute passt,
ist zum Beispiel die Sonderregelung für kurz befristet
Beschäftigte . Meine Damen und Herren, worin liegt denn
der Sinn solcher Regelungen, mit denen Konstrukte auf-
rechterhalten werden, die die Mehrheit dieser Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer überhaupt nicht erreicht und
die nicht zu ihnen passen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deswegen hat meine Fraktion schon 2014, vor drei Jah-
ren, ein Konzept zu Beitrags- und Anwartschaftszeiten in
der Arbeitslosenversicherung vorgelegt . Es geht so: vier
Monate einzahlen, zwei Monate Anspruch auf Arbeitslo-
sengeld. Das würde den Kultur- und Kreativschaffenden

Dr. Philipp Lengsfeld






(A) (C)



(B) (D)


in diesem Land wirklich direkt etwas bringen . Das haben
Sie abgelehnt . Da haben Sie eine große Chance verpasst .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Konkret zur Ausstellungsvergütung: Die Einführung
allein wird die oftmals schwierige wirtschaftliche Lage
vieler bildender Künstlerinnen und Künstler nicht ändern
können . Die Beträge sind – die Kollegin hat es ausge-
führt – einfach zu klein . Sie trägt aber zumindest partiell
zu einer verbesserten Einnahmesituation bei .

Hinzu kommt – und das ist genau das, was ich ein-
gangs sagte –, dass damit eine Gerechtigkeitslücke ge-
schlossen wird, die die bildende Kunst im Vergleich zu
allen anderen Kunstsparten hat . Interpretinnen und Inter-
preten oder Bühnendarstellerinnen und Bühnendarsteller
haben andere Möglichkeiten, über ihre Werke Einnah-
men zu erzielen . Nur die bildenden Künstlerinnen und
Künstler können allein durch den Verkauf ihrer Werke
Einnahmen erzielen, nicht aber durch die öffentliche Prä-
sentation ihrer Kunst . Oftmals müssen sie sogar drauf-
zahlen, wenn sie eine Ausstellung ausrichten . Da besteht
also eine weitere strukturelle Benachteiligung, die mög-
licherweise on top Geld kostet .

Einige Punkte in diesem Antrag sind mir besonders
wichtig: Es ist völlig richtig und wichtig, die Ausstel-
lungsvergütung auf Orte zu begrenzen, an denen Kunst
gezeigt wird . Die Bereiche des Kunsthandels, also zum
Beispiel Kunsthallen, in denen die Kunst verkauft wird,
müssen von diesen Vergütungen ausgenommen werden;
denn dort ist das Abzielen darauf, dass die Kunst verkauft
wird, Sinn und Zweck der Angelegenheit . Entscheidend
ist für uns, dass eine Unterscheidung zum Beispiel zwi-
schen soziokulturellen Zentren und Museen vorgenom-
men wird . Da sind die Handlungsspielräume eindeutig
andere und nicht vergleichbar .

Wir unterstützen ganz besonders, dass die Ausstel-
lungsvergütung in die Fördergrundsätze der vom Bund
geförderten Einrichtungen und Projekte aufgenommen
wird . Der Bund muss hier mit gutem Beispiel vorange-
hen . Das haben übrigens die Sachverständigen im Fach-
gespräch zur sozialen Lage im Kulturausschuss gestern
noch einmal klar eingefordert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823127800

Es wäre nett, wenn Sie jetzt auch mit gutem Beispiel

vorangehen und zum Ende kommen würden .


Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823127900

Ich will zum Abschluss Folgendes sagen, Frau Präsi-

dentin: Wir sollten mit diesem Antrag für die bildende
Kunst vorangehen und ein wichtiges Signal der Wert-
schätzung für künstlerische Arbeit senden . Dieses Signal
sollten wir senden, nicht ein Signal für eine Kunst, die
sich für die Menschen, die dafür viel arbeiten müssen,
nicht weiter lohnt .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823128000

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Burkhard Blienert,

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Burkhard Blienert (SPD):
Rede ID: ID1823128100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, in
der Analyse sind wir uns in vielen Punkten sehr einig .
Die bildenden Künstlerinnen und Künstler tragen seit
Jahren die rote Laterne in den Einkommenstabellen der
künstlerischen Berufe . Sie verdienen nach der KSK-Sta-
tistik – die Kollegin hat darauf hingewiesen – im Schnitt
15 740 Euro im Jahr . Das liegt nicht zuletzt daran, dass
sie für die Ausstellung ihrer Werke in der Regel keine
Vergütung erhalten und in einigen Fällen sogar die Kos-
ten der Ausstellung selber tragen müssen . Dieser Um-
stand stellt zugleich eine Ungleichbehandlung von bil-
denden Künstlerinnen und Künstlern gegenüber anderen
vergleichbaren kreativen Urheberinnen und Urhebern in
der Musik, im Theater oder in der Literatur dar . Da es
keine sachlichen Unterschiede zwischen den Künstler-
gruppen gibt, gilt es, diese Ungleichbehandlung tatsäch-
lich zu beseitigen .

Eine Kulturnation wie Deutschland kann es sich
nicht erlauben, so mit ihren Künstlerinnen und Künst-
lern umzugehen, wenn sie diese Tradition bewahren und
die kulturelle Vielfalt erhalten möchte . Das werden wir
nur können, wenn wir in diejenigen investieren, die das
Hervorbringen von Kunst und Kultur sowie die kreative
Arbeit zu ihrem Erwerb gemacht haben . Vor allem müs-
sen wir als Politik die notwendigen Rahmenbedingungen
schaffen, die es den Betreffenden ermöglichen, durch ei-
genes Schaffen ein angemessenes Einkommen zu erzie-
len . Das Ausstellen ihrer Werke ist ein wichtiges Betäti-
gungsfeld der bildenden Künstlerinnen und Künstler und
ist längst eine eigenständige Leistungsform geworden .
Durch eine Vergütung für die öffentliche Nutzung und
Verwertung ihrer Werke wären die bildenden Künstlerin-
nen und Künstler in der Lage, ihre wirtschaftliche Situa-
tion selbst zu verbessern .

Auf die Frage, ob wir eine verbindliche Ausstellungs-
vergütung brauchen, kann ich aus Sicht der SPD-Bun-
destagsfraktion nur eindeutig mit Ja antworten . Nicht so
leicht zu beantworten ist die Frage, wie eine solche Re-
gelung auszugestalten ist, damit sie den bildenden Künst-
lerinnen und Künstlern wirklich hilft und nicht kontra-
produktiv wirkt . Diese Frage wird leider im vorliegenden
Antrag unzureichend beantwortet . Ich sage bewusst: lei-
der; denn auch wir als SPD-Bundestagsfraktion sehen in
dieser Frage Handlungsbedarf . Dass der gute Wille allein
manchmal nicht reicht und dass sich die Wirkung sogar
ins Gegenteil kehren kann, hat uns das Beispiel Öster-
reich gezeigt . Deshalb keine vorschnellen Entscheidun-
gen und keine vorschnellen Konzepte!

Ulle Schauws






(A) (C)



(B) (D)


Auch wenn wir die Initiative der Linken, über diese
Fragen zu diskutieren, grundsätzlich begrüßen, lässt der
Antrag aus unserer Sicht viele wichtige Fragen unbe-
antwortet . Der Problemaufriss macht dies deutlich . Die
eigentlichen Forderungen an die Bundesregierung blei-
ben in weiten Teilen unkonkret und oberflächlich. Auch
macht es sich die Linke an einigen Stellen zu einfach,
wenn sie fordert, der Bund möge seinen Einfluss auf Län-
der und Kommunen geltend machen, ein verpflichtendes
Ausstellungshonorar zu zahlen . In diesem Falle gilt, was
Einstein einmal formuliert hat . Als Politiker ist es nicht
nur sinnvoll, gute Reden zu halten . Vielmehr muss man
in Leistung und Arbeit investieren . – Für Politiker bedeu-
tet das, in Mehrheitsverhältnisse zu investieren, damit sie
die Realitäten verändern können .

Liebe Kollegen von der Linken, Sie sollten schon
genau sagen, wie angesichts der finanziellen Lage vie-
ler Kommunen so etwas finanziert und realisiert werden
kann . Selbst wenn der Bund eine Ausstellungszahlung
in seinen Einrichtungen ermöglichen würde, darf man
nicht vergessen: Der überwiegende, große Teil der Mu-
seen und der Ausstellungshäuser befindet sich in der Ver-
antwortung der Länder und Kommunen . Eine wirklich
tragfähige Lösung ist an dieser Stelle nur gemeinsam mit
den Kommunen und den Ländern zu finden. Das sind die
Fragen, an denen wir uns orientieren sollten .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber man kann doch prüfen, wie man das macht!)


Beispiel Schweden . Die Schweden haben vielleicht
einen Weg beschritten, der deutlich macht, wie es gehen
kann . In Schweden gibt es seit 2009 eine Übereinkunft,
dass bildende Künstlerinnen und Künstler beim Ausstel-
len ihrer Werke anteilig an den Einnahmen der Museen
beteiligt werden . Das sogenannte Reko-Label zeichnet
Einrichtungen aus, die eine angemessene Vergütung zah-
len . Leider ist es aufgrund unserer föderalistischen Struk-
tur nicht eins zu eins auf Deutschland übertragbar . Wir
brauchen für Deutschland eine passgenaue Lösung . Wir
sollten uns jedenfalls das schwedische Modell anschauen
und darüber reden . Dafür brauchen wir tatsächlich mehr
Zeit .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Prüfauftrag, Herr Kollege!)


Das sollten wir in der kommenden Legislaturperiode
gemeinsam anpacken . Wir dürfen aber nicht vergessen:
Das schwedische Modell hat die schwierige wirtschaft-
liche Situation der Künstlerinnen und Künstlern nur be-
dingt auffangen können – so erfolgreich ist es in diesem
Fall auch nicht –, weil die Vergütung zu gering ist und
weil Künstlerinnen und Künstler zu selten in den Genuss
einer öffentlichen Ausstellung kommen. Das wird in
Deutschland leider Gottes nicht anders sein . Deshalb ist
eine Ausstellungsvergütung nur ein Instrument und kein
Allheilmittel .

Wir haben als SPD-Bundestagsfraktion in dieser Le-
gislaturperiode an vielen Stellen unsere Vorstellung
deutlich gemacht und durchsetzen können . Wir haben
die KSK gesichert und zukunftsfähig gemacht . Wir ha-
ben beim Urhebervertragsrecht dafür gesorgt, dass es tat-

sächlich substanzielle Verbesserungen für Künstlerinnen
und Künstler, für die Urheberinnen und Urheber gibt . Bei
der Novelle des Filmförderungsgesetzes haben wir dafür
gesorgt, dass auch soziale Mindeststandards mittlerweile
im Gesetz auftauchen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823128200

Kollege Blienert, darf ich Sie unterbrechen? Gestatten

Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Schauws?


Burkhard Blienert (SPD):
Rede ID: ID1823128300

Ich würde diese Minute gern zu Ende reden . Danach

können wir gerne in die Diskussion einsteigen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823128400

Nein, danach können Sie die Rede nicht mehr aufneh-

men . Entweder jetzt eine Frage oder keine . Ich stoppe
auch die Redezeit . Sie wollen keine Zwischenfrage? –
Dann ist gut . Aber danach gibt es auch keine .


Burkhard Blienert (SPD):
Rede ID: ID1823128500

Wir als SPD-Fraktion haben uns des Themas der

Arbeitslosenversicherung, des Arbeitslosengeldes I an-
genommen . Da hätten wir uns mehr vorstellen können .
Wir als SPD haben die wesentlichen Beschlüsse schon
gefasst, weil wir in der kommenden Legislaturperiode
auch bei der allgemeinen Rahmenfrist Verbesserungen
umsetzen wollen .

Flexible Beschäftigungsstrukturen, veränderte Er-
werbsbiografien, schwierige Einkommensverhältnisse
machen es Solo-Selbstständigen, Freiberuflichen, Künst-
lerinnen und Künstlern, Kulturschaffenden zunehmend
schwerer, Risiken wie Krankheit, Pflegebedürftigkeit,
Arbeitslosigkeit abzufedern und für das Alter vorzusor-
gen . Deshalb müssen wir diese Gruppen ganz speziell in
den Fokus nehmen . Auch in diesem Punkt hat das Bun-
desarbeitsministerium in dieser Legislaturperiode durch
das Weißbuch Arbeiten 4 .0 schon wichtige Vorausset-
zungen geschaffen, um daran weiterarbeiten zu können.
Ebenso ist die Einführung des Mindestlohns ein wichti-
ger Bestandteil der sozialen Sicherung von Künstlerin-
nen und Künstlern . Mindesthonorare, Ausstellungsver-
gütungen können diese flankieren.

Ich habe anfangs gesagt: Wir sind dafür offen. Wir ste-
hen auch dazu . Wir haben entsprechende Anträge selber
gestellt .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben seit zehn Jahren den Ansatz und machen nichts! Herr Kollege, es ist Ihre Fraktion!)


Das ist eine Möglichkeit, für Künstlerinnen und Künstler
an dieser Stelle noch etwas zu tun .

Ich danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Burkhard Blienert






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823128600

Vielen Dank . – Der Kollege Ansgar Heveling von der

CDU/CSU-Fraktion schließt für heute hier die Debatte
ab .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ansgar Heveling (CDU):
Rede ID: ID1823128700

Repetitio est mater studiorum – so hat der spätantike

Gelehrte Cassiodorus den Wert der Wiederholung be-
zeichnet .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und den Wert der Kunst, als was das?)


Wenn ein Thema aber letztlich schon ausdiskutiert ist
oder, wie Kollegin Schauws es gesagt hat, ein alter Hut
ist, dann sind die Argumente natürlich auch schon ausge-
tauscht . Das Thema Ausstellungsvergütung ist eines, das
uns in der Tat heute nicht zum ersten Mal begegnet, son-
dern das hier schon vielfach diskutiert und mit Anträgen
unterlegt worden ist . Die Argumente haben sich indessen
nicht wesentlich geändert .


(Sigrid Hupach [DIE LINKE]: Dann setzen Sie es um!)


Der Wunsch nach einer Ausstellungsvergütung für
bildende Künstler scheint auf den ersten Blick durchaus
berechtigt zu sein . Wieso, fragt man sich, sollten Ma-
lerinnen und Maler, Bildhauer, Fotografen und andere
für die Ausstellung ihrer Werke keinen urheberrechtlich
verbrieften Anspruch auf Vergütung erhalten, zumal die
wirtschaftliche Situation von Künstlern – ich glaube, da-
rüber sind wir uns einig – fraglos oftmals alles andere als
rosig ist?

Bei eingehender Betrachtung indes bewahrheitet sich,
dass das Gegenteil von „gut“ oftmals nur „gut gemeint“
ist . Genau wie Autoren und Musiker bei der Herausgabe
ihrer Texte oder Musik einen Primäranspruch oder eine
direkte Vergütung erhalten, so lebt der bildende Künstler
vom unmittelbaren Verkauf seiner Werke oder auch von
der Nutzung von Abbildungen seiner Werke . Der bilden-
de Künstler lebt also von der Verwertung, der Nutzung
seiner Werke, genau wie jeder andere Künstler auch .

Was Sie mit dem unverzichtbaren Anspruch auf Zah-
lung einer angemessenen Ausstellungsvergütung bezwe-
cken, ist letztlich nichts anderes als eine Sozialleistung in
einem anderen Gewand .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hä? – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist aber eine komische, krude Bezeichnung! Erklären Sie das mal dem BBK!)


Jean-Paul Sartre hat einmal gesagt: Kunst gibt es nur
für und durch andere . – Gemeint hat er damit, dass das
Kunstwerk als Kunstwerk nur in der Kommunikation mit
seinem Betrachter existiert . Die Gefahr ist, dass genau
diese Kommunikation eingeschränkt würde, wenn es
eine Ausstellungsvergütung gäbe .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das bezweifle ich aber stark!)


Es sind doch gerade die modernen, zeitgenössischen
Künstler, die auf ein Gezeigtwerden ihrer Werke so drin-
gend angewiesen sind, und das in einem Umfeld, in dem
zeitgenössische Kunst für Museen leider allzu oft ein fi-
nanziell kaum mehr zu stemmendes Wagnis ist . Insofern
ist es richtig – was auch der Kollege Lengsfeld schon
angesprochen hat –: Wir müssen andere Wege finden, um
etwa Museen zu unterstützen .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber sie suchen gar nicht danach! Warum nicht?)


Der Deutsche Museumsbund warnt beispielsweise
explizit davor, dass gerade die weniger finanzkräftigen
kleineren Museen Leidtragende einer Ausstellungsvergü-
tung sein könnten . Auch privat organisierte Kunstvereine
müssten sich gut überlegen, eine Ausstellung zu organi-
sieren; denn meistens übernehmen sie doch ohnehin die
Kosten für Räumlichkeiten, Werbung und anderes . Das
Risiko, nicht namhafte Künstler auszustellen, würde
dann wohl niemand mehr eingehen .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Argumentation ist genauso ein alter Hut! Unglaublich! Das geht alles auf Kosten der Künstlerinnen und Künstler!)


Letztendlich führt eine verpflichtende Ausstellungsver-
gütung also in vielen Fällen zu insgesamt weniger Aus-
stellungen der Werke lebender Künstlerinnen und Künst-
ler .

Ausstellungen sind immer auch Verkaufsförderungs-
maßnahmen, unabhängig davon, ob ein Werk letztlich
gekauft wird oder nicht; denn das entzieht sich ohnehin
der Vorhersehbarkeit . Gerade deshalb erscheint es sinn-
voll, möglichst vielen Künstlerinnen und Künstlern zu-
mindest die Chance zu eröffnen, Käufer für ihre Werke
zu finden; denn um wirklich von der eigenen Kunst leben
zu können, muss ein Künstler verkaufen, und dafür muss
die Kunst präsent sein . Zumal: Eine Ausstellungsver-
gütung würde bei zeitgenössischen Künstlern, die noch
keine größere Bekanntheit erlangt haben, wahrscheinlich
ohnehin nicht in relevantem Maße zur Existenzsicherung
beitragen . Gleichzeitig würde sie aber in vielen Fällen
verhindern, dass der Künstler schnell bekannt werden
kann .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich glaube, den Paradigmenwechsel haben Sie noch nicht verstanden!)


Das moderne Künstlerbild ist etwas relativ Neues . Bis
tief ins 19 . Jahrhundert hinein regierte die Auftragskunst .
Natürlich wünschen wir keiner Künstlerin und keinem
Künstler, dass ihre oder seine Kunst brotlos bleibe . Na-
türlich wissen wir, dass der Kunstmarkt seinen eigenen,
oftmals nur schwer nachvollziehbaren Gesetzmäßigkei-
ten folgt . Das ist bisweilen vielleicht auch schmerzhaft .
Gleichwohl halten wir den mit dem Antrag gemachten
Vorschlag nicht für zielführend . Wir werden den Antrag
natürlich weiter beraten, aber ihm wahrscheinlich nicht
zustimmen .






