Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichbegrüße Sie alle herzlich zu unserer Plenarsitzung undrufe gleich die Zusatzpunkte 6 und 7 unserer Tagesord-nung auf:ZP 6 – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesErsten Gesetzes zur Änderung des Infra-strukturabgabengesetzesDrucksachen 18/11237, 18/11536– Zweite und dritte Beratung des von den Ab-geordneten Herbert Behrens, Sabine Leidig,Caren Lay, weiteren Abgeordneten und derFraktion DIE LINKE eingebrachten Ent-wurfs eines Gesetzes zur Aufhebung desGesetzes über die Erhebung einer zeit-bezogenen Infrastrukturabgabe für die
Drucksache 18/11012Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur
Drucksache 18/11646ZP 7 – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-desregierung eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Änderung des Zweiten Ver-kehrsteueränderungsgesetzesDrucksachen 18/11235, 18/11560Beschlussempfehlung und Bericht des Fi-nanzausschusses
Drucksache 18/11643
Drucksache 18/11644Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Än-derung des Infrastrukturabgabengesetzes liegt ein Ent-schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünenvor .Über beide Gesetzentwürfe der Bundesregierung wer-den wir später namentlich abstimmen .Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Das ist offen-kundig einvernehmlich .Damit eröffne ich die Aussprache und erteile das Wortzunächst dem Bundesminister Alexander Dobrindt .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehrund digitale Infrastruktur:Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Verehrter Herr Präsident! Die deutschePkw-Maut ist ein europäisches Projekt –
Subsidiarität, weil wir die Verantwortung für unsere In-frastruktur übernehmen, Solidarität, weil wir uns ganzselbstverständlich an der Finanzierung der Infrastrukturunserer Nachbarländer beteiligen und diese Selbstver-ständlichkeit jetzt auch auf unseren Straßen Realität wird,
und Gerechtigkeit, weil es keinen Unterschied mehr zwi-schen den Nutzern, die sich heute an der Finanzierungbeteiligen, und denjenigen, die bisher kostenlos auf un-seren Straßen fahren, geben wird .
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Das ist ein europäisches Projekt, meine Damen und Her-ren .Übrigens bestätigt dies auch die Europäische Kom-mission, die ja ganz offensichtlich uns und unsere Pläneunterstützt . Die EU-Kommission hat deutlich gemacht –wörtlich –:Die vereinbarte Lösung wahrt die Rechte derEU-Bürger auf Gleichbehandlung ungeachtet ihrerStaatsbürgerschaft, sorgt für eine gerechte Infra-strukturfinanzierung und erleichtert den Übergangzu einer emissionsarmen Mobilität .Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind die Worte derEU-Kommission zur deutschen Pkw-Maut .Wir stellen damit unsere Infrastrukturfinanzierung aufeine breitere Basis und machen das, was die meisten un-serer Nachbarländer bereits vor vielen Jahren vollzogenhaben:
die Finanzierung der Infrastruktur auf drei Säulen zustellen – Mineralölsteuer, Kfz-Steuer, Mautsystem . Bis-her haben wir zwei Säulen: die Mineralölsteuer und dieKfz-Steuer . Jetzt bauen wir eine dritte verlässliche Säu-le dazu: die Infrastrukturabgabe, die Maut . Das ist einechter Systemwechsel . Das ist der Systemwechsel, vondem viele seit Jahren reden, nämlich von der Steuerfi-nanzierung der Infrastruktur hin zur Nutzerfinanzierung,von nicht zweckgebundenen Steuermitteln hin zu einerzweckgebundenen Finanzierung .
Herr Minister, möchten Sie schon eine Zwischenfrage
der Kollegin Haßelmann zulassen?
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Na klar .
Vielen Dank, Herr Präsident, und vielen Dank auch,
Herr Minister, dass Sie die Frage zum jetzigen Zeitpunkt
schon zulassen .
Bevor Sie sich hier so richtig in Fahrt reden, –
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Wollten Sie mich unterbrechen .
– was Ihr unsinniges Pkw-Mautprojekt angeht, möch-
te ich, da das volle Haus heute dazu eine gute Gelegen-
heit bietet, gerne eine ganz grundsätzliche Frage an Sie
richten .
Seit dem 17. Dezember 2014 befinde ich mich mit Ih-
nen in einer Auseinandersetzung darüber, dass es keinen
anderen Minister und keine andere Ministerin in diesem
Parlament gibt, der bzw . die die Rechte der Parlamentari-
erinnen und Parlamentarier so missachtet wie Sie .
– Ich kann Sie gar nicht verstehen: Das betrifft Ihr Fra-
gerecht genauso wie das aller anderen Kolleginnen und
Kollegen; das weiß selbst die Bundesregierung inzwi-
schen .
Bevor Sie sich hier als großer Infrastrukturminister
gerieren, möchte ich Ihnen gerne die Gelegenheit geben,
dem Parlament Folgendes zu erklären:
Wir haben allein im Jahr 2014 13 Kleine Anfragen ge-
stellt . Wir haben allein im Jahr 2017 5 Kleine Anfragen
gestellt . Aber Sie missachten das Fragerecht des Deut-
schen Bundestages
und informieren noch nicht einmal, sie beantragen auch
keine Fristverlängerung . Ich kenne eine solche Missach-
tung des Parlamentes wirklich von niemandem .
Okay .
Ich bitte Sie, uns zu erklären, weshalb das Ministeri-um das so handhabt und warum Sie als Minister das auchnoch rechtfertigen .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehrund digitale Infrastruktur:Liebe Kollegin, ganz herzlichen Dank für Ihre Fra-ge . – Wir haben in der Tat eine intensive Debatte außer-halb des Parlaments geführt in Form von Kleinen Anfra-gen, die Sie ständig an unser Haus stellen .
Ich freue mich über jede einzelne Anfrage, die von Ih-nen kommt, und ich freue mich auch, dass die Antwor-Bundesminister Alexander Dobrindt
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ten unseres Hauses zur einer Wissensmehrung bei Ihnenbeitragen;
in der Regel zur Korrektur dessen, was Sie falsch oderideologisch in Ihren Fragen implementiert haben .
Wir werden das genauso weitermachen: Sie bekommendie richtigen Antworten auf Ihre oft falschen Fragen .
Einen Augenblick bitte . – Also, eine ergänzende Be-merkung muss ich dazu schon machen, Herr Minister .Die Freude über die Vielzahl der Anfragen ist Ihrem Mi-nisterium in der Art und Dauer der Beantwortung nichtimmer anzumerken .
Und Ihre Ankündigung, die bisherige Praxis genausofortzusetzen, würde nicht nur bei der betroffenen Frakti-on ein Problem auslösen . Darauf muss ich auch aufmerk-sam machen .
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehrund digitale Infrastruktur:Herr Präsident, deswegen habe ich die Freude nocheinmal ausdrücklich betont, damit Sie auch für jedenglaubhaft dargestellt wird . Wir werden weiterhin nachbestem Wissen und Gewissen die Fragen der Grünen be-antworten .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir erreichen überdie Lkw-Maut schon heute zweckgebundene Einnahmenin Höhe von 4 Milliarden Euro pro Jahr . Wir bekommen2018 mit der Ausweitung der Maut auf alle Bundes-straßen weitere 2 Milliarden Euro dazu . Wir erreichenjetzt mit der Pkw-Maut zusätzliche 4 Milliarden Eurojährlich an zweckgebundenen Einnahmen . Das bedeu-tet im Klartext: Wir haben für die Zukunft jährlich über10 Milliarden Euro im Verkehrsetat, die dauerhaft undzweckgebunden für Investitionen in die Infrastruktur zurVerfügung stehen . Das ist in der Tat ein Riesenerfolg fürdie Investitionen in unser Land und für die dauerhafteFinanzierung unserer Infrastruktur .
Damit räumen wir der Infrastrukturfinanzierung einenStellenwert ein, der in der Vergangenheit so nie da gewe-sen ist: Die Milliarden Euro an Einnahmen auf der Stra-ße, die jährlich von den Autofahrern kommen, entziehenwir der Begehrlichkeit der anderen Politikfelder . Die Au-tofahrer können in Zukunft sicher sein: Gelder, die siefür die Maut bezahlen, die sie auf der Straße bezahlen,landen wieder sicher in der Infrastruktur .
Das heißt, dass jeder Investitionshaushalt im Ver-kehrsbereich in Zukunft eine feste Grundausstattung von10 Milliarden Euro im Jahr haben wird . Damit sind Er-halt und Betrieb der Straßen langfristig gesichert . Des-halb ist die Maut ein zentraler Baustein des Systemwech-sels hin zur Nutzerfinanzierung. Ohne die Pkw-Maut gibtes diese Zweckbindung nicht, gibt es die 10 MilliardenEuro jedes Jahr aus dem Zusammenspiel von Pkw-Mautund Lkw-Maut nicht und auch keine dauerhafte stabileFinanzierungsbasis .Klar ist, dass es bei einem Systemwechsel nicht zueiner Doppelbelastung von Autofahrern, die jetzt schonan der Finanzierung teilhaben, kommen darf . Ich glau-be, dass es sogar logisch ist, dass wir bei so einem Sys-temwechsel darauf achten, dass keiner am Schluss mehrbelastet wird .
Wer nutzt, der zahlt, und keiner zahlt doppelt – das istdie Devise bei der Einführung der Infrastrukturabgabe .Wir schaffen mit dieser Einführung endlich Gerechtig-keit auf unseren Straßen .
In Zukunft wird niemand mehr „von Grenze zu Grenzerauschen und dabei . . . Abgase und kaputte Straßen hin-terlassen können“ .
Das sind nicht meine Worte . Das ist ein wörtliches Zitatdes ehemaligen verkehrspolitischen Sprechers der Grü-nen, Albert Schmidt . Herzlichen Glückwunsch dazu!
Ja, ich weiß, so ein Vernunftgrüner wie Schmidt gehtIhnen in Ihrer Fraktion heute komplett ab . Momentansind Sie nur noch besetzt mit einer ganzen Reihe vonVerkehrspessimisten . Das kann man bei allen Vorschlä-gen, die Sie in Ihrem Wahlprogramm aufgeschrieben ha-ben, eindeutig nachlesen . Sie lassen nichts unversucht,den Menschen die Mobilität zu verweigern . Sie wollenBundesminister Alexander Dobrindt
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die Totalmaut einführen, wo jeder Kilometer einzelnberechnet und einzeln bepreist wird, wo man Tag undNacht genau weiß, auf welchem Stück Autobahn sich dieMenschen bewegen, und dafür sollen sie einzeln bezah-len . Das schadet den Pendlern, das schadet den Familien,das schadet denen, die aufs Auto angewiesen sind . Siewollen die Kfz-Steuer erhöhen, Sie wollen den Sprit ver-teuern, Sie wollen den Infrastrukturausbau verhindern .Sie haben jetzt sogar ein Neubaumoratorium für Straßengefordert .Meine Damen und Herren, um auch das sehr deutlichzu sagen: Sie sind und bleiben eine straßenfeindlicheEntmobilisierungspartei . Sie setzen immer nur auf Be-lastungen, auf Verbote .
Wir wollen Mobilität ermöglichen, und das bei einer gu-ten Infrastruktur, und die muss finanziert werden.
Dabei setzen wir auch noch die richtigen Anreize . DieHöhe der Pkw-Maut richtet sich konsequent nach denUmwelteigenschaften des Fahrzeugs .
Wir haben damit eine ökologische Steuerungswirkung .
Das heißt im Klartext: Besonders umweltfreundlicheFahrzeuge profitieren, Elektrofahrzeuge sind komplettvon der Maut befreit, Halter von Fahrzeugen der KlasseEuro 6 werden noch zusätzlich entlastet; das ist Teil derVereinbarung mit der Europäischen Kommission . Insge-samt ist das eine Entlastung um 100 Millionen Euro proJahr .
Das ist in der Tat die erste Maut, die nach ökologischenGrundsätzen ausgestattet ist .
Es sollte Ihnen doch eigentlich gefallen, dass wir eineMaut haben, die auch ökologisch einen besonderen Werthat, weil diejenigen entlastet werden, die besonders sau-bere Autos fahren .
Die Pkw-Maut leistet also mit ihren Einnahmen undder Zweckbindung
einen erheblichen Beitrag zur Finanzierung unserer In-frastruktur . Sie wird damit den Investitionshochlauf,den übrigens die Große Koalition gemeinsam in dieserWahlperiode beschlossen hat, weiter verstetigen . Wir ha-ben in dieser Wahlperiode einen Rekordmittelaufwuchsvon 40 Prozent bei den Investitionen in die Infrastruk-tur hinbekommen, und die Maut wird der Garant dafürsein, dass dies auch in Zukunft weiter fortgeführt wirdund damit die Grundlage für Wachstum, Wohlstand undArbeit in diesem Land gesichert ist: eine gute Infrastruk-tur, meine Damen und Herren .
Es bleibt dabei: Die Infrastrukturabgabe ist fair, sie istsinnvoll, sie ist gerecht . Sie ist fair, weil sie bei den meis-ten unserer Nachbarn genauso durchgeführt wird . Sie istsinnvoll, weil jeder Euro, den wir einnehmen, wieder inunsere Infrastruktur investiert werden wird,
und sie ist gerecht, weil wir diejenigen angemessen ander Finanzierung unserer Straßen beteiligen, die sie bis-her kostenlos nutzen . Das, meine Damen und Herren, istdie Grundlage der Infrastrukturabgabe, der Maut: fair,sinnvoll und gerecht; und genau so wird sie umgesetzt .
Ich habe mir ja in den letzten Monaten in dieser De-batte sehr viele falsche Argumente angehört .
Alles das, was in der Vergangenheit dazu von Ihrer Seiteerzählt worden ist, es gebe zum Beispiel keine EU-Kon-formität, war falsch .
Die Aussage, es gebe keine Einnahmen, war falsch, dieAussage, es sei diskriminierend, war falsch . Alles, wasSie an dieser Stelle erzählt haben, war grundsätzlichfalsch .Deswegen setzen wir sie jetzt im Einvernehmen mitder EU-Kommission auch um .
Da gibt es jetzt noch Debatten, übrigens in besonderemMaße in einem unserer Nachbarländer . Und auch das willich erwähnt haben: Ich habe für diese ständige Mautmau-lerei aus Österreich überhaupt kein Verständnis .
Österreich hat es vor über 20 Jahren richtig gemacht . Siehaben bereits damals ein Mautsystem eingeführt
Bundesminister Alexander Dobrindt
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und damit die Grundlage für die Investitionen in ihreStraßen gelegt, und wir zahlen ganz selbstverständlichunsere Beiträge, wenn wir auf Österreichs Straßen un-terwegs sind . Aber die gleiche Selbstverständlichkeiterwarten wir auch von den Österreichern, wenn sie aufdeutschen Straßen unterwegs sind .
Die innenpolitische Debatte in Österreich, die ich zur-zeit verfolge, die nach dem Grundsatz geführt wird: „Ja,jeder, der nach Österreich fährt, der soll auch für Öster-reichs Straßen einen Beitrag leisten, aber Österreichersollen unter keinen Umständen auf deutschen Straßeneinen Beitrag leisten“, folgt keinem europäischen Ge-danken, liebe Freunde . Auch diesen Fehler werden wirkorrigieren .Danke schön .
Das Wort erhält nun der Kollege Herbert Behrens für
die Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Minister versteckt sich erneut hinter seinen Sprechbla-
sen, die wir hier zum x-ten Male hören,
um nachzuweisen, dass es angeblich gerecht zugehen
soll, dass es europarechtskonform sei, dass es Einnah-
men aus dem gebe, was er Infrastrukturabgabe nennt,
was aber in Wirklichkeit eine Ausländermaut ist .
Wir sind der Meinung: Damit muss Schluss sein; denn
diese Sprechblasen verhindern nur, dass man dahinter
das sehen kann, was gemeint ist . Mit diesen Sprechbla-
sen wird verdeckt, dass es einen erheblichen Aufwand
gibt, dass es Bürokratie gibt, die viele tausend Menschen
bindet, die damit konfrontiert werden, diese Maut abzu-
wickeln . Es ist ein irrsinniger Aufwand, der betrieben
wird, um vielleicht 500 Millionen Euro einzunehmen,
vielleicht aber auch gar nichts; wahrscheinlich geht es
ins Minus .
Wir wissen, dass die deutschen Autofahrer 3 Milliar-
den Euro zahlen sollen; das ist sicher . Angeblich sollen
die Ausländer 700 Millionen Euro aufwenden, um Auto-
bahnvignetten zu kaufen; das ist nicht sicher . Wir wissen,
dass die Behördenmitarbeiter 43,5 Millionen Bescheide
verschicken müssen, in denen den Autofahrern klarge-
macht wird: Sie müssen zwar zahlen, aber sie werden
entlastet . Das Personal dafür soll es angeblich geben . Si-
cher ist das nicht . Sicher ist auf jeden Fall der Aufwand,
der betrieben werden muss .
Das ist eine Sache, die wir so nicht akzeptieren können,
wenn der Preis dafür möglicherweise ein Minusgeschäft
ist .
Ich habe versucht, mir dieses aufwendige Spektakel
zu erklären. Mir fiel dazu nur eine Satire von Ephraim
Kishon ein, nämlich Der Blaumilchkanal . In dieser Ge-
schichte ist ein Mensch aus der Psychiatrie ausgebro-
chen, schnappt sich einen Presslufthammer und reißt
eine Hauptstraße in Tel Aviv auf . Keiner fragt nach: Was
soll das? Keiner fragt nach: Wer hat dich beauftragt?
Keiner fragt nach: Was ist das Ziel dieser Maßnahme?
Im Gegenteil: Polizei und Stadtverwaltung mischen sich
ein und stellen Absperrungen zur Verfügung . Die Polizei
regelt den Verkehr, und alles geht seinen Gang . Am Ende
gibt es einen Kanal mitten durch Tel Aviv, und die Stadt-
verwaltung macht sich dieses Projekt zu eigen, obwohl
sie es nie beschlossen hat, obwohl sie es nie kontrolliert
hat . Sie feiert sich dafür, dass es jetzt einen Kanal in Tel
Aviv gibt . Während man sich selbst feiert, ist Kasimir
Blaumilch mit seinem Presslufthammer schon in einer
Nebenstraße zugange . Das ist die Parallele zu dem, was
hier mit der Maut passiert . Keiner fragt nach, keiner kon-
trolliert, und keiner sagt, was Ziel und Sinn des Ganzen
ist .
Vielleicht haben wir es aber auch nicht mit einer Sa-
tire zu tun, sondern mit einem Projekt, das mit großem
Aufwand vernebeln soll, was eigentlich dahintersteckt .
Die geheimen Gutachten, über die jetzt die Berliner Zei-
tung berichtet, zeigen auf, wohin die Reise gehen soll .
Dort wird berichtet, die Infrastrukturabgabe sei zentra-
les Merkmal der Bundesfernstraßengesellschaft, also der
Gesellschaft, mit der die Privatisierung der Infrastruk-
tur vorbereitet werden soll . In den Gutachten steht, dass
nicht mit 3 Milliarden Euro Infrastrukturabgabe gerech-
net wird, sondern mit 5,2 Milliarden Euro . Dort steht
auch nicht, dass die Maut erstattet werden kann, sondern
dort ist die Rede von einem Zuwachs, einem Aufwuchs .
Das muss uns doch höchst aufmerksam machen . Eigent-
lich müssten wir zu der Schlussfolgerung kommen, dass
dieses Gesetz heute nicht beschlossen werden darf .
Stattdessen sollte ein anderes Gesetz beschlossen
werden . Unsere Fraktion hat einen entsprechenden Ge-
setzentwurf vorgelegt . Darin steht, dass die Infrastruk-
turabgabe sofort versenkt werden soll . Wir müssen noch
einmal neu darüber nachdenken, wie wir die Verkehrsin-
frastruktur finanzieren wollen.
Ich erinnere mich an die denkwürdige Rede des neuen
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bundesminister Alexander Dobrindt
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Aber es gibt auch . . . die schleichende Erosion voninnen: durch Gleichgültigkeit, Trägheit und Teil-nahmslosigkeit oder . . . die Anfechtung durch jene,die Parlamente und demokratische Institutionennicht mehr als Ort für politische Lösungen sehenwollen, sondern als Zeitverschwendung diskreditie-ren . . .Das trifft ein Stück weit auf das Mautgebaren derGroßen Koalition zu . Gleichgültigkeit, Trägheit undTeilnahmslosigkeit sehe ich bei Ihnen, Kolleginnen undKollegen von der SPD, wenn der einzige Einwand ge-gen dieses unsinnige Gesetz der ist: Wir haben aber einezweijährige Frist hineingeschrieben; nach dieser mussdas Gesetz überprüft werden . – Das ist Trägheit . Das istkeine kritische Überprüfung des Ganzen .
Der Bundespräsident sprach von jenen, die Parlamen-te nicht mehr als Ort für politische Lösungen ansehenwollen . Dieser Satz betrifft offensichtlich den Bundes-verkehrsminister . Seine Missachtung drückt sich nichtnur in der Qualität der Beantwortung von Anfragen aus,sondern auch in dem Tempo, mit dem sowohl das ersteGesetz durchgeprügelt worden ist als auch der Gesetzent-wurf, den wir jetzt vor uns haben, durchgeprügelt werdensoll . Binnen 24 Stunden sollten sich die Fachverbändedazu äußern . Binnen 14 Tagen sollte sich das Parlamentabschließend mit dieser Frage befasst haben und zu ei-nem Ergebnis kommen .Ich hoffe, dass der Bundespräsident seine Worte ernstmeint, wenn er sagt, was er alles tun wird . Er sagte:Ich werde parteiisch sein, parteiisch, wenn es umdie Sache der Demokratie selbst geht . . . . Partei er-greifen werde ich auch für Europa .Herr Bundespräsident, seien Sie bitte europäisch, und un-terschreiben Sie dieses Gesetz nicht . Dieses Gesetz darfnicht in Kraft treten!
Sören Bartol ist der nächste Redner für die SPD-Frak-
tion .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Vor gut drei Jahren ist die SPD in eine Koaliti-
on mit CDU und CSU gegangen . Wir waren gut vorberei-
tet . Unsere Liste an Projekten, mit denen wir die Dinge in
unserem Land besser machen wollten, war lang . In den
Koalitionsverhandlungen haben wir schnell gemerkt,
dass von CDU und CSU wenig kam .
Deshalb konnten wir viele unserer Forderungen in den
Koalitionsvertrag hineinverhandeln .
In den letzten drei Jahren haben wir in der Koalition
ein sozialdemokratisches Projekt nach dem anderen ab-
gearbeitet . Die Rente mit 63: im April 2014 im Bundes-
tag beschlossen und damit seit fast drei Jahren in Kraft .
Der Mindestlohn für alle: im Juli 2014 beschlossen und
damit seit über zwei Jahren in Kraft .
Wir haben die doppelte Staatsbürgerschaft modernisiert:
2014 beschlossen und damit seit über zwei Jahren in
Kraft . Mehr Frauen in Führungspositionen in Unterneh-
men: im März 2015 im Bundestag beschlossen und seit
einem Jahr in Kraft .
Die Bekämpfung von Missbrauch bei Leih- und Zeit-
arbeit: im Oktober 2016 im Bundestag beschlossen, ab
April in Kraft .
Damit haben wir in unserem Land vieles zum Guten
verändert .
Vor der Wahl 2013 haben wir gesagt, was wir tun werden .
Nach der Wahl haben wir das gemacht, was wir vorher
angekündigt haben .
Herr Kollege, ich mache Sie darauf aufmerksam:
Wenn Sie noch zum Thema reden wollen, kann ich Ihnen
deswegen nicht die Redezeit verlängern .
Herr Lammert, das Schöne ist: Das kommt noch .Und die Union? Man könnte meinen, ihr weltbewe-gendstes Projekt sei die Pkw-Maut . Um sie zu verab-schieden, brauchen wir, weil es so schön war, heute einenzweiten Anlauf; denn der erste Entwurf war von HerrnSchäuble, aber auch von Herrn Dobrindt so schlecht vor-bereitet .
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Unsere Vorhaben sind bereits in Kraft und wirken . CDUund CSU müssen bei der Pkw-Maut darauf hoffen, dassdie nächste Bundesregierung ihr Lieblingsprojekt frühes-tens 2019 umsetzt . Ob sie dann noch daran beteiligt sind,ist offen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in den Medien istderzeit viel von den großen Herausforderungen die Rede,vor denen Deutschland steht. Häufig wird dabei auf dieKanzlerin, die jeden Tag hart für die deutschen Interes-sen arbeite, verwiesen . Da kann ich verstehen, wenn sichBürgerinnen und Bürger fragen, warum ausgerechnet diePkw-Maut gerade jetzt das wichtigste Thema im Bundes-tag sein soll .
Glauben Sie mir: Wir hätten gerne auf die Abstim-mung am heutigen Tag verzichtet . Dass wir kein Freundder Pkw-Maut sind, dürfte jedem hier im Saal bekanntsein .
Vor zwei Jahren haben wir die Pkw-Maut schon einmalmit auf den Weg bringen müssen .
Damals hat die EU-Kommission dem Bundesfinanzmi-nister und dem Verkehrsminister das Stoppschild gezeigt .Für den unionsinternen Frieden hat die BundeskanzlerinHerrn Juncker von der EU-Kommission bitten müssen,bei der Pkw-Maut ein Auge zuzudrücken .
Anstatt sich um die Probleme mit unseren europäischenNachbarn zu kümmern, musste die Kanzlerin in Brüsselfür das Projekt der CSU zu Felde ziehen – die gleicheKanzlerin im Übrigen, die als Kandidatin 2013 im Fern-sehduell mit Herrn Steinbrück versichert hatte, mit ihrwürde es niemals in Deutschland eine Pkw-Maut geben .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD stimmtheute unter großen Bauchschmerzen der Pkw-Maut zu .
Damit zeigen wir, dass man sich in einer Koalition auchin schwierigen Situationen auf uns verlassen kann .
Wir stehen zu unserem Wort . Jede Koalition braucht kla-re Regeln . Wir sind ein verlässlicher Partner .
Uns ist auch klar: Wenn dieses Projekt von CSU undCDU heute keine Mehrheit im Deutschen Bundestag be-käme, würden beide alle noch ausstehenden Projekte undVorhaben blockieren . Wir wollen diese Koalition jedochbis zum Sommer gut und verlässlich zu Ende bringen,eben weil es noch immer einiges zu erledigen gibt .Meine Damen und Herren, wir haben im Koaliti-onsvertrag zwei Bedingungen für unsere Zustimmungvereinbart . Diese gelten nach wie vor: Kein deutscherAutofahrer darf durch die Pkw-Maut zusätzlich belastetund kein europäischer Nachbar aus dem Ausland diskri-miniert werden .
Für die SPD ist es eine Frage der Gerechtigkeit, dass Mo-bilität in Deutschland bezahlbar bleibt . Pendlerinnen undPendler, die tagtäglich mit dem Auto zur Arbeit fahren,dürfen nicht zusätzlich belastet werden .
Die SPD ist der Garant dafür, dass mit diesem Gesetzkein Inländer mehr bezahlen muss .
Nach dem Wink der Bundeskanzlerin in RichtungHerrn Juncker in Brüssel hat die EU-Kommission einigekleine Änderungen gefordert, die wir heute im Bundes-tag beschließen werden . Daraufhin wird die EuropäischeUnion ihr Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutsch-land zurückziehen . Damit müssen wir davon ausgehen,dass die Pkw-Maut mit diesen Änderungen mit euro-päischem Recht vereinbar ist . Gegen die Meinung derHüterin der europäischen Verträge können wir schlechtandiskutieren .Es bleibt die Frage der Einnahmen . Die einen Ex-perten haben uns vorgerechnet, dass es keine Einnah-men gibt, andere Experten haben vorgerechnet, dass esmindestens eine halbe Milliarde Euro zusätzlich für dieReparatur bröckelnder Brücken und die Beseitigung vonEngpässen geben wird . Damit erleben wir die gleicheSituation wie vor zwei Jahren. BundesfinanzministerWolfgang Schäuble hat seinen Staatssekretär Jens Spahneinen Brief an uns schreiben lassen . In diesem lässt eruns übermitteln, dass er keine Zweifel an den Prognosendes Bundesverkehrsministers hat . Liebe Kolleginnen undKollegen von der Union, ich versichere Ihnen: DiesesSchreiben werden wir uns einrahmen und auf Wieder-vorlage legen .
Herr Schäuble, Herr Spahn, falls uns die Pkw-Maut docheines Tages um die Ohren fliegen sollte, werden wir es,Sören Bartol
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wo immer Sie dann in diesem Hause sitzen werden, ausder Tasche ziehen .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, offenbar sind dieKriterien aus dem Koalitionsvertrag erfüllt . Daher wer-den wir als SPD-Bundestagsfraktion heute mehrheitlichdem zweiten Anlauf zur Einführung einer Pkw-Maut zu-stimmen .In den Diskussionen – insbesondere mit der CDU –mussten wir erleben, dass alle kritischen Äußerungenvon Frau Kramp-Karrenbauer zu den Grenzregionennicht den geringsten Einfluss auf die Linie unseres Ko-alitionspartners hatten . Was für ein schlechtes Standingeiner Ministerpräsidentin!
Nachdem ich von der gleichen Ministerpräsidentinvorgestern dann auch noch gelesen habe, dass die Pkw-Maut gar nicht kommt, frage ich mich wirklich: Was solldas? Ich bin mir sicher, am Sonntag werden die Wähle-rinnen und Wähler im Saarland dieser Doppelzüngigkeiteine Absage erteilen .
Auch die Aussagen von Frau Klöckner aus Rhein-land-Pfalz blieben folgenlos . Gleiches gilt für den Pro-test der CDU-Abgeordneten aus Nordrhein-Westfalen,Rheinland-Pfalz und dem Saarland . Erst schreiben SieBriefe, in denen Sie den Bundesverkehrsminister auf-fordern, die Pkw-Maut nicht erneut im Bundeskabinettbeschließen zu lassen, und dann vergessen Sie im ent-scheidenden Moment im Bundestag Ihre Kritik und sindnicht auf dem Platz . Das ist wenig hilfreich .Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass aus der CSU-Maut inzwischen endgültig ein gemeinsames Projekt vonCDU und CSU geworden ist .
Ohne Verbündete in der CDU, die nicht nur reden, son-dern sich in dem entscheidenden Moment auch nichtwegducken, hatten wir am Ende keine Chance .
Die SPD zeigt heute, dass sie ein verlässlicher Part-ner ist . In einer Koalition handeln beide Vertragspartnerjeweils ihre wichtigsten Ziele aus . Dafür muss man Zu-geständnisse machen . Wenn wir etwas verhandelt undvereinbart haben, liefern wir . Eines unserer bleibendenZeugnisse dafür ist der Mindestlohn . Ihr bleibendesZeugnis wird die Pkw-Maut sein .
Auf uns kann man sich verlassen . Das Gleiche erwarteich bei anderen Themen dann allerdings auch von CDUund CSU . Zeigen auch Sie, dass Sie zu Ihrem Wort ste-hen .
Es gibt noch genügend Projekte aus dem Koalitionsver-trag, bei denen Sie in der Pflicht stehen. Geben Sie end-lich Ihre Blockade beim Gesetz für mehr Lohngerechtig-keit zwischen Mann und Frau auf!
Beenden Sie Ihren Widerstand bei der Solidarrente! Ge-ben Sie Mieterinnen und Mietern mehr Rechte!Wir wollen diese Koalition ordentlich zu Ende brin-gen – verlässlich und zum Wohle unseres Landes .
Deshalb werden wir – auch wenn es vielen meiner Kol-leginnen und Kollegen schwerfällt – den Änderungen ander Pkw-Maut und der Kfz-Steuer heute mehrheitlichzustimmen .Vielen Dank .
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der
Kollege Anton Hofreiter das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU undder SPD, Sie wissen doch selbst, dass Sie heute Teil einerpeinlichen Posse sind .
Sie wissen doch selbst, dass diese sogenannte Große Ko-alition heute nichts anderes ist als die Beute einer kleinenProvinzpartei aus Bayern, und Sie sollten sich für Ihr Ab-stimmungsverhalten schämen .
Ich komme noch einmal ganz kurz zu dem Unsinn,den der Minister erzählt hat, und zähle auf, was wirklichSören Bartol
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ist: Eine Pkw-Maut in dieser Form ist schlecht für dieGrenzregionen; denn sie führt wieder neue Grenzen ein .
Sie ist schlecht für Saarbrücken, sie ist schlecht für Aa-chen, sie ist schlecht für Flensburg .Ich würde mir einmal wünschen, dass die Verantwort-lichen von CDU und SPD in den Landesregierungen auchden Mut hätten, deutlich etwas dagegen zu unternehmenund nicht bloß öffentliche Reden zu halten, sondern dort,wo es darauf ankommt, auch die Hand zu heben .
Zu den Einnahmen . Der Minister hat wiederholt be-hauptet, dass in Österreich, in Italien und in Frankreichgenau die gleiche Maut eingeführt wurde wie die bei unsgeplante und dass alle zahlen müssen .
Wissen Sie, was der Unterschied zwischen uns und Itali-en, Frankreich und Österreich ist? Dort zahlen wirklichalle Bürgerinnen und Bürger, die einheimischen und dieausländischen . Sie haben daraus etwas völlig anderesgemacht: Sie haben sie zu Ihrem rechtspopulistischenWahlkampfschlager gemacht, indem Sie sie zu einerAusländermaut erklärt haben . Es gibt aber keine diskri-minierungsfreie Diskriminierung . Deshalb: Hören Sieauf, hier die Unwahrheit zu erzählen .
Morgen werden 60 Jahre Römische Verträge gefeiert .Dazu wird Frau Merkel wieder schöne Worte finden. Wirhaben Sie von der Großen Koalition aufgefordert, HerrKauder – Herr Oppermann ist nicht einmal da –, dass eseine vereinbarte Debatte zu 60 Jahre Römische Verträgegibt .
Sie haben sich verweigert . Stattdessen führen wir eineDebatte zu diesem völlig absurden Projekt .Wissen Sie, das, was Sie 2013 beschlossen haben, warschon eine Peinlichkeit . Es war eine Peinlichkeit für SPDund CDU . Es war dreist, dass Sie der Provinzpartei ausBayern, die auch für Bayern eine Schande ist, nachgege-ben haben .
Aber in diesen vier Jahren ist viel passiert . Die Euro-päische Union ist deutlich tiefer in die Krise geraten .
Was macht die Kanzlerin des größten und wichtigstenLandes innerhalb der Europäischen Union? Sie verbrenntihr politisches Kapital, um die EU-Kommission dazu zubringen, diesem europafeindlichen Projekt zuzustimmen .Schämen Sie sich!
Die Europäische Union hat Besseres verdient .
Wir brauchen die Europäische Union . Wir müssen dieEuropäische Union retten . Mit Ihrem Verhalten schadenSie der Europäischen Union . Nehmen Sie endlich IhreVerantwortung an .
Jetzt schauen wir uns einmal die SPD an .
Die SPD hat ja jetzt ihren 100-Prozent-Schulz, der glaubt,über Wasser laufen zu können .
Aber in dem Moment, in dem die SPD in der politischenWirklichkeit ankommt, ist sie wieder ganz, ganz klein .
Wieso stimmen Sie von der SPD nach der Rede vonHerrn Bartol den Gesetzentwürfen zu?
Wissen Sie, in Koalitionen muss man Kompromisse ma-chen .
Aber es kann einen auch in Koalitionen niemand dazuzwingen, den größten Unsinn mitzumachen .
Das macht man freiwillig . Alle, die Sie hier heute sitzen,werden gleich bei der Abstimmung freiwillig die Handheben und danach freiwillig aufstehen . Deshalb könnenSie sich nicht hinter der Koalitionsvereinbarung verste-cken . Deshalb ist es nicht mehr nur eine CSU-peinlicheMaut, sondern auch eine CDU-peinliche Maut und eineSPD-peinliche Maut .
Dr. Anton Hofreiter
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Das zeigt: Diese Große Koalition gehört dringendweg; denn sie ist ein Schaden für unser Land . Heute istein schlechter Tag für unser Land .
Es ist ein schlechter Tag für die Grenzregionen . Es ist einschlechter Tag für unseren Haushalt . Es ist ein schlechterTag für Europa .
Ich kann nur noch einmal an Sie appellieren: StimmenSie dem Ganzen nicht zu! Dann würden Sie endlich ein-mal Rückgrat beweisen und Größe und Stärke zeigen .Vielen Dank .
Steffen Bilger ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zunächst: Kollege Hofreiter, ich habe nicht das Gefühl,dass die Wähler in Bayern den Eindruck haben, die CSUsei eine Schande für Bayern . Im Gegenteil: Die Zustim-mungswerte für die CSU sprechen eine deutlich andereSprache .
Aber zurück zur Maut . Die Argumente dazu sind aus-getauscht . In manchen Beiträgen gerade kamen nichtbesonders viele inhaltliche Argumente . Aber wir habenüber die Maut schon viele Jahre diskutiert . Es ist gut,dass wir heute über die Einführung der Infrastrukturab-gabe endgültig abstimmen .In diesem Zusammenhang sind ein paar Aussagen ge-macht worden, die mich verwundert haben . Es handeltsich nach all den Diskussionen, die wir die ganzen Jahreschon geführt haben, und nach den vielen Anhörungen,die wir hatten, mit Sicherheit nicht um ein Durchprügelndieser Gesetze .Auch habe ich eine andere Erinnerung an unsere Ko-alitionsverhandlungen . Ich habe in Erinnerung, dass wirzusammengekommen sind und in der Verkehrspolitiküberlegt haben: Welche gemeinsamen Projekte sind unswichtig? Die Parteien haben unterschiedliche Ansätzeeingebracht . Aber wir haben uns in den Koalitionsver-handlungen über die Pkw-Maut sehr konstruktiv ausei-nandergesetzt .Und so war es auch die ganzen Jahre mit der SPD .Wir haben gemeinsam konstruktiv daran gearbeitet, wiewir dieses Gesetz umsetzen, und ich weiß nicht, KollegeBartol, ob es richtig ist, jetzt die Bilanz dieser Regierungso schlechtzureden nach allem, was wir auch gemeinsamerreicht und in Deutschland vorangebracht haben .
Nun habe ich wenig Hoffnung, dass es mir heute mitmeiner Rede gelingen wird, diejenigen zu überzeugen,die schon immer gegen die Maut waren . Umgekehrt wirdes denjenigen, die dagegen waren, heute aber auch nichtgelingen, mich von ihrer Position überzeugen . Ich willmich bei meinen Ausführungen auf die Diskussionsbei-träge beschränken, die seit unserer letzten Debatte zurInfrastrukturabgabe vor zwei Wochen geäußert wurden .Ich will aber auch für alle Interessierten, die unsere De-batte außerhalb des Bundestags verfolgen, die wesentli-chen Argumente für unser Vorhaben kurz erläutern .Zunächst einmal waren Zweifel an der Einnahmen-seite der Maut geäußert worden, auch von Rednern derSPD in der letzten Debatte . Ich bin sehr froh, dass dieseZweifel nach unseren Sachverständigenanhörungen undnach der Mitteilung des Bundesfinanzministeriums aus-geräumt werden konnten. Das Bundesfinanzministeriumhat bestätigt, dass die Einnahmenerwartungen realistischsind, meine Damen und Herren .
Die Einnahmen aus der Infrastrukturabgabe werdeneinen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung unseresInvestitionshochlaufs leisten . Diese mehrere HundertMillionen Euro, die wir Jahr für Jahr als zusätzliche Ein-nahmen erwarten können, werden uns helfen, die Infra-struktur in unserem Land auf den erforderlichen Standzu bringen, und es ist Zeit dafür, und es gut, dass wir dasendlich erreichen .
Einmal mehr will ich unterstreichen, dass die Pkw-Maut ja nicht die einzige Maßnahme ist, um die Infra-struktur ausreichend zu finanzieren. Hinzu kommen zu-sätzliche Haushaltsmittel und zusätzliche Einnahmen ausder Ausweitung der Lkw-Maut .All denen, die nun Sorgen wegen der Grenzregionengeäußert haben, kann ich nur sagen: Wir haben uns in-tensiv mit dieser Frage auseinandergesetzt . Wir wollenweder Nachteile für Handel oder Gastronomie nochAusweichverkehre zum Nachteil von Anwohnern . Abergenau deshalb haben wir dieses Problem gelöst: Die In-frastrukturabgabe wird für Ausländer nur auf Autobah-nen fällig . Wir wollen also diejenigen, die unsere Straßennutzen, um durch unser Land zu fahren und um weitereStrecken auf den Autobahnen zurückzulegen, an der Fi-nanzierung unserer Infrastruktur beteiligen . Das ist nurfair, meine Damen und Herren .
Es bleibt dabei: Bundesstraßen, Landstraßen undkommunale Straßen können mautfrei von den ausländi-schen Gästen genutzt werden . Und auch wenn ein Gastaus dem Ausland über die Autobahn zu seinem Ziel an-reisen muss, wird er doch nicht wegen dieser paar Euro,Dr. Anton Hofreiter
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die für die Maut fällig werden, auf den Einkauf oder dieÜbernachtung in Deutschland verzichten .Jetzt wurde noch vorgeschlagen, es solle ein mautfrei-er Korridor an der Grenze eingerichtet werden . Da kannman nur fragen: Wo soll der denn enden? Auch darüberhaben wir lange diskutiert . Es gäbe erneut Ungerechtig-keiten bei der Festlegung eines solchen Korridors . Wirmüssten alle Grenzregionen mit einem Schilderwaldüberziehen . Das macht nun wirklich keinen Sinn . Wir ha-ben uns bei dem jetzigen Vorschlag schon etwas gedacht .Dann wurde auch gerade eben teilweise eingewandt,das Projekt sei uneuropäisch . Auch in der Debatte vorzwei Wochen wurde dieses Argument schon genannt .Dazu kann ich nur sagen: Lassen wir doch die Kirche imDorf . Die Slowenen, die Österreicher, die Schweizer –das sind doch auch alles gute Europäer .
Unter dem Strich haben wir mit der Infrastrukturabgabedas gleiche System, das die Österreicher haben .
Deswegen kann man uns hier keine Europafeindlichkeitvorwerfen . Ich glaube nicht, dass die Pkw-Maut Europains Straucheln bringen wird, meine Damen und Herren .
In Deutschland wird nun eingeführt, was die meisteneuropäischen Staaten schon längst machen . Im Übrigenbefürwortet es die EU-Kommission, dass in ganz EuropaPkw-Mautsysteme eingeführt werden, weil es eben rich-tig ist, eine stärkere Nutzerfinanzierung zu verwirklichen.Also, noch einmal zusammengefasst: Wir stellen dienotwendigen Mittel für unsere Infrastruktur zur Verfü-gung . Dazu dienen auch die Einnahmen aus der Pkw-Maut . In einem langen Prozess, der heute seinen Ab-schluss findet, haben wir eine von der EU-Kommissionmitgetragene Lösung entwickelt, mit der keine Problemefür die Grenzregionen entstehen, mit der wir bei gerin-gen Bürokratiekosten zusätzliche Einnahmen erzielenwerden, die für die Infrastruktur zur Verfügung stehen .Dabei haben wir auch noch ökologische Aspekte berück-sichtigt, beispielsweise durch die Befreiung von Elektro-autos .Aus unserer Sicht sprechen die Argumente für dieEinführung der Infrastrukturabgabe, und ich bitte Sie ausÜberzeugung um Ihre Unterstützung .
Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Lutze für die
Fraktion Die Linke .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Eine Maut, die außerhalb des Parlaments niemand will,die nur sehr wenig – wenn überhaupt – zur Finanzierungder Verkehrsinfrastruktur beiträgt,
aber einen erheblichen Aufwand nach sich zieht, wollenSie heute wider besseres Wissen durchsetzen . ZahlreicheKollegen der CDU, aber auch der SPD sehen das kri-tisch . Es hilft aber alles nichts; denn heute wird mehr alsdeutlich: Eine große Koalition, wie wir sie im DeutschenBundestag derzeit erleben, hat sich überlebt . Die Debatteist ein klarer Beweis dafür .Liebe Kolleginnen und Kollegen, hören Sie bitte aufmit diesem Spuk!
Wenn Sie schon nicht auf die Opposition hören – dashaben Sie, glaube ich, noch nie gemacht –, dann hörenSie wenigstens auf die Anregungen des Bundesrates . EinBeispiel sind die Ausnahmeregelungen im grenznahenBereich .Meine Heimatstadt Saarbrücken liegt unmittelbar ander französischen Grenze . Jeden Samstag kommen Tau-sende Menschen, die in Frankreich leben, in die saar-ländische Landeshauptstadt, um dort einzukaufen . EineMaut ohne Ausnahmen an der Grenze wird fatale Folgenfür den Einzelhandel haben .Im benachbarten Frankreich wird eine Autobahnmautin aller Regel erst nach drei oder vier Abfahrten hin-ter der Grenze erhoben; die Franzosen wissen, warum .Eine vergleichbare Ausnahmeregelung bei der Maut imGrenzverkehr ist bei uns dringend notwendig .
Wenn Sie schon den Unsinn mit dieser Maut durchzie-hen wollen, dann hören Sie wenigstens auf die sinnvollenVorschläge aus dem Bundesrat .Mittelfristig muss aber das Verursacherprinzip beider Finanzierung der Verkehrsinfrastruktur besser an-gewandt werden . Nur eine Zahl: Ein 40 Tonnen schwe-rer Lkw belastet eine Autobahnbrücke rund 60 000-malstärker als ein Pkw mit 1 Tonne Gewicht . Wenn Sie alsoGeld brauchen, Herr Minister, um die Infrastruktur in-stand halten zu können, dann überprüfen Sie dringend dieHöhe der Lkw-Maut . Hier ist Geld da . Hier können Siefür Gerechtigkeit sorgen . Aber das tun Sie nicht – ganzim Gegenteil .
Wenn endlich daran gearbeitet wird, dass wieder deutlichmehr Güterfernverkehr auf die Schiene verlagert wird,dann sinken auch die Kosten für die Instandhaltung derStraßen .Steffen Bilger
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Sparen Sie sich also die lächerliche Pkw-Maut . Vertre-ten Sie auch die Interessen Ihrer Wählerinnen und Wäh-ler statt nur die Interessen einer CSU-Parteizentrale inMünchen .
Spätestens nach der Bundestagswahl wird es der Mautso ähnlich ergehen wie seinerzeit der Praxisgebühr . Siewird eine Randnotiz im Geschichtsbuch werden .Glück auf!
Bettina Hagedorn ist nun für die SPD die nächste Red-
nerin .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Herr Minister Dobrindt, Sie haben am Ende Ihrer Rede
vielen Kritikern an der Pkw-Maut im Parlament falsche
Aussagen in der Vergangenheit vorgeworfen. Das ist, fin-
de ich, eine starke Aussage von Ihnen .
Denn Sie haben in diesem Haus am 27 . März 2015 in
der zweiten und dritten Lesung zur Einführung der Pkw-
Maut gesagt: „Sie ist europarechtskonform . Glauben Sie
es endlich .“
Wenn es aber damals tatsächlich der Fall gewesen
wäre, müssten wir heute kein Änderungsgesetz beschlie-
ßen. Ich finde, dass es Ihnen gut zu Gesicht gestanden
hätte, Herr Dobrindt, das auch zuzugestehen .
Wir haben am Montag im Ausschuss eine Anhö-
rung durchgeführt . Hier ist immer wieder die Rede von
500 Millionen Euro Nettoeinnahmen pro Jahr . Es ist der
Wahrheit geschuldet, zu berichten, dass drei von vier
Sachverständigen gesagt haben: Wenn es überhaupt Ein-
nahmen gibt, dann gibt es sie im ersten Jahr . In den Fol-
gejahren drohen eher Minuseinnahmen .
Das ist auch eine tolle Wortschöpfung: Nettominusein-
nahmen . Der einzige Sachverständige, der das anders ge-
sehen hat, ist übrigens der, den das Verkehrsministerium
selbst bestellt hat .
Wenn vor diesem Hintergrund das Finanzministeri-
um – damit spreche ich den Kollegen Spahn als Staats-
sekretär von Finanzminister Schäuble an – bestätigt, was
es bereits getan hat, dass es 500 Millionen Euro Netto-
einnahmen geben soll – angeblich –, und wenn Sie so-
gar so mutig sind, in den Eckwertebeschluss der Bun-
desregierung für den Bundeshaushalt 2018 ab 2019 diese
500 Millionen Euro als Einnahmen aufzunehmen, dann
heißt das: Wenn die anderen Sachverständigen, wie ich
vermute, recht haben und es keine Einnahmen gibt, dann
fehlen im Bundeshaushalt bis 2021 1,5 Milliarden Euro
für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur .
Vor diesem Hintergrund will ich deutlich sagen, dass
ich heute hier mit großen Bauchschmerzen stehe . Aber
aus den Gründen, die der Kollege Sören Bartol für uns
alle in der SPD eindrucksvoll dargelegt hat, sage ich
auch: Ja, wir sind koalitionstreu . Ja, wir halten Verträ-
ge . – Kollege Hofreiter, wir verkämpfen uns nicht an der
falschen Stelle . Wir haben noch eine Grundgesetzände-
rung vor der Brust, und diese wollen wir gemeinsam mit
den Kollegen von der Union beschließen . Da wollen wir
der Infrastrukturplanungsgesellschaft noch die größten
Giftzähne ziehen . Das ist wichtiger als die Pkw-Maut .
Vielen Dank .
Ich erteile das Wort dem Kollegen Oliver Krischer für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Viele von uns haben Sympathie für die Bewegung Pul-se of Europe und unterstützen sie . Aber, meine Damenund Herren von Union und SPD, was sagen Sie eigent-lich diesen Menschen, die jeden Sonntagnachmittag aufMarktplätzen stehen, wenn Sie dieses antieuropäische,populistische Projekt verabschieden? Das ist ein Schlagins Gesicht aller Menschen, die sich für Europa einset-zen .
Was der Bundesverkehrsminister in seiner Rede überÖsterreich gesagt hat, drückt genau diese Mentalität aus .Das ist anti Europa . Das ist das Gegenteil dessen, wofürwir alle kämpfen .
