Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie alleherzlich. Ich hoffe, Sie sind alle gut erholt und jedenfallshochmotiviert aus der Osterpause zurückgekehrt, sodasswir jetzt mit geballter Energie ins Finale dieser Legis-laturperiode einsteigen können. – Mindestens einer deranwesenden Parlamentarischen Geschäftsführer bestätigtdas in eindrucksvoller Weise. Ich bedanke mich dafürausdrücklich.Bevor wir die Befragung der Bundesregierung auf-rufen, habe ich Ihnen noch eine amtliche Mitteilung zumachen. Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, dassdie Unterrichtung der Bundesregierung über die Stel-lungnahme des Bundesrates und die Gegenäußerung derBundesregierung auf der Drucksache 18/11931 zu dembereits überwiesenen Entwurf eines Ersten Gesetzes zurÄnderung des Europol-Gesetzes dem federführenden In-nenausschuss sowie zur Mitberatung dem Ausschuss fürRecht und Verbraucherschutz überwiesen werden soll.Jetzt kommt die spannende Frage, ob Sie damit einver-standen sind. – Das ist im Ergebnis trotz erkennbarer Zö-gerlichkeit bei einzelnen anwesenden Kolleginnen undKollegen offenkundig der Fall. Dann ist das so beschlos-sen.Ich rufe jetzt unseren Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungAls Thema der heutigen Kabinettssitzung hat die Bun-desregierung mitgeteilt: 15. EntwicklungspolitischerBericht der Bundesregierung „Entwicklungspolitikals Zukunfts- und Friedenspolitik“.Dazu erhält, unserer ständigen Übung folgend, der zu-ständige Bundesminister für wirtschaftliche Zusammen-arbeit und Entwicklung das Wort für einen einleitendenfünfminütigen Bericht. – Herr Minister, Sie haben dasWort.Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklung:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-leginnen und Kollegen Staatssekretäre! Liebe Abgeord-nete! Das Osterfest ist ein Friedensfest, und deshalb ist esrichtig, wenn wir mit Entwicklungspolitik als der bestenFriedenspolitik starten.Alle vier Jahre legen wir diesen Entwicklungspo-litischen Bericht vor. Die Welt ist im Umbruch und imAufbruch. In den letzten vier Jahren hat sich die Weltbe-völkerung um 350 Millionen Menschen vergrößert. Daszeigt eine enorme Dynamik. Wir stehen vor den Heraus-forderungen der Klimaveränderung und der Erderwär-mung. Mit der deutschen Entwicklungspolitik reagierenwir darauf. Wir arbeiten mit 85 Ländern in der Welt zu-sammen. Globalisierung muss gerecht gestaltet werden.Globale Märkte brauchen Regeln. Das möchte ich überdie dreieinhalb Jahre meiner Amtszeit schreiben.Wir haben neue Schwerpunkte gesetzt:Erstens. Eine Welt ohne Hunger ist möglich – in dennächsten Tagen veranstalten wir dazu einen internationa-len Kongress hier in Berlin –, und deshalb investieren wirverstärkt in ländliche Entwicklung.Zweitens. Wir wollen Bildung, vor allem beruflicheAusbildung, in unseren Partnerländern, insbesondere inAfrika, verstärkt ausbauen und haben dies mit 25 Län-dern auf den Weg gebracht.Drittens der Bereich Gesundheit. Denken wir an dieAuswirkungen der Ebolakrise vor einem Jahr. Eine sol-che Krise kann es morgen wieder geben. Den Partnernder deutschen Entwicklungspolitik danke ich herzlichfür die ausgezeichnete Zusammenarbeit: der Zivilge-sellschaft, der GIZ, der KfW, den Tausenden, die in denEntwicklungsstaaten unterwegs sind. Wir bauen in West-afrika eine Gesundheitsstruktur auf, damit bei einemweiteren Ausbruch oder einer neuen Epidemie schnellund effektiv gehandelt werden kann. Wir in Berlin habendie GAVI und den GFATM ganz massiv weiter gestärkt.Afrika ist in den Fokus gerückt worden. Es ist die großeHerausforderung für dieses Jahrhundert, natürlich auchfür heute und für uns.
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Mit dem Marshallplan mit Afrika hat mein Ministeri-um ein Gesamtkonzept, eine Gesamtstrategie vorgelegt,die zeigt: Entwicklungspolitik, Herr Präsident, ist keinRandthema mehr. Wenn ich einen Wunsch an Sie richtendarf: Im Prinzip gehört der Entwicklungsminister in dieMitte des Kabinetts.
Sie haben, Herr Minister, offenkundig den begründe-
ten Eindruck, dass das Kabinett das selber nicht geregelt
kriegt und dafür der Assistenz des Parlaments bedarf.
Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:
Ich fühle mich zwar auch an dieser Stelle wohl; aber
es steht symbolisch schon ein bisschen für die Zeit von
gestern, wenn man den Entwicklungsminister nur hinten
mit dranklebt. Wir sind im Zentrum der Politik. Entwick-
lungspolitik ist heute Wirtschaftspolitik, Handelspolitik,
Umweltpolitik, Agrarpolitik.
Lassen Sie mich sagen: Diese Bundesregierung
hat entsprechende Signale gesendet. Bundeskanzlerin
Merkel und der Bundesfinanzminister haben es geschafft,
dass Deutschland in diesem Jahr durch die Aufstockung
des Haushalts erstmals das 0,7-Prozent-Ziel erreicht. Ich
danke allen Kolleginnen und Kollegen dafür.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein ganz
zentraler Bereich, den ich natürlich nicht vergesse, ist das
Thema der Investitionen zur Überlebenssicherung und
zur Schaffung einer Bleibeperspektive in den Krisenlän-
dern. Ganz aktuell denke ich an den Jemen – und ich den-
ke nicht nur daran: Wir haben unser Engagement in den
letzten Tagen um 100 Millionen Euro auf 300 Millionen
Euro ausgebaut. Überleben sichern, heißt es dort, auch
in und um Syrien. Wir schaffen allein in und um Syrien,
wo dieser dramatische Krieg herrscht, Zukunft für 1 Mil-
lion Kinder. Wir beschulen sie, wir finanzieren Lehrer
und vieles mehr. Es wären Hunderttausende mehr nach
Deutschland gekommen, wenn sie nicht die Hand der
deutschen Entwicklungshilfe vor Ort gereicht bekommen
hätten. Diese Hilfe muss verstärkt werden; denn nun geht
es auch um Rückführung in wieder befriedete Gebiete.
Meine Damen und Herren, ich könnte eine ganze Rei-
he von weiteren neuen Ansätzen und Impulsen nennen.
Aber wir sind hier in der Regierungsbefragung, und das
ist Ihre Möglichkeit, jetzt Ihre Fragen an mich zu richten.
Ich antworte darauf sehr gerne.
Herzlichen Dank.
Ja, Herr Minister, das werden wir nun natürlich auch
tun. – Was Ihre Klage über die unangemessene Platzie-
rung des Entwicklungsministers auf der Regierungsbank
angeht, möchte ich Ihnen den tröstenden Hinweis geben,
dass der Entwicklungsminister mit Blick auf die Sitz-
ordnung einen ähnlich peripheren Platz besetzt wie die
Kanzlerin,
was bei der weiteren Erörterung dieser zentralen Frage
jedenfalls mitberücksichtigt werden sollte.
Die erste Nachfrage hat der Kollege Kekeritz.
Herr Präsident, ich stimme Ihnen grundsätzlich zu,
dass die Kanzlerin am Rande sitzt. Aber mit den Stüh-
len ist auch eine Nummerierung verbunden – zumindest
kommt es so in der Öffentlichkeit an.
Herr Minister, ich hätte ja gern heute mit Ihnen über
Ihren Bericht, Ihre Bilanz, diskutiert. Jetzt frage ich
mich natürlich schon: Wie soll ich mit Ihnen über einen
Bericht diskutieren – Sie haben ihn in den Händen; das
freut mich sehr –, den wir noch nicht haben? Wir haben
seit vier Wochen regelmäßig bei Ihnen im Ministerium
beantragt, diesen Bericht, Ihre Analyse, zugestellt zu be-
kommen, damit wir entsprechend darauf reagieren kön-
nen. Die Antwort war immer eine simple: Wir können
ihn Ihnen noch nicht geben, weil er erst vom Kabinett
beschlossen werden muss. – Das ist für mich ja fast ein-
leuchtend, aber nur fast: Ich musste feststellen, dass die
Presse schon am Tag zuvor – bevor sich das Kabinett mit
diesem Bericht befasst hat – breit informiert worden ist.
Das ist ein Umgang mit dem Parlament, den ich nicht für
besonders akzeptabel halte.
Wie stehen Sie eigentlich dazu? Das ist ein Umgang mit
dem Parlament, der auch Ihre Arbeitsweise charakteri-
siert.
Wir sind diejenigen, die immer nach Afrika reisen und
sich für Transparenz und Offenheit aussprechen.
– Bitte?
– Meine Zeit ist um?
Ich möchte Sie so dezent wie eben möglich auf dieabgelaufene Redezeit hinweisen.Bundesminister Dr. Gerd Müller
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Dann stelle ich noch kurz eine Frage, damit der Minis-
ter etwas hat, worauf er antworten kann.
Das wäre ganz schön.
Herr Minister, Sie haben in den letzten vier Jahren vie-
le Konzepte erstellt: die Afrika-Strategie, die Zukunfts-
charta, die Regionalstrategien und viele kleine andere
Projekte. Welches ist Ihrer Meinung nach das zentrale
Werk, an dem Sie sich in den letzten vier Jahren orien-
tiert haben?
Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:
Herr Präsident! Herr Kollege, Sie haben eineinhalb
Minuten Ihrer wertvollen Redezeit mit Taktik vergeudet.
Das Verfahren ist ganz normal. Um 9.30 Uhr fand die
Kabinettssitzung statt. Dort wurde der Bericht vom Ka-
binett verabschiedet. Sie haben ihn dann zugeleitet be-
kommen.
Wir wollten Ihnen in der Befragung der Bundesregierung
sofort die Möglichkeit geben, Fragen zu diesem The-
ma zu stellen. Mein Wunsch – nicht nur mein Wunsch,
sondern ich beantrage das auch – ist es, dass zu diesem
Thema auch eine Regierungserklärung abgegeben wird;
denn die Themen sind wahrlich bedeutend genug für
Deutschland und für die Welt und auch für den Deut-
schen Bundestag. Wenn Sie mich in diesem Punkt unter-
stützen, dann können wir in den nächsten Wochen eine
breite Parlamentsdebatte über den Entwicklungspoliti-
schen Bericht führen. Das würde ich mir wünschen, und
das hielte ich auch für sinnvoll und gerecht.
Im Übrigen gibt es eine Vielzahl von Schwerpunkten,
die ich in der Breite aufgezählt habe. Man kann sich nicht
nur auf einen Punkt fokussieren.
Ich sage Ihnen: Es geht um den Menschen. Es geht
darum, allen Menschen, und zwar weltweit, ein Leben
in Würde zu ermöglichen. Das ist unser Anspruch. Wir,
die Reichen, stehen auf der Sonnenseite, aber anders-
wo sterben täglich viele Menschen. 7 000 Kinder sind
am heutigen Tag verhungert, und das bezeichne ich als
Mord; denn wir schauen den Katastrophen, die vor unse-
rer Haustüre passieren, nur zu, dabei könnten wir – und
nicht nur wir, sondern auch Europa und die Weltgemein-
schaft – mit relativ wenig zusätzlichem Engagement die-
sen Skandal verhindern.
Ich habe sowohl bei der ersten Frage wie auch bei der
ersten Antwort eine deutlich längere Redezeit zugelas-
sen, als sie unsere Regularien vorsieht. Ich bitte aber alle
darum, sich bei den nachfolgenden Fragen und Antwor-
ten an der Ein-Minuten-Regel zu orientieren. – Der Kol-
lege Movassat hat die nächste Frage.
Danke schön. – Herr Minister, Sie betonen immer die
Menschenrechte als einen zentralen Eckpfeiler Ihrer ent-
wicklungspolitischen Zusammenarbeit.
Sie wollen auch Fluchtursachen bekämpfen.
Nun soll der Bundestag morgen in zweiter Lesung
eine engere Kooperation mit Ägypten im Sicherheitsbe-
reich beschließen. Auch der NSS, der ägyptische Sicher-
heitsdienst, ist als Partner vorgesehen, obwohl er für Fol-
ter bekannt ist. Überhaupt sind in Ägypten willkürliche
Verhaftungen an der Tagesordnung. Todesurteile werden
vollstreckt, und Menschenrechte existieren dort allen-
falls auf dem Papier. Die EU schließt mit Ägypten ein
Migrationspartnerschaftsabkommen, mit dem Menschen
davon abgehalten werden sollten, zu fliehen. Mich inte-
ressiert, wie das alles mit dem menschenrechtsbasierten
Ansatz in der Entwicklungspolitik zusammenpasst, den
Sie und die Bundesregierung vertreten.
Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:
Herr Kollege, wir müssen von den Realitäten ausge-
hen. Wenn Sie sich die Weltvölkergemeinschaft der UN
vor Augen führen, dann stellen Sie fest: Nur ein kleinerer
Teil der Staaten ist mit demokratischen Strukturen ausge-
stattet und hat Rechte, wie wir sie in Deutschland und in
Europa für selbstverständlich halten und für die wir welt-
weit kämpfen. Dennoch müssen wir an die Menschen in
Ägypten denken.
Ich habe die Zusammenarbeit mit Ägypten ganz be-
wusst im Bereich der beruflichen Bildung ausgebaut, und
ich werde dies auch fortsetzen. Ich erinnere mich an ein
Gespräch mit einer jungen Studentin, die mir sagte: Ich
kann Englisch, Deutsch und Türkisch, aber ich habe kei-
ne Arbeit und keine Zukunft. Der Präsident el-Sisi sagte
mir bei einem Gespräch: In Ägypten gibt es 20 Millionen
Jugendliche im Alter zwischen 15 und 25 Jahren, davon
sind zwei Drittel ohne Arbeit und Zukunftsperspekti-
ve. Wohin werden diese Menschen gehen? Sie schauen
Richtung Europa und Deutschland. Deshalb müssen wir
in diese Länder gehen, zum Beispiel nach Ägypten, und
den jungen Menschen dort eine Ausbildungs- und damit
eine Zukunfts- und Bleibeperspektive bieten. Das tun
wir.
Kollege Meiwald.
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Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Herr Mi-
nister, dass Sie heute für uns da sind und uns Antworten
geben. Meine Frage bezieht sich vor allen Dingen auf
den fairen Handel, der für Sie immer wieder ein Schwer-
punktthema ist. Für uns lautet die Frage: Was haben Sie
in Ihrer Amtszeit erreicht, insbesondere mit Blick auf die
Entwicklungspartnerschaftsabkommen mit den afrikani-
schen Ländern, die aus unserer Sicht nicht wirklich ent-
wicklungsförderlich ausgestattet worden sind? Was hat
sich konkret weiterentwickelt? Welche Erfolge konnten
Sie mit diesen Abkommen verbuchen?
Ich frage auch mit Blick auf die WTO. Am Anfang
Ihrer Amtszeit als Minister haben Sie gesagt, dass wir
Sozial- und Ökostandards bei der WTO brauchen. Wir
alle wissen, dass diese Verhandlungen nicht unkompli-
ziert sind. Aber wie sieht die Bilanz dazu bisher aus? Was
können Sie uns dazu mitteilen?
Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:
Herzlichen Dank. – Die Länder in Afrika – das gilt für
alle Entwicklungsländer – brauchen den fairen Handel.
Ich verfolge eine Entwicklungspolitik, die nicht nur auf
ODA, also öffentliche Mittel setzt; denn so werden wir
die weltweiten Probleme nicht lösen. Wir brauchen auch
die zweite Säule, nämlich einen neuen Rahmen einer Ri-
sikoabsicherung für eine Investitionsoffensive auf dem
afrikanischen Kontinent. Drittens brauchen wir fairen
Handel. Freier Handel führt zu Ausbeutung von Mensch
und Natur. Dies kann man in Afrika sehr gut sehen.
Ich war vor vier Wochen auf den Kaffeeplantagen
Westafrikas. Ich schaue mir das immer vor Ort an. Es
geht darum, nicht nur aus Büchern zu lernen, sondern vor
allem mit den Menschen zu reden, auch mit den Kindern,
die dort für den Kaffee und den Kakao, den wir hier in
Berlin trinken, schuften, schwitzen, arbeiten und deren
Eltern 50 Cent am Tag bekommen. Der Einkaufspreis für
1 Kilogramm Rohkaffee liegt bei 50 Cent; die Kaffee-
bohnen werden hier in Berlin für 10 Euro verkauft. Die
Menschen vor Ort schuften für Hungerlöhne für unsere
Luxusprodukte. Das muss geändert werden mit fairen
Standards, Mindestlöhnen, sozialen und ökologischen
Grundstandards. Dafür kämpfe ich gemeinsam mit Ih-
nen.
Frau Lücking-Michel.
Vielen Dank, Herr Minister. In einer aus meiner Sicht
sehr interessanten Initiative Ihres Hauses wurde der Zu-
sammenhang zwischen Religion und Entwicklung the-
matisiert. Dieses Thema hätte meiner Meinung nach in
dem Bericht einen breiteren Raum einnehmen können.
Jetzt habe ich die Gelegenheit, nachzufragen: Welche
Intention verbinden Sie damit, und wo sehen Sie die Zu-
kunft dieser Initiative?
Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:
Meine Politik baut auf einem Wertefundament auf.
Wir Christen nennen es die Verantwortung des Starken
für den Schwachen – zu Hause, in der Familie, im Dorf,
in der Gemeinschaft, im Staat. Dabei geht es auch um die
Verantwortung der reichen Staaten für die schwachen,
die armen Staaten. Wir, die wir in der Wohlstandszone
Europa leben, haben Verantwortung für die Länder Afri-
kas, aber auch für Indien. Man kann das auch als Huma-
nismus bezeichnen.
Ich sage es noch einmal: Ausgangspunkt ist die Fest-
stellung, dass jeder Mensch, jedes Kind auf diesem Pla-
neten ein Recht auf ein Leben in Würde hat. Da es uns
so gut geht, haben wir eine besondere Verpflichtung, den
anderen ein Stück weit zu helfen. Es geht auch darum,
ein Stück weit neu teilen zu lernen, damit wir auch den
Kindern und Jugendlichen im Sudan, in Eritrea und in
Nigeria, all den Menschen, die mir bei meinen Besuchen
in die Augen blicken, eine Zukunft bieten können. Wir
können nicht „closed shop“ machen. Wir können nicht
Mauern hochziehen, ohne dass wir eine Antwort für die
Menschen in den Entwicklungsländern haben.
Frau Hänsel.
Danke schön. – Herr Minister, um es noch einmalklarzustellen: Wir haben den Bericht bis dato nicht erhal-ten, soviel ich weiß, die SPD auch nicht. Mich wundertes, dass die Kollegin von der CDU aus diesem Berichtzitieren kann.