(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823128800

Vielen Dank . – Diese Diskussion soll im Ausschuss

für Kultur und Medien fortgesetzt werden . Dazu ist
es notwendig, dass wir die Vorlage auf Drucksache
18/12094 an den Ausschuss überweisen . Sind Sie damit
einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Anpassung des Umwelt-Rechts-
behelfsgesetzes und anderer Vorschriften an
europa- und völkerrechtliche Vorgaben

Drucksachen 18/9526, 18/9909, 18/10102 Nr. 8

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit (16 . Ausschuss)


Drucksache 18/12146

Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Wenn die Privatgespräche eingestellt würden, könnten
wir die Aussprache eröffnen. – Jetzt erhält das Wort für
die Bundesregierung die Parlamentarische Staatssekretä-
rin Rita Schwarzelühr-Sutter .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ri
Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1823128900


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz ist zwar erst
knapp zehn Jahre in Kraft, aber es musste schon mehr-
fach novelliert werden, weil der Europäische Gerichtshof
wesentliche Vorschriften für europarechtswidrig erklärt
hatte . Die letzte Novellierung und damit auch die letz-
te Bundestagsdebatte sind gerade einmal 18 Monate her .
Genau an dem Tag, an dem wir die letzte Novellierung
beraten haben – das war der 15 . Oktober 2015 – hat der
Europäische Gerichtshof in Luxemburg bereits die nächs-
te Entscheidung zur Vereinbarkeit des Umwelt-Rechts-
behelfsgesetzes mit dem europäischen Recht gefällt . Sie
können es erraten: Zum dritten Mal hat der Europäische
Gerichtshof festgestellt, dass das Umwelt-Rechtsbehelfs-
gesetz nicht den Vorgaben des Unionsrechts entspricht .
Wir sind uns sicher alle einig: Das war keine gute Bilanz
für so ein junges Gesetz . Der vorliegende Gesetzentwurf
der Bundesregierung hat das Ziel, das Umwelt-Rechtsbe-
helfsgesetz an die europa- und völkerrechtlichen Vorga-
ben anzupassen .

Der Entwurf setzt erstens die Vorgaben des EuGH-Ur-
teils vom 15 . Oktober 2015 um . So vermeiden wir die
Einleitung eines Zwangsgeldverfahrens wegen fehler-
hafter Umsetzung der Umweltverträglichkeitsprüfungs-
und Industrieemissions-Richtlinie . Auch wenn die Höhe
des Zwangsgeldes eine kleinere Dimension hat als zum
Beispiel bei dem Gesetz zur Bekämpfung der Steuerum-
gehung, das wir heute Morgen debattiert haben: Es sind
doch Steuergelder . Deswegen ist es wichtig, dass wir das
Problem jetzt lösen und dass kein Zwangsgeld verhängt
wird .

Zweitens dient der Gesetzentwurf dazu, das völker-
rechtliche Compliance-Verfahren gegen Deutschland
im Rahmen der Aarhus-Konvention zu beenden . 2014
hatte die Konferenz der Vertragsstaaten festgestellt, dass
Deutschland in zwei Punkten seinen völkerrechtlichen
Verpflichtungen beim Gerichtszugang in Umweltangele-
genheiten nicht nachgekommen ist .

Mit den Änderungen am Umwelt-Rechtsbehelfsge-
setz, die die Bundesregierung vorgeschlagen hat, können
diese beiden Ziele erreicht werden . Der Gesetzentwurf
setzt das um, was europarechtlich und völkerrechtlich
zwingend notwendig ist . Dazu gehören unter anderem
die Erweiterung der Klagemöglichkeiten für Umweltver-
bände und die Abschaffung der materiellen Präklusion.

Gleichzeitig beschreiten wir beim verwaltungsprozes-
sualen Rechtsschutz in einem großen Teil des Anwen-
dungsbereichs des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes aber
auch neue Wege. Wir schaffen die Möglichkeit, dass das
Gericht bei einer Verletzung materieller Rechtsvorschrif-
ten die angefochtene Verwaltungsentscheidung nicht
aufhebt, sondern eine nachträgliche Heilung dieses ma-
teriellen Fehlers zulässt . Das ist für Investoren und Un-
ternehmen eine ganz erhebliche Erleichterung; denn es
bedeutet konkret, dass nicht mehr das gesamte Genehmi-
gungsverfahren wiederholt zu werden braucht, sondern
eine Korrektur des vom Gericht beanstandeten Fehlers
ausreicht .

Der in den Ausschüssen beratene Gesetzentwurf hat
den Spielraum, der durch das europäische Recht und das
Völkerrecht gegeben wird, voll ausgeschöpft . Die Be-
schlussempfehlung des Umweltausschusses greift im
Einklang mit der Gegenäußerung der Bundesregierung
Anregungen des Bundesrates auf . Darüber hinaus ent-
hält sie neben Folgeänderungen rechtstechnischer Natur
einige punktuelle Änderungsvorschläge sowie eine Ent-
schließung . Diese Vorschläge entwickeln den Gesetzent-
wurf fort, um im Rahmen der Beratungen aufgeworfenen
Bedenken so weit wie möglich Rechnung zu tragen .

Meine Damen und Herren, Einstein hat heute Kon-
junktur .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Lateinzitate sind angesagt!)


Eigentlich wollte ich jetzt genau das Gleiche sagen – das
passt nämlich auch hier –:

Persönlichkeiten werden nicht durch schöne Reden
geformt, sondern durch Arbeit und eigene Leistung .

Ansgar Heveling






(A) (C)



(B) (D)


Aber eigentlich kann man bei diesem Gesetz etwas viel
Besseres anbringen:

Probleme kann man niemals mit derselben Denk-
weise lösen, durch die sie entstanden sind .

In diesem Fall hat es etwas länger gedauert, dass die
Denkweisen sich geöffnet haben und wir zu einer Lösung
gekommen sind .

Ich danke Ihnen ganz herzlich, dass wir das Gesetz
heute verabschieden .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823129000

Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt

der Kollege Hubertus Zdebel .


(Beifall bei der LINKEN)



Hubertus Zdebel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823129100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz ist ein
sperriges Thema . Außerhalb dieses Hohen Hauses und
abgesehen von einigen Expertinnen und Experten kann
kaum jemand, glaube ich, wirklich etwas damit anfan-
gen . Ich sage ganz kurz Folgendes dazu: Jeder Mensch
hat Klagerechte bei staatlichen Entscheidungen über die
Umwelt . Aber die Bundesregierung setzt die völkerrecht-
lich bindende Aarhus-Konvention, die Deutschland mit
unterschrieben hat, seit 15 Jahren nur sehr restriktiv um .
Die Entscheidungen des Aarhus Convention Compli ance
Committee und des Europäischen Gerichtshofs haben
deutlich gemacht, dass die deutschen Bestimmungen
über die gerichtliche Kontrolle von umweltbezogenen
Verwaltungsentscheidungen völlig unzureichend sind .
Die Bundesregierung hat jedoch die notwendigen Kon-
sequenzen verweigert .

Ihr Änderungsentwurf zum Umwelt-Rechtsbehelfs-
gesetz provoziert neue Verurteilungen . Daran haben die
Ausführungen der Mehrheit der Sachverständigen in der
Anhörung des Umweltausschusses am 26 . September
2016 keinen Zweifel gelassen . Das ist also schon gut und
gerne ein halbes Jahr her, und wir hatten eigentlich gar
nicht mehr damit gerechnet, dass sich die Bundesregie-
rung bzw . die Koalitionsfraktionen in dieser Legislatur-
periode noch auf irgendetwas verständigen könnten . Im
Nachgang betrachtet wäre es besser gewesen, sie hätten
sich auf nichts verständigt; denn das, was hier vorgelegt
worden ist, ist definitiv nicht die Umsetzung dessen, was
in der Aarhus-Konvention festgeschrieben worden ist .

Monatelang haben SPD und CDU/CSU die Behand-
lung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Um-
welt-Rechtsbehelfsgesetz im Umweltausschuss vor sich
hergeschoben . Doch statt nun einen Antrag vorzulegen,
der die schwerwiegenden Defizite des Regierungsent-
wurfs beseitigt und europäischen sowie internationalen
Anforderungen genügt, will die Große Koalition die ge-
planten restriktiven Bestimmungen sogar verschärfen .

Im Interesse der Industrie soll heute ein Artikelgesetz
verabschiedet werden, das effektive und umfassende
Klagerechte von Umweltorganisationen nicht ermög-
lichen, sondern weitgehend verhindern soll . Das ist ein
handfester Skandal und nicht hinnehmbar .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es muss endlich mit der Privilegierung von Bergbau-
vorhaben Schluss sein . Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz
muss auch für bergrechtliche Erlaubnisse und Bewilli-
gungen zum Beispiel bei Fracking-Vorhaben Anwen-
dung finden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir Linken fordern: Die Bestimmung, Raumordnungs-
pläne, die Flächen für den Abbau von Rohstoffen auswei-
sen, von der Klagebefugnis auszunehmen, ist ersatzlos zu
streichen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jedes staatliche Handeln muss gerichtlich auf Überein-
stimmung mit den Vorschriften des Umweltrechts über-
prüfbar sein .


(Beifall bei der LINKEN)


Auch das ist nicht der Fall .

Bisher war es in Deutschland nicht möglich, Argu-
mente zur Klagebegründung vor Gericht vorzubringen,
falls diese nicht bereits im vorausgegangenen Verwal-
tungsverfahren vorgetragen wurden . Das war die Ver-
gangenheit . Diese „materielle Präklusion“ – so der Fach-
terminus – hat der Europäische Gerichtshof inzwischen
gekippt . Nun will die Bundesregierung das EuGH-Urteil
mit einer Missbrauchsklausel aushebeln . Auch das ist
nicht hinnehmbar .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Einführung der Präklusion durch die Hintertür leh-
nen wir entschieden ab .

Die Fraktionen von SPD und CDU/CSU setzen dem
Ganzen allerdings mit ihrem Änderungsantrag jetzt noch
die Krone auf . Sie wollen die Klagerechte durch einen
Änderungsantrag, der gestern im Umweltausschuss
schon beschlossen wurde, noch weiter einschränken .
So sollen bestimmte Verwaltungsakte nach zwei Jahren
nicht mehr beklagt werden können . Dies soll sogar gel-
ten, wenn die Kläger gar keine Chance hatten, davon zu
erfahren, selbst wenn sie widerrechtlich verschwiegen
wurden. Damit öffnen Sie Missbrauch Tür und Tor. Auch
das ist nicht hinnehmbar .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bei der Klagebegründungsfrist wird noch einmal sehr
deutlich, dass Sie Umweltorganisationen gegenüber Ver-
waltung und Industrie benachteiligen wollen . Während
Sie dem Gericht für die Kläger eine Fristsetzung von

Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter






(A) (C)



(B) (D)


zehn Wochen vorschreiben, gelten für Beklagte und Bei-
geladene keinerlei Fristen für Stellungnahmen .

Die Linke lehnt den Beschlussvorschlag der Bundes-
regierung und der Großen Koalition ab . Wir fordern eine
rechtskonforme Überarbeitung des Umwelt-Rechtsbe-
helfsgesetzes, wie es der Aarhus-Konvention entspricht .
Wir fordern Sie daher auf, Ihren Gesetzentwurf zurück-
zuziehen, denn der gehört tatsächlich in den Mülleimer .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1823129200

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt der Kollege Oliver Grundmann .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Oliver Grundmann (CDU):
Rede ID: ID1823129300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir sprechen heute über die Neujustierung des Um-
welt-Rechtsbehelfsgesetzes . „Umwelt-Rechtsbehelfsge-
setz“ – das ist ein sperriger Begriff. Die Materie dahin-
ter – das will ich hier nicht verhehlen – ist auch ein Stück
weit sperrig, hochjuristisch und eben auch hochkomplex .
Sie ist aber von einer weitreichenden Bedeutung . Eben
deshalb haben wir uns auch so viele Monate Zeit genom-
men, darüber zu diskutieren . Wir haben das getan, weil
wir der Auffassung sind, dass Sorgfalt vor Schnelligkeit
geht .

Ich will hier an dieser Stelle sagen: Wir machen die
gebotene Novelle nicht freiwillig . Es geht hier um euro-
pa- und völkerrechtliche Vorgaben, die wir nun einmal
umsetzen müssen . Das haben wir mit dem vorliegenden
Entwurf auch vollumfänglich getan .

Fakt ist aber auch: Die Umweltverbände bekommen
wieder mehr Klagerechte . Das muss uns aufhorchen las-
sen . Stichwort „Energiewende“: Da stehen wir vor einer
gewaltigen Herausforderung . Das muss ich hier in die-
sem Hause niemandem erzählen . Genau genommen ste-
hen wir schon mitten drin in dieser Herausforderung .

Aber auch das gehört zur Wahrheit: Wir stehen mehr,
als dass wir so richtig vorankommen . Wenn ich mir zum
Beispiel den Leitungsausbau, speziell in Niedersach-
sen, anschaue, dann muss ich sagen: Da wird gebremst,
diskutiert, abgewogen, aber leider nicht gebuddelt und
verlegt . Da kommt auch unsere Landesregierung leider
überhaupt nicht in dem gebotenen Maße in die Gänge .
Das hat auch Sigmar Gabriel damals als Wirtschaftsmi-
nister in aller Schärfe kritisiert .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn wir die
Energiewende wirklich wollen – ich glaube, darin sind
wir uns hier im Hause alle einig –, dann brauchen wir
den unbedingten Willen der Politik, dann brauchen wir
ein gesundes Klima für Investoren und dann brauchen

wir eben auch Rechtssicherheit, das heißt schnelle und
effiziente Genehmigungsverfahren.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber keine Einschränkungen im Umweltrecht!)


Wenn wir uns einmal ganz ehrlich machen, muss man
sagen: Die Verbandsklage ist nicht gerade das Gaspedal,
um unsere Projekte auf die Überholspur zu bringen . Im
Gegenteil: Bereits heute werden zahlreiche Projekte ge-
richtlich angefochten, verzögert oder verschleppt . Teil-
weise ist das ideologisch motiviert nach dem Motto:
„Jedes größere Infrastrukturprojekt ist per se erst einmal
böse .“ Aber nicht nur ideologischer Übereifer bremst uns
aus . Der andere Übeltäter, der quasi hausgemacht ist, ist
häufig eben auch bürokratischer Irrsinn.

Im Ausschuss hatte ich das sagenumwobene Beispiel
aus einer Samtgemeinde in meinem Wahlkreis genannt .
Dort sollten 2013 sechs neue Windenergieanlagen ent-
stehen . Weil ein Mitarbeiter in der Gemeindeverwaltung
den öffentlichen Aushang einen Tag zu früh wieder weg-
genommen hatte, musste das gesamte Genehmigungs-
verfahren komplett neu aufgerollt werden . Ich hatte mir
im Vorfeld der Anhörung vom Betreiber die entstandenen
Zusatzkosten auflisten lassen. Der Fehler eines Gemein-
demitarbeiters, einen Tag zu früh den Zettel wieder aus
dem Glaskasten herauszunehmen, verursacht in Deutsch-
land in diesem Fall 100 000 Euro für zusätzliche Bau-
planungskosten, 130 000 Euro für ein Uhu-Monitoring
inklusive der Nahrungsfläche von 1 Hektar für den Uhu,
zusätzliche 25 000 Euro an Mehrkosten für die Bauge-
nehmigung wegen einer danach folgenden Gebührener-
höhung und sage und schreibe 1,2 Millionen Euro für
eine geringere Einspeisevergütung für die ersten fünf
Jahre .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kollegin hat vorhin davon geredet, Windkraft zu verhindern! Die freut das wahrscheinlich!)


Die Realisierung dieses Windparks wurde um Jahre zu-
rückgeworfen, und der Schaden ging in die Millionen,
und alles im Grunde wegen einer Lappalie .

Mit dem jetzt vorliegenden Entwurf haben wir des-
halb zwei Ziele verfolgt . Zum einen kommen wir unserer
völkerrechtlichen Verpflichtung nach. Klar, die Oppositi-
on hätte gerne gesehen, dass wir über die Eins-zu-eins-
Umsetzung hinausgehen und das Ganze für alle Zeiten
absolut wasserdicht machen . Lieber Peter Meiwald, du
hast ja gestern im Ausschuss gesagt, dass wir in Brüssel
nicht gerade durch Strebertum in Sachen Verbandsklage-
recht auffallen würden.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Durch Bremsertum!)


Da gebe ich dir auch ausdrücklich recht . Das ist so, und
das ist unserer Meinung nach auch gut so .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Wir als CDU/CSU verfolgen nämlich eine grund-
sätzlich andere Argumentationslinie . Ich will einmal die

Hubertus Zdebel






(A) (C)



(B) (D)


Frage ganz offen stellen: Was ist uns denn überhaupt
wichtiger in unserem Land? Worin sollten wir wirklich
Vorbild in Europa sein? Ist es wichtiger, im vorauseilen-
den Gehorsam geradezu streberhaft jede EU-Vorgabe
überzuerfüllen, oder ist es wichtiger, als vielleicht erste
Industrienation die Mammutaufgabe Energiewende zu
stemmen, und das auch erfolgreich? Wir als CDU/CSU
haben da für uns eine ganz klare Antwort gefunden: Wir
lassen es jedenfalls nicht zu, dass die Aarhus-Bürokratie
und EuGH-Urteile wichtige Investitionsentscheidungen
lähmen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Bürgerbeteiligung!)


Wie unsinnig und teuer das ist, habe ich anhand dieses
einen Beispiels ja schon vorgerechnet .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb haben wir noch ein zweites Ziel ins Auge ge-
fasst: Wir wollen die Verfahren einfacher und schneller
machen . Wir haben intensiv überlegt, wo wir innerhalb
der Eins-zu-eins-Umsetzung Möglichkeiten für mehr
Rechtssicherheit und für spürbare Verfahrensbeschleu-
nigungen schaffen können. Wir haben hierzu entspre-
chende Änderungsanträge formuliert, die wir als absolut
sinnvoll und auch als absolut notwendig erachten, wie
zum Beispiel die Einführung einer zweijährigen Kla-
gefrist für Rechtsbehelfe, die unseren Investoren end-
lich mehr Planungs- und Rechtssicherheit gibt, oder die
Einführung einer Klagebegründungsfrist, die also nicht
mehr im Ermessen der Gerichte steht . Auch damit ent-
lasten wir die Gerichte und straffen die Verfahren. Wir
schaffen effiziente Möglichkeiten der Fehlerheilung, da-
mit Genehmigungsverfahren nicht komplett wiederholt
werden müssen, wenn zum Beispiel der Gemeindemitar-
beiter den Aushang zu früh wegnimmt . Das ist dann auch
kein Weltuntergang . Dann holt man diesen Tag nach und
erspart unserer Volkswirtschaft Hunderttausende Millio-
nen von Euro . Wir tun wirklich etwas Gutes für die Um-
welt, wenn die Windkraftanlagen dadurch zum Beispiel
früher ans Netz gehen können . Warum diese Verfahrens-
beschleuniger so wichtig sind, zeigt dieser Windpark in
meiner Samtgemeinde .