Man kann sicherlich juristisch darüber streiten, wasalles mit dem Europarecht vereinbar ist . Aber das Euro-päische Parlament hat in der vergangenen Woche etwasRichtiges, und zwar – so vermute ich – mit Zustimmungzumindest der Sozialdemokratie, beschlossen . Dort heißtes, „dass eine Erstattungsregelung, die direkt oder indi-rekt auf der Staatsangehörigkeit beruht, eine Diskrimi-nierung darstellt, im Widerspruch zu den Leitprinzipiender Europäischen Union steht, der grenzüberschreitendenMobilität abträglich ist und den europäischen Binnen-markt schwächt“ . Ich sage: Das Europäische Parlamenthat recht . Es ist antieuropäisch, was Sie hier beschließen .Thomas Lutze
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Das haben Ihnen die Kolleginnen und Kollegen aus demEuropäischen Parlament ins Stammbuch geschrieben .
Liebe Kollegen von der SPD, mich interessiert, wieMartin Schulz dort abgestimmt hat . Ich frage mich, wieeigentlich die Position des Heilands und Kanzlerkandi-daten der SPD ist . Mir wurde in der vergangenen Wocheaus der Städteregion Aachen, zu der auch – hören Siegut zu! – Würselen gehört, die Position mitgeteilt, alleAbgeordneten sollten diese Maut ablehnen, weil sie dieStädteregion Aachen und die Grenzregionen schädigt .Warum tun Sie das nicht auch, wenn Sie hier schon da-gegenreden?
Dann möchte ich noch etwas zu den Einnahmen sa-gen . Liebe Sozialdemokraten, lieber Herr Hartmann undlieber Sören Bartol, in der letzten Woche haben wir hiergehört: Die Einnahmeprognose muss kommen; da mussetwas bestätigt werden . – Die Mehrheit der Sachver-ständigen in der Anhörung hat gesagt, dass diese Mautsogar ein Minusgeschäft wird . Wo, bitte schön, ist dieEinnahmeprognose? Sie haben eine solche Prognose so-gar im Koalitionsvertrag vorgesehen . Legen Sie sie auchvor! Nun gibt es ein Schreiben von Herrn Spahn, in demes sinngemäß heißt: Die Einnahmeprognose, die diesesParlament nicht kennt, ist richtig . – Wie geht das denn?Da wird eine Einnahmeprognose bestätigt, die niemandkennt . Das können wir Ihnen, liebe Sozialdemokraten,nicht durchgehen lassen .
Sie können heute dieses Mautprojekt ablehnen, weildie Bedingungen aus Ihrem eigenen Koalitionsver-trag nicht erfüllt sind . Seien Sie mutig! Hören Sie auf,draußen Mautopposition zu spielen, aber dann, wenn esdarauf ankommt, den Menschen Sand in die Augen zustreuen und hier zuzustimmen! Das ist nicht in Ordnung .
Sie haben der Bundeskanzlerin vorgeworfen, ein Ver-sprechen gebrochen zu haben . Aber Ihr Kandidat brichtes, bevor es überhaupt losgeht . Das werden wir Ihnennicht durchgehen lassen .
Philipp Murmann ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Vielleicht sollten wir die Emotionen ein
bisschen herunterfahren und wieder auf die Sachebene
kommen .
Herr Hofreiter, dass Sie hier einen Rumpelstilzchentanz
aufführen mit ein paar Parolen und Hetzkampagnen, wird
weder der Sache gerecht noch unserem demokratischen
Anspruch .
Ich finde, jeder Bürger hat den Anspruch, dass auch die
Grünen sich sachlich mit den Themen auseinandersetzen
und hier nicht einfach irgendetwas in die Luft blasen und
andere Leute auch noch diffamieren . Das tut Ihnen und
uns allen nicht gut .
Ich möchte gerne auf vier Punkte eingehen .
Erstens . Ja, wir haben einen Koalitionsvertrag . 2013
haben wir uns zusammengesetzt . Beim Aushandeln von
Koalitionsverträgen ist es so, dass jeder seine Projekte
hat, aber – das muss man auch sagen – am Ende wird
ein Gesamtpaket geschnürt . Ich weiß jetzt nicht, wo Herr
Bartol ist, aber wir haben verabredet, gemeinsam dieses
Spiel zu machen .
Wenn er sich nun in den Strafraum legt und überhaupt
nicht mehr auf die Argumente eingeht, ist das schon be-
denklich .
Darf ich die Kollegen, die dringende Gespräche füh-
ren müssen, darum bitten, das außerhalb des Plenarsaals
zu tun?
Bitte schön, Herr Murmann .
Danke schön . – Wir haben uns mit den Argumentenauseinandergesetzt . Es gibt natürlich viele positive Ar-gumente . Das hat die CDU davon überzeugt, bei diesemProjekt mitzumachen .
Oliver Krischer
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Ein positives Argument ist nämlich, dass wir Infrastruk-tur auf eine neue Finanzierungsbasis stellen, weil wir derMeinung sind: Infrastruktur ist für den Mittelstand in un-serem Land, der dezentral aufgestellt ist, ein prioritäresThema . Viele kleine und mittlere Unternehmen müssenzum richtigen Zeitpunkt, termingerecht liefern . Deswe-gen haben wir dieses Projekt beschlossen .
Zweitens . Wir haben gesagt, wir wollen keine Dop-pelbelastungen . Sie wissen, die Kfz-Steuer besteht ausHubraum- und CO2-Komponenten . Ich habe in meinerletzten Rede versucht, mit einem Beispiel deutlich zumachen, wie sich das rechnet . Wir haben jetzt eine Än-derung . Der Verkehrsminister hat noch einmal Gesprä-che auf EU-Ebene geführt, und er hat sich mit ihr aufeine Änderung verständigt, die zusätzliche Entlastungenin Höhe von 100 Millionen Euro für Euro-6-Fahrzeugebringt, also für die Fahrzeuge, die besonders wenig um-weltschädlich sind bzw . umweltfreundlicher sind .Es gibt eine langfristige Komponente mit 32 Centpro 100 Kubikzentimeter, und es gibt eine kurzfristigemit zusätzlichen 13 Cent, die nur für zwei Jahre gilt . Ichnenne zwei Beispiele: Es gibt den Polo vom KollegenSchwarz – ich sehe ihn im Moment nur da hinten sit-zen, er redet heute leider nicht –, für den er Kfz-Steuerin Höhe von 52 Euro zahlt . Er wird jetzt durch die Infra-strukturabgabe in Höhe von rund 30 Euro entlastet .Steffen Bilger hatte sich beschwert, dass ich ihm ei-nen BMW 730 zugeordnet hatte . Er hätte lieber einenMercedes gehabt . Okay, aber die Steuer bleibt am Endetrotzdem bei 390 Euro, weil das Auto sehr viel mehrKubikzentimeter, also einen größeren Hubraum, und hö-here CO2-Werte hat . Seine Entlastung würde eigentlich162 Euro betragen, er bekommt aber nur 130 Euro, weildie Entlastung nach den neuen Regeln gedeckelt ist . In-sofern werden kleinere Fahrzeuge deutlich besser gestelltals größere . Das ist auch Ziel dieses Projektes .Drittens. Einnahmen und Ausgaben wurden häufigerwähnt . Es gibt dazu sehr unterschiedliche Prognosen .Das BMVI hat uns die Rechnung vorgelegt, dass etwaEinnahmen in Höhe von 500 Millionen Euro zusätzlichentstehen . Es gibt Leute, die dies bezweifeln . Am Endegehen wir aber davon aus, dass auf jeden Fall ein positi-ver Betrag bleibt . Dabei sind natürlich sehr viele Parame-ter zu berücksichtigen .Es ist übrigens üblich, dass in Anhörungen einigeSachverständige die eine und andere eine andere Mei-nung vertreten .
– Ja gut, aber welche Sachverständigen gerade bei derAnhörung sind, macht im Ergebnis keinen Unterschied .Wir gehen davon aus: Die Infrastrukturabgabe wirdeinen positiven Beitrag leisten, auch wenn wir Ausgabenhaben . Es ist eine einmalige Umstellung, die natürlichauch zu einmaligem Aufwand, insbesondere was die Be-scheide angeht, führt . Der Zoll hat in der Anhörung ge-sagt, er sei noch nicht ganz sicher, ob die Mitarbeiter, diezur Verfügung gestellt werden, wirklich ausreichen . Wirhaben gesagt: Wir evaluieren dieses Gesetz nach zweiJahren und schauen, ob wir gegebenenfalls an der einenoder anderen Stelle nachsteuern müssen .Viertens . EU-Konformität . Ich denke, das ist jetzt ein-deutig geklärt .
Wir haben eine Nutzerabgabe, die es auch in anderenLändern, zum Beispiel in Österreich, gibt . Sie ist fürIn- und Ausländer . Da gibt es keinerlei Diskriminierung .Auch die Sachverständigen haben noch einmal klar ge-sagt: Die Kfz-Steuer ist eine rein nationale Steuer . Auchwenn in Österreich oder in Frankreich die Kfz-Steuersteigt oder sinkt, hat das mit Europa nichts zu tun . Inso-fern ist das eine Sache der nationalen Hoheit, die wir sosteuern können, wie wir das wollen .Es gibt vielleicht noch ein Thema: Die Gewerbetrei-benden mussten bisher natürlich keine Nutzerabgabezahlen, wenn sie Fahrzeuge unter 7,5 Tonnen fuhren,weswegen sie auch keine Lkw-Maut zahlen . Sie habenjetzt eine zusätzliche Belastung . Aber auch da sind wirder Meinung: Es gibt natürlich keinen Anspruch darauf,auf Dauer einen Wettbewerbsvorteil zu haben . Insoferngehen wir davon aus, dass das auch kein Thema ist .Summa summarum: Wir wollen den Umstieg in einenutzergebundene und auch zweckgebundene Finanzie-rung der Infrastruktur, weil wir das für sinnvoll halten .Wir wollen die Entlastung durch die Kfz-Steuer, die übri-gens besonders den Haltern kleiner Pkws zugutekommt .Im ersten Jahr nach Inbetriebnahme beträgt die zusätzli-che Steuerentlastung durch die ökologische Komponentefür die Euro-6-Fahrzeuge rund 100 Millionen Euro . Wirhaben das alles mit der EU abgestimmt . Insofern bitte ichum Ihre Zustimmung .Nach zwei Jahren evaluieren wir das noch einmal, unddann werden wir sehen, dass wir damit ein erfolgreichesGesetz auf den Weg gebracht haben und eine Änderungin der Infrastrukturfinanzierung schaffen.Danke schön .
Das Wort hat nun der Kollege Sebastian Hartmann fürdie SPD-Fraktion .
Dr. Philipp Murmann
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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Diese Debatte ist vollkommen über-flüssig.
Denn der Bundesverkehrsminister hat uns im Jahre 2015,und zwar am 24 . März, gesagt: „Mein Gesetz ist gut . Da-ran wird kein Wort geändert .“ Daran muss man sich mes-sen lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen . Ich sage Ih-nen: Man hätte das Ganze natürlich seit zwei Jahren aufden Weg bringen können . Es ist auf den Weg geschicktworden, und die EU-Kommission hat sich dazu verhal-ten .Tatsächlich – da muss man sich an den Fakten orientie-ren – stehen wir heute hier erneut und beschließen schondie erste Änderung am Infrastrukturabgabengesetz, be-vor diese Maut überhaupt in Kraft gesetzt worden ist .
Bleiben wir bei den Fakten . Mag die Pkw-Maut auchim Koalitionsvertrag stehen: Sie ist nicht zum 1 . Januar2016 scharfgestellt worden, und sie ist in dieser Legisla-turperiode auch nicht gekommen – allen Koalitionsver-sprechen zum Trotz .
Natürlich richte ich das Wort auch an den geschätz-ten Koalitionspartner: Ja, die SPD ist koalitionstreu .Weil sie koalitionstreu ist, können Sie auf eines zählen:auf die Zustimmung des weit überwiegenden Teils derSPD-Bundestagsfraktion . Aber im Koalitionsvertragsteht nicht, dass Sie auf unser Verständnis zählen können,liebe Kolleginnen und Kollegen .
Für die SPD-Bundestagsfraktion standen andere Din-ge im Mittelpunkt, die der Kollege Sören Bartol schonerwähnt hat . Wenn Sie, Herr Krischer, sich hierhinstellenund der Sozialdemokratie abverlangen, Rückgrat zu zei-gen, dann sage ich Ihnen: Schauen Sie in die Geschichts-bücher! Schauen Sie sich unser Regierungshandeln an!Wir haben immer Rückgrat bewiesen, wenn es daraufankam, und das auch in Fragen Europas .
Wenn Sie das nicht glauben, dann frage ich Sie ein-mal: Was leisten Sie sich eigentlich in Hessen in Ihrerschwarz-grünen Koalition?
Wie können Sie es wagen, uns vorzuhalten, hier nichteuroparechtsfreundlich zu sein! Schämen Sie sich, dassSie uns das hier im Plenum vorwerfen! So läuft es nicht .
Wenn ich mir einmal die Argumentationsstrategie desgeschätzten Koalitionspartners anschaue, wenn ich miranschaue, was in der letzten Runde hier gesagt wordenist, stellt sich mir die Frage: Haben Sie noch nicht genug?
Ich sage Ihnen: Sie sind für die Maut für alle ohne jeg-liche Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, und wirhaben dafür gesorgt, dass der deutsche Autofahrer nichtbelastet wird .
Nehmen Sie sich zurück, und hören Sie zu!Ich wende mich jetzt der Argumentation des Koaliti-onspartners zu . Es wurde gesagt – das ist ja nicht nur amBMW 7er des geschätzten Kollegen der Union festge-macht worden, der wohl zwischenzeitlich auf die S-Klas-se „umgestiegen worden“ ist –: In Österreich muss ichMaut bezahlen . In Italien muss ich 100 Euro Maut bezah-len . – Meine Damen und Herren, ich habe in einem derschönsten Länder der Erde Urlaub gemacht, in Deutsch-land, und da habe ich keine Maut bezahlt . Ich wohne inNordrhein-Westfalen, und in den Nachbarländern Nie-derlande und Belgien gibt es keine Maut .
Wenn ich das zur Maßgabe der Politik machte, dürfte ichheute nicht zustimmen . So einfach kann man sich dasnicht machen, liebe Kolleginnen und Kollegen . Wir wer-den – auch wenn wir dieses Projekt für nicht so relevantgehalten haben, dass man davon einen Koalitionsvertragabhängig macht – dem heute mit großer Mehrheit zu-stimmen .Was hat sich geändert? Natürlich sind die Zweifel anden Einnahmen geblieben .
Diese Zweifel gab es 2015 auch . Aber zwischenzeitlichhat sich der Finanzminister nach einem Monat Bedenk-zeit doch dazu durchgerungen, zu sagen: Ja, ich machemir diese Einnahmeprognose zu eigen .
Auch da korrigiere ich die Opposition, die gesagt hat,es gebe nur einen Sachverständigen . Nein, es gibt meh-rere,
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nämlich auch den Finanzminister der CDU, sodass esauch eine CDU-Maut geworden ist .
Aber, meine Damen und Herren, es ist doch auch einesklar: Wenn eine Partei, die diese Regierungskoalitionmit stellt, die Entscheidung darüber, ob man die stärks-te Volkswirtschaft in Europa mit 80 Millionen Einwoh-nerinnen und Einwohnern regiert, von einem einzigenWunschprojekt, nämlich der CSU-Pkw-Maut, abhängigmacht, dann muss man das zur Kenntnis nehmen; dannist das halt so in einer Koalition . Aber wir haben andereDinge in den Mittelpunkt gerückt, liebe Kolleginnen undKollegen, und dabei bleibt es .
Deswegen werden wir heute mehrheitlich zustimmen,auch wenn wir in den Anhörungen unsere Position deut-lich gemacht haben . Ich habe große Sympathie dafür,dass man sagt: Ja, wir haben Bedenken, was die Grenzre-gionen angeht . – Wir haben als SPD-Bundestagsfraktionerreicht, dass es hierbei einen Unterschied gibt zwischenDeutschen und Ausländern . Wir bezahlen die Maut aufder Autobahn und auf der Bundesstraße, liebe Mitbürge-rinnen und Mitbürger, aber ausländische Kfz-Halter nurauf der Bundesautobahn . Das war die erste Ausnahmefür die Grenzregionen; das haben wir 2015 durchgesetzt .Wir wären gern weiter in die Richtung der Vorschlägedes Bundesrates gegangen . Mein geschätztes HeimatlandNordrhein-Westfalen hat einen sehr guten Vorschlag ge-macht . Aber das ist am Widerstand der CDU/CSU-Frak-tion gescheitert, und das müssen wir zur Kenntnis neh-men . Man stimmt in der Koalition nicht gegeneinander .Abschließend: Ich gehe fest davon aus, dass ich derletzte Redner der SPD-Bundestagsfraktion zu dem The-ma Infrastrukturabgabe bin . Liebe Kolleginnen und Kol-legen von der Opposition und der Mehrheitsfraktion, dashatten wir uns 2015 in der Tat anders gedacht . Aber eineSache habe ich mir gemerkt: Sie haben wenig Verständ-nis für wichtige Projekte gehabt, die wir in den Mittel-punkt unseres Tuns gerückt haben, die Mietpreisbrem-se zum Beispiel, das Recht auf gleiche Bezahlung vonMann und Frau; das war für uns wichtig . Wir haben denMindestlohn eingeführt . Aber wissen Sie, was Sie ge-macht haben? Sie haben uns vorgeworfen, dass wir mitTransparenzregeln – dabei geht es um Gerechtigkeit – einBürokratiemonster schaffen würden . Ich verrate Ihnen:Das nächste Mal, wenn Sie uns vorwerfen, dass wir einBürokratiemonster schaffen, wird dieses Bürokratie-monster in einem vollbemauteten Pkw vorfahren und Sieauslachen .
Für alle diejenigen, die das hier nicht richtig einord-nen können: Das mit der Bürokratie lassen wir so nichtauf uns sitzen . Sie mögen sich daran erinnern, was am1 . September des Jahres 2013 nicht weit von hier in ei-nem Fernsehstudio passiert ist . Um 20 .54 Uhr erklärtedie Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland:„Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben .“
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, so ist dashalt in Koalitionen . Das müssen wir als SPD zur Kennt-nis nehmen .Wir stimmen heute mehrheitlich zu . Für uns war an-deres wichtiger .Herzlichen Dank .
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der
Kollege Ulrich Lange .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wieangekündigt: Nach einer kurzen Beratung, die die letztenZweifel auch unseres Koalitionspartners so weit beseitigthat, dass man gut zustimmen kann, werden wir heute dieInfrastrukturabgabe so beschließen . Es ist ein Gesetz fürmehr Gerechtigkeit auf deutschen Straßen und deswegenauch ein Herzensanliegen unseres Koalitionspartners .
Lieber Kollege Hofreiter, in aller Ruhe: Ich glaube, eswäre an der Zeit, dass Sie sich für Ihre Rede in aller Formbei den Menschen in Bayern entschuldigen .
– Jetzt komm runter!
Sebastian Hartmann
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Ich glaube, wir brauchen von den Grünen, denen die ei-genen Landtagsabgeordneten in München gerade davon-laufen,
keine Nachhilfe in Europapolitik . Eine Union mit FranzJosef Strauß, mit Theo Waigel, mit Konrad Adenauer undHelmut Kohl braucht von Ihnen keine Nachhilfe .
Wir wissen, wo wir in Europa stehen .
Wir setzen mit dieser Maut das um, was Bürgerinnenund Bürger in diesem Land erwarten, und genau das, wasauch die Europäische Kommission geschrieben hat: ei-nen Systemwechsel von der Steuerfinanzierung hin zurNutzerfinanzierung. Und das ist richtig! Und das tun wir!Deswegen allen Respekt vor unserem Bundesverkehrs-minister, der den Gesprächsfaden in Brüssel nicht hat ab-reißen lassen, der das Ziel nicht aus den Augen verlorenhat .
So haben wir das europäische Gütesiegel der Kommis-sion erhalten .Liebe Kolleginnen und Kollegen sowohl der Grünen,der Linken, aber auch der SPD, das war das Siegel, dasSie 2015 wollten . Dieses Siegel legen wir auf den Tisch .Und damit haben wir auch unsere Aufgabe erfüllt . Gratu-lation an und Respekt für den Verkehrsminister!
Wenn die Länder jetzt glauben: „Neues Spiel – neuesGlück“, dann wundere ich mich zumindest, dass die Län-derbank bei dieser Debatte heute leer ist .
Liebe Bundesländer, die ihr alle so dagegen seid: Wo istdenn der Kollege aus den Bundesländern, der dagegen istund den Mut hat, sich hierhinzustellen und das auch zubegründen?
2015 haben die Bundesländer genau dieser Regelung fürdie Grenzregionen zugestimmt . Da war sie in Ordnung,lieber Kollege Hartmann . An dieser Stelle wird auch keinWort im Gesetz geändert . Es werden Ziffern geändert,aber keine Wörter . Das spricht für die Qualität des Ge-setzes .
Wenn es um erfolgreiche Politik im Verkehrsbereichgeht, dann kann ich nach elf Jahren mit Bröckelverkehrs-ministern der Sozialdemokratie nur sagen: Seitdem dieUnion das Haus des Verkehrsministeriums führt, gibt eseinen Investitionshochlauf, einen Bundesverkehrswege-plan, der seinen Namen verdient, Geld für die Schienewie noch nie und ein Brückensanierungsprogramm . Dasist, lieber Kollege Hartmann, der Unterschied zu Ihremgeliebten Land Nordrhein-Westfalen, zu den Bröckelpis-ten und Schlaglochstraßen!
Die Verkehrspolitik der Union, liebe Kolleginnen undKollegen, hat Premiumqualität .
Dank dieser Premiumqualität werden wir in Zukunft dieStraßen finanzieren. Wir werden die Finanzierung vonSteuerfinanzierung auf Nutzerfinanzierung umstellen.Gerechtigkeit auf deutschen Straßen – das will die Mehr-heit . Das machen wir! Und deshalb stimmen wir heutedieser Infrastrukturabgabe zu – für eine gute, zukunftssi-chere Verkehrspolitik!Danke schön .
Ich schließe die Aussprache .Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderungdes Infrastrukturabgabengesetzes .Zu diesem Gesetzentwurf haben nicht alle Mitgliederdes Deutschen Bundestages persönliche Erklärungen zuihrem Abstimmungsverhalten hier oben beim Präsidiumabgegeben, aber doch sehr viele, sodass ich Ihnen eineanregende Lektüre des Anhangs zum Protokoll der heuti-gen Bundestagsverhandlungen wünschen kann .1)Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastrukturempfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-lung auf der Drucksache 18/11646, den Gesetzentwurfder Bundesregierung auf den Drucksachen 18/11237 und18/11536 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Ge-setzentwurf zustimmen wollen, um das Handzeichen . –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-entwurf ist damit ganz offenkundig mit hinreichenderMehrheit in zweiter Beratung angenommen .Wir kommen zurdritten Beratungund Schlussabstimmung . Wir stimmen jetzt über den Ge-setzentwurf auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen namentlich ab . Ich weise darauf hin, dass einezweite namentliche Abstimmung anschließend, in weni-gen Minuten, erfolgt .1) Anlagen 2 bis 8Ulrich Lange
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Sind alle Abstimmungsurnen von jeweils zwei Schrift-führerinnen und Schriftführern besetzt? – Auf der Regie-rungsseite, scharf rechts von mir, fehlt noch ein Schrift-führer . – Ich eröffne die erste Abstimmung .Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das sei-ne Stimme nicht abgegeben hat? – Dann schließe ichdie Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen undSchriftführer, mit der Auszählung zu beginnen .1)Wir stimmen nun über den Entschließungsantragder Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-che 18/11667 ab . Wer stimmt für diesen Entschließungs-antrag? – Einzelne Mitglieder aus den Reihen der An-tragsteller, auf Zuruf ein paar Einzelne mehr . Wenn icheinmal die Emphase der Diskussion in Relation zu derGelassenheit im Abstimmungsverfahren setze, fällt mirda eine gewisse Diskrepanz auf .
Also noch einmal: Wer stimmt für den Entschließungs-antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf derDrucksache 18/11667? – Wer ist dagegen? – Wer enthältsich? – Das Zweite war die Mehrheit . Damit ist der Ent-schließungsantrag abgelehnt .Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Gesetz-entwurf der Fraktion Die Linke zur Aufhebung des Ge-setzes über die Erhebung einer zeitbezogenen Infrastruk-turabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen .Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf derDrucksache 18/11646 empfiehlt der Ausschuss für Ver-kehr und digitale Infrastruktur, den Gesetzentwurf derFraktion Die Linke auf der Drucksache 18/11012 abzu-lehnen .Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage-gen? – Wer enthält sich? – Bei wenigen Enthaltungen istder Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmender Koalition bei Zustimmung der Oppositionsfraktionenabgelehnt . Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnungdie weitere Beratung .Zusatzpunkt 7 . Wir kommen nun zur Abstimmungüber den von der Bundesregierung eingebrachten Gesetz-entwurf zur Änderung des Zweiten Verkehrsteuerände-rungsgesetzes. Der Finanzausschuss empfiehlt in seinerBeschlussempfehlung auf der Drucksache 18/11643, denGesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa-chen 18/11235 und 18/11560 anzunehmen . Ich bitte die-jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, umdas Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratungangenommen .Wir stimmen über den Gesetzentwurf indritter Beratungund Schlussabstimmung auf Verlangen der FraktionBündnis 90/Die Grünen namentlich ab . Deswegen bitteich die Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätzewieder einzunehmen . – Sind alle Urnen ordnungsgemäß1) Ergebnis Seite 22708 Dbesetzt? – Niemand signalisiert etwas anderes . Dann er-öffne ich hiermit die zweite namentliche Abstimmung .Ist noch ein Mitglied im Hause, das sich an der zwei-ten namentlichen Abstimmung noch nicht beteiligt hat? –Das ist nicht erkennbar . Dann schließe ich die Abstim-mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,mit der Auszählung zu beginnen .2)Wir teilen die beiden Auszählungsergebnisse mit, so-bald sie vorliegen, fahren aber in der Zwischenzeit mitder Tagesordnung fort, wenn es dafür eine hinreichendberuhigte, übersichtliche Lage gibt .Ich rufe die Tagesordnungspunkte 28 a bis 28 c auf:a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungDemografiepolitische Bilanz der Bundesregie-rung zum Ende der 18. WahlperiodeJedes Alter zählt – Für mehr Wohlstand undLebensqualität aller GenerationenDrucksache 18/11145Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-heit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-schätzung Ausschuss für Tourismus Ausschuss Digitale Agendab) Beratung des Antrags der Abgeordneten DorisWagner, Ulle Schauws, Brigitte Pothmer, wei-terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENGemeinsam für ein gutes Morgen – Den demografischen Wandel gestaltenDrucksache 18/11606Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-schätzungc) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Familie, Senioren,Frauen und Jugend zu dem An-trag der Abgeordneten Doris Wagner, ElisabethScharfenberg, Christian Kühn , wei-terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENPartizipation und Selbstbestimmung ältererMenschen stärkenDrucksachen 18/9797, 18/116452) Ergebnis Seite 22711 APräsident Dr. Norbert Lammert
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Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Widerspruchist nicht erkennbar . Also können wir so verfahren .Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Parlamen-tarischen Staatssekretär Ole Schröder das Wort .
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Wir leben länger . Wir sind gesünder als alle Gene-rationen vor uns . Wir werden immer mobiler . Das ist diepositive Seite des demografischen Wandels.Klar ist aber auch, dass die Alterung der Gesellschaftin allen denkbaren Szenarien und Modellrechnungendeutlich fortschreiten wird . Auch bei einer hohen Net-tozuwanderung muss in Zukunft mit einem deutlichenRückgang der Erwerbsbevölkerung gerechnet werden .Ob die überwiegend jungen Zuwanderer einen positivenEinfluss auf die Erwerbstätigkeit haben, hängt von ihreroft schwierigen Integration in den Arbeitsmarkt ab . Au-ßerdem werden ja auch die jungen Zuwanderer älter, undauch die Kinder, die hier geboren werden, werden älter .Damit steht fest: Unsere Gesellschaft verändert sich .Sie wird möglicherweise kleiner, sie wird wahrscheinlichheterogener, und sie wird sicherlich älter . Diesen Wan-del wollen und müssen wir gestalten . Wir stehen dabeivor grundlegenden Fragen: Welche Auswirkungen hatMigration auf den demografischen Wandel? Wie stehtes um den gesellschaftlichen Zusammenhalt, wenn dieBevölkerung nicht nur älter, sondern auch heterogenerwird? Wohin geht die demografische Reise in Stadt undLand? Welche Fortschritte wird uns die Digitalisierungin diesem Zusammenhang bringen? Wie können wir un-seren Wohlstand fortentwickeln und an die nächste Ge-neration weitergeben?Unter dem Motto „Zusammenhalt stärken – Verant-wortung übernehmen“ haben Vertreter aller staatlichenEbenen, der Wirtschaft, der Sozialpartner, der Verbände,der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft diese Fragenauf Einladung des Bundesministeriums des Innern disku-tiert. Der letzte Demografiegipfel am 16. März 2017 hatsich wieder als zentrales Forum in der Zusammenarbeitzwischen der Bundesregierung und den genannten Part-nern erwiesen . Aber, natürlich, ein Gipfel allein reichtnicht aus . Die Bundesregierung hat deshalb mit ihrenPartnern in einem seit 2012 laufenden Arbeitsprozesskontinuierlich Lösungsvorschläge entwickelt und umge-setzt . Das zeigt: Wir sind uns der großen Herausforde-rung bewusst, und wir wollen sie erfolgreich bewältigen .
Die Bundesregierung hat sich daher im Jahr 2015 mitder weiterentwickelten Demografiestrategie politischeZiele gesetzt: die Stärkung des wirtschaftlichen Wachs-tumspotenzials, die Förderung des gesellschaftlichenZusammenhalts und gleichwertiger Lebensverhältnissein Stadt und Land sowie die Gewährleistung solider Fi-nanzen für die Handlungsfähigkeit des Staates und ver-lässliche Sozialsysteme .Zu soliden Sozialversicherungssystemen gehört auch,dass die Rente mit 67 nicht infrage zu stellen ist . Auchbei jetzt guten, ausgeglichenen Haushalten dürfen wirnicht wieder in den alten Modus zurückverfallen, aufKosten der jungen Generation Politik zu machen .
Vor dem Demografiegipfel war es ein guter Zeitpunkt,Bilanz aus dem bisher Erreichten zu ziehen . Die Bundes-regierung hat daher am 1 . Februar 2017 ihre demogra-fiepolitische Bilanz mit dem Titel „Jedes Alter zählt – Fürmehr Wohlstand und Lebensqualität aller Generationen“präsentiert. Die demografiepolitische Bilanz beschreibtaktuelle Trends, zeigt nachdrücklich die Maßnahmen derBundesregierung in 13 Handlungsfeldern auf . Das reichtvon der Vereinbarkeit von Familie und Beruf über dieFachkräftesicherung bis hin zu gleichwertigen Lebens-verhältnissen in Stadt und Land . Zentral ist in jeder Hin-sicht der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft .Wir haben deswegen eine Vielzahl von Maßnahmenergriffen, damit sich alle gesellschaftlichen Gruppen inDeutschland als Teil des Ganzen verstehen . Hierzu ge-hören beispielsweise die Gesetze zur Stärkung der Pfle-ge, die weiter ausgebaute Förderung des bürgerschaft-lichen Engagements, an dem sich bundesweit so vieleMenschen wie noch nie beteiligen . Daneben wird einemöglichst hohe Erwerbstätigkeit gefördert; denn sie istGrundlage für Wachstum und Wohlstand und vor allenDingen für tragfähige öffentliche Finanzen .Ich sage in diesem Zusammenhang deutlich, dassuns Zuwanderung alleine nicht bei der Stabilisierungder Erwerbsbevölkerung helfen wird . Was wir benöti-gen, ist qualifizierte Zuwanderung. Die Steuerung vonZuwanderung nach Deutschland und die Attraktivitätfür Fachkräfte haben daher Priorität . Es ist darauf hin-zuweisen, dass alle hochentwickelten Volkswirtschaftenvor der gleichen Herausforderung stehen, nämlich einemFachkräftemangel, und dass deshalb alle weltweit na-türlich versuchen, genau diese besonders qualifiziertenFachkräfte anzuziehen, was ausgesprochen schwierig ist .Auch der ungebrochene Trend zu qualitativ hochwerti-gen Ausbildungen und die auf Rekordniveau steigendeErwerbstätigenquote, insbesondere bei Frauen, dienender Sicherung unserer Fachkräftebasis .Die Bundesregierung hat diese Trends mit zahlreichenWeichenstellungen in den letzten Jahren unterstützt . Siereichen von der beruflichen Bildung über den Hochschul-pakt 2020 bis hin zu Maßnahmen für die weitere Verbes-serung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie .Für die Integration von Flüchtlingen in den Ausbil-dungs- und Arbeitsmarkt wurden geeignete Rahmenbe-dingungen geschaffen . Auch das ist eine Megaheraus-forderung, vor der wir stehen . Diese und viele andereMaßnahmen bildet die demografiepolitische Bilanz ab.Auch andere Konzepte und Anträge, die in der heu-tigen Sitzung beraten werden, propagieren diesen ganz-heitlichen Ansatz und bestätigen den Weg, den die Bun-desregierung geht .Meine Damen und Herren, wenn wir uns die demo-grafiepolitische Bilanz anschauen, muss man feststellen,Präsident Dr. Norbert Lammert
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dass nicht alle Maßnahmen, die wir in dieser Wahlperi-ode getroffen haben, positiv sind . Sie sind sicherlich zubegründen; aber natürlich ist die Einschränkung bei derRente mit 67 – da muss man ehrlich sein – für den Be-reich der Demografiepolitik kritisch zu sehen. Auf deranderen Seite haben wir es vor allen Dingen geschafft,einen ausgeglichenen Haushalt hinzubekommen, das ers-te Mal seit 1962 . Jetzt haben wir den dritten ausgegliche-nen Haushalt zum Abschluss gebracht .
Es ist demografiepolitisch mit das Wichtigste,
dass wir das erste Mal seit 1962 keine Haushaltspolitikmehr machen, die auf Kosten der jüngeren Generationgeht .
Das Allerwichtigste ist, dass wir das jetzt fortführen;denn das, was wir heute ausgeben, was wir heute kon-sumieren, müssen die Jüngeren zurückzahlen, und dasschränkt die Handlungsspielräume der Jüngeren ein .
Deshalb ist die schwarze Null der wichtigste demogra-fiepolitische Erfolg, den wir in dieser Wahlperiode erzielthaben .
Wir können den demografischen Wandel nicht stop-pen, wir können ihn aber erfolgreich gestalten . Das hatdie Bundesregierung in dieser Legislaturperiode mit denausgeglichenen Haushalten geschafft . Das zeigt: Einegute Bilanz ist erreicht worden .
Ich gebe Ihnen die von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelten Ergebnisse der beiden na-mentlichen Abstimmungen bekannt .Zunächst zum Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Än-derung des Infrastrukturabgabengesetzes . Hierzu sind541 Stimmen abgegeben worden . Mit Ja haben gestimmt397, mit Nein 135, 9 Kolleginnen und Kollegen habensich der Stimme enthalten . Damit ist der Gesetzentwurfangenommen .Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 541;davonja: 397nein: 135enthalten: 9JaCDU/CSUStephan AlbaniArtur AuernhammerDorothee BärThomas BareißGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannDr . André BergheggerDr . Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr . Reinhard BrandlDr . Ralf BrauksiepeDr . Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzIris EberlJutta EckenbachDr . Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr . Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr . Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr . Astrid FreudensteinMichael FrieserHans-Joachim FuchtelIngo GädechensDr . Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerJosef GöppelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannDr . Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr . Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr . Stefan HeckDr . Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichJörg HellmuthMichael HennrichAnsgar HevelingDr . Heribert HirteParl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
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Christian HirteRobert HochbaumAlexander Hoffmann
Karl HolmeierDr . Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesDr . Mathias Edwin HöschelHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenDr . Franz Josef JungAndreas JungXaver JungDr . Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr . Stefan KaufmannRonja KemmerDr . Georg KippelsJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumRüdiger KruseDr . Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr . Dr . h .c . Karl A . LamersAndreas G . LämmelDr . Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr . Silke LaunertPaul LehriederDr . Katja LeikertDr . Philipp LengsfeldDr . Andreas LenzDr . Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr . Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr . Claudia Lücking-MichelDr . Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr . Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr . Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr . h .c . Hans MichelbachDr . Mathias MiddelbergDietrich MonstadtMarlene MortlerElisabeth MotschmannDr . Gerd MüllerStefan Müller
Dr . Philipp MurmannDr . Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr . Georg NüßleinJulia ObermeierFlorian OßnerDr . Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr . Martin PätzoldUlrich PetzoldSibylle PfeifferEckhard PolsKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerEckhardt RehbergLothar RiebsamenJosef RiefIris RipsamKathrin RöselErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr . Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerJana SchimkeTankred SchipanskiPatrick SchniederDr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr . Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerJohannes SelleReinhold SendkerDr . Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnDr . Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerPeter SteinSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Frhr . von StettenDieter StierGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerKarin StrenzThomas StritzlLena StrothmannMichael StübgenDr . Sabine Sütterlin-WaackDr . Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr . Hans-Peter UhlDr . Volker UllrichArnold VaatzThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserDr . Johann WadephulMarco WanderwitzKarl-Heinz WangeNina WarkenKai WegnerDr . h .c . Albert WeilerMarcus Weinberg
Dr . Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G . WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikDr . Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrBettina Bähr-LosseHeinz-Joachim BarchmannDoris BarnettDr . Matthias BartkeSören BartolBärbel BasUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr . Karl-Heinz BrunnerDr . h .c . Edelgard BulmahnMartin BurkertDr . Lars CastellucciPetra CroneDr . Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannSiegmund EhrmannMichaela EngelmeierDr . h .c . Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr . Johannes FechnerDr . Fritz FelgentreuDr . Ute Finckh-KrämerGabriele FograscherDagmar FreitagMartin GersterIris Gleicke
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Angelika GlöcknerUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlSebastian Hartmann
Hubertus Heil
Gabriela HeinrichWolfgang HellmichDr . Barbara HendricksGustav HerzogGabriele Hiller-OhmDr . Eva HöglChristina Jantz-HerrmannFrank JungeJosip JuratovicOliver KaczmarekJohannes KahrsRalf KapschackUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilBirgit KömpelAnette KrammeAngelika Krüger-LeißnerChristine LambrechtChristian Lange
Dr . Karl LauterbachBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr . Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastDr . Matthias MierschSusanne MittagBettina MüllerDr . Rolf MützenichUlli NissenMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßAchim Post
Dr . Wilhelm PriesmeierDr . Sascha RaabeDr . Simone RaatzMartin RabanusStefan RebmannGerold ReichenbachDr . Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixPetra Rode-BosseDr . Martin RosemannDr . Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Bernd RützelSarah RyglewskiAnnette SawadeDr . Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr . Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr . Dorothee SchlegelMatthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-AntwerpesUrsula SchulteSwen Schulz
Frank SchwabeStefan SchwartzeRainer SpieringSvenja StadlerSonja SteffenChristoph SträsserKerstin TackMichael ThewsDr . Karin ThissenFranz ThönnesCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinDirk Wiese
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr . Jens ZimmermannManfred ZöllmerNeinCDU/CSUHelmut BrandtRudolf HenkeAnette HübingerKarsten MöringWilfried OellersJohannes RöringAlbert StegemannSPDJürgen CoßeDr . Daniela De RidderElvira Drobinski-WeißElke FernerChristian FlisekUlrich FreeseMichael GerdesMichael GroßUlrich HampelDirk HeidenblutHeidtrud HennThomas HitschlerMatthias IlgenThomas JurkGabriele KatzmarekDr. Bärbel KoflerHilde MattheisDetlef Müller
Dietmar NietanMarkus PaschkeChristian PetryJohann SaathoffUlla Schmidt
Andreas SchwarzNorbert SpinrathDIE LINKEJan van AkenDr . Dietmar BartschHerbert BehrensMatthias W . BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr . Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeAnnette GrothDr . André HahnHeike HänselDr . Rosemarie HeinSigrid HupachSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigMichael LeutertStefan LiebichDr . Gesine LötzschThomas LutzeBirgit MenzNorbert Müller
Dr . Alexander S . NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerDr . Petra SitteDr . Kirsten TackmannFrank TempelDr . Axel TroostKathrin VoglerHalina WawzyniakKatrin WernerJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Dr . Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerHarald EbnerDr . Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringAnja HajdukBritta HaßelmannDr . Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulMaria Klein-SchmeinkSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
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Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr . Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr . Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferElisabeth ScharfenbergDr . Gerhard SchickKordula Schulz-AscheDr . Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr . Harald TerpeJürgen TrittinDr . Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr . Valerie WilmsEnthaltenCDU/CSUFranz-Josef Holzenkamp
Karl SchiewerlingDetlef SeifKees de VriesSPDDr . Edgar FrankeSteffen-Claudio LemmeDennis RohdeEwald SchurerAbgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste derentschuldigten Abgeordneten aufgeführt .Zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zwei-ten Verkehrsteueränderungsgesetzes haben 542 Mitglie-der des Hauses ihre Stimmen abgegeben . Davon habenmit Ja gestimmt 405, mit Nein 125, 12 haben sich derStimme enthalten . Damit ist auch dieser Gesetzentwurfangenommen .Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 542;davonja: 405nein: 125enthalten: 12JaCDU/CSUStephan AlbaniArtur AuernhammerDorothee BärThomas BareißGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannDr . André BergheggerDr . Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr . Reinhard BrandlDr . Ralf BrauksiepeDr . Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzIris EberlJutta EckenbachDr . Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr . Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr . Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr . Astrid FreudensteinMichael FrieserHans-Joachim FuchtelIngo GädechensDr . Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannDr . Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr . Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr . Stefan HeckDr . Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichJörg HellmuthMichael HennrichAnsgar HevelingDr . Heribert HirteChristian HirteRobert HochbaumAlexander Hoffmann
Karl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr . Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesDr . Mathias Edwin HöschelAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenDr . Franz Josef JungAndreas JungXaver JungDr . Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr . Stefan KaufmannRonja KemmerDr . Georg KippelsJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumRüdiger KruseDr . Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr . Dr . h .c . Karl A . LamersAndreas G . LämmelDr . Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr . Silke LaunertPaul LehriederDr . Katja Leikert
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 226 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 24 . März 201722712
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Dr . Philipp LengsfeldDr . Andreas LenzDr . Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr . Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr . Claudia Lücking-MichelDr . Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr . Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr . Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr . h .c . Hans MichelbachDr . Mathias MiddelbergDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerElisabeth MotschmannDr . Gerd Müller
Stefan Müller
Dr . Philipp MurmannDr . Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr . Georg NüßleinJulia ObermeierWilfried OellersFlorian OßnerDr . Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr . Martin PätzoldUlrich PetzoldSibylle PfeifferEckhard PolsKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerEckhardt RehbergLothar RiebsamenJosef RiefIris RipsamKathrin RöselErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr . Wolfgang SchäubleAndreas ScheuerKarl SchiewerlingJana SchimkeTankred SchipanskiPatrick SchniederDr . Ole Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr . Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerJohannes SelleReinhold SendkerDr . Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnDr . Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerPeter SteinSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Frhr . von StettenDieter StierGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerKarin StrenzThomas StritzlLena StrothmannMichael StübgenDr . Sabine Sütterlin-WaackDr . Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr . Hans-Peter UhlDr . Volker UllrichArnold VaatzThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserDr . Johann WadephulMarco WanderwitzKarl-Heinz WangeNina WarkenKai WegnerDr . h .c . Albert WeilerMarcus Weinberg
Dr . Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G . WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikDr . Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrBettina Bähr-LosseHeinz-Joachim BarchmannDoris BarnettDr . Matthias BartkeSören BartolBärbel BasUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr . Karl-Heinz BrunnerDr . h .c . Edelgard BulmahnMartin BurkertDr . Lars CastellucciPetra CroneDr . Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannSiegmund EhrmannMichaela EngelmeierDr . h .c . Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr . Johannes FechnerDr . Fritz FelgentreuDr . Ute Finckh-KrämerGabriele FograscherDagmar FreitagMartin GersterIris GleickeAngelika GlöcknerUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornRita Hagl-KehlSebastian Hartmann
Hubertus Heil
Gabriela HeinrichWolfgang HellmichDr . Barbara HendricksGustav HerzogGabriele Hiller-OhmDr . Eva HöglChristina Jantz-HerrmannFrank JungeJosip JuratovicOliver KaczmarekJohannes KahrsRalf KapschackUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerBirgit KömpelAnette KrammeAngelika Krüger-LeißnerChristine LambrechtChristian Lange
Dr . Karl LauterbachBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr . Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastDr . Matthias MierschSusanne MittagBettina MüllerDr . Rolf MützenichUlli NissenMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzJeannine PflugradtDetlev Pilger
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 226 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 24 . März 2017 22713
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Sabine PoschmannJoachim PoßAchim Post
Dr . Wilhelm PriesmeierDr . Sascha RaabeDr . Simone RaatzMartin RabanusStefan RebmannGerold ReichenbachDr . Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixPetra Rode-BosseDr . Martin RosemannDr . Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Bernd RützelSarah RyglewskiAnnette SawadeDr . Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr . Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr . Dorothee SchlegelMatthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Elfi Scho-AntwerpesUrsula SchulteSwen Schulz
Frank SchwabeStefan SchwartzeRainer SpieringSvenja StadlerSonja SteffenChristoph SträsserKerstin TackMichael ThewsDr . Karin ThissenFranz ThönnesCarsten TrägerRüdiger VeitUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinDirk Wiese
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr . Jens ZimmermannManfred ZöllmerNeinCDU/CSUHelmut BrandtRudolf HenkeJohannes RöringAlbert StegemannSPDJürgen CoßeDr . Daniela De RidderElvira Drobinski-WeißElke FernerUlrich FreeseMichael GerdesDirk HeidenblutHeidtrud HennMatthias IlgenGabriele KatzmarekDetlef Müller
Dietmar NietanMarkus PaschkeChristian PetryJohann SaathoffUlla Schmidt
Andreas SchwarzNorbert SpinrathDIE LINKEJan van AkenDr . Dietmar BartschHerbert BehrensMatthias W . BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr . Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeAnnette GrothDr . André HahnHeike HänselDr . Rosemarie HeinSigrid HupachSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertStefan LiebichDr . Gesine LötzschThomas LutzeBirgit MenzNorbert Müller
Dr . Alexander S . NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerDr . Petra SitteDr . Kirsten TackmannFrank TempelDr . Axel TroostKathrin VoglerHalina WawzyniakKatrin WernerJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Dr . Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerHarald EbnerDr . Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringAnja HajdukBritta HaßelmannDr . Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulMaria Klein-SchmeinkSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr . Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr . Konstantin von NotzOmid NouripourFriedrich OstendorffLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferElisabeth ScharfenbergDr . Gerhard SchickKordula Schulz-AscheDr . Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr . Harald TerpeJürgen TrittinDr . Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr . Valerie WilmsEnthaltenCDU/CSUDetlef SeifKees de VriesSPDChristian FlisekDr . Edgar FrankeMichael GroßUlrich HampelThomas HitschlerThomas JurkSteffen-Claudio LemmeHilde MattheisDennis RohdeEwald SchurerAbgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste derentschuldigten Abgeordneten aufgeführt .
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 226 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 24 . März 201722714
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Wir setzen die Debatte fort . Das Wort erhält nun dieKollegin Sabine Zimmermann für die Fraktion Die Lin-ke .
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen undHerren! Sie haben letzte Woche bestimmt von der Lis-te der Länder mit den glücklichsten Menschen gehört .Unter den ersten fünf sind vier skandinavische Ländersowie die Schweiz . Deutschland liegt abgeschlagen aufPlatz 16 . Wissen Sie, warum die Norwegerinnen undNorweger die glücklichsten Menschen sind? Weil sie ei-nen funktionierenden Sozialstaat haben .
Das ist es, was uns unterscheidet:
Kaum jemand muss im Alter in Armut leben, die Jungenmüssen keine Angst haben, nach befristeten Arbeitsver-hältnissen oder Leiharbeit wieder aus dem Job zu fliegen,die Menschen werden für ihre Arbeit ordentlich bezahlt,und sie haben eine auskömmliche Rente . Das machtglücklich!
Aber dafür braucht es gewisse Voraussetzungen . Dawir hier über den Bericht zur demografiepolitischen Bi-lanz der Bundesregierung diskutieren, sage ich Ihnenvorneweg ganz deutlich: In Ihrer Bilanz fehlen wesent-liche Aspekte . Wie können Sie ernsthaft eine Frage, dieviele Menschen in Deutschland umtreibt, mit keinemWort erwähnen? Ist für Sie die massive Ausbreitung vonAltersarmut etwa keine demografierelevante Frage, oderignorieren Sie dieses Problem, weil Sie einfach keine Lö-sungen anzubieten haben?
Dieser Bericht ist keine Bilanz, er ist ein Armutszeugnisdieser Regierung .Bei sinkendem Rentenniveau werden in Zukunft im-mer mehr Menschen von ihrer Rente nicht leben können,und das Dreisäulenmodell, welches Sie in Ihrem Be-richt hervorgehoben haben – gesetzliche Rente, privateVorsorge und Betriebsrente –, funktioniert nicht . VielenMenschen fehlt schlichtweg das Geld für eine privateVorsorge, und oft lassen auch die Arbeitgeberinnen undArbeitgeber die Menschen bei der Betriebsrente im Stich .Die Linke sagt: So wird das nichts mit einer ausreichen-den Altersvorsorge .
Das Einzige, was der Regierung einfällt, ist: Die Men-schen sollen länger arbeiten . Aber nicht alle werden älter,und nicht alle bleiben im hohen Alter gesund . Viele vondenen, die in ihrem Leben am härtesten gearbeitet haben,hatten niedrige Einkommen und haben folglich niedrigeRenten. Sie sind nicht mehr so fit, um noch etwas hin-zuverdienen zu können, und dann sterben sie auch nochfrüher . Das ist traurig, aber wahr . Das muss sich bei unshier in Deutschland ändern .