Das halte ich nicht für einen angemessenen Umgang, vorallem bei diesem wichtigen Thema.
Sie betonen, dass es um Hunger, um eine Frage von Le-ben und Tod geht, aber wir erhalten noch nicht einmalden Bericht, um seriös darüber diskutieren zu können.
Und ich muss alles, was ich dazu sagen möchte, in 60 Se-kunden pressen. Das ist ein unwürdiger Umgang mit die-sem Thema. Das möchte ich hier festhalten.Es geht um die Bilanz Ihrer Arbeit. Meine ganz kon-krete Frage lautet, da Sie von fairem Handel gesprochenhaben: Was haben Sie in vier Jahren konkret getan, umgerechte Handelsstrukturen auf den Weg zu bringen? Siehatten vier Jahre Zeit, die Wirtschaftspartnerschaftsab-kommen mit den afrikanischen Ländern in der aktuellenForm zu stoppen. Ein Veto der Bundesregierung auf eu-ropäischer Ebene hätte sie gestoppt, und wir hätten dieMöglichkeit gehabt, sie gerecht auszugestalten. Was ha-ben Sie in dieser Hinsicht konkret – ich meine hier nichteinzelne Projekte – für fairen Handel, für die Verände-rung der Strukturen getan?
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Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklung:Hinsichtlich des Ablaufs, also dass Sie den Berichtnicht haben, gebe ich Ihnen recht. Man muss zwischendem Ende der Kabinettssitzung um 10.30 Uhr und demStart dieser Sitzung das Dokument verteilen können. Ichweiß nicht, warum dies nicht passiert ist.
Unabhängig davon wiederhole ich meine Aussage: Wirsollten und müssen das Thema in einer Regierungserklä-rung oder in einer großen Debatte vertiefen.
Zum Thema fairer Handel. Die Bundeskanzleringeht hier voran, Stichwort „Elmau“. Sie hat staunendenStaats chefs die Logik fairen Handels am Thema Wert-schöpfungsketten dargelegt und sie darauf verpflichtet,fairen Handel zum Standard zu machen.
Natürlich müssen wir da weiter vorankommen, zum Bei-spiel im Rahmen der G 20. Ich habe gesagt: nicht Worte,sondern Taten. Die deutsche Wirtschaft hat oft gesagt,dass das Zertifizieren zum Beispiel von der Plantage anoder von der Fabrik in Bangladesch an, wo Näherinnenunsere Kleidung nähen, nicht möglich sei. Mit dem deut-schen Textilbündnis ist Zertifizieren möglich. 60 Prozentder Branche sind zwischenzeitlich mit dabei. Das ist eineBlaupause für viele Wertschöpfungsketten, die wir in dennächsten Jahren gemeinsam umsetzen müssen.
Frau Wöhrl.
Vielen herzlichen Dank. – Es mag sein, dass der Ent-
wicklungspolitische Bericht haptisch jetzt nicht vorliegt.
Dennoch möchte ich mich beim Minister bedanken.
Denn er hat des Öfteren in den letzten dreieinhalb Jahren
bei uns im Ausschuss über den Inhalt dieses Berichts und
vor allem über seine Arbeit gesprochen. Der Bericht ist
allen Kollegen und Kolleginnen, die im Ausschuss sind,
auch zur Kenntnis gereicht worden. Überwiegend sind es
auch diese Kolleginnen und Kollegen, die sich hier jetzt
zu Wort gemeldet haben.
Ich habe eine Frage. Es ist bekannt, dass sich die Zu-
kunft Afrikas vor allem im ländlichen Raum entscheiden
wird; denn dort leben die meisten Hungernden, dort gibt
es die meisten Jugendarbeitslosen. Was haben Sie bis
jetzt hier auf den Weg gebracht, und was gedenken Sie
in der Zukunft zu tun, um den ländlichen Raum mehr zu
entwickeln?
Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:
Afrika ist der Schwerpunktkontinent in der Zusam-
menarbeit, und die Entwicklung des ländlichen Raumes
ist das Thema Nummer eins. Ich sage aber auch ganz
klar: Afrika muss selber mehr leisten. Dazu gehört, dass
die Staats- und Regierungschefs der Länder erkennen,
dass sie die Produktivität der Landwirtschaft im eige-
nen Lande steigern können und mit unserer Hilfe auch
müssen. Afrika kann zum Selbstversorger werden. Das
umfasst auch Innovation, Landnutzungsrechte und volle
Gleichberechtigung für Frauen. Wir haben anhand von
Beispielen den Weg gezeigt, wie Afrika zum Vollversor-
ger, zum Selbstversorger werden kann. In zwölf Innova-
tionszentren zeigen wir dies ganz konkret, zum Beispiel
indem wir eine Reissorte aus Asien nach Benin bringen
und innerhalb von einem Jahr den Reisertrag von 1,5 auf
4,5 Tonnen steigern. Wir zeigen, dass es geht. Gemein-
sam werden wir es in den nächsten zehn Jahren schaffen,
Afrika zum Selbstversorger zu machen.
Frithjof Schmidt hat die nächste Frage.
Herr Minister, die OECD kritisiert seit langem eine zustarke Ausrichtung der deutschen Entwicklungszusam-menarbeit auf die sogenannten Länder mittleren Einkom-mens und eben nicht auf die Länder mit dem geringstenEinkommen und die fragilen Staaten. In Ihrer Amtszeithat sich dieser Trend verschärft. Sie setzen jetzt verstärktauf die Mobilisierung privater Mittel. Wir wissen, dassdiese Mittel eher in die Länder mittleren Einkommensfließen, weil die Märkte in diesen Ländern attraktiversind. Was wollen Sie tun, um diese falsche Grundaus-richtung in der deutschen Entwicklungszusammenarbeitendlich zu korrigieren?Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklung:Erstens. Es bleibt bei der Zusammenarbeit mit denLDCs, den Ärmsten.Zweitens. Wir wollen weg vom Gießkannenprinzip.Stellen Sie sich vor, Sie gießen einen 300 Quadratmetergroßen Garten mit einer einzigen Gießkanne; so ist dasnämlich mit den deutschen Entwicklungsgeldern. Wennman so vorgeht, kann man zwar über ganz Afrika einpaar Tropfen verteilen, aber man erzielt null Wirkung.Deshalb sagen wir: Mit den Ärmsten verstärken wir un-sere Zusammenarbeit, und dann konditionieren wir undsetzen Bedingungen, etwa bei Good Governance und beider Bekämpfung der Korruption. Außerdem werden wiruns stärker auf Reformländer bzw. Reformchampions,die selber Eigeninitiative entwickeln, konzentrieren, umzu zeigen: Es geht.Auch Afrika hat Erfolg. Es gibt in Afrika erfolgreicheLänder. Acht der am schnellsten wachsenden Wirtschaf-ten der Welt sind afrikanische Länder. Auch von heutemuss das Signal ausgehen, dass Afrika nicht nur der Kon-tinent der Krisen, Kriege und Konflikte ist, sondern auchder Kontinent der Chancen, der Dynamik, der Jugend,des Aufbruchs.
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Ich habe mir noch sechs Wortmeldungen notiert. Da-
mit würde ich diesen Teil der Befragung gerne abschlie-
ßen, weil es noch angemeldete Fragen an die Bundes-
regierung jenseits dieses Themenbereiches gibt. – Dazu
stelle ich Einvernehmen fest.
Die nächste Frage stellt der Kollege Kekeritz.
Herr Minister, eben ist die OECD angesprochen wor-
den. Die OECD überprüft bzw. evaluiert Ihre Aktivitä-
ten sehr genau. Dabei geht es nicht nur um die Frage,
wie stark die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in
Middle Income Countries wirkt, sondern zum Beispiel
auch um die Kohärenz, eine unserer Lieblingsfragen.
Dazu hat die OECD festgestellt, dass regierungsweite
Zielvereinbarungen zur Politikkohärenz in diesem Ka-
binett absolut fehlen. Was haben Sie getan, damit sich
das verbessert, und wie wird diese Kohärenz in Zukunft
ausschauen?
Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:
Kohärenz heißt ja abgestimmtes Auftreten. Ich kann
Ihnen sagen: Ich freue mich, dass die Wirtschaftsminis-
terin ein Afrika-Programm vorlegt, dass der Finanzmi-
nister gemeinsam mit uns einen Compact with Africa auf
den Weg bringt, dass ich mich mit der Umweltministerin
in Klimafragen erfolgreich koordiniere, dass ich mit dem
Gesundheitsminister über den Aufbau von Gesundheits-
strukturen in Afrika spreche und dass ich mich auch mit
dem Agrarminister austausche. Also: Wir leben Kohärenz
und stimmen uns ab. Dazu gehört auch das Konzept des
Marshallplans mit Afrika. „Mit“ heißt, wir stimmen uns
auch mit den Afrikanern ab. Es ist wichtig, deren eigene
Kräfte und Vorstellungen auf die afrikanische Agenda zu
setzen. Deshalb war ich sowohl bei der Afrikanischen
Entwicklungsbank als auch beim Wirtschaftskongress
in Nairobi und bei der Afrikanischen Union, um unser
Konzept der neuen Zusammenarbeit und Partnerschaft
vorzustellen.
Kollege Movassat.
Herr Minister, Sie sind angetreten, auf Ebene der WTO
Sozial- und Umweltstandards zu etablieren. Dreieinhalb
Jahre später hört man davon nichts mehr. Sie sind ange-
treten, weltweit verbindliche Mindeststandards zu schaf-
fen; das haben Sie 2014 in einem Interview mit der taz
gesagt. Auch davon hört man nichts mehr. Der Nationale
Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte ist ohne
jede Verbindlichkeit. Beim Textilbündnis gibt es keine
Allgemeinverpflichtung für alle Konzerne. Meine Fra-
ge: Denken Sie, was die Verpflichtung von Unternehmen
zum Schutz von Menschenrechten und Arbeitsrechten bei
Auslandstätigkeiten angeht, sind Sie gescheitert? Wenn
Sie gescheitert sind, würden Sie sagen, dass es einen Teil
der Bundesregierung gab, der sich sehr kontraproduktiv
verhalten hat, zum Beispiel das Bundesfinanzministeri-
um, das beim Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und
Menschenrechte eine sehr üble Rolle gespielt hat?
Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:
Die Idee und die Notwendigkeit werden sich ihre Bahn
brechen. Es ist vollkommen klar, dass wir ökologische
und soziale Grundstandards für global produzierte Güter
brauchen. Meine Damen und Herren auf den Rängen und
draußen, Sie tragen Kleider aus Bangladesch oder Viet-
nam. Die Näherinnen dort – wir haben vor 14 Tagen sol-
che Fabriken vor Ort besucht – arbeiten zwölf Stunden
am Tag und das sechs Tage die Woche für 15 Cent in der
Stunde. Dabei kommt ein Monatslohn von 50 Euro he-
raus. Die Jeans, die dort von den deutschen Markenartik-
lern eingekauft wird, geht für 5 Euro Herstellungskosten
aus dieser Fabrik in den Container und hängt dann für 80
oder 100 Euro in Berlin oder Hamburg. Das ist die wun-
dersame Vermehrung des Jeanswertes.
Es muss ganz klar sein: In Bezug auf global produzier-
te Güter kann es nicht die Zukunft sein, dass diese Güter
auf dem Rücken der Menschen vor Ort – das war eben
nur ein Beispiel für globale Wertschöpfungsketten – un-
ter solchen Bedingungen hergestellt werden.
Ich gebe Ihnen recht: Das hat noch nicht jeder wirk-
lich verstanden. Es gibt starke Beharrungskräfte in der
deutschen und in der Weltwirtschaft, die dem Vorha-
ben, ein neues System sofort und mit voller Dynamik
umzusetzen, entgegenwirken. Hier müssen wir politi-
schen Druck ausüben und politisch vorangehen. Genau
das tut die Bundeskanzlerin. Der nächste Termin ist der
G-20-Gipfel.
Vielleicht versuchen wir bei den verbleibenden Fra-
gen wirklich einmal, die Fragen und Antworten jeweils
in einer Minute abzuhandeln, auch wenn es schwer ist.
Aber wenn es einfacher wäre, dann könnten es ja auch
andere machen. – Der nächste Fragesteller ist der Kol-
lege Klimke.
Herr Minister, auch wir haben eine Frage zum Textil-bündnis, weil wir die von Ihnen initiierte Entscheidungder Bundesregierung, soziale Mindeststandards in denEntwicklungsländern sicherzustellen und damit einenAkzent zu setzen, als richtungsweisend ansehen.Inwiefern sehen Sie den Bereich Textil auch für an-dere Bereiche – ob das nun der Bereich Tabakanbau, derBereich Fischerei oder der Bereich Landwirtschaft ist –als Beispiel an, und inwieweit sehen Sie das Handelnbzw. die Initiative der Bundesregierung auch als Vorbildfür die Entwicklungsländer an, Ähnliches zu machen,um global voranzugehen in einer Kooperation aus Po-litik, Privatwirtschaft und Verbrauchern, die auswählen
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können, ob sie ein sozial produziertes Stück Textil oderein anderes Produkt kaufen?
Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklung:Wir setzen Standards,
und diese Standards müssen weltweit zum Standardwerden. Das Textilbündnis zeigt: Es geht. Vom Baum-wollfeld in Burkina Faso in Westafrika bis zum Kleider-bügel in Hamburg erfolgt eine zertifizierte Produktionmit ökologischen Standards, wie wir sie uns vorstellen.Diese werden zum Beispiel beim Wassereinsatz und beiden verwendeten Chemikalien beachtet, und im sozialenBereich werden Mindestlöhne sichergestellt. Das mussfür alle global produzierten Güter Standard werden.Kein Handy funktioniert ohne Coltan aus den Minendes Kongos. Es ist einfach nicht akzeptabel, dass interna-tionale Konzerne Handys produzieren, ohne zu garantie-ren, dass am Anfang der Kette Kinder- und Sklavenarbeitnicht akzeptiert wird. Das müssen wir den Kunden, diedie global produzierten Produkte einkaufen, auch durchTransparenz deutlich machen. Ich bin mir sicher: Derdeutsche Konsument akzeptiert keine Kinder- und Skla-venarbeit und keine brutalsten ökologischen Produkti-onsbedingungen. Deshalb brauchen wir hier Transparenzund Offenheit, und deswegen ist diese Debatte natürlichauch sehr wichtig.
Frau Hänsel.
Herr Minister, Sie beschreiben die Probleme sehr elo-
quent, und Sie haben gerade auch das Profitstreben der
Unternehmen beschrieben. Glauben Sie aber allen Erns-
tes, dass man gegen dieses Profitstreben, dieses Senken
der Standards und dieses Ausnutzen der schlechten Ar-
beitsbedingungen ohne verbindliche gesetzliche Rege-
lungen vorgehen kann? Das ist doch mehr als naiv; das
ist verantwortungslos. Hier müssen Sie liefern, aber hier
haben Sie nichts gemacht. Wir brauchen strengere Regu-
lierungen.
Sie kritisieren zum Beispiel auch immer die Rüstungs-
exporte. Die deutschen Rüstungsexporte sind auf einem
Höchststand. Unser diesjähriger Verteidigungsetat ist der
höchste aller Zeiten, und das 2-Prozent-Ziel der NATO
ist auch schon am Horizont zu sehen.
Meine Fragen sind: Was sagen Sie dazu? Unterstützen
Sie das Ziel der NATO, 2 Prozent des Bruttoinlandspro-
duktes für Rüstung auszugeben? Haben Sie im Bundes-
sicherheitsrat auch einmal gegen Rüstungsexporte ge-
stimmt? Was haben Sie konkret gemacht?
Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:
Wer für Rüstungsausgaben einen Anteil von 2 Prozent
am Bruttoinlandsprodukt anstrebt, der muss einen Anteil
von 0,7 Prozent für Entwicklungszusammenarbeit er-
reichen. Das ist die Grundvoraussetzung. Wir reden seit
30 Jahren über die Erreichung des 0,7-Prozent-Ziels.
Meine Damen und Herren, der Öffentlichkeit sind die-
se großen Probleme gar nicht bekannt. Mir wird überall
gesagt: Du musst Fluchtursachen bekämpfen, du musst
vor Ort investieren, du musst den Hunger beseitigen. –
Ich mache das gerne. Dafür steht mir ein großer Haushalt
von 9 Milliarden Euro zur Verfügung. Weltweit werden
für die Entwicklungspolitik, für die Lösung dieser gro-
ßen Herausforderungen 148 Milliarden Euro bereitge-
stellt. Das ist viel. Für Rüstung und Militär aber setzen
wir weltweit 1 700 Milliarden Euro ein. Sie haben es ge-
hört: Das ist mehr als das Zehnfache. Deshalb soll man
mit seinen Erwartungen etwas zurückhaltender sein und
nicht glauben, dass wir mit diesem Finanzmittelansatz
die Probleme der Welt lösen können.
Entwicklungspolitik braucht eine ganz neue Dimen-
sion. Ich meine damit nicht nur öffentliche Gelder, son-
dern – das sage ich noch einmal – Privatinvestitionen,
neue Rahmenbedingungen und fairen Handel.
Kollege Meiwald.
Auch Frau Kollegin Hänsel hat es gerade schon ge-sagt: In dem Punkt, dass wir mehr Mittel brauchen, ha-ben wir gar keinen Dissens. – Die Fragen – sie kann mannur wiederholen – sind aber: Welche Initiativen sind dennmit Blick auf verbindliche Standards von der Bundesre-gierung ausgegangen? Welche können wir bis zum Endeder Legislaturperiode erwarten? Welches abgestimmteVerfahren gibt es vonseiten des Wirtschaftsministeriumsund des Entwicklungsministeriums in Richtung WTO?Welche Initiativen sind gestartet worden, um diese Dingeauf den Weg zu bringen?Dass das Problem nicht auf freiwilliger Basis zu regelnist, ist hinreichend besprochen worden. Dass diese Pro-bleme nicht alleine vom Markt gelöst werden, ist wohlauch klar. Ich glaube, wir haben keinen Dissens, wennwir sagen: Wir brauchen Regeln, und zwar verbindlicheRegeln. Die Frage ist aber: Was tut diese Regierung? Daswiederum führt zu der Frage nach der Kohärenz, die wireben schon gehört haben: Ist das nur die Position des Ent-wicklungsministeriums, während alle anderen Ressortslieber Richtung CETA, TTIP, Freihandel gehen, oder istdas die gemeinsame Position der Bundesregierung?Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftlicheZusammenarbeit und Entwicklung:Ich bin schon sehr stolz auf das, was wir die letzten3,5 Jahre gemeinsam miteinander bewegt haben und wasJürgen Klimke
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sich bei den Kolleginnen und Kollegen in der Bundesre-gierung an neuen Initiativen entwickelt hat. Wir habeneine Dynamik ausgelöst und große Erfolge erzielt.Als Beispiel nenne ich den Einsatz des Bundesfinanz-ministers, der sich nach wie vor für die Umsetzung derFinanztransaktionsteuer starkmacht; dieses Ziel werdenwir nicht aufgeben. Wir werden diesen Schritt in Europaals einen ersten Schritt zur weltweiten Besteuerung vonSpekulationsgewinnen machen. Der Finanzminister hates durch seinen großen Einsatz im Rahmen der OECDgeschafft, dass es in den Bilanzen der großen Konzer-ne in Zukunft zu mehr Transparenz, Öffentlichkeit undRechnungslegung kommen kann.Ich nenne Ihnen dazu eine interessante Zahl. Alleinim Handel mit Afrika begehen multinationale KonzerneSteuerbetrug in einer Größenordnung von über 100 Mil-liarden Euro, indem sie vor Ort einfach keine Steuernzahlen. Sie verschleiern ihre Gewinne und umgehen sodie Steuer. Das wird in Zukunft nicht mehr möglich sein.Das ist ein ganz konkreter Ansatz, der vor allem im glo-balen und fairen Handel enorm wichtig ist.