Mein Wahlkreis zwischen Elbe und Weser ist vielfäl-
tig, groß und wunderschön . Deshalb möchte ich noch ein
zweites Beispiel nennen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Beispiel, dass zehn Minuten Redezeit zu viel sind!)


In der kommenden Woche kommt am Wochenende
der taiwanesische Botschafter zu Besuch . Das wird ein
großartiger Tag . Darauf freue ich mich schon . Wir wol-
len gemeinsam mit einem Container voller Äpfel in See
stechen und quasi symbolisch den ersten Container Alt-
länder Obst nach Taiwan über das Tor zur Welt in Ham-
burg verschiffen. Nebenbei ist auch noch Hamburger
Hafengeburtstag . Das wird also eine richtige Sause mit
Matjesbrötchen und Bier auf dem Schiff. Der Botschafter
wird dann am nächsten Tag auch noch die Altländer Blü-
tenkönigin küren . Das wird also eine richtig tolle Sache
werden .

Worauf ich mich aber weniger freue – das will ich an
dieser Stelle auch sagen –, sind die müden und ermatte-
ten Augen seiner Exzellenz, wenn er in Stade erschöpft
aus seinem Wagen steigt . Die Fahrt nach Stade macht
nämlich überhaupt keinen Spaß . Die Luftlinie zwischen
der Hansestadt Hamburg und meiner kleinen Hansestadt
Stade beträgt exakt 34,62 Kilometer, gemessen von Rat-
haustür zu Rathaustür . Mit meinem VW-Bus – ich habe
einen T5 und bin kein Superschnellfahrer; aber er hat
ordentlich PS – brauche ich je nach Verkehrslage eine
Stunde fünf Minuten bis zu zwei Stunden – zwei Stunden
für nicht einmal 35 Kilometer Fahrstrecke!


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre besser mit dem Fahrrad!)


Dann werde ich nächste Woche dem Botschafter – es ist
eigentlich immer das Gleiche, wenn mich Persönlichkei-
ten in Stade besuchen – erklären müssen, dass wir 40 Jah-
re lang für die Planung einer Autobahn gebraucht haben .
Vor 40 Jahren war Taiwan in weiten Teilen noch ein armer
Agrarstaat . Heute ist er eine hochtechnologisierte Volks-
wirtschaft . Wie soll ich meinem Freund Herrn Professor
Dr . Jhy Wey Shieh erklären, warum das so lange dauert?
Wie soll ich ihm erklären, dass Deutschland als eine der
vielleicht stärksten Industrienationen der Welt, ein Land,
dem man im Grunde alles zutraut, sogar die Energiewen-
de – wenn es einer schafft, dann sind wir das –, es nicht
schafft, 40 lächerliche Autobahnkilometer zu bauen?

Ich will damit sagen – hier bin ich ganz schnell bei den
Entschließungsanträgen der Opposition –: Sie wollen,
wenn ich es richtig gelesen habe, die Klagebefugnis der
Umweltverbände ausnahmslos auf alle umweltrelevan-
ten Entscheidungen ausdehnen, also insbesondere auch
den Bundesverkehrswegeplan, den wir im letzten Jahr
beschlossen haben, zum Gegenstand von Verbandskla-
gen machen .


(Beifall der Abg . Dorothee Bär [CDU/CSU])


Zwei Dinge hierzu . Erstens . Ich möchte in meinem
Wahlkreis keine weiteren 40 Jahre auf die Autobahn A 26
oder die A 20 warten . Ich habe den Bürgern meines Wahl-
kreises versprochen, dass ich alles dafür tun werde, dass
diese Autobahn endlich fertig wird und dass die Staus
endlich aufhören, die Belastungen für die Anwohner,
Tausende Lkws am Tag, endlich ein Ende haben werden
und dass es – das ist ein ernstes Thema; hier bitte ich Sie
um Ihre Aufmerksamkeit –auf dieser Strecke endlich we-
niger Verkehrstote gibt . Die B 73 ist die Todesstrecke in
Deutschland . Das können Sie im Internet nachlesen . Sie
ist die Straße mit den meisten Verkehrstoten in Deutsch-
land . Das will und das werde ich ändern .


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine harte Ankündigung!)


Zweitens . Hier muss ich Sie leider enttäuschen:
Den Bundesverkehrswegeplan für Verbandsklagen zu
öffnen, funktioniert auch rechtlich gar nicht. Der Bun-
desverkehrswegeplan ist nämlich außen vor, weil er
Ausbaugesetze vorbereitet, gegen die ein unmittelbarer
Rechtsbehelf ausgeschlossen ist . Ohnehin fordert die

Oliver Grundmann






(A) (C)



(B) (D)


Aarhus-Konvention nirgendwo, dass oberste Planungs-
ebenen anfechtbar sein müssen .

Damit wir uns nicht falsch verstehen, zum Schluss
noch ein paar versöhnliche Worte . Auch ich bin für den
Schutz der Natur . Ja, die anerkannten Umweltverbände
erfüllen eine wichtige Aufgabe in diesem Land; das ist
überhaupt keine Frage . Aber ich bin auch Praktiker, der
jahrelang im Bereich Umweltdienstleistungen tätig war .
Ich kenne den Umweltschutz daher nicht nur aus Anträ-
gen . Ich weiß, welche Folgewirkungen ein kleiner Pin-
selstrich in einem solchen Gesetz entfalten kann . Dann
gehen Investitionen schnell in die Binsen, weil das Risi-
ko einfach zu groß ist . Deshalb müssen wir ökologische
und ökonomische Interessen, aber auch die Interessen
der einfachen Bürger unter einen Hut bringen . Ich glau-
be, das ist uns mit dem vorliegenden Entwurf wirklich
gut gelungen . Wir haben die Eins-zu-eins-Umsetzung .
Wir haben die Verfahrensbeschleunigung, und wir ha-
ben mehr Rechtssicherheit . Ich glaube, damit können wir
alle gut leben . Es ist ein wirklicher Fortschritt, ein Er-
folg . Deshalb bedanke ich mich ganz herzlich bei Herrn
Dr . Miersch und den Vertreterinnen und Vertretern des
BMUB für die gute und vertrauensvolle Zusammenar-
beit . Wir haben etwas Gutes gemacht .

Vielen herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823129400

Vielen Dank, Oliver Grundmann . – Schönen Abend,

liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben einen Wech-
sel vorgenommen, wie Sie sehen und hören können . –
Letzter Redner in dieser Debatte: Peter Meiwald für
Bündnis 90/Die Grünen .


Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823129500

Verehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Warum eigentlich hat die Mehrheit in diesem
Haus so viel Angst davor, dass die Einhaltung von Ge-
setzen in unserem Land von Gerichten überprüft werden
kann? Sind die Gesetze, die wir hier machen, so schlecht,
dass man Angst davor haben muss, dass bei Gericht
überprüft werden kann, ob sie eingehalten werden? Ein
solches Bild zu vermitteln, kann doch nicht in unserem
Interesse als Parlamentarier sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es geht heute hier um nicht weniger als die Frage, ob
in Deutschland im Umweltbereich „recht haben“ und
„recht bekommen“ endlich in Einklang gebracht werden,
und das viele Jahre, nachdem die Aarhus-Konvention
von unserer Regierung unterzeichnet und von unserem
Parlament ratifiziert worden ist. Völkerrecht ist doch
nicht immer wieder neu zu diskutieren; Völkerrecht muss
Bestand haben . Wir haben vorhin schon von den Latei-
nern gehört: Pacta sunt servanda . – Das wissen wir doch
alle hier .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Lieber Oliver Grundmann, die Beispiele, die gera-
de gebracht worden sind, zeigen doch: Gerade bei den
großen Infrastrukturprojekten leben wir davon, dass wir
Rechtsklarheit und Rechtssicherheit schaffen. Das tun
wir eben nur, wenn wir die Grundlagen des Rechtsstaates
stabilisieren, und nicht, wenn wir uns davor verstecken,
dass Entscheidungen, die getroffen worden sind, vor Ge-
richt kontrolliert werden .

Was wollen wir erreichen? Umweltverbände sollen
ein umfassendes Verbandsklagerecht erhalten . Was heißt
das denn konkret? Flugrouten werden in der Regel durch
Verordnung festgelegt . Es muss doch kontrollierbar sein,
ob sie mit unseren Umweltgesetzen in Einklang zu brin-
gen sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das gilt in der Tat auch für Raumordnungspläne im
Zusammenhang mit der Windenergie . Aber wir Grüne
können es nicht auf uns sitzen lassen, wenn Sie glau-
ben machen wollen, die Energiewende in Deutschland
würde durch ein Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz oder das
Verbandsklagerecht für Umweltverbände ausgebremst .
Ausgebremst wird die Energiewende in diesem Land
im Moment von Ihrer Bundesregierung im Verbund mit
Herrn Seehofer aus Bayern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Man kann über Sonnensteuer, über Ausbauobergrenzen
reden; das haben wir in den letzten Jahren hier getan .
Welche Geisteshaltung gerade Sie von der Unionsfrak-
tion an den Tag legen, hat uns doch die Rede von Kolle-
ge Koeppen vorhin in der anderen Debatte noch einmal
deutlich gemacht . Die Energiewende ist doch in großen
Teilen Ihrer Fraktion – Oliver, da nehme ich dich gerne
aus – gar nicht gewollt; das Ziel ist es doch gerade, sie
auszubremsen . Das kann man nicht den Umweltverbän-
den in die Schuhe schieben, indem man jetzt sagt, das
Verbandsklagerecht wäre dafür verantwortlich, dass die
Energiewende in Deutschland in den letzten Jahren ins
Stocken gekommen ist . Dafür ist diese Bundesregie-
rung – und nur sie – verantwortlich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Konkret: Die Regierungskoalition legt hier mit mona-
telanger Verzögerung einen Gesetzentwurf vor, der den
Zustand der völkerrechtlichen Kritikwürdigkeit – das ist
noch freundlich ausgedrückt – endlich beenden soll, und
sie legt – das ist das Erstaunliche; wir haben es schon
gehört – gleich noch einen Entschließungsantrag dazu .
Wenn es der Sache wegen nicht so traurig wäre, wäre
das eigentlich ein amüsanter Vorgang: Die Regierungs-
koalition macht sich selbst zu ihrer Opposition, indem sie
in einem Entschließungsantrag die zukünftige Bundesre-
gierung auffordert, endlich ein Gesetz zu schaffen, das
völkerrechtskonform ist . Das ist absurdes Theater . Da
wird dem Bürger und der Bürgerin vorgespiegelt, dass
dieses Parlament nicht in der Lage ist, selber ein Gesetz

Oliver Grundmann






(A) (C)



(B) (D)


zu machen, das den internationalen Vorgaben gerecht
wird . Das kann nicht sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Alle Experten, bis auf den Vertreter des BDI, haben
in der Anhörung – Hubertus Zdebel hat darauf hingewie-
sen – deutlich zum Ausdruck gebracht, dass mit diesem
Gesetzentwurf das Völkerrecht weiter ignoriert wird .
Wir haben gedacht, die darauffolgenden sechs, sieben
oder acht Monate würden dafür genutzt, diese Defizite
zu beseitigen . Aber das, was wir heute hier vorgelegt be-
kommen, wird dem in keiner Weise gerecht . Wir müs-
sen feststellen: Trotz der Dutzenden Veröffentlichungen
in der Rechtsliteratur und einer Reihe von Urteilen der
europäischen Gerichte und drohender Strafzahlungen an
die Europäische Union hat sich die Bundesregierung ent-
schlossen, diesen mehr als ungenügenden Entwurf in die
heutige Schlussabstimmung im Parlament zu geben .

Das Thema der Präklusion hat Hubertus Zdebel ge-
rade schon ausgeführt; dies ist nur eines von vielen Bei-
spielen . Das kann nicht sein . Insofern werden wir Grüne
selbstverständlich diesen fehlerhaften Gesetzentwurf ab-
lehnen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823129600

Vielen Dank, Peter Meiwald . – Damit schließe ich die

Aussprache .

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes und an-
derer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vor-
gaben . Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12146,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
chen 18/9526 und 18/9909 in der Ausschussfassung an-
zunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um das
Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Es gibt keine
Enthaltungen . Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und
die Linke .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetz-
entwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und
die Linke .

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12146 empfiehlt der Ausschuss, eine
Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen .

Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren
die Linke und Bündnis 90/Die Grünen .

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge .

Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/12160 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Keine Enthaltun-
gen . Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt
haben die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, dagegen
waren CDU/CSU und SPD .

Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/12161 . Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Nie-
mand enthält sich . Der Entschließungsantrag ist abge-
lehnt . Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die
Linke, dagegen waren CDU/CSU und SPD .

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 16 a bis 16 c
sowie Zusatzpunkt 5 auf:

16 . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Katja Dörner, Dr . Franziska Brantner, Ulle
Schauws, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Geld, Zeit, Bildung und Teilhabe – Fami-
lien gezielt unterstützen

Drucksache 18/12110
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Familie, Seni-
oren, Frauen und Jugend (13 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Katja Dörner,
Kerstin Andreae, Dr . Franziska Brantner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Familien stärken – Kinder fördern

Drucksachen 18/10473, 18/12156

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Familie, Se-
nioren, Frauen und Jugend (13 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Katja
Dörner, Dr . Franziska Brantner, Elisabeth
Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zeit für mehr – Damit Arbeit gut ins Le-
ben passt

Drucksachen 18/9007, 18/12156

ZP 5 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (13 . Ausschuss) zu dem An-
trag der Abgeordneten Dr . Franziska Brantner,
Katja Dörner, Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Peter Meiwald






(A) (C)



(B) (D)


Alleinerziehende stärken – Teilhabe von Kin-
dern sichern

Drucksachen 18/4307, 18/11592

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen . –
Ich bitte die Kollegen, Platz zu nehmen .

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Katja
Dörner für Bündnis 90/Die Grünen .


Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823129700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Es wurde ein bisschen geunkt, dass wir
so spät am Abend noch über Familienpolitik diskutieren .
Aber ich denke, wir sind uns alle einig, dass es nie zu spät
ist, etwas für die Kinder und die Familien zu tun . Es ist
ja auch leider so, dass die Legislaturperiode schon rela-
tiv weit fortgeschritten ist . Umso wichtiger wäre es, dass
die Bundesregierung wirklich damit anfängt, die Ärmel
hochzukrempeln .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Wenn es um die Bekämpfung von Kinderarmut geht,
wenn es darum geht, dass Eltern mehr Zeit mit ihren
Kindern haben, wenn es um die Qualität in den Kitas
geht oder wenn es darum geht, Eltern darin zu unterstüt-
zen, Erwerbs- und Familienarbeit endlich besser part-
nerschaftlich untereinander aufteilen zu können: Hier
wünscht sich die große Mehrheit der jungen Eltern Un-
terstützung . Wenn man sich all diese Herausforderungen
anschaut, dann sieht man, dass sich diese Bundesregie-
rung in den letzten Jahren nicht mit Ruhm bekleckert hat,
und sie darf sich nicht weiter wegducken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir erleben jetzt – der Bundestagswahlkampf lässt
grüßen –, wie sich Union und SPD darin überbieten, was
sie alles für die Familien zu tun gedenken .


(Dr . Fritz Felgentreu [SPD]: Sie sind da ganz anders, was?)


Sorry, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist wirklich
mehr als durchsichtig . Union und SPD stellen die Bun-
desregierung . Sie können jetzt handeln, und Sie hatten
dafür schon dreieinhalb Jahre Zeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Im Koalitionsvertrag steht – ich zitiere –: Wir setzen
„auf einen Dreiklang von Zeit für Familien, guter Infra-
struktur und materieller Sicherheit .“ Was ist daraus ge-
worden? So gut wie nichts .

Stichwort „Kinderarmut“: Der Anteil armer und von
Armut bedrohter Kinder und Jugendlicher ist in den letz-
ten Jahren sogar gestiegen, und das trotz der guten Wirt-

schaftslage. Ich finde es skandalös, dass die Bundesregie-
rung hier nicht handelt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Noch immer decken die Regelsätze das Existenzmini-
mum der Kinder nicht . So kann Teilhabe in unserer Ge-
sellschaft nicht funktionieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wahrscheinlich wird sich die Koalition gleich wieder
für die Erhöhung des Kinderzuschlags loben . Aber der
Kinderzuschlag, so wie wir ihn haben, ist eine Fehlkon-
struktion, weil nur 30 Prozent der Anspruchsberechtigten
ihn tatsächlich in Anspruch nehmen . Da wir wissen, dass
der Kinderzuschlag gebraucht wird, um in Familien mit
geringem Einkommen das Existenzminimum der Kinder
zu decken, müsste das bei uns allen die Alarmglocken
läuten lassen . Deshalb wollen wir den Kinderzuschlag
weiterentwickeln . Er muss automatisch ausgezahlt wer-
den . Und wir wollen ihn so stricken, dass mehr Familien
einen Anspruch darauf haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir wollen Familien grundsätzlich entlasten, auch
Familien mit einem ganz normalen Einkommen . Es ist
einfach ungerecht, dass Familien mit einem besonders
hohen Einkommen über die Freibeträge von der staat-
lichen Unterstützung überproportional profitieren. Sie
profitieren stärker als Familien, die einfach nur Kinder-
geld bekommen . Deshalb setzen wir uns auch für eine
einkommensunabhängige Kindergrundsicherung ein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun gibt es fast überall eine Diskussion über das Ehe-
gattensplitting. Auch in der Union ist es offensichtlich
nicht mehr sakrosankt .


(Anja Karliczek [CDU/CSU]: Was?)


Was wir aber unter diesem Label „Familiensplitting“ hö-
ren, ist kein Fortschritt . Das Kernproblem des Ehegatten-
splittings ist, dass nur Familien mit hohem Einkommen
davon profitieren, dass nur Paare mit einem unterschied-
lich hohen Einkommen davon profitieren. Deshalb sagen
wir ganz klar: Die Unterstützung muss unmittelbar beim
Kind ansetzen; sie muss unabhängig vom Einkommen
der Eltern sein und unabhängig vom Familienstand . Nur
das ist gerecht, und aus unserer Sicht spiegelt nur das
die Vielfalt der Familien wider, so wie wir sie heute in
Deutschland haben .

Stichwort „Mehr Zeit für Familien“: Die Ministerin
macht ja große Ankündigungen . Sogar einen Gesetzent-
wurf sollte es geben . Aber wenn es darum geht, über kon-
krete Vorschläge hier im Parlament zu entscheiden, dann
kommt überhaupt nichts . Vier Jahre wurden komplett
verschenkt . Dabei gibt es doch auch hier ganz dringen-
den Handlungsbedarf .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Weinberg, Sie haben gestern in der Ausschussbe-
fassung gesagt, unsere KinderZeit Plus sei zu komplex .

Vizepräsidentin Claudia Roth






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Wir sagen: Eine Leistung, die flexibel ist, die sich der
Lebenssituation der Familien gut anpasst, die den Fami-
lien den größtmöglichen Spielraum gibt, kann halt nicht
150 Euro Betreuungsgeldpauschale sein . Vielleicht soll-
te man sich eine solche Kritik sparen, wenn man selbst
überhaupt keine Vorschläge macht, wie Familien wieder
mehr Zeit füreinander bekommen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Die kostet über 10 Milliarden!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823129800

„Zeit“ ist ein gutes Stichwort .


Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823129900

„Zeit“ ist ein gutes Stichwort . Ich komme zum

Schluss . – Die familienpolitische Bilanz dieser Regie-
rung ist dürftig . Wir legen heute noch einmal zu den
relevanten Bereichen sehr konkrete Vorschläge vor . Es
ist entlarvend, dass wir von Union und SPD in diesem
Zusammenhang nur schöne Reden hören .


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Die kommen erst noch!)


Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Wir haben erst 1,2 Milliarden auf den Weg gebracht für die Kinderbetreuung, vor zwei Stunden!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823130000

Vielen Dank, Katja Dörner . – Nächster Redner:

Markus Koob für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Markus Koob (CDU):
Rede ID: ID1823130100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Besucher! Schön, dass trotz der späten
Stunde noch einige auf den Tribünen die Diskussion ver-
folgen .

Wir haben heute gleich drei Anträge vorliegen, über
die man reden könnte . Ich möchte mich vorwiegend auf
den Antrag mit dem Titel „Familien stärken – Kinder
fördern“ konzentrieren . Das ist ein Motto, dem sicher-
lich alle Fraktionen hier in diesem Hause vorbehaltlos
zustimmen würden und das sie sich auf die Fahne schrei-
ben würden .

Nachdem ich Ihren Redebeitrag, Frau Dörner, gehört
habe, frage ich mich schon, ob wir in den letzten dreiein-
halb Jahren in unterschiedlichen Ausschüssen gearbeitet
haben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist naturgemäß so, dass die Opposition das Recht hat,
Dinge zu kritisieren, immer mehr zu fordern und dabei

auch keine Rücksicht darauf nehmen zu müssen, was ihre
Forderungen und Vorschläge eigentlich kosten .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Regierung fordert doch immer mehr momentan!)


Aber zu behaupten, dass in den letzten dreieinhalb Jahren
nichts geschehen sei, ist wirklich absurd .

Wir haben gemeinsam mit der SPD in diesen dreiein-
halb Jahren das Elterngeld Plus eingeführt . Wir haben
den Unterhaltsvorschuss ausgeweitet . Wir haben den
Mindestlohn eingeführt . Wir haben den Kinderzuschlag
und den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende erhöht .
Wir haben Maßnahmen getroffen, um die Vereinbarkeit
von Familie, Pflege und Beruf zu fördern. Wir haben –
das ist noch keine vier Stunden her – gerade beschlossen,
dass der Bund weitere Milliarden in die Hand nimmt,


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine!)


um weitere 100 000 Plätze für die Kinderbetreuung in
diesem Land zu schaffen, und das, obwohl wir dafür gar
nicht zuständig sind .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Man kann ja gerne fordern, dass wir immer mehr machen
müssten, aber zu behaupten, dass wir nichts getan hätten,
ist, glaube ich, angesichts dieser Bilanz wirklich absurd .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie legen hier einige Forderungen vor, die man zwar
stellen kann, die allerdings in ihrer Größenordnung einen
zweistelligen Milliardenbetrag bedeuten würden . Allein
zur Umsetzung des Punktes mit der Kindergrundsiche-
rung müssten wir den kompletten Etat des Familienmi-
nisteriums verdoppeln . Das kann man fordern . Dann
müssen Sie allerdings auch sagen, woher Sie dieses Geld
nehmen wollen, wie Sie das finanzieren wollen.

Bei Ihren Anträgen lassen Sie auch völlig außer Acht,
dass es vor allem zwei Maßnahmen gibt, die dafür sor-
gen, dass Familien wirtschaftlich in der Lage sind, für
sich und ihre Kinder zu sorgen . Der eine Aspekt ist, dass
Armut am nachhaltigsten nicht durch Sozial- und Trans-
ferleistungen, sondern durch Arbeit verhindert wird .
Eltern eine gute Arbeit zu ermöglichen, ist deshalb der
wichtigste Aspekt, um Kinderarmut auch in den nächsten
Jahren anzugehen und zu verhindern .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade in den letzten Jahren haben wir unter anderem
mit der Einführung des Mindestlohns – das war nicht bei
jedem von uns ein Herzensanliegen – viel erreicht . Wenn
man sich jetzt die Bilanz anschaut, sieht man, dass die
Einführung des Mindestlohns tatsächlich dazu geführt
hat, dass viele Minijobs in sozialversicherungspflichtige
Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt worden sind .
Das ist ein wichtiger Trend, der zeigt, dass immer mehr
Menschen in der Lage sind, von ihrer Arbeit zu leben .
Daran müssen wir als Politik in den nächsten Jahren wei-
terarbeiten .

Katja Dörner






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Der zweite Aspekt – auch darüber haben wir eben
lange diskutiert – ist der weitere bedarfsgerechte Ausbau
der Kindertagesbetreuung . Wir haben, wie gesagt, vorhin
beschlossen, weitere 100 000 Plätze in diesem Land zu
schaffen. Auch da haben Sie moniert, das alles sei nicht
genug, das alles sei nicht ausreichend . Wir haben vor-
hin auch schon darüber diskutiert, dass wir wissen, dass
diesem vierten Investitionsprogramm sicherlich noch ein
fünftes und ein sechstes folgen werden . Aber wir haben
in unserem Land eine föderale Ordnung, die Zuständig-
keiten vorsieht . Deshalb ist es, glaube ich, angebracht,
zumindest in einem Nebensatz positiv zu erwähnen,
dass der Bund trotz nicht vorhandener Zuständigkeit die
Wichtigkeit der Aufgabe erkennt und sich an dieser Stelle
mit Mitteln engagiert .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Sönke Rix [SPD])


In diesem Zusammenhang ist auch wichtig, dass wir
die Kinderbetreuung nicht nur quantitativ, sondern auch
qualitativ ausbauen . Auch das ist von den Rednerinnen
und Rednern der Opposition vorhin genannt worden . Ich
habe in den Meldungen gelesen, dass Frau Dr . Brantner
sagt, dass wir einen Qualitätsaufbruch in den Kinderta-
gesstätten brauchen . Da haben Sie sicherlich unsere Un-
terstützung . Wenn ich allerdings sehe, was der rot-rot-
grüne Senat in Berlin jüngst auf den Weg gebracht hat,
nämlich genau das nicht zu machen,


(Maik Beermann [CDU/CSU]: Peinlich ist das!)


sondern die Berufsanforderungen an das Personal ab-
zusenken, ist das mit Sicherheit nicht der Qualitätsauf-
bruch, den wir für unsere Kinder benötigen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir alle haben das gemeinsame Ziel, Kinderarmut
in unserem Land zu bekämpfen . Die Vorstellungen, mit
welchen Maßnahmen das erreicht werden kann, gehen
naturgemäß auseinander . Für uns als Union ist klar, dass
in einer sozialen Marktwirtschaft der Wohlstand immer
erst erarbeitet werden muss, bevor wir Forderungen nach
Sozialausgaben, wie Sie sie hier aufgestellt haben, um-
setzen können .


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Ach so? Es gibt momentan noch gar keinen Wohlstand?)


– Doch, den gibt es . Deshalb können wir ja auch die Pro-
jekte, die wir vorhin genannt haben, alle umsetzen . Aber
wir müssen eben auch schauen, dass wir die Familien,
die wir entlasten wollen, nicht mit zusätzlichen Maßnah-
men wieder belasten und im Endeffekt ein Negativergeb-
nis erzielen .

In Ihrem Antrag fehlt mir völlig, dass wir bei der För-
derung von Familien nicht nur darüber reden sollten, wie
wir sie mit Leistungen oder Rechtsansprüchen fördern
können . Für uns als Union ist auch wichtig, dass wir zum
Beispiel darüber reden, wie wir Familien Wohnraum
ermöglichen können . Wie können wir gerade in dem
Zinsumfeld, das wir im Moment haben, Familien die
Möglichkeit geben, ein Eigenheim zu schaffen oder zu

erwerben? Hierzu haben wir schon konkrete Vorschläge
auf den Tisch gelegt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Von den Grünen und den Linken, also von der Oppositi-
on, würde ich gerne auch einmal Vorschläge sehen, wie
wir die Familien in unserem Land fördern können .

Es gäbe noch viel zu sagen; leider ist meine Redezeit
schon vorbei .


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ich hätte noch stundenlang zuhören können!)


Aber ich bin mir sicher, dass der Kollege Lehrieder noch
einige Aspekte aufgreifen wird . Lassen Sie uns gemein-
sam daran arbeiten, die Kinderarmut zu bekämpfen . Da-
bei dürfen wir die Realität aber nicht außer Acht lassen .
Wir haben schon viel erreicht, und wir werden in den
nächsten Jahren konsequent weiter daran arbeiten, die
Kinderarmut zu reduzieren .


(Beifall des Abg . Sönke Rix [SPD])


Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823130200

Vielen Dank, Markus Koob . – Nächster Redner ist

Norbert Müller für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Jetzt kommt wieder der Komödienstadl! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Enttäusch uns nicht!)



Norbert Müller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823130300

Sehr gut, ich sehe die große Erwartungshaltung bei

der CDU/CSU; das freut mich natürlich ganz besonders .


(Maik Beermann [CDU/CSU]: Wir haben gar keine!)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! In Deutschland gibt es unermesslichen
Reichtum in den Händen von immer weniger Menschen,
und dieser Reichtum wächst dynamisch . Lieber Kollege
Koob, wenn es darum geht, familienpolitische Leistun-
gen zu refinanzieren, kommen Sie nur auf die Idee, sich
das Geld vom Mittelstand und von den Durchschnitts-
verdienern zu holen . Sie kommen aber nicht auf die Idee,
sich das Geld vielleicht von den Superreichen und den
Spitzenverdienern zu holen .


(Beifall bei der LINKEN – Maik Beermann [CDU/CSU]: Ihr wollt nur umverteilen! Das ist das Einzige, was ihr könnt! Nach dem Motto: Wir nehmen es denen und behalten es für uns!)


Ich finde, das ist eine deutliche Position der Union. Bei
der nächsten Bundestagswahl werden wir die Frage, wes-
sen Aufgabe es eigentlich ist, den Sozialstaat zu bezah-
len, zur Abstimmung stellen . Sind es der Mittelstand und
die Durchschnittsverdiener, oder sind es die Bezieher

Markus Koob






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von Spitzeneinkommen und diejenigen, die davon leben,
dass sie ein großes Vermögen haben?


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Richtig!)


Die hohen Vermögen werden in Deutschland nicht
angemessen besteuert – ja, es gibt keine Vermögensteu-
er –, und sie können auch noch vererbt werden . Dieser
unermessliche Reichtum wird also auch noch unkon-
trolliert vererbt . Sie haben die Erbschaftsteuer, leider mit
grüner Unterstützung aus den Ländern, gerade regelrecht
geschreddert, damit niemand an die hohen Erbschaf-
ten herangeht . Die Kehrseite dieser Medaille sind 2 bis
3 Millionen arme Kinder . Das gehört zusammen . Denn
die Armut in Familien und der Reichtum in Deutschland
sind zwei Seiten einer Medaille . Wenn man an die Armut
in den Familien heranwill, dann muss man eben auch an
den Reichtum in Deutschland heran . Das tut man nicht
mit Sonntagsreden, sondern mit konkreten sozialpoliti-
schen Maßnahmen .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Folgen der Kinderarmut sind bekannt . Arme Kin-
der haben schlechtere Bildungschancen, sie haben einen
schlechteren Gesundheitszustand, sie werden häufig
schlechter ernährt, und sie sterben früher als ihre Alters-
genossen aus der Kitagruppe oder der Grundschule, die
aus einem vermögenden Elternhaus kommen . Das zeigt
die ganze Dramatik der Kinderarmut .

Die Linke fordert einen mehrdimensionalen Aktions-
plan, der im Wesentlichen drei Dimensionen umfasst, um
Kinderarmut nachhaltig zu beseitigen .

Die erste Dimension – da werden Sie wieder stöhnen –
heißt: Mehr Geld in die Familien . Hier müssen wir von
der Misstrauenskultur wegkommen, dass immer behaup-
tet wird, die Eltern würden das Geld verrauchen, versau-
fen oder sich davon einen Fernseher kaufen . Nein, der
Regelfall – das ist der Normalzustand – ist, dass Eltern
alles tun, um ihren Kindern das Beste zu ermöglichen .
Wir reden über 2 bis 3 Millionen arme Kinder . 2 Milli-
onen sind im SGB-II-Bezug und leben in Familien, die
finanziell völlig depriviert sind. Jeder Euro, der in diese
Familien fließt, ist eine Hilfe für die Kinder und verbes-
sert ihre späteren Lebenschancen .


(Beifall bei der LINKEN)


Hier haben wir ganz konkrete Möglichkeiten, die wir
unmittelbar ergreifen können, liebe Kolleginnen und
Kollegen . Eine Möglichkeit, insbesondere Familien mit
geringem Durchschnittseinkommen zu entlasten, ist das
Kindergeld . Es ist im Übrigen die beliebteste familien-
politische Leistung, wie die Evaluation der familienpoli-
tischen Leistungen ergeben hat . Bei der Koalition ist es
die unbeliebteste, weil es Geld kostet, was dazu führen
könnte, dass man möglicherweise hohe Vermögen be-
steuern muss .

Ja, das Kindergeld ist eine sinnvolle Leistung . Es ist
deswegen eine sinnvolle Leistung, weil eine Familie oder
ein Paar, das ein durchschnittliches Einkommen hat und
das zweite oder dritte Kind bekommt, auf einmal in die
Armut rutschen kann . Genau hier hilft das Kindergeld .
Denn es ist eine Leistung, die verhindert, dass diese Fa-

milien arm werden. Ich profitiere mit meinen zwei Kin-
dern vom Steuerfreibetrag bzw . vom Kinderfreibetrag,
und zwar in Höhe von 300 Euro pro Kind, die ich im
Monat an Steuern spare, und das automatisch; da tut sich
überhaupt nichts .


(Maik Beermann [CDU/CSU]: Das Betreuungsgeld haben Sie doch abgeschafft!)


Das gilt übrigens auch für Sie, Herr Kollege Beermann .
Wenn Sie bald drei Kinder haben,


(Maik Beermann [CDU/CSU]: Oh, da haben Sie aber gut zugehört!)


sind es durch den Kinderfreibetrag 300 Euro pro Kind .
Das Kindergeld beträgt aber nur etwa 190 Euro . Das
heißt, Menschen mit hohem Einkommen bekommen
über 100 Euro mehr .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Aha! – Gegenruf des Abg . Maik Beermann [CDU/CSU]: Sie haben doch das Betreuungsgeld abgeschafft!)


Das ist Geld, das die Gesellschaft für die Kinder ausgibt .
Für die Kinder von Spitzenverdienern sind es 100 Euro
mehr als für die Kinder derjenigen, die bloß vom Kinder-
geld profitieren. Das Kindergeld muss also erhöht wer-
den, um hier für Gerechtigkeit zu sorgen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens . Der Kinderzuschlag ist das zentrale In-
strument – darauf hat Katja Dörner hingewiesen –, um
zu verhindern, dass Familien SGB-II-Leistungen, also
Hartz IV, beantragen müssen . Der Kinderzuschlag ist ein
gutes Instrument . Aber er funktioniert so nicht . Nicht ein-
mal ein Drittel der Anspruchsberechtigten beantragt ihn .
Man kann also nicht sagen: „Indem man den Kinderzu-
schlag erhöht hat, hat man etwas Tolles getan“, weil ihn
fast keiner nutzt . Also muss man darüber reden, wie der
Kinderzuschlag ausgeweitet werden kann .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Regelbedarfsätze sind viel zu niedrig . Darüber ist
bereits gesprochen worden . Sie müssen hoch .

Den Rest mache ich jetzt im Schnelldurchlauf .

Zur zweiten Dimension: Wir brauchen eine soziale In-
frastruktur und eine Teilhabeinfrastruktur . Das heißt zum
Beispiel, wir müssen es armen Kindern ermöglichen, an
einer Ferienfreizeit und am ÖPNV teilzunehmen, und
wir müssen für eine gute Kinder- und Jugendhilfe sorgen,
die kein Reparaturbetrieb ist .


(Beifall bei der LINKEN)


Zur dritten Dimension: Wir müssen wegkommen von
der Geh-Struktur . Bisher wird gesagt: Familien, geht zu
irgendwelchen Stellen und beantragt Leistungen . – Diese
kennen sie fast gar nicht . Den Familien, die Leistungen
beantragen müssen, die also wirklich arm sind, fällt das
am schwersten .

Nein, wir brauchen eine Komm-Struktur . Wir brau-
chen eine Struktur mit einer Anlaufstelle, zu der die Fa-

Norbert Müller (Potsdam)







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milien hingehen können und wo sie vernünftig beraten
werden, wenn ein Kind geboren wird oder wenn sie in
die Armutsfalle rutschen . Dort wird ihnen geholfen, sich
in dem Wirrwarr unserer familienpolitischen Leistungen,
das viele nicht durchsteigen, zurechtzufinden.

Diesen Vorschlag der Linken – eine Stelle, an der man
konkret hilft; Stichwort: Familienstelle – greifen inzwi-
schen viele Verbände auf . An dieser Stelle können die
Familien eine Leistung unbürokratisch – mit einem ein-
zigen Antrag – beantragen, auch damit es nicht so ist wie
beim Kinderzuschlag, den nur ein Drittel in Anspruch
nimmt .


(Zuruf des Abg . Paul Lehrieder [CDU/CSU])


– Herzlichen Dank, Frau Präsidentin, für Ihre Geduld .

Wenn wir all diese Vorschläge umsetzen – Herr
Lehrieder wird gleich antworten –, dann werden wir die
Kinderarmut auch beseitigen können .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Herr Felgentreu kommt jetzt erst einmal!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823130400

Vielen Dank, Norbert Müller . – Herr Lehrieder, ich

habe auch eine Uhr, aber es ist nett, dass Sie mir hel-
fen, dass die Redezeiten eingehalten werden . Ich wer-
de das bei Ihnen dann genauso tun wie bei den ande-
ren . – Dr . Fritz Felgentreu ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1823130500

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren!

Zwei Dinge sind zu unserer Arbeit nötig: unermüd-
liche Ausdauer und die Bereitschaft, etwas, in das
man viel Zeit und Arbeit gesteckt hat, wieder weg-
zuwerfen .