Ich muss insbesondere die Sozialdemokraten fragen:
Sieht so Ihre Solidarität mit den hart arbeitenden Men-schen aus? Solidarität kann ich da nicht erkennen . ZumBeispiel beim Pflegenotstand und allgemein beim The-ma Pflege, wo es auch um Armut geht, reden Sie nichtdarüber, dass die Einkommen in der Altenpflege mit amniedrigsten sind .
Angesichts einer derart anstrengenden Arbeit ist die Idee,dafür vor allem Frauen, Ältere und Menschen mit Migra-tionshintergrund gewinnen zu wollen, einfach zynisch .Hier ist vorprogrammiert, dass wiederum Frauen imNiedriglohnbereich arbeiten .Für Rentnerinnen und Rentner sind die Mieten und dieNebenkosten die größten Ausgabenposten . Bei drastischsteigenden Mieten können sie sich ihre Wohnungen nichtmehr leisten und müssen ihr gewohntes Umfeld verlas-sen . Wir brauchen wieder eine aktive soziale Wohnungs-baupolitik, gerade in den Ballungszentren .
Dazu kommt von Ihnen aber überhaupt nichts . Dabeibrauchen Sie doch nur die zahlreichen guten Vorschlägeder Linken abzuschreiben . Tun Sie das endlich mal!
Eine Politik, die den demografischen Herausforderun-gen vorbeugt, kostet Geld . Dafür brauchen wir eine Um-verteilung von oben nach unten und eine Rückkehr zurparitätischen Finanzierung der Sozialversicherung . Esgeht um die Frage des gesellschaftlichen Zusammenhaltsund der Solidarität .Ein Alltag ohne soziale Demütigung – das ist dasGrundrecht aller, ausnahmslos .Das hat Regine Hildebrandt mal gesagt . Sie war eine klu-ge Frau .
Diese schlichte Wahrheit sollte die Bundesregierungund sollten insbesondere die Sozialdemokratinnen und-demokraten zum Maßstab ihres Handelns machen . Dannkönnen die Menschen auch in Deutschland wieder glück-lich sein .Danke schön .
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Petra Crone ist die nächste Rednerin für die SPD-Frak-
tion .
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir spre-chen heute über das Thema „Demografischer Wandel inDeutschland“ . Warum? Für die Politik gilt, schnell zu re-agieren, wenn ein Thema akut wird. Der demografischeWandel eignet sich dafür nicht . Er ist wie auch die Glo-balisierung ein stetiger Prozess, der uns, die Politik, auchstetig fordert . Deshalb dürfen wir eine muntere Debattenicht vernachlässigen, und deshalb kann keine Bilanzvollständig sein .Klar ist doch: Wir werden älter, weniger und bunter,und diese demografische Entwicklung in unserem Landkönnen wir nicht stoppen oder umkehren . Unsere Auf-gabe ist die Gestaltung der Auswirkungen . Welche Fak-toren machen das Leben in unserem Land lebenswert?Wie gestalten wir die Zukunft für unsere Nachfahren?In diesem tiefgreifenden Prozess, der Auswirkungen aufKinder und Enkel hat, brauchen wir Mut für Innovatio-nen und unbequeme Diskussionen .
Gerade wurde der Kinder- und Jugendmonitor öffent-lich diskutiert . Fast jedes vierte Kind ist von Armut be-droht . Das macht mich fassungslos, immer noch und im-mer mehr . Unser Land ist reich, unser Land ist vielfältig .Und die Strukturen sind dennoch ungerecht? Wie wollenwir das ändern?Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bildung ist derSchlüssel für Qualifikation, für Teilhabe am beruflichen,politischen und gesellschaftlichen Leben in jedem Alter .
Lassen Sie uns endlich das unsinnige Kooperationsver-bot aufheben .
Es steht der Chancengleichheit entgegen und damit auchder Fachkräftesicherung . Es gehen Potenziale verloren .Wir wollen Kinder und Jugendliche stärken, sie fürein selbstbestimmtes Leben fit machen, ihnen Perspek-tiven bieten und Teilhabe ermöglichen . Das Gleiche giltfür Familien bzw . die sogenannte Sandwich-Generation .Dafür haben wir in dieser Legislaturperiode einiges aufden Weg gebracht. Wir haben das Elterngeld flexibler ge-staltet, den Kitaausbau vorangetrieben, pflegende Ange-hörige entlastet und vieles mehr .Ältere Menschen sprechen wir durch mehr Bildungs-angebote für Senioren an, durch einen flexibleren Über-gang vom Erwerbsleben in den Ruhestand, und wir er-höhen die Renten . Zudem fördern wir seit Jahren denAustausch der Generationen und die Integration in unse-ren 550 Mehrgenerationenhäusern .Liebe Kollegen und Kolleginnen, wir müssen auch dieNachbarn, ob nah oder fern, im Blick haben . Wir sind einstarkes Land, und es gibt keine Ausreden, nicht Maßstabim Umgang mit Menschen auf der Flucht zu sein .
Ich gebe den Kollegen und Kolleginnen von den Bünd-nisgrünen recht: Wir haben die Debatte um eine Einwan-derungsgesellschaft im Zusammenhang mit dem demo-grafischen Wandel bislang nicht ausreichend geführt,obwohl die SPD-Bundestagsfraktion seit langem einEinwanderungsgesetz fordert .
Diesen Fokus müssen wir verschärfen, auch um die Feh-ler der Integration nicht zu wiederholen . Das geht weitüber die Debatte hinaus, Fachkräfte für unsere Wirtschaftanwerben zu müssen .Ein besonderer Dank geht an dieser Stelle an all diefreiwilligen Helferinnen und Helfer, die sich der Ein-zelpersonen und -schicksale annehmen . Sie leisten seitvielen Monaten schier Unglaubliches . Dank sei auch denvielen Feuerwehrleuten, dem THW, den vielen Ehren-amtlichen beim Bürgerbus, den Kirchen, der AWO unddem DRK usw .
Denn machen wir uns nichts vor, liebe Kolleginnen undKollegen: Die eigentliche Aufgabe stellt sich in unserenWahlkreisen; dort wird die große Leistung erbracht .Im Siebten Altenbericht, der die Rolle der Kommunenin der alternden Gesellschaft beleuchtet, stehen Anregun-gen, Kritik und Handlungsempfehlungen, weil alle Kom-munen betroffen sind, egal ob Stadt oder Land, Nord,Süd, Ost oder West, arm oder reich . Sie alle sind mit denAuswirkungen des demografischen Wandels zuerst kon-frontiert. Sie finden vielfach kreative praxistaugliche Lö-sungen. Das wird mit dem Programm „Demografiewerk-statt Kommunen“ vom Bundesministerium für Familie,Senioren, Frauen und Jugend gut unterstützt .Die Kommunen sind immer mehr gefordert . Sie müs-sen eine Infrastruktur schaffen für Betreuung, Pflege,Teilhabe, Bildung, Integration, Wohnen und Mobilität .Sie müssen lokale Akteure vernetzen . Sie müssen daraufachten, dass diese Aufgaben gerecht zwischen Männernund Frauen aufgeteilt werden und soziale Benachteili-gungen ausgeglichen werden. Das alles muss finanziertwerden . Die SPD-Bundestagsfraktion steht an der Seiteder Kommunen . Das haben wir in den vergangenen Jah-ren vielfach – und vielfach erfolgreich – unter Beweisgestellt .
Das gilt auch für die Zukunft .Es geht um die Ausgestaltung des Zusammenlebensin Deutschland – um nicht weniger . Deshalb müssen wirexterne Partner ins Boot holen und unsere Erfahrungenteilen . Deshalb war es mir als Sprecherin der SPD-Ar-
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beitsgruppe Demografischer Wandel auch ganz wichtig,die Arbeit von Franz Müntefering weiterzuführen .
Hierbei ist uns der Kontakt zur Zivilgesellschaft und zurWissenschaft stets wichtig . Deshalb weckt es mein Inte-resse, dass die Bertelsmann-Stiftung erste Überlegungenzur Einführung eines Staatsfonds in Deutschland vor-gestellt hat. Die Idee: Ein konkretes Ziel wird definiert,und staatliches Vermögen wird aufgebaut, am Kapital-markt investiert, um dann etwa Pensionslasten in Zeitendes demografischen Wandels nicht allein den künftigenSteuerzahlern zu überlassen . Auch für mich klingt daserst einmal ungewohnt; aber ich wünsche mir, dass wirhier im Parlament über solche Vorschläge ergebnisoffendiskutieren . Näher sind mir die Vorschläge der Fried-rich-Ebert-Stiftung für eine regionale Daseinsvorsorgeals Gemeinschaftsaufgabe . Ganz nah ist mir meine Ideeeines Demografie-Solis.Die Herausforderungen des demografischen Wandelsmüssen die Kommunen bewältigen, auch finanziell. Dieschwarze Null ist zwar wichtig, aber wir müssen da in-vestieren . Daten und Fakten liegen auf dem Tisch, sindrauf und runter diskutiert worden . Es ist Zeit, Zukunfts-strategien zu entwickeln . Das hat uns als Gesellschaft inden letzten Jahrzehnten gutgetan .Ich danke fürs Zuhören .
Das Wort erhält nun die Kollegin Doris Wagner für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Immer, wenn jemand die Demografie-
strategie der Bundesregierung erwähnt, frage ich mich:
Welche Demografiestrategie? Ich sehe da keine zukunfts-
orientierte Strategie .
Selbst der Demografiegipfel letzte Woche konnte nicht
darüber hinwegtäuschen, dass die Bundesregierung ei-
gentlich gar keine Vision von der Gestaltung der demo-
grafischen Entwicklung hat.
Ich muss sagen: Fast genauso schlimm ist die Tat-
sache, dass Sie in den Demografie-AGen die geballte
Kompetenz zusammengeholt haben und dann das Po-
tenzial und die Ressourcen dieser Leute weitestgehend
verschenkt haben . Ich selbst war Mitglied in der AG „Ju-
gend gestaltet Zukunft“ . Viele ambitionierte Ideen sind
da durch Konsenszwang der beteiligten Bundesministe-
rien schlichtweg zerrieben worden . Selbst ein einfacher
Prüfauftrag zur Senkung des Wahlalters wurde durch ein
Veto – ich wiederhole das: ein Veto – des Bundesinnen-
ministeriums aus dem Abschlussbericht verbannt . Das
muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen .
Das ist beim besten Willen kein ernstgemeintes Beteili-
gungsverfahren . Das ist schlicht und ergreifend Blend-
werk .
In Ihrer Bilanz haben Sie fleißig Maßnahmen aus den
unterschiedlichen Ressorts zusammengetragen . Aber ich
muss Ihnen sagen: Mir fehlt da ein roter Faden . Ein über-
geordnetes Ziel ist nicht zu erkennen .
Aus dem demografischen Wandel ergibt sich erhebli-
cher Handlungsdruck . Das ist ein politischer Hebel, der
sich geradezu aufdrängt, ein Hebel, den wir nutzen kön-
nen, um unsere Gesellschaft zu modernisieren . Sie lassen
ihn praktisch ungenutzt .
Wie kommen wir von der Willkommenskultur zu ei-
nem wirklichen Einwanderungsland? Ich danke Ihnen
für die Zustimmung, Frau Kollegin Crone . Wie ermög-
lichen wir Menschen im Alter barrierefreies Wohnen,
selbstbestimmte Mobilität und gute Pflege? Wie errei-
chen wir endlich Gleichstellung der Geschlechter? Wie
können wir Kinder und Jugendliche besser an unseren
Entscheidungen beteiligen? Ein Blick in unsere grüne
Demografiestrategie hätte Ihnen weitergeholfen, all diese
Fragen zu beantworten .
Bleiben wir einen Moment bei den Kindern und Ju-
gendlichen . Diese müssen wir schon heute in Zukunfts-
entscheidungen einbinden . Damit meine ich echte Par-
tizipation und nicht, wie man beim Demografiegipfel
gesehen hat, ihnen gerade noch zu erlauben, vorab akri-
bisch geprüfte Tafeln mit Forderungen durch die Gänge
tragen zu lassen . Das ist nicht das, was ich mir vorstelle .
Ich weiß gar nicht, wovor Sie sich fürchten? Haben Sie
doch Vertrauen in die jungen Leute! Schließlich sind sie
Expertinnen und Experten in eigener Sache .
Konkret heißt das für uns Grüne, endlich das Wahlalter
auf 16 Jahre abzusenken, die Kinderrechte im Grundge-
setz zu stärken, einen nationalen Aktionsplan für Kinder-
und Jugendbeteiligung aufzulegen und Beteiligung zum
Leitprinzip in allen Bildungseinrichtungen zu machen .
Sehen wir uns ein anderes Thema an, die Gleichstel-
lung – in Ihrer Demografiestrategie weitestgehend eine
Leerstelle. Dabei muss Demografiepolitik doch immer
auch Gleichstellungspolitik sein; denn ohne Frauen geht
es nicht .
In Sachen Gleichstellung bewegt sich die Bundesregie-
rung in Trippelschritten und erreicht nicht einmal alle
Frauen . Viele Frauen möchten mehr arbeiten . Obwohl im
Koalitionsvertrag angekündigt, gibt es noch immer kein
Rückkehrrecht in Vollzeit . Das Gleiche gilt für das Fa-
m
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es gibt immer mehr Frauen, diearbeiten . Aber das auf sie entfallende Volumen hat sichPetra Crone
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praktisch nicht verändert . Das gehört auch zur Wahrheitund muss einmal gesagt werden .
Niedrige Löhne, eine hohe Teilzeitquote, Erwerb-sunterbrechungen und Minijobs, all das führt dazu, dasseine Rentenkluft von 57 Prozent – ich betone: 57 Pro-zent – zwischen den Geschlechtern besteht . Dadurch istAltersarmut meistens weiblich . Hier müssen Gleichstel-lungs- und Demografiepolitik ansetzen, und dabei mussder gesamte Lebensverlauf berücksichtigt werden .Stattdessen lässt die Bundesregierung die Hürden fürwirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen praktischunangetastet . Dabei liegen die Lösungen doch auf derHand: weg mit Negativanreizen wie Ehegattensplittingund Minijob, Verabschiedung eines wirklich wirkungs-vollen Entgeltgleichheitsgesetzes, damit gleicher Lohnfür gleiche und gleichwertige Arbeit keine hohle Phrasemehr bleibt, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruffür Männer und Frauen – dafür müssen Kinderbetreuungund Ganztagsschulen quantitativ und qualitativ ausge-baut werden – und Rückkehrrecht in Vollzeit .
Werte Kolleginnen und Kollegen, nachhaltige De-mografiepolitik heißt für uns Grüne, allen Generationengleichermaßen ein gutes Leben zu ermöglichen . Nebenden jungen Menschen betrifft das natürlich auch die Äl-teren, eine Bevölkerungsgruppe, die stetig wächst . AlsDemografiepolitikerin, aber auch ganz persönlich istmein Ziel ein selbstbestimmtes Leben im Alter .
Wohnen, Mobilität und Pflege sind da ganz zentrale The-men .Wir wissen doch: Die Menschen möchten so langewie möglich in den gewohnten vier Wänden bleiben . Da-rin sollten wir sie unterstützen, indem wir altersgerechtesWohnen fördern . Für das KfW-Programm „AltersgerechtUmbauen“ wird dringend mehr Geld benötigt, um dentatsächlichen Bedarf zu decken .
Ein weiteres Finanzierungsinstrument, um diesemWunsch gerecht zu werden, ist unser Bewegungsfrei-heitsbonus . Das ist ein Zuschuss für den Abbau von Bar-rieren in Wohnungen und im Wohnumfeld .Lassen Sie mich auf die Mobilität zu sprechen kom-men . Auch im Alter möchten sich die Menschen dochselbstbestimmt von A nach B bewegen können . Dazubedarf es einer barrierefreien Umgebung . Das reicht vonGehwegabsenkungen an Kreuzungen über akustischeund optische Hilfen bis hin zu taktilen Leitsystemen .Das gilt für die ländlichen Regionen genauso wie für dieStädte .Auch wenn Menschen pflegebedürftig sind, haben sieein Recht darauf, selbstbestimmt entscheiden zu können .Das können wir ermöglichen, indem wir einen Anspruchauf individuelles Fallmanagement festschreiben, Sach-leistungsansprüche in ein Pflegebudget umwandeln undKommunen mehr Kompetenzen und finanzielle Unter-stützung bei der Pflegeberatung, -planung und -steuerunggewähren .Unsere Gesellschaft wird aber nicht nur älter, sie wirdauch bunter . Einwanderung ist eine kulturelle Bereiche-rung für unser Land und bietet die Chance, dem drohen-den Fachkräftemangel etwas entgegenzusetzen . Nun istaber das deutsche Einwanderungsrecht viel zu kompli-ziert und bürokratisch . Es geht an den Bedarfen vorbei .Deutschland muss als Einwanderungsland attraktiverwerden .
Dazu brauchen wir ein potenzialorientiertes Einwande-rungsgesetz . Über ein Punktesystem holen wir gut qua-lifizierte Fachkräfte zur Arbeitsplatzsuche nach Deutsch-land .Neben einem solchen modernen Einwanderungsge-setz brauchen wir aber auch dringend ein Integrations-gesetz, das diesen Namen verdient . Damit Integrationwirklich funktioniert, brauchen wir eine bundesweiteBildungsoffensive, die allen Kindern, unabhängig vonihrer kulturellen, aber auch von ihrer sozialen Herkunft,echte Chancen einräumt . In den letzten Jahren sind vieleMenschen nach Deutschland zu kommen, um Schutz vorKrieg und Krisen zu finden. Diese Menschen benötigenechte Integrationsangebote und eine sichere Zukunfts-perspektive statt Misstrauen und Vorbehalte .
Meine Damen und Herren, eine ganzheitliche De-mografiepolitik betrachtet Vielfalt als Chance für unserLand und Integration als zentrale gesellschaftspolitischeAufgabe . Um diesen Grundsatz institutionell zu veran-kern, fordern wir ein eigenes Bundesministerium fürMigration und Integration. So geht Demografiepolitik –konsistent und nachhaltig!Vielen Dank .
Michael Frieser hat nun das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich bedanke mich am Anfang für die Tatsache,dass man die demografiepolitische Bilanz der Bundes-regierung auch einmal in einer Debatte behandeln kann .Manchmal verschwindet sie etwas aus den Augen desParlamentes . Ich kann nur sagen: Wer eine Strategie derRegierung hinterfragt, der sollte sie einmal lesen . Das istwirklich ein interessantes Werk, insbesondere weil derDoris Wagner
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Begriff „Bilanz“ draufsteht . In einer Legislaturperiodegeht es nämlich immer auch darum, einen Strich zu zie-hen .Es hilft nichts – das vielleicht auch an die Adresse derVorrednerin –, durch das gesamte Sozialrecht zu mäan-dern und einen Forderungskatalog darüber aufzustellen,was in dieser Welt alles wünschenswert wäre . Hintervielem davon könnte ich einen Haken oder ein Ausrufe-zeichen – vielleicht nicht unbedingt ein grünes – setzen .Sie sagen aber kein Wort dazu, wie das ohne zusätzlicheBelastungen für eine geringer werdende nachwachsendeGeneration finanziert werden soll,
keinen Satz zu der nachfolgenden Generation, die dieseLasten tragen muss – darüber sind wir uns ja, wenn esum das Thema Demografie geht, einig – und die immerkleiner wird, sodass sich das Verhältnis verändert .Auf der einen Seite sind wir manchmal in dem Mo-dus, zu sagen, der demografische Wandel sei die Bedro-hung, und es wird ängstlich gefragt: Um Gottes willen,was kommt da auf uns zu? Seit nahezu 20 Jahren hörenwir die fürchterlichsten Aussichten . Auf der anderen Sei-te heißt es in den letzten zwei Jahren beim Thema „Zu-wanderung durch Flüchtlinge“: Entwarnung! Jetzt gibt esüberhaupt keine Probleme mehr .Wir haben in dieser Debatte sehr viel zum Thema Zu-wanderung gehört . Die Frage, ob das deutsche Zuwan-derungs- bzw . Einwanderungsrecht kompliziert ist, warnoch nie ein gutes Maß für die Orientierung . Es kannaber effizient sein. Ich bin sofort bereit, über Einwan-derung bzw . Zuwanderung zu reden, wenn diese Gesell-schaft bereit ist, über die Frage zu diskutieren, wen wirim Hinblick auf den demografischen Wandel gebrauchenkönnen, wer tatsächlich ein Zuwachs für uns ist, wer un-sere Systeme und unsere Gesellschaft unterstützt und ei-nen ganz wesentlichen Beitrag dazu leistet . Nein, durchZuwanderung werden die Fragen des demografischenWandels nicht automatisch beantwortet; denn Zuwan-derung bedeutet nicht gleichzeitig Stabilität der Siche-rungssysteme . Was wir brauchen, ist eine Zuwanderungin Arbeit, nicht eine Zuwanderung ins Arbeitsamt .
Deshalb ist es entscheidend, dass wir dafür die Regelnsetzen .
Ich danke Herrn Staatssekretär Schröder; denn er hatdarauf hingewiesen, dass wir definiert haben, was wirund diese Regierung in 13 Handlungsfeldern auf denWeg gebracht haben . Diese 122 Maßnahmen haben nurein Ziel, nämlich ein längeres, gesünderes, attraktiveresund aktiveres Leben zu ermöglichen, ohne in irgendeinerArt und Weise hinsichtlich derer, die nach uns kommen,mit dem sogenannten Tür-zu-Effekt zu reagieren .Im Augenblick liegen viele Vorschläge auf dem Tisch .Das Schleifen der dämpfenden Rentenfaktoren aber istnicht dazu geeignet, dieses Bild auch nur annähernd auf-rechtzuerhalten . Es geht nicht darum, die Räder zurück-zudrehen; denn alles, was wir zurückdrehen, muss amEnde des Tages jemand bezahlen .
Herr Kollege Frieser .
Herr Präsident, ich habe Sie kaum an Ihrer Stimme
erkannt .
Wir haben uns ja noch verständigt . – Ich wollte Sie
schlicht fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen .
Der Kollege hat stimmlich laut schon sehr auf sich
aufmerksam gemacht, sodass ich ihm die Gelegenheit
geben will, dies jetzt mit Mikrofon zu tun .
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kol-
lege, vielen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . –
Herr Kollege Frieser, Sie haben eben gesagt, wir müssten
die Dämpfungsfaktoren in der Rentenanpassungsformel
so erhalten . Sie heißen zwar Dämpfungsfaktoren, füh-
ren aber in Wirklichkeit dazu, dass die Erhöhungen der
Renten der Rentnerinnen und Rentner im Verhältnis zu
dem Anstieg der Löhne der aktiven Erwerbstätigengene-
ration gekürzt werden . Das muss man immer dazusagen .
Sie haben mit keinem Wort begründet, warum diese Kür-
zung aufgrund des demografischen Wandels notwendig
sein sollte .
Ich frage Sie: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu neh-
men, dass es angesichts des demografischen Wandels viel
wichtiger ist, dass die Menschen gute Löhne und später
gute Renten haben und die älteren Menschen in Zukunft
nicht in Altersarmut leben müssen, und dass es für die
Finanzierung einer guten Rente viel wichtiger ist, dass
die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber wieder die Hälfte
der gesamten Alterssicherungskosten tragen?
Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass schon
ein Mehrbeitrag von 33 Euro im Monat pro Arbeitneh-
merin/Arbeitnehmer und pro Arbeitgeberin/Arbeitgeber
bei einem durchschnittlichen Verdienst von 3 022 Euro
ausreichen würde, um das Rentenniveau von 48,2 wieder
auf 53 Prozent anzuheben? Dies wäre bis zum Jahr 2029
möglich . Das rechne ich Ihnen aus Zeitgründen nicht
vor, –
Das ist nett .Michael Frieser
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– weil mir sonst die Frau Präsidentin sagt, dass das
nicht ginge . Aber rechnerisch geht das . Nehmen Sie das
zur Kenntnis? Sind Sie auch bereit, zuzugeben, dass es
für eine vernünftige Alterssicherung viel wichtiger ist,
dass die Produktivitätsentwicklung und das Wirtschafts-
wachstum gut vorankommen, als nur das Verhältnis von
Rentnern zu Beschäftigten?
Sehen Sie, Herr Kollege, meine Bereitschaft zurKenntnisnahme ist nahezu unbegrenzt . Sie ist aber vorallem der Wahrheit verpflichtet. Wenn Sie den Ausgangdieses Redebeitrags abgewartet hätten, dann hätten wirüber diese Frage schön reden können .Ich darf auf Folgendes hinweisen: Wir werden beiMenschen, die im Produktionsprozess stehen und dietatsächlich ein Leben lang gearbeitet haben, dafür sor-gen, dass sie für die Gesellschaft auch im Alter einenproduktiven Beitrag leisten, was der Tatsache geschuldetist, dass die Menschen erstens länger und zweitens ge-sünder leben . Wenn wir auf alle dämpfenden Faktorenverzichten würden, würden wir diesen Menschen einenBärendienst erweisen .Ich darf auf der anderen Seite darauf hinweisen, dassunsere Anstrengungen, die Arbeitswelt beim Thema „Ar-beit 4 .0“ zu gestalten, genau darauf gerichtet sind . Dazugehört auch das Thema, nicht nur junge Menschen in Ar-beit zu bringen . Wir stellen uns immer den Dachdeckervor, der 40 Jahre lang körperlich hart gearbeitet hat undam Ende seines Arbeitslebens natürlich nicht in der Lageist, über das Renteneintrittsalter hinaus zu arbeiten . Aberdie Welt hat sich doch geändert .Nehmen Sie daher bitte zur Kenntnis, dass die Weltsich insofern geändert hat, dass die Menschen längerarbeiten können, dass die Digitalisierung ihren Beitragdazu leisten kann und dass sich das natürlich auf irgend-eine Art und Weise in der Rente auswirken muss .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, genau die-ser Punkt ist entscheidend . Menschen werden älter . Sieleben gesünder . Sie werden länger leben . Sie sollen ei-nen aktiven Ruhestand haben . Das kommt aber nicht vonselbst, wenn wir diesen demografischen Wandel nicht zugestalten wissen . Deshalb steht in der Überschrift: „JedesAlter zählt“ .Das Thema „demografischer Wandel“ beschäftigt sichnicht nur mit den gesünderen, älteren und produktiver-en Menschen, die in einem Unruhestand leben, sondernes beschäftigt sich auch mit den Menschen, die in dieserGesellschaft die Lasten zu tragen haben . Deshalb ist esentscheidend, dass wir uns die Frage stellen: Wie gehenwir damit um, und wie halten wir Menschen in ihremArbeitsleben fit? Es reicht nicht mehr, den Menschen zusagen: Macht einmal für drei Tage oder eine Woche einenWorkshop . – Es kommt darauf an, dass wir die Rahmen-bedingungen setzen, damit Menschen für ein Semesteroder ein Trimester aus ihrem Arbeitsleben herausgehen,um neu zu lernen und ihren Beruf besser zu verstehen .Das wird aber nicht dadurch funktionieren, indem wirdie Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes verlängern undsagen: Staat, mach du das . Das Arbeitslosengeld wirddann 48 Monate gezahlt, und wir schmücken das Ganzenoch mit ein bisschen Qualifizierung aus. – Wir müssenvielmehr zusammen mit den kleinen und mittelständi-schen Unternehmen die Menschen in die Lage versetzen,dass sie mit ihrem Arbeitgeber ihren Arbeitsplatz neu er-leben und auch altersgerecht gestalten können . Das kanndie Digitalisierung und die Arbeit 4 .0 leisten .
Insofern, glaube ich, ist unser Ansatzpunkt genaurichtig . Wir können dieses Thema nicht alleine den Kom-munen überlassen und erklären: Wir heben das Koope-rationsverbot im Zusammenhang mit Qualifizierung undBildung auf . – Dagegen wird man als geborener Födera-list natürlich Vorbehalte haben . Wir haben vieles getan,was mit Blick auf die Kommunen nicht ausschließlichin die Zuständigkeit des Bundes fällt . Ich weise nur aufdie Übernahme der Kosten für die Grundsicherung imAlter hin .Entscheidend ist, die Rahmenbedingungen zu setzen .Ein wichtiger Aspekt beim demografischen Wandel istdie Unterstützung für kinderreiche Familien . Wenn wirüber das Thema „Wohnungen und Bauen“ reden, dannreden wir immer mit Blick auf die Ballungsräume . Wirreden immer darüber, wo es extrem schwierig ist . Ja, esist schwierig für eine Familie mit drei Kindern, in Mün-chen, in Frankfurt, in Hamburg eine Wohnung zu finden.Welche Überraschung!
Nein, es geht darum, dass große Landstriche in die-sem Land durchaus zu mehr in der Lage wären, wenn wirsie denn in die Lage versetzen . Das heißt, sozialer Woh-nungsbau darf nicht nur ballungsraumgebunden sein .Flächenentwicklung darf nicht nur an den Rändern vonBallungsräumen stattfinden. Digitalisierung beinhaltetauch Stabilisierung der ländlichen Räume, nämlich ar-beitsplatzungebunden und nicht nur in der Stadt, sondernauch draußen durch die Ausweisung der richtigen Bau-landflächen und das Senken der Erwerbskosten. Alle, diehier schreien: „Wir müssen Bauen und Wohnen auch fürgroße Familien etwas günstiger machen“, sollen einmalin ihren eigenen Ländern nach den Grunderwerbskostenschauen . Die sind nämlich dort überall doppelt so hoch,wo man danach ruft, dass man große Familien wirklichansiedeln möchte .Also, wir haben es in der Hand . Wir haben es bei derFrage des demografischen Wandels tatsächlich in derHand, den Menschen keine Angst zu machen und keineÄngste zu schüren, sondern in unserem Bereich jeweilsdafür zu sorgen, dass wir diesen demografischen Wandelwirklich stärken und vor allem gestalten . Wir gestaltenihn, indem wir die Menschen fit darin halten, mit Spaßihr Leben, ihre Arbeitswelt neu zu erfinden und neu zugestalten . Damit geraten diese Menschen nicht langsamauf ein Abstellgleis, sondern können in ihrem längeren,
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 226 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 24 . März 201722720
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gesünderen, aktiveren Ruhestand auch noch einen Bei-trag für diese Gesellschaft leisten .Vielen Dank .
Als nächste Rednerin hat Susanna Karawanskij für die
Fraktion Die Linke das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und
Kolleginnen! Liebe Gäste! Demografie ist so eine Sache.
Sie ist nichts Abstraktes, man kann sich ihr nicht entzie-
hen . Sie geht uns alle an; denn sie umfasst im Prinzip
unser Zusammenleben . Im Prinzip ist es eine Bevölke-
rungsentwicklung, die uns alle trifft . Wie gesagt, man
kann sich ihr nicht entziehen .
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung,
Sie schreiben allerhand zusammen in Ihrem Bericht . Sie
loben sich vor allen Dingen selbst, und auf Seite 20 be-
ginnt ein leider sehr kleines und kurzes Kapitel, aber es
ist nicht unerheblich . Es heißt: „Gleichwertige regionale
Lebensverhältnisse“ . Da bringen Sie es erstaunlicherwei-
se kritisch auf den Punkt . Dort heißt es sinngemäß: Inner-
halb Deutschlands bestehen erhebliche Ungleichheiten
auf drei Gebieten: bei den Einkommens- und Beschäfti-
gungsmöglichkeiten, bei der Sicherung der Mobilität und
beim Zugang zu den Angeboten der Daseinsvorsorge .
Strukturschwächere Regionen verlieren jüngere und vor
allen Dingen auch gebildete junge Menschen .
Aber Sie verlieren kein einziges Wort darüber, auf
welche Regionen das in unserer Bundesrepublik vor al-
len Dingen zutrifft, nämlich auf den Osten .
Es ist völlig unumstritten, dass es auch im Westen Regi-
onen gibt, die schwächer, die strukturschwach und ab-
gehängt sind . Wenn man sich aber die Deutschlandkarte
mit Blick auf die Strukturdaten anschaut, egal ob es um
Arbeit, um Arbeitslosigkeit oder zum Beispiel die Höhe
des Privatvermögens oder der Armut geht, dann sehe ich
immer noch die alte Karte der DDR . Ehrlich gesagt, wir
haben immer noch eine gespaltene Bundesrepublik, die
vor allen Dingen sozial gespalten ist . Deswegen setzen
wir uns als Linke nach wie vor dafür ein, dass es eine
bundesweite Offensive gibt zur Herstellung gleichwerti-
ger Lebensverhältnisse in Ost und West .
Fakt ist, dass es in über einem Vierteljahrhundert nach
der deutschen Einheit immer noch nicht gelungen ist,
diese gleichwertigen Lebensverhältnisse zu etablieren .
Die Arbeitslosenquote ist immer noch wesentlich höher .
Die Ostlöhne liegen bei 79 Prozent des Westniveaus, und
der Anteil der prekär Beschäftigten ist im Osten immer
noch höher – trotz Arbeit .
Wenn ich mir das Rentenrecht anschaue, dann wird
das Problem Altersarmut eigentlich in meine Generati-
on weitertransportiert . Wir brauchen weiterhin eine Um-
rechnung der Ostlöhne, bis die Entgelte und Löhne der
Generation derjenigen, die jetzt arbeiten, also meine Ge-
neration, die damit wirklich gar nichts mehr am Hut hat,
gleich bzw . annähernd gleich auf Westniveau sind .
Ich erwarte von einer Demografiebilanz ehrlich ge-
sagt mehr als nur eine Analyse der Bundesregierung .
Dies sage ich auch vor dem Hintergrund, dass ich aus
einem Wahlkreis in Nordsachsen komme . Dieser ist vor
allem ländlich geprägt . Hier gibt es große strukturelle
Unterschiede zu der Stadt . Leipzig liegt in der Nähe .
Nordsachsen hat vor allem ländliche Strukturen . Ich er-
warte vor allem, dass Sie es uns erklären und Vorschläge
unterbreiten, wie wir das denn lösen sollen . Ich möchte
wissen und erklärt bekommen, was getan wird . Es geht
nicht nur um die Analyse, sondern darum, was Sie zu tun
gedenken . Es geht auch um die Frage, ob sich die Men-
schen darauf einrichten sollen, dass nichts getan wird,
oder ob jetzt tatsächlich Hoffnung geschöpft werden
kann und eine neue Situation eintritt .
Sie verlieren leider auch kein Wort darüber, wie Sie
zum Beispiel in der Frage der Pflege weiter vorzugehen
gedenken bzw . ob Sie Vorschläge unterbreiten werden .
Es ist doch krass, dass ein Viertel der Pflegebedürftigen
im Osten lebt . Das hat auch Auswirkungen darauf, dass
eine Pflegefachkraft im Osten weniger verdient als im
Westen . Das wird doch weitertransportiert . Ich muss als
Bundesregierung nicht die große Mathematik bemühen,
sondern nur eins und eins zusammenzählen, um zu er-
kennen, dass wir nicht nur jetzt, sondern stärker noch in
10 oder 20 Jahren vor Problemen stehen, deren Lösung
wir schon jetzt anpacken könnten . Ihr Ausblick füllt nur
eine halbe Seite. Das ist definitiv zu wenig.
Fakt ist, dass eine weit auseinanderdriftende Schere
zwischen Arm und Reich oder eine regional stark unglei-
che Verteilung unserer Gesellschaft schaden . Wir werden
die Schere nur mit einer sozial gerechten Umverteilung
schließen . Gleichwertige Lebensverhältnisse und soziale
Gerechtigkeit sind keine Floskeln, und das ist auch kein
Selbstzweck, sondern das ist der Kitt unserer Gesell-
schaft . Wir als Linke werden weiterhin dafür kämpfen .
Vielen Dank .
Als nächster Redner hat Matthias Schmidt für die
SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren auf der Zuschauertribüne! Liebe Kolleginnen undKollegen! „Houston, wir haben ein Problem!“: Dieserberühmte Hilferuf der Apollo-13-Besatzung beschriebeine lebensbedrohliche Notsituation . Die Besatzung derApollo 13 fürchtete 1970, aufgrund eines technischenDefekts nicht mehr zur Erde zurückkehren zu können .Michael Frieser
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Filmisch ist das übrigens von Tom Hanks und anderengut aufgearbeitet worden .Unser demografisches Problem in Deutschland ist mitApollo 13 nicht zu vergleichen, und doch möchte manausrufen: „Berlin, wir haben ein Problem!“ Denn auchdieses ist ein gewaltiges Problem, das die Bundesregie-rung als unsere Bodenstation schon lange erkannt hat .Die Bundesregierung hat uns mit der demografiepoliti-schen Bilanz unter dem vielschichtigen Titel „Jedes Alterzählt“ ein gutes Papier an die Hand gegeben, das zahl-reiche überwiegend gesetzgeberische Maßnahmen gegenden demografischen Wandel in unserem Land aufzählt.Darüber, Herr Staatssekretär, ob die schwarze Null diewichtigste Errungenschaft auf diesem Gebiet ist, kannman vielleicht noch einmal intensiv nachdenken . DieProbleme sind gewaltig: Von A wie Arztmangel bis Z wieZugverbindungen geht es um zahlreiche Belange unseresAlltagslebens . Unsere Gesellschaft wird sich unter demEindruck des demografischen Wandels verändern. Es istein schleichender Prozess, der Jahre und Jahrzehnte inAnspruch nimmt; aber er hat schon längst begonnen . Wir,liebe Kolleginnen und Kollegen, sind in der Pflicht, die-sen Wandel zu gestalten .Schauen wir uns die Bilanz der Regierung an: UnterPunkt 4 .4 geht es um „Zuwanderung und Integration vonFlüchtlingen“ . Diesem Thema kommt meines Erachtensbesondere gesellschaftliche Bedeutung zu . Auch hierwerden wir keine schnellen Lösungen erzielen können,aber die Große Koalition hat erkannt: Sprache und Arbeitsind die Schlüssel zur Integration . An dieser Stelle hat dieGroße Koalition schon gehandelt .Es ist sicherlich kein Zufall, dass unter Punkt 4 .5„Fachkräftesicherung“ folgt . Auch hier erkennen wir aufAnhieb, dass der demografische Wandel auch Chancenbeinhaltet . Wenn es uns gelingt, möglichst große Teileder ersten, mindestens aber die zweite Generation derFlüchtlinge komplett in unser Bildungs- und Ausbil-dungssystem zu integrieren, dann werden wir dem Ar-beitsmarkt Gutes tun und zugleich für ein „Selbstbe-stimmtes Leben im Alter“ – siehe Punkt 4 .7 – sorgen .Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? So weit sind wirnoch nicht . Es gibt auch Dinge, die wir im Bund selbstregeln können und für die der Bund selbst Verantwortungträgt .Damit komme ich zum Thema Demografie im öffent-lichen Dienst . Das ist ein wichtiges Thema . Ein Blickauf die Alterspyramide im öffentlichen Dienst zeigt: Esist keine Pyramide, die unten stark ist und eine schma-le Spitze hat, sondern sie sieht eher aus wie ein Schnee-mann aus zwei großen Ballons, der auch noch auf demKopf steht . Der obere Ballon – das ist die Altersklas-se 50 Jahre aufwärts – ist der stärkste im öffentlichenDienst . In der Mitte kommt eine schmale Taille . Das istdie Gruppe der ungefähr 40-Jährigen, die so gut wie garnicht vorhanden sind . Eine kleinere Kugel repräsentiertdie 20- bis 30-Jährigen, die neu eingestellt wurden . Die-se Alterspyramide wird quasi nach oben herauswachsen .Die Babyboomer werden in Rente oder in Pension gehen .Wir müssen schon heute durch eine kluge Einstellungs-politik dafür sorgen, dass die dann entstehenden Lückengeschlossen werden .Hinzu kommt, dass wir derzeit im öffentlichen Diensteinen Kardinalfehler begehen . Das ist die Befristung .Wir wissen, dass junge Menschen in befristeten Arbeits-verhältnissen nur selten Familien gründen . Diesen Men-schen müssen wir Sicherheit geben, nicht nur im öffent-lichen Dienst . Aber dort können wir mit gutem Beispielvorangehen . Insgesamt müssen wir auf dem Arbeitsmarktzu einer raschen Abschaffung der sachgrundlosen Befris-tung kommen . Diese war hilfreich auf einem Arbeits-markt, der von hoher Arbeitslosigkeit geprägt war . Aberjetzt herrscht weithin Facharbeitermangel . Da braucht esBefristungen nur in konkreten Einzelfällen, zum Beispielim Fall einer Schwangerschaftsvertretung . Lassen Sieuns gemeinsam den Befristungsfehler schnellstmöglichkorrigieren .
Insgesamt steht die Politik beim Thema Demogra-fie vor vielen Handlungsfeldern und Problemen, diegelöst werden wollen . Aber genauso wie Apollo 13 imJahr 1970 wohlbehalten zur Erde zurückgeholt werdenkonnte, können wir die demografischen Probleme ange-hen und lösen . Jetzt, da Apollo 13 gelandet ist, freue ichmich auf die Ausschussberatungen .Vielen herzlichen Dank .
Jetzt hat Astrid Timmermann-Fechter für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen! Wohlstand und Lebensqualität fürunsere nachfolgenden Generationen, eine Gesellschaft,die auch in Zukunft zusammenhält, in der jeder Einzelnezählt und sich mit seinen Potenzialen einbringen kann,egal ob jung oder alt, egal ob Mann oder Frau, egal obkrank oder gesund, eine Gesellschaft, die auch in Zu-kunft alters- und familienfreundlich ist – das sind unse-re demografiepolitischen Ziele, an deren Erreichung wirintensiv arbeiten . Das gilt insbesondere für den Bereichder Familienpolitik; denn gerade eine vorausschauendeFamilienpolitik ist für die Gestaltung des demografi-schen Wandels grundlegend . Für uns als Union ist undwar schon immer von zentraler Bedeutung, Familien zustärken und finanziell zu entlasten. Familien benötigenFreiheit und Flexibilität, um Familie und Beruf gut mit-einander vereinbaren zu können . Diese Vereinbarkeit isteine wichtige Voraussetzung für die Gründung einer Fa-milie und ermöglicht die partnerschaftliche Aufteilungvon Arbeit und familiären Aufgaben .Seit zehn Jahren unterstützen wir mit dem Elterngeldjunge Eltern, die ihre Kinder nach der Geburt vorrangigselbst betreuen wollen . Mit dem Elterngeld Plus habenwir es zudem flexibler gestaltet. Das Elterngeld ist eineMatthias Schmidt
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Erfolgsgeschichte . Es ist zielgenau und wird intensiv ge-nutzt, bei steigendem Bedarf; denn die Geburtenzahlenhaben sich in den letzten Jahren positiv entwickelt .Für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ebensoeine bedarfsgerechte Kinderbetreuung von entscheiden-der Bedeutung . Wir haben daher verstärkt in den Ausbauvon Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahre inves-tiert . Von 2008 bis 2016 stellte der Bund den Ländern7,3 Milliarden Euro für Investitionen und Betriebskostenzur Verfügung .Ein weiterer Schwerpunkt unserer Politik verfolgtdie Zielstellung, älteren Menschen auch in Zukunft einselbstbestimmtes Leben und gesellschaftliche Teilhabeim Alter zu ermöglichen . Immer mehr Menschen errei-chen bei guter körperlicher und geistiger Gesundheit einhöheres Lebensalter . Gleichzeitig steigt der Anteil derMenschen, die pflegebedürftig sind. Die Mehrheit derSeniorinnen und Senioren wünscht sich dabei, so langewie möglich zu Hause ein selbstbestimmtes Leben zuführen und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben .Dies ist für uns Chance und Herausforderung zugleich,eine Chance, da sich eine wachsende Anzahl an Seniorin-nen und Senioren in die Gesellschaft einbringen möchte,und eine Herausforderung, weil wir die entsprechendenBedingungen für ein selbstbestimmtes Leben und Teilha-be im Alter erhalten, aber auch schaffen müssen . Hierzuzählen insbesondere ein altersgerechtes und barrierear-mes Wohnumfeld, Mobilität, soziale Dienstleistungen,Prävention und Pflege.Mit den Pflegestärkungsgesetzen haben wir die Pfle-ge verbessert, gerechter gestaltet und für die Zukunftgestärkt. Mit der Einrichtung des Pflegevorsorgefondstragen wir dabei einem möglichen erhöhten Pflegebedarfder geburtenstarken Jahrgänge Rechnung und sorgendamit für mehr Generationengerechtigkeit . Mit dem Ge-setz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege undBeruf haben wir pflegende Angehörige gestärkt, indemwir einen Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit und ei-nen Anspruch auf Lohnersatzleistungen bei kurzfristigenPflegenotfällen eingeführt haben.Für ein selbstbestimmtes Leben im Alter ist darüberhinaus das altersgerechte Wohnumfeld zentral . Daherfördern wir den altersgerechten Umbau . Allein für 2017stellen wir im Rahmen des KfW-Programms „Altersge-recht Umbauen“ 75 Millionen Euro für den Barriereab-bau bereit. Damit haben wir die finanziellen Mittel ge-genüber 2016 um fast 26 Millionen Euro erhöht .Ein besonderes Anliegen der Union war in dieser Le-gislaturperiode auch die Verstetigung und Ausweitungder Förderung der Mehrgenerationenhäuser . Wir habenhierfür die Mittel erhöht, sodass 2017 eine Förderungvon rund 550 Häusern und damit fast 100 Häusern mehrmöglich wird .Meine sehr geehrten Damen und Herren, der demogra-fische Wandel gehört zu den größten Herausforderungenunserer Zeit, eine Herausforderung, an der wir insbeson-dere im Rahmen der Demografiestrategie arbeiten – füreine alters- und familienfreundliche Gesellschaft, zumWohle unserer nachfolgenden Generationen .Was den Antrag vom Bündnis 90/Die Grünen zurPartizipation und Selbstbestimmung älterer Menschenbetrifft, so habe ich in der ersten Debatte zum Antrag be-reits deutlich gemacht: Viele Ihrer Forderungen sind be-reits Bestandteil unserer Politik . Viele Ihrer Forderungenfallen in die Zuständigkeit der Länder und Kommunen .Nicht zuletzt enthält Ihr Antrag viele finanzielle Forde-rungen, jedoch keine entsprechenden Finanzierungsvor-schläge . Aus diesen Gründen lehnen wir Ihren Antrag ab .Vielen Dank .
Als nächster Redner spricht Michael Groß für die
SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal freue ichmich, nach Kollegin Timmermann-Fechter zu sprechen,wenn ich das sagen darf, Frau Präsidentin, weil sie ausdem schönen Marl kommt, dem nördlichen Ruhrgebiet .Man kann es hierher schaffen; wie gesagt, meine Freudeist sehr groß .Ich habe den beiden Kollegen, dem StaatssekretärSchröder und dem Kollegen Frieser, sehr gut zugehört .Ich muss Ihnen sagen: Ich wundere mich immer überIhre Fixierung auf die schwarze Null . Sie betreiben dieSpaltung dieser Gesellschaft . Sie versuchen, zwischenAlt und Jung einen Keil zu treiben . Sie müssen sich ein-mal mit den Leuten vor Ort, mit Kindern, Jugendlichenund meiner Familie unterhalten . Die sagen: Der Genera-tionenvertrag steht . – Sie verstehen gar nicht die Diskus-sion, die Sie hier führen .
Sie verstehen nicht die Abkehr vom Generationenver-trag und die Spaltung der Gesellschaft, wie das in IhrenFormulierungen zum Ausdruck kommt . Ich glaube, wirmüssen in die Jugend investieren . Die höchste Prioritätdarf nicht die schwarze Null sein,
sondern die Investitionen in die Städte, in die Schulenund in die Kitas .
Ihre Barriere führt doch dazu, dass wir den demogra-fischen Wandel nicht meistern. Sie betreiben eine Politik,die dazu führt, dass unsere Städte und Kommunen da-von abhängig sind, selbst genug Geld zu erwirtschaften .Ich sage Ihnen: Generationengerechtigkeit, das Leben inAstrid Timmermann-Fechter
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Städten und bezahlbares Wohnen dürfen kein Luxusgutsein . Deswegen müssen wir investieren .
Ich möchte auf den Bereich „lebenswerte Städte undKommunen“ eingehen . Ich glaube, wir haben in dieserLegislatur eine Menge geschafft . Wir haben eine Städ-tebauförderung ermöglicht, die doppelt so viele Mittelvorsieht wie in der letzten Legislatur . Fast 1 MilliardeEuro haben wir etatisiert, um Städte zu unterstützen, ihreStadtteile zu entwickeln . Wir schaffen es durch die unter-schiedlichen Städtebauprogramme, dass Innenstädte be-lebt werden können, was zu Begegnungen führt . Immo-bilien, in denen niemand mehr leben will und mit denenspekuliert wird, können vom Markt genommen werden .Wir sorgen dafür, dass die Menschen wieder in einer Ur-banität leben können, in der die Wege kurz sind, in dersie Arbeit und Wohnen miteinander verknüpfen können .Das betrifft eben auch ältere Menschen, die heute zumgroßen Teil in den Peripherien der großen Städte oderin ländlichen Regionen wohnen . 25 Prozent der älterenMenschen sagen: Die Wege sind mir zu weit. Ich findekeinen Arzt. Ich finde keine Nahversorgung. – Wir ha-ben es mit unserem Städtebauprogramm geschafft, dieserEntwicklung entgegenzustehen .
Ich glaube, dass wir die Städte auch weiterhin unter-stützen müssen . Die Städte haben in dieser Legislaturvon uns zusätzlich 20 Milliarden Euro bekommen . Wirhaben es ihnen ermöglicht, über die soziale Wohnraum-förderung zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, insbe-sondere bezahlbaren Wohnraum, auch in den Ballungs-gebieten . Das ist ein Erfolgsmodell . NRW hat im letztenJahr 10 000 neue Wohnungen geschaffen, die sozialeBindungen haben, und damit ist NRW deutscher Meister .
Die Städte brauchen Geld, weil sie die Aufgabe meis-tern müssen, integrative Stadtentwicklung zu betreiben .Integrative Stadtentwicklung bedeutet – da möchte ichgerne der Kollegin Wagner widersprechen –, dass dieMenschen vor Ort entscheiden können, wie ihre Stadtzukünftig aussehen soll . Wir wollen sie, Alt und Jung, be-teiligen, darüber zu diskutieren, mitzuentscheiden: Wiesoll mein Umfeld aussehen? Wie soll mein Grün in derStadt aussehen? Wie und wo will ich mich mit Menschentreffen? Wie soll mein Lebensumfeld gestaltet werden?Ich glaube, dass wir mit der Städtebauentwicklung dazuden Städten ein gutes Instrument gegeben haben .Wir brauchen Menschen, die sich in den Städten en-gagieren . Wir müssen diejenigen belohnen, die sich ge-meinwohlorientiert verhalten . Wir müssen diejenigenbelohnen, die sich neben bezahlbarem Wohnraum darumkümmern: Wie sehen die Stadtteile aus? Wie sehen dieQuartiere aus? Wie sehen die Veedel aus, in denen wirleben? Wir brauchen eine Unterstützung derjenigen, diesich um die Stadtrendite kümmern .Herzlichen Dank .
Als letzte Rednerin in dieser Aussprache hat Barbara
Woltmann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ja, der demografische Wandel betrifft sämtliche
Lebensbereiche . Frau Kollegin Karawanskij, das geht
uns alle an; da stimme ich Ihnen zu . Aber dann erschöpft
es sich auch schon mit den Gemeinsamkeiten .
Demografiepolitik ist eine Querschnittsaufgabe, der
wir uns alle stellen müssen . Ich bin froh, dass jetzt die
Bundesregierung auch diese Bilanz vorgelegt hat . Es ist
auch eine Daueraufgabe .
Mit Verlaub, Herr Kollege Groß, Sie haben gerade
Kritik daran geübt, dass wir zu sehr an der schwarzen
Null festhalten, haben in Ihrer Rede dann aber darauf
hingewiesen, dass wir mehr für den sozialen Wohnungs-
bau tun . Ich darf daran erinnern, dass wir 500 Millionen
Euro mehr pro Jahr in den sozialen Wohnungsbau gege-
ben haben . Ich glaube, sagen zu können, dass diese Bun-
desregierung noch nie so viel für Kommunen finanziell
getan hat . Wir nehmen Milliardenbeträge in die Hand,
um die Kommunen mit diversen Förderprogrammen zu
unterstützen . Ich denke an die 3,5 Milliarden Euro, die
wir in ein Sonderbauprogramm geben, und an diverse
andere Programme .
Da kann man sich hier doch nicht hinstellen und sagen,
wir täten nichts und wir hielten zu sehr an der schwarzen
Null fest. Ich finde, das ist nicht glaubwürdig. Ich kann
das nur zurückweisen . Wir können da auf eine gute Bi-
lanz zurückgreifen .
Frau Woltmann, lassen Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Michael Groß zu?
Ja .
Liebe Kollegin, haben Sie gestern die Veröffentli-chung des Armuts- und Reichtumsberichts in Deutsch-land wahrgenommen?
Sie haben ja lange versucht, diesen Bericht zu verhin-dern . Aus ihm geht hervor, dass es in Deutschland vieleMenschen gibt, die abgehängt werden, dass 40 Prozentder Menschen heute weniger Realeinkommen als 1995haben .Michael Groß
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Ich glaube, wir haben sehr viel erreicht; da haben SieRecht . Meine Frage an Sie: Sind Sie ernsthafterweise derMeinung, dass die Städte, die Kommunen finanziell aus-reichend ausgestattet sind, um die vielen Aufgaben, dieSie gerade beschreiben, zu erfüllen?
Vielen Dank, Herr Kollege, für diese Frage . – Ich habe
in der Presse vernommen, dass der Bericht jetzt vorge-
legt wird . Ich habe ihn noch nicht gelesen . Wir müssen
uns diese Dinge natürlich immer sehr genau anschauen .
Es gibt den Hinweis darauf, dass wir eine Menge Kinder
haben, die an der Armutsgrenze leben . Das ist ein Punkt,
zu dem ich persönlich sage: Das müssen wir uns sehr viel
genauer anschauen .
Wir haben mittlerweile aber sehr gute Rahmenbedin-
gungen; Gott sei Dank . Aufgrund der guten Wirtschafts-
politik, die wir in Deutschland machen, haben wir so
hohe Steuereinnahmen wie kaum jemals zuvor . Nicht nur
der Bund hat hohe und höhere Steuereinnahmen; auch
die Länder und die Kommunen haben höhere Steuerein-
nahmen . Es ist nicht gleich verteilt; das gebe ich zu .
Aber man kann nicht in Abrede stellen, dass die Bun-
desregierung sehr viel Geld gerade auch für die Kommu-
nen zur Verfügung stellt, obwohl – das muss man hier
vielleicht auch mal sagen – die Länder für eine ausrei-
chende Finanzausstattung der Kommunen zuständig
sind .
Ich möchte auch an die Finanzverhandlungen mit den
Bundesländern erinnern . Wir stellen das auf eine neue
Basis . Auch das haben wir im Plenum schon behandelt .
Das sind wichtige Dinge . Wir sagen: Wir wollen Länder
und Kommunen weiter mit finanziellen Mitteln ausstat-
ten . Am föderalen System – das ist doch wohl Konsens
hier – wollen wir aber festhalten . Insofern muss man im-
mer die Verantwortlichkeiten sehen .
Demografiepolitik ist ganz wichtig. Wir wissen, dass
die Alterspyramide auf dem Kopf steht . Gott sei Dank
steigen die Kinderzahlen wieder etwas an . Beim Ge-
burtsjahrgang 1968 lagen wir noch durchschnittlich bei
1,49 Kindern pro Frau, bei den Geburtsjahrgängen da-
nach schon bei 1,6 . Das reicht natürlich noch nicht aus;
das wissen wir .
Wir haben 2015 – von Einwanderung ist schon ge-
sprochen worden – einen Wanderungssaldo, ein Plus von
rund 1,1 Millionen Menschen gehabt . Es kommen viele
Menschen nach Deutschland, um hier zu arbeiten . Es ist
über ein Einwanderungsgesetz gesprochen worden . Da-
für habe ich persönlich sehr viel Sympathie .
Aber im Grunde haben wir schon gute Einwanderungs-
regelungen .
Wir haben die Bluecard . Wenn man einen von, ich glau-
be, 109 Berufen hat, in denen Mangel herrscht, kann man
heute schon, wenn man einen sozialversicherungspflich-
tigen Arbeitsplatz in Deutschland nachweist, in die Bun-
desrepublik einwandern, also in Arbeit einwandern und
nicht, wie Kollege Frieser gesagt hat, ins Arbeitsamt . Das
ist das, was uns wichtig ist und was wir gerne wollen .
Es ist von der Kollegin Timmermann-Fechter in vie-
len Punkten aufgezeigt worden, was wir zur besseren
Vereinbarkeit von Familie und Beruf schon getan haben .
Wir sind da noch nicht am Ende . Es bestreitet hier keiner,
dass wir da noch weitere Aufgaben haben . Es ist eine Bi-
lanz, ein Zwischenschritt, ein Zwischenbericht . Ich habe
vorhin schon gesagt: Es ist eine Daueraufgabe, der wir
uns ständig stellen müssen . Deswegen ist die Demogra-
fiestrategie 2015 schon überarbeitet worden. Auch das ist
wichtig: Es ist kein starres System . Wir müssen immer
wieder gucken: Wo müssen wir nachjustieren? Denn die
Gesellschaft und Systeme verändern sich .
Mir ist es ganz wichtig, dass wir eine bessere Verein-
barkeit von Beruf und Familie bekommen . Wir haben
dieser Tage den 80 . Geburtstag von Rita Süssmuth ge-
feiert, die seinerzeit auch Familienministerin war . Sie
hat schon 1985 dafür gesorgt, dass wir Erziehungsgeld
und Erziehungsurlaub bekommen haben . Welch weit-
reichende und weise Entscheidung damals! Viele Dinge
sind dazugekommen . Es kann und muss besser werden;
das bestreitet überhaupt keiner . Wir müssen weiter dafür
kämpfen, dass uns Vereinbarkeit von Familie und Beruf
gelingt .
Die Kommunen leisten dazu schon eine ganze Men-
ge . Aber eines muss man auch einmal sagen: Bei mir in
der Kommune wollten wir schon Kindergartengruppen
schließen, weil wir nicht mehr genug Kinder hatten .
Durch die Flüchtlinge, die zu uns gekommen sind, müs-
sen wir das Angebot wieder weiter ausbauen . Insofern:
Demografischer Wandel – das ist auch schon von Vor-
rednern gesagt worden – ist nicht nur schrecklich und
schlimm, sondern es sind auch große Chancen damit
verbunden . Wir müssen das, wie man so schön sagt, ge-
stalten .
Gestern ist hier im Hause das Thema „Industrie 4 .0“
diskutiert worden . Das ist auch ein wichtiger Punkt . Wir
haben zu wenig Fachkräfte . Deshalb sagen mir meine
Unternehmer: Ihr müsst uns helfen . Ihr müsst mehr tun . –
„Industrie 4 .0“ ist da eine wichtige Antwort . Keine rich-
tige Antwort war – das möchte ich auch einmal sagen –
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen .Michael Groß
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– ich komme zum Schluss – die Rente mit 63 . Das
war das falsche Signal . Die Flexirente ist richtig, um den
nahtlosen Übergang zu schaffen .
Und weil schon die ländlichen Räume angesprochen
worden sind: –
Nein, Frau Kollegin, ich muss Sie jetzt wirklich bitten,
zum Schluss zu kommen .
– Ich finde es hervorragend, dass wir den Breitband-
ausbau fördern .
Sie haben schon über eine Minute überzogen .
Letzter Satz: Deswegen sage ich dem Verkehrsminis-
terium Dank . In dieser Woche sind Förderbescheide in
Höhe von fast einer Dreiviertelmilliarde Euro ausgekehrt
worden . Das kommt auch den Kommunen und den dorti-
gen Unternehmen zugute .
Vielen Dank .
Ich schließe die Aussprache, liebe Kolleginnen und
Kollegen .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/11145 und 18/11606 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen,
wobei die Vorlage auf Drucksache 18/11606 zu Tages-
ordnungspunkt 28 b federführend im Innenausschuss be-
raten werden soll . Sind Sie damit einverstanden? – Das
ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .
Tagesordnungspunkt 28 c . Da kommen wir jetzt zur
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu
dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Partizipation und Selbstbestimmung älterer
Menschen stärken“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11645, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 18/9797 abzulehnen . Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen worden .
Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 30 sowie
zum Zusatzpunkt 8:
30 . Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta
Krellmann, Klaus Ernst, Sabine Zimmermann
, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE
Keine Befristung von Arbeitsverträgen ohne
Sachgrund
Drucksache 18/11598
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate
Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Brigitte
Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kein Sachgrund – Keine Befristung
Drucksache 18/11608
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen, und
wir können die Aussprache beginnen, sobald die Kolle-
ginnen und Kollegen ihre Plätze eingenommen haben .
Als erster Redner hat für die Fraktion Die Linke Klaus
Ernst das Wort .
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren!Wir wollen Sicherheit und Verlässlichkeit für dieBeschäftigten!Vor allem jungen Menschen wird viel zugemutet:Sie sollen eine ordentliche Ausbildung machen, sichim Job weiterbilden, sie sollen eine Familie gründenund wollen sich manchmal auch noch um ihre El-tern kümmern, sie sollen für Wohneigentum sorgen,und im Idealfall sollen sie sich auch noch ehrenamt-lich engagieren .
Das alles geht nicht, wenn die eigene Zukunft aufwackeligen Beinen steht! Das kann nicht unser An-gebot für die Jugend sein!Und darum werden wir die Möglichkeit der sach-grundlosen Befristung von Arbeitsverträgen ab-schaffen!
– Aha! Der eine oder andere Sozialdemokrat hat es ge-merkt: Ich habe gerade Martin Schulz zitiert .
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– Ja, dass ihr das noch nicht so richtig gemerkt habt, istmir klar . – Es ist aber wichtig, was er gesagt hat . Dennheute habt ihr, liebe Kolleginnen und Kollegen, mit un-serem Antrag die Möglichkeit, genau das zu machen, waser gesagt hat, nämlich die sachgrundlose Befristung ab-zuschaffen .
Seit wir im Bundestag sind, fordern wir die Abschaffungder sachgrundlosen Befristung . Sie haben das immer ab-gelehnt . Ich hoffe, das ändert sich heute .Mit dem Ersten Gesetz für moderne Dienstleistungenam Arbeitsmarkt – Hartz I – hat Rot-Grün, das diesesGesetz zu verantworten hat, die Möglichkeit deutlicherweitert, dass Unternehmen befristet einstellen . Ohnesachlichen Grund hangeln sich Beschäftigte inzwischenvon Befristung zu Befristung . Befristungen können auchnoch zweimal verlängert werden .Ich zitiere jetzt wieder den Martin Schulz, weil errecht hat:
Auch wir haben Fehler gemacht! Fehler zu machenist nicht ehrenrührig . Wichtig ist: Wenn Fehler er-kannt werden, müssen sie korrigiert werden .Dann korrigieren Sie das heute . Sie haben die Chancedazu!
Da ich gerade den einen oder anderen Zwischenrufhöre, möchte ich noch sagen: Dass Sie 14 Jahre und einWunder von Würselen brauchen,
bis Sie merken, dass Sie einen Fehler machen, ist schonein bisschen dreist . Das ist schon ein bisschen dreist .
Fast jeder zweite Arbeitsvertrag wird heutzutage nurnoch befristet ausgestellt, bei jungen Frauen zwischen 15und 24 Jahren sind es sogar zwei Drittel . Im Jahr 1994gab es 863 000 befristet Beschäftigte, inzwischen sindes 2,8 Millionen . Das ist mehr als eine Verdreifachung .48 Prozent der befristeten Arbeitsverträge haben keinensachlichen Befristungsgrund . Liebe Kolleginnen undKollegen, befristete Arbeitsverträge ohne sachlichenGrund gehören abgeschafft .
Mich wundert, dass Sie von der Union heute so ruhigsind . Normalerweise hätte ich jetzt erwartet, dass Sie sa-gen: Dadurch wird die Wettbewerbsfähigkeit der Repu-blik gefährdet .
Das habe ich von Ihnen schon gehört . Ich sage Ihnen:Wenn die Wettbewerbsfähigkeit der Republik davon ab-hängt, dass wir jungen Leuten bei uns den Start ins Lebenmöglichst schwer machen, dann kann ich nur sagen: Ar-mes Deutschland!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind Menschen,die sich von Befristung zu Befristung durchschlagen, üb-rigens jedes Mal wieder beim Einstiegsgehalt anfangen,keinen Kündigungsschutz haben, keine Planungssicher-heit haben . Wie soll man in so einer Situation eigentlicheine Familie gründen? Ich habe einmal nachgeschaut,was man bei Ihnen von der CDU dazu findet.
Ich habe gefunden, dass Sie sich ganz besonders um dieFamilien kümmern . Sie reden doch gern davon, dassFamilien – Zitat von Ihrer Website – das „Fundamentunserer Gesellschaft“ seien . Wie soll das unter solchenArbeitsbedingungen funktionieren? Wie soll das hinzu-kriegen sein?
Darauf hätte ich eigentlich gern eine Antwort .
Jetzt aber auch noch ein Wort zur SPD, das mir ganzbesonders wichtig ist . Die Aussage des Kollegen Schulz,dass sachgrundlose Befristungen abzuschaffen sind unddass ALG I länger zu zahlen ist, hat bei vielen in unsererRepublik sehr viel Hoffnung geweckt,
übrigens nicht nur bei den Betroffenen, sondern auch beianderen wie zum Beispiel den Eltern derjenigen, die be-fristet beschäftigt sind . Sie wollen, dass ihre Kinder an-ständige Arbeitsverhältnisse bekommen . Sie haben denEindruck erweckt, dass Sie Fehler korrigieren wollenund dass es tatsächlich in eine andere, soziale Richtunggeht . Sie haben dafür große Vorschusslorbeeren erhalten .Ich bin übrigens nicht einmal traurig darüber; im Gegen-teil . Ihre Umfragewerte, die Sie zurzeit haben, sind nichtnur dem Gesicht von Martin Schulz geschuldet, sondernauch den Positionen, mit denen er unterwegs ist . Mir fälltdazu allerdings auch Ihr Parteivorsitzender Münteferingein,
Klaus Ernst
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 226 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 24 . März 2017 22727
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der einmal gesagt hat, er fände es unfair, dass er nach derWahl an das erinnert werde, was er vor der Wahl gesagthabe .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, insofern möchte ichIhnen sagen: Wenn Sie die vielen Erwartungen, die Siegeweckt haben, wieder enttäuschen, dann prophezeie ichder SPD dieselbe Situation wie den Sozialdemokraten inden Niederlanden .
Nach 1998 habt ihr das einigermaßen hingekriegt . Nocheinmal überwindet ihr das nicht . Ich sage euch einmal,was die Voraussetzung dafür ist, dass das, was ihr vor-habt, einigermaßen gelingt:
Die Voraussetzung, dass es gelingt, ist eine starke Linke;denn die muss aufpassen, was ihr macht, die muss euchauf die Finger gucken .
Die Linke muss dafür sorgen, dass das, was ihr vorder Wahl gesagt habt, auch nach der Wahl gilt; das istder Punkt .
Wenn es wieder so käme, wie es leider schon vorge-kommen ist, dass man nämlich vor der Wahl links blinktund nach der Wahl rechts abbiegt und einen Crash im ei-genen Laden verursacht, dann wäre das eine Katastrophe .Deshalb sage ich: Lassen Sie uns die Chancen nutzen,aber dann auch ehrlich, und nicht irgendwelche Schaum-schlägereien machen, sondern eine vernünftige Politik .Sie haben heute die Gelegenheit, sich zu unserem Antragvernünftig zu äußern .
Ich bin wirklich gespannt, ob es das Gegenteil von demist, was Martin Schulz gesagt hat, oder wieder das, wasich zwölf Jahre lang hier gehört habe .Danke für die Aufmerksamkeit .
Matthias Zimmer hat als nächster Redner für die
CDU/CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit ei-nem gewissen Vergnügen hört man ja den Streit zwischenden Linken und der SPD . Ich bin einmal gespannt, wasdie Kolleginnen und Kollegen der SPD zu den Anwürfender Linken sagen .Ich will mit einer kleinen Geschichte anfangen, die ichneulich erlebt habe: Ich habe vor einigen Wochen eineTalkshow über Fragen der sozialen Gerechtigkeit gese-hen, wie sie dieser Tage so häufig im Fernsehen laufen.Sachgrundlose Befristungen sind natürlich ein Thema, andem soziale Gerechtigkeit diskutiert werden kann . DieMinisterpräsidentin eines großen Flächenlandes argu-mentierte offensiv, man müsse die sachgrundlosen Be-fristungen abschaffen. Ein Unionskollege hat eher süffi-sant erwidert, er habe gerade heute eine Zeitungsanzeigegesehen, in der für ein Ministerium dieses Bundeslandes50 Mitarbeiter gesucht werden – sachgrundlos befristetzunächst auf ein Jahr . Ich gestehe, ich habe die Debattenicht mehr weiterverfolgt und kann nicht sagen, ob sichdie Ministerpräsidentin aus den argumentativen Untiefenihrer eigenen Position hat befreien können .Ich erwähne diese kleine Episode nur deshalb, weil sietrefflich zeigt, dass sich zwar die Ideen leicht und eleganttänzelnd im Raum bewegen, sich in der Realität aber mit-unter hart die Tatsachen stoßen .
– Dass man für ein abgeändertes Zitat von Hegel von derCDU/CSU-Fraktion einmal Beifall bekommt, finde ichbesonders erfreulich .
Das ist nicht auf diese Landesregierung beschränkt .Einer Anfrage, die im Februar veröffentlicht wurde, ent-nehme ich, dass auch die Bundesregierung das Instru-ment sachgrundloser Befristung in einem beträchtlichenMaß nutzt . Nehmen wir etwa das Bundesministeriumfür Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Hier ist derAnstieg der Beschäftigten ohne Dauerstelle besondersdramatisch . Freilich, das hat nicht unwesentlich damit zutun, dass hier auch im Rahmen des Zuzugs von Flüchtlin-gen und ihrer Integration schnell reagiert werden mussteund es keine Planstellen gab . Dann ist es auch für dieöffentliche Hand sinnvoll, zu befristen, entweder bis dieAufgabe erledigt ist oder die Befristungen in regulärePlanstellen überführt werden können .
Ich erwähne das deshalb, weil ich glaube: Wenn mandie Abschaffung der sachgrundlosen Befristung fordert,sollte der öffentliche Dienst mit gutem Beispiel voran-gehen . Aus der Wurstküche heraus das Hohelied vege-tarischer Lebensweise zu singen, passt nicht zusammen .
Ich will deshalb die Frage, die wir heute diskutieren,von einer anderen Seite angehen . Gibt es Gründe, warumeine sachgrundlose Befristung gebraucht wird? Schau-en wir einige Jahre zurück . Im Jahre 2005 hat es eineAntwort einer Bundesregierung gegeben, die wie folgtausgefallen war: Die sachgrundlose Befristung sei „vorallem eine beschäftigungspolitisch sinnvolle Alternativezur Überstundenarbeit . Zugleich bekommen Arbeitsu-chende, insbesondere auch solche, die längere Zeit ar-Klaus Ernst
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beitslos waren, die Gelegenheit, wieder im BerufslebenFuß zu fassen,
ihre Eignung und Leistungsfähigkeit zu beweisen unddamit ihre Chancen auf eine unbefristete Weiterbeschäf-tigung zu verbessern .“So weit die Bundesregierung damals . Zwei Punktealso: erstens Flexibilisierung, die nicht durch Überstun-den geleistet werden soll,
und zweitens Einstieg in den Arbeitsmarkt und in die un-befristete Beschäftigung . Trifft das heute noch zu?
– Warte es einmal ab . – Ich meine, das erste Argument,die Flexibilisierung, trifft nur begrenzt zu . Auftragsspit-zen können auch über Zeitarbeit oder Befristungen mitSachgrund aufgefangen werden . Die sachgrundlose Be-fristung erscheint mir häufig das bevorzugte Instrumentzu sein, weil es recht leicht zu handhaben ist . Bisweilenwill man das Risiko vermeiden, über eine Befristung mitSachgrund in einen Rechtsstreit zu geraten und von ei-nem Gericht zur Entfristung gezwungen zu werden .Deswegen würde ich über zwei Dinge nachdenken:die rechtlichen Rahmen präziser fassen, damit Arbeit-geber nicht deswegen auf sachgrundlose Befristungenzurückgreifen, weil sie juristische Auseinandersetzun-gen befürchten, wenn sie mit Sachgrund befristen . Ichwürde auch einmal darüber nachdenken, den Zeitrahmender sachgrundlosen Befristung an den der Zeitarbeit an-zupassen . Das sollte allemal reichen, um Auftragsspitzenabzuarbeiten . Vielleicht könnten auch Flexibilitätszula-gen für Arbeitnehmer helfen, den Preis solcher Befristun-gen nicht auf die Arbeitnehmer alleine zu wälzen, eine,wie ich finde, reizvolle Aufgabe für Tarifpartner.Das zweite Argument ist gewichtiger . Einstieg in denArbeitsmarkt . Es hat in der Krisensituation 2004 und2005 eine gewichtige Rolle gespielt . Viele Firmen warensich unsicher: investieren oder expandieren oder lieberdie Krise aussitzen? In dieser Zeit waren sachgrundloseBefristungen ein gutes Mittel, Menschen zunächst ein-mal in Arbeit zu bringen . Ein gewisser Klebeeffekt warjedenfalls zu verzeichnen, weil ein nicht geringer Anteildann in reguläre Beschäftigung überführt wurde . Ich willdas nicht als gering erachten; denn für diese Menschenwar doch die Frage entscheidend: Will ich unbefristetarbeitslos sein oder befristet in Arbeit kommen, mit derAussicht auf eine Festanstellung? Für die schwierige Ar-beitsmarktsituation dieser Jahre war das zweifellos eingutes Instrument .Heute ist die Situation anders: Der Arbeitsmarktboomt . Man hört schon Klagen von Arbeitgebern, dasssich viele Arbeitnehmer überhaupt nicht mehr auf einesachgrundlose Befristung einlassen . Die Nachfrage nachArbeitskräften ist hoch . Die Qualität der Arbeitsplätzespielt zunehmend eine Rolle . Zu dieser Qualität gehörteben auch: Befristungen machen nicht glücklich . Viel zuhäufig sind sie lediglich als verlängerte Probezeiten miss-braucht worden, als bequemer Verschiebebahnhof .
Aber ich denke, die Zeit wird über die sachgrundlosenBefristungen hinausgehen . Zum einen sind sie an einemArbeitsmarkt, an dem die Nachfrage höher ist als das An-gebot, ein seltsam untaugliches Mittel, um als Arbeitge-ber qualifizierte Arbeitskräfte zu rekrutieren.
Zum anderen glaube ich, dass wir mit all dem, was wirunter dem Titel „Arbeit 4 .0“ diskutieren, neue Formenvon betrieblichen Zuordnungen etablieren, die vielleichtauch das Thema der sachgrundlosen Befristung obsoletwerden lassen . Ob wir uns am Ende in der neuen Arbeits-welt 4 .0 besserstellen, wenn der Mensch nur noch eineRelaisstation im immerwährenden Datenstrom ist – eineVerlängerung der Technik in die sozialen Beziehungenhinein, die vielleicht in einer drohenden Auflösung destraditionellen Betriebsbegriffs selbst einem fundamenta-len Wandel unterworfen sind –, ob dies uns alles wirklichglücklich macht? Ich bezweifle es.Ich wäre froh, wenn die sachgrundlose Befristungmöglichst schnell in die Asservatenkammer der Ge-schichte verschwindet,
als bestauntes Relikt einer vergangenen Zeit, als die Lageverzweifelt genug war, dass man auf ein solches Instru-ment hat zurückgreifen müssen . Deswegen neige ichdazu, die sachgrundlosen Befristungen nicht zu verbie-ten, sondern überflüssig zu machen – so überflüssig wieTipp-Ex zur Korrektur von Texten an einem Computer .
Dazu brauchen wir zwei Dinge: erstens einen öffent-lichen Dienst, der sich so organisiert, dass er eine Vor-reiterrolle übernehmen kann – erst dann fordern wir alsPolitik nicht vollmundig etwas, was wir in unserem ei-genen Gestaltungsbereich nicht liefern können –, zwei-tens weiterhin wirtschaftlichen Erfolg, Wachstum, einenZuwachs an sozialversicherungspflichtiger Arbeit. Das,meine Damen und Herren, ist allerdings nur mit der Uni-on zu haben .Herzlichen Dank .
Als nächste Rednerin spricht Beate Müller-Gemmekefür die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .Dr. Matthias Zimmer
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kol-leginnen und Kollegen! Irgendwie ist die Situation jamomentan schon etwas schräg: Da läuft einer durch dieGegend und verspricht die ganze Zeit, dass die SPD diesachgrundlose Befristung abschaffen wird . Gleichzeitighaben wir hier im Bundestag dafür eine Mehrheit, aberdie SPD-Bundestagsfraktion lehnt die entsprechendenAnträge immer ab .
– Hört einfach mal zu . – Aber natürlich ist klar, dass Sievon der SPD diese Koalition deswegen nicht platzen las-sen . Heute Morgen haben Sie ja sogar diese unsäglicheCSU-Pkw-Maut durchlaufen lassen . Entscheidend istaber, dass Sie nach der Wahl dann auch wirklich Worthalten .
Wir jedenfalls bleiben dran; das kann ich versichern .
Damit bin ich bei Ihnen, liebe Unionsfraktion . Es istfür mich nicht nachvollziehbar, warum Sie weiterhin diesachgrundlose Befristung verteidigen . Wenn jetzt hiernicht gerade jemand von der CDA spricht, sondern je-mand ganz Normales von der CDU/CSU, dann wird vorallem damit argumentiert, dass die Betriebe nur mit die-ser Form der Befristung flexibel bleiben. Dann wird im-mer wieder auf die vielen unbefristeten Arbeitsverträgeverwiesen . Damit wird schlichtweg das Thema kleinge-redet . Es wird über statistische Daten geredet . Aber Siesprechen nicht über die Menschen, deren Beschäftigungeinfach ohne Grund befristet wird, und darüber, was dasmit den Menschen macht und was das für die Menschenbedeutet . Aber genau um die Situation dieser Menschengeht es, und das sollten Sie endlich ernst nehmen .
Befristungen machen durchaus Sinn, beispielsweisewenn es um ein Projekt auf Zeit geht – bei uns in denBüros zum Beispiel, weil wir nur für eine gewisse Zeitgewählt wurden –, um Auftragsspitzen, um Elternzeit,um eine längere Krankheit oder um Urlaub . Wer guteGründe hat, der kann befristen, und daran will niemandetwas verändern .Sachgrundlos, also einfach willkürlich zu befristen,das ist nicht notwendig, und das ist vor allem nicht fair .
Sachgrundlose Befristungen sind deshalb nicht fair, weilsie die Menschen und vor allem auch ihre Familien be-lasten . Wer befristet angestellt ist, kann nicht für die Zu-kunft planen, er hat teilweise auch handfeste Nachteile .Dabei geht es beispielsweise um für uns ganz banaleDinge wie einen Kredit für ein Auto oder um einen Miet-vertrag; denn ein befristeter Arbeitsvertrag bietet nichtausreichend Sicherheit . Wer befristet angestellt ist, hatein höheres Armutsrisiko, wird häufiger arbeitslos, machtsich mehr Sorgen über die Zukunft und hat auch häufigerAngst vor Krankheit und Armut im Alter . Das alles istbelastend . Lebensqualität sieht wirklich anders aus .
Befristet Beschäftigte wollen auch nicht auffallen .Sie engagieren sich seltener im Betriebsrat . Sie verhal-ten sich ruhig und pochen eher nicht auf ihre Rechte .Niemand will leichtfertig seine Chancen verspielen . Diebefristet Beschäftigten wollen unbedingt übernommenwerden . Das wissen im Übrigen auch die Arbeitgeber .Von daher wundert es nicht, dass befristet Beschäftigteweniger verdienen . Sie machen mehr Überstunden undnehmen weniger Urlaub, und es gibt weder Aufstiegs-noch Weiterbildungsmöglichkeiten . Das alles zusammenist für uns nicht akzeptabel .
Von der sachgrundlosen Befristung sind vor allem –ich sage es immer wieder – junge Menschen betroffen .Gerade sie brauchen ihren Platz in unserer älter werden-den Gesellschaft, und doch sind Lebens- und Familien-planung etwas, worüber viele Jüngere nur noch müdelächeln können; denn sie wechseln häufig von Stelle zuStelle und manche sogar von Ort zu Ort . Das ist wirklichnicht ermutigend . Das dürfen Sie, die Union, nicht längerignorieren .
Sehr geehrte Unionsfraktion, die sachgrundlose Be-fristung ist eine einfache und vorteilhafte Sache für dieArbeitgeber, für die Beschäftigten hat sie einen hohenPreis . Wir Grünen wollen eine gerechte Balance zwi-schen den Interessen der Arbeitgeber und den Bedürfnis-sen der Beschäftigten, aber genau diese Balance ist fürSie, die Union – und ich meine nicht die CDA –, keinThema .Für uns Grüne ist Flexibilität keine Einbahnstraße .Notwendig sind Verantwortungsgefühl und Empathie fürdie Betriebe, aber auch für die Beschäftigten . Deshalbwollen wir nicht die Befristungen, sondern die sach-grundlose Befristung abschaffen . So bleiben die Betriebeflexibel, aber die Beschäftigten bekommen mehr sozialeSicherheit . Diese Korrektur ist unbedingt notwendig –für mehr Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt .Vielen Dank .
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Gabriele Hiller-Ohm hat jetzt das Wort für die
SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen, insbesondere der Linken undder Grünen!
Sie haben uns heute Anträge vorgelegt, in denen Siefordern, die sachgrundlose Befristung zu verbieten . Siesprechen damit ein sehr wichtiges Thema an, das unsSozialdemokratinnen und Sozialdemokraten schon langeauf den Nägeln brennt .
Unser neuer Parteivorsitzender und KanzlerkandidatMartin Schulz hat deshalb dazu sehr schnell und sehrdeutlich Stellung bezogen . Er will diese Verträge ab-schaffen, und wir wollen das auch .
Liebe Frau Kollegin Müller-Gemmeke, wir werden dasaber ohne Vertragsbruch machen . Wir werden die GroßeKoalition sauber zu Ende führen . Es sind zum Glück nurnoch wenige Monate, dann haben wir andere Mehrhei-ten .
Ich muss sagen: Die Worte von Martin Schulz
haben bei Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen derLinken und der Grünen, ganz offensichtlich starken Ein-druck gemacht und Sie veranlasst, Ihre Position heutehier noch einmal deutlich zu machen . Aber wenn Siemeinen, Herr Kollege Ernst, Sie müssten uns Ratschlägemit auf den Weg geben, dann sage ich Ihnen: Die könnenSie sich gerne an den Hut stecken; wir brauchen sie nicht .
Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wol-len Sicherheit und Verlässlichkeit für die Beschäftigten,langfristige Perspektiven statt sachgrundloser Befris-tung; denn nur eine sichere Arbeit macht es möglich, dieeigene Zukunft zu planen . Das, liebe Kolleginnen undKollegen, ist unsere Position .
Es stimmt nicht, Herr Kollege Ernst, dass die Befris-tungen unter Rot-Grün erfunden wurden . Das ist falsch .Befristungen gibt es seit 1985 .
Bundeskanzler Kohl hat das Beschäftigungsförderungs-gesetz 1985 auf den Weg gebracht . 1996 wurde es nocheinmal verschärft . Da wurden sogenannte Befristungs-ketten erlaubt . Das ist alles vor der Zeit von Rot-Grünpassiert . Das sollten Sie eigentlich wissen, Herr Ernst .
Die Zahlen zeigen klar: Neueinstellungen erfolgenetwa zur Hälfte nur noch befristet . Jüngere und Frauensind besonders häufig davon betroffen. Oft erfolgt dieBefristung ohne jegliche sachliche Begründung . – Lie-be Kolleginnen und Kollegen, jeder Arbeitnehmer undjede Arbeitnehmerin sollte das Recht haben, zu wissen,warum ihm oder ihr kein unbefristetes Arbeitsverhältnisangeboten wird. Ich finde, das ist das Mindeste, was ge-schehen muss .
Zwar ist das normale, unbefristete Arbeitsverhältnis inDeutschland zum Glück immer noch die Regel – das istgut so, und das muss auch so bleiben –, aber wir habeneine Verantwortung gegenüber den jungen Menschen,die immer häufiger mit befristeten Verträgen abgespeistwerden . Untersuchungen der Hans-Böckler-Stiftung ha-ben klar gezeigt, dass Befristungen große Auswirkungenauf die Lebenssituation von jungen Menschen haben . Sieverdienen weniger und arbeiten dafür länger als unbe-fristete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer derselbenAltersgruppe . Außerdem sind sie weniger oft verheiratetund haben vor allem weniger Kinder als unbefristet An-gestellte . Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, müssenwir ändern . Wir müssen den Jüngeren sichere und ver-lässliche Zukunftsperspektiven geben .
Geradezu zynisch wirken die Ausführungen des TUI-Chefs Friedrich Joussen, die er in einem Interview imHandelsblatt dargelegt hat . Er meint, dass junge Leuteheute lieber in offenen Strukturen arbeiten wollen . Eswürde sie überhaupt nicht stören, dass ihre Verträge zeit-lich beschränkt seien. – Beschränkt finde ich eine solcheBehauptung . Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sinddurch feste und unbefristete Arbeitsverträge doch nichtfür immer an einen einzigen Arbeitgeber oder eine ein-zige Arbeitgeberin geknebelt . Sie können einen Arbeits-vertrag, der unbefristet ist, natürlich kündigen und einenanderen unterschreiben .Liebe Kolleginnen und Kollegen, immer wieder leseich von dem drohenden Fachkräftemangel . Ich fragemich, wie es möglich ist, dass viele Arbeitgeber es trotz
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dieses Damoklesschwerts immer noch darauf anlegen,schlechte Arbeitsverhältnisse anzubieten . Befristungensind das eine . Erschwerend kommen Arbeitsverträgehinzu, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ver-pflichten, auf Abruf zu arbeiten. Sie werden dann jeweils,bestenfalls vier Tage vorher, vom Arbeitgeber benach-richtigt, wann und für wie lange sie zum Arbeitseinsatzzu erscheinen haben . Diese Art der Arbeit macht Plan-barkeit für die Beschäftigten gänzlich unmöglich . Leidersetzen immer mehr Unternehmen auf gerade diese aus-beuterischen und unwürdigen Beschäftigungsmöglich-keiten . Solchen Entwicklungen, liebe Kolleginnen undKollegen, müssen wir einen Riegel vorschieben .
Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage zu? Die-
se würde ich noch zulassen; ansonsten ist Ihre Redezeit
zu Ende .
Ja, gerne .
Vielen Dank, dass ich die Frage noch stellen kann .
Ich hätte mich jetzt, weil wir schon so häufig über die
sachgrundlose Befristung geredet haben, nicht gemeldet .
Aber jetzt haben Sie gerade die Arbeit auf Abruf ange-
sprochen . Ich denke, ich weiß, aus welchem Grund Sie
das heute ansprechen: weil es vorgestern eine wirklich
sehr interessante Dokumentation bei ZDFzoom zu die-
sem Thema gab . Ich habe mitbekommen, dass Sie diesen
Bericht gesehen haben . Daher muss ich schon einmal
nachfragen .
Sie haben hier gerade gesagt, dass Arbeit auf Abruf
in dieser Form überhaupt nicht geht . In dieser Sendung
wurde aber sehr deutlich, dass das Ministerium für Arbeit
und Soziales Arbeit auf Abruf durchaus befürwortet und
dies, wie es schriftlich ausgeführt hat, mit Blick auf die
Flexibilität der Betriebe für eine wichtige Sache hält . Von
daher muss ich schon einmal fragen: Wie passt das, was
Sie hier sagen, mit dem, was ein SPD-geführtes Minis-
terium schriftlich nach außen in die Öffentlichkeit gibt,
zusammen?
Liebe Kollegin, ich spreche jetzt nicht für das Minis-
terium; das steht mir auch nicht zu . Ich spreche hier für
mich, für Gabriele Hiller-Ohm, SPD-Bundestagsfrakti-
on,
und ich sage Ihnen: Ich empfinde diese Art der Verträge
als schlecht, und ich bin dafür, dass wir solche Verträge
abschaffen, weil das unzumutbar ist . Das ist in der Sen-
dung sehr deutlich geworden . Sie sind da ja auch befragt
worden und haben Stellung bezogen . Ich fand das, was
Sie gesagt haben, sehr richtig .
Ich werde mich dafür einsetzen, dass diese Art der
Ausbeutung abgeschafft wird, weil ich finde, das gehört
nicht in eine moderne Arbeitswelt . Wir müssen Rahmen
einziehen, damit Menschen auch in Zukunft vernünftige
Arbeitsbedingungen haben .
Das darf nicht ausufern .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, befristete Arbeits-
verträge ohne einen Grund haben nirgends etwas zu
suchen . Befristungen werden wir grundsätzlich nicht
abschaffen können . Es wird Elternzeit- und Krankheits-
vertretungen weiterhin geben müssen; das bleibt so . Aber
wir werden uns dafür einsetzen, die sachgrundlosen Be-
fristungen abzuschaffen, und auch die Auswüchse bei be-
fristeten Verträgen mit Sachgrund bekämpfen . Dafür sind
übrigens auch zwei Drittel der Bevölkerung; das hat eine
jüngst durchgeführte Umfrage im ARD-Deutschland-
Trend ergeben .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden es leider
jetzt mit unserem Koalitionspartner nicht mehr hinbe-
kommen, obwohl Herr Zimmer ja angedeutet hat, dass
er die sachgrundlosen Befristungen ebenfalls überhaupt
nicht gut findet. Er will, dass sie sich von selber erledi-
gen . Ich bin dafür, dass wir gesetzlich tätig werden .
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen .
Wir werden das also mit diesem Koalitionspartnernicht schaffen . Aber, Herr Ernst und liebe Kolleginnenund Kollegen von den Grünen, vielleicht haben wir dannin der nächsten Legislaturperiode
– vielleicht auch mit Herrn Zimmer –
Gelegenheit, das gemeinsam gesetzlich neu zu regeln .Danke schön .
Gabriele Hiller-Ohm
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Tobias Zech hat als nächster Redner für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach-dem wir jetzt die Erklärung für Rot-Rot-Grün vernom-men haben, will ich zum Thema zurückkommen .Ich kann für die Union sagen – das konnten Sie derDebatte schon entnehmen, und das ist auch nichts Neu-es –, dass für uns ein Arbeitsverhältnis wichtig ist undim Fokus steht, nämlich das unbefristete Arbeitsverhält-nis – mit ihm arbeiten wir, für das stehen wir –, nichtdie Befristung . Die Befristung ist immer ein Mittel zumZweck . Da müssen wir unterscheiden, wofür wir Befris-tung brauchen, warum wir Befristung haben und wie sieangewandt wird .Befristung ist nie schön, egal ob sachgrundlos odermit Sachgrund, und Befristung hat immer zwei Seiten .
Auch bei der Schwangerschaftsvertretung, also einerklassischen Befristung mit Sachgrund, hat natürlich diePerson, die dann für zwei oder drei Jahre als Vertretungeinspringt, keine gute Zeit, weil sie weiß, dass sie wie-der gehen muss . Welche Chance ist es aber für die jungeMutter, die weiß, dass sie nach drei Jahren wieder zurückin ihren Job kann! Ich will damit sagen: Bei Befristunggibt es immer unterschiedliche Gemengelagen;
Befristung ist immer schlecht .Wenn ich mich selbst zurückerinnere, so war für michnicht die Beförderung das Wichtigste, weder bei derBundeswehr noch dann in der Industrie; für mich warder schönste Moment jeweils, wenn ich einen langfristi-gen Arbeitsvertrag bekommen habe oder in der Industrieunbefristet gestellt worden bin, weil dies natürlich Pla-nungssicherheit gibt . Das stellt doch niemand in Abrede .Das wissen auch wir . Das ist doch klar .
Das unbefristete Arbeitsverhältnis ist also unser Ziel .Es stellt sich immer die Frage: Wer hat es erfunden?Frau Kollegin Hiller-Ohm, um es einzuordnen – ich habenachgelesen –: Die erste Erwähnung der sachgrundlo-sen Befristung gab es 221 nach Christus . Ein römischerLohnschreiber gewann vor Gericht; sein Arbeitgeberwar verstorben, und seine Erben durften ihn nicht ent-lassen . – Das Heilige Römische Reich ist untergegangen,sachgrundlose Befristung beschäftigt uns noch immer .Ich glaube, die Themen Befristung und Flexibilität amArbeitsmarkt werden uns auch weiterhin beschäftigen .Wahr ist allerdings auch: Das Gesetz, über das wir de-battieren und zu dem die Linken und die Grünen Anträgeeingereicht haben, ist nicht 221 nach Christus erfundenworden, das hat auch nicht Arbeitsminister Blüm 1984auf den Weg gebracht, nein, das hat Rot-Grün 2001 aufden Weg gebracht .
Das ist die Wahrheit . Ihr habt die sachgrundlose Befris-tung eingeführt .
Immer kurz vor den Wahlen wollt ihr sie wieder abschaf-fen . Nach den Wahlen wird das wieder vergessen .
Lieber Kollege Ernst, zu dem Optimismus, den du ge-rade ausgedrückt hast, kann ich dir nicht raten; denn dieerzählen das vor der Wahl, und nach der Wahl wird eswieder vergessen .
– Dürfen .
Ich bin ein großer Anhänger der Tariflandschaft inDeutschland . Seit ich an diesem Pult stehen darf, habeich immer gesagt: Wir sind durch die Krisen dieses Lan-des gekommen nicht trotz, sondern wegen der Sozial-partnerschaft, die wir zwischen Gewerkschaften, alsoArbeitnehmern, und Arbeitgebern haben . Dort habenwir die Fachleute, die die betriebliche Seite kennen . Hiersind genügend Kollegen, die sich dort schon engagierthaben . Schauen wir uns einmal an, wie die Fachleute inden Betrieben, in den Gewerkschaften mit dem ThemaBefristung umgehen . – Frau Präsidentin, erlauben Siemir, dass ich aus dem gültigen Manteltarifvertrag derIG BCE kurz zitiere:Befristete oder zweckbestimmte Arbeitsverhältnissesind im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften zu-lässig, wobei auf der Grundlage von § 14 Absatz 2Satz 3 TzBfG die zulässige Dauer von ohne Sach-grund befristeten Arbeitsverhältnissen auf bis zu48 Monaten ausgedehnt wird .
Das heißt, bei der tariflichen Mitbestimmung ist manwesentlich weiter, als wir es gesetzlich machen . Die Kol-legen vor Ort in den Betrieben, in den Betriebsräten, inden Gewerkschaften, die in den Wirtschaftsausschüssenmit den Arbeitgebern sitzen, die Ahnung davon haben,wie ihre Branche, wie ihr Betrieb funktioniert, gehen so-gar noch darüber hinaus . Ich glaube an unsere gute Ta-riflandschaft. Vielleicht sollten wir immer wieder schau-en, was dort gemacht wird . Die Gewerkschaften und die
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 226 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 24 . März 2017 22733
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Betriebsräte vor Ort haben sich, während hier in Berlindiese Pressemitteilungen verteilt werden, ganz klar fürdie sachgrundlose Befristung entschieden . Auch das istTeil der Wahrheit .
Ein zweiter Teil der Wahrheit . Wir haben durchaus her-vorragende Spezialisten für die bayerische Metall- undElektroindustrie hier im Raum . Ich darf dieses Beispieleinmal herausgreifen: In der bayerischen M+E-Industriegibt es 95 Prozent unbefristete Arbeitsverhältnisse . Dasist die Regel . Das ist auch das Ergebnis einer guten Tarif-partnerschaft vor Ort . Die Übernahmequote – jetzt kom-me ich zu der Frage, wofür wir sachgrundlose Befristungbrauchen – liegt nach alter Berechnung bei 58 Prozent .Nach neuer Art der Berechnung gehen 40 Prozent ausder Befristung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis . Be-fristung ist also nicht die Regel, sondern ein atmenderDeckel, eine Möglichkeit, in den ersten Arbeitsmarkt zukommen .
Jetzt stellt sich die Frage: Wer befristet? Befristenmüssen natürlich nicht die Kleinen . Warum? Wenn ichweniger als zehn Mitarbeiter habe, gilt das Kündigungs-schutzgesetz nicht . Dann brauche ich diese ganze Befris-terei nicht . Auch das ist klar . Befristen müssen in demBereich, um den wir uns kümmern, auch nicht die Gro-ßen .
Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Ja, klar .
Herr Ernst .
Herzlichen Dank, Kollege Zech, dass Sie die Frage
zulassen . – Das war jetzt ein sehr wichtiger Satz . Sie
haben gesagt: Für die kleinen Betriebe gilt das Kündi-
gungsschutzgesetz nicht .
Ja .
Das ist richtig . Die brauchen „diese ganze Befristerei
nicht“ . – Das war jetzt ein wörtliches Zitat . – Ist es dann
nicht so, dass der eigentliche Sinn der Befristung darin
besteht, dass man das Kündigungsschutzgesetz umgeht?
Denn bei den anderen wirkt es . Eine befristete Beschäf-
tigung bedeutet, dass der betreffende Mensch genau den-
selben Job macht wie jemand, der unbefristet beschäftigt
ist, dass er aber, wenn er den Betrieb verlassen muss,
nicht den Schutz des Kündigungsschutzgesetzes für sich
in Anspruch nehmen kann und dass vor allen Dingen
auch der Betriebsrat bei dieser Kündigung nicht angehört
werden muss, weil es ja faktisch gar keine Kündigung
ist . Insofern – da ist Ihr Satz wirklich richtig – hat eine
sachgrundlose Befristung zwei Seiten .
Der erste Aspekt ist: Eigentlich wird die Probezeit
auf bis zu zwei Jahre ausgedehnt . Probezeiten hatten wir
schon immer . Man muss schließlich sehen, ob jemand
das, wofür er eingestellt wurde, kann . Man wartet also
erst einmal vier Wochen ab; bei Angestellten beträgt die
Probezeit übrigens drei Monate .
Der zweite Punkt ist, dass man nicht nur die Probe-
zeit verlängert, sondern dass der Arbeitgeber schlichtweg
sagt: Ich möchte kündigen dürfen, wann ich will; deshalb
befriste ich und umgehe damit den Kündigungsschutz . –
Das ist der eigentliche Hintergrund . Aber das kann nicht
im Sinne des Erfinders sein. Im Sinne des Erfinders wäre
eine sachliche Begründung . Ein Beispiel ist der Fall der
schwangeren Frau, den Sie erwähnten . Das ist ein sachli-
cher Grund für eine Befristung . Aber hier geht es um die
sachgrundlose Befristung . Die sachgrundlose Befristung
ist einfach nur eine Umgehung der Rechte .
Sie haben zwei Punkte angesprochen . Ihre erste Fragebezüglich der sachgrundlosen Befristung beantworte ichzuerst . Die entsprechenden Fälle gibt es; auch ich kennesie . Wir alle, wie wir hier sitzen, sollten uns da an dieeigene Nase fassen, weil ihr, ihr, ihr und wir in Landes-regierungen und Ministerien Verantwortung tragen . Vorallem der öffentliche Dienst ist da ein ganz schlechtesBeispiel . Wir geben sozusagen das schlechteste Beispielab .
Wer die sachgrundlose Befristung bei Planstellen nutzt,um die Probezeit zu verlängern, hat die Intention desGesetzes nicht verstanden . Ein solches Vorgehen ist klarabzulehnen .Zum zweiten Punkt, nämlich zu der Frage: Ist dieZielsetzung von Befristungen die Umgehung des Kün-digungsschutzes? Nein! Aber richtig ist: In Unterneh-men, die nicht dem Kündigungsschutz unterliegen, gibtes einen wesentlich geringeren Anteil an sachgrundlosenBefristungen; das wollte ich damit sagen . Wir sprechenhier über die Sandwichposition, über die mittleren Un-ternehmen. In den großen Unternehmen gibt es tariflicheMitbestimmung; ich habe gerade einen Manteltarifver-trag zitiert . Hier kümmern sich der Betriebsrat und dieTarifvertragsparteien um dieses Thema . In kleinen Un-ternehmen kann man die notwendige Flexibilität durchdie Durchführung einfacher, individueller Arbeitsmaß-nahmen gewährleisten .Ich glaube, dieses Gesetz hat vor allem mittlere Un-ternehmen im Blick, die nicht tariflich mitbestimmt sindund die dem Kündigungsschutzgesetz unterliegen . Auchdiese Unternehmen brauchen Flexibilität am Arbeits-Tobias Zech
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markt, etwa um die Entwicklung eines neuen Produktsvoranzutreiben oder einen neuen Auftrag anzunehmen .Sie verfügen nämlich nicht über die notwendige Pla-nungssicherheit; sie wissen nicht, ob sie in drei, vier Jah-ren immer noch genügend Umsätze haben, um die Mitar-beiter zu halten . Deswegen gilt für mich: Nein, KollegeErnst, das ist keine Umgehung des Kündigungsschutzes,sondern ein Ja zur Flexibilität .
Bei diesem Ja zur Flexibilität mache ich weiter . Diemittleren Unternehmen, über die wir sprechen, sind dasRückgrat der deutschen Wirtschaft . Dazu gehören dasHandwerk, der Handel und die Familienunternehmer .Sie befristen nicht aus Jux und Tollerei, sondern deshalb,weil sie die konjunkturelle Lage nicht planen können .Ich kann allen Kollegen, die sich momentan bemüßigtfühlen, unser Land in Armuts- und Konjunkturdebattenschlechtzureden, sagen: Das wird in der Wirtschaft zurKenntnis genommen . In der Wirtschaft hört man auch,wer hier Überregulierung oder neue Steuererhöhungenplant . Das führt nicht zwingend zu mehr Planungssicher-heit, sondern es führt dazu, dass man sich als Unterneh-mer überlegt: Stelle ich, wie geplant, zwei oder drei wei-tere Mitarbeiter ein und versuche, ein neues Produkt zuentwickeln, oder tue ich das nicht?
Der Staat ist als Arbeitgeber massiv übervorteilt –Kollege Zimmer hat die entsprechenden Punkte schonangesprochen; das gilt übrigens vor allem für die Wissen-schaftsarbeiter –, weil er durch das Budget, das das Par-lament ja als sein Kernrecht bezeichnet, die Befristungenfür Staatsbetriebe quasi vorgibt, indem er Mittel für Pro-jekte auf drei, vier oder fünf Jahre befristet . So etwas gibtes in der Wirtschaft nicht, weil ein Grund wie die kon-junkturelle Lage, eine Auftragsflaute oder die Planbarkeiteiner Rückstellung vor Gericht nicht als Sachgrund gilt –was den Staat betrifft, aber schon . Deswegen sage ich:Wir müssen an die sachgrundlose Befristung heran . Wirmüssen auch an die Befristung heran . Fangen wir bittealle damit an! Wir alle sind aufgerufen, in den Ministeri-en und Regierungen, in denen wir Verantwortung tragen,dafür zu werben . Der öffentliche Dienst muss hier mitgutem Beispiel vorangehen . Das tut er momentan nicht .Lassen Sie mich zum Schluss kommen . Befristung istkeine Zieldefinition. Keiner hier im Raum möchte Be-fristungen . Es ist für einen Arbeitnehmer immer das Bes-te, wenn er ein unbefristetes Arbeitsverhältnis hat . DieFrage ist: Wie erreichen wir dieses Ziel? Wir glauben,sozial ist, was Arbeit schafft . Um in Deutschland mehrArbeitsplätze zu generieren, braucht man Flexibilität .Auf dem Weg dorthin ist die sachgrundlose Befristungein notwendiges, hilfreiches Konstrukt . Wir sollten an ihrfesthalten, sie aber immer wieder überwachen .Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .
Als letzter Redner in dieser Aussprache hat Bernd
Rützel für die SPD-Fraktion das Wort .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber
Tobias, du hast Beifall bekommen, als du gesagt hast, wer
das Gesetz eingeführt hat . Ich erinnere mich ganz genau,
wer dieses Beschäftigungsförderungsgesetz eingeführt
hat, weil ich damals, 1985, dagegen demonstriert habe .
Es war der Bundeskanzler Kohl, der als ersten Schritt in
die Deregulierung des Arbeitsmarktes dieses Gesetz auf
den Weg gebracht und 1985 die sachgrundlose Befris-
tung eingeführt hat, die bis heute gilt .
Manche derjenigen, die vorhin geklatscht haben, wa-
ren im Jahr 1985 übrigens noch gar nicht geboren .
Matthias Zimmer sagt, eine sachgrundlose Befristung
sei überflüssig. Damit hat er recht. Sie ist aber nicht nur
überflüssig, sondern sie ist noch mehr: Sie ist schädlich
und gefährlich . Ich komme später noch einmal darauf
zurück . Liebe Beate Müller-Gemmeke, du hast das auch
schön ausgeführt .
Ich will die Zeit aber auch nutzen, noch einmal den In-
strumentenkasten und den Werkzeugkasten zu erläutern
und zu sagen, was alles zu Befristungen mit Sachgrund
führen kann . Es gibt hier viele Möglichkeiten, zum Bei-
spiel die Befristungen für einen vorübergehenden Be-
darf: in der Erntezeit, in der Weihnachtszeit, wenn eine
neue Maschine oder ein neuer Prozess eingeführt wird .
Das gilt zum Beispiel auch, wenn – lieber Klaus Ernst,
das hast du einmal ausgeführt – eine Ausbildung endet,
um nach der Ausbildung in einen ersten befristeten Ver-
trag zu kommen und somit den Übergang zu sichern .
Vertretungen für Mutterschutz, für Elternzeit, für längere
Erkrankungen, für Abordnungen, wenn jemand im Aus-
land, beurlaubt oder freigestellt ist: Für all diese Umstän-
de kann man befristen .
Weiterhin kann man befristen, wenn die Eigenart des
Berufs bzw . der Arbeitsleistung dies erfordert, zum Bei-
spiel im redaktionellen und im künstlerischen Bereich,
bei Regisseuren, bei Moderatorinnen, bei Schauspielern,
bei Kommentatorinnen, bei Sängern und Sängerinnen,
und auch im Profisport wird befristet.
Herr Kollege Rützel, der Kollege Zimmer würde ger-
ne eine Zwischenfrage stellen . Lassen Sie sie zu?
Jawohl .Tobias Zech
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Gut .
Ganz herzlichen Dank dafür . – Lieber Herr Kollege,
ich habe nur eine Frage: Können wir uns darauf einigen –
vor dem Hintergrund, dass wir von dem postfaktischen
Zeitalter reden, in dem wir ja alle nicht sein wollen –,
hier und heute zwei Dinge festzuhalten, nämlich, dass
die Regierung Helmut Kohl damals eine Befristung mit
Sachgrund und nicht eine sachgrundlose Befristung ein-
geführt hat und dass Saisonarbeitskräfte seit der Ände-
rung der statistischen Erfassung Anfang des Jahrtausends
nicht mehr als Arbeitskräfte gezählt werden, die unter die
sachgrundlose Befristung fallen?
Lieber Kollege Zimmer, das ändert nichts an der Tat-
sache, dass mit diesem Beschäftigungsförderungsgesetz
ein erster Schritt in diesem Bereich gemacht worden ist,
um zu befristen, was eben zu Unsicherheiten im Beschäf-
tigungsverhältnis, auch hinsichtlich des Kündigungs-
schutzes, geführt hat .
So wie ich dich, lieber Matthias, wahrgenommen
habe, denke ich, dass wir auf einer Seite sind und ihr bei
euch nur noch Überzeugungsarbeit leisten müsst .
Denn in letzter Konsequenz konnten wir in unseren Ko-
alitionsvertrag leider nicht hineinarbeiten, dass wir diese
sachgrundlose Befristung abschaffen .
Lieber Kollege, die Kollegin Krellmann möchte auch
noch eine Zwischenfrage stellen .
Ach je .
Sie entscheiden .
Gerne!
Ich weise jetzt trotzdem darauf hin, dass wir heute
noch drei Debatten vor uns haben . Ich bitte, jetzt auch ein
bisschen an die Kolleginnen und Kollegen zu denken, die
in den darauffolgenden Debatten noch sprechen werden .
Es wäre schön, wenn Sie das auch etwas im Blick haben;
denn es wäre nicht gut, wenn hier in eineinhalb Stunden
nur noch fünf oder sechs Kollegen säßen .
Danke, Frau Präsidentin . Bei Ihrem Gesichtsausdruck
habe ich schon ein richtig schlechtes Gewissen, dass ich
eine Frage stelle .
Ich kann das, was Herr Zimmer gesagt hat, nur be-
stätigen . Ich sehe das ganz genauso . Damals wurde das
Beschäftigungsförderungsgesetz eingeführt . Herr Blüm
als Arbeitsminister hat sich dafür gefeiert, dass es ab
dem genannten Zeitpunkt die Möglichkeit gegeben hat,
mit Sachgrund befristete Verträge abzuschließen . Die
sachgrundlose Befristung hingegen ist im Rahmen der
Agenda 2010 durch Rot-Grün eingeführt worden, nichts
anderes .
Jetzt zu meiner konkreten Frage . Haben Sie regis-
triert – Sie haben ja das Thema Ausbildung angespro-
chen –, dass Gewerkschaften gerade für die Abschaffung
von Befristungen ohne Sachgrund bei der Übernahme
nach Beendigung der Ausbildung kämpfen? Das haben
viele Gewerkschaften auch schon erreicht. Das finde ich
ganz toll für die jungen Menschen, die eine betriebliche
Ausbildung machen . Das ist das Ziel mit Blick auf die
Auszubildenden im Betrieb, nichts anderes . Abschaffung
der sachgrundlosen Befristung und fertig!
Ich kann auf die Frage ganz leicht und schnell antwor-ten, denn es gilt: Wer nachliest, hat mehr davon . „Ge-schichte befristeter Beschäftigungsverhältnisse“ – wirsind ja jetzt in der Geschichtsstunde –:Die erste Etappe der Deregulierung begann 1985mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz, mit demzum ersten Mal Arbeitsverträge ohne sachlichenGrund befristet werden konnten .
Jetzt kann sich jeder ein Urteil bilden .
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– Das stammt von der Bundeszentrale für politische Bil-dung; das Internet speichert alles . Ich drucke mir das je-den Tag dreimal aus .
Die Eigenart der Arbeitsleistung habe ich aufgezeigt .Auch die Erprobung ist in diesem Zusammenhang zunennen . Wenn ich jemanden einstellen muss, aber nichtweiß, ob er zu uns passt, dann gilt auch hier, dass der Ver-trag zur Erprobung, zum Beispiel für drei Monate, mitSachgrund befristet werden kann . Ich kann einen Vertragauch befristen, wenn die Gründe in der Person des Ar-beitnehmers liegen, zum Beispiel bei einer Tätigkeit vonStudierenden in den Semesterferien, bei einer vorüber-gehenden Beschäftigung bis hin zur Altersrente oder imFalle einer befristeten Aufenthaltserlaubnis .Gott sei Dank ist es angesprochen worden: Ja, im öf-fentlichen Dienst – darüber haben wir debattiert – wer-den oftmals Verträge mit Befristungen abgeschlossen .Aber es gibt ein Sonderbefristungsrecht des öffentlichenDienstes . Der öffentliche Dienst könnte mit Sachgrundordentlich befristen, wenn es die Haushaltsmittel recht-fertigen .Ich will zusammenfassend sagen, dass diese sach-grundlosen Befristungen – jeder zweite befristete Vertragenthält eine sachgrundlose Befristung – die Menschenkrank und frustriert machen, dass sie Lebenschancenund Perspektiven verbauen, dass es zu weniger Fortbil-dungs- und Qualifizierungsmaßnahmen kommt und dassdadurch der Kündigungsschutz durch die Hintertür aus-gehöhlt wird .Deswegen sprechen mir diese beiden Anträge von denGrünen und von den Linken aus dem Herzen . Sie habenmit Ihren Anträgen natürlich recht . Der Vorsitzende derSPD und unser Kanzlerkandidat Martin Schulz
hat diese Probleme aufgegriffen und das Thema deutlichangesprochen . Und das wird auch umgesetzt werden .Das sind wirklich Herzensanliegen . Über die zu sprechenwerden wir sicherlich im Wahlkampf die eine oder ande-re Möglichkeit haben .Ich will die letzten paar Sekunden meiner Redezeitdafür nutzen, um deutlich zu machen, was eine Koali-tion ist . Eine Koalition bedeutet: Man setzt sich zusam-men und lotet Gemeinsamkeiten und Unterschiede aus .Man ist sich aber auch treu und vertraut einander undstimmt auch Vorschlägen des Partners zu . Das gilt nichtfür diesen Tagesordnungspunkt . Ich denke an das ThemaPkw-Maut, das wir heute Morgen behandelt haben undbei dem wir vertragstreu gewesen sind,
was ich aber auch umgekehrt erwarte . Auch die Wähle-rinnen und Wähler fordern das zu Recht .
Sie sagen: Macht eine gute Politik, und schmeißt nicht al-les hin . – Das sage ich an die Adresse des Koalitionspart-ners, falls es einmal zu einer anderen Politik in diesemLande kommen sollte .Wer weiß: Vielleicht gibt es nach der BundestagswahlKonstellationen, die es möglich machen, diese sach-grundlose Befristung endlich abzuschaffen .Vielen Dank .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich
die Aussprache .
Wir kommen zu den Überweisungen . Interfrakti-
onell wird Überweisung der Vorlagen auf Drucksa-
chen 18/11598 und 18/11608 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? – Das ist der Fall, dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen .
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 29:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Teilhabebericht der Bundesregierung über die
Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchti-
gungen 2016
Drucksache 18/10940
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für Tourismus
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache, und als erste Rednerin in
dieser Aussprache hat die Parlamentarische Staatssekre-
tärin Gabriele Lösekrug-Möller das Wort .
G
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Meine Damen und Herren! Jetzt geht esum diesen dicken Bericht . Es ist der zweite Bericht derBundesregierung darüber, wie Menschen mit Beeinträch-tigungen in Deutschland leben, also Menschen, die schonlange krank sind, nicht sehen oder hören können, oderdenen es seelisch nicht gut geht . Aber es gehören auchBernd Rützel
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Menschen dazu, die schwierige Texte nicht so schnellverstehen oder nicht gut lesen können . Und weil es heuteauch um all diese Menschen geht, versuche ich jetzt, denTeilhabebericht möglichst einfach zu erklären, damit esauch viele verstehen können .Dieser dicke Bericht hat mehr als 500 Seiten und istsehr genau . Viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerin-nen haben daran lange gearbeitet . Der Bericht beschreibt,wie es den 12 Millionen Menschen mit Beeinträchtigun-gen in unserem Land geht . Ja, so viele Menschen sind es .Wenn wir alle, die in Deutschland leben, zählen würden,wäre jede oder jeder Sechste Teil dieses Berichts .Das wichtigste Ergebnis will ich zuerst nennen: Men-schen mit Beeinträchtigungen sind und leben so unter-schiedlich wie Menschen ohne Beeinträchtigungen .Unser gemeinsames Ziel ist es ja, dass Menschen mitBeeinträchtigungen genauso leben und arbeiten könnenwie Menschen ohne Beeinträchtigungen . Der Bericht be-schreibt, dass wir schon besser geworden sind, aber unserZiel noch nicht erreicht haben . Ganz genau beschreibt erdie Jahre von 2005 bis 2014 .Und was steht in dem Bericht? In seinem ersten Teilgibt es ganz viele Zahlen und Informationen . Zum Bei-spiel: Wie viele Menschen in Deutschland haben eineBeeinträchtigung, und wie ist ihr Leben? Im zweiten Teilbeschreibt der Bericht ganz ausführlich, wie das Lebenvon Menschen mit Beeinträchtigungen in unserem Landaussieht . Wie ist das mit dem Familienleben, den Nach-barn und den Freunden? Wie ist das mit Schule und ei-ner Berufsausbildung? Wie sieht es aus mit Arbeit undBezahlung? Und wie selbstbestimmt wohnen und lebenMenschen mit Beeinträchtigungen? Und es geht um Ge-sundheit, um Freizeit, um Kultur und Sport, um Schutzvor Gewalt und um Mitmachen in der Politik . Das nenntman Lebenslagen, und zu jedem Thema wird berichtet,was ist und was besser werden muss .Das Ergebnis steht in zwei schwierigen Sätzen gleichauf Seite 1, und die will ich eben lesen:Insgesamt zeigt sich, dass die Teilhabe von Men-schen mit Beeinträchtigungen in vielerlei Hinsichtnoch immer eingeschränkt ist .Und:Hierbei gilt häufig: Je schwerer die Beeinträchti-gungen, desto geringer die Teilhabechancen .Wenn ich das übersetze, heißt das: Wir müssen nochsehr viel tun, damit Menschen mit Beeinträchtigungenmitten in unserer Gesellschaft leben können wie alleMenschen auch .Und: Wer ganz stark beeinträchtigt ist, also zum Bei-spiel langsam lernt oder nicht schnell versteht und imRolli sitzt, der oder die hat es ganz besonders schwer .Und das ist nicht in Ordnung! Das wollen wir ändern .Daran arbeiten wir;
denn seitdem der Bericht geschrieben wurde, ist viel pas-siert . Wir haben gute Gesetze gemacht, zum Beispiel dasBehindertengleichstellungsgesetz und das Bundesteil-habegesetz . Aber es dauert noch, bis alle guten Regelnim Alltag ankommen . Das gilt zum Beispiel für Infor-mationen in leichter Sprache . Das gilt für unabhängigeBeratung .Es funktionieren aber auch schon ein paar Sachen .Das ist die bessere Bezahlung für Beschäftigte in Werk-stätten und das Recht, mehr zu sparen .
Das sind nur einige Beispiele für Verbesserungen, überdie hier im Bundestag abgestimmt wurde .Sehr geehrte Damen und Herren, in dem Bericht stehtauch viel darüber, wie wir in Deutschland die Behinder-tenrechtskonvention umsetzen . Das ist ein Vertrag, derMenschen mit Behinderungen in sehr vielen Ländern aufder Welt helfen soll, auch bei uns in Deutschland . DiesenVertrag wollen wir nach und nach und Stück für Stückerfüllen . Das ist eine Aufgabe für alle: für die Bundesre-gierung, für alle Bundesländer, aber auch für alle Städteund Dörfer .Überall werden dazu Pläne gemacht, was passierenmuss . Auch die Bundesregierung hat an ihrem Plan wei-ter geschrieben und ist dabei, immer mehr ohne Barrierenzu machen, zum Beispiel im Internet und beim Bauen .Dazu werden wir auch in diesem Jahr im November beiden Inklusionstagen in Berlin mit vielen beraten und dis-kutieren .Sehr geehrte Damen und Herren, es gibt noch viel zutun, bis wir in Deutschland inklusiv sind . Das gelingt unsnur, wenn wir alle zusammenarbeiten: die Menschen mitund ohne Beeinträchtigung, die, die Politik machen, diein Verwaltungen arbeiten, die Chefs von Unternehmen,die Schwerbehindertenvertretungen und die, die in Ver-einen mitmachen, die Jungen und die Alten – eben alle .Ich bin sicher: Der nächste Bericht – und der kommt,weil: dazu sind wir verpflichtet – wird wieder dick, weiles so viel zu beschreiben gibt . Und ich hoffe, dass er vonVerbesserungen berichten wird . Denn daran arbeiten wirgemeinsam .
Zum Schluss: Was ich gut finde, ist, dass dieser Be-richt als barrierefreies Dokument im Internet auf der Sei-te des Ministeriums für Arbeit und Soziales stehen wird,also für Menschen, die nicht gut sehen können, trotzdemlesbar und hörbar ist. Und was ich auch gut finde, ist,dass es das Wichtigste des Berichtes auch in leichterSprache geben wird .Vielen Dank .
Vielen Dank . – Katrin Werner hat als nächste Redne-rin das Wort .
Parl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller
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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Wir debattieren heute über den Teilhabebe-richt der Bundesregierung, der die Entwicklung der ge-sellschaftlichen Teilhabe von Menschen mit Behinderun-gen in Deutschland darstellt . Als Fazit stellt der Berichtfest, dass es in manchen gesellschaftlichen BereichenVerbesserungen und in anderen Verschlechterungen gibt .Aber bei genauerem Hinsehen entdeckt man massiveDiskriminierungen und zahlreiche Barrieren . Menschenmit Behinderungen werden in vielen gesellschaftlichenBereichen an ihrer Teilhabe gehindert . Daran muss sichdringend etwas ändern .
Es beginnt bereits in der Schule: Immer noch wirdder überwiegende Teil der Schülerinnen und Schüler mitsogenanntem sonderpädagogischen Bedarf an Förder-schulen unterrichtet . Sie werden damit vom Unterricht inder Regelschule ausgeschlossen . 71 Prozent aller Schü-lerinnen und Schüler, die eine Förderschule besuchen,erreichen keinen Hauptschulabschluss . Das zeigt, wieunterschiedlich die Bildungschancen von Menschen mitund ohne Behinderungen sind, und das hat enorme Aus-wirkungen auf den weiteren Lebenslauf und damit auchauf die Teilhabechancen in allen Lebensbereichen .Meine Damen und Herren, die Ausgrenzung mussendlich ein Ende haben . Wir brauchen ein besser ausge-stattetes Bildungssystem, in dem alle Schülerinnen undSchüler mit und ohne Behinderungen von Anfang an ge-meinsam miteinander lernen .
Die Ausgrenzung in der Bildung hat enorme Auswir-kungen für den weiteren Lebensweg . Besonders in derArbeitswelt sind Menschen mit Behinderungen aufgrundihrer schlechteren Bildungschancen ausgeschlossen . DieArbeitslosenquote von Menschen mit Schwerbehinde-rungen liegt seit Jahren stabil 5 Prozentpunkte über derallgemeinen Arbeitslosenquote .Menschen mit Behinderungen sind länger arbeitslos .Sie haben größere Sorgen um ihre wirtschaftliche Lageund bestreiten ihren Lebensunterhalt selten aus ihremErwerbseinkommen . Diese Ergebnisse sind sehr alarmie-rend . Es muss endlich um einen inklusiven ersten Ar-beitsmarkt gehen .
Das ist nicht alles . Auch die Zahl der Beschäftigtenin Werkstätten für behinderte Menschen steigt seit Jah-ren . Inzwischen sind über 300 000 Menschen in diesenEinrichtungen beschäftigt und damit vom allgemeinenArbeitsmarkt, von tariflicher Entlohnung und auch vomMindestlohn ausgeschlossen . Das ist problematisch, weildiese Sondereinrichtungen zumeist fernab der Öffent-lichkeit existieren. Dadurch bleiben Missstände häufigunentdeckt . Genau das hat vor kurzem die Recherchevom Team Wallraff auf RTL gezeigt . Es schaut niemandhin, wenn Menschen mit Behinderung drangsaliert undschikaniert werden . Es schaut niemand hin, wenn Werk-stätten ihrem Bildungsauftrag nicht nachkommen undBeschäftigte stattdessen eintönige Industrieaufträgeabarbeiten müssen .Außerdem verhindern genau diese geschlossenenSysteme, dass Menschen auf den ersten Arbeitsmarktwechseln. Weniger als 1 Prozent finden den Weg aus ei-ner Werkstatt auf diesen Arbeitsmarkt . Deshalb muss esendlich darum gehen, das System der Ausgrenzung ab-zuschaffen .
Da reicht es auch nicht, sich auf das Budget für Ar-beit zu berufen, durch das der Arbeitgeber einen Lohn-zuschuss erhält, wenn er Werkstattbeschäftigte einstellt .Damit wird zwar der Übergang aus der Werkstatt auf denallgemeinen Arbeitsmarkt erleichtert . Aber selbst dieBundesregierung geht im Bundesteilhabegesetz von kei-nen großen Effekten aus . Lediglich 1 Prozent der Werk-stattbeschäftigten soll – so ist die Annahme der Regie-rung – das Budget für Arbeit in Anspruch nehmen undauf den allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln; das könnenSie in Ihrem Kabinettsentwurf auf Seite 216 nachlesen .Das ist angesichts der sehr hohen Anzahl an Werkstattbe-schäftigten nur ein Tropfen auf den heißen Stein .Es ist dringend notwendig, den allgemeinen Arbeits-markt inklusiver zu gestalten, um die Bedingungen fürMenschen mit Behinderungen insgesamt zu verbessern .Unternehmen müssen stärker verpflichtet werden, Men-schen mit Behinderungen zu beschäftigen . Dazu ist zumBeispiel eine Erhöhung der Ausgleichsabgabe dringendnotwendig . Es muss aufhören, dass sich Unternehmenbillig freikaufen können, statt Menschen mit Behinde-rungen zu beschäftigen .
Die Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarktes istlängst überfällig . Das lässt sich an einem anderen und,wie ich finde, auch sehr erschreckenden Ergebnis able-sen . Das Armutsrisiko von Menschen mit Behinderungenhat sich in den letzten Jahren erhöht . 2005 waren es noch13 Prozent . Acht Jahre später, 2013, ist es auf 20 Pro-zent gestiegen . Im Vergleich dazu war das Armutsrisikovon Menschen ohne Behinderungen im gleichen Jahr mitrund 13 Prozent deutlich niedriger . Auch diese Entwick-lung muss dringend gestoppt werden .
Dazu ist es notwendig – ich sage das noch einmal –, dieSonderwelten abzuschaffen; denn dort werden Menschenaus der Mitte der Gesellschaft ausgeschlossen .Wir brauchen an erster Stelle ein inklusives Bildungs-system, in dem alle Schülerinnen und Schüler von An-fang an gemeinsam voneinander und miteinander lernen .
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Wir brauchen einen inklusiven Arbeitsmarkt, der für alleMenschen gleichermaßen zugänglich ist . Wir brauchenTeilhabeleistungen sowie Leistungen der persönlichenAssistenz in allen Bereichen, die unabhängig vom Geld-beutel der Betroffenen gewährt werden und alle Men-schen in die Lage versetzen, gleichberechtigt am gesell-schaftlichen Leben teilzuhaben .
Das Risiko der älteren Menschen mit Beeinträchtigun-gen, in Armut abzurutschen, ist ebenfalls stark gestiegen .Dieses Problem wird sich in den kommenden Jahrennoch verschärfen; denn unsere Gesellschaft wird immerälter . In den kommenden Jahren werden immer mehrMenschen mit Behinderungen Altersrente beziehen, unddie gesetzliche Rente ist in den vergangenen Jahren wei-ter ausgehöhlt worden . Diese Trends müssen umgekehrtwerden . Wir brauchen dringend eine solidarische Min-destrente in Höhe von 1 050 Euro .
Was hinzukommt, ist der enorme Mangel an barriere-freien Wohnungen in Deutschland . Bis 2030 werden über2 Millionen zusätzliche barrierefreie Wohnungen ge-braucht, und das nur für Menschen im Alter über 65 Jah-re . Diese Probleme lösen sich nicht von selbst . Sie müs-sen angepackt werden . Deshalb ist es wichtig, dazu eineneue Offensive der sozialen Gerechtigkeit zu starten .Das kürzlich verabschiedete Bundesteilhabegesetzwird kaum etwas an den Problemen und der Ausgren-zung sowie der Diskriminierung von Menschen mitBehinderungen in unserer Gesellschaft ändern . Ehrlichgesagt, ich halte es für einen Etikettenschwindel . DasGesetz schafft eben keine bundesweite, einheitliche Teil-habe von Menschen mit Behinderungen . Sie haben wei-ter 16 Systeme, untergliedert in kommunale Ebenen .
Frau Werner, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Ich bin gleich am Ende, und ich möchte in Anbetracht
dessen, dass wir noch einen Tagesordnungspunkt behan-
deln, keine Frage zulassen .
Das Bundesteilhabegesetz schafft nicht die not-
wendigen Änderungen . Sie gehen damit nicht die gro-
ßen Probleme an . Weder das Bildungssystem noch der
Arbeitsmarkt, noch das Gesundheitssystem oder der
Wohnungsmarkt wird durch dieses Gesetz nennenswert
inklusiver . Nach jahrelangen Diskussionen über das Bun-
desteilhabegesetz, jahrzehntelangen Kämpfen von Be-
troffenen und einem umfangreichen Beteiligungsprozess
empfinde ich es, ehrlich gesagt, als eine Schande.
Zum Schluss: Wissen Sie, am Sonntag ist der achte
Jahrestag des Inkrafttretens der UN-Behindertenrechts-
konvention in Deutschland . Für nächstes Jahr hätte ich
eine Bitte: Lassen Sie diesen Tag im nächsten Jahr zu
einem echten Grund zum Feiern werden . Hören Sie end-
lich auf, die Rechte von Menschen mit Behinderungen
unter Kostenvorbehalte zu stellen! Schaffen Sie eine vol-
le Teilhabe für alle Menschen! Nehmen Sie diesen Teil-
habebericht ernst, lesen Sie ihn ganz genau, und bringen
Sie die wichtigen Dinge voran!
Danke .
Danke . – Als nächster Redner hat Uwe Schummer das
Wort .
Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Her-ren! Der zweite Teilhabebericht der Bundesregierungbeschäftigt sich mit Zahlen, die schwerpunktmäßig bis2014 erhoben wurden . Wie bereits im ersten Teilhabebe-richt, den wir 2013 öffentlich diskutiert haben, sehen wir,dass die Inklusion bei Kindern gut gelingt; denn 91 Pro-zent der Kinder mit Behinderungen in Deutschland gehenin Regelkindertagesstätten und Regelkindergärten undwerden dort entsprechend gefördert .Wir sehen aber auch: Je älter die Kinder werden, des-to geringer die Inklusion . Das manifestiert sich in denRegelschulen, sowohl den Grundschulen als auch denweiterführenden Schulen, in die nur etwa 37,7 Prozentder behinderten Jugendlichen gehen . Ich warne aber auchdavor, Fördereinrichtungen generell zu verurteilen . Auchin Fördereinrichtungen wird guter pädagogischer Unter-richt geleistet
und werden Menschen so gestärkt, dass sie ihren Bil-dungsabschluss erreichen können und auf dem Arbeits-markt eine Chance haben . Deshalb sollte man das Kindnicht mit dem Bade ausschütten, sondern wir sollten dif-ferenzieren und schauen, wie die Fördermöglichkeitenverbessert werden können .Wenn wir die Teilhabe in den Regeleinrichtungenweitgehend umsetzen wollen, dann ist das nicht alleineAufgabe des Bundes . Wir müssen mit den Ländern undmit den Schulträgern in den Kommunen reden . Dannmüssen die Lehrer entsprechend ausgebildet sein, dannmüssen die Räumlichkeiten vorhanden sein, und dannmuss die Barrierefreiheit gegeben sein .
Es ist also nicht Alleinstellungsmerkmal des Bundes, fürInklusion zu sorgen, sondern wir können erwarten, dassdieses Gemeinschaftsprojekt – Umsetzung der UN-Be-hindertenrechtskonvention – von Bund, Ländern undKommunen mitgetragen wird .
Katrin Werner
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Auf dem ersten Arbeitsmarkt sind 1,1 Millionen Men-schen mit Behinderungen beschäftigt . Es gibt immernoch das Vorurteil, dass Menschen, die behindert sind,öfter krank werden . Der Teilhabebericht spricht eine an-dere Sprache . Er legt dar, dass 30 Prozent der Menschenmit Behinderungen sich in einem Jahr nicht einen Tagkrank gemeldet haben und dass sie offenkundig einehohe Motivation haben . Es ist aber auch so, dass mit derBeschäftigung von behinderten Menschen generell dieHumanisierung der Arbeitswelt gefördert wird, auch fürdie nicht behinderten Beschäftigten . Man muss sich vorAugen halten: In der Gruppe der erwerbstätigen behin-derten Menschen sind es 30 Prozent, die in einem Jahrnicht einen Tag krank waren, in der allgemeinen Arbeit-nehmerschaft sind es 23 Prozent, die keinen Tag krankwaren .Es gibt in den Integrationsfirmen 11 000 Mitarbeitermit Beeinträchtigungen . Insgesamt gibt es 850 Integrati-onsbetriebe mit über 33 000 Beschäftigten . Die Koaliti-on hat als Ergebnis der Staatenprüfung in Genf – geprüftwurde die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskon-vention – zusätzlich 150 Millionen Euro für ein Pro-gramm zur Förderung von Integrationsunternehmen zurVerfügung gestellt . Wir haben gemerkt, dass in einigenBundesländern ein Moratorium dazu geführt hatte, dassIntegrationsfirmen mit sinnvollen Ideen auf dem erstenArbeitsmarkt keine Chance mehr hatten, weil ihnen dasGeld fehlte . Der Bund hat dieses Geld aus seinen Mittelnzusätzlich bereitgestellt .
Wir merken, dass dieses Instrument zur Förderungvon Integrationsfirmen auf dem ersten Arbeitsmarkt –Stichwort: Mindestlöhne mit entsprechenden tariflichenVereinbarungen – auch eine Lotsenfunktion für andereUnternehmen hat. Diese Integrationsfirmen wissen, wieman mit psychisch erkrankten Arbeitnehmern, die sichetwas hinzuverdienen wollen, umgeht . Unternehmen miteiner Quote von 30, 35 Prozent beschäftigter behinderterMenschen können bei einem entsprechenden Produk-tivitätsausgleich und einem Lohnkostenzuschuss ihreMarktfähigkeit erhalten .Eine weitere Konsequenz aus dem Ziel, auf dem ers-ten Arbeitsmarkt stärker Inklusion zu entwickeln, war,die Kompetenz der Schwerbehindertenvertretungen zustärken . Wir haben dafür gesorgt, dass sie mehr Zeithaben, um zu beraten: nicht nur die schwerbehindertenMenschen in einem Unternehmen, sondern auch dieje-nigen, die an der Schwelle zum Berufsleben stehen, undMenschen, die vielleicht Integrationsmaßnahmen, einbetriebliches Eingliederungsmanagement, etwa nacheiner chronischen Erkrankung, und weitere Instrumentebrauchen, damit ihre Produktivität und ihre Lebenskraftnicht weiter sinken . Die Humanisierung der Arbeitsweltauf dem ersten Arbeitsmarkt muss stärker gelebt werden .Da sind die Schwerbehindertenvertretungen ein ganzwichtiges Instrumentarium . Deshalb haben wir es insge-samt gestärkt . Ermöglicht wurden mehr Freistellungen,mehr Unterstützung bei bürokratischen Angelegenheiten .Wir haben aber auch dafür gesorgt, dass die stellver-tretenden Vertrauensleute aufgewertet werden, dass manmehr im Team arbeiten kann und dass, bevor sich einUnternehmen von einem schwerbehinderten Menschendurch Kündigung trennt, erst einmal die Schwerbehin-dertenvertretung zu informieren ist und dass darüber be-ratschlagt wird, wie eine weitere Beschäftigung im Un-ternehmen stattfinden kann.
43 Prozent der Frühverrentungen heute finden nichtwegen Herz-Kreislauf-Problemen oder kaputter Kno-chen statt, sondern aufgrund von psychischen Erkran-kungen . Deshalb ist es so wichtig, mit den Unternehmen,mit den Schwerbehindertenvertretern Frühwarnsystemegegen Burn-out zu installieren und auch ein entsprechen-des Gesundheitsmanagement zu organisieren . Da sindsie unsere natürlichen Bündnispartner . Sie wissen, wieman mit behinderten Menschen in einem Unternehmenproduktiv arbeiten kann, weil sie die Konzepte kennenund auch wissen, wie diese Konzepte finanziert werdenkönnen .
Unser Teilhabebericht enthält eine sehr positive Bot-schaft: Die Zahl der Betriebe, die keinen schwerbehin-derten Mitarbeiter beschäftigen, ist seit 2002 von 58 219auf 39 101 gesunken . Wir wissen, dass im Rahmen derInitiative „Wirtschaft inklusiv“ Tausende von Beratun-gen von Unternehmern darüber stattfinden, wie behinder-te Menschen auf dem ersten Arbeitsmarkt angestellt undgefördert werden können . Durch diese Initiative wurdenbereits 1 600 neue Stellen für die Gruppe, die wir heutein besonderer Weise im Blick haben, geschaffen . Es gabzur Förderung von Inklusion viele runde Tische von Be-triebsräten, Personalräten, Arbeitgebern, also von Vertre-tern der Arbeitnehmerschaft und der Wirtschaft .Die Zahl der arbeitslosen schwerbehinderten Men-schen sinkt in Deutschland seit drei Jahren stärker alsdie allgemeine Arbeitslosigkeit . Auch das ist eine guteNachricht, die letztendlich aus dem, was im Teilhabebe-richt dargestellt ist, aber auch aus der konkreten politi-schen Arbeit resultiert . Im Februar 2017 waren 168 964schwerbehinderte Menschen weniger als im Vorjahrarbeitslos . Der Rückgang der Anzahl arbeitsloser aner-kannt schwerbehinderter Menschen liegt damit bei etwa5,8 Prozent; der Rückgang der Anzahl Langzeitarbeitslo-ser liegt dagegen bei etwa 5 Prozent .Aber: Das Armutsrisiko Schwerbehinderter ist höher .Deshalb war es wichtig, dass bei der Behandlung diesesThemas über das Bundesteilhabegesetz die Einkom-mens- und Vermögensgrenzen angepasst wurden . Daswar ein ganz konkreter Schritt, der das Armutsrisiko ver-ringern wird . 40 Prozent der behinderten Menschen kön-nen ihren Unterhalt selbst verdienen, während dies in derGruppe der allgemeinen Arbeitnehmerschaft 74 Prozentsind . Deshalb: Die Freistellung von 30 000 Euro Jah-reseinkommen brutto von der Steuer wird dafür sorgen,dass von den 70 000 Menschen, die anerkannt schwer-behindert und erwerbstätig sind – sie müssen heute ihreEingliederungshilfe sozusagen mitfinanzieren –, zukünf-Uwe Schummer
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tig zwei Drittel gar keine Mitfinanzierung mehr leistenmüssen .Die Anhebung der Vermögensfreigrenze auf50 000 Euro ist ebenfalls ein ganz zentraler wichtigerSchritt . Die Anrechnung des Einkommens der Ehepart-ner und Ehepartnerinnen wird abgeschafft, sodass Liebenicht mehr mit Armut Hand in Hand gehen muss .Die Zahlen im Teilhabebericht stammen aus demJahr 2014 . Viele Maßnahmen, die wir 2016 und 2017beschlossen haben, werden in den nächsten zwei Jahrenin Kraft treten, das Budget für Arbeit etwa 2018 . Ich binvon daher sicher, dass wir auf der Grundlage des nächs-ten Teilhabeberichts sozusagen die Früchte dieser inten-siven Arbeit dieser Koalition zur Inklusion, dieser Bun-despolitik miteinander debattieren werden .
Vielen Dank, Herr Kollege Schummer . – Als Nächste
hat das Wort Corinna Rüffer vom Bündnis 90/Die Grü-
nen .
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir reden heute über die Lebenssituation vonMenschen mit Behinderungen . Das ist so eine Sache .Ich möchte mit einer Mail einsteigen, die meine Kolle-gin Elisabeth Scharfenberg kürzlich erreichte . Die Mailstammt von einer 52-jährigen Frau mit Behinderung .Diese Frau hat geschrieben:Ich wurde nach einem Knochenbruch . . . gegen mei-nen Willen in ein Altenheim abgeschoben . . . . JedenTag werde ich von einer anderen Person gewaschen,oft bei geöffneter Tür . Ich werde komplett fremdbe-stimmt, das Essen ist ungenießbar . . . Ich liege nurim Bett rum und muss schauen, wie der Tag rum-geht . . . . Alles wird über meinen Kopf gegen meinenWillen bestimmt . . . Immer soll ich alles dankbar ak-zeptieren . So habe ich mir mein Leben nicht vorge-stellt . Das ist menschenunwürdig und inakzeptabel .Diese Frau hat recht . Das ist menschenunwürdig, und dasist inakzeptabel .
Wenn ich mir überlege, was wir hier in den letzten Jah-ren getan haben, um so etwas zu verhindern, dann mussich zugeben: Ich schäme mich . Wir haben im Dezemberein Teilhabegesetz verabschiedet, mit dem es nach wievor möglich ist, behinderte Menschen gegen ihren Willenin Heime einzuweisen, in Heime zu zwingen, obwohl wirwissen, dass behinderte Menschen, die in Einrichtungenleben, mehr von Gewalt betroffen sind als die Durch-schnittsbevölkerung . Das steht im Teilhabebericht, undso stand es auch im letzten Teilhabebericht . Darüber wirdGott sei Dank, glücklicherweise immer häufiger öffent-lich berichtet .Sicher haben einige von Ihnen vor gut einem Monatden Bericht von Team Wallraff gesehen; Katrin Wernerhat es vorhin erwähnt . Ich bin sicher: Wenn Sie ihn gese-hen haben, dann waren Sie ebenso schockiert wie ich . Dawerden Menschen brutal behandelt . Ihnen wird ein Beingestellt . Sie werden schikaniert . Es war die Rede von ei-nem Spastiker, den man regelmäßig gedemütigt hat, nurweil er sich so bewegt hat, wie er sich bewegt . Er mussteallein im dunklen Zimmer sitzen, bekam keinen Kuchen,und die Liste der Strafen ist lang .Das sind leider nicht nur Einzelfälle . Die Staatsan-waltschaft ermittelt mittlerweile gegen eine Einrichtungder Lebenshilfe in Speyer . Das ist auch richtig und gutso . Aber es ist schlimm, dass vorher niemand hingeguckthat .Wie gesagt, es geht nicht nur um Einzelschicksale . Vorzwei Jahren waren wir mit einer Delegation aus Deutsch-land bei den UN . Die erste Staatenprüfung hat damalsstattgefunden . Wir wurden genau auf diese Punkte hinge-wiesen . Verändert hat sich aber leider nichts . So kann esecht nicht weitergehen .Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD,Sie hatten in den letzten drei Jahren wirklich alle Chan-cen . Sie haben diese Chancen nicht genutzt . Das Teilha-begesetz wird die Situation von behinderten Menschenin diesem Land vermutlich an kleinen Stellen ein wenigverbessern, aber das ist ein bisschen so, wie wenn maneinen großen Kuchen vor sich hat, aber nur Krümel ab-bekommt . Das ändert nämlich nichts daran, dass es wei-terhin Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten gibt . Manstößt auf diese Ungerechtigkeiten, auf diese Grausamkei-ten, wenn man Kontakt zu Menschen mit Behinderun-gen hat oder wenn man selber eine Behinderung hat . Eswäre gut, wenn im nächsten Deutschen Bundestag mehrMenschen mit Behinderungen vertreten wären, um hierin eigener Sache sprechen zu können .
Ich möchte noch einmal konkret werden und auf dieSituation behinderter Geflüchteter und Asylsuchender zusprechen kommen . Der Teilhabebericht – das ist gut –widmet dieser Personengruppe ein ganzes Kapitel . Einkonkretes Beispiel: Ich habe vor ziemlich genau einemJahr einen gehörlosen Syrer kennengelernt, der hier inDeutschland Asyl beantragt hat . In der letzten Wochesollte die Anhörung beim Bundesamt für Migration undFlüchtlinge stattfinden. Obwohl dem Bundesamt mehr-fach mitgeteilt wurde, dass dieser Mensch gehörlos ist,stand kein Gebärdendolmetscher zur Verfügung . Unddann passierte der Skandal . Er kam zum Bundesamt .Die haben ihm dann eine Auflage erteilt: Er müsse einengesetzlichen Betreuer an die Seite gestellt bekommen,damit das Bundesamt die Anhörung durchführen könne .Es ist unfassbar, dass hier ein Mensch entrechtet werdensoll, weil das Bundesamt nicht in der Lage ist, eine barri-erefreie Anhörung durchzuführen . Das ist wirklich völliginakzeptabel!
Uwe Schummer
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Dass es auch hier wieder nicht um einen misslichenEinzelfall geht, wissen Sie auch; denn die Monito-ringstelle hat vor einiger Zeit einen Bericht dazu vorge-legt . Auch der Teilhabebericht geht auf die Probleme indiesem Bereich deutlich ein . Das Problem ist, dass Sieals Bundesregierung keine passenden – eigentlich kei-ne – Konsequenzen daraus ziehen .Meine Fraktion hat eine umfangreiche Kleine Anfra-ge zu dem Themenkomplex gestellt und in dieser Wo-che auch eine Antwort erhalten . Ich muss Ihnen leidersagen: Diese Antwort ist Beleg für Ihre ignorante Hal-tung gegenüber der zum Teil verzweifelten Situation vonGeflüchteten in diesem Land. Ich kann natürlich leidernicht auf alle Details dieser Kleinen Anfrage eingehen .Deswegen gebe ich nur ein Beispiel . Wir haben zum Bei-spiel gefragt, ob die Bundesregierung die Ansicht teilt,dass sich eine schlechte Versorgung mit Heil- und Hilfs-mitteln nachteilig auf die Gesundheit Geflüchteter aus-wirkt und auch zu sozialen Problemen führen kann . Undwas antworten Sie, meine Damen und Herren? Die Fragesetzt gedanklich voraus, dass die Versorgung von Flücht-lingen mit Behinderung mit Heil- und Hilfsmitteln imBundesgebiet mangelhaft wäre . Dies entspricht jedochnicht der Auffassung der Bundesregierung .Ich sage Ihnen aber: Es kommt nicht auf die Auffas-sung der Bundesregierung an . Ich würde Ihnen aus denFraktionen von Union und SPD empfehlen: Sprechen Siedoch einmal mit Ihrer Regierung, und sagen Sie ihr, dassSie ihren eigenen Teilhabebericht bitte auch einmal lesensoll .
Insbesondere der Wissenschaftliche Beirat weist im Teil-habebericht darauf hin, dass es eine Unterversorgunggibt und dass sich deswegen natürlich der Gesundheits-zustand der entsprechenden Personen – was denn auchsonst? – verschlechtert . Daran wird sich nichts ändern,solange Sie erklären, dass hier alles in Ordnung ist, ob-wohl das nicht der Fall ist .Ich weiß, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass in Be-zug auf viele Punkte die Länder zuständig sind . Das ent-lässt uns als Bund aber doch nicht aus der Verantwortung .Wir könnten viel tun . Zum Beispiel könnten wir endlichdas unsägliche Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen .
Wir könnten uns einen Überblick darüber verschaffen,wie viele behinderte Menschen aus dem Ausland nachDeutschland gekommen sind und was ihre Bedarfe sind .Das tun wir bisher nicht . Die UN haben uns auch daraufeindrücklich hingewiesen und gesagt, dass wir struktu-relle Probleme haben, die wir lösen müssen .Sie behaupten, die gesetzlichen Regelungen – insbe-sondere im Asylbewerberleistungsgesetz – in Bezug aufasylsuchende und geduldete Menschen mit Behinderungstünden im Einklang mit der UN-BRK . Ich entgegne Ih-nen: Das kann ich nur als schlechten Witz auffassen .Es gäbe noch sehr viel zu sagen . Der Teilhabebericht –Frau Lösekrug-Möller hat ihn hier hochgehalten – um-fasst 500 Seiten . Natürlich können wir hier nicht überalle einzelnen Punkte diskutieren . Wir können an dieserStelle aber feststellen, dass es so nicht weitergehen darf,dass wir endlich handeln müssen .
Der Teilhabebericht zeigt, dass von gleichberechtigterTeilhabe und gleichwertigen Lebensbedingungen nichtdie Rede sein kann . Die Menschenrechte behinderterMenschen werden in unserem Lande eingeschränkt . Siewerden zum Teil missachtet . Das ist inakzeptabel . Diesist und bleibt ein Skandal . Ich rufe Sie auf, dass wir end-lich gemeinsam, und zwar konsequent, dagegen vorge-hen .Danke .
Vielen Dank, Frau Kollegin Rüffer . – Als Nächste hat
Dr . Astrid Freudenstein von der CDU/CSU das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Im vergangenen Jahr haben wir alle, die wir hiersitzen, gemerkt, dass die politische Teilhabe von Men-schen mit Behinderung eine ganz neue Dimension er-reicht hat – eine normale Dimension, möchte ich dazusagen . Die Demonstrationen im Zuge des Bundesteil-habegesetzes haben gezeigt, dass ein neues politischesSelbstbewusstsein unter den Menschen mit Behinderungentstanden ist . Die aktive Teilnahme an Entwicklungenund Entscheidungen, die das eigene Leben betreffen,ist ein Grundprinzip der Demokratie . Mit Demonstra-tionen, mit Hintergrund- und Fachgesprächen oder alsExperten bei Anhörungen haben sich die Menschen mitBehinderung vielfältig am politischen Prozess beteiligt .Der Teilhabebericht bestätigt diese Wahrnehmung: Dasaktive politische und zivilgesellschaftliche Engagementvon Menschen mit Behinderung ist in den vergangenenJahren deutlich stärker geworden, und das ist gut so .
