Protokoll:
18225

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 225

  • date_rangeDatum: 23. März 2017

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:23 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/225 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 225. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 23. März 2017 Inhalt: Gedenken an die Opfer des Anschlags in Lon- don am britischen Parlament . . . . . . . . . . . . . . 22485 A Benennung von Gebäuden des Deutschen Bundestages in Otto-Wels-Haus und Matthias-Erzberger-Haus . . . . . . . . . . . . . . 22485 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22486 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 6, 15 a und 15 b . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22487 C Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 22487 D Tagesordnungspunkt 3: a) Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortent- wicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endla- ger für Wärme entwickelnde radioakti- ve Abfälle und anderer Gesetze Drucksachen 18/11398, 18/11647 . . . . . . . 22488 C b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Exportver- bot für hochradioaktive Abfälle – zu dem Abschlussbericht der Kom- mission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe: Verantwortung für die Zukunft: Ein faires und transparen- tes Verfahren für die Auswahl eines nationalen Endlagerstandortes Drucksachen 18/9791, 18/9100, 18/11647 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22488 D c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Umgang mit Atommüll – Defizite des Entwurfs des Nationalen Entsorgungs- programms beheben und Konsequenzen aus dem Atommülldesaster ziehen Drucksachen 18/5228, 18/7275 . . . . . . . . . 22488 D Dr . Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22489 A Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 22490 D Steffen Kanitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22491 D Winfried Kretschmann, Ministerpräsident (Baden-Württemberg) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22494 C Dr . Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 22496 A Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22497 B Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 22497 C Dr . Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 22498 C Hiltrud Lotze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22501 A Dr . Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22502 B Eckhard Pols (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22503 A Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr . Konstantin von Notz, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017II BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Arbeit 4.0 – Arbeitswelt von morgen gestalten Drucksache 18/10254 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22504 D Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22505 A Uwe Lagosky (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22506 B Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 22508 A Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22509 C Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22510 C Ralf Kapschack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 22511 B Kai Whittaker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22512 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 22514 A Kai Whittaker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22514 C Dr . Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22515 B Michael Gerdes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22516 A Antje Lezius (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 22517 B René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22518 C Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 22519 D Dr . Hans-Joachim Schabedoth (SPD) . . . . . . . 22521 A Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . . 22521 D Tagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht Drucksache 18/11546 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22523 B Dr . Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22523 B Petra Pau (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22525 A Dr . Lars Castellucci (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22526 A Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22528 A Dr . Stephan Harbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22529 A Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22530 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22532 A Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 22533 A Nina Warken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22534 C Tagesordnungspunkt 34: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Modernisierung des Rechts der Umweltverträglichkeitsprüfung Drucksache 18/11499 . . . . . . . . . . . . . . . . 22535 C b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 11. Juli 2016 zwischen der Regierung der Bundesre- publik Deutschland und der Regierung der Arabischen Republik Ägypten über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbe- reich Drucksache 18/11508 . . . . . . . . . . . . . . . . 22535 D c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 26. Septem- ber 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Tunesischen Republik über die Zusammenarbeit im Sicher- heitsbereich Drucksache 18/11509 . . . . . . . . . . . . . . . . 22535 D d) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Strafge- setzbuches – Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungs- kräften Drucksache 18/11547 . . . . . . . . . . . . . . . . 22536 A e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zu dem Abkommen vom 29. Au- gust 2016 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Turkmenistan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkom- men und vom Vermögen Drucksache 18/11557 . . . . . . . . . . . . . . . . 22536 A f) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 8. Dezem- ber 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Agentur für Flugsicher- heit über den Sitz der Europäischen Agentur für Flugsicherheit Drucksache 18/11558 . . . . . . . . . . . . . . . . 22536 A g) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der personellen Struktur beim Bundeseisenbahnvermögen und in den Postnachfolgeunternehmen sowie zur Änderung weiterer Vorschriften des Postdienstrechts Drucksache 18/11559 . . . . . . . . . . . . . . . . 22536 B h) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines … Ge- setzes zur Änderung des Strafgesetzbu- ches – Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern Drucksache 18/11584 . . . . . . . . . . . . . . . . 22536 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 III i) Antrag der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Atomwaffen aus Deutschland abziehen und Neustationierung stoppen Drucksache 18/6808 . . . . . . . . . . . . . . . . . 22536 C j) Antrag der Abgeordneten Ralph Lenkert, Caren Lay, Herbert Behrens, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Abschaffung der Zeitumstellung Drucksache 18/10697 . . . . . . . . . . . . . . . . 22536 C k) Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Einen armuts- festen gesetzlichen Mindestlohn sicher- stellen Drucksache 18/11599 . . . . . . . . . . . . . . . . 22536 C Zusatztagesordnungspunkt 1: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Ausführung der Anlage VI des Umweltschutzprotokolls zum Ant- arktis-Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haftung bei umweltgefährdenden Notfällen (Antarktis-Haftungsgesetz – AntHaftG) Drucksache 18/11529 . . . . . . . . . . . . . . . . 22536 D b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Anlage VI des Umweltschutz- protokolls zum Antarktis-Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haftung bei um- weltgefährdenden Notfällen (Antark- tis-Haftungsannex) Drucksache 18/11530 . . . . . . . . . . . . . . . . 22536 D c) Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Einrich- tung eines Bundesprogramms „Zugang zu Land – Chancen für neue Betriebe ermöglichen“ Drucksache 18/11601 . . . . . . . . . . . . . . . . 22537 A d) Antrag der Abgeordneten Kordula Schulz- Asche, Maria Klein-Schmeink, Dr . Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Arzneimittelversorgung an Bedürfnis- sen der Patientinnen und Patienten ori- entieren – Heute und in Zukunft Drucksache 18/11607 . . . . . . . . . . . . . . . . 22537 A Tagesordnungspunkt 35: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Auf- bewahrung von Notariatsunterlagen und zur Einrichtung des Elektronischen Urkundenarchivs bei der Bundesnotar- kammer Drucksachen 18/10607, 18/11636 . . . . . . . 22537 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu der Verordnung der Bundesregierung: Siebte Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung Drucksachen 18/10829, 18/10924 Nr . 2 .2, 18/11214 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22537 C c)–h) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 416, 417, 418, 419, 420 und 421 zu Petitionen Drucksachen 18/11422, 18/11423, 18/11424, 18/11425, 18/11426, 18/11427 . 22537 D Zusatztagesordnungspunkt 2: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Straf- sachen Drucksachen 18/11140, 18/11638 . . . . . . . . . . 22538 B Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: 60 Jahre Rö- mische Verträge Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22538 D Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22539 D Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 22540 D Michael Roth, Staatsminister AA . . . . . . . . . . 22542 A Ursula Groden-Kranich (CDU/CSU) . . . . . . . 22543 D Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22544 D Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22546 A Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22547 A Matern von Marschall (CDU/CSU) . . . . . . . . 22548 B Dr . Dorothee Schlegel (SPD) . . . . . . . . . . . . . 22549 A Iris Eberl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22550 A Norbert Spinrath (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22551 B Dr . Christoph Bergner (CDU/CSU) . . . . . . . . 22552 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017IV Tagesordnungspunkt 32: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung unternehmerischer Initiati- ven aus bürgerschaftlichem Engagement und zum Bürokratieabbau bei Genossen- schaften Drucksache 18/11506 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22553 D Christian Lange, Parl . Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22553 D Dr . Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22554 D Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 22555 D Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22557 B Dr . Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 22558 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22559 B Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Sabine Zimmermann (Zwickau), Matthias W . Birkwald, Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Kreis der Anspruchsberechtig- ten und die Bezugsdauer in der Arbeitslo- senversicherung erweitern Drucksache 18/11419 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22560 B Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 22560 C Dr . h . c . Albert Weiler (CDU/CSU) . . . . . . . . 22562 A Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22563 C Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22564 D Dr . Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . 22565 B Tobias Zech (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 22566 C Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22567 A Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . . . . 22568 C Tagesordnungspunkt 8: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Umsetzung der Vierten EU-Geld- wäscherichtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen Drucksache 18/11555 . . . . . . . . . . . . . . . . 22569 C b) Antrag der Abgeordneten Dr . Sahra Wagenknecht, Dr . Dietmar Bartsch, Dr . Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE: Anonyme Briefkastenfirmen verbieten – Transparenzregister einrich- ten Drucksache 18/8133 . . . . . . . . . . . . . . . . . 22569 D Dr . Michael Meister, Parl . Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22569 D Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22571 A Dr . Jens Zimmermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . 22571 D Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22573 A Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 22574 A Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 22575 B Dr . h . c . Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . 22576 C Tagesordnungspunkt 9: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Kai Gehring, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Europaweiten Atomausstieg voranbrin- gen – Euratom-Vertrag reformieren oder aussteigen Drucksachen 18/8242, 18/8439 . . . . . . . . . 22577 C b) Antrag der Abgeordneten Alexander Ulrich, Hubertus Zdebel, Wolfgang Gehrcke, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: EU-Förderung von Atomener- gie stoppen – EURATOM-Vertrag been- den Drucksache 18/11595 . . . . . . . . . . . . . . . . 22577 C c) Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ausfuhr von Uran-Brennstof- fen für den Betrieb störanfälliger Atom- kraftwerke im Ausland stoppen Drucksache 18/11596 . . . . . . . . . . . . . . . . 22577 D in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem Antrag der Abgeord- neten Sylvia Kotting-Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Brennstofflieferungen für belgische Atom- kraftwerke stoppen Drucksachen 18/9676, 18/10934 . . . . . . . . . . 22577 D Dr . Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22577 D Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 22579 D Barbara Lanzinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 22581 A Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22582 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 V Steffen Kanitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22583 D Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22584 C Tagesordnungspunkt 10: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum weiteren quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung Drucksache 18/11408 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22586 A Manuela Schwesig, Bundesministerin BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22586 B Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . 22587 C Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . . 22588 C Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22590 C Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22591 C Ingrid Pahlmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 22592 C Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Sigrid Hupach, Klaus Ernst, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE: Prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft wirksam bekämpfen Drucksache 18/11597 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22594 B Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22594 B Alexandra Dinges-Dierig (CDU/CSU) . . . . . . 22595 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22596 D Dr . Simone Raatz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22598 A Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU) . . . . . . . 22600 A Tagesordnungspunkt 12: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Zweiten Zahlungsdienste- richtlinie Drucksache 18/11495 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22601 B Dr . Michael Meister, Parl . Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22601 B Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . . 22602 B Christian Lange, Parl . Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22603 A Dr . Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22603 D Matthias Hauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22604 C Dr . Jens Zimmermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . 22605 B Tagesordnungspunkt 13: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Claudia Roth (Augsburg), Uwe Kekeritz, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rechte in- digener Völker stärken durch Ratifikation der ILO-Konvention 169 Drucksachen 18/4688, 18/11569 . . . . . . . . . . . 22606 A Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22606 B Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22607 A Sylvia Pantel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22608 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22608 C Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22610 A Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verarbeitung von Fluggastdaten zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/681 (Fluggastdatengesetz – FlugDaG) Drucksache 18/11501 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22611 A Dr . Günter Krings, Parl . Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22611 B Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22612 B Wolfgang Gunkel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22613 A Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22614 B Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 22615 B Zusatztagesordnungspunkt 5: Antrag der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE sowie der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Jürgen Trittin, Katja Keul, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Verhandlungen über einen Atomwaffenverbotsvertrag aktiv unterstüt- zen Drucksache 18/11609 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22616 D Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 22617 A Dr . Katja Leikert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22618 A Dr . Alexander S . Neu (DIE LINKE) . . . . . . 22618 D Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22619 D Dr . Ute Finckh-Krämer (SPD) . . . . . . . . . . . . 22620 D Dr . Alexander S . Neu (DIE LINKE) . . . . . . 22621 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017VI Tagesordnungspunkt 16: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- zes zur Änderung des Europol-Gesetzes Drucksache 18/11502 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22622 B Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes Drucksache 18/11493 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22622 C Tagesordnungspunkt 18: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung Drucksachen 18/9525, 18/10146, 18/10307 Nr . 7, 18/11640 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22622 D Tagesordnungspunkt 19: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Berufsaner- kennungsrichtlinie und zur Änderung wei- terer Vorschriften im Bereich der rechtsbe- ratenden Berufe Drucksachen 18/9521, 18/9948, 18/10102 Nr . 13, 18/11468 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22623 A Christian Flisek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22623 A Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22625 A Detlef Seif (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22626 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22627 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22628 C Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften im Bereich des Internationalen Privat- und Zi- vilverfahrensrechts Drucksachen 18/10714, 18/11637 . . . . . . . . . . 22629 D Tagesordnungspunkt 21: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Wein- gesetzes Drucksachen 18/10944, 18/11284, 18/11472 Nr . 1 .2, 18/11635 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22630 A Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Innovationskraft von kleinen und mittleren Unternehmen stärken – Anreize für mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung schaffen Drucksache 18/11594 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22630 B Andreas G . Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 22630 C Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22631 B Sabine Poschmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 22632 A Dr . Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22633 A Dr . Stefan Kaufmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22634 A Tagesordnungspunkt 23: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der Netzentgeltstruktur (Netzentgeltmodernisierungsgesetz) Drucksache 18/11528 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22635 B Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Geset- zes zur Änderung des Gesetzes über den Deutschen Wetterdienst Drucksache 18/11533 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22635 B Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortschreibung der Vorschriften für Blut- und Gewebezubereitungen und zur Ände- rung anderer Vorschriften Drucksache 18/11488 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22635 C Tagesordnungspunkt 26: Bericht des Ausschusses für Bildung, For- schung und Technikfolgenabschätzung gemäß § 56a der Geschäftsordnung: Technikfolgen- abschätzung (TA) – Synthetische Biologie – Die nächste Stufe der Bio- und Gentechno- logie Drucksache 18/7216 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22635 D Stephan Albani (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22636 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22637 A Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22637 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 VII Tagesordnungspunkt 27: Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- ausschusses – zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD: Innovativer Staat – Po- tenziale einer digitalen Verwaltung nutzen und elektronische Verwaltungs- dienstleistungen ausbauen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dieter Janecek, Dr . Konstantin von Notz, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stillstand beim E-Government behe- ben – Für einen innovativen Staat und eine moderne Verwaltung Drucksachen 18/9788, 18/9056, 18/10865 . . . 22639 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22639 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 22641 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- ten Dr . Thomas Feist, Michael Kretschmer, Yvonne Magwas, Maria Michalk und Marco Wanderwitz (alle CDU/CSU) zu der Abstim- mung über den von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurf eines Gesetzes zur Fortent- wicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze (Tagesordnungspunkt 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22641 D Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstim- mung über den von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurf eines Gesetzes zur Fortent- wicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze (Tagesordnungspunkt 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . 22642 A Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22642 B Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 22643 C Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Europol-Gesetzes (Tagesordnungspunkt 16) . . . . . . . . . . . . . . . . 22644 B Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . . 22644 B Susanne Mittag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22645 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 22646 A Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22646 D Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22647 C Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Ände- rung des Energiesteuer- und des Stromsteuer- gesetzes (Tagesordnungspunkt 17) . . . . . . . . . . . . . . . . 22648 B Norbert Schindler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22648 B Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22649 C Andreas Rimkus (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22650 B Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22650 D Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22651 C Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22652 C Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der straf- rechtlichen Vermögensabschöpfung (Tagesordnungspunkt 18) . . . . . . . . . . . . . . . . 22653 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22653 C Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . . 22653 D Dr. Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . 22655 B Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 22656 A Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22656 D Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften im Bereich des Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts (Tagesordnungspunkt 20) . . . . . . . . . . . . . . . . 22658 A Dr. Silke Launert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 22658 B Sebastian Steineke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 22659 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017VIII Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22660 A Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 22661 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 22662 A Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Ände- rung des Weingesetzes (Tagesordnungspunkt 21) . . . . . . . . . . . . . . . . 22662 D Kordula Kovac (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22662 D Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 22663 D Gustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22664 D Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22665 C Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22666 A Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisierung der Netzentgeltstruktur (Netzentgeltmoderni- sierungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 23) . . . . . . . . . . . . . . . . 22667 B Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22667 B Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22668 A Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22669 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22670 B Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22671 B Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Deutschen Wetterdienst (Tagesordnungspunkt 24) . . . . . . . . . . . . . . . . 22672 A Günter Lach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 22672 A Arno Klare (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22673 B Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22673 C Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22674 B Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22675 A Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortschreibung der Vorschriften für Blut- und Gewebezuberei- tungen und zur Änderung anderer Vorschriften (Tagesordnungspunkt 25) . . . . . . . . . . . . . . . . 22676 A Dr. Roy Kühne (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 22676 A Emmi Zeulner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 22677 B Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22678 A Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 22679 D Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22680 B Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung ge- mäß § 56a der Geschäftsordnung: Technikfolgenabschätzung (TA) – Syntheti- sche Biologie – Die nächste Stufe der Bio- und Gentechnologie (Tagesordnungspunkt 26) . . . . . . . . . . . . . . . . 22681 A Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) . . . . . . . . . 22681 B René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22681 D Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Inno- vativer Staat – Potenziale einer digitalen Verwaltung nutzen und elektronische Ver- waltungsdienstleistungen ausbauen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dieter Janecek, Dr . Konstantin von Notz, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stillstand beim E-Government beheben – Für einen innovativen Staat und eine mo- derne Verwaltung (Tagesordnungspunkt 27) . . . . . . . . . . . . . . . . 22682 D Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 22683 A Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 22683 C Saskia Esken (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22684 A Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD) . . . . . . . . 22684 D Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 22685 D Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22686 C (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22485 225. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 23. März 2017 Beginn: 9 .01 Uhr
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    Vizepräsidentin Ulla Schmidt (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22641 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Albsteiger, Katrin CDU/CSU 23 .03 .2017 Barthle, Norbert CDU/CSU 23 .03 .2017 Binder, Karin DIE LINKE 23 .03 .2017 Bülow, Marco SPD 23 .03 .2017 Dröge, Katharina * BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23 .03 .2017 Funk, Alexander CDU/CSU 23 .03 .2017 Gabriel, Sigmar SPD 23 .03 .2017 Groneberg, Gabriele SPD 23 .03 .2017 Gysi, Dr . Gregor DIE LINKE 23 .03 .2017 Hajek, Rainer CDU/CSU 23 .03 .2017 Heller, Uda CDU/CSU 23 .03 .2017 Jelpke, Ulla DIE LINKE 23 .03 .2017 Klein, Volkmar CDU/CSU 23 .03 .2017 Kudla, Bettina CDU/CSU 23 .03 .2017 Lerchenfeld, Philipp Graf CDU/CSU 23 .03 .2017 Möhring, Cornelia DIE LINKE 23 .03 .2017 Mosblech, Volker CDU/CSU 23 .03 .2017 Müntefering, Michelle SPD 23 .03 .2017 Pfeiffer, Dr. Joachim CDU/CSU 23 .03 .2017 Post, Florian SPD 23 .03 .2017 Pronold, Florian SPD 23 .03 .2017 Rüthrich, Susann * SPD 23 .03 .2017 Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23 .03 .2017 Schlecht, Michael DIE LINKE 23 .03 .2017 Schmidt (Ühlingen), Gabriele CDU/CSU 23 .03 .2017 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Schmidt, Dr . Frithjof BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23 .03 .2017 Schwarzelühr-Sutter, Rita SPD 23 .03 .2017 Stauche, Carola CDU/CSU 23 .03 .2017 Strebl, Matthäus CDU/CSU 23 .03 .2017 Tank, Azize DIE LINKE 23 .03 .2017 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 23 .03 .2017 Wagenknecht, Dr . Sahra DIE LINKE 23 .03 .2017 Wöllert, Birgit DIE LINKE 23 .03 .2017 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Thomas Feist, Michael Kretschmer, Yvonne Magwas, Maria Michalk und Marco Wanderwitz (alle CDU/CSU) zu der Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/ CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein- gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Fortent- wicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme ent- wickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze (Tagesordnungspunkt 3) Wir können dem Gesetz zur Fortentwicklung des Ge- setzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle (StandAG) nicht zustimmen . Obwohl in der Schlussberatung des federführenden Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak- torsicherheit Zugeständnisse seitens des Bundesumwelt- ministeriums hinsichtlich der Forschungsreaktoren des Forschungszentrums Rossendorf gemacht wurden, bleibt ein endgültiges Exportverbot Teil des Standortauswahl- gesetzes . Der Freistaat Sachsen trägt vorerst als einziges Bundesland weiter die Lasten für die Zwischenlagerung der Kernbrennstoffe aus dem DDR-Reaktor. Die im Protokoll des Umweltausschusses vom 22. März 2017 getroffene Verabredung, Gespräche sei- tens des Bundes mit dem Freistaat Sachsen über mögli- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722642 (A) (C) (B) (D) che Kompensationsleistungen zu führen, sind unverzüg- lich einzuleiten . Weitaus schwerer wiegt jedoch die unzureichende Formulierung hinsichtlich der Sicherungsvorschriften in § 21 . Die vorgesehene Regelung hindert die Weiterent- wicklung des Bergbaus im Freistaat Sachsen . In einigen Gebieten mit zu betrachtendem Wirtsgestein wurden in den vergangenen Jahren bergbauliche Erkundungen durchgeführt, die zur Genehmigung anstünden . Diese werden nun erheblich beeinträchtigt . Für den Fall, dass einzelne Gebiete oberirdisch erkundet werden, ist dort von einer langjährigen Veränderungssperre auszugehen. Leider konnte sich nicht auf eine klarstellende Formu- lierung geeinigt werden, die bestehende oder beantragte Bergbauvorhaben von einer Veränderungssperre aus- nimmt . Dies betrifft in erster Linie ländlich geprägte Regio- nen im Freistaat Sachsen . Deren Zukunftsfähigkeit hängt besonders von Arbeitsplätzen ab . Eine mittelfristige Un- terbrechung der laufenden Projekte würde einem Ab- bruch des jeweiligen Vorhabens gleichkommen. Das ist nicht akzeptabel . Anlage 3 Erklärungen nach § 31 GO zu der Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Fort- entwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme ent- wickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze (Tagesordnungspunkt 3) Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit der heutigen Abstimmung wird das Standortauswahl- gesetz (StandAG) von 2013 novelliert – dabei liegen Er- gebnisse der mehrjährigen Arbeit der „Atommüll-Kom- mission“ – Kommission zur Lagerung hoch radioaktiver Abfälle/Endlagerkommission – zugrunde . Mir ist ein echter Neubeginn bei der Suche nach ei- nem bestmöglichen Aufbewahrungsort in Deutschland für den hochradioaktiven Atommüll wichtig . Und unter Umständen wird es am Ende nur der „am wenigsten un- geeignete“ Standort . Als Bundestagsabgeordnete für Bündnis 90/Die Grü- nen aus dem Wahlkreis Lüneburg-Lüchow-Dannenberg kenne ich die über 40-jährige Geschichte der bisherigen verfehlten Atommüllpolitik in Deutschland nur zu gut . Gerade der Missstand, dass Gorleben 1977 nicht durch ein wissenschaftsbasiertes vergleichendes Verfahren für die Erkundung als Atommüll-Endlager ausgewählt wur- de, ist der Hauptgrund für den heutigen neuen Anlauf . Auch mir ist es ein besonders dringliches Anliegen, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen, sondern aus ihnen zu lernen . Deswegen erwarte ich eine transparente, und an wis- senschaftlichen Kriterien orientierte Suche als „selbst- hinterfragendes und lernendes Verfahren“ und mit größt- möglicher Bürgerbeteiligung von Anfang an . Zur heutigen Abstimmung im Bundestag: Im Vergleich zum Kabinettsbeschluss der Bundes- regierung – Dezember 2016 – wurden bereits bis zur parlamentarischen Einbringung des Gesetzentwurfs der Bundestagsfraktionen zur ersten Lesung – Febru- ar 2017 – mehrere Verbesserungen und Klarstellungen am Text erreicht . Das geschah insbesondere auf Drängen der grünen Bundestagsfraktion . So wurden zum Beispiel die Stellung des Partizipa- tionsbeauftragten sowie die Aufgabenbeschreibung des Nationalen Begleitgremiums (NBG) erweitert und kon- kretisiert . Und es wurde korrigiert, dass die Aufgabe des Bundesamtes für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE), zu Ausnahmen nach § 21 Stellung zu nehmen, nicht erst Monate später in Kraft tritt als der Rest des Gesetzes . Auch enthält das Gesetz durch den von Bündnis 90/ Die Grünen, SPD und CDU/CSU eingebrachten Ände- rungsantrag jetzt erneut mehrere deutliche Verbesserun- gen im Vergleich zum Stand des Gesetzestextes von der ersten Lesung im Februar. Diese Verbesserungen wurden vor allem von Bündnis 90/Die Grünen in die Verhand- lungen zwischen den Bundestagsfraktionen erfolgreich eingebracht und wurden von Sachverständigen in der Expertenanhörung im Umweltausschuss des Bundestags bestätigt . Beispielsweise hat die Inanspruchnahme des Rechts- schutzes nach § 17 und § 19 nun aufschiebende Wirkung im Verfahren. Besonders wichtig ist mir das zügige Inkrafttreten der Sicherung potenzieller Atommüll-Endlager-Standorte in ganz Deutschland – Stichwort „bundesweite Verände- rungssperre“. Damit sollen Anträge auf Rohstoffabbau oder andere Bohrungen nicht genehmigt werden, solan- ge sich ein Gebiet noch im Suchverfahren befindet. Mit den in § 21 aufgenommenen Schutzvorkehrungen wird nun erstmals ein Großteil der bundesweit vorhandenen Wirtsgesteine vor schädigendem Zugriff geschützt. Eine deutliche Verbesserung gegenüber dem Status quo, denn bisher galt die Veränderungssperre ausschließlich für Gorleben . Die Sicherung potenzieller Standorte ist für mich eine ganz zentrale Grundvoraussetzung für ein faires Verfah- ren, damit es im letzten Schritt der Endlagersuche über- haupt mehrere unbeschädigte Standorte in den verschie- denen Wirtsgesteinen gibt, die untertägig erkundet und miteinander verglichen werden können . Dafür habe ich mich seit Jahren eingesetzt . Ein Gesetz oder ein Verfahren kann geändert werden. Rücksprünge sind hier möglich . Doch wenn die Geologie einmal irreversibel geschädigt wurde, dann steht der ent- sprechende Standort für die sichere Lagerung des Atom- mülls über 1 Million Jahre nicht mehr zu Verfügung. Deswegen ist es so wichtig, dass potenzielle Standorte nicht für andere kurzfristige Interessen genutzt werden, sondern die Option erhalten bleibt, tatsächlich einen ge- eigneten Ort für den Atommüll zu finden. Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22643 (A) (C) (B) (D) Zwar wurden von den Bundestagsfraktionen die möglichen Ausnahmen in § 21 Absatz 2 für untertägige Nutzung – im Vergleich zum Gesetzentwurf der Bundes- regierung – weiter eingeschränkt, aber aus meiner Sicht gehen die Ausnahmen noch zu weit . Eine ganz entscheidende Verbesserung ist, dass nun das BfE laut § 21 nicht nur eine Stellungnahme zu mög- lichen Ausnahmen bei Anträgen auf untertägige Nut- zung abgeben wird, sondern in vielen Fällen sogar ein Vetorecht hat. Diesen Punkt hatte ich während der Ex- pertenanhörung im Umweltausschuss angesprochen . Ich erwarte hierdurch einen recht weitgehenden Schutz für potenzielle Endlagerstandorte . Insgesamt gibt es somit im Vergleich zur bisherigen Gesetzeslage im StandAG einige Verbesserungen. Durch die Umsetzung der Ergebnisse der Atommüll-Kommis- sion wird die neue Rechtslage insgesamt besser sein, als wenn das StandAG von 2013 weiterhin unverändert in Kraft wäre. Zu diesen Verbesserungen gehört zum Bei- spiel auch der Rechtsschutz für Bürgerinnen und Bürger und Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer . Hier- für hatten sich in der Atommüll-Kommission sowohl die Vertreter und Vertreterinnen von Bündnis 90/Die Grünen als auch der Vertreter des Bundes für Umwelt und Natur- schutz Deutschland (BUND) eingesetzt . Meine Kritik am heute abzustimmenden Gesetz, unter anderem: Für ein vergleichendes wissenschaftliches Verfahren sollten immer mindestens zwei Standorte pro Wirtsge- stein – Ton, Salz, Kristallin – mit der gleichen Erkennt- nistiefe erkundet werden . Dieses aus meiner Sicht ganz zentrale Prinzip wurde bedauerlicherweise nicht im Ge- setz festgeschrieben . Hierzu gab es schon in der Atom- müll-Kommission leider keine Einigung . Laut § 8 sei die Rolle des Nationalen Begleitgremiums (NBG) die „vermittelnde und unabhängige Begleitung“, Zweck ist, „Vertrauen in die Verfahrensdurchführung zu ermöglichen“ . Relevant dafür, dass das NBG diese Aufgabe auch erfüllen kann, sind ausreichende finanzi- elle Mittel, breite Befugnisse und echte Unabhängigkeit . Diese Rahmenbedingungen und Rechte des NBG können nur in eingeschränktem Maße gesetzlich verankert wer- den . Jedoch erwarte ich von allen Bundestagsfraktionen ein klares Bekenntnis hierzu – auch hinsichtlich der zu- künftigen Haushaltsberatungen . § 22 wurde nach der Anhörung konkretisiert und hier deutlich gemacht, dass Erkundungsmaßnahmen so geplant und durchgeführt werden müssen, „dass der einschlusswirksame Gebirgsbereich nur in dem für den erforderlichen Informationsgewinn unvermeidlichen Ausmaß verritzt und seine Integrität nicht gefährdet wird“ . Doch auch in der neuen Fassung des Gesetzes soll eine Schädigung eines Standortes, die möglicherweise durch die Erkundung entstanden ist, nicht sofort zum Ausschluss dieses Standortes führen, selbst wenn da- durch negative Einflüsse auf den Spannungszustand oder die Permeabilität des Gebirges entstanden sind . Stattdes- sen soll erst bei der vorläufigen Sicherheitsuntersuchung geprüft werden, ob ein sicherer Einschluss trotz dieser Folgen sichergestellt werden kann . Das führt dazu, dass unter Umständen ein nicht geeigneter Standort länger im Verfahren bleibt als nötig. Und dies ist aus meiner Sicht nicht zielführend . Nach sorgfältiger Abwägung all dieser Punkte werde ich mich bei der Abstimmung zum Gesetz enthalten . Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Mit der Verab- schiedung des Standortauswahlgesetzes (StandAG) im Sommer 2013 haben Bund und Länder gemeinsam die Voraussetzungen dafür geschaffen, die Suche nach einem Endlager für Wärme entwickelnde hochradioaktive Ab- fälle auf eine neue Grundlage zu stellen . Auch die auf Basis dieses Gesetzes einberufene Kommission „Lage- rung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ und ihr am 28. Juni 2016 beschlossener Abschlussbericht mit den Empfeh- lungen für ein neues Endlagersuchverfahren waren zen- trale Meilensteine für einen zukunftsweisenden Konsens, den ich grundsätzlich mittrage . Dieser Konsens kann in meinen Augen zu einer möglichen Befriedung eines jahr- zehntelangen und die gesamte Gesellschaft beschäftigen- den Konflikts beitragen. Als Abgeordnete des Wahlkrei- ses mit dem stillgelegten Kernkraftwerk Grafenrheinfeld sehe ich es auch als wichtig an, der Region mit dem Ge- setz hinsichtlich der Endlagerung der hochradioaktiven Abfälle eine Perspektive zu geben . Nicht zuletzt war für mich ausschlaggebend, dass durch die Festlegung, das Endlager in allen drei Wirtsgesteinen zu suchen, der Standort Gorleben weiterhin Teil der Endlagersuche sein wird . Dies sind die Hauptgründe meiner Zustimmung zum StandAG-Fortentwicklungsgesetz . Kritisch sehe ich die im Gesetz vorgesehene Gleichran- gigkeit verschiedener Endlagerkonzepte in den Wirtsge- steinen Steinsalz, Ton- und Kristallingestein . Dies habe ich auch während der parlamentarischen Beratungen zum Ausdruck gebracht . Nach dem internationalen Stand von Wissenschaft und Technik kann in Steinsalz, Ton- und wohl auch in Kristallingestein ein sicheres Endlager für hochradio- aktive Abfälle für eine Million Jahre realisiert werden . Kristallingestein ist jedoch im Gegensatz zu Steinsalz und Tongestein meist geklüftet . Deshalb müssen dann geotechnische und technische Barrieren – Streckenver- füllung aus Bentonit (Ton) plus Endlagerbehälter – die Isolation der Abfälle für den langen Betrachtungszeit- raum gewährleisten . Das Konzept des einschlusswirksa- men Gebirgsbereichs (ewG), bei welchem die Geologie die Hauptlasst der Isolation der Abfälle von der Biosphä- re trägt, ist dann nicht zu realisieren . Der vorliegende Gesetzentwurf legt für die künftige Endlagersuche den hohen Anspruch der „bestmöglichen Sicherheit“ mit einem Vergleich von Standorten fest. Vor diesem Hintergrund gibt es einen maßgeblichen Unter- schied zwischen dem ewG- und dem Kristallinkonzept: Im ewG-Konzept beruhen die Aussagen der Langzeit- sicherheit maßgeblich auf der Geologie, welche viel ro- buster für 1 Million Jahre zu prognostizieren ist als für Konzepte mit geotechnischen und technischen Barrieren . Ich bin mir sicher, dass vor dem Hintergrund der „bestmöglichen Sicherheit“ nur ein Endlagerstandort Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722644 (A) (C) (B) (D) mit dem Konzept des einschlusswirksamen Gebirgsbe- reiches (ewG) sich am Ende des Endlagersuchverfahrens durchsetzen wird bzw . kein Endlagerkonzept mit maß- geblichen technischen oder geotechnischen Barrieren in Deutschland zum Einsatz kommen wird . Letztendlich wird dies dann aber nur die Durchführung des Verfahrens erbringen . Aufgrund der Klarstellung im Gesetzentwurf, dass – bei einem Behälterkonzept deutlich höhere Anfor- derungen an die Langzeitintegrität des Behälters zu stellen sind, – der Nachweis des sicheren Einschlusses der Ra- dionuklide für eine Million Jahre im Vergleich zu anderen Standorten mit dem Anspruch der „best- möglichen Sicherheit“ geführt werden muss, – der Bund nach Verabschiedung des „Gesetzes zur Neuordnung der Verantwortung der kerntechni- schen Entsorgung“ entsprechend dem Verursa- cherprinzip die Rückstellungen der Energieversor- gungsunternehmen für die atomare Zwischen- und Endlagerung übertragen bekommen hat und im Gegenzug nun für diese Aufgabe voll organisato- risch und finanziell verantwortlich ist und – aufgrund der überragenden politischen Bedeutung des überfraktionellen Konsenses stimme ich dem Gesetz dennoch zu . Dies tue ich insbe- sondere auch für die Bürgerinnen und Bürgern im Land- kreis Schweinfurt, die ein Recht auf eine verlässliche Perspektive durch eine mittelfristige Endlagerlösung haben . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Europol-Gesetzes (Tagesordnungs- punkt 16) Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Wie kürz- lich bekannt wurde, hat es Mitte Januar in Spanien einen Schlag gegen einen riesigen Waffenhändlerring gege- ben, bei dem mehr als 10 000 Waffen sichergestellt und fünf beteiligte Personen festgenommen werden konnten . Nach Presseberichten war man dem Händlerring im Rah- men der Ermittlungen zum Anschlag auf das jüdische Museum in Brüssel im Jahr 2014 auf die Spur gekom- men . Unterstützt wurden diese Ermittlungen durch Euro- pol. Dies zeigt, wie wichtig Europol bei der Verbrechens- bekämpfung in der EU heutzutage ist . Mit der Verabschiedung der neuen Europolverord- nung im Mai vergangenen Jahres haben das Europapar- lament und der Rat dafür gesorgt, dass die Agentur noch schlagkräftiger agieren kann . Bei der Erweiterung der Rechte von Europol wurde aber nicht nur die Frage der künftigen Schlagkraft, sondern auch des Datenschutzes und der parlamentarischen Kontrolle berücksichtigt . So hat der europäische Datenschutzbeauftrage erweiterte Kontrollrechte gegenüber Europol erhalten, und auch eine parlamentarische Kontrolle ist nun vorgesehen . Die- se wird zukünftig durch ein gemeinsames Gremium der nationalen Parlamente und des europäischen Parlaments ausgeübt . An der genauen Ausgestaltung dieser neuen und mei- nes Erachtens zukunftsweisenden Zusammenarbeit der europäischen und nationalen Ebene wird derzeit fieber- haft unter Beteiligung aller europäischen Parlamente gearbeitet. Ich hoffe, dass wir bis zum Wirksamwerden der neuen Europol-Verordnung Anfang Mai hier Vollzug melden können . Um Europol die neuen Aufgaben zu ermöglichen, ist aber auch auf Ebene der Mitgliedstaaten die Umsetzung der neuen Verordnung in nationales Recht nötig. Mit dem nun vorliegenden ersten Gesetz zur Änderung des Euro- polgesetzes wird diese Umsetzungsarbeit vom Bundes- tag in Angriff genommen. Einer der wesentlichen Punkte der Änderungen, die auf EU-Ebene vorgenommen wurden ist, dass zukünftig der Kreis der Polizeibehörden, die Vollzugriff auf die Da- ten von Europol bekommen können, erweitert wird . In Deutschland soll der Bundespolizei, dem Zollfahndungs- dienst und den Polizeibehörden der Länder dieser Zugriff auf das Europolsystem und seine Datenbanken gewährt werden . Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Frage der techni- schen Umsetzung . Diese erfolgt im Gegensatz zum bis- herigen Ansatz des Europolratsbeschlusses technikneu- tral. Es wird also auf bestimmte Verarbeitungszwecke abgestellt und nicht auf bestimmte technische Systeme . Dies führt innerhalb des Europolsystems zum einen zu mehr Flexibilität, und zum anderen kann das System besser an zukünftige technische Entwicklung angepasst werden . Mit den nun zu beschließenden gesetzlichen Ände- rungen wird die polizeiliche Arbeitsebene zukünftig Zu- griff auf wichtige Erkenntnisse von Europol haben. Dies wird dazu beitragen, die tägliche Polizeiarbeit schnel- ler, erfolgreicher und effizienter zu machen. Gerade in der heutigen Zeit, in der Verbrechen und Verbrecher an Staatsgrenzen nicht mehr Halt machen – wie der ein- gangs erwähnte erfolgreiche Schlag gegen einen Waf- fenhändlerring in Spanien zeigt –, ist die effektive und schnelle Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in der EU von entscheidender Bedeutung, um den Bürgerinnen und Bürgern die Sicherheit zu bieten, die sie von ihrem Staat erwarten . Da die neue europäische Verordnung am 1. Mai dieses Jahres in Kraft treten wird, wäre es wichtig, dass wir die parlamentarischen Beratungen zügig abschließen . Damit wäre gewährleistet, dass Deutschland direkt zum Start am reformierten Europolsystem teilnehmen kann . Sowohl vonseiten der Bundesländer als auch vonsei- ten der Bundesbeauftragten für den Datenschutz wurde kein Widerstand gegen das vorliegende Gesetz geäußert . Dies ist erfreulich und sollte dazu beitragen, dass wir nun anstehende Beratungen schnell abschließen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22645 (A) (C) (B) (D) Packen wir’s an, wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern zeigen, dass Europa für uns alle einen Mehrwert hat, gerade wenn es um die Sicherheit von uns allen geht . Susanne Mittag (SPD): Kriminalität ist ein weltwei- tes Phänomen . Es macht vor keinen Grenzen Halt, ganz im Gegenteil: Kriminelle nutzen Grenzen, um sich der Verfolgung über Staatsgrenzen hinweg zu entziehen. Sie nutzen unterschiedliche Strafverfolgungs- und Ermitt- lungssysteme gezielt aus . Die organisierte Kriminalität handelt mit allem Illegalen, mit dem sich viel Geld ver- dienen lässt: Menschen, Drogen, Waffen, Kunstgegen- ständen aus Raubgrabungen . Hochwertige Fahrzeuge stehen gerade hoch im Kurs . Oder es sind mobile Banden, die Wohnungseinbrüche begehen oder alte Menschen mit dem sogenannten Enkeltrick betrügen . Sie schlagen mal in Holland, mal entlang der A2 zu, um sich dann weiter in den Osten zu bewegen; ein großer Teil ist in drei Ländern unterwegs . Deshalb ist es vollkommen richtig und wichtig, dass auch die Polizeien sich besser international vernetzen . Innerhalb der Europäischen Union wurde dafür schon 1999 das Europäische Polizeiamt mit Sitz in Den Haag gegründet . Europol, wie das Polizeiamt auch kurz ge- nannt wird, hilft den nationalen – also auch deutschen – Strafverfolgungsbehörden bei der Bekämpfung schwerer internationaler Kriminalität und von Terrorismus . Beides gehört mehr und mehr zusammen . Aber zum Beispiel auch Subventionsbetrug, Kriegs- verbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehören jetzt zu den Aufgabengebieten von Europol . Eu- ropol fungiert als Knotenpunkt für den Informationsaus- tausch zwischen den nationalen Polizeien zu kriminellen Aktivitäten innerhalb der EU und erstellt gemeinsame Ermittlungsgruppen . Aber Europol dient nicht nur zur Informationsvertei- lung, sondern bereitet aus den zur Verfügung gestellten Daten Analysen zu unterschiedlichen Kriminalitätsberei- chen auf . In Den Haag ist also ein Kompetenzzentrum mit aus den Mitgliedstaaten entsandten Polizisten ent- standen . Hier können durch die internationale Vernetzung ganzheitliche Analysen unterschiedlicher Phänomenbe- reiche erarbeitet und den Polizeibehörden zur Verfügung gestellt werden: zum Ermitteln, Verhaften und Werte-Si- chern . Beispielhaft für solch eine Analyse möchte ich hier nur kurz den SOCTA-Bericht 2017, der Anfang des Mo- nats erschienen ist, nennen . In diesem Bericht beleuch- tet Europol die schwere und organisierte Kriminalität in Europa . In der EU werden derzeit rund 5 000 bekann- te Gruppen der OK in Ermittlungen überprüft . Eine OK-Gruppe besteht dabei aus drei und mehr Personen, die über eine bestimmte Zeitspanne zusammenarbeitet, um Gewinne aus Straftaten zu erzielen . Rund 76 Prozent dieser Gruppen haben sechs und mehr Mitglieder, sind meist hierarchisch organisiert und arbeiten nur bedingt deliktsbezogen, das heißt umgangssprachlich: klauen, was bestellt wird. Vor allem die Bereiche des illegalen Warenhandels im Internet, Drogen, Menschenschmuggel und Menschenhandel sowie organisierte Eigentumsde- likte sind Hauptbetätigungsfelder der OK . Die organisierte Kriminalität gefährdet aber nicht nur mit ihren Taten die Sicherheit in unserer Gesellschaft, und zwar alle, Arm und Reich, nein, Terroristen nehmen gerne Dienstleistungen von OK-Gruppen, wie zum Bei- spiel den Menschenschmuggel, Dokumentenfälschungen oder illegalen Waffenhandel, in Anspruch, um so mög- lichst unter dem Radar der Sicherheitsbehörden einreisen zu können bzw . ihre Taten vorzubereiten . Um auch hier wirkungsvoll ansetzen zu können, brau- chen wir eine verbesserte internationale Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden . Dafür brauchen wir ein gut aufgestelltes Europäisches Polizeiamt Europol und einen modernen Rechtsrahmen, in dem Europol agieren kann . Das ist die sogenannte Europol-Verordnung. Die Verordnung, die im Mai vergangenen Jahres vom Europäischen Parlament und vom Rat beschlossen wur- de, war ein hartes Stück Arbeit für die Kolleginnen und Kollegen des Europäischen Parlamentes . Auch der Bun- destag hat sich eingehend damit befasst. Die zehn Ver- handlungsrunden im Trilog zeugen davon, dass hier sehr ausdauernd an sinnvollen Lösungen gearbeitet wurde . Ich denke, es hat sich gelohnt . Europol hat nun eine parlamentarische Kontrolle, be- stehend aus Vertretern der nationalen Parlamente und dem zuständigen LIBE- Ausschuss im EP, erhalten . Das ist wichtig . Denn durch eine starke parlamentarische Kontrolle entsteht auch die Legitimität und Akzeptanz in den einzelnen Ländern, die eine EU-Polizeibehörde für ihre Arbeit braucht . Nun ist die Verordnung beschlossen und tritt am 1 . Mai 2018 in Kraft . Wir müssen jetzt kleinere, zuweilen eher redaktionelle Änderungen an unserem Europol-Ge- setz vornehmen, um es an die Verordnung anzupassen. Endlich sollen auch die Bundespolizei, der Zollfahn- dungsdienst und die Länderpolizeien direkten Zugriff auf operative Analysedateien bei Europol erhalten . Oftmals müssen die Erkenntnisse schnell erlangt werden . Der veraltete „Dienstweg“ wurde mit der Europol-Verord- nung modifiziert. Wo mit Daten, besonders mit so sensiblen wie Per- sonendaten gearbeitet wird, muss es eine aktuelle und rechtssichere Datenschutzsystematik geben . Deshalb wurde auch der Europäische Datenschutzbeauftragte, der zuständig für die Kontrolle von Europol ist, darauf fest- gelegt, dass er mit den nationalen Kontrollbehörden für den Datenschutz eng zusammenarbeiten muss . Hierfür wurde nach zähem Ringen der Beirat für die Zusammen- arbeit gegründet, der sich aus je einem Vertreter der Kon- trollbehörden der Mitgliedstaaten und dem Europäischen Beauftragten für den Datenschutz zusammensetzt . Die spannende Frage bei Kontrollen ist aber doch immer: Wer benennt denn den Kontrolleur? Eigent- lich logisch, dass im Entwurf das Ernennungsrecht des deutschen Vertreters bei der Beauftragten für den Daten- schutz und die Informationsfreiheit liegt . Wo sonst? Die sogenannte BfDI ist ja auch in Deutschland die unabhän- gige Kontrollinstanz im Bereich des Datenschutzes . Des- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722646 (A) (C) (B) (D) halb ist es gut, diese Systematik auch beim Beirat für die Zusammenarbeit für Europol beizubehalten . Insgesamt halte ich den Entwurf für einen wichtigen Schritt zur Bekämpfung der OK und bin gespannt auf die parlamentarischen Beratungen . Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung will das Europol-Gesetz umschreiben, um es an die verän- derte europäische Rechtslage anzupassen . Anlass ist die im vorigen Jahr erfolgte Ersetzung des früheren Euro- pol-Ratsbeschlusses durch die Europol-Verordnung, die jetzt ihren Niederschlag in einem deutschen Gesetz fin- den soll . Die Linke wird diesem Gesetz die Zustimmung ver- weigern, genau wie es unsere Schwesterfraktion im Eu- roparlament gemacht hat. Denn die Europol-Verordnung ist ein Schritt auf dem Weg zu einer Art Super-Polizeibe- hörde, die immer mehr Kompetenzen erhält, ohne dass die Kontrollbefugnisse von Parlamenten und Datenschüt- zern damit Schritt halten . Die Bürgerrechte, insbesondere das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, bleiben dabei auf der Strecke . Sicherlich ist die Koordination europäischer Polizei- behörden wichtig, damit sich Kriminelle nicht einfach dem Zugriff entziehen können, indem sie sich in ein anderes Mitgliedsland absetzen . Es muss aber klare Zu- ständigkeiten und Kontrollbefugnisse geben, und daran mangelt es leider . Europol hat in den letzten Jahren erheblich aufgerüs- tet . Die Behörde verfügt jetzt beispielsweise über eine sogenannte Meldestelle für Internetinhalte, die gewalt- verherrlichende Seiten aufspüren und ihre Löschung veranlassen soll . Die Kriterien dafür bleiben, wie so vie- les bei Europol, im Unklaren . So geht diese Meldestelle mittlerweile auch gegen Facebook-Gruppen professio- neller Schleusernetzwerke vor, was letztlich dazu führen wird, dass die Fluchtwege noch gefährlicher werden . Sie darf zudem von privaten Konzernen wie Google, Face- book, Twitter usw . die Nutzerdaten anfordern und so ei- nen gigantischen Datenberg anhäufen . Unklar bleibt auch, was genau das von Europol An- fang 2016 eingerichtete Europäische Zentrum für Ter- rorismusbekämpfung macht . Europol-Direktor Rob Wainwright bezeichnete das Zentrum im Januar 2017 als „Meilenstein im Kampf gegen den Terrorismus“; der In- formationsaustausch zwischen den europäischen Polizei- behörden habe erheblich zugenommen . – Das glaube ich gerne, aber ich kann darin nicht nur einen Vorteil sehen, sondern ich sehe auch eine Bedrohung für die Bürger- rechte, wenn es keine effektive Kontrolle darüber gibt, welche Art von Daten hier auf welcher Grundlage ausge- tauscht werden . Deswegen ist es äußerst bedenklich, wenn die Euro- pol-Verordnung festschreibt, dass die nationalen Polizei- behörden Europol „alle nötigen Informationen“ für die Terrorbekämpfung zukommen lassen sollen . Dem Gesetz zufolge sollen die Polizeibehörden der Bundesländer selbst Europol zuarbeiten und auch von dort Daten abru- fen können . Da muss doch wenigstens geklärt sein: Wer definiert, was Terrorbekämpfung ist, wer definiert, was die nötigen Informationen sind, und – nicht zuletzt – wer prüft nach, was mit diesen Informationen passiert und an wen sie schlussendlich weitergegeben werden? Das alles ist völlig unklar . Europol wird zur Blackbox, die für nie- manden kontrollierbar ist . Das gilt noch mehr für den angestrebten Datenaus- tausch mit Geheimdiensten . In mehreren Mitgliedstaa- ten gibt es schon eine institutionalisierte Zusammenar- beit zwischen Polizei- und Geheimdienstbehörden, in Deutschland etwa im Gemeinsamen Terrorabwehrzent- rum und dem Gemeinsamen Extremismus- und Terroris- musabwehrzentrum. Voriges Jahr schlug die Europäische Kommission nun vor, ebenfalls ein „Drehkreuz für den Informationsaustausch“ zwischen europäischen Polizei- und Geheimdienstbehörden einzurichten, wobei Europol wiederum eine zentrale Rolle erhalten soll . Die Linke lehnt diese gemeinsamen Zentren in Deutschland ab, weil sie das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten unterlaufen . Sie ermöglichen es Polizeibehörden, an Informationen zu gelangen, an die sie nach eigenem Recht gar nicht gelangen könnten, und umgekehrt . Dieses Prinzip darf nicht auch noch auf die ganze EU ausgedehnt werden . Denn natürlich operieren diese Zentren quasi in einem rechtsfreien Raum und sind weder durch nationale Parlamente zu kontrollieren noch durch das Europaparlament . Auf diese Weise könnten etwa deutsche Polizei- und Geheimdienstbehörden die Beschränkungen des Informationsaustauschs, die ihnen deutsches Recht auferlegt, klammheimlich und unbe- merkt hintergehen . Die Entwicklung von Europol geht damit in die fal- sche Richtung . Internationaler polizeilicher Datenaus- tausch muss konkret dem Kampf gegen Kriminalität dienen und darf nicht zum Selbstzweck werden . Er muss zudem einer parlamentarischen und soweit wie möglich auch öffentlichen Kontrolle unterliegen. Dieser enge Rahmen wird hier eindeutig verlassen . Die Zweckbin- dung erhobener Daten, der Respekt vor der informati- onellen Selbstbestimmung, das Prinzip der Trennung polizeilicher und geheimdienstlicher Arbeit, all das wird für hinfällig erklärt . Europol wird Schritt für Schritt zum unkontrollierbaren Datenkraken aufgebaut . Das gibt den Einwohnerinnen und Einwohnern der Europäischen Uni- on nicht mehr Sicherheit, sondern es nimmt ihnen Frei- heitsrechte . Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorliegende Gesetzentwurf reagiert auf die im Mai 2016 beschlossene neue Verordnung 2016/794 des Europä- ischen Parlaments und des Rates zu Europol und be- schränkt sich im Wesentlichen darauf, die nach der Ver- ordnung zwingend vorgegebenen nationalen Regelungen zu schaffen. Europol hat dabei weiterhin in erster Linie die Auf- gabe, die Tätigkeit der zuständigen Behörden der Mit- gliedstaaten zu stärken sowie deren Zusammenarbeit bei der Prävention und Bekämpfung von organisierter Kriminalität, Terrorismus und anderen Formen schwerer Kriminalität zu unterstützen . Dabei steht die eigene Da- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22647 (A) (C) (B) (D) tenverarbeitung durch Europol sowie die Weitergabe von Informationen und Analysen an nationale Behörden im Zentrum . Ein wesentlicher Punkt dabei ist aber, dass die Abfra- gen nationaler Behörden künftig nicht mehr durch das jeweilige Verbindungsbüro, sondern direkt durch die jeweilige nationale Polizeibehörde erfolgen sollen . Ein solcher Schritt war ja zu erwarten . Ob dadurch aber eine bessere Nutzung der Systeme durch die Mitgliedstaaten erreicht wird, wird man erst in der Praxis sehen können . Neu ist aber auch, dass nationalen Behörden dabei nun auch der Zugang zu Daten eröffnet wird, die bei Euro- pol bisher nur zu Analysezwecken verarbeitet werden . In diesem Zusammenhang besonders wichtig ist daher, dass der europäische Gesetzgeber dem Thema Datenschutz erhebliches Gewicht beimisst . So wurde ein ganz neues Kapitel der Verordnung allein den Datenschutzgarantien gewidmet . Die Verordnung nimmt außerdem stärker alle Krimi- nalitätsformen in den Blick, die durch die Nutzung des Internets erleichtert, gefördert oder begangen werden, und die Herausforderungen, die sich daraus für die po- lizeiliche Arbeit ergeben . In diesem Zusammenhang de- finiert die Verordnung eine völlig neue Aufgabe: Euro- pol soll zukünftig in Kontakt zu privaten Anbietern von Onlinediensten treten, damit diese auf freiwilliger Basis die Vereinbarkeit bestimmter Inhalte mit ihren jeweiligen Geschäftsbedingungen überprüfen und gegebenenfalls Inhalte oder Links löschen . Die Regelung müssen wir uns sehr genau anschauen, da hier eine Datenweitergabe von einer nationalen Poli- zeibehörde – also beispielsweise der Bundespolizei – an Europol und von Europol an den privaten Betreiber eines Onlinedienstes – also beispielsweise Facebook – erfolgt, und das ist nach meiner Einschätzung etwas, das ein nationaler Gesetzgeber explizit regeln sollte . Immerhin wird hier eine private Stelle in die Erfüllung öffentlicher Aufgaben einbezogen . Die dadurch ausgelösten Restrik- tionen können durchaus grundrechtsrelevant sein oder Grundrechtseingriffen jedenfalls sehr nahe kommen. Der vorliegende Gesetzentwurf greift diese Fragen jedoch nicht auf . Geeignete nationale Regeln wären hier aber besonders wichtig, um ein rechtsstaatliches Verfahren sicherzustel- len . Immerhin ist davon auszugehen, dass die Folge der Übermittlung polizeilicher Daten in aller Regel eine Lö- schung oder Sperrung sein wird, wobei auch die Auswir- kungen auf den Rechtsweg beziehungsweise den Rechts- schutz der Betroffenen sehr schwer wiegen können. Vor allem ist es aber eine Grundsatzentscheidung, wie Private in die Erfüllung von Sicherheitsaufgaben ein- gebunden werden sollen . Ich verweise hier nur auf die Diskussion, die wir gerade zur Erweiterung der privaten Videoüberwachung führen. In der Anhörung zu dem ent- sprechenden Gesetzentwurf wurde vonseiten der Sach- verständigen schließlich auch auf die engen datenschutz- rechtlichen Grenzen hingewiesen . Aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit, aber auch im In- teresse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit wäre es im Übrigen dringend angezeigt, weitere Regelungen in den Gesetzentwurf aufzunehmen . Wesentliche Ansätze hinsichtlich der Frage der Zweckbindung polizeilicher Daten hat zum Beispiel die Anhörung zum BKA-Gesetz geliefert, die man auch hier aufgreifen könnte . Dazu ist es jedoch notwendig, Anhörungen nicht nur durchzu- führen, sondern die Stellungnahmen der Experten auch tatsächlich in das Gesetzgebungsverfahren einfließen zu lassen . Und auch das zeigt der vorliegende Gesetzentwurf deutlich: Europol braucht schon allein aufgrund der Mas- se an polizeilichen Daten, die dort zukünftig zusammen- laufen sollen, eine bessere parlamentarische Kontrolle . Als nationales Parlament sollten wir daher unseren ge- samten Einfluss geltend machen, das zu gewährleisten. Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister des Innern: In der Sicherheitsarchitektur der Europäischen Union nimmt Europol mittlerweile eine zentrale Rolle beim gemeinsamen Informationsaus- tausch und der Zusammenarbeit der Polizeibehörden der Mitgliedstaaten ein . Am Sitz von Europol in Den Haag arbeiten mittler- weile über 1 000 Personen . Der Haushalt von Europol beträgt mehr als 100 Millionen Euro im Jahr . Insbesondere im Bereich der Terrorismusbekämpfung hat Europol in den vergangenen zwei Jahren bedeutende Fortschritte erzielt . Hervorzuheben sind etwa die Ein- richtung eines Europäischen Zentrums zur Terrorismus- bekämpfung und die EU-Internet-Meldestelle . Ein weiterer bedeutender Baustein in dieser Entwick- lung war im Mai vergangenen Jahres die Verabschiedung einer neuen Rechtsgrundlage für Europol . Durch die neue Europol-Verordnung (EU) 2016/794 werden die Arbeitsfähigkeit von Europol gestärkt und die bestehenden hohen Schutzstandards gewahrt . Lassen Sie mich nur drei Beispiele herausgreifen: Die Zuständigkeit von Europol wird auf weitere Kri- minalitätsformen erstreckt, darunter der sexuelle Miss- brauch von Kindern, schwerer Diebstahl sowie Völker- mord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Europol erhält mehr Flexibilität bei der Ausgestaltung seiner IT-Strukturen, indem technikneutral auf bestimm- te Verarbeitungszwecke abgestellt wird, anstatt einzelne IT-Systeme durchzuregeln . Schließlich wird der Informationsaustausch mit den Mitgliedstaaten, mit Drittparteien und in eng umgrenzten Fällen auch privaten Parteien erweitert . Zugleich sind die datenschutzrechtlichen Vorkehrun- gen bei Europol ausgeweitet worden . Der Europäische Datenschutzbeauftragte erhält erweiterte Befugnisse und kann insbesondere Anordnungen und Untersagungen mit Blick auf Verarbeitungsvorgänge aussprechen. Zudem ist erstmals bei einer EU-Agentur eine parlamentarische Kontrolle durch das Europäische Parlament unter Betei- ligung der nationalen Parlamente vorgesehen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722648 (A) (C) (B) (D) Gegenstand des vorliegenden Gesetzentwurfs ist die Anpassung der Vorschriften des Europol-Gesetzes an die neue Europol-Verordnung. Die Verweise im Europol-Gesetz auf den Euro- pol-Ratsbeschluss sollen an die entsprechenden Vor- schriften der Europol-Verordnung angepasst werden. Soweit im Europol-Gesetz einzelne IT-Systeme von Europol, wie das Europol-Informationssystem, genannt oder vorausgesetzt werden, soll eine Anpassung an die neue zweckorientierte Verarbeitung nach der Euro- pol-Verordnung erfolgen. Die Europol-Verordnung räumt den Mitgliedstaaten einen erweiterten Zugang zu Analysedaten bei Europol ein . Bislang erhalten die Mitgliedstaaten die sie betref- fenden Analyseberichte . Nunmehr sind die Mitglied- staaten befugt, auf thematische und strategische Analy- sedaten und im Treffer/Kein-Treffer-Verfahren auch auf operative Analysedaten zuzugreifen . Der Gesetzentwurf sieht insoweit vor, den Zugang den Behörden einzuräumen, welche derzeit bereits das Euro- pol-Informationssystem nutzen . Durch den Wechsel der Datenschutzaufsicht bei Euro- pol hin zum Europäischen Datenschutzbeauftragten be- darf es einer Anpassung der Entsendung von Vertretern der nationalen Datenschutzaufsicht in die entsprechen- den Gremien . Ferner sollen die Vorschriften zur Erstattungspflicht bei Schäden aus widerrechtlicher Datenverarbeitung an- gepasst werden . Die Ausgestaltung der eben erwähnten parlamentari- schen Kontrolle von Europol unter Beteiligung der na- tionalen Parlamente überlässt die Europol-Verordnung zuständigkeitshalber der interparlamentarischen Verstän- digung . Im weiteren Verfahren im Bundestag soll rechtsförm- lich eine Anpassung der Verweise an den Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamt- gesetzes erfolgen . Hierfür hat sich auch der Bundesrat ausgesprochen . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än- derung des Energiesteuer- und des Stromsteuerge- setzes (Tagesordnungspunkt 17) Norbert Schindler (CDU/CSU): Wir befassen uns heute erstmalig mit dem Gesetzentwurf der Bundesre- gierung zur Änderung des Energiesteuer- und Stromsteu- ergesetzes, die zwingend notwendig ist, um Vorgaben des Rechts der Europäischen Union in nationales Recht umzusetzen . Darüber müssen auch Entscheidungen der EU-Kommission und des EuGH in die Regelungen des Energiesteuer- und Stromsteuergesetzes eingearbeitet werden . In erster Linie dient das Gesetz jedoch der Umset- zung des Auftrages des Deutschen Bundestages aus dem Sommer 2015, die Steuerbegünstigungen für gasförmige Kraftstoffe – Erdgas und Autogas –, die Ende des Jah- res 2018 auslaufen, zu überprüfen, mit dem Ziel, diese zu verlängern . Dies ist mit dem Gesetzentwurf auch zum Teil gelungen . Ich bin sehr froh, dass es der Bundesregierung gelun- gen ist, den Gesetzentwurf nach fast einem Jahr Ressort- abstimmung endlich in den Deutschen Bundestag einge- bracht zu haben. Denn dieser schafft endlich Rechts- und Planungssicherheit im nationalen Recht und enthält teil- weise gute, schlanke Lösungen, die wir im Energiesteu- errecht nicht immer gewohnt waren und sind . Den inhaltlichen Schwerpunkt bilden Maßnahmen, um nationale Steuerbegünstigungen im Energie- und Stromsteuerbereich an das im Jahr 2014 novellierte EU-Beihilferecht und die EU-Energiesteuer-Richtlinie anzupassen . Für den Bereich der Elektromobilität wird das Stromsteuergesetz so angepasst, dass Befreiungen und Ermäßigungen insbesondere für den öffentlichen Nahverkehr zukünftig möglich sein werden . Des Weiteren werden bisherige Ausnahmen – die als Beihilfe problematisch sein können – abgebaut, zum Beispiel bei KWK-Anlagen oder beim sogenannten Her- stellerprivileg, jedoch ist die ursprünglich vorgesehene Entflechtung von KWK-Ausnahmen und EEG-Förde- rung durch Einführung der sogenannten Kumulierungs- höchstgrenze nicht mehr Bestandteil des Gesetzentwurfs . Andererseits müssen jetzt die Fördertatbestände im Ener- giesteuerrecht auf die Fördertatbestände des EEG bzw . KWK oder anderer Förderungen von Bund, Ländern und Kommunen einzeln aufeinander justiert werden, um den europarechtlichen Anforderungen entsprechen zu kön- nen . Der Gesetzentwurf enthält zudem Verfahrensverein- fachungen und Regelungen zum Abbau der Bürokratie und schafft die Ermächtigungsgrundlage für eine elektro- nische Kommunikation zwischen den Wirtschaftsbetei- ligten und der Verwaltung im Energie- und Stromsteu- erbereich. Hoffen wir, dass diese dann auch reibungslos funktioniert . Doch dazu später . Wie zuvor angesprochen, ist zudem eine Verlängerung der Steuerbegünstigung für als Kraftstoff verwendetes Erdgas (CNG/ LNG) über das Jahr 2018 bis Ende 2026 – abschmelzend ab 2024 – enthalten . Damit ist ein Teil der Forderungen des von den Koalitionsfraktionen initiier- ten Antrags vom Sommer 2015 umgesetzt worden, auch dank Unterstützung von Bundesminister Dobrindt, des- sen Ressort die Steuerausfälle übernimmt . Über den anderen Teil des Antrages – Verlängerung der Steuerbegünstigung für Autogas (LPG) – ist noch zu debattieren . Sowohl im Koalitionsvertrag als auch im Antrag der Koalitionsfraktionen haben wir uns für eine Verlängerung über 2018 hinaus ausgesprochen. Die Ar- gumente für und wider sind schon vielfach ausgetauscht . Ich möchte hier aber nochmals drei Fakten besonders he- rausstellen: Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22649 (A) (C) (B) (D) Erstens . Auch bei dem schon jetzt im Gesetz vorge- sehenen Normalsteuersatz – ohne Steuerermäßigung – bleibt der Einsatz von Autogas gegenüber anderen Ener- gieträgern im Kraftfahrzeugbereich weiter vorteilhaft . Zweitens . Im Gegensatz zu Erdgas wird Autogas schon seit vielen Jahren steuerlich gefördert . Dies spie- gelt sich auch im Tankstellennetz wider, das bei Erdgas in dieser Größenordnung nicht existiert und erst noch aufgebaut werden muss . Drittens . Autogas ist mehr oder weniger ein Ab- fallprodukt aus den Raffinerien, das meines Erachtens durchaus zu einem niedrigeren Preis angeboten werden könnte; hier sehe ich auch die Hersteller in der Pflicht. Eine Steueranpassung könnte von diesen zum Teil abge- federt werden . Trotzdem wäre ein abrupter Ausstieg aus der Förde- rung kein gutes Signal für die Wirtschaftsbeteiligten, seien es LPG-Autobesitzer, Umrüstbetriebe, Tankstel- lenpächter oder die Mineralölindustrie . Deshalb werden wir in den weiteren Beratungen abwägen müssen, was wir diesen abverlangen können und wie wir andererseits die Einnahmen aus der Energiesteuer verstetigen können . Ich plädiere hier offen für eine stufenweise Abschmel- zung der Steuervergünstigungen . Durch die Gesetzesnovelle entfallen zudem eine Viel- zahl von Einzelgenehmigungsanträgen bei der KOM, zum Beispiel bei der Steuerentlastung für Betriebe der Land- und Forstwirtschaft . So kann die Praxis der teil- weisen Steuererstattung für „Agrardiesel“ und „Bioag- rardiesel“ bis zum Auslaufen der Freistellungsanzeige bei der KOM weitergeführt werden . Auch hierzu muss ich noch ins Detail gehen . Kritisch betrachtet werden muss die Streichung des § 60 EnergStG: Die Streichung ist europarechtlichen Be- denken geschuldet, da die Regelung nur für mittelstän- dische Unternehmen zur Anwendung kommt und damit selektiv wirkt – Beihilfe . Auf den Inhalt möchte ich gar nicht eingehen; ich teile die Bedenken nicht und setze mich für eine Beibehaltung dieser Regelung ein . Weitere Kritikpunkte am ansonsten gelungenen Ge- setzentwurf: Einige Regelungen sind nach EU-Recht nicht zwingend und schießen somit über das Ziel der Eins-zu-eins-Umsetzung der Energiesteuerrichtlinie hi- naus . Andere berechtigte Forderungen, wie die Gleich- stellung der Industriegaseproduktion mit anderem produ- zierenden Gewerbe, werden nicht berücksichtigt . Auch hier halte ich Nachbesserungen für notwendig . Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Bundes- finanzministerium bei der Anpassung des Energie- und Stromsteuergesetzes an neues EU-Recht und an die Rechtsprechung nunmehr fast durchgängig vernünftige und praktikable Lösungen gefunden hat . Auch wenn da- bei teilweise die so beliebte Einzelfallgerechtigkeit leidet, so teile ich die Priorität des Gesetzentwurfes: möglichst viel Bürokratieabbau, auch im Verhältnis zur KOM. Die bisher dauernd notwendigen Notifizierungen bei der KOM, beim Agrardiesel beispielsweise ein Riesen- aufwand für ein halbes Kalenderjahr bis 30 . Juni 2017, entfallen, und so haben wir hoffentlich für ein paar Jahre Rechtssicherheit und Klarheit im Verwaltungshandeln. Bürokratieabbau im Verhältnis zur EU darf aber nicht zu weiterem Bürokratieaufbau bei den Bürgern führen . Wenn im Vorgriff auf dieses Gesetz nun für die Bean- tragung der Steuerrückerstattung für Agrardiesel zu den schon bestehenden und schwer zu verstehenden Antrags- formularen drei neue eingeführt werden, so widerspricht dies dem Sinn des Gesetzes . Deshalb, liebes BMF, liebe Generalzolldirektion: Geht in euch und schafft auch im Verhältnis zu den Antragstellern den schlanken Staat. Dass es uns mithilfe von Bundesminister Schmidt gelungen ist, die Steuerermäßigung für Biodiesel zur Verwendung in der Landwirtschaft beizubehalten, freut mich als Landwirt und Vertreter der Biokraftstoffbranche ganz besonders, da in diesem Bereich unsere Landwirte gleichzeitig Hersteller und Verwender sind. So kann eine kleine, regionale Kreislaufwirtschaft aussehen, die die landwirtschaftlichen Betriebe stärkt . Abschließend wünsche ich uns gute Beratungen des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes, mit einem Ergebnis, mit dem sowohl der Fiskus als auch die von der Besteuerung Be- troffenen gut leben können. Wir Parlamentarier gehen jetzt die Fragestellungen an, und seien Sie gewiss, auch bei diesem Gesetzentwurf gilt das „erste Struck’sche Ge- setz“: „Kein Gesetz kommt aus dem Parlament so heraus, wie es eingebracht worden ist .“ Christian Petry (SPD): „Was lange währt, wird endlich gut!