Das sagte Albert Einstein, und er meinte die Wissen-
schaft .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Für die Politik gilt das genauso . Die Grünen halten
sich heute aber nicht daran, sondern sie krönen ihre uner-
müdliche Arbeit in der zu Ende gehenden Legislaturpe-
riode mit einem Antrag, der die Forderungen von sieben
älteren Anträgen zusammenfasst . Das ist schön; denn das
gibt auch mir die Gelegenheit, einen Überblick darüber
zu geben, was die Koalition in den letzten dreieinhalb
Jahren nicht nur gefordert, sondern auch entschieden und
auf den Weg gebracht hat .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist auch Ihre Aufgabe als Regierung!)


– Richtig so .

Ihnen wie uns – ich zitiere Ihren Antrag – geht es um
Geld, Zeit, Bildung und Teilhabe, um Familien gezielt
zu unterstützen . Sie werden sehen: Es waren dreieinhalb
gute Jahre für die Familien in Deutschland .


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es!)


Das liebe Geld ist natürlich ein zentrales Thema für
die Familienpolitik . Weil Geld etwas mit Teilhabe zu tun
hat, war es für die SPD-Fraktion entscheidend, das Au-
genmerk auf die Familien zu richten, die eine Unterstüt-
zung am nötigsten haben . Deshalb haben wir zum Bei-
spiel die Steuerentlastung für Alleinerziehende um knapp
50 Prozent erhöht .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Besonders froh sind wir darüber, dass es uns endlich
gelingt, den Unterhaltsvorschuss zu reformieren . Das ist
das Geld, das der Staat vorstreckt, wenn ein getrennt le-
bendes Elternteil aus welchen Gründen auch immer kei-
nen Unterhalt zahlt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


In Zukunft wird dieser Vorschuss bis zum 18 . Geburtstag
gezahlt . Das ist ein Riesenfortschritt für Alleinerziehende
und ihre Kinder .

Schließlich haben wir den Kinderzuschlag erhöht; das
ist schon mehrfach erwähnt worden . Diese Leistung kön-
nen berufstätige Eltern beantragen, wenn ihr Einkommen
so niedrig ist, dass sie ohne den Kinderzuschlag als Auf-
stocker zum Jobcenter gehen müssten .

Meine Damen und Herren, Sie erkennen den Grund-
gedanken, den wir bei all diesen Verbesserungen verfol-
gen: Wir wollen den Eltern dabei helfen, mit ihrer Arbeit
für die eigene Familie zu sorgen und eben nicht in die
Abhängigkeit von staatlichen Leistungen zu geraten .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Frau Dörner, Sie sagen in Ihrem Antrag selbst völlig
zu Recht:

Das beste Mittel gegen Kinderarmut bleibt die Er-
werbstätigkeit ihrer Eltern .

Ich füge auch als Antwort auf den Kollegen Müller hinzu:
Es ist wahrscheinlich sogar das einzige Mittel; denn Ar-
mut definieren die Politik und die Wissenschaft bekannt-
lich nach dem Durchschnittseinkommen . Wer weniger
als die Hälfte vom Durchschnitt einnimmt, gilt als arm .
Das Durchschnittseinkommen wird aber immer deutlich
über dem Einkommen von Menschen ohne Arbeit liegen;
denn sogar wenn wir mehr staatliche Leistungen auszah-
len, steigt der Durchschnitt weiter an . Deshalb führt nur
Einkommen aus Arbeit zuverlässig aus der Armut .

Diese Beobachtung spricht übrigens nicht gegen Soli-
darität mit denen, die staatliche Hilfe brauchen . Sie trägt
nur dazu bei, keine unrealistischen Erwartungen daran zu
knüpfen .

Norbert Müller (Potsdam)







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Wenn es aber stimmt, dass nur Arbeit wirksam vor Ar-
mut schützt, dann muss sie das auch . Wer 40 Stunden die
Woche arbeitet, muss ein anständiges Auskommen für
sich und seine Familie haben . Deswegen war der SPD
die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns so wich-
tig . Darin sind wir uns mit Kollegen Koob von der Union
vollkommen einig .


(Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Glauben Sie, dass 8,84 Euro dafür reichen?)


Für Familien mit niedrigem Einkommen ist der Mindest-
lohn sicherlich der größte Fortschritt in den letzten drei
Jahren .

Meine Damen und Herren, damit aber die Kinder von
heute morgen selbst in der Lage sind, für sich und ihre
Familien zu sorgen, ist vor allem eine gute Bildung wich-
tig . Kinder und Familie fördern wir am wirksamsten und
am gerechtesten durch erstklassige Kitas und Schulen .
Die Kinder in den härtesten Kiezen, in den Brennpunkt-
quartieren, brauchen die besten Kitas und Schulen .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Paul Lehrieder [CDU/CSU])


Deshalb sind wir stolz darauf, dass diese Koalition den
Ländern und Kommunen 6 Milliarden Euro zusätzlich
für den Ausbau von Betreuung an Kitas und Horten zur
Verfügung gestellt hat .

Die SPD hat außerdem durchgesetzt, dass nach Ab-
schaffung des Betreuungsgeldes unseligen Angedenkens,
Kollege Lehrieder, die dafür vorgesehenen Mittel zusätz-
lich an die Länder gehen, um Betreuung zu finanzieren.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: In Bayern bekommen es die Eltern nach wie vor!)


Und das sind 2 Milliarden Euro .

Als Sahnehäubchen hat der Bundestag heute beschlos-
sen, über 1 Milliarde Euro für weitere 100 000 Kitaplätze
in den nächsten vier Jahren bereitzustellen .


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Das ist doch kein Sahnehäubchen!)


Das sind Maßnahmen, von denen alle Familien in
Deutschland massiv profitieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Damit Eltern mehr Zeit für ihre Kinder haben, haben
wir die Elternzeit reformiert und das Elterngeld um das
Elterngeld Plus ergänzt . Damit unterstützt der Staat El-
tern dabei, sich gemeinsam um ihre ganz kleinen Kinder
kümmern zu können .


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Naja!)


Die Bilanz der Großen Koalition kann sich wirklich
sehen lassen .


(Zuruf von der LINKEN: Nein!)


Aber dieser gemeinsame Erfolg bedeutet natürlich nicht,
dass wir die Hände in den Schoß legen können . Die Grü-

nen weisen zum Beispiel zu Recht darauf hin, dass der
Kinderzuschlag erstens nicht allen bekannt ist, die einen
Anspruch darauf haben,


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Ungefähr 70 Prozent!)


und dass er zweitens mit ziemlich viel Bürokratie ver-
bunden ist . Deshalb hat die SPD vorgeschlagen, den Kin-
derzuschlag in ein nach Einkommen gestaffeltes Kinder-
geld einzubeziehen .

Wir haben durchaus ehrgeizige Pläne für eine moder-
ne Familienpolitik . Über die werden wir im Wahlkampf
sicherlich noch heftig diskutieren . Dazu gehört zum Bei-
spiel ein Programm für kostenlose Kitas und Schulhorte .
Wir wollen nämlich keine finanziellen Hürden vor diesen
wichtigen Bildungseinrichtungen aufbauen .


(Beifall des Abg . Sönke Rix [SPD] – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten erst einmal Plätze schaffen und sie dann umsonst machen!)


Die Grünen kritisieren das . Sie sagen, wohlhabende El-
tern seien gerne bereit, für gute Kitas zu bezahlen . – Das
stimmt sicherlich auch . Wir Sozialdemokraten sind ga-
rantiert die Ersten, die sich dafür einsetzen, dass die star-
ken Schultern mehr tragen als die schwachen .


(Beifall bei der SPD – Lachen des Abg . Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])


Aber das wollen wir über ein gerechtes Steuersystem or-
ganisieren, nicht über Gebühren auf Bildung .


(Beifall bei der SPD – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Ihr müsst nicht nur reden! Ihr müsst auch machen!)


Wer Schulgebühren ablehnt, der muss auch für gebühren-
freie Kitas sein .


(Beifall bei der SPD – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Steuern wollen Sie denn erhöhen?)


Diese gebührenfreie Kita muss trotzdem gut ausgestattet
sein, vor allem mit genug Erzieherinnen und Erziehern .
Das ist die nächste Baustelle . Auch da ist noch viel zu
tun .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Steuern wollt ihr denn erhöhen?)


Wir wollen einen Zuschuss für Eltern, die etwas weni-
ger arbeiten wollen, um mehr Zeit für die Kinder zu ha-
ben . Wir nennen das Familienarbeitszeit, und die Union
ist dagegen .


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ja!)


Darüber müssen wir im Wahlkampf streiten; dafür ist er
da .

Über eines, lieber Kollege Marcus Weinberg – gera-
de tief ins Gespräch versunken –, müssen wir eigentlich
nicht mehr streiten: Von Arbeitsministerin Andrea Nahles
liegt ein wirklich guter Gesetzentwurf vor, mit dem wir
Beschäftigten das Recht geben, aus Teilzeit wieder in

Dr. Fritz Felgentreu






(A) (C)



(B) (D)


Vollzeit zurückzukehren, wenn sie das denn wollen . Das
betrifft eben ganz oft Mütter, wenn die Kinder aus dem
Gröbsten heraus sind . Wir verstehen überhaupt nicht, wa-
rum die CDU/CSU diese vernünftige, familienfreundli-
che Regelung immer noch blockiert .


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns das
doch vor der Sommerpause noch gemeinsam anpacken .
Wir helfen gerne dabei mit, Ihren Wirtschaftsflügel zu
überzeugen .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Eine familienfreundliche Arbeitswelt ist für die Zukunft
unseres Landes heute wichtiger denn je .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da lacht er!)


– Ja, das ist so .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823130600

Jetzt ist aber die Redezeit deutlich abgelaufen .


Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1823130700

Frau Präsidentin, Sie haben vollkommen recht . „Zeit

ist das, was man an der Uhr abliest“, sagt Einstein . Des-
wegen höre ich jetzt auch auf .

Danke schön .


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823130800

Das sagt nicht nur Einstein . Vielen Dank, lieber

Dr . Felgentreu . – Zum Schluss dieser Debatte spricht zu
guter Letzt Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Guter Mann! Guter Mann!)



Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1823130900

Danke schön, Frau Kollegin . Es war richtig, dass Sie

das gesagt haben .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Frau
Dörner, Sie sind eigentlich eine ganz Nette . Aber dass Sie
jetzt sagen, dass wir Ihren Antrag aus Gründen des auf-
ziehenden Bundestagswahlkampfes ablehnen würden, ist
natürlich ein Stück weit auch der Tatsache geschuldet,
dass der Antrag von Ihnen zu einem Zeitpunkt vorgelegt
wird, wo der Bundestagswahlkampf die Parteien allmäh-
lich entsprechend polarisiert . Von daher gilt: Wer mit ei-
nem Finger auf die anderen zeigt, zeigt mit drei Fingern
auf sich . Das haben Sie vorhin mit Ihren einleitenden
Worten getan, Frau Dörner . Das wäre nicht nötig gewe-

sen, weil in Ihrem Antrag auch einige vernünftige Erwä-
gungen enthalten sind .


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Dann kann es ja die Union selber beantragen!)


Meine Damen und Herren, Beruf, Familie, Freunde,
Hobbys: Viele Eltern kennen das Gefühl, den vielfältigen
Anforderungen des Alltags nicht immer vollumfänglich
gerecht werden zu können . Der Spagat zwischen Job,
Haushalt und dem Leben mit Kindern verstärkt oft das
diffuse Gefühl, früher schlichtweg mehr Zeit gehabt zu
haben . Die Suche nach der Work-Life-Balance bestimmt
zunehmend das Leben in der modernen Gesellschaft . Von
daher ist es legitim, dass auch Oppositionsparteien auf
diese Problematik hinweisen . Aber die Konsequenzen,
die Conclusio, müssen wir nicht teilen .

Um mehr Zeit für ihre Familie zu haben, sind viele El-
tern auch dazu bereit, beruflich kürzerzutreten. Auch das
wissen wir . Die Zeitpolitik, ein zugegebenermaßen noch
relativ neuer Begriff in der gesellschaftlichen Debatte,
gehört ohne Frage zu den wichtigsten familienpoliti-
schen Themen . Um gute Zeitpolitik für Familien machen
zu können, müssen die Arbeits- und Familienpolitik auf-
einander abgestimmt werden . Nur so kann es gelingen,
optimale Rahmenbedingungen für familienfreundliche
Lebens- und Arbeitsbedingungen zu schaffen. Die Fle-
xibilisierung der Elternzeit und das Elterngeld Plus sind
erste Schritte in diese Richtung . Darauf haben meine
Vorredner bereits hingewiesen .

Zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf möchte ich
auch auf vom Familienministerium geförderte Initiati-
ven wie zum Beispiel „Lokale Bündnisse für Familie“
oder „Erfolgsfaktor Familie“ verweisen, die sich für eine
familienfreundliche Arbeitswelt einsetzen, in der es zum
Beispiel Betriebskitas, Sabbaticals, Homeoffice-Angebo-
te gibt . Hier wird es sicherlich auch in Zukunft sehr viel
geben, das die Vereinbarkeit von Familie und Beruf er-
leichtert . Ja, wir werden auch unbeschadet des Auftrags,
den uns der Wähler am 24 . September geben wird, in Zu-
kunft konstruktiv über dieses Thema nachdenken .

Herr Kollege Felgentreu, die Lösungen, die Sie uns
hektisch auf den letzten Drücker vorschlagen wollen,
sind relativ unprobat, weil nicht nur die Familie, sondern
Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staat-
lichen Ordnung stehen und deshalb Ihre Lösungen von
uns mit Sicherheit in den nächsten Wochen nicht mehr
angegangen werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


So langsam polarisieren wir uns in unterschiedliche
Richtungen . Auch das ist richtig . Gleichwohl freut es
mich aber – auch das gehört der Ehrlichkeit halber dazu,
Frau Kollegin Dörner –, dass Sie in Ihren Antrag „Geld,
Zeit, Bildung und Teilhabe“ hineingeschrieben haben:

Dr. Fritz Felgentreu






(A) (C)



(B) (D)


Jedes Kind hat das Recht auf ein gutes Aufwachsen .
Wir wollen kein Kind zurücklassen und Chancen-
gleichheit endlich verwirklichen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg . Katja Dörner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


– Ihr könnt alle klatschen . Das stimmt ja sogar .

Ich möchte mich auch ausdrücklich bei unserem Be-
richterstatter Eckhard Pols, der Kollegin Bahr von der
SPD, aber auch bei der Kollegin Walter-Rosenheimer be-
danken, dass es uns jetzt auf den letzten Drücker in dieser
Wahlperiode gelungen ist,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg . Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


dass wir uns anhand eines Antrags noch einmal mit der
Situation von Kindern psychisch belasteter Eltern befas-
sen und prüfen, ob in diesem Bereich genug getan wor-
den ist . Auch das gehört zu dem Antrag dazu, auch wenn
es nicht expressis verbis erwähnt ist .

Aber Sie sehen, dass wir trotz der sich abzeichnenden
Gewitterwolken des Bundestagswahlkampfs noch kon-
struktiv zusammenarbeiten können .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg . Beate Walter-Rosenheimer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Bevölkerung erwartet von uns, dass wir bis zum letz-
ten Tag konstruktiv zusammenarbeiten und jetzt nicht in
die Schützengräben gehen, meine Damen und Herren .

Ich wünsche Ihnen alles Gute und, wie gesagt, eine
schöne Nacht .

Ich habe meine Zeit nicht überzogen, Frau Präsiden-
tin .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823131000

Sie können noch eine Minute reden .


Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1823131100

Gibt es eine Zugabe?


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823131200

Sie haben noch eine Minute .


Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1823131300

Ja, ich will aber nicht .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823131400

Sie wollen gar nicht? Warum wollen Sie nicht?


Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1823131500

Einen schönen Abend und alles Gute .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823131600

Danke schön, Herr Lehrieder . Ich wünsche Ihnen ei-

nen guten Abend, aber der schöne Abend ist noch nicht
für alle angebrochen .


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber für uns!)


– Für Sie ja; das kann sein .

Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/12110 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . – Sie sind einverstan-
den . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Tagesordnungspunkt 16 b . Wir kommen zur Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Familie, Se-
nioren, Frauen und Jugend zum Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Familien stär-
ken – Kinder fördern“. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/12156, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/10473 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und
SPD . Dagegen war Bündnis 90/Die Grünen, und enthal-
ten hat sich die Linke .

Tagesordnungspunkt 16 c . Wir setzen die Abstim-
mung zur Beschlussempfehlung des Ausschusses für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend auf Drucksa-
che 18/12156 fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buch-
stabe b seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/9007 mit dem Titel „Zeit für mehr – Damit
Arbeit gut ins Leben passt“ . Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen war
Bündnis 90/Die Grünen, und enthalten hat sich die Linke .

Zusatzpunkt 5 . Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Al-
leinerziehende stärken – Teilhabe von Kindern sichern“ .
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/11592, den Antrag der Frakti-
on von Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/4307
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist angenommen . Zugestimmt ha-
ben CDU/CSU und SPD . Dagegen waren die Linke und
Bündnis 90/Die Grünen .

Wir kommen zum nächsten Tagesordnungspunkt . Ich
werde wieder langsam vorlesen, weil wahrscheinlich ein
paar Plätze getauscht werden . – Schönen Abend, Herr
Lehrieder!

Paul Lehrieder






(A) (C)



(B) (D)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Telekommunika-
tionsgesetzes

Drucksache 18/9951

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss)


Drucksache 18/11811

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Klaus
Barthel für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1823131700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Heute ist ein guter Abend für die Kundinnen und Kunden
von Telekommunikationsunternehmen und Internetan-
bietern . Warum? Wir beschließen heute das Dritte Gesetz
zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes .

Worum geht es dabei?


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das weiß keiner so genau!)


Wir haben es jetzt wieder schwarz auf weiß bekommen:
Der Ende März dieses Jahres von der Bundesnetzagentur
veröffentlichten Breitbandstudie ist zu entnehmen, wie
die Verbraucherinnen und Verbraucher, die Kundinnen
und Kunden von den Internetanbietern in die Irre geführt
werden . Nur jeder achte Kunde, nämlich 12,4 Prozent,
erhält die volle Bandbreite, die zugesagt ist, die bewor-
ben wird . 70 Prozent bekommen gerade einmal die Hälf-
te dieser Bandbreite .

Stellen wir uns das einmal auf andere Produkte, auf
andere Märkte übertragen vor: Wir wollen bis zu 1 Kilo-
gramm Kartoffeln und kriegen 125 Gramm, wir wollen
bis zu 3 Kilogramm Waschmittel und kriegen die Hälfte
davon, oder wir kriegen eine ganz schlecht eingeschenk-
te Maß Bier .


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Das kommt vor! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das gibt es nur in München!)


Im Geschäft oder in der Gaststätte würde man das nach-
wiegen oder nachmessen lassen und sofort reklamieren .

Bisher konnte der Kunde von Telekommunikationsun-
ternehmen gar nichts dagegen tun. Es fing schon damit
an, dass er gar nicht feststellen konnte, welche Bandbreite
er tatsächlich hat . Bereits mit der Transparenzverordnung
haben wir die Voraussetzung geschaffen, das eindeutig
zu ersehen . Es muss jetzt ein standardisiertes Produkt-
informationsblatt geben, in dem ganz klar festgelegt ist,
worin das Angebot besteht, worüber der Vertrag besteht .

Außerdem haben wir dafür gesorgt, dass die Bundesnetz-
agentur ein Mess-Tool anbietet . Das heißt: Jeder kann
jetzt nachmessen lassen, welche Bandbreite tatsächlich
bei ihm anliegt . In Zukunft können die Kundinnen und
Kunden entweder die vertragliche Erfüllung einfordern,
den Vertrag anpassen lassen, also möglicherweise einen
günstigeren Tarif bekommen, die Schlichtungsstelle der
Bundesnetzagentur anrufen oder eine Vertragsbeendi-
gung anstreben .

Wir haben jetzt länger gebraucht, um diese dritte Le-
sung durchzuführen, weil wir auf die gerade erwähnte
Messstudie der Bundesnetzagentur und den daraus fol-
genden Umsetzungsvorschlag warten wollten . Wir kön-
nen damit die Vorgaben der Europäischen Union wirk-
sam umsetzen und den Anforderungen der Kundinnen
und Kunden gerecht werden . Es ist ganz wichtig, dass die
Bundesnetzagentur diese umfangreiche Studie erstellt
und dabei Ross und Reiter genannt hat . Es ist nämlich
nicht selbstverständlich, dass – blame and shame – ge-
sagt wird, welche Unternehmen gut und welche schlecht
sind . Nun können wir umsetzen und festlegen, was die
unbestimmten Rechtsbegriffe im europäischen Recht
bedeuten, also was eine erhebliche, eine kontinuierliche
oder eine regelmäßig wiederkehrende Abweichung bei
der Geschwindigkeit des Breitbandanschlusses ist .

Anders als die Grünen sind wir der Ansicht, dass das
nicht der Gesetzgeber festlegen kann . Das geht weder aus
rechtlichen Gründen – die europäische Regelung gibt et-
was anderes vor – noch aus sachlichen Gründen . Wir hal-
ten es vielmehr für vernünftig, dass unsere nationale Re-
gulierungsbehörde, die Bundesnetzagentur, das macht,
indem sie einen praktikablen und umsetzbaren Vorschlag
macht, indem sie eine Anhörung dazu durchführt – die
läuft jetzt gerade –, indem es in Zukunft einen jährlichen
Bericht darüber geben wird, wie sich die Geschwindig-
keiten tatsächlich entwickeln, also ob die Angaben ein-
gehalten werden . Außerdem wird die Bundesnetzagentur
in Zukunft vorschlagen, welche Maßnahmen zu ergreifen
sind, damit die Bandbreiten tatsächlich erhöht werden
können . Das heißt, das wird ein laufender Prozess sein .
Das wäre durch eine starre gesetzliche Regelung nicht
möglich; denn dann müssten wir andauernd das Gesetz
ändern . Die Bundesnetzagentur ist nun dafür da, prakti-
kable Vorschläge zu machen .

Nunmehr wird Folgendes vorgeschlagen: Bei statio-
nären Breitbandanschlüssen liegt eine erhebliche, konti-
nuierliche oder regelmäßig wiederkehrende Abweichung
vor, wenn nicht mindestens einmal 90 Prozent des Ma-
ximums erreicht werden, wenn die normale Geschwin-
digkeit nicht bei 90 Prozent der Messungen erreicht wird
und wenn die Mindestgeschwindigkeit auch nur einmal
unterschritten wird . Das ist die sogenannte 90/90/0-Re-
gelung . Auch Art und Umfang der Messungen werden
festgelegt . Man kann da also nicht schwindeln . Die Bun-
desnetzagentur und das Mess-Tool messen zu vorgegebe-
nen Zeiten . Das heißt, wir haben das, was im Entschlie-
ßungsantrag der Grünen gefordert wird, übererfüllt .


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Nicht ganz!)


Das Einzige, was übrig bleibt, sind die sogenannten
wirksamen, abschreckenden Sanktionen . Auch wir wol-

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


len solche Sanktionen . Aber wir müssen sehen, dass wir
uns hier im Privatrecht bewegen . Alle, die immer für
Privatisierung und Wettbewerb sind, müssen sich da-
ran gewöhnen, dass das Zivilrecht Verstöße nicht ohne
Weiteres als Ordnungswidrigkeit qualifizieren und sank-
tionieren kann, sondern dass es dafür besondere Rege-
lungen braucht. Nun schaffen wir allerdings in einem
zweiten Schritt die Voraussetzungen, dass Sanktionen
und Bußgelder verhängt werden können, und zwar in
nicht unerheblicher Höhe, aber nur dann, wenn Abwei-
chungen festgestellt worden sind .

Da die Redezeit nicht mehr ausreicht, will ich nur noch
darauf hinweisen, dass dieses Gesetz weitere sinnvolle
Regelungen enthält, wie beispielsweise die Ausweitung
des Zugangs für Gehörlose und Gehörgeschädigte sowie
das Redirect-Verfahren, das Verbraucherinnen und Ver-
braucher vor Abzocke durch Drittanbieter schützt .

Wer jetzt noch in Anträgen behauptet oder der Presse
erklärt, dass das alles nichts nutzt und dass die Kunden
weiterhin wehrlos sind, liebe Grüne, begeht nicht nur
Fehlinformation, sondern erweist uns allen, insbesonde-
re den Verbraucherinnen und Verbrauchern, auch einen
Bärendienst . Der Eindruck, dass man sich nicht dagegen
wehren kann, ist völlig falsch . Man betreibt nur das Ge-
schäft der Schwindler, wenn man behauptet, dass sich die
Kunden sowieso nicht wehren können . Nach dieser Ge-
setzesänderung ist das nicht mehr der Fall .

Deswegen bitte ich Sie alle, den Entschließungsantrag
der Grünen abzulehnen und unserer Gesetzesänderung
zuzustimmen .

Ich danke für die Aufmerksamkeit zu später Stunde .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823131800

Vielen Dank, Klaus Barthel . – Nächster Redner: Ralph

Lenkert für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823131900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Internetnutzerinnen und Mobilda-
tennutzer! Meine Kollegin wollte mehr als 6 Mbit/s im
Internet . Die Ansage im Shop nach Adressencheck klang
gut: Flatrate mit 50 Mbit/s kein Problem . Sie freute sich,
vertraute auf die Zusage und unterschrieb . 50 Mbit/s hat
sie bis heute nicht . Nach ewigem Hin und Her konnte sie
zum alten Vertrag zurück . Fast jeder kennt solche Bei-
spiele .

Wenn Internetprovider, die bis zu 16 Mbit/s verkau-
fen, wissen, dass jeder dritte Kundenanschluss aus tech-
nischen Gründen nicht einmal 8 Mbit/s erreicht, dann ist
das Betrug . Wenn Mobilfunkanbieter eine Downloadrate
von 20 Mbit/s verkaufen und wissen, dass aus techni-
schen Gründen die Hälfte der Nutzer nicht einmal eine
Mindestübertragungsrate von 4 Mbit/s erhält, dann ist
das Betrug .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Linke fordert: Wer den vollen Preis für eine angebo-
tene Leistung bezahlt, hat auch ein Anrecht auf die volle
Leistung .


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Fordern wir auch!)


Stellen Sie sich einmal vor, Sie wollten mit dem ICE
von Berlin nach München fahren .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wer will nach München?)


Gemäß dem Maßstab der Mobilfunkanbieter würde man
bei jeder zweiten Fahrt erst nach 30 Stunden in München
ankommen . Schon bei 60 Minuten Verspätung könnten
Sie die Reise abbrechen und den vollen Fahrpreis zurück-
verlangen . Bei Ihrem Provider erhalten Sie derzeit nicht
einmal eine Entschädigung, und das ist eine Sauerei .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Immerhin sieht der Gesetzentwurf für die Zukunft we-
nigstens Bußgelder und Vertragsanpassungen vor . Aber
das reicht nicht . Betrug gehört in den Bereich des Straf-
rechts . Wir fordern zusätzlich zu saftigen Bußgeldern
Schadenersatz für Kundinnen und Kunden .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ NEN])


Darum unterstützt die Linke den Entschließungsantrag
der Grünen .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)


Die Linke fordert mehr Transparenz in den Verträgen .
Wir fordern, dass Anbieter offenlegen müssen, in wel-
chen Regionen sie welche Leistungen tatsächlich anbie-
ten können, und wir wollen eine rigorose Verfolgung von
falschen Versprechungen durch die Bundesnetzagentur
und durch Strafverfolgungsbehörden .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Klaus Barthel [SPD]: Das macht die Bundesnetzagentur in Zukunft! Das kann man alles nachlesen!)


Kolleginnen und Kollegen, Netzneutralität, die
Gleichbehandlung aller Nutzer und Inhalte im Netz, ist
für die Linke unerlässlich . Ich zitiere jetzt aus dem Ge-
setz:

Eine angemessene Verwaltung des Datenverkehrs

(Verkehrsmanagement) ist zulässig, um die Netz-

werkressourcen effizient zu nutzen und die Quali-
tät der Dienste entsprechend den Anforderungen zu
gewährleisten . Dabei dürfen die Internetzugangsan-
bieter zwischen Verkehrskategorien unterscheiden,
soweit diese verschiedene Anforderungen beispiels-
weise in Bezug auf Verzögerung, Verzögerungs-
schwankung, Paketverlust und Bandbreite stellen .

Klaus Barthel






(A) (C)



(B) (D)


Das ist der Anfang vom Ende der Netzneutralität .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig! Genau!)


Diese genehmigten Ausnahmen zum sogenannten Ver-
kehrsmanagement, wie auch beispielsweise StreamOn
der Telekom, lehnt die Linke ab .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Bundesnetzagentur, die nach diesem Gesetzent-
wurf möglichen Missbrauch unterbinden soll, hat schon
heute zu viele Aufgaben und zu wenig Personal . Die
kann kommenden Betrug nicht wirksam bekämpfen .


(Klaus Barthel [SPD]: Wer soll es denn dann machen?)


Deshalb fordert die Linke mehr Personal für die Bundes-
netzagentur .


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Bürgerinnen und Bürger, diese Koalition hat es
in vier Jahren nicht geschafft, eine vernünftige Novelle
des Telekommunikationsgesetzes vorzulegen . Wenn der
Betrug bei Übertragungsraten Ihres Handyvertrages en-
den soll, wenn Sie die Netzneutralität im Internet sichern
wollen, dann haben Sie eine Chance: Wählen Sie die Lin-
ke!


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823132000

Vielen Dank, Ralph Lenkert . – Dann kommt der

nächste Redner, und das ist Andreas Lämmel für die
CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1823132100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Herr Lenkert, das, was Sie gesagt haben, war so-
zusagen das Tiefgehendste, was ich heute Abend gehört
habe .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Ich meine, wenn Sie Wahlkampf machen wollen, dann
sollten Sie einen Stand vor dem Reichstag aufbauen, und
dann können Sie das erzählen .

Das, was Sie hier geboten haben, ist doch unwürdig .
Zudem war es fachlich zum Teil auch völlig falsch .


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Was heißt da „zum Teil“?)


Das wissen Sie ganz genau . Sie betreiben einfach Mas-
senverdummung . Das Gleiche hat Herr Barthel zum
Entschließungsantrag der Grünen gesagt . Sie behaupten
einfach falsche Dinge; das müssen Sie sich einmal klar-

machen . Wie gesagt, wir sind hier nicht, um Wahlkämpfe
auszufechten; das können wir draußen machen .


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Das waren nur Behauptungen!)


Die wesentlichen Punkte im Entwurf eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Telekommunikationsgeset-
zes hat Klaus Barthel schon beschrieben . Nur muss man
zu der Messstudie schon sagen, Klaus Barthel: Ganz so
einfach ist es nicht . Die Zahlen stimmen; ganz klar, keine
Frage .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ach, kein Wahlkampf hier!)


Man muss ein bisschen Ahnung von Technik haben; dann
kann man das auch besser werten . Man muss eben ein ge-
wisses Verständnis von der Materie haben, Herr Lenkert .


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Barthel [SPD]: Man muss auch zehn Minuten Zeit haben!)


Das haben Sie noch nie gehabt, und das haben Sie jetzt
eigentlich wieder bewiesen .

Es ist natürlich so: Die Zahlen, wie gesagt, stimmen
schon; das kann man erst einmal nicht bezweifeln . Aber
letztendlich hängen Bandbreite und Downloadgeschwin-
digkeit nicht ausschließlich davon ab, ob der Provider die
Leistung ins Haus bringt; vielmehr spielen dabei viele
weitere technische Parameter eine Rolle . Selbst die Haus-
installation bzw . das Homenetzwerk oder das WLAN zu
Hause können technisch so beschaffen sein, dass sie gar
nicht in der Lage sind, verschiedene Dinge zu leisten .

Insofern finde ich, das Mess-Tool ist eine hervorra-
gende Sache – das haben eigentlich alle sehr begrüßt –,
weil man damit erstmals zertifiziert nachweisen kann,
welche Leistungsparameter ein Anschluss bringt .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823132200

Herr Lämmel – –


Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1823132300

Herr Lenkert konnte schon genügend Wahlkampf be-

treiben . Das muss ich mir nicht noch einmal antun, in-
dem ich eine Zwischenfrage zulasse .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823132400

Danach wollte ich fragen . Danke schön für die Ant-

wort .


Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1823132500

Was das Mess-Tool angeht: Man kann das im Übrigen

auch mit dem Mobiltelefon an jeder Stelle, an der man
sich aufhält, machen . Insofern halte ich die ganze Sache
für einen großen Fortschritt .

Es gibt in der Messstudie folgenden Widerspruch –
das ist ganz interessant –: Auf der einen Seite erhalten
70 Prozent der Nutzer offensichtlich weniger als die
Hälfte der vereinbarten Leistung . Auf der anderen Seite
erhalten 12 Prozent der Nutzer mindestens die vereinbar-

Ralph Lenkert






(A) (C)



(B) (D)


te Leistung oder sogar mehr . Aber wenn man das Mess-
Tool einmal selber ausprobiert, dann ist die erste Frage,
die gestellt wird, bevor man irgendein Messergebnis
bekommt: Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Internetan-
schluss? Dann kann man ankreuzen: „sehr zufrieden“,
„zufrieden“, „nicht zufrieden“, „sehr unzufrieden“ . Der
Witz an der Sache ist: Interessanterweise kreuzen im
Prinzip zwei Drittel der Internetnutzer als Erstes „sehr
zufrieden“ oder „zufrieden“ an .


(Klaus Barthel [SPD]: Vor der Messung!)


Daran kann man auch sehen: Da stimmen zwei Aspek-
te nicht überein: zum einen die reinen Zahlen, was die
Leistung des Anschlusses angeht, und zum anderen die
Einschätzungen, die die Nutzer letztendlich selbst vor-
nehmen .

Klaus Barthel hat ja auch beschrieben, dass wir im
Prinzip über die Bundesnetzagentur ein Messverfahren
entwickelt haben . Das heißt, wenn man sich als Nutzer
beschweren will, dann muss man 20 Messungen nach
einem gewissen Schema machen, um auf Werte zu kom-
men, die es erlauben, einen gewissen Durchschnitt zu
bilden . Ich denke, wenn das intensiv genutzt wird, wird
das sehr viel Transparenz in den Markt bringen . Im Ge-
setz steht ja, dass die Bundesnetzagentur jedes Jahr einen
Bericht vorlegen muss . Da kann man dann sehen, wie die
Tendenzen sind . Ich bin mir sicher, dass sich die Provi-
der, zumindest die großen, die seriösen, nicht jedes Jahr
an den Pranger stellen lassen wollen, weil sie zu wenig
Leistung anbieten . In jedem Vertrag steht übrigens – Herr
Lenkert, Sie müssen Verträge, die Sie unterschreiben,
auch richtig lesen – „bis zu . . .“ . Sie haben wohl verges-
sen, das zu sagen .

Sie haben nur die halbe Wahrheit gesagt, als es um das
Thema Netzneutralität ging .


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Ich zitierte aus dem Gesetz!)


Bei der im Gesetzentwurf geregelten Netzneutralität geht
es um die Umsetzung einer EU-Richtlinie; es ist einfach
EU-Recht, das hier umgesetzt wird . Da kann man als na-
tionaler Gesetzgeber relativ wenig machen; wenigstens
das müssen Sie dazusagen . Das Gleiche gilt für die Re-
gelungen zum Roaming . Auch sie sind das Ergebnis der
Umsetzung einer EU-Richtlinie .

Ich möchte noch etwas zu zwei Dingen sagen, die ich
sehr wichtig finde, auch weil ich selber das alles schon
einmal ausprobiert habe .

Ich meine zum einen die Drittanbietersperre . Ich habe
einmal gemeinsam mit der Telekom einen Betrügerring
auffliegen lassen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von Abgeordneten der LINKEN: Oh!)


– Wir tun eben im Gegensatz zu Ihnen etwas, Herr
Lenkert . Sie reden; wir machen etwas .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie sind ein Held!)


Die Direktanbietersperre ist natürlich ideal, um Abofal-
len zu vermeiden . Das ist der erste Punkt . Das Zweite ist

das Redirect-Verfahren . Das ist eigentlich der Kernpunkt
der ganzen Geschichte, weil damit verhindert wird, dass
im Prinzip über die Telefonrechnung Leistungen abge-
rechnet werden, die man überhaupt nicht in Anspruch
genommen hat .

Klaus Barthel hat es gesagt: Für behinderte Menschen,
für Gehörlose bringt das Gesetz sehr große Fortschritte,
weil die Informationsdienste für behinderte Menschen
24 Stunden am Tag geschaltet sein müssen . Das heißt:
Rund um die Uhr haben diese Menschen die Möglich-
keit, auf Notdienste und Ähnliches zurückzugreifen .

Zusammenfassend kann ich nur sagen: Der Gesetzent-
wurf zeigt den hohen Stellenwert, den die Koalition der
Transparenz und dem Verbraucherschutz im Telekom-
munikationsmarkt beimisst . Deswegen kann ich Ihnen
eigentlich nur empfehlen, diesem Gesetz zuzustimmen
und den Entschließungsantrag der Grünen abzulehnen,
weil er Unwahrheiten in die Welt setzt; den Tatsachen
entspricht das schon lange nicht mehr .

Vielen Dank . – Ich habe drei Minuten gespart . Dafür
gebt ihr mir dann gleich ein Bier aus .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823132600

Super! Es nützt uns aber nicht viel; denn das Wort zu

einer Kurzintervention hat der Kollege Ralph Lenkert .


Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1823132700

Sehr geehrter Herr Kollege Lämmel, ich weiß nicht,

wer in der Industrie mehr Erfahrung hat: jemand, der
seit seinem Studium in Verwaltungen und im Ministe-
rium gearbeitet hat, oder jemand, der 20 Jahre lang in
Deutschland, in Tschechien und in China in der Indus-
trie gearbeitet hat . Die kleinen Unterschiede können
Sie mir vielleicht mal erklären . Wahrscheinlich hat man
am Schreibtisch mehr Ahnung von Wirtschaft als in der
Wirtschaft selber .

Um jetzt zu den technischen Fakten zu kommen: Sie
haben behauptet, ich hätte Sie falsch dargestellt . Ich zi-
tiere jetzt aus dem Bericht „breitbandmessung“:

Stationäre Breitbandanschlüsse

Über alle Bandbreiteklassen und Anbieter hinweg
erhielten im Download 70,8 % der Nutzer mindes-
tens die Hälfte der vertraglich vereinbarten maxima-
len Datenübertragungsrate . . .


(Klaus Barthel [SPD]: Nichts Neues!)


Das heißt im Umkehrschluss: Die 30 Prozent, die ich ge-
nannt habe, sind korrekt . Das ist keine falsche Aussage,
wie Sie es hier dargestellt haben .

Ich zitiere weiter, jetzt zu den mobilen Breitbandan-
schlüssen:

Erreichten im Download bei den stationären Breit-
bandanschlüssen knapp über 70 % der Nutzer 50 %
der vertraglich vereinbarten maximalen Datenüber-
tragungsrate oder mehr, lag der entsprechende Wert
bei den mobilen Breitbandanschlüssen unter 30 % .

Andreas G. Lämmel






(A) (C)



(B) (D)


Das heißt im Umkehrschluss, wenn man nur andershe-
rum rechnet, genau das, was ich gesagt habe .

Ich bitte Sie also, nicht nur die eigentlichen Zahlen zu
nehmen, sondern auch die Gegenrechnung zu machen .
Das sollten Sie gelernt haben .

Vielen Dank .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823132800

Herr Lämmel, wenn Sie mögen, haben Sie die Mög-

lichkeit, zu antworten .


(Andreas G . Lämmel [CDU/CSU]: Nein!)


– Sie mögen nicht .

Dann hat die letzte Rednerin in dieser Debatte das
Wort: Tabea Rößner für Bündnis 90/Die Grünen .


Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823132900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Stel-

len Sie sich vor, Sie würden nur 50 Prozent Ihrer Te-
lefonrechnung bezahlen . Was würde da passieren? Die
Tele fon anbieter würden wahrscheinlich Mahnungen
schreiben, eventuell ein Inkassobüro beauftragen und
wahrscheinlich auch vor Gericht gehen, um die volle
Zahlung einzuklagen . Die Telefonanbieter würden damit
recht bekommen, und das ist auch richtig so .


(Klaus Barthel [SPD]: Das können die Kunden in Zukunft auch!)


Stellen wir uns das andersherum vor: Ich habe einen
Vertrag über einen Internetanschluss über 16 Mbit pro
Sekunde und bekomme nur 8 . Welche Möglichkeiten
habe ich, dagegen vorzugehen? Keine .


(Klaus Barthel [SPD]: Falsch!)


Das ist so, weil es keine konkreten Vorgaben gibt und
Verbraucherinnen und Verbraucher mit diesem Problem
im Regen stehen gelassen werden, und das ist nicht rich-
tig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Es ist eine Riesensauerei, wenn Nutzerinnen und Nutzer
von Internetanbietern mit irreführenden „Bis zu soundso
viel Mbit pro Sekunde“-Angeboten gelockt werden und
dann nur einen Bruchteil dessen bekommen .

Die Verstöße – sie wurden hier schon angesprochen –
sind bekannt . Nur 12 Prozent der Haushalte bekommen
demnach die vertraglich zugesicherte Maximalgeschwin-
digkeit . Sie hier sind doch auch alle Verbraucher . Ärgern
Sie sich nicht, wenn das Internet abends so langsam ist,
dass jedes Video ruckelt oder das Laden von Webseiten
eine Ewigkeit braucht? Das ist echt zum Haareraufen!

Es gibt aber Lösungen wie zum Beispiel Mindeststan-
dards, damit Verbraucherinnen und Verbraucher wissen,
womit sie tatsächlich rechnen können . Wir Grüne sagen
daher: Die minimale Datenübertragungsrate muss min-
destens 70 Prozent der maximalen Übertragungsrate be-
tragen . Und die normalerweise zur Verfügung stehende
Übertragungsrate sollte an mindestens 95 Prozent eines

Tages auch wirklich zur Verfügung stehen . Das haben
wir uns nicht selbst ausgedacht: Nein, das sind Empfeh-
lungen der BEREC zur Umsetzung der EU-Verordnung .
Das sind ganz praktikable Lösungen, Kollege Barthel .
Wir müssen sie nur umsetzen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus Barthel [SPD]: Das passiert doch! Deswegen machen wir das Gesetz!)


Außerdem fordern wir pauschalierte Schadenersatz-
ansprüche, ein Sonderkündigungsrecht und ein Recht auf
Tarifanpassung, wenn sich Anbieter eben nicht an die-
se Zusagen halten . Das wären Mechanismen, mit denen
wir Verbraucherinnen und Verbraucher vor Verstößen der
Netzbetreiber wirksam schützen könnten . Also lassen Sie
es uns doch einfach tun .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch beim Thema Netzneutralität macht die Verord-
nung klare Vorgaben . Angebote wie der neue Zero-Ra-
ting-Tarif StreamOn der Telekom drohen aber die
Netzneutralität auszuhöhlen . Die Telekom nutzt ihre
Marktmacht hier aus und sucht nach Schlupflöchern, die
in der Praxis zu einer Diskriminierung kleiner Start-ups
und vor allen Dingen zur Drosselung von Videodiens-
ten bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern führen
werden. Es ist unsere Aufgabe, diese Schlupflöcher zu
stopfen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Daher fordern wir auch im Bereich Netzneutralität
Mindeststandards . Wenn diese nicht eingehalten werden,
muss es auch hier Sanktionen geben .


(Klaus Barthel [SPD]: Die gibt es auch!)


Statt die Verantwortung auf die Regulierungsbehörden
abzuschieben, sollten wir diesen Behörden wirksame In-
strumente an die Hand geben, diese Standards dann auch
durchzusetzen . Die Erfüllung dieser Aufgabe, Kollege
Barthel, haben Sie leider völlig verfehlt . Insofern ist das
heute kein guter Tag für die Verbraucherinnen und Ver-
braucher .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus Barthel [SPD]: Sie haben die Änderungen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen!)


Ein weiteres Problem im Telekommunikationsbereich
sind unzulässige Abbuchungen über die Mobilfunkrech-
nung von Drittanbietern . Auch in diesem Punkt sind Sie
auf halber Strecke stehengeblieben . Wir fordern eine
voreingestellte Drittanbietersperre, die Verbraucherinnen
und Verbraucher nachträglich aufheben können, wenn sie
es wünschen . Dies im Gesetz zu verankern, wäre wirk-
lich nicht schwer gewesen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Effektiver Verbraucherschutz ist kein Hexenwerk.
Trotzdem fehlen in Ihrem Gesetzentwurf viele wichti-
ge Konkretisierungen . Ihr Vorschlag bleibt an den ent-
scheidenden Stellen leider Wischiwaschi, da Sie keine
spezifischen Sanktionstatbestände geschaffen haben. Das
bedeutet in der Praxis: Die Verbraucherinnen und Ver-

Ralph Lenkert






(A) (C)



(B) (D)


braucher schauen weiter auf den Ladebalken . Deshalb
haben wir unsere Vorschläge in einem Entschließungsan-
trag eingebracht, für den ich um Zustimmung bitte .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823133000

Vielen Dank, Tabea Rößner . – Damit schließe ich die

Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Telekommunikationsgesetzes . Der Ausschuss
für Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/11811, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9951 in
der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, jetzt um das Handzeichen . – Wer stimmt
dagegen? – Es gibt keine Enthaltung . Zugestimmt haben
CDU/CSU und SPD . Dagegen waren Bündnis 90/Die
Grünen und die Linke . Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Enthaltungen gibt es keine . Der Ge-
setzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/
CSU und SPD . Dagegen waren die Linke und Bünd-
nis 90/Die Grünen .

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/12133 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Keine Enthaltun-
gen . Der Entschließungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt
haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke . Dagegen
waren CDU/CSU und SPD .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Dr . Rosemarie
Hein, Sigrid Hupach, Karin Binder, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Kein Lobbyismus im Klassenzimmer

Drucksachen 18/8887, 18/12064

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . –
Damit sind Sie einverstanden . Ich sehe und höre man-
ches, aber nichts anderes .1)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12064, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/8887 abzulehnen . Wer stimmt für diese

1) Anlage 2

Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
men . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen
war die Linke, Bündnis 90/Die Grünen hat sich enthalten .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen des Europarats vom 11. Mai
2011 zur Verhütung und Bekämpfung von Ge-
walt gegen Frauen und häuslicher Gewalt

Drucksache 18/12037
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .2)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/12037 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes über die Verarbeitung von Flug-
gastdaten zur Umsetzung der Richtlinie

(EU) 2016/681 (Fluggastdatengesetz – Flug-

DaG)

Drucksache 18/11501

Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-
ausschusses (4 . Ausschuss)


Drucksachen 18/12080, 18/12149


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/12157

Auch dazu sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Sie sind einverstanden .3)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
chen 18/12080 und 18/12149, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/11501 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD . Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und
die Linke .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer

2) Anlage 3
3) Anlage 4

Tabea Rößner






(A) (C)



(B) (D)


stimmt dagegen? – Der Gesetzentwurf ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen waren
Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten
Gesetzes zur Änderung des Europol-Gesetzes
Drucksachen 18/11502, 18/11931
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)

Drucksache 18/12122

Auch dazu sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Sie sind einverstanden .1)

Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung . Der Innen-
ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/12122, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksachen 18/11502 und 18/11931 in der
Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei-
ter Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/
CSU und SPD . Dagegen war die Linke . Enthalten hat
sich Bündnis 90/Die Grünen .

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe-
ben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU und SPD . Dagegen war die Linke . Enthalten
hat sich Bündnis 90/Die Grünen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU)

2016/1148 des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 6. Juli 2016 über Maßnahmen
zur Gewährleistung eines hohen gemeinsamen
Sicherheitsniveaus von Netz- und Informati-
onssystemen in der Union
Drucksachen 18/11242, 18/11620
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)

Drucksache 18/11808

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .2)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/11808, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/11242 und 18/11620 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-

1) Anlage 5
2) Anlage 6

len, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Es
gibt keine Enthaltungen . Der Gesetzentwurf ist damit in
zweiter Beratung angenommen . CDU/CSU und SPD wa-
ren dafür . Bündnis 90/Die Grünen und die Linke waren
dagegen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe-
ben . – Wer stimmt dagegen? – Dann gibt es keine Ent-
haltungen . Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zuge-
stimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen waren die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Neuordnung des Rechts zum Schutz
vor der schädlichen Wirkung ionisierender
Strahlung

Drucksachen 18/11241, 18/11622, 18/11822
Nr. 6

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit (16 . Ausschuss)


Drucksache 18/12151

Hierzu liegt je ein Entschließungsantrag der Fraktion
Die Linke und von Bündnis 90/Die Grünen vor .

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Sie
sind damit einverstanden .3)

Dann kommen wir jetzt zur Abstimmung . Der Aus-
schuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/12151, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/11241 und 18/11622 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD . Dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und
die Linke .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe-
ben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Nie-
mand enthält sich . Der Gesetzentwurf ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen waren
Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .

Wir kommen zur Abstimmung über die Entschlie-
ßungsanträge . Entschließungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/12162 . Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt .
Zugestimmt hat die Linke, dagegen waren SPD und
CDU/CSU, enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen .

3) Anlage 7

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/12163 . Wer stimmt für die-
sen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist abgelehnt .
Zugestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Lin-
ken . Dagegen waren SPD und CDU/CSU . Enthalten hat
sich niemand .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

– Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Anlage VI des Um-
weltschutzprotokolls zum Antarktis-Ver-
trag vom 14. Juni 2005 über die Haftung

(Antarktis-Haftungsannex)


Drucksache 18/11530

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Ausführung der Anlage VI
des Umweltschutzprotokolls zum Antark-
tis-Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haf-
tung bei umweltgefährdenden Notfällen

(Antarktis-Haftungsgesetz – AntHaftG)


Drucksache 18/11529

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit (16 . Ausschuss)


Drucksache 18/12145

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Sie
sind damit einverstanden .1)

Dann kommen wir zur Abstimmung über den von
der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur
Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Antark-
tis-Vertrag vom 14 . Juni 2005 über die Haftung bei um-
weltgefährdenden Notfällen . Der Ausschuss für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12145, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/11530 anzunehmen .

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen . Da es ein Vertrags-
gesetz ist, gab es hier nur die zweite Lesung .

Abstimmung über den von der Bundesregierung ein-
gebrachten Gesetzentwurf zur Ausführung der Anlage VI
des Umweltschutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag vom
14 . Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährden-
den Notfällen . Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe b
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12145,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/11529 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem

1) Anlage 8

Gesetzentwurf zustimmen wollen, jetzt um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung einstimmig ange-
nommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Da-
mit gehe ich davon aus, dass niemand dagegenstimmt
und sich niemand enthält . Der Gesetzentwurf ist einstim-
mig angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Durchführung der Verordnung

(EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren


Drucksache 18/10823

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/12154

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .2)

Dann kommen wir gleich zur Abstimmung . Der Aus-
schuss für Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/12154,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/10823 in der Ausschussfassung anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
schussfassung zustimmen wollen, jetzt um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom-
men . Zugestimmt haben CDU/CSU, Bündnis 90/Die
Grünen und SPD . Enthalten hat sich die Linke .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ge-
setzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/
CSU, Bündnis 90/Die Grünen und SPD . Dagegen war
niemand . Enthalten hat sich die Linke .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu bereichsspezifischen Regelungen der
Gesichtsverhüllung

Drucksache 18/11180

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/11813

Der Gesetzentwurf beinhaltet in der Fassung der Be-
schlussempfehlung des Innenausschusses auch Änderun-
gen weiterer dienstrechtlicher Vorschriften .

2) Anlage 9

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .1)

Dann kommen wir zur Abstimmung . Der Innenaus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11813, den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auf Drucksache 18/11180 in der Ausschuss-
fassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Keine
Enthaltungen . Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD, dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe-
ben . – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen gibt es kei-
ne . Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt ha-
ben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die
Grünen und die Linke .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 30 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Siebten Gesetzes zur Änderung des Bun-
desfernstraßengesetzes

Drucksachen 18/11236, 18/11535, 18/11683
Nr. 11

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15 . Ausschuss)


Drucksache 18/12082


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/12083

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Parlamen-
tarischen Staatssekretärin Dorothee Bär für die Bundes-
regierung das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


D
Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1823133100


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit
dem heute zur Beratung anstehenden Gesetz liefern wir
einen maßgeblichen Beitrag zur Verkehrsinfrastruktur-
planung und ergänzen so unseren wunderbaren und von

1) Anlage 10

einigen als „perfekt“ bezeichneten Bundesverkehrswe-
geplan 2030 .


(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD)


Gero Storjohann hat heute keine Stimme und kann daher
nicht sprechen . Er hat mich darum gebeten, für ihn die
harten Fakten zu präsentieren, und das tue ich selbstver-
ständlich .

Im Bundesverkehrswegeplan 2030 haben wir fest-
gehalten, dass sich der Bund im Rahmen seiner verfas-
sungsrechtlichen Möglichkeiten stärker am Bau von Rad-
schnellwegen beteiligen wird. Wir schaffen mit diesem
Gesetz eine Ermächtigungsgrundlage für die Gewährung
von Finanzhilfen zum Bau von Radschnellwegen in der
Baulast von Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbän-
den .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wurde auch endlich mal Zeit!)


Für das Haushaltsjahr 2017 sind im Bundeshaushalt da-
für insgesamt 25 Millionen Euro vorgesehen .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein bisschen wenig!)


Mit der Förderung von Radschnellwegen machen wir
das Radfahren attraktiver, besonders für den Pendlerver-
kehr . Wir sorgen dafür, dass Staus vermieden werden und
dass der Verkehrsfluss noch weiter verbessert wird, als
er durch unsere Politik ohnehin schon verbessert wurde .


(Lachen der Abg . Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Einzelheiten der Gewährung von Finanzhilfen regeln
wir mit den Ländern in einer Verwaltungsvereinbarung .
Diese wird gerade parallel zum Gesetzgebungsverfahren
vorbereitet .

Aber der Gesetzentwurf beinhaltet noch einen zwei-
ten bedeutsamen Bereich . Hier geht es um die Be-
schleunigung des Planungs- und Baurechtsverfahrens
für wichtige Bundesfernstraßenprojekte . Die Planungs-
beschleunigung ist für uns ein zentraler Schritt, um die
Leistungsfähigkeit unserer Verkehrsinfrastruktur an neu-
ralgischen Punkten sicherzustellen . Mit der Gesetzesän-
derung werden wir die Vorhabenliste in der Anlage des
Bundesfernstraßengesetzes fortschreiben, die die Pro-
jekte beinhaltet, für die erstinstanzlich das Bundesver-
waltungsgericht zuständig ist . Mit dieser Vorhabenliste
konzentrieren wir den Klageweg für wichtige Bundes-
fernstraßenprojekte, aber natürlich bleiben Bürgerbetei-
ligung und Rechtsschutz gleichwohl gewährleistet .

Die Vorhabenliste ist bereits seit Dezember 2006
Anlage zum Bundesfernstraßengesetz; sie wurde 2015
bereits einmal ergänzt . Aber mit dem Bundesverkehrs-
wegeplan 2030 wurde es notwendig, die Vorhabenlis-
te fortzuschreiben und grundsätzlich anzupassen . Das
heißt, wir berücksichtigen die gesetzlichen Kriterien, die
erfüllt sein müssen, damit ein Vorhaben in die Anlage
aufgenommen werden kann . Wir konzentrieren uns zum
Beispiel auf die Verbesserung der Hinterlandanbindung

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


der deutschen Seehäfen oder auf die Beseitigung schwer-
wiegender Verkehrsengpässe .

Mit dem Gesetz sind 46 Projekte in der Vorhabenlis-
te. Wir schaffen damit optimale Rahmenbedingungen für
wichtige Infrastrukturvorhaben . Wir verkürzen auch den
Zeitraum bis zur Baurechtsschaffung bei wichtigen Bun-
desfernstraßenprojekten um bis zu eineinhalb Jahren .

Ich glaube, ich sage nichts Falsches, wenn ich sage,
dass es für uns insgesamt noch schneller gehen könnte,


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Rechtsstaatlichkeit beachten!)


dass es wünschenswert wäre, wenn es bei der Schaffung
von Verkehrsinfrastruktur nicht immer so wäre, Frau
Kollegin Wilms, wie bei der katholischen Kirche, wo
man manchmal eher in Jahrhunderten denkt . Wir würden
uns wahnsinnig freuen, wenn die Vorhaben von Ihnen
und Ihren Freunden nicht immer blockiert würden .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir blockieren nicht! Machen Sie eine vernünftige Planung!)


Wenn wir mehr Jasager und weniger Neinsager hätten,
würden wir uns freuen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir tun alles, damit wir im Bereich der Infrastruk-
tur schnell Fortschritte erzielen, weil wir ganz fest der
Überzeugung sind – damit ist auch unser Ministerium
überschrieben –, dass eine zukunftsfähige Infrastruktur
die Voraussetzung für Wohlstand und für Wachstum in
unserem Land ist . Daher sind wir sehr stark für Mobili-
tät und nicht gegen Mobilität . Deswegen freue ich mich
ganz besonders, Frau Wilms, dass es Ihnen heute Abend
so wichtig war, die Bundesregierung hier noch einmal
loben zu können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823133200

Vielen Dank, Frau Bär . – Jetzt kommen wir zum ers-

ten krankheitsbedingten Ausfall in dieser Debatte . Die
Kollegin Sabine Leidig liegt krank zu Hause . Sie woll-
te eigentlich kommen, konnte aber doch nicht kommen .
Die Rede liegt vor und geht mit Ihrem Einverständnis
zu Protokoll.1) – Ich sagte, dass das der erste Ausfall ist .
Es kommt noch einer . Der Redner ist zwar da, aber nicht
redefähig .

Danke schön, Frau Kollegin Leidig, für die Rede und
gute Besserung . – Nächster Redner: Gustav Herzog für
die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)


1) Anlage 11


Gustav Herzog (SPD):
Rede ID: ID1823133300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kurz vor Mitternacht läuft der Deutsche Bundestag noch
einmal zur Höchstform auf .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau so muss das sein bei Verkehrsthemen!)


Wenn wir uns alle anstrengen, dann werden wir gleich
einen Gesetzentwurf mit zwei guten Botschaften für die
Menschen draußen im Lande beschließen: Wir helfen
mit, damit es einfacher wird, große Strecken mit dem
Fahrrad zurückzulegen, und wir sorgen dafür, dass ganz
wichtige Verkehrsprojekte im Straßenbau weiterhin in ei-
nem beschleunigten Verfahren realisiert werden können .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzen wir
konsequent unsere Priorisierungsstrategie fort, die wir in
der Diskussion über den Bundesverkehrswegeplan im-
mer wieder aufgezeigt haben: Erhalt vor Neubau . Jetzt
kommt es: Insbesondere wollen wir investieren in die
Beseitigung von Engpässen und den Ausbau von Ver-
kehrsknotenpunkten . Wir haben eine vernünftige Ver-
teilung auf die Verkehrsträger . Frau Staatssekretärin, der
Bundesverkehrswegeplan war gut, die Ausbaugesetze
des Parlaments waren natürlich noch besser, weil wir sei-
tens der Koalition noch das eine oder andere hinzugefügt
haben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man kann sich alles schönreden!)


Im Dezember haben wir die Rechtsgrundlage geschaf-
fen . Geld ist vorhanden; das ist der berühmte Investiti-
onshochlauf . Beim Personal ist es etwas schwieriger . In
den nächsten Tagen und Wochen werden wir eine inten-
sive Diskussion darüber führen, ob der Bund die Arbeit
besser und mit mehr Personal machen kann als die Län-
der bisher . Was die Planungsvereinfachung angeht, gibt
es mittlerweile unzählige Kommissionen und Vorschlä-
ge . Ich habe immer den Eindruck, dass das viel Papier ist,
am Schluss aber das Instrument fehlt, damit die Projekte,
die wir alle für notwendig halten, schneller umgesetzt
werden können .

Heute Abend geht es weiterhin um die Verfahrens-
beschleunigung, um die berühmte Liste in der Anlage
zu § 17e des Bundesfernstraßengesetzes, in der wir die
Projekte aufgeführt haben, die wir für besonders wichtig
halten . Wir hatten im Ausschuss eine sehr gute Anhö-
rung . Alle Sachverständigen haben uns auf unserem Weg
bestätigt und gesagt: Das ist das richtige Instrument, und
ihr seid bei der Auswahl der Projekte sehr sorgfältig vor-
gegangen .

Deswegen sage ich in Richtung der Linken – Kol-
legin Leidig konnte das jetzt nicht vortragen –: Diesen
Paragrafen und die Anlage zu streichen, wie Sie es in Ih-
rem Änderungsantrag fordern, wäre ein falsches Signal .
Wenn wir sagen: „Wir priorisieren die wichtigen Projek-
te“, dann heißt das auch: Das Verfahren muss schneller

Parl. Staatssekretärin Dorothee Bär






(A) (C)



(B) (D)


sein, als wenn die Sache vom Gericht zum Bundesver-
waltungsgericht und wieder zurückgeht . Ihr Antrag ist
falsch . Deswegen werden wir ihn ablehnen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Eine rein qualitative Betrachtung der Projektliste,
also nicht des Projektvolumens oder der verkehrlichen
Bedeutung, macht noch einmal klar: Wir sind sehr sorg-
fältig an die Aufgabe herangegangen . Die Liste ist von
61 auf 46 Projekte reduziert worden . 34 Projekte haben
sich zum Teil erledigt, weil sie unter Verkehr sind, weil
sie im Bau sind, weil es einen neuen Zuschnitt gibt oder
weil wir sie mit dem neuen Bundesverkehrswegeplan als
nicht mehr notwendig erachten . Frau Kollegin Wilms,
diese haben wir dann auch gestrichen . 15 neue Projek-
te sind dazugekommen, die in der neuen Priorisierung
„Vordringlicher Bedarf – Engpassbeseitigung“ sind . Au-
ßerdem – das hatten wir schon 2015 gemacht – sind auch
Autobahnbrücken dazugekommen, die in einem schwie-
rigen Zustand sind; dort müssen wir sehr schnell für Er-
satzneubauten sorgen . Ich glaube, wir schlagen hier den
richtigen Weg ein .

Am Montag hat Kollege Stefan Zierke zusammen mit
150 anderen Teilnehmern die zwölfte parlamentarische
Radtour durch Berlin durchgeführt . Sie sind 18 Kilome-
ter gefahren . Das ist zwar deutlich mehr als die zehn Ki-
lometer, die wir als Mindestlänge für einen Radschnell-
weg als notwendig ansehen, aber ich habe gehört, dass
es keine schnelle Fahrt war, sondern dass man sich Zeit
genommen hat, um sich etwas in Berlin umzuschauen .

Wir wollen das, was der Bund bislang schon gemacht
hat, noch einmal deutlich erweitern . Der Bund baut be-
reits entlang von Bundesstraßen Radwege . Das machen
wir gut . In diesem Zusammenhang möchte ich die B 47
in Rheinland-Pfalz erwähnen – wen wird es wundern –,
im schönen Zellertal zwischen Harxheim und Albisheim .
Das ist ein Radweg, der nicht nur von Radfahrern, son-
dern auch von Fußgängern, also Spaziergängern oder
Joggern, genutzt wird . Es gibt kluge Investitionen des
Bundes nicht nur entlang von Bundesstraßen, sondern
auch entlang von Bundeswasserstraßen . Dort, wo un-
sere Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sagt: „Dieser
Betriebsweg kann in Absprache mit den Kommunen ge-
nutzt werden“, ist es möglich, diese Wege entlang des
Wassers – sie sind natürlich besonders toll – zu nutzen .

Wir haben mit dieser Gesetzesänderung aber etwas
anderes im Blick . Wir wollen, dass der Bund Radwege
baut . Es soll entsprechende Angebote für Pendler geben,
lange Strecken schnell fahren zu können . Wir wollen,
dass dort über 2 000 Fahrradfahrten pro Tag stattfinden.
Wir fordern einen Fahrbahnquerschnitt von 4 Metern
Breite . Das ist etwas anderes als ein touristischer Rad-
weg . Wir brauchen deswegen eine saubere Abgrenzung .

Wir wollen unsere Straßen entlasten. Wir schaffen die
Möglichkeit für mehr Bewegung, für mehr Gesundheit,
und natürlich schaffen wir auch Zeitersparnis. Wenn auf
der Straße Stau ist, ist es allemal besser, mit dem Rad zu
fahren . Dies ist also ein gutes Gesetz, dem die SPD-Frak-
tion gerne zustimmt .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823133400

Vielen Dank, Herr Kollege Herzog . – Nächste Redne-

rin: Dr . Valerie Wilms für Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823133500

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte auch den einsamen Besucher auf der Tribü-
ne herzlich begrüßen . Kommen wir doch einmal zu dem,
was Frau Bär, unsere liebe Staatssekretärin, eben gesagt
hat . Es ist erstaunlich, ich beginne die Rede mit etwas,
das Sie gar nicht erwarten, Frau Bär: mit einem Lob für
das BMVI . – Was ist los?


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Gustav Herzog [SPD]: Das raubt uns den Schlaf!)


Jetzt wird es richtig gefährlich .


(Gustav Herzog [SPD]: Ja! Da fängt man schon an, darüber nachzudenken, was man falsch gemacht hat!)


Das, was Sie hinsichtlich der Radschnellwege gemacht
haben, also dass Sie das als Bund jetzt angehen und für
Förderung sorgen, ist in Ordnung . Das unterstützen auch
wir .


(Anja Karliczek [CDU/CSU]: Schön!)


Wir hätten uns nur gewünscht, dass Sie ein bisschen
mehr Geld dafür finden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sebastian Hartmann [SPD]: Das war jetzt aber gemein!)


Jetzt kommen wir zu den harten Fakten . Mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf planen Sie erneut eine Be-
schränkung des Rechtsweges bei Straßenprojekten . Das
heißt, Bürger und klageberechtigte Verbände haben für
ihren Klageweg nur noch eine statt drei Instanzen zur
Verfügung . Für eine stark verlängerte Liste an Projekten,
für die diese Rechtswegausnahmen gelten, geht es dann
nur noch zum Bundesverwaltungsgericht nach Leipzig .
Sie haben wieder viele, viele Projekte dazugeschrieben .
Sie haben auch ein paar gestrichen; das wissen wir .


(Gustav Herzog [SPD]: Die Liste ist gekürzt worden! 46 sind weniger als 61!)


Sie wollen viele Projekte aus der Wahlkreisbeglü-
ckungsnummer Bundesverkehrswegeplan so vermeint-
lich schneller durchziehen . Dabei ist Ihnen selbst das
eigentlich hohe Gut der Gerichtsinstanzen nicht mehr
heilig . In der Liste, die Sie mit dem Gesetzentwurf vor-
legen, stecken einige Projekte – das wissen auch Sie,
Kollege Herzog; nicht immer falsche Sachen erzählen –,
die eine hohe Umweltbetroffenheit aufweisen. Das sollte
eigentlich gerade ein Argument sein, den Bürgern, Ver-

Gustav Herzog






(A) (C)



(B) (D)


bänden oder allgemein Betroffenen vollen Rechtsschutz
zuzusichern und nicht diese verkürzte Nummer .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gustav Herzog [SPD]: Der Rechtsschutz beim Bundesverwaltungsgericht ist ausreichend!)


Wie wäre es, wenn Sie die Betroffenen vor Ort auch
einmal von Anfang an in die Planungen einbeziehen wür-
den? Fehlanzeige!


(Gustav Herzog [SPD]: Das machen wir doch!)


Stattdessen gaukeln Sie den Bürgern Beteiligung vor und
nehmen ihnen dann auch noch Klageinstanzen weg . Das
zeugt nicht gerade davon, dass Sie verstanden haben, was
Bürgernähe bedeutet . Erstaunlich für die Sozialdemokra-
ten!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für Sie findet Beteiligung nur in der obrigkeitsstaatlichen
Auslegung der Planungsunterlagen statt . Das läuft dann
so: Die Planfeststellungsbehörde legt den Ordner in ei-
nem Amt aus . Das war es .


(Gustav Herzog [SPD]: Das steht heute alles im Internet!)


Eine echte Beteiligung sieht jedoch anders aus .

Dass es die Bundesregierung mit der uferlosen Aus-
weitung der Liste im Gesetz übertreibt, zeigt ein kurzer
Blick zurück . Das Gesetz war nämlich eigentlich für den
Ausnahmefall gedacht


(Gustav Herzog [SPD]: 46 Verkehrsprojekte, das ist eine Ausnahme!)


– das war damals die deutsche Einheit, und es waren
dann die Brückenprobleme –, wenn etwa Gefahr im
Verzug ist, wie vor wenigen Jahren an den Beispielen
Leverkusener Rheinbrücke oder Rader Hochbrücke zu
erkennen war . Die haben wir aufgenommen . Die Planun-
gen für Ersatzbauwerke wurden nämlich über lange Zeit
vernachlässigt . Nicht nur diese beiden Brücken mussten
wegen Baufälligkeit auch teilweise gesperrt werden . Da
muss es jetzt also schnell gehen .

In solchen Fällen, wenn es also um dringend nötige
Ersatzmaßnahmen geht, macht die Klausel zur Klage-
wegverkürzung durchaus noch Sinn . Dann kann man
sich das ernsthaft vorstellen . Denn dann geht es darum,
unser Verkehrsnetz, also die bereits geschaffenen Werte,
zu erhalten . Aus diesem Grund können wir der pauscha-
len Ablehnung, die die Linke mit ihrem Änderungsantrag
erreichen will, nicht zustimmen .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Schade!)


Die Bundesregierung geht aber deutlich zu weit und
meint, zweifelhafte neue Projekte wie die A 20 oder die
A 39 schneller planen und bauen zu können . Sowohl Ko-
alition als auch Linke überdrehen ihre gegensätzlichen
Positionen . Wir plädieren für kluge Ausgewogenheit .

Der Gesetzentwurf erscheint wie ein Placebo gegen
Planungsverzögerungen; denn viel Zeit in der Gesamtpla-
nung wird nicht gewonnen . Die meiste Zeit nehmen nach

wie vor die unheimlich schleppenden Planungsprozesse
in Anspruch, nicht nur bei Fernstraßenprojekten . Hier re-
giert die organisierte Verantwortungslosigkeit zwischen
Bund und Ländern. Ich hoffe, dass wir dieses Problem
langsam gelöst bekommen . Die Schuld an der Dauer der
Planungsprozesse den Bürgerinnen und Bürgern und den
Verbänden zuzuschreiben, klingt da nur zynisch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir lehnen die Rechtswegeinschränkung für so viele
umstrittene Straßenprojekte daher ganz klar ab . Verscho-
nen Sie die Kollegen, die in der nächsten Wahlperiode
wieder dabei sind, künftig vor solchen Anträgen und Ge-
setzentwürfen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gustav Herzog [SPD]: 46 ist trotzdem weniger als 61!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1823133600

Vielen Dank, Valerie Wilms . – Nächster Redner in der

Debatte wäre Gero Storjohann . Er ist aber so heiser –
bzw . er ist ohne Stimme –, dass er seine Rede zu Proto-
koll gegeben hat . Vielen Dank, dass Sie bei der Debatte
dennoch dageblieben sind .1)


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich schließe die Aussprache . Wir kommen zur Ab-
stimmung über den von der Bundesregierung einge-
brachten Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesfern-
straßengesetzes . Der Ausschuss für Verkehr und digitale
Infrastruktur empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/12082, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf Drucksache 18/11236 und 18/11535
anzunehmen .

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/12129 vor, über den wir zuerst
abstimmen . Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ände-
rungsantrag ist abgelehnt . Zugestimmt hat die Linke,
enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen, und dagegen
waren SPD und CDU/CSU .

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt
dagegen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be-
ratung angenommen . Zugestimmt hat die CDU/CSU,
dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die Grünen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Dann gibt es keine Enthaltungen .
Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt haben Bünd-
nis 90/Die Grünen und die Linke .

1) Anlage 11

Dr. Valerie Wilms






(A) (C)



(B) (D)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 31 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Sechs-
ten Gesetzes zur Änderung des Kraftfahr-
zeugsteuergesetzes

Drucksachen 18/11234, 18/11532, 18/11683
Nr. 9

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/12143

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Sie
sind damit einverstanden .1)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12143, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksachen 18/11234 und 18/11532 anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Be-
ratung angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD . Dagegen war niemand, enthalten haben sich
Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neure-
gelung des Schutzes von Geheimnissen bei der
Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung
schweigepflichtiger Personen

Drucksache 18/11936
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Finanzausschuss

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Sie
sind einverstanden .2)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/11936 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sie haben
sicher keine anderen Vorschläge dazu . – Dann ist die
Überweisung so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a und 33 b auf:

a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
11. Juli 2016 zwischen der Regierung der Bun-
desrepublik Deutschland und der Regierung
der Arabischen Republik Ägypten über die
Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich

1) Anlage 12
2) Anlage 13

Drucksache 18/11508

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/11812

b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
26. September 2016 zwischen der Regierung
der Bundesrepublik Deutschland und der Re-
gierung der Tunesischen Republik über die
Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich

Drucksache 18/11509

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/11797

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .3)

Tagesordnungspunkt 33 a . Wir kommen zur Abstim-
mung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Gesetzentwurf zu dem eben genannten Abkommen mit
der Regierung der Arabischen Republik Ägypten über
die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich . Der Innen-
ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/11812, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 18/11508 anzunehmen .

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen – das ist auch ein Ver-
tragsgesetz –, sich zu erheben . – Wer stimmt dagegen? –
Der Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt ha-
ben CDU/CSU und SPD, dagegen waren die Linke und
Bündnis 90/Die Grünen .

Tagesordnungspunkt 33 b . Wir kommen zur Abstim-
mung über den von der Bundesregierung eingebrachten
Gesetzentwurf zu dem Abkommen mit der Regierung
der Tunesischen Republik über die Zusammenarbeit im
Sicherheitsbereich. Der Innenausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11797,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/11509 anzunehmen .

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Der Gesetzentwurf ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren
Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfüh-
rung eines Wettbewerbsregisters

Drucksache 18/12051

3) Anlage 14

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Sie
sind damit einverstanden .1)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwurfs
auf Drucksache 18/12051 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Es gibt keine
anderweitigen Vorschläge . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 36 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
der Verordnung der Bundesregierung

Siebenunddreißigste Verord-
nung zur Durchführung des Bun-
des-Immissionsschutzgesetzes

(Verordnung zur Anrechnung von strombasierten Kraftstoffen und mitverarbeiteten biogenen Ölen auf die Treibhausgasquote – 37. BImSchV)


Drucksachen 18/11283, 18/11472 Nr. 2.1,
18/12152

1) Anlage 15

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .2)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/12152, der Verordnung auf Drucksache 18/11283
zuzustimmen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Dann enthält sich nie-
mand . Die Beschlussempfehlung ist angenommen . Zu-
gestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren
Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .

Nicht nur die Tagesordnung ist erschöpft .


(Karl Holmeier [CDU/CSU]: Auch die Präsidentin!)


Damit berufe ich die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages auf morgen, Freitag, den 28 . April 2017,
9 Uhr, ein .

Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen von
ganzem Herzen einen langen schönen Restabend . Vielen
Dank für die Konzentration . Vielen Dank auch den Par-
lamentsassistenten und -assistentinnen .