Es ist vor allem deshalb gut, weil in anderen Berei-chen durchaus noch Handlungsbedarf besteht, um demZiel der gleichberechtigten Teilhabe näherzukommen .Und um diesen Handlungsbedarf zu lokalisieren unddann zu beseitigen, ist eben die Mithilfe der Menschenmit Behinderung wichtig . Aber auch Instrumente wiedieser Teilhabebericht können einer ersten Orientierungdienen . Aus dem vorliegenden Bericht möchte ich einigePunkte herausgreifen, die ich für besonders wichtig halte .Ein erster Knackpunkt ist sicher die deutlich höhereArbeitslosigkeit unter den Menschen mit Behinderung .Zwar ist die Quote in den vergangenen Jahren gesunken,sie lag 2015 aber immer noch 5 Prozentpunkte über derallgemeinen Quote . Weiterhin dauert die Arbeitslosigkeitvon Menschen mit Behinderung auch deutlich länger an .Durchschnittlich können sie diese erst nach einem JahrCorinna Rüffer
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beenden . Auch deshalb sehen 34 Prozent der Arbeitsu-chenden mit Beeinträchtigungen die Chance, einen Ar-beitsplatz zu bekommen, als praktisch unmöglich an . Dassind doppelt so viele wie unter den nicht beeinträchtigtenArbeitsuchenden, und das sind natürlich Zahlen, die ein-deutig sind und die uns beunruhigen müssen . Wir müssenjedenfalls noch deutlich mehr als bisher auf die individu-elle Situation der Betroffenen eingehen und mehr überihre Schwierigkeiten erfahren .Aus welchen Gründen werden die Menschen arbeits-los, und in welche anderen gesellschaftlichen Teilsys-teme gehen sie über: in Arbeit, in Bildung, in Reha, inRente, in Mutterschaft? Einzelne Projekte zeigen bereits,wie es gehen könnte . In Bayern beispielsweise gibt esdas Projekt LASSE, das individuelles Coaching und eineintensive Begleitung durch die Integrationsfachdienstefür langzeitarbeitslose Menschen mit Behinderung bie-tet . Die Erfolgsquoten sind durchaus vielversprechend .Daneben müssen wir die Arbeitgeber zu noch mehr Ein-satz motivieren . Eine höhere Ausgleichsabgabe halte ichdabei für wenig produktiv . Sie würde nur das Vorurteilbestärken, dass behinderte Arbeitnehmer eine Belastungseien . Das Bundesteilhabegesetz wird in diesem Bereichmit Sicherheit an der einen oder anderen Stelle Verbes-serungen bringen, zum Beispiel durch die damit einzu-führenden unabhängigen Beratungsstellen und die ver-einfachten Verfahren .
– Ja, das ist gut .
Das Budget für Arbeit soll den Wechsel aus der Werk-statt auf den allgemeinen Arbeitsmarkt fördern . Arbeit-geber erhalten dabei bis zu 75 Prozent Lohnkostenzu-schuss – ich hoffe, das hören jetzt viele –, wenn sie einenschwerbehinderten Arbeitnehmer einstellen . Die Lösungdes Problems sind diese Maßnahmen natürlich nochnicht, aber sie werden für viele Menschen Verbesserun-gen bringen .
Neben den Daten zur Arbeitslosigkeit gibt es auchnoch erfreulichere Nachrichten vom Arbeitsmarkt . DieSchwerbehindertenbeschäftigungsquote hat sich von3,8 Prozent im Jahr 2002 auf jetzt 4,7 Prozent erhöht –damit nähert sie sich immerhin dem gesetzlich vorge-schriebenen Wert von 5 Prozent an –, und die Anzahl derbeschäftigungspflichtigen Arbeitgeber, die gar keinenschwerbehinderten Menschen beschäftigen, ist seit 2002von fast 60 000 auf unter 40 000 gesunken . Die Zahlenzeigen also: Es geht voran . Es ist aber natürlich noch einweiter Weg zur gleichberechtigten Teilhabe . Und: Zwi-schen den einzelnen Bundesländern – auch das will ichhier sagen – gibt es teilweise ganz erhebliche Unterschie-de .Zum Persönlichen Budget . Die Möglichkeit, Teilha-beleistungen mit größtmöglicher Selbstbestimmung zubeziehen, wird immer mehr angenommen . Zwischen2010 und 2014 – das sind die aktuellsten Zahlen – stiegdie Zahl der Budgetnehmer um 80 Prozent . Wenn das soweitergeht, können wir davon sprechen, dass sich dieseLeistungsform auch wirklich etabliert hat . Das wäre ganzim Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention .Der Teilhabebericht zeichnet also ein sehr differen-ziertes Bild der Situation von Menschen mit Behinde-rung in Deutschland . Aus dem Bericht wird deutlich,dass wir zwar einige Daten zum Leben von Menschenmit Behinderung in Deutschland haben, Erklärungen füreinige Unterschiede trotzdem schwierig sind . Dazu feh-len oft auch nähere Analysen . Wir sollten uns deshalb mitallzu einfachen Erklärungen nicht zufriedengeben .Selbst nach diesem fast 600-seitigen Bericht kann ichnur sagen: Wir brauchen teilweise immer noch mehr In-formationen für die Beteiligten, zum Beispiel für Men-schen mit Behinderung: Was steht mir zu? Wo kann iches beantragen? Hier setze ich ganz große Hoffnungen indie unabhängigen Beratungsstellen, die durch das Bun-desteilhabegesetz entstehen werden . Und wir brauchenmehr Informationen für die Arbeitgeber: Welche Hilfenund Zuschüsse kann ich wo beantragen? Wer kann michbei der Integration des behinderten Menschen in meinemBetrieb unterstützen? Die Initiative „Wirtschaft inklu-siv“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie es gut funktionierenkann .Meine Damen, meine Herren, der Prozess zu einergleichberechtigten Teilhabe von Menschen mit Behin-derung läuft . Er stockt nicht . Das zeigt der Bericht sehrdeutlich . Trotzdem könnte es an der einen oder anderenStelle schneller vonstattengehen . Ich würde mir deshalbwünschen, dass wir in diesem Hause alle gemeinsamweiter an guten Lösungen arbeiten – Seite an Seite mitden Menschen mit Behinderung .Vielen Dank .
Vielen Dank, Frau Kollegin Freudenstein . – AlsNächste spricht die Beauftragte der Bundesregierungfür die Belange von Menschen mit Behinderungen, FrauVerena Bentele .
Verena Bentele, Beauftragte der Bundesregierungfür die Belange von Menschen mit Behinderungen:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeord-nete! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Wort„Teilhabe“ ist für mich als die Beauftragte der Bundesre-gierung für die Belange von Menschen mit Behinderun-gen ein wesentlicher Pfeiler meiner Arbeit .„Teilhabe“ heißt in meinen Augen aber noch vielmehr . Es heißt nämlich: die aktive Gestaltung der Ge-sellschaft, in der wir leben wollen . Und zwar durch undvon Menschen mit Behinderungen . Um aktiv gestaltenzu können, benötigen Menschen mit Behinderungen je-doch Rahmenbedingungen wie beispielsweise leichteSprache, Gebärdensprachdolmetscher und Assistenz fürDr. Astrid Freudenstein
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gesellschaftliches oder politisches Engagement, und,meine sehr geehrten Damen und Herren, sie brauchendas Recht und die Möglichkeit, sich zu entscheiden, vorallem zu wählen .
Haben alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschlanddas Recht, zu wählen? Nein, meine sehr geehrten Damenund Herren Abgeordnete, wir haben in Deutschland über81 000 Menschen, die unter rechtlicher Betreuung in al-len Angelegenheiten stehen, die weder ein aktives nochein passives Wahlrecht haben. Das darf definitiv nichtsein .
Menschen mit Behinderungen sollen entscheiden dür-fen, wer ihre Interessen vertritt . Wenn Sie, meine Damenund Herren Abgeordnete, wollen, dass sich Menschenunter rechtlicher Betreuung in allen Angelegenheitenfür Sie als ihre Abgeordneten entscheiden können, dannreformieren Sie bitte unser Bundes- und Europawahlge-setz .
Wofür benötigen wir einen Bericht über die Teilhabevon Menschen mit Behinderungen? Teilhabe macht deut-lich, wo dringender politischer Handlungsbedarf besteht .Die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen hat indieser Legislatur Fortschritte gemacht . Dafür danke ichden Koalitionsfraktionen, insbesondere Andrea Nahles,die Gesetze für Menschen mit Behinderungen auf denWeg gebracht und abgeschlossen hat .
Teilhabe zu verbessern, ist und war das Ziel des Be-hindertengleichstellungsgesetzes . Wesentliche und wich-tige Ergebnisse sind beispielsweise die BundesfachstelleBarrierefreiheit oder auch die Einführung einer unabhän-gigen Schlichtungsstelle .Im Teilhabebericht 2016 ist zu lesen, dass der Anteilder Menschen mit Beeinträchtigungen an der aktiven po-litischen Teilhabe und Gestaltung der Gesellschaft von8 Prozent im Jahr 2009 auf 12 Prozent im Jahr 2013 ge-stiegen ist . Und auch ich bin mir sicher, dass die Zahlheute insbesondere nach dem Gesetzgebungsverfahrenzum Bundesteilhabegesetz deutlich höher ist .Der aktuelle Teilhabebericht liefert uns wesentlicheund wichtige Erkenntnisse und sei allen, vor allem jetztin einem Wahljahr, zur Lektüre sehr ans Herz gelegt . Ichhabe mir zwei Themenfelder noch einmal besonders he-rausgegriffen .Eine Zahl: Nur 40 Prozent der Menschen mit Beein-trächtigungen in Deutschland können hauptsächlich vonihrem Erwerbseinkommen leben – nur 40 Prozent! Beiden Menschen ohne Beeinträchtigungen sind das fastdoppelt so viele, nämlich 74 Prozent . Menschen mit Be-einträchtigungen sind – auch aufgrund dieser Tatsache –deutlich stärker von dem Risiko, arm zu sein, betroffen .Deswegen ist es für mich jede Anstrengung wert – vonIhnen als Parlament, von der Bundesregierung, aber auchvon der Gesellschaft, von den Arbeitgebern –, an dieserSituation für Menschen mit Behinderungen schnellst-möglich einiges zu ändern .
Menschen mit Beeinträchtigungen haben durch Arbeitnicht nur die Möglichkeit, ihr Erwerbseinkommen zu er-wirtschaften, sondern auch deutlich bessere Möglichkei-ten, soziale Kontakte aufzubauen und an der Gesellschaftteilzuhaben .An einer Stellschraube wurde gedreht: Durch die Ver-besserungen bei der Anrechnung des Einkommens undVermögens der Bezieher von Eingliederungshilfe wurdemehr Menschen mit Beeinträchtigungen die Möglichkeitzum Ersparen eines Vermögens gegeben . Wir haben hiereinen wichtigen Schritt gemacht, sind aber – das sage ichals Behindertenbeauftragte – noch längst nicht am Endeder Fahnenstange .
Auch das bleibt ein Projekt für die Zukunft .Viele Menschen mit Beeinträchtigungen brauchenaber deutlich bessere Chancen für einen Neueinstieg insBerufsleben oder für eine Weiterbeschäftigung; denn hierliegt in meinen Augen der Schlüssel . Wenn Menschendurch einen Unfall, eine Erkrankung oder durch altersbe-dingte Einschränkungen eine Veränderung in ihrem Le-ben erfahren, brauchen sie die Möglichkeit, am inklusi-ven Arbeitsmarkt mit ihren Ressourcen und Fähigkeitenwertgeschätzt zu werden .Zur Herstellung von Barrierefreiheit leisten dieSchwerbehindertenvertretungen, deren Rechte durch dasBundesteilhabegesetz gestärkt wurden, tagtäglich einenwesentlichen und großartigen Beitrag . Ich möchte ihnenallen auch an dieser Stelle für die hervorragende Arbeitdanken, die sie tagtäglich leisten .
Meine Damen und Herren, die Weichen für den Ein-stieg ins Berufsleben und für Teilhabe werden aber zu ei-nem anderen Zeitpunkt gestellt, nämlich am Anfang desLebens . Davon kann ich ein Lied singen . Die Teilhabefängt in der Kita und in der Schule an . Lernorte für alleKinder sind die Grundlage für eine Gesellschaft, in derVerena Bentele
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das Anderssein ganz normal ist und in der das Besonderejedes Menschen geschätzt und gewürdigt wird .
Deswegen halte ich die Debatten – auch jetzt in denLandtagswahlkämpfen –, ob wir überhaupt inklusive Bil-dung wollen, für völlig überflüssig.
Das Thema der Debatte kann doch heute nur noch lauten:Wie wollen wir die inklusive Bildungslandschaft umset-zen, und welche Ressourcen haben wir zur Verfügung,um endlich für alle Kinder und Jugendlichen inklusiveLernorte zu generieren?Auch hierzu möchte ich eine Zahl nennen: Was pas-siert eigentlich bei den Berufsabschlüssen? Zunächsteinmal zurück zu den Schulen: Wir haben laut Teilha-bebericht – das kam auch vorhin schon – eine steigen-de Anzahl von Kindern und Jugendlichen an inklusivenSchulen, aber dies geht nicht mit einer sinkenden Anzahlvon Schülerinnen und Schülern an Förderschulen einher .Das ist, wie ich finde, definitiv nicht haltbar.
Liebe Frau Bentele, achten Sie bitte ein bisschen auf
die Zeit?
Verena Bentele, Beauftragte der Bundesregierung
für die Belange von Menschen mit Behinderungen:
Okay . Ich bin gleich fertig . Es tut mir leid, aber Teilha-
be ist einfach so ein umfassendes Thema
Ganz kurz noch eine Zahl zu den beruflichen Ab-
schlüssen . 21 Prozent der Menschen mit Beeinträchti-
gungen, fast doppelt so viele wie bei den Menschen ohne
Behinderungen – bei ihnen sind es nur 12 Prozent –,
haben keinen Berufsabschluss, und das sind deutlich zu
viele .
Lassen Sie mich noch eine ganz wesentliche Sache
sagen . Wir müssen dringend mehr über die Lebenslagen
von Menschen mit Beeinträchtigungen wissen . Deswe-
gen ist es gut, dass es eine neue Repräsentativumfrage
gibt, die Andrea Nahles im letzten Jahr in Auftrag gege-
ben hat . Diese wird über fünf Jahre hinweg laufen und
uns wirklich wesentliche Erkenntnisse über die Teilha-
bemöglichkeiten und die Lebenslagen von Menschen mit
Beeinträchtigungen bringen, und das ist wesentlich für
politisches Handeln .
Eine Erkenntnis haben wir jedoch schon: Für mich ist
in der nächsten Legislatur einer der entscheidenden und
wichtigen Punkte, dass wir endlich auch im zivilrecht-
lichen Bereich bei der Herstellung von Barrierefreiheit
weiterkommen müssen, nämlich durch die Verpflichtung
der Anbieter von Dienstleistungen und Produkten zur
Herstellung von Barrierefreiheit im Allgemeinen Gleich-
behandlungsgesetz – damit wir im nächsten Teilhabebe-
richt lesen: Menschen mit Beeinträchtigungen können in
allen Lebenssituationen gleichberechtigt teilhaben .
Danke schön .
Vielen Dank, Frau Bentele . Wir hier oben waren,
glaube ich, sehr großzügig . Es ist ein wichtiges Thema,
und ich habe an der Resonanz aller Kollegen gesehen,
dass man da nicht gleich unterbrechen sollte . – Nächste
Rednerin ist jetzt Frau Jutta Eckenbach von der CDU/
CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha-ben es heute schon mehrmals gehört: Der Teilhabeberichtumfasst rund 500 Seiten . Ich habe mir die Frage gestellt:Ist es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen, dass derBericht so umfangreich ist? Geht es um gelungene undgute Teilhabe und Inklusion, oder ist der Handlungsbe-darf noch so groß? Der Bericht spiegelt sicherlich beideSeiten wider .Wir haben in den letzten Jahrzehnten viel dazugelernt,und wir haben viel erreicht . Wir haben Menschen mit Be-hinderungen durch das Behindertengleichstellungsgesetzund durch das neue Bundesteilhabegesetz eine verbesser-te gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht . Das waren zweiwichtige Maßnahmen, die wir auf den Weg gebracht ha-ben, aber der Nationale Aktionsplan 2 .0 gibt uns auchzukünftig noch einiges zu tun .Das Bundesteilhabegesetz ist entstanden unter derMitwirkung vieler Betroffener, Organisationen, Vereineund Verbände . Es wurden wirklich gute Gespräche ge-führt . Ich glaube, dass es besser ist, miteinander zu spre-chen als übereinander . Das ist der richtige Weg .Gestatten Sie mir, an dieser Stelle auf eine Einschrän-kung hinzuweisen, auf die wir achten müssen . Kürzlichwar der LVR, der Landschaftsverband Rheinland, zu Gasthier in Berlin; Frau Rüffer, Uwe Schummer und HubertHüppe waren auch dort . Dieses Treffen bot uns die Gele-genheit, mit Menschen mit Behinderungen zu sprechen .Irgendwann stand eine Frau mit Behinderungen auf undsagte: Dieses Gesetz macht mir Angst . – Angesichts dervielen Gespräche, die ich mitbekommen habe, sagen ichIhnen: Wir müssen aufpassen, wie wir mit den Menschenreden, wenn wir mit ihnen über ein Gesetzesvorhaben re-den . Bei manchen ist die Reaktion: „Boah, jetzt ändertsich was“, bei anderen ist die Reaktion: Jetzt bekommeich Angst . – Das ist eine schwierige Situation . Deswegenist es wichtig, zu überlegen, wie wir die Prozesse ange-hen und wie wir auch zukünftig mit Menschen mit Be-Verena Bentele
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hinderungen darüber reden, was wir mit ihnen per Gesetzvorhaben. Ich finde, das ist ein ganz wichtiger Hinweis.
– War das eine Zwischenfrage? Darüber können wirgleich noch einmal sprechen, Frau Rüffer .Alle Kolleginnen und Kollegen hier haben viele Ge-spräche geführt . Wir waren auch vor Ort in den Einrich-tungen und haben dort mit vielen Menschen gesprochen .Da ich seit vielen Jahren für den LVR tätig bin, habe ichauch mit Menschen mit Behinderungen gesprochen .Ich finde es wichtig, dass wir nicht nur über die großenEinrichtungen sprechen, sondern wir müssen auch überdie kleinen Einrichtungen sprechen . Ich habe vor einigerZeit eine der Arche-Wohngemeinschaften in Essen be-sucht . Das ist so eine kleine Einrichtung . Dort habe icheinen jungen Mann kennengelernt, der gerade neu einge-zogen war . Zuvor hatte er bei seiner Familie gelebt, sei-ne Mutter hatte ihn bisher versorgt . Bei meinem Besuchsaß er ganz verschüchtert und traumatisiert in der Ecke .Ich habe versucht, ihn anzusprechen, aber da er nichtantwortete, habe ich es sehr schnell sein gelassen . Alsdie Arche-Wohngemeinschaft ihr 16-jähriges Bestehengefeiert hat, war ich wieder vor Ort . Die Feier fand aneinem Sonntagnachmittag statt, es wurde ein ökumeni-scher Gottesdienst abgehalten . Als ich einen großen Saalbetrat, kam mir dieser junge Mann entgegen . Er lief fröh-lich herum und hatte einen Hut auf . Ich habe mich sehrgefreut, ihn so fröhlich zu sehen und habe ihm das auchgesagt, woraufhin er mich umarmte . Er war vollkommenin der Gemeinschaft angekommen .Gerade wenn wir über die Teilhabeberichte diskutie-ren, ist es wichtig, dass wir nicht nur über die schlechtenDinge reden, sondern dass wir auch über das Gute reden,das wir erreichen, über die vielen Möglichkeiten, überdie ganz unterschiedlichen Ansätze, die wir in der Be-hindertenpolitik verfolgen . Wir brauchen Vielfalt; dennjeder Mensch mit Beeinträchtigungen ist anders . Auchdiese Menschen sind nicht alle gleich . Jeder Mensch istein Individuum . So wie wir alle unterschiedlich sind, sosind es eben auch die Menschen mit Behinderungen .Lassen Sie mich auf einen weiteren wichtigen Punkteingehen: Ich rede von Bildung . Ich komme aus demwunderschönen Land Nordrhein-Westfalen, aus derwunderschönen Kulturhauptstadt Essen . Wie ist die Situ-ation in den Regelschulen in Nordrhein-Westfalen? DieGrundschulen in Nordrhein-Westfalen haben im Schnitt28 Schüler pro Klasse, in inklusiven Klassen sind es25 Schüler . Die Raumkonzeption der Schulen ist nichtdarauf ausgerichtet, Schüler und Schülerinnen inklusivzu unterrichten . Die Schulen haben auch nicht die not-wendigen Förderlehrer, um die Kinder inklusiv zu unter-richten . – Wir schränken die Förderschulen ein, um Kin-der in nicht gut ausgestattete Regelschulen zu schicken .Wir überfrachten damit die Lehrer und nehmen auch dieEltern zum Teil nicht mit . Das ist für mich keine Bil-dungspolitik, die Inklusion wirklich beinhaltet .
Das sollten wir, verdammt noch mal, wirklich ändern .Das regt mich auf! Wir tun so, als hätten wir an dieserStelle schon unser Bestes erreicht .
Nein, das haben wir nicht! Wir schaden den Kindern, undwir schaden dem gesellschaftlichen Anspruch auf Inklu-sion .
Ich will einen weiteren Punkt nennen: die Werkstät-ten . Damit bin ich wieder bei dem einzelnen Menschenmit Behinderung . Wir tun ja immer so, als könnten wirfür alle Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt schaf-fen . Ich glaube das nicht . Die meisten Werkstätten fürBehinderte sind nicht außerhalb, sondern in den Städten .Sie sind nicht weit draußen, sondern da, wo auch andereMenschen sind . Wer eine solche Werkstatt besucht, sieht,wie die Menschen dort zum Teil sehr einfache Arbeitenerledigen – ja, aber sie tun das mit Freude . Sie gehen ger-ne in die Werkstatt . Sie gehen sogar dann noch dorthin,wenn sie dem Arbeitsmarkt eigentlich nicht mehr zurVerfügung stehen würden, wenn sie im Rentenalter sind .Sie werden morgens zu Hause abgeholt, sie können teil-haben und mitwirken – im Rahmen ihrer Möglichkeiten .
Lassen Sie mich noch einen Punkt ansprechen, den wirwirklich überdenken sollten . Wir reden immer ganz vielüber Assistenzleistungen, wir sagen, dass wir den Men-schen im gesundheitlichen Bereich helfen müssen, wirsagen, dass wir für die Menschen sorgen müssen, und wirreden darüber, dass bei der Pflege in den Krankenhäusernzusätzliche individuelle Leistungen notwendig sind . Mirwäre es lieb, wenn wir sehr viel stringenter darüber nach-denken würden, wie wir den inklusiven Gedanken in denAusbildungen der Kindererzieherinnen und der Pflege-rinnen und Pfleger verankern können.
Das ist noch nicht der Fall . Dieses Thema gehört aberin die Ausbildung hinein . Genauso gehört es in das Stu-dium der Ärzteschaft, damit ich nicht nach einem Arztsuchen muss, der sich mit Menschen mit Behinderungenauskennt . Wir brauchen in der Breite des gesundheitli-chen Bereichs Ärzte, die wissen, wie sie mit Menschenmit Behinderungen umgehen sollen . Ich glaube, das istdringend nötig . Es muss allgemein bekannt werden, wieman mit Menschen mit Behinderungen umgeht . Das istJutta Eckenbach
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auch wichtig, damit Behinderungen frühzeitig erkanntwerden .Ich glaube, dass wir auf einem guten Weg sind . Wiralle haben erkannt, dass wir in den vergangenen vierJahren einen kleinen Schritt oder einen größeren Schrittgemacht haben .
Ich weiß, dass wir seitens der CDU/CSU-Fraktion unsdiesem Thema weiterhin sehr stringent nähern werden .Wir werden nicht nur sehr darauf achten, dass es jedemMenschen mit Behinderung in Deutschland gut geht,sondern auch darauf, dass er teilhaben kann .Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .
Herzlichen Dank, Frau Kollegin Eckenbach . – Jetzt
hat als letzte Rednerin in dieser Aussprache das Wort
Frau Kerstin Tack von der SPD-Fraktion .
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Der zweite Teilhabebericht der Bundesregierungbeschreibt die Lebenslage von Menschen mit Behin-derung im Zeitraum von 2005 bis 2014, also in einemZeitraum bis vor drei Jahren . Ich freue mich sehr, dasssich der zweite Bericht qualitativ sehr stark vom erstenBericht unterscheidet . Bei dem ersten Bericht hatten wirnoch zu beklagen, dass der Beschreibung der Lebensla-gen eine sehr unzureichende Datenbasis zugrunde lag .Dieser zweite Bericht ist qualitativ deutlich besser, undes besteht die Möglichkeit, wenn man die beiden Daten-blätter nebeneinanderhält, Entwicklungen nachzuvollzie-hen .Er beinhaltet Lebensbereiche wie Familie und sozialesNetz, Bildung und Ausbildung, Erwerbsarbeit, materielleLebenssituation, alltägliche Lebensführung, Gesundheit,Freizeit, Kultur und Sport, Sicherheit, Schutz der Per-son sowie politische und gesellschaftliche Teilhabe . Erbeschreibt also einen sehr umfangreichen Lebensbegriffund fokussiert sich nicht nur auf Teilbereiche . Es ist auchsehr interessant, zu sehen, wie er sich vertiefend mit denFragestellungen Migrationshintergrund und Wohnungs-losigkeit von Menschen mit Beeinträchtigung befasst .Nun haben wir natürlich die Erwartungshaltung, dasswir diejenigen Maßnahmen, die wir in dieser Legislatur-periode für die Belange von Menschen mit Beeinträchti-gung umgesetzt haben, im nächsten Teilhabebericht, derdann einen Zeitraum umfasst, für den wir hier in dieserKoalition Verantwortung tragen, spürbar nachvollziehenkönnen .Da haben wir in dieser Legislaturperiode, wie ich mei-ne, eine beachtliche Bilanz vorzuweisen . Das Teilhabe-gesetz, das hier ja schon mehrfach angesprochen wurde,ist ja nur ein kleines Segment bei der Umsetzung der Ar-beit für Menschen mit Beeinträchtigung .Wir haben für den Bereich des Arbeitsmarktes mit derunterstützten Beschäftigung, mit dem Budget, mit demAusbau der Inklusionsbetriebe meines Erachtens Gutesauf den Weg gebracht . Wir haben die Strukturen für Men-schen mit Beeinträchtigung massiv ausgebaut – mit derunabhängigen Beratung, die ab dem nächsten Jahr los-gehen wird, mit der Schlichtungsstelle, die wir neu ein-geführt haben, mit dem Ausbau der Fachstelle für Barri-erefreiheit .Wir haben das Thema Barrierefreiheit insgesamt wei-ter nach vorne gebracht und die Barrierefreiheit insbe-sondere mit einer Neuauflage der Unterstützung für denUmbau von Wohnungen zu barrierearmem und barriere-freiem Wohnraum ganz neu wieder in das Programm derFörderung des Bundes aufgenommen . Wir haben bei derFrage der inklusiven Bahnhöfe neue Programme aufge-legt, und das ist auch wichtig . Die Fernbusrichtlinie istein weiteres Beispiel . Wir haben den Städten mehrereMillionen Euro zur Verfügung gestellt, damit auch so-zialer Raum und Sozialräume inklusiv gestaltet werdenkönnen .
Meines Erachtens kann sich das sehen lassen . Es ist ebenmehr als nur der Fokus auf die reformierte Eingliede-rungshilfe .Wir haben im Gesundheitsbereich nicht nur mit denPflegestärkungsgesetzen, sondern vor allen Dingen mitder Einführung der sozialpädiatrischen Zentren für er-wachsene Menschen mit Beeinträchtigung viel erreichtund umgesetzt .Wir haben die Prävention gestärkt, indem wir imRahmen des Programms BeSt beraten und junge Men-schen stärken . Insbesondere für Frauen mit Beeinträch-tigung, die in ganz wesentlicher Weise Opfer sexuellenMissbrauchs werden können, haben wir ein eigenes Pro-gramm aufgelegt .
Wir haben mit der Stiftung „Anerkennung und Hilfe“endlich Unterstützungsmöglichkeiten für diejenigen ge-schaffen, die in Einrichtungen der Psychiatrie oder derBehindertenhilfe Erfahrungen mit sexueller Gewalt undanderer Gewalt gemacht haben . Wir haben nach demGrundsatz „Nein heißt nein!“ endlich die Frage der Straf-barkeit von sexuellen Handlungen in Angriff genommen .Bisher war im Gesetz bei Taten gegen Frauen mit Be-einträchtigung als besonders Schutzbedürftigen keinevergleichbare Bestrafung der Täter vorgesehen wie beisexuellen Handlungen gegen Frauen ohne Beeinträch-tigung . Das haben wir Gott sei Dank in dieser Legisla-turperiode endlich geändert . Wir haben die Frauenbeauf-tragten in die Werkstätten hineingebracht .
Ich glaube, es ist ein sehr breiter Strauß an Maßnah-men, die wir in dieser Legislaturperiode vorgenommenhaben, um zu dokumentieren, dass es nicht nur um dieReform der Eingliederungshilfe geht, sondern auch umJutta Eckenbach
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die Lebenslagen an ganz unterschiedlichen Stellen, undwir glauben und sind uns auch sehr sicher, dass das na-türlich Einfluss auf die Lebenslagen haben wird und wirdas in künftigen weiteren Berichten auch sehen werden .Selbstverständlich haben wir weiteren Handlungsbe-darf in all den Feldern, die hier heute schon mehrfachdeutlich dokumentiert sind . Aber wir können auch sagen:Diese Koalition hat in dieser Frage massiv geliefert, unddarauf können wir zu Recht stolz sein .
Vielen Dank, Frau Kollegin . – Ich schließe die Aus-
sprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10940 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 31 a und 31 b auf:
a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Strategie der Bundesregierung zur Internati-
onalisierung von Bildung, Wissenschaft und
Forschung
Drucksache 18/11100
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
Gehring, Dr . Frithjof Schmidt, Claudia Roth
, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für eine Internationalisierungsstrategie von
Wissenschaft und Forschung, die Pluralität
und Freiheit schützt, Grenzen überwindet und
Zusammenhalt stärkt
Drucksache 18/10359
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Zunächst hat das Wort
Frau Dr . Lücking-Michel von der CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Besucher auf der Tribüne . Gut Ding will Wei-le haben . Doch wenn wir heute über die neue Strategieder Bundesregierung für die Internationalisierung vonBildung, Wissenschaft und Forschung diskutieren, dannhabe ich den Eindruck: Sie kommt genau zum richtigenZeitpunkt .
Noch nie war sie so wertvoll wie heute .
Der Brexit, der Einreisestopp in den USA – uns al-len fallen, glaube ich, noch viele Beispiele für einen sichzunehmend isolierenden neuen Nationalismus ein, denwir an so vielen Stellen erleben . Dieser hat Auswirkun-gen auf die jeweiligen Gesellschaften im Allgemeinenund natürlich auch auf Wissenschaft und Forschung imBesonderen . Wie gut, dass die Bundesregierung in ihrerStrategie diesbezüglich eine gänzlich andere Haltungeinnimmt . Nicht Abschottung, sondern Offenheit ist Ga-rant für Spitzenforschung und Innovation,
oder wie Professor Mlynek das in der Vorstellungspres-sekonferenz auf den Punkt gebracht hat: Der wahre Ego-ist kooperiert .Klar: Wir müssen intensive internationale Koope-rationen schmieden, wenn wir unseren eigenen Wis-senschaftsstandort stärken und damit am Ende unserenWohlstand sichern wollen . „Internationale Kooperation:vernetzt und innovativ“ – unter diesem Leitmotiv lotetdie neu aufgelegte Strategie die Wege genau dorthin ausund positioniert sich deutlich gegen jede nationalistischeVerengung . Das macht sie so wichtig .
Internationalisierung geschieht in verschiedenenDimensionen . Die Menschen sind heute mobiler als jezuvor . Das gilt auch für die angehenden und arriviertenWissenschaftlerinnen und Wissenschaftler . Sie überque-ren Ländergrenzen, um voneinander zu lernen, miteinan-der zu forschen, sich mit Kollegen auszutauschen und ininternationalen Projekten gemeinsam zu arbeiten . BrainCirculation ist der Fachbegriff dafür . So nennen wir es,wenn sich Talente möglichst frei über den Globus bewe-gen . Wissenschaft – ich glaube, da sind wir uns einig –ist per definitionem länderübergreifend. Der Austauschvon Wissen, Daten und Erkenntnissen ist zentral für guteWissenschaft . Die eigentlichen Spitzenergebnisse wer-den und können nur in internationalen Teams erreichtwerden . Wen wundert es? Die meistzitierten Ergebnissestammen von international mobilen und damit weltweitsichtbaren Wissenschaftlern . Diese Mobilität von Stu-dierenden, von Forscherinnen und Forschern über Län-dergrenzen hinweg fördern wir durch eine Vielfalt vonStipendien und sonstigen Programmen . In der Strategiewerden diese hervorgehoben . Hier leisten unsere Mitt-lerorganisationen wie zum Beispiel der DAAD und dieKerstin Tack
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Alexander-von-Humboldt-Stiftung, wie ich finde, her-vorragende Arbeit .
Mir ist auch wichtig, zu sagen, dass sie für Studieren-de und Wissenschaftler in Not, auf der Flucht wichtigePerspektiven bieten und damit nicht nur die einzelnenMenschen unterstützen, sondern auch wichtige Zeichensetzen für die Wissenschaftsfreiheit insgesamt .Eine andere wichtige Dimension ist natürlich die Ko-operation zwischen Institutionen, zwischen Hochschulenund Forschungsgemeinschaften, oder auch mit Unter-nehmen . In den sogenannten 2+2-Formaten – so wird esin der Strategie genannt – werden gezielt Unternehmeneingebunden, damit international erarbeitete Forschungs-ergebnisse auch schnell in Anwendung kommen .Dann haben wir die Dimension der großen Zukunfts-fragen, die uns alle herausfordern . Auch sie sind natür-lich international . Denn es ist ja offenkundig: Die großenMenschheitsfragen – Klimawandel, Gesundheit, Migra-tion – werden wir nur beantworten können, wenn sich dieWeltgemeinschaft gemeinsam auf den Weg macht undnach neuen Antworten und Erkenntnissen strebt .
Zwei der fünf Handlungsfelder der Strategie haben diesdeswegen sehr explizit zum Ziel . Das ist ein Schwer-punkt, der aus meiner Sicht absolut wichtig und richtigist .Ein großes Anliegen der Strategie möchte ich andieser Stelle besonders herausgreifen: Die Regierungsagt ausdrücklich, dass sie Entwicklungs- und Schwel-lenländer noch stärker in den Fokus nehmen will unddabei die Wissenschaft gezielt dazu beitragen soll, dieZiele der nachhaltigen Entwicklung, die sogenanntenSustainable Development Goals oder SDGs, gemeinsamzu erreichen . Nun kommt es aus meiner Sicht besondersdarauf an, dass die Ministerien hier bei uns abgestimmtzusammenarbeiten . Denn es ist ja klar, dass hier sowohldas Forschungs- und Bildungsministerium als auch dieMinisterien für Gesundheit, Energie, Landwirtschaft,Auswärtiges und natürlich auch das Ministerium für Ent-wicklungszusammenarbeit gefragt sind .Ein Beispiel will ich kurz vorstellen . Seit Januar 2017bieten sieben bilaterale SDG-Graduiertenkollegs – vierin Afrika, zwei in Lateinamerika, eines in Asien – jun-gen Graduierten eine qualitätsvolle Möglichkeit, in ihrenHeimatländern sur place zu entwicklungsrelevanten The-men zu promovieren . Deutsche Hochschulen haben dafürKonzepte erdacht und sie mit den Partnern in den Län-dern umgesetzt; hier finanziert das BMZ. Eines dieserKollegs – eine Kooperation der TU Berlin mit der Uni-versity of Witwatersrand in Südafrika – widmet sich demThema „Nachhaltige Städte und Gemeinden“ . Dies wie-derum ist aber ebenso Themenschwerpunkt eines großenProjekts von FONA, nämlich zum Thema Zukunftsstadt;hier finanziert das BMBF. Exemplarisch zeigt sich daran,dass es viele Anknüpfungspunkte für Synergien gibt . Esist gut, dass die Strategie dies besonders hervorhebt .Noch nie war sie so wertvoll wie heute . Die Effekteder Internationalisierungsstrategie gehen weit über eineEffizienzsteigerung in den Wissenschaften hinaus. Wirbrauchen, um kreativ und innovativ zu sein, Differen-zerfahrungen, auch und gerade in fremden Kulturen undLändern .
Man lernt dadurch mehr als nur die fachlichen Inhalte ander Uni oder im Forschungsprojekt . Die Kollegen, dieman weltweit in den Laboren trifft, die fremden Spra-chen, die neuen Nachbarn: All das stärkt unser Verständ-nis von der eigenen Kultur ebenso wie von der fremden,in der wir leben . International zu sein, heißt, Umgang mitdem Fremden zu erlernen und schätzen zu lernen . Gren-züberschreitungen auf der Landkarte führen dann hof-fentlich auch zu Grenzüberschreitungen im Kopf; dennfür Offenheit und Freiheit im Denken stehen Bildung undWissenschaft .Vielen Dank .
Vielen Dank, Frau Kollegin . – Jetzt hat Frau Kolle-
gin Dr . Rosemarie Hein von der Fraktion Die Linke das
Wort .
Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kollegin-nen und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucherauf den Tribünen! In Zeiten der weltweiten Vernetzungwäre es töricht, wissenschaftliches Arbeiten in natio-nalen Grenzen denken zu wollen . Auch die Vielfalt derglobalen Probleme – der sozialen, der wirtschaftlichen,der ökologischen – zwingt geradezu dazu, nach gemein-samen Lösungen zu suchen .Ein Beispiel dafür . Wir wissen, der Klimawandelkommt nicht einfach so über uns; er ist auch selbstver-schuldet . Die Abholzung des Regenwaldes zum Beispielträgt dazu bei . Darum reicht es nicht, zu forschen, wieman mit den Folgen des Klimawandels umgeht, sondernwir müssen auch darüber nachdenken, wie man die Ur-sachen beseitigt, die dazu führen, dass der Regenwaldabgeholzt wird .
Das hat unter anderem damit zu tun, dass sich gro-ße Konzerne aufgrund ihrer Profitgier dort bedienen undausnutzen, dass es in diesen Ländern große Armut gibt,die die Menschen dazu zwingt, ihre natürlichen Ressour-cen zu verkaufen . Es gehören aber auch andere Themendazu . So bedarf auch die Bekämpfung schlimmer Krank-heiten der weltweiten Forschungskooperation, ebensoFragen des Artensterbens und der biologischen Vielfalt .Man kann die Beispiele nahezu unbegrenzt fortführen .Wir alle leben nun einmal in einer Welt und nicht jedesLand in seiner . In diesem Sinne ist es gut, folgerichtigund auch notwendig, dass sich ein reiches Land wieDr. Claudia Lücking-Michel
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Deutschland an der Forschungskooperation beteiligt unddarauf setzt .Die Bundesregierung hat nun gleich acht Strategienentwickelt, wie sie sich aus forschungspolitischer undbildungspolitischer Sicht in der Welt bewegen möchte .Dabei bekommt man den Eindruck, dass Deutschlandvor allem an seine eigenen Vorteile denkt und die Koope-ration diesen Eigeninteressen unterordnen will .
So setzt sie zum Beispiel auf Großprojekte wie die Test-anlage für die Kernfusionsforschung Wendelstein 7-X,deren Aufbau allein schon 1 Milliarde Euro verschlun-gen hat .
Natürlich sind nicht alle großen Projekte schlecht; aberes gibt eben auch solche, die schlicht überflüssig sind.
Sie binden unheimlich viel Geld, das dann in anderenBereichen der wissenschaftlichen Forschung fehlt . Diesengt die Möglichkeiten auf wenige Themen ein . Daraufhat auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft hinge-wiesen . Im Gegenzug werden kleine und mittelständi-sche Forschungsinfrastrukturen benachteiligt .
Ein bisschen wirkt dieses Kapitel in der Strategie wieein Alibi . Der Anteil der kleinen und mittelständischenUnternehmen aus Deutschland, die am EU-Forschungs-rahmenprogramm Horizont 2020 teilnehmen, liegt mit11,5 Prozent deutlich unter dem EU-Durchschnitt .Die Bundesregierung setzt in ihrer Internationalisie-rungsstrategie vor allem auf Exzellenz . Exzellenz, sosagt sie, entstehe vor allem durch Wettbewerb .
Wissenschaftliche Exzellenz lebt aber nicht in allerersterLinie vom Wettbewerb, sondern von guten Arbeits- undForschungsbedingungen und klugen Köpfen .
Mit Blick auf die Internationalisierung geht es vorallem um Forschungskooperation und nicht um For-schungskonkurrenz . Den egoistischen Wettbewerb umdie besten Köpfe werden wir nicht gewinnen können . Daunterschätzen wir die Kreativität der Forscherinnen undForscher aus anderen Ländern .Wir täten sehr gut daran, bei unserem Agieren in derWelt auch zu begreifen, dass das reiche Europa und dasreiche Deutschland zu einem beträchtlichen Teil für dieHerausforderungen, die in der Internationalisierungs-strategie beschrieben werden, mitverantwortlich sind .Darum ist es auch ein wenig unredlich, wenn der eigeneökonomische Nutzen aus international gewonnenen Er-kenntnissen im Vordergrund steht . Wenn das Motiv desbesseren internationalen Marktzuganges für deutscheUnternehmen die internationale Forschungskooperationbestimmt, dann ist dieser egoistische Ansatz ein Teil derUrsachen der derzeitigen internationalen Probleme .
Uns geht es um kulturellen und wissenschaftlichenAustausch auf Augenhöhe . Ich hoffe, Ihnen auch .
– Das war jetzt Ihr und nicht mein Niveau .
Wissen ist nämlich das einzige Gut, das sich vermehrt,wenn man es teilt . Die Orientierung an kurzfristigen öko-nomischen Interessen ist hier schädlich .Im Übrigen frage ich mich, wieso Sie in der letztenZeit eigentlich immerzu auf solche Finanzierungsmo-delle wie öffentlich-private Partnerschaften setzen . DerBundesrechnungshof hat erst kürzlich erklärt, dass dasdie öffentliche Hand teurer kommt, als wenn man dieProjekte gleich durch öffentliche Mittel finanzieren wür-de . Ich weiß nicht, warum das das neue System wird undwarum man das inzwischen überall – auch in der For-schungskooperation – anwendet .Nun aber zurück zur Strategie der Bundesregierung . –
Es gibt genau genommen keine neuen Ansätze, sondernvor allem Worthülsen: Wir wollen uns stärker engagie-ren . Wir wollen besser umsetzen . Wir wollen weiterent-wickeln . – Machen Sie es doch!
Begriffe wie „Dynamik“ und „Flexibilisierung“ sagenüberhaupt nichts über Inhalt und Ziel . Sie können gut,aber auch sehr schlecht sein . Deshalb glaube ich nicht,dass es reicht, wenn man mit solchen Worthülsen eineStrategie entwickelt .Die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft werdenso gut wie gar nicht thematisiert, und zwar weder die inunserem Lande noch die im Ausland . Sie sind aber einwesentlicher Faktor für gute Forschung .
Für gute Wissenschaftskooperationen in der Zukunftist es auch wichtig, dass Studierende einen Teil ihres Stu-diums im Ausland absolvieren .
Dr. Rosemarie Hein
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– Das wird thematisiert, aber man muss dazu sagen, dassdas, was dort passiert, eigentlich zu wenig ist . Das hataber nichts damit zu tun, dass die Studierenden das nichtwollen, sondern damit, dass die derzeitigen Studienbe-dingungen das nicht zulassen . Deshalb liegen die Aus-landsaufenthalte sehr oft zwischen dem Bachelor unddem Master . Außerdem hat das damit zu tun, dass diesozialen Bedingungen trotz des Förderprogramms nichtstimmen .
– Wenn Sie das „Quatsch“ nennen, dann weiß ich nicht,wo Sie leben .
Ich möchte zu einem anderen Aushängeschild kom-men; das ist ein Thema für Herrn Feist . Ich meine dieduale Berufsausbildung, den Exportschlager, den wirimmer so gerne bejubeln . Sie meinen, wir hätten dabeiden Stein der Weisen gefunden, und wir müssten diesesSystem auf alle Länder übertragen .
Manche Länder glauben tatsächlich, dass das möglichist . Dieses System ist aber kein Exportschlager . Nach-dem uns einige Jahre lang ausländische Gäste die Türeneingerannt haben, scheint sich langsam die Erkenntnisdurchzusetzen, dass die schlichte Übertragung, also derExport dieses Systems, nicht so einfach ist .
So ist der Antwort der Bundesregierung auf die KleineAnfrage der Grünen zu entnehmen, dass Spanien aus die-sem System schon wieder ausgestiegen ist . Wenn dafürdie wirtschaftlichen Voraussetzungen in einem Land feh-len, dann gibt es eben keine duale Ausbildung .
Diese baut darauf auf, dass sich die Wirtschaft in demLand engagiert . Die Leuchttürme, die es in diesen Län-dern gibt, entfalten eben keine Flächenwirkung und vieleAbkommen und Absichtserklärungen auch nicht .
Ich will Ihre Strategie zitieren, weil dabei ziemlichklar wird, worum es geht – Sie haben sie gleich am An-fang zusammengefasst –:Sie– die gut ausgebildeten Fachkräfte –sind zugleich eine wichtige Voraussetzung für dasEngagement deutscher Unternehmen in den Ziellän-dern .
Da haben wir es: Darum geht es . Es geht um die bestenBedingungen für deutsche Unternehmen in den Ziellän-dern .
Die Fachkräfte gehören eben dazu . Hier steht wieder ein-mal die wirtschaftliche Expansion im Vordergrund .Nun frage ich mich nur: Wieso bekommen Sie es nichthin, jene jungen Menschen, die in den letzten zwei Jahrenzu uns geflüchtet sind und abwarten, ob ihr Asylgesuchanerkennt wird – ich meine diejenigen mit einer gerin-gen Bleibeperspektive –, so auszubilden, dass sie bei derRückkehr in ihr Heimatland eine gute Basis dafür haben,später einmal Fachkräfte zu werden?
Hier hätten Sie die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass esmehr Fachkräfte gibt, aber das machen Sie nicht .
Danke schön .
Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Dr . Daniela
De Ridder von der SPD-Fraktion .
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr verehrte Gäste!Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein undwerden, im Innern und nach außen .Das sagte Willy Brandt vor rund 50 Jahren in seiner Re-gierungserklärung . Ich sage an diesem traurigen Tag, andem wir die Maut verabschiedet haben
– warten Sie doch ab –, dass es mich ein wenig ärgert,liebe Kollegen, dass es wir Wissenschaftspolitikerinnenund -politiker sein müssen, die die Scharte auswetzenmüssen, die die Verkehrs- und Finanzpolitiker geschla-gen haben .
Dr. Rosemarie Hein
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Meine niederländischen Kollegen verstehen nicht, wa-rum wir heute die Einführung der Maut beschlossen ha-ben . Aber noch weniger verstehen sie, warum wir ihreBildungsabschlüsse nicht ausreichend anerkennen, undzwar trotz des Bologna-Prozesses .Aber ich will an diesem Tag die Plenarwoche nichtgriesgrämig beenden, sondern ich will das in Dankbar-keit tun . Sie, Frau Ministerin Wanka, werden gleich si-cherlich erwähnen, dass allein aus Ihrem Hause für For-schung und Entwicklung rund 800 Millionen Euro in dieinternationalen Kooperationen fließen.Ich will an dieser Stelle auch nicht unerwähnt lassen,dass Deutschland im internationalen Vergleich Platz fünfder beliebtesten Länder einnimmt, was die internationa-len Studierenden angeht . 12 Prozent aller Studierendenin Deutschland kommen aus dem Ausland . Liebe Kol-legin Hein, das könnten gerne noch mehr sein . Genau-so verhält es sich mit der Zahl der Studierenden, die einAuslandssemester einlegen oder Auslandspraktika absol-vieren . Das ist knapp die Hälfte der Studierenden . Auchda könnten wir gut einen Boom gebrauchen . Damit leis-ten wir im Gegensatz zu der eben aufgestellten Behaup-tung einen Beitrag zur Brain Circulation .
Ich will mich für die Arbeit vom BMBF, vom BMZund auch vom AA bedanken . Nicht minder lobend willich die vielen Aktivitäten des Deutschen Akademi-schen Auslandsdienstes und der Alexander-von-Hum-boldt-Stiftung erwähnen . Ich will auch nicht vergessen,dass die Goethe-Institute eine Menge leisten .Meinen Fokus will ich aber auf die transnationa-len Bildungsallianzen legen . Allein der DAAD fördert80 Projekte in 36 Ländern . Wussten Sie, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, dass 52 Prozent dieser Projektean Fachhochschulen durchgeführt werden, die diese ineinem Förderzeitraum von fünf Jahren mit ganz erhebli-cher Anstrengung auf die Beine gestellt haben?Zurück zur Alexander-von-Humboldt-Stiftung . Hier-bei will ich in der Tat noch einmal ganz besonders diePhilipp-Schwartz-Initiative lobend erwähnen; denn sieunterstützt nach meinem Informationsstand inzwischen70 ausländische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-ler, die in ihrem Land alles andere als Wissenschaftsfrei-heit genießen können .Liebe Claudia Lücking-Michel, erst vor wenigen Wo-chen haben wir hier gestanden und noch einmal deutlichgemacht, was wir für Subsahara-Afrika tun wollen . Lie-be Rosemarie Hein, unter anderem ein Projekt will icherwähnen, nämlich die Planung der Ostafrikanisch-Deut-schen Hochschule, die gerade dafür sorgen will, dassMenschen in afrikanischen Ländern nicht ihren Konti-nent, nicht ihre Heimat verlassen müssen, sondern dorteine adäquate Qualifikation genießen können, damit sieeine Perspektive für die Zukunft haben .Liebe Frau Präsidentin, lassen Sie mich mit Verlaubzwei großen Damen der Wissenschaftspolitik danken .Die erste ist Frau Dr . Edelgard Bulmahn . Ihr ist es zuverdanken, dass es zur Gründung der German JordanianUniversity kam, die im Jahr 2005 ihren Betrieb aufneh-men konnte . Inzwischen studieren dort 3 600 Studieren-de an sieben Fachbereichen, und inzwischen haben auchschon 1 100 Studierende ein Deutschlandsemester oderein Deutschlandpraktikum aufnehmen können . Ich binsehr dankbar, dass Dorit Schumann, die dortige Vizeprä-sidentin, unserer Einladung in den Ausschuss gefolgt ist .Wir werden sie kommenden Mittwoch hören und befra-gen können .Ich will auch deutlich machen, dass wir in Tunesieneine weitere Hochschule planen . Der Maghreb brauchtauch unsere Unterstützung . Wir wollen mitunterstützen;denn wir wollen eben nicht, dass junge Menschen demIS anheimfallen . Wir wollen, dass sie durch Bildung einePerspektive auf dem Arbeitsmarkt bekommen . Warumdann nicht mit Unterstützung deutscher Unternehmen?Die wird dort nämlich ganz dringend gebraucht, auch fürdie Investitionen, die wir allein nicht leisten können .
Das, was junge Menschen dort brauchen, ist Bildung stattBomben und Bürgerkrieg .Ich will aber noch eine zweite große Dame, eineGrande Dame der Wissenschaftspolitik, erwähnen . Dasist Rita Süssmuth, die sich wie kaum eine zweite um dieTürkisch-Deutsche Universität verdient macht, und dastrotz der Bedingungen, die dort herrschen, und ich sagedas ohne jeglichen Hochmut und ohne jede Besserwis-serei, wozu uns der neue Bundespräsident Frank-WalterSteinmeier geraten hat . Ja, Frau Süssmuth bemüht sichhier, die progressiven Kräfte in der Türkei zu unterstüt-zen und diese deutlich zu stärken .Ich will an dieser Stelle einen Punkt aber nicht un-erwähnt lassen: Was die Türkisch-Deutsche Universitätoffensichtlich dringend braucht, sind journalistische Stu-diengänge . Daneben gilt es, die Pressefreiheit zu unter-stützen, komme, was wolle; denn sie ist auch etwas, wasdiese jungen Menschen unbedingt verdienen . Das ist einAnliegen, das mir der Journalist Gero von Boehm vorwenigen Tagen zuflüsterte.Liebe Kolleginnen und Kollegen, seien wir also mu-tig . Das haben uns beide Bundespräsidenten, der ausdem Amt geschiedene und der neu ins Amt gekommene,Joachim Gauck und Frank-Walter Steinmeier, mit ansHerz gelegt . Haben wir also den Mut, Verantwortungauch in der Welt zu übernehmen .Ganz herzlichen Dank .
Vielen Dank, Frau Kollegin . – Jetzt hat als Nächster
Kai Gehring von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Welt ist aus den Fugen geraten: Akute Hungerkata-strophen, schleichende Klimakrise, Kriege und Konflik-Dr. Daniela De Ridder
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te bringen Elend . Terror destabilisiert Länder, Staatenzerfallen . 65 Millionen Menschen sind weltweit auf derFlucht . Papst Franziskus spricht von der größten Tragö-die seit dem Zweiten Weltkrieg .Weltweit versuchen autoritäre nationalistische undfremdenfeindliche Kräfte, aus Krisen und Orientierungs-losigkeit Kapital zu schlagen . Ihr giftiges Rezept: Aus-grenzung, Abschottung und Renationalisierung . Das istunvereinbar mit unserer global vernetzten Welt, in derwir leben und die wir weiter wollen .
Anstatt den Kopf in den Sand zu stecken, wollen wirdie Globalisierung aktiv und fair gestalten:
in Verantwortung für alle Menschen in Deutschland undnicht auf Kosten von Menschen anderer Länder und Re-gionen .
Bildung und Wissenschaft öffnen Kooperationen auchmit Ländern, deren Türen vernagelt sind . Denn transna-tionale Bildung richtet sich nicht an die Regime, sondernstellt den einzelnen Menschen – den Forscher, die Lehr-kraft, den Schüler, die Studentin – in den Mittelpunkt .Die UNESCO-Verfassung von 1945 zeigt unserenAuftrag . Zitat:Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, mussauch der Frieden im Geist der Menschen verankertwerden .
Das ist unser Wertefundament, wenn wir über Internati-onalisierung von Bildung, Wissenschaft und Forschungsprechen .Mobilität und Austausch sind Grundlage für einenkonstruktiven Dialog und wesentlich für Völkerverstän-digung und Vielfalt . Es geht nicht darum, den Großteilder Wissenschaftler und Fachkräfte auf Dauer ins Landzu holen, sondern es geht um zirkuläre Migration, umBrain Circulation . Denn Abwerbung oder Headhun-ting würden die Entwicklungschancen ärmerer Länderschmälern . Es wäre falsch, Internationalisierung nur zubetreiben, um Deutschland Wettbewerbsvorteile zu ver-schaffen . Nein, es geht um so viel mehr .
Nachhaltig ist Austausch, von dem alle Partner pro-fitieren, vor allem auch in der arabischen Welt und aufdem afrikanischen Kontinent . Genau das ist Grundlagefür unseren deutschen Ansatz einer transnationalen Bil-dung . Wir wollen Kooperation auf Augenhöhe und, ja,auch auf Herzenshöhe .Deutschland ist unter den Top Five der Zielländer in-ternationaler Studierender, und das ist super . Die Zahl derausländischen Wissenschaftler in Deutschland wächst .Auch das ist super .Umgekehrt haben wir aber noch Luft nach oben . Da-her wollen wir die Zahl der Auslandsaufenthalte von Stu-dierenden und Azubis aus Deutschland in der Welt nochdeutlich steigern .
Gerade Finanzierungssorgen halten junge Leute allzu oftvon Auslandsaufenthalten ab . Daher wollen wir ein bes-seres Auslands-BAföG und mehr Stipendien, damit mehrMenschen aus einkommensarmen Familien den Schrittins Ausland wagen . Wir wollen Weltoffenheit für alle .
Eine international anerkannte Stärke Deutschlands istunser traditionsreiches System der Berufsausbildung . Esist bei weitem nicht makellos, aber relativ krisenfest undverschafft uns eine vergleichsweise niedrige Jugendar-beitslosigkeit . Dennoch lässt es sich nicht leicht kopierenund exportieren .Nach drei Jahren Europäischer Ausbildungsallianzsind zum Beispiel in Italien gerade einmal 40 Ausbil-dungsplätze entstanden . So gut unser Modell auch seinmag, sollten wir uns doch ehrlich machen: Es ist keinExportschlager,
sondern eher eine Blaupause . Es braucht echte Initiativengegen Jugendarbeitslosigkeit, die besser zu den jeweili-gen Traditionen der Länder passen .
In vielen Ländern sind die Hochschulen Ausbildungs-stätten . Allerdings hapert es vielerorts an der Verbindungvon Theorie und Praxis . Warum also nicht stärker unserModell der Fachhochschulen bewerben, deren Stärkegenau diese Verbindung ist? Das brächte den Fachhoch-schulen genau den Internationalisierungsschub, den sieleisten können und wollen . Wegweisend ist die Absicht,eine deutsch-ostafrikanische Fachhochschule zu grün-den: ein vielversprechender Vorstoß des DAAD, den wirunterstützen und der hoffentlich Schule macht .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Internationalisie-rung schreitet voran: Wir haben unglaublich engagierteMittlerorganisationen und Stiftungen, die weltweit Tü-ren öffnen . Wir haben Studierende und Wissenschaftler,die in die Welt hinausziehen, um zusammen mit anderenKai Gehring
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neue Erkenntnisse zu gewinnen . Ihnen allen gebührt un-ser Respekt und Dank .
Uns allen muss zugleich bewusst sein, dass die Ar-beit dieser Akteure schwerer geworden ist . Immer längerwird die Liste der Länder, in denen Journalisten, Anders-gläubige, Andersdenkende und Wissenschaftler entlas-sen, verfolgt, drangsaliert und eingekerkert werden . DieForderung „Free Deniz!“ ist eindringliche Chiffre für denKampf für Pressefreiheit und die Freilassung aller inhaf-tierten Journalisten in der Türkei und weltweit .
Genauso braucht es Freiheit und Schutz für türkischeWissenschaftler, die den Appell für den Frieden unter-zeichnet haben . Vor massiven staatlichen wie nicht-staatlichen Repressionen, Angriffen und Übergriffen istkeine Profession mehr sicher . Besonders bedroht sindGeistes- und Sozialwissenschaftler, weil sie als Antreibergesellschaftlichen Wandels gelten . Umso wichtiger sindProgramme für gefährdete Wissenschaftlerinnen undWissenschaftler wie die Philipp-Schwartz-Initiative derAvH-Stiftung . Wir sollten dieses Engagement verstetigenund deutlich ausbauen, liebe Kolleginnen und Kollegen .
Neben dem akuten Schutz für Gefährdete kommt esdarauf an, die weltweite Stärkung der Wissenschaftsfrei-heit zum zentralen Ziel der Internationalisierungsstrate-gie zu machen . Das fehlt uns . Es fehlt an systematischemWissen, wie es in unterschiedlichen Ländern um Wis-senschaftsfreiheit und Gefährdungen von Studierendenund Forschern bestellt ist . Diesen blinden Fleck muss dieBundesregierung beseitigen . Ob in der Türkei, in China,Russland, im Iran, im Irak oder in Ägypten, dort und an-derswo fürchten kritische Wissenschaftlerinnen und Wis-senschaftler um ihre Freiheit, ihren Beruf, ihr Wohlerge-hen, manchmal sogar um ihr Leben . Es reicht nicht aus,diese Lage „mit Sorge“ zu beobachten . Es braucht hierdeutlichen diplomatischen wie politischen Druck .
Niemand will Austausch und Kooperation direkt abbre-chen, wenn sich die Lage in einem Land immer weiterverschlechtert . Für Ernstfälle bedarf es aber klarer Leit-linien für die Zusammenarbeit, vor allem um denen denRücken zu stärken, die die internationalen Kooperatio-nen gestalten .Weltweit schrumpfen Budgets für die Wissenschaft .
Der gefährliche Trend der Wissenschaftsdiffamierungnimmt zu . Auch hierzulande werden wissenschaftlicheFakten wie der Klimawandel oder Genderforschungser-gebnisse diskreditiert, lächerlich gemacht oder geleugnet .Eine Fake- und Abschottungspolitik à la Trump und derantieuropäische Brexit stellen Freizügigkeit und Koope-ration von Wissenschaft auf eine mehr als harte Probe .Das sind Herausforderungen, denen wir uns gemeinsamaktiv stellen müssen .
Bildung und Wissenschaft spielen die Schlüsselrolle,um die Globalisierung zu gestalten . Bildung kommt softdaher . Aber sie hat eine ungemeine Kraft . „Eine Schu-le, ein Buch, ein Kind können die Welt verändern“ – sohat es die Kinderrechtsaktivistin Malala auf den Punktgebracht . Bildung und Wissenschaft lehren Angstmacherdas Fürchten; denn es durchkreuzt ihre Pläne, die eigeneVerbohrtheit zu Intelligenz zu erklären . Bildung ist einMenschenrecht, ein Grundnahrungsmittel für eine starkeZivilgesellschaft – in Deutschland, in Europa und in derganzen Welt . Es lohnt sich, dafür gemeinsam zu streitenund zu werben .Vielen Dank .
Vielen Dank, Herr Kollege Gehring . – Jetzt hat alsNächste das Wort die Bundesministerin Dr . JohannaWanka .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! AmMittwoch, also vorgestern, war Weltwassertag, ein Tag,der uns daran erinnern soll – und erinnert hat –, dass alssechstes Nachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen an-gestrebt wird, dass alle Menschen auf der Welt saube-res Trinkwasser haben . Das ist eine gigantische Aufga-be . Wenn man sich die Zahlen anschaut, weiß man, wieschlimm es darum bestellt ist . Eine solche Aufgabe kannman nur international, in Kooperation, lösen .Ich will das große Projekt der Bundesregierung zumWasserressourcenmanagement in Jordanien als Beispielnennen . Es handelt sich um eine Region mit sehr wenigWasser und großen Problemen . In diesem Projekt arbei-ten jordanische, deutsche, palästinensische und israeli-sche Wissenschaftler, Wirtschaftsvertreter, NGO-Vertre-ter und Behördenvertreter zusammen . Dort geht es auchum Brücken zwischen Ländern und Menschen, die sonstkaum miteinander reden .Ich bleibe beim Thema Wasser . Wir haben in Deutsch-land zu diesem Thema eine hohe Expertise, Frau Hein,weil wir seit Jahren Grundlagenforschung betreiben .Unsere Expertise ist gefragt . Wasserprojekte gibt es inIsrael, Indien, Afrika und China . Das heißt, die Lösungder globalen Probleme gehen wir an . Wer kommt dennauf die Idee, zu sagen, wir machen keine Grundlagen-forschung? Genau das machen wir . Wir machen abernicht nur Grundlagenforschung . Vielmehr versuchenwir auch, direkt die Lebensbedingungen der Menschenin den jeweiligen Regionen positiv zu beeinflussen, zumKai Gehring
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Beispiel mit den beiden Klimainitiativen SASSCAL imsüdlichen Afrika und WASCAL im westlichen Afrika,dem Forschungsnetzwerk zu Gesundheitsinnovationenin Afrika, oder der PRIMA-Initiative, bei der es um denMittelmeerraum geht . In diesem Bereich gehören wir zuden Ländern, die sich weltweit am stärksten engagieren .
– Danke schön, Herr Rossmann .
Frau Hein, Sie haben die Formulierung gewählt: Fu-sionsforschung kostet viel Geld . – Dazu kann ich nur sa-gen: Das ist ein Egoismus sondergleichen . Da wird mirschlecht .
Natürlich kommen wir in Deutschland damit aus, unsereEnergie aus Kohle – und was weiß ich nicht noch – zubeziehen, und das auch noch in 30 Jahren .
Aber das gilt nicht für die Megacitys der Welt .
Wir müssen dort forschen . Die Länder können es zumTeil nicht . Aber gerade deswegen ist das internationalund nicht egoistisch . Es ist genau das Gegenteil von ego-istisch .
Frau Kollegin, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Ich würde gern erst einmal zu Ende reden . – FONA istdas große Programm für nachhaltige Entwicklung . Mit2,1 Milliarden Euro werden dort beträchtliche Summeneingesetzt . Ich habe mir den Antrag von Bündnis 90/DieGrünen angeschaut . Das, was Sie fordern, machen wirschon . Man kann natürlich immer noch mehr verlangen .Noch mehr ist immer gut, aber das ist nicht das Problemdabei .Die Bundesregierung hat 2008 erstmals eine Interna-tionalisierungsstrategie entwickelt . Diese Internationa-lisierungsstrategie hatte vier Schwerpunkte . Der erste:Lösung der globalen Probleme der Welt . Der zweite:Zusammenarbeit mit den Besten und Leistungsstärkstender Welt . Der dritte: international Innovationspotenzialeerschließen . Der vierte: Schwellen- und Entwicklungs-länder stützen und stärken . Diese Schwerpunkte geltenimmer noch, und zwar unvermindert . Das sind ganz ent-scheidende Ziele .Aber die Welt hat sich gedreht, sie hat sich verändert .Es müssen neue Dinge hinzukommen und neue Schwer-punkte gesetzt werden . Ich will einige wenige nennen .Ein Schwerpunkt ist Europa – den globalen Schwer-punkt habe ich eben genannt – und der europäische For-schungsraum .
Wir haben null Chance, wenn wir denken, uns alsDeutschland, vielleicht noch mit Frankreich und ein,zwei anderen Ländern zusammen, gegen die großen Zen-tren in Amerika und in China behaupten zu können . Dasgeht nur mit einem europäischen Forschungsraum .
Wir haben vor kurzem als allererstes Land in Europaeine Strategie vorgelegt, in der wir nicht nur darlegen,wie wir uns vorstellen, was die anderen machen sollen,sondern vor allen Dingen, was wir selbst dazu machensollen . Es geht gerade darum – da sind wir oft alleine inEuropa –,
dass wir uns engagieren . Es geht dabei nicht nur darum,wie viel Geld wir oder andere zurückwollen, sondern da-rum, wie wir in den Ländern in Europa, die nicht so leis-tungsstark sind, exzellente Forschung ankurbeln können .Deswegen ist das ganz entscheidend .
Der zweite Punkt: internationale Mobilität . Die Stu-dentenzahlen in diesem Bereich sind bestens . Wie kom-men Sie denn auf die Idee, zu behaupten, dass wir in die-ser Hinsicht nicht besonders gut seien? Haben Sie sicheinmal irgendwelche Zahlen angeschaut?
Bei uns gehen 37 Prozent aller Studenten einmal insAusland . Die Niederlande, ein kleines und internationalvernetztes Land, streben in den nächsten Jahren einenAnteil von 20 Prozent an . Wir hingegen marschieren inRichtung 50 Prozent . Wie kann man da sagen, das istnicht besonders gut? Das ist klasse .
Eine Bemerkung zum BAföG . In Ihrem Antrag steht,die Bearbeitungsdauer beim Auslands-BAföG sei zu lan-ge und die armen Studenten müssten einen Vorschussleisten . Sie wissen – davon gehe ich aus –, dass wir nullEinfluss darauf haben und dass das reine Ländersacheist – Sie können Ihre Ministerin fragen –, wie BAföGverwaltet wird . Das heißt, wir können das nicht beein-flussen. Aber wir sehen natürlich, dass die Bearbeitungmanchmal zu lange dauert . Deswegen hat die Bundes-regierung im BAföG einen Passus verankert, dass wirBundesministerin Dr. Johanna Wanka
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einen Vorschuss zahlen, wenn die Bearbeitung zu langedauert . Also: erfolgt, erledigt .
Bei der Mobilität geht es uns nicht nur um den Aus-tausch, sondern es geht uns auch immer darum – BeispielUkraine –, die Wissenschaft in den Ländern zu stärken,damit die Wissenschaftler nicht alle weggehen, damit sienur temporär bei uns sind und dann wieder zurückgehen .Oder sie sollen in ihrem Land gestärkt werden . Das istunsere Strategie . Wir haben einige Programme aufgelegt .Die Philipp-Schwartz-Initiative ist genannt worden; ichnenne jetzt noch: Integra, das Stipendienprogramm Lea-dership for Syria etc . Wir haben aber auch Maßnahmenmit einem Volumen von 18 Millionen Euro für Integra-tions- und Migrationsforschung auf den Weg gebracht –der 1 . März war Bewerbungsschluss für die aktuelle Aus-schreibung –; denn wir brauchen viele Erkenntnisse indiesem Bereich . Auch das läuft .Vorletzter Punkt: Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands .Da bin ich bei Jürgen Mlynek . Die Grundvoraussetzungfür Wettbewerbsfähigkeit ist Internationalisierung, ganzklar .
Deswegen ist eine Einschränkung auf Wissenschafts-einrichtungen und bilaterale Hochschulabkommenfalsch . Die 2+2-Projekte, die Frau Lücking-Michel er-wähnt hat, sind richtig, ebenso Spitzencluster im Rahmender Internationalisierung .
Das heißt auch, Möglichkeiten über wirtschaftliche Kon-takte zu nutzen .
Der letzte Punkt . 2008 war die Attraktivität der deut-schen Berufsausbildung noch nicht das Thema . Die Wert-schätzung dafür ist gestiegen . Kein Mensch glaubt – dasfinden Sie in keinem Papier –, dass wir das, was wir inDeutschland haben, eins zu eins in irgendein Land über-tragen können . Das ist absoluter Blödsinn .
Es geht nur darum, dass wir Elemente, die gut sind,übertragen . Das ist schwierig genug . Der indische Mi-nisterpräsident beispielsweise ist immer noch dafür, diegesamte Ausbildung staatlich zu organisieren, ohne dieWirtschaft .
Das sind Dinge, über die wir diskutieren .Für die berufliche Bildung in Deutschland ist Folgen-des bei Erasmus wichtig: Dieses Programm ist bei vielenStudenten angekommen; das weiß jeder, es machen vie-le . Wir haben Gelder ohne Ende in der EU; das gilt auchfür unseren Teil . Wichtig ist nun, dass wir diejenigen, diein der Berufsausbildung sind, auch ins Ausland schicken,
zum Beispiel nach Italien, wenn sie Koch oder so etwaslernen . Wir müssen das nur noch mehr zur Nutzung brin-gen . Das Geld ist schließlich da; es ist keine Frage desGeldes .Was den Transport von guten Elementen angeht, ma-chen wir in diesem Sommer eine neue Förderung: Wirbieten den deutschen Bildungsanbietern, die die entspre-chenden Voraussetzungen haben, Unterstützung durchöffentlich-private Partnerschaften an, damit sie in ande-ren Ländern tätig sein können . Warum denn nicht? DieseAnbieter haben das nötige Know-how, und dieses Betä-tigungsfeld ist für sie eine Chance . Das funktioniert abdem Sommer .
Eine kleine Nebenbemerkung . ÖPP-Projekte sindnicht per se gut – nein, das kann man nicht sagen –; siesind aber auch nicht per se schlecht . Ein gutes Beispiel istnatürlich unser Haus . Schauen Sie es sich an: Sein Bauals ÖPP-Projekt blieb sowohl im Zeit- als auch im Kos-tenplan . Da, wo rote Landesregierungen sind – Stichwort„Flughafen“; kein ÖPP-Projekt –, dauert alles länger .
Meine Damen und Herren, ich glaube, mehr denn jebrauchen wir eine freie Wissenschaft . Wissenschaftsfrei-heit ist das A und O . Sie ist das wesentliche Element un-serer Internationalisierungsstrategie . Wir brauchen eineWissenschaft, die Grenzen überwindet, die kluge Köpfeverbindet und die international daran arbeitet, die großenHerausforderungen unserer Zeit zu bewältigen . Ich den-ke, wir haben die Strategie dafür, und wir setzen sie um .Danke .
Vielen Dank, Frau Ministerin . – Bevor wir die Aus-
sprache zu dem Thema fortsetzen, erteile ich das Wort
dem Kollegen Ralph Lenkert von der Fraktion Die Linke
für eine Kurzintervention .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Frau Ministerin, alsErstes eine kurze Bemerkung zu Ihrem Redezeitpunkt .Regelmäßig ergreifen Sie das Wort nach der Opposition,damit wir nicht mehr die Möglichkeit haben, direkt aufSie zu erwidern . Das ist eine kleine Unsitte . In diesemZusammenhang verwundert es auch nicht, dass Sie eineZwischenfrage nicht akzeptieren .Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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Ich habe mich gemeldet, um auf die Frage der Fu-sionsforschung einzugehen . Sie behaupteten nämlich,mit Kernfusion könnten die Energieprobleme in denEntwicklungsländern gelöst werden . Ich wollte Ihnendie Frage stellen, ob Sie wissen, in welchem Jahr dieKernfusion einsatzbereit ist . Nach meinem Wissensstandrechnet man bei ITER damit, dass man nicht vor demJahr 2055 in die kommerzielle Nutzung gehen kann –wenn denn alles klappt .
Das ist bis dahin ein Zeitraum von etwa 40 Jahren . DasGanze nennt sich Kernfusionskonstante, weil man schon1970 versprach: In 40 Jahren wird die Kernfusion ein-satzbereit sein . – Das heißt, ich frage Sie, wie die Zeit bisdahin überbrückt werden soll .Aus unserer Sicht müssen wir die Forschungsmittelheute einsetzen – das ist unsere Meinung; sie hat FrauKollegin Dr . Hein vorgetragen –, damit die Energiearmutund die Armut insgesamt heute bekämpft werden kön-nen und damit keine Kriege mehr aufgrund von Armutgeführt werden .
Da ist Forschung notwendig . Die Nutzung erneuerbarerEnergien und die entsprechenden Speichertechnologienin Entwicklungsländern müssen vorangetrieben werden .Die Energieeffizienz muss dahin gehend verbessert wer-den, dass sie in den Entwicklungsländern genutzt werdenkann . Genau dafür fehlen die Gelder, weil Sie sie in eineForschung stecken, die vielleicht in 40 Jahren funktio-nieren könnte .
Sehr geehrte Frau Ministerin, Sie haben das Wort zur
Erwiderung .
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich
machen wir das . Natürlich fördern wir jetzt schon in
Afrika und an anderer Stelle . Ich will gar nicht über For-
schungsfragen im Zusammenhang mit diesen Energien
reden; das will ich jetzt gar nicht thematisieren .
Aber die Frage „Wann ist Kernfusion einsatzbereit?“
können wir alle nicht genau beantworten . Es dauert auf
jeden Fall . Experten sprechen von einem Zeitraum von
30 Jahren . Das ist egal . Ich habe zwei Enkeltöchter . Auch
ich bin dafür, dass wir Voraussetzungen dafür schaffen,
dass die Welt in Ordnung ist, wenn sie erwachsen sind .
Es ist gerade ein Ausdruck von Deutschlands Größe,
dass wir nicht nur auf die kurzfristige Verwertbarkeit
schauen . Das zu tun, ist völlig falsch .
Deswegen gilt es, die Grundlagenforschung zu fördern,
und dazu gehört die Fusionsforschung .
Das ist ein Gebiet, in dem wir Weltspitze sind . Wenn
die Chinesen sagen, sie wollten da jetzt Milliardensum-
men investieren, stelle ich fest: Wir investieren weniger
Geld; aber wir machen es exzellent . Das lasse ich mir
nicht unter dem Aspekt „Es passiert nicht gleich morgen“
zerreden .
Vielen Dank . – Wir setzen die Aussprache jetzt fort .
Als Nächstes hat der Abgeordnete Dr . Ernst Dieter
Rossmann von der SPD-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Wanka, Sie haben sich sehr intensiv mit Frau Heinauseinandergesetzt . Ich mache es kürzer . Es gibt denschönen Satz: „Ich bin der Geist, der stets verneint .“ –Frau Dr . Hein, Sie waren heute leicht mephistophelisch,und das ist zu wenig .
Sie haben deshalb einen weiteren Weg zu gehen, um denKonsens in Bezug auf die Internationalisierungsstrategieam Ende auch so zu teilen, wie das – natürlich in Nuan-cen – bei den Grünen, bei der SPD und auch bei der Frak-tion der CDU/CSU – dort wird es vielleicht differenziertgesehen – der Fall ist .Aber insgesamt ist da etwas gewachsen; Frau deRidder hat daran erinnert . Es begann mit EdelgardBulmahn . Da hat es erste Akzente gegeben .
Ich erinnere mich an den leider schon verstorbenen Vi-zepräsidenten des DAAD, Max Huber, der sich über einesolche Debatte hier gefreut hätte . Es war damals EdelgardBulmahn zusammen mit Joschka Fischer . Dann kamenin der ersten Großen Koalition – in Anführungszeichen –der Neuzeit Frau Schavan und Herr Steinmeier . Genau-so ist es jetzt mit Frau Wanka und Herrn Gabriel . Es istgut, dass wir diese Kontinuität über die verschiedenenpolitischen Verantwortlichkeiten hinweg haben; denn amEnde steht ein wirklich gutes gemeinsames Ergebnis .Frau Hein, wenn Sie in die Betrachtung der sehr de-taillierten Programme eintreten würden, dann würden Siemerken, wie fein ausgewogen die vielen Aktivitäten sind .Ralph Lenkert
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Ich will versuchen, das in einem Punkt neu einzuordnen .Frau Wanka, da haben Sie für meine Begriffe das richtigeStichwort für diese Debatte genannt . Sie haben nämlichauf Europa abgehoben . Wir sind in Deutschland aller-dings dabei, ein gewisses Gegenbild zu dem zu entwer-fen, was aktuell in Europa diskutiert wird . Ich will Ihnensagen: Wir sind befremdet darüber, dass Kommissions-präsident Juncker mit seiner Zielstrategie 2025 fünf stra-tegische Elemente bzw . fünf Inhalte benennt, in denenBildung, Forschung und Innovation aber nicht enthaltensind. Das, finden wir, ist zu wenig.
Es wäre gut, wenn dies im Jahr 60 der Römischen Ver-träge, im Jahr 30 von Erasmus in Europa aufgenommenwerden könnte; der Europäische Forschungsraum undHorizont 2020 sind in diesem Zusammenhang ebenfallszu erwähnen . Aber es fehlt . Es fehlt in der Juncker’schenEuropastrategie vollkommen, und das ist unterkomplex,das ist auch unterperspektivisch .Die Bitte an die Bundesregierung ist: Bringen Sie sich,nachdem Sie sich jetzt schon eingebracht haben, nochviel energischer ein mit dem Ziel, dass in der Verantwor-tung Europas diese sechste Dimension mit aufgenommenwird . Es geht bei der Internationalisierung von den Inhal-ten her um Entwicklung in der Welt, um Wissenschaft,um Forschung und Bildung .Das hat auch deshalb Perspektive – Sie haben dieZahlen genannt –: 7 Prozent der Weltbevölkerung sindeuropäisch, 19 Prozent der Wissenschaftsleistung . Aberdas wird sich ändern . Wenn wir das nicht bündeln, wennwir nicht mit Exzellenz in Kooperationen und Netzwerkehineingehen, dann wird dieser positive Beitrag, den wiraus Europa, aus Deutschland leisten, schwächer ausfal-len, als er sein könnte .
Eine kritische Bemerkung . Wir müssen auch darandenken – Sie haben es angesprochen, andere ebenfalls –,dass dazu natürlich auch Substanz gehört: Substanz anRessourcen, Substanz an Regierungsaufmerksamkeit,Substanz auch an Geld . Von Kai Gehring kam vorhin die-ser Zwischenruf . Auch wir glauben, dass die Fixierungauf das 2-Prozent-Ziel für Rüstungsausgaben im Rahmender NATO nicht das ist, was internationalen Frieden,internationale Nachhaltigkeit tatsächlich so befördernkönnte, wie es notwendig wäre; denn Militär schafft keinsauberes Wasser, Militär verändert nicht den Klimawan-del, Militär sorgt nicht für berufliche Bildung. Wir dürfendiese Dimension nicht vergessen . Wir brauchen dafür zu-sätzliche Mittel . Wir brauchen sie in Deutschland, undwir brauchen sie auch in Europa . Das muss eine Perspek-tive sein, die wir zusammen aufmachen .
Es gibt jetzt erste Vorstellungen nach Trump und nachdem Brexit und sozusagen zur Korrektur des verengtenJuncker’schen Entwicklungskonzepts . Ich fand sehr be-merkenswert, was Herr Hippler und sein französischerKollege Roussel – jeder in seinem Land Präsident derHochschulrektorenkonferenz – angesprochen haben,nämlich: Wir bräuchten auch aus der europäischen Wer-tetradition heraus eine gemeinsame Initiative der Univer-sitäten, der Forschungs- und Bildungseinrichtungen mitdem Ziel höherer Niveaus in Europa, um dies in Europazu vermitteln und zu vernetzen, aber auch aus Europaheraus . – Sie schlagen einen Fonds vor, eine Initiativefür Bildung, Forschung und Innovation . Wenn unser Au-ßenminister Sigmar Gabriel jetzt anspricht, mehr Geldfür Europa zu mobilisieren, dann hat er auch dies mit imHinterkopf .
Es ist gut, dass wir beim konservativen Partner/Kon-kurrenten merken: Darüber wird differenziert gedacht,von Europapolitikern anders als von anderen . Aber las-sen Sie uns, wenn wir diese gute Bildungs- und For-schungsagenda haben, doch gemeinsam dafür werben,dass in Europa das Gewicht auf Bildung, Forschung undInnovation stärker wird, weil das etwas Positives in dieWelt hineinträgt .
Der Vorschlag der beiden Präsidenten zu Bildung,Forschung und Innovation deckt sich im Übrigen mitdem, was von Ihnen, Frau Wanka, aber auch von anderenverdienstvollerweise in die neue Internationalisierungs-strategie 2017 – nach der von 2008 – hineingebrachtworden ist. Darin findet sich erstmals die Dimension derberuflichen Bildung.Damals war man noch nicht so weit . Frau Hein, mankann – ich mache einmal den Zusammenhang klar – ganzeinfach sagen: Es ist das Bündnis von exzellenter Wis-senschaft und exzellentem Facharbeitertum bzw . von ex-zellenter Forschung und exzellenter beruflicher Bildung,das Baden-Württemberg, Deutschland und andere euro-päische Länder stark gemacht hat .
Dies in der Exzellenz und Qualifizierung nach vorne zutragen, wäre eine starke Botschaft . Die müssen wir abernoch ausbauen .
Das darf aber nicht in dem Sinne geschehen, dass wir un-ser System in andere Länder transportieren wollen . Nein,wir nehmen es als Botschaft mit auf, dass wir an der Stelleetwas entwickeln wollen . Wir müssen das dadurch unter-stützen, dass wir – das haben Sie und auch Kai Gehringangesprochen – für den Bereich des nichtakademischenbzw. beruflichen Austausches die Mittel im Rahmen desErasmus-Programms verdoppeln . Das wäre etwas, wowir hinkommen könnten . Selbst wenn Sie, Frau Minis-terin, die Stirn runzeln: Ich glaube, wenn wir es erreichthätten, würden auch Sie das anders beurteilen . Am Endegeht es um die Gleichwertigkeit von akademischer undberuflicher Ausbildung auch bei Erasmus.Weltoffenheit ist das Ziel und die Garantie, FrauLücking-Michel, für das, was uns stark macht . Des-halb schlage ich den Schlussbogen mit einem Zitat vonAlexander von Humboldt, der Folgendes gesagt hat:Dr. Ernst Dieter Rossmann
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Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die derLeute, welche die Welt nie angeschaut haben .Ja, sich die Welt anschauen – das ist Internationalisie-rungsstrategie .Vielen Dank .
Vielen Dank, Herr Kollege . – Als Nächster hat das
Wort Dr . Thomas Feist von der CDU/CSU-Fraktion .
Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Meine verehrtenKolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen undHerren! Den Unterschied zwischen der jetzigen Inter-nationalisierungsstrategie der Bundesregierung und dervorherigen sieht man schon im Titel . Denn während esbei der Internationalisierungsstrategie 2008 um Wissen-schaft und Forschung ging, geht es jetzt um Wissenschaft,Forschung und Bildung . Bildung steht sogar an vorders-ter Stelle . Das beschreibt genau das, was der KollegeRossmann gerade gesagt hat: Nur im Zusammenspieleiner gut ausgebildeten Facharbeiterschaft mit einer ex-zellenten Wissenschaft schaffen wir die Voraussetzung,dass internationale Kooperationen super funktionieren .Es ist angesprochen worden, dass die Kooperationim Bereich der Berufsbildungszusammenarbeit nochausbaufähig ist; das hatte auch niemand bestritten . Mitt-lerweile ist es aber so, dass wir über die verschiedenenMinisterien hinweg in diesem Bereich mit 100 Ländernzusammenarbeiten . Vorgestern fand hier eine große Ze-remonie statt: Der neue Bundespräsident wurde in seinAmt eingeführt . Zeitgleich fand im BMBF eine Bilanz-konferenz zur internationalen Kooperation in der Berufs-bildungszusammenarbeit statt . Frau Hein, Sie hatten eineMitarbeiterin dorthin abgestellt, die auch fleißig zugehörthat .Wenn man dort zugehört hatte, konnte man feststellen,dass es nicht darum geht, ein Modell eins zu eins irgend-wohin zu übertragen, sondern es geht darum, das dualePrinzip zu übertragen . Das heißt, es muss ein Zusammen-spiel zwischen einer guten berufsschulischen Ebene undden Unternehmen geben . Das geschieht so, dass wir fürdie entsprechenden Länder passgenaue Konzepte entwi-ckeln . Das macht übrigens nicht die Politik, sondern dasmachen die Akteure, die vor Ort vernetzt sind . Das sindzum Beispiel die Außenhandelskammern . Aber auch dieHandwerkskammern in Deutschland machen das . Sieüberlegen beispielsweise: Wie müsste denn ein Ausbil-dungsgang aussehen, der die spezifischen Besonderhei-ten eines anderen Landes aufgreift? Ich denke, das ist indiesem Bereich genau der richtige Weg .
Zweitens sind die Fachhochschulen angesprochenworden . Es gibt aber noch eine Ebene darunter: Das sinddie Berufsakademien oder die dualen Hochschulen . Auchdie sind im Bereich der internationalen Zusammenarbeithervorragend aufgestellt . Der Kollege Schummer bei-spielsweise hat sich sehr dafür eingesetzt, dass die Hoch-schule Niederrhein ein sehr internationales Profil zwi-schen Deutschland und Holland bekommt . Dabei spieltedie Maut überhaupt keine Rolle; das beschäftigt die jun-gen Leute nämlich überhaupt nicht, weil die meisten vonihnen mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind .Dort kann man sehen, dass nicht nur gemeinsamesLernen und Studieren wichtig sind, sondern auch das ge-meinsame Kennenlernen . Das ist die zweite Ebene derInternationalisierung, die darin besteht, dass wir Men-schen zusammenbringen, Menschen, die ein Gesicht undeinen Namen haben und die sich untereinander verstän-digen .Wir als Parlament sagen ja nicht nur: Die Internatio-nalisierungsstrategie der Bundesregierung ist gut . – Viel-mehr haben wir den Anspruch, das gemeinsam mit demMinisterium weiterzuentwickeln . Und das haben wir indieser Legislaturperiode eindeutig gezeigt: Zum Beispielwurde nach einer Ausschussreise nach Indien ein ge-meinsamer Koalitionsantrag erarbeitet, in dem wir gesagthaben, dass wir die Zusammenarbeit mit Indien ausbauenwollen . Ich nenne in dem Zusammenhang aber auch dieInitiative für die Staaten Afrikas – und hier beispielhaftdie Subsahara-Programme –, die vom Parlament aus-ging . Und so weiter .Zu den Studierendenzahlen kann man auch noch et-was sagen . Man kann natürlich immer beklagen, dassdiese zu niedrig sind .
Aber man muss natürlich auch zur Kenntnis nehmen,dass sich in den letzten Jahrzehnten der Anteil der deut-schen Studenten, die mit Stipendien des DAAD ins Aus-land gegangen sind, verdoppelt hat
und dass sich die Zahl der ausländischen Studenten, dieüber ein DAAD-Stipendium nach Deutschland gekom-men sind, nahezu verdreifacht hat . Das, muss ich sagen,ist eine ganz tolle Sache . Recht vielen Dank an dieserStelle natürlich auch an den DAAD .
Was die Hochschulen angeht, möchte ich noch etwassagen .
– Herr Gehring, Sie waren schon dran und hätten das al-les sagen können .
Dr. Ernst Dieter Rossmann
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Sie haben allerdings viele Sachen gesagt, die hier über-haupt nicht passten . Insofern würde ich jetzt gerne fort-fahren .
Herr Kollege, lassen Sie die Zwischenfrage des Kol-
legen Gehring zu?
Eine Zwischenfrage des Kollegen Gehring lasse ich
immer ganz besonders gerne zu .
Vielen Dank . – Ich glaube, was angemessen ist, hier
anzusprechen, das entscheidet noch jeder für sich selber .
Ich habe mich ja vor allem für das Thema Wissenschafts-
freiheit starkgemacht . Dazu habe ich von Ihnen noch
nicht viel gehört .
Da Sie Afrika, auch Subsahara-Afrika, angesprochen
haben, wollte ich Sie fragen: Wieso fehlt eigentlich der
gesamte Bereich Bildung, insbesondere Wissenschaft,
Forschung und Entwicklung, im Marshallplan mit Afrika
von CSU-Minister Müller komplett? Wieso ist das eine
Leerstelle, wo Sie doch immer wieder betonen, dass man
in dieser Bundesregierung so toll zusammenarbeitet? Im
Marshallplan mit Afrika fehlt völlig, den Bereich Wis-
senschaft und Forschung zu adressieren und zu benennen
und das, was wir hier heute diskutieren, auch dort einzu-
bringen . Gibt es da noch Maßnahmen der Koalitionsab-
geordneten? Wird dieser Plan noch erweitert, oder bleibt
er so? Das ist eine echte Leerstelle, ein echtes Problem .
Das zeigt, dass interministerielle Zusammenarbeit offen-
sichtlich nicht funktioniert, während wir hier wieder über
Interdisziplinarität gesprochen haben .
Ich bedanke mich für diese Frage, lieber Kollege
Gehring . Ich verstehe interministerielle Zusammenarbeit
so, dass nicht jeder das Gleiche macht . Genau das ist aber
bei diesem Punkt der Fall .
Wir werfen ja auch nicht dem Gesundheitsministerium
vor, dass es bestimmte Programme in diesem Bereich
nicht unterstützt .
Im Marshallplan mit Afrika ist zum einen von der
Frage der Neustrukturierung der beruflichen Ausbildung
unter dem Label Green Economy, das heißt nachhaltiges
Wirtschaften, die Rede . Das liegt auch in der Zuständig-
keit des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung .
Das dürfte Ihnen nicht verborgen geblieben sein und
müsste auch Ihnen ein Herzensanliegen sein .
Zum anderen müssten Sie doch auch wissen, dass In-
stitutionen wie der Deutsche Akademische Austausch-
dienst oder die Alexander-von-Humboldt-Stiftung zu ei-
nem Drittel vom Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung unterstützt werden .
Die Philipp-Schwartz-Initiative ist mehrmals angespro-
chen worden . Diese wird im Übrigen vom Auswärtigen
Amt finanziert.
Jetzt tue ich Ihnen den Gefallen und sage noch etwas
zur Wissenschaftsfreiheit. Gerade im Bereich „geflüch-
tete Wissenschaftler“ stammen momentan mehr Antrag-
steller aus der Türkei als aus Syrien .
Deswegen kann ich das, was Sie vorhin zur Presse-, Mei-
nungs- und Wissenschaftsfreiheit in der Türkei gesagt
haben, nur unterstützen, wollte es aber nicht wiederho-
len .
Abschließend möchte ich noch etwas zum Thema „öf-
fentliche und private Hochschulen“ sagen . Es ist ja im-
mer so eine Frage, wie man das einschätzt . Wer sind die
Guten? Ich bin sehr froh, dass die internationalste Hoch-
schule Deutschlands, die Handelshochschule Leipzig,
nicht nur in meinem Wahlkreis liegt, sondern auch eine
Privathochschule ist . Die Handelshochschule Leipzig,
eine sehr alte Gewerbeschule, zeichnet sich dadurch aus,
dass ein überproportionaler Anteil der Studentenschaft
und der Lehrerschaft international zusammengesetzt ist .
Insofern möchte ich damit aufhören, zu sagen: Die sind
gut, und die sind schlecht . – Vielmehr macht es der Mix .
Wir haben hervorragende Universitäten, wir haben her-
vorragende Privathochschulen, wir haben hervorragende
Berufsakademien, duale Hochschulen und Fachhoch-
schulen, und im Bereich der beruflichen Bildung sind wir
auch ganz gut . Was wir dort an Erkenntnissen weiterge-
ben können, das machen wir gern .
Vielen Dank .
Vielen Dank, Herr Kollege Dr . Feist . – Jetzt hatals Nächster der Kollege Dr . Karamba Diaby von derSPD-Fraktion das Wort .
Dr. Thomas Feist
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 226 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 24 . März 2017 22761
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(D)
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein Ziel
der vorliegenden Internationalisierungsstrategie ist der
Ausbau der internationalen Kooperationen im Bereich
berufliche Bildung.
Als ich 2016 wieder im Senegal war, habe ich mit
vielen jungen Menschen gesprochen . Ein Großteil dieser
Menschen hat keine Berufsausbildung und sieht keine
Perspektive im Land . Deshalb wollen sie auswandern .
Viele von ihnen wollen nach Europa oder nach Amerika,
um ein besseres Leben zu führen .
Mit der Internationalisierungsstrategie wollen wir
auch dazu beitragen, Ursachen von Flucht zu bekämpfen,
indem wir zum Beispiel Forschungs- und Bildungska-
pazitäten ausbauen und gezielt junge Menschen für den
örtlichen Arbeitsmarkt ausbilden und qualifizieren.
Dabei gilt bekanntlich unser duales Ausbildungssystem
weltweit als Vorbild . Ich betone, dass es hier aus meiner
Sicht nicht darum geht, es eins zu eins zu exportieren,
sondern um Kooperation . Viele Staaten wollen bei der
Berufsausbildung mit Deutschland zusammenarbeiten,
insbesondere weil die Übergangsquote von der Ausbil-
dung in den Beruf sehr hoch ist . Das zeigt auch die nied-
rige Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland .
Gut ausgebildete Menschen leisten einen guten Bei-
trag zu einer nachhaltigen Entwicklung in den Partner-
ländern und gelten auch als Erfolgsbedingung für das
Engagement deutscher Unternehmen im Ausland .
Bereits mit 17 Staaten hat das BMBF bilaterale Koopera-
tionsabkommen mit Blick auf das duale Ausbildungssys-
tem unterzeichnet .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen nicht nur
Aufstieg durch Bildung in Deutschland, wir wollen nicht
nur, dass in Deutschland Herkunft kein Schicksal mehr
ist, sondern wir wollen, dass Bildungsgerechtigkeit auch
in weiteren Ländern Fuß fasst .
Mit der Internationalisierungsstrategie zeigen wir: Ers-
tens, wir werden unserer Verantwortung gerecht, globale
Herausforderungen zu lösen . Zweitens, wir stärken die
Zusammenarbeit mit Partnerländern im Bereich Bildung,
Wissenschaft und Forschung .
In den letzten Jahren habe ich regelmäßig Unterneh-
men in meinem Wahlkreis besucht . Viele dieser Unter-
nehmen beklagen den Fachkräftemangel . Das ist eine
Herausforderung für unsere Volkswirtschaft, auf die wir
Antworten finden müssen. Es ist deshalb auch ein Ziel
der Internationalisierungsstrategie, die internationale
Mobilität zu steigern und die Anerkennung der im Aus-
land erworbenen Abschlüsse weiter zu erleichtern . Das
Anerkennungsgesetz trat 2012 in Kraft und trägt seitdem
zur Fachkräftesicherung in Deutschland bei . Bis 2015
wurden über 63 000 Anträge auf berufliche Anerkennung
im Bereich des Bundes gestellt und mehrheitlich positiv
beschieden .
Allerdings, Frau Ministerin, wissen wir auch, dass es bei
der Finanzierung der Anpassungsqualifizierung weiter-
hin Handlungsbedarf gibt .
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Zeitalter der
Globalisierung müssen wir mehr denn je für die Men-
schen da sein, die Unterstützung brauchen . Eine gute
Ausbildung und gute Arbeit ermöglichen Teilhabe an
der Gesellschaft, und genau diesen Weg gehen wir mit
der Internationalisierungsstrategie der Bundesregierung .
Lassen Sie uns gemeinsam an der Umsetzung dieser
Strategie arbeiten .
Danke schön .
Herzlichen Dank . – Der letzte Redner in dieser Debat-
te ist Dr . Stefan Kaufmann von der CDU/CSU-Fraktion .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst ein-mal ein ganz herzliches Dankeschön an das Haus und anMinisterin Johanna Wanka persönlich . Hier besteht Ei-nigkeit: Internationalisierung und Außenwissenschafts-politik werden immer wichtiger für unser Land . Deshalbkommt diese neue Strategie der Bundesregierung, desBMBF, genau zur richtigen Zeit .
Kooperationen gerade in Bildung, Wissenschaft undForschung spielen beim Aufbau von bi- und multilate-ralen Beziehungen eine zunehmend wichtige Rolle . Dasmerken wir alle, nicht nur die Bildungs- und Forschungs-politiker, bei jeder Auslandsreise . Das betrifft nicht nurHochschulkooperationen, sondern – das haben wir gera-de hinlänglich gehört – auch den Bereich der beruflichenBildung .
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Der Außenwissenschaftspolitik kommt gerade in Kri-senzeiten und in Konfliktregionen, derer es ja immermehr gibt, eine zentrale Aufgabe zu .
Sie schafft wissenschaftliche und akademische Perspek-tiven und Gesprächsfäden, wo in vielen anderen Berei-chen nichts mehr an Austausch und Begegnung passiert .Ich selbst habe es zum Beispiel im April 2015 in Russ-land nach der Krim-Krise oder 2014 und 2016 in Thai-land unter dem Eindruck einer Regierungs- und Verfas-sungskrise sowie einer Militärregierung erlebt .Ich will drei Themen nennen, die mir in dem Zusam-menhang besonders wichtig sind und zum Teil noch nichtgenannt wurden:Erstens . Aus meiner Sicht müssen wir die Strukturender Wissenschafts- und Innovationskooperationen imAusland weiter ausbauen . Das heißt zum Beispiel: mehrForschungs- und Wissenschaftsattachés an unseren Bot-schaften und Konsulaten; denn es braucht die ansprech-baren Köpfe vor Ort .
Das heißt: Konsolidierung und weiterer Aufbau unsererDeutschen Wissenschafts- und Innovationshäuser, zumBeispiel in Singapur, Kanada oder China; denn dort, woes diese Häuser gibt, funktionieren sie zuallermeist sehrgut, wie ich auch aus eigener Anschauung weiß . Das heißtauch: die örtliche Bündelung der Aktivitäten deutscherBildungs- und Wissenschaftseinrichtungen wie DAAD,Fraunhofer- und Max-Planck-Institute, Hochschulen undsonstige Organisationen wie zum Beispiel AHKs, auchdort, wo es solche DWIHs noch nicht gibt .Meine Damen und Herren, bei der Weiterentwicklungder internationalen Wissenschaftskooperationen zu Inno-vationskooperationen werden vor allem Länder wie Chi-na eine zentrale Rolle spielen . Dort hat die Regierung jaschon länger das klare Ziel ausgegeben: weg von „Madein China“, hin zu „Invented and designed in China“ . Des-halb muss Ziel unserer Politik eine systematische Förde-rung von internationalen Netzwerken in den BereichenBildung, Hochschule, Wissenschaft und Forschung sein,eben auch zur Schaffung innovationsfreundlicher Rah-menbedingungen . – Der Aspekt wurde bisher noch nichtgenannt .Der zweite Punkt, der mir in diesem Zusammenhangwichtig ist und genau dazu passt, ist, dass wir die KMU,die kleinen und mittelständischen Unternehmen, bei ihreninternationalen Innovationskooperationen unterstützen .Wir haben gestern Abend zu später Stunde über die För-derung der Innovationskraft von KMU diskutiert . Vieleunserer deutschen Mittelständler sind Hidden Cham-pions und agieren weltweit . Der weltweite Wettbewerbwird immer härter . Deshalb verdienen unsere KMU – ge-rade wenn sie mit ihrer Innovationskraft auch internatio-nal erfolgreich sind – unsere volle Unterstützung .
Auch in diesem Sinne geht es darum, dass wir die beste-henden Netzwerke zu Innovationsstandorten ausbauenund entsprechende Expertise an unseren Auslandsvertre-tungen vor Ort anbieten .Ein dritter Punkt – er wurde schon genannt, aber ichmöchte ihn noch einmal nennen – ist in der Tat die Ver-tiefung des Europäischen Forschungsraumes . Es wurdevon Frau Ministerin gesagt, dass wir das einzige EU-Mit-glied sind, das eine nationale Strategie zum Europäi-schen Forschungsraum erarbeitet hat, und zwar bereitsim Juli 2014 . Zentral für das Gelingen dieser Strategieund des Europäischen Forschungsraumes und im Übri-gen für den Zusammenhalt Europas ist die Einbeziehungder EU 13, also der neuen Mitgliedstaaten, die übrigenszum Teil gar nicht mehr zur EU 13 gehören wollen, weilsie sich mittlerweile auf Augenhöhe mit uns, mit denalten Mitgliedstaaten sehen, zum Beispiel Tschechien,Slowenien oder die Slowakei . Insofern sind Themen wiedie Widening Participation oder die stärkere Nutzung derStrukturfonds für Forschungs- und Innovationsstrukturenim Rahmen des Ausbaus des Europäischen Forschungs-raums so wichtig .
Dass wir uns um dieses Thema kümmern müssen,zeigt folgende Zahl: Der Anteil Europas an den weltwei-ten FuE-Ausgaben ist von 2007 bis 2013 von 26,2 auf22,7 Prozent gefallen . Gerade deshalb, meine Damenund Herren – Herr Kollege Rossmann, Sie haben es jaauch sehr pointiert hier festgestellt –, müssen wir das3-Prozent-Ziel hinsichtlich der FuE-Ausgaben in der EU,im Europäischen Forschungsraum, ernst nehmen,
und wir müssen das auch von den anderen Mitgliedstaa-ten entsprechend einfordern .Was heißt das konkret? Wir müssen unsere nationa-len Forschungs- und Innovationspolitiken besser mit dereuropäischen Forschungs- und Innovationspolitik ver-netzen, im Sinne einer kohärenten Strategie . Wir müs-sen ganz bewusst auf die Bereitstellung neuer Mittel fürdas 9 . FRP, also für das Nachfolgeprogramm von Hori-zon 2020, hinwirken und auf eine Erhöhung auf mindes-tens 100 Milliarden Euro bestehen,
trotz neuer Herausforderungen . Ich freue mich, dass sichdas Europäische Parlament jüngst in diese Richtung po-sitioniert hat . Wir müssen zudem in der EU weiter fürKooperationen mit innovativen Drittstaaten wie zumBeispiel Israel offen sein .Meine Damen und Herren, ich darf abschließendnochmals betonen, dass diese Internationalisierungsstra-tegie der Bundesregierung einen Meilenstein der deut-schen Bildungs- und Wissenschaftspolitik darstellt, auchin ihrer neuen Ausformung . Deshalb bin ich zuversicht-lich, dass wir, wenn wir es gemeinsam angehen, bei derUmsetzung der vielen Ideen und beim Meistern der vie-Dr. Stefan Kaufmann
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len Herausforderungen Erfolg haben werden . In diesemSinne: Packen wir es an!Herzlichen Dank .
Vielen Dank, Herr Kollege Dr . Kaufmann . – Damit
schließe ich die Aussprache .
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/11100 und 18/10359 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 auf:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Sportausschusses zu
dem Antrag der Abgeordneten Monika Lazar,
Özcan Mutlu, Dr . Konstantin von Notz, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
Für eine weltoffene und vielfältige Sport- und
Fankultur – Bürgerrechte schützen, Grup-
penbezogene Menschenfeindlichkeit effektiv
bekämpfen, rechte Netzwerke aufdecken
Drucksachen 18/6232, 18/11511
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .
Ich eröffne die Aussprache . Als erstem Redner er-
teile ich dem Kollegen Dr . Frank Steffel von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort .
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Was gibt es Schöneres,als beim letzten Tagesordnungspunkt am Freitagnach-mittag über Sport zu reden?
Es gibt wirklich nichts Schöneres .
Nun reden wir allerdings nicht über die schönen Dingedes Sports, die uns nicht nur hier, sondern insgesamt inDeutschland miteinander verbinden – über die vielen Eh-renamtlichen, über die vielen Kinder und Jugendlichen,die in Sportvereinen viel fürs Leben lernen, und auch dieMillionen von Fans, die begeistert in den Stadien, in denHallen oder an den Bildschirmen ihrer Mannschaft dieDaumen drücken –, sondern wir reden heute auf Antragder Grünen über die schwierigen Seiten des Sports . Ichnehme den Grünen auch ab, dass es ihnen mit diesemThema, der Bekämpfung von Gewalt, ernst ist .
– Lieber Özcan Mutlu, Sie sind so feige, dass Sie nichteinmal zu diesem missratenen Antrag reden . Stattdessenlassen Sie Frau Lazar reden .
Leider Gottes enthält Ihr Antrag ein Sammelsuriumvon Plattitüden und übrigens auch falschen Zahlen .
– Dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei diesemThema sensibel ist, das werden wir gleich herausarbei-ten . Ich will nur kurz auf die Plattitüden eingehen .Es ist schon bemerkenswert, dass Sie in der letztenZeile Ihres Antrages fordern, dass der Deutsche Bun-destag nun endlich die antisemitisch motivierten Hand-lungen gegen Makkabi in Berlin und in Köln verurteilt;denn damit erwecken Sie den Eindruck, als habe dasParlament, die Bundesregierung und der deutschen Sportdas nicht immer ausnahmslos getan. Ich finde das nichtin Ordnung . Ich will das ganz bewusst als ersten Punktansprechen .
Zweitens . Sie formulieren – ich lese das einmal wört-lich vor –:Ultras in den Fankurven sind für eine bunte undlautstarke Fankultur verantwortlich und sind . . . hin-gebungsvolle junge Menschen, die nicht selten laut-stark für . . . Toleranz und Vielfalt einstehen .Meine Damen und Herren, die Bilder, die ich von Ul-tras in den Fußballstadien habe, sind vielfach andere . Ichverstehe nicht, wie das zu der Überschrift Ihres Antragspasst .
Dr. Stefan Kaufmann
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Es scheint, dass Sie den Referenten nicht im Griff haben,der diesen Antrag geschrieben hat .
Dann kommen Sie zu einem falschen Ergebnis; dasentspricht auch Ihrer Politik in den Ländern . Sie fordernnämlich die Abschaffung der Datei Gewalttäter Sport .
Das ist die Datei, in der Schwerstkriminelle aufgeführtsind, die in den Stadien Kinder und Jugendliche, friedli-che Fans gefährden,
die Pyro abschießen, die mit Gegenständen werfen unddie unsere Polizeibeamten vor den Stadien und in denStadien und auch die Sicherheitskräfte verprügeln .
Und Sie wollen diese Datei abschaffen? Sie fordertenauch jüngst im rot-rot-grünen Koalitionsvertrag hierin Berlin die Abschaffung der Datei, also nicht nur dieschärfere Kontrolle, sondern die Abschaffung,
und äußern ein schlimmes Misstrauen gegenüber denSicherheitsbehörden; denn Sie erwecken den Eindruck,unsere Sicherheitsbehörden verfolgten Ultras . Meine Da-men und Herren, anders wird ein Schuh draus: Die Ultrasgefährden in den Stadien friedliebende Fans und sportbe-geisterte Familien .
– Ja, ich bin ganz sachlich . Sie können ja gleich antwor-ten .
Sie nennen Zahlen zu gewaltbereiten Personen undunterstellen, dass es hier einen Anstieg gebe . Die Zahlenin Ihrem eigenen Antrag sprechen eine andere Sprache .Sowohl bei den gewaltbereiten Personen als auch beiden gewaltsuchenden Personen war in den letzten vierJahren ein Rücklauf von 15 Prozent zu verzeichnen: beiden gewaltbereiten Personen von 4 570 auf 3 900, beiden gewaltsuchenden Personen von 1 700 auf 1 500 . Ichsage nicht, dass damit alles gut ist . Ich sage aber aus-drücklich: Die Arbeit von Vereinen, die Arbeit von Fan-projekten, die Arbeit von Kommunalpolitikern und Lan-despolitikern und die Arbeit der Bundesregierung trägthier Früchte . Die Zahl der gewaltbereiten Fans ist in denletzten Jahren Gott sei Dank zurückgegangen .Dann kommen Sie zu Ihrem Lieblingsthema, denrechtsmotivierten Personen . Auch hier sind wir uns in derAblehnung einig . Sie unterstellen, dass es einen Anstiegvon rechtsextremen Gewalttaten im Sport gibt .
Die Zahlen sagen aber genau das Gegenteil . Wir ha-ben auch hier Gott sei Dank einen Rückgang um 10 bis15 Prozent .Es gibt aber einen Bereich im Sport, in dem es einenmassiven Anstieg der Zahl der Straftaten gibt .
Das ist der Bereich, über den Sie natürlich wieder nichtreden, nämlich der Bereich linksextremistischer Strafta-ten .
In diesem Bereich ist die Zahl der Straftaten in der Tatum 15 Prozent gestiegen . Das sollten Sie der Fairnesshalber wenigstens in Ihren Antrag hineinschreiben, lieberHerr Mutlu, statt, wie so oft, das Thema sehr einseitig zubetrachten . Das macht Sie nämlich nicht glaubwürdiger .
Wir haben im Bund viele Programme gegen Extre-mismus bei den Fans, gegen Rechtsextremismus, ge-gen Gewalt im Fußballstadion . Übrigens reden wir zu99,9 Prozent – dieser Schwenk gehört zum Thema dazu –ausschließlich über Fußballsport . Wir sollten an dieserStelle auch einmal sagen: Es gibt viele Sportarten
mit Millionen von Fans und Zehntausenden von Sportle-rinnen und Sportlern, bei denen samstags und sonntagsHunderttausende von Spielen friedlich, harmonisch undsehr sportlich durchgeführt werden . Der Ausschnitt, überden wir hier heute reden, ist sehr, sehr klein .Sie erwecken den Eindruck, die Bundesregierunghabe bei diesem Thema nichts getan . Das ist falsch . Mankönnte pauschal sagen: „Der Bund ist dafür gar nicht zu-ständig“ – die Länder legen gerade bei diesem Themasehr großen Wert auf ihre Eigenständigkeit –; aber auf-grund der Bedeutung des Themas sollten wir uns keinenschlanken Fuß machen, sondern sehr klar sagen: Auchder Deutsche Bundestag und die Bundesregierung ste-hen in dieser Frage sehr klar an der Seite der Fanprojekteund der Sportvereine . Wir unterstützen sie, indem wir dieMittel erhöht haben und sie in vielerlei Hinsicht motivie-ren, bei ihren Fans für Ordnung zu sorgen . Im Übrigensind das keine Fans, sondern Gewalttäter und Straftäter,und so sollten wir sie auch bezeichnen .
Dr. Frank Steffel
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Ich will deutlich machen, dass wir das Thema nichtalleine lösen können . Das ist erstens kein Phänomen desSports. Das, was dort stattfindet, findet auch im Sportbzw . im Fußballstadion statt, aber es ist ein gesellschaft-liches Phänomen, mit dem wir uns in Schulen, im Ju-gendbereich, aber auch in allen anderen Bereichen derGesellschaft engagiert auseinandersetzen müssen .Zweitens ist das kein deutsches Phänomen . In vielenLändern, gerade in Europa, stellen wir fest – übrigens inden östlichen genauso wie in den westlichen Ländern –,dass Sportveranstaltungen offensichtlich missbrauchtwerden, um extremistische, antisemitische, gewaltberei-te Parolen zu verbreiten und Gewalttaten im Umfeld vonSportveranstaltungen durchzuführen .Wir sollten daher alle viel selbstbewusster über dieWerte des Sports reden . Wir sollten über den Nutzen vonSport reden . Wir sollten über die 30 Millionen Menschenin Deutschland reden, die sich ehrenamtlich engagieren,viele davon im Sport, viele auch in anderen Bereichender Gesellschaft . Wir sollten unseren Übungsleitern dan-ken, die jeden Tag in Sporthallen und auf Sportplätzendie Werte des Sports vermitteln: Toleranz und Mann-schaftsgeist . Wir sollten unseren Trainern danken, undwir sollten die Rahmenbedingungen für die Ehrenamtli-chen verbessern . Wir sollten Bürokratie abbauen und unsnoch einmal mit der Frage beschäftigen, ob wir die Eh-renamtspauschale nicht doch auf die Höhe der Übungs-leiterpauschale erhöhen sollten . Damit würden wir denje-nigen, die im Verein ehrenamtlich oft die undankbarstenArbeiten erledigen, denjenigen, ohne die das Ganze nichtfunktionieren würde, in unserer ganz konkreten politi-schen Arbeit Anerkennung und Respekt zollen und nichtnur in Sonntagsreden . Einig dürften wir uns sein .Lassen Sie uns über diesen Teil des Sports reden . Las-sen Sie uns über die Werte reden, die durch den Sportvermittelt werden . Lassen Sie uns einheitlich und ge-schlossen mit der Bundesregierung gemeinsam dafürsorgen, dass die wenigen, die das Bild des Fußballs unddas Bild des Sports jeden Samstag und jeden Sonntagzumeist in den Bundesligastadien trüben, wissen, dasssie die Ausnahme und nicht die Regel sind . Sie solltendie ganze Kraft und die ganze Härte des Rechtsstaatesspüren, aber auch die Werte der Gesellschaft . Wir solltendeutlich machen: Unser Bild vom Sport ist ein anderes .Wir haben ein anderes Verständnis von Toleranz und In-tegration . Das hat übrigens gerade die Integration vonFlüchtlingen in den Sportvereinen bewiesen .In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein schönes Wo-chenende auf den vielen Sportplätzen in Deutschland undviele fröhliche und gewaltfreie Fans .
Vielen Dank, Herr Kollege . – Jetzt hat der Kollege
Dr . André Hahn von der Fraktion Die Linke das Wort .
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolle-ge Steffel, trotz unbestrittener Anstrengungen von Fans,Vereinen und Verbänden sind im Sport, insbesondereim Fußball, Rassismus und Homophobie leider immerwieder an der Tagesordnung . Auch die unterschiedli-chen staatlichen Programme von Bund und Ländern ha-ben diese menschenfeindlichen Phänomene bisher nichtwirksam unterbinden können .
Es ist also weder dem Fußball noch der Politik allein ge-lungen, eine antirassistische Kehrtwende in den Stadieneinzuleiten .Wie wäre es, den Kampf gegen rechte Hooligans undNazischläger endlich einmal gemeinsam anzugehen?Wenn sich die wahren Fußballfans aktiv einmischen,statt wegzuschauen, verdienen sie unseren Respekt undunsere Anerkennung .
Ich erlebe erfreulicherweise immer wieder bei vielen Fuß-ballvereinen in Sachsen, nicht zuletzt auch bei DynamoDresden – dass es dort bekanntermaßen Schwierigkeitengibt, darf und soll nicht verschwiegen werden –, dass dieübergroße Mehrheit der Fans Gewalt und Rassismus ent-schieden ablehnt . Dies ist am Ende eine wichtige Voraus-setzung für volle Stadien, für eine gefüllte Vereinskasseund schließlich auch für den sportlichen Erfolg .Das Phänomen, über das wir heute reden, gibt es nichtnur in Deutschland, sondern auch bei unseren europä-ischen Nachbarn . Wir brauchen also nicht nur den be-rühmten Blick über den Tellerrand, sondern auch interna-tional abgestimmte Strategien . Hier meine ich nicht nurgrenzüberschreitende Zusammenarbeit von Sicherheits-behörden, sondern eben auch die Förderung der Zusam-menarbeit von Faninitiativen .
Der Antrag der Grünen ist sinnvoll . Ich verstehe über-haupt nicht, wie man ihn ablehnen kann .
Und im Gegensatz zum Kollegen Steffel freue ich michauf die Rede von Frau Lazar . Sie wird uns bestimmt et-was zu sagen haben .In der ersten Debatte zu diesem Antrag am 28 . Januar2016, also vor über einem Jahr, haben die Redner der Ko-alition mehrfach auf die Autonomie des Sports verwie-sen . Haben Sie das getan, um sich selbst aus der Verant-wortung zu nehmen? Haben Sie überhaupt eine Idee, wiees funktionieren könnte? Ich habe nichts gehört . Über-aus dürftig sind auch Ihre Begründungen zur AblehnungDr. Frank Steffel
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des vorliegenden Antrags . Bessere Vorschläge haben Sienicht vorgelegt .
Auch die vor Jahresfrist angekündigte Debatte imSportausschuss, um eine klare Aussage der Bundesregie-rung zu Löschungen in der Datei „Gewalttäter Sport“ zuerhalten – es geht nicht um deren Abschaffung, sondernum Löschungen –, ist letztlich ziemlich unbefriedigendausgefallen . In der Beschlussempfehlung jedenfalls ge-hen Union und SPD mit keinem Wort mehr auf notwen-dige Änderungen bei den Regelungen für die Speiche-rung ein . Dabei wissen auch die Koalitionäre ganz genau,dass die Bestimmungen, wer in dieser Datei gespeichertwerden kann, alles andere als konkret sind . Immer wie-der kommt es zu völlig anlasslosen Speicherungen . Inso-fern muss dort etwas getan werden .
– Herr Kollege Steffel, wenn das das Einzige ist, was Ih-nen dazu einfällt, tun Sie mir ausgesprochen leid .
Es muss doch uns allen daran gelegen sein, dass dieDaten einer Person, die ohne entsprechenden Grund, völ-lig ungerechtfertigt, vielleicht durch irgendeine Polizei-kontrolle, in der Datei gelandet sind – das sind beileibekeine Einzelfälle –, unverzüglich gelöscht werden . Dassollte schlicht eine Selbstverständlichkeit sein .
Genauso selbstverständlich sollte es sein, die Anzeichenfür verstärkte rechtsextreme Aktivitäten von vermeintli-chen Fußballfans als gesamtgesellschaftliches Problemzu benennen .Nun ein Zitat:Der Fußball allein kann gesellschaftliche Problemezwar nicht lösen, aber gemeinsam können wir einenBeitrag dazu leisten, Rechtsextremismus und Dis-kriminierung in Deutschland ins Abseits zu stellen .So heißt es im Vorwort der DFB-Broschüre „Für Vielfaltund Respekt!“ . Das bedeutet: Um die Fangewalt, insbe-sondere um die rechtsextremistische, muss sich auch diePolitik in Bund, Ländern und Kommunen kümmern, an-statt einfach auf die Autonomie des Sportes zu verweisenund die Sache an den Deutschen Fußball-Bund als größteSportfachorganisation der Welt zu delegieren .Die Linke plädiert dafür, dass zivilgesellschaftlichesEngagement von Fangruppen und Vereinen, die sich ge-gen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit imSport einsetzen, noch besser und gezielter als bisher ge-fördert wird . Wir unterstützen dabei durchaus die Ideeeines einheitlichen Bundesprogramms zur Unterstützungeiner friedlichen und vielfältigen Fankultur . Wir haltenes allerdings für sinnvoller, dies in das bereits bestehen-de Programm „Demokratie leben“ einzuordnen . BeimRechtsextremismus handelt es sich schließlich nicht umein sportspezifisches Problem – da hat Herr Steffel aus-nahmsweise recht –;
er ist vielmehr Teil einer echten Gefahr für unseren ge-sellschaftlichen Zusammenhalt, und das sollte uns alleangehen . Rechtes Gedankengut, rechte Parolen undrechte Schläger beim Fußball sind unser aller Problem .Deshalb müssen wir endlich entschlossen und vor allemgemeinsam dagegen vorgehen .Herzlichen Dank .
Nächste Rednerin ist die Kollegin Michaela
Engelmeier für die SPD .
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-ren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Treffen un-ter dem Motto „Hooligans gegen Salafisten“ von etwa5 000 Anhängern im Herbst 2014 in der Kölner Innen-stadt zeigte, wie Rechtsextreme versuchen, den Sport fürihre perfiden Gedanken zu nutzen und zu unterwandern.Daher ist es wichtig, in allen Teilen der Gesellschaft,auch im Sport, den Hetzern von rechts außen die RoteKarte zu zeigen .
Rechtsextremismus und die Bekämpfung von An-dersdenkenden sind kein alleiniges Phänomen im Sport,sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem . MeinePartei, die SPD, mit Martin Schulz an der Spitze
wird nicht müde, die falschen Aussagen der braunen Het-zer zu überführen .
– Ich weiß, dass Sie traurig sind, dass Sie keinen MartinSchulz haben . Aber bei uns ist das so, und wir freuen uns .
Wir wollen uns engagieren und aufstehen gegen rech-te Hetze . Wir wollen aufstehen für Engagement für De-mokratie .
Dr. André Hahn
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– Entschuldigung, Özcan, schade, dass du nicht redendarfst . Wir können uns gleich gerne weiter darüber unter-halten . Alles geschenkt .Der Schutz aller Menschen vor Rassismus und Dis-kriminierung hat für die Bundesregierung eine heraus-ragende Bedeutung . Deshalb haben wir unter anderem,lieber André, die Mittel für das Programm „Integrationdurch Sport“ im vergangenen Jahr auf 11 Millionen Euromehr als verdoppelt, und im Bundesprogramm „Demo-kratie leben!“ stehen seit diesem Jahr erstmalig mehr als100 Millionen Euro zur Verfügung .
Für mich ist ein einheitliches Bundesprogramm gegenrechts, wie es die Antragsteller von den Grünen fordern,nicht zielführend .
Das rechte Gedankengut ist viel zu vielschichtig in denKöpfen, als dass man mit nur einem Programm alle Pro-bleme lösen könnte . Es ist wichtig, dass die Bundesregie-rung weiterhin flexibel auf Bewegungen in der rechtenEcke reagieren kann . Wir wollen alle Menschen mitneh-men, sich für Demokratie zu engagieren . Dafür brauchenwir eine Vielfalt von Initiativen .Welchen Beitrag der Sport für eine gelungene Inte-gration von Menschen mit Migrationshintergrund leistet,zeigen die vergangenen Monate . In Deutschland enga-giert sich jeder dritte Sportverein für Flüchtlinge . DenBegriff „Willkommenskultur“ erfüllten die Vereine mitLeben . Viele Millionen Mitglieder engagieren sich eh-renamtlich . Dabei waren es besonders die Vereine, diemit ihren Turnhallen Notunterkünfte zur Verfügung stell-ten . Waren vor einem Jahr im gesamten Bundesgebietetwa 1 000 Turnhallen belegt, sollen bis zum Sommerfast alle Hallen wieder freigegeben werden . Für die Be-reitstellung der Hallen möchte ich mich an dieser Stellebei den Vereinen, ihren Ehrenamtlichen und den Mitglie-dern sehr, sehr herzlich bedanken .
Wie bunt und vielfältig selbst der Profifußball inDeutschland geworden ist, zeigt ein Vergleich: Bei derWM 1998 hatte kein Spieler des deutschen National-teams einen Migrationshintergrund . Bei der EM 2016waren es bereits 10 von 23 Spielern . In den Nachwuchs-zentren der Klubs haben 40 Prozent der Kicker keinedeutschen Wurzeln . Es zeigt sich also, dass der Sport anVielfalt gewinnt .Dennoch gibt es immer wieder Versuche von rechtenHetzern, den Sport als Bühne zu missbrauchen . So ver-breiteten die Mitglieder des rechten Fußballvereins FCOstelbien Dornburg aus Sachsen-Anhalt mit ihrem bra-chialen, rassistischen, antisemitischen und menschenver-achtenden Auftreten Angst und Schrecken . Daher ist derVerein bereits Ende 2015 aus dem organisierten Sport inSachsen-Anhalt ausgeschlossen worden .
Auch antisemitische Anfeindungen sind keine Aus-nahme . Das Spiel zwischen TuS Makkabi III und demBFC Meteor III im August 2015 in Berlin musste we-gen Übergriffen abgebrochen werden . Auslöser derAuseinandersetzung waren antisemitische Äußerungengegenüber einem Spieler von TuS Makkabi . Auch dasSpiel zwischen Mügeln-Ablaß 09 und Roter Stern Leip-zig – viele Grüße an Monika Lazar – ist in der Folge vonantisemitischen Gesängen aus dem Bereich der Mügel-ner Fans abgebrochen worden . Nicht genug: Es gibt inBrandenburg den Sechstligisten TuS Sachsenhausen .Dessen Fans hatten bei einem Spiel gegen den SV Ba-belsberg ein Transparent ausgerollt, auf dem stand: „Gasgeben Sachsenhausen“ . Wir alle kennen die Geschichtevon Sachsenhausen . Wir alle kennen das Konzentrations-lager . Menschenverachtender geht es nicht . Im Übrigenwurden – das ist interessant – nicht einmal die Persona-lien von den Menschen, die dieses Plakat entrollt haben,aufgenommen .
Ich finde, das ist eine Ungeheuerlichkeit. Ich formulierehier ganz ausdrücklich ein klares Nein zur aufkommen-den Feindlichkeit gegenüber Juden .
Die Übergriffe vor den Stadien, am Spielfeldrand odergar auf dem Spielfeld zeigen, wie wichtig die Präven-tion durch Aufklärung ist, unter anderem durch die Si-cherheitsbehörden . Wir halten an der Datei „GewalttäterSport“ fest, damit randalierende, gewalttätige Fans kei-nen Zutritt zu den Stadien haben . Wir fördern allerdingsVielfalt unter dem Motto „Bunt statt braun“ im Sport undwerben für ein gemeinsames Miteinander und mehr Res-pekt . Kein Schritt weit den Rassisten und Antisemiten,auch nicht im Sport!Herr Steffel, bei der Ehrenamtspauschale nehme ichSie beim Wort .In diesem Sinne ein wunderschönes Wochenende! Ichdanke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .
Vielen Dank, Frau Kollegin Engelmeier . – Nächste
Rednerin ist die Kollegin Monika Lazar für Bündnis 90/
Die Grünen .
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn es einmal wieder zu Gewalt im Fußball kommt,gibt es häufig reflexartige Reaktionen. Man zeigt sichvon dem vermeintlich neuen Ausmaß an Gewalt zu Rechtschockiert . Man fordert drakonische StrafverschärfungenMichaela Engelmeier
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oder sogar Gesetzesänderungen . Differenzierung undAugenmaß sind oft Fehlanzeige . So war es auch bei denletzten Ausschreitungen Anfang Februar dieses Jahres inDortmund gegen die Fans von RB Leipzig . Ein friedli-ches Stadionerlebnis sollte für alle Fans gewährleistetwerden . Das gilt sowohl für Fans von Traditionsklubs alsauch für Fans von sogenannten Retortenvereinen .
Man kann am Modell von RB Leipzig zu Recht einigeskritisieren . Allerdings ist das keine Rechtfertigung fürHass und Gewalt .
Gegen Gewalttäter muss konsequent vorgegangen wer-den . Da sind wir uns, glaube ich, einig – unabhängigdavon, was der Kollege Steffel vorhin alles überspitztvorgetragen hat .Allerdings: An diesem Beispiel von Anfang Februarzeigt sich mir der Sinn von Kollektivstrafen nicht . Wiesobestraft zum Beispiel der DFB fast 25 000 Fans durchdie Sperrung der gesamten Südtribüne? Davon warenauch die mehrheitlich friedlichen Fans betroffen . Kollek-tivstrafen sind nicht das richtige Mittel, weil es dadurchauch zu Solidarisierungseffekten zwischen den Problem-fans und den gewaltfreien Fans kommen kann . Auch eineinterne Auseinandersetzung wird dadurch nicht geradegefördert .Problematisch ist auch, wenn der Staat Fußballfansquasi unter Generalverdacht stellt . Genau das macht erbisweilen . In 12 von 16 Bundesländern führen szenekun-dige Beamte intransparente Datenbanken über Fußball-fans, die teilweise lange geheimgehalten wurden . Zu denlokalen Datensammlungen kommt auch noch die bundes-weite Datei „Gewalttäter Sport“ . Schon alleine der Nameist irreführend . Man kann da sehr schnell hineinkommen,zum Beispiel schon dann, wenn nur die Personalien fest-gestellt werden . Ich rate jedem, sich einmal zu Gemütezu führen, was dort gespeichert ist . Von der Schuhgrößebis zum Dialekt ist quasi alles möglich .
Die Daten von Personen, deren Ermittlungsverfahrenman eingestellt hat, werden nicht automatisch gelöscht .Wie eine Kleine Anfrage von uns zur Datei „GewalttäterSport“ ergeben hat, soll die Datei sogar noch weiter auf-gebläht werden . Wir sagen: Statt die Datei noch weiteraufzublähen, sollte man lieber die Löschfrist verkürzenund vor allem eine Benachrichtigungspflicht einführen;
denn nur wer weiß, dass er gespeichert ist, kann dagegenvorgehen, falls er unschuldig ist .
Außerdem hätte eine Benachrichtigung auch eine päda-gogische Wirkung . Wenn ich merke, dass ich gespeichertbin, dann kann ich vielleicht auch mein Verhalten ent-sprechend ändern und in Zukunft ein braver Fußballfanwerden .Wir sagen nicht, dass wir die Datei „GewalttäterSport“ komplett abschaffen wollen; denn gewalttätigeHooligans können durchaus gespeichert werden, und diePolizei muss vor Fußballspielen natürlich wissen, welcheFanklientel sich dort bewegt . Wir wollen die Datei aller-dings reformieren und auf eine rechtsstaatliche Grundla-ge stellen .
Für uns Grüne ist nämlich klar: Fußballfans geben ihreBürgerrechte nicht am Stadiontor ab .Statt auf Repression und Datensammelwut setzenwir auf Prävention . Auch deshalb wollen wir die Fuß-ball-Fanprojekte noch stärker unterstützen . Wir alle wis-sen: Schon jetzt leisten viele Sozialpädagoginnen undSozialpädagogen in allen Bundesländern wertvolle prä-ventive Arbeit, besonders mit jungen Fußballfans . Daswollen wir weiter ausbauen .Auch aus den Fußball-Fanszenen kommen viele po-sitive Initiativen gegen Rechtsextremismus, Antisemi-tismus, Sexismus und Homophobie . Viele Fangruppenmachen Angebote für Geflüchtete. Das ist von anderenRednerinnen und Rednern ja auch schon erwähnt wor-den . Deshalb sagen wir, dass es durchaus sinnvoll seinkönnte, die bisherigen verschiedenen Fördermöglichkei-ten der unterschiedlichen Ministerien zusammenzufüh-ren und ein einheitliches Förderprogramm gegen Rechts-extremismus im Sport aufzulegen .Wir haben natürlich nichts dagegen, dass das Bundes-programm „Demokratie leben!“ jetzt auf 100 MillionenEuro aufgestockt wurde . Das ist durchaus eine richtigeEntscheidung . Auch dort gibt es schon entsprechendeFördermöglichkeiten .Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zumSchluss . Ich denke, nur im Dialog mit allen Beteilig-ten – das sind Fans, Fanprojekte, Fanbeauftragte, Ver-eine, Verbände, Politik und Polizei – können wir unsergemeinsames Ziel erreichen, das lautet: ein friedlichesStadionerlebnis für alle, eingebettet in eine vielfältigeFankultur . Das sollte unser aller Anliegen sein .Vielen Dank .
Ich darf alle bisherigen Rednerinnen und Redner lo-ben, weil sie ihre Redezeit sehr diszipliniert präzise ein-gehalten haben .
Monika Lazar
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Jetzt hat der Kollege Johannes Steininger für dieCDU/CSU das Wort .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf
der Tribüne! Ich schaue auch, dass ich mich an die Re-
dezeit halte, und kann vorausschicken: Natürlich unter-
stützen auch wir das Anliegen, das in der Überschrift des
Antrags steht, nämlich eine „weltoffene und vielfältige
Sport- und Fankultur“ in Deutschland . Es sind schließ-
lich die Fans, die sozusagen das Salz in der Suppe des
Sports sind, und wir alle wollen, wenn wir ins Stadion
gehen, dass das Ganze friedlich verläuft .
Wenn man sich dann allerdings den Antragstext durch-
liest, der auf diese Überschrift folgt, dann sieht man recht
schnell, dass der Antrag erstens in vielem unzureichend
ist, zweitens ein Sammelsurium an verschiedensten For-
derungen enthält, die auch nur wenig miteinander zu tun
haben, und drittens teilweise auch noch in die falsche
Richtung geht . Deswegen werden wir diesen Antrag heu-
te auch wieder ablehnen .
Frau Lazar hat gerade die Ereignisse in Dortmund
erwähnt . Der Antrag, den wir hier vorliegen haben, gibt
aber keinerlei Antworten darauf, welche Konsequenzen
es aus den Ereignissen rund ums Spiel Dortmund gegen
Leipzig geben muss . Das, was da passiert ist, hat mit ei-
ner weltoffenen und vielfältigen Fankultur natürlich rein
gar nichts zu tun .
Ich habe mir in Vorbereitung auf meine Rede auf You-
Tube noch einmal ein paar Szenen von denjenigen an-
geschaut, die dort waren . Man kann tatsächlich sagen:
Das hat mit Fan-Sein nichts zu tun, sondern das sind
Kriminelle und Gewalttäter . Der Spießrutenlauf, den die
Dortmunder Kriminellen mit den Leipziger Fans ver-
anstaltet haben, das geht gar nicht . Aus dem Slogan der
Dortmunder, „Echte Liebe“, wurden eher „Echter Hass“
und „Echte Gewalt“ . Es gab brutale Angriffe, Menschen
wurden abgepasst, Böller und Leuchtraketen wurden ge-
worfen . Es wurden sogar Steine auf Familien, Kinder,
Frauen geworfen . Wir müssen alles erdenklich Mögliche
tun, um diesen Gewalttätern das Handwerk zu legen .
Es ist schon interessant, was in Ihrem Antrag nicht er-
wähnt wird . Sie nennen ja einige Punkte, die im Kompe-
tenzbereich der Bundesländer liegen . Ich hätte mir aber
schon gewünscht, dass Sie zum Beispiel auch etwas dazu
sagen, wie die Personalausstattung der Polizei in den
Ländern aussieht, wie es um die Ausstattung der Polizei
bestellt ist – beispielsweise mit Bodycams – und was mit
dem Thema „Videoüberwachung rund ums Stadion“ ist .
Das wollen Sie an dieser Stelle aber nicht machen, weil
das für Sie dort, wo Sie Verantwortung haben, kein Ruh-
mesblatt ist und weil Sie hier an verschiedenen Stellen
auch ideologische Scheuklappen aufstellen .
Schauen Sie sich beispielsweise die Polizeiausstattung
in Nordrhein-Westfalen und in meinem eigenen Bundes-
land, in Rheinland-Pfalz, an . Bezogen auf die Einwoh-
nerzahl sind wir bei der Polizeidichte Schlusslicht . Des-
halb sagen Sie zu diesem Thema nichts .
Herr Kollege Steininger .
Ich wollte auch eine Zwischenfrage provozieren . Das
habe ich mir schon gedacht .
Also haben Sie das Wort, Herr Kollege von Notz .
Vielen Dank, Herr Präsident . – Das mit der Zwischen-
frage war sehr geschickt gemacht .
Nennen Sie doch einmal die Zahlen! Welche Landes-
regierung in Nordrhein-Westfalen hat Polizei abgebaut,
und welche hat in den letzten Jahren Polizei aufgebaut?
Das würde mich einmal interessieren . Ich könnte Ihnen
die Antwort geben, aber zum Antwort-Geben bin ich ja
nicht hier .
– Sie haben das ja angesprochen . – Noch einmal: Wer
hat Polizei in Nordrhein-Westfalen abgebaut, und welche
rot-grüne Landesregierung hat Polizeistellen geschaffen?
Sie können sich einmal die Zahlen in Bayern und Hes-sen anschauen .
Vizepräsident Johannes Singhammer
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Diese können sie in der Dichte mit den Zahlen in Nord-rhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz vergleichen . FürRheinland-Pfalz, meine sehr geehrten Damen und Her-ren, kann ich genau sagen, wer dort leider seit 25 Jahrenin der Verantwortung ist . Das sind nun einmal Rot undGrün .
Herr Kollege von Notz, ein Zwiegespräch ist in unse-
rer Geschäftsordnung nicht vorgesehen,
sondern das Stellen einer Frage und deren Beantwortung .
Deswegen gehen Sie bitte zu den Verantwortlichen inIhren eigenen Regierungen und sagen Sie ihnen, dass siedieses Problem in Ordnung bringen sollen .
Auch fehlt ein klares Bekenntnis zur Videoüberwa-chung rund um Stadien . Das hätte diesem Antrag gutge-tan .
Wenn Sie sich die Berichte zu Dortmund anschauen,dann sehen Sie, dass durch die hochauflösenden Bilder,die die Videokameras gemacht haben, die Aufklärung er-leichtert wird .
Das hat eine viel größere Abschreckung als das, was Siein Ihrem Antrag beschreiben .
Wir als Union stehen hinter den Polizistinnen und Po-lizisten in unserem Land . Deswegen ist es gut, dass wireinen Vorschlag auf den Weg gebracht haben, um Angrif-fe auf Rettungskräfte und Polizisten härter zu bestrafen .
Auch dies müsste in einem solchen Antrag erwähnt wer-den .
Stattdessen schießen Sie sich auf die Datei „Gewalttä-ter Sport“ ein . Aber gerade diese Datei ist ein wichtigesHilfsmittel für die Polizei . Sie versetzt die Beamten indie Lage, zu einem sicheren Verlauf von Sportveranstal-tungen beizutragen, weil sie die Täter zu Beginn zielsi-cher identifizieren können,
um dann gezielte Maßnahmen gegen einzelne Personendurchzuführen .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, was würdenwir gerade nach diesen schlimmen Ereignissen im Febru-ar 2017 in Dortmund heute für ein fatales und verharm-losendes Zeichen setzen, wenn wir als Parlament einesolche Aufweichung beschließen würden? Das geht ausunserer Sicht gar nicht .
Die Datei hilft aus den genannten Gründen sowohl beider Prävention als auch bei der Aufklärung . Sie ist dabeiauch ein gutes Beispiel dafür, wie der Bund und die Län-der zusammenarbeiten . Das ist bei Sicherheitsbehördennicht immer so . Hier passt das gut .Ich komme jetzt zu den einzelnen Punkten . Lö-schungsfristen zu verkürzen, davon halte ich gar nichts .
Ich glaube, innerhalb von zwölf Monaten hat die Lö-schung überhaupt keinen Sinn . Auch die pädagogischeMaßnahme dahinter erschließt sich mir in keiner Art undWeise .Sie schreiben weiterhin, die Daten sollen nicht an dieVereine weitergegeben werden . Auch das sehen wir nichtso . Die Vereine sollen schon wissen, welche Chaotenund Kriminelle im Zweifel versuchen, in ihre Stadienzu kommen . Mit Pädagogik kann man diejenigen, die inDortmund bei dem Spiel Steine geworfen haben, nichtzur Vernunft bringen . Deswegen sind die meisten Punkte,die Sie zum Thema der Datei „Gewalttäter Sport“ schrei-ben, absoluter Quatsch .Darüber hinaus fordern Sie, ein einheitliches Bundes-programm zur Bekämpfung von Rechtsextremismus imSport aufzulegen . Hier ist zunächst festzustellen – daswurde schon von Herrn Hahn genannt –, dass dies keinsportspezifisches Problem ist, sondern ein gesamtge-sellschaftliches . Deswegen ist die Tonalität des Antragsschlecht, weil er dadurch den Sport ein Stück weit stig-matisiert . Ein Blick auf die Zahlen, die sogar in IhremAntrag stehen, zeigt: Es gibt in diesem Bereich 3,3 Pro-zent an rechtsextremen Straftaten . Das ist aus meinerSicht nicht überproportional – auch wenn natürlich klarist, dass jede einzelne Straftat verabscheuungswürdig istund auch nicht verharmlost werden soll –, dies ist alsokein Massenphänomen .Johannes Steiniger
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Wir glauben nicht, dass ein Einheitsprogramm dieProbleme, die eben sehr vielfältig sind, lösen kann . Esgibt Unterschiedlichkeiten in den Vereinen und in derSportlandschaft . Es gibt Unterschiedlichkeiten bei deneinzelnen handelnden Personen . Deswegen ist der sub-sidiäre Ansatz, den wir und auch die Bundesregierungverfolgen, gut .In diesem Zusammenhang wurden schon einige Pro-gramme genannt: „Zusammenhalt durch Teilhabe“ unddie Initiative „Verein(t) gegen Rechtsextremismus“ . Wirbezahlen die Hälfte der Kosten für die Koordinationsstel-le Fanprojekte . Natürlich möchte ich ebenso – auch FrauEngelmeier hat darauf hingewiesen – das ganz wichti-ge Programm „Integration durch Sport“ vom BMI undBAMF erwähnen, für das ein großer finanzieller Auf-wand geleistet wird .Ich möchte an dieser Stelle eine Lanze für den Fuß-ball brechen . Insbesondere der deutsche Fußball ist dochdie Institution, die Menschen massiv integriert und inden Vereinen beispielhaft vorgeht . Schauen wir uns ein-mal die Flüchtlingssituation an: 2015 sind insgesamt42 000 Spielberechtigungsanträge von Migranten ein-gegangen . 2013 lag diese Zahl noch unter 10 000 . Dasist ein massiver Aufwuchs, der zeigt, wie sehr sich dieVereine engagieren .Deswegen sage ich: Das Zusammenspielen auf demPlatz, das gemeinsame Trainieren und der Zusammen-halt in einer Mannschaft sind das beste Mittel zur Prä-vention von saudummen rechtsradikalen Gedanken undgegen Ressentiments . Deswegen danken wir heute allenehrenamtlichen Trainern und Übungsleitern, die dieseHerausforderung jeden Tag auf den Sportplätzen dieserRepublik annehmen .
Bei vielem anderen wie Ehrenamtspauschale und Büro-kratieabbau müssen wir eher ansetzen und unsere Verei-ne besser unterstützen, damit sie dieser Arbeit auch nach-kommen können .Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende .Viel Spaß auf den Sportplätzen dieser Nation und allesGute .
Die Kollegin Jeannine Pflugradt spricht jetzt für die
SPD .
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Januardes letzten Jahres haben wir hier über den Antrag von derFraktion Bündnis 90/Die Grünen schon einmal gespro-chen . Alle Fraktionen waren sich damals darin einig, dasses wichtig ist, entschieden gegen Rechtsextremismus imFußball vorzugehen . Meine persönliche Meinung ist: ge-gen jegliche Form von Extremismus . Die Entwicklungdes Extremismus an sich, ob im Bereich des Sports oderin anderen Gesellschaftsbereichen, gilt es immer zu be-obachten .Ob der Staat mehr tun kann, darüber kann man dis-kutieren, das ist legitim und wichtig . Es ist aber nichtzielführend, in der Frage um Programme gegen Rechts-extremismus immer wieder bestehende Programme fürIntegration anzuführen und gegeneinander aufzuwiegen .Die Bekämpfung von Rechtsextremismus ist die eine Sa-che, die Förderung der Integration ist eine ganz andere .Dies sage ich besonders an die rechte Seite hier im Ple-num gerichtet .
Einigen Punkten dieses Antrags stimme ich zu imSinne von mehr Transparenz und Datenschutz . Ja, Pro-blemstandorte müssen klar benannt werden, um rechteNetzwerke schwerpunktmäßig zu bekämpfen . Auch istdie Datei „Gewalttäter Sport“ hinsichtlich des Daten-schutzes kritisch zu sehen . Jeder in die Datei Aufgenom-mene muss darüber unterrichtet werden und sollte sichauch dazu äußern dürfen .
Wer keine Straftat begangen hat, darf auch nicht auf die-ser Liste stehen, das ist klar .Nun zu Ihrer Forderung, liebe Kolleginnen und Kolle-gen von den Grünen, nach einem einheitlichen Bundes-programm . Sie ist der Grund dafür, dass ich Ihrem Antragleider nicht zustimmen kann . Das sehe ich ein bisschenkritisch .
Ich bin der Ansicht, dass gerade die Vielzahl der Pro-gramme gegen Rechtsextremismus wirksamer ist als eineinzelnes Bundesprogramm . Es gibt zahlreiche Initiati-ven, die ich nicht alle aufzählen will . Wir kennen sie alle .Das Bundesministerium des Innern und das Bundesmi-nisterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend un-terstützen diese Programme .
– Und Martin Schulz, ganz genau, wunderbar .
Die nationalen Sportverbände sowie fast alle Bun-desligavereine leisten sich eigene Projekte gegen rechteFangewalt. Im Antrag selbst findet sich bei diesem Punktein Widerspruch . Einerseits wird die – ich zitiere- „zen-tralistische und medienwirksame Herangehensweise derVerbände“ kritisiert, die teilweise dazu führe, „dass dasEngagement einzelner Fans gegen Rassismus regelrechtausgebremst“ werde . Da frage ich mich, wie es dann erstmit einem zentralen Bundesprogramm aussehen würde .Das Mobilisierungspotenzial unter gewaltbereitenFußballfans ist zum Beispiel hoch . Ja, rechtsextremeGruppen rekrutieren ihre Anhänger vermehrt wieder ausder Fanszene . Dabei ist es aber nicht so, dass der Rechts-Johannes Steiniger
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extremismus zurück in die Stadien drängt . Die Gewaltfindet fast ausschließlich außerhalb der Stadien im Um-feld von Fußballspielen statt . Dagegen muss weiter ent-schieden vorgegangen werden . Die Begeisterung fürFußball und Sport generell darf nicht von menschenver-achtenden Gruppen instrumentalisiert werden .Ich bin auch persönlich der Meinung, dass Fußballver-eine für die Einsetzung von Polizei bzw . Bundespolizeifinanziell verantwortlich gemacht werden müssen, wennsie ihren Ordnungspflichten nicht nachkommen.Das ist nicht Aufgabe des Staates . Oder haben Sie solcheEinsätze schon einmal in der Leichtathletik, beim Eisho-ckey, beim Kanurennsport oder beim Motorsport gese-hen, Herr Steffel? Ich nicht .
– Da sage ich nicht Martin Schulz . Das sage ich hier . –Darüber müssen wir reden .
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und für das Zu-hören . Ein schönes Wochenende!
Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der
Kollege Matthias Schmidt für die SPD .
Vielen Dank . – Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren auf den Zuschauertribünen! LiebeKolleginnen und Kollegen! Wir reden heute über dieschönste Nebensache der Welt, den Fußball .
– Wir können auch gerne über Martin Schulz reden, aberauf der Tagesordnung steht nun einmal der Fußball . –Wenn man genauer hinschaut, wird deutlich, dass dieFankultur im Sport weit über den Fußball hinausgeht .Wir denken dabei an Eishockey, Handball, Basketballbzw . an die großen Mannschaftssportarten, die auch Pro-filigen haben. Aber auch im Wintersport beispielsweisegibt es eine aktive Fankultur: beim Skispringen, Biath-lon und bei anderen Sportarten . Über all das müssen wirheute reden .Probleme gibt es aber hauptsächlich oder eigentlichfast nur beim Fußball . Deswegen fokussiert es sich im-mer darauf . Aber auch der Fußball ist sehr vielschichtig .Das Problem betrifft nicht nur die erste und zweite Liga,vielleicht auch noch die dritte; nein, es geht durchausauch um die unteren Ligen .Die erste und zweite Liga pausieren an diesem Wo-chenende . Zurzeit ist Länderspielpause . Damit wären wirbei dem nächsten Fanprojekt, nämlich dem für die Fuß-ballnationalmannschaft . Auch das gibt es, und das zeigtuns, wie unterschiedlich und vielfältig die Fankultur inDeutschland über die Sportarten und die unterschiedli-chen Ligen hinaus ist .Ein Abgeordneter aus Treptow-Köpenick, der Heimatdes 1 . FC Union,
kommt an dieser Stelle nicht umhin, darüber zu sprechen,dass zwar die Fans aller Vereine einzigartig sind, aber dieFans des 1 . FC Union sind natürlich ganz besonders .
Der Verein schickt sich jetzt langsam an, seinen Fans hin-terherzugehen . Die Fans sind schon lange erstklassig; derVerein wird es in dieser Saison auch werden .
Die Ausgangssituation für die Eisernen ist hervorra-gend . – Wir müssen nicht über das Jammertal in Hessensprechen;
wir wollen lieber über den 1 . FC Union reden .
– Darauf bin ich gespannt . – Aber als Eiserner kann manda locker drüberstehen und sich freuen .Worum es mir heute eigentlich geht: Die Fankulturin Deutschland ist unglaublich vielfältig . Das macht denSport aus . Darin liegt auch die Schwäche des Antragsder Grünen, nämlich indem Sie schreiben: Wir müsseneine einheitliche Grundlage schaffen . Wir brauchen eineinheitliches Programm . Wir brauchen sogar eine Stabs-stelle, die entsprechende Informationen noch einmal ge-sondert ausweist . – Das alles ist kontraproduktiv .Wir brauchen die vielen unterschiedlichen Program-me zur Unterstützung unseres schönen Sports, nicht nuram Wochenende, sondern auch sonst . Wir wollen schö-nen Sport sehen, und dazu gehören Fans . Dazu gehörtLeidenschaft, und dazu gehört auch Gewinnen und Ver-lieren .Ich freue mich, dass ich als letzter Redner Sie nun mitdem Gruß des 1 . FC Union ins Wochenende schickendarf: Eisern!
Jeannine Pflugradt
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Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 226 . Sitzung . Berlin, Freitag, den 24 . März 2017 22773
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Damit schließe ich die Aussprache . Weitere Bekennt-
nisse zu Lieblingsvereinen können deshalb nicht mehr
zugelassen werden .
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Sportausschusses zu dem An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem
Titel „Für eine weltoffene und vielfältige Sport- und
Fankultur – Bürgerrechte schützen, Gruppenbezoge-
ne Menschenfeindlichkeit effektiv bekämpfen, rech-
te Netzwerke aufdecken“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11511,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
der Drucksache 18/6232 abzulehnen . Wer für diese Be-
schlussempfehlung des Ausschusses stimmt, den bitte
ich um ein Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen sehe ich keine . Die Beschlussempfehlung ist
damit angenommen mit den Stimmen von CDU/CSU
und SPD gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grü-
nen und der Fraktion Die Linke .
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung angekommen .
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tags auf Mittwoch, den 29 . März 2017, 13 Uhr, ein .
Kommen Sie alle gesund wieder! Die Sitzung ist ge-
schlossen .