“ – Mit diesen Worten kann man den Wer- degang des vorliegenden Gesetzentwurfs zur Änderung des Stromsteuer- und Energiesteuergesetzes treffend zu- sammenfassen . Ursprünglicher Kern dieser Gesetzesinitiative war die im Koalitionsvertrag von SPD und Union festgelegte Verlängerung der energiesteuerrechtlichen Ausnahmetat- bestände für Erdgas und Autogas . Nun wurde der Koaliti- onsvertrag bekanntlich schon im Jahr 2013 ausgehandelt . Dass wir erst kurz vor dem Ende der Legislaturperiode dieses Vorhaben umsetzen, ist schade. Schließlich hat der Deutsche Bundestag bereits im Sommer 2015 die Bundesregierung zur Vorlage eines entsprechenden Ge- setzentwurfs aufgefordert . Nach einer langwierigen Res- sortabstimmung liegt nun also der Entwurf vor und wir starten mit dem parlamentarischen Verfahren. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich einige Punk- te loben, die sich vom ersten Referentenentwurf bis zum Kabinettsbeschluss geändert haben . Eine wesentliche Änderung betrifft das zunächst im Entwurf enthaltene allgemeine Kumulierungsverbot von Steuerbegünstigungen mit anderen Beihilfen . Hier hat das Bundeswirtschaftsministerium hart verhandelt und schlussendlich eine Streichung dieses Kumulierungsver- bots bewirkt . Darüber hinaus wurde im Rahmen der Ressortabstim- mung die vom BMF geplante Streichung der Steuerent- lastung für die Stromerzeugung in kleinen Anlagen nicht übernommen . Das ist ein wichtiger Erfolg des Bundes- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722650 (A) (C) (B) (D) wirtschaftsministeriums . Die ursprünglich geplante Neu- fassung des § 9 StromStG wird im aktuellen Gesetzes- vorhaben nicht weiterverfolgt . Neben diesen positiven Punkten möchte ich aber auch auf ein großes Manko des Gesetzentwurfs hinweisen: Der Entwurf der Bundesregierung enthält einen klaren Verstoß gegen den Koalitionsvertrag. Im Koalitionsver- trag haben wir uns schließlich auf eine Weiterförderung von Erdgas und Autogas verständigt . Der Regierungsent- wurf nimmt das Autogas jedoch komplett von der Wei- terförderung aus . Es ist daher nicht überraschend, dass ich an dieser Stelle das oft zitierte Struck’sche Gesetz bemühe: „Kein Gesetz kommt aus dem Parlament so heraus, wie es ein- gebracht worden ist .“ Es gibt gute Gründe dafür, sowohl das Erdgas als auch das Autogas über das Jahr 2018 hinaus weiter zu fördern . Eine Schlüsselrolle bei der Reduzierung der Treib- hausgasemissionen kommt dem Verkehrssektor zu. Da- bei spielen Erdgas und Autogas eine entscheidende Rol- le: Beide Kraftstoffe emittieren im Vergleich zu fossilen Benzin-Kraftstoffen deutlich weniger CO2 . Dabei gibt es aktuell circa 500 000 Pkw in Deutsch- land, die mit Autogas betrieben werden, beim Erdgas sind es etwa 80 000 Fahrzeuge. Beide Kraftstoffe sind damit noch eine Nischentechnologie, die es auch weiter- hin zu fördern gilt . Für mich geht es dabei auch um das Einhalten politi- scher Versprechen. Die Halter der 500 000 Autogas-Pkw haben sich darauf verlassen, dass das Autogas auch über 2018 hinaus gefördert wird . Ich finde es in diesem Zusammenhang übrigens rich- tig, zwischen Erdgas und Autogas zu differenzieren. Beim Erdgas gibt es eine regenerative Komponente, und die Marktdurchdringung ist noch deutlich schwächer als beim Autogas. Dies sollten wir bei einer Verlängerung der steuerlichen Ausnahmetatbestände berücksichtigen . Über genaue Förderzeiträume werden wir im anste- henden parlamentarischen Verfahren in Ruhe beraten. Auch weitere Punkte im Energie- und Stromsteuerrecht, die vom Gesetzentwurf betroffen sind, werden wir uns anschauen und dort, wo nötig, ändern . In diesem Sinne freue ich mich auf die Beratungen im Finanzausschuss . Glück auf! Andreas Rimkus (SPD): Ich spreche ja regelmäßig vor Ihnen zum Thema Reduktion von Emissionen im Verkehr. Auch der vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet Maßnahmen, die wichtige Meilensteine auf dem Weg zur Energiewende im Verkehr sind. Die Klimaziele sind klar: Bis 2050 wollen wir eine Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 80 bis 95 Prozent gegenüber 1990 erreichen . Sektorenübergrei- fend sollen CO2-Emissionen bis 2020 um mindestens 40 Prozent gesenkt werden. Dies schaffen wir jedoch nur, wenn wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien voran- kommen und die Energieeffizienz steigern. Um diese Ziele jedoch zu erreichen, müssen wir auch im Verkehrssektor besser werden. Der von Barbara Hendricks vorgelegte Klimaschutzplan gibt uns kla- re Hausaufgaben. Er mahnt uns, im Verkehrsbereich 10 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente einzusparen . Das setzt uns unter enormen Handlungsdruck, doch diese He- rausforderung nehme ich gerne an . Mit diesem Gesetz bekennen wir uns zu den genann- ten Zielen und wollen die Steuerbegünstigung für Erdgas (CNG/LNG) über das Jahr 2018 hinaus verlängern . So soll nach dem aktuellen Entwurf eine Verlängerung bis Ende 2026 beschlossen werden, wobei die Begünstigung ab 2024 schrittweise verringert werden soll . Ausgenom- men von der Verlängerung ist nach dem Kabinettsent- wurf Autogas . Hierzu wird es noch weitere Beratungen geben, da sich die Koalitionsfraktionen im Koalitions- vertrag und auch der Bundestag in einem Antrag auf eine Verlängerung sowohl von Erd- als auch Flüssiggas ver- ständigt haben . Dies schließt die Laufzeit und die Höhe der Steuervergünstigung ein . Kern unserer Politik sollte es sein, vor allen Dingen die Technologien zu fördern, die im Zuge der Kraftstoffwende – hin zu erneuerbaren Kraftstoffen, wie EE-Strom, EE-Wasserstoff oder EE- Gas – Integrationsmöglichkeiten bieten . Deshalb ist es auch folgerichtig, wenn wir Autogas, das vor allen Din- gen auch hilft, die NOx-Werte in unseren Städten zu re- duzieren, über 2018 hinaus fördern . Erfreulich ist, dass wir bei Autogas schon eine gute Marktdurchdringung haben, die bereits jetzt auf unseren Straßen hilft, Emissi- onen zu reduzieren . Mit überschaubaren Kosten zur Um- rüstung bietet Autogas die Möglichkeit für Menschen, die sonst nicht das nötige Kleingeld haben, sich neue, emissionsarme Technologien anzuschaffen, ihren Beitrag zur Energiewende zu leisten . Daneben sieht der Gesetzentwurf vor, Steuerbe- günstigungen bei der Energie- und Stromsteuer an das EU-Beihilferecht und die EU-Energiesteuerrichtlinie anzupassen . Auch bei der Förderung des ökologischen ÖPNV setzen wir Akzente und stellen Elektrofahrzeuge, die im öffentlichen Personennahverkehr eingesetzt wer- den, künftig steuerlich mit Oberleitungsomnibussen und Schienenbahnen gleich . Ich finde, das klingt nach einem Strauß guter Nach- richten, und glaube, dass wir damit den Weg in die richti- ge Richtung einschlagen . Herbert Behrens (DIE LINKE): Die Automobilin- dustrie bringt Autos auf den Markt, die erheblich drecki- ger sind als angegeben . Es wird getrickst und getäuscht, um Marktanteile und Profite zu sichern. Die Menschen werden gesundheitlich geschädigt, die Umwelt ver- dreckt, und die Arbeitsplätze werden durch diese Unter- nehmenspolitik gefährdet . Der Abgasskandal, der nicht allein ein Diesel-Abgas- skandal ist, hat noch einmal deutlich gemacht: Fossile Brennstoffe und saubere Autos passen nicht zusammen. Wir brauchen deshalb eine Verkehrswende, die ökolo- gisch ist und die sozial gerecht ist . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22651 (A) (C) (B) (D) Im Straßenverkehr müssen wir wegkommen von Kraftstoffen, die Menschen und Umwelt belasten. Das geht nicht von heute auf morgen . Wir brauchen Zwi- schenschritte, ohne das Ziel, den vollständigen Verzicht auf fossile Kraftstoffe, aus den Augen zu verlieren. Erdgasbetriebene Fahrzeuge stoßen erheblich weniger Schadstoffe aus als benzin- oder insbesondere dieselbe- triebene Fahrzeuge . Da ist es sinnvoll, mit Steuerermäßi- gungen Erdgas als Kraftstoff zu fördern. Aber es sind nicht nur Erdgasautos, sondern auch Fahrzeuge mit Autogas, die weniger Stickoxide, weni- ger Feinstaub und weniger CO2 ausstoßen . Darum ist es überhaupt nicht nachvollziehbar, dass die jetzige Förde- rung von Autogas als Kraftstoff 2018 auslaufen soll. Erstens . Es gibt einen Beschluss des Deutschen Bun- destages von 2015, der die Bundesregierung auffordert, die Steuerermäßigung für verflüssigtes Erdgas und für Flüssiggas über 2018 hinaus zu verlängern . Zweitens . Es steht sogar im Koalitionsvertrag, dass die Große Koalition die Verlängerung der Steuerermäßigung von Erdgas und Flüssiggas als Kraftstoff will. In diesem Tagen wird ja viel vom Koalitionsvertrag gesprochen, der selbst dann eingehalten werden muss, wenn eine of- fenkundig EU-rechtswidrige Ausländer-Maut beschlos- sen werden soll . Aber im Unterschied zum Maut-Gesetz kann man den vorgelegten Gesetzentwurf zur Energie- steuer verbessern . Drittens . In einer Studie des ifeu – Institut für Ener- gie- und Umweltforschung Heidelberg – für das Finanz- ministerium heißt es, bis 2030 wird der Anteil der Auto- gasfahrzeuge von heute etwa 500 000 auf etwa 700 000 steigen . Bei Erdgasfahrzeugen soll es eine Steigerung geben von 100 000 auf 600 000 . Nicht nachvollziehbar, zumindest nicht umweltpoli- tisch nachvollziehbar, ist die Ungleichbehandlung von Erdgas- und Autogasfahrzeugen, weil viertens Erdgas einen geringeren Marktanteil und eine schlechtere Tank- stelleninfrastruktur hat, so die ifeu-Studie . Autogas kann man an 19 Tankstellen pro 1 000 km2 tanken, Erdgas bei 2,5 pro 1 000 km2. Und das Vertrauen in eine positive Erdgasautoentwicklung ist nicht sehr verbreitet . Der nie- dersächsische Energieversorger EWE zum Beispiel hat sich aus der Kaufprämie für Erdgasautos zurückgezo- gen ebenso wie die Stadtwerke in meiner Stadt Oster- holz-Scharmbeck, die zusätzlich auch die einzige Erd- gastankstelle in der Kreisstadt mit 30 000 Einwohnern zum Ende des Jahres schließen wird . Heiß debattiert wird heute über Fahrverbote für Diesel und blaue Plaketten für Innenstädte, wo die Menschen unter Feinstaub und Stickoxiden leiden . Und da will ich jetzt mal den Verkehrsminister Dobrindt lobend zitie- ren . Er sagte der Berliner Zeitung im Juli 2016: „Es ist nicht wirkungsvoll, Autos mit Verboten zu belegen, die ein- oder zweimal im Monat in die Stadt fahren . Wo wir ran müssen, sind Fahrzeuge, die sich ständig im Straßen- verkehr befinden, etwas Taxis, Busse, Behördenfahrzeu- ge .“ Diese müssten baldmöglichst auf alternative Antrie- be umgestellt werden . Das diene der Reduzierung von Stickoxiden deutlich mehr als Einfahrverbote . Um noch einmal eins deutlich zu machen: Die Förde- rung von Erdgas und Autogas ist eine Zwischenlösung . Aber sie kann eine schnell wirksame Zwischenlösung sein, die technisch auch durch Umrüstung von Fahrzeu- gen verwirklicht werden kann und die dringend nötig ist . Der Finanzminister will jedoch möglich billig davon- kommen, ohne sich um die gefährlichen Schadstoffbelas- tungen insbesondere in den Städten zu kümmern . Nicht nur Rauchen gefährdet die Gesundheit, auch Umweltpo- litik aus dem Finanzministerium schadet der Gesundheit . Darum die Forderung der Linken an die Bundesre- gierung: erstens den vorliegenden Entwurf zur Ände- rung des Energiegesetzes überarbeiten; zweitens bei der Überarbeitung auf keinen Fall den Finanzminister für umweltrelevante Fragen zuständig machen; drittens den Koalitionsvertrag einhalten und Erdgas und Autogas als Brückentechnologie bei Kraftstoffen weitgehend gleich behandeln . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Gro- ße Koalition hat wieder einmal die Chance vergeben, Deutschland auf die Anforderungen des 21 . Jahrhunderts einzustellen . Denn beim Energie- und Stromsteuergesetz hat sie es versäumt, die wichtige Verknüpfung von Wirt- schafts- und Umweltpolitik herzustellen . Die zweite Novelle des Energiesteuer- und des Strom- steuergesetzes soll in erster Linie die nationalen Steuer- begünstigungen an das im Jahr 2014 novellierte EU-Bei- hilferecht und die EU-Energiesteuerrichtlinie anpassen . In der Förderlogik der Großen Koalition geht es wieder nur um die Subvention bestimmter Energiequellen . Man lässt die Gutachter aufeinander losgehen und stellvertretend streiten . Dabei gerät das grundlegende Versäumnis der Bundesregierung aus dem Blick: Nötig wäre ein grundlegender Wechsel zu einer konsistenten Besteuerung nach ökologischen Kriterien . Anstatt zukunftsorientierte Wirtschafts- und Umwelt- politik zu machen, begnügt sich die Bundesregierung mit Klientelpolitik . Die Diskussion um die Fortführung der Steuererleichterungen für Erd- und Flüssiggas (Autogas) gerade im Kraftstoffbereich ist dabei symptomatisch. Es hat den Anschein, als fände sich die Bundesregierung im Dickicht ihres eigenen Förderdschungels selbst nicht mehr zurecht . Unbestritten ist, dass insbesondere Neuwagen mit Erdgasantrieb im Vergleich mit ihren Schwestermodel- len sehr gute Umwelteigenschaften aufweisen . So stoßen Erdgasautos bis zu einem Viertel weniger CO2 aus als vergleichbare Benzinmodelle . Dabei agiert die Koalition aber auch politisch nicht besonders geschickt . Im Koalitionsvertrag kündigt sie erst eine Verlängerung der Steuerermäßigungen für Erd- und Flüssiggas an . Jetzt, fast vier Jahre später, macht sie etwas anderes: Die Regierung lässt die Förderung von Flüssiggas bis 2018 auslaufen, wohingegen Erdgas befristet und abschmelzend bis Ende 2026 weitergeför- dert werden soll – all das, während in Dieselkraftstoff, den größten Luftverschmutzer in den Städten, mit rund Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722652 (A) (C) (B) (D) 8 Milliarden Euro jährlich ein Vielfaches an Subventio- nen gepumpt wird . Das ist nicht nur un-logisch, sondern auch un-ökolo- gisch und das zeigt: Der großen Koalition fehlt bei der Energiebesteuerung jeder Kompass . Im Gesamtkontext dieser Förderpolitik aber allein über den Klimavorteil von Erdgas oder Flüssiggas zu diskutieren, reicht einfach nicht aus . Im Bereich der Industrieausnahmeregelungen und umweltschädlichen Subventionen lässt sich die Liste weiter fortsetzen: Neben den jährlich 8 Milliarden Euro für Dieselsubventionen gibt es eine ganze Reihe anderer Millionensubventionen, zum Beispiel für den Luftver- kehr, und die fortdauernde Subventionierung von schwe- ren Dienstwagen . Um eines ganz klar zu machen: Die unterschiedlichen und nicht nachvollziehbaren Steuersätze und -begünsti- gungen aller Kraftstoffarten sind nicht mehr zeitgemäß. Wir brauchen eine Energiebesteuerung, die sich konse- quent nach CO2-Ausstoß und Energiegehalt ausrichtet, nicht noch mehr widersprüchliche und umweltschädliche Besteuerung . Ohne dass wir die strukturellen Marktver- zerrungen und falschen Preissignale angehen, werden wir die Lage nie in den Griff bekommen. Denn machen wir uns nichts vor: Solange Diesel im Verhältnis zum Ökostrom weiter so günstig ist, wird kein Strom getankt . Und wenn Heizöl so günstig bleibt, gibt es wenig Anreiz, Gebäude energieeffizient zu moderni- sieren . Mit einer konsequenten Besteuerung nach Energie- wert und CO2-Ausstoß wären die Klimaschutzziele von Paris vielleicht noch zu schaffen. Und das würde auch nicht die deutsche Wettbewerbsfähigkeit schädigen – wie gerne behauptet wird. Denn anders als häufig vermutet ist der Anteil der Umweltsteuern an den Gesamtsteuer- einnahmen in Deutschland nicht besonders hoch . Er liegt nur noch bei unterdurchschnittlichen 9 Prozent, sodass die OECD Deutschland empfiehlt, Steuervergünstigun- gen für umweltschädliche Aktivitäten abzuschaffen und Mehreinnahmen durch wirkungsvollere Umweltsteuern zu erzielen . Deshalb sage ich: Wir brauchen einen neuen Ansatz . Wir Grünen fordern seit langem eine Energiebesteuerung nach CO2-Ausstoß und Energiewert – ganz konsequent, unabhängig von Technologie, Verursacher oder Energie- träger . In diesem Modell würden vermutlich Erdgas oder andere Energieträger mit Klimavorteil einen relativen Preisvorteil haben . Das wäre eine bessere Förderung als die Steuermillionen, die jetzt hineinfließen. Konsequent nach Energiewert und CO2 besteuern – das fordert übrigens auch die EU-Kommission seit lan- gem . Das zeigt erneut: Die Große Koalition spricht zwar gerne von Energiewende, aber ihr fehlen Mut und Kon- zepte, sie umzusetzen . Dies hätten der politische Auftrag und auch der eigene Anspruch der Bundesregierung sein müssen . Wir sehen sehr wohl, dass es bei der Novellierung ei- nige Versuche gibt, die umweltschädlichen Subventionen abzubauen und ökologisch umzusteuern. Aber der Ver- such bleibt zu zaghaft und zu widersprüchlich . Damit ist die historische Herausforderung des Klimawandels nicht zu bewältigen . Mehr als eine Enthaltung können Sie da- für von der grünen Fraktion nicht erwarten . Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bun- desminister der Finanzen: Ich freue mich, Ihnen heute den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes vorstellen zu dürfen . Es handelt sich um einen wichtigen Gesetz- entwurf . Wichtig alleine schon daher, weil es um den Bereich der Energie- und Stromsteuer geht, der mit rund 47,1 Milliarden Euro Steuereinnahmen und über 7 Milli- arden Steuerentlastungen einen essenziellen Beitrag zum Bundeshaushalt leistet . Der Gesetzentwurf sieht diverse Änderungen im Ener- gie- und Stromsteuerrecht vor . Geschuldet ist dies dem Umstand, dass die Bundesregierung gleich mehrfach „in der Pflicht“ steht. Neben der Umsetzung eines Gesetzge- bungsauftrags des Deutschen Bundestages geht es vor- nehmlich um Anpassungen der Steuerbegünstigungen an das Recht der Europäischen Union aber auch an neuere technologische Entwicklungen. Die wesentlichen Vorga- ben stammen aus dem in 2014 novellierten EU-Beihil- ferecht, der Energiesteuerrichtlinie sowie Gerichtsent- scheidungen des Europäischen Gerichtshofes: Lassen Sie mich die zentralen Änderungen in Kürze darstellen . Erstens: Umsetzung von EU-Recht . Unter anderem werden die Regelungen für die Begünstigung hocheffizi- enter KWK-Anlagen beihilferechtskonform ausgestaltet . Ferner wird das sogenannte Herstellerprivileg zurückge- führt auf den Umfang der nach der Energiesteuerricht- linie obligatorisch vorgesehenen Steuerbegünstigung für selbst hergestellte Energieerzeugnisse . Schließlich sieht der Gesetzentwurf – im Einklang mit der Energiesteu- errichtlinie – eine neue Steuerbegünstigung für Elek- tro- und sogenannte Plug-in-Hybridfahrzeuge vor, die im öffentlichen Personennahverkehr eingesetzt werden. Da- mit werden Elektro- und Plug-in-Hybridbusse mit dem bereits geförderten Schienenverkehr gleichgestellt; der technologischen Entwicklung im Verkehrssektor wird Rechnung getragen . Zweitens: die elektronische Kommunikation . Der Gesetzentwurf enthält die Ermächtigungen für eine elektronische Kommunikation zwischen den Wirt- schaftsbeteiligten und der Verwaltung im Energie- und Stromsteuerbereich, die die Abläufe im Besteuerungs- verfahren weiter vereinfachen werden und das derzeit laufende Projekt zur Modernisierung der IT-Unterstüt- zung für die Verbrauchsteuern (MoeVe) flankieren. Drittens: Verlängerung der Steuerbegünstigung für Erdgas. Die Steuerbegünstigung für Erdgas als Kraftstoff (CNG und LNG) wird über das Jahr 2018 hinaus verlän- gert – und das bis 2026 (sukzessive verringert ab 2024) . Die Steuerbegünstigung für Flüssiggas/Autogas (LPG) wird nach Ende 2018 hingegen nicht fortgeführt . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22653 (A) (C) (B) (D) Mit Beschluss vom 2 . Juli 2015 hat der Deutsche Bun- destag die Bundesregierung aufgefordert, einen Gesetz- entwurf zur Verlängerung der Steuerbegünstigung ein- schließlich valider Gegenfinanzierung auf Grundlage der Ergebnisse des Forschungsvorhabens zur Entwicklung der Energiesteuereinnahmen im Kraftstoffsektor vorzule- gen . Das entsprechende Gutachten, welches ich Ihnen im Dezember 2015 übermittelt habe, sieht keinen fachlichen Bedarf für eine weitere Förderung von Autogas . Laut dem Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) bietet vielmehr Erdgas als Kraftstoff mehr strategische Optionen für erneuerbare Energien und gewährleistet einen deutlichen Beitrag zum Klima- schutz . Wegen des derzeit noch geringeren Marktanteils und schlechterer Tankstelleninfrastruktur gegenüber Au- togas besteht überdies noch ein größerer Förderbedarf . Hohes Potenzial wird auch bei Erdgas in verflüssigter Form (LNG) gesehen . Vor diesem Hintergrund und nicht zuletzt wegen der fehlenden, aber notwendigen Gegenfinanzierung sieht der Gesetzentwurf keine Verlängerung der Steuerbegüns- tigung auch für Autogas vor . Die Nutzung von Autogas als alternativer Kraftstoff wird jedoch attraktiv bleiben, da die Besteuerung bei Autogas, auch ohne zusätzliche steuerliche Förderung, weiterhin geringer sein wird als bei Benzin und Diesel . Das sukzessive Auslaufen der Steuerbegünstigung für Erdgas ab 2024 schafft ausreichend Planungssicherheit, sendet zugleich aber ein klares Signal, dass die Steuerbe- günstigung – auch wegen der insgesamt zu erwartenden sinkenden Einnahmen im Kraftstoffsektor – nicht unbe- grenzt fortgeführt wird . Dies trägt dem erklärten Ziel des Subventionsabbaus Rechnung . Der vierte und letzte Punkt fällt aus der Reihe, weil er gerade keine im Gesetzentwurf vorgesehene Änderung betrifft, sondern im Gegenteil der Status quo beibehalten wird . Es geht um die Steuerbefreiungen für Strom aus erneuerbaren Energieträgern und aus sogenannten Klein- anlagen mit einer elektrischen Nennleistung bis zu 2 MW (§ 9 Absatz 1 Nummer 1 und Nummer 3 StromStG) . Die Bundesregierung hat – nach intensiven Beratungen – be- schlossen, die gegenwärtigen Steuerbefreiungen des § 9 StromStG unverändert zu lassen, sie aber zur Schaffung von Rechtssicherheit für die betreffenden Wirtschaftsteil- nehmer parallel mit den beihilferelevanten Tatbeständen des Gesetzentwurfes der Europäischen Kommission zur beihilferechtlichen Prüfung vorzulegen . Dies ist bereits geschehen, und die Kommission hat ihre Prüfung begon- nen – mit derzeit noch offenem Ergebnis. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung (Tages- ordnungspunkt 18) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Das Strafrecht verfolgt drei Zielsetzungen: Da ist einmal Strafe, Schuld und Sühne als vordringliches Ziel . Daneben hat aber das Strafrecht auch die General- und die Spezialprävention im Blick und eben auch den Opferschutz . Ich freue mich, dass das vorliegende Gesetz gerade auf die letzten beiden Punkte einen Schwerpunkt legt . Präventiv setzt das Gesetz an, da ein Geld- bzw. Ver- mögenszuwachs meist die Hauptmotivation eines Täters ist . Deshalb ist es naheliegend, das Signal auszusenden: „Das nehmen wir dir!“ Es gilt der Satz: „Wer Straftaten bekämpfen will, der muss den Profit aus Straftaten be- kämpfen .“ Das vorliegende Gesetz setzt genau dort an: Das Recht der Vermögensabschöpfung wird grundlegend verein- facht, und wir schließen nicht vertretbare Systemlücken . So wird die bisherige Beschränkung des Anwendungsbe- reichs auf gewerbsmäßige und bandenmäßige Begehung aufgehoben . Zudem soll eine Einziehung zukünftig auch dann möglich sein, wenn klar ist, dass ein Gegenstand aus einer rechtswidrigen Tat stammt, aber eine Verurtei- lung nicht möglich ist . Lassen Sie mich auch noch einiges zum Opferschutz ausführen: Bisher konnte die Strafjustiz zwar im Wege der Rück- gewinnungshilfe Gegenstände sichern . Der Anspruch musste jedoch zivilrechtlich später durch das Opfer gel- tend gemacht werden . Das kostete Geld bzw . Zeit, und es galt das Prinzip „Wer zuerst kommt, der mahlt zuerst“ . Nun erfolgt im Rahmen der Strafvollstreckung zu- nächst die Sicherstellung, nach Rechtskraft des Urteils die Verwertung und am Ende die Auskehrung des Er- löses an das Opfer . Das ist unkomplizierter, vor allem aber kostenfrei für das Opfer . Wir gewährleisten so die Gleichbehandlung aller Geschädigten und kommen ge- gebenenfalls zu einer Quotenregelung wie in der Insol- venzordnung für den Fall, dass beim Täter kein ausrei- chendes Vermögen mehr vorhanden ist. Das ist echter Opferschutz! Ich kann die Gegenargumente nicht einmal im Ansatz nachvollziehen . Wenn da behauptet wird, das Adhäsions- verfahren sei ein ausreichendes Instrument, dann müsste der Praktiker eigentlich wissen, dass das ein stumpfes Schwert ist . Denn es wird in der Praxis von Richtern re- gelmäßig gemieden, weil die Durchsetzung zivilrechtli- cher Ansprüche erhebliche Mehrarbeit verursacht . Diese soll hier durch ein schlankeres und effizienteres Verfah- ren gerade vermieden werden . Damit glaube ich auch nicht an eine Mehrbelastung der Justiz . Wenn man aller- dings so argumentiert, dann müsste man ehrlicherweise auch die Entlastung auf dem Zivilrechtsweg ausleuchten . Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sehen also: Insgesamt ein sehr gelungenes Gesetz, weshalb ich um Ihre Zustimmung bitte . Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Als Union sa- gen wir ganz klar: Verbrechen dürfen sich nicht lohnen. – Dies erfordert nicht nur mit ausreichenden Befugnissen und Ressourcen ausgestattete Polizei- und Ermittlungs- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722654 (A) (C) (B) (D) behörden . Auch Strafgesetze müssen so ausgestaltet sein, dass sie eine gezielte Bekämpfung von Straftaten ermög- lichen und auch die Folgen von Straftaten in den Blick nehmen . Der Vermögensabschöpfung kommt dabei eine ganz zentrale Rolle zu, um Vermögenswerte aus strafbaren Handlungen schnell, wirksam und umfassend dem Tä- ter wieder zu entziehen . Das ist in mehrfacher Hinsicht wichtig: Erstens schwindet so der Anreiz für die Bege- hung der Tat. Zweitens wird der finanzielle Boden dafür entzogen, auch in Zukunft Straftaten begehen zu kön- nen – insbesondere im Bereich des Terrorismus und der organisierten Kriminalität ist dies ein zentraler Gesichts- punkt . Heute scheitert eine erfolgreiche Vermögensabschöp- fung in der Praxis allerdings häufig an der außerordent- lich komplexen und unübersichtlichen Rechtsmaterie . Das wollen wir als Union ändern. Die Reform der Ver- mögensabschöpfung war für uns daher ein wichtiges und dringendes Vorhaben, das wir im Koalitionsvertrag verankert haben . Dies setzen wir mit dem vorliegenden Gesetz nun um . Ziel ist es, das Abschöpfungsverfahren effektiver und einfacher zu gestalten und die Rechtsposition von Opfern zu verbessern. Dazu bedarf es einer Vielzahl an Neurege- lungen, die straf-, zivil- und insolvenzrechtliche Aspekte besser miteinander verzahnen und für die Praxis hand- habbar machen . Dabei schließen wir Abschöpfungslücken, indem etwa die bisherigen Beschränkungen bei der erweiterten Einziehung aufgehoben werden . Aktuell kann sie nur in Bezug auf bestimmte Straftatbestände angeordnet wer- den . Wird etwa im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen Bandendiebstahls Bargeld gefunden, das aus ei- ner anderen Straftat stammt, so kann dies eingezogen werden – bei Ermittlungen wegen Wohnungseinbruchs- diebstahls hingegen nicht. Diese Differenzierung – so- gar innerhalb eines Qualifikationstatbestands – ist nicht nachvollziehbar . Das gleichen wir an . Ob ein Vermögenswert aus der einen oder der ande- ren rechtswidrigen Tat herrührt, darf keinen Unterschied machen . Insofern ist es gut, dass zukünftig jede rechts- widrige Tat ausreicht, um die erweiterte Einziehung eines Vermögensgegenstandes anzuordnen, wenn das Gericht davon überzeugt ist, dass er aus einer anderen rechtswid- rigen Tat stammt . Das ist ein wichtiger Beitrag für eine effektive Ver- brechensbekämpfung – genauso wie die umfassende Neuregelung der selbstständigen Einziehung: Derzeit ist es so, dass grundsätzlich keine Möglichkeit besteht, Vermögenswerte einzuziehen, wenn rechtliche Gründe wie Strafklageverbrauch entgegenstehen . Gleiches gilt, wenn kein Zweifel daran besteht, dass das Geld aus ei- ner rechtswidrigen Straftat herrührt, aber eine konkrete Straftat nicht nachgewiesen werden kann, aus der der Vermögensgegenstand stammt. Die Möglichkeit der selbstständigen Anordnung be- schränkt sich bislang auf Fälle, bei denen der persönli- chen Verfolgung des Täters ein tatsächliches Hindernis entgegensteht, die materielle Strafbarkeit der Tat aber un- berührt bleibt – etwa wenn der Täter ins Ausland geflüch- tet ist . Das ist im höchsten Maße unbefriedigend und ge- nau das Gegenteil einer effektiven Strafverfolgung. Dies ändern wir nun: Künftig besteht nicht nur die Möglich- keit, Vermögensgegenstände selbstständig einzuziehen, wenn etwa prozessuale Hindernisse wie Strafklagever- brauch bestehen. Auch bei deliktisch erlangtem Vermö- gen unklarer Herkunft – unabhängig vom Nachweis einer konkreten rechtswidrigen Tat – ist die selbstständige Ein- ziehung möglich . Kritiker wenden ein, dass die selbstständige Einzie- hung nicht mit der Eigentumsgarantie aus Artikel 14 Grundgesetz vereinbar sei und im Widerspruch zur Un- schuldsvermutung stünde . Diese Bedenken haben wir sehr ernst genommen . In der Abwägung sehe ich jedoch nicht, dass diese Kritik durchgreift: Auf der einen Seite stehen im Interesse der Sicherheit aller Menschen eine effektive Strafverfolgung, der Opferschutz und das Ziel, die finanziellen Quellen organisierter Kriminalität und des Terrorismus auszutrocknen . Auf der anderen Seite stehen die Rechte der Beschuldigten . Vor diesem Hintergrund sind an die selbstständige Einziehung bereits hohe rechtsstaatliche Anforderungen zu stellen . Diesen wird unser Gesetz gerecht: – So ist die selbstständige Einziehung unabhängig vom Nachweis einer konkreten rechtswidrigen Tat nur im Zusammenhang mit Delikten aus dem Bereich des Terrorismus oder der organisierten Kriminalität zulässig wie etwa der Bildung krimi- neller und terroristischer Vereinigungen oder des gewerbs- oder bandenmäßigen Menschenhandels . Mit dem Änderungsantrag haben wir die Katalo- gdaten unter anderem um die Zuhälterei wie auch die gewerbs- und bandenmäßige Steuerhehlerei er- gänzt, die typischerweise im Zusammenhang mit organisierter Kriminalität stehen . – Zudem ist die selbstständige Einziehung nur unter der Voraussetzung der uneingeschränkten rich- terlichen Überzeugung zulässig, dass der Vermö- genswert aus einer rechtswidrigen Tat herrührt . Das Gericht kann sich dabei „insbesondere auf ein grobes Missverhältnis zwischen dem Wert des Ge- genstands und den rechtmäßigen Einkünften des Betroffenen“ stützen. Auch die Unschuldsvermutung ist nicht tangiert, da die Vermögensabschöpfung keinen Strafcharakter hat. Sie ist auf den Vermögenswert, also die Sache, und nicht auf die Person bezogen . Den Opferschutz stärken wir zum Beispiel auch darü- ber, dass wir ersatzlos die gesetzliche Regelung in § 73 Absatz 1 Satz 2 streichen, nach der die Vermögensab- schöpfung versagt wird, wenn dem Opfer Ersatzansprü- che gegen den Täter zustehen – bekannt als „Totengräber des Verfalls“. Das ist ein unhaltbarer Zustand, weil damit das Opfer – insbesondere im Bereich der Vermögensde- likte – mit allen prozessualen Risiken alleine gelassen wird . Künftig kann der Staat dem Opfer mit dem Mittel des Strafrechts auch in diesen Fällen zur Seite stehen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22655 (A) (C) (B) (D) Neben einem staatlichen Entschädigungsverfahren stärken wir den Opferschutz zudem durch eine bessere Verzahnung mit insolvenzrechtlichen Vorschriften: Nicht immer wird am Ende eines Strafverfahrens das Vermö- gen eines Täters ausreichen, um sämtliche Schäden aus- zugleichen . Insofern ist es richtig, dass das Gesetz auch schon vor einer Verurteilung Sicherungsmöglichkeiten bietet . Nur so kann verhindert werden, dass Gelder zu- lasten von Opfern verschoben werden . Mit dem Änderungsantrag erreichen wir insofern wei- tere Verbesserungen und führen die Möglichkeit ein, dass die Staatsanwaltschaften aus eigenem Recht einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen können. Zu beachten ist jedoch, dass die wirtschaftliche Stel- lung eines Unternehmers, insbesondere eines Selbst- ständigen, durch einen Insolvenzantrag erheblich beein- trächtigt werden und nicht zuletzt die Existenz bedrohen kann – gerade zu einem Zeitpunkt, zu dem noch die Unschuldsvermutung gilt . Insofern ist das Sicherungs- interesse des Staates mit den Belastungen etwa für ein Unternehmen im Einzelfall sorgfältig abzuwägen . Das muss die Staatsanwaltschaft bei der Antragstellung be- rücksichtigen . Mit dem Gesetz schließen wir erfolgreich Abschöp- fungslücken, vereinfachen die Einziehung deliktisch erlangter Vermögenswerte, erleichtern deren vorläufige Sicherstellung und stärken die Rechtsposition von Tatop- fern . Es ist ein gutes Gesetz, ich bitte daher um Ihre Zu- stimmung . Dr. Johannes Fechner (SPD): Ich freue mich sehr, dass wir heute nach intensiven Beratungen das Gesetz zur Vermögensabschöpfung beschließen können. Damit schaffen wir ein wichtiges Instrument, um Opfer einfa- cher zu entschädigen, vor allem aber, um Gewinne aus Verbrechen abzuschöpfen, damit der vielzitierte, aber eben auch absolut richtige Grundsatz gilt: Verbrechen darf sich nicht auszahlen . Schon das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Sinne geurteilt und festgehalten, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Gerechtigkeit und in die Unverbrüch- lichkeit der Rechtsordnung Schaden nehmen kann, wenn Straftäter deliktisch erlangte Vermögensvorteile dauer- haft behalten dürfen . Und deutlich führt das Bundesver- fassungsgericht aus, dass das Vertrauen der Bürger in die Justiz Schaden nehmen kann: Die Duldung strafrechts- widriger Vermögensanlagen durch den Staat kann den Eindruck hervorrufen, dass sich kriminelles Verhalten auszahlt . Daraus ergibt sich für uns die Pflicht, das rechtsstaat- lich Mögliche zu unternehmen, um Straftätern die Ge- winne aus ihren Verbrechen zu nehmen. Genau diesem Ziel dient der vorliegende Gesetzentwurf zur Vermö- gensabschöpfung . Ich möchte mich auf die wichtigsten Änderungen beschränken: Wichtig ist, dass die Vermögensabschöpfung zum Re- gelfall wird . Leider wird allzu oft, etwa bei komplizierten Fällen aus der Wirtschaftskriminalität, trotz erheblicher Schäden auf die Vermögensabschöpfung im Sinne eines schnellen Verfahrensabschlusses verzichtet. Dies führt dann weiter dazu, dass gerade hohe Schäden nicht aus- geglichen werden und – viel schlimmer noch – dass hohe Beträge aus der kriminellen Tätigkeit beim Täter verblei- ben. Dies schwächt, wie ich finde, in ganz erheblichem Maße das Vertrauen in unseren Rechtsstaat. Und deshalb ist es eine wichtige Maßnahme, dass zukünftig die Ver- mögensabschöpfung zum Regelfall wird . Die Gerichte können dabei die Entscheidung über die Vermögensabschöpfung vom Strafprozess abtrennen und in einem Nachverfahren treffen. Bei geringen Schäden kann das Gericht von Vermögensabschöpfung absehen. Und es ist sogar möglich, dass die Vermögensabschöp- fung auch nachgeholt werden kann, etwa wenn sich erst später nachträglich entdecktes Vermögen bei einem im Zeitpunkt des Strafverfahrens scheinbar mittellosen Tä- ter zeigt . Eine zweite wichtige Neuerung besteht darin, dass zu- künftig die Vermögensabschöpfung bei allen Straftaten möglich ist . Bislang war dies im Wesentlichen auf den sogenannten Gewerbestrich und bandenmäßige Taten beschränkt . Die Reform wird dabei das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren und die Hauptverhandlung erleich- tern und vereinfachen . Dazu trägt insbesondere bei, dass die Entscheidung über die Vermögensabschöpfung in der Hauptverhandlung abgetrennt und später auch nachge- holt werden kann . Nicht nötig sind zukünftig auch die bislang nötigen aufwendigen Beweisfeststellungen zu einer möglichen Entreicherung des Angeklagten . Und wir stellen klar, dass so das Bruttoprinzip gilt . Bislang war in der Recht- sprechung nicht klar, was tatsächlich abgeschöpft wer- den kann bzw . was der Straftäter gegenrechnen darf . Mit unserer Regelung tragen wir Sorge für Klarheit in der Strafrechtspraxis . Und es wird für die Opfer wesentlich einfacher wer- den, eine Entschädigung zu erlangen . Das Windhund- rennen wird der Vergangenheit angehören, vielmehr gewährleistet diese Reform, dass alle Verletzten und alle Opfer gleichmäßig und gerecht entschädigt werden . Insbesondere müssen Opfer keinen Vollstreckungstitel mehr gegen den Täter erstreiten, weil die Entschädigung im Zuge des Strafvollstreckungsverfahrens oder im In- solvenzverfahren erfolgen kann, was für die Opfer einfa- cher, schneller und kostengünstiger ist . Die bedeutendste Verbesserung der Rechtslage ist aber, dass bei organisierter Kriminalität und Terrorismus zukünftig Vermögen unklarer Herkunft eingezogen wer- den kann . Wenn etwa eine Person an einem Flughafen in einer Kontrolle mit 100 000 Euro Bargeld erwischt wird und das Gericht dann durch weitere Indizien zur Überzeugung gelangt, dass Geldwäsche vorliegt oder die Person als Kurier einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung tätig ist, dann kann das Geld eingezogen werden, ohne dass dem Täter eine konkrete Straftat nach- gewiesen werden muss . Ausreichend ist, dass das Gericht davon überzeugt ist, dass der Vermögensgegenstand aus irgendeiner Straftat herrührt . Damit schließen wir eine große Lücke in der Einziehung von Taterträgen, und da- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722656 (A) (C) (B) (D) durch werden den Opfern ganz erhebliche Summen zur Schadenswiedergutmachung zur Verfügung stehen. In den Gesetzesberatungen haben wir, wie ich fin- de, noch die wichtige Klarstellung vorgenommen, dass nämlich auch für Altfälle das neue Recht gelten soll . Die Strafjustiz wird so davor bewahrt, dass es möglicher- weise jahrelang ein Nebeneinander von alten nach neu- em Recht gibt . Ab Inkrafttreten des Gesetzes sind aus- schließlich die neuen Vorschriften anzuwenden. Mit dieser Neuregelung zur Vermögensabschöpfung leisten wir einen enorm wichtigen Beitrag zur Bekämp- fung von Kriminalität und Terrorismus . Durch dieses Gesetz verlieren Straftäter Beute, und die Opfer werden schnell entschädigt . Stimmen wir also diesem guten Ge- setz zu . Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Bei dem vorlie- genden Gesetz geht es nach wie vor – vereinfacht aus- gedrückt – um die Frage, wie der vermögensrechtliche Schaden aus einer Straftat dem Geschädigten wieder zu- geführt werden kann. In Fällen, in denen der Betroffene nicht ermittelt werden kann, soll der Vermögensvorteil aus der Straftat trotzdem nicht beim Täter verbleiben . Denn nach wie vor gilt: Verbrechen soll sich nicht loh- nen . – Klingt erstmal gut . Aber wie soll es umgesetzt werden? Was soll letztlich dem Täter wieder weggenommen werden? Alles durch die Tat Erlangte oder doch nur ein Teil? Die Regierung hat dazu ausgeführt, dass es im Kern dabei um die bis- lang strittige Frage ginge, ob und – gegebenenfalls – in welchem Umfang Aufwendungen des Täters berücksich- tigt werden sollten . Der neuen Regelung läge folgender Rechtsgedanke zugrunde: Was in Verbotenes investiert wird, ist unwiederbringlich verloren . Im Übrigen müssen Aufwendungen hingegen berücksichtigt werden . Damit sei eine umfassende Abschöpfung gewährleistet . Die Frage ist, ob es da nicht sinnvoll ist, bei der Ver- mögensabschöpfung einen Straftatenkatalog für die Taten einzuführen, bei denen richtige Gewinne gemacht wer- den . Denn so logisch es auf den ersten Blick erscheint, alle Straftaten in die Gewinnabschöpfung einzubeziehen, um eine umfassende Gewinnabschöpfung zu gewährleis- ten, sehe ich doch in der Praxis Schwierigkeiten . Ich den- ke nur an Beförderungserschleichung – das sogenannte Schwarzfahren –, Ladendiebstahl, an Kleinstkriminalität eben. In all diesen Fällen die Vermögensabschöpfung zu prüfen, ohne die Justiz über Gebühr zu belasten – das schafft man personell einfach nicht mehr. So sieht es ja auch der Deutsche Richterbund, der in seiner Stellungnahme ausgeführt hat, dass der Mehrauf- wand mit dem vorhandenen Personal nicht ausgeglichen werden kann . Diese Annahme entbehre jeder Grundlage . Ich möchte einmal den Deutschen Richterbund aus sei- ner Stellungnahme zitieren: „Eine erfolgreiche und ge- rechte Opferentschädigung setzt neben der Aufklärung der Schuld- und Straffrage die eingehende Klärung zivil- rechtlicher Positionen im Strafverfahren voraus . Dadurch ist zu besorgen, dass mit dieser zusätzlichen Belastung durch aufwendige Nebenentscheidungen die Funktions- fähigkeit der Strafrechtspflege in ihrem Kernbereich Schaden erleidet, da die Strafgerichte schon heute ange- sichts knapper personeller Ressourcen an der Grenze der Belastbarkeit arbeiten .“ Vor zwei Wochen hat die Regierung noch bekräftigt, dass der Staat von Verfassungs wegen gehalten ist, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch ver- holfen werden kann . Ich bin der Überzeugung, dass dieses Gesetz dem Durchbruch der Gerechtigkeit nicht dient . Nicht nur we- gen der Belastung der Gerichte und Staatsanwaltschaften . Ich finde, gerade im Bereich der Wirtschaftskriminalität und bei Firmendreiecksverhältnissen ist der Vermögens- abschöpfung ein Riegel vorgeschoben . Ich möchte versu- chen, dies an einem Beispiel zu erklären . Ein Industriekonzern erwirtschaftet durch betrügeri- sche Geschäfte 500 Millionen Euro . Diese investiert er in ein Tochterunternehmen, welches legale Geschäfte be- treibt, jedoch (leider) keinen Gewinn, sondern Verluste macht . Nach zwei Jahren wird das Tochterunternehmen aufgelöst, die investierten 500 Millionen sind bis auf den Verkaufserlös von 200 Millionen weg. Diese werden für Abfindungen der Manger verbraucht. Der Betrug fliegt auf . Die Geschäftsführer werden verurteilt . Das zu Un- recht erlangte Vermögen soll abgeschöpft werden. Nun kann der Mutterkonzern die Investitionen von den er- gaunerten 500 Millionen abziehen, wozu unter anderem alle mit dem Tochterunternehmen verbundenen Kosten zählen. So auch etwa die Gehälter und Abfindungen der Manager etc . Dies kann der Ladendieb und der Schwarzfahrer nicht . Ein Schelm, wer Arges dabei denkt . Aber es galt ja schon früher der Grundsatz: Die kleinen Diebe hängt man, die großen lässt man laufen . – Mich würde schon interes- sieren, welcher Konzern bei diesem Gesetzentwurf Pate gestanden hat . Nach wie vor bestehen auch nach der Änderung durch die Koalition Bedenken hinsichtlich der Einbeziehung der Erben in die Vermögensabschöpfung. Hier wird zu sehr in das entsprechend Artikel 14 GG geschützte Ei- gentum eingegriffen. Alles in allem bleibt zu konstatieren: Das Gesetz wird seinem Ziel nicht gerecht, es begünstigt das Großkapi- tal und belastet Gerichte und Staatsanwaltschaften über Gebühr, ohne für einen personellen Ausgleich zu sorgen oder entsprechende Regelungen zu treffen, und ist ver- fassungsmäßig zumindest bedenklich . Die Linke lehnt solch ein Gesetz ab . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Gestern im Rechtsausschuss habe ich schon ver- sucht, die Kolleginnen und Kollegen von der Koalition davon zu überzeugen, dass die von ihnen hier vorge- schlagenen Neuregelungen der Vermögensabschöpfung nicht praxistauglich, sondern viel zu kompliziert sind . Vor allem werden sie nicht dazu führen, Opfer von Straf- taten rasch und problemlos zu entschädigen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22657 (A) (C) (B) (D) Das Vorhaben, die strafrechtliche Vermögensabschöp- fung zu reformieren, begrüßen wir grundsätzlich . Das geltende Recht ist unübersichtlich, schwer anwendbar und fehleranfällig . Die Gerichte wenden es deshalb äu- ßerst zurückhaltend und selten an . Deshalb muss vieles geändert werden . Opfer von Straftaten müssen in der Tat schneller und einfacher ihr Geld oder ihr Eigentum – Auto, Fahrrad, die goldene Uhr; das, was ihnen durch eine Straftat entzogen wurde – zurückerhalten oder Er- satz dafür. Und Verbrechen dürfen sich nicht materiell lohnen . Darüber sind wir uns einig . Die Reformvorschläge, die Sie mit diesem Gesetz vor- legen, tragen wir jedoch nicht mit . Ich gestehe zu, dass diese Rechtsmaterie äußerst komplex und schwierig, die Neuregelung daher eine große Herausforderung ist . Nach der ersten Runde hier im Plenum hatten Sie angeboten, wir sollten nochmals über die einzelnen Änderungen re- den . Aber es fand erst einmal nur eine Anhörung statt . Kundige Sachverständige, auch aus der Praxis, Vertreter der Staatsanwaltschaft, Richter, Anwälte fanden lobende Worte für Ihr Projekt, zeigten aber auch Schwächen Ih- res Entwurfs deutlich auf . Das war im November letzten Jahres . Umso erstaunter war ich, dass Sie angebotene Be- richterstattergespräche nicht annahmen und das Gesetz nun nahezu unverändert zur Verabschiedung vorlegen. Um daran doch noch etwas zu ändern, hat die Fraktion der Grünen gestern im Rechtsausschuss einen Entschlie- ßungsantrag eingebracht – zu finden in Beschlussempfeh- lung und Bericht auf Bundestagsdrucksache 18/11640 –, den die Regierungsfraktionen leider abgelehnt haben . Dieser benennt unsere grundsätzlichen Bedenken zu dem Vorhaben und stützt sich dabei auch auf die Einlassungen der Praktiker. Er enthält aber auch Vorschläge für die not- wendigsten Änderungen . Wir bezweifeln stark, dass durch die Vorschläge der Bundesregierung Geschädigte von Straftaten wirklich schneller und einfacher entschädigt werden können . Zwar sollen nun den Tatgeschädigten der Gang zum Zi- vilgericht und damit weitere Kosten erspart bleiben . Häu- fig werden sie aber unzumutbar lange auf die Herausgabe des Genommenen oder eine Entschädigung warten müs- sen . Die Strafjustiz arbeitet langsam . Bis zum rechtskräf- tigen Urteil können Jahre vergehen. Vorher gibt es in der Regel nichts . Dabei kann das Abwarten-Müssen auf das Strafurteil existenzbedrohend sein . Deshalb haben wir vorgeschlagen, in den Vorschriften §§ 73 ff. StGB-E in Verbindung mit § 459h StPO-E zu verankern, dass, sofern Geschädigte parallel den zivil- rechtlichen Weg beschreiten, dieser prioritär ist und eben nicht die Rechtskraft des strafrechtlichen Urteils abge- wartet werden muss . So besteht für den Geschädigten jedenfalls die Möglichkeit, schneller entschädigt zu wer- den. Vorrangig sollten auch etwaige freiwillige Vereinba- rungen zur Schadensregulierung mit dem Beschuldigen gelten. Diese haben daran häufig Interesse, weil sie dann auf ein milderes Urteil hoffen. Die neuen Regelungen zur erweiterten Einziehung (§ 73a StGB-E), der selbstständigen Einziehung (§ 76a Absatz 1 StGB-E) sowie der Einziehung von Vermögen unklarer Herkunft (§ 76a Absatz 4 StGB-E) halten wir sogar für verfassungsrechtlich sehr problematisch . Das Institut der erweiterten Einziehung beispielsweise soll danach auf alle Straftatbestände – auch Kleinkrimi- nalität – ausgedehnt werden und nicht mehr, wie jetzt, beschränkt sein auf Taten mit Bezug zur organisierten Kriminalität und auf banden- und gewerbsmäßig began- gene Taten. Und das, obwohl eine Verurteilung wegen dieser „anderen rechtswidrigen Taten“ nicht erfolgt ist . Außerdem soll nun möglich sein, in einem laufenden Verfahren, „Vermögen unklarer Herkunft unabhängig vom Nachweis einer konkreten [anderen] rechtswidrigen Tat (selbstständig) einzuziehen, wenn das Gericht davon überzeugt ist, dass der sichergestellte Gegenstand aus (irgend-)einer rechtswidrigen Tat herrührt . Es ist nicht erforderlich, dass die Tat im Einzelnen festgestellt wird“ . Maßgaben für die Einschätzung des Gerichts, ob der Ge- genstand aus einer rechtswidrigen Tat herrührt, sind unter anderem „ein grobes Missverhältnis zwischen dem Wert des Gegenstandes und den rechtmäßigen Einkünften des Betroffenen“ und „sonstige persönliche und wirtschaftli- che Verhältnisse des Betroffenen“. Diese Regelung, die zu einer faktischen Beweislastumkehr zulasten des Be- troffenen führt und gegen die Unschuldsvermutung ver- stößt, wird zu Recht heftig kritisiert . Es ist richtig, dass bestimmte Fallkonstellationen bis- her in der Praxis zu unbefriedigenden Ergebnissen füh- ren . Ein Beispiel: das geklaute Fahrrad wird im Keller des Diebes aufgefunden, daneben aber noch ein Geldkof- fer mit 500 000 Euro . Da § 242 StGB (Diebstahl) nicht auf § 73d StGB (erweiterter Verfall) verweist, kann das Geld aus dem Koffer nach geltendem Recht nicht einge- zogen werden . Das versteht erst einmal keiner . Trotzdem kann es nicht sein, dass die Bundesregie- rung versucht, solches dolose Vermögen oder Vermögen unklarer Herkunft auf Grundlage verfassungswidriger Gesetze einzuziehen . Zu guter Gesetzgebung gehört, rechtsstaatlich einwandfreie Lösungen zu erarbeiten . Wenn wir anfangen – gerade im Strafrecht – rote Linien zu überschreiten, dann ist das gefährlich . Das Austesten der Verfassungsmäßigkeit einer Regelung und bewuss- tes Anheimstellen der Verfassungsrechtsprechung ist das Gegenteil guter Gesetzgebung . Ein „Meilenstein“, wie die Neuregelungen zur erweiterten und selbstständigen Einziehung im Rechtsausschuss von Vertretern der Gro- ßen Koalition bezeichnet wurden, sind sie also mitnich- ten . Bedenken ergeben sich auch hinsichtlich des Vor- schlags in § 73d Absatz 1 Satz 1 StGB-E . Die vorgesehe- ne Abzugsregelung wurde von verschiedenen Seiten als faktische Abkehr vom Bruttoprinzip beurteilt . Dazu wur- den wir insbesondere von Vertretern der Richterschaft angeschrieben. Es wäre doch möglich gewesen, den Vor- schlag in § 73d StGB Absatz 1 StGB-E dahin gehend zu überarbeiten, dass eine Abkehr vom sogenannten Brutto- prinzip ausgeschlossen und aktuell bestehende Abschöp- fungsmöglichkeiten nicht nachteilig beschränkt werden . Hinzu kommt, dass bei den geplanten Änderungen der Insolvenzordnung das Parlament einhellig das sogenann- te Fiskusprivileg abgelehnt hat . Hier in diesem Gesetz- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722658 (A) (C) (B) (D) entwurf taucht es nun wieder auf . Ist der Täter insolvent, soll der Staat vorrangig auf sein noch vorhandenes Rest- vermögen zugreifen können . Die noch zu verteilende Masse wird dadurch für den Rest der Geschädigten ge- schmälert . Das ist nicht vereinbar mit dem Ziel des Ge- setzes – der verbesserten Entschädigung der Verletzten. Nein, die höchst komplizierten Neuregelungen zur Vermögenseinziehung sind nicht praxistauglich. Die be- reits jetzt schon überlasteten Strafverfolgungsbehörden und Gerichte erhalten Steine statt Brot . Wenn das Gesetz, so wie vorgesehen, konsequent angewandt wird, werden die ohnehin viel kritisierten langen Verfahren noch viel länger dauern . Ein großer Apparat zur Feststellung der Einziehungsgüter, ihrer Einziehung, Aufbewahrung, Ver- waltung und Verteilung muss im Bereich der Staatsan- waltschaften aufgebaut werden . Ich fürchte, das neue Gesetz wird genauso wenig von der Praxis angewandt werden wie das bisher geltende . In zwei Jahren kann der Rechtsausschuss des Bun- destags noch einmal Strafrichter, Staatsanwälte und Rechtspfleger einladen und sich berichten lassen, warum das wieder nicht klappt mit der Verkürzung der Strafver- fahren und der raschen Opferentschädigung . Sie werden dann feststellen, dass sich Verbrechen immer noch loh- nen . Leider . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften im Bereich des Internationa- len Privat- und Zivilverfahrensrechts (Tagesord- nungspunkt 20) Dr. Silke Launert (CDU/CSU): In einer globalisier- ten Welt sehen wir uns immer häufiger mit grenzüber- schreitenden Rechtsstreitigkeiten konfrontiert . Das inter- nationale Privat- und Zivilverfahrensrecht gewinnt damit zunehmend an Bedeutung . Auf EU-Ebene und durch diverse internationale Übereinkommen wurden in der Vergangenheit bereits zahlreiche Instrumente geschaffen, um den Menschen bei Streitigkeiten mit Auslandsbezug die Möglichkeit zu geben, ihr Recht einzufordern und durchzusetzen . Wie es aber so ist mit dem Recht: Es tun sich immer wieder Lücken oder auch Rechtsunsicherheiten auf, die uns durch die Rechtspraxis oder auch den Europäischen Gerichtshof aufgezeigt werden . Man kann bei den Ge- setzgebungsverfahren eben nicht alles vorab im Blick haben . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, über den wir heute abschließend beraten, wollen wir daher eine Rei- he von Vorschriften, die Fälle mit Auslandsbezug regeln, ändern und an den aktuellen Stand anpassen . Konkret geht es darum, Klarstellungen zu schaffen, Präzisierun- gen vorzunehmen und Gesetzeslücken zu schließen . Im Einzelnen enthält der Entwurf zunächst vor al- lem technische Änderungen verschiedener Gesetze im Bereich der Auslandszustellung von Schriftstücken, des Europäischen Mahnverfahrens und des Verfahrens zum Eintreiben geringfügiger Forderungen . So stellen wir beispielsweise im Rahmen der Aus- landszustellung klar, dass die grenzüberschreitende Zu- stellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstü- cke in Zivil- oder Handelssachen abschließend durch die entsprechende europäische Verordnung geregelt ist. In diesem Zusammenhang führen wir auch eine gesetzliche Klarstellung ein, dass für ein fiktives Zustellungsverfah- ren, wie es die deutsche Zivilprozessordnung in § 184 kennt, bei der Auslandszustellung kein Raum ist . Damit sorgen wir für mehr Rechtssicherheit und Rechtsklarheit bei den Beteiligten, wenn es um gerichtliche Auseinan- dersetzungen mit Auslandsbezug geht . Weitere Anpassungen betreffen die Frist für die Klage- zustellung im Ausland und die Einspruchsfrist gegen ein Versäumnisurteil, welches im Ausland zugestellt wurde. Damit tragen wir dem Umstand Rechnung, dass in diesen Konstellationen typischerweise mit längeren Postlaufzei- ten gerechnet werden muss . Zudem überarbeiten wir die Vorschriften über die Durchführung der Verordnung zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens . Insbesondere wird ein gesonderter Rechtsbehelf eingeführt, mit dem der An- tragsgegner die Aufhebung des Europäischen Zahlungs- befehls beantragen kann, wenn ihm dieser nicht oder nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde . Knackpunkt bei diesem Gesetzentwurf war sicher- lich die Frage, ob wir unsere Rechtshilfe in Zivilsachen für „pre-trial discovery of documents“-Ersuchen durch US-amerikanische Gerichte öffnen. Diese Möglichkeit besteht im Rahmen der Umsetzung des Haager Bewei- saufnahmeübereinkommens . Deutschland hatte hiervon zunächst keinen Gebrauch gemacht, und mit der heutigen abschließenden Beratung soll es auch dabei bleiben . Eine entsprechende Änderung wurde aus dem vorliegenden Gesetzentwurf herausgenommen . Ich begrüße es ausdrücklich, dass die Änderung auf Drängen der Union gestrichen wurde . Anders als im deutschen Recht, wo der Beibringungsgrundsatz gilt, wird der Sachverhalt im amerikanischen Rechtssystem im Wege eines gerichtlichen Vorverfahrens der Parteien ermittelt . Solche Ausforschungsbeweise sind dem deut- schen Prozessrecht aber fremd, und das soll auch so blei- ben . Denn würde der Ausforschungsbeweis Einzug hal- ten, würden vor allem deutsche Unternehmen mit Sitz in den USA erheblichen Risiken ausgesetzt werden . Selbst wenn Klagen nicht begründet wären, könnten sie ver- pflichtet werden, Dokumente in großem Umfang heraus- zugeben . Das wäre mit erheblichen Kosten und Aufwand verbunden und würde den Datenschutz der Betroffenen erheblich schwächen . In Deutschland wird der Datenschutz immer noch großgeschrieben . Nicht zuletzt deswegen werden wir unsere Unternehmen weiterhin bei der Herausgabe von Dokumenten in Zivil-/Handelsverfahren in den USA schützen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22659 (A) (C) (B) (D) Die Idee, den Ausforschungsbeweis ins deutsche Recht zu übernehmen, war auch verbunden mit der Hoff- nung, dass die USA im Gegenzug ebenfalls weitere Vor- schriften des Haager Beweisaufnahmeübereinkommens anwenden . Davon ist aber nicht zu auszugehen, weswe- gen wir erst recht keinen Anlass sehen, unsere Rechtshil- fe für „pre-trial discovery“-Ersuchen zu öffnen. Was das internationale Privatrecht angeht, werden wir heute eine wichtige Lücke schließen: Bislang waren die Voraussetzungen und Wirkungen einer Stellvertretung aufgrund einer Vollmacht bei grenzüberschreitendem Sachverhalt nur durch die Rechtsprechung und Literatur herausgearbeitet worden . Das werden wir nun ändern: In einem neuen Artikel 8 EGBGB werden künftig die auf eine gewillkürte Stellvertretung anwendbaren Kollisi- onsnormen präzise festgeschrieben, um den Rechtsan- wendern klare Regelungen an die Hand zu geben . Abschließend möchte ich festhalten: Auch wenn das vorliegende Gesetz zunächst sehr technisch erscheint, stellt es doch einen weiteren wichtigen Baustein dar, um für mehr Klarheit und Sicherheit im internationalen Rechtsverkehr zu sorgen und so den Lebensalltag der Bürgerinnen und Bürger weiter zu erleichtern . Und er- freulicherweise waren wir uns da auch ausnahmsweise fraktionsübergreifend einig . Sebastian Steineke (CDU/CSU): Der vorliegen- de Gesetzentwurf beinhaltet in erster Linie die Klar- stellung einzelner Vorschriften, weil sich aufgrund des internationalen Zivilverfahrensrechts Änderungs- und Präzisionsbedarf ergeben hat . Hintergrund hierfür sind vor allem die Entwicklungen aus der Rechtspraxis und der Rechtsprechung, insbesondere der des Europäischen Gerichtshofes . Weiterhin war aufgrund der Änderung der EU-Verordnung zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen eine Anpas- sung zivilprozessualer Vorschriften notwendig. Zuletzt schließen wir mit einer Regelung zur gewillkürten Stell- vertretung eine Rechtslücke, die bisher in der Praxis nur aufgrund von Richterrecht Anwendung finden konnte. Trotz vieler kleinteiliger Regelungsinhalte dieses Ge- setzentwurfs, die augenscheinlich unproblematisch sind, gab es einen zentralen Punkt, den wir als Union sehr kritisch gesehen haben . Und dies war der im Gesetz- entwurf der Bundesregierung enthaltene § 14 des Aus- führungsgesetzes zum Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schrift- stücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen und des Haager Übereinkommens über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen . Der Entwurf sah vor, eine Erledigung von Rechtshilfeersuchen aus dem Ausland unter bestimmten Voraussetzungen zu ermögli- chen, wenn das Ersuchen ein Verfahren nach Artikel 23 des Übereinkommens zum Gegenstand hat . Lassen Sie mich das nachfolgend etwas näher erläutern . Bei Verfahren nach Artikel 23 des Haager Über- einkommens handelt es sich um Verfahren, bei denen der Vertragsstaat, in unserem Fall die Bundesrepublik Deutschland, bei der Unterzeichnung, bei der Ratifika- tion oder beim Beitritt erklärt hat, dass er Rechtshilfeer- suchen nicht erledigt, die ein Verfahren zum Gegenstand haben, das in den Rechtskreisen des Common Law unter der Bezeichnung „pre-trial discovery of documents“ be- kannt ist. In erster Linie geht der Blick dabei auf Verfah- ren vor US-amerikanischen Gerichten . Hier ist es üblich, dass Prozessbeteiligte in Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung in einem förmlichen Beweisverfahren die Beweismittel offenlegen, auf die sie sich später berufen wollen . Deutschland hat hier aus gutem Grund eine ent- sprechende Erklärung zu dem Übereinkommen abgege- ben, die verhindert, dass dies bei uns möglich ist . Dies ist unserem Recht völlig fremd . Der Gesetzentwurf wollte die Erledigung solcher Rechtshilfeersuchen nun aber ohne Not zulassen, wenn das Herausgabeverlangen nicht gegen wesentliche deut- sche Rechtsgrundsätze verstößt, die vorzulegenden Dokumente genau bezeichnet werden und von grundle- gender Bedeutung für das Verfahren sind und die Do- kumente sich im Besitz einer am Verfahren beteiligten Partei befinden. Auch wenn sich innerhalb dieser Vo- raussetzungen immer noch einige, vor allem aber auch unbestimmte Hürden befinden, wäre eine solche Rege- lung aus unserer Sicht ein Einfallstor zu weiteren Aus- forschungsmöglichkeiten gegen eine Prozesspartei und auch gegen Dritte . Deutsche Unternehmen, die in den Vereinigten Staaten tätig sind, wären als betroffene Partei oder gegebenenfalls als Dritte erheblichen Risiken aus- gesetzt, zum Beispiel bezüglich der Kosten, die mit der Dokumentenherausgabe verbunden sein würden sowie bei datenschutz- und arbeitsrechtlichen Problemen . Sol- che Ausforschungsbeweise sind mit dem deutschen Pro- zessrecht nicht vereinbar und dürfen auch nicht über den internationalen Rechtsverkehr Einzug halten . Die Hoffnung des Bundesjustizministeriums bestand darin, US-amerikanische Gerichte dazu zu bringen, das Haager Übereinkommen anzuwenden, was in der Pra- xis bislang so gut wie gar nicht der Fall ist . Dies hätte sich durch den vorgesehenen Artikel 14 jedoch in keiner Weise geändert . Selbst der US Supreme Court sieht das Haager Übereinkommen nur als fakultative Ergänzung für die Erlangung von Beweismaterial aus dem Ausland . In Deutschland ist es hingegen verbindlich . Schon diese Auffassung des höchsten amerikanischen Gerichts zeigt, wie die Anwendungspraxis in den Vereinigten Staaten aussieht . Wir empfehlen stattdessen zunächst eine entsprechen- de Evaluierung zu den Auswirkungen einer solchen mög- lichen Änderung, insbesondere unter Berücksichtigung der Erfahrungen von Frankreich, Dänemark, Finnland, den Niederlanden und Schweden . Ich freue mich, dass wir mit dem Koalitionspartner hier schnell eine Einigung erzielen und einen entsprechenden gemeinsamen Ände- rungsantrag auf den Weg bringen konnten . Damit erwei- sen wir den deutschen Unternehmen, die mittlerweile in einer beachtlichen Zahl auf dem internationalen Markt tätig sind, einen großen Dienst . Dies kann man in dieser Deutlichkeit ruhig mal betonen . Im Ausschuss haben alle Fraktionen dieses Hauses zugestimmt . Daher bitte ich auch hier um Ihre Zustim- mung zu dem Gesetzentwurf in der Fassung unseres Än- derungsantrags . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722660 (A) (C) (B) (D) Sonja Steffen (SPD): Der vorliegende Gesetzent- wurf befasst sich mit Änderungen im Bereich des inter- nationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht . Beim internationalen Privatrecht (IPR) handelt es sich um die Gesamtheit der Rechtssätze des nationalen Rechts, die festlegen, welche von mehreren möglichen internationalen Privatrechtsordnungen in einem Kollisi- onsfall angewandt werden . Das IPR regelt private Sach- verhalte also nicht unmittelbar, sondern durch Verweise, die die jeweils anzuwendende Rechtsordnung festlegen . In Deutschland finden sich die Regelungen zum IPR im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch, dem EGBGB . Das internationale Zivilverfahrensrecht widmet sich unter anderem der internationalen Zuständigkeit, der Gerichtsbarkeit und den Besonderheiten von Verfahren mit Auslandsbezug. Das IZVR ist überwiegend in der Zi- vilprozessordnung und internationalen Abkommen gere- gelt . Konkret beinhaltet der vorliegende Gesetzentwurf in den Artikeln 1, 2, 4 und 6 notwendige und unproblemati- sche Änderungen der ZPO, des Einführungsgesetzes des Gerichtsverfassungsgesetzes, des Internationalen Famili- enrechtsverfahrensgesetzes sowie Folgeänderungen . Im Bereich der ZPO werden insbesondere die Vor- schriften über die Auslandszustellung präziser gefasst und Anpassungen an geltendes EU-Recht vorgenommen . Aufgrund einer EuGH-Entscheidung wird ein spezieller Rechtsbehelf im Rahmen des Europäischen Mahnverfah- rens eingeführt. Weitere Vorschriften der ZPO wurden redaktionell an Veränderungen einer EU-Verordnung an- gepasst . Auch wurde eine Konzentrationsermächtigung für die Länder in europäischen Verfahren für geringfü- gige Forderungen geschaffen. Weiterhin soll eine Ände- rung des Internationalen Familienrechtsverfahrensgesetz die Befugnisse des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz beim automatisierten Abruf von Meldedaten erweitern . Es handelt sich also neben redak- tionellen Änderungen vor allem um Regelungen, die eine stärkere Systematisierung und Kompetenzbündelung zum Ziel haben . Artikel 5 des Gesetzentwurfs soll die gewillkürte Stellvertretung, also die reguläre rechtsgeschäftliche Stellvertretung im Sinne der §§ 164 ff. BGB, im Fall des Auslandsbezugs eines Rechtsgeschäfts regeln . Durch den neu einzuführenden Artikel 8 EGBGB soll eine Gesetzeslücke geschlossen werden . So beruhte das anwendbare Recht bis dato auf Richterrecht, was die Einzelfallanwendung unnötig verkomplizierte . Auf der Grundlage dieses Richterrechts hat der Deutsche Rat für Internationales Privatrecht einen Entwurf verfasst, der die durch Rechtsprechung und Literatur herausgearbei- teten und praktizierten, ungeschriebenen Kollisionsnor- men zur gewillkürten Stellvertretung rechtlich fixiert. Dieser liegt nun diesem Gesetzentwurf zugrunde . So enthält die Norm unterschiedliche Fallgruppen: Grundsätzlich soll die Wahl der Rechtsordnung, also die Rechtswahl, bei der Bevollmächtigung vorrangig sein . Dies entspricht dem Gedanken der Privatautonomie der Vertragsparteien. Fehlt es an einer solchen Rechtswahl, knüpft die Regelung in erster Linie an den Ort an, an dem von der Vollmacht Gebrauch gemacht wird. Ausnahms- weise kann bei der Bevollmächtigung eines Unterneh- mers oder eines Arbeitnehmers sowie der Unkenntnis des Dritten über den Gebrauchsort an den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Bevollmächtigten oder des Bevoll- mächtigenden angeknüpft werden . Der Gesetzentwurf regelt also abschließend und für jedermann ersichtlich, wann welche Rechtsordnung im Bereich der gewillkür- ten Stellvertretung mit Auslandsbezug zu gelten hat . Diskutiert wurde dabei auch ein spezielles Formerfor- dernis der Rechtswahlvereinbarung . Mit gutem Grund hat man die konkrete Formbedürftigkeit jedoch abge- lehnt . Schließlich gilt auch in diesem Rahmen die Form- vorschrift des Artikel 11 EGBGB . Ein Rechtsgeschäft ist damit immer dann formgültig, wenn es die Formerfor- dernisse des Rechts, das auf das seinen Gegenstand bil- dende Rechtsverhältnis anzuwenden ist, oder des Rechts des Staates erfüllt, in dem es vorgenommen wird . Artikel 3 des Gesetzentwurfs sieht zwei Änderun- gen des Gesetzes zur Ausführung des Haager Überein- kommens vom 15 . November 1965 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen und des Haager Übereinkommens vom 18 . März 1970 über die Beweis- aufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom 22 . Dezember 1977 (HZÜ/HBÜ) vor . Sinnvoll ist die im ersten Teil genannte Kompetenz- bündelungen bei Spezialgerichten . Schließlich verlangen diese sehr speziellen Fälle kundige und erfahrene Rich- ter . Ursprünglich befand sich in dem Gesetzentwurf auch eine Regelung für zukünftige Beweisaufnahmeersu- chen . In der Sache ging es um die sogenannte „pre-trial discovery of documents“ . Diese sollte zukünftig, unter strengen Voraussetzungen, ermöglicht werden. Bei der „pre-trial discovery of documents“ – übersetzt: vorpro- zessuale Dokumentenherausgabe – handelt es sich um die im angloamerikanischen Recht vorgesehene Mög- lichkeit, bereits vor der Verhandlung zur Sache die mög- lichen Wissensträger der Gegenseite intensiv zu befragen und Einsicht in die Dokumentenlage der Gegenseite zu nehmen . Aus deutscher Sicht wird dadurch eine unzu- lässige Ausforschung der Gegenseite ermöglicht . Eine Gesetzesnovellierung wurde vom BMJV angeregt, weil US-amerikanische Gerichte begannen, ihr Prozessrecht entgegen den Wertungen des Haager Übereinkommens extraterritorial anzuwenden . Zwar war der Gesetzentwurf des BMJV diesbezüglich sehr differenziert und hatte ein höheres Maß an Beklag- tenschutz deutscher Parteien in den USA zum Ziel . Doch haben wir uns als Beteiligte der Koalition mit dem BMJV vernünftigerweise darauf verständigt, erst einmal die Re- aktion US-amerikanischer Gerichte auf gleichgerichtete Regelungen in anderen europäischen Staaten (zum Bei- spiel in Frankreich oder den Niederlanden) abzuwarten . Schließlich kann es sich hier um datenschutzrechtlich höchst brisante Dokumente handeln. So haben die Ver- bände wiederholt zu verstehen gegeben, dass eine Ge- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22661 (A) (C) (B) (D) setzesneufassung mit erheblichen Risiken für deutsche Prozessparteien in den USA verbunden sein könnte . Hier gilt es also bedächtig vorzugehen . Der Praxistest in den anderen europäischen Ländern wird zeigen, ob es hier zukünftig einer Regelung bedarf oder nicht . In der Gesamtbetrachtung handelt es sich also um ei- nen sehr ausgewogenen Gesetzentwurf . Neben redakti- onellen Änderungen, Kompetenzbündelungen und einer stärkeren Systematisierung vorhandener Regelungen wird vor allem ein höheres Maß an Rechtsklarheit ge- schaffen. Dabei werden Gesetzeslücken geschlossen und notwendige Konkretisierungen und Anpassungen an gel- tendes EU-Recht vorgenommen . Dabei wurden viele Im- pulse aus Rechtsprechung und Rechtspraxis aufgegriffen und umgesetzt . Gerade bei der Regelung zur gewillkürten Stellvertre- tung bei Rechtsgeschäften mit Auslandsbezug wurden Forderungen aus Wissenschaft und Praxis sorgfältig um- gesetzt, was zu einem erhöhten Maß an Rechtssicherheit in derartigen Fällen führen wird . Zu loben ist vor allem die gelungene Abstimmung zwischen dem BMJV, den beteiligten Abgeordneten, den Ländern, den Verbänden und der Wissenschaft. Damit handelt es sich bei dem vorliegenden Entwurf um ei- nen richtigen und wichtigen Beitrag im internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, der auf breiter Zustim- mung beruht und von mir und der Fraktion der SPD nur zu begrüßen ist . Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Wir diskutieren heute hier abschließend über einen Gesetz- entwurf zur Änderung von Vorschriften im Bereich des internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts . Die Linke wird – das kann ich vorab schon zusichern – die- sem Gesetz ihre Zustimmung geben . Auch wenn wir im Detail durchaus Kritik haben, bedeuten die Änderungen, Präzisierungen und Ergänzungen von Vorschriften des internationalen Zivilverfahrensrechts für die Bürgerin- nen und Bürger Verbesserungen, zu ihrem guten Recht kommen zu können . Zwei Beispiele dafür: Stellen Sie sich vor, Sie verkau- fen über ein Onlineverkaufsportal eine Ware an einen In- teressenten aus Dänemark, Holland, Schweden . Sie wer- den sich über das Internet einig . Sie versenden die Ware, erhalten aber kein Geld . Auf Ihre mahnenden E-Mails gibt es keine Antwort . Sie müssen sich an ein Gericht wenden, um Ihr Geld einzuklagen . Dies war bisher ein umständliches und für viele Ver- braucherinnen und Verbraucher schwer nachvollzieh- bares Verfahren. Oft musste man zum Landgericht ge- hen – für viele mit weiten Wegen verbunden . Ein Richter konnte entscheiden, dass er nicht zuständig ist, sondern ein anderer Richter – eine sogenannte gewillkürte Stell- vertretung . Dies wird jetzt geändert und für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbarer gestaltet, indem Gerichte be- reits auf der Ebene von Amtsgerichten – also in meinem Wahlkreis wäre das zum Beispiel in Oranienburg mög- lich – zu zuständigen Gerichten erklärt werden . Durch die Möglichkeit, ein Amtsgericht mehrerer Amtsge- richtsbezirke zum zuständigen Gericht zu erklären, hat dieses die Möglichkeit, sich auf das jeweilige Rechtsge- biet zu spezialisieren und damit wirkungsvoll, schneller und effizienter im Sinne von Verbraucherinnen und Ver- brauchern Recht zu sprechen . Zweites Beispiel: Ein Paar – sie Deutsche, er US-Ame- rikaner – haben ein gemeinsames Kind . Sie sind aber nicht verheiratet. Es kommt zu Konflikten, sie wollen das Kind aber nicht darunter leiden lassen und einigen sich auf Umgangsmöglichkeiten für die einzelnen Elterntei- le. Plötzlich fällt dem Vater ein: Ich fahre mit dem Kind in die Staaten und bleibe dort dauerhaft; soll doch die Mutter sehen, wie sie künftig zu ihrem Umgangsrecht kommt . Die USA sind ein weites Land und haben Regionen, die hin und wieder auch mal ohne Internet sind . Der ge- wöhnliche Aufenthaltsort des Kindes kann sich verlau- fen . Die Mutter wartet und wartet, sie schreibt eine E-Mail nach der anderen – keine Reaktion von ihrem ehemaligen Lebensgefährten . Ihr bleibt nur der Rechtsweg . Bisher ein sehr kompliziertes Verfahren, zu dem sie in die Staa- ten fahren musste, dort einen Anwalt nehmen, Überset- zungsleistungen beibringen usw . Jetzt wird das Internationale Familienrechtsverfah- rensgesetz so geändert, dass die zentrale Behörde im automatisierten Abrufverfahren Daten abrufen kann, wie zum Beispiel derzeitige Staatsangehörigkeiten, frühere Anschriften, gekennzeichnet nach Haupt- und Neben- wohnungen, sowie das Einzugs- und Auszugsdatum . Dadurch könnte die Mutter von Deutschland aus und deutlich schneller und unkomplizierter als bisher an In- formationen über den gewöhnlichen Aufenthaltsort ihres Kindes herankommen . Ich weiß, dies ändert alles noch gar nichts an einer ganzen Reihe von Rechtsproblemen, mit denen Bürge- rinnen und Bürger ebenfalls konfrontiert sein können . Und die Regelungen betreffen, wie gesagt, nur den Be- reich des internationalen Privat- und Zivilrechts . Aber es sind Schritte in die richtige Richtung . Außerdem werden Lücken im internationalen Privatrecht geschlossen . Auch im internationalen Zivilverfahrensrecht gab es in mehr- facher Hinsicht Klarstellungs- und Änderungsbedarf, einschließlich der Rechtshilfe und des internationalen Familienverfahrensrechts . Darüber hinaus hat die jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu Rechtsunsicher- heiten für die Rechtspraxis geführt . Der bestehende Rechtshilfeverkehr mit den USA ist um weitere Möglich- keiten ergänzt worden . All dies ist im Sinne der Bürge- rinnen und Bürger und wird von der Linken unterstützt . Allerdings können wir der Bundesregierung eine wichtige Kritik nicht ersparen: Im ursprünglichen Ge- setzentwurf haben Sie ohne Not das im deutschen Zi- vilverfahrensrecht geltende Ausforschungsverbot im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr, insbesondere im Verhältnis zu den USA, aufgegeben, ohne dass dem greifbare Vorteile gegenübergestanden hätten. Es be- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722662 (A) (C) (B) (D) durfte erst wieder erheblichen Protestes aus der Zivil- gesellschaft und eines Änderungsantrages im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens, um diese Absicht zu vereiteln . Dies ermöglicht uns die Zustimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf in geänderter Fassung . Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem Gesetzentwurf, den wir heute hier beraten, sollen einige Vorschriften im Bereich des internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts geändert oder klargestellt werden . Es ist ein kleiner Rundumschlag, der Regelungen in der Zivilprozessordnung, den Einführungsgesetzen zum BGB, dem Gerichtsverfassungsgesetz und dem Famili- enrechtsverfahrensgesetz betrifft. Das Vorhaben greift verschiedene Entwicklungen aus Rechtsprechung und Praxis auf und ist im Interesse der Rechtsklarheit zu be- grüßen . In der ZPO werden insbesondere die Vorschriften über die Auslandszustellung präzisiert . Bei geringfügigen For- derungen wird für europäische Verfahren eine Zuständig- keitskonzentration ermöglicht . Im Europäischen Mahn- verfahren soll bei Nichtzustellung des Europäischen Zahlungsbefehls ein Rechtsbehelf eingeführt werden . Ins Kollisionsrecht des EGBGB wird eine Regelung zum anwendbaren Recht bei Stellvertretung aufgenom- men. So wird der Rechtswahl des Vollmachtgebers Vor- rang eingeräumt und Regelungen für Fälle getroffen, wenn keine Rechtswahl erfolgt ist . Dies entspricht den bisher in der Praxis angewandten Kriterien . Im Internationalen Familienrechtsverfahrensgesetz werden die Möglichkeiten zum Abrufen von Meldedaten durch das Bundesamt für Justiz erweitert . Das Bundes- amt für Justiz ist zum Beispiel zuständig für die Rück- führung von entführten Kindern . Die im automatisierten Verfahren abrufbaren Daten sollen zur Ermittlung des Aufenthaltes eines Kindes um Staatsangehörigkeit und frühere Anschriften ergänzt werden . Im parlamentarischen Verfahren ist glücklicherweise die rechtspolitisch fragwürdige Erweiterung der Rechts- hilfemöglichkeiten nach dem Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Han- delssachen entfallen, die ursprünglich im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehen war . In Deutschland gilt zwar auch bisher schon dieses Haager Übereinkommen, doch die Bundesrepublik Deutschland hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, einen Vorbehalt gegen die Vorgaben zur Dokumentenhe- rausgabe einzulegen . Rechtshilfeersuchen, die das im Common Law verbreitete „pre-trial discovery“-Verfah- ren zum Gegenstand haben, werden entsprechend dem Vorbehalt nicht erledigt. Ursprünglich war von der Bundesregierung vorge- sehen, dass auf Rechtshilfeersuchen beispielsweise aus den USA unter bestimmten Voraussetzungen Dokumente herausgegeben werden sollten, wenn die Beweisaufnah- me im „pre-trial discovery“-Verfahren stattfindet, also in einem bei uns nicht vorhandenen Beweisermittlungsver- fahren zwischen Klageerhebung und Hauptverhandlung . Das steht im Gegensatz zur Grundmaxime des deut- schen Zivilprozessrechts, wonach – als Ausprägung des Beibringungsgrundsatzes – die Ausforschung der Gegen- seite unzulässig ist . Dieser Grundsatz sollte nicht ohne Not durchbrochen werden . Zugegebenermaßen ist auch die aktuelle Rechtsla- ge etwas unbefriedigend . Nachdem deutsche Gerichte Rechtshilfeersuchen aus den USA, die auf Dokumenten- herausgabe im Rahmen der „pre-trial discovery“ gerich- tet waren, abgelehnt hatten, begannen US-Gerichte, ihr eigenes Zivilverfahrensrecht extraterritorial anzuwen- den. Wird die Vorlage von Dokumenten unter Berufung auf das deutsche Recht verweigert, drohen der deutschen Partei im US-Verfahren prozessuale Nachteile. Der vom Vorbehalt zum Haager Übereinkommen intendierte Schutz der deutschen Prozesspartei läuft dann leer . Dass aber eine – mit rechtlichen Hürden versehene – Anwendung der Regelung des Haager Übereinkommens über die Dokumentenherausgabe zum Ziel führen wür- de, ist zweifelhaft . Denn auch wenn der Weg der grenz- überschreitenden Beweisaufnahme „pre-trial“ über das Ausführungsgesetz zum Haager Übereinkommen er- öffnet wäre, würde dies nur einen zusätzlichen Weg für die US-Gerichte bedeuten, nicht den bisher gegangen Weg – die Anwendung des eigenen Verfahrensrechts – ausschließen . Im Ergebnis wäre also nichts gewonnen, wenn die USA weiterhin auf die Anwendung ihres eige- nen, weitergehenden Rechtes setzen würde . Und wenn die Erreichung des Ziels eines Gesetzes so unsicher ist, sollten wir dafür keine nationalen prozessrechtlichen Grundsätze über Bord werfen . Die Bundesregierung tut also gut daran, wenn sie zu- nächst die Auswirkungen auf die US-Praxis in anderen Vertragsstaaten des Haager Übereinkommens untersucht, die bereits das Verfahren der Dokumentenherausgabe über das Übereinkommen zulassen . Nur wenn dort posi- tive Erfahrungen festgestellt werden, lohnt es sich über- haupt, hier über eine begrenzte Öffnung des deutschen Verfahrensrechts zu diskutieren, um die aktuelle US-Pra- xis abzuwehren . Gesetzesänderungen müssen auf einer ausreichenden Faktenanalyse basieren . Diesen Grundsatz hat die Ko- alition hier letztlich beherzigt – die ursprünglich vom Bundesjustizministerium vorgesehene Fassung des Re- gierungsentwurfes wurde entsprechend geändert . Ich wünschte nur, die Koalition würde auch bei ande- ren Bereichen die Faktenlage auswerten, bevor sie Geset- ze ändert oder beschließt . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Än- derung des Weingesetzes (Tagesordnungspunkt 21) Kordula Kovac (CDU/CSU): Manchen von Ihnen mag es aufgefallen sein: Bei den verschiedenen Festak- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22663 (A) (C) (B) (D) ten anlässlich der Bundesversammlung wurde überwie- gend deutscher Wein serviert . Zu meiner großen Freude sogar auch Wein aus meiner Heimat Südbaden . Das war nicht immer so und ist letztendlich auch ein Verdienst der Arbeit des Parlamentarischen Weinforums . Dieses wurde nämlich im Jahr 2003 auf überparteiliche Initiative hin gegründet in dem Bestreben, dass bei Veranstaltungen des Deutschen Bundestages auch deutscher Wein bzw . deutscher Winzersekt ausgeschenkt wird . Kann natürlich sein, dass das jetzt dem ein oder an- deren der „Mulitkulti-Fraktion“ gegen den Strich geht, aber: Deutscher Wein braucht schließlich den Vergleich zur ausländischen Konkurrenz nicht zu scheuen . Damit dies auch in Zukunft so bleibt, muss die Politik hin und wieder die Rahmenbedingungen der Weinbranche in Deutschland überprüfen und gegebenenfalls anpassen . Genau dies tun wir mit dem vorliegenden Gesetz . Zwar mag der Titel des Gesetzes etwas schwerfällig über die Lippen kommen, die konkreten Beschlüsse sind aber vor allem durch Vereinfachung von Verwaltung und Verfahren und dem Vorbeugen von möglichen Marktstö- rungen geprägt . Erlauben Sie mir, die wichtigsten Punkte zusammenzufassen: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Bun- desländer ermächtigt, durch Rechtsverordnungen sowohl Schutzgemeinschaften zur Verwaltung der Lastenhefte als auch Branchenverbände auf ihrem Hoheitsgebiet zu erlauben . Durch die nun erlaubte Einführung von Schutzge- meinschaften vereinfachen wir die Verwaltung von her- kunftsgeschützten Weinen, da hierdurch die Anträge zur Änderung der Produktspezifikationen einer geschützten Ursprungsbezeichnung oder einer geschützten geogra- fischen Angabe nicht mehr einzeln durch die Erzeuger, sondern durch die jeweilige Schutzgemeinschaft vorbe- reitet und gestellt werden kann . Die genaue Ausgestal- tung der Struktur der Schutzgemeinschaften soll durch eine Rechtsverordnung der Bundesländer geregelt wer- den . Gleichzeitig gewährleisten wir aber bundeseinheitlich eine hinreichende Repräsentativität für das entsprechen- de Gebiet, indem die Schutzgemeinschaft nur anerkannt werden kann, wenn sie durch mindestens zwei Drittel der Erzeuger des jeweiligen Anbaugebiets vertreten ist und auf sie zusätzlich zwei Drittel der Weinerzeugung ent- fallen . Durch das Aufheben des bisherigen Verbots der Bran- chenverbände im Weinbau entsprechen wir dem Wunsch der Bundesländer, ihren spezifischen regionalen Beson- derheiten Rechnung tragen zu können . Mit der dement- sprechend notwendigen Änderung des Agrarmarktstruk- turgesetzes ermöglichen wir erstmals, dass durch die vielzähligen Fördermöglichkeiten und Funktionen von Branchenverbänden Synergien zwischen Weinbauver- bänden, Gebietsweinwerbung und Schutzverbänden er- möglicht werden . Zukünftige Marktstörungen verhindern wir durch eine Länderermächtigung zur Festsetzung eines Hektar- höchstbetrages von bis zu 200 Hektoliter/Hektar für Wei- ne ohne Herkunftsbezeichnung, insbesondere für Flächen außerhalb der Anbau- und Landweingebiete . Außerdem schreibt das Gesetz bundeseinheitlich 200 Hektoliter/ Hektar vor, sollten die Länder nicht durch eine eigene Rechtsverordnung aktiv werden . Einem zukünftigen Überangebot kommen wir zu- vor, indem die Begrenzung von Neuanpflanzungen auf 0,3 Prozent der bepflanzten Gesamtfläche auf drei weite- re Jahre bis 2020 ausgeweitet wird . Durch die Kombination dieser beiden Anbauhöchst- grenzen vermeiden wir einen bundesweiten Flickentep- pich und verhindern, dass der Weinsektor durch eine Mehrmenge von bis zu 9 Millionen Liter Wein pro Jahr belastet wird . Eine solche Menge würde bei einer Neube- pflanzung von 1 Prozent der Rebflächen in Deutschland, wie sie die EU erlaubt, zusätzlich auf den Weinmarkt drängen, wenn wir auf nationaler Ebene die 0,3 Pro- zent-Begrenzung nicht fortsetzten . Durch die Einbeziehung der Stadtstaaten in den Vor- wegabzug, also die Erlaubnis der 5-Hektar-Neubepflan- zung, entsprechen wir den Interessen dieser Bundeslän- der, ohne dass der Markt hierdurch signifikant gestört wird . Last, but not least: Mit der Anhebung der Bagatell- grenze von 5 auf 10 Ar reduzieren wir nicht nur die Zahl der abgabepflichtigen Betriebe, sondern verringern auch den Verwaltungsaufwand. Die finanziellen Einbußen die- ser Maßnahme entsprechen gerade mal 1,34 Prozent und können dementsprechend vernachlässigt werden . Kurzum vereinfacht dieses Gesetz somit, um es noch einmal zu wiederholen, die Verwaltung und beugt Markt- störungen vor . Auf rund 100 000 Hektar Rebfläche werden in Deutschland durchschnittlich 9,5 Millionen Hektoli- ter Wein pro Jahr erzeugt . Insgesamt konsumieren die Deutschen im Jahr rund 20 Millionen Hektoliter Wein . 13 Millionen Hektoliter davon sind allerdings auslän- dische Erzeugnisse . Deutschland ist damit der größte Weinimporteur der Welt . Helfen Sie mit, dass deutsche Winzerinnen und Winzer auch auf dem einheimischen Weinmarkt konkurrenzfähig bleiben und stimmen Sie diesem Gesetz zu . Marlene Mortler (CDU/CSU): Die Krise in der Milchwirtschaft hat es uns im letzten Jahr schmerzlich vor Augen geführt: Wenn wir den Branchen in der Land- wirtschaft keine Eigenverantwortung zugestehen, kön- nen sie nicht angemessen auf Marktschwankungen und -krisen reagieren . Was die Milchbranche angeht, hat der Deutsche Bun- destag bereits 2016 eine gangbare Lösung gefunden: Seitdem können sich unter anderem Branchenverbän- de freiwillig zusammentun, um zeitlich befristet die Rohmilchproduktion zu regulieren . Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf eröffnen wir nun den Ländern die Möglichkeit, der Weinbranche ähnliche gestalterische Freiheiten zu übertragen . Wir wollen sie – genauso wie die gesamte Landwirtschaft – fit für den Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722664 (A) (C) (B) (D) internationalen Wettbewerb und damit für die Zukunft machen . Der Weinsektor ist, wie kaum eine andere Branche in der Landwirtschaft, aufs Engste mit seinen Anbau- regionen verwoben . Diesen besonderen Gegebenheiten müssen wir Rechnung tragen . Die Länder sollen daher künftig selbst für ihr Territorium entscheiden können, ob sie Branchenverbände anerkennen . Dies soll durch eine Bundesverordnung ganz oder teilweise an die Landesre- gierungen delegiert werden . Für Weine, die ohne Herkunftsbezeichnung vermark- tet werden, können zudem Hektarhöchsterträge festge- legt werden . Damit wirken wir Marktverzerrungen ent- gegen . Bereits jetzt ist in der Novelle des Weingesetzes vor- gesehen, in den Jahren 2018 und 2019 die Neuanpflan- zungen auf 0,3 Prozent der Gesamtrebfläche zu begren- zen . Damit erreichen wir mehr Preisstabilität . Vor allem in der Neuregelung für den Zusammen- schluss von Branchenverbänden sehe ich große Vorteile, auch für uns in Bayern: Über reine Marktanpassungs- strategien hinaus sind es in erster Linie Synergieeffekte, die Branchenverbände attraktiv machen. Der Verwal- tungsaufwand, um beispielweise EU-Förderungen zu beantragen, kann geteilt und damit für einzelne Betriebe verringert werden . Gemeinsame Absatz- und Marke- tingstrategien ermöglichen eine optimale Ausrichtung auf den Markt . Angebote können gebündelt und gemein- same Werbemaßnahmen auf den Weg gebracht werden . Jede Branche hat darüber hinaus ihre berechtigten Interessen, die sie gegenüber Wirtschaft, Gesellschaft und Politik vertreten möchte und muss . Wer mit einer Stimme für alle oder zumindest viele spricht, kann seine Anliegen natürlich wesentlich besser durchsetzen als ein Einzelkämpfer . Das zeigt ein Blick in die romanischen Weinbauländer: Die Champagne und Südtirol sind er- folgreiche Beispiele für die Einrichtung von Branchen- verbänden . Unsere Landwirte bewegen sich heute in globalisier- ten Märkten . Dadurch sind einerseits Handelshemmnis- se weggefallen und Absatzmärkte dazugekommen . An- dererseits müssen sich unsere Bäuerinnen und Bauern sowie auch alle anderen international tätigen Branchen einer wesentlich breiteren Konkurrenz stellen als früher . Derzeit haben wir in Deutschland einen Anteil von ausländischen Weinen von rund 56 Prozent . Wir sind weltweit Weinimportland Nummer eins . Das zeigt, welch große Vielfalt auf dem deutschen Markt herrscht. Gleichzeitig ist der Weinexport gesunken . Unsere eige- nen Weinerzeugnisse stehen unter einem erheblichen Marktdruck . Schlimmer noch: Es herrscht ein regelrech- ter Verdrängungswettbewerb. Zwei Drittel aller Weine im Lebensmitteleinzelhandel und Discount werden für 1,99 Euro verkauft – ein Preis, zu dem in Deutschland schwer qualitätsbewusster Weinbau betrieben werden kann . Branchenverbände können hierfür die ideale Antwort sein. Sie schärfen und profilieren eine Herkunft als Mar- ke . Und sie bieten die Möglichkeit, sich von der inter- nationalen Konkurrenz abzuheben . Unserem Ziel, auf Klasse anstatt auf Masse zu setzen, kommen wir dadurch einen guten Schritt näher . Wir wissen dank vieler praktischer Erkenntnisse, dass Kooperationen innerhalb einer Branche oder sogar von mehreren Branchen gerade in der Landwirtschaft erfolg- versprechend sind . Zum Beispiel ist es auch Zuckerrü- benbauern möglich, dass sie sich zusammenschließen, um Preisverhandlungen mit der Industrie zu führen . Um der schwierigen Marktlage und dem unaufhalt- samen Strukturwandel zu trotzen, schaffen sich unsere Bäuerinnen und Bauern immer häufiger mehrere Stand- beine . Sie wandeln damit oft zwischen den „Branchen- welten“ . Nehmen Sie nur das Konzept „Ferien auf dem Bauernhof“ . Es vereint die Landwirtschaft mit der Tou- rismuswirtschaft . Mit einem schönen Beispiel aus meiner Heimat möch- te ich aufzeigen, dass und wie solche integrativen Stra- tegien zu einer Erfolgsgeschichte werden können: In Franken reden wir seit zehn Jahren nicht mehr überei- nander, sondern miteinander . Hier verbindet sich edler Genuss mit dem Tourismus . Dies wird im ganzheitlichen Weintourismuskonzept „Franken – Wein .Schöner .Land“ vereint und verdeutlicht . Die Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau, die Tourismusverbände in Franken und die Gebietsweinwerbung Franken haben sich zusammengeschlossen und mit Zertifizierungskrite- rien Maßstäbe für Exzellenz und Genuss gesetzt . Wir Bayern, insbesondere wir Franken, wollen end- lich die offensichtlichen Vorteile von Branchenverbän- den nutzen und wettbewerbsbedingte Risiken für den einzelnen Betrieb reduzieren . Mit der Neuregelung des Weingesetzes legen wir die Grundlage für alle Beteiligten, damit sie zielgerichtet und vor allem effizient zusammenarbeiten können. Wir institutionalisieren ihre Kooperation und heben so bereits existierende Zusammenschlüsse im Weinsektor auf eine neue Ebene . Wein gehört zu unserer Kultur und ist identitätsstif- tend für Regionen wie mein Frankenland . Als Drogenbe- auftragte der Bundesregierung ist mir in diesem Zusam- menhang besonders wichtig: Ein Genuss ist Wein nur, wenn er in Maßen getrunken wird . – Es würde dem edlen Getränk und der Arbeit unserer Winzerinnen und Winzer nicht gerecht werden, wenn er achtlos und in ungesun- den Mengen missbräuchlich konsumiert wird . Und in der Schwangerschaft und Stillzeit, aber auch am Lenkrad und am Arbeitsplatz müssen grundsätzlich 0,0 Promille gelten . Ich werbe für einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol insgesamt und für die Wertschätzung derje- nigen, die unseren hervorragenden Wein in harter Hand- arbeit produzieren . Gustav Herzog (SPD): Passend zum Ende der Pro- Wein in Düsseldorf beraten wir heute abschließend die zehnte Änderung des Weingesetzes . Im Sommer 2015 haben wir die neunte Änderung beschlossen und schon damals war absehbar, dass wir 2017 die zehnte und vo- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22665 (A) (C) (B) (D) raussichtlich schon im kommenden Jahr die nächste Ge- setzesänderung haben werden . Gleich nach der Bundes- tagswahl im September werden wir uns also an die Arbeit für eine größere Reform machen . Ich bin in diesen Tagen ganz zuversichtlich, dass ich dann auch wieder in Regie- rungsverantwortung mit dabei sein werde . In gewohnter Manier konnten wir uns als Berichter- statter im Parlamentarischen Weinforum auf die wesent- lichen Dinge informell einigen . Ich bin immer wieder dankbar für dieses überfraktionelle Gremium, in dem wir uns seit mehreren Wahlperioden nicht nur im Vorfeld auf eine Gesetzesänderung verständigen können . An dieser Stelle meinen herzlichen Dank an die Kollegin und die Kollegen für die gute Zusammenarbeit in dieser Wahl- periode . Verständigt hatten wir uns zunächst einvernehmlich auf drei Punkte. Die Verlängerung des 0,3-Prozent-Zu- wachses bei den Neuanpflanzungen bis 2018, eine Aus- weitung der Höchstertragsregelung auf alle Anbauflächen und die Einrichtung einer institutionellen Organisation zur Betreuung der Lastenhefte für herkunftsgeschützte Weine, also Weine mit geschützter Ursprungsbezeich- nung und mit geografisch geschützten Angaben. Der Bundesrat hat darüber hinaus weitere Vorschläge gemacht, welche die Bundesregierung in ihrer Gegenäu- ßerung aufgegriffen hat. Nach intensiven, zum Teil kont- roversen Beratungen wollen wir diese nun mit umsetzen . Doch wie so oft gilt auch hier das Struck’sche Gesetz: Nichts verlässt das Parlament, wie es hineingekommen ist . – Daher freue ich mich auf die Zustimmung der Op- position zu dem Änderungsantrag der Koalition, der die Vorschläge von Bundesrat und Bundesregierung in mo- difizierter Form umsetzt. Dazu gehört die Ausweitung der 0,3-Prozent-Regel bis 2020, um mehr Rechtssicherheit für alle Beteiligten und mehr Ruhe bei der Antragstellung herzustellen . Weiterhin wollen bestimmte Anbaugebiete Branchen- verbände für den Wein einrichten . Wir ändern also auch das Marktstrukturgesetz und ermächtigen die Bundesre- gierung, den Landesregierungen zu erlauben, solche Ver- bände auch für die Weinbranche einzurichten . Als dritter Zusatzpunkt wird die Beitragserhebung für die Weinwerbung vereinfacht . Zum einen heben wir die Bagatellregelung von 5 auf 10 Ar an . Das bedeu- tet, dass gut 300 Hektar Klein- und Kleinstflächen aus der Beitragserhebung herausfallen . Dadurch entstehen dem Weinfonds Einnahmeverluste in Höhe von etwa 22 000 Euro . Gleichzeitig schränken wir die Beitrags- pflicht dahin gehend ein, dass nur bestockte Rebflächen erhoben werden . Das wiederum bedeutet Beitragsverlus- te für den Weinfonds in Höhe von etwa 125 000 Euro . In der Summe gehen also der Weinwerbung rund 150 000 Euro im Jahr verloren . Dieses spezielle Thema werden wir aber im Rahmen des elften Änderungsgeset- zes erneut aufgreifen und intensiv beraten müssen . Besonderen Beratungsbedarf benötigte die Frage nach der inneren Organisation der sogenannten Schutzge- meinschaften zur Verwaltung der Lastenhefte herkunfts- geschützter Weine . Wir sehen die unterschiedlichen Er- wartungshaltungen an dieser Regelung bei den Ländern, den Verbänden und den einzelnen Erzeugern bzw. Kelle- reien . Den meiner Meinung gut abgewogenen Kompro- miss werden wir in der gelebten Praxis genau beobachten und gegebenenfalls nachschärfen müssen . Die Gelegenheit dazu liegt, wie bereits erwähnt, mit dem elften Änderungsgesetz in greifbarer Nähe . Hierzu wird für die SPD-Bundestagsfraktion auch gehören, den Anteil der deutschen Weinwerbung an dem Stützungs- programm spürbar anzuheben, um damit insbesondere das Auslandsmarketing zu verstärken . Mit dieser Gesetzesänderung setzen wir den Weg ei- ner sehr praxisorientierten, behutsamen Weinbaupolitik fort . Die SPD-Fraktion wird daher gerne zustimmen . Roland Claus (DIE LINKE): Es gibt nicht viele poli- tische Sachverhalte hier im Hohen Hause, bei denen man sich so gut überfraktionell einigen kann wie beim Wein . Aus diesem Grunde wird die Fraktion Die Linke auch in diesem Jahr der Weingesetz-Novelle zustimmen . Als Vertreter der beiden ostdeutschen Weinbauregio- nen Saale/Unstrut in Sachsen-Anhalt und Thüringen und Meißen an der Elbe in Sachsen habe ich mich zunächst – das will ich hier nicht verhehlen – nach wie vor für eine Zuwachsmöglichkeit von 0,5 Prozent (gleich 500 Hek- tar) der Rebflächen eingesetzt. Nun ist es wieder bei den 0,3 Prozent geblieben . Entsprechend der Festlegung für die Jahre 2016 und 2017 sollen nun auch für die Jah- re 2018 und 2019 Neuanpflanzungen auf 0,3 Prozent der deutschen Rebflächen begrenzt werden. Die Anpassun- gen korrigieren redaktionelle Unsauberkeiten und aktua- lisieren die Quote, um den Preis für vor allem herkunfts- geschützte Weine zu stabilisieren . Gerade für uns Linke ist es spannend, wie die Bundesregierung beim Weinbau wacker verteidigt, was sie bei der Milch zum Leid der Er- zeugerinnen und Erzeuger aufgab: Eine staatliche Men- genregulierung zur Sicherung der regionalen Produktion und der Preisstabilität . Auch wenn wir die Schizophrenie nicht nachvollziehen können, teilen wir dennoch das Vor- haben dieses Gesetzentwurfs . Positiv daran zu bewerten ist, dass damit versucht werden soll, den Weinmarkt weiterhin dauerhaft zu sta- bilisieren . Des Weiteren wird somit auch der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie entsprochen – welches ebenso vom Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwick- lung des Deutschen Bundestages getragen wird . In Bezug auf die Festlegungen der Schutzgemein- schaften hoffen wir als Fraktion Die Linke, dass unserem Ansinnen nach Abbau von Bürokratie Rechnung getra- gen wird und nicht diesen unseren Forderungen zuwider- gelaufen wird . Nichtsdestotrotz freue ich mich, auch in meiner Funk- tion als Mitglied des Parlamentarischen Weinforums, dass wir auch in diesem Jahr wieder so lange verhandelt haben, bis ein einvernehmlicher Kompromiss zustande gekommen ist . Dafür möchte ich mich bei der Mit-Be- richterstatterin und den Mit-Berichterstattern wie auch bei den Mitgliedern im Parlamentarischen Weinforum herzlich bedanken . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722666 (A) (C) (B) (D) Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Weinbau ist für zahlreiche ländliche Regionen ein bedeu- tender Wirtschaftszweig . Er stärkt die regionale Wert- schöpfung und schafft Arbeitsplätze auf dem Land. So sind rund 17 000 Menschen insgesamt im Weinbau be- schäftigt, viele davon in Winzerfamilien-Betrieben . Wir sehen in den letzten Jahrzehnten gute Entwick- lungen, die dafür gesorgt haben oder dazu beitragen, dass unsere Winzerinnen und Winzer Preise erzielen, von de- nen sie auch leben können . Zum einen haben wir eine Qualitätsoffensive erlebt: Junge Winzerinnen und Winzer konzentrieren sich auf die Produktion von Qualitätswein und nehmen dafür we- niger Ertrag in Kauf; sie bauen weniger Wein besser aus, und nehmen ihre Standorte und Sorten ernst . Deutscher Wein wird deshalb inzwischen weltweit geschätzt – und erzielt entsprechend gute Preise . Zur Qualitätsoffensive zählt auch der boomende Ökoweinbau: Auch hier machen sich immer mehr Win- zerinnen und Winzer auf den Weg, konsequent ökolo- gisch und qualitätsorientiert zu wirtschaften . Und der Weinbau wird zunehmend zu einem bedeu- tenden Tourismusfaktor: Seit Jahren erfreut sich der Weintourismus wachsender Beliebtheit . Besucherinnen und Besucher schätzen die Kulturlandschaften mit ihren Weinbergen, Terrassen und Trockenmauern und genie- ßen die besondere Lebensqualität, die wir mit Wein ver- binden und die die Regionen seit Hunderten von Jahren prägen . Und auch das ist mit dem Qualitätsweinbau verbun- den: Die Steillagen und alten Wingerte lassen sich eben nicht mit Massenertrag erhalten, sondern erfordern – al- lein schon aufgrund ihrer Lage und geringen Größen – eine Fokussierung auf Qualität, die dann auch die ent- sprechend damit verbundene, oft noch manuelle Arbeit entlohnen kann . Die Qualität des Weins und seine Einbettung ist also der entscheidende Faktor für die regionale Wertschöp- fung . Unsere Aufgabe in der Politik ist es, die Rahmenbe- dingungen so zu setzen, dass der Weinbau auch weiterhin diese wichtigen Aufgaben in den Regionen erfüllen kann . Für uns gilt also der einfache Grundsatz: Klasse statt Masse . So können wir dazu beitragen, die Weinpreise stabil zu halten und unseren Winzerinnen und Winzern den Rücken zu stärken . Mit der heute vorliegenden zehnten Änderung des deutschen Weingesetzes gehen wir diesen Schritt ent- schlossen weiter . Denn auch für Landwein wird ein bun- deseinheitlicher Hektarhöchstertrag festgesetzt, sodass nicht mehr beliebig viel Wein auf einer bestimmten Flä- che produziert werden kann . Das ist ein wichtiger Schritt Richtung stabiler Weinpreise . Vor knapp zwei Jahren hat sich der Bundestag mit der Frage beschäftigt, wie wir mit dem Auslaufen des euro- paweiten Anbaustopps für Reben umgehen sollen . Hät- ten wir nicht eine bundeseinheitliche strengere Regelung gefunden, hätte die Rebfläche jährlich um 1 Prozent aus- geweitet werden dürfen. Nach längeren Verhandlungen hier im Bundestag und mit den weinbauenden Ländern haben wir einen guten Mittelweg gefunden: der Ein- schränkung der Neubepflanzungen auf 0,3 Prozent im Qualitätsweinbau . Heute steht die Fortschreibung dieser Einschränkung zur Abstimmung. Vor dem Hintergrund der niedrigen Fassweinpreise an einem sensiblen Markt ist es wichtig, dass wir hier eine Regelung treffen, die für unsere Win- zerbetriebe Klarheit und Planbarkeit bedeutet . Mit der Fortschreibung bis einschließlich 2020 schaffen wir das auch über den Wahlperiodenwechsel hinaus. Das findet unsere ausdrückliche Zustimmung . Wir müssen auch ein besonderes Augenmerk auf den Strukturwandel der Winzerbetriebe legen . Um die Vielfalt der Betriebe und ihrer Produkte zu erhalten und auch jungen Menschen eine Perspektive im Wein- bau zu geben, gilt es, kleinere Betriebe nicht zusätzlich zu belasten . Das bedeutet auch: weniger bürokratische Anforderungen für diejenigen, die den guten Wein an- bauen und produzieren . Die in der vorliegenden zehnten Änderung des Weingesetzes vorgesehene Anhebung der Bagatellgrenze für die abgabepflichtigen Betriebe stärkt kleinen Betrieben und Betrieben im Nebenerwerb den Rücken . Und das ist gut so . Wichtig ist jetzt ein starkes gemeinsames Signal in diese Richtung aus dem Bundestag . So erhalten wir un- seren Grundsatz „Klasse statt Masse“ unsere Kulturland- schaften und wirtschaftlichen Potenziale in ländlichen Regionen . Wir stimmen dem Gesetzentwurf zur Ände- rung des Weingesetzes deshalb zu . Über die heute beschlossenen Regelungen hinaus müssen wir aber auch an anderen Stellen dafür sorgen, dass unsere Weinbaubetriebe unter guten Rahmenbedin- gungen wirtschaften können . Insbesondere der Steillagen- und Terrassenweinbau prägt vielerorts in Deutschland die Kulturlandschaften und trägt wesentlich zur Schönheit der Regionen bei . Zwar bringen diese Lagen herausragende Weine hervor, aber der vielfache Bearbeitungsaufwand gegenüber fla- chen Lagen stellt den Fortbestand von Steillagen und Weinterrassen betriebswirtschaftlich trotz guter Preise zunehmend infrage . Oft wirtschaften auf den schwierigen Lagen auch Ne- benerwerbs- und Hobbywinzer, die zwar nicht auf hohe Erträge angewiesen sind . Aber es ist auch darauf zu ach- ten, dass noch ausreichend Haupterwerbsbetriebe vor Ort sind, die die nötigen Maschinen haben, um Lohnarbeiten in den Weinbergen auszuführen . Daher ist es von zen- traler Bedeutung, dass die Haupterwerbsbetriebe wirk- sam unterstützt werden und nötige Investitionen tätigen können . In den Ländern wurden dazu gute Programme eingerichtet, sowohl, was die Förderung der Steillagen- bewirtschaftung betrifft, wie auch die Schaffung von In- vestitionshilfen . Für die Erhaltung des Kulturerbes Weinbau braucht es aber auch weitere Ideen, die in die ländlichen Regionen eingebunden sind – und die nur finanziert werden kön- nen, wenn wir die Förderung für den ländlichen Raum und für Regionalmarketing und Zusammenarbeit in der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22667 (A) (C) (B) (D) Wertschöpfungskette von Anbau bis Tourismus und Gas- tronomie weiter stärken . Für die ökologisch wirtschaftenden Betriebe, die derzeit 8 Prozent der Anbaufläche ausmachen, und all diejenigen, die sich für eine Umstellung interessieren und die jahrelange Umstellung mit Mehraufwand ohne Mehrpreis auf sich nehmen wollen, braucht es planba- re Bewirtschaftungsbedingungen . Dazu zählt zuvörderst eine stabile EU-Rechtsgrundlage . Die Betriebe müssen sich darauf verlassen können, dass die Bundesregierung keiner Revision der Öko-Verordnung zustimmt, die den ökologischen Weinbau unmöglich macht . Und die Betriebe, die sich seit Jahren auf den Weg ge- macht haben, und mit sehr viel weniger oder keinem Ein- satz von Kupfer mehr arbeiten wollen, brauchen für den Übergangszeitraum, bis andere Methoden zur Verfügung stehen, die Rechtssicherheit, weiterhin Kaliumphospho- nat einsetzen zu können, ohne dass sie danach wieder in die Umstellung gehen müssen, und nicht eine chaotische Situation ohne Rechtssicherheit wie im letzten Jahr, das aufgrund der nassen Witterung fatal für den Ökoweinbau war . Da hat sich auf Kosten der Ökowinzer gerächt, dass Minister Schmidt die Forschung in alternativen Pflanzen- schutz sträflich vernachlässigt hat. Um den ökologischen Weinbau mittel- und langfristig zu unterstützen, braucht es endlich ernsthafte Anstren- gungen und entsprechende finanzielle Mittel für die For- schung an alternativen Pflanzenschutzmaßnahmen und die Züchtung von weiteren pilzresistenten Sorten . Solange es keine Alternativen gibt, fordern wir die Bundesregierung auf, sich bei der EU konsequent für die Prüfung einer zeitlich und mengenmäßig begrenzten Zulassung von Kaliumphosphonat im Ökoweinbau ein- zusetzen . Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisie- rung der Netzentgeltstruktur (Netzentgeltmoder- nisierungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 23) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Die Energiewende hat unsere Erzeugungslandschaft massiv gewandelt: Wo es früher einige wenige Hundert Erzeugungseinheiten nahe der großen Verbrauchszentren gab, gibt es heute bereits 1,5 Millionen dezentrale Anlagen weit verteilt über un- ser Land . Das hat Folgen: Mit zunehmendem Ausbau der erneuerbaren Energien ist ein Ausbau der Stromnetze dringend erforderlich . Der dezentral erzeugte Strom, vor allem aus dem Norden, muss in die Verbrauchszentren im Westen und Süden Deutschlands transportiert werden . Am Netzausbau führt kein Weg vorbei . Bis zum Jahr 2025 müssen daher fast 10 000 Kilo- meter Übertragungsnetz um- und ausgebaut werden . Investitionen von bis zu 50 Milliarden Euro sind erfor- derlich . Hinzu kommt ein enormer Investitionsbedarf in den Verteilernetzen. Das alles finanzieren die Stromver- braucher über die Netzentgelte, die durch den enormen Investitionsbedarf weiter ansteigen werden . Deshalb ist es richtig, dass wir die Netzentgeltstruktur modernisie- ren und auch die Verteilung der Kosten diskutieren. Das Netzentgeltmodernisierungsgesetz ist ein erster Schritt in diese Richtung . Kern des vorliegenden Gesetzes ist die Abschaffung der sogenannten vermiedenen Netzentgelte . Das sind Bonuszahlungen der Netzbetreiber an Erzeugungsan- lagen, die vermeintlich Netzausbau einsparen, weil sie sich nahe am Verbrauch befinden. Vermiedene Netzent- gelte werden sowohl an konventionelle und Kraft-Wär- me-Kopplungsanlagen (KWK) als auch an erneuerbare Erzeugungsanlagen gezahlt . Die Betreiber der erneuer- baren Energien erhalten den Bonus nicht direkt, sondern dieser fließt auf das allgemeine EEG-Konto. Die Betrei- ber von erneuerbaren Erzeugungsanlagen haben also durch das System der vermiedenen Netzentgelte weder Vor- noch Nachteile. Die von der Bundesregierung vorgesehene schrittwei- se Abschaffung der vermiedenen Netzentgelte für alle Anlagen muss jedoch im Rahmen der Gesetzesberatun- gen gründlich geprüft werden . Hier sehen wir noch Än- derungsbedarf . Die Annahme, dass volatile erneuerbare Einspeiser Netzausbau vermeiden, ist längst überholt . Im Gegenteil: Sie verursachen den Netzausbau . Deshalb ist die Strei- chung der vermiedenen Netzentgelte für volatile erneuer- bare Energien richtig . Dadurch würden die Netzentgelte direkt um 500 Millionen Euro entlastet, ohne dabei die Finanzierung der erneuerbaren Anlagen zu gefährden . Bei den steuerbaren Anlagen hingegen bedarf es einer differenzierten Betrachtung. Denn steuerbare Anlagen, insbesondere KWK-Anlagen, können systemdienlich wirken und damit wirklich Netze entlasten. Vermiedene Netzentgelte sind zudem Teil der Wirtschaftlichkeitsbe- trachtung von KWK . Eine Streichung würde daher die Existenz vieler Anlagen bedrohen . Damit würden wir die Perspektive, die wir für die KWK in mühsamen Verhand- lungen bei der letzten Gesetzesnovelle errungen haben, zunichtemachen . Wir werden daher auf Änderungen im Sinne von steuerbaren Anlagen drängen . Das eigentliche Topthema dieses Gesetzesvorhabens ist die Vereinheitlichung der Übertragungsnetzentgelte, auch wenn sie nicht Bestandteil des Gesetzentwurfs ist . Hintergrund für die Forderung ist das Auseinanderfallen der Netzentgelte in den Regelzonen der vier Übertra- gungsnetzbetreiber . Ich will an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass dies kein Ost-West-Problem ist . Bayern oder Niedersachsen sind beispielsweise genauso von hö- heren Netzentgelten betroffen wie die neuen Bundeslän- der . Mit zunehmendem Ausbau der erneuerbaren Ener- gien steigen der Netzausbaubedarf sowie die Netzma- nagementmaßnahmen zum Erhalt der Stabilität im Über- tragungsnetz . Damit kommt es zu einer zunehmenden Spreizung der Netzentgelte zwischen den vier Übertra- gungsnetzbetreibern, auch wenn manche Bestandteile der Übertragungsnetzentgelte, wie Erdkabel und Offsho- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722668 (A) (C) (B) (D) re-Anbindung, bereits heute bundeseinheitlich gewälzt werden . Das spüren vor allem große Stromverbraucher wie zum Beispiel die Industrie . Eine Vereinheitlichung ist lediglich eine Kostenvertei- lung und keine Kostenbegrenzung . Ohne Kompromisse wird es immer Verlierer geben. Daher sollten wir sach- lich nach einem tragfähigen Kompromiss für alle Seiten suchen, auch wenn dies nicht einfach wird . Statt uns wieder einmal auf Verteilungsdebatten zu fokussieren, sollten wir an die Wurzeln des Problems gehen . Wir brauchen einen schnelleren Ausbau unserer Netze . Dieser muss dringend umgesetzt werden . Zu oft haben Länder wie Niedersachsen den Netzausbau in der Vergangenheit blockiert. Das muss ein Ende haben. Auch die erneuerbaren Energien müssen in Zukunft netzverträglicher ausgebaut werden . Dezentrale Stro- merzeugungsanlagen müssen zukünftig einen deutlich stärkeren Beitrag an den Kosten der Netzinfrastruktur tragen . Grundsätzlich muss gelten: Erneuerbare Energi- en können nur dann ausgebaut werden, wenn der Strom auch abtransportiert werden kann . Nur so kann die Ener- giewende wirklich gerechter werden . Jens Koeppen (CDU/CSU): Im Koalitionsvertrag haben sich die regierungstragenden Parteien auf eine faire Verteilung der energiewendebedingten Netzausbau- kosten verständigt . Ich zitiere aus dem Koalitionsver- trag: „Wir werden das System der Netzentgelte daraufhin überprüfen, ob es den Anforderungen der Energiewende gerecht wird . Die Koalition wird das System der Netzent- gelte auf eine faire Lastenverteilung bei der Finanzierung der Netzinfrastruktur überprüfen .“ Nun kann man sicherlich in Nuancen zu anderen Ein- schätzungen kommen, was eine faire Lastenverteilung ist . Man kann aber nicht, wie mit dem vorgelegten Ge- setzentwurf geschehen, ernsthaft zu der Einschätzung kommen, dass alles okay ist, wenn die Menschen in Ostdeutschland deutlich überproportional belastet sind und jede weitere Beteiligung an den Netzkosten im Be- reich der Übertragungsnetze den Stromkunden in Nord- rhein-Westfalen nicht zumutbar ist . Es gab einen anderen, früheren Gesetzentwurf aus dem BMWi, der die Problematik der Kostenverteilung ernsthaft aufgegriffen hat. Jetzt allerdings gibt es diesen Entwurf, für den Minister Gabriel noch zuständig war, der ganz klar dem SPD-Wahlkampf in NRW geschuldet ist und der keinen Lösungsansatz mehr beinhaltet . Die versprochene Festlegung auf bundeseinheitliche Über- tragungsnetzentgelte wurde diesem Wahlkampf skrupel- los geopfert . Wenn die Netzentgelte neu geordnet werden, gibt es unter den Stromkunden Gewinner und Verlierer. Es fin- det eine Umverteilung statt . Aber – das ist ganz wichtig festzuhalten – diese Umverteilung hat nicht das Ziel, den Menschen und den Unternehmern in Nordrhein-Westfa- len ungerechtfertigterweise zusätzliche Kosten aufzubür- den, sondern die Kosten endlich – nach 17 Jahren EEG – im gesamten Bundesgebiet fair zu verteilen und nicht hauptsächlich den Stromzahlern im Osten Deutschlands aufzubürden . Die Energiewende ist ein gesamtdeutsches Projekt, und damit sind die Kosten gesamtdeutsch zu tragen . Wer die Stromerzeugung umbauen will, muss auch in der Lage sein, die Kosten dafür zu tragen . Die Energiewende hat nun mal ihren Preis, und das ist auch lange bekannt . Man kann nicht immer ehrgeizigere Ziele zum Umbau der Energieversorgung formulieren und sich dann weg- ducken, wenn es darum geht, über die faire Finanzierung zu sprechen . Die Energiewende darf nicht nur ein politi- sches Projekt sein, sondern sie muss von der gesamten Gesellschaft getragen werden . Ich halte es für einen riesengroßen Fehler, dass man im Bereich der Energiewende seit nun fast zwei Jahr- zehnten versucht, alles schönzureden, was die erneuer- baren Energien betrifft. Die wirklichen Kosten der Ener- giewende, die Folgen der Eingriffe in die Natur und das Landschaftsbild, die Folgen auf die Versorgungssicher- heit – bei der zunehmenden Abhängigkeit von Gas aus unsicheren Drittstaaten –, die fehlende Akzeptanz und die Sorgen der Bürger mit den zu geringen Abständen von Windrädern zur Wohnbebauung und andere Frage- stellungen werden schlichtweg negiert, beschönigt, und jeder ernsthaften Debatte wird ausgewichen . Dass die Reaktion aus NRW auf den ursprüngli- chen Referentenentwurf dieses Gesetzes einem Hilferuf gleichkommt, sollte uns aber Anlass zum Innehalten sein . NRW argumentiert: Unseren Unternehmen können wir die zusätzlichen Kosten nicht zumuten, das vernichtet Arbeitsplätze bei uns in NRW . – Die Auswirkungen auf den Osten Deutschlands und auf die künftige Beschäf- tigungs- und Wettbewerbssituation sind gravierend, und man nimmt eine Deindustrialisierung Ostdeutschlands billigend in Kauf . Es trifft zu, dass in den neuen Bundesländern ein ge- ringerer Teil der Beschäftigten in der Industrie arbeitet . Aber diese Arbeitsplätze einfach aufs Spiel zu setzen, weil in NRW eine Wahl stattfindet, ist weder solidarisch noch zukunftsorientiert . Diese Entsolidarisierung dürfen wir nicht zulassen . Deshalb kämpfen die CDU-Bundestagsabgeordneten der ostdeutschen Landesgruppen auch konsequent dafür, dass die Kosten der Übertragungsnetze bundesweit um- gelegt werden . Sonst besteht die Gefahr, dass die Kosten- frage die Menschen zunehmend gegen die Energiewende aufbringt . Wenn wir uns die Kostenunterschiede für die Strom- netznutzung zwischen Ostdeutschland und Netzgebieten in Nordrhein-Westfalen anschauen, wird die schon heu- te bestehende Dramatik deutlich . Aus der Wissenschaft und der Praxis liegen uns klare Zahlen vor . Beispielswei- se zahlt eine Bäckerei in Brandenburg für ihren Strom Netzkosten in Höhe von 8 000 Euro, eine vergleichbare Backerei in NRW hat für die gleiche Strommenge Netz- kosten von weniger als 3 000 Euro . Diese Unterschiede sind energiewendebedingt, und diese Preisunterschiede sind insbesondere für energieintensive Unternehmen rui- nös und mittlerweile wettbewerbsverzerrend . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22669 (A) (C) (B) (D) Bei Erd- und Seekabeln – die eher weniger in Ost- deutschland vorgesehen sind – haben wir uns für eine bundesweite Wälzung der Kosten entschieden . Was hier vernünftig ist und was die Menschen in Ostdeutschland auch mittragen, soll für Freileitungen nicht gelten? Das ist in den neuen Bundesländern schwer zu erklären . Der Osten Deutschlands hat nicht nur deutlich höhere Netzkosten zu tragen, auch ein Großteil der Windräder steht dort . Die Akzeptanzprobleme werden stark unter- schätzt . Mitnichten ist es zudem so, dass durch die er- neuerbaren Energien enorme Wertschöpfungsketten entstanden sind und die Gewerbeeinnahmen in den Ost- kommunen sprudeln . Es sind Arbeitsplätze entstanden, aber diese sind in ganz Deutschland entstanden und nicht unbedingt dort, wo die erneuerbaren Anlagen hauptsäch- lich errichtet wurden . Wenn uns die Kosten der Energiewende zu hoch sind und wir sie den Stromkunden in Nordrhein-Westfalen nicht zumuten können, dann kann diese Einschätzung durchaus schlüssig sein . Aber dann können wir diese hohen Kosten auch den Stromkunden in anderen Teilen Deutschlands nicht zumuten . Dann führt uns die Analyse dorthin, dass wir für die Energiewende ein Moratorium brauchen, um die Vorhaben insgesamt neu zu bewerten. Ich hoffe, wir werden im Rahmen der nun anstehen- den Diskussionen uns auf eine faire Entgeltsystematik einigen und endlich die hohen finanziellen Lasten für die Stromkunden in Ostdeutschland auf Gesamtdeutschland aufteilen . Johann Saathoff (SPD): Für die heutige erste Le- sung des Netzentgeltmodernisierungsgesetzes möchte ich ein Bild nutzen, das ich schon mehrmals hier am Pult genutzt habe, wenn es um die Energiewende ging . Es ist das Bild des Balles, den man auf der Fingerspitze balanciert . Man muss stets nachjustieren, damit er nicht herunterfällt . Und so ist es auch bei der Energiewende . Seit der letzten Bundestagswahl gab es zwei EEG-No- vellen nebst kleineren Korrekturen, das Strommarktge- setz, das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende, eineinhalb KWK-Novellen und den Vorrang für Erdkabel bei Gleichstromleitungen . Immer wieder haben wir nach- gesteuert, weil es Bedarf dazu gab . Wat nich greit of bleiht, dat geiht torügg’ – Stillstand ist Rückschritt, ist hier das Motto . Und wir können schon heute absehen, dass uns viele dieser Themen in nicht all- zu ferner Zukunft wieder beschäftigen werden . Mit dem vorliegenden Gesetz, dem NEMOG, wie es abgekürzt so schön heißt, steuern wir wieder etwas nach . Zum einen geht es im NEMOG um die Abschaffung der vermiedenen Netzentgelte . Ich gebe zu: Zu verstehen, was die vermiedenen Netzentgelte sind, hat bei mir etwas gedauert . Zu erklären, was die vermiedenen Netzentgel- te sind und was der Sinn dahinter ist, überlasse ich gern meinen Nachrednern . Klar ist aber: Die vermiedenen Netzentgelte dienen nicht mehr dem Zweck, mit dem sie geboren wurden . Und sie spielen bei erneuerbaren Anlagen eine unterge- ordnete Rolle; denn sie werden in der 20-jährigen Zeit der Vergütungszahlung nicht an die Betreiber ausgezahlt, sondern fließen direkt ins EEG-Konto. Deshalb hat ein Wegfallen der VNE hier überschaubare Folgen. Ganz anders ist das bei Erzeugern, die nicht auf Sonne oder Wind basieren. Hier sind die VNE ein wichtiger Teil der Vergütung. Und genau deshalb stellt sich für meine Fraktion an diesem Punkt im Kabinettsbeschluss noch eine ganze Reihe von Fragen, die wir in den parlamen- tarischen Beratungen klären wollen . Das gilt sowohl für das Abschmelzen wie auch für das Einfrieren der ver- miedenen Netzentgelte . Denn immerhin gestehen wir der KWK bei der Erreichung unserer Klimaziele eine wichti- ge Rolle zu, die wir gerade erst mit einer KWK-Novelle untermauert haben . Wenn wir jetzt über eine Abschaf- fung der VNE reden und keine überzeugende Alternative anbieten, sendet das in meinen Augen völlig falsche Si- gnale . Und da für dieses Jahr ohnehin eine große Evalu- ierung der KWK geplant ist, sollten wir an diesem Punkt besser nichts überstürzen . Auf der Stromrechnung eines Normalbürgers finden sich 6 bis 7 Cent an Netzentgelten pro Kilowattstunde . Das kann variieren, denn das hängt auch von den Ge- gebenheiten im örtlichen Verteilnetz ab. Durch eine Abschaffung der vermiedenen Netzentgelte würden die Netzentgelte aber in jedem Fall sinken, weil die vermie- denen Netzentgelte über die Netzentgelte finanziert wer- den . Wenn wir über eine Vereinheitlichung der Netzentgel- te auf Übertragungsebene sprechen, geht es nicht um die gesamten 6 bis 7 Cent, sondern um nur rund ein Viertel davon, denn die Netzentgelte setzen sich aus den Kosten auf den unterschiedlichen Ebenen des Stromnetzes zu- sammen . Die Netzentgelte auf Übertragungsebene sind vor al- lem für industrielle Großverbraucher bedeutsam . Hier schlagen die zum Teil erheblichen Erhöhungen der Über- tragungsnetzbetreiber dieses Jahr voll durch . Die Kla- gen über Standortnachteile aufgrund hoher Netzentgelte gerade in den neuen Bundesländern kann ich schon ein Stück weit nachvollziehen . Deshalb hat sich ja auch der Bundesrat für eine Vereinheitlichung ausgesprochen. Wir werden also auch diesen Punkt noch zu beraten haben . Man muss sich eben immer vor Augen führen: Die Energiewende ist ein mindestens gesamtdeutsches Pro- jekt mit generationenübergreifender Bedeutung . Deshalb ist es auch folgerichtig, dass die Kosten der Energiewen- de auf möglichst viele Schultern verteilt werden . Im Fall der Netzentgelte auf Übertragungsebene ist das momentan eben noch nicht so . Der Zuschnitt der vier Regelzonen in Deutschland ist nun mal so, dass nur zwei der vier ÜNB Nord- und Ostsee abdecken . Der Strom der Offshorewindkraft wird aber ganz sicher in ganz Deutschland benötigt; es scheint also nicht ge- recht, dass nur Einwohner aus zwei Regelzonen für die Offshorenetz anschüsse zahlen. Im Agrarausschuss des Deutschen Bundestages ist ei- nes meiner Hauptthemen die Politik für die ländlichen Räume . Ländliche Räume sind da, wo wenig Menschen leben . Den existierenden Unterschied zwischen Stadt Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722670 (A) (C) (B) (D) und Land können Sie auch an Netzentgelten ablesen . Der Anteil der ländlichen Räume in den Regelzonen der Übertragungsnetzbetreiber ist ungleich verteilt . Die Energiewende findet in den ländlichen Räumen statt. Na- turgemäß sind die Netzentgelte dort höher . Aber es gibt auch Vorteile. Ich komme aus einem sol- chen ländlichen Raum . Die Energiewende hat der struk- turschwachen Region Ostfriesland enorm geholfen . Wir haben dadurch viel Wertschöpfung generiert . Ich bin stolz darauf, dass wir bei der weiteren Ausgestaltung der Energiewende voranschreiten . Die Kluft zwischen Ballungsgebieten und ländlichen Regionen wollen wir zum Beispiel dadurch verringern, dass wir es ermöglichen, dass die Energiewende ein Stück weit in den urbanen Zentren stattfinden kann. Wie Sie wissen, läuft innerhalb der Bundesregierung gerade der Abstimmungsprozess für ein Mieterstromgesetz . Wir wollen, dass auch Menschen ohne das eigene Dach über dem Kopf mehr Anteil an der Energiewende haben sol- len als über die Zahlung der EEG-Umlage . Durch die- se gerechtere Verteilung des Nutzens der Energiewende steuern wir ebenfalls nach, halten also den Ball auf der Fingerspitze . Und da ich gerade bei Gerechtigkeit bin: In der kom- menden Legislaturperiode werden wir auch über eine gerechtere Verteilung der Lasten der Energiewende spre- chen . Dieses Thema beschäftigt uns schon seit einigen Monaten, und ich bin mir sicher, dass sich in der nächs- ten Periode dort etwas bewegen wird . Das wird dann einhergehen mit einer Reform der Netzentgelte; denn die Finanzierungsfragen lassen sich kaum davon trennen . Wenn wir zum Beispiel an die Sektorkopplung denken, gibt es große Überschneidungen . Ich möchte aber noch auf einen anderen zentralen Punkt eingehen, der direkten Einfluss auf die Netzentgel- te hat . Ein wesentlicher Treiber der ausbaubegrenzenden Maßnahmen des EEG 2017 waren die Kosten des Netz- engpassmanagements . Durch den Netzausbau werden diese Kosten irgendwann nicht mehr anfallen . Der Netz- ausbau ist wichtig, und er muss zügig voranschreiten, obwohl ich gerade beim größten ÜNB noch ein gewisses Optimierungspotenzial sehe . Aber wir müssen auch über Maßnahmen sprechen, die uns in den nächsten zehn Jahren ein Entlastungspo- tenzial bieten . Es geht also um innovative Maßnahmen beim Netzbetrieb, durch die der geplante Netzausbau keinesfalls infrage gestellt werden soll, die aber alles in allem höhere Übertragungsraten liefern, um im digitalen Jargon eine Anleihe zu nehmen . Es gibt dort eine ganze Reihe vielversprechender Ansätze . Diese wollen wir uns in den nächsten Monaten genauer anschauen, auf ihr Po- tenzial prüfen und gegebenenfalls auch schnellstmöglich umsetzen . Jetzt beraten wir aber erst mal das NEMOG . Ich freue mich darauf . Ralph Lenkert (DIE LINKE): Das ist schon ein star- kes Stück, was sich die Koalition mit diesem Gesetzent- wurf leistet . Wir alle kennen den Referentenentwurf aus dem Ministerium, der war gar nicht so schlecht . Und dann streicht das Ministerium aus dem Entwurf den wichtigs- ten und auch noch vernünftigen Punkt der Angleichung der Netzentgelte für die Übertragungsnetze . Sie hätten konsequenterweise auch gleich den Titel des Gesetzes ändern sollen; denn das, was hier jetzt übrig ist, ist ein Gesetz zur Abschaffung der vermiedenen Netzentgelte. Und nicht mal in dem kümmerlichen Rest nehmen Sie von der Koalition die Realitäten wahr und zeigen so, wie wenig Sie vom Umbau des Energiesystems für eine ech- te Energiewende mit 100 Prozent erneuerbarer Energie verstehen . Ich fange von vorn an . Erstens . Ich erinnere an die Plenardebatte zu unserem Antrag zu bundeseinheitlichen Netzentgelten . Da sprach der Kollege Dirk Becker von der SPD, bezogen auf das Problem der immer größeren Spanne bei den Netzentgel- ten, die zwischen 4 Cent in Düsseldorf und 10 Cent im Havelland betragen, ich zitiere: „Das Problem ist ange- kommen, es steht auf der Agenda der Großen Koalition, und wir werden es entsprechend lösen .“ Das war im No- vember 2014 . Mit Hinweis auf ihren Koalitionsvertrag hat die Große Koalition mehrfach angekündigt, das Pro- blem anzugehen . Jetzt sind zweieinhalb Jahre vergangen, ihre Regierungszeit läuft ab, und das Problem besteht noch immer . Die Koalition hat sich erpressen lassen oder will im Hinblick auf die Wahlen Rücksicht auf bestimmte Regionen nehmen, in denen die Angleichung der Netz- entgelte zu leichten Erhöhungen führen würde . Dabei ist ihr die unsoziale Benachteiligung der ländlichen Räume der Bundesrepublik wurscht . Die Koalition hat versagt . Zweitens. Mit der Abschaffung der vermiedenen Netz- entgelte meint die Koalition, einen großen Kostentreiber der Netzentgelte auszuschalten. Vermiedene Netzentgel- te sind eine Prämie für dezentrale Stromerzeugungsanla- gen, weil sie theoretisch den Strom dort erzeugen, wo er gebraucht wird, und damit die Netze entlasten . Dezen- trale Stromerzeugungsanlagen sind Solar- und Windan- lagen und auch Blockkraftwerke, die Heizwärme und Strom gleichzeitig erzeugen – KWK genannt . Doch statt zielgenau Wildwuchs bei den vermiedenen Netzentgel- ten zu entfernen, übt sich die Koalition im Kahlschlag . Einerseits erkennen wir natürlich an, dass die ver- miedenen Netzentgelte für Solar- und Windkraftanla- gen inzwischen nicht mehr zeitgemäß sind . In diesem Zusammenhang lohnt es sich auch, einmal darüber nachzudenken, die Netzentgeltabrechnung nicht mehr ausschließlich nach verbrauchten Kilowattstunden vor- zunehmen, sondern auch die bereitgestellte Anschluss- leistung einzubeziehen. Diese Vorschläge sind Ihnen von der Koalition seit Jahren bekannt, aber auf darauf möchte ich jetzt nicht näher eingehen . Denn mit ihrem Kahlschlag-Gesetzentwurf will die Koalition andererseits auch die vermiedenen Netzentgelte für die Kraft-Wärme-Kopplung aufheben . Das wiederum schadet der Energiewende . Ich will Ihnen das erläutern: Die KWK-Anlagen sind das Rückgrat der Energiewen- de . Ich muss Ihnen das so deutlich sagen, weil es ganz offensichtlich ist, dass ein großer Teil der Koalition das nicht verstanden hat oder nicht verstehen will . Denken Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22671 (A) (C) (B) (D) Sie einmal ein paar Jahre weiter . Dann stellen Sie sich die Frage, wodurch bei Ihrem geplanten 80-Prozent-Anteil von erneuerbarem Strom bei Dunkelheit und Windstil- le die notwendige Leistung, die gesicherte Leistung im Stromsystem bereitgestellt werden soll . Wollen Sie dann teure zentrale Ersatzkraftwerke vorhalten? Das ist volks- wirtschaftlich die teuerste Lösung; das lehnt die Linke ab . Denken Sie lieber wie wir an KWK-Anlagen . Die haben schon heute eine installierte Leistung von über 30 Gigawatt . Diese KWK können, wenn sie über Heizpa- tronen auch Überschussstrom im Wärmebereich nutzen und netzdienlich Strom erzeugen, Netze entlasten und Netzausbau reduzieren . Deshalb verdienen sie es auch weiterhin, für real vermiedene Netzkosten entschädigt zu werden und weiterhin vermiedene Netzentgelte zu erhal- ten . Aber die KWK wird von Ihnen allenthalben stief- mütterlich behandelt . Es ist nicht verwunderlich, dass insbesondere Stadtwerke mit mittleren KWK-Anlagen zu Recht beklagen, dass ihre KWKs am Rande der Un- wirtschaftlichkeit stehen . Die Förderpolitik der Großen Koalition, aber auch der vorherigen Bundesregierung aus Union und FDP ist durchweg darauf ausgerichtet, jegli- che Infrastruktur, die einer dezentralen Energiewende dienlich wäre, vielleicht sogar noch von kommunalen Unternehmen betrieben werden könnte, zu verhindern . Wir lehnen den Gesetzentwurf ab, und zwar nicht nur wegen der vom Ex-SPD-Wirtschaftsminister Gabriel aus dem Gesetzentwurf herausgestrichenen Vereinheitli- chung der Übertragungsnetzentgelte, sondern auch we- gen des Anschlags auf die KWK-Anlagen, die für die Energiewende unverzichtbar sind . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zu Netzentgelten trägt seinen Namen völlig zu Unrecht. Von wegen Netz- entgeltmodernisierung! Von den angekündigten tiefgrei- fenden Reformen bei den Netzentgelten ist nur ein Torso übrig geblieben . Das ist keine Reform und nicht einmal ein Reförmchen . Die Flexibilisierung der Stromabnahme bleibt auf der Strecke, und auch eine längst überfällige Regelung zu einheitlichen Übertragungsnetzentgelten ist aus dem Ge- setzentwurf wieder rausgeflogen. Geblieben ist nur die Abschaffung der vermiedenen Netzentgelte – und das, ohne eine notwendige Kompensation für die Kraft-Wär- me-Kopplung (KWK) zu schaffen. Das bringt uns bei Netzentgelten und einer verursachergerechten Finan- zierung des Netzes kaum weiter und konterkariert alle Bemühungen, die KWK als Beitrag zum Klimaschutz endlich im notwendigen Umfang auszubauen . Und das ist schon irre, was Sie da mit der KWK ma- chen . Bei der letzten KWKG-Novelle war eine der Be- gründungen, warum Vergütungssätze gerade für die klei- ne, dezentrale KWK nicht angepasst werden, dass die über Einnahmen aus vermiedenen Netznutzungsentgel- ten verfügen . Genau die streichen Sie jetzt . Das passt zu Ihrem jahrelangen Kreuzzug gegen die dezentrale KWK, die zwar für Sonntagsreden beim Klimaschutz im Ener- giesektor gut ist, aber immer dann, wenn es konkret wird, ausgebremst wird . Eine Reform des Netzentgeltsystems müsste eine Flexibilisierung von Erzeugung und Verbrauch und eine gerechte Verteilung der Kosten bewirken. Das wäre Netz entgeltmodernisierung . Was wir brauchen, ist ein Netzentgeltsystem, das die richtigen Anreize für eine flexible Abnahme und Systemdienlichkeit setzt, um das Netz entscheidend zu entlasten . Nur so könnte Netzaus- bau vermieden und könnten unnötige Redispatchkosten eingespart werden . Das heutige System aber setzt keiner- lei Anreize für eine flexible Stromabnahme. Im Gegen- teil . Ungerechtfertigte Netzentgeltprivilegien müssen end- lich abgeschafft werden. Private Stromkunden haben über die Netzentgelte in den letzten vier Jahren Milliar- den Industriesubventionen bezahlt, ohne dass es dafür eine Gegenleistung gab . Im Gegenteil: Die Belastung und damit die Kosten des Stromnetzes wurden durch Netzentgeltermäßigungen zum Teil sogar noch höher . Mit rund 6 bis 8 Cent pro Kilowattstunde machen die Netzentgelte inzwischen ein Viertel des Strompreises für private Verbraucher aus. Große Teile der Industrie, aber auch Golfplätze und Ähnliches zahlen deutlich geringere Stromnetzentgelte als private Verbraucher. Seit der Ein- führung wird diese Subvention immer damit gerechtfer- tigt, dass die Unternehmen durch „atypisches Nutzungs- verhalten“ das Stromnetz entlasten . Das aber ist nicht richtig: Durch die Netzprivilegien wird das Stromnetz teilweise sogar be- statt entlastet . In der jetzigen Fassung nutzt das NEMOG niemanden . Es ist lediglich ein weiterer Knüppel, der den KWK-Be- treibern zwischen die Beine geworfen wird . Dem wird sich die grüne Bundestagsfraktion entgegenstellen und im Rahmen der Beratungen entsprechende grundlegende Änderungen einfordern . So sehen wir es als erforderlich an, dass der Gesetzentwurf grundlegend überarbeitet wird . Wir Grüne fordern, dass die Streichung der vermie- denen Netzentgelte zwingend an eine vollständige Kom- pensation für die KWK-Anlagen gekoppelt wird . Ungerechte Netzentgeltprivilegien müssen endlich abgeschafft werden. Die Netzentgelte müssen endlich so ausgestaltet wer- den, dass sie echte Flexibilitätsanreize für eine system- dienliche Abnahme schaffen, damit das Netz entlastet wird . Wir hoffen, dass sich die Große Koalition bei den Be- ratungen über dieses Gesetz noch einen Ruck gibt und das reinschreibt . Sonst können wir am Ende festhalten, dass diese Koalition im Hinblick auf die seit Jahren überfällige Reform der Netzentgelte nichts auf die Ket- te gebracht hat . Das aber ist ein weiterer Bremsklotz für eine erfolgreiche und kostengünstige Energiewende . Das hinterlassen Sie – wie so vieles – der nächsten Bundesre- gierung, und wir haben wertvolle Jahre durch die großko- alitionäre Selbstblockade verloren . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722672 (A) (C) (B) (D) Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Än- derung des Gesetzes über den Deutschen Wetter- dienst (Tagesordnungspunkt 24) Günter Lach (CDU/CSU): Der Blick der meisten Menschen am Morgen eines jeden Tages gilt dem Wet- ter . Denn es gibt kaum einen Bereich unseres Lebens, der nicht durch das Wetter und das Klima beeinflusst wird. Dies gilt für Nutzer aus Land- und Forstwirtschaft, Bau- wesen, Gesundheitswesen genauso wie für den Bereich Verkehr, Wasserwirtschaft mit Hochwasserschutz, Um- welt, Naturschutz und Wissenschaft . Mit diesen vielfältigen Informationen versorgt uns der Deutsche Wetterdienst (DWD) zuverlässig bereits seit 1952 . Neben dieser Kernaufgabe hält der DWD viele weitere meteorologische Dienstleistungen für uns bereit . Er ist als nationaler meteorologischer Dienst der Bundes- republik Deutschland mit seinen Wetter- und Klimain- formationen im Rahmen der Daseinsvorsorge tätig . Der DWD versorgt uns mit Wissenswertem rund um das Wet- ter und ist für die meteorologische Sicherung der Luft- und Seeschifffahrt zuständig. In seiner Verantwortlichkeit liegt auch eine der wich- tigsten Aufgaben des DWD: die Herausgabe von amt- lichen Warnung vor meteorologischen Ereignissen und Wettererscheinungen . Die extremen Wetterlagen der letz- ten Jahre machen deutlich, dass diese Arbeit des DWD von besonderer Bedeutung ist . Dies gilt insbesondere für unsere moderne Gesellschaft, in der die Verwundbarkeit weltweit vernetzter Verkehrswege und wichtiger Infra- strukturen durch Wettererscheinungen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen können. Nun hat die Bundesregierung eine Novelle des DWD-Gesetzes vorgelegt . Darin werden die Aufgaben des DWD modernisiert und die Verbreitung von meteo- rologischen Informationen zur Sicherung von Verkehrs- wegen und wichtigen Infrastrukturen ermöglicht . Wich- tige Umwelt- und Klimabeobachtungsaufgaben werden nun in den Aufgabenkatalog mit aufgenommen . Das Hauptziel des Gesetzentwurfes ist die Möglich- keit, eine Abgabe von meteorologischen Dienstleistungen und Produkten entgeltfrei zu ermöglichen . Als nationaler Wetterdienst erfasst, bewertet und überwacht der DWD die physikalischen und chemischen Prozesse in unserer Atmosphäre . Als meteorologischer Ansprechpartner in Deutschland für alle Fragen zum Wetter und Klima bietet er eine reichhaltige Palette von Dienstleistungen für die Allgemeinheit an und betreibt das nationale Klimaarchiv . Mit der Erfassung der wissenschaftlichen Daten und sei- ner Forschungsarbeit ist der DWD außerdem Teil eines weltumspannenden Netzes der Meteorologie und vertritt die Bundesrepublik Deutschland in zahlreichen nationa- len und internationalen Gremien . Mit hohem technischem Aufwand fließen verschie- denste Informationen vom Wettersatelliten und Wetter- ballon bis zur automatischen Messboje auf dem Atlantik zusammen und werden verarbeitet . Diese hochwertigen Geodaten und Leistungen sollen durch den Gesetzentwurf nun entgeltfrei im Geoportal bereitgestellt werden . Damit werden Informationen des Öffentlichen Dienstes einer breiten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzung zugeführt . Dienstleister können diese hochwertigen Daten für neue Geschäftsfel- der verwenden und entscheidende Zukunftstechnologien entwickeln . Für viele kleine und mittelständische Un- ternehmen werden neue Geschäftsmodelle so erst wirt- schaftlich, da keine Beschaffungskosten oder Nutzungs- lizenzen mehr zu beachten sind . Die bereits etablierten Geschäftsmodelle werden kostengünstiger und können beispielsweise durch die Kombination von klimatologi- schen und meteorologischen Daten mit anderen Informa- tionen auf neue Geschäftsfelder – auch mit internationa- ler Perspektive – weiterentwickelt werden . Damit folgt der Gesetzentwurf der Bundesregierung einer Forderung aus der Digitalen Agenda der Bundes- regierung, die Rahmenbedingungen für einen effektiven und dauerhaften Zugang zu öffentlich finanzierten Daten zu verbessern . Des Weiteren erfolgt mit der vorgesehenen Gesetzes- änderung auch eine Modernisierung des Aufgabenkata- logs des Deutschen Wetterdienstes . Der Aspekt der Kli- ma- und Umweltbeobachtung wird ausdrücklich genannt und somit auch beim DWD-Gesetz seiner gesellschaftli- chen Bedeutung gemäß dokumentiert . Die klimatologi- schen Dienste mit der langfristigen Wetterbeobachtungen unterstützen Wissenschaft, Forschung und Politik bei ih- ren Bemühungen, den Klimawandel aufzuhalten . Wichtigste Aufgabe des Deutschen Wetterdienstes ist und bleibt die Bereitstellung von Wetter- und Klimain- formationen für die Allgemeinheit im Sinne der Daseins- vorsorge . Wir wollen, dass die Daten und das Wissen der Behörde uneingeschränkt zum Schutz von Gesellschaft, Umwelt und Gesundheit eingesetzt werden können . Mit seinen detaillierten Wetterinformationen gibt der DWD rechtzeitig Warnungen vor bedrohlichen Wetterla- gen . Damit unterstützt er maßgeblich die Arbeit unserer Katastrophenschutzbehörden . Wie verletzlich unsere moderne Gesellschaft ist, in der Verkehrswege und auch die Infrastruktur für Kommuni- kation und Energie eng vernetzt sind, hat sich bereits in der Vergangenheit gezeigt. Denken wir zum Beispiel zurück an das Jahr 2007, in dem der Orkan Kyrill mit Windböen von fast 200 km/h Spitzengeschwindigkeit Deutschland traf . Hier hatte der DWD schon Tage vorher Warnungen vor dem schweren Orkantief herausgegeben und die Öffentlichkeit über die Medien informiert . Über die speziellen Wetterwarnsyste- me waren Katastrophenschützer, Polizei, Feuerwehr und Technisches Hilfswerk gut vorbereitet . Die schlimmsten Verwüstungen durch diese zerstörerische Kraft des Or- kans konnten so verhindert werden . Oder auch die Starkniederschlagsereignisse, die zu Hochwasser an Elbe und Donau im August 2002 und Mai/Juni 2013 führten, sowie die Sturzfluten im Mai/ Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22673 (A) (C) (B) (D) Juni 2016 . Die Bedeutung von Wetter- und Klimaereig- nissen hat sich auch bei Luftverfrachtungen wie durch den Vulkanausbruch des Eyjafjallajökull auf Island im April 2010 gezeigt . Umso wichtiger sind die frühzeitigen Warnungen des Deutschen Wetterdienstes . Dazu gehören auch beispiels- weise die hohen Schneefälle, Nassschneefälle und Stür- me, die zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen im Novem- ber 2005 zu Vereisung und Bruch von Stromleitungen mit tagelangem Stromausfall führten . Damit Bürgerinnen und Bürger die Warnungen des DWD besser verstehen und nachvollziehen können ist es unerlässlich, dass sie sich jederzeit ein qualifiziertes Bild von der Wetterlage machen können . Das ist nur möglich, wenn Karten, Radarfilme und Vorhersagen jederzeit ein- sehbar sind . Klar ist dabei eines: Der Deutsche Wetterdienst wird dabei selbst nicht zum Marktteilnehmer und steht auch nicht in Konkurrenz zu privaten Wetterdienstleistern . Das werden wir uns im laufenden Gesetzgebungsverfah- ren auch genau ansehen . Der Gesetzentwurf ist insgesamt zu begrüßen . Denn er modernisiert die Aufgaben des Deutschen Wetter- dienstes . So wird die Allgemeinheit mit wichtigen Wet- terwarnungen sowie umwelt- und klimaschutzrelevanten Informationen versorgt . Darüber hinaus erhält die Privat- wirtschaft nun entgeltfreien Zugriff auf Daten und Pro- dukten aus der Arbeit der Behörde . Mit seinen Leistun- gen sorgt der DWD jeden Tag dafür, dass unsere Städte und Gemeinden auf bestmögliche Weise über bevorste- hende mögliche Gefahrensituationen durch Wetterlagen vorbereitet sind . Daher brauchen wir die Arbeit des nati- onalen Wetterdienstes . Arno Klare (SPD): Das Wetter ist wichtig . Fast jeder hat eine oder mehrere Wetter-Apps auf seinem Smart- phone . Damit ist man jederzeit bestens informiert, ob man den Schirm mitnehmen sollte oder ihn zu Hause lassen kann, ob die dicke oder dünne Jacke vom Haken genommen wird oder die Grillparty am kommenden Wo- chenende stattfinden kann. Doch es geht um mehr: Je größer der Anteil volatiler Energie im Netz ist, desto exakter – ja, fast auf die Minu- te genau – müssen wir wissen, wo und vor allem in wel- cher Stärke der Wind weht . Man kann die Kraftwerke, die angesichts einer Flaute zugeschaltet werden müssen, nicht wie ein häusliches Elektrozusatzöfchen anknipsen; es braucht Vorlauf von Stunden, besser von einem Tag. Die meteorologischen Daten müssen exakt sein, re- gional spezifisch und valide. Das alles organisiert seit Jahrzehnten der Deutsche Wetterdienst, kurz DWD . Der DWD hat die gesetzliche Aufgabe, die Bevölkerung vor Unwettern zu warnen . Das gehört zweifelsohne zur Da- seinsvorsorge . Seit einiger Zeit gibt es beim DWD den Geschäftsbe- reich KU, gleich Klima – und Umwelt . Dazu gehören die wichtigen Unterabteilungen Klima- und Umweltbera- tung, Klimaüberwachung sowie die beiden Felder Agrar- und Hydrometeorologie . Insofern ist es konsequent, das DWD-Gesetz dem ohnehin vollzogenen erweiterten Aufgabenspektrum anzupassen . Das geschieht erkenn- bar: An vielen Stellen im Gesetz steht jetzt der Begriff „Klima“ . Dass die Aufgabenerweiterung im Gesetz kodi- fiziert wird, ist zu begrüßen. Strittig ist allein § 6 Absatz 2a . Hier haben sowohl die privatrechtlichen Wetterdienstleister als auch – in der Folge dieser Kritik – der Bundesrat Bedenken ange- meldet . In der Tat sollte der § 6 Absatz 2a noch einmal kritisch hinterfragt werden . Hier geht es, um es konkret zu machen, um die semantische Wirkungsreichweite des Begriffs „Leistungen“. Sind damit endnutzerfähige Pro- dukte gemeint oder lediglich Rohdaten? Der Minister hat auf eine so lautende Frage hier im Plenum geantwortet, dass der DWD nicht plane, endnutzerfähige Produkte auf den Markt zu bringen, die über die definierten Aufgaben hinausgingen . Es wird im parlamentarischen Diskurs da- rüber zu sprechen sein, wie diese richtige Position mit mehr Klarheit als bisher im Gesetz formuliert werden muss . Ralph Lenkert (DIE LINKE): Der Deutsche Wetter- dienst (DWD) ist als Dienstleister und Warndienst vor eventuell katastrophalen Wetterereignissen Teil der öf- fentlichen Daseinsvorsorge und deshalb eine zu Recht steuerfinanzierte Institution des Bundes. Der Wetterpro- gnosemarkt hat sich in den vergangenen Jahren vielfältig entwickelt, insbesondere was Onlinewetterdienstleister angeht . Somit unterzieht sich selbst die Wettervorhersa- ge heute häufig den Mechanismen der Marktwirtschaft. Fast alle der derzeit auf dem Markt tätigen Wetter- dienstleister haben eines gemeinsam: Sie beziehen Aus- gangsdaten für ihre Prognosen und Wetterprodukte vom DWD. Vor wenigen Jahren forderten private Wetterpro- gnostiker deshalb sehr häufig, der DWD solle seine Daten kostenfrei zur Verfügung stellen. Man argumentierte mit Wettbewerbsnachteilen der privaten Wetterprognoseer- steller . Mit dem Gesetz über den Deutschen Wetterdienst ist bislang klargestellt, dass der DWD als Institution des öffentlichen Rechts seine Daten nicht kostenlos an priva- te Firmen zur gewinnbringenden Verwertung weiterge- ben darf. Daten, die mit einer kostspieligen, steuerfinan- zierten Infrastruktur ermittelt wurden, werden zu Recht nicht kostenlos an private Wetterdienstleister abgegeben . Und trotzdem entwickelte sich ein erfolgreicher privater Wetterprognosemarkt in der heutigen Vielfalt. Dabei gibt es im umkämpften Markt der Wetterdienstleister nur eine Chance: mit Qualität und Genauigkeit zu bestehen . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stehen wir nun vor der Situation, dass dieselben Wetterunternehmen, die vor Jahren laut nach kostenlosen Daten riefen, heute die kostenlose Verfügbarkeit von Wetterdaten für die Allge- meinheit verhindern wollen, und zwar wiederum mit dem Argument der Wettbewerbsverzerrung . Das kann man nur als scheinheilig bezeichnen, und es ist ganz klar für die Linke, dass eine Institution des öffentlichen Rechts natürlich selbst als Wetterdienstleister mit einer kosten- losen Wetterapp für die Bevölkerung auf dem Markt erscheinen können muss . Erstens bezahlte die Bevölke- rung ja die Erhebung der Daten bereits . Das Angebot des DWD ist nicht kostenlos und wird es auch nach diesem Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722674 (A) (C) (B) (D) Gesetz nicht sein . Die Menschen zahlen dafür Steuern . Und zweitens ist der Schutz vor Wetterereignissen ein Bestandteil der Daseinsvorsorge . Die Linke begrüßt diesen Gesetzentwurf daher . Wir sehen das Argument der Wettbewerbsverzerrung nicht; denn letztendlich hat jedes Unternehmen, ob es privater oder öffentlich-rechtlicher Natur ist, sich weiterhin den Qualitätsansprüchen der Nutzerinnen und Nutzer der An- gebote zu stellen . Die meteorologische Prognostik liefert auch heute keine eineindeutigen Ergebnisse . Das liegt in der Natur der Sache, denn Wetter ist ein chaotischer Prozess und deterministisch niemals komplett zu erfassen . Prognosen werden sich immer unterscheiden, je nachdem, welche numerischen Verfahren und welche Gewichtung der Eingangsparameter vorgenommen werden . Letztendlich sind Wetterprognosen aber nicht nur eine Frage der zur Verfügung stehenden Rechnerkapazität, sondern auch eine Frage der Messnetzdichte, der Datenqualität, aber auch der Interpretation der numerischen Modellierung . Es gibt hier genügend Spielraum, mit denen private Wet- terdienstleister sich gegenüber dem DWD behaupten können . Und da kommen wir zu einem wesentlichen Aspekt, weshalb es ausdrücklich zu begrüßen ist, wenn der DWD selbst am Marktgeschehen der Wetterdienstleister teil- nimmt: Die Klima- und Wetterprognostik ist unentbehr- lich . Der Bundesrepublik steht im zivilen Bereich dafür nur der DWD verlässlich zur Verfügung. Als Wetter- dienstleister wird er nun dem Druck ausgesetzt, jenseits der klassischen Forschung seine eigene Vorhersageme- thodik noch intensiver als bisher immer wieder zu vali- dieren . Das wird letztendlich zu steigender Qualität der Prognosen führen, was wiederum allen zugutekommt . Die Voraussetzung ist allerdings, dass der DWD in Zu- kunft ausreichend finanziert wird und in die Lage ver- setzt wird, sein Messnetz weiter zu verdichten . Die Linke fordert, die Regierungspolitik des Stellenabbaus und der Stellenbefristungen auch beim DWD zu beenden, die derzeit in der öffentlich finanzierten Forschung leider gang und gäbe ist . Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): In Zeiten zunehmender Wetterextreme ist der Deutsche Wetterdienst eine wertvolle Einrichtung, um die Bevölkerung vor Gefahren durch Stürme, Über- schwemmungen oder Hitzewellen zu warnen und damit Menschenleben zu retten . Die klimatologischen Arbei- ten, die durch den Gesetzentwurf gestärkt werden sol- len, sind wichtige Grundlagen, um die Klimakatastrophe doch noch abzuwenden . Wir begrüßen deshalb grundsätzlich, dass die Bun- desregierung die längst überfällige Öffnung der Wetter- und Klimadaten des Deutschen Wetterdienstes angeht . Bislang zählt Deutschland nämlich zu den Schlusslich- tern bei der Öffnung der öffentlichen Datenbestände. Bis heute wurde das von der Bundesregierung angekündigte Open-Data-Gesetz nicht eingebracht . Auch der Beitritt zur Open Government Partnership ist immer noch nicht vollzogen . Beim Thema E-Government kommt die Bun- desregierung nicht voran . Die kostenfreie Bereitstellung von Daten, die im öf- fentlichen Sektor anfallen, kann innovative Geschäfts- modelle ermöglichen und die junge und dynamische Di- gitalwirtschaft antreiben . Das gilt auch für die Daten des Deutschen Wetterdienstes, die eine wertvolle Ressource für innovative Start-ups darstellen und zum Wachstum in der Digitalbranche beitragen können, auf das Deutsch- land nicht verzichten kann . Auch ehrenamtliche Projekte und solche mit sozialer, ökologischer oder gemeinwohl- orientierter Motivation profitieren von kostenfreien Da- ten und bereichern das Informationsangebot weiter . Doch obwohl der Gesetzentwurf eine Tür öffnet, um die digitale Wirtschaft zu stärken, droht er gleichzeitig andere Türen zuzuschlagen . Künftig soll es dem Deut- schen Wetterdienst erlaubt sein, eigene Apps anzubieten, die nicht alleine vor Unwettern und anderen Gefahren warnen, sondern alle Informationen, beispielsweise in Form von Wetterberichten, kostenlos und werbefrei zur Verfügung stellen. Was zunächst nach einer vernünftigen Initiative klingt, entpuppt sich jedoch als bedenklicher Eingriff in einen funktionierenden Markt von wetterba- sierten Dienstleistungen. Die Entwicklung und Verbes- serung privater Informationsangebote könnte erschwert werden oder gar gänzlich ausbleiben, wenn der App- Markt durch einen staatlichen Anbieter dominiert würde, der durch seine staatliche Finanzierung einen eindeuti- gen Wettbewerbsvorteil genießt . Private Anbieter, die sich durch Werbung oder andere Einnahmen selbst finan- zieren müssen, könnten ins Hintertreffen geraten. Deshalb sollte der Deutsche Wetterdienst nicht als Konkurrent zu den bestehenden Anbietern auftreten . Stattdessen sollte er die vorhandenen Wetterinformati- onen ausschließlich als Rohdaten allen Anbietern glei- chermaßen zur Verfügung stellen und somit die Qualität von Wetterinformationsangeboten insgesamt verbessern . Die Bereitstellung von Rohdaten entspräche auch viel eher den Grundsätzen von Open Data . Sein eigenes An- gebot sollte der Deutsche Wetterdienst wiederum auf die Leistungen beschränken, für die der Staat eine originäre Zuständigkeit besitzt – also beispielsweise die Warnung vor Unwettern und anderen Gefahren . Genau diese Be- schränkung wird der Aufgabe des Wetterdienstes gerecht, die öffentliche Sicherheit und den Katastrophenschutz zu stärken . Schon heute befindet sich der Deutsche Wetterdienst durch seine eigenen Angebote in einer rechtlichen Grau- zone . Die Bundesregierung hätte die Änderung des Ge- setzes über den Deutschen Wetterdienst zum Anlass neh- men müssen, um die bestehende Praxis prüfen zu lassen . Die Bundesregierung muss die von vielen Seiten vorge- tragenen Bedenken zur Vereinbarkeit des Gesetzentwurfs mit dem europäischen Wettbewerbsrecht ernst nehmen . Deshalb hätte die Bundesregierung den Gesetzentwurf bei der EU-Kommission notifizieren lassen müssen, um auf die schon heute bestehenden Bedenken gegenüber dem Aufgabenspektrum des Deutschen Wetterdienstes einzugehen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22675 (A) (C) (B) (D) Ich möchte die Beratung des Gesetzentwurfes zum Abschluss nutzen, um darüber hinaus auf die Erhebung der Wetter- und Klimadaten einzugehen: Heute beobach- ten an etlichen Wetterstationen hauptamtliche Mitarbei- terinnen und Mitarbeiter das Wetter und sorgen damit für verlässliche Datengrundlagen . Bis 2021 plant der Deutsche Wetterdienst die Wetterbeobachtung vollstän- dig zu automatisieren . Wir haben Zweifel, ob durch die Automatisierung eine vergleichbare Messgenauigkeit insbesondere für die langfristigen Klimareihen gesichert werden kann . Diese sind ein wichtiger Beitrag zur inter- nationalen Klimaforschung . Der Deutsche Wetterdienst kann zum Beispiel Schneehöhen, Schnee-Wasser-Äqui- valent und Bedeckungsgrad derzeit technisch noch nicht vollautomatisiert erfassen . Aus unserer Sicht besteht hier erheblicher Gesprächs- und Klärungsbedarf hinsichtlich der Strategie des Deutschen Wetterdienstes . Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Wir neh- men heute einen weiteren wichtigen Meilenstein zu mehr Open Data in Deutschland und machen den Weg frei für einen offenen Zugang zu Millionen an Wetter-Klimada- ten – mit dem ersten Änderungsgesetz unseres Gesetzes zum Deutschen Wetterdienst, kurz DWD-Gesetz . Das Gesetz ist in seiner jetzigen Fassung auf dem Stand von 1998 und bedarf daher dringend einer Anpas- sung an aktuelle Entwicklungen wie die Globalisierung, den Klimawandel und insbesondere die Digitalisierung . Fest steht: Daten sind der zentrale Rohstoff der Di- gitalisierung . Jede digitale Wertschöpfung braucht Da- ten . – Wir werben daher seit Beginn der Wahlperiode dafür, dass wir Big Data als Chance begreifen – und in Deutschland eine neue Datenkultur entwickeln: Weg von der Datensparsamkeit als Übermaßstab hin zum kreati- ven und sicheren Datenreichtum . Der Staat verfügt über einen enormen Datenschatz – und steht damit in einer besonderen Verantwortung. Un- ser Grundsatz muss deshalb lauten: Public data is open data . – Alle nicht personenbezogenen Daten, die der Staat erhebt, müssen offen zur Verfügung stehen, um di- gitale Wertschöpfung zu ermöglichen . Das ist übrigens auch ein Ziel unserer Digitalen Agen- da, wo wir uns vorgenommen haben, die Rahmenbedin- gungen für einen effektiven und dauerhaften Zugang zu öffentlich finanzierten Daten zu verbessern. Wir arbeiten dafür in allen Bereichen: – Wir haben eine Mobility Cloud, die mCLOUD, ge- startet, mit der wir Millionen an Mobilitäts-, Geo- und Wetterdaten offen zur Verfügung stellen. – Wir veranstalten Hackathons, unsere BMVI-Da- ta-Runs, bei denen Programmierer und Entwickler aus unseren Daten in 24 Stunden Innovationen ent- stehen lassen . – Und wir haben jetzt das DWD-Gesetz auf den Weg gebracht . Konkret regeln wir: Erstens. Wir schaffen die Voraussetzungen, damit der DWD in Zukunft Millionen an Klima- und Wetterdaten kostenfrei zur Verfügung stellen kann. Bislang durfte der DWD einen Teil seiner Daten, hochwertige Daten, per Gesetz nur gegen eine Gebühr zur Verfügung stel- len . Damit verbunden sind im Bundeshaushalt Minder- einnahmen von voraussichtlich 3,5 Millionen Euro pro Jahr, die durch Einsparungen bzw . Umschichtungen im Einzelplan 12 ausgeglichen werden . Zweitens . Wir modernisieren den Katalog der Aufga- ben des DWD und ergänzen ihn um die ausdrückliche Nennung der meteorologischen Sicherung der Verkehrs- wege und kritischen Infrastrukturen (bisher nur Luft- und Seefahrt) sowie der Klimatologie, deren Bedeutung ins- besondere im Zusammenhang mit dem Klimaschutz zu- genommen hat . Drittens . Wir stärken die Zusammenarbeit der Behör- den im Bereich Katastrophen-, Bevölkerungs- und Um- weltschutz und beziehen neben den Ländern erstmals auch die Gemeinden und Gemeindeverbände mit ein . Kurz: Mit diesem Gesetz öffnen wir einen wirklich einzigartigen Datenschatz . Der DWD verfügt heute über eines der größten Re- chenzentren Europas – und über Milliarden an histori- schen wie aktuellen Klima- und Wetterdaten mit einer unglaublichen Bandbreite . Ich nenne nur ein paar Bei- spiele: Luft- und Bodentemperatur, Niederschlagshöhe, Luftfeuchtigkeit und Luftdruck, Verdunstung, Boden- feuchte und Frosteindringungstiefe, Windgeschwindig- keit und Windrichtung, solare Sonneneinstrahlung, Sonnenscheindauer und Wolkenbedeckung, weitere zahl- reiche phänologische und geologische Daten . Diese Daten des DWD finden bereits heute Anwen- dung in den unterschiedlichsten Bereichen: von der Schifffahrt und Luftfahrt über die Land- und Forstwirt- schaft, bis hin zur Energiewirtschaft und Bauwirtschaft . Jeder Wirtschaftszweig und jeder Bürger ist von Wetter und Klima betroffen. Damit ist die offene Be- reitstellung dieser Daten im Zeitalter der intelligenten Vernetzung absolut unverzichtbar – und eine Grundvo- raussetzung für eine Vielzahl an digitalen Innovationen: – Automatisiertes und vernetztes Fahren: Fahrzeug kennt Wetterprognose, integriert diese Informati- onen in die Routenplanung, bekommt in Echtzeit Warnmeldungen und kann somit frühzeitig reagie- ren . – Smart Home: Haus stimmt sein Energiekonzept selbstständig auf Wetter und Klima ab und teilt sein Wissen mit den Bewohnern . – Digitales Planen und Bauen: Integration von me- teorologischen Daten in digitale Modelle und die Cloud, wodurch zahlreiche Risiken vermindert, Kosten reduziert, das Controlling optimiert und die Umsetzung effizient gestaltet werden kann. – Katastrophenschutz: Bevölkerung wird über digi- tale Anwendungen in Echtzeit über Gefahren und Gefährdungspotenziale informiert . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722676 (A) (C) (B) (D) Um es ganz klar zu sagen: Von diesem Gesetz profi- tieren alle: Bevölkerung, Wissenschaft und Wirtschaft – auch die bereits etablierten privaten Wetterdienste, die auf der Grundlage der vom DWD in Zukunft frei zur Verfügung gestellten Daten kostengünstig weitere Inno- vationen entwickeln können . Ich bitte daher um Zustimmung zu diesem Gesetzent- wurf . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortschrei- bung der Vorschriften für Blut- und Gewebezube- reitungen und zur Änderung anderer Vorschriften (Tagesordnungspunkt 25) Dr. Roy Kühne (CDU/CSU): Mit dem Gesetz zur Fortschreibung der Vorschriften für Blut- und Gewebe- zubereitungen und zur Änderung anderer Vorschriften werden fachlich und rechtlich notwendige Änderungen der betroffenen Vorschriften vorgenommen. Wir möchten unter anderem die Möglichkeiten bieten, die Entwicklung und Herstellung von Arzneimitteln für neuartige The- rapien nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen ausrichten zu können . Aktuelle technische Entwicklun- gen müssen mindestens genauso in die Verfahrensweisen einfließen können. Durch die neuen Regelungen ermög- lichen wir diese notwendigen Anpassungen . Das Gesetz fokussiert sich unter anderem auf die Hä- moglobie- und Gewebevigilanzverfahren, die entspre- chenden Register und Forschungsbereiche . Hämophilie, auch als Bluterkrankheit bekannt, ist eine erbbedingte Er- krankung, bei der die Blutgerinnung gestört ist . Hierunter werden verschiedene Formen (unter anderem Hämophi- lie A, B und C, Willebrand-Syndrom) unterschieden . Seit 2009 werden therapierelevante Daten dieser Pa- tienten im deutschen Hämophilieregister gesammelt . In dieser Online-Datenbank werden die Krankheitsverläufe der Patienten sowie deren jährlicher Verbrauch von Ge- rinnungspräparaten registriert . Dies ermöglicht den be- handelnden Ärzten einen komfortablen Zugriff auf deren Daten und eine langfristige Dokumentation . Das Hämo- und Gewebevigilanzverfahren wurde von der Europäischen Union als Überwachungssystem der gesamten Bluttransfusionskette eingeführt . Dabei wer- den unerwünschte Folgen registriert, die bei der Ver- abreichung von Blutprodukten auftreten können . Diese Transfusionsreaktionen unterstehen der Meldepflicht gegenüber dem Paul-Ehrlich-Institut . An der Kette sind verschiedenste Berufsgruppen beteiligt: Der Hersteller garantiert nach den Qualitätsbestimmungen eine ein- wandfreie Produktauslieferung, der Lieferant berück- sichtigt eine produktspezifische Lieferung, der Arzt be- rücksichtigt die Indikation für die Transfusion, und das ärztliche Personal achtet auf die fehlerfreie Gabe des Blutproduktes . Fehler passieren, Fehler sind menschlich, aber Fehler dürfen sich eben nicht wiederholen: Deshalb unterliegen sie schon jetzt einem engen Meldungs- und Analyseprozess, an dem wir festhalten . Gleichzeitig erweitern wir aber die Vorschriften zur Gewebevigilanz um die Faktoren der Regelungen zur Gewebezubereitung . Durch diese und durch die recht- lichen und fachlichen Anpassungen schaffen wir eine deutliche Vereinfachung der Vorschriften zur Hämo- und Gewebevigilanz . Das Gesetz wird auch besonders im Bereich der Ge- nehmigungsverfahren für ATMPs (Advanced therapy medicinal products/Arzneimittel für neuartige Therapi- en) Neuerungen mit sich bringen, indem wir die Defini- tion des Begriffs der „nicht routinemäßigen Herstellung“ anpassen . Die bisherigen Erfahrungen machen diese Än- derungen notwendig . Der Bereich der Arzneimittel für neuartige Therapien verdient eine genauere Betrachtung: Deren Forschung und Entwicklung hat in den vergan- genen Jahren enorm an Fahrt aufgenommen . Im Bereich der regenerativen Medizin, aber auch zur Ausrottung von Erbkrankheiten und in der Bekämpfung von Krebs, die Hoffnungen, die in ATMPs gesteckt werden, sind groß. Um die anspruchsvolle Entwicklung solcher Arzneimit- tel ermöglichen zu können, sind optimale Zulassungsver- fahren und eine enge regulatorische Betreuung notwen- dig . Gentherapeutika, somatische Zelltherapeutika und biotechnologisch bearbeitete Gewebeprodukte eröffnen neue Wege für die Behandlung von Funktionsstörungen und Krankheiten . Lassen Sie mich kurz darauf eingehen, worum es sich bei den einzelnen Produktgruppen der biologischen Arz- neimittel zur Anwendung im oder am Menschen handelt: Gentherapeutika kommen beispielsweise in der Be- handlung von kritischer Ischämie oder der unteren Ex- tremitäten zum Einsatz. Genetisch modifizierte Bak- terienstämme finden in der Behandlung von Morbus Parkinson Anwendung, Wachstumsfaktoren bei sekun- dären Lymphödemen nach der Behandlung von Brust- krebs . Der Einsatz von rekombinanten Nukleinsäuren ist vielfältig . Somatische Zelltherapeutika kommen zum Beispiel im Bereich der Leberzelltherapie, in der Therapie bei Ovarialkarzinomen oder zur Behandlung von Diabetes zum Einsatz . Sie bestehen teilweise aus Zellen oder Ge- weben, die substanziell bearbeitet worden sind bzw . ei- nen neuartigen oder gar anderweitigen Nutzen für den Empfänger aufweisen . Biotechnologisch bearbeitete Gewebeprodukte die- nen dem direkten Ersatz von Körperzellen, Knochen- mark und anderen Körperbestandteilen . Berichtet wird insbesondere über Hautersatzprodukte, die bei schweren oder umfangreichen Verbrennungen zum Einsatz kom- men . Auch der Einsatz im Bereich der Knochenmarkim- plantationen und Knorpelmasse ist hinlänglich bekannt . Biotechnologisch bearbeitete Zellen oder Gewebe sind umfangreich einsetzbar und – relativ betrachtet – weit- gehend erforscht . Biologische Arzneimittel, die zur Heilung von Krank- heiten beim Menschen eingesetzt werden, oder Krank- heiten bzw . den Ausbruch von Krankheiten verhüten, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22677 (A) (C) (B) (D) sind demnach biologische Arzneimittel, ebenso wie diese, die im oder am menschlichen Körper verwendet werden können und eine pharmakologische, immunolo- gische oder metabolische Wirkung erzielen . Der Schutz der öffentlichen Gesundheit findet im Bereich der For- schung, der Herstellung und des Vertriebs besondere Anwendung . Gleichzeitig muss gewährleistet sein, dass diese Arzneimittelprodukte, ebenso wie kombinierte ATMPs, die Vorteile des freien Warenverkehrs in der Eu- ropäischen Union und weitere Wettbewerbsvorteile auch im außereuropäischen Raum genießen können . Harmoni- sierte Vorschriften sind daher schon in der Vergangenheit implementiert worden, daran können wir nun anknüpfen . Deutschland steht, insbesondere mit dem Paul- Ehrlich-Institut, national wie international sehr gut da . Um die Wettbewerbsfähigkeit auch künftig zu erhalten, die Forschung voranzutreiben, wissenschaftliche Er- kenntnisse noch direkter in die Entwicklung einfließen zu lassen und damit die Versorgung zukünftig zu sichern, ist der aufgezeigte Weg notwendig . Bei diesem richtigen Schritt werden die Erfahrungen aus den Ländern und des Paul-Ehrlich-Instituts eingebunden und bestehende Hindernisse konkret abgebaut . Ich freue mich, dass die Kommunikation gut funktioniert . Wir alle sollten uns ein Beispiel an der guten Verzahnung zwischen Praxis und Gesetzgeber nehmen . Hier zeigt sich, welches Potenzial entsteht, wenn Akteure zusammenarbeiten . Ich danke dem Bundesministerium für Gesundheit für diesen Aufschlag und freue mich über die weitere Bera- tung in unserer Fraktion und mit dem Parlament . Emmi Zeulner (CDU/CSU): Wir beraten heute den Entwurf des Gesetzes zur Fortschreibung der Vorschrif- ten für Blut- und Gewebezubereitungen und zur Ände- rung anderer Vorschriften. Doch was versteht man überhaupt unter „Blut- und Gewebezubereitungen“ genau, und was sind die auf- geführten „Arzneimittel für neuartige Therapien“? Um die Änderungen und deren Notwendigkeit zu verstehen, muss man meiner Ansicht nach hier ansetzen . Erst da- nach möchte ich darauf eingehen, warum die Änderun- gen notwendig sind und wie genau die Verbesserungen aussehen . Lassen Sie mich gleich zu Beginn die Beispiele nen- nen, die den Inhalt des Gesetzes für alle greifbarer ma- chen: Augenhornhäutchen, Gefäße, Herzklappen, Haut und Knorpelgewebe – das alles sind klassische Gewe- bezubereitungen . Also Arzneimittel, die menschliches Gewebe im Sinne des Transplantationsgesetzes enthalten oder aus solchen hergestellt werden . Organe sind somit nicht erfasst . Neben den genannten klassischen Beispielen werden von dem Gesetz auch die sogenannten „Arzneimittel für neuartige Therapien“ erfasst, sofern als Ausgangsstoff menschliches Gewerbe verwendet wurde . Das sind bei- spielsweise Gen- und Zelltherapeutika und biotechno- logisch bearbeitete Gewebeprodukte . Etwas greifbarer wird dies, wenn man sich vorstellt, dass hier Therapi- en entwickelt werden, die es ermöglichen, mit einem Virus eine bestimmte Geninformation zur Heilung auf eine Zelle zu übertragen . Diese Entwicklungen bringen ganz neue Heilungschancen mit sich und unterliegen der dauernden Forschung und Weiterentwicklung, um eben irgendwann keine „neuartige“, sondern eine bewährte Therapie zu werden . Genau hier liegt auch die Notwendigkeit für die An- passung der gesetzlichen Vorschriften. Zum einen haben sich die wissenschaftlichen und technischen Erkenntnis- se so stark weiterentwickelt, dass eine Anpassung uner- lässlich ist, um die neuen Erkenntnisse in die Therapie mit aufzunehmen und dem Patienten die beste Versor- gung zukommen zu lassen . Denn wir sind uns alle einig, dass genau das das Ziel der Forschung sein muss: dem Patienten zu helfen und neue, wirksame Therapien zu entwickeln . Zum anderen – und das ist sehr wertvoll und zeichnet gerade das Handeln unseres Ministeriums aus – wurden die gesammelten Erfahrungen der mit dem Vollzug direkt betrauten Länder und des Paul-Ehrlich-Instituts ernst- und die Anregungen der Praxis mit in das Gesetz auf- genommen . Es wird nicht an den tatsächlichen Bedürf- nissen der Beteiligten vorbei gehandelt, sondern deren Erkenntnisse fließen unmittelbar mit in das Gesetz ein. Womit wir auch schon bei den drei großen Verbesse- rungen wären, die wir durch das Gesetz erreichen wollen: Erstens nehmen wir uns des dringenden Problems der Lieferengpässe bei den Gewebezubereitungen an: Wir sorgen dafür, dass die Versorgung der Patienten mit Ge- webe- und Stammzellenzubereitungen aus dem EU-Aus- land bei Versorgungsengpässen erleichtert wird. Indem wir in § 21a Absatz 9 Arzneimittelgesetz den § 73 Ab- satz 3a mit aufnehmen, bauen wir Hemmnisse in Notsitu- ationen ab, schaffen Abhilfe, wo sie dringend gebraucht wird, und erhalten dennoch unsere hohen Standards, in- dem wir die Rahmenbedingungen für eine Versorgung aus dem EU-Ausland genau im Gesetz festschreiben und die Standards auch hier hoch ansetzen . Diese Öffnung ist im Sinne der Betroffenen und ein wichtiger Schritt hin zu mehr Versorgungssicherheit in diesem Bereich . Zweitens sorgen wir auch gerade in dem komplizier- ten Genehmigungsverfahren für die Arzneimittel für neuartige Therapien für deutliche Erleichterungen . Denn durch die Befassung mit gentechnisch veränderten Or- ganismen musste nicht nur das Paul-Ehrlich-Institut als Bundesoberbehörde für Gewebezubereitungen, sondern auch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebens- mittelsicherheit miteinbezogen werden . Das heißt, die Antragsteller mussten zwei Genehmigungen bei zwei Behörden beantragen und zwei Verfahren koordinieren, die voneinander abhängig waren. Dieses Verfahren galt es zu entschlacken und effizienter zu gestalten. Die Kri- tik, die hier vor allem aus der Praxis kam, wird in dem vorliegenden Entwurf aufgenommen, und es wird eine Lösung geschaffen: Die Genehmigungen sollen nun al- leine vom Paul-Ehrlich-Institut erteilt werden können . Das entlastet die Antragsteller, ohne dass die Sicherheit des Inverkehrbringens hierdurch beeinträchtigt wird . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722678 (A) (C) (B) (D) Drittens stellen wir das Hämophilieregister, welches bisher nur ein rein klinisches Register war, nun auf rechtlich sichere Beine und verankern es im Transfu- sionsgesetz . In diesem Zusammenhang führen wir die Meldepflicht für die behandelnden Ärzte ein, sodass mit Einwilligung der Patienten die pseudonymisierten Behandlungs- und Diagnosedaten, unter Wahrung des hohen Datenschutzniveaus, an das Register übermittelt werden. Das sorgt für mehr Transparenz, schafft die Grundlagen für eine bessere Forschung und liefert letzt- lich eine detaillierte Entscheidungsgrundlage für die op- timale Behandlung und Versorgung von Patienten. Zusammenfassend führen die Verbesserungen zu einer besseren Versorgung durch den Einsatz neuer Therapien und vor allem zu einer besseren Versorgungssicherheit für die betroffenen Patienten. Gleichzeitig schaffen wir Erleichterungen im Verfahren und setzen mit dem Re- gister die rechtliche Grundlage für die so notwendige Grundlagenforschung in diesem Bereich . Vielen Dank an das Gesundheitsministerium für die gute Arbeit . Hilde Mattheis (SPD): Das Gesetz zur Fortschrei- bung der Vorschriften für Blut- und Gewebezubereitun- gen und zur Änderung anderer Vorschriften beinhaltet zum großen Teil technische und rechtlich notwendige Änderungen . Sie betreffen zum einen eine Verfahrensvereinfachung für die Zulassung von Arzneimitteln für neuartige Thera- pien, sogenannte ATMP . Es gibt auf dem deutschen Markt ATMP, die aus gentechnisch veränderten Organismen – GVO oder aus einer Kombination von GVO – bestehen bzw . solche enthalten . Derartige Arzneimittel mussten bisher an zwei Stellen beantragt werden, nämlich beim Paul-Ehrlich-Institut und zusätzlich aufgrund der GVO auch beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Le- bensmittelsicherheit (BVL). Dies wird nun vereinfacht, sodass nur noch ein Antrag beim Paul-Ehrlich-Institut nötig ist . Wenn hier eine Genehmigung erteilt wird, ge- schieht das im Benehmen mit dem Bundesamt für Ver- braucherschutz und Lebensmittelsicherheit . Wir werden zum anderen weitere Vorschriften im Arz- neimittelgesetz ändern und anpassen, die allesamt darauf zielen, ein stringenteres und vereinfachteres Verfahren zur Zulassung von ATMP zu ermöglichen . Dazu zählen unter anderem die Anpassung der Definition der „nicht routinemäßigen Herstellung“, die in § 4b Arzneimittel- gesetz aufgeführt wird, sowie eine genaue Aufstellung der Unterlagen, die für eine Genehmigung eingereicht werden müssen . Für die Zulassung von Arzneimitteln für neuartige Therapien werden wir zudem einen Ausnahmetatbestand in der Verordnung über radioaktive und mit ionisieren- den Strahlen behandelte Arzneimittel einfügen, da ATMP sehr häufig mit ionisierenden Strahlen behandelt werden, aber hierfür bisher ein Verkehrsverbot bestand. Hier gibt es keine sachlichen Gründe . Daher ändern wir das . Den zweiten Schwerpunkt im Gesetz bilden Maßnah- men zur besseren Behandlung von Hämophiliepatientin- nen und -patienten . Hämophilie ist eine Erbkrankheit, bei der das Blut nicht oder nur sehr langsam gerinnt und bei der bei besonders schweren Fällen spontane Blutungen auch ohne sichtbare Wunden auftreten können . Daher können auch einfache Unfälle für diese Menschen le- bensbedrohlich werden, da die Wunde nicht verheilen kann . Nach Angaben des Hämophiliezentrums in Mün- chen leiden circa 10 000 Menschen in Deutschland an Hämophilie . Ein Register für Hämophilie existiert seit 2008 und wird vom Paul-Ehrlich-Institut gemeinsam mit Patientenorganisationen und der Gesellschaft für Throm- bose- und Hämostaseforschung unterhalten und weiter- entwickelt . Im Deutschen Hämophilieregister sollten zunächst nur pseudonymisierte und medizinische Daten erfasst werden . Geplant sind auch Erfassungen von Ne- benwirkungen, Gelenkstatus, Komplikationen, Infek- tionen, Genotyp, Todesursache und anderem, um noch umfassendere wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewin- nen . Im Blut- und Gewebegesetz wird nun geregelt, dass das Hämophilieregister als klinisches Register rechtlich im Transfusionsgesetz verankert wird . Zudem wird eine Verpflichtung zur Meldung von hämophiliebehandeln- den ärztlichen Personen an das Register geschaffen. Neben diesen Kerninhalten wollen wir als Gesetzge- ber weitere offene Punkte regeln, die sich im Laufe der Legislatur ergeben haben oder die in bisherigen Refor- men in der Wahlperiode nicht behandelt werden konnten . Von weiteren beabsichtigten Änderungen möchte ich hier die geplanten Qualitätskriterien erwähnen, die wir im Rahmen des Krankenhausstrukturgesetzes eingeführt haben . Hier braucht es Präzisierungen vonseiten des Bundesgesetzgebers, da sich die Bundesländer und der Gemeinsame Bundesausschuss nicht auf Qualitätsindi- katoren und die Frage von Stichprobenprüfungen durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse einigen konnten . Hier ist es wichtig, dass klare Anforderungen vonseiten des Bundesgesetzgebers an den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) gerichtet werden, um die Qua- litätsindikatoren im Krankenhausbereich rechtssicher umzusetzen . Die Frage nach der Bewertung der Quali- tät von Krankenhausleistungen war einer der zentralen Bausteine in der Krankenhausreform 2015 . Es ist klar, dass wir Neuland betreten . Daher ist eine Präzisierung im Nachhinein richtig, um etwaige Fehler auszuschließen . Des Weiteren streben wir eine Vereinheitlichung der Regelungen zur Darlehensaufnahme bei Banken für den Unterhalt bzw . für Investitionen bei krankenkasseneige- nen Gesundheitseinrichtungen wie Krankenhäusern und Arztpraxen an . In Deutschland unterhalten einige Kran- kenkassen einige wenige Eigeneinrichtungen, das heißt ein Krankenhaus oder eine Praxis, welche direkt von der Kasse geführt werden . Da die gesetzlichen Krankenkas- sen zu Recht einer besonderen Finanzierungsordnung unterliegen, dürfen sie keine Darlehen aufnehmen . Kran- kenkassen müssen ihre gesetzlichen Aufgaben grund- sätzlich mit ihren Mitgliedsbeiträgen und sonstigen Ein- nahmen aus dem Gesundheitsfonds erfüllen . Daran soll auch nicht gerüttelt werden . Allerdings verbietet diese Regelung den Kassen als Betreibern eines Krankenhau- ses gleichzeitig, anfallende Investitionsmaßnahmen über ein Darlehen zu zahlen, was angesichts der oftmals ho- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22679 (A) (C) (B) (D) hen Summen für Investitionen nicht einfach ist . Alle an- deren Einrichtungen, egal ob von der öffentlichen Hand oder von privaten Betreibern geführt, haben diese Mög- lichkeit . Wir wollen die Darlehensaufnahme daher in diesem speziellen Bereich auf Antrag ermöglichen . Die Aufsichtsbehörden müssen die Darlehensaufnahme prü- fen und genehmigen und daher darauf achten, dass diese den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit entspricht . Auch im Bereich Pflege wollen wir die beschlossenen Reformen, die Pflegestärkungsgesetze, mit diesem Gesetz genauer ausdefinieren. Wir haben im Pflegestärkungsge- setz II eine fachlich unabhängige Expertenkommission beauftragt, bis 2020 Personalbemessungsstandards so- wohl in stationären als auch in ambulanten Pflegeeinrich- tungen zu erarbeiten . Im Zuge der Einführung des neu- en Pflegebedürftigkeitsbegriffs kann es sinnvoll sein, in einzelnen Pflegeeinrichtungen modellhafte Erprobungen vorzunehmen . Diese können dabei helfen, den durch- schnittlichen Versorgungsaufwand, der bei pflegerischen Maßnahmen entsteht, zu dokumentieren und daraus ab- leitend den notwendigen Personalschlüssel zu errechnen . Für diese Fälle können die Pflegekassen Geld aus dem Ausgleichsfonds der Pflegeversicherung nehmen, der speziell für die Durchführung wissenschaftlicher Exper- tisen und der Weiterentwicklung der Pflegeversicherung eingerichtet wurde. Von den Landesrahmenverträgen, die üblicherweise Personalbedarf, Vergütung und Ähnliches zwischen Kassen und Leistungserbringern regeln, kann in diesem Fall abgewichen werden . Ich möchte hier noch ein für uns als SPD sehr wichti- ges Thema ansprechen, welches wir im Gesetz anbringen wollen . Es handelt sich um die Stiftung Humanitäre Hil- fe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen. Diese Stiftung wurde infolge des sogenannten Blutspendeskan- dals eingerichtet. Während der 80er-Jahre infizierten sich weltweit mehrere Tausend Menschen aufgrund konta- minierter Blutprodukte mit HIV. In Deutschland waren es mehr als 1 500 Menschen . Dieser Skandal wurde erst 1993 mithilfe eines Untersuchungsausschusses des Deut- schen Bundestages aufgearbeitet und in Folge mit dem HIV-Hilfegesetz die erwähnte Stiftung Humanitäre Hilfe gegründet . Sie soll – so der Stiftungszweck – „aus huma- nitären und sozialen Gründen und unabhängig von bisher erbrachten Entschädigungs- und sozialen Leistungen an Personen, die durch Blutprodukte unmittelbar oder mit- telbar mit dem Human Immunodeficiency Virus (HIV) oder infolge davon an Aids erkrankt sind, und an deren unterhaltsberechtigte Angehörige finanzielle Hilfe“ leis- ten . Die Stifter sind der Bund, die Länder, das DRK und mehrere Pharmaunternehmen . Allerdings ist im HIV-Hilfegesetz unter § 14 gere- gelt: „Die Stiftung wird aufgehoben, wenn der Stiftungs- zweck erfüllt ist oder die Mittel für die finanzielle Hilfe erschöpft sind .“ Im Jahr 1994 dachten die Stiftungsgrün- der aufgrund des damaligen medizinischen Wissens nicht daran, dass HIV-Infizierte und AIDS-Kranke sehr viel länger leben als das damals angesetzte Vermögen. Glücklicherweise ist der medizinische Fortschritt in die- sem Bereich so rasant, dass diese Menschen heute eine ähnlich hohe Lebenserwartung wie jeder andere Mensch auch haben. Der letzte Halbsatz im HIV-Hilfegesetz führt aber dazu, dass inzwischen jährlich die Weiterführung der Stiftung im Bundeshaushalt durch zusätzliches Geld beschlossen werden muss und damit bei den Betroffenen jedes Jahr große Unsicherheit besteht, ob sie weiterhin Geld aus der Stiftung beziehen können . Die Briefe und Anrufe der Betroffenen werden einige Kolleginnen und Kollegen kennen . Ich halte es für unzumutbar, dass Patientinnen und Patienten und deren Familien in ständiger Unsicherheit leben müssen und von Jahr zu Jahr wieder darauf hof- fen, dass der Gesetzgeber sich abermals entschließt, die Stiftung weiterzuführen . Diese Unsicherheit müssen wir beenden . Schon bei den Haushaltsberatungen zum ver- gangenen Bundeshaushalt hatten wir als SPD-Fraktion angekündigt, dass möglichst noch in dieser Wahlperiode die dauerhafte Einrichtung der Stiftung beschlossen wer- den muss . Das heißt, die Stiftung wird erst dann aufge- hoben, wenn der Stiftungszweck erfüllt ist . Jede Patientin und jeder Patient soll bis zu seinem Lebensende Geld aus der Stiftung erhalten; denn der Schaden, der diesen Men- schen entstanden ist, verjährt nicht . Wir werden daher im anstehenden Gesetzgebungsverfahren diesen Punkt mit unserem Koalitionspartner und der Opposition diskutie- ren und hoffen, dass wir hier im Sinne der Patientinnen und Patienten zu einer geschlossenen Position kommen können . Sie sehen also, dass mit diesem Gesetz zwar sehr tech- nische, aber eben dennoch relevante Änderungen ange- strebt werden, die für betroffene Patientinnen und Pati- enten bzw . in dem relevanten Gesundheitssektor wichtig sind . Ich lade daher alle Kolleginnen und Kollegen ein, auch zum Abschluss der Wahlperiode konstruktiv und zielorientiert dieses Gesetz zu diskutieren . Kathrin Vogler (DIE LINKE): Mit dem hier vorlie- genden Gesetzentwurf will die Bundesregierung noch kurz vor Toresschluss gleich eine Reihe unterschiedli- cher Sachverhalte regeln . Das macht es natürlich schwie- rig, in vier Minuten die ganze Bandbreite anzusprechen . Aber man merkt schon, dass im Ministerium gerade unter Zeitdruck gearbeitet wird: Auf die Schnelle sind der Bundesregierung einige Schnitzer passiert, die im Beratungsverlauf noch korrigiert werden müssten . An mehreren Stellen finden sich unzulängliche Begriffsbe- stimmungen, fehlende Differenzierungen, uneinheitliche Sprachregelungen und zum Teil inkonsistente Regelun- gen zu Genehmigungsverfahren . Auch wundert es mich, warum die Bundesregierung Blutstammzellen in Deutschland anders als in der EU unterschiedlichen Qualitätsanforderungen unterwerfen will, je nachdem ob sie aus dem Knochenmark oder der Nabelschnur stammen . Kann mir da mal jemand den Sinn erklären? Eine wissenschaftliche Auswertung der zur Verfü- gung stehenden Daten für angeborene Blutungskrank- heiten ist sinnvoll und wird von uns unterstützt . Aber es bringt für die Betroffenen keinerlei Nutzen, wenn das bereits existierende Hämophilieregister künftig allein beim Paul-Ehrlich-Institut liegt und die Betroffenenor- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722680 (A) (C) (B) (D) ganisationen nicht mehr beteiligt sind . Stattdessen sollte die Bundesregierung ein schlüssiges Konzept für die Da- tengewinnung und vor allem für die Auswertung der im DHR gesammelten Daten vorlegen . Aber das leistet ihr Entwurf nicht . Insbesondere bereitet in der Praxis große Sorge, dass die Regelungen zu Blut- und Gewebezubereitungen über das Transplantationsgesetz, das Transfusionsgesetz und das Arzneimittelgesetz verteilt sind . Dass dies insbeson- dere bei Keimzellen zu einer großen Unübersichtlich- keit führt, beklagen Praktiker und Juristen . Sie sehen da große Probleme und rechtlichen Klärungsbedarf . Zu- dem gibt es gerade bei der Reproduktionsmedizin jede Menge offener Fragen. Bei Keimzellspenden und nicht zuletzt Embryonenspenden im Ausland kommt es auch für Kinder, die in Deutschland aufwachsen oder geboren werden, zu vielen ungeklärten familienrechtlichen Fra- gen . Einer Klärung geht die Bundesregierung wie beim Samenspenderegister auch mit diesem Gesetz wieder aus dem Weg – abermals eine vertane Chance . Kommen wir zu den Änderungen bei der Pflegebe- ratung: Im Gesetzentwurf erklärt die Bundesregierung, es sollen „technische Anpassungen und Änderungen der Regelungen zu den Modellvorhaben zur kommunalen Beratung im . . . SGB XI“ vorgenommen werden . Das klingt harmlos und irgendwie unspektakulär . Was Sie aber genau vorhaben, betrachten wir durchaus kritisch . Sie wollen die Möglichkeit schaffen, dass Kommu- nen, die Modellprojekte zur Pflegeberatung durchführen, besser auf lange gewachsene Strukturen und die Kompe- tenz der Pflegekassen zurückgreifen können. So sollen Kommunen künftig darauf verzichten können, die Pfle- geberatung in eigenen Beratungsstellen durchzuführen, wozu sie diese Bundesregierung erst im letzten Jahr mit dem Pflegestärkungsgesetz III verpflichtet hatte – und zwar unabhängig vom Vorhandensein anderer Möglich- keiten . Das hört sich ja zunächst mal vernünftig an . Aber was gar nicht geht, ist, dass Sie die Qualitätsstan- dards für die Pflegeberatung aufweichen wollen und dass die Kommunen das so eingesparte Geld behalten dürfen . Denn erstens brauchen Pflegebedürftige und ihre Ange- hörigen bestmögliche Beratung und nicht irgendwelche . Und zweitens gehört dieses Geld den Pflegeversicherten, nicht der öffentlichen Hand. Deswegen sage ich Ihnen: Lassen Sie die Finger von der Beratungsqualität, und sorgen Sie dafür, dass die Beiträge der Pflegeversicherten wirklich in der Pflege ankommen . Sonst werden wir diesem Gesetz nicht zu- stimmen können . Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zum zweiten Mal in dieser Legislaturperiode legt die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vor, der die Transparenz und Qualitätssicherung im Bereich der Ge- webemedizin in Deutschland verbessern soll . Die vor- geschlagenen Gesetzesänderungen sind grundsätzlich sinnvoll und zu begrüßen . Leider wurde die noch im Referentenentwurf enthaltene Genehmigungspflicht der BÄK-Richtlinien zur Blutspende und Transfusion wieder gestrichen . Über die Gründe kann man nur spekulieren . Interessant wird der Gesetzentwurf aber erst, wenn man sich ansieht, was die Bundesregierung alles nicht regelt . Wie beim letzten Mal gehen die im Gesetz vorge- schlagenen Änderungen auf EU-Vorgaben zurück. Und wie beim letzten Mal lässt die Bundesregierung die Ge- legenheit verstreichen, die Mängel, die es in der Gewebe- medizin in Deutschland gibt, zu beheben . Es ist nämlich mitnichten alles im grünen Bereich, wie auch der zweite Bericht der Bundesregierung zur Versorgungssituation mit Gewebeprodukten in Deutschland gezeigt hat . Die Zahl der Gewebeeinrichtungen in Deutschland steigt kontinuierlich . Aber rund ein Fünftel der Einrichtungen kommt ihren gesetzlichen Meldepflichten nicht nach, trotz Nachfassens durch das Paul-Ehrlich-Institut und Verständigung der zuständigen Landesbehörden. Offen- sichtlich ist es um die Bereitschaft zur Transparenz und Kooperation bei manchen Einrichtungen ebenso schlecht bestellt wie um die wirksame Kontrolle durch die Be- hörden . Zudem sind viele der gemeldeten Zahlen, insbeson- dere im Bereich der muskuloskelettalen Gewebe und Hautgewebe, nach eigenen Aussagen der Bundesregie- rung unplausibel . Es werden viel mehr dieser Gewebe in Deutschland transplantiert und exportiert als entnom- men . Der Überschuss lässt sich nicht mit Restbeständen aus den Vorjahren erklären. Es bleibt also bei einem gro- ßen Fragezeichen, wo diese Gewebe eigentlich herkom- men . Hier muss das Ministerium Transparenz herstellen . Der Bericht der Bundesregierung hat zudem gezeigt, dass es in Deutschland – ähnlich wie bei Organspen- den – einen Mangel an bestimmten Geweben gibt, sodass manche Patientinnen und Patienten nicht oder nur mit erheblicher Verspätung ein Transplantat erhalten. In ers- ter Linie betrifft dies Augenhornhäute und Herzklappen. Transparenz gibt es bei der Verteilung aber weiterhin nicht. Es gibt weder – wie bei der Organspende – öffentli- che Vorgaben, nach welchen Kriterien diese sogenannten Mangelgewebe verteilt werden . Noch führen die Einrich- tungen und Kliniken (bis auf eine Ausnahme) Wartelis- ten . So bleibt es weiterhin dem Ermessen der Akteure überlassen, wer ein Transplantat erhält . Wir haben schon seinerzeit im Zuge der Erarbeitung des Gewebegesetzes transparente Verteilungskriterien und ein Wartelisten- system für solche Mangelgewebe gefordert . Die Bun- desärztekammer ebenfalls . Angesichts zu erwartender gerichtlicher Auseinandersetzungen muss hier dringend nachgebessert werden, Herr Bundesgesundheitsminister . Ich frage mich, warum die Bundesregierung in regel- mäßigen Abständen einen Bericht zur Analyse der Gewe- bemedizin in Deutschland erstellt, wenn dort aufgezeig- te Mängel stur ignoriert werden . Diese Berichte dienen doch dazu, im Bedarfsfall nachzusteuern . Die Bundes- regierung hingegen gibt an, sie sehe ihre Aufgabe vor- rangig darin, die Netzwerkbildung und Kommunikation der Gewebeeinrichtungen untereinander zu fördern . Das wird die eben dargestellten Probleme aber kaum behe- ben . Und noch in einem anderen Bereich bleibt die Koa- litionsregierung untätig: Der diskriminierende Pauschal- ausschluss von homo- und bisexuellen Männern von der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22681 (A) (C) (B) (D) Blutspende wird weiterhin nicht aufgehoben . – Noch im letzten Jahr hatte Minister Gröhe sich offen für eine Lockerung des pauschalen Verbots gezeigt, wenn durch geeignete Testverfahren eine Ansteckung der Empfänger mit Infektionskrankheiten ausgeschlossen werden kann . Danach kam – nichts . Und mit der Streichung der Geneh- migungsbedürftigkeit der Blutspende-Richtlinien würde sich das Ministerium zugleich jeglichen Einflusses da- rauf entledigen, dass dieser diskriminierende Ausschluss irgendwann entfällt . Die Koalition wird voraussichtlich als eine Art Kehr- aus der Gesundheitsgesetzgebung noch eine Menge fachfremder Änderungsanträge zu Gesundheitsthemen anhängen, die sie unbedingt auf den letzten Metern noch regeln will, wie beispielsweise zur Pflege im Kranken- haus . Sie haben also noch genug Zeit, auch im Bereich der Gewebemedizin im Interesse der Patientinnen und Patienten noch mal nachzubessern, genauso, wie Ände- rungsvorschläge einzubringen, die die Rolle der Kommu- nen in der Pflege stärken, beispielsweise durch wirkliche Steuerungs- und Planungskompetenzen in der Pflege – wenn schon nicht grundsätzlich, dann doch wenigstens in den spärlich wenigen Modellvorhaben, die die Koa- lition eingeführt hat . Nutzen Sie diese Chance endlich, damit es nicht nur bei den eher dürren pflegepolitischen Regelungen des Entwurfs bleibt . Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Berichts des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung gemäß § 56a der Geschäftsordnung: Technikfolgenabschätzung (TA) Synthetische Biologie – Die nächste Stufe der Bio- und Gentechnologie (Tagesordnungspunkt 26) Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): Als „nächste Stufe der Gentechnologie“ wird die Synthetische Biolo- gie bezeichnet: Ihr Ansatz geht weiter, als dies bislang möglich war; ihre Methoden und Verfahren zielen auf ei- nen Umbau natürlicher Organismen ab, bis hin zur Schaf- fung kompletter künstlicher „biologischer“ Systeme . Die „Synbio“ ist in den letzten Jahren Gegenstand einer kaum überschaubaren Zahl von Studien und Stel- lungnahmen geworden. In der Öffentlichkeit und zivil- gesellschaftlichen Organisationen ist das Thema jedoch kaum präsent aufgrund der geringen praktischen, wenn- gleich hohen gesellschaftlichen Relevanz . Der Arbeitsbe- richt des Büros für Technikfolgenabschätzung (TAB) soll dies im Auftrag des Ausschusses für Bildung, Forschung und – eben auch – Technikfolgenabschätzung ändern . Er untersucht neben naturwissenschaftlich-technologischen Aspekten insbesondere Fragen der Ethik, der Sicherheit, des geistigen Eigentums, der Regulierung und der Risi- ken . Damit kommt das TAB seinem Auftrag nach, uns Abgeordnete wissenschaftlich eingehend zu beraten, Einschätzungen abzugeben und Handlungsempfehlun- gen aufzuzeigen . An dieser Stelle möchte ich mich als Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion für die gute Zu- sammenarbeit bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des TAB bedanken, insbesondere den Leitern des Ber- liner Büros, Herrn Dr . Revermann und Herrn Dr . Sauter, unter dessen Federführung auch der diskutierte Bericht entstand . In Anerkennung der Arbeit des TAB haben wir jüngst erstmals seit dessen Gründung 1990 die Mittel si- gnifikant erhöht. Der fraktionsübergreifend befürwortete Aufwuchs im Bundeshaushalt 2017 beträgt 25 Prozent, womit das gesamte Haus seine Anerkennung ausge- drückt hat . Welche Empfehlungen gibt uns nun der Bericht? Auf- grund der wachsenden Möglichkeiten von gezielten mo- lekularbiologischen Veränderungen an Organismen ist mit vielfältigen Anwendungen zu rechnen . Nach einer Konzentration auf Mikroorganismen für die industriel- le und medizinische Nutzung hat sich der Fokus jüngst auf Genveränderungen bei Pflanzen und Tieren verlagert. Dies verdeutlicht, dass öffentliche Debatten über die ver- antwortungsvolle Weiterentwicklung und auch rechtliche Regulierung der Gentechnik auf internationaler und nati- onaler Ebene notwendig werden . Potenziale und Risiken der Synbio gilt es abzuwägen und ergebnisoffene ethi- sche Debatten zu führen . Hierfür ist der federführende Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung prädestiniert . Ich plädiere für eine entsprechende Überweisung des TAB-Berichtes . René Röspel (SPD): Der Arbeitsbericht „Syntheti- sche Biologie – Die nächste Stufe der Bio- und Gentech- nologie“, den das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag bereits Ende 2015 vorlegte und um den es uns heute geht, hat nicht an Aktualität verloren. Neue Verfahren wie CRISPR-Cas9, die wohl bekannteste Methode des sogenannten Genome Editing, versprechen präzise Eingriffe zur kontrollierten Verände- rung im Erbgut, die effizienter als die bisher verfügba- ren Methoden seien . Dadurch werden unter Umständen ganz neue Dimensionen für die molekularbiologische Grundlagenforschung eröffnet. Als „Paradebeispiel“ für die Anwendungspotenziale der neuen Technologien wird die Züchtung mehltauresistenten Weizens angeführt – ein Unterfangen, das in Pre-CRISPR-Zeiten als beinahe aus- sichtslos galt . Mehltau, ein verbreiteter Pilz, war und ist ein großes Problem für die Landwirtschaft, da er in der Regel zu hohen Ertragsausfällen führt . Gehören solche Schwierigkeiten dank der Synthetischen Biologie nun bald gänzlich der Vergangenheit an? Ohne diese Frage abschließend beantworten zu können, mahne ich zur Vor- sicht und Zurückhaltung – noch stehen ganz andere und nicht minder wichtige Fragen im Zentrum der Debatte: (Sicherheits-)politische, rechtliche und ethische Fragen, die mit der Synthetischen Biologie verbunden sind, wer- den auf allen Ebenen kontrovers diskutiert . Besonders interessant an den geführten Debatten finde ich die Aus- gangsfragestellungen, die ihnen in der Regel zugrunde liegt und die ich wie folgt zusammenfassen würde: Syn- bio, was ist das eigentlich? Soll da „Leben“ zusammen- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722682 (A) (C) (B) (D) gebaut werden, wie einige das als Vision nennen? Han- delt es sich dabei um etwas strukturell so Neues, dass wir mit unseren bisherigen Kategorien und Fragestel- lungen nicht mehr weiterkommen, oder können wir an diese anknüpfen und müssen sie nur weiterentwickeln? Der TAB-Bericht nimmt eine Basisunterscheidung vor, die Synbio im engeren Sinne als „Herstellung von »am Reißbrett« entworfenen und de novo konstruierten Zel- len oder Organismen (oder auch von zellfreien biologi- schen bzw. biochemischen Systemen)“ definiert, und im weiteren Sinne als „Sammelbegriff aller aktuell verfolg- ten, zunehmend informationsbasierten und meist anwen- dungsorientierten Ansätze der molekularbiologischen Veränderung bekannter Organismen.“ Dass sich die Debatte zum Großteil auch nach wie vor auf einer solchen Metaebene befindet, zeigt zum einen, wie komplex das ist, was wir unter Synthetischer Biolo- gie verstehen, und zum anderen, dass wir einfach noch nicht genau wissen, was die neuen Technologien alles könnten und zu welchem Preis . Der vorliegende TAB-Bericht bestätigt dies in weiten Teilen . Ich halte eine zurückhaltend differenzierende Haltung in Zeiten reißerischer Schlagzeilen auch aus dem Wis- senschaftsbetrieb für angebracht . Während die ersten schon davon sprechen, den „Rotstift Gottes“ gefunden zu haben, und behaupten, dadurch gehörten Zika-Mü- cken eher morgen als übermorgen der Vergangenheit an, mahnen viele Forscherinnen und Forscher zur Vorsicht. All dies erinnert stark an all die „Heilsversprechen“ der Gentechnikdebatte, die leider bis heute in den meisten Fällen nicht eingelöst werden konnten . Ich möchte die Gelegenheit nutzen, das Büro für Tech- nikfolgenabschätzung wieder einmal ausdrücklich zu lo- ben und mich herzlich zu bedanken . Denn es reiht sich mit seiner Abhandlung nicht einfach in den wachsenden Hype ein, sondern nähert sich dem Thema nüchtern und analytisch . Nur so kann gute Technikfolgenabschätzung gelingen . Bei allen bestehenden Unklarheiten ist allerdings auch gewiss, dass sich die Forschungspolitik des The- mas annehmen muss . Die im Arbeitsbericht des TAB dargestellten Potenziale der Synthetischen Biologie sind beeindruckend . Unter anderem für die Landwirtschaft und Pflanzenzüchtung, die chemische Produktion und Energiegewinnung, die Umweltsensorik und -sanierung sowie die Medizin sind Anwendungsmöglichkeiten denkbar . Ohne jegliche Fortschrittsfeindlichkeit müssen wir uns nun fragen, zu welchem Preis diese Potenziale ausgehoben werden können . Erneut ergeben sich Parallelen zu vergangenen bzw . immer noch andauernden Debatten über die Gentechnik oder die Nanotechnologie . Wir sollten nun auf dem, was wir aus diesen großen Diskussionen – hoffentlich – gelernt haben, aufbauen. Das heißt in meinen Augen vor allem, dass wir anste- hende – ethische – Risikodebatten – denn diese sind in meinen Augen stets die relevantesten – von vornherein langfristig und ressortübergreifend gestalten und echte Beteiligungsmöglichkeiten für alle relevanten Akteure sicherstellen . Wie das funktionieren kann, deutete das Fachgespräch des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zur Synthetischen Biolo- gie vom September 2016 an . Hier tauschten sich unter anderem Biologinnen, Philosophinnen, Unternehmerin- nen, Biohackerinnen und Behördenvertreterinnen kon- struktiv über die Thematik aus . Dabei wurde schnell deutlich, dass es bei der Synbio um mehr als eine po- tenzielle Schlüsseltechnologie der Bioökonomie geht . So wurden Dual-Use-Problematiken genauso problemati- siert, wie die Frage, ob unsere Gentechnikdefinition die Synbio überhaupt angemessen erfassen kann . Wir müs- sen uns ferner vom Gedanken trennen, dass es die Syn- thetische Biologie und das „genome editing“ gebe . Da- hinter verbirgt sich nämlich eine Vielzahl von Methoden, die jeweils einer eigenständigen Bewertung bedürfen . In einer großen und gut besuchten Diskussionsveran- staltung, die der deutsche Ethikrat gemeinsam mit der DFG und Leopoldina im Februar diesen Jahres ausrichte- te, fragten sich Landwirtinnen, Juristinnen, Ethikerinnen und andere ebenfalls, ob wir eine neue Gentechnikdefi- nition benötigen und, wenn ja, welche Anforderungen an eine solche zu stellen seien . Angesichts dieser interdisziplinären Ansätze und der fundierten Debatten, die aktuell in Deutschland geführt werden, bin ich zuversichtlich, dass wir auf einem guten Wege sind . Ich bin da ganz beim TAB, wenn es unter- streicht, dass sich gerade die Entwicklung von gesell- schaftlich potenziell umstrittenen Technologien, wie der Synbio, an der Lösung konkreter Probleme orientieren sollte . Am Ende dieses Prozesses muss eine kluge, nachhal- tige und ethisch verantwortbare Regulierung stehen . Das TAB führt uns hierzu einmal mehr auf den richtigen Pfad . Ganz unabhängig von diesen politischen Erwägungen finde ich die Entwicklungen im Bereich der syntheti- schen Biologie übrigens unglaublich spannend . Ich bin sicher nicht der einzige, der die Entdeckung der CRISPR/ Cas9-Methode durch die Emmanuelle Charpentier, die übrigens hier in Berlin forscht, sowie Jennifer Doudna aus dem Jahre 2013 für höchst nobelpreisverdächtig hält . Auch als Biologe freue ich mich auf anregende Debatten, die wir in diesem Hause dazu noch führen werden . Einen grundsätzlichen Unterschied zur bisherigen Gentech- nologie erkenne ich noch nicht, sodass ich politischen Handlungsbedarf derzeit nicht sehe. Aber wir befinden uns mitten in der Diskussion, und wir sollten die Ent- wicklung weiterhin aufmerksam verfolgen . Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses zu dem Antrag der Frak- tionen der CDU/CSU und SPD: Innovativer Staat – Potenziale einer digitalen Verwaltung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22683 (A) (C) (B) (D) nutzen und elektronische Verwaltungsdienst- leistungen ausbauen – zu dem Antrag der Abgeordneten Dieter Janecek, Dr. Konstantin von Notz, Kerstin Andreae, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stillstand beim E-Government beheben – Für einen inno- vativen Staat und eine moderne Verwaltung (Tagesordnungspunkt 27) Michael Frieser (CDU/CSU): Die Digitalisierung ist eines der zentralen Themen unserer Zeit. Vor allem wird es derzeit im Hinblick auf den Arbeitsmarkt, Arbeitszeit- modelle sowie Möglichkeiten für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf diskutiert . Digitalisierung ist aber in besonderer Weise eine große Chance für den ländlichen Raum . In den letzten Jahren gab es einen verstärkten Zu- zug in die Städte. Es wurde von Landflucht und Entlee- rung der Räume gesprochen . Doch die Binnenmigration verändert sich . Der ländliche Raum ist durchaus mit posi- tiven Bildern verbunden, wie unter anderem auch die Er- folge von Magazinen, die sich dem Landleben widmen, zeigen . Und der ländliche Raum bietet bezahlbaren und verfügbaren Wohnraum, bietet also das, was in Städten zunehmend fehlt und besonders für junge Familien ein Problem darstellt . Abgesehen von den allgemeinen Chancen der Digi- talisierung durch neue Arbeitszeitmodelle, die Verein- barkeit von Beruf und Familie, ergeben sich wichtige Impulse für den ländlichen Raum durch die mögliche Vermeidung von Fahrtwegen. In einem entscheiden- den Punkt liegen wir jedoch noch zurück. Das betrifft Deutschland im Allgemeinen, stellt aber vor allem auf dem Land einen besonderen Nachteil dar: der schlep- pende Ausbau von E-Government-Angeboten in seiner Fülle . Und genau hier setzt der diskutierte Antrag der Regierungsfraktionen zu einem innovativen Staat an . Dass Deutschland hier allein dem Nachbarn Österreich zehn Jahre hinterherhinkt, ist bekannt, von Musterlän- dern wie Estland ganz zu schweigen . Doch es ist nichts verloren, und die ersten richtigen Schritte wurden bereits getan. Mit der Einführung der eID ist eine wichtige Vo- raussetzung erfüllt . Dies gilt es auszubauen, nicht nur für Bürger, sondern auch für Unternehmen, Verbände und Behörden, sodass eine einheitliche Authentifizierung über alle Ebenen hinweg möglich ist . Dies ist eine der Grundvoraussetzungen für die Nutzung der Potenziale, die in einem Ausbau der digitalen Verwaltung und der elektronischen Dienstleistungen bestehen . Genau dies sind die notwendigen Ergänzungen für das Attraktivitätsangebot im ländlichen Raum . Große Distanzen, beispielsweise zu Behörden, stellen für die Menschen vor Ort ein Hindernis dar . Das gilt nicht nur für den Weg, sondern auch den damit verbundenen zeit- lichen Zusatzaufwand, zumal die bereits heute mögli- chen Dienstleistungen zeigen, dass die Aufträge deutlich schneller ausgeführt werden können . Als Beispiel sei die Beantragung eines polizeilichen Führungszeugnisses ge- nannt . Gehen Sie wie gewohnt zum Amt, müssen Sie mit einer Bearbeitungsdauer von etwa zwei Wochen rechnen; lösen Sie den Auftrag online aus, haben Sie das Zeugnis in der Regel innerhalb der nächsten drei Werktage . Dies ist ein deutlicher Fortschritt und zeigt, welches Potenzi- al die digitale Verwaltung und elektronische Dienstleis- tungen bieten . Bauen wir dies aus, kann vor allem der ländliche Raum davon profitieren und das Lebens- und Wohnumfeld stabilisiert und attraktiver gestaltet werden . CDU und CSU haben das Potenzial erkannt und bringen den Ausbau des innovativen, digitalen Staates voran . Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Ich freue mich, dass wir heute den Antrag „Innovativer Staat“ der Koali- tionsfraktionen nach den Beratungen in den Ausschüssen endgültig verabschieden können . Denn die Zeit drängt: Wie ich schon in meiner ersten Rede zu diesem Thema ausgeführt habe, ist das Angebot von digitalen Verwal- tungsdienstleistungen in Deutschland erschreckend ge- ring. Dies trifft auch auf die Nutzerzahlen zu; denn wo kaum Leistungen angeboten werden, können auch keine Nutzer für das Angebot gewonnen werden . Deutschland liegt damit im europäischen Vergleich im unteren Mittelfeld . Gerade unsere Nachbarn Schweiz und Österreich sind hier deutlich besser aufgestellt . Die- sen Rückstand müssen wir unbedingt aufholen, denn es sollte unser Anspruch sein, auch im Bereich der Digita- lisierung von Verwaltungsdienstleistungen im europäi- schen Vergleich im Spitzenfeld zu stehen. Wie viel Nachholbedarf wir in Deutschland haben und welchen Nerv wir mit diesem Antrag getroffen haben, hat sich mir auch nach unserer letzten Plenardebatte gezeigt . Ich habe Anrufe und Zuschriften von einigen Bürgern und einer Reihe von Unternehmen erhalten, die sich da- rüber gefreut haben, dass wir das Thema der Digitalisie- rung unserer Verwaltung endlich angehen wollen. Nicht zuletzt deshalb meine ich, dass Bürger und Unternehmen bessere, nutzerfreundliche und deutlich ausgebaute digi- tale Verwaltungsangebote sehr begrüßen würden. Des- halb ist es unverzichtbar, dass der Bund nun das Tempo bei der Verwaltungsdigitalisierung erhöht. Erste Anzeichen für eine solche Tempoverschärfung sind bereits zu beobachten. Vor kurzem hat sich der Deut- sche Bundestag in erster Lesung mit dem Gesetz zur Neu- ordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen befasst . Teil dieses umfangreichen Gesetzespakets, das bekannt- lich auch mehrere Grundgesetzänderungen umfasst, ist auch das Onlinezugangsgesetz, das alle Behörden von Bund, Ländern und Kommunen dazu verpflichtet, ihre Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 auch elektronisch zur Verfügung zu stellen. Dazu sollen alle bestehenden Portale mit digitalen Verwaltungsdienstleistungen der verschiedenen Ebenen zu einem Portalverbund zusam- mengeführt und damit den Bürgern und Unternehmen zugänglich gemacht werden . Mithilfe eines einzurichten- den Nutzerkontos können Bürger und Unternehmen sich über Verwaltungsdienstleistungen informieren und dann die entsprechenden Angebote in Anspruch nehmen . Mich freut hierbei besonders, dass die Bundesregie- rung ein lebenslagengestütztes Verfahren anbietet, das heißt, die Verwaltungsdienstleistungen werden an den Bedürfnissen der Nutzer ausgerichtet und nicht an den Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722684 (A) (C) (B) (D) Strukturen der Verwaltung. Außerdem sollen alle Dienst- leistungen aus einer Hand angeboten werden – die Ver- waltungsstrukturen von Bund und Ländern sind im Hin- tergrund und für die Nutzer nicht zu erkennen. Ich finde, dass die Bundesregierung mit dem Vorschlag, einen Por- talverbund einzurichten, schon einen sehr großen Schritt in die Richtung gemacht hat, die wir mit unserem Antrag vorgeben wollen . Das Gesetz ist sicherlich ambitioniert, allerdings haben wir auch einen großen Rückstand aufzu- holen. Ich hoffe, dass die Bundesregierung, inspiriert von unserem Antrag, nun weitere Gesetzesvorhaben dieser Art folgen lassen wird. Denn der Bund muss Vorreiter für die übrigen Ebenen sein . Die deutsche Verwaltung gilt nach wie vor weltweit häufig als Vorbild. Damit das so bleiben kann, müssen wir unsere Verwaltungsstrukturen unbedingt an das 21 . Jahrhundert anpassen . Mit diesem Antrag hat der Bundestag seinen Beitrag dazu geleistet . Saskia Esken (SPD): Was macht eine moderne und effiziente öffentliche Verwaltung aus? Meines Erachtens entscheidet sich diese Frage beim alltäglichen Umgang der Verwaltung mit den Bürgerinnen und Bürgern. Eine moderne und effiziente öffentliche Verwaltung begreift sich als Dienstleister . Als Nutzer erwarten wir heute, dass wir unsere Behördengänge online und mobil erledigen können . Und wir wollen uns darauf verlassen können, dass die zum Teil sehr sensiblen Daten, die wir mit der Behörde teilen, nicht in unbefugte Hände geraten . Gemessen an diesen Erwartungen muss die deutsche Verwaltung noch einiges nachholen. Das sagen uns auch diverse Studien und internationale Vergleiche zum The- ma E-Government . Egal welche Studie wir heranziehen, sie alle kommen zu einem einhelligen Urteil: Die Ange- bote der digitalen Verwaltung in Deutschland sind dürf- tig – in Anzahl und Qualität, aber auch in ihrer Nutzung, also in der Akzeptanz . So belegt Deutschland zum Beispiel beim gerade er- schienenen „Digital Economy and Society Index 2017“ der Europäischen Kommission den elften Rang . Damit befinden wir uns im gesicherten Mittelfeld; nicht gerade eine Traumplatzierung! Die Autoren der Studie schreiben, die größte Heraus- forderung für die deutsche Verwaltung bestehe darin, die Online-Interaktion zwischen Behörden und Bürgern zu verbessern . Nur 19 Prozent der Deutschen nutzten der Studie nach E-Government-Dienste . Diese kurze Ausführung zeigt, dass die Politik im Be- reich E-Government noch viel zu tun hat . Zwar haben wir mit dem im Jahr 2013 in Kraft getretenen E-Govern- ment-Gesetz und mit dem in dieser Legislatur beschlos- senen Programm „Digitale Verwaltung 2020“ einige Schritte getan; deren Umsetzung geht jedoch quälend langsam und nicht konsequent genug voran . Ich bin deshalb dankbar, dass wir uns mit unserem Koalitions- partner auf den vorliegenden Antrag zum E-Government geeinigt haben . Ein wichtiger Bestandteil ist das Bürgerkonto, über das die Nutzer sicher mit der Verwaltung kommunizie- ren können. Als eindeutige Identifikation beim Zugriff auf das Bürgerkonto dient die elektronische ID des neuen Personalausweises . Bei allen neu ausgestellten Personal- ausweisen soll die eID deshalb – anders als bisher – vor- eingestellt sein und nur auf Wunsch abgeschaltet werden . Opt-out statt opt-in also . Ein weiteres wichtiges Anliegen unseres Antrags wird in der Fachwelt als Open Government und Open Data diskutiert. Hier geht es um die Offenheit und Transparenz staatlichen Handelns sowie um den freien Zugang zu den Daten der Verwaltung. Der zuvor zitierte „Digital Eco- nomy and Society Index“ stellt fest, dass in Deutschland im Bereich Open Data „kein Wachstum zu verzeichnen“ sei . Im Antrag fordern wir die Offenlegung von Verwal- tungsdaten, und zwar nicht auf Antrag, sondern proaktiv, in einheitlichen und maschinenlesbaren Formaten und unter freien Lizenzen . Es ist zu begrüßen, dass die Regie- rung noch in dieser Legislatur ein solches Open-Data-Ge- setz in Form einer Änderung des E-Government-Geset- zes vorlegen wird . Wie ich bereits erwähnte, ist das Vertrauen der Nutzer in die Sicherheit von Daten und Kommunikation von zen- traler Bedeutung bei der Frage, ob und in welchem Um- fang die E-Government-Angebote der Verwaltung von der Bevölkerung benutzt werden . Deshalb ist es wichtig, dass die Verwaltung den Bürgerinnen und Bürgern siche- re, durchgängig oder, wie man sagt: Ende-zu-Ende ver- schlüsselte Kommunikationswege zur Verfügung stellt. Nicht nur die Unternehmen der kritischen Infrastruk- tur, auch die digitale Verwaltung ist durch cyberkriminel- le Angriffe in ihrer Funktions- und Handlungsfähigkeit hoch gefährdet und muss sich deshalb besonders schüt- zen . Sie muss deshalb, auch das ist Gegenstand unseres Antrags, beim Umgang mit solchen Angriffen, beim Ein- satz von IT-Sicherheitstechnik und bei der Anwendung von IT-Sicherheitsverfahren eine Vorreiterrolle spielen. Vom digitalen Staat, von der digitalen Verwaltung sind wir in Deutschland noch weit entfernt . Mit dem vor- liegenden Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, den eingeschlagenen Weg gemeinsam mit Ländern und Kommunen weiter zu beschreiten, damit Deutschland in Zukunft auch bei Rankings zum E-Government einen Spitzenplatz belegen kann . Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): Informati- onstechnische Systeme haben das Verhältnis von Staat, Bürger und Wirtschaft grundlegend verändert . Daten sind die neue Währung der digitalisierten Welt . Unse- re Rechtsordnung ist davon nicht unberührt geblieben, denn wir haben auf das Dreiecksverhältnis zwischen Bürger, Staat und Wirtschaft reagiert und reagieren müs- sen . Zwischen Bürgern und Staat ist grundrechtlich im Sinne von Abwehrrechten des Bürgers gegen den Staat seit der Entscheidung des BVerfG mit der Kreation eines Grundrechts auf Schutz der Vertraulichkeit und Integri- tät informationstechnischer Systeme längst ein Anknüp- fungspunkt geschaffen. Zwischen Bürgern als Verbrau- chern und Wirtschaft scheint dies nicht zu gelten oder einfach mit dem Setzen eines digitalen Häkchens unter Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22685 (A) (C) (B) (D) eine – ausgedruckt zig Seiten umfassende – Erklärung erledigt zu sein . Man könnte fast sagen, der Bürger hätte es nicht erledigt, sondern sich einiger Schutzmechanis- men entledigt . In diesem System ein ganzheitliches Angebot von di- gitaler Verwaltungsdienstleistung anzulegen, ist eine He- rausforderung – und im Mindestmaß jedoch ein Werk, das mit kleinen Schritten voranzugehen scheint . Bund und Länder haben mit Artikel 91c GG eine not- wendige Grundlage für die Zusammenarbeit geschaffen, die in den Vertrag zur Errichtung des IT-Planungsrates mündete . Der große Wurf gelang damit jedoch nicht . Die Vergabe der öffentlichen Hand für IT-Ausstattung und interoperable Systeme sind immer noch weit weg von der Harmonisierung . Hier müssen wir dringend zu wirk- sameren Instrumenten greifen und mehr Verbindlichkeit herstellen . Die Zaghaftigkeit im IT-Bereich korrespon- diert mit einem Weniger an Staat in der digitalen Lebens- realität der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland . Ein Attest für gesetzgeberische Zaghaftigkeit war da- her, dass sich das BVerfG 2008 genötigt sah, ein Grund- recht zu entwickeln: „Schutz der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ . Und acht Jahre später, am 17 . August 2016, titelt die FAZ – immer noch – mit einem prominent platzierten ganzseitigen Ar- tikel: „Wir brauchen ein Digitalgesetz!“ Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir mit diesem Antrag die Strategie der Bundesregierung gesetzgebe- risch fordern . Die Wirtschaft hat es erkannt, den Komfort durch elektronische Dienste gewinnbringend einzuset- zen . Nutzerdaten, elektronische Zahlungsmethoden und in Algorithmen verschwindende Suchbegriffe der Nutzer werden zu einer Dienstleistung verschmolzen, die das Leben vereinfacht . Die Standardisierung dieser Prozesse führte zu einer Evolution, die das Nutzerverhalten antizi- pierte . Diese Lebenswirklichkeit der Menschen müssen wir als Staat aufnehmen . Staatliche Dienstleistungen müssen komfortabel, sicher und zeitgemäß werden – vom Personalausweis bis zur Verwaltungsdienstleistung. Dieser Gleichschritt aus Komfort, Sicherheit und Zeitgemäßheit ist aber vermutlich nicht weniger als der berühmte Versuch der Quadratur des Kreises. Wir bewe- gen uns stets auf dem schmalen Grad zwischen einem gesunden und tolerablen Verhältnis aus Praktikabilität, Datensicherheit und Datenschutz der Bürgerinnen und Bürger. Gänzlich auflösen werden wir diesen Antagonis- mus wohl nie, sodass wir hier stets und immer wieder aufs Neue mit wachem Auge und Fingerspitzengefühl rechtliche Rahmenbedingungen schaffen, aber auch – wo nötig – begrenzen müssen . Insgesamt besteht bei der Verbindung, Verschlüsselung und der Art und Weise der Übermittlung von Daten zwischen Verwaltung und Bürgern noch Handlungsbedarf . Allerdings hat hier die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der Vertraulichkeit und Integrität informations- technischer Systeme einen exzellenten Maßstab für den Gesetzgeber und die Verwaltung gesetzt, den es beim künftigen gesetzgeberischen Tätigwerden zu beachten gilt . Dennoch gilt für uns die Grundüberzeugung: Die Be- schleunigung der Entwicklung einer digitalen und mo- dernen Verwaltung ist notwendig und muss zügig voran- getrieben werden . Bei diesem Vorhaben konnten auch durchaus schon Erfolge erzielt werden . So ist mit Blick auf die Mittei- lung der Kommission zum EU-E-Government-Aktions- plan 2016-2020 bei der elektronischen Vergabe und in der elektronischen Rechnungsstellung im Binnenmarkt bereits sehr viel erreicht worden . Allerdings werden diese Erfolge andererseits wieder durch unzureichende Ausstattung mit technisch geeigneter EDV konterkariert, weil mit der aktuell verwendeten Technik eine rechtssi- chere Vergabe derzeit noch unmöglich ist. Ich glaube, der Schlüssel liegt hier in einem Vergaberecht, das die Interoperabilität der Systeme in Bund, Ländern und Ge- meinden sicherstellt, die derzeit durch die – grundsätz- lich richtige – Verwaltungs- und Organisationsautonomie verhindert wird . Notwendig ist daher auch ein Staatsvertrag, der Schnittstellen für den Abruf zentraler Datensätze bei gleichzeitiger Wahrung eines gemeinsam mit den Lan- desdatenschutzbeauftragten zu erarbeitenden Daten- schutzkodexes verbindlich festlegt, um wenigstens die 60 wichtigsten Verwaltungsdienstleistungen für Bund und Länder in einer einheitlichen Maske anbieten zu können . Der unter Beachtung des Datenschutzes not- wendige zentrale Zugriff auf Datensätze durch Bund und Länder hat sich beim Ende des letzten Jahres verabschie- deten Luftsicherheitsgesetz gezeigt, mit dem durch digi- tale Verwaltung die Effizienz, aber auch die Sicherheit erhöht worden ist . Allerdings ist die Digitalisierung kein Selbstzweck . Politische Vorhaben müssen sich stets am Wohle der Bür- gerinnen und Bürger ausrichten . Dieser Topos bedeutet für mich hier im Konkreten zweierlei: Einerseits soll das Vorantreiben der Digitalisierung in der Verwaltung nicht auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden . Ein Mehr an Digitalisierung darf nicht zu einem Weniger an Beschäftigten und entsprechenden Einsparungen in der Verwaltung führen. Es mag sinnvoll erscheinen, die Chancen der Digitalisierung zu nutzen, um Pensionie- rungs- und Rentenwellen abzufedern . Es darf aber nicht passieren, dass wir als Staat in unserem Einflussbereich die Menschen massenhaft auf die Straße setzen . Und andererseits gilt: Um allen Menschen gleichen Zugang zu Verwaltungsdienstleistungen zu garantieren, muss auch auf diejenigen Rücksicht genommen werden, die aus ökonomischen oder technischen Gründen E-Go- vernment-Angebote nicht nutzen könnten . Denn eine di- gitale Verwaltung soll Vorteile für die Bürgerinnen und Bürger schaffen und den Komfort im Alltag erhöhen, aber niemanden ausgrenzen! Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Was E-Government und die Digitalisierung der Verwaltung angeht, ist Deutschland leider weit im Hintertreffen. Und daran hat sich in den vergangenen Jahren auch wenig geändert . Wie kommt das? Schaut man sich den Antrag der Koalition an, könnte man auf den Gedanken kommen, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722686 (A) (C) (B) (D) es müsse wohl daran liegen, dass bisher nicht genügend wohlklingende Zielvorstellungen aufgeschrieben wur- den . Allein, gerade daran fehlt es nicht . Bei den Zielen werden wir uns wohl alle schnell einig: die leicht zugängliche Möglichkeit für alle, Anliegen ge- genüber der Verwaltung auch elektronisch zu erledigen; eine leistungsfähige Verwaltung, die nicht mehr so viel Zeit mit dem Bewältigen von Medienbrüchen verbringt; ein hohes Niveau der IT-Sicherheit, insbesondere um persönliche Daten zu schützen; und mehr Transparenz staatlichen Handelns . Nur wenigen Dingen, die in dem vorliegenden Antrag stehen, lässt sich direkt widersprechen . Es fehlt ihm aber an Konzepten und an konkreten Vorgaben. Die erfolgreiche Einführung von E-Government er- fordert finanziellen und personellen Einsatz, wobei wir insbesondere die Kommunen nicht auf sich allein gestellt lassen können . Sie erfordert einen Ansatz, der die Per- spektive der Beschäftigten und ihre Mitbestimmungs- rechte ernst nimmt . Sie erfordert ganz allgemein die Be- reitschaft, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Und von alldem ist hier wenig zu lesen . Sie halten beispielsweise immer noch am gescheiter- ten Projekt De-Mail fest, statt auf existierende Standards der Verschlüsselung zu setzen. Überhaupt ist das Vorge- hen der Bundesregierung hier zwiespältig: Einerseits will man verschlüsselte Kommunikation stärken, andererseits wendet man beträchtliche Mittel auf, um Wege zu finden, sie zu umgehen . Sicherheitslücken sollen also sowohl ge- schlossen als auch ausgenutzt werden . Die Cybersicher- heitsstrategie der Bundesregierung adelt das zur „Kryp- to-Strategie“; strategisch ist daran aber nichts . Sie bekennen sich – mal wieder – zu Open Data . Sie hätten in den letzten Jahren jede Gelegenheit gehabt, hierfür den rechtlichen Rahmen zu schaffen. Während in immer mehr Bundesländern das Informationsfreiheits- recht hin zu Transparenzgesetzen weiterentwickelt wird, warten wir nun hier auf ein Open-Data-Gesetz, das ab- sehbar immer noch keine durchsetzbare Pflicht zur Ver- öffentlichung von Daten vorsehen wird. Sie wollen den IT-Planungsrat stärken . Aber gerade kürzlich erst hat die Bundesregierung den Entwurf eines Onlinezugangsgesetzes vorgelegt, das dem Bund neue Kompetenzen gibt und die Rolle des Planungsrats eher beschränken wird . Ihrem gesamten Antrag fehlt es an einer klaren Linie und an eigenen Konzepten . Ihn hier zu verabschieden, wird kein einziges E-Government-Projekt einen Schritt voranbringen . Der Antrag der Grünen benennt die Probleme weit deutlicher und stellt auch eine ganze Reihe richtiger Forderungen auf, denen wir zustimmen können . Auch er spart aber einen wichtigen Punkt aus . Es ist richtig, dass mit der Digitalisierung der Verwal- tung große Effizienzgewinne zu erwarten sind; Sie zitie- ren die 34 Prozent aus der Studie des Normenkontrollrats . Aber wem soll dieser Gewinn zugutekommen? Wenn Sie das als „ökonomisches Einsparpotential“ bezeichnen, zielen Sie am Ende womöglich auf Personalabbau . Bei der Digitalisierung der Verwaltung auf den soge- nannten „schlanken Staat“ zuzusteuern, vergibt aber ihre echten Chancen und gefährdet auch die bei diesem The- ma so notwendige Akzeptanz . Aus unserer Sicht müssen Effizienzgewinne in die Stärkung der öffentlichen Ver- waltung gehen, damit diese die ihr anvertrauten Aufga- ben im Sinne der Menschen gut erfüllen kann . Wenn wir das hinkriegen, können wir vielleicht in ei- nigen Jahren einmal über dieses Thema reden, ohne eine so schlechte Bilanz ziehen zu müssen . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ob E-Perso, De-Mail und ELENA, ob die Gesundheitskarte oder das Informationstechnikzen- trum Bund – die Liste an chronisch problembehafteten IT-Großprojekten des Bundes ist schon lang, aber offen- bar immer noch verlängerbar: In unschöner Regelmä- ßigkeit wird erst großtrabend angekündigt, um dann bei den absehbaren Mühen der Ebene umso schmallippiger kommentiert ein Prestigevorhaben nach dem anderen in den Sand zu setzen . Denn meist ist man schlichtweg zu sehr am eigentli- chen Bedarf vorbei, bleibt ohne Koordination, Standards und Durchgängigkeit zu unpraktisch und unbekannt, wenn nicht gar unauffindbar. Bei fehlender Marktent- wicklung sind die Angebote auch noch zu teuer und tech- nisch anfällig sowie ohne effektiven Datenschutz wenig vertrauenswürdig . Akten werden nur selten vollständig und systematisch elektronisch geführt . Open Source und offene Standards spielen kaum eine Rolle, ja werden teils zurückgesetzt, während bei der Beschaffung proprietärer Produkte und Beratungsleistungen die Gefahr wächst, von kommerziellen Marktführern an der Nase herumge- führt zu werden . Entsprechend eindeutig fallen Vergleichsstatistiken aus: Die Bundesrepublik Deutschland verliert im EU-Di- gitalisierungsindex den Anschluss, der Normenkontroll- rat beklagt länger schon, dass es de facto kaum Angebo- te gibt – die daher auch nur von wenigen angenommen werden. Die Nutzungszahlen von Online-Verwaltungs- diensten in Deutschland bleiben weit hinter Ländern wie Österreich, Schweiz oder Schweden zurück, und es sieht eher noch nach einer weiteren Rückentwicklung denn ei- ner wirklichen Aufholjagd aus . In ihrem Antrag räumt die Große Koalition immerhin ungewohnt offenherzig die Bilanz des eigenen Scheiterns ein: Es drohe „der Verlust der technologischen Souve- ränität“ – nun das könnte damit zusammenhängen, wie unsouverän diese Bundesregierung digitalpolitisch seit Jahren unterwegs ist . Angesichts dieser Ausgangslage ziehen Sie in manchem – wie bei der Bedeutung von Open Data – sogar ansatzweise die richtigen Schlüsse, freilich nur auf dem Antragspapier . Denn wie so oft in den enttäuschenden Jahren Ihrer „Digitalen Agenda“ folgen den hehren Worten selten und nur unentschlos- sen die richtigen Taten . Wenn man nicht gar mit einer Verschlimmbesserung um die Ecke kommt, doch dazu später . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22687 (A) (C) (B) (D) Dabei hat eine Enquete-Kommission dieses Hauses in der vergangenen Legislaturperiode fraktionsübergreifend in einer tiefgehenden Grundlagenarbeit umfangreiche und konkrete Handlungsempfehlungen vorgelegt, und auch in den vergangenen Jahren hat sich der Deutsche Bundestag intensiv mit diesen Fragen beschäftigt . Hier besteht ja eigentlich Konsens, dass die Digitalisierung unserer Verwaltung gerade mit Blick auf die demografi- sche Entwicklung sowie den ländlichen Raum, aber auch auf gestiegene Ansprüche an Beteiligung und Transpa- renz enorme Chancen bietet . Das großes Synergie- und Einsparpotenzial für unsere Verwaltung mitsamt entspre- chender Entwicklungsanreize für die Wirtschaft spielen also auch, aber keineswegs ausschließlich eine Rolle, wie manche Fehlfokussierung in dieser Diskussion glauben ließe . Doch Sie bekommen leider das Kunststück fertig, die Enquete-Empfehlungen entgegen Ihrer überraschend schonungslosen Problemerfassung auch nur mit einem Wort zu erwähnen – vielleicht weil es dann bei der fol- gerichtigen Problemlösung in eigener Regierungsverant- wortung allzu konkret würde . So warten wir weiterhin auf eine kohärente, entschlos- sen verfolgte Strategie, um die offensichtlichen Potenzia- le von Open- und E-Government endlich zu heben . Nach beinahe vier Jahren schwarz-roten Kompetenzgerangels bräuchte es eine ressortübergreifende Zusammenarbeit mitsamt einer zugstarken Koordinierung durch eine/n Beauftragte/n der Bundesregierung . Mit Beratungsbü- ros könnte der Bund frühzeitig Länder und Kommunen bei der Implementierung entsprechender Angebote un- terstützen. Für alle wesentlichen Verwaltungsverfahren bedarf es der engen Abstimmung im föderalen Gefüge mithilfe des IT-Planungsrats . Statt immer neuer, aber aussichtsloser Leucht- turm-Vorhaben, sollte man vielleicht erst einmal von un- abhängiger Seite beleuchten lassen, warum die eigenen IT-Projekte der vergangenen Jahren so spektakulär schei- terten, und dann fortlaufend die eigenen Reformbemü- hungen in Zweijahresschritten evaluieren . Doch schon jetzt sollte über einige, seit langem eta- blierte Grundsätze Einigkeit bestehen: Ein bisschen Schriftformverzicht wird es kaum richten: Vielmehr brauchen wir umfassend eine Vorrangigkeit digitaler Verfahren und Verwaltungsleistungen, wobei konsequent auf die Barrierefreiheit zu achten ist und zugleich immer auch eine gleichwertige Alternative bestehen muss, zu- mal solange diese Bundesregierung ebenso wenig eine wirkliche Strategie für eine flächendeckende Breitband- versorgung hat wie für die digitale Partizipation margina- lisierter Gesellschaftsgruppen . Ohne das Benutzervertrauen, dass ein Angebot tech- nisch sicher und dabei der Datenschutz gewährleistet ist, werden IT-Projekte wieder so ruhmlos enden wie De- Mail, E-Perso oder ELENA. Hier bedarf es effektiver Methoden wie der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sowie den neuesten Standards bei der Daten- und IT-Sicherheit . Dass die Bundesregierung bei der aktuellen Umsetzung der europäischen NIS-Richtlinie weiterhin die eigene Verwaltung pauschal von den Sicherheitsanforderungen an kritische Infrastrukturen ausnehmen will, dürfte da eher nicht als vertrauensbildende Maßnahme durchge- hen . Nicht zuletzt müssen Best-Practice-Beispiele Schule machen können. So zersplittert die öffentliche IT-Land- schaft auch ist und so viele Probleme auf allen Ebenen zweifelsohne bestehen: Immer wieder gibt es im Kleinen und gerade auch in den Kommunen erfreuliche Vorrei- ter . Der IT-Planungsrat hat in seiner langjährigen Bot- tom-up-Strategie immer wieder eine bessere Koordinie- rung angemahnt . Angesichts der vielen gescheiterten Bundesprojekte verwundert es da nun umso mehr, wie schnell, stark und von oben herab mit einer weiteren Grundgesetzände- rung und dem Onlinezugangsgesetz zentralisiert werden soll . Anstatt endlich mal wenigstens ein IT-Projekt auf Bundesebene zu wuppen, haben Sie nichts Besseres zu tun, als ans Grundgesetz zu gehen . So sinnvoll hier eine stärkere Koordinierung auch ist, solange Sie sich nicht endlich an die ja seit langem bekannten Problemursachen und entsprechenden Lösungsansätze machen, wird es mit dem E-Government unter dieser Großen Koalition nichts mehr werden . Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 225. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3 Fortentwicklung des Standortauswahlgesetzes TOP 4 Arbeit 4.0 – Arbeitswelt von morgen TOP 5 Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht TOP 34, ZP 1 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 35, ZP 2 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 3 Aktuelle Stunde „60 Jahre Römische Verträge“ TOP 32 Unternehmungen aus bürgerschaftlichem Engagement TOP 7 Arbeitslosenversicherung TOP 8 Umsetzung der EU-Geldwäscherichtlinie TOP 9, ZP 4 Europaweiter Atomausstieg TOP 10 Ausbau der Kindertagesbetreuung TOP 11 Prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft TOP 12 Umsetzung der Zahlungsdiensterichtlinie TOP 13 Rechte indigener Völker TOP 14 Fluggastdatengesetz ZP 5 Verhandlungen über einen Atomwaffenverbotsvertrag TOP 16 Änderung des Europolgesetzes TOP 17 Änderung des Energie- und des Stromsteuergesetzes TOP 18 Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung TOP 19 Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie TOP 20 Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht TOP 21 Änderung des Weingesetzes TOP 22 Stärkung der Innovationskraft von Unternehmen TOP 23 Netzentgeltmodernisierungsgesetz TOP 24 Gesetz über den Deutschen Wetterdienst TOP 25 Vorschriften über Blut- und Gewebezubereitungen TOP 26 Technikfolgenabschätzung – Synthetische Biologie TOP 27 Digitale Verwaltung Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822500000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schon wieder hat
ein fürchterlicher Anschlag Menschen mitten aus dem
Leben in den Tod gerissen und andere schwer verletzt,
diesmal in London ganz in der Nähe des britischen Par-
laments . Unsere Gedanken sind in diesen Stunden bei
den Angehörigen der Opfer, den Getöteten und den Ver-
letzten, denen unser Mitgefühl gilt und denen wir eine
möglichst schnelle Genesung wünschen . Unseren Freun-
den im Vereinigten Königreich versichern wir unsere
uneingeschränkte Solidarität im Kampf gegen jede Form
von Terror und Gewalt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf den
Tribünen! Heute jährt sich das Ermächtigungsgesetz vom
23 . März 1933 . Die Selbstaufgabe des Parlaments bahn-
te – wie man damals ahnen musste und heute weiß – den
Weg unumkehrbar in die nationalsozialistische Diktatur .
Der Reichstag tagte nach dem großen, mysteriösen Brand
schon nicht mehr in diesem Gebäude; ein Parlament wur-
de fortan auch nicht mehr gebraucht .