Letzte Frage: Kollegin Pfeiffer.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, wir sind
uns grundsätzlich darüber einig, dass Afrika zweigeteilt
ist: die fragilen Länder, die sogenannten LDC, auf der
einen Seite und die etwas weiter entwickelten Länder auf
der anderen Seite. Wir wissen auch, dass wir es alleine
über die öffentliche Hilfe – Stichwort ODA – nicht schaf-
fen, die Entwicklung der Länder auf diesem Kontinent
voranzubringen, sondern dass wir dafür auch die privaten
Investitionen brauchen, vor allen Dingen von den her-
vorragenden deutschen mittelständischen Unternehmen.
Wir werden das aber nur erreichen, wenn wir im Be-
reich Good Governance, im Bereich der Rechtsstaatlich-
keit und der Rechtssicherheit, aber auch im Bereich der
Infrastruktur und der Dezentralisierung Erfolge aufwei-
sen können. Ist dies das Programm der Zukunft, auch
um die Basis dafür zu schaffen, diese Investitionen über-
haupt zu bekommen?
Dr. Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung:
Frau Kollegin, Sie haben das treffend ausgeführt. Ich
möchte mich auch für die große Unterstützung bedanken,
die ich im Parlament von der Union, aber auch von der
SPD, von den Grünen und darüber hinaus erfahre. Wir
müssen in der Gesellschaft das Signal setzen, dass es da-
bei nicht um einen parteipolitischen Ansatz geht. Es geht
um die Lösung globaler Fragen.
Wir in Deutschland sind – das möchte ich in dieser
Debatte noch ansprechen – auch hier wieder einmal weit
voraus. Wir liegen bei den ODA-Zahlungen, den Gel-
dern für die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit,
an zweiter Stelle hinter den Amerikanern. Das ist der
deutsche Beitrag.
Aber ich sage Ihnen auch: Zehn Länder finanzieren
90 Prozent der gesamten Entwicklungsgelder weltweit.
Der Hauptanteil ist also leider auf zehn Länder fokus-
siert. Wo ist Russland? Wo ist China? Wo sind die arabi-
schen Länder?
Ähnliches gilt leider auch für die humanitäre Hilfe,
bei der viele, viele reiche Länder die betroffenen Men-
schen im Stich lassen. Wir lassen sie nicht im Stich. Wir
Deutschen und Europäer gehen voraus.
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabi-
nettssitzung? – Das ist nicht der Fall. Dann schließen wir
jetzt diesen Teil der Regierungsbefragung ab.
Wir kommen zu sonstigen Fragen an die Bundesregie-
rung. – Kollege Beck.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich möchte die Hin-
tergründe zu dem aktuellen Gabriel/Netanjahu-Eklat
erfragen. Dazu gibt es eine widersprüchliche Informati-
onslage in der deutschen und israelischen Presse. Meine
Freunde aus der Knesset sagen mir, es sei der Wunsch
der israelischen Seite gewesen, dass Herr Gabriel zusätz-
lich weitere Nichtregierungsorganisationen trifft, aber
nicht, dass er die avisierten Gespräche mit den linken
regierungskritischen NGOs absagt. Das, finde ich, hört
sich ein bisschen anders an. Ich bin der Auffassung, Ge-
sprächsverbote gehen gar nicht. Man muss mit jedem
reden können; das gilt für die gesamte Vielfalt der Zivil-
gesellschaft. Aber zusätzliche Gesprächsangebote abzu-
lehnen, wäre für mich auch eine schwierige Vorstellung.
Die Haaretz in Israel, die sicherlich nicht der Regie-
rungsnähe verdächtig ist, hat gemeldet, dass der Wunsch
nach einem Anruf von Herrn Netanjahu bei Herrn
Gabriel abschlägig beschieden wurde. Deshalb frage ich
Sie: Kann die Bundesregierung diese Darstellung aus der
Knesset und der israelischen Presse bestätigen, oder wie
war es wirklich?
Ich vermute, dass das am besten vom Staatsminister
im Auswärtigen Amt beantwortet wird. Bitte schön.
Herr Präsident, ich gebe mein Bestes.
Die Bedeutung der deutsch-israelischen Beziehungenist auch dadurch noch einmal unterstrichen worden, dasssich heute das Kabinett sehr intensiv mit der Reise vonBundesaußenminister Gabriel nach Israel und in die pa-lästinensischen Gebiete befasst hat. Wir sind als Bundes-regierung dankbar für diese Reise, weil sie noch einmalBundesminister Dr. Gerd Müller
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unser hohes Interesse an Frieden, Stabilität und Demo-kratie in dieser Region unterstreicht.Ich kann die Informationen, die Sie hier vorgetragenhaben, nicht bestätigen. Ich werde aber im Nachgangmein Bestes zu geben versuchen, um diese Vorwürfe auf-zuklären und diese Informationen so weit auf eine Fak-tengrundlage zu stellen, dass noch klarer wird, dass esZiel der Bundesregierung bei jeder Reise ist, nicht nurmit Verantwortlichen der Regierung und der Oppositionim Parlament, sondern immer auch mit Vertreterinnenund Vertretern der Zivilgesellschaft in ein Gespräch zutreten. Dabei schließen wir natürlich insbesondere diekritischen Teile der Zivilgesellschaft mit ein.Die Gespräche mit Vertretern, die in Rede stehen, sindim Übrigen schon Teil des Programms des Bundespräsi-denten gewesen. Auch er hat sich schon mit diesen Re-präsentanten getroffen.
Zusatzfrage, Kollege Gehrcke.
Erst einmal herzlichen Dank für die Erklärung. – Kön-
nen Sie uns sagen, was die Bundesregierung tut, um die
betroffenen NGOs, die in Israel tätig sind, deren Vertreter
dort leben und die, wie ich finde, ein ganz wichtiger Be-
standteil der Gesellschaft sind, vor den jetzigen Angrif-
fen, die aus einem sehr aufgeheizten öffentlichen Klima
resultieren, in Schutz zu nehmen und deutlich zu machen,
dass gerade jetzt der Umgang mit den Nichtregierungs-
organisationen wie Breaking the Silence und Betselem
sehr wichtig ist und dass wir das sehr genau beobachten?
Es zeichnet Israel aus, dass es eine kritische, bunte
und vielfältige Zivilgesellschaft hat.
Die Bundesregierung legt Wert darauf, nicht Gegenstand
von innenpolitischen Auseinandersetzungen zu werden.
Ich kann Ihnen aber versichern, dass insbesondere die
Begegnung mit einer Organisation vor allem auch dem
Ziel dient, mehr über ihre Arbeit zu erfahren, und dass
wir auch noch einmal unser großes Interesse an Frieden
in der Region und an einer engen deutsch-israelischen
Freundschaft zu untermauern versuchen.
Es gibt eine weite-
re Frage des Kollegen Beck.
Gleiche Reise, aber anderes Territorium: Herr Gabriel
war ja auch in Ramallah und traf auf Herrn Abbas. Die
Bundesrepublik Deutschland hat zu Recht die Resolution
des UN-Sicherheitsrates vom Dezember 2016 begrüßt,
in der unter Ziffer 6 die Aufforderung an alle Mitglied-
staaten ergangen ist, alles zu tun, um Aufstachelung zum
Terrorismus zu unterbinden.
Vor diesem Hintergrund und aufgrund der Berich-
te in der britischen Presse über einen neuerlichen Fall,
dass ein Terrorist entsprechende Pensionszahlungen von
palästinensischer Seite bekommt, frage ich die Bundes-
regierung – leider nicht zum ersten Mal, aber diesmal
konkret bezogen auf den Besuch von Herrn Gabriel bei
Herrn Abbas –: In welcher Form hat der Bundesaußen-
minister der palästinensischen Seite klargemacht, dass es
angesichts unserer großen Unterstützungsleistungen für
die Palästinenser nicht sein kann, dass die PLO oder die
PA an Gefangene oder Hinterbliebene von Terroristen so-
genannte Märtyrer-Pensionen zahlt?
Herr Präsident! Herr Abgeordneter Beck, Sie haben
bereits auf Ihre vielfältigen Fragen an die Bundesregie-
rung hingewiesen. Der Standpunkt der Bundesregierung,
der klar und eindeutig ist, ist Ihnen somit auch hinläng-
lich bekannt.
Es ist üblicherweise so, dass wir über hoch- und
höchst rangige Gespräche, die wir mit Vertretern anderer
Regierungen führen, nicht berichten. Ich vermag deshalb
zu diesem Zeitpunkt nicht zu sagen, ob das von Ihnen
genannte Thema auch Gegenstand der Gespräche von
Außenminister Gabriel war. Ich kann Ihnen aber noch-
mals versichern, dass dieses Thema immer wieder auch
im Rahmen der Europäischen Union Gegenstand vielfäl-
tiger Gespräche und Begegnungen war.
Ich habe keinen Wunsch nach weiteren Fragen an die
Bundesregierung registriert. – Dann schließe ich die Re-
gierungsbefragung mit herzlichem Dank an alle Beteilig-
ten ab.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksache 18/12020
Die mündlichen Fragen werden in der üblichen Rei-
henfolge der Ressorts aufgerufen.
Wir beginnen diesmal mit dem Geschäftsbereich
des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit. Für die Beantwortung der Fra-
gen steht die Parlamentarische Staatssekretärin Frau
Schwarzelühr-Sutter zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Kotting-Uhl auf:
Inwiefern und gegebenenfalls jeweils wann hat sich die
Bundeskanzlerin persönlich seit Anfang Juni 2014 gegenüber
dem französischen Staatspräsidenten und/oder Mitgliedern der
französischen Regierung für eine möglichst rasche Abschal-
tung der grenznahen französischen Atomkraftwerke Cattenom
Ri
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegin, dieBundeskanzlerin steht wie die gesamte Bundesregierungmit der französischen Regierung zur ganzen Bandbrei-Staatsminister Michael Roth
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te grenzüberschreitender Fragen in regelmäßigem Aus-tausch. Zu Inhalten vertraulicher Gespräche der Bundes-kanzlerin und der Mitglieder des Bundeskabinetts mitVertretern ausländischer Regierungen äußert sich dieBundesregierung grundsätzlich nicht.
Zusatzfrage.
Ich weiß nicht, ob Ihnen bewusst ist, vor welchem
Hintergrund ich diese Frage gestellt habe. Frau Klöckner
hat sich in Rheinland-Pfalz im Jahr 2014 damit gebrüs-
tet – das hat sie überall erzählt; darüber hat sie sich sehr
breit ausgelassen –, Frau Merkel habe ihr zugesagt, sich
bei Präsident Hollande für die Cattenom-Abschaltung
einzusetzen. Weil das gegenüber der Bevölkerung so ver-
kündet wurde, kann ich nicht ganz nachvollziehen, wie-
so man dann aus der Beantwortung der Frage, ob jetzt
ein solches Gespräch tatsächlich stattgefunden hat oder
nicht, ein Geheimnis machen will.
Es ist ja auch bezeichnend, dass Sie antworten müssen
und das Bundeskanzleramt sich dazu selber nicht äußert.
Ich gehe einmal davon aus, dass diese Frage im Kanz-
leramt keine allzu große Relevanz genießt. Aber viel-
leicht teilen Sie mir Ihre Einschätzung mit, ob sich die
Bundeskanzlerin möglicherweise nach der Stichwahl in
Frankreich am 7. Mai 2017 mit der neuen Staatsspitze
ins Benehmen setzen will. Ich bitte Sie also um Ihre Ein-
schätzung. Dass Sie nicht sagen können, was Frau Bun-
deskanzlerin tut, weiß ich.
Ri
Das ist schon einmal richtig erkannt. Aber das ändert
nichts an der Tatsache, dass über Inhalte vertraulicher
Gespräche nicht berichtet wird.
Gibt es eine weitere Zusatzfrage zu Frage 1?
Das macht keinen Sinn. Ich kann nur noch einmal
mein Befremden darüber äußern, dass es zuerst öffentlich
angekündigt wird, dass dann aber ein Geheimnis daraus
gemacht wird, ob es tatsächlich stattgefunden hat.
Dann rufe ich die Frage 2 der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl auf:
Welche Veränderungen, insbesondere Absenkungen, der
Grenzwerte der zulässigen Jahreshöchstdosis für beruflich
strahlenexponierte Personen von derzeit 20 Millisievert gab
Ri
Sehr geehrte Frau Kollegin Kotting-Uhl, das Konzept
eines auf das Kalenderjahr bezogenen Grenzwertes der
effektiven Dosis für beruflich strahlenexponierte Per-
sonen wird im deutschen Strahlenschutzrecht seit 1989
verwendet. Der Grenzwert für Personen der Kategorie A,
auf die die Frage Bezug nimmt, betrug zunächst 50 Mil-
lisievert effektive Dosis im Kalenderjahr. Dieser Grenz-
wert wurde im Jahr 2001 auf 20 Millisievert im Kalen-
derjahr abgesenkt. Das deutsche Strahlenschutzrecht
folgte damit der Vorgabe der europäischen Richtlinie, die
die grundlegenden Sicherheitsnormen für den Schutz der
Gesundheit der Arbeitskräfte und der Bevölkerung gegen
die Gefahren durch ionisierende Strahlung enthält.
Die fachliche Grundlage zur Festlegung von Grenz-
werten ist der jeweilige wissenschaftliche Erkenntnis-
stand zu den gesundheitlichen Risiken ionisierender
Strahlung. Dieser bildet sich international vor allem in
den Empfehlungen der Internationalen Strahlenschutz-
kommission, ICRP, und den Bewertungen des Wissen-
schaftlichen Ausschusses der Vereinten Nationen zur Un-
tersuchung der Auswirkungen der atomaren Strahlung,
UNSCEAR, ab.
In der ICRP-Empfehlung 60 wurden aufgrund neuer
epidemiologischer Auswertungen neue Risikowerte vor-
geschlagen. Dies bildete die Grundlage für die Absen-
kung des Grenzwertes der effektiven Dosis für beruflich
strahlenexponierte Personen auf 20 Millisievert für ein
Jahr in der Richtlinie 96/29 Euratom. Die Umsetzung in
deutsches Recht erfolgte dann mit der Novellierung der
Strahlenschutzverordnung im Jahr 2001. Eine weitere
Absenkung ist nach dem aktuellen Kenntnisstand nicht
geboten.
Zusatzfrage.
Sie haben sich jetzt auf die Internationale Strahlen-schutzkommission bezogen. Wir haben aber auch eineeigene Strahlenschutzkommission und auch ein Bun-desamt für Strahlenschutz. Wir sind also sehr gut aus-gerüstet mit Institutionen, die sich eine eigene Expertiseerarbeiten, um die Bundesregierung beim Strahlenschutzzu beraten.Wie Sie wissen, empfehlen sowohl das Bundesamt fürStrahlenschutz als auch die Strahlenschutzkommission,den sogenannten DDREF, über den wir heute schon imUmweltausschuss kurz geredet haben, abzusenken odersogar ganz abzuschaffen, was zu einer Halbierung derGrenzwerte führen würde. Warum beziehen Sie sich imStrahlenschutzgesetz auf die Empfehlungen der Interna-tionalen Strahlenschutzkommission und ignorieren dieanderslautenden Empfehlungen unserer eigenen Kom-mission und unserer bundeseigenen Behörde?Parl. Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter
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Ri
Sehr geehrte Frau Kollegin Kotting-Uhl, ich habe ge-
rade über die Grenzwerte für strahlenexponierte Perso-
nen gesprochen. Der von Ihnen angesprochene DDREF
bezieht sich auf die Wirkung kleiner Dosen ionisierender
Strahlung. Die Diskussion über den DDREF spiegelt die
Unsicherheit der wissenschaftlichen Erkenntnis im Hin-
blick auf das Krebsrisiko bei kleinen Dosen wider.
Im Kern fasst der DDREF mehrere Einflussgrößen
zusammen, die die Wirkung ionisierender Strahlung be-
stimmen. Er wird als strahlenschutzpraktikable Größe
zur Abschätzung des Strahlenrisikos verwendet. Der der-
zeit von der ICRP verwendete Wert von 2 unterstellt, dass
Risikowerte, die im Wesentlichen aus epidemiologischen
Studien über die Überlebenden der Atombombenabwürfe
von Hiroshima und Nagasaki ermittelt wurden, für die
Strahlenschutzanwendung im Bereich niedriger Dosen
und kleiner Dosisleistungen reduziert werden. Es ist
wichtig, darauf hinzuweisen, dass es einen Unterschied
zwischen den Werten für strahlenexponierte Personen
und den Werten für die Strahlung kleiner Dosen gibt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Es geht bei der Strahlung kleiner Dosen natürlich auch
um die Exponierung von Menschen, die in den entspre-
chenden Bereichen arbeiten. Es gibt einen Widerspruch
zwischen den Empfehlungen unserer Behörde und unse-
rer Strahlenkommission einerseits und den Empfehlun-
gen der Internationalen Strahlenschutzkommission an-
dererseits. Unsere Institutionen sind der Meinung: Man
kann sich nicht nur auf einen Fall und die Ergebnisse be-
treffend Hiroshima beziehen, um Grenzwerte zu berech-
nen; denn dann bezieht man sich nur auf eine hohe Dosis
in einem kurzen Zeitraum.
Forschungen bei uns ergeben: Die Langzeitniedrig-
strahlung ist nicht zu unterschätzen. Deren Wirkung wird
in der Empfehlung der Internationalen Strahlenschutz-
kommission aber völlig ignoriert. Weil ich es wirklich
nicht verstehe, noch einmal meine Frage: Unsere eige-
nen hochqualifizierten Leute im Bundesamt für Strahlen-
schutz und in der Strahlenschutzkommission empfehlen
Ihnen, die Langzeitwirkung ständiger niedriger Dosen
zu beachten und gerade bei beruflich Exponierten diesen
Grenzwert von 20 Millisievert im Jahr auf 10 Millisie-
vert abzusenken. Warum tun Sie das nicht?
Ri
Frau Kotting-Uhl, wie auch Sie wissen, ist da tatsäch-
lich eine Diskussion im Gange. Die wissenschaftliche
Basis zur Rechtfertigung des DDREF und nicht nur des-
sen Höhe wird zunehmend kontrovers diskutiert, und die
Diskussion ist auch noch nicht abgeschlossen.
Wenn die internationale Diskussion Ergebnisse her-
vorbringt, die in die Strahlenschutzgrundnorm aufge-
nommen werden, wird die Bundesregierung entscheiden,
ob eine geänderte Abschätzung des Risikos eine Anpas-
sung der bestehenden Grenzwerte erfordert.
Ich rufe die Frage 3 des Kollegen Zdebel auf:
Wann ist es jeweils bei den von der Bundesregierung einge-
räumten sechs Renegade-Vorfällen auch vor dem letzten Vor-
ken in Deutschland gekommen (bitte jeweils mit Datumsan-
gabe auflisten), und trifft es zu, dass die Teilevakuierung der
Beschäftigten in den Atomkraftwerken jeweils erfolgte, um
die Zahl möglicher Innentäter in so einem Fall zu reduzieren?
Ri
Sehr geehrter Herr Präsident! Lieber Herr Kollege
Zdebel, der Bundesregierung liegen keine umfassenden
Erkenntnisse zur Teilräumung eines Atomkraftwerkes
bei einem Renegade-Voralarm vor. Alle vorsorgenden
Maßnahmen in den Atomkraftwerken nach einem Rene-
gade-Voralarm dienen der Schadensminderung bei einem
möglichen gezielten Flugzeugabsturz und werden nur in
der Verantwortung der Anlagen getroffen. Die möglichen
Maßnahmen sind in den jeweiligen Betriebsvorschriften
mit Zustimmung der zuständigen atomrechtlichen Be-
hörde des Landes festgelegt. Die tatsächlich getroffenen
Maßnahmen sind dann von Standort zu Standort und von
Fall zu Fall unterschiedlich.
Durch eine vorsorgliche Teilräumung wird das Anla-
genpersonal, das zum weiteren Betrieb und zur Sicherung
des Atomkraftwerkes nicht unbedingt benötigt wird, aus
der möglichen unmittelbaren Gefahrenzone geordnet he-
rausgeführt.
Zusatzfragen?
Danke, Herr Präsident. – Nun weiß nicht jeder, wasein sogenannter Renegade-Fall ist. Deswegen will ichdas einmal kurz deutlich machen. In einem Beitrag desDeutschlandfunks wurde relativ griffig formuliert – ichzitiere –:Der sogenannte Renegade-Alarm wird ausgelöst,wenn der Verdacht besteht, dass ein ziviles Luft-fahrzeug aus terroristischen oder anderen Motivenals Waffe verwendet und zum gezielten Absturz ge-bracht werden soll.Einen solchen Renegade-Fall hatten wir jetzt im März.Wir hatten dazu schon ausführlich Fragen gestellt.Ich will trotzdem noch einmal ganz konkret nachfra-gen. Sollte sich im Verlauf eines sogenannten Renegade-Alarms herausstellen, dass es sich um einen Ernstfallhandelt und dass eine große Passagiermaschine auf ein
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AKW zufliegt: Glaubt die Bundesregierung, dass dienoch in Betrieb befindlichen AKWs den gezielten Ein-schlag ohne katastrophalen Schaden überstehen würden?Ri
Sehr geehrter Herr Kollege Zdebel, Sie haben schon
darauf hingewiesen: Wir hatten das schon einmal in einer
Fragestunde. Sie haben auch eine Kleine Anfrage dazu
gestellt. Jetzt zielen Sie nicht auf die Renegade-Abläu-
fe hin, sondern Sie fragen im Prinzip, ob die deutschen
AKWs vor einem Flugzeugabsturz sicher sind. Auch
dazu gibt es eine Vielzahl von Anfragen mit ausführli-
chen Antworten. Darauf möchte ich gerne verweisen.
Weitere Zusatzfrage?
Die Antwort reicht mir nicht. Ich weiß, dass das ein
bisschen spekulativ ist, aber wenn der Ernstfall eintritt,
dann ist es halt so. Vor diesem Hintergrund stellt sich
dann natürlich die Frage der Sicherheit der AKWs und
die Frage nach dem Überleben der Menschen, die dort
arbeiten oder die in näherer Umgebung eines solchen
AKWs wohnen und leben.
Ich will trotzdem noch einmal bezüglich der Renegade-
Vorfälle nachfragen, die es in den letzten Jahren gegeben
hat – unsere Kleine Anfrage und Ihre Antwort haben
ergeben: es waren sechs –: Bei welchem dieser Vorfäl-
le wurden ähnliche Maßnahmen wie jetzt am 10. März
ergriffen? Ich habe verstanden, dass es von Fall zu Fall
unterschiedlich ist. Aber vielleicht hat es bei den sechs
Renegade-Fällen, die in den vergangenen Jahren stattge-
funden haben, Ähnlichkeiten gegeben.
Ri
Es ist, wie Sie sagen, von Fall zu Fall, von Atom-
kraftwerk zu Atomkraftwerk, verschieden. Sie müssen
auch unterscheiden zwischen einem Voralarm und einem
Hauptalarm. Bisher gab es nur Voralarme und noch nie
einen Hauptalarm.
Frau Kotting-Uhl.
Frau Staatssekretärin, als jemand, der im engeren Um-
feld des Atomkraftwerks Beznau lebt, wissen Sie ver-
mutlich, dass beide Reaktoren, 1 und 2, überhaupt nicht
gegen Flugzeugabstürze gesichert sind. Ich nehme an,
dass Sie auch wissen, dass auch die französischen Atom-
kraftwerke Cattenom und Fessenheim nur gegen den Ab-
sturz eines kleinen Zivilflugzeuges gesichert sind. Ist die
Bundesregierung vor dem Hintergrund der Renegade-
Vorfälle mit den jeweiligen Regierungen im Gespräch
darüber?
Ri
Wir sind mit den jeweiligen Regierungen, was die
Fragen der Sicherheit anbelangt, immer im Gespräch,
insbesondere mit den Regierungen, mit denen wir ein
Abkommen geschlossen haben. Es gibt acht Abkommen
mit angrenzenden Staaten.
Gibt es noch den Wunsch nach einer Zusatzfrage? –
Das ist nicht der Fall.
Ich rufe die nächste Frage auf, die Frage 4 des Abge-
ordneten Zdebel:
Wie viele Brennelemente sollen nach Kenntnis der Bundes-
regierung im Rahmen der bestehenden Verträge zwischen dem
Betreiber des Atomkraftwerkes Tihange 2 und der Uranfabrik
Advanced Nuclear Fuels GmbH in Lingen insgesamt für den
Betrieb von Tihange 2 von Areva Lingen geliefert werden, und
wie viele dieser Brennelemente sind zum jetzigen Zeitpunkt
bereits ausgeliefert worden?
Ri
Lieber Herr Zdebel, über die Vertragsverhältnisse zwi-
schen dem Brennelementehersteller Advanced Nuclear
Fuels GmbH in Lingen und den Betreibern von Atom-
kraftwerken liegen der Bundesregierung keine Kenntnis-
se vor. Nach Angaben des Bundesamtes für Wirtschaft
und Ausfuhrkontrolle, BAFA, wurde im Jahr 2016 die
Ausfuhr von 68 Brennelementen für die Anlage Ti-
hange 2 genehmigt und 68 Brennelemente ausgeführt.
Weitere Genehmigungen für Brennelementelieferun-
gen für Tihange 2 liegen bislang nicht vor.
Zusatzfrage?
Frau Präsidentin, herzlichen Dank. – FrauSchwarzelühr-Sutter, die Frage der Brennelementeliefe-rung aus Lingen, aber auch aus der Urananreicherungs-anlage in Gronau beschäftigt sehr viele Menschen, insbe-sondere in Nordrhein-Westfalen, in dem Bundesland, ausdem auch ich komme. Die Frage, die sich da stellt, ist,ob das Ganze nicht etwas schizophren ist: Auf der einenSeite sagt Bundesumweltministerin Hendricks, diese An-lage sollte aus guten Gründen – die ich teile – geschlos-sen werden. Auf der anderen Seite ist es so, dass weiter-hin entsprechende Brennelemente aus Deutschland zumWeiterbetrieb dieser maroden Atomkraftwerke geliefertwerden – mit Ausfuhrgenehmigungen, die die Bundes-regierung beeinflussen kann. Deswegen frage ich jetztnoch einmal nach: Werden nach Auffassung der Bundes-regierung die von Lingen nach Tihange 2 und Doel 3 ex-portierten Brennelemente in einer Weise verwendet, diedie innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschlandgefährdet?Hubertus Zdebel
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(C)
(D)
Ri
Sie wissen, dass wir von Herrn Professor Ewer ein
Rechtsgutachten eingeholt haben und diese Rechtsfragen
geklärt haben. Unsere Rechtspositionen wurden bestä-
tigt. Das BMUB hat jetzt bezüglich der Stilllegung der
Brennelementefabriken ein Rechtsgutachten in Auftrag
gegeben.
Herr Zdebel, Sie haben das Wort zu einer weiteren Zu-
satzfrage.
Das ist jetzt keine sehr klare Antwort. Auch Sie wis-
sen, dass es unterschiedliche Rechtsauffassungen zu
dieser ganzen Frage gibt. Im April dieses Jahres hat
es eine sehr interessante Debatte im Landtag Nord-
rhein-Westfalen gegeben, wo sämtliche Fraktionen, also
auch die SPD-Fraktion, die CDU-Fraktion und sogar die
FDP-Fraktion, der Auffassung waren, die Bundesregie-
rung schöpfe nicht sämtliche Rechtsmittel aus, um diese
Ausfuhren zu stoppen. Ich teile diese Rechtsauffassung
ausdrücklich. Da stellt sich dann für mich ganz konkret
die Frage, auch mit Blick auf die Tatsache, dass heute
Morgen eine Diskussion über einen Antrag unserer Frak-
tion im Umweltausschuss mit Geschäftsordnungsmehr-
heit abgelehnt worden ist: Wird die Bundesregierung
einen Stopp des Exports von Uran und Brennelementen
aus Lingen und Gronau anordnen? Die Möglichkeit dazu
bestünde ja, dass Sie das von Ihnen gerade selbst erwähn-
te BAFA anweisen, diese Brennelementelieferungen ab
sofort zu untersagen. Wäre die Bundesregierung dazu
bereit?
Ri
Herr Zdebel, ich wiederhole: Das Bundesumweltmi-
nisterium hat das Rechtsgutachten in Auftrag gegeben,
um zu klären, wie es bezüglich der Transporte aussieht.
Die in diesem Gutachten vertretene Rechtsposition teilen
wir. Es gibt andere Rechtspositionen. Wir haben ein wei-
teres Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, um die Mög-
lichkeiten der Stilllegung der Urananreicherungsanlage
Gronau und der Brennelementefabrik Lingen zu prüfen.
Sie haben heute Morgen als Begründung für die Ver-
schiebung der Behandlung des Tagesordnungspunktes
gehört, dass wir noch weitere Informationen hierzu brau-
chen.
Frau Kotting-Uhl.
Frau Staatssekretärin, genau an diesen Punkt, dass
heute Morgen die Behandlung des Antrags zum Stopp
von Exporten aus Lingen nach Tihange mit der Begrün-
dung abgelehnt wurde, Sie bräuchten noch weitere Infor-
mationen, Sie müssten sich noch kundig machen, will ich
anknüpfen. Können Sie sich erinnern und mir bestätigen,
dass meine Fraktion bereits im September 2016 einen
gleichlautenden Antrag eingebracht hat? Wie ist vor die-
sem Hintergrund erklärbar, dass Sie seit September letz-
ten Jahres bis heute Anträge im Parlament offensichtlich
so sehr ignorieren und missachten, dass Sie nicht in der
Lage waren, sich eine Meinung zu bilden, und die heu-
tige Behandlung eines fast gleichlautenden Antrags im
Umweltausschuss mit der Begründung ablehnen muss-
ten, Sie hätten noch keine Haltung dazu?
Ri
Ich widerspreche dem vehement. Außerdem haben die
Koalitionsfraktionen darüber abgestimmt und nicht die
Bundesregierung.
Ich will wiederholen: Wir haben sehr wohl etwas ge-
tan. Wir haben in unserem Haus die rechtlichen Mög-
lichkeiten geprüft. Wir haben auch ein Rechtsgutachten
in Auftrag gegeben – ich kann darauf noch einmal ver-
weisen –, und dieses Rechtsgutachten hat im Dezember
die bisherige Rechtsauffassung unseres Ministeriums
bestätigt. Es gibt keine belastbare rechtliche Grundla-
ge, die Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen von der
Sicherheit eines genehmigten Atomkraftwerksbetriebs
in einem Nachbarstaat abhängig zu machen. Vor diesem
Hintergrund, glaube ich, erübrigt sich der Vorwurf, dass
wir untätig gewesen seien; er ist nicht haltbar.
Frau Haßelmann.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretä-rin, aber genau deshalb versteht man Ihr Handeln dochgar nicht. Ihre Ministerin fährt nach Aachen und in dieRegion, hält da wackere Reden, kämpferisch, dass mandahin nicht mehr liefern darf, dass Tihange und Doel totalgefährlich sind, dass es Risikoreaktoren sind, dass manalles tun muss, um Brennelementelieferungen dahin zuverhindern. Das Gleiche gilt übrigens für Herrn Laschet,den CDU-Spitzenkandidaten in Nordrhein-Westfalen:große Reden in der Region. Gleichzeitig vertagen Siehier mit dem Pseudoargument, Sie hätten noch Bera-tungsbedarf, die Beratung von Linkenanträgen und Grü-nenanträgen des Inhalts, sich als Parlament für einen Ex-portstopp auszusprechen. Wenn Sie hier befragt werden,sagen Sie: Wir haben noch Klärungsbedarf. – Ihre Hal-tung vor Ort im Rheinland und Ihre Genehmigungspraxiszu den Brennelementelieferungen, das passt doch vornund hinten nicht zusammen. Wie wollen Sie das jeman-dem von außen erklären?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. April 201723150
(C)
(D)
Ri
Sehr geehrte Frau Kollegin Haßelmann, heute Mor-
gen hat der Ausschuss darüber abgestimmt. Die Linken
haben einen Antrag gestellt. Er steht überhaupt nicht im
Zusammenhang mit der Wahl in Nordrhein-Westfalen.
Die Ministerin wird sich in ihrer Rede am Freitag dazu
ausführlich erklären.
Es liegen mir keine weiteren Meldungen für Zusatz-
fragen vor.
Damit gehe ich zum Geschäftsbereich der Bundes-
kanzlerin und des Bundeskanzleramtes über. Die Fra-
gen 5 und 6 der Kollegin Tabea Rößner werden schrift-
lich beantwortet.
Damit gehe ich zum Geschäftsbereich des Auswärti-
gen Amts über. Die Beantwortung der Fragen übernimmt
der Staatsminister Herr Roth.
Ich rufe die Frage 7 des Abgeordneten Ströbele auf:
Wie bewertet die Bundesregierung den Bericht der Men-
schenrechtsorganisation Human Rights Watch, wonach auf-
grund von „fundamentalen Fehlern“ bei Bombenangriffen der
US-Streitkräfte auf die syrische Ortschaft al-Dschinnah Mitte
März 2017 circa 40 Menschen getötet wurden, unter denen sich
keine Anhänger von terroristischen Gruppen befunden hätten,
sondern zahlreiche Kinder während des Religionsunterrichts
in einer Moschee , und
wie will die Bundesregierung noch die Fortsetzung der Auf-
klärungsflüge der Bundeswehr über Syrien im Rahmen des
US-geführten Militärbündnisses rechtfertigen, nachdem ein-
geräumt worden ist, dass aus der Luftaufklärung der Tornados
wenige Tage vor dem Angriff Luftaufnahmen ebendieses Or-
tes und Bilder unter anderem auch der danach total zerstör-
ten Moschee an das Oberkommando des Bündnisses geliefert
worden waren?
Herr Staatsminister.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Kollege
Ströbele, Sie beziehen sich in Ihrer Frage auf die mögli-
chen zivilen Opfer des Luftangriffs vom 16. März dieses
Jahres auf al-Dschinnah in Syrien. Der Bundesregierung
liegen dazu keine eigenen Erkenntnisse vor. Sie wissen
selbst, dass die Bundeswehr nicht über eigene Kräfte am
Boden verfügt. Deswegen ist es uns auch nicht möglich,
entsprechende Angaben Dritter zu belegen. Daher kann
die Bundesregierung auch keine Bewertung vornehmen,
inwiefern die Angaben von Human Rights Watch in dem
Bericht, auf den Sie rekurrieren, zutreffend sind.
Darüber hinaus ist mir noch wichtig, darauf hinzuwei-
sen, dass die deutschen Tornado-Aufklärungsflugzeuge
in dem zeitlichen Zusammenhang mit dem Luftangriff
am 16. März dieses Jahres in der Region des Dorfes
al-Dschinnah keine Aufklärungsflüge durchgeführt ha-
ben.
Das humanitäre Völkerrecht verbietet gezielte Angrif-
fe auf Zivilisten ebenso wie Angriffe auf militärische Zie-
le, bei denen damit zu rechnen ist, dass sie unverhältnis-
mäßige Verluste unter Zivilisten oder Schäden an zivilen
Objekten verursachen. Und alle Staaten sind verpflichtet,
alle angemessenen Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, um
Verluste unter der Zivilbevölkerung und die Beschä-
digung ziviler Objekte zu vermeiden. Dafür setzen na-
türlich auch wir uns als Mitglied der Anti-IS-Koalition
im Rahmen der uns zur Verfügung stehenden Mittel ein.
Zivile Opfer müssen vermieden werden! Das ist unsere
Priorität.
Für Einsätze im Rahmen der Operation Inherent Re-
solve, OIR, gilt, dass grundsätzlich alle Vorfälle, bei de-
nen Zivilistinnen und Zivilisten mutmaßlich zu Schaden
gekommen sind, durch das für OIR zuständige Haupt-
quartier – Combined Joint Task Force – untersucht und
die Ergebnisse monatlich auf der Webseite der Operation
Inherent Resolve veröffentlicht werden.
Zusatzfrage?
Ja, danke, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
das reicht mir nicht. Die drei Tornados der Bundeswehr
sind ja über Syrien und Irak nicht unterwegs, um schöne
Landschaften zu fotografieren oder Fotos von schönen
Gebäuden zu machen, sondern sie sind dort im Rahmen
eines großen militärischen Einsatzes tätig. Da muss doch
die Bundeswehr bei sich feststellen können bzw. genau
wissen, für was dann diese Fotos benutzt werden. Die
Bundesregierung darf doch nicht einfach nur sagen: Wir
wissen nicht, ob da nun bombardiert worden ist.
Deshalb ganz konkret meine Frage: Hat die Bundes-
wehr dieses Gebäude fotografiert und diese Fotos an
das zentrale Luftwaffenkommando der USA bzw. dieser
Operation da weitergegeben?
Frau Präsidentin! Herr Kollege Ströbele, ich habe be-reits darauf hingewiesen, dass es in dem genannten Zeit-raum dort keine Aufklärungsflüge der Tornados gegebenhat. Ich kann Ihnen auch noch einmal versichern, dasssich unser Handeln im Rahmen der internationalen Koa-lition gegen den IS natürlich auf Grundlage des Bundes-tagsmandats bewegt. Das ist der Auftrag, den der Bun-destag der Bundesregierung erteilt hat.Ich würde aber gerne in diesem Zusammenhang nocheinmal deutlich machen, dass unsere Arbeit, die wir unterschwierigsten Bedingungen zu leisten haben, natürlichvor allem dem Ziel dient, zivile Opfer zu vermeiden. DasHauptziel der Aufklärungsflüge der Tornados ist ja, dassogenannte Gesamtlagebild zu verdichten. Damit tragenwir auch dazu bei, zivile Infrastruktur und Personen vonmilitärischen Objekten zu unterscheiden. So sollen gera-
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de zivile Opfer vermieden werden. Das ist natürlich an-gesichts der zynischen Taktik des IS, immer wieder auchZivilisten als menschliche Schutzschilde zu benutzen,ausgesprochen schwierig und mit großen Anstrengungenverbunden. Aber insofern ist unser Einsatz, den wir dortleisten, auch im Interesse der Zivilistinnen und Zivilis-ten, die leider unter tragischen Umständen dieser Ausei-nandersetzung zum Opfer fallen.Darüber hinaus ein letzter Punkt, weil Sie das im-mer wieder nachfragen: Es ist sichergestellt, dass dieentsprechenden Aufklärungsprodukte ausschließlich fürden Kampf gegen den IS im Rahmen des Bundestags-mandates genutzt werden. Dazu hat die Bundesregierungeine Fülle von Antworten gegeben. Ich will deshalb inaller Kürze nur noch einmal auf die Bundestagsdruck-sache 18/11697 verweisen. Das ist die Antwort der Bun-desregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DieLinke.
Herr Ströbele, wünschen Sie eine weitere Nachfrage?
Ja. – Auch das, Herr Staatssekretär, stellt mich nicht
zufrieden. Bei dem Gebäude, das bombardiert worden ist,
handelte es sich ja ganz offensichtlich um eine Moschee,
in der Kinder Unterricht hatten. Da war kein einziger
Dschihadist, weder vom IS noch von sonst jemandem,
in dieser Schule. Wenn diese Schule dann bombardiert
wurde, können Sie nicht sagen: Es werden keine zivilen
Objekte bombardiert. – Und dann passt auch Ihr Hinweis
nicht, dass diese bösen IS-Terroristen ja die dort leben-
den Menschen als Schutzschilde benutzen. Es kamen
plötzlich Flugzeuge – wahrscheinlich sogar aufgrund
von Fotoaufnahmen der Tornados – und bombardierten
genau dieses Gebäude, legten es in Schutt und Asche,
und über 40 Personen, überwiegend Kinder, waren tot.
Wenn dort Kinder zur Schule gegangen sind, hatte das
mit „Schutzschild“ überhaupt nichts zu tun.
Bitte, Herr Staatsminister.
Frau Präsidentin, ich vermag aus der Stellungnahme
des Abgeordneten Ströbele jetzt nicht so richtig eine
Frage herauszuhören, will aber noch einmal deutlich
machen, dass die Aufklärungsprodukte, die wir im Rah-
men des Bundestagsmandates zur Verfügung stellen, aus-
schließlich denjenigen Nationen zur Verfügung gestellt
werden, die an der Luftoperation der Operation Inherent
Resolve beteiligt sind. Alle Staaten, die als Teil der Ope-
ration Inherent Resolve der internationalen Anti-IS-Ko-
alition am Informationsraum teilhaben, in den die deut-
schen Aufklärungsprodukte eingestellt werden, können
natürlich auf diese Informationen auch zugreifen.
Ich finde aber den Zusammenhang, den Sie dort her-
stellen, in höchstem Maße unangemessen; denn das, was
Sie unterstellen, läuft genau dem Ziel zuwider, auf das
wir uns hier im Deutschen Bundestag mehrheitlich ver-
ständigt haben, nämlich den IS zu bekämpfen und nicht
Zivilistinnen und Zivilisten. – Im Übrigen tun wir das in
vollem Einklang mit dem Völkerrecht.
Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten Ströbele auf:
Aus welchen tatsächlichen und welchen jeweils angege-
benen Gründen ist bisher nach Kenntnis der Bundesregierung
eine Resolution im UN-Sicherheitsrat mit dem Inhalt geschei-
tert, den Giftgasangriff auf die Ortschaft Chan Schaichun in
Syrien im April 2017, dessen Urheber und die Verantwort-
lichen durch eine unabhängige Untersuchungskommission
überprüfen zu lassen, wo doch alle fünf ständigen Mitglieder
des UN-Gremiums und auch die Regierung Syriens öffentlich
versichert haben, sie wünschen und fordern eine unabhängige
Untersuchung, und welche Bemühungen hat die Bundesre-
gierung unternommen – vielleicht auch gemeinsam mit ihren
EU-Partnern – und wird sie unternehmen, eine solche unab-
hängige Untersuchung auf Grundlage einer UN-Resolution zu
ermöglichen, um eine weitere Eskalation in Syrien nach der
Bombardierung mit US-Raketen in der Nähe von Damaskus
zu verhindern?
Herr Staatsminister.
Frau Präsidentin, vielen Dank. – Herr KollegeStröbele, es geht wieder um Syrien, diesmal um den bar-barischen Einsatz von Giftgas, dem viele Menschen zumOpfer gefallen sind. Die von den USA, dem VereinigtenKönigreich und Frankreich am 4. April 2017 in den Si-cherheitsrat der Vereinten Nationen eingebrachte Resolu-tion zu diesen barbarischen Angriffen in Chan Schaichunscheiterte an einem Veto Russlands.Der Resolutionsentwurf, der Ihnen, Herr KollegeStröbele, bekannt sein dürfte, verurteilte die Angriffe undforderte eine umgehende Aufklärung des Geschehensdurch die beiden bestehenden unabhängigen Untersu-chungsmechanismen des Sicherheitsrates und der Orga-nisation für das Verbot chemischer Waffen, OVCW, diegenau am heutigen Tag ihren 20. Geburtstag feiert. Esist bedauerlich, dass wir diese Organisation immer nochbrauchen, weil leider – trotz aller Bemühungen, Giftgas-einsätze zu ächten – immer wieder Giftgas eingesetztwird.Die Resolution enthielt auch die Forderung an dassyrische Regime, Flugpläne und Informationen zuLuftoperationen zur Verfügung zu stellen und Zugang zuden Luftwaffenbasen zu gewähren. Genau diese Offenle-gungspflicht, die in dem Resolutionsentwurf angemahntwurde, ist von Russland mit der Begründung abgelehntworden, dies käme einer Vorverurteilung des syrischenRegimes gleich. Alternativ dazu wurde von Russlandgefordert, eine gesonderte Kommission mit Zugang zuChan Schaichun einzusetzen.Die Bundesregierung hat aber – und dieses Interes-se teilen wir mit den allermeisten Partnern in der inter-nationalen Gemeinschaft – ein großes Interesse an derStärkung der schon bestehenden unabhängigen Untersu-chungsmechanismen und der Organisation für das Verbotvon Chemiewaffen als Hüterin des Chemiewaffenüber-einkommens.Staatsminister Michael Roth
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Wir setzen uns gemeinsam mit unseren Partnern dafürein, dass diese bereits existierenden Untersuchungsme-chanismen gestärkt werden, dass sie ihr Mandat weiterausüben können und dass die bereits begonnene Untersu-chung der Vorfälle fortgesetzt werden kann.
Herr Ströbele, wünschen Sie eine Zusatzfrage?
Ja, danke. – Herr Staatssekretär, alle fünf Mächte im
Sicherheitsrat fordern eine unabhängige Untersuchung.
Auch Assad fordert eine unabhängige Untersuchung. Es
ist doch schlechterdings nicht nachvollziehbar und völlig
unverständlich – fragen Sie einmal eine der hier heute
anwesenden Zuhörerinnen bzw. einen Zuhörer –, warum
die Länder, welche die Resolution im UNO-Sicherheits-
rat eingebracht haben, darauf bestehen, dass unbedingt
die Organisationen, die Sie genannt haben, die Untersu-
chung vornehmen sollen.
Wenn die Bereitschaft von allen vorhanden ist, dann
kann man sich doch zusammensetzen und fragen: Wer
ist eine unabhängige Untersuchungskommission, und
wohin müssen wir sie lassen, um festzustellen, was tat-
sächlich passiert ist? Das ist doch eine absurde Situation,
die keiner versteht – ich auch nicht: Alle fordern eine un-
abhängige Untersuchung, und dann scheitert sie an dem
Veto, weil die Mächte im Sicherheitsrat Bedingungen
stellen, die die Russen oder Assad – meinetwegen zu Un-
recht – ablehnen. Das mag alles sein, aber man wird sich
doch auf eine unabhängige Kommission einigen müssen.
Ich könnte Ihnen jetzt einige Vorschläge machen.
Bevor der Staatsminister das Wort erhält, bitte ich bei-
de Seiten – Fragesteller wie auch diejenigen, die für die
Bundesregierung antworten –, sich an unsere Regeln zu
erinnern und die Uhr ein bisschen im Auge zu behalten,
weil jetzt beide Seiten überzogen haben. Angesichts der
Fragen, die noch kommen, wäre es wünschenswert, die
Uhr im Blick zu behalten und die Regeln zu berücksich-
tigen.
Herr Staatsminister.
Frau Präsidentin, ich gelobe Besserung. – Der Kollege
Ströbele hat mich aufgefordert, mich direkt an die Bürge-
rinnen und Bürger zu wenden. Ich darf dies nicht tun. Ich
unterstelle Ihnen, Herr Kollege Ströbele, keine Naivität,
ich unterstelle aber auch den hier sitzenden Bürgerinnen
und Bürgern keine Naivität, weil ich sehr wohl in der
Lage bin, dieses komplizierte Verfahren zu erklären.
Ich habe bereits in meiner Eingangsantwort darauf
hingewiesen, dass es zwei bewährte Untersuchungsme-
chanismen gibt. Ich habe auch schon darauf hingewiesen,
dass es Ziel der Bundesregierung ist, insbesondere am
heutigen Tage, wo eine der Organisationen ihr 20-jähri-
ges Jubiläum feiert, diese Mandate, diese Mechanismen
entsprechend zu stärken und zu unterstützen. Sie können
doch nicht von einer Blockade der Staaten sprechen,
wenn es nur ein einziges ständiges Mitglied des Sicher-
heitsrats gegeben hat, nämlich Russland, das sich diesem
Konsens entgegengestellt hat.
Jetzt komme ich noch einmal zu dem entscheidenden
Punkt. Wenn wir hier einen Präzedenzfall schaffen und
einen Sicherheitsratsbeschluss für eine Untersuchung
einfordern, ob irgendwo Giftgas eingesetzt wurde, dann
führt dies automatisch zur Schwächung der Mechanis-
men, denen alle, auch Russland, zugestimmt haben. Die-
ses Vorgehen halte ich und hält auch die Bundesregie-
rung für verantwortungslos.
Herr Kollege Ströbele, wünschen Sie noch eine wei-
tere Zusatzfrage?
Ja. – Dann möchte ich den zweiten Teil meiner Frage
noch einmal stellen, weil Sie ihn weder beantwortet ha-
ben noch beantworten wollen. Ist die Bundesregierung
als doch weitgehend anerkanntes Land, auch in Syrien
anerkanntes Land, in einer so prekären Situation bereit,
selber aktiv zu werden, um eine unabhängige Kommissi-
on zustande zu bringen und besetzen zu lassen, um dieses
Verfahren zu fördern?
Ich gehe der Beantwortung Ihrer Frage überhaupt nicht
aus dem Weg, Frau Präsidentin, Herr Kollege Ströbele.
Ich habe darauf hingewiesen, dass es zwei unabhängige
Untersuchungsmechanismen gibt. Diesen fühlen wir uns
verpflichtet. Es kann doch nicht angehen, nur weil es ein
einziges Land gibt, das diese Untersuchungsmechanis-
men offenkundig nicht akzeptiert, dass wir die bestehen-
den Untersuchungsmechanismen schwächen. Wir wollen
sie nicht schwächen, sondern stärken.
Im Übrigen weise ich darauf hin, dass es schon eine
Reihe von bilateralen Untersuchungen gibt. Gerade heute
hat sich die französische Regierung geäußert, die noch
einmal sagt, dass die entsprechenden Verdachtsmomente
derart schwerwiegend sind, dass man bereits jetzt davon
ausgehen kann, dass das syrische Regime für den Ein-
satz von Giftgas verantwortlich zeichnet. Wir setzen aber
nicht allein auf diese Untersuchung. Hier bin ich wieder
bei Ihnen. Wir setzen auf die Untersuchungsergebnisse –
das läuft ja auch schon; Mitte Mai wird ein Bericht ab-
gegeben – der unabhängigen Institutionen. Die haben wir
und die unterstützen wir auch.
Die Fragen 9 und 10 der Abgeordneten Heike Hänsel,die Fragen 11 und 12 des Abgeordneten Omid Nouripour,die Fragen 13 und 14 der Abgeordneten Sevim Dağdelensowie die Frage 15 des Abgeordneten Özcan Mutlu wer-den schriftlich beantwortet.Staatsminister Michael Roth
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Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Volker Beckauf:Wie setzt sich die Bundesregierung für den Schutz vonverfolgten Homosexuellen in Tschetschenien und verfolgtenJournalistinnen und Journalisten und Menschenrechtsver-teidigerinnen und Menschenrechtsverteidigern, die über dieInhaftierungen und Folter von über 100 vermeintlich homo-sexuellen Männern berichten, ein, und durch welche Maßnah-men unterstützt die Bundesregierung Menschenrechtsvertei-digerinnen und Menschenrechtsverteidiger in Tschetschenienund Russland wie das russische LGBT-Network, die verfolgteHomosexuelle in Tschetschenien unterstützen und laut Medi-enberichten Kontakt zu über 60 betroffenen Männern habenoder hatten ?Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Die Berichte über
Verfolgung von Homosexuellen in der autonomen russi-
schen Republik Tschetschenien, auf die der Abgeordnete
Beck rekurriert, sind einfach nur schrecklich, abstoßend
und in höchstem Maße besorgniserregend. Sie erschei-
nen uns glaubwürdig.
Die Bundesregierung steht in einem intensiven Kon-
takt mit den LGBTI-Aktivisten, mit Menschenrechts-
organisationen, aber selbstverständlich auch mit den
Medienvertretern, die vor Ort sehr engagiert und aus-
gesprochen mutig über diese Fälle berichtet haben. Die
deutsche Botschaft hat inzwischen Kontakt mit den be-
troffenen Personen aufgenommen, und wir prüfen derzeit
Unterstützungsmöglichkeiten. Es ist nicht ganz einfach,
weil die Menschen aus vielerlei nachvollziehbaren Grün-
den ihre Namen öffentlich nicht genannt wissen wollen.
Wir arbeiten hier also mit Unterstützung von Nichtregie-
rungsorganisationen.
Die Bundesregierung hat auf vielfältige Weise nicht
nur Solidarität zu bekunden versucht, sondern auch ent-
sprechende klare Aufforderungen an die russische Regie-
rung formuliert. Zum einen hat der Koordinator für die
zwischenstaatliche Zusammenarbeit mit Russland, Zen-
tralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft,
der Kollege Erler, die russische Regierung am 7. April
aufgefordert, den Meldungen nicht nur nachzugehen,
sondern den Betroffenen bei Bedarf sofort die notwen-
dige Unterstützung zu gewähren sowie die Täter zur
Verantwortung zu ziehen. Im Ständigen Rat der OSZE in
Wien wurde am 6. April eine Erklärung der Europäischen
Union im Namen aller Mitgliedstaaten abgegeben, in der
Russland ebenfalls dazu aufgefordert wird, die Vorgän-
ge zu untersuchen und Unterstützung zu gewähren. Die
Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspo-
litik, Frau Kofler, hat sich vorgestern noch einmal ent-
sprechend geäußert, und ich habe dazu gestern öffentlich
Stellung bezogen und noch einmal die russische Regie-
rung aufgefordert, die schrecklichen Vorfälle zu verfol-
gen und die Taten zu ahnden.
Seien Sie versichert, dass das nicht das Ende unserer
Bemühungen ist. Wir werden das Thema auf höchster
Ebene noch einmal gegenüber der russischen Seite zur
Sprache bringen, und wir werden selbstverständlich die
Situation weiterhin sehr aufmerksam beobachten.
Herr Beck, wünschen Sie eine Zusatzfrage?
Ja. Vielen Dank. – Die Worte höre ich wohl. Sie müs-
sen das als Vertreter des Auswärtigen Amtes – dafür habe
ich Verständnis – in dieser diplomatischen Politesse äu-
ßern. Aber wir glauben ja nicht ernsthaft, dass die russi-
sche Regierung Herrn Kadyrow dazu bringen wird, die
Menschenrechte von irgendwem, erst recht von Homose-
xuellen, zu achten. Das ist politisch einfach unrealistisch.
Deshalb ist die Frage: Was tut man konkret?
Eine Sache, die man konkret tun kann, ist, gefährde-
te Personen aktiv über § 22 oder § 23 Aufenthaltsgesetz
aufzunehmen. Die Kompetenz, das zu veranlassen, hat
nach dem Aufenthaltsrecht die Bundesregierung, ins-
besondere das Auswärtige Amt. Deshalb frage ich Sie
konkret: Haben Sie den Organisationen gesagt, dass wir
bereit sind, notfalls Leute, die unmittelbar bedroht sind,
aufzunehmen, namentlich die beiden Journalisten von
der Nowaja Gaseta, die diese Fälle öffentlich gemacht
haben und die von Kadyrow namentlich mit dem Tode
bedroht wurden, nämlich Frau Jelena Milaschina und
Herrn Dmitrij Muratow? Ich finde, wir müssen da jetzt
etwas tun, wenn wir ernsthaft wollen, dass sich so ein
Fall wie bei Anna Politkowskaja – sie war auch bei der
Nowaja Gaseta, der einzigen freien Stimme unter den
Zeitungen in Russland – nicht wiederholt. Wir können da
etwas tun, aber wir müssen es auch entsprechend opera-
tiv angehen. Das ist die andere Ebene jenseits der dekla-
ratorischen Diplomatie.
Herr Staatsminister.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Beck, ich bedauresehr, dass Ihnen gegenüber der Eindruck entstanden ist,dass wir es allein bei einer „deklaratorischen Diploma-tie“ – um Sie zu zitieren – belassen. Wir sind ganz kon-kret dabei, die Sicherheit der Betroffenen in ihrem Inte-resse zu gewährleisten.Ich kann Ihnen nur zustimmen – das besagt auch derMenschenrechtsbericht der Bundesregierung –, dass sichdie Menschenrechtslage in Russland in den vergangenenJahren signifikant verschlechtert hat, und für die Bundes-regierung sind LGBTI-Rechte oder Rechte für Homose-xuelle Menschenrechte. Sie können sich darauf verlas-sen, dass wir der Kritik an der Menschenrechtssituationimmer wieder Nachdruck zu verleihen versuchen.Sie haben auf einen ganz konkreten Punkt hingewie-sen, nämlich auf die humanitäre Aufnahme nach § 22Aufenthaltsgesetz. Auch dies kommt für die Bundesre-gierung in Betracht. Wir werden deshalb jeden Einzel-fall – Sie haben einige Fälle angesprochen, uns sind wei-tere bekannt – sehr genau prüfen. Wir sind gemäß demAufenthaltsgesetz dazu verpflichtet, jedes Mal eine Ein-zelfallprüfung vorzunehmen, um der schwierigen Lageder Betroffenen Rechnung zu tragen. Ich bitte Sie dabeiaber auch um konstruktive Mitarbeit. Ich habe schonVizepräsidentin Dr. h. c. Edelgard Bulmahnhttp://www.queer.de/detail.php?article_id=28673
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eingangs darauf hingewiesen, dass für uns eine gewisseDiskretion im Interesse der Sicherheit der Betroffenenwichtig und unabdingbar ist.
Herr Beck, wünschen Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ja. – Deshalb habe ich auch nur die beiden bekannten
Journalisten namentlich genannt. Wir beide haben das
Interesse, die Situation der Menschen durch öffentliche
Aktionen nicht noch weiter zu verschärfen.
Wenn das Ausgeführte Ihre Einschätzung der Men-
schenrechtslage in der Russischen Föderation und in
der Autonomen Republik Tschetschenien, die zur Russi-
schen Föderation gehört, ist, möchte ich Sie fragen: Sind
Sie in der Bundesregierung bereit – ich frage Sie und
Ihren Sitznachbarn als Vertreter der beiden betroffenen
Ressorts –, das Vorgehen zu überprüfen, das gegenwärtig
vom BAMF bei der Anerkennung von schwulen Flücht-
lingen aus dieser Region praktiziert wird? Mir sind meh-
rere aktuelle Ablehnungsfälle bekannt, bei denen nicht
die Homosexualität, sondern die Verfolgung und die Be-
drohung infrage gestellt werden, was mir angesichts der
Situation vor Ort absurd erscheint; denn für Tschetsche-
nen, die sich oppositionell verhalten haben oder auffällig
geworden sind, besteht die Fluchtalternative Russische
Föderation nicht. Sie werden durch die russischen Behör-
den weiter verfolgt.
Der zweite Punkt: Wir schieben gegenwärtig Men-
schen, die von der Russischen Föderation im Namen von
Tschetschenien angefordert werden, weil sie angeblich
Terroristen sind, die Tschetschenien schaden wollen, al-
lein aufgrund der Beweislage der Russischen Föderation
ab. Nachdem Sie die Lage im Land richtig beschrieben
haben, frage ich: Sind Sie bereit, diese Praxis im Sinne
eines besseren Menschenrechtsschutzes zu prüfen?
Herr Staatsminister.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Beck, ich spreche
zwar hier in der Beantwortung Ihrer Frage für die gesam-
te Bundesregierung, ich will aber vor allem den Aspekt
in der Antwort hervorheben, der in den Zuständigkeits-
bereich meines Hauses fällt, und das ist der Lagebericht.
Sie haben darauf hingewiesen, dass sich die Situation
von Homosexuellen in ganz Russland verschlechtert hat.
Ich kann diesen Eindruck nur bestätigen. Selbstverständ-
lich wird ein solcher Eindruck, der von vielen Nichtre-
gierungsorganisationen und von vielen Expertinnen und
Experten geteilt wird, Einfluss auf die kontinuierliche
Überarbeitung des Lageberichtes nehmen.
Der Lagebericht ist eine Grundlage für das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge, um in den Asylverfahren
entsprechende Entscheidungen vorzunehmen. Das gilt
ausdrücklich auch für den zweiten Aspekt, den Sie auf-
gerufen haben.
Selbstverständlich ist die Bewertung der Lage in
Russland nichts Statisches – das bezieht sich auch auf die
Autonome Republik Tschetschenien –, vielmehr werden
wir die Bewertung immer wieder an die Entwicklungen
anzupassen haben. Ich kann Ihnen versichern, dass wir
dies auch tun.
Da mir zu diesem Geschäftsbereich keine weiteren
Fragen vorliegen, kommen wir zum Geschäftsbereich
des Bundesministeriums des Innern. Hier übernimmt
die Beantwortung der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Günter Krings.
Ich rufe zunächst die Frage 17 des Abgeordneten
Volker Beck auf:
Inwiefern wären deutsche Regelungen, die den Regelungen
des österreichischen Islamgesetzes entsprechen, nach Auffas-
sung der Bundesregierung vereinbar mit den verfassungs-
rechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes, insbesondere
Islamgesetz?
Ich habe noch einmal die Bitte, sich an die Ein-Minu-
ten-Regelung zu halten; denn das ist vorhin nicht beson-
ders gut gelungen, wenn ich mir die Anmerkung noch
erlauben darf. – Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
D
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Kollege Beck, vielen Dank für die Frage.
In der Frage geht es, um das kurz zu umschreiben, um
das österreichische Islamgesetz und darum, ob wir da-
raus etwas für Deutschland lernen können.
Das österreichische Islamgesetz aus dem Jahr 2015
und die hierauf ergangenen Reaktionen in Österreich und
in Deutschland werden von der Bundesregierung mit In-
teresse zur Kenntnis genommen. Ich bitte um Verständ-
nis, dass schon aus Respekt vor dem österreichischen
Gesetzgeber und der in erster Linie gegebenen Zustän-
digkeit der Länder für das Verhältnis zwischen dem
Staat und den Kirchen und Religionsgemeinschaften in
Deutschland keine inhaltliche Kommentierung des öster-
reichischen Islamgesetzes erfolgen kann.
Eine Übertragung des österreichischen Gesetzes auf
Deutschland wäre schon wegen der unterschiedlichen
Verfassungsrechtslage in Deutschland nicht möglich,
insbesondere im Hinblick auf die ausschließliche Zustän-
digkeit der Länder und die verfassungsunmittelbaren Vor-
gaben, vor allem bei der Verleihung der Körperschafts-
rechte nach Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit
Artikel 137 Absatz 5 der Weimarer Reichsverfassung.
Sie haben eine zweite Teilfrage in die Frage sozusagen
hineingemogelt, die ich aber gerne klar beantworte: Die
Bundesregierung plant kein deutsches Islamgesetz.
Herr Beck, wünschen Sie eine Zusatzfrage?Staatsminister Michael Roth
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Ja. – Ich stelle die Frage ja nicht im luftleeren Raum,
vielmehr gibt es darüber eine Diskussion innerhalb der
CDU/CSU-Fraktion, angeregt von Staatssekretären,
nach deren Auffassung wir ein solches Islamgesetz in
Deutschland brauchen. Stimmen Sie mit mir überein,
dass auch den Ländern ein solches Islamgesetz, das alle
Fragen bis hinein in die Selbstverwaltungsprivilegien
von Religionsgemeinschaften bezüglich ihres Finanz-
gebarens regelt, nach unserer Verfassungsordnung nicht
zusteht?
D
Falls Sie mit „Staatssekretären“ mich gemeint haben
sollten, sage ich: Ich habe ausdrücklich gesagt, dass ein
solches Islamgesetz,
schon gar ein Bundesislamgesetz nicht möglich wäre, al-
lein aufgrund der Zuständigkeitsfragen.
Ansonsten kann man den Begriff natürlich auf vielfäl-
tige Weise verstehen. Wir haben in Deutschland ausführ-
liche staatskirchenrechtliche, religionsverfassungsrecht-
liche Regelungen, je nach Zuständigkeit, primär seit dem
Reichsdeputationshauptschluss von 1803 auf Länder-
ebene, aber es gibt auch Sachverhalte, die einen Religi-
onsbezug haben, die der Bund regelt. Das Familienrecht
ist da ein großes Thema. Insofern gibt es vertragliche
Lösungen, aber immer wieder auch Ansätze für eine ge-
setzliche Regelung innerhalb der Länderzuständigkeit,
aber auch auf Bundesebene. Da sind Gesetze möglich,
die aber die Anforderungen in der Regel religionsneutral
formulieren.
Herr Beck, wünschen Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ich möchte Ihre Formulierung „in der Regel“ aufgrei-
fen, damit wir uns richtig verstehen und innerhalb der
nächsten drei Monate nicht weiter über Potemkinsche
Dörfer diskutieren müssen: Teilen Sie mit mir die Auf-
fassung, dass ein Gesetz für eine Religion, auch wenn
es von den 16 Landesgesetzgebern in der Form wie in
Österreich verabschiedet würde, unzulässig wäre und
eine solche Regelung für alle Religionsgemeinschaften
gleichermaßen gelten müsste, sofern man sie überhaupt
erlassen dürfte?
D
Ich habe eingangs schon erwähnt, dass sich das ös-
terreichische Modell nicht eins zu eins übertragen lässt,
sowohl aufgrund des Zuständigkeitsbereichs als auch
aufgrund inhaltlicher Regelungen, die im deutschen
Verfassungsrecht anders sind. Aber natürlich haben wir
einzelne Regelungen im religionsverfassungsrechtlichen
Bereich – ich glaube, darüber sollte eine Diskussion an-
gestoßen werden –, bei denen spezifisch eine Religion
herangezogen wird.
Ich nenne ein Beispiel, um es praktisch zu machen: Sie
befürworten – das weiß ich; dafür habe ich eine gewis-
se Grundsympathie, auch wenn ich ein paar Bedenken
habe – Beiratsmodelle beim islamischen Religionsunter-
richt, um sozusagen eine Art konfessionellen Religions-
unterrichts hinzubekommen.
Das ist letztlich auch eine spezifische Regelung für eine
Religion, weil das, was wir sonst im Staatskirchenrecht
kennen, bei dieser Religion nicht funktioniert, weil uns
das staatskirchenrechtliche Gegenüber, nämlich eine for-
mierte Religionsgemeinschaft, fehlt. Wenn man so will,
ist das eine Regelung, die sich spezifisch dem Islam zu-
wendet.
Auch das Verbot von Kinderehen – da sind wir viel-
leicht konträrer Auffassung – wurde gesetzlich natürlich
religionsneutral formuliert. Das Problem hat sich faktisch
aber aufgrund einer größeren Zahl von Kinderehen in
Deutschland gestellt, die im Ausland nach islamischem
Ritus geschlossen wurden. Diese spezifischen Rege-
lungsbedarfe haben wir also durchaus. Das ist aber etwas
anderes als ein in sich geschlossenes Islamgesetz.
Vielen Dank. – Die Fragen 18 und 19 der Abgeord-neten Dr. Franziska Brantner sowie die Frage 20 desAbgeordneten Niema Movassat zum Geschäftsbereichdes Bundesministeriums des Innern werden schriftlichbeantwortet.Ich leite über zum Geschäftsbereich des Bundesmi-nisteriums für Wirtschaft und Energie. Die Frage 21 desAbgeordneten Niema Movassat, die Frage 22 der Abge-ordneten Dr. Julia Verlinden sowie die Fragen 23 und 24des Abgeordneten Oliver Krischer werden schriftlich be-antwortet.Ich rufe die Frage 25 der Abgeordneten CorinnaRüffer auf:Wieso wurde entgegen der Vereinbarung im Koalitions-vertrag zwischen CDU, CSU und SPD keineÄnderung am Telekommunikationsgesetz vorgenommen,
mit der verbindlichen Vereinbarung aller Verantwortlichen zurBearbeitung von Notrufverbindungen durch Echtzeitdienstezu rechnen, die in der Antwort der Bundesregierung auf dieschriftliche Frage 7 des Abgeordneten Hubert Hüppe auf Bun-destagsdrucksache 18/8659 angekündigt wurde?Frau Staatssekretärin, Sie übernehmen die Beantwor-tung. Frau Gleicke, Sie haben das Wort.
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(D)
I
Frau Präsidentin, ich übernehme gerne. Herzlichen
Dank. – Liebe Kollegin Rüffer, Ihre Frage beantworte ich
wie folgt: Die bundesweite Einführung einer alternativen
Notrufmöglichkeit, zum Beispiel über eine Notruf-App,
ist auch der Bundesregierung ein wichtiges Anliegen.
Eine Änderung des Telekommunikationsgesetzes, TKG,
ist hierfür jedoch nicht erforderlich. Der Wortlaut des
Gesetzes steht dem Betrieb bzw. der Einführung alterna-
tiver Notrufmöglichkeiten nicht entgegen. Hierüber ließe
sich aber keine Verpflichtung der für Feuerwehr, Ret-
tungsdienst und Katastrophenbewältigung zuständigen
Länder, Gemeinden und Städte zur Verarbeitung derar-
tiger Notrufe erreichen. Deren Zuständigkeit richtet sich
ausschließlich nach der jeweiligen Landesgesetzgebung.
Gleichwohl koordiniert das Bundesministerium für
Wirtschaft und Energie seit September 2015 eine Un-
terarbeitsgruppe der Expertengruppe Notrufe, um ge-
meinsam mit den für das Rettungswesen zuständigen
Landesbehörden und Spitzenverbänden dem Anliegen,
Notrufverbindungen zukünftig auch über andere Wege
als herkömmliche Sprach- und Faxverbindungen her-
zustellen und damit für mehr Barrierefreiheit zu sorgen,
Rechnung zu tragen. Dabei hat sich gezeigt, dass anstel-
le von SMS-gestützten Notrufmöglichkeiten sogenannte
paketorientierte Echtzeitdatendienste für Notrufverbin-
dungen zum Einsatz kommen sollen. Insofern verfolgt
die Arbeitsgruppe das Ziel, die Situation gerade von
sprech- und/oder hörbehinderten Menschen durch eine
App zu verbessern, die es ihnen ermöglicht, bundesweit
direkten Kontakt zu der jeweils örtlich zuständigen Not-
rufabfragestelle aufzunehmen. Die letzte Sitzung fand im
März 2017 statt. In dieser Sitzung wurde ein Konzept für
eine Notruf-App erarbeitet.
Zurzeit prüft das Bundesministerium für Arbeit und
Soziales im Rahmen der Umsetzung der UN-Behinder-
tenrechtskonvention als nächsten Schritt die Förderung
eines Pilotprojekts, um dieses Konzept der Bund-Län-
der-Arbeitsgruppe umzusetzen. Die Pilotphase soll cir-
ca sechs bis neun Monate dauern. Anschließend liegt es
dann bei den Ländern, die Notruf-App bundesweit aus-
zurollen.
Parallel dazu hat die Bundesministerin für Wirtschaft
und Energie die Regierungsfraktionen dabei unterstützt,
das Telekommunikationsgesetz dahin gehend zu ändern,
dass die heute täglich von 8 bis 23 Uhr zur Verfügung
stehende Möglichkeit, einen Notruf über eine Videover-
bindung zu einem Gebärdendolmetscher als Vermitt-
lungsdienst abzusetzen, auf eine 24-stündige Verfügbar-
keit an jedem Wochentag ausgedehnt wird. Wir werden
ja in dieser Woche über die dritte Änderung des Telekom-
munikationsgesetzes zu befinden haben. Ich hoffe, dass
ihr breit zugestimmt wird.
Frau Rüffer, wünschen Sie eine Zusatzfrage?
Ja, sehr gerne.
Dann haben Sie die Möglichkeit.
Es ist begrüßenswert, dass es im Rahmen des in dieser
Woche zu verabschiedenden Gesetzentwurfs eine Ände-
rung geben wird, die vorsieht, die Videoverbindung bzw.
Videoübertragung auf 24 Stunden pro Tag auszudehnen.
Aber es ist natürlich ganz klar, dass nicht in allen Berei-
chen dieser Republik der Empfang so gut ist, dass dieses
Angebot auch nutzbar ist. Auch ist es so, dass nicht alle
Menschen über ein Smartphone verfügen. Die jetzt ge-
plante Regelung löst das Problem also noch nicht hinrei-
chend. Insgesamt muss man sagen, dass es sich hier um
ein Trauerspiel handelt. Der Deutsche Gehörlosen-Bund
und die Deutsche Gesellschaft der Hörgeschädigten
kämpfen seit Jahren für eine Lösung in diesem Bereich.
Das hört sich nach einem harmlosen Thema an, aber es
geht hierbei unter Umständen um Leben und Tod und
nicht nur um die abstrakte Umsetzung der UN-Behinder-
tenrechtskonvention. Es braucht hier also eine Lösung.
Deshalb frage ich jetzt: Wie lange wird es dauern, bis
das Pilotprojekt auf den Weg gebracht wird? Was ist da
Ihre Einschätzung?
I
Ich will das noch einmal sehr deutlich machen: Zu-
ständig sind eigentlich die Länder. Wir als Bundesminis-
terium für Wirtschaft und Energie haben uns aufgrund
dieser lange andauernden Debatte über alternative Not-
rufmöglichkeiten – diese haben Sie zu Recht so beschrie-
ben – quasi den Schuh angezogen und gesagt: Wir brau-
chen eine solche Unterarbeitsgruppe. – Diese hat fleißig
gearbeitet. Wie gesagt, im März hat die Sitzung stattge-
funden, in der man sich auf diese App verständigt hat,
die zugegebenermaßen natürlich auch nicht vollumfäng-
lich barrierefrei ist. Aber es geht um alternative Mög-
lichkeiten, um die Barrierefreiheit in diesem Bereich zu
steigern. Das Bundesministerium prüft gerade, wie im
Rahmen der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskon-
vention entsprechende Haushaltsmittel zur Verfügung
gestellt werden können. Zunächst werden wir das Vor-
haben gemeinsam mit den Ländern als Pilotprojekt um-
setzen. Es sind sehr wichtige Fragen zu klären, unter an-
derem technische. Wir haben 530 solcher Notrufstellen.
Das Thema ist sehr komplex; das ist gar keine Frage. Ich
bin froh, dass wir auf Bundesebene tätig geworden sind,
um den Ländern zu helfen, damit wir zu solchen bundes-
weit einheitlichen Alternativen kommen.
Frau Rüffer, wünschen Sie eine zweite Zusatzfrage?
Sehr gerne. Wenn ich die Möglichkeit habe, dannauf jeden Fall. – Mir ist schon klar, dass es hier um einekomplexe Problemstellung geht und man dieses Problemnicht von heute auf morgen lösen kann. Aber wir redenim Moment über einen Zeitraum von Jahren. Die Bun-
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desrepublik Deutschland ist ein Hochtechnologieland.Man sollte erwarten, dass wir uns in diesem Zeitraumirgendwann in die Lage versetzen, beispielsweise fürgehörlose Menschen eine vollumfänglich barrierefreieMöglichkeit zu schaffen, Notrufe abzusetzen.Es gibt die erwähnte Arbeitsgruppe. Ich weiß, dass dieZuständigkeit bei den Ländern liegt. Aber wir können dieLeute nicht zwischen Fragen der Zuständigkeit zerreibenund sie dadurch unter Umständen in gefährliche Situa-tionen bringen. Sie sagten, die App, die in Planung ist,ist nicht vollumfänglich barrierefrei. Meine Frage: Wasbedeutet das?Die zweite Frage ist: Warum ist es so schwierig, hierzu einer Lösung zu kommen? Geht es vielleicht um dieKosten? Was würde es denn kosten, eine vollumfänglichbarrierefreie Zugangsmöglichkeit zu schaffen?I
Barrierefreiheit – liebe Frau Kollegin Rüffer, das wis-
sen Sie – ist eine sehr individuelle Geschichte. Es gibt
Menschen, die mit einer App tatsächlich gut zurechtkom-
men. Wenn sie aber vielleicht andere Einschränkungen
haben, dann ist eine App wiederum nicht barrierefrei; das
meinte ich. Es geht um alternative Möglichkeiten, um
zu immer mehr Barrierefreiheit zu kommen und auf die
individuellen Bedingungen von Menschen mit Behinde-
rungen einzugehen. Ich glaube nicht, dass es ein alleini-
ges System gibt, das allen gerecht werden könnte. Des-
halb ist es wichtig, dass wir mit einer App beispielsweise
sprech- und hörbehinderten Menschen weiterhelfen, uns
aber auch den anderen Aspekten des Notrufsystems, was
die Barrierefreiheit angeht, zuwenden; das ist Teil eins
meiner Antwort. Es geht also schon darum, hier für im-
mer mehr Barrierefreiheit zu sorgen.
Das Zweite ist: Die Bundesregierung hat sich, obwohl
sie nicht federführend dafür zuständig ist, dieses Themas
angenommen, und die beiden zuständigen Ressorts ha-
ben daran gearbeitet. Es gibt jetzt ein Konzept für eine
Notruf-App, und es wurde die Vereinbarung getroffen,
dieses als Pilotprojekt auszurollen. Wir werden das
schnellstmöglich tun; sonst wäre die Arbeit ja umsonst.
Vielen Dank. – Mir liegen keine Wünsche nach wei-
teren Fragen vor.
Deshalb rufe ich jetzt den Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Arbeit und Soziales auf. Die Beant-
wortung dieser Fragen übernimmt die Parlamentarische
Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller.
Zunächst kommen wir zur Frage 26, ebenfalls von der
Abgeordneten Corinna Rüffer:
Wie ist es zu erklären, dass Zielvereinbarungen zwischen
Werkstätten für behinderte Menschen und Kostenträgern exis-
tieren, die keine Konzepte zur angemessenen Beschäftigung
von Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen
Sicht der Bundesregierung hier Handlungsbedarf?
G
Frau Kollegin Rüffer, Sie fragen danach, wie es um die
Zielvereinbarungen zwischen Werkstätten für behinderte
Menschen und Kostenträgern steht. Letzten Endes – das
geht aus Ihrer Fragestellung hervor – ist der Anlass die
Berichterstattung über nicht haltbare Zustände in diesem
Zusammenhang, die in den Medien sehr breit Erwähnung
gefunden hat und zu Recht sehr kritisch ausgefallen ist.
Meine Antwort muss, weil Sie nach Zielvereinbarungen
zwischen Werkstätten und Kostenträgern gefragt haben,
so ausfallen, dass ich Ihnen sagen muss: Für diese Ziel-
vereinbarungen sind die Länder zuständig. Das ist keine
Angelegenheit des Bundes. Insofern fällt meine Antwort
da sehr knapp aus.
Frau Rüffer, wünschen Sie eine Zusatzfrage? – Das
ist der Fall.
Vielleicht bekomme ich ja die Redezeit, die Frau
Lösekrug-Möller gerade eingespart hat.
Nein, das machen wir nicht. Die würde ich auf die
vorhergehende Überziehung anrechnen.
Der Hintergrund ist in der Tat die Berichterstattungdes Teams Wallraff vom Februar dieses Jahres. Wir habenüber dieses Thema auf unseren Antrag hin im Ausschussfür Arbeit und Soziales diskutiert. Die Aufdeckung desTeams Wallraff hat in zwei Fällen dazu geführt, dasswirklich staatsanwaltschaftlich ermittelt worden ist. Dasheißt, es handelt sich hier nicht um Petitessen, sondernum gravierende Menschenrechtsverletzungen. Ange-sichts dieser Tatsache finde ich die öffentliche Reaktionauf das, was wir da sehen mussten, relativ verhalten. Dashätte mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt.Wir gehen in der Tat davon aus – das zeigen auch dieRückmeldungen, die wir bekommen –, dass es hier umstrukturelle Problemstellungen geht. Ich fokussiere inder Frage, die ich gestellt habe, tatsächlich auf Zielver-einbarungen bezüglich der Konzepte zur angemessenenBeschäftigung von Menschen mit schweren und mehr-fachen Behinderungen innerhalb von Werkstätten für be-hinderte Menschen.Sie haben schriftlich angekündigt, dass das BMASim Mai eine Veranstaltung mit Leistungsträgern, Ein-richtungsträgern und Verbänden behinderter Menschendurchführen wird, auf der Sie über Qualitätsmerkmalesowie über den Berufsbildungs- und den Arbeitsbereichinnerhalb der Werkstätten sprechen werden. Es würdepassen, dort auch die mangelnde Einhaltung der Zielver-einbarungen in den Blick zu nehmen. Ist das von IhrerSeite aus geplant?Corinna Rüffer
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G
Dazu kann ich Ihnen gerne etwas sagen. – Es gab eine
ausführliche Debatte im Fachausschuss. Ich habe an die-
ser Debatte teilgenommen, und wir haben im Nachgang
informiert. Unter anderem haben wir der entsprechenden
Ausschussdrucksache die Stellungnahmen des Landes
Nordrhein-Westfalen als Anlage beigefügt. Auch dort hat
man sich sehr schnell um die Missstände gekümmert hat,
die über die Fernsehsendung öffentlich wurden.
Wir haben festgestellt, dass es insbesondere bezogen
auf diese eine Einrichtung bereits vor Ausstrahlung der
Sendung Aktivitäten gegeben hat, weil es sich dort ganz
offenkundig – ich muss das aber unter dem Vorbehalt ab-
schließender Sachverhaltsaufklärung sagen – um unhalt-
bare Zustände handelte.
Gegenstand dieser Berichterstattung in den Medien
war der sogenannte Bildungsbereich, der von ziemlich
großer Bedeutung ist. In den Werkstätten gibt es unter-
schiedliche Bereiche. Eine Kernkritik bezog sich auf
die Realisierung des Bildungsanspruchs. Ich glaube, wir
stimmen darin überein, dass er wirklich sehr kritisch zu
betrachten ist.
Wir haben als Ministerium für Arbeit und Soziales
angekündigt, dass wir ein Fachgespräch führen werden –
dieses ist auch terminiert –, weil wir der Kritik sorg-
fältigst nachgehen wollen. Das tun wir nicht, weil wir
damit die Kostenträger der Eingliederungshilfe in Nord-
rhein-Westfalen bevormunden wollen – sie führen eine
eigene Sachverhaltsaufklärung durch und reflektieren
die Qualitätssicherung im Nachgang –, sondern wir sind
ins Spiel gekommen, weil für den Berufsbildungsbereich
Mittel der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung ste-
hen, womit wir eine entsprechende Verantwortung ha-
ben, und der kommen wir auch nach.
Wenn ich mich richtig erinnere, werden wir diese Ver-
anstaltung am 12. Mai 2017 durchführen. Meine münd-
liche Zusage, dass wir im Fachausschuss darüber be-
richten werden, werden wir ganz sicher einhalten. Dafür
setze ich mich auch persönlich ein.
Eine Zusatzfrage steht Ihnen, Frau Rüffer, formal
noch zu. Vorab sage ich aber noch einmal, dass bei den
Fragen und Antworten die Zeit jeweils deutlich überzo-
gen wurde.
Ich weise einfach noch einmal darauf hin: Wenn das
rote Licht blinkt und die Zahl 20 auftaucht, dann heißt
das nicht, dass man noch 20 Sekunden zur Verfügung hat,
sondern dann heißt das, dass man die Rede- bzw. Fra-
gezeit schon um 20 Sekunden überschritten hat. Bevor
ich Ihnen jetzt das Wort gebe, Frau Rüffer, bitte ich, sich
wirklich an die Zeiten zu halten.
Frau Rüffer, eine Frage haben Sie noch, wenn Sie
möchten.
Ja. – Sie haben gerade einen Bericht angesprochen,
der im Nachgang der Sitzung des Ausschusses für Arbeit
und Soziales dankenswerterweise von Ihrer Seite ver-
schickt worden ist. Diesem Bericht liegt eine Stellung-
nahme der LAG WfbM Nordrhein-Westfalen bei, der wir
entnehmen, dass es für die benannte Personengruppe –
die Menschen mit schweren und schwersten Mehrfach-
behinderungen – das Problem der fehlenden Zielverein-
barung gibt. Für sie gibt es eben keine Konzepte in den
Werkstätten.
Das heißt, wir wissen offiziell, dass dieses Problem
besteht. Das ist ein Hinweis aus dem größten Bundes-
land dieser Republik. Dies deutet darauf hin, dass wir es
nicht mit einem Problem zu tun haben, das nur in einer
Einrichtung besteht. Dieses Problem gibt es in vielen
Einrichtungen.
Für den 12. Mai 2017 ist nun eine Veranstaltung des
BMAS geplant. Das begrüße ich sehr. Meine Frage ist,
ob Sie auf dieser Veranstaltung dieser Fragestellung – der
Leerstelle, die sich dort vor uns auftut – nachgehen wer-
den, um herauszufinden, wie groß das Problem ist, das in
dem Bericht der LAG WfbM beschrieben ist.
G
Ich antworte so kurz wie möglich, aber dennoch prä-
zise. – Erst einmal teile ich nicht Ihre Vermutung, dass
es sich hier um eine bundesweite Leerstelle handelt. Ge-
genstand des Fachgespräches werden die Probleme sein,
die Anlass für das Fachgespräch sind. Das sind die Vor-
kommnisse, die in der Berichterstattung zutage getreten
sind. Wenn es möglich ist, nehmen wir Ihre Anregungen
gerne noch auf. Aber ich will sagen: Ich teile Ihre Bewer-
tung dieser Situation nicht, weil aus meiner Sicht dazu
für unser Haus die Grundlagen fehlen.
Vielen Dank. – Die Fragen 27 und 28 der Abgeordne-ten Sabine Zimmermann sowie die Fragen 29 und 30 derAbgeordneten Lisa Paus aus diesem Geschäftsbereichwerden schriftlich beantwortet.Deshalb rufe ich jetzt den Geschäftsbereich des Bun-desministeriums der Verteidigung auf. Die Frage 31 desAbgeordneten Hunko wird ebenfalls schriftlich beant-wortet.Daher rufe ich jetzt den Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Gesundheit auf. Die Beantwortungübernimmt die Parlamentarische Staatssekretärin IngridFischbach.Wir kommen zur Frage 32 der Abgeordneten CorneliaMöhring:Welche Rückschlüsse zieht die Bundesregierung aus denPresseberichten über die Zustände in deutschen Kreißsälen,laut denen eine Hebamme „sogar acht Geburten parallel be-
nung, Ostern die Zeugung eines Kindes besser zu vermeiden,da sonst eine Niederkunft um die Weihnachts- und Silvester-zeit riskiert wird, in der die „Besetzung in Kreißsaal und Wo-chenbett-Betreuung noch knapper als sonst“ ist ?Frau Fischbach.http://www.bild.de/regional/duesseldorf/hebamme/hebamme-warnt-vor-kinderzeugen-an-ostenr-51299646.bild.htmlhttp://www.bild.de/regional/duesseldorf/hebamme/hebamme-warnt-vor-kinderzeugen-an-ostenr-51299646.bild.htmlhttp://www.bild.de/regional/duesseldorf/hebamme/hebamme-warnt-vor-kinderzeugen-an-ostenr-51299646.bild.html
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I
Liebe Frau Kollegin Möhring, herzlichen Dank für
Ihre Frage. Ich beantworte sie gerne, zumal wir im Vor-
feld des Tages der Hebammen am 5. Mai zusammenkom-
men. Deswegen freue ich mich, heute zur Situation der
Hebammen noch einmal Stellung beziehen zu können.
Die Sicherstellung, Frau Kollegin Möhring, einer flä-
chendeckenden, bedarfsgerechten und gut erreichbaren
medizinischen Versorgung auf qualitativ hohem Niveau
steht im Zentrum der Gesundheitspolitik der Bundesre-
gierung. Dabei spielt die medizinische Versorgung von
Schwangeren, Müttern und Neugeborenen eine ganz be-
sondere Rolle. Deswegen haben wir hier in den letzten
Jahren an vielen Stellen zur Verbesserung beigetragen.
Im zitierten Pressebericht geht es um die Frage, wie
viele Hebammen von einem Krankenhaus zur Betreuung
der anstehenden Geburten eingesetzt werden. Diese Fra-
ge betrifft die konkrete Ausgestaltung der Arbeitsbedin-
gungen von Hebammen. Der Einsatz von Personal und
die Personalplanung liegen in der Organisationshoheit
des Krankenhauses, das für eine angemessene Personal-
ausstattung, auch an Feiertagen, Sorge zu tragen hat. Die
Bundesregierung hat aber die Rahmenbedingungen deut-
lich verbessert. Im Krankenhausstrukturgesetz wurden
konkretisierende Regelungen zu Sicherstellungszuschlä-
gen für Krankenhäuser vorgesehen, wovon auch statio-
näre, geburtshilfliche Einrichtungen in strukturschwa-
chen Gebieten profitieren können.
Sicherstellungszuschläge können für Krankenhäuser
vereinbart werden, wenn die Vorhaltung von stationären
Leistungen aufgrund des geringen Versorgungsbestandes
und -bedarfs nicht kostendeckend finanzierbar ist, die
Leistungen aber zur Sicherstellung der Versorgung der
Bevölkerung bei einem Krankenhaus notwendig sind.
Auf der Grundlage des mittlerweile ersten Beschlusses
des G-BA über bundeseinheitliche Vorgaben zur Verein-
barung von Sicherstellungszuschlägen vom November
letzten Jahres können nun seit 2017 Sicherstellungs-
zuschläge von den Vertragsparteien vor Ort vereinbart
werden. Hiervon können voraussichtlich circa 70 Kran-
kenhäuser profitieren, sofern sie aufgrund des geringen
Versorgungsbedarfs ein Defizit aufweisen.
Die Finanzierung von stationären Leistungen der Ge-
burtshilfe erfolgt durch Fallpauschalen, wobei die Vergü-
tung auf Basis der von Krankenhäusern selbst gelieferten
Kosten und Leistungsdaten vom Institut für das Entgelt-
system im Krankenhaus, InEK, jährlich neu kalkuliert
und kontinuierlich weiterentwickelt wird. Die aufwands-
gerechte Vergütung stationärer Leistungen der Geburts-
hilfe durch die pauschalisierenden Entgelte wird dadurch
stetig verbessert.
Für die erfolgreiche Weiterentwicklung des Fallpau-
schalensystems und zur Förderung von dessen Akzeptanz
erfolgt beim InEK die Einbindung externen Sachver-
stands in einem regelhaften Verfahren. In dem dazu ein-
gerichteten Vorschlagsverfahren können alle Beteiligten,
natürlich auch die externen, ihre Vorschläge einreichen.
Auch für den Entgeltkatalog für das Jahr 2017 hat das
InEK Verbesserungen vorgenommen, sodass dieser für
den Bereich Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett
25 Fallpauschalen umfasst. Die Leistungen der in Kran-
kenhäusern beschäftigten Hebammen sind darin enthal-
ten. – Entschuldigung, ich fasse mich beim nächsten Mal
wesentlich kürzer und hole dadurch die Zeit wieder ein,
Frau Präsidentin.
Danke. – Jetzt hat Frau Möhring die Möglichkeit zu
einer Zusatzfrage, die sie nutzt.
Vielen Dank. – Ich will zuallererst feststellen, dass
man in der jetzigen Situation auf keinen Fall davon reden
kann, dass Geburten in Krankenhäusern immer sicher
sind. Nach den Untersuchungen des Hebammenverban-
des müssen 35 Prozent der Hebammen zwei Geburten
gleichzeitig betreuen, 46 Prozent drei Geburten, 15 Pro-
zent vier Geburten und 5 Prozent sogar mehr als vier Ge-
burten.
Nun sprechen Sie die Finanzierung an. Sie ist natür-
lich eines der Kernprobleme. Nach dem DRG-System
sind pro Geburt gerade einmal 780 Minuten vorgesehen.
Wenn eine Geburt länger als diese 780 Minuten dauert,
dann arbeitet das Krankenhaus nicht kostendeckend.
Man organisiert die Finanzierung anhand der Erlöse
und orientiert den Personalschlüssel daran statt am Ver-
sorgungsbedarf, wie es eigentlich nötig wäre. Es zeigt
sich aber, dass das diese Misere nicht löst. Daher ist
meine Frage an Sie – auch angesichts der 60 Prozent der
geburtshilflichen Abteilungen, die nicht mehr kostende-
ckend arbeiten –, wo die Bundesregierung dringenden
Handlungsbedarf sieht.
I
Ich denke, es ist an der Zeit, darüber zu reden, welchesPersonal wir für welche Abteilung brauchen und wie vielPersonal – und dann natürlich auch gut ausgebildetesPersonal, das gut bezahlt werden muss – notwendig ist.Es ist Aufgabe der Selbstverwaltung, diese Dinge aus-zuhandeln. Ich denke, es ist auch der richtige Weg, dassdiejenigen, die betroffen sind, Autonomie genießen unddas gemeinsam aushandeln können.Wie Sie wissen, sind die Hebammen zurzeit mit demGKV-Spitzenverband in Verhandlungen. Dabei geht esunter anderem darum, wie viele Geburten betreut werdensollen bzw. ob dafür ein Schlüssel von eins zu eins odereins zu zwei zugrunde gelegt werden soll. Es ist keineEinigung zustande gekommen. Es ist ein Schiedsverfah-ren anhängig. Dazu hat der Deutsche Hebammenverbandbereits eine Stellungnahme abgegeben, der Bund freibe-ruflicher Hebammen aber noch nicht.Wir sehen also, dass die Hebammen in der Situationsind, diese Entscheidungen mit zu beeinflussen. Das soll-ten sie auch tun. Wir werden uns dann, falls nötig, wenndas Ergebnis vorliegt, damit beschäftigen.
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(D)
Frau Möhring, wünschen Sie eine weitere Zusatzfra-
ge?
Ja, die wünsche ich. – Nun ist es so: Sie schieben
letztlich die Verantwortung auf die Verhandlungen in den
einzelnen Krankenhäusern. Aber es ist durchaus so, dass
die Frage der Personalbemessung auch im Ermessen der
Bundesregierung liegt. Es gibt nämlich die Möglichkeit,
Personalbemessung bundeseinheitlich zu regeln und ent-
sprechend in Richtlinien umzusetzen.
In der Studie, die ich schon erwähnt habe, haben der
Hebammenverband und das Picker-Institut festgestellt,
dass die Arbeitsbedingungen der Hebammen in den
Krankenhäusern sich so weit verschlechtert haben, dass
ein Teil von ihnen über einen Arbeitsplatzwechsel nach-
denkt und anderen diesen Arbeitsplatz gar nicht mehr
empfehlen würde. Die Studie stellt zugleich fest, dass es
einen Zusammenhang zwischen der Arbeitszufriedenheit
und dem Betreuungsschlüssel gibt.
Man kann sagen: Je weniger Frauen die Hebammen
gleichzeitig zu betreuen haben, desto zufriedener sind
sie. Im Umkehrschluss heißt das, dass der Personalman-
gel eine Ursache ist, die den Hebammenberuf sehr unat-
traktiv macht. Wie gedenken Sie diesen Beruf wieder
attraktiver zu machen?
I
Ich glaube, mit den Maßnahmen, die die Bundesregie-
rung in dieser Legislaturperiode auf den Weg gebracht
hat, haben wir deutlich gemacht, wie wichtig die Heb-
ammen für die Versorgung sind, gerade auch wenn es da-
rum geht, frei zu wählen, an welchem Ort man entbinden
möchte. Wir haben im Bereich der Vergütung vieles auf
den Weg gebracht, auch über Zuschläge für die Hebam-
men, wenn es darum geht, die eklatant steigenden Kosten
der Versicherungsprämien aufzufangen.
Wir haben dafür gesorgt, dass die Krankenhäuser Si-
cherstellungszuschläge bekommen. Wir haben im Be-
reich der Datenlage und der Prävention einiges auf den
Weg gebracht.
Aber ich glaube, es muss auch ein gesamtgesellschaft-
liches Umdenken erfolgen. Kein Berufsstand, auch wenn
er noch so schlechte Bedingungen hat, tut gut daran, stän-
dig nur die negativen Dinge zu nennen. Das Gleiche gilt
auch für bestimmte Arztgruppen. Man muss auch deut-
lich machen, warum der Beruf gut ist, und die Dinge, die
noch verbesserungswürdig sind, dann auch verbessern.
Aber ich glaube, wir alle müssen auch allgemein et-
was dafür tun, um deutlich zu machen, dass Hebammen
wichtig sind, dass wir sie brauchen und dass wir ihre Ar-
beit mehr als wertschätzen.
Herr Terpe, Sie haben auch eine Zusatzfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretärin,
die Frage der Kollegin Möhring – vor allen Dingen die
erste Frage – bezog sich auf die Situation in Ballungsge-
bieten. Dabei war von Düsseldorf die Rede. Uns ist auf-
gefallen, dass es auch in Presseberichten immer wieder
gerade um die Ballungszentren geht und berichtet wird,
dass dort Kreißsäle überfüllt sind und die Aufnahme von
Schwangeren verweigert wird. Für meine Begriffe hört
dort die Autonomie der Krankenhäuser im Übrigen auf,
muss ich sagen.
Ich wollte Sie aber fragen, ob Sie Kenntnis davon ha-
ben, wie häufig so etwas deutschlandweit vorkommt und
ob das gar ein ständig auftretendes, relevantes Problem
ist, und welche Maßnahmen Sie vorschlagen, um solche
Engpässe – Stichwort „Autonomie der Krankenhäuser“ –
zu beseitigen.
I
In der ersten Antwort habe ich schon deutlich gemacht,
dass Fragen der Personalsituation – Personalanzahl, aber
auch Arbeitszeit – ausnahmslos in ihrer Hoheit, also in
den Händen der Krankenhäuser, liegen.
Ich habe von Situationen gehört, wie Sie sie gerade
beschrieben haben, Herr Kollege Terpe, und kann Ihnen
da nur beipflichten: Das geht gar nicht; das geht über-
haupt nicht.
Aber das sind für uns noch die Ausnahmen. Wir hof-
fen, dass wir diese Ausnahmen auch beseitigen können.
Jetzt können wir mit der Gesamtdiskussion zum Stich-
wort „Pflegepersonal in Krankenhäusern“ – zum Pflege-
personal in Krankenhäusern gehören auch die Hebam-
men – einen deutlichen Vorstoß machen, der klarstellt:
Wir brauchen an bestimmten Stellen – auch wenn es sich,
wie Frau Kollegin Möhring vorhin sagte, nicht immer
rechnet – einen Vorhalt, um die Versorgung zum Beispiel
der Schwangeren sicherzustellen. Dafür werden wir alles
tun.
Ich rufe jetzt die Frage 33 ebenfalls der Abgeordneten
Cornelia Möhring auf:
Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die-
sen Zuständen entgegenzuwirken und somit sichere Geburten
in den Kreißsälen zu ermöglichen, und welche Maßnahmen
plant die Bundesregierung, insbesondere in Reaktion auf die
Feststellung der Studie des Wissenschaftlichen Dienstes des
Deutschen Bundestages „Zur Frage der Sicherstellung einer
angemessenen personellen Ausstattung mit Hebammen in sta-
tionären Geburtshilfeeinrichtungen in ausgewählten Ländern“
die Hälfte der Hebammen“ sich „um drei Frauen gleichzeitig
während der Geburt“ kümmert ?
Frau Staatssekretärin.
I
Frau Präsidentin! Frau Kollegin, ich antworte Ihnenwie folgt:https://www.bundestag.de/blob/498952/e6d987867d45ea04396edc12a38aa6d3/wd-9-079-16-pdf-data.pdfhttps://www.bundestag.de/blob/498952/e6d987867d45ea04396edc12a38aa6d3/wd-9-079-16-pdf-data.pdf
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Wie bereits in der Antwort zu Ihrer ersten Frage dar-gelegt wurde, liegen die konkrete Ausgestaltung der Ar-beitsbedingungen sowie der Einsatz von Personal und diePersonalplanung in der Organisationshoheit des Kran-kenhauses.Ergänzend ist zu erwähnen, dass die Aussage, wonach„fast die Hälfte der Hebammen“ sich „um drei Frauengleichzeitig während der Geburt“ kümmert, auf einerOnlineumfrage mit begrenztem Aussagewert basiert.Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass auf Bundes-ebene der Gemeinsame Bundesausschuss befugt ist, fürzugelassene Krankenhäuser Mindestanforderungen andie Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität festzulegen.Er kann unter anderem für bestimmte diagnostische odertherapeutische Leistungen spezifische Anforderungen andie Personalausstattung, wie zum Beispiel in der Richt-linie für die Versorgung von Früh- und Neugeborenenvorgesehen, festlegen.Die Entscheidungen über die Notwendigkeit und diekonkrete Ausgestaltung der Mindestanforderungen lie-gen dabei beim G-BA. Inwieweit Personalschlüssel fürHebammen zur Qualitätssicherung in der Geburtshilfeim Krankenhaus erforderlich sein können, ist vom G-BAauf der Grundlage der aktuell verfügbaren wissenschaft-lichen Evidenz zu beurteilen.
Frau Möhring.
Auch hier habe ich eine Nachfrage. – Sie stellen selber
fest, dass die Ausrichtung an den Erlösen offensichtlich
die Misere in dem Bereich der Gesundheitsversorgung
und in der Hebammenversorgung nicht behebt. Ich stelle
fest, dass sie hier offensichtlich sogar das Problem ver-
schärft.
Die Bundesregierung hat ja anscheinend nicht vor,
eine andere Finanzierung auf den Weg zu bringen. Aber
ich finde es nicht in Ordnung, dass die Bundesregierung
so tut, als wäre das etwas, was auf der Ebene der einzel-
nen Krankenhäuser ausgehandelt werden kann. Hebam-
menleistungen sind Teil einer Grundversorgung.
Weil Sie die vom Hebammenverband durchgeführte
Studie kritisieren, will ich Sie an dieser Stelle fragen,
wann Sie denn nun endlich eine Bedarfserhebung für
Hebammenleistungen auf den Weg bringen, und zwar
wissenschaftlich basiert und räumlich orientiert, also
wohnortnah.
I
Frau Kollegin, Sie sprechen ein Manko an, nämlich
die vorhandenen Daten. Wenn ich die Studie des Hebam-
menverbandes kritisiert habe, dann liegt das daran, dass
nur 1 700 angestellte Hebammen befragt wurden – und
nicht auch die Beleghebammen, von denen wir wissen,
dass sie einen großen Anteil der Tätigkeiten in den Kran-
kenhäusern durchführen – und dass es nur einen Rück-
lauf von 44 Prozent gab. Insofern kann man zumindest
sagen, dass das nicht allen Ansprüchen, die wir sonst an
Studien anlegen, genügt. Ich glaube, da stimmen Sie mit
mir überein.
Wir müssen natürlich dafür sorgen, dass wir vernünf-
tige Daten bekommen. Aber Sie wissen selber, Frau Kol-
legin Möhring – Sie sind ja schon sehr lange mit dem
Thema der Hebammen beschäftigt –, dass es schwierig
ist, an bestimmten Stellen Informationen zu bekommen.
Schließlich arbeiten Hebammen nicht nur festangestellt
oder als Beleghebammen, sondern auch noch freiberuf-
lich. Diese Daten alle zusammenzubekommen, ist sehr
schwierig. Wie ich vorhin unter dem Stichwort „Datenla-
ge“ angesprochen hatte, ist es aber das klare Anliegen der
Bundesregierung, die Datenlage deutlich zu verbessern.
Frau Möhring, haben Sie noch eine Zusatzfrage?
Ja. – Ich gehe doch davon aus, dass die Bundesregie-
rung einige Möglichkeiten mehr hat, Daten zu erheben,
als sie bisher genutzt hat. Nach meiner Kenntnis werden
jetzt Geburtsraten in bestimmten Bereichen erhoben. So
wird erkennbar, welcher Geburtsmodus in bestimmten
Kreisen auftritt. Damit werden aber nicht zum Beispiel
die Anzahl und der Umfang der Hebammentätigkeiten
erfasst.
Deswegen stelle ich meine Frage noch einmal neu:
Haben Sie denn vor, diese Bedarfserhebung endlich auf
den Weg zu bringen, so wie es Minister Gröhe schon
2014 angekündigt hat?
I
Frau Kollegin, wir sind jetzt dabei, die Dinge, die uns
vorliegen, auszuwerten. Dann werden wir schauen, an
welchen Stellen noch Datengrundlagen fehlen, und ge-
gebenenfalls die entsprechenden Daten erfassen.
Herr Terpe, Ihre Zusatzfrage.
Es dreht sich offensichtlich um die Frage nach derPersonalbemessung bzw. Personalplanung bei den Heb-ammen. So wird der Vorwurf erhoben, dass eine Hebam-me sehr viele Geburten gleichzeitig betreuen muss. Ausmeiner Erfahrung muss ich sagen: Beim eigentlichenGeburtsvorgang kann eine Hebamme unmöglich achtoder drei Frauen gleichzeitig betreuen. Es geht sicherlichum diejenigen, die im Kreißsaal tätig sind. Nichtsdesto-trotz ist das eine wichtige Frage. Ich stelle an Sie, FrauStaatssekretärin, folgende Frage: Ist der G-BA mit dieserFrage überhaupt befasst worden? Man muss ihm auchden Auftrag erteilen, sich damit zu beschäftigen. Dabeiist insbesondere die Frage wichtig, ob sich die Situationbeispielsweise durch hebammengeleitete Kreißsäle ver-ändern würde. Hat die Bundesregierung dazu Daten, undbefördert sie diesen Prozess?Parl. Staatssekretärin Ingrid Fischbach
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. April 201723162
(C)
(D)
I
Der G-BA hat aufgrund der eben von mir erwähnten
Richtlinie, in der es um die Versorgung von Früh- und
Neugeborenen geht, einen besonderen Blick auf die Ge-
burtssituation. Dieses Thema wird weiterhin sehr inten-
siv von der Bundesregierung begleitet, und zwar unter
Einbeziehung der entsprechenden Beteiligten. Wie Sie
wissen, sind wir bei der Erarbeitung der Leitlinien wei-
tergegangen: Wir haben Studien in Auftrag gegeben, um
die Situation effektiver und besser bewerten und dement-
sprechend exakte Vorschläge und Aufträge an die Verant-
wortlichen geben zu können.
Vielen Dank. – Damit schließe ich diesen Geschäfts-
bereich.
Ich leite über zu dem Geschäftsbereich des Bundesmi-
nisteriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Die Be-
antwortung der Fragen übernimmt der Parlamentarische
Staatssekretär Norbert Barthle.
Ich rufe die Frage 34 des Abgeordneten Herbert
Behrens auf:
Wurden die im Rahmen der Untersuchungskommission
des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruk-
tur zum Abgasskandal erhobenen CO2-Werte gemäß den
Anforderungen des Neuen Europäischen Fahrzyklus
gewordenen Fahrzeugen abgeschlossen worden?
Herr Staatssekretär.
N
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege
Behrens, Ihre Frage zu einzelnen Aspekten der laufen-
den Untersuchungen und zur Untersuchungskommission
beantworte ich Ihnen wie folgt – ich vermute, dass Sie
schon erahnen, wie ich sie beantworten werde –: Da die
Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind, kann ich
zu einzelnen Aspekten der Untersuchungen der Untersu-
chungskommission zum jetzigen Zeitpunkt keine Aussa-
gen machen.
Herr Behrens, wünschen Sie das Wort zu einer Zusatz-
frage? – Bitte.
Darüber können wir uns, glaube ich, lange streiten.
Denn der einzelne Aspekt, den Sie erwähnt haben, be-
zog sich konkret auf die Nachfrage bei Ihnen: Sind die
Nachmessungen aufgrund des Neuen Europäischen
Fahrzyklus, NEFZ, erfolgt, oder hat das KBA darüber hi-
nausgehende Veränderungen vorgenommen, um weitere
Dinge zu messen? Es geht nur um die Frage: Ist nach
NEFZ-Standard oder nach einem anderen Maßstab ge-
messen worden?
N
Noch einmal, Kollege Behrens: Zu Einzelheiten ma-
chen wir während der laufenden Untersuchungen keine
Aussagen. Ein Abschlussbericht wird erstellt werden.
Dann können Sie alle einzelnen Aspekte nachlesen.
Eine weitere Nachfrage.
Diese Aussage ist identisch mit der von April 2016.
Auch damals sagten Sie, es handele sich um ein laufen-
des Verfahren. Haben Sie eine ungefähre Ahnung, in wel-
chem Jahr oder Jahrzehnt diese Sachen abgeschlossen
sein werden?
N
Ich gehe davon aus, dass diese Untersuchungen noch
während der laufenden Legislaturperiode abgeschlossen
werden.
Ich rufe die Frage 35 des Abgeordneten Herbert
Behrens auf:
Wann wird der Endbericht mit den Ergebnissen dieser
Nachmessungen veröffentlicht, und für welche der auffällig
gewordenen Fahrzeuge mussten in diesem Kontext die Ver-
brauchs- bzw. CO2-Werte für die Typenzulassung angepasst
werden?
N
Frau Präsidentin, Herr Kollege Behrens, meine jetzige
Antwort deckt sich mit unseren bisherigen Einlassungen
dazu. Der Endbericht wird dann veröffentlicht, wenn die
Ergebnisse der Untersuchungen vorliegen. Die Bundes-
regierung greift den Ergebnissen des Endberichts nicht
vor.
Herr Behrens, Zusatzfrage?
Ja. – Unabhängig von den noch laufenden Untersu-chungen: Es hat bei den verpflichtenden Rückrufen,VW-Fahrzeuge betreffend, seitens des KBA Nachmes-sungen gegeben. Im April 2016 wurde für verschiedeneAudi-Fahrzeuge die Freigabe erteilt, weil sowohl dieStickoxidwerte als auch die CO2-Werte offenbar stimm-ten. Für zwei weitere Fahrzeuge, wenn ich mich rechterinnere – das betraf den Passat und ein Seat-Modell –,wurde die Freigabe der neuen Software zum damaligenZeitpunkt noch nicht erteilt. Auf welcher Grundlage wur-de zum damaligen Zeitpunkt festgestellt, dass die Vo-raussetzungen nicht erfüllt sind? Gehörte dazu nur der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. April 2017 23163
(C)
(D)
Stickoxidausstoß, oder gehörte dazu auch der CO2-Aus-stoß der umgerüsteten Fahrzeuge?N
Herr Kollege Behrens, noch einmal: Zu einzelnen Er-
gebnissen dieser Untersuchung mache ich keine detail-
lierten Aussagen. Sie können aber davon ausgehen, dass
die Untersuchungen des KBA sich an den derzeit gelten-
den Standards orientieren.
Sie verzichten auf Ihre weitere Zusatzfrage? – Eine
haben Sie noch.
Verstehe ich Sie richtig, dass auch über die Freigabe
von Fahrzeugen, die jetzt auf dem Markt sind, nicht be-
richtet werden darf? Darf nicht berichtet werden, nach
welchen Kriterien diese Fahrzeuge, die jetzt auf dem
Markt sind und wieder fahren und offenbar gefahren
werden dürfen, gemessen worden sind? Ich frage deshalb
nach, weil es natürlich für die Kundinnen und Kunden
sehr wichtig ist, zu erfahren, ob sie ein umgerüstetes
Auto, das den Angaben entspricht und die Vorgaben er-
füllt, haben oder nicht.
Eine Untersuchungskommission des Verkehrsminis-
teriums hat festgestellt: Es gibt eine Reihe von Diesel-
fahrzeugen, die weit mehr CO2 ausstoßen, als sie dürfen,
die nämlich mehr als 10 Prozent vom angegebenen Wert
abweichen. Wir wissen auch, dass Käufer, Kunden, Ver-
braucher die Möglichkeit haben, ihr Fahrzeug zurückzu-
geben, wenn der CO2-Ausstoß um mehr als 10 Prozent
abweicht. Sind die Besitzer entsprechender Fahrzeuge
über diese Sachlage und die Messergebnisse informiert
worden – ja oder nein?
N
Die Fahrzeuge, die umgerüstet wurden und zum Ver-
kehr freigegeben sind, entsprechen den Anforderungen
der EU-weiten Regelung, die bei den Messungen zugrun-
de gelegt wurden.
Damit sind wir am Schluss der heutigen Fragestunde.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 27. April 2017, 9 Uhr,
ein.
Die Sitzung ist geschlossen.