Der 23 . März verweist als ein Wendepunkt der deut-
schen Geschichte auf die persönlichen Schicksale zweier
herausragender Parlamentarier, die der Deutsche Bun-
destag von heute an mit der Benennung prominenter
Liegenschaften hier in Berlin ehren wird: Otto Wels und
Matthias Erzberger.

Mit ihnen verbinden sich die dramatischen Anfänge
und das tragische Ende der ersten deutschen Republik,
beginnend mit dem Waffenstillstand im Wald von Com-
piègne 1918, den zu unterschreiben der Zentrumsab-
geordnete Matthias Erzberger als Leiter der deutschen
Verhandlungsdelegation auf sich nahm, um das sinnlose
Gemetzel in Europa nach vier entsetzlich langen Jahren
endlich zu beenden .

Als Folge der berechnenden Feigheit verantwortlicher
Generäle, ihre militärische Niederlage selbst einzuge-
stehen, blieb nicht nur der Ruf der jungen, gerade neu
gegründeten Republik und der parlamentarischen Demo-
kratie nachhaltig beschädigt; auch Erzberger persönlich,
der für die Idee eines Völkerbundes und die Annahme

des von vielen als „Friedensdiktat“ empfundenen Ver-
sailler Vertrags eintrat, wurde Ziel übelster Schmähun-
gen und Verleumdungen und im August 1921 das Opfer
eines Mordanschlags .

1933, unmittelbar vor dem Ermächtigungsgesetz, ge-
währte Reichspräsident Paul von Hindenburg mit einer
Verordnung für „Straftaten, die im Kampfe für die nati-
onale Erhebung des Deutschen Volkes, zu ihrer Vorbe-
reitung oder im Kampfe für die deutsche Scholle began-
gen sind“, Straffreiheit und damit auch den ins Ausland
geflüchteten Attentätern Matthias Erzbergers, für deren
Rückkehr sich Hitler persönlich aussprach . Sie hatten
einer nationalistisch-antisemitischen Terrororganisation
angehört, hervorgegangen aus einem Putsch konterrevo-
lutionärer Kräfte gegen die Republik, der im März 1920
an einem Generalstreik gescheitert war . Dieser war da-
mals organisiert und initiiert von Otto Wels .

Dieser war es auch, der als SPD-Vorsitzender am
23 . März 1933 in einem Akt demokratischer Selbstbe-
hauptung seine Stimme gegen die Auslieferung der De-
mokratie an ihre Feinde erhob, als Einziger, mutig und
mit bestechender Klarheit . Durch die Kraft der Rede ließ
sich die Entwicklung nicht mehr verändern, die Trans-
formation einer labilen Demokratie in einen autoritären,
schließlich totalitären Staat . Und doch wurde das Wort
zur Tat: zum Widerstand gegen die Anmaßung der neuen
Machthaber, zum Signal, zur Botschaft an die Nachwelt,
dass auch unter eskalierendem Terror Widerstand nötig
und möglich war . Diese historische Erfahrung verdient
nicht nur in Deutschland in Erinnerung bewahrt und po-
litisch bewusst zu bleiben. Ähnliche Versuchungen gibt
es offenkundig auch heute.

Bei allen Unterschieden in Herkunft und politischer
Sozialisation eint Otto Wels und Matthias Erzberger, dass
ihr Wirken in der Rückschau auf die existenziellen Kri-
senmomente reduziert wird . Dabei zeigten sich in ihnen
wie in einem Brennglas Charakter und demokratische
Gesinnung, die ein viel längeres politisches Leben aus-
zeichneten . Beide gehörten dem Reichstag jeweils fast
zwei Jahrzehnte an . Sie organisierten an herausgehobe-
ner Position den schwierigen Übergang von der Monar-
chie zur Republik und formten deren Grundfeste mit –






(A) (C)



(B) (D)


Otto Wels von 1919 an als Vorsitzender seiner Partei,
deren führender Kopf er auch im Exil bis zu seinem Tod
zwei Wochen nach Kriegsbeginn blieb .

Erzberger wiederum personifiziert das im Kaiserreich
gewachsene Selbstbewusstsein des Parlaments . Auch
wenn die von ihm initiierte Friedensrevolution, in der sich
der Reichstag vor genau 100 Jahren mehrheitlich für ei-
nen Verständigungsfrieden ohne Annexionen aussprach,
folgenlos blieb, erwies sich das damals geschmiedete
parlamentarische Bündnis aller demokratischen Kräfte
als tragfähig für die spätere, die Republik stützende so-
genannte Weimarer Koalition . In der kurzen Zeitspanne,
die Erzberger blieb, um diese Republik mitzugestalten,
ist ihm Beachtliches gelungen . Er organisierte ein reichs-
einheitliches Bahnsystem und schuf als Finanzminister
eine der größten Steuerreformen der Geschichte, deren
Grundlagen bis in die heutige Zeit reichen, und das übri-
gens innerhalb von neun Monaten .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir Persön-
lichkeiten ehren, die in ihrem Kampf um Demokratie
und Parlamentarismus scheiterten und dafür sogar mit
dem Leben bezahlten, ist keine deutsche Besonderheit,
der Schleier des Vergessens aber, der vielfach über den
Wegbereitern unserer Demokratie liegt, schon . So gibt
es in Berlin einen Hindenburgdamm, aber bis heute kei-
ne Straße und keinen Platz, die bzw . der an Matthias
Erzberger erinnert . Deshalb freue ich mich, dass der
Ältestenrat meinem Vorschlag gefolgt ist, Gebäude und
Säle des Bundestages nach bedeutenden Parlamentariern
und Parlamentarierinnen zu benennen . Möglichst bald
wollen wir so auch eine herausragende Frau des deut-
schen Parlamentarismus würdigen .

Mit der Benennung des Gebäudes Unter den Lin-
den 50 in „Otto-Wels-Haus“ und Unter den Linden 71 in
„Matthias-Erzberger-Haus“ setzt der Deutsche Bundes-
tag ein überfälliges Zeichen im öffentlichen Raum.


(Beifall im ganzen Hause)


Wir erinnern an die Lebensleistung zweier herausra-
gender Parlamentarier, die beispielgebend moralische
Größe und demokratische Haltung bewiesen – zu einer
Zeit, als es auch in Deutschland tatsächlich Mut brauch-
te, um für seine Überzeugungen einzutreten. Ihr Ver-
mächtnis ist und bleibt uns anvertraut .

Vielen Dank für Ihre Zustimmung.


(Beifall im ganzen Hause)


Ich möchte Sie vor Eintritt in unsere Tagesordnung
darauf aufmerksam machen, dass es eine interfraktionel-
le Vereinbarung gibt, die Tagesordnung um die in der Zu-
satzpunkteliste aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren


(Ergänzung zu TOP 34)


a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aus-
führung der Anlage VI des Umweltschutzpro-
tokolls zum Antarktis-Vertrag vom 14. Juni
2005 über die Haftung bei umweltgefährden-


(Antarktis-Haftungsgesetz – AntHaftG)


Drucksache 18/11529
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anlage
VI des Umweltschutzprotokolls zum Antark-
tis-Vertrag vom 14. Juni 2005 über die Haf-

(Antarktis-Haftungsannex)


Drucksache 18/11530
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Einrichtung eines Bundesprogramms „Zu-
gang zu Land – Chancen für neue Betriebe
ermöglichen“

Drucksache 18/11601
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink,
Dr . Harald Terpe, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Arzneimittelversorgung an Bedürfnissen der
Patientinnen und Patienten orientieren – Heu-
te und in Zukunft

Drucksache 18/11607
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie

ZP 2 Weitere abschließende Beratung ohne Aus-
sprache


(Ergänzung zu TOP 35)


Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines … Ge-
setzes zur Änderung des Gesetzes über die in-
ternationale Rechtshilfe in Strafsachen

Drucksache 18/11140

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/11638

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

60 Jahre Römische Verträge

ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-
Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Brennstofflieferungen für belgische Atom-
kraftwerke stoppen

Drucksachen 18/9676, 18/10934

ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Inge
Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
sowie der Abgeordneten Agnieszka Brugger,
Jürgen Trittin, Katja Keul, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verhandlungen über einen Atomwaffenver-
botsvertrag aktiv unterstützen

Drucksache 18/11609
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

ZP 6 – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Ersten Gesetzes zur Änderung des Infra-
strukturabgabengesetzes

Drucksachen 18/11237, 18/11536

– Zweite und dritte Beratung des von den Ab-
geordneten Herbert Behrens, Sabine Leidig,
Caren Lay, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Aufhebung des Gesetzes
über die Erhebung einer zeitbezogenen In-
frastrukturabgabe für die Benutzung von

(Infrastrukturabgabenaufhebungsgesetz – InfrAGAufhG)


Drucksache 18/11012

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15 . Ausschuss)


Drucksache 18/11646

ZP 7 – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Zweiten Ver-
kehrsteueränderungsgesetzes

Drucksachen 18/11235, 18/11560

Beschlussempfehlung und Bericht des Fi-
nanzausschusses (7. Ausschuss)


Drucksache 18/11643


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/11644

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate
Müller-Gemmeke, Kerstin Andreae, Brigitte
Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kein Sachgrund – Keine Befristung

Drucksache 18/11608
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Der Tagesordnungspunkt 6 – hier geht es um die Neu-
regelung des Mutterschutzrechts – wird heute abgesetzt .
Stattdessen soll der Tagesordnungspunkt 32 – Gesetzent-
wurf zu Unternehmungen aus bürgerschaftlichem En-
gagement – unter Beibehaltung der vereinbarten Debat-
tenzeit aufgerufen werden .

Ebenso sollen die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b
abgesetzt werden – hier geht es um Anträge zum Atom-
waffenverbotsvertrag – und stattdessen der gemeinsame
Antrag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen auf der Drucksache 18/11609 mit dem Titel „Ver-
handlungen über einen Atomwaffenverbotsvertrag aktiv
unterstützen“ ebenfalls mit unveränderter Debattenzeit
beraten werden .

Anstelle des Tagesordnungspunktes 28 sollen die Be-
schlussempfehlungen auf der Drucksache 18/11646 zu
dem Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des
Infrastrukturabgabengesetzes sowie die Beschlussemp-
fehlung auf der Drucksache 18/11643 zum Entwurf eines
Gesetzes zur Änderung des Zweiten Verkehrsteuerände-
rungsgesetzes in verbundener Beratung mit einer Debat-
tenzeit von 60 Minuten aufgerufen werden . Die nachfol-
genden Tagesordnungspunkte der Koalitionsfraktionen
rücken entsprechend nach hinten .

Schließlich mache ich noch auf mehrere nachträgli-
che Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatz-
punkteliste aufmerksam:

Der am 17 . Februar 2017 (219 . Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-
schuss für Gesundheit (14 . Ausschuss) zur Mitberatung
überwiesen werden:

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Neustrukturierung des Bundeskri-
minalamtgesetzes

Drucksache 18/11163
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Der am 9 . März 2017 (221 . Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


schuss für Gesundheit (14 . Ausschuss) zur Mitberatung
überwiesen werden:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu-
strukturierung des Bundeskriminalamtgeset-
zes

Drucksache 18/11326
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Der am 9 . März 2017 (221 . Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-
schuss für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss)


(9 . Ausschuss)


Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes gegen
schädliche Steuerpraktiken im Zusammen-
hang mit Rechteüberlassungen

Drucksache 18/11233
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Haushaltsausschuss

Der am 9 . März 2017 (221 . Sitzung) überwiese-
ne nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13 . Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden:


Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
derung der materiellen Zulässigkeitsvoraus-
setzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen
und zur Stärkung des Selbstbestimmungs-
rechts von Betreuten

Drucksache 18/11240
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit

Der am 10 . März 2017 (222 . Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-
schuss für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss) so-
wie dem Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

(10 . Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden:


Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fort-
entwicklung der haushaltsnahen Getrennter-
fassung von wertstoffhaltigen Abfällen

Drucksache 18/11274
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit (f)

Innenausschuss

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Vereinbarungen ein-
verstanden sind . – Das sieht ganz danach aus . Dann kön-
nen wir so verfahren .

Ich rufe unsere Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von den Frakti-
onen CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Fortentwicklung des Gesetzes zur
Suche und Auswahl eines Standortes für ein
Endlager für Wärme entwickelnde radioakti-
ve Abfälle und anderer Gesetze

Drucksache 18/11398

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit (16 . Ausschuss)


Drucksache 18/11647

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus
Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Exportverbot für hochradioaktive Abfälle

– zu dem Abschlussbericht der Kommission La-
gerung hoch radioaktiver Abfallstoffe

Verantwortung für die Zukunft

Ein faires und transparentes Verfahren für
die Auswahl eines nationalen Endlager-
standortes

Drucksachen 18/9791, 18/9100, 18/11647

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel,
Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Umgang mit Atommüll – Defizite des Ent-
wurfs des Nationalen Entsorgungsprogramms
beheben und Konsequenzen aus dem Atom-
mülldesaster ziehen

Drucksachen 18/5228, 18/7275

Zum Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU,
SPD und Bündnis 90/Die Grünen liegt ein Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 77 Minuten vorgesehen . – Auch dazu gibt
es offensichtlich Einvernehmen. Also verfahren wir so.

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst der Bundesministerin Frau Dr . Barbara Hendricks .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen! Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwick-
lung des Standortauswahlgesetzes wird der Fahrplan zur
Endlagersuche jetzt mit Leben erfüllt, wenn wir heute
dieses Gesetz verabschieden. Das Gesetz legt das Ver-
fahren fest, an das sich künftig jeder zu halten hat, der an
der Suche nach einem Endlagerstandort für hochradioak-
tive Abfälle beteiligt ist . Es ist meine tiefe Überzeugung,
dass nur mit festen Regeln und mit absoluter Transparenz
eine ergebnisoffene und bundesweite Suche nach einem
Endlagerstandort gelingen kann .

Dem Gesetzentwurf ist die Arbeit der Endlagerkom-
mission vorausgegangen, in die Mitglieder des Deut-
schen Bundestages, Vertreterinnen und Vertreter der
Länder, der Wissenschaft und gesellschaftlicher Gruppen
eingebunden waren . Mein besonderer Dank gilt heute
dieser Kommission .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie hat in den letzten Jahren mit schwieriger Detail-
arbeit und in oft kontroverser Debatte einen fundierten
Bericht erstellt . Die Kommission hat damit die Grund-
lage für das Verfahren gelegt, für das ich Sie heute um
Zustimmung bitte .

Die Herausforderung könnte kaum größer sein . Hoch-
radioaktive Abfälle aus den Atomkraftwerken müssen
für 1 Million Jahre sicher von der Umwelt ferngehalten
werden . So steht es im Gesetz, obwohl natürlich die Zahl
von 1 Million eine gegriffene Größe ist. Aber gehen wir
von 1 Million Jahre aus: Mehr als 30 000 Generationen
werden in diesem Zeitraum noch von den Folgen der
Atomtechnologie betroffen sein, die bei uns gerade ein-
mal 60 Jahre in Betrieb gewesen ist . Seit Christi Geburt
sind übrigens rund 60 Generationen vergangen – um ein-
mal die Dimension deutlich zu machen, mit der wir es
hier zu tun haben .

Alle diese Zahlen zeigen noch einmal überdeutlich,
welch ein Irrweg die Nutzung der Atomenergie gewesen
ist .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es wird Zeit, dass das letzte deutsche Atomkraftwerk im
Jahr 2022 vom Netz geht .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mich
bei allen bedanken, die sich zum Teil seit Jahrzehnten für
den Atomausstieg engagiert haben – in Wyhl, in Brok-
dorf, in Wackersdorf, in Kalkar, im Wendland und an
vielen anderen Orten . Der friedliche Protest gegen die

Atomenergie zählt für mich zu den großen Leistungen
der Demokratie in Deutschland .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass der Atomaus-
stieg politisch richtig war, ist den meisten von uns mitt-
lerweile wohl klar . Im vergangenen Dezember hat uns
das Bundesverfassungsgericht bestätigt, dass er verfas-
sungskonform ist . Es gibt also glücklicherweise keinen
Weg mehr zurück . Aber auch wenn die Nutzung der
Atomkraft bald Geschichte sein wird, bleibt uns und
unseren Nachkommen der Atommüll erhalten und alle
damit verbundenen Risiken . Deshalb war es dringend
erforderlich, das Chaos in Sachen Atommüll zu ordnen,
und dafür haben wir die vergangenen Jahre dieser Legis-
laturperiode intensiv genutzt .

Erstens . Wir haben uns ehrlich gemacht . Mit dem erst-
mals von einer Bundesregierung vorgelegten Nationalen
Entsorgungsprogramm haben wir eine langfristige Stra-
tegie zur Entsorgung der Brennelemente beschlossen .

Zweitens . Wir haben das Hickhack um die verbleiben-
den Castoren aus der Wiederaufarbeitung beendet und
sie eben nicht nach Gorleben geschickt, sondern sie auf
andere Zwischenlager bundesweit verteilt .

Drittens . Wir haben das seit zwei Jahrzehnten dis-
kutierte Thema der Atomrückstellungen angepackt und
sichergestellt, dass die Stromkonzerne ihre finanziellen
Pflichten bei der Stilllegung und beim Rückbau tatsäch-
lich erfüllen werden .

Viertens. Wir haben die oftmals kritisierten Zustän-
digkeiten für die Endlagerung neu und transparent gere-
gelt . Wir sind dort im Umsetzungsprozess .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind also ein
großes Stück vorangekommen . Was bleibt, ist die Frage:
Wohin mit dem Atommüll? Mit dem Gesetz, das Ihnen
heute zur Entscheidung vorliegt, leiten wir einen Prozess
ein, an dessen Ende in einigen Jahrzehnten ein deutsches
Endlager stehen soll . Wir – damit meine ich auch viele
derer, die die Atomkraft lange bekämpft haben – stellen
uns der schwierigen und unangenehmen Verantwortung,
die aus dem Erbe des Atomzeitalters herrührt. Diese Ver-
antwortung ist auch nicht delegierbar, zum Beispiel an
andere Länder oder an andere Generationen .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Export von Abfällen ins Ausland wäre das kom-
plette Gegenteil einer verantwortlichen Lösung . Der Ge-
setzentwurf schränkt den Export zu Recht sogar weiter
ein, indem er einen entsprechenden Vorschlag der End-
lagerkommission aufgreift . Künftig ist eine Entsorgung
im Inland nicht nur für bestrahlte Brennelemente aus
Atomkraftwerken, sondern grundsätzlich auch für solche
aus Forschungsanlagen vorgesehen . Dieser Grundsatz
wird ausschließlich durchbrochen, wenn die Brennele-
mente noch nicht in ein deutsches Zwischenlager ver-
bracht worden sind und der Export aus schwerwiegenden

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Gründen der Proliferation oder der Versorgung deutscher
Forschungsanlagen mit Kernbrennstoff erforderlich ist.

Lassen Sie mich aber eindeutig klarstellen: Entgegen
dem, was von manchen aktuell behauptet wird, eröffnet
diese Regelung keine Hintertür, die Brennelementeku-
geln aus Jülich oder Hamm-Uentrop in die USA zu ent-
sorgen . Das geht gerade nicht .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das novellierte
Standortauswahlgesetz legt fest, wie und nach welchen
Kriterien das Standortauswahlverfahren ablaufen wird .
Dabei sind alle infragekommenden Wirtsgesteine ein-
zubeziehen, und es sind umfangreiche Bewertungen der
geologischen Verhältnisse an den Standorten durchzu-
führen .

Der wichtigste Maßstab für die Auswahl des Endla-
gerstandorts wird die Sicherheit sein . Davon wird sich
während des Prozesses die gesamte Öffentlichkeit über-
zeugen können . Das Standortauswahlverfahren sieht
deshalb neue Gremien für die Öffentlichkeitsbeteiligung
vor – vor Ort in den fraglichen Gebieten, aber auch über-
regional . Zusätzlich werden die Möglichkeiten gestärkt,
das Verfahren von den Bürgerinnen und Bürgern gericht-
lich überprüfen zu lassen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegt in unserer
Verantwortung, den Standort für ein Endlager zu finden,
das für eine nach menschlichen Maßstäben unvorstellbar
lange Zeit größtmögliche Sicherheit bietet und das damit
die Bürde dieses Erbes für die kommenden Generationen
so klein wie eben möglich hält .

Damit korrigieren wir auch die Entscheidung aus dem
Jahr 1977, Gorleben zum Endlagerstandort zu machen .
Die Proteste gegen das Endlager Gorleben sind Teil des
kollektiven Gedächtnisses unseres Landes geworden .
Wir müssen uns eingestehen, dass die Kritik der Gorle-
ben-Gegnerinnen und -Gegner zumindest in weiten Tei-
len berechtigt war .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das Verfahren damals entsprach weder den Anforderun-
gen der Wissenschaft noch den berechtigten Forderungen
der Bürgerinnen und Bürger nach Transparenz .

Das neue Auswahlverfahren geht einen anderen, einen
besseren Weg . Es startet mit einer weißen Landkarte . Wir
betrachten das ganze Bundesgebiet, ohne einzelne Regi-
onen zu bevorzugen und ohne bestimmte Standorte von
vornherein auszuschließen . Stück für Stück werden wir
auf Basis wissenschaftlicher Fakten Standorte ausschlie-
ßen und andere dann jeweils näher untersuchen . Wir wer-
den dabei transparent arbeiten und die Bürgerinnen und
Bürger einbeziehen – und das von Beginn an und nicht
erst am Ende der Suche .

Gleichwohl ist mir bewusst: Wenn es darum geht,
einen Standort festzulegen, wird dies nicht ohne Wider-
sprüche gehen – um es vorsichtig auszudrücken . Deswe-
gen ist es klar, dass wir als Deutscher Bundestag bzw .

unsere Nachfolger im Deutschen Bundestag die Ver-
antwortung dafür werden übernehmen müssen . Es kann
schlechterdings nicht der kommunalen Planungshoheit
überlassen bleiben; denn dann würden wir zu keinem Er-
gebnis kommen können .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, einen Standort für
die Endlagerung zu finden, ist, wie ich finde, ein Test-
fall für die Demokratie . Ein handlungsfähiger Staat muss
sich daran messen lassen, ob eine Lösung gelingt, die
wissenschaftlich begründet ist und auch von einer brei-
ten Mehrheit des Landes getragen wird . Daraus folgt eine
Verpflichtung für uns alle. Einfach nur zu sagen: „Nicht
vor meiner Haustür!“, das wird als Argument nicht aus-
reichen .

Uns alle eint der Gedanke, dass wir diese Herausfor-
derung jetzt gemeinsam angehen wollen . Wir alle zusam-
men müssen uns auf den Weg machen, einen jahrzehnte-
langen tiefen Konflikt in unserer Gesellschaft zu lösen.
Ich hoffe deshalb auf Ihre breite Unterstützung für den
vorgelegten Gesetzentwurf .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822500100

Hubertus Zdebel ist der nächste Redner für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Hubertus Zdebel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822500200

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Las-

sen Sie mich heute eines vorweg sagen: Auch wenn es in
der Sache gravierende Differenzen gibt – für die faire und
kooperative Zusammenarbeit zum Thema „Standortaus-
wahlgesetz und Kommission Lagerung hoch radioaktiver
Abfallstoffe“ möchte ich mich bei allen Berichterstatte-
rinnen und Berichterstattern aus den anderen Fraktionen
ausdrücklich ganz herzlich bedanken . Das gilt für Sylvia
Kotting-Uhl, für Matthias Miersch, aber auch für Steffen
Kanitz .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es ist ja nicht der Regelfall, dass trotz so unterschiedli-
cher Auffassungen sachlich gestritten wird.

In der Sache aber stehen wir als Fraktion Die Linke
als einzige Opposition im Bundestag einer Koalition
aus Grünen, SPD und CDU/CSU gegenüber, und wie-
der einmal geht es um Atomfragen . Zuletzt haben im
Dezember die Grünen gemeinsam mit den Regierungs-
fraktionen den Atomkonzernen eine milliardenschwere
Last abgenommen und die Risiken für die Finanzierung
der Atommülllagerung den Bürgerinnen und Bürgern in
Deutschland aufgeladen . Jetzt soll ein weiterer vermeint-
licher Atomkonsens auf den Weg gebracht werden, der
aber nicht hält, was Regierung und die Fraktionen der
Grünen, SPD und CDU/CSU versprechen .

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks






(A) (C)



(B) (D)


Natürlich sind die jetzt zur Abstimmung stehenden
Veränderungen eine Verbesserung gegenüber dem bis-
herigen Gesetz zur Endlagersuche . In der Kommission
„Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ haben meine
Fraktion und ich selbst in den letzten Jahren aktiv daran
mitgearbeitet .


(Beifall bei der LINKEN)


Richtig ist aber auch: Die grundsätzlichen Mängel an
diesem Gesetz werden mit dieser Gesetzesnovelle nicht
beseitigt. Wer den jahrzehntelangen Großkonflikt um die
Atomenergie und die hochradioaktiven Hinterlassen-
schaften beenden will, der muss aus der Vergangenheit
Konsequenzen ziehen, um verlorengegangenes Vertrau-
en zurückzugewinnen .


(Beifall bei der LINKEN)


Dem hier zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf ist
das bis heute nicht gelungen . Es sollte doch zu denken
geben, dass das Verfahren zu diesem Gesetz und seine
Ergebnisse bis heute von nahezu allen Teilen der Anti-
atombewegung und ihren Organisationen heftig bzw .
massiv kritisiert werden . Nur mit ihnen als ein entschei-
dender Vertrauenspartner, aber nicht gegen sie kann das
Ziel eines gesellschaftlichen Konsenses beim Neustart
der Endlagersuche gelingen .


(Beifall bei der LINKEN)


Es mag einen Fraktionskonsens zwischen Grünen,
SPD und CDU/CSU geben, aber selbst in Bezug auf die-
sen wissen wir Linken, dass er sehr brüchig – um nicht
gleich „faul“ zu sagen – ist . Dieser Konsens beruht näm-
lich darauf, dass Gorleben als einziger Standort für ein
Endlager für hochradioaktive Abfälle im Rennen bleibt .
Statt hier im Bundestag politisch einen klaren Schluss-
strich unter Gorleben zu ziehen und damit ein überzeu-
gendes Signal für einen tatsächlichen Neustart zu geben,
wird der Streit um Gorleben erneut in das Verfahren zur
Endlagersuche verschoben . Das, meine Damen und Her-
ren, schafft kein Vertrauen, sondern begründet erneut
Zweifel . Deswegen lehnen wir Linken dieses Gesetz und
diese Novelle weiterhin ab .


(Beifall bei der LINKEN)


Wie brüchig bzw. belastet das Vertrauen in der Bevöl-
kerung beim staatlichen Umgang mit den radioaktiven
Abfällen ist, können wir auch bei der Umsetzung des
Exportverbots sehen . Statt klipp und klar in das Gesetz
zu schreiben: „Exporte von hochradioaktivem Atommüll
aus Jülich in die USA wird es nicht geben“, findet sich im
Gesetzentwurf eine derart kryptische Formulierung, dass
zu Recht Hintertüren vermutet werden können . Auch das
trägt nicht dazu bei, Vertrauen zu schaffen.


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Gnadenlosigkeit ist da fehl am Platze!)


Der vorliegende Gesetzentwurf beansprucht, die
Empfehlungen der Kommission „Lagerung hoch radio-
aktiver Abfallstoffe“ eins zu eins umzusetzen. Er greift
auch dabei an vielen Stellen noch zu kurz . Die Klage-
rechte für Bürger bleiben auch nach der Neuregelung un-
zureichend . Wir sind der Meinung, dass den Bürgerinnen

und Bürgern bereits bei der Entscheidung zur Auswahl
der obertägig zu erkundenden Regionen eine gerichtliche
Prüfung ermöglicht werden muss .


(Beifall bei der LINKEN)


Das soll aber nun nicht erfolgen .

Auch die in der Kommission deutlich benannte Tat-
sache, dass die Standortentscheidung – im Gesetz wird
nun wieder eine Frist bis zum Jahre 2031 genannt – und
die Inbetriebnahme eines Endlagers später kommen wer-
den – womit die Zwischenlagerung deutlich, vermutlich
über Jahrzehnte, länger dauern wird, als bislang geneh-
migt –, bleibt weitgehend ausgeblendet . Das ist eines der
Kern- bzw . Kardinalprobleme der Arbeit in der Kommis-
sion gewesen. Diese defizitäre Umsetzung des Kommis-
sionsberichts durch den Gesetzentwurf hat die Fraktion
Die Linke während der parlamentarischen Beratungen
durch einen Änderungsantrag zu beheben versucht, der
aber gestern von den anderen Fraktionen leider abgelehnt
wurde .

Für uns ist sonnenklar: Die Halbwertzeit dieser Ge-
setzesnovelle wird nicht besonders lang sein; denn die
Probleme bleiben . Für einen tatsächlichen Neustart bei
der Endlagersuche mit dem Ziel eines gesellschaftlichen
Konsenses muss das Verfahren vom Kopf auf die Füße
gestellt werden . Es braucht eine möglichst sichere Lö-
sung, und diese muss in Deutschland gefunden werden .
Dafür setzen wir Linke uns weiterhin ein .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822500300

Für die CDU/CSU-Fraktion erhält der Kollege Steffen

Kanitz das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Steffen Kanitz (CDU):
Rede ID: ID1822500400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kolle-
ge Zdebel, Sie haben gestern im Ausschuss Demut und
Nachdenklichkeit in der Debatte angemahnt . Wenn ich
Ihren Worten so folge, muss ich sagen: Sie sind Ihrem
eigenen Anspruch nicht gerecht geworden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Man kann doch nicht ernsthaft alles dafür tun, um da-
für zu sorgen, dass es in Deutschland kein Endlager für
hochradioaktive Abfallstoffe gibt, und gleichzeitig be-
mängeln, dass wir uns zu wenig um die Zwischenlager
kümmern .


(Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Typisch Linke!)


Das ist ein Widerspruch, den man immer wieder deut-
lich machen muss . Wir als diejenigen drei Fraktionen in
diesem Deutschen Bundestag, die sich darum kümmern,
eine Lösung für dieses Menschheitsproblem zu finden,

Hubertus Zdebel






(A) (C)



(B) (D)


haben diesen Widerspruch aufgedeckt . Und wir fangen
mit dem ersten Schritt an, nämlich ein Endlager für hoch-
radioaktive Abfallstoffe zu finden. Insofern ist es ein gu-
ter Gesetzentwurf, den wir heute auf den Weg bringen
wollen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, ich glaube, dass die Arbeit
der Kommission in der Tat der letzte Versuch ist, diese
Menschheitsaufgabe „Suche nach einem Endlager für
hochradioaktive Abfallstoffe“ zu lösen. Das ist ja auch in
der Rede der Ministerin deutlich geworden . Dass es eine
Menschheitsaufgabe ist, zeigt der Anspruch, dass wir ein
Endlager finden wollen, das Sicherheit für 1 Million Jah-
re garantieren soll . Das mag dem einen oder anderen nur
ein müdes Lächeln abringen . Aber ich glaube, dieser An-
spruch macht deutlich, dass wir ein Endlager finden wol-
len, bei dem wir eben nicht nachfolgenden Generationen
die Last aufbürden, sich darum kümmern zu müssen, wie
wir mit den Hinterlassenschaften der Kernenergie umge-
hen, sondern das robust ist gegenüber geologischen, kli-
matischen, aber auch gesellschaftlichen Veränderungen,
das so robust ist, dass es wartungsfrei aufgestellt werden
kann, wohl wissend, dass wir heute nicht über absolutes
Wissen verfügen. Deswegen haben wir im Verfahren die
Möglichkeit von Rücksprüngen eingebaut . Wir haben ein
lernendes Verfahren aufgestellt, das wahrscheinlich ein-
zigartig ist . Wir haben vereinbart, dass 500 Jahre lang die
Rückholbarkeit garantiert sein soll, weil wir eben nicht
wissen, ob nachfolgende Generationen anders mit den
Hinterlassenschaften umgehen . Aber wir wollen ihnen
eben nicht die Bürde auferlegen, sich noch einmal da-
mit beschäftigen zu müssen . Insofern ist der Anspruch,
ein sicheres Endlager für eine sehr lange Zeit zu finden,
völlig richtig .

Die nackten Zahlen: Wir haben 124 Sitzungen der
Endlagerkommission und der verschiedenen Arbeits-
gruppen gehabt, über 550 Kommissionsdrucksachen
sind entstanden, und wir haben einen Abschlussbericht
von fast 600 Seiten vorgelegt . Das zeigt: Die Kommissi-
on hat sich in den letzten knapp drei Jahren große Mühe
gegeben, eine gute und konsensuale Lösung zu finden.
Ich möchte mich herzlich bedanken bei den beiden Vor-
sitzenden der Endlagerkommission, bei Michael Müller
und Ulla Heinen-Esser, die unterschiedlicher nicht hät-
ten sein können . Aber ich glaube, dass gerade diese Un-
terschiedlichkeit ein Teil des Erfolges gewesen ist . Ich
möchte mich herzlich bedanken bei meinen Kobericht-
erstatterinnen und -berichterstattern Sylvia Kotting-Uhl,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Matthias Miersch und, lieber Herr Zdebel, auch bei Ih-
nen, der Sie am Ende mit Ihrer Fraktion nicht dabei sind,
aber der Sie lange mitgearbeitet haben . Es hat insgesamt
große Freude gemacht .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich selbst habe aus der Arbeit in der Kommission viel
gelernt . Ich habe gelernt, dass das Angebot, an einem
Diskurs teilzunehmen, nicht von jedem selbstverständ-
lich wahrgenommen wird . Die Umweltverbände sind
angesprochen worden . Sie sind ja sozusagen kein mono-
lithischer Block, sondern agieren sehr unterschiedlich .
Wir als Fraktion haben uns lange darum bemüht, dass
auch zwei Vertreterinnen bzw. Vertreter der Umweltver-
bände in die Kommission kommen und ihre Kompetenz
einbringen, um eine Lösung zu finden. Am Ende hat das
zum Glück auch funktioniert . Was ich gelernt habe, ist
außerdem, dass es unter den Umweltverbänden in Tei-
len – in Teilen – ein Demokratieverständnis gibt, das je-
denfalls nicht meins ist und das dem Motto folgt: Nur
wenn meine eigene Meinung akzeptiert wird, dann ma-
che ich mit . – Ich glaube, wer diesem Credo folgt, der
taugt nicht zum Diskurs, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich will hier auch sehr deutlich sagen: Was es dort an
persönlichen Anfeindungen gegeben hat, insbesondere
gegenüber unserer Kollegin Sylvia Kotting-Uhl, ist nicht
fair, nicht sachgerecht und dem Dialog auch nicht zuträg-
lich . Was Sie da aushalten mussten, war schon eine ganze
Menge . Deswegen Ihnen persönlich vielen Dank für Ihre
Standhaftigkeit in dem Verfahren!


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Trotzdem – ich glaube, das bleibt auch weiterhin un-
sere Aufgabe – bleibt unsere Hand ausgestreckt . Das ist
sie während des Verfahrens immer auch geblieben, bei
öffentlichen Anhörungen, bei öffentlichen Veranstaltun-
gen, bei Hintergrundgesprächen und bei den folgenden
Öffentlichkeitsbeteiligungsverfahren. Selbstverständ-
lich – das hat die Ministerin zum Ausdruck gebracht –
würdigen wir die Arbeit der Umweltbewegung und der
Umweltverbände . Gleichzeitig will ich, weil das in der
Debatte zu kurz kam, den Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
tern der Energieversorgungsunternehmen Danke sagen,
die dafür gesorgt haben, dass wir in Deutschland in über
50 Jahren Kernenergie keinen signifikanten Störfall hat-
ten. Vielen Dank dafür, dass das ordentlich funktioniert
hat!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Aufgabe der Kommission war es, dem Bundestag
Vorschläge für eine transparente, ergebnisoffene und an
wissenschaftlichen Kriterien orientierte Endlagersuche
zu unterbreiten . Ich glaube, das ist mit dem Abschluss-
bericht gelungen . Deswegen ist es auch nur konsequent,
dass der Gesetzgeber diesem Kommissionsbericht in
ganz großen Teilen folgt .

Dort, wo er es nicht tut, ist das das Ergebnis der An-
hörung, beispielsweise bei dem Wort „insbesondere“ .
Wir haben im Gesetzesauftrag bisher gehabt, dass wir
uns um ein Endlager für „insbesondere“ hochradioaktive
Abfallstoffe kümmern. Das Nationale Begleitgremium,
aber auch viele Umweltverbände haben darauf hinge-
wiesen, dass es schwierig wird, ein Kombilager zu fin-

Steffen Kanitz






(A) (C)



(B) (D)


den, das für schwach- und mittelradioaktive Abfallstoffe
wie für hochradioaktive Abfallstoffe gleichermaßen die
bestmögliche Sicherheit garantiert . Deswegen ist es nur
konsequent, dass wir uns auf die hochradioaktiven Ab-
fallstoffe konzentrieren. Das zeigt, dass wir die Öffent-
lichkeitsbeteiligung sehr ernst nehmen .

Das Verfahren, das wir Ihnen vorschlagen, ist in drei
Phasen unterteilt . Wir werden jetzt, in Phase eins, mit der
obertägigen Erkundung beginnen, von der wir hoffen,
dass wir sie 2022 abschließen können . Wir haben einen
Kriterienkatalog aufgestellt, der in einem breiten Diskurs
gemeinsam mit Wissenschaft und Forschung entstanden
ist, wo wir erst einmal die Ausschlusskriterien anwen-
den . Wir werden kein Endlager in Regionen suchen, die
erdbebengefährdet sind oder in denen es Vulkanismus
gibt . Wir werden Mindestanforderungen anwenden . Zu
den Mindestanforderungen gehört, dass das Wirtsgestein,
in das wir die hochradioaktiven Abfallstoffe einlagern
möchten, eine ausreichende Mächtigkeit hat . Wir haben
uns über Abwägungskriterien unterhalten . Dazu gehört
beispielsweise die Schutzfunktion des Deckgebirges, ein
Kriterium, das kein Gorleben-K .-o .-Kriterium ist, son-
dern ein Abwägungskriterium darstellt . In dem Moment,
in dem wir zwei Standorte haben, die ansonsten völlig
gleich sind, wird derjenige Standort vorgezogen, der ein
intaktes Deckgebirge hat . Aber das ist ein Abwägungs-
kriterium und kein Ausschlusskriterium . Im Anschluss
gibt es planungswissenschaftliche Abwägungskriterien,
beispielsweise die Siedlungsdichte, die Frage also: Le-
ben dort viele Menschen?

Um diese Suche vollziehen zu können, brauchen wir
Sicherungsvorschriften, die sich nicht nur auf Gorleben
beziehen, sondern auf ganz Deutschland . Das ist nur
richtig und konsequent . Sie sind auch absolut notwendig .
Wir wollen dabei gleichzeitig Deutschland industriepo-
litisch nicht lahmlegen . Deswegen gibt es auch Ausnah-
men: für Bohrungen bis 100 Meter, auch bis 200 Meter,
wenn nachgewiesen wird, dass kein Wirtsgestein geschä-
digt wird. Das gilt auch für diejenigen Vorhaben, die im
engen räumlichen Zusammenhang mit bereits durchge-
führten Maßnahmen stehen .

Bergbau wird weiterhin möglich bleiben . Das ist auch
deshalb möglich, weil wir wissen, dass wir in Bergbau-
regionen, wo die Erde durchlöchert ist wie ein Schweizer
Käse, sehr wahrscheinlich kein sicheres Endlager fin-
den können . Ich glaube, es ist auch richtig, dass wir als
Gesetzgeber gemeinsam mit dem Ministerium schauen,
dass diese Regelung praxistauglich bleibt .

Phase zwei ist die Ermittlung der Standorte für die
untertägige Erkundung . Phase drei ist die Einengung auf
einen Standort, der 2031 gefunden werden kann . Das ha-
ben wir jetzt in der Hand . Wir können jetzt nicht mehr
auf die Konzerne schauen und sagen: „Ihr seid schuld,
dass es nicht nach vorne geht“, sondern der Bund ist im
Moment in der Verantwortung. Wir haben die vollstän-
dige Organisationshoheit . Wir werden ab dem 1 . Juli
sämtliche Finanzmittel haben, die wir brauchen, um ein
Endlager zu finden. Insofern liegt es auch in unserer Ver-
antwortung, diesen Zeitrahmen einzuhalten .

Ja, Herr Kollege Zdebel, es ist völlig richtig: Wir wer-
den uns um die Zwischenlager kümmern müssen; auch
wir sehen dieses Problem . Damit werden wir uns sicher-
lich in der nächsten Legislaturperiode noch einmal be-
schäftigen müssen . Wenn wir es den Menschen an den
Zwischenlagerstandorten recht machen wollen, dann
müssen wir das Verfahren jetzt zeitnah starten. Besten-
falls direkt nach Verabschiedung dieses Gesetzentwurfes
muss der Vorhabenträger mit der obertägigen Erkundung
starten, damit wir den Zeitplan einhalten können .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Thema Gleichbehandlung aller Wirtsgesteine ist
uns gemeinsam wichtig . Wir schließen kein Wirtsgestein
und keinen potenziellen Standort im Vorhinein aus. Wir
werden in den drei potenziellen Wirtsgesteinen suchen
und werden politisch nichts ausschließen . Schweden
zeigt, dass es auch möglich ist, ein Endlager zu bauen
mit einer technischen und einer geotechnischen Barriere .
Gleichzeitig – das impliziert der natürliche Menschen-
verstand – gehen wir davon aus, dass die über Jahrmilli-
onen gewachsene Geologie gegenüber einer technischen
oder einer von Menschen gemachten Barriere eine besse-
re Schutzfunktion hat . Deswegen ist es richtig, dass wir
in allen Wirtsgesteinen gleichermaßen suchen und – hier
bin ich ganz entspannt – am Ende aber nach Sicherheits-
kriterien entscheiden . Wir werden denjenigen Standort
auswählen, der die bestmögliche Sicherheit für 1 Million
Jahre garantiert .

In Richtung der niedersächsischen Freunde muss ich
sagen: Es ist wohlfeil, Bayern und Sachsen dafür zu kri-
tisieren, dass sie auf die Gleichbehandlung aller Wirts-
gesteine drängen . Gleichzeitig aber darauf hinzuweisen,
dass es falsch ist, Gorleben im Verfahren zu halten, funk-
tioniert nicht . Weiße Landkarte bedeutet: inklusive aller
potenziellen Standorte . Es kann doch nicht richtig sein,
dass als Ergebnis des Verfahrens herauskommt, dass der-
jenige aus dem Verfahren ausscheidet, der lange genug
protestiert. Vielmehr werden wir denjenigen aus dem
Verfahren nehmen müssen, der aufgrund der geologi-
schen Situation für ein Verfahren nicht geeignet ist. Das
schafft Vertrauen, und das schafft Verlässlichkeit, meine
Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Exportverbot ist angesprochen worden . Ich halte
es für völlig richtig, dass wir dem Grundsatz der Inlands-
entsorgung folgen . Die bei uns in Deutschland entstande-
nen radioaktiven Abfälle sollen auch bei uns in Deutsch-
land entsorgt werden .

Gleichzeitig ist es völlig richtig, dass wir die For-
schung in Deutschland nicht kaputtmachen wollen . Wir
haben in München – dafür hat sich der Kollege Florian
Oßner sehr eingesetzt – den Forschungsreaktor FRM II,
einen von weltweit drei Forschungsreaktoren, in denen
Radioisotope für die Krebsdiagnostik hergestellt werden .
Es wäre fahrlässig, wenn wir den Reaktor mit diesem Ge-

Steffen Kanitz






(A) (C)



(B) (D)


setzentwurf kaputtmachten . Insofern ist es richtig, dass
es Ausnahmen gibt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gleichzeitig sage ich auch: Wir wollen, dass der ge-
nehmigungslose Zustand in Jülich in Nordrhein-Westfa-
len beendet wird . Wir brauchen dringend und unverzüg-
lich – so ist es ja auch angekündigt – eine Lösung, die
dem Sicherheitsbedürfnis der Anwohnerinnen und An-
wohner gerecht wird . Deswegen ist es richtig, dass wir
mit dem Gesetzentwurf auch da Druck machen, damit es
zu einer Lösung kommt .

Ich bedanke mich ganz herzlich bei Peter Altmaier
und beim Staatssekretär Schütte aus dem BMBF, die bei-
de gemeinsam mit uns Berichterstatterinnen und Bericht-
erstattern daran gearbeitet haben, dass wir bei diesem
Thema einen tragfähigen Kompromiss entwickeln .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Mir persönlich ist wichtig, meine Damen und Herren,
dass wir uns um das Thema Fachkräfte kümmern . Die
alten Schlachten sind geschlagen und sind Vergangen-
heit; aber es geht jetzt darum, dass wir uns der Aufga-
be des Rückbaus und der Entsorgung der radioaktiven
Abfallstoffe widmen. Ich würde mich freuen, wenn es
uns in einer nationalen Kraftanstrengung gelänge, für
den Wissenserhalt bei Nuklearthemen zu stehen und bei
jungen Menschen dafür zu werben, dass wir noch über
Jahrzehnte gute Beschäftigungsmöglichkeiten in diesen
technologisch anspruchsvollen Gebieten haben, dass das
auch ein Exportschlager für Deutschland werden kann,
weil weltweit viele Reaktoren in das Alter kommen, in
dem sie langsam vom Netz genommen werden . Da hat
Deutschland eine einzigartige Kompetenz .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist jetzt eine
Zeit, in der die Protestkultur schweigen muss und in der
wir eine Kultur der Verantwortung brauchen, die auch
umfasst, dass wir diejenigen Gemeinden honorieren und
es ihnen nicht schwer machen, sondern leicht machen,
die sich der schwierigen Aufgabe stellen, ein Endlager
für hochradioaktive Abfallstoffe zu finden. In der Tat, lie-
be Kollegen von den Linken, darf man da nicht Partiku-
larinteressen folgen, sondern muss dem großen Ganzen
gerecht werden .

Ich bedanke mich bei Ihnen allen für die gute Zusam-
menarbeit, auch beim BMUB, das kräftig daran mitgear-
beitet hat, dass es funktioniert . Ich glaube, dass wir jetzt
eine gute Lösung gefunden haben, und bitte deswegen
herzlich um Ihre Zustimmung zum Gesetzentwurf .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822500500

Für den Bundesrat erhält nun der baden-württembergi-

sche Ministerpräsident Winfried Kretschmann das Wort .


(Baden-Württemberg)


Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Abgeordnete!
Heute ist ein Tag der Verantwortung. Mit dem Standort-
auswahlgesetz schaffen wir die Grundlage dafür, einen
sicheren Endlagerstandort für hochradioaktive Abfälle
zu suchen, und das ist eine wahrhaft epochale Aufgabe .
Es geht um das schwierigste Infrastrukturprojekt in der
Geschichte unseres Landes; denn wir müssen einen Ort
finden, an dem wir den Atommüll für 1 Million Jahre si-
cher lagern können – ein unvorstellbarer Zeitraum, der
im Grunde das menschliche Maß überschreitet .

Wir übernehmen also nicht nur Verantwortung für uns,
auch nicht nur für unsere Kinder und Enkel, sondern wir
stellen uns der Verantwortung für viele Tausend künftige
Generationen, soweit das überhaupt in der Möglichkeit
des Menschen liegt . Deswegen bin ich dankbar, dass wir
diesen Gesetzentwurf in einem nationalen Konsens ver-
abschieden, in einem Konsens zwischen Bund und Län-
dern, aber auch in einem parteiübergreifenden Konsens .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Denn so wichtig zivilisierter Streit als Normalmodus der
Demokratie ist, so wichtig ist der Konsens bei solch fun-
damentalen Fragen .

Ich sage aber auch ganz deutlich: Die größte Aufgabe
liegt noch vor uns . Der Suchprozess wird von uns allen
noch sehr viel Mut, Disziplin und Verantwortungsbe-
wusstsein verlangen; ansonsten wird er scheitern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, nach der schrecklichen
Reaktorkatastrophe von Fukushima haben wir gemein-
sam, im Konsens zwischen Bund und Ländern, im Som-
mer 2011 den Ausstieg aus der Atomenergie beschlos-
sen, wobei ich mir an dieser Stelle natürlich nicht ganz
verkneifen kann, daran zu erinnern, dass wir zehn Jahre
zuvor mit dem grünen Umweltminister Trittin den Atom-
ausstieg schon einmal durchgesetzt hatten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber nicht im Konsens!)


Aber es ist immer gut, wenn man sich durch Katastro-
phen auch belehren lässt . Besser ist natürlich, man lässt
sich durch Vernunft belehren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist eine Eigenschaft der Ministerpräsidenten!)


Eine zweite fundamentale Frage war noch offen: Wo-
hin mit den radioaktiven Abfällen, die im Laufe der Jahr-
zehnte angefallen sind und noch weiterhin anfallen? Das
war eine Frage, bei der wir uns in einer Sackgasse befan-
den . Ich erinnere mich noch genau, wie das damals war,
als ich 2011 als frischgebackener Ministerpräsident den

Steffen Kanitz






(A) (C)



(B) (D)


Vorstoß für eine neue, ergebnisoffene Endlagersuche un-
ternommen habe. Viele haben den Kopf geschüttelt und
gefragt: Warum ziehst du dir den Schuh an, wo du und
deine Partei doch jahrzehntelang gegen die Atomkraft ge-
kämpft habt? Warum bringst du dein eigenes Bundesland
als möglichen Standort ins Spiel und riskierst damit den
Unmut deiner Landsleute? – Es ist ganz einfach: Ich habe
das damals getan, weil wir vom Sankt-Florians-Prinzip
zum Prinzip der Verantwortung kommen mussten


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


und die Endlagerdebatte aus einer Sackgasse holen muss-
ten . Die Entwicklung zeigt: Das war der richtige Weg .
Mit dem 2013 verabschiedeten Standortauswahlgesetz
ist es gelungen, einen Neustart bei der Endlagersuche zu
erreichen .

Der erste Schritt auf diesem neuen Weg war, dass
die Endlagerkommission über zwei Jahre hinweg in-
tensiv gearbeitet hat . Sie hat Empfehlungen zu den wis-
senschaftlichen Grundlagen für das Auswahlverfahren
entwickelt und geeignete Formate zur Beteiligung der
Öffentlichkeit erarbeitet, die in diesem Umfang und in
dieser Qualität nie da gewesen sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Darauf dürfen wir wirklich stolz sein . Deswegen möch-
te ich auch den beteiligten Kommissionsmitgliedern und
Bürgern sehr herzlich für ihre hervorragende Arbeit dan-
ken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden
Gesetzentwurf werden die Empfehlungen der Endla-
gerkommission nun umgesetzt . Damit setzen wir neue
Maßstäbe bei der Suche . Wir suchen nicht irgendeinen
Standort, sondern den Standort mit der bestmöglichen Si-
cherheit, und zwar ausschließlich auf Basis wissenschaft-
licher Erkenntnisse . Das ist, glaube ich, in dieser Zeit,
in der die Verbreitung faktenfreier Meinungen um sich
greift, ganz wichtig. Wir treffen keine Vorfestlegungen.
Ausgangspunkt ist eine weiße Landkarte . Die Suche er-
folgt anhand gesetzlich festgelegter Kriterien . Entschei-
dend ist die Geologie und nicht die politische Geografie.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Dass die Menschen im Wendland nach der Historie
von Gorleben lieber heute als morgen einen Schlussstrich
wollen, ist mehr als verständlich . Als junger Abgeordne-
ter habe ich selbst dort vor 37 Jahren demonstriert .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Aha!)


Aber man könnte den Menschen in all den Regionen, auf
die der Blick jetzt neu fallen wird, nicht vermitteln, dass
bei ihnen nach rein wissenschaftlichen Kriterien geprüft

wird, während ein anderer Standort zuvor aus politischen
Gründen ausgeschlossen wurde .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir setzen zudem neue Maßstäbe in der Qualität des
Suchverfahrens. Wir legen das Verfahren in staatliche
Hände. Wir schaffen maximale Transparenz. Alle rele-
vanten Daten und Unterlagen kommen auf den Tisch .
Wir beteiligen die Bürgerinnen und Bürger und die Öf-
fentlichkeit umfassend und von Anfang an . Ein gesell-
schaftliches Begleitgremium wacht über den gesamten
Suchprozess. Das Verfahren sieht weitgehende Rechts-
schutzmöglichkeiten vor . Über jede einzelne Etappe des
Verfahrens entscheiden Bundestag und Bundesrat. Das
sichert die demokratische Legitimation der Endlagersu-
che .

Dabei ist klar: Die endgültige Entscheidung über ei-
nen Endlagerstandort fällen der Bundestag und die Län-
derkammer und eben nicht die betroffene Region; denn
es handelt sich dabei um eine nationale Aufgabe . Damit
werden wir dem Anspruch gerecht, ein ergebnisoffenes,
streng wissenschaftsbasiertes, transparentes und lernen-
des Auswahlverfahren zu entwickeln .

Am wichtigsten ist dabei – das möchte ich noch ein-
mal betonen –, dass wir mit dem Gesetz neues Vertrauen
in unseren Umgang mit der Endlagerfrage schaffen, oder
besser: schaffen können; denn das bislang gewonnene
Vertrauen ist noch ein zartes Pflänzchen. Machen wir uns
nichts vor: Die größten Herausforderungen liegen noch
vor uns; denn im Laufe des Prozesses wird sich die Suche
auf einen immer kleineren Kreis von Regionen konzen-
trieren . Es kann vor Ort verständlicherweise zu Protesten
und Widerständen kommen . Die lokale und regionale Po-
litik kann dabei massiv unter Druck geraten . Deswegen
werden wir alle ein starkes Rückgrat benötigen . Die Ent-
scheidungen werden nur dann in der Öffentlichkeit ins-
gesamt auf Akzeptanz stoßen, wenn bis dahin ein stabiles
Vertrauen in das Verfahren selbst gewachsen ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Deswegen müssen sich alle Beteiligten an das jetzt
vereinbarte Verfahren halten, und zwar ohne Wenn und
Aber. Entscheidend sind alleine die Vorgaben der Wis-
senschaft . Die Politik muss sich zurückhalten und der
Versuchung widerstehen, bestimmte Standorte von vorn-
herein für ungeeignet zu erklären; denn mit politischer
Taktiererei würde das Vertrauen schnell wieder zerstört.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, lassen Sie uns deshalb unserer gemeinsamen
Verantwortung gerecht werden und das Suchverfahren
sorgfältig durchführen . Lassen Sie uns eigene Interes-
sen zugunsten des gesamtgesellschaftlichen Interesses
zurückstellen . Lassen Sie uns auch bei den weiteren
Schritten in den kommenden Jahren den größtmöglichen
Konsens bewahren . Nur so können wir die Endlagersu-

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Baden-Württemberg)







(A) (C)



(B) (D)


che zum Erfolg führen . Das sind wir den künftigen Ge-
nerationen schuldig; denn wir haben die Erde nur von
unseren Kindern geborgt .

Herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822500600

Matthias Miersch ist der nächste Redner für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Matthias Miersch (SPD):
Rede ID: ID1822500700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-

nächst muss man, glaube ich, an einem solchen Tag be-
tonen, auch angesichts der Debatten, die wir in den letz-
ten Jahren anlässlich der Jahrestage von Fukushima und
Tschernobyl geführt haben: Der Weg in die Atomkraft
war und ist eine Sackgasse .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zwar wird heute immer noch über die Atomenergie
philosophiert und mancher sagt, dass das doch eigentlich
eine sichere und vor allem günstige Technologie ist; aber
am Thema Endlagerung zeigt sich: Wenn wir die Kosten,
die mit der Endlagerung verbunden sind, von vornherein
eingepreist hätten, wäre die Atomenergie alles andere als
günstig und verantwortbar .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe noch sehr genau im Ohr, was einige Kolle-
ginnen und Kollegen von der CDU/CSU hier angesichts
der Gedenktage gesagt haben . Deshalb sage ich: Lassen
Sie uns heute wirklich den absoluten Schlussstrich zie-
hen und festhalten: Es darf nie wieder darüber geredet
werden, dass AKWs über 2022 hinaus in Deutschland
betrieben werden sollten .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich darf mich dem Dank meiner Kolleginnen und Kol-
legen an Steffen Kanitz, auch an Hubertus Zdebel und
vor allen Dingen an Sylvia Kotting-Uhl anschließen .
Sylvia, ich finde, es wäre gerecht gewesen, dir heute ein
paar Minuten Redezeit einzuräumen . Umso größer ist der
Dank an dich für das, was du geleistet hast .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich lobe hier und heute ganz bewusst auch das Bun-
desumweltministerium . Ich möchte meinen Dank zum
Ausdruck bringen . Das, liebe Barbara Hendricks, was
deine Leute und du in den letzten Jahren geleistet haben,
war eine Herkulesaufgabe . Wir konnten uns immer da-
rauf verlassen, dass ihr konstruktive Vorschläge unter-

breitet, die auch in unserem Sinne sind . Dafür ein herzli-
ches Dankeschön .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Da das alles ja nicht nur eine Einheitssoße sein soll,
möchte ich als niedersächsischer Abgeordneter, lieber

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1822500800

Das, was Stephan Weil und Stefan Wenzel hier in den
letzten Jahren angestoßen haben, auch mit Ihnen zusam-
men, ist, glaube ich, das gewesen, was als größtmögli-
cher Konsens erreichbar war .

Aber ich sage ganz bewusst, auch deshalb, weil ich
als Anwalt viele Menschen aus dem Wendland vertreten
habe und ich mich nach wie vor verantwortlich fühle:
„Weiße Landkarte“ kann man so einfach sagen; aber wir
haben Erkenntnisse – wir hatten in diesem Haus auch ei-
nen Untersuchungsausschuss, und ich sage das nach wie
vor, auch wenn Gorleben erst einmal im Topf drin ist –,
die allemal ausreichen, um festzustellen, dass Gorleben
nicht geeignet ist, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es war ganz interessant: Als wir vor einigen Wochen
den Gesetzentwurf vorgestellt haben, habe ich einen
Kommentar gelesen, der zum Ausdruck brachte: Das,
was wir hier machen, ist eine Falle für die Bürgerinnen
und Bürger. Wir würden Öffentlichkeitsbeteiligung da
herstellen, wo sie eigentlich überhaupt nicht angezeigt
wäre . Die Überschrift lautete: „Lasst Experten entschei-
den“ .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist spannend, dass
nach wie vor – wir haben Meinungsfreiheit – so etwas
geschrieben wird . Aber gerade die Atomtechnologie, ge-
rade die Frage der Endlagerung ist doch ein Beispiel da-
für, dass Experten sich absolut irren können . Was haben
sie gesagt? „Die Asse ist sicher .“ Jetzt sehen wir 10 000
Liter Wasser am Tag . Es kann doch nicht sein, dass man
jetzt einfach blind Experten vertraut!


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Ich hoffe, das gilt für Klima auch, ebenso für das EEG!)


– Herr Lengsfeld, Sie sind ja noch dran; dazu können Sie
gleich noch etwas sagen .


(Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Na klar! Mache ich auch; werde ich tun!)


Stattdessen haben wir hier verschiedene Institutionen im-
plementiert, die nicht ganz unumstritten gewesen sind .

Herr Präsident Lammert, ich erinnere mich noch: Als
ich mit Rebecca Harms den Vorschlag zur Einrichtung
einer Kommission gemacht habe, gab es zumindest bei
Ihnen sehr große Skepsis . Ich glaube, nach zwei Jahren
Arbeit dieser Kommission können wir feststellen, ver-
bunden mit einem herzlichen Dank an Michael Müller
und Ulla Heinen-Esser, dass es sich gelohnt hat, bei die-
ser großen Menschheitsaufgabe neben dem Parlament

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Baden-Württemberg)







(A) (C)



(B) (D)


ein kontinuierlich tagendes Sachverständigengremium
zu implementieren, dessen Mitglieder aus den unter-
schiedlichsten Gruppen der Zivilgesellschaft und der
Wissenschaft kamen . Ich bin jedenfalls dankbar, dass wir
diesen Weg gegangen sind .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Zum anderen haben wir jetzt ein Gremium in den Ge-
setzentwurf geschrieben, das Nationale Begleitgremium,
über das ebenfalls viel philosophiert worden ist: Wollen
wir einen Wächterrat, der über Bundestag und Bundesrat
steht? So wurde mir von einem Rechtsprofessor sogar
Verfassungsbruch vorgeworfen. Das, liebe Kolleginnen
und Kollegen, ist meines Erachtens altes Denken . Wenn
wir etwas aus dieser Geschichte der Atomkraft lernen,
dann ist es doch, dass wir ein bisschen demütig im Hin-
blick auf Entscheidungskulturen und auf die Art und
Weise sind, wie transparent und hinterfragend wir an eine
solch große Frage herangehen .

Deswegen finde ich es richtig, dass die nachfolgen-
den Bundestage und auch der Bundesrat weiterhin von
einem Gremium begleitet werden, das auch die Macht
hat, Alarm zu schlagen, wenn es das Gefühl hat, hier geht
etwas unfair zu . Transparenz und Rechtfertigungsdruck
werden die einzigen Möglichkeiten sein, die Konflikte,
die in den nächsten Jahrzehnten in dieser Frage vor uns
liegen, zu bewältigen .

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822500900

Für eine Kurzintervention erhält die Kollegin Kotting-

Uhl das Wort .


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822501000

Vielen Dank, Herr Präsident. – Ja, Matthias, ich wollte

das jetzt nicht so stehen lassen, dass du es angemessen
gefunden hättest, wenn meine Fraktion auch mir ein paar
Minuten Redezeit gegeben hätte . Ich danke dir zwar für
das Lob, das dahintersteckte . Aber es war gar nicht mein
Wunsch, ein paar Minuten zu bekommen, sondern es war
mein Wunsch, dass Winfried Kretschmann diese zehn
Minuten spricht . Denn ich halte es in dieser Debatte – im
Hinblick auf das, was nach dem Beschluss des Gesetzes
und mit Beginn des Verfahrens auf uns als Gesamtgesell-
schaft zukommt – für sehr notwendig, dass ein Minister-
präsident hier noch einmal klarmacht, dass es – natür-
lich neben der Gesamtgesellschaft, den Bürgerinnen und
Bürgern – in ganz großer Verantwortung die Länder sein
werden, die diese Aufgabe dann schultern müssen, und
dass sie diese Aufgabe annehmen müssen .

Wir Berichterstatter wissen sehr gut, dass das nicht bei
allen Ländern von Anfang an gleichermaßen auf Bereit-
schaft gestoßen ist . Deswegen halte gerade ich – alle, die
mit mir gearbeitet haben, wissen, wie wichtig mir die-
ses Gesetz ist – es für sehr wichtig, dass wir hier heute
eine Stimme hören, die sagt: Ja, die Länder sind jetzt in

der Pflicht, diese Aufgabe anzunehmen, sonst wird die-
se große Aufgabe scheitern . – Dafür bin ich Winfried
Kretschmann sehr dankbar .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822501100

Eva Bulling-Schröter erhält nun das Wort für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Warum redet keiner aus dem Osten?)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822501200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Bezüglich des Neustarts der Suche nach einem
Lager für atomare Abfälle sprach Minister Habeck von
einer Art nationaler Versöhnung. Ich muss sagen: Leider
ist es das nicht . Dies kann man an den heutigen Protesten
der Antiatombewegung vor dem Reichstag sehen, auch
wenn ich zugebe, dass wir schon ein bisschen weiterge-
kommen sind . Trotzdem muss ich heute in der Wunde
bohren .

Mitte Dezember haben Union, SPD und Grüne in die-
sem Haus den Finanzierungsdeal der Atomfolgekosten
auf den Weg gebracht . Die Linke hat das sehr kritisiert,
und zwar mit Recht . Man hätte wissen können, was nun
klar ist: Vattenfall zieht seine 4,3-Milliarden-Klage in
Washington eben nicht zurück . Einige Abgeordnete ha-
ben damals gesagt, der Staat würde sich lächerlich ma-
chen, wenn die beiden letzten kostspieligen Klagen nicht
zurückgezogen würden . Ich sage: Die Kolleginnen und
Kollegen der Union, der SPD und auch der Grünen, die
sich hier vor drei Monaten für diesen Deal gelobt haben,
haben sich leider lächerlich gemacht .


(Beifall bei der LINKEN – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abwarten!)


Es ist ungefähr die gleiche Gruppe von Abgeordneten,
die heute das novellierte Standortauswahlgesetz auf den
Weg bringt. Dieses Gesetz beinhaltet wesentliche Ver-
besserungen . Es ist aber unzureichend geblieben – leider .


(Beifall bei der LINKEN)


Einige aus dem Unionslager streiten bereits heftig dafür
bzw . argumentieren, dass gerade das bayerische Kristal-
lingestein für Endlagerzwecke nicht geeignet sei .


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Quatsch!)


Da wird aus dem Ökonomen Herrn Nüßlein plötzlich ein
versierter Geologe, der weiß, dass Granit im Bayerischen
Wald für die Endlagerung nicht taugt . Er wird uns das
vielleicht nachher erklären .


(Zuruf des Abg . Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU])


Dr. Matthias Miersch






(A) (C)



(B) (D)


Unter dem Motto „Bayern first“ möchte man keine Ver-
antwortung übernehmen . Schließlich war ja auch Franz
Josef Strauß derjenige, der die AKWs forciert hat .


(Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Ganz so einfach ist das nicht!)


Aber immerhin ist Kristallin mit dabei. Vor der eige-
nen Gartentür hört bei Ihnen der Konsens auf . Das ist
schon seit 1970 so . So wurde übrigens damals das Zo-
nenrandgebiet Gorleben ausgewählt .


(Zurufe von der CDU/CSU)


– Ich weiß gar nicht, wieso Sie sich so aufregen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Eigentlich war ein Standort im Emsland für geeignet ge-
halten worden . Dieser lag aber in den CDU-Wahlkreisen
von Werner Remmers und Rudolf Seiters . Gorleben war
einfach weit genug davon entfernt . Wir alle kennen das
Bild vom grinsenden Ministerpräsidenten Albrecht, der
vor exakt 40 Jahren auf der Landkarte auf den damals
völlig unbekannten Ort Gorleben deutete . Also nichts mit
wissenschaftlich!


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Bis heute geben CDU und CSU nicht wirklich zu, dass
Gorleben politisch ausgewählt wurde und dass es vor al-
lem deshalb im Spiel gehalten werden musste, weil man
Gorleben als Entsorgungsnachweis für die laufenden
Atomkraftwerke brauchte, die man sonst vom Netz hätte
nehmen müssen . Das muss man einmal sagen .


(Beifall bei der LINKEN)


In den 1990er-Jahren lehnte die Bundesregierung die
Suche nach einem alternativen Standort ab, weil man an
anderen Standorten nie den gleichen hohen Erkundungs-
stand erreichen könne wie in Gorleben .


(Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Sie dürfen dieses Land nie regieren! Niemals!)


Heute argumentiert die Mehrheit genau andersherum .
Gorleben müsse im Verfahren bleiben, sonst wäre das
nicht gerecht. Wir, die Linken, finden, dass das überhaupt
nicht zusammenpasst .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Gorleben steht für eine große Wunde, falsche Entschei-
dungen, Manipulationen, Unwahrheiten und Polizeiprü-
gel .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Gorleben im Verfahren zu belassen, ist daher eine Art
Erbsünde dieses Standortauswahlgesetzes. Dieses Vorge-
hen ist nicht geeignet für eine Art nationale Versöhnung.


(Beifall bei der LINKEN)


Heute war die Demo . Es waren auch Leute von der
BI Gorleben da . Eine Frau hat gesagt: Wenn jemand ein
Auto mit Zündschlüssel stehen lässt und es geklaut wird,
ist das Verleitung zum Diebstahl. Wenn Gorleben nicht
ausgeklammert wird, ist das Verleitung zur Lagerung von
Atommüll in einem nicht geeigneten Lager .

Herr Kanitz, Sie reden von einer Kultur der Verant-
wortung und sagen, die Leute sollen nicht mehr protestie-
ren . Ich sage Ihnen: Wer sich einmischt, wer protestiert,
auch einmal Nein sagt und nachdenklich ist, der trägt
Verantwortung.


(Beifall bei der LINKEN – Steffen Kanitz [CDU/CSU]: Wer nur Nein sagt, trägt keine Verantwortung! – Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Sie tragen hoffentlich nie Verantwortung in diesem Land! Niemals!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822501300

Das Wort erhält nun der Kollege Georg Nüßlein für

die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1822501400

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Das,

was wir heute beraten, ist Schlusspunkt und Neuan-
fang zugleich . Ich möchte betonen, lieber Herr Kollege
Miersch, dass der dickste Punkt, nämlich der Ausstieg
aus der Kernenergie, schon vor einer ganzen Weile be-
schlossen wurde . Ich habe mich eben schon ein bisschen
echauffiert, weil Sie versucht haben, die Diskussionen
von gestern wieder anzustoßen . An dieser Stelle wäre
das, glaube ich, nicht notwendig gewesen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist typisch SPD! Vergangenheitsbewältigung statt Zukunftsgestaltung! – Ulrich Freese [SPD]: Herr Nüßlein, der Ausstieg aus dem Ausstieg kommt von Ihnen!)


Im Übrigen war das, was Sie gesagt haben und was die
Kollegin Bulling-Schröter gerade ergänzt hat, auch etwas
unfair gegenüber den Altvorderen aus Ihrer Partei . Denn
natürlich ist es Leuten wie Helmut Schmidt damals auch
darum gegangen, dieses Land mit Strom zu versorgen,
damit unser Wohlstand wächst und die Industrie funktio-
niert; das muss man einmal deutlich sagen .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und was genau hat das mit dem Thema Atomenergie zu tun?)


Eigentlich sollte uns jetzt die Frage umtreiben, was denn
nach dem Ausstieg kommt . Entscheidend ist nämlich die
Frage: Wie schaffen wir es, dieses Land zuverlässig und
kostengünstig mit Strom zu versorgen? Darüber sollten
wir diskutieren, nicht aber über das Vorgestern philoso-
phieren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich glaube, beim Thema Kernausstieg ist es dieser
Großen Koalition gelungen, zwei weitere Schlusspunkte
zu setzen . Dabei geht es um die Finanzierung und Or-
ganisation des Rückbaus und um die Suche nach einem
Endlager . Das, Herr Miersch, war übrigens sehr wohl
einkalkuliert . Deshalb werden wir auch auf die Rückstel-
lungen der Kernkraftversorger zurückgreifen . Insofern

Eva Bulling-Schröter






(A) (C)



(B) (D)


ist es objektiv falsch, wenn Sie sagen, das sei nicht ein-
kalkuliert gewesen .


(Dr . Matthias Miersch [SPD]: Wir sprechen uns noch!)


Das war einkalkuliert . Wir greifen, wie gesagt, auf die
Rückstellungen zurück, gehen mit dem Geld verursa-
chergerecht um und werden dafür sorgen, dass die End-
lagerung ohne zusätzliches Risiko für die Steuerzahler
organisiert wird .

Zu diesem Zweck gehen wir heute einen entscheiden-
den Schritt, indem wir die formalen Voraussetzungen
für ein Standortauswahlverfahren sichern . Das ist ganz
wichtig . Das oberste Gebot, meine Damen und Herren,
muss dabei lauten: bestmögliche Sicherheit .

Dass dies parteiübergreifend, ja geradezu überpartei-
lich und auch gesamtgesellschaftlich fundiert gelingt, ist
etwas ganz Besonderes. Ich gebe ganz offen zu, dass ich
kein Fan von Kommissionen bin – überhaupt nicht –;
denn ich glaube, niemand repräsentiert die Gesellschaft
in diesem Land besser als der Deutsche Bundestag . Aber
in den zwei Ausnahmefällen, über die wir heute reden,
war es, glaube ich, vernünftig, so vorzugehen . Es war
auch erkenntnisreich . Gewundert hat mich allerdings die
Pontius-Pilatus-Strategie einiger Umweltverbände, die
ihre Hände dauerhaft in Unschuld waschen wollten und
ursprünglich überhaupt nicht geneigt waren, sich an den
Diskussionen über dieses schwierige Thema zu beteili-
gen .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz besondere Verantwortung hat aber bestimmt immer die CSU übernommen, was?)


– Jetzt wollte ich Sie gerade loben; wenn Sie nicht da-
zwischenschreien, tue ich es auch noch . – Umso bemer-
kungswerter finde ich, dass die Grünen – die Rolle von
Frau Kotting-Uhl ist bereits gewürdigt worden – hier
Verantwortung übernehmen. Dafür herzlichen Dank und
meine Anerkennung!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Herrn Miersch und anderen von der SPD möchte ich
an dieser Stelle sagen: Schauen Sie sich an, wie sich die
Linke verhält . Das ist, glaube ich, mit Blick auf die Zu-
kunft aufschlussreich, und das sollte man durchaus ein-
mal tun .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Oh! Habt ihr schon Angst? Habt ihr schon Muffensausen? Gut so!)


Gestern haben wir vom neuen Bundespräsidenten
gelernt, dass es in der politischen Orthografie keinen
Schlusspunkt, sondern nur Kommas gibt . Nach einem
solchen Komma steht eines ganz klar, nämlich Verant-
wortung, und das in einer Zeit, die nicht ganz einfach
werden wird . Für die Standortsuche nehmen wir uns bis
zum Jahr 2031 Zeit . Ich halte es auch für richtig, dass
wir den Fokus auf die hochradioaktiven Abfälle legen .
Das war sicher auch ein gutes Ergebnis des parlamenta-

rischen Beratungsprozesses, weil es das Verfahren strin-
genter macht .

Es ist, wie alle Redner vorher betont haben, ein gro-
ßer gemeinsamer Erfolg, und ich will mich dem Dank
an die Berichterstatter, die Mitarbeiter – insbesondere im
Ministerium – und die Ministerin anschließen . Der Dank
an die Ministerin wäre noch ein bisschen euphorischer
ausgefallen, wenn sie, Frau Ministerin – das sage ich
ganz ehrlich –, die Seele der Atomkraftgegner nicht gar
so massiert hätten . Trotzdem will ich ganz ausdrücklich
betonen, dass das auch Ihr Erfolg ist, weil Sie mit Be-
harrlichkeit immer überzeugend dargelegt haben, warum
dieser Gesetzentwurf an dieser Stelle Erfolg verspricht .
Vielen Dank dafür.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dieser Kompromiss – das haben wir gehört – verlangt
allen etwas ab . Ich bin der Überzeugung, dass mit diesem
Ergebnis keiner so unzufrieden sein kann, dass er dem
Gesetzentwurf nicht zustimmen kann .

Wenn ich sage, dass alle an dieser Stelle Kröten schlu-
cken müssen, dann gilt das natürlich auch mit Blick auf
die Anforderungen an eine weiße Landkarte . Nur so wird
dieser Prozess unangreifbar, das ist richtig, und nur so
kann man dem Argument, Gorleben sei nur aus politi-
schen Gründen in den Fokus geraten, entgegenwirken .
Das heißt aber auch: Wenn wir das Verfahren so durch-
führen, wie wir es jetzt vorhaben, dann wird Gorleben
aber nicht unwahrscheinlicher, sondern wahrscheinli-
cher, und deshalb sind ein paar im linken Lager an dieser
Stelle so aufgeregt; das muss man ganz klar sagen .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das überlassen Sie mal denen!)


Zum heutigen Zeitpunkt gibt es wissenschaftlich – um
das zu wissen, muss man kein Geologe sein, sondern nur
lesen können – keine wirklichen technischen Einwände
gegen Gorleben, weshalb wir darauf gedrungen haben,
dass Gorleben im Fokus bleibt . Wir haben an dieser Stel-
le bisher 2 Milliarden Euro an Vorinvestitionen getätigt.
Eine weiße Landkarte wäre ohne Gorleben, wie Minis-
terpräsident Kretschmann das richtig und seriös darge-
stellt hat, nicht möglich .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne Bayern auch nicht!)


Deshalb danke ich Ihnen, Herr Ministerpräsident
Kretschmann, für diese Klarheit, auch weil ich weiß, dass
man sich hier nach Shakespeare die Pfeil’ und Schleu-
dern des wütenden Geschicks auf sich ziehen wird, wenn
man das als grüner Ministerpräsident so klar sagt . Das
zeichnet Sie hier in ganz besonderer Weise aus .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist der Seehofer? – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Baden-Württemberg hat das Glück, so einen Ministerpräsidenten zu haben! Anders als Bayern! – Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Georg Nüßlein






(A) (C)



(B) (D)


– Machen Sie sich keine Sorgen um Bayern . Das Glück
Bayerns machen wir nicht an Personen, sondern am Er-
folg fest .


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie Seehofer zum Abschuss freigegeben? Söder-Fan, oder was?)


Lieber Herr Kollege, wenn wir am Ende der Regierungs-
zeit Bayern und Baden-Württemberg vergleichen und
eine Erfolgsbilanz ziehen, dann werden wir sehen, wer
am Schluss besser dasteht . Ich weiß, wie es ausgehen
wird, und Sie werden es erleben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kommen Sie nicht mehr heraus, Herr Nüßlein!)


Ich danke allen, die hier über ihren Schatten gesprun-
gen sind, auch wenn ich merke, wie schwer es ihnen
fällt . Ich spreche jetzt nicht vom Krötenschlucken, weil
ich weiß, dass insbesondere die Grünen an dieser Stelle
ein paar naturschutzrechtliche Bedenken hätten . Aber ich
glaube schon, dass man davon sprechen kann, dass der
Gesetzentwurf uns tatsächlich Ehre macht .

Ich will aber auch sagen, dass auch unsere Seite eine
solche Kröte schlucken musste . Ich hätte mir gewünscht,
dass wir das Thema Granitgestein von vornhinein klar
ausschließen, weil dieses Gestein zerklüftet ist und des-
halb keinen Sinn macht .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja!)


Wir haben gesagt, wir lassen es im Topf und im Fokus,
weil wir uns nicht einem politischen Vorwurf aussetzen
wollten, der hier sofort reflexartig gemacht worden wäre.
Trotzdem glaube ich, dass in diesem Gesetzentwurf – ich
bitte, jetzt genau hinzuhören – ganz klar zum Ausdruck
kommt, dass eine Endlagerung in kristallinem Gestein,
das, wie gesagt, zerklüftet ist und deshalb auf technische
Barrieren angewiesen wäre, nur die zweitbeste Möglich-
keit sein könnte . Das will ich an dieser Stelle ganz klar
unterstreichen .


(Dr . Matthias Miersch [SPD]: Da müssen Sie Ihre Fassung aber noch einmal überprüfen!)


Wer das nicht glaubt, der soll mir an dieser Stelle doch
einmal genau erklären, wie man bei dem angesprochenen
Zeitraum von 1 Million Jahren einen Langzeit-Sicher-
heitsnachweis für irgendwelche technischen Behältnisse
erbringen will .

Mit einem auf der Geologie beruhenden Konzept ist
es einfacher, zu begründen, trotz der Schwierigkeiten,
die keiner bestreiten will . Aber ich jedenfalls halte es für
wahrscheinlicher, dass ein einschlusswirksames Wirtsge-
stein Vorteile hat, wenn man über die Frage diskutiert:
Was kann und wird in der Zeit von 1 Million Jahren pas-
sieren? Es wäre schon eine Hybris, die zu dem, was Sie
immer kritisieren, überhaupt nicht passt, wenn man sag-
te: Wir lösen dieses Problem an dieser Stelle technisch .

Ich glaube, dass wir alle miteinander intelligente For-
mulierungen gefunden haben, um klarzustellen, was das
zweitbeste Konzept ist .


(Dr . Matthias Miersch [SPD]: Die aber nicht das aussagen!)


Mit Rücksicht auf politische Formulierungen kann man
vielleicht an der einen oder anderen Stelle Klarheit ent-
behren . Aber das war eben dem Thema „weiße Landkar-
te“ geschuldet: Alle sind mit dabei . Alle Bundesländer
nehmen ihre Verantwortung wahr und sehen das auch ein.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn jetzt mit Bayern?)


Alle unterziehen sich der Anfangsprüfung .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommt jetzt Bayern?)


Wir werden uns dann an dem wissenschaftlichen Ergebnis
orientieren, so wie das Ministerpräsident Kretschmann
vorhin beschrieben hat .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das war ein deutlich anderer Duktus als bei Ihnen!)


Entscheidend am Schluss ist die Frage: Wofür ent-
scheiden wir uns? Wir wählen nicht politische Maßstäbe
und nicht Maßstäbe des Protests, sondern die Maßstäbe
der Wissenschaftlichkeit, die hier zum Ausdruck kom-
men . Ich glaube, dass das richtig ist .

Es ist wichtig und richtig, die Schritte, so wie sie heute
beschrieben wurden, zu gehen. Wir haben die finanziel-
len und organisatorischen Voraussetzungen zur Endla-
gersuche geschaffen, die dazu führen, dass wir ab 1. Juli
dieses Jahres 23,6 Milliarden Euro an Geldern von den
EVU bekommen, um das Ganze finanzieren zu können.
Dies verpflichtet uns natürlich dazu, heute diesen Schritt
zu gehen . Man kann nicht erst das Geld einnehmen und
dann sagen: Wir können uns aber nicht entscheiden, wie
wir jetzt weiter verfahren wollen . – Das wäre falsch .

Die Tatsache, dass wir bereits die Bundesgesellschaft
für Endlagerung geschaffen haben, stellt eine weitere
Verpflichtung dar, heute diesen Schritt zu gehen und die-
sem Gesetzentwurf zuzustimmen . Darüber hinaus – auch
das halte ich für ganz wichtig; da spreche ich für meinen
Wahlkreis, in dem Gundremmingen liegt – sind wir auch
gegenüber denen verpflichtet, bei denen es mittlerweile
Zwischenlager gibt . Ihnen müssen wir eine Perspektive
geben und sagen, wie es weitergeht und wie lange das
dauert . Das tun wir mit dem heutigen Tag . Das ist ganz
wichtig, was ich deutlich unterstreichen möchte .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822501500

Ich erteile das Wort der Kollegin Hiltrud Lotze für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)


Dr. Georg Nüßlein






(A) (C)



(B) (D)



Hiltrud Lotze (SPD):
Rede ID: ID1822501600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich komme aus dem Wahlkreis Lüchow-Dan-
nenberg–Lüneburg . Dort liegt Gorleben . Gorleben wur-
de vor 40 Jahren von der Politik und allen voran vom
damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst
Albrecht willkürlich als Endlagerstandort benannt –


(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt doch gar nicht!)


gegen jeden wissenschaftlichen Rat und ohne jegliche
Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger . Die Menschen
im Wendland haben diese Entscheidung nicht hinge-
nommen und sich ihr widersetzt . Damit begann ein ge-
sellschaftlicher Großkonflikt, der hauptsächlich hier im
Wendland ausgetragen wurde .

Mit dem Standortauswahlgesetz lassen wir diese Art
der Auseinandersetzung jetzt hoffentlich hinter uns. Wir
machen einen Neustart in der Endlagersuche . Der natio-
nale Endlagerstandort soll in einem fairen und transpa-
renten Verfahren ausgewählt werden. Die Öffentlichkeit
wird im Standortauswahlverfahren frühzeitig und dauer-
haft beteiligt. Wir suchen bundesweit und ergebnisoffen.

Meine Damen und Herren, trotz alledem ist es so: Die
Geschichte um Gorleben, die ich eben nur ganz kurz an-
gerissen habe, hat dazu geführt, dass die Menschen vor
Ort wenig Vertrauen in den Neustart der Endlagersuche
haben . Ich verstehe das, und ich bedaure zutiefst, dass es
so ist. Ich habe es auch sehr bedauert, dass Vertreter aus
Lüchow-Dannenberg nicht in der Endlagerkommission
mitgearbeitet haben, nicht konnten oder nicht wollten .
Dennoch sind ihre Anliegen in der Kommission disku-
tiert worden, und sie sind auch im Gesetzentwurf berück-
sichtigt worden .

In der vorletzten Woche haben wir noch einmal in
einer öffentlichen Anhörung den Entwurf des Gesetzes
diskutiert, und ich sage hier deutlich: Es war gut, dass
mit Martin Donat ein Experte aus der Bürgerinitiative
Lüchow-Dannenberg dabei war . In dieser Anhörung,
bei der auch Herr Töpfer, der Vorsitzende des Nationa-
len Begleitgremiums, anwesend war, wurde noch einmal
sehr deutlich, dass die zentrale Herausforderung bei der
Umsetzung des Standortauswahlverfahrens ist, dass Ver-
trauen wieder aufgebaut wird und dass – es ist hier schon
mehrfach gesagt worden, aber ich sage es gern noch ein-
mal – ein Endlager wirklich nur in einem breiten gesell-
schaftlichen Konsens erreicht werden kann .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Hubertus Zdebel [DIE LINKE])


Das Gesetz, das wir heute verabschieden, legt dafür eine
gute Grundlage, davon bin ich überzeugt .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Eine sehr gute!)


Wir gehen hier einen neuen Weg und lassen damit
auch die Tricks und Täuschungen der Vergangenheit hin-
ter uns . Wir haben noch etliche Anmerkungen aus der
Anhörung aufgenommen . Es wurde zum Beispiel präzi-
siert, dass wir einen Standort für hochradioaktiven Müll
suchen und nicht für ein Kombilager . Formulierungen,
die eine Priorisierung von Gorleben beinhaltet hätten,

haben wir noch einmal überprüft, und wenn es nötig war,
haben wir sie herausgenommen .


(Beifall bei der SPD)


Und natürlich: Als Abgeordnete aus der Region hätte
ich es gut gefunden, wenn Gorleben von vornherein aus
dem Verfahren genommen worden wäre. Dafür gibt es
auch gute Gründe, Herr Nüßlein .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Wenn Sie Gutachten lesen, dann lesen Sie auch die geo-
logischen Gutachten, die eine klare Sprache sprechen
und in denen festgestellt wird, dass dieser Standort nicht
geeignet ist . Deswegen bin ich auch sehr sicher, dass
Gorleben im Verfahren sehr frühzeitig ausscheiden wird.


(Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Dann passiert doch nichts!)


Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal die Men-
schen ansprechen, ohne die wir nach meiner Überzeu-
gung heute hier nicht über dieses Gesetz sprechen und
abstimmen würden . Ich meine damit die Antiatombe-
wegung und ganz besonders natürlich die Menschen im
Wendland . Ich habe Marianne Fritzen, die Grande Dame
der Antiatombewegung, kennengelernt, kurz bevor sie
im vergangenen Jahr verstorben ist . Sie war das, was
unsere Ministerin heute Morgen als eine demokratische
Kraft bezeichnet hat . Sie hat sich aufrichtig und bis zum
Ende für die Antiatombewegung eingesetzt, und sie hat
mich sehr beeindruckt . An dieser Stelle ist, glaube ich,
wirklich ein Dank an alle erforderlich, die sich 40 Jahre
lang in dieser Bewegung engagiert haben .


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Viele, die ich hier sehe, sind öfter in Gorleben bei
Castortransporten gewesen .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nur bei der Besichtigung!)


Da waren auch immer viele Polizistinnen und Polizisten .
Das war vor Ort kein Vergnügen, und ich denke, es ist
heute angemessen, auch einmal an die Einsatzkräfte zu
denken, die dort den Kopf für eine falsche politische Ent-
scheidung hinhalten mussten .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Demokratie in Deutschland!)


Und noch eine Gruppe will ich ansprechen, die von
unseren Entscheidungen betroffen ist, die wir aber sel-
ten im Blick haben . Das sind die Beschäftigten im Er-
kundungsbergwerk Gorleben . Rund 100 von ehemals
240 Bergleuten arbeiten jetzt noch dort . Sie bauen nach
dem Erkundungsstopp das Bergwerk zurück und bereiten
es für den Offenhaltungsbetrieb vor. Dieser soll am 1. Ja-
nuar 2018 beginnen. Viele Bergleute haben ihren Job dort
schon verloren, und etliche werden ihn noch verlieren .
Das wissen sie, und sie haben sich damit abgefunden . Sie
akzeptieren die politischen Entschlüsse .






(A) (C)



(B) (D)


Sie erwarten aber – und das fordere ich als örtliche
Abgeordnete auch ein –, dass sie von ihrem Arbeitgeber
über die zukünftige Entwicklung frühzeitig informiert
werden, dass sie erfahren, wie viele Leute ab dem 1 . Ja-
nuar noch vor Ort verbleiben und wo die anderen eine
Verwendung finden. Sie erwarten Information über al-
les, was damit zusammenhängt, und dass man bis zum
letzten Arbeitstag respektvoll und würdevoll mit ihnen
umgeht . Ich bin mir hier der Unterstützung unserer Um-
weltministerin sicher . Sie ist schon dort gewesen und hat
Gespräche geführt . Das ist mir ein wichtiges Anliegen .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Hubertus Zdebel [DIE LINKE])


Meine Damen und Herren, das Standortauswahl-
gesetz ist ein Meilenstein . Die eigentliche Arbeit liegt
noch vor uns . Der Weg wird sicherlich nicht immer kon-
fliktfrei sein. Ich hoffe und vertraue aber darauf, dass wir
als Gesamtgesellschaft diese Aufgabe im respektvollen
Umgang miteinander und mit Mut gemeinsam meistern
werden .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg . Hubertus Zdebel [DIE LINKE])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822501700

Philipp Lengsfeld erhält nun das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Philipp Lengsfeld (CDU):
Rede ID: ID1822501800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Meine letzte Rede zur Atom-
kraft habe ich mit einem Bekenntnis gestartet, nämlich
dem, dass ich schon immer Atomkraftgegner war, Kolle-
ge Miersch . Dafür gibt es zwei Kernargumente, die Sie
auch genannt haben: die Sicherheitsfrage und die Lage-
rungsfrage . Beide sind nicht wirklich zufriedenstellend
zu lösen . Deshalb ist es richtig, dass Deutschland aus
dieser Technologie aussteigt .


(Beifall des Abg . Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Ulli Nissen [SPD]: Oh, Herr Lengsfeld!)


Wir beschäftigen uns heute mit der zweiten Thematik,
und ich möchte ausdrücklich feststellen, dass auch ich
froh bin, dass es diese Koalition zusammen mit Bünd-
nis 90/Die Grünen geschafft hat, ein Gesetz für die lang-
fristige Lagerung von hochradioaktiven Atomabfällen
aus deutschen Kernkraftwerken in Deutschland auf den
Weg zu bringen . Denn natürlich ist es richtig, dass wir
unsere Abfälle aus unseren Kraftwerken nicht in andere
Länder exportieren, selbst wenn es sicher Regionen in
der Welt gibt, die für eine langfristige Lagerung atomarer
Abfälle bessere Voraussetzungen haben als das dichtbe-
siedelte Deutschland . Ich halte es für politisch klug, dass
wir auch diesen Teil des Umgangs mit der Technologie in
unserem eigenen Land nach unseren eigenen Regeln und
unter unserer Kontrolle gestalten .

Der Gesetzentwurf basiert – das ist schon gesagt wor-
den – auf den Empfehlungen der Kommission „Lagerung
hoch radioaktiver Abfallstoffe“, die ich im Kern richtig
finde. Ich möchte den wissenschaftlichen Anspruch noch
einmal herausstellen und ausdrücklich begrüßen .

Die langfristige Lagerung in tiefen geologischen
Formationen ist nach Abwägung aller bislang weltweit
betrachteten Optionen die beste . Es gab durchaus auch
andere Ansätze .

Das Konzept soll reversibel sein . Diesen Punkt will ich
noch einmal vertiefen, weil er sehr wichtig ist . Zentrale
Elemente sind hierbei im Rahmen der Offenhaltungspha-
se des Endlagers die Rückholung der Abfälle und nach
Verschluss des Lagers die Möglichkeit der Bergbarkeit
der Abfälle bis zu 500 Jahren . Diese 500 Jahre scheinen
mir – bei allem Respekt vor der Kommission – ein viel
realistischerer Zeithorizont zu sein als die im Bericht ge-
nannte Vorgabe von 1 Million Jahren. Das hat mit Wis-
senschaftlichkeit nichts zu tun . Diese Bemerkung sei mir
erlaubt . Deshalb halte ich die Bezeichnung „Endlager“
auch nicht für ganz glücklich .

Ziel des neuen Suchverfahrens ist, einen Standort für
die hochradioaktiven Abfallstoffe mit bestmöglicher Si-
cherheit – auch das ist schon gesagt worden – in einem
Verfahren zu finden, welches nach klaren Kriterien ab-
läuft . Als Ziel für die Standortfestlegung – davon war
noch nicht so oft die Rede – wird das Jahr 2031 ange-
strebt . Gerade als Berliner muss ich sagen: Das ist doch
einmal ein halbwegs realistischer Zeithorizont in diesem
Land .

Ich möchte noch einen letzten Aspekt aus Sicht ei-
nes Forschungspolitikers ansprechen – das ist auch
der Grund, warum ich zu diesem Punkt spreche –: In
Deutschland herrscht ein Exportverbot für hochradio-
aktive Abfälle aus Leistungsreaktoren . Ich begrüße im
Namen meiner AG, der AG Bildung und Forschung,
ausdrücklich, dass dieses Exportverbot eben nicht aus-
nahmslos auf Forschungsreaktoren ausgeweitet wurde .
Hier ist ideologische Unerbittlichkeit – und übrigens
auch deutsche Rechthaberei, Kollege Miersch – falsch .

Bei allem Respekt, Frau Ministerin: Ich finde, das
Umweltministerium sollte seine Kraft auf die Hauptauf-
gabe konzentrieren, nämlich auf die Identifikation eines
für die Lagerung von Abfällen aus Leistungsreaktoren
geeigneten Standorts, statt auf die Frage, was wir mit den
Kügelchen der AVR Jülich machen. Das ist die Aufgabe
des BMBF . Wir brauchen Optionen, um diese Frage zu
lösen .


(Zuruf des Abg . Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Herr Trittin, ich mache nachher in Erinnerung Ihrer po-
litischen Leistungen eine Dose auf . – Dabei helfen uns
ideologische Vorgaben ganz sicherlich nicht weiter.

Wir brauchen Optionen . Das ist Forschung, und da
werden eben auch Fehler gemacht, Herr Miersch . Wenn
wir in Deutschland immer schon vorher wüssten, was das
Ergebnis von Forschung ist, dann wären wir sehr viel bes-
ser als alle anderen Länder dieser Welt . Aber das ist nun
einmal nicht der Charakter von Forschung; Forschung ist

Hiltrud Lotze






(A) (C)



(B) (D)


auch Trial and Error . Man darf auch einmal Fehler ma-
chen . Das sollte einem nicht in dieser rechthaberischen
Art und Weise jahrzehntelang vorgehalten werden . Da
wir Forschungsreaktoren haben, müssen wir das Problem
lösen . Das hat aber nichts mit der Endlagersuche zu tun .
Deshalb begrüße ich, dass wir das Exportverbot nicht
gnadenlos und ausnahmslos auf die Forschungsreaktoren
ausgeweitet haben .

Wie Sie sehen, bin ich mit dem vorgelegten Gesetzent-
wurf insgesamt zufrieden . Ich kann deshalb – auch aus
forschungspolitischer Sicht – um Unterstützung werben .

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822501900

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

der Kollege Eckhard Pols für die CDU/CSU das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Eckhard Pols (CDU):
Rede ID: ID1822502000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass wir heute
in letzter Lesung über den Entwurf eines Standortaus-
wahlgesetzes debattieren, ist keine Selbstverständlich-
keit . Nach Jahren der Tatenlosigkeit haben wir uns in
dieser und der vorangegangenen Legislaturperiode der
Verantwortung gestellt und des Themas Endlagerung
hochradioaktiver Abfallstoffe angenommen. Die Arbeit
der Standortauswahlkommission hat allen Beteiligten in
den vergangenen drei Jahren viel abverlangt . Es war ein
Ringen um einen Kompromiss, bei dem alle Seiten die
eine oder andere Kröte schlucken mussten . Eines hatten
wir alle aber gemeinsam: Wir wollten endlich die Suche
nach einem Endlager voranbringen und die Grundlage
dafür noch in dieser Legislaturperiode schaffen.

Während der Arbeit der Kommission wurde viel auf-
gearbeitet . Es wurde auch viel gestritten . Es wurde um
Formulierungen gerungen . Im Bewusstsein der heiklen
Situation forderten die Experten in der Endlagerkommis-
sion in ihrem Abschlussbericht schließlich ein selbsthin-
terfragendes, lernendes System für die Standortauswahl .
In diesem Zuge ist eine gute Kommunikation unter Ein-
beziehung aller Meinungen unerlässlich . Deshalb hat die
Kommission auch ein neues und umfangreiches Öffent-
lichkeitsbeteiligungskonzept zur Begleitung der Stand-
ortsuche erarbeitet und vorgeschlagen . Dieses Prinzip
der Kommunikation und Partizipation gilt auch nach der
Festlegung eines Standorts . So wird die Ausgestaltung
eines entsprechenden Ausgleichskonzepts bei der zustän-
digen Regionalkonferenz angesiedelt sein, also bei jenen
Menschen, die ihre Region am besten kennen und am
besten wissen, wo Unterstützung nötig ist .

All diese Maßnahmen zur Förderung von Kommu-
nikation und Austausch sollen Fehlentwicklungen vor-
beugen und die Offenheit des Prozesses erhalten. Aber
wichtig ist aus meiner Sicht auch, dass die betroffenen
Standortregionen kein Vetorecht haben. Am Schluss ent-
scheidet der Gesetzgeber .

Die Union hat einen großen Schritt gemacht . Wir
haben aus Ereignissen, ja vielleicht auch aus den Feh-
lern der vergangenen Jahrzehnte gelernt; denn auf dem
Weg hin zu einer akzeptablen Lösung war es für uns ein
unumgänglicher Schritt, auch einmal über den eigenen
Schatten zu springen, und das zum Wohle aller . Dieses
Verhalten hätte ich mir von allen Beteiligten gewünscht,
Herr Zdebel, auch und gerade von den Linken . Dass Sie
den gefundenen Kompromiss auch bei der letzten Ab-
stimmung nicht mittragen, ist der Sache sicherlich nicht
dienlich, vor allem da Sie die ganze Zeit aktiv mitgear-
beitet haben .

Noch mehr habe ich mich geärgert über diejenigen,
die gar nicht bereit waren, sich dem Austausch verschie-
dener Standpunkte zu stellen . Dazu gehören die schon er-
wähnten Umweltverbände und sogar die Bürgerinitiative
Umweltschutz Lüchow-Dannenberg aus dem Landkreis,
in dem Gorleben liegt . Statt konstruktiv an einer Lösung
der Endlagerfrage mitzuarbeiten, haben sie sich aus der
Verantwortung gestohlen und nur von außen versucht,
alles zu kritisieren . Daher frage ich mich: Wie dreist ist
man denn, ein Ergebnis zu kritisieren, wenn man doch die
Mitwirkung an eben jenem bewusst ausgeschlagen hat?
Aber selbstverständlich ist es immer leichter, mit dem
Finger auf andere zu zeigen, als sich an einer gemeinsa-
men arbeitsamen Kompromissfindung zu beteiligen.

Fakt ist aber: Wir legen heute den Grundstein, damit
wir unseren Kindern und Kindeskindern nicht die Beant-
wortung der Frage nach der Lagerung hochradioaktiver
Abfallstoffe übertragen. Wir tragen die Verantwortung.
Wir stehen heute aber erst am Anfang der Suche nach ei-
nem Endlager . Wir beginnen – das macht mich besonders
froh – mit einem neutralen Ausgangspunkt, der soge-
nannten weißen Landkarte . Es ist kein Geheimnis – das
haben wir schon gehört –, dass manch einer den Stand-
ort Gorleben gern von vornherein ausgeschlossen hätte .
Ich bin, ehrlich gesagt, froh, dass dies nicht gelungen ist .
Denn wie sollten wir es – das hat der Ministerpräsident
vorhin schon gesagt – den Menschen an anderen poten-
ziellen Standorten erklären, dass wir eben doch nicht alle
Standorte auf Eignung überprüft haben? Gorleben wird
in dem Verfahren, das wir nun verabschieden, ein Ort
unter vielen sein . Der Standort wird sich den Kriterien
und dem Vergleich mit anderen Standorten stellen müs-
sen . Wie am Schluss das Ergebnis sein wird, kann nur das
Verfahren zeigen.

Wir haben die Veränderungssperre, die jetzt für den
Standort Gorleben und alle anderen Orte jenen Zweck
erfüllt . Die Union hat sich dafür starkgemacht, dass kein
Ort den anderen gegenüber bevorzugt oder benachteiligt
wird . Auch wenn einige es immer noch nicht wahrhaben
wollen: Das Verfahren zur Standortauswahl ist und bleibt
transparent, fair und ergebnisoffen. Es besteht keine Vor-
festlegung .

Ja, ein Endlager könnte am Standort Gorleben, in
meinem Wahlkreis, entstehen . Es könnte aber auch in
einem der anderen 298 Wahlkreise entstehen, die wir
in Deutschland haben . Als Kind dieser Region bereitet
mir der Zustand keine schlaflosen Nächte. Schlaflose
Nächte, Frau Lotze, bereitet mir eigentlich nur, was mit
den vielen Arbeitnehmern im Erkundungsbergwerk und

Dr. Philipp Lengsfeld






(A) (C)



(B) (D)


deren Familien passiert; denn die werden auf diese Art
und Weise arbeitslos und wissen nicht, wie ihre Zukunft
aussieht .


(Hiltrud Lotze [SPD]: Das habe ich ja angesprochen!)


Das ist nicht die soziale Verantwortung, die Ihre Partei
sonst immer gerne zeigt .


(Hiltrud Lotze [SPD]: Was?)


Mit dem Kriterienkatalog haben wir dafür gesorgt,
dass die Entscheidung über ein Endlager wissenschaft-
lich profund getroffen wird und vor allen Dingen die Bür-
ger und Bürgerinnen gehört werden . Aber bis dahin ist
noch ein weiter Weg .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822502100

Herr Kollege .


Eckhard Pols (CDU):
Rede ID: ID1822502200

Wir legen heute, wie gesagt, den Grundstein . Ich bitte

um eine breite Zustimmung zu diesem Gesetz .

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822502300

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Frak-
tionen der CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwick-
lung des Gesetzes zur Suche und Auswahl eines Standor-
tes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive
Abfälle und anderer Gesetze .

Hierzu liegen mir einige persönliche Erklärungen zur
Abstimmung vor, die wir unserem üblichen Verfahren
entsprechend dem Protokoll beifügen .1)

Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung auf der Drucksache 18/11647, den
Gesetzentwurf der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und
Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 18/11398
in der Ausschussfassung anzunehmen . Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in
zweiter Beratung mit den Stimmen der antragstellenden
Fraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
angenommen .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen
zu erheben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Damit ist mit dem gleichen Abstimmungsverhalten bei
einer Stimmenthaltung aus den Reihen der Fraktion

1) Anlagen 2 und 3

Bündnis 90/Die Grünen der Gesetzentwurf angenom-
men .

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Druck-
sache 18/11648 . Wer stimmt für diesen Entschließungs-
antrag? – Die Antragsteller . Wer stimmt dagegen? – Alle
anderen . Dann ist der Entschließungsantrag abgelehnt .

Tagesordnungspunkt 3 b . Wir setzen die Abstimmung
zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit auf der
Drucksache 18/11647 fort . Unter Buchstabe b seiner
Beschlussempfehlung empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrages der Fraktion Die Linke auf der
Drucksache 18/9791 mit dem Titel „Exportverbot für
hochradioaktive Abfälle“ . Wer stimmt dieser Beschluss-
empfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Dann ist die Beschlussempfehlung mit den Stim-
men der Koalition gegen die Stimmen der Opposition
angenommen .

Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss, den Ab-
schlussbericht der Kommission „Lagerung hoch radioak-
tiver Abfallstoffe“, den es auf Drucksache 18/9100 gibt,
zur Kenntnis zu nehmen. Er hat den Titel „Verantwortung
für die Zukunft – Ein faires und transparentes Verfahren
für die Auswahl eines nationalen Endlagerstandortes“ .
Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? – Das sieht
nach Einmütigkeit aus . Ist jemand dagegen oder enthält
sich der Stimme? – Das ist nicht der Fall . Dann ist diese
Beschlussempfehlung einstimmig angenommen .

Tagesordnungspunkt 3 c . Hier geht es um die Be-
schlussempfehlung des gleichen Ausschusses zum An-
trag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Umgang mit
Atommüll – Defizite des Entwurfs des Nationalen Ent-
sorgungsprogramms beheben und Konsequenzen aus
dem Atommülldesaster ziehen“. Hier empfiehlt der Aus-
schuss in seiner Beschlussempfehlung auf der Druck-
sache 18/7275, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
der Drucksache 18/5228 abzulehnen . Wer stimmt dieser
Beschlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Dann ist diese Beschlussempfehlung ge-
gen die Antragsteller mit den übrigen Stimmen des Hau-
ses angenommen .

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 4 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Kerstin
Andreae, Dr . Konstantin von Notz, Brigitte
Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Arbeit 4.0 – Arbeitswelt von morgen gestalten

Drucksache 18/10254
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Ausschuss Digitale Agenda

Nach einer Vereinbarung der Fraktionen sind auch für
diese Aussprache 77 Minuten vorgesehen . – Dazu stelle
ich Einvernehmen fest . Wir können also so verfahren .

Eckhard Pols






(A) (C)



(B) (D)


Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Kerstin Andreae für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
das Wort .


Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822502400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das

Wirtschaftsmagazin brand eins hat in seiner Märzausga-
be getitelt: „Neue Arbeit . . . ist mehr als alte Arbeit mit
Internetanschluss“ . Digitalisierung verändert nicht nur
die Art, wie wir produzieren grundlegend, sondern auch
unsere Arbeitsweise . Arbeit wird technischer, vernetzter
und flexibler. Das bietet auch eine Chance für humanere
und selbstbestimmtere Arbeit .

Aber was wir uns fragen müssen, ist, ob das Neue
auch in das Alte passt . Die Motivation für unseren An-
trag war, sich dieser Frage zu stellen: Wie verändert sich
eigentlich die Arbeitswelt? Wie gehen wir damit um,
wenn die Menschen Angst davor haben, dass die Digita-
lisierung ihren Arbeitsplatz gefährdet? Wer verliert über-
haupt? Wir sind uns ganz sicher: Wir können und wollen
diese Entwicklung nicht aufhalten; aber wir können und
müssen sie gestalten und dafür sorgen, dass niemand ab-
gehängt wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Voraussetzungen dafür sind, dass wir alle Men-
schen mitnehmen, befähigen, fördern, qualifizieren. Di-
gitalisierung schafft bessere Möglichkeiten, sich zu in-
formieren und weiterzubilden . Das reicht aber nicht aus .
Schulen brauchen bessere Ausstattungen . Lehrer müssen
geschult werden . Weiterbildungsangebote, gerade für
Geringqualifizierte, Ältere und Menschen mit Migrati-
onshintergrund, sind vonnöten .

Weiterbildung und Qualifizierung dürfen nicht vom
Geldbeutel der Menschen abhängen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Weiterbildung daran scheitert, dass das Geld dafür
nicht aufgetrieben werden kann, dann ist das ein Fehler .
Was wir Ihnen vorschlagen, ist, dass Agenturen und Job-
center zu Zukunftsagenturen für Arbeit und Weiterbil-
dung ausgebaut werden . Arbeitsuchende und Erwerbstä-
tige bei der Weiterbildung aktiv zu unterstützen, das ist
unser konkreter Vorschlag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Zweite ist, dass wir Regeln für diesen digitalen
Wandel brauchen. Das betrifft den Beschäftigtendaten-
schutz . Da geht es um Regeln, um der Entgrenzung ent-
gegenzuwirken . Das nimmt im Übrigen auch die Arbeit-
geber in die Pflicht. Wo hört Selbstbestimmung auf, und
wo fängt Ausbeutung an?

Nun hat die Ministerin Nahles mit dem Grünbuch im
Jahr 2015 die richtigen Fragen gestellt . Dort steht:

Mit Arbeiten 4 .0 wollen wir eine wichtige Debatte
eröffnen und Fragen stellen, gemeinsame Antworten
finden.

Und weiter:

. . . am Ende des Prozesses werden wir genauer wis-
sen, wie wir in Zukunft arbeiten möchten und was
wir tun müssen .

Wir sind am Ende des Prozesses; aber ich habe nicht
den Eindruck, dass Sie die gewünschten Antworten ha-
ben . Das Weißbuch sollte Lösungen liefern; aber es
bleibt im Konjunktiv: hätte, müsste, sollte .

Dort, wo es konkret werden muss, da fehlt Ihnen der
Mut für konkrete Antworten; aber wir brauchen eine mu-
tige Bundesregierung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Haben wir!)


Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Die Menschen wollen flexi-
bler arbeiten, Arbeit und Familie besser verbinden, aber
nicht im Goodwill des Arbeitgebers . Beschäftigte brau-
chen eine echte Wahlarbeitszeit – Selbstbestimmung und
Freiheit, größere Freiheit hinsichtlich Ort und Zeit der
eigenen Arbeit .

Was machen Sie jetzt? Sie bieten eine dreijährige
Experimentierklausel für ausgewählte Betriebe an und
auch nur für Beschäftigte mit Tarifvertrag . Das ist we-
der ein klarer Rahmen noch eine klare Ansage . Beschäf-
tigte wollen ein Recht auf Homeoffice. 74 Prozent der
Beschäftigten geben heute an, sie wollten mehr von zu
Hause arbeiten . Wir wollen, dass hier ein Rechtsrahmen
geschaffen wird, dass Rechtssicherheit besteht. Das nutzt
auch der Motivation der Menschen . Das hat viel mit ver-
änderten Arbeitswelten zu tun und viel mit der Frage der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Dann müsste das Auto von zu Hause aus gebaut werden! – Zuruf des Abg . Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/ CSU])


– Natürlich, Herr Lengsfeld, kann die Bäckerin nicht von
zu Hause ihre Brötchen verkaufen. Homeoffice funktio-
niert natürlich nur da, wo es betriebsbedingt möglich ist .

Aber wenn nur 12 Prozent der Betriebe dies in An-
spruch nehmen, obwohl es bei 40 Prozent der Betriebe
möglich wäre und 74 Prozent der Menschen das wollen,
dann ist da eine Schieflage. Das ist das, was wir meinen,
wenn wir sagen: Wir brauchen hier Rechtssicherheit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Digitalisierung schafft mehr Selbstständigkeit. Wir Grü-
ne unterstützen das . Selbstständigkeit ist eine Graswurzel
unserer Wirtschaft, eine wichtige Quelle für Innovation .
Aber ihre Stärke kann sie nur ausspielen, wenn sie sich
nicht im sozial luftleeren Raum bewegt . 50 Prozent aller
Solo-Selbstständigen haben weder eine gesetzliche noch
eine private Altersversicherung . Deswegen sagen wir: Wir
müssen die Versicherungen zu Bürgerversicherungen wei-
terentwickeln, wobei alle mitgenommen werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Wir brauchen gerade für Gründer und für diejenigen
in diesen neuen Beschäftigungsformen einen bezahl-
baren Zugang zu den Sozialversicherungssystemen . Es
kann doch nicht sein, dass die Sorge um die soziale Ab-
sicherung dazu führt, dass man sich nicht in dieser neu-
en Arbeitswelt zurechtfindet, dass Existenzsicherung die
eigene Kreativität so hemmt, dass man seinen Platz nicht
findet. Hier brauchen wir Antworten von Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schließlich müssen wir Arbeit neu denken . Dazu ge-
hören neue Beschäftigungsformen wie Crowdworking .
Es gibt digitale Plattformen . Da verdienen sich viele ein
paar Euro oder auch mehr dazu; das ist gut . Das Problem
ist, dass dieser neue Markt 24 Stunden jeden Tag global
im Wettbewerb steht .


(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das ist kein Problem! Das ist gut!)


Hier ist ganz deutlich erkennbar, dass das Neue nicht
mehr in das Alte passt . Deswegen müssen wir darüber
nachdenken . Wir können nicht einfach stehen bleiben .
Plattformen dürfen kein rechtsfreier Raum sein . Auch da
brauchen wir Lösungen von Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE])


Wir befinden uns mitten in einem gigantischen Um-
bruch . Manche sprechen von einer digitalen Revolution
mit ähnlich umwälzenden Folgen wie denen der indust-
riellen Revolution vor 200 Jahren . Die Geschwindigkeit
der Veränderungen stellt jeden Einzelnen, aber auch die
Gesellschaft insgesamt vor große Herausforderungen .
Die Politik ist gefordert, hier Antworten zu liefern .

Deswegen legen wir Ihnen den Antrag „Arbeit 4 .0“
vor . Ich möchte, dass wir in die Diskussion über Instru-
mente gehen, die dazu beitragen, dass die Menschen mit
dieser Digitalisierung und mit dieser Veränderung am Ar-
beitsplatz, in der Arbeitswelt klarkommen, sich sicherer
fühlen und an dieser Veränderung teilnehmen. Gehen wir
in die Diskussion!

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir diskutieren mit!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822502500

Uwe Lagosky ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Uwe Lagosky (CDU):
Rede ID: ID1822502600

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Digitalisie-
rung entwickelt sich in einer Geschwindigkeit, die alle
Entwicklungen am Arbeitsmarkt in den vergangenen
Jahren in den Schatten stellt . Das haben wir gerade auch
von Ihnen gehört, liebe Kollegin . Allerdings ist die Dis-
kussion um dieses Thema bereits voll entfacht worden,
und viele Dinge sind bereits auf den Weg gebracht . Das

muss natürlich in entsprechendes gesetzliches Handeln
in der Zukunft einmünden .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welches denn?)


In immer kürzeren Intervallen steigt die Leistungsfä-
higkeit der Rechnersysteme, der Speicher und natürlich
auch der Anwendungen, die damit verbunden sind . Auto-
matisierungsprozesse finden in allen Betrieben statt. Das
verändert die Arbeitswelt . Ob im Maschinenbau oder in
der Elektro- oder Automobilindustrie, im Handwerk oder
auch im Dienstleistungsbereich – in allen Bereichen fin-
det durch die Digitalisierung bereits eine grundlegende
Veränderung statt.

Deutschland nutzt diese Entwicklung bereits heute .
Nicht ohne Grund sind wir mit weniger als 1 Prozent
der Weltbevölkerung die viertgrößte Volkswirtschaft.
Deutschlands Know-how ist in der ganzen Welt gefragt
und begehrt . Mit 43,6 Millionen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern generieren wir heute ein Bruttoinlands-
produkt von über 3 Billionen Euro .

Das haben wir den Menschen in unserem Land zu ver-
danken, die es immer wieder geschafft haben, unser Land
durch Innovationen leistungsfähig zu machen . Durch un-
ser starkes Bildungs- und Hochschulwesen sowie unsere
duale Ausbildung, die unser Land stark gemacht haben,
sind wir ein Land von Facharbeitern, Akademikern und
qualitativ hochwertigen Arbeitsplätzen. Viele Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer sind Experten in dem, was
sie tun . Laut einer Allensbach-Studie aus dem letzten
Jahr sehen sich drei Viertel der Bevölkerung den künf-
tigen Anforderungen gut gewachsen. Viele sehen in der
Digitalisierung einen Vorteil für sich selber.

Wir wollen die Chancen der Digitalisierung nutzen .
Die digitalisierte Arbeitswelt soll dabei explizit in den
Dienst der Menschen gestellt werden . Das ist unsere An-
forderung .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wichtig ist mir dabei aber auch, dass wir die Menschen
mitnehmen, die in Bezug auf die Anforderungen der Zu-
kunft immer noch Ängste haben . Auch daran müssen wir
arbeiten .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben im letzten
Jahr gemeinsam mit einigen Mitgliedern des Ausschus-
ses für Arbeit und Soziales die USA bereist und zahl-
reiche Gespräche geführt . Ich fasse die bei dieser Reise
gewonnenen Erkenntnisse zusammen:

Erstens . Welchen Bildungsstand und welche Ausbil-
dung man in den USA erhält, hängt maßgeblich von den
finanziellen Möglichkeiten des Einzelnen ab. Ich finde,
mit unserem System der dualen Ausbildung und der
Hochschulausbildung haben die Menschen in unserem
Land ein hervorragendes Fundament für ihr gesamtes
Berufsleben .

Zweitens. Die USA haben uns im Silicon Valley und
an anderen Stellen bei den Unternehmensneugründungen
durchaus einiges voraus . Circa jeder dritte Student der
Stanford University gründet eine eigene Firma . In den
USA ist auch wesentlich mehr Venture Capital, Risikoka-

Kerstin Andreae






(A) (C)



(B) (D)


pital, vorhanden, als es in Deutschland der Fall ist . Auch
ist dort die Bereitschaft der Menschen viel ausgeprägter,
in eine Selbstständigkeit zu gehen. Ich finde, an dieser
Baustelle müssen wir in Deutschland in erheblichem
Maße arbeiten .

Drittens . Auf die Frage, wie man die wachsende Un-
gleichheit in den USA in den Griff bekommt und wie man
die Menschen in einer sich rasant ändernden Arbeitswelt
mitnimmt, haben uns die 14 Professoren der Stanford
University keine Antwort geben können . Die Rahmen-
bedingungen, die wir durch unsere Regelungen zum Ar-
beitsschutz haben, spielen dort eine eher untergeordnete
Rolle . Deshalb ist es gut, wenn wir uns auf das besinnen,
was Deutschland stark gemacht hat, nämlich auf unsere
soziale Marktwirtschaft . Die müssen wir entsprechend
weiter aufbauen und pflegen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was heißt das jetzt konkret?)


Insofern sind Ihre Ansätze durchaus diskutabel . Wir
werden über diese auch in der Zukunft sprechen . Denn
letztlich geht es darum, die Entwicklungsmöglichkeiten
eines jeden, den Freiraum und den Schutz der Beschäf-
tigten sowie die Wirtschaft zu stärken . All diese drei
Punkte unter einen Hut zu bekommen, ist Aufgabe und
Herausforderung . Und das macht die CDU/CSU-geführ-
te Bundesregierung, wie ich finde, in hervorragender Art
und Weise .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Hans-Joachim Schabedoth [SPD] – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In welcher Form?)


Unser deutsches Arbeitsrecht gibt Leitplanken vor,
zwischen denen sich Beschäftigte und Arbeitgeber frei
bewegen können. Diese Bewegungsfreiheit schafft
Wachstum und Sicherheit . Sie zeichnet unsere soziale
Marktwirtschaft aus. Wir haben also beste Vorausset-
zungen, um auch in Zukunft wirtschaftlich erfolgreich
zu sein und in diesem Land eine gute soziale Absiche-
rung zu garantieren . Dass dies so bleibt, ist natürlich kein
Selbstläufer . Deshalb müssen wir die Anforderungen, vor
die uns die Digitalisierung stellt, mit Bedacht entspre-
chend in unser System einbauen .

Die Bundesregierung hat dazu – das wurde eben
auch schon erwähnt – im April 2015 den Dialogprozess
„Arbeiten 4 .0“ gestartet . Dessen Ergebnisse wurden
im vergangenen November durch das BMAS in einem
Weißbuch vorgestellt . Durch zahlreiche Workshops und
Stellungnahmen sowie durch einen wissenschaftlichen
Beirat wurden in breitem Umfang Ideen gesammelt und
Handlungsempfehlungen gegeben . Es gilt, diese jetzt in
entsprechender Form umzusetzen . Darüber diskutieren
wir ja auch, und wir werden das auch weiterhin tun .

Liebe Grüne, uns also in Ihrem Antrag zu sagen, die
Bundesregierung habe in diesem Bereich in den vergan-
genen Jahren zu wenig getan, ist schlichtweg falsch .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was wurde denn gemacht?)


Lassen Sie mich etwas zu dem sagen, was in Ihrem
Antrag zur Wahlarbeitszeit steht. Viele Manteltarifver-
träge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen nutzen die
Möglichkeiten, die innerhalb der Leitplanken unseres
Arbeitszeitgesetzes gegeben sind . Damit wird die Ar-
beitszeit, die von den Sozialpartnern in den Unternehmen
verhandelt wird, auf die Erfordernisse der Beschäftigten
und des Betriebes zugeschnitten . Gleichzeitig geht es
aber auch darum, die als Leitplanken vereinbarten Rege-
lungen im Arbeitszeitgesetz – dabei geht es insbesondere
um die Ruhe- und Tageshöchstarbeitszeiten –, die dem
Arbeitsschutz und damit dem Schutz der Gesundheit der
Beschäftigten dienen, entsprechend umzusetzen . Inso-
fern sind weitere Gestaltungsspielräume zur Vereinbar-
keit von Familie und Beruf, wie Sie sie vorschlagen, nur
möglich, wenn sie dem Schutz der Beschäftigten nicht
widersprechen .

Deshalb lohnt es sich, darüber nachzudenken, ob man
mit tariflichen Öffnungsklauseln im Arbeitszeitgesetz da-
für sorgen kann, dass man diesem Anspruch gerecht wird
und gleichzeitig eine bessere Vereinbarkeit hinbekommt.
Ein Beispiel: Wenn eine Mutter am Vormittag vier Stun-
den im Betrieb gearbeitet hat und nach Kinderbetreuung
und Freizeit am Nachmittag gegebenenfalls am Abend
noch einmal zwei Stunden arbeiten möchte, verstößt das
nach heutiger Rechtslage möglicherweise gegen das Ar-
beitszeitgesetz wegen der Ruhezeit, die eingehalten wer-
den muss . Hieran wollen wir arbeiten und entsprechend
dafür sorgen, dass wir hier Rechtssicherheit schaffen –
zum Wohle der Beschäftigten und der Arbeitgeber .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gleichzeitig möchten wir, dass Arbeitgeber ihre Ar-
beitnehmer umfassend über Gesundheitsrisiken und prä-
ventive Maßnahmen aufklären . Sie merken also an den
vielen Punkten, die wir hier vorschlagen und miteinander
diskutieren, dass wir an den gleichen Themen arbeiten,
nämlich an den Handlungsfeldern, die uns das Weißbuch
vorgibt . Allerdings ist die Herangehensweise an vielen
Stellen durchaus unterschiedlich, so auch im Bereich
des Arbeitsschutzes . Sie treten für eine Reform der Ar-
beitsschutzverordnung bei psychischer Gefährdung ein,
wissen aber genau, dass die Ergebnisse der Studien, die
bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsme-
dizin in Auftrag gegeben wurden, erst im Mai dieses Jah-
res vorgestellt werden . Wäre es nicht besser, erst einmal
auf diese Ergebnisse zu warten, bevor man einen Antrag
stellt?


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822502700

Herr Kollege .


Uwe Lagosky (CDU):
Rede ID: ID1822502800

Zum Schluss noch etwas zum Thema „Q wie Qualifi-

zierung“ . Aus unserer Sicht muss Weiterbildung in erster
Linie im Job erfolgen und nicht erst dann, wenn jemand
arbeitslos geworden ist .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Martin Rosemann [SPD])


Uwe Lagosky






(A) (C)



(B) (D)


Es gilt, die Weiterbildung in den Betrieben praxisnah zu
organisieren und den Beschäftigten damit das Rüstzeug
für die aktuelle und zukünftige Arbeit zu geben . Dafür
werden wir uns einsetzen . So gestaltet sich der Wandel in
der Arbeitswelt zum Wohle der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1822502900

Das Wort erhält nun der Kollege Klaus Ernst für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822503000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Antrag der Grünen gibt uns die Möglichkeit,
wichtige Fragen im Zusammenhang mit Veränderungen
in der Arbeitswelt zu diskutieren . Prinzipiell geht der An-
trag in die richtige Richtung .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber natürlich nicht weit genug!)


Zu Herrn Lagosky: Ihr Beispiel von der Frau, die vier
Stunden am Vormittag und zwei Stunden am Abend ar-
beitet, passt nicht . Das hat mit Digitalisierung nichts zu
tun . Solche Beispiele hat es immer schon gegeben . Wir
müssen also aufpassen, dass wir nicht alle Ideen, die wir
jetzt diskutieren, in Zusammenhang mit neuer Technik
bringen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Vieles von dem, was wir fordern und diskutieren, ist ja
gar nichts Neues . Aber trotzdem einige grundsätzliche
Bemerkungen .

Worum geht es, wenn wir uns als Parlament hier über
die Folgen der Digitalisierung unterhalten? Die Grund-
fragen, die sich stellen, sind: Wem kommen die Produk-
tivitätsgewinne, die dabei entstehen, zugute? Wer be-
kommt sie?


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Kommen diese Produktivitätsgewinne einseitig dem Un-
ternehmen zugute, oder gelingt es uns, durch gesetzliche
Regelungen dafür zu sorgen, dass auch die Beschäf-
tigten, zum Beispiel durch kürzere Arbeitszeiten, zum
Beispiel durch mehr Bildungszeiten, davon profitieren?
Profitiert vielleicht sogar die Gesellschaft davon, dass
freiwerdende Beschäftigte in den Bereichen eingesetzt
werden können, wo wir sie brauchen, zum Beispiel im
Pflege- oder Gesundheitsbereich? Das sind die Fragen,
die uns beschäftigen müssen und mit denen wir uns hier
auseinandersetzen müssen .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Hans-Joachim Schabedoth [SPD])


Meine Damen und Herren, der Einsatz von Technik
findet bei uns unter kapitalistischen Bedingungen statt.
Das kann man gut oder schlecht finden, aber so ist es.

Das bedeutet, dass in erster Linie der Arbeitgeber darü-
ber entscheidet, was eingesetzt wird und wie es einge-
setzt wird . Dabei geht es natürlich um die Senkung von
Kosten – das ist das Ziel –, sonst würde der Arbeitgeber
es nicht machen .

Digitalisierung ist nichts anderes als ein weiteres Ele-
ment, um den Produktionsprozess mit neuen technischen
Möglichkeiten rationeller zu gestalten . Das Ziel der Ar-
beitgeber allerdings ist – jetzt wird es für uns, das Par-
lament, spannend –, dass sich die Beschäftigten an die
technischen Möglichkeiten anpassen sollen, und leider
nicht, wie es im Antrag der Grünen impliziert ist, dass
Freiräume für die Beschäftigten geschaffen werden sol-
len . Das Ziel der Arbeitgeber ist etwas ganz anderes . Ich
zitiere aus der Stellungnahme der Bundesvereinigung der
Deutschen Arbeitgeberverbände:

Wichtig ist, dass die Flexibilität, die die Digitali-
sierung durch neue Arbeitsabläufe und neue Kom-
munikationsinstrumente mit sich bringt, nicht durch
Regulierung behindert wird . Positive Wettbewerbs-
und Beschäftigungseffekte können nur mit einem
flexiblen Rahmen ausgeschöpft werden.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Hört! Hört!)


Dort steht klar, was sie wollen: Ausweitung der Wochen-
endarbeit, Ausweitung der Feiertagsarbeit, Abschaffung
der gesetzlich geregelten Höchstarbeitszeit, Anpassung
der Ruhezeiten an Betriebsabläufe, und Beschäftigte
sollen auch kurzfristig von zu Hause abberufen werden,
um ihre Arbeit verrichten zu können . Das, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, ist die absolute Unterordnung der
Beschäftigten unter die Produktion . Das müssen wir ver-
hindern und regeln .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Hans-Joachim Schabedoth [SPD])


Die Interessen der Beschäftigten stehen denen der
Arbeitgeber diametral gegenüber . Da will man von Teil-
zeit wieder in Vollzeit. Richtig. Da will man nach acht
Stunden auch aufhören können, ohne durch entspre-
chenden Druck dazu gezwungen zu werden, länger zu
arbeiten . Da will man Beginn und Ende der Arbeitszeit
selbst definieren und sich nicht der Technik anpassen. Da
will man – das ist sehr wichtig; hier bin ich wieder beim
Kollegen Lagosky –, wenn man kleine Kinder hat, raus
aus der Schichtarbeit und hin zur Normalschicht, damit
man sich um die Kinder kümmern kann . Das alles gibt
es momentan noch nicht . Dazu brauchen wir einen ge-
setzlichen Rahmen, weil es sonst in der Praxis nicht dazu
kommt .


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt komme ich zu den Grünen . Das ist mir wichtig:
Wenn man die Interessen der Beschäftigten durchset-
zen will, muss man aufpassen, wenn man in den Antrag
schreibt „sofern dem keine wichtigen betrieblichen Be-
lange entgegenstehen“ . Aus meiner langjährigen Praxis
in Betrieben kann ich Ihnen sagen: Immer wenn dies for-
muliert wird, ist es äußerst unwahrscheinlich, dass sich
die Beschäftigten durchsetzen, weil der Arbeitgeber im-
mer einen Punkt findet, dass dem betriebliche Interessen

Uwe Lagosky






(A) (C)



(B) (D)


entgegenstehen . Wir brauchen daher einklagbare Rechte
für die Beschäftigten . Darüber müssen wir reden .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir können es aber nicht dem Arbeitgeber überlassen .

Meine Damen und Herren, Digitalisierung – da ha-
ben Sie Recht; das ist auch der Grundsatz – fordert mehr
Schutzrechte für abhängig Beschäftigte . Es geht darum,
das Direktionsrecht des Arbeitgebers, zu verfügen, wann,
wie und wo was im Betrieb passiert, weiter einzuschrän-
ken . Dann müssen wir es aber auch tun und nicht nur
appellieren . Auch die Bundesregierung muss in dieser
Frage reagieren und nicht nur appellieren, weil sich sonst
nichts ändert . Das ist ein wichtiger Punkt .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich stimme den Grünen in dem Aspekt zu, dass Arbeit
zunehmend in rechtsfreien Räumen stattfindet. Sie haben
über Vermittlungsplattformen gesprochen. Ja, aber wie
können wir das regeln? Was passiert in diesen Vermitt-
lungsplattformen? In rechtsfreien Räumen wird zuneh-
mend Arbeit vermittelt von anonymen Organisationen,
bei denen man sich um Aufträge bemüht, vollkommen
unabhängig von den Fragen: Wie lange wird dort gear-
beitet? Was wird für diese Aufträge bezahlt? Wir haben
also eine Aushebelung geltender Bestimmungen in der
Bundesrepublik Deutschland durch den Fakt . Das ist nur
ein Aspekt . Wie können wir das regeln? Wir müssen über
die Begriffe „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ reden.
Wenn jemand einen Menschen über eine Plattform ver-
mittelt, wie Sie richtig sagen, ohne Sozialversicherung
und ohne Absicherung: Ist er dann nicht ein Arbeitgeber?
Ein Arbeitgeber in einem Betrieb macht auch nichts an-
deres . Jemand kommt, er beschäftigt ihn, er vermittelt
ihm Arbeit . Der andere macht im Prinzip dasselbe .


(Zuruf des Abg . Kai Whittaker [CDU/CSU])


– Sie haben wirklich wenig Ahnung davon . Ich würde
mich ein bisschen zurückhalten . Sie brüllen zwar dazwi-
schen, aber Sie haben wirklich keine Ahnung .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie der Abg . Katja Mast [SPD] und Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deshalb sage ich: Wir müssen den Begriff des Arbeitge-
bers neu regeln . Ist derjenige, der einen Menschen ver-
mittelt, nicht Arbeitgeber? Müsste er dann nicht auch die
Sozialversicherungsbeiträge zahlen, wenn er jemanden
vermittelt?


(Beifall bei der LINKEN)


Das sind Aspekte, die wir in die weitere Beratung auf-
nehmen sollten . Ich freue mich darauf . Insofern ist der
Antrag der Grünen durchaus hilfreich .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822503100

Als nächste Rednerin spricht Katja Mast für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Antje Lezius [CDU/CSU])



Katja Mast (SPD):
Rede ID: ID1822503200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Es ist klar: Unsere Welt befindet sich in einem grundle-
genden Wandel . Auch die Arbeit wandelt sich natürlich .
Arbeiten 4.0 wird vernetzter, digitaler, flexibler sein. Wir
stehen natürlich vor großen Herausforderungen, bei de-
nen es darum geht, wer am Wohlstand teilhaben wird,
wie sich Chancengleichheit und soziale Sicherheit in un-
serem Land zukünftig entwickeln .

Es geht in dieser Debatte um Chancen und Risi-
ken; das haben meine Vorredner mit unterschiedlichen
Schwerpunktsetzungen schon deutlich gemacht . Aber
wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten füh-
ren an dieser Stelle keine Angst-, sondern eine Gestal-
tungsdebatte .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Antje Lezius [CDU/CSU] – Lachen des Abg . Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Bestes Beispiel dafür ist das Weißbuch Arbeiten 4.0 un-
serer Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da steht aber nichts drin!)


Alle, die behaupten, wir eröffneten heute die Debatte da-
rüber, sollten vielleicht zunächst einmal dieses Buch le-
sen. Dann sähen sie, dass es in der öffentlichen Debatte
schon viele Vorschläge gibt. Die Ministerin skizziert da-
rin die zentralen Gestaltungsaufgaben .

Ich will auf einen Aspekt eingehen – es kommen ja
noch viele Rednerinnen und Redner der SPD –, den ich
als zentralen Zukunftsaspekt bei der Gestaltung von Ar-
beiten 4.0 empfinde: die Qualifizierung. Sie entscheidet
aus meiner Sicht im Kern über die Verteilungsgerech-
tigkeit in Zeiten der Digitalisierung . Es gibt düstere Be-
schäftigungsszenarien, Studien, die von millionenfachen
Jobverlusten ausgehen . Aber das Bundesarbeitsministe-
rium geht davon aus, dass es sich um einen Wandel von
Kompetenzen und Berufen handelt . Wenn sich Berufe
und Kompetenzen wandeln, also der Arbeitsmarkt sich
wandelt, dann heißt das doch ganz klar: Wir müssen in
Qualifikationen investieren, wir müssen in die Köpfe der
Menschen investieren, damit sie auch in Zukunft an der
Verteilung des Wohlstands, an der Verteilung des Ku-
chens teilhaben .

Klar ist: Wandel von Kompetenzen und Qualifikatio-
nen gab es schon immer . Die Digitalisierung macht das
alles aber viel schneller, als wir es jemals gekannt haben .
Das heißt, wir brauchen einen Paradigmenwechsel . Ja, es
gibt eine Verantwortung von Arbeitnehmern und Arbeit-
gebern für die Qualifizierung; aber es gibt natürlich auch

Klaus Ernst






(A) (C)



(B) (D)


eine gesellschaftliche Verantwortung, also eine Verant-
wortung staatlicher Akteure für den Wandel der Arbeits-
welt und für die Qualifizierung. Nur mit diesem Dreieck
der Verantwortungen – Arbeitnehmer, Arbeitgeber und
Gesellschaft – wird es am Schluss das richtige Modell .
Alle müssen zusammen an einem Strang ziehen – davon
sind wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
überzeugt . Ansonsten kommt es zu einer Entwertung von
Qualifikationen. Wenn wir da nicht ansetzen, bekämpfen
wie keine Arbeitslosigkeit .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie soll es jetzt konkret gehen?)


– Weil meine geschätzte Kollegin von den Grünen laut
ruft: „Was heißt das denn jetzt konkret, liebe Katja
Mast?“ – ich ergänze gerne den Zwischenruf –, sage ich:
Martin Schulz und Andrea Nahles haben ein Konzept
vorgelegt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Seit wann? Das ist ja ein Witz!)


Wir schaffen ein Recht auf Weiterbildung. Wir schaffen
ein Arbeitslosengeld für Qualifizierung.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das weiß Herr Schulz aber noch nicht!)


Wir wollen die Schutzfunktion der Arbeitslosenversiche-
rung ausdehnen, indem wir die Rahmenfristen ausdeh-
nen .


(Zurufe von der CDU/CSU)


– Ihr Unmut sagt mir: Sie haben es schon mal gehört,
aber noch nicht durchdrungen .


(Beifall bei der SPD – Kai Whittaker [CDU/ CSU]: Ja, und Sie haben es noch nicht verstanden!)


Wir wollen die Bundesagentur für Arbeit zu einer
Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung ausbauen.
Das ist genau der richtige Weg . Was steckt dahinter?
Wir wollen mit Weiterbildungsberatung, Förderung von
Weiterbildung, Zeit für Weiterbildung dafür sorgen, dass
Menschen nicht erst qualifiziert werden, wenn sie den
Job verloren haben, wir wollen früher im Erwerbsleben
ansetzen .


(Beifall bei der SPD)


Denn wahr ist doch auch, Kolleginnen und Kollegen: Ob
Aufstieg durch Bildung gelingt, ob das große sozialde-
mokratische Versprechen in Erfüllung geht – die Kinder
sollen es besser haben als die Eltern –, entscheidet sich
nicht mehr nur am Lebensanfang, sondern die ganze Er-
werbsbiografie hindurch. Daran müssen sich auch staat-
liche Institutionen anpassen . Deshalb brauchen wir eine
Weiterentwicklung der Bundesagentur für Arbeit zu ei-
ner Agentur für Arbeit und Qualifizierung.


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist lächerlich!)


Nur so können wir dafür sorgen – da hat Herr Klaus Ernst
recht; das Spannende ist die Verteilungsfrage –, dass die

Bevölkerung wirklich an den Chancen der Digitalisie-
rung und der sich daraus ergebenden Wertschöpfung teil-
haben wird . Deshalb: Unsere Konzepte liegen auf dem
Tisch . Ich freue mich auf die Debatte .

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822503300

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Brigitte

Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das
Wort .


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822503400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ja, es

ist richtig: Es gibt sehr viele Menschen, die sich durch
die Digitalisierung neue große Chancen ausrechnen . Es
gibt aber auch Menschen, die sich vor den daraus resul-
tierenden Veränderungen fürchten. Sie haben Sorge, dass
sie mit dem Tempo nicht mitkommen, sie haben Sorge,
dass sie den Anforderungen nicht gerecht werden, und
sie haben auch Sorge um ihren Arbeitsplatz . Ich bin der
festen Überzeugung, dass man diesen Ängsten und die-
sen Sorgen am besten damit begegnet, dass man unter
Beweis stellt, dass man dort, wo die Veränderungspro-
zesse bereits begonnen haben, wo die Zukunft der Arbeit
längst Realität ist, tragfähige Antworten gibt, dass man
Chancen eröffnet und damit verhindert, dass Verlierer
produziert werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Ko-
alition, einen Dialogprozess zu führen, ist gut und schön,
ein Weißbuch vorzulegen, ist auch gut und schön, aber
das reicht bei weitem nicht aus .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Was wir brauchen, sind konkrete Antworten . Wir brau-
chen Entscheidungen . Wir brauchen gesetzliche Rege-
lungen .

Ich will Ihnen das am Beispiel der Arbeitslosenversi-
cherung einmal deutlich machen . Die Zukunft der Arbeit
hat längst begonnen . Es gibt doch längst diese unste-
ten, diese kurzfristigen Beschäftigungsverhältnisse . Die
Menschen, die sich darin befinden, zahlen in die Arbeits-
losenversicherung ein, fallen aber im Falle der Arbeits-
losigkeit direkt in Hartz IV. Das liegt daran, dass Sie die
Arbeitslosenversicherung für diese Menschen gerade
nicht zukunftsfest gemacht haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Katja Mast [SPD]: Ausbildung und Weiterbildung!)


Jeder vierte dieser Erwerbstätigen zahlt ein und bekommt
nichts heraus . Das sind inzwischen 580 000 Menschen .

Was bieten Sie diesen Menschen mit Ihrer „enormen
Gestaltungskraft“ an, Frau Mast? Eine Sonderregelung,
durch die im ganzen Jahr 239 Menschen gestützt wurden .

Katja Mast






(A) (C)



(B) (D)


Was für ein Bild des Jammers! Was für ein Missverhält-
nis!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


580 000 Menschen zu 239 Menschen, wo ist da Ihre
Gestaltungskraft, Frau Mast, wo ist da Ihr Gestaltungs-
dialog? Was haben Sie gemacht? Anstatt diese Hürden
endlich abzubauen, haben sie die Dauer dieser Regelung
für kurzzeitig Beschäftigte, die nichts taugt, einfach ver-
längert . Herr Kapschack hat sich dafür auch noch gefei-
ert. Ich finde, das ist wirklich armselig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dabei wissen wir alle, dass sich durch die Digitalisierung
diese Formen der Erwerbstätigkeit noch weiter entwi-
ckeln werden .

Gerade diese Menschen brauchen aber doch mehr und
nicht weniger Sicherung . Bilden Sie sich doch nicht ein,
dass Sie mit einer solchen Sonderregelung Vertrauen in
die Arbeit 4.0 schaffen. Wenn Sie das schon nicht gere-
gelt bekommen, dann bekommen Sie die Gestaltung der
Zukunft erst recht nicht geregelt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE] – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Große Worte!)


Meine Damen und Herren, ja, die Digitalisierung bie-
tet eine Menge Chancen . Insbesondere Frauen könnten
davon profitieren. Darauf hat meine Kollegin Kerstin
Andreae hingewiesen; deswegen möchte ich das hier
nicht weiter ausführen .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822503500

Frau Kollegin Pothmer, lassen Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Kapschack zu?


(Ralf Kapschack [SPD]: Überraschung!)



Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822503600

Gerne .


Ralf Kapschack (SPD):
Rede ID: ID1822503700

Liebe Kollegin Pothmer, erst einmal herzlichen Dank

dafür, dass Sie die Zwischenfrage zulassen . Ich kann
mich, ehrlich gesagt, an keine Feier erinnern. Vielleicht
waren Sie bei einer Feier, zu der ich nicht eingeladen war .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Das aber nur nebenbei .

Nehmen Sie zur Kenntnis, dass es in den Vorschlägen
des Kanzlerkandidaten und der Arbeitsministerin zum
Thema „Zugang zum Arbeitslosengeld“ eine deutliche
Veränderung zum jetzigen Zustand gibt? Die Rahmen-
frist soll nämlich auf drei Jahre erweitert werden . Inner-
halb dieser drei Jahre müssen zehn Monate Beschäfti-
gung nachgewiesen werden. Das ist im Vergleich zum
gegenwärtigen Zustand eine deutliche Verbesserung und
würde – solche Gespräche führen Sie ja auch – vor allem

kurzzeitig Beschäftigten zum Beispiel im Kultur- und
Medienbereich helfen .


(Beifall bei der SPD)



Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822503800

Sehr geehrter Herr Kapschack, nur um Ihrer Erinne-

rung auf die Sprünge zu helfen: Ich habe mich auf eine
Pressemitteilung bezogen, die Sie und Ihr Kollege zu
der Verlängerung dieser völlig wirkungslosen Sonder-
regelung abgegeben haben . Darin haben Sie behauptet,
dadurch hätten Sie weiteres Vertrauen geschaffen. Ich
glaube, Sie haben einfach nur jede Hoffnung begraben.


(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich wusste nicht, Herr Kapschack, dass hier Wahl-
kampfversprechen der Grünen zur Debatte stehen .


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wahlkampfversprechen nicht der Grünen, der SPD!)


Meiner Ansicht nach geht es in dieser Debatte um einen
Antrag der Grünen und um das Handeln der Bundesre-
gierung . Ich habe nicht mitbekommen, dass Sie nicht
mehr Teil der Bundesregierung sind, sondern inzwischen
in der Opposition sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Wir haben den Eindruck schon manchmal! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Manche versuchen, den Eindruck zu erwecken!)


Lassen Sie mich jetzt noch etwas zur Weiterbildung
sagen, weil Frau Mast dieses Thema in besonderer Weise
hervorgehoben hat . Wir wissen alle, dass die Halbwert-
zeit von Wissen durch die Digitalisierung noch weiter
abnehmen wird . Das heißt, dass Weiterbildung für alle,
für wirklich alle dringend notwendig ist .


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das hat Frau Mast gesagt!)


Aber die Hartz-IV-Empfänger – Frau Mast, hören Sie
jetzt bitte einmal zu – werden bei Ihnen fast vollständig
abgehängt . Sie betonen die Bedeutung der Weiterbil-
dung; aber im SGB II gilt nach wie vor der Vorrang der
Vermittlung vor Qualifizierung.


(Zuruf der Abg . Katja Mast [SPD])


Diejenigen brauchen Ihrer Meinung nach offensichtlich
keine Weiterbildung . Ich frage Sie: Wo bleibt Ihre Wei-
terbildungsoffensive? Wann wird das Meister-BAföG
tatsächlich zu einem Gesetz zur Förderung lebenslangen
Lernens umgebaut?


(Zuruf der Abg . Katja Mast [SPD])


Nein, Sie sind immer noch im Modus der Sonntagsreden;
aber den müssen wir jetzt dringend verlassen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Brigitte Pothmer






(A) (C)



(B) (D)


Lassen Sie mich zum Schluss kommen . Wer es in ei-
ner ganzen Amtszeit nicht geschafft hat, überzeugende
Antworten auf die bereits eingetretenen Veränderungen
der Arbeitswelt zu geben – die Zukunft der Arbeit hat be-
reits begonnen –, der wird kaum das Vertrauen der Men-
schen dafür gewinnen,


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Das ist nämlich der Punkt!)


eine so grundlegende Veränderung wie die, die vor uns
liegt, zu gestalten. Dieses Vertrauen brauchen wir aber,
wenn der Weg in die Digitalisierung und die Zukunft der
Arbeit gelingen soll .

Ich danke Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Schauen wir mal, wem sie vertrauen werden!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822503900

Als nächster Redner hat Kai Whittaker für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Kai Whittaker (CDU):
Rede ID: ID1822504000

Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Ich nehme diese

Debatte nicht als Gestaltungsdebatte wahr, sondern eher
als Angstdebatte .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie mal richtig zuhören!)


Führen wir uns einmal die Schlagwörter vor Augen,
die in dieser Debatte und in vielen anderen Diskussio-
nen benutzt werden: Da geht es um „Ausbeutung“, um
„Entgrenzung“, um „Verdichtung von Arbeit“ und um
„ständige Erreichbarkeit“ . Arbeit 4 .0 heißt für die linke
Seite des Hauses: vier Ängste und null Lösungen . Das
ist ein Lehrstück, wie man den Leuten erst Angst einjagt
und sich dann zum Heilsbringer aufschwingt, um sie zu
beschützen .

Dass die Menschen von links nichts zu erwarten ha-
ben, konnte man meiner Meinung nach, liebe Frau Mast,
am vergangenen Sonntag erleben .


(Lachen der Abg . Katja Mast [SPD])


Das deutsche Silicon Valley liegt definitiv nicht bei Wür-
selen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh! – Katja Mast [SPD]: Aber auch nicht in Baden-Baden!)


Wer das nicht glaubt, dem empfehle ich – das gilt auch
für die Zuschauerinnen und Zuschauer an den Fernsehge-
räten –, einfach einmal online zu gehen und sich die Rede
Ihres sogenannten Spitzenkandidaten herauszusuchen,
den Text herunterzuladen und nach dem Wort „Digita-
lisierung“ zu fahnden . Wissen Sie, wie oft er es benutzt
hat? Ein einziges Mal kommt das Wort vor, und er benutzt
es noch nicht einmal im Zusammenhang mit Arbeit 4 .0,
sondern im Zusammenhang mit dem Breitbandausbau . –

Liebe Kollegen von der SPD, herzlich willkommen in
der Bundesregierung! Das machen wir seit vier Jahren .
Unser Minister Dobrindt hat gerade diese Woche wieder
entsprechende Förderbescheide übergeben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein ganz schlechtes Beispiel! – Zurufe von der SPD)


Das Schöne an der Digitalisierung ist ja, dass sie
Transparenz ermöglicht: Man sieht große Zusammenhän-
ge und sieht, worüber geredet worden ist . Da gibt es die
Möglichkeit, sogenannte Wortwolken zu erstellen, und
dann sieht man, wo der Schwerpunkt einer Rede lag . Das
habe ich natürlich mit der Rede vom vergangenen Sonn-
tag gemacht . Sie kann man auf meiner Facebook-Page
sehen; aber ich habe sie auch einmal mitgebracht . Wenn
man sich die Worte einmal zusammensucht und daraus
einen Satz bildet, dann kommt aus den wichtigsten Wör-
tern der letzten Rede folgender Satz heraus: Liebe Ge-
nossinnen und Genossen, Deutschland hat Menschen . –
Ein beeindruckendes Programm für die Zukunft unseres
Landes!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822504100

Herr Whittaker, lassen Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Ernst zu?


Kai Whittaker (CDU):
Rede ID: ID1822504200

Nein . Ich würde jetzt gerne mit der Rede fortfahren .

Meines Erachtens sollten wir hinsichtlich der Digita-
lisierung drei Dinge feststellen . Erstens . Die Digitalisie-
rung hat doch schon längst angefangen .


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Wir sind nicht auf dem CDU-Parteitag!)


Die Menschen nehmen das doch nicht als eine Revoluti-
on wahr, die kommt, sondern als etwas, in dem wir schon
mittendrin sind: Wir buchen unsere Urlaube online, wir
bekommen Tickets für die Deutsche Bahn online, wir ha-
ben Maschinen, die sich miteinander vernetzen . Wir ar-
beiten mit dem Laptop von überall aus . Die Firmen haben
mehr Wissen über die Kunden und können sich deshalb
besser auf sie einstellen . In Zukunft werden Drohnen die
Arzneimittel zu den älteren Menschen bringen, und sie
müssen nicht mehr den langen Weg zur Apotheke gehen .

Aber es bedeutet auch, dass jetzt schon über die Hälfte
der Deutschen online arbeitet . So hat es zumindest das
Institut der Deutschen Wirtschaft herausgefunden . Es ist
auch keine böse Revolution, die da aus Amerika über uns
hereinschwappt . Die Menschen haben doch keine Angst
davor, weil sie ja tagtäglich mit diesen Themen umgehen .
Die Menschen fühlen sich nicht unter Druck gesetzt, son-
dern sie sind wesentlich produktiver . Das hat übrigens
das Bundesarbeitsministerium für das Weißbuch heraus-
gefunden .

Die Digitalisierung führt eben auch nicht zu einer
Massenverelendung durch Crowd- und Click-Working .
Das betrifft die absolute Minderheit. Lediglich 4,2 Pro-

Brigitte Pothmer






(A) (C)



(B) (D)


zent in der IT-Wirtschaft arbeitet danach . Die weit über-
wiegende Mehrheit der Deutschen sieht, dass die Vorteile
die Nachteile überwiegen. Selbst bei den Geringqualifi-
zierten, die ja am ehesten skeptisch gegenüber der Digi-
talisierung eingestellt sein müssten, sagt über die Hälfte,
dass sie sich von der Digitalisierung Positives verspre-
chen und durch sie in ihrer körperlichen Arbeit entlastet
werden . – Auch das stammt nicht von mir, sondern wurde
vom BMAS festgestellt .

Die Menschen in Deutschland sind viel weiter als
manch einer hier in diesem Saal . Wir müssen anfangen,
diese Debatte als Chance zu begreifen; aber wir werden –
das bringt mich zum zweiten Punkt – diese Chance nicht
mit den alten Mustern nutzen können .

Herr Ernst, ich finde schon, es ist ein falsches Bild,
wenn man glaubt, dass es auf der einen Seite den bösen
Arbeitgeber gibt, der seine Mitarbeiter wie im 19 . Jahr-
hundert ausbeuten möchte, während auf die andere Seite
eventuell der faule Arbeitnehmer gesetzt wird, der Neues
blockieren will . Beide Bilder sind Zerrbilder .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Das hat auch keiner gesagt!)


Es wird in Zukunft nur gemeinsam gehen . Wenn sich
diese Menschen eben nicht gemeinsam als Arbeitgeber
und Arbeitnehmer zusammentun, dann werden wir noch
mehr solche Negativbeispiele wie vor fünf Jahren haben,
als Kodak einfach vom Markt gefegt wurde, obwohl es
die Digitalkamera erfunden hat . Kodak hat es nicht ge-
schafft, auf die neuen Zeichen der Zeit zu setzen.

Wir sollten ebenso nicht den Fehler machen, zu be-
werten, was gut oder schlecht ist, sondern wir sollten ver-
suchen, die Dinge zu ermöglichen . Wer sagt denn, dass
die Menschen in Zukunft alle sozialversicherungspflich-
tig arbeiten wollen? Die Mitarbeiter werden in Zukunft
nicht nur für einen Arbeitgeber, sondern für mehrere tätig
sein, als Dienstleister beim Kunden, in mehreren Betrie-
ben, auf längere Zeit, in gemischten Teams, über viele
Länder hinweg .

Wir haben in dieser Legislaturperiode die Zeitarbeits-
und Werkverträge reformiert, vor allem mit Blick auf
diejenigen Branchen, die damit Schindluder getrieben
haben, gar keine Frage . Aber ich bin mir nicht sicher, ob
wir uns damit nicht vielleicht auch die eine oder andere
Chance für die Zukunft verbaut haben, dieser Entwick-
lung gerecht zu werden .

Der dritte Punkt, den ich anführen möchte, ist, dass
die Digitalisierung kein Selbstzweck ist. Vielmehr müs-
sen wir den Menschen erklären, warum wir die Digitali-
sierung brauchen . Die Antwort lautet eben nicht, dass es
darum geht, dass Deutschland in 20 Jahren wirtschaftlich
weiterhin so stark ist . Das ist allenfalls das Ergebnis einer
guten Politik, die wir heute machen . Die Menschen wol-
len doch mit ihrer Arbeit etwas bewirken, ihre Umwelt
verändern . Das sehen wir beim automatisierten Fahren .
Was bedeutet das? Es bedeutet in Zukunft weniger Staus,
effizienteres Fahren, weniger Unfälle, also eine bessere
Lebensqualität . Wenn die Maschinen sich vernetzen und
sich melden, bevor sie kaputtgehen, dann erspart uns das
in Zukunft nervenaufreibende Wartezeit, oder wenn wir

mit dem 3-D-Drucker von zu Hause aus Gegenstände
ausdrucken können, dann bedeutet das weniger Warten,
weniger Transportkosten, weniger Ressourcenverbrauch .
Sprich: Vieles wird für die Menschen erschwinglicher
und besser .

Wir können diese Dinge nur ermöglichen, wenn wir
uns auf zwei Punkte konzentrieren .

Der erste Punkt ist: Wir müssen den Menschen mehr
zutrauen, was ihre Arbeitszeiten und Arbeitsformen an-
geht . Ich sehe das in meinem eigenen Freundeskreis;
Kollege Lagosky hat es schon angesprochen . Es ist nun
einmal der Fall, dass man morgens die Kinder in den
Kindergarten bringt und vormittags in der Firma arbeitet .
Nachmittags kommt man nach Hause und verbringt Zeit
mit der Familie . Nachts wird dann die zweite Arbeits-
schicht von zu Hause aus eingelegt . Dadurch kommen
die Menschen, auch heute schon, mit unseren Arbeits-
zeitgesetzen in Bedrängnis . Deshalb: Wenn die Leute so
erwachsen sind, eine Entscheidung zu treffen, wo und
wie sie arbeiten wollen, dann sollten wir es ihnen auch
ermöglichen und nicht verbieten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der zweite Punkt ist: Wir müssen den Menschen
helfen, diesen Wandel mitzugestalten . Dabei geht es
um ihre Qualifikation. Ja, einige Tätigkeiten werden
verschwinden; das ist die bittere Wahrheit . Aber dafür
entstehen genauso viele, wenn nicht sogar noch mehr
neue Jobs: 3-D-Druckspezialisten, Webentwickler, Mo-
bile Developer, Scrum Master, das alles sind Jobs, die
es vor zehn Jahren noch gar nicht gab . Was braucht man
dafür? Wir brauchen digitale Kompetenzen in der Schu-
le . Estland zum Beispiel ist uns da voraus . Dort gibt es
bereits das Fach Programmieren . Wir brauchen das di-
gitale Know-how auch in unseren Ausbildungsberufen,
weil die duale Ausbildung nun einmal die Stütze unse-
rer mittelständischen Wirtschaft in Deutschland ist . Wir
müssen auch unsere Einstellung ändern . Man hat eben
nicht mehr mit 18 oder Mitte 20 ausgelernt, sondern es
geht immer weiter . Wir müssen Anreize setzen, um die
Menschen in Weiterbildung zu bringen . Frau Mast, ich
finde, Ihr ALG Q ist großer Quatsch; denn Sie versuchen,
die Leute erst dann zu qualifizieren, wenn sie schon ar-
beitslos sind,


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Stimmt doch gar nicht!)


wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist .

Wir müssen vorher ansetzen, wir müssen die Men-
schen qualifizieren, bevor es so weit kommt.


(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Mast [SPD]: Wie billig!)


Deshalb sollten wir eher darüber nachdenken, welche
steuerlichen Anreize wir geben können, damit die Men-
schen die Zeit und das Geld haben, sich weiterzubilden .

Kai Whittaker






(A) (C)



(B) (D)


Arbeit 4.0 bedeutet für uns: Vier weitere Jahre mit der
Union ergibt null Probleme bei der Digitalisierung . Das
ist unsere Agenda 2020 für Deutschland .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822504300

Eine Kurzintervention ist gewünscht von Klaus Ernst .


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822504400

Herr Whittaker, Sie haben von Angst gesprochen, da-

von, man würde den Leuten Angst machen . Wissen Sie,
wenn Sie solch eine Debatte über die Zukunft der Arbeit,
über Risiken und Chancen der Arbeit 4 .0 – das ist das
Thema dieser Debatte – dazu nutzen, über die Arbeitslo-
senversicherung zu reden, dann merke ich, wie groß bei
Ihnen die Angst vor dem Vorschlag der SPD ist.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: So sensibel kenne ich Sie gar nicht, Herr Ernst!)


Mir liegt es ja fern, die SPD zu verteidigen – das ist auch
gar nicht mein Job –, aber eines muss ich Ihnen schon sa-
gen: Wenn Ihnen nichts anderes einfällt, als festzustellen,
dass Würselen nicht Silicon Valley ist, dann haben Sie
zumindest beim Geografieunterricht nicht geschlafen.
Das ist ein Punkt, der für Sie spricht, lieber Kollege .


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt noch einmal zum Inhalt . Es geht überhaupt nicht
darum, dass man nicht möchte, dass Menschen ihre Ar-
beitszeit selber bestimmen . Nur: Als Assistent der Ge-
schäftsführung zu arbeiten, ist etwas anderes,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


als im Betrieb an einer Maschine zu stehen . Dann merkt
man nämlich, dass das, was die Menschen an Arbeitszei-
ten und an Selbstbestimmung wollen, nichts Neues ist .
Das gab es auch früher schon .

Auch Frauen haben diese Probleme und sagen: Wir
wollen wieder in Vollzeit wechseln. Auch Menschen mit
kleinen Kindern sagen: Die Arbeitszeiten sollten nicht so
verändert werden, dass wir sie mit der Kindererziehung
nicht mehr in Einklang bringen können . Ihr Beispiel,
mein Gott! Der eine arbeitet früh, der andere spät . Ich
habe auf Betriebsversammlungen erlebt, wie Frauen den
Ablauf ihres Familienlebens geschildert haben: Beide ar-
beiten in Schicht . Der Mann schreibt, wenn er geht, auf
einen Zettel: Ich komme heute Abend später . Wenn er
morgens aufsteht, ist die Frau wieder weg . Sie hat dann
auf den Zettel geschrieben: Ich habe es gemerkt . – Das
kann nicht die Zukunft sein, Herr Whittaker . Das müssen
wir regeln .

Ich habe nichts dagegen, dass wir Freiräume nutzen,
auch die, die durch Technik entstehen . Aber bitte schön,
wenn Sie verneinen und verleugnen, dass es notwendig
ist, dass wir diese Regelungen schaffen – durchaus im
Sinne des Antrages der Grünen –, dass wir gesetzliche
Regelungen brauchen, damit die Menschen ihre Rechte

durchsetzen können, dann muss ich Ihnen sagen: Sie ha-
ben von der betrieblichen Realität so viel Ahnung wie
eine Kuh vom Fußballspielen . Das muss ich Ihnen wirk-
lich einmal sagen .

Ich kann nur an Sie appellieren: Stellen Sie sich der
Realität, gehen Sie in einen Betrieb, und reden Sie mit den
Leuten! Wenn es uns nicht gelingt, diese Dinge zu regeln,
dann werden die Menschen den technischen Möglichkei-
ten, die künftig üblich sind, unterworfen . Dann gehen die
Löhne nach unten, dann gehen die Arbeitszeiten hoch,
dann ist das freie Wochenende passé, und immer mehr
Leute fragen sich hinterher: Was haben wir eigentlich
falsch gemacht? Warum haben wir Berufskrankheiten?
Warum sind wir psychisch krank? Warum fallen wir der
Allgemeinheit zur Last? – Denn die Allgemeinheit muss
diese Menschen über die Gesundheitssysteme versorgen .

Das ist das Problem . Ich bitte Sie einfach, die Realität
ein wenig zur Kenntnis zu nehmen .


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: So viel Arroganz hat man selten!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822504500

Herr Whittaker .


Kai Whittaker (CDU):
Rede ID: ID1822504600

Ich hatte gedacht, Aschermittwoch ist vorbei und die

Faschingsreden auch. Aber offensichtlich können Sie
sich in Ihren Reden zum Großteil nur mit Sprüchen unter
der Gürtellinie profilieren.


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja, ja! Und jetzt zum Thema, bitte! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oder mit schlechten Witzen! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie haben doch keinen Gürtel! Sie wissen nicht, was drüber und was drunter ist!)


Ich sage Ihnen nur eines: Vor dem Vorschlag der So-
zialdemokraten zum ALG Q haben ich und die Unions-
fraktion keine Angst . Diese Diskussion führen wir gerne .
Menschen, die 30, 40 Jahre lang in einem Betrieb gear-
beitet haben – das gilt vor allem für tarifgebundene Be-
triebe –, müssen eigentlich am wenigsten Angst haben,
innerhalb weniger Monate in Hartz IV zu landen. Hier
sind nämlich sehr, sehr viele Netze dazwischengeschal-
tet, auf tariflicher und betrieblicher Ebene und auf der
Ebene des Sozialstaates . Diese Menschen werden am
ehesten aufgefangen, bevor sie in Hartz IV landen. Tat-
sächlich etwas tun müssen wir allerdings für Langzeitar-
beitslose und alleinerziehende Frauen . Wenn es um diese
Menschen geht, können wir diese Debatte gerne führen .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ja, da auch!)


Aber die Klientel, die Sie im Blick haben, muss in die-
sem Land am wenigsten Angst vor Hartz IV haben. Sie
versuchen, diesen Menschen Angst einzureden, damit sie

Kai Whittaker






(A) (C)



(B) (D)


Sie nachher wählen . Das ist der Grund, weshalb Sie diese
Debatte anstoßen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Alles, was Sie haben, ist keine Ahnung! Aber davon haben Sie viel!)


Glauben Sie mir: Als Assistent der Geschäftsleitung


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Oh ja!)


bin ich sicherlich nicht auf der Fischsuppe daherge-
schwommen . Natürlich habe auch ich gesehen, was die
Menschen im Betrieb machen .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ja, ja!)


Ich habe mich bei meiner Arbeit von Anfang an nicht nur
an den Schreibtisch gesetzt, sondern auch an die Maschi-
nen, um den Leuten über die Schulter zu schauen und zu
sehen, was sie tun .


(Zuruf von der LINKEN: Was für Maschinen waren denn das? Schreibmaschinen?)


Ich muss schon sagen: Die betriebliche Wirklich-
keit ist eine andere als die, die Sie hier beschreiben . Sie
versuchen, sich mit Ihrem alten Klassenkampf aus dem
19. Jahrhundert zu profilieren, weil Sie damit Ihre Exis-
tenz sichern können . Aber die Realität ist eine andere . Es
geht in Zukunft nur partnerschaftlich zwischen Arbeit-
gebern und Arbeitnehmern . Wenn wir das nicht ermög-
lichen und diesen beiden nicht zutrauen, über Arbeits-
zeiten, Arbeitsformen und Gesundheitsschutz neu zu
debattieren und entsprechende Regelungen auszuverhan-
deln, sondern alles von Berlin aus regeln, dann werden
wir den Kampf um die Digitalisierung nicht gewinnen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822504700

Jetzt hat Dr . Petra Sitte für die Fraktion Die Linke das

Wort .


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Jetzt aber Schluss mit Klassenkampf!)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822504800

Danke . – Frau Präsidentin! Meine Damen und Her-

ren! Wir können ja zu einem Beispiel kommen . Ich habe
das Beispiel der deutschen Automobilindustrie heraus-
gesucht, um zu zeigen, wie gravierend die innovativen
Brüche unter Arbeit 4 .0 in den nächsten zehn Jahren sein
werden . Aus der Sicht der Beschäftigten ist klar, dass in
diesem Prozess nicht nur Automobilkonzerne und Ge-
werkschaften, sondern eben auch die Politik eine maß-
gebliche soziale Verantwortung hat. Die Automobilin-
dustrie stellt in Deutschland die Schlüsselindustrie dar .
Laut IG Metall sind in diesem Zweig 2,3 Millionen Men-
schen direkt und indirekt sogar 9,8 Millionen Menschen
beschäftigt . Der Anteil ihres Umsatzes an der deutschen
Industrieproduktion betrug 2013 21 Prozent .

Im Kern geht es um drei innovative Brüche:

Der erste innovative Bruch ist die Einführung der
Elektromobilität . Das heißt, es entfallen Komponenten

des klassischen Antriebssystems, andere müssen ange-
passt oder neue entwickelt werden . Es sind also erhebli-
che Investitionen zu tätigen, und insbesondere die Zulie-
ferer werden die Risiken und Kosten dieser Umstellung
zu tragen haben . Die Beschäftigten wiederum stehen vor
einem erheblichen Weiterbildungs- und Qualifikations-
erfordernis . Ein Drittel von ihnen droht nach jetzigen
Einschätzungen sogar den Arbeitsplatz zu verlieren . Da-
gegen muss in sozialer Verantwortung gearbeitet werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Der zweite innovative Bruch ist die Einführung von
Fahrerassistenzsystemen oder selbstfahrenden Modellen,
für die eine massenhafte Verarbeitung von Daten not-
wendig ist . Dafür werden leistungsfähige digitale Platt-
formen als Intermediäre benötigt, und über diese verfü-
gen die Automobilkonzerne heute nicht . Das Auto selbst
wird zur Plattform . Es muss mit anderen Fahrzeugen
kommunizieren und hat ganz neue Funktionen .

Die Konkurrenz der deutschen Automobilkonzerne,
beispielsweise in Amerika, ist genau den anderen Weg
gegangen . Sie haben ihre eigenen Plattformen für neue
Mobilitätskonzepte und neue Mobile genutzt . Wir ken-
nen bereits Googles Self Driving Car, wir wissen, dass
Apple an einem iCar arbeitet, Tesla dringt massiv in den
Markt, und in den Garagen von Silicon Valley wird an
ganz neuen Fahrzeugkonzepten gearbeitet . Ab 2025 sol-
len eigentlich nur noch Elektromobile und Selbstfahrer
verkauft werden .

Wenn BMW, Daimler, Audi und VW zukünftig also
nicht nur Hardware an Google, Apple und andere Daten-
konzerne liefern wollen, dann müssen sie diese Plattform
gemeinsam entwickeln . Schließlich gibt es in Europa
keine solche Plattform .

Drittens. Die Nutzungsmodelle ändern sich. Viele
Leute wollen heute gar kein Auto mehr besitzen . Carsha-
ring gehört in diesem Land zum Alltag . Die Ökonomie
des Teilens lässt die Nachfrage nach Fahrzeugen, insbe-
sondere in Städten, schon heute deutlich sinken . Auch da-
durch drohen Arbeitsplatzverluste . Das heißt, im Prozess
„Arbeit 4 .0“ muss vorausschauend gehandelt werden .

Die Bundesregierung muss mit den Gewerkschaften,
den Unternehmen und den Plattformbetreibern neue Mo-
delle zur Beschäftigung und Beschäftigtenqualifikation
entwickeln. Da stehen wir hier selbst in der Verantwor-
tung, und dazu gehören dann eben beispielsweise auch
branchenbezogene Mindest- bzw . Basishonorare für
Selbstständige und Solo-Selbstständige .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn in diesem Umfang menschliche Arbeit in allen
Branchen entfällt und mehr und mehr digitale Güter mit
anderen ökonomischen Eigenschaften als materielle Gü-
ter in die Nutzung drängen, brauchen wir Ideen, wie So-
zial-, Sicherungs- und auch Steuersysteme konditioniert
und vor allem gestärkt werden . Darüber haben wir hier
auch zu diskutieren .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Kai Whittaker






(A) (C)



(B) (D)


Abschließend: Ja, wir müssen auch darüber reden, dass
es in diesem Prozess die Chance gibt, eine geschlechter-
gerechte Verteilung von Arbeit zu praktizieren. Das soll-
ten wir auch tun . Herr Ernst hat es ja schon gesagt: Es
geht um die Arbeitszeit und um neue Arbeitszeitmodelle,
aber vor allem um die Sicherung der Beschäftigten .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die digitale Arbeits- und Lebenswelt muss schließlich
demokratisch gestaltet werden . Das ist eine gesellschaft-
liche Herausforderung. Vor allem müssen wir an dieser
Stelle Politik für das Gemeinwohl machen . Unter dem
wird es nicht zu machen sein .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822504900

Michael Gerdes hat als nächster Redner für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Michael Gerdes (SPD):
Rede ID: ID1822505000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu-

nächst einmal: Lieber Kai Whittaker, Martin Schulz be-
dankt sich bei dir für die gute Werbung .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Nun aber zum Thema „Arbeit 4 .0“ . Über ein so zen-
trales Thema, wie die Gestaltung unserer Arbeitswelt,
kann man gar nicht oft genug sprechen. Arbeit schafft in
vieler Hinsicht Werte, Arbeit sorgt für Teilhabe, Arbeit
stiftet Sinn . Das geschieht aber nur dann, wenn die Be-
dingungen für gute Arbeit erfüllt sind . Andernfalls verlie-
ren wir den Anschluss an die Gesellschaft; sonst macht
Erwerbsarbeit krank .

Das, was gute Arbeit ausmacht, muss zu Teilen neu
definiert werden: So verstehe ich den Dialogprozess „Ar-
beit 4 .0“ . Wir werden Arbeit 4 .0 nicht aufhalten können,
aber wir können Arbeit 4 .0 gestalten .

Die Herausforderungen, die sich aus der Digitali-
sierung ergeben, betreffen fast alle Facetten des Ar-
beitslebens: zum Beispiel das sich rasant verändernde
Fachwissen und den Wechsel zwischen abhängiger und
selbstständiger Erwerbsarbeit. Mit der Verlagerung von
Arbeitszeiten, Arbeitstagen und Arbeitsorten kommen
große Herausforderungen auf die Sozialpartner zu .

Wie werden die Einhaltung von Arbeitsschutzvor-
schriften und der Gesundheitsschutz demnächst kontrol-
liert? Wie wird sich das Verhältnis von Arbeitszeit und
Ruhezeit – Stichwort: Work-Life-Balance – künftig ver-
ändern? Welchen Einfluss haben Gewerkschaften in der
Welt von Arbeit 4 .0? – All das muss gründlich durchdacht
werden, und als Bergmann und Schichtarbeiter weiß ich,
wovon ich rede .

Womit ich nicht einverstanden bin, ist der Vorwurf,
die Bundesregierung habe ihre Hausaufgaben nicht ge-

macht . Gerade beim Thema „Arbeit 4 .0“ sind wir unter
der Leitung von Arbeits- und Sozialministerin Andrea
Nahles ein gutes Stück vorangekommen . „Arbeit wei-
ter denken“, das Weißbuch aus dem Arbeitsministerium,
welches seit November letzten Jahres vorliegt, stellt kon-
krete Maßnahmen vor . Insbesondere die Zwischenschrit-
te hin zur Arbeitsversicherung überzeugen mich .

Uwe Lagosky hat unser Bildungssystem bereits dar-
gestellt . Das ist allerdings der Istzustand . Um auf die Ar-
beitswelt von morgen vorzubereiten, haben wir in dieser
Legislaturperiode die Verbesserung des Meister-BAföG
und das Weiterbildungsstärkungsgesetz umgesetzt .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Antje Lezius [CDU/CSU] und Uwe Lagosky [CDU/ CSU])


Das Meister-BAföG schafft Anreize für den berufli-
chen Aufstieg . Teilnehmer erhalten nunmehr einen ein-
kommensabhängigen Zuschuss zu den Maßnahmekosten
und bei Vollzeitmaßnahmen einen Unterhaltszuschuss.
Das stärkt vor allem diejenigen, die bereits eine Familie
gegründet haben und bisher gezögert haben, den Schritt
zum Meister zu wagen . Im Übrigen haben wir eine Wei-
terbildungsprämie eingeführt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Weiterbildungsstärkungsgesetz richtet sich an die
Gruppe von Arbeitnehmern, denen Grundkompetenzen
oder ein Berufsabschluss fehlen . Wir schreiben nieman-
den ab, erst recht nicht, wenn es um grundlegendes Hand-
werkszeug wie Lesen, Schreiben oder Rechnen geht .

Wie stark sich die Arbeit der Zukunft aufgrund der
Digitalisierung verändern wird, können wir nicht zu
100 Prozent voraussehen . Aber wir können sagen, dass
die Menschen dann gut gewappnet sind, wenn sie sich
auf lebenslanges Lernen einstellen und einlassen . Hier-
zu müssen wir als Staat stetig die Rahmenbedingungen
überprüfen . Wir müssen zur Weiterbildung animieren .
So gesehen sind das Meister-BAföG und das Weiterbil-
dungsstärkungsgesetz zunächst einmal Teilerfolge . Hier
müssen wir noch zulegen .

Die Journalistin Ursula Weidenfeld hat die Notwen-
digkeit der beruflichen Weiterbildung in ihrem Kommen-
tar im Tagesspiegel vom 5. Februar 2017 sehr treffend
beschrieben – Zitat –:

Lastwagenfahrer und Ärzte, Rechtsanwälte und
Sachbearbeiterinnen werden die Erfahrung machen,
dass nicht mehr zählt, was sie gelernt haben . Wich-
tig wird dagegen, ständig dazuzulernen, ganz neu zu
lernen, ein neues Berufsfeld zu erobern . Die besten
Chancen haben dabei dummerweise diejenigen, die
schon obenauf sind . Die Studierten, . . . sie haben ge-
lernt, wie man lernt . . . . Die anderen, die eher lustlos
zur Schule gegangen sind und nach der Lehre genug
vom Lernen hatten, werden die ersten echten Opfer
der digitalen Revolution . Sie werden ihre Jobs ver-
lieren . Es sei denn, sie ändern sich .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen weder
Opfer noch Verlierer. Das politische Ziel heißt Befähi-

Dr. Petra Sitte






(A) (C)



(B) (D)


gung . Staat, Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen sich
allesamt der Weiterbildung widmen . Bildung ist zentral
für unser Leben, egal in welchem Alter .

Hier in dieser Debatte steht vor allem die Bildung von
Erwachsenen im Fokus . Nach Schule, Ausbildung oder
Studium darf auf keinen Fall Schluss sein . Weiterbildung
muss alltäglich und selbstverständlich sein . Ähnlich wie
bei der Gesundheit zählt die Prävention . Wer rechtzeitig
Veränderungen am Arbeitsplatz wahrnimmt, ist besser
vorbereitet, wenn er neue Fähigkeiten und neues Wissen
braucht. Diese Vorausschau können nur wenige alleine
bewältigen . Deshalb halte ich eine strukturierte und pro-
fessionelle Weiterbildungsberatung und die Erfassung
von Kompetenzen für äußerst sinnvoll .


(Beifall bei der SPD)


Momentan ist die Weiterbildung wie ein Dschungel:
intransparente Förderwege, unübersichtliche Angebo-
te . Die Bundesagentur für Arbeit hat an verschiedenen
Standorten Pilotprojekte zur Weiterbildungsberatung
durchgeführt . Erste Erfahrungen machen Mut . Individu-
elle Beratung kann den Weg in den Arbeitsmarkt ebnen
und beugt Arbeitslosigkeit vor .

Auch das Recht zur Weiterbildung muss Teil unserer
Überlegung sein . Bildung als Zukunftsinvestition: Das
von der SPD vorgeschlagene Arbeitslosengeld Q ist ein
weiterer guter Beitrag zur Gestaltung der Arbeitswelt 4 .0 .


(Beifall bei der SPD)


Herzlichen Dank . Glück auf!


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822505100

Als nächste Rednerin spricht Antje Lezius von der

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Antje Lezius (CDU):
Rede ID: ID1822505200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir als
Union haben uns auf Parteiebene und innerhalb der
Fraktion eingehend und schon lange mit dem wichtigen
Zukunftsthema „Arbeit 4 .0“ befasst . Wir haben hierzu
zahlreiche Fachgespräche mit allen beteiligten Akteu-
ren geführt . Dabei hat uns die Frage geleitet, wie Arbeit
in Zukunft definiert wird. Das bedeutet auch, die Frage
nach dem Sinn der Arbeit zu stellen: Werden wir arbei-
ten, um zu leben, oder leben wir, um zu arbeiten?

In den Veränderungen durch die Digitalisierung sehe
ich in erster Linie eine Chance, Herr Ernst, und zwar
nicht nur für Arbeitgeber, sondern gerade auch für Ar-
beitnehmer; eine Chance, die wir alle gemeinsam wahr-
nehmen und zum Wohle aller gestalten werden .

Der digitale Wandel ist dazu da, den Menschen zu die-
nen, ihnen die Arbeit und das Leben zu erleichtern . Wenn
er uns zum Beispiel körperliche Arbeit abnimmt, können
wir die freiwerdende Zeit anders organisieren, zum Bei-
spiel in der Pflege, in der intelligente Assistenzsysteme
vielen nützen und Freiräume für ein menschlicheres Mit-

einander schaffen können. Homeoffice-Lösungen oder
flexiblere Arbeitszeitmodelle könnten mehr Möglichkei-
ten für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf
schaffen, und in vielen Unternehmen gibt es hierzu be-
reits Betriebsvereinbarungen, von denen alle profitieren
und die gern genutzt werden .

Durch die Digitalisierung verändert sich aber nicht
nur das Arbeitsleben, sondern auch unser gesamtes All-
tagsleben: die Art, wie wir miteinander kommunizieren
und in der modernen Welt unseren Alltag organisieren .
Menschen werden heute schon in Echtzeit über Konti-
nente hinweg – ob über E-Mail oder Skype – verbunden .
Das, was vor ein paar Jahren noch undenkbar schien, ist
heute gelebte Alltagsrealität .

Allerdings ist diese Entwicklung nicht für alle ein-
fach; das haben wir schon gehört . Gerade in Gesprächen
mit älteren Menschen erfahre ich oft Skepsis darüber, ob
alle technischen Neuerungen, die die moderne Welt be-
reithält, auch wirklich gebraucht werden . Bei Smartpho-
nes gibt es zum Beispiel Dutzende von Funktionen, von
denen nur wenige genutzt werden . Mit digitaler Technik
sind viele Menschen überfordert. Viele wollen sich auch
nicht darauf einlassen . Gleichzeitig sind aber mehr ältere
Menschen berufstätig als noch vor einigen Jahren, auch
jenseits der Rente . Laut Statistischem Bundesamt war im
Jahr 2015 jeder siebte 65- bis 70-Jährige erwerbstätig .
Diese Zahl hat sich binnen eines Jahrzehnts mehr als
verdoppelt auf 225 000 sozialversicherungspflichtig Be-
schäftigte über 65 Jahren und fast 1 Million Minijobber .

Das Deutsche Zentrum für Altersfragen stellt dabei
erfreulicherweise fest, dass es den meisten arbeitenden
Rentnern nicht nur um eine Aufbesserung ihrer Rente
geht: Sie wollen weiterarbeiten . Dabei ist es ihnen wich-
tig, etwas Sinnvolles zu tun und ihre Erfahrungen wei-
terzugeben .

Gleichzeitig ist die digitale Arbeitswelt besonders für
Ältere eine große Herausforderung . Es wird viele Umbrü-
che in gewohnten Berufsbildern geben . Auf Arbeitgeber
und Arbeitnehmer warten neue Anforderungen, nicht nur
in der Digitalisierung. Hier wird die berufliche Weiterbil-
dung zunehmend wichtiger . Betriebe sind darauf ange-
wiesen, dass ihre Angestellten sich auf das notwendige
lebenslange Lernen auch einlassen . Dabei haben nicht
nur die Arbeitnehmer einen Wettbewerbsvorteil, die sich
weiterbilden, sondern auch für Arbeitgeber sind gute
Weiterbildungsangebote ein Alleinstellungsmerkmal, um
Fachkräfte zu gewinnen und an den Betrieb zu binden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Weiterbildung braucht aber von beiden Seiten Zeit,
Geld und Initiative . Hier wirken Anreize unserer Ansicht
nach besser als gesetzliche Vorgaben. Weiterbildung und
Qualifizierung könnten so bei Modellen der Bildungsteil-
zeit stärker steuerlich entlastet werden . Auch der Einsatz
von Lebensarbeitszeitkonten könnte für kleine Betriebe
attraktiver gemacht werden . Dabei haben wir als Union
auch jene Betriebe im Blick, die nicht tarifgebunden sind .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Staatliche Weiterbildungsoffensiven werden aber
insbesondere von mittelständischen Betrieben oft kri-

Michael Gerdes






(A) (C)



(B) (D)


tisch wahrgenommen . In zahlreichen Gesprächen habe
ich erfahren, dass auch Mitnahmeeffekte durch nicht
relevante Weiterbildungsmaßnahmen erwartet werden .
Andererseits fürchten besonders kleinere Unternehmen
auch, dass die Mitarbeiter während der Fortbildungsmaß-
nahmen an ihrem Arbeitsplatz fehlen . Eine Möglichkeit,
die gerade die Digitalisierung bietet, wäre hier Training
on the Job . Arbeitgeber könnten mit den passgenauesten
Mitteln der beruflichen Weiterbildung experimentieren.
Durch E-Learning könnten sie Zeit und Geld sparen .

Uns ist wichtig, dass gerade KMUs Weiterbildungs-
möglichkeiten und Qualifizierungsmaßnahmen für ihre
Angestellten besser nutzen, und zwar unbürokratisch und
übersichtlich. Hier setzen wir auf bessere Vernetzung der
an der Weiterbildungsberatung beteiligten Institutionen .
Ein Recht auf Homeoffice, wie Sie es in Ihrem Antrag
fordern, halte ich weder für rechtlich möglich noch für
praktikabel .


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum?)


Zur Qualifizierung gehört zunächst auch die Ausbil-
dung . Die Berufswahlvorbereitung sollte bereits in den
allgemeinen Schulen beginnen . Dazu könnten Betriebs-
praktika und Projektwochen im Austausch mit der Wirt-
schaft häufiger angeboten werden. Berufswünsche könn-
ten so besser an die Begabungen des einzelnen Schülers
angepasst werden .

Die Arbeitsagenturen nehmen ihren gesetzlichen Auf-
trag dabei in vorbildlicher Weise wahr . In meinem Wahl-
kreis Bad Kreuznach verfolgt die dortige Arbeitsagen-
tur das Ziel, auf eine möglichst hohe Ausbildungsquote
hinzuwirken . Durch Berufsberatung und Netzwerke zu
den Schulen, den Kammern und den Betrieben wird viel
getan, um jungen Menschen bei der Orientierung zu hel-
fen und sie zu vermitteln und um das duale System der
Berufsbildung zu stärken, zum Beispiel durch Ausbil-
dungsbörsen .

Im Hinblick auf die berufliche Orientierung halte ich
die Einführung eines Schulfachs Wirtschaft für einen
großen Schritt in die richtige Richtung . Schüler würden
lebensnah und praxisnah wichtige Kompetenzen für das
spätere Berufsleben lernen .

Darüber hinaus müssen auch Ausbilder immer weiter
fortgebildet werden, damit ihr Wissen auf dem neuesten
Stand ist . Ich habe selbst eine Ausbildereignungsprüfung
abgelegt, und ich habe auch ausgebildet . Ich weiß, dass
Wissen veralten kann . Aber gerade in der Ausbildung
brauchen wir kontinuierliche Fortbildung und erweiterte
Möglichkeiten zur Weiterbildung, damit junge Menschen
eine zeitgemäße Ausbildung bekommen .

Liebe Kollegen und Kolleginnen der Grünen, es ist
nicht alles in Ihrem Antrag übertrieben . Wenn Sie eine
Überprüfung der Ausbildungsordnung und bessere Bera-
tung der Betriebe fordern, bin ich ganz bei Ihnen .


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber schön!)


Um die Chancen der Arbeitswelt von morgen zu nut-
zen, haben wir gesamtgesellschaftlich viel Spielraum,

wenn wir den digitalen Veränderungsprozess aktiv mit-
gestalten . Wir wollen Befürchtungen der Menschen ab-
bauen und sie sowohl schützen als auch unterstützen .

Wir als CDU/CSU setzen uns für die Stärkung der Al-
lianz für Aus- und Weiterbildung und die bessere Vernet-
zung aller beteiligten Akteure in der Weiterbildung ein .
Hierfür brauchen wir aufgeschlossene Unternehmen, die
Weiterbildung aktiv mit unterstützen .

Das lebenslange Lernen sollte aber für jeden selbst-
verständlich werden . Wir als Union wollen den Prozess
der Digitalisierung in unsere soziale Marktwirtschaft
einbetten . Uns ist es wichtig, den Wirtschaftsstandort
Deutschland so stark zu halten, wie er ist . Deswegen
werden wir als Politik mit Maß und Mitte vorgehen und
die Rahmenbedingungen so gestalten, dass die Digitali-
sierung in der Arbeitswelt der Zukunft ein Erfolg wird .

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822505300

René Röspel hat als nächster Redner für die SPD-Frak-

tion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1822505400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Vielen Dank, dass ich für wenige Minuten die
Gelegenheit habe, als Forschungspolitiker zu einem The-
ma zu sprechen, das seit 150 Jahren das Kernthema der
Sozialdemokratie ist, nämlich unter welchen Lebens-
und Arbeitsbedingungen Menschen leben und wie wir es
schaffen, diese Bedingungen zu verbessern. Immer dann,
wenn wir regierungsführend waren, haben wir dieses
Thema politisch weiterentwickelt .


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Mit Hartz IV! Ja!)


– Ich glaube, dass das nicht unbedingt ein Beitrag war,
Arbeit zu stärken .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber recht hat er! – Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das sieht Martin aber anders!)


Aber darüber kann man vielleicht an anderer Stelle noch
einmal diskutieren .

Wir haben in den 70er-Jahren unter einem Forschungs-
minister der SPD, Herrn Matthöfer, den Ältere vielleicht
noch kennen, als Antwort auf die Herausforderung ei-
ner Computerisierungswelle, wie man sie damals noch
nicht kannte, ein Programm mit dem Titel „Humanisie-
rung des Arbeitslebens“ eingeführt . Es ging darum, die
Lebens- und vor allen Dingen die Arbeitsbedingungen
von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an ihrem Ar-
beitsplatz zu verbessern, vor allem aus dem Arbeits- und
Gesundheitsschutz heraus . Seitdem sind Arbeits- und
Gesundheitsschutz auch keine esoterischen Forderungen

Antje Lezius






(A) (C)



(B) (D)


von Gewerkschaften mehr, sondern etablierter Bestand-
teil einer sozialen Marktwirtschaft, die auch funktioniert .


(Beifall bei der SPD)


Das Programm ist übrigens dankenswerterweise von
Heinz Riesenhuber unter der Union fortgesetzt worden,
aber dann irgendwie versackt . Leider hat Deutschland
seine führende Stellung im Bereich Arbeitsforschung
verloren .

Umso erfreuter sind wir, dass wir in den Koalitionsver-
trag hineinverhandeln konnten, dass wir uns unter dem
Stichwort „Forschung für die Arbeit von morgen“ wieder
damit befassen, welchen Herausforderungen wir in den
Bereichen Arbeit, Dienstleistungen, aber auch Produk-
tion in unserer Gesellschaft begegnen werden, um ge-
wappnet zu sein und in einer modernen arbeitsintensiven
und wohlstandssichernden Gesellschaft und Arbeitsform
weiterzukommen . Seitdem haben wir beispielsweise für
den Bereich Arbeits-, Produktions- und Dienstleistungs-
forschung den Forschungsetat mittlerweile auf 100 Mil-
lionen Euro erhöht . Das ist ein wichtiges Signal dafür,
sich mit Neuem auseinanderzusetzen und auf Fragen
Antworten zu finden.

Ich bin sehr dankbar, dass das Arbeitsministerium
in eigener Initiative zuerst ein Grünbuch und dann ein
Weißbuch vorgestellt hat, in dem es um die Fragestel-
lung geht: Arbeit 4 .0, was bedeutet das? Das bedeutet
jedenfalls nicht, Arbeitnehmer an neue technische Ent-
wicklungen anzupassen, sondern, Arbeitsplätze und
-bedingungen so zu gestalten, dass Menschen in diesem
Land weiterhin gesund, zufrieden und glücklich arbeiten
können und nicht an ihrer Arbeit kaputtgehen müssen .
Dieses Grünbuch ist am Ende eines längeren Prozesses
im November 2016 vorgelegt worden .

Ich bin froh, dass auch die Grünen im November 2016
den Antrag, über den wir heute diskutieren, erstmalig
eingebracht haben . Dort werden einige Punkte aufge-
führt, die ich durchaus für sinnvoll halte, zum Beispiel,
wenn es um die Arbeitnehmermitbestimmung und den
Beschäftigtendatenschutz geht. Vieles im Antrag der
Grünen greift aber zu kurz oder fehlt gänzlich . So heißt
es dort, Aufgabe der Politik sei, „einen Rahmen zu schaf-
fen, der es . . . den Beschäftigten ermöglicht, mit dieser
Entwicklung Schritt zu halten“ . Das ist uns zu wenig .
Wir wollen Gesellschaft gestalten und immer versuchen,
einen Schritt voraus zu sein . Dazu bedarf es übrigens
auch einer vernünftigen Forschung .

In gewissen Punkten können wir dem Antrag der Grü-
nen nicht zustimmen, weil Dinge fehlen, die für die Zu-
kunft wichtig sind . Wissensintensive Dienstleistungen –
wir kümmern uns darum besonders intensiv und haben
dazu schon viel auf den Weg gebracht – und personen-
bzw . menschennahe Dienstleistungen fehlen komplett .
Sicherlich kann man sich für ein Recht auf Homeoffice
aussprechen . Aber im Hinblick auf die Diskussion über
die Entgrenzung von Arbeit sage ich: Das kann auch ein
großer Nachteil im Sinne eines latenten Zwangs sein . Ich

stelle mir dabei eine Frau vor – davon werden hauptsäch-
lich Frauen betroffen sein –, die zu Hause sitzt,


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau! Mit dem Kind auf dem Schoß!)


das Kind auf dem Arm hat und gleichzeitig am Computer
Homeoffice macht. Eine solche Entwicklung will ich auf
keinen Fall haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das alles muss sehr differenziert betrachtet werden.

Noch ein anderer Aspekt. Im Pflegeheim gibt es kein
Homeoffice, sondern Nachtschichten. Wenn wir nicht
wie Japan – dort ist das selbstverständlich – auf Robotik
in der Pflege setzen, sondern die Arbeitsbedingungen für
die Pflegenden so gestalten wollen, dass sie trotz Schicht-
arbeit 20 Jahre in ihrem Beruf durchhalten und dass der
menschliche Aspekt in der Pflege erhalten bleibt, dann
müssen wir viel tiefer gehen als der Antrag der Grünen .
Ich bin ganz froh, dass die Arbeitsministerin Andrea
Nahles in die Fußstapfen von Hans Matthöfer tritt und
dass wir für eine Humanisierung der Arbeit eintreten .

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822505500

Als nächster Redner hat Stephan Stracke für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Stephan Stracke (CSU):
Rede ID: ID1822505600

Grüß Gott, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Die Art und Weise, wie wir leben
und arbeiten, verändert sich zum Teil von Grund auf .
Die Umbrüche sind zum Teil gravierend . Wir stecken
schon mitten in diesem Prozess . Maßgeblicher Treiber
ist das, worüber wir heute diskutieren, nämlich die Di-
gitalisierung . Sie wird die gegenwärtigen Systeme und
Geschäftsmodelle über viele Jahre – vielleicht sogar un-
umkehrbar – weiterentwickeln . Sie bietet sicherlich ganz
neue Möglichkeiten in vielen Bereichen des Lebens .
So können ältere Menschen durch Smart-Home-Tech-
nologie länger zu Hause leben oder kann das Wort für
Gehörlose noch sichtbarer gemacht werden . All das ist
möglich . Wir wissen aber noch gar nicht, wie stark die
Auswirkungen auf jeden Einzelnen abstrahlen werden .

Für die Arbeitswelt werden einige Punkte kennzeich-
nend sein. Die Arbeit wird flexibler werden. Moderne
Kommunikationsmittel ermöglichen, zeitlich und örtlich
ungebundener seiner Arbeit nachzugehen . Das ist eine
große Chance gerade für die Vereinbarkeit von Familie
und Beruf . Ein familienfreundliches Arbeitsleben ist die
Basis für Motivation und Bindung an ein Unternehmen .
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird für Arbeit-
nehmer zunehmend zu einem Ausschlusskriterium bei
der Entscheidung für oder gegen ein Unternehmen . Des
Weiteren wird sich die Bezahlung stärker daran orientie-
ren, welche Arbeitsergebnisse erzielt werden . Die sich

René Röspel






(A) (C)



(B) (D)


verändernden Organisationsstrukturen erfordern, Arbeit
verstärkt anlass- und themenbezogen zu organisieren
und Teams zusammenzustellen . All das beschreibt die
sich durch die Digitalisierung verändernde Arbeitswelt .

Gerade das mobile Arbeiten eröffnet Arbeitnehmern
die Chance, eine neue Balance zwischen Erwerbsarbeit
auf der einen Seite und Familie und Freizeit auf der an-
deren Seite zu finden, mehr Verantwortung, insbesondere
mehr Eigenverantwortung, zu übernehmen, und es eröff-
net die Chance, Hierarchien flacher zu gestalten. Das ist
doch durchaus attraktiv . Wenn wir endlich von monoto-
ner Arbeit und körperlich belastenden Tätigkeiten durch
Assistenzsysteme loskommen, dann hilft das vor allem
älteren Arbeitnehmern oder Menschen mit Handicap .

Wer nun die schöne alte Welt konservieren will, der
wird sicherlich den Anschluss verpassen, der wird die
Chance der Digitalisierung nicht nutzen, und dann wer-
den Wertschöpfung und Wohlstand nicht mehr in diesem
Maße in Deutschland stattfinden. Deshalb hat die Gesell-
schaft die Aufgabe, den Wandel nicht hinzunehmen, son-
dern aktiv zu gestalten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die großen Potenziale der Digitalisierung müssen nach
Möglichkeit allen Menschen gleichermaßen zugutekom-
men . Dabei setzen wir auf bewährte Prinzipien: Leistung
und Sozialpartnerschaft, Chancengerechtigkeit und Soli-
darität . Das sind die Prinzipien der sozialen Marktwirt-
schaft . Diese bleiben Richtschnur . Wir werden die Digi-
talisierung sozial gerecht gestalten .

Digitalisierte Arbeitswelt braucht starke Sozialpart-
ner, einen fairen Interessensausgleich, und deshalb wer-
den Tarifverträge auch weiterhin eine zentrale Rolle ein-
nehmen .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt mal konkret!)


Aber natürlich rufen auch die Unternehmen verstärkt
nach Flexibilität . Es ist natürlich etwas daran, Arbeits-
zeitrecht zu hinterfragen und vorsichtig zu öffnen. Da-
rauf setzt auch das Bundesarbeitsministerium mit Ex-
perimentierräumen . Wir könnten da durchaus mutiger
sein; aber wir müssen uns immer klar sein: Wir brauchen
weiterhin genügend Raum für Familie, für Freizeit und
Erholung . Erwerbsarbeit ist wichtig und gut, aber sie ist
im Leben nicht alles .


(Beifall der Abg . Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deswegen müssen wir darauf achten, dass wir auch ge-
nügend Räume für Familie, Erholung und Pausen für
Kreativität haben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nur dann wird Kreativität entstehen . Wir müssen Räume
für individuelle Lösungen eröffnen, für die Unternehmen
gleichermaßen wie für die Arbeitnehmer . Das ist unsere
große Aufgabe . Ich traue uns zu, dass wir in diesem Rah-
men einen fairen Interessensausgleich hinbekommen .

Ein zweiter Aspekt: Arbeitsschutz und Arbeitssicher-
heit . Je mehr Freiheiten die Menschen haben, desto mehr

wird auch der Aspekt der Eigenverantwortung in den
Mittelpunkt rücken . Das gilt auch für den Arbeitsschutz .
Deswegen müssen wir gerade die Fähigkeit zur Eigen-
verantwortung stärken .

Gute Aus- und Weiterbildung ist mein dritter Punkt .
Die duale Berufsausbildung hat sich mit ihrer hohen An-
passungsfähigkeit durchaus bewährt . Sie wird auch bei
der Digitalisierung Erfolgsmodell bleiben müssen . Aus-
bildungsordnungen müssen sicherlich überprüft werden,
insbesondere aber muss die digitale Kompetenz gestärkt
werden . Ich meine damit die Fähigkeit zur Selbstorgani-
sation jedes Einzelnen, Eigenschaften wie Selbstbestim-
mung, Verantwortungs- und Sicherheitsbereitschaft, aber
auch Zuverlässigkeit . Natürlich müssen wir auch den
Grundsatz des lebenslangen Lernens stärker in den Blick
nehmen .

Die Verantwortung hierfür liegt bei jedem Einzelnen,
bei den Arbeitnehmern wie auch bei den Unternehmen
selbst . Sie wollen wir in ihrer Eigenverantwortung un-
terstützen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dabei hilft nicht die Schablone, sondern dabei helfen
passgenaue Lösungen . Dafür wollen wir die Stärken
der Bundesagentur für Arbeit nutzen . Es gilt, die Unter-
nehmen und die Beschäftigten verstärkt für das Thema
Weiterbildung zu motivieren . Die Begleitung der Be-
schäftigten gerade an den Übergängen und Wechseln
im Arbeitsleben ist und bleibt die zentrale Aufgabe der
Bundesagentur für Arbeit, die Beratung und gezielte För-
derung .

Transparenz bei den Weiterbildungsangeboten zu
schaffen, darin sehe ich die zentrale Aufgabe der Bundes-
agentur für Arbeit . Sie muss eine Lotsenfunktion haben,
aber darf keine staatliche Weiterbildungsbehörde wer-
den . Das genau wird die Bundesagentur für Arbeit nicht
sinnvoll ausfüllen können . Die Betriebe, die Unterneh-
men und jeweils der einzelne Mensch brauchen individu-
elle Lösungen. Das schaffen wir nicht durch Schablonen
und staatliche Behörden . Wir müssen ganz subsidiär bei
den Unternehmen ansetzen und diese stärken und weiter-
entwickeln .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Digita-
lisierung ist eine große Chance, weil sie vor allem die
Menschen mit ihren Fähigkeiten, mit ihren Begabungen
in den Mittelpunkt rückt . Genau diese Fähigkeiten und
Begabungen als Informations- und Wissensarbeiter gilt
es zu stärken. Wir müssen klären, wie wir es schaffen,
Informationen stärker zusammenzuführen, Lösungen
schnell zu entwickeln . Das hat natürlich Auswirkungen
nicht nur auf die Organisation in Betrieben, sondern
auch darauf, wie wir miteinander kommunizieren, wel-
che Fähigkeiten wir in der Kommunikationsstruktur und
im Kommunikationsverhalten mitbringen . Die Digita-
lisierung ist eine große Chance für uns, Wertschöpfung
in diesem Land zu sichern, zu erhalten und auszubauen,
aber auch, mehr Flexibilität gerade im Interesse der Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schaffen. Daran
arbeiten wir .

Stephan Stracke






(A) (C)



(B) (D)


Ein herzliches Dankeschön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822505700

Als nächster Redner spricht Dr . Hans-Joachim

Schabedoth für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD):
Rede ID: ID1822505800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Alle reden von Industrie 4 .0, Arbeit 4 .0, Schalke 4 .0 .


(Heiterkeit)


Bei Schalke 4 .0 bin ich mir nicht so sicher, aber die an-
deren Begriffe stehen für eine Entwicklung, die wir mit-
einander eher als Chance sehen denn als Risiko . Wer uns
zuhört, wird das, glaube ich, als Konsens herausgehört
haben .

Die vernünftige Perspektive im weiteren Verlauf der
Digitalisierung ist nicht die menschenleere Fabrik – da-
rüber sind sich die Fachleute längst einig –, sondern die
menschenfreundliche Fertigung . Dabei könnte gute Ar-
beit von der Ausnahme, die es heute leider noch ist, zur
Regel werden. Es eröffnen sich neue Perspektiven – mei-
ne Vorredner haben dazu schon viel genannt – für Ar-
beitszeitverkürzung, für die Humanisierung der Arbeit,
für neue Beteiligungschancen, für eine Arbeitsorganisati-
on, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wirklich
erleichtert . Es geht auch – davon wollen viele nichts hö-
ren – um Chancen für eine bessere Bezahlung .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Richtig! Genau!)


Den Wegfall monotoner und gesundheitsbelastender Ar-
beit wird von uns sicherlich niemand bedauern .

Bei der fortschreitenden Digitalisierung der Arbeit in
den Produktions- und Dienstleistungssystemen ist Ar-
beitslosigkeit keine zwangsläufige Entwicklung. Die Be-
schäftigten aus der Wirtschaftswunder- und Babyboomer-
zeit erreichen in den kommenden Jahren ihr Rentenalter .
Der vielbeschworene Kollege Roboter könnte hier Lü-
cken füllen . Komplexe Produkte können kostengünstiger
hergestellt werden . Das bringt das Out für Outsourcing .
Doch solche Fortschritte ergeben sich nicht zwangsläu-
fig; darauf komme ich noch einmal zurück. Nur gut – das
entnehme ich dem Antrag der Grünen –, dass ich da kei-
ne Nachhilfe geben muss . Sie haben das richtig erkannt:
Wir müssen etwas tun . Die gesellschaftlichen und poli-
tischen Gestaltungsaufgaben warten. Das betrifft not-
wendige Veränderungen im Bildungs- und Ausbildungs-
system, bei Hochschule und Weiterbildung . Den Schutz
vor missbräuchlicher Nutzung von Daten will ich noch
einmal hervorheben; das ist die Achillesferse des Fort-
schritts im Bereich Arbeit 4 .0 und Fabrik 4 .0 . Notwendig
sind zudem Investitionen in den Breitbandausbau sowie
gesetzliche Regulierungen zur Datensicherheit und zum
Erhalt von Netzneutralität .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Völlig unterbelichtet im Antrag der Grünen ist, finde
ich, die Herausforderung an die Tarifvertragsparteien .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Uwe Lagosky [CDU/CSU])


Die neuen Wertschöpfungsnetzwerke und Geschäfts-
felder vergrößern die privatwirtschaftlich organisierte
Reichtumsproduktion. Das eröffnet neue einkommens-
und finanzpolitische Teilhabechancen, aber auch nicht
von allein . In den gewerkschaftlichen und sozialdemo-
kratischen Debatten ist es selbstverständlich, den neu er-
zielten Zuwachs an produziertem Reichtum so zu vertei-
len, dass alle etwas davon haben .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Das sollten, meine ich, auch die Grünen stärker rezipie-
ren .

Anders als die Grünen glaubt die SPD auch beim
Thema Industrie 4 .0 und Arbeit 4 .0 nicht daran, Gutes
könnte man von oben verordnen, etwa wir als Gesetzge-
ber . Aushandlungsprozesse sind nötig, gerne auch, Herr
Whittaker, partnerschaftlich . Aber die Erfahrung sagt:
Wenn es im Konsens nicht geht, muss man den Konflikt
organisieren . Auch das gehört zu den Prinzipien einer so-
zialen Marktwirtschaft .

Zum Glück sind beim Erarbeiten neuer Verteilungs-
regeln die Tarifvertragsparteien oftmals kompetenter als
die Bundesregierung; das gilt im Übrigen für jede Form
ihrer Zusammensetzung . Wir setzen auf den Erhalt und
den Ausbau der deutschen Mitbestimmungskultur; denn
Entscheidungen im System der Industrie 4 .0 überschrei-
ten schon jetzt die herkömmlichen Betriebszuständigkei-
ten . Es gibt neuen Regelungsbedarf, meine Kolleginnen
und Kollegen von den Grünen . Der Prozess läuft schon
und überschreitet den Entscheidungsraum dieser Legis-
laturperiode und sogar den der nächsten . Kontinuierlich
wird es notwendig sein, hier nachzuschärfen .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822505900

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen .


Dr. Hans-Joachim Schabedoth (SPD):
Rede ID: ID1822506000

Ja, ich komme gern mit der Feststellung zum Schluss:

Es lohnt sich, darüber intensiver weiter nachzudenken –
in jedweder Zusammensetzung des Parlaments und der
Regierung . Ich freue mich darauf .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt, ihr macht nichts mehr!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822506100

Als letzte Rednerin in dieser Debatte hat Waltraud

Wolff für die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1822506200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am
Ende dieser Debatte zum Thema „Arbeit 4 .0“ – dazu

Stephan Stracke






(A) (C)



(B) (D)


liegt ein Antrag der Grünen vor – möchte ich mit einem
Sprichwort anfangen: In der Kürze liegt die Würze . – Oft
stimmt das, aber bei diesem Antrag der Grünen kann ich
das leider nicht sehen . Auf drei Seiten haben Sie ver-
sucht, zusammenzufassen, wie Arbeit 4 .0 in der Zukunft
gestaltet werden soll . Aber Ihr Antrag – ich kann es nicht
anders sagen – ist noch unzureichend .


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es ist wenigstens einer! Von euch kommt gar nichts!)


Ich sage Ihnen auch, woran Ihr Antrag krankt .

Neue Technologien verändern unsere Gesellschaft;
darüber sind wir uns ganz einig. Aber wie diese Verän-
derungen aussehen, das ist nicht in Stein gemeißelt . Hier
können und müssen wir gestalten; das hat die Debatte
gezeigt . Herr Kollege Whittaker – wo ist er denn über-
haupt? nicht mehr da –, ich jedenfalls stehe nicht dafür,
dass wir in Deutschland amerikanische Verhältnisse ein-
führen . Das wollen wir als Sozialdemokraten nicht .


(Beifall bei der SPD)


Wir brauchen eine gesellschaftliche Debatte über Di-
gitalisierung . Deshalb ist es so wichtig, dass der Ar-
beit-4 .0-Prozess, den Frau Ministerin Nahles angestoßen
hat, in ganzer Breite diskutiert wird . Dabei werden die
Chancen genauso aufgezeigt wie die Veränderungen, die
zu Konflikten führen; das haben wir schon besprochen.
Dazu muss ich Ihnen von den Grünen sagen: Sie gehen
diesem Konflikt mit Ihrem Antrag nicht auf den Grund,
sondern aus dem Weg . Sie leisten nicht, was die Über-
schrift sagt . Sie gestalten nicht, sondern zeigen punktuell
auf, wo man Anpassungen vornehmen kann . Aber das,
meine Damen und Herren, reicht gerade nicht .


(Beifall bei der SPD)


Ich mache das einmal an Beispielen fest, die heute noch
nicht genannt worden sind:

Mein Kollege Röspel hat auf die Betriebsräte hin-
gewiesen und darauf, dass Sie ihnen mehr Befugnisse
im Arbeitsschutz einräumen wollen . Gut – aber nur im
Prinzip . Ihre Lösung ignoriert einfach, dass wir ein Pro-
blem bei der Mitbestimmung haben: Die Zahl der Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer, die durch Betriebsräte
vertreten werden, sinkt stetig . Gerade in den Beschäfti-
gungsformen der digitalen Arbeitswelt haben wir zuneh-
mend Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die nicht
vertreten sind . Dafür bieten Sie keine Lösung an .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das war doch Ihre Aufgabe! Sie regieren doch!)


Sie stellen zu Recht fest, dass neben den Anforderun-
gen auch die Formen der Beschäftigung mit der Digi-
talisierung eine Änderung erfahren . Sie schreiben, dass
die Grenzen zwischen abhängiger und selbstständiger
Tätigkeit verschwimmen . Richtig . Das haben Sie alles
sehr schön dargestellt . Aber hinter dieser Entwicklung
verbirgt sich doch nicht nur eine freiwillige Selbststän-
digkeit . Dazu sagen Sie kein Wort .

Die Unternehmen, meine Damen und Herren, or-
ganisieren sich zunehmend anders . In verschiedenen
Branchen arbeiten immer weniger festangestellte Arbeit-
nehmer gemeinsam mit Befristeten, Ausgelagerten und
Leiharbeitern sowie mit Menschen mit Werkverträgen
zusammen .

Übrigens ist es so: Im Bereich des Arbeitslosengel-
des II haben wir – insofern haben wir ja eine Antwort auf
etwas gegeben, das wir schuldig geblieben waren – die
Weiterbildungsprämie eingeführt, die bei einem Zwi-
schen- oder Abschlusszeugnis gezahlt wird .


(Beifall bei der SPD)


Und was noch viel wichtiger ist: Wir haben eine weitere
Verbesserung hinbekommen. Wer jetzt im Arbeitslosen-
geld II ist und einen Ausbildungsvertrag hat, dem wird
nicht, wie es bisher der Fall war, automatisch das Ar-
beitslosgengeld II gekürzt . Das ist eine Errungenschaft,
auf die ich auch einmal hinweisen möchte .


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Digitalisierung
führt in Bezug auf die Arbeitsplätze zu einer immer wei-
ter gehenden Forcierung, und wir wissen eigentlich nicht,
wann die Spitze erreicht sein wird . Wir wissen nicht, wo
das wirklich hinführt . Mein Sohn ist ein hochspezialisier-
ter IT-Techniker und Programmierer . Er arbeitet von zu
Hause aus und findet das toll; aber das gilt doch nicht für
alle . Gilt das denn auch für den selbstständigen Paketbo-
ten, der immer weiter unter Druck gerät? Gilt das für den
Schichtarbeiter oder für die Servicekraft im Hotel? Die
kann das doch gar nicht mehr aushalten .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben über Jah-
re beobachtet, wie Lohndrückerei durch Minijobs, Leih-
arbeit und Werkverträge zur Normalität erhoben worden
ist .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822506300

Frau Kollegin, ich muss auch Sie bitten, zum Schluss

zu kommen .


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1822506400

Ich komme sofort zum Schluss . – Im Weißbuch „Ar-

beiten 4 .0“ steht, dass wir bei aller Notwendigkeit der
Flexibilisierung eine systematische Verlagerung der Ri-
siken und der Verantwortung auf Arbeitnehmer nicht dul-
den können .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE])


Deshalb glaube ich, dass es wichtig ist, die Chancen
zu nutzen . Dafür brauchen wir aber einen Rahmen; wir
brauchen eine Grundlage aus dem Weißbuch bzw . Grün-
buch . Das fehlt in Ihrem Antrag . Da haben Sie noch
nachzubessern .

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)


Waltraud Wolff (Wolmirstedt)







(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822506500

Das war aber, wenn ich das sagen darf, nicht ein „zü-

gig zum Schluss kommen“ .


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Ich entschuldige mich!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will aus gege-
benem Anlass noch einen kleinen Hinweis geben: Es ge-
hört zur guten Debattenkultur in diesem Haus, dem Deut-
schen Bundestag, dass die Redner einer Debatte während
der gesamten Debatte anwesend sind . Ich möchte einfach
nur noch einmal daran erinnern . Das gilt für alle Kolle-
ginnen und Kollegen . Manchmal gibt es einen wichtigen
Grund, dass man nicht anwesend sein kann . Das ist, den-
ke ich, akzeptabel . Man teilt das dann den Kolleginnen
und Kollegen aber mit, und dann wird es auch akzeptiert .
Ich bitte einfach, das in Zukunft zu berücksichtigen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE])


Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10254 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur besse-
ren Durchsetzung der Ausreisepflicht

Drucksache 18/11546
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . Wenn es dazu
Widerspruch gibt, dann müsste der jetzt vorgebracht wer-
den . – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner in der
Aussprache hat Dr . Thomas de Maizière, der Bundesmi-
nister des Innern, das Wort für die Bundesregierung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ein schnelles Asylverfahren und eine schnelle
Rückführung sind wichtige Voraussetzungen für die
Akzeptanz des Asylrechts in Deutschland .

Dass ich mit einem Zitat des Kollegen Oppermann be-
ginne, wird Sie vielleicht überraschen;


(Zurufe von der SPD: Nein!)


aber wo es Einigkeit gibt, sollte man das auch sagen . Ich
teile seine Aussage ausdrücklich auch, wenn es um die

Auffassung zu Aufnahmeeinrichtungen außerhalb Euro-
pas geht, zumal er dort meine Position übernommen hat .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist freier Abgeordneter!)


Ich weiß, dass das nicht ungeteilte Zustimmung in der
Sozialdemokratie findet. Meine Zustimmung findet es
aber .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit dem Gesetz, das ich hiermit einbringe, werden,
wie der Kollege Oppermann völlig zu Recht angemerkt
hat, Beschlüsse umgesetzt, die wir am 9 . Februar dieses
Jahres gemeinsam mit den Ministerpräsidenten der Län-
der getroffen haben. Damit werden wichtige Konsequen-
zen auch für das Aufenthaltsrecht gezogen – auch aus
dem Fall Amri, also dem Terroranschlag auf dem Breit-
scheidplatz am 19 . Dezember 2016 in Berlin .

Unser Rechtsstaat lebt davon, dass rechtsstaatliche
Verfahren durchgeführt werden, dass diese gerichtlich
überprüft werden können und dass getroffene Entschei-
dungen auch durchgesetzt werden . Das gilt ganz all-
gemein und in der Flüchtlingspolitik ganz besonders .
Unsere Flüchtlingspolitik beruht darauf, in einem rechts-
staatlichen Verfahren festzustellen, ob wegen der Verhält-
nisse im Herkunftsstaat oder aus persönlichen Gründen
ein Schutzbedürfnis für den Aufenthalt in Deutschland
besteht . Sie beruht darauf, dass diejenigen Schutz erfah-
ren und integriert werden, die wirklich schutzbedürftig
sind . Ob ein Asylverfahren mit einem positiven oder ei-
nem negativen Ergebnis endet, das muss am Ende aber
einen Unterschied machen, und zwar hinsichtlich der
tatsächlichen Bleibeperspektive . Aufenthaltsrechtliche
Regelungen sind sinnlos, wenn sie am Ende gar keine
Konsequenzen haben . Deshalb: Ja zu guter Integration
der Schutzbedürftigen und Ja zur Rückkehr der Nicht-
schutzbedürftigen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Sebastian Hartmann [SPD])


Rückkehr und Integration sind zwei Seiten ein und
derselben Medaille, und beide Seiten nehmen wir ernst .
Ein Beispiel: Allein in diesem Jahr werden wir über
400 000 Menschen den Besuch eines Integrationskurses
ermöglichen, und gleichzeitig werden wir die Zahl derje-
nigen erhöhen und erhöhen müssen, die freiwillig in ihr
Herkunftsland zurückkehren oder abgeschoben werden .

Wir haben schon einige Gesetzesänderungen im Bun-
destag beschlossen, um Vollzugsdefizite bei der Aufent-
haltsbeendigung zu beseitigen, etwa noch im Jahre 2015
mit dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts
und der Aufenthaltsbeendigung, mit den Regelungen zur
Einstufung der Länder des Westbalkans als sichere Her-
kunftsstaaten, mit der Abschaffung der Ankündigung von
Abschiebungen oder mit der Pflicht zum besseren Nach-
weis medizinischer Abschiebehindernisse im sogenann-
ten Asylpaket II .

Diese Maßnahmen greifen auch . Die Zahl der frei-
willigen Rückführungen und Abschiebungen steigt . Im
vergangenen Jahr haben rund 55 000 abgelehnte Asylbe-
werber Deutschland freiwillig verlassen, mehr als 25 000






(A) (C)



(B) (D)


wurden abgeschoben . Das ist ein Zuwachs von etwa
40 Prozent gegenüber dem Vorjahr; das ist gut. Auch
das Verhältnis von freiwilligen Rückführungen zu Ab-
schiebungen ist gut . Wir wollen diese Entwicklung aber
noch besser machen, insbesondere weil das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge jetzt die Altfälle abarbeitet
und pro Monat 60 000 bis 70 000 Entscheidungen fällt .
Das heißt: Die Zahl derjenigen, die integriert werden,
steigt ebenso wie die Zahl derjenigen, die unser Land
wieder verlassen müssen .

Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, ist dafür
ein wichtiger Beitrag . Er fußt auf drei Säulen: erstens
Identität besser feststellen, zweitens Abschiebung effek-
tiver durchsetzen und drittens gefährliche Ausreisepflich-
tige besser überwachen .

Im Mittelpunkt des Gesetzentwurfs stehen zum einen
die ausreisepflichtige Menschen, die über ihre Identität
oder ihre Staatsangehörigkeit täuschen, die hier nicht zur
Aufklärung über sich selbst beitragen, die ihre Mitwir-
kung bei der Rückführung verweigern . Meine Damen
und Herren, ich finde es nicht zu viel verlangt, wenn man
gegenüber unseren Behörden seinen Namen und sein
Herkunftsland korrekt angibt, wenn man von unserem
Land Schutz haben möchte .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wenn das nicht so ist, dann muss das eben auch Konse-
quenzen haben. Zum anderen betrifft der Gesetzentwurf
diejenigen, von denen eine erhebliche Gefahr für Leib
und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inne-
ren Sicherheit ausgeht .

In einem Rechtsstaat können wir es nicht hinnehmen,
dass Asylbewerber scheinbar sanktionslos und nach Be-
lieben verschiedene Namen und Staatsangehörigkeiten
angeben, keine brauchbaren Auskünfte geben und darauf
hoffen, dass die Behörden auch bei den Herkunftsstaaten
bei der Beschaffung von Papieren nicht weiterkommen.
Das ändern wir . Auch in Zweifelsfällen und bei mangeln-
der Kooperation werden wir Identität und Herkunfts-
land in Zukunft besser aufklären . Dazu nutzen wir alle
rechtsstaatlichen Möglichkeiten, am liebsten Ausweise
und Reisedokumente, die mitgebracht werden, aus denen
die Identität und die Heimatländer hervorgehen . Fehlen
diese, lassen aber Smartphones und Tablets Schlussfol-
gerungen über die Herkunft zu, dann ist es weder über-
trieben noch unangemessen, hierüber Erkenntnisse über
die Identität zu erlangen . Das ist nur vernünftig und auch
fair; denn sonst würden nur die weiterkommen, die am
besten verschleiern .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im Übrigen haben die Ausländerbehörden bereits ein
solches Recht zum Auslesen von Datenträgern zur Iden-
titätsbestimmung . Mit diesem Gesetz versetzen wir nun
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in die glei-
che Lage . Dabei handelt es sich nicht, um gleich einem
möglichen Debattenbeitrag vorzubeugen, um eine Tele-
kommunikationsüberwachung, sondern um eine genauso
offene Maßnahme, als würde an der Grenze ein Koffer
in Augenschein genommen. Bevor jetzt reflexhaft aufge-
schrien wird: Auch in einem Koffer können sich Gegen-

stände befinden, aus denen auf die private Lebensgestal-
tung Rückschlüsse gezogen werden können . Trotzdem
hat niemand etwas dagegen, wenn in bestimmten Fällen
ein Koffer an der Grenze geöffnet wird. Im Übrigen sieht
das Gesetz zur Wahrung des Kernbereichs privater Le-
bensgestaltung weitreichende Schutzvorrichtungen vor .
Das ist auch richtig so .

Der Gesetzentwurf enthält weitere Regelungen zur
besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht. Ausreise-
pflichtige, die über ihre Identität und Staatsangehörigkeit
getäuscht oder ihre Mitwirkung bei der Rückführung
verweigert haben, sollen sich fortan nur noch innerhalb
des Bezirks der jeweiligen Ausländerbehörde aufhalten
dürfen. Wir nennen das eine verschärfte Residenzpflicht.

Wir ermöglichen künftig auch dann eine Abschiebe-
haft, wenn nicht gesichert ist, dass vollziehbar Ausrei-
sepflichtige binnen drei Monaten abgeschoben werden
können . Auch das ist eine Konsequenz aus dem Fall
Amri . Man kann lange darüber diskutieren, ob man trotz-
dem hätte versuchen sollen, spätestens im Oktober, nach-
dem die tunesische Regierung dem Verbindungsbeamten
der Bundespolizei mitgeteilt hat, dass es sich um einen
Tunesier handelt, einen Abschiebehaftantrag zu stellen .
Darüber wird diskutiert . Wir werden auch noch entspre-
chende Berichte bekommen und diese hier diskutieren .
Klar ist, egal wie man diesen Fall bewertet: Es ist wich-
tig und eine Erleichterung, die Dreimonatspflicht aufzu-
heben, damit man in Zukunft strittige Fälle nicht mehr
diskutieren muss .

Wir verlängern die Höchstdauer des Ausreisegewahr-
sams . Bisher wurde das Instrument zur Sicherung der
Abschiebung nur zögerlich genutzt, weil die Frist von
vier Tagen zu kurz ist . In der Koalition konnten wir uns
nun auf zehn Tage einigen .

Schließlich verbessern wir das Instrumentarium zur
Kontrolle Ausreisepflichtiger, von denen eine besondere
Gefährdung ausgeht . Ihr Aufenthalt kann künftig durch
sogenannte elektronische Fußfesseln überwacht werden,
wenn das zur Gefahrenabwehr notwendig ist . Wir wis-
sen sehr wohl, dass die Fußfessel kein Allheilmittel ist –
niemand hat das behauptet –; aber es ist ein zusätzliches
wirksames Mittel, um Gefahren von der Bevölkerung ab-
zuwenden . Deswegen wollen wir darauf nicht verzichten
und diese Möglichkeit einführen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, es ist für alle Beteiligten
von Vorteil, wenn Zwangsmaßnahmen gar nicht erst
ergriffen werden müssen. Vorrang hat immer die frei-
willige Ausreise . Dafür haben wir mit dem Programm
„StarthilfePlus“ einen zusätzlichen Anreiz geschaffen.
Der Bund stellt hierfür in diesem Jahr zusätzliche 40 Mil-
lionen Euro zur Verfügung. Mit der neuen Zentralstelle
zur Unterstützung der Rückführung, einer gemeinsamen
Stelle von Bund und Ländern, verbessern wir auch die
Bund-Länder-Zusammenarbeit . Ich habe sie vor kurzem
eröffnet; ab Mai wird sie voll einsatzfähig sein.

Mit dem heute zu beratenden Gesetzentwurf brin-
gen wir erhebliche gesetzliche Verbesserungen auf den

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière






(A) (C)



(B) (D)


Weg, die um praktische Verbesserungen ergänzt werden
müssen. Allen ausreisepflichtigen Gefährdern sage ich
deutlich: Die Offenheit und Liberalität, die unser Land
lebens- und liebenswert machen, leisten wir uns gerade
deshalb, weil wir einen starken Staat haben, der Angriffe
auf uns nicht hinnimmt. Die Offenheit gilt nicht für dieje-
nigen, die unsere Offenheit frontal angreifen oder unsere
Verfahren wissentlich auszutricksen versuchen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sind und bleiben freundlich und offen, aber wir sind
und bleiben aufmerksam und handlungsfähig, und wir
setzen das Aufenthaltsrecht auch durch – auch wenn es
umstritten ist, wenn es wehtut . Es ist erforderlich . Es ist
die andere Seite der Medaille der Flüchtlingspolitik . In-
tegration und Ausreise sind zwei Seiten einer Medaille .

Ich bitte um zügige Beratung dieses Gesetzentwurfs .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822506600

Petra Pau hat als nächste Rednerin das Wort für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822506700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir beraten heute einführend einen Gesetzentwurf der
Bundesregierung . Er trägt den Titel „Entwurf eines Ge-
setzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“.
Die Linke hätte sich gewünscht, dass die Bundesregie-
rung mit demselben Eifer ein Gesetz zur besseren Inte-
gration von Schutzsuchenden vorgelegt hätte .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber genau darum geht es heute nicht . Ja, es gab im
Jahr 2016 nicht nur die Beratungen, sondern auch den
Beschluss zu einem Gesetz zur Integration, aber es war
und ist halbherzig; es schloss und schließt viele Geflüch-
tete aus statt ein .

Das Gesetz, um das es heute geht, bedient vor allem
eine allgemeine Abschiebestimmung . Damit befördert es
auch eine feindliche Stimmung gegenüber den Schutzsu-
chenden . Das beginnt damit, dass die Bundesregierung
wiederholt mit überzogenen und falschen Zahlen über
Ausreisepflichtige agiert. Ich empfehle hier die Stellung-
nahme des Paritätischen Gesamtverbandes, der uns heute
zu dieser Gesetzesberatung den Hinweis gegeben und ins
Stammbuch geschrieben hat, dass angesichts der Rekord-
anerkennungsquoten im Asylverfahren – 2016 betrug die
bereinigte Schutzquote 71,4 Prozent – die aktuelle He-
rausforderung Schutzgewährung und Integration und
nicht Ausgrenzung und Abschiebung lautet .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie ahnen es: Die Linke muss den Entwurf in seiner
jetzigen Fassung ablehnen .

Nun liegen zum Gesetzentwurf zahlreiche Stellung-
nahmen unter anderem vom Paritätischen Gesamtver-
band, von Pro Asyl, der Diakonie Deutschland und
anderen vor, also von Verbänden, die über eine ausge-
wiesene rechtliche und auch sachliche Kompetenz ver-
fügen . Entsprechend kritisch fallen auch deren Urteile
aus . Das beginnt übrigens schon bei den Fristen, die zur
Stellungnahme eingeräumt wurden – Respekt vor den Er-
fahrungsträgern sieht anders aus .

Aber die Kritik in der Sache wiegt noch viel schwe-
rer . Ganz verkürzt: Mit dem Gesetzentwurf werden Tore
geöffnet, um mehr abgelehnte Asylbewerber als bislang
ihrer Freiheit zu berauben und sie länger in Abschiebe-
haft zu nehmen . Als Gründe werden nach wie vor recht-
lich unbestimmte Begriffe wie „Gefährder“ bemüht. Das
halten wir für genauso fragwürdig wie die Tatsache, dass
in anderen Debatten „sichere Herkunftsländer“ je nach
Gusto bestimmt werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Mit unangekündigten Abschiebungen nach über einjäh-
riger Duldung werden Betroffenen obendrein Rechtsmit-
tel – etwa das Rechtsmittel eines Widerspruchs – geraubt,
die ihnen eigentlich zustehen .


(Rüdiger Veit [SPD]: Das stimmt leider!)


Der nächste Kritikpunkt: Hier wird Asylbewerbern
ihre Würde genommen. Hinzu kommt der Eingriff in
verbriefte Bürgerrechte, etwa durch das Auslesen ihrer
Handys ohne jeden Strafverdacht und richterliche An-
ordnung. Herr Minister, Ihr Bild vom Koffer, der an der
Grenze kontrolliert wird, trägt da nicht . Ich weiß ja nicht,
wie Sie es halten; aber ich pflege weder in meinem Koffer
noch in meiner Reisetasche meine ganze private Korre-
spondenz oder meine intimsten Daten mit mir herumzu-
tragen . Aber heute ist es so, dass viele von uns ebendiese
besonders geschützten Daten auf ihren Handys, Tablets
oder wo auch immer archiviert haben . Dieses Bild trägt
also in keiner Weise .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Damit legt sich der Gesetzentwurf auch mehrfach mit
Urteilen des Bundesverfassungsgerichts an. Das betrifft
hohe Hafthürden ebenso wie das Recht auf informa-
tionelle Selbstbestimmung . Der Paritätische Gesamt-
verband moniert: Er „vermischt in unzulässiger Weise
straf- sowie polizei- und ordnungsrechtliche mit aufent-
haltsrechtlichen Aspekten“ . Auch dieser Kritik schließt
sich die Linke an .

Hinzu kommt ein grundsätzliches Problem . Ein Drit-
tel aller Schutzsuchenden sind unter 18 Jahre alt. Viele
von ihnen leben auch hierzulande unter Bedingungen,
die weder kindgerecht noch integrationsfördernd sind .
Das stellte UNICEF in einer gerade erst veröffentlichten
Studie fest . Der nun vorliegende Gesetzentwurf, wenn er
denn in die Tat umgesetzt würde, verschärft die Proble-
me, anstatt dafür zu sorgen, dass die Menschen so schnell

Bundesminister Dr. Thomas de Maizière






(A) (C)



(B) (D)


wie möglich dezentral untergebracht werden . Auch das
ist so nicht hinzunehmen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein Schlussgedanke für heute: Etliche Kommentato-
ren bezeichnen den vorliegenden Gesetzentwurf als „Lex
Amri“ . Sie spielen damit auf den schlimmen Terrorakt
auf dem Berliner Weihnachtsmarkt und den Täter an .
Und sie belegen zugleich, dass die jetzt vorgesehenen
Regelungen eben nicht verhindern, was Sie vermeintlich
vorgeben zu verhindern. Vielmehr werden die Geflüchte-
ten unter Generalverdacht gestellt . Ich halte das für nicht
rechtsstaatlich und für würdelos .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822506800

Dr . Lars Castellucci spricht jetzt für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Lars Castellucci (SPD):
Rede ID: ID1822506900

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister,
Sie haben zu Beginn Ihrer Rede Herrn Oppermann zi-
tiert . Ich wollte zu Beginn meiner Rede eigentlich Herrn
Mayer zitieren, aber stattdessen frage ich als Erstes Herrn
Gutting, ob die Farbe seiner Jacke ein politisches State-
ment ist .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Das beschäftigt mich gerade irgendwie mehr. Vielleicht
schwimmen Ihnen ja so langsam die Felle davon .


(Ingo Wellenreuther [CDU/CSU]: Sonst haben Sie keine Probleme?)


Das ist mir nur aufgefallen .

Herr Mayer, Sie haben der Presse heute Morgen schon
mitgeteilt, dass Sie für eine härtere Gangart bei Abschie-
bungen sind .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber wenn ich mir die entsprechende Statistik aus Ihrem
Heimatland anschaue, dann fällt mir auf, dass die Zahl
der Abschiebungen in Bayern im letzten Jahr gesunken
ist .


(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Kein Land schiebt so viel ab wie Bayern!)


Der bayrische Löwe startet mal wieder mit einem Sprung
und landet als Bettvorleger . Was ich besonders interes-
sant fand: Der bayerische Innenminister Herrmann zieht
trotzdem eine positive Bilanz. Ich finde das großartig.
Das gibt es wirklich nur bei der CSU .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr . Johann Wadephul [CDU/CSU]: Finden Sie das denn richtig?)


Zurück zum Ernst, der dieser Angelegenheit angemes-
sen ist . Es gibt Menschen, die hierbleiben dürfen, und es
gibt Menschen, die nicht hierbleiben dürfen .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Dann müssen sie abgeschoben werden!)


Wenn diejenigen, die nicht hierbleiben dürfen, trotzdem
hierbleiben,


(Zuruf von der CDU/CSU: Dann stimmt was nicht!)


dann zeigt das, dass unser Rechtsstaat nicht funktioniert .
Deswegen müssen wir Ausreisen durchsetzen, wenn die
Pflicht dazu besteht.


(Zuruf von der CDU/CSU: Schleswig-Holstein zum Beispiel!)


Ich führe bei mir im Wahlkreis hin und wieder so-
genannte Wohnzimmergespräche . In den letzten Mona-
ten ist ein Satz immer häufiger gefallen. Er lautete: Der
Rechtsstaat muss für alle gelten . – Die Menschen sagen:
Bei mir werden Steuern und Abgaben abgezogen, wenn
ich über eine rote Ampel fahre, muss ich zahlen, usw .
Und sie fragen mich: Wie kann das sein, dass Menschen
einfach über die Grenze kommen? Oder: Wie kann es
sein, dass Menschen, die hier sind, aber nicht hier sein
dürfen, trotzdem hierbleiben können? Ich glaube, dass
wir den Rechtsstaat in Gefahr bringen, wenn wir nicht für
klare Verhältnisse sorgen. Deshalb: Wer Ausreisen nicht
durchsetzen will, der kann das Asylrecht auch gleich ab-
schaffen; denn das eine bedingt das andere.


(Beifall der Abg . Dr . Silke Launert [CDU/ CSU])


Ich kämpfe für das Asylrecht. Deswegen finde ich: Ab-
schiebungen gehören dazu .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Warum gelingen Abschiebungen nicht? Dafür gibt es
eine Vielzahl von Gründen, und einer ist, dass die Iden-
tität der betreffenden Personen nicht festgestellt werden
kann. Ja, es ist so: Viele, die zu uns kommen, besitzen
keine Papiere . Das ist ihnen vielfach gar nicht vorzuwer-
fen . Es kann sein, dass sie die Papiere abgeben mussten,
weil die Schleuser es von ihnen verlangt haben . Die ab-
genommenen Papiere werden so zu den gefälschten Pa-
pieren der nächsten Flüchtlinge, die wiederum von die-
sen Schleusern abhängen . So entsteht ein neues Geschäft .
Dass wir keine legalen und sicheren Zugangswege über
sogenannte Kontingente eröffnen – darüber haben wir
uns häufiger ausgetauscht –, ist ein Teil der Misere, die
zu diesen Geschäften beiträgt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Aussage, es könne nicht sein, dass einer ohne Papie-
re, aber mit Handy kommt, zeugt – das muss ich leider
sagen – nicht von besonderer Kenntnis; denn man kann
sich ohne Papiere auf die Reise machen, ohne Handy
aber nicht .

Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Es geht darum: Man kann hier ohne Papiere ankom-
men; aber von demjenigen, der hier Hilfe erwartet oder
auch nur erhofft, können wir erwarten, dass er mitwirkt
an der Feststellung seiner Identität . Wenn jemand keine
Papiere hat, aber ein Handy, dann muss man im Zweifel
nach Ausschöpfung aller anderen Mittel, nach dem In-
terview und nach Hinzuziehung von Experten, auch die
Handydaten nutzen können . Ich glaube, das ist nicht nur
vertretbar, sondern auch geboten . Wir haben ein Recht
darauf, zu wissen, wer bei uns ist .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nun wird von verschiedenen Seiten Kritik an diesem
Gesetzentwurf laut, unter anderem daran, dass wir vorse-
hen, dass Menschen länger in den Erstaufnahmeeinrich-
tungen verbleiben sollen . Das bringt mich zu der Frage,
wie es um die Verfahren bestellt ist. Sehr geehrter Herr
de Maizière und verehrte Kolleginnen und Kollegen, bei
diesem Thema platzt mir langsam der Kragen . Es ist nun
einmal so, dass man die Leute nicht abschieben kann, be-
vor das Verfahren abgeschlossen ist. So wird kein Schuh
draus .

Wir haben bereits im Koalitionsvertrag festgeschrie-
ben, dass wir eine Verfahrensdauer von drei Monaten an-
streben. Im letzten Jahr wurde uns jedes Vierteljahr von
Ihnen und vom Bundesamt auf die Frage, ob alle Mitar-
beiter an Bord seien, gesagt: Ja, das werden wir bis zum
Ende des Quartals schaffen. – Auf die Frage, ob die liegen-
gebliebenen Verfahren abgearbeitet sind, wurde gesagt:
Ja, das werden wir bis zum Ende des Quartals schaffen. –
Und auf die Frage, ob die Verfahren jetzt durchschnittlich
drei Monate dauern, wurde gesagt: Das werden wir bis
zum Ende des Quartals schaffen. – Jetzt erhalten wir die
Asylgeschäftsstatistik, in der von einem Rückgang der
Antragszahlen um 71,5 Prozent und 333 000 anhängigen
Verfahren – Stand Februar – die Rede ist.

Sehr geehrter Herr Minister, das kann so wirklich nicht
bleiben . Dieser Gesetzentwurf erweckt mal wieder den
Eindruck, als seien die Leute, die zu uns kommen, schuld
an allen Problemen, weil sie täuschen, tricksen und sich
nicht richtig verhalten. Wir müssen diese Verfahren in
Ordnung bringen . Das ist der Dreh- und Angelpunkt . Nur
dann können auch die Abschiebungen funktionieren .


(Beifall bei der SPD)


Vernünftige Verfahren heißt, dass wir eine angemesse-
ne Verfahrensdauer brauchen, und zwar nicht gemessen
zwischen Beginn und Ende des Verfahrens, sondern ab
dem Zeitpunkt, zu dem die Leute über die Grenze kom-
men. Wir müssen die Rechtsberatung in die Verfahren in-
tegrieren . Stand letztes Jahr hatten wir 150 000 bei den
Gerichten anhängige Verfahren. Das ist doch kein Zu-
stand. Das führt doch zu immer weiteren Verzögerungen.

Ich bin dafür – jetzt komme ich zur Kritik der Ver-
bände –, dass die Menschen so lange in den Erstaufnah-
meeinrichtungen verbleiben, solange ihr Verfahren läuft,
und nur verteilt werden, wenn klar ist, dass sie hier eine
Bleibeperspektive haben . Alles andere macht doch gar
keinen Sinn . Die Menschen reißen sich ein Bein aus,
werden Patinnen und Paten, sorgen für Wohnungen, sor-

gen für Ausbildungsplätze, kümmern sich darum, dass
die Integration vor Ort funktioniert, und rums werden die
Leute woandershin verteilt oder müssen das Land wieder
verlassen . Das ist nicht sinnvoll . Deswegen ist es ver-
nünftig, zu sagen: Solange die Verfahren laufen, sind die
Menschen an einem Ort, wo zentral alles für sie getan
wird. Das geht aber nur, wenn wir eine Verfahrensdauer
von drei Monaten haben .


(Beifall bei der SPD – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie aber nicht!)


Die Verbände fragen: Wo sind die Räumlichkeiten,
in denen derjenige, der zur Schule geht, lernen kann?
Wie sieht es mit der Privatsphäre aus? Wie sieht es mit
dem Zugang zu Freizeitangeboten, mit Teilhabeangebo-
ten aus? – Dazu sage ich: Ja, auch das muss in diesen
Erstaufnahmeeinrichtungen gewährleistet werden . Das
ist kein Argument dafür, dass die Leute sofort im Land
verteilt werden müssen .

Im Übrigen: Wenn man gerade auf die Abschiebungen
schaut, die schon stattgefunden haben, ist es ja so, dass
sich unter den Abgeschobenen viele Menschen befinden,
die schon viele, viele Jahre hier in Deutschland ansässig
sind, die zum Teil über einen Arbeitsplatz verfügen, die
ihren eigenen Lebensunterhalt finanzieren können und
die angefangen haben, unsere Sprache zu lernen . Ich bin
der Auffassung, wenn wir zu einer härteren Gangart bei
den Ausweisungen kommen, wie es gefordert ist, dann
sollten wir auch Wege eröffnen, sodass diejenigen, die
schon lange hier sind und die schon begonnen haben,
sich zu integrieren, hier in diesem Land auch eine Blei-
beperspektive haben . Alles andere macht keinen Sinn .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dazu zählen im Übrigen auch die sogenannten Dub-
lin-Fälle . Im Moment ist es so, dass die eine Abteilung ver-
sucht, Leute, die schon sehr lange hier sind, wieder zurück
nach Italien und bald auch nach Griechenland zu bringen .
Die nächste Abteilung an Beamten ist händeringend darum
bemüht, Leute aus Italien und bald auch aus Griechenland
nach Deutschland zu bringen . Wir bringen Leute zurück,
die angefangen haben, sich hier zu integrieren, und wir ho-
len uns wieder Leute, die hier bei null anfangen . Das ist
doch ein neues Kapitel im Roman zu Schilda, das macht
keinen Sinn. Ein solches Verfahren müssen wir unbedingt
beenden, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD)


Also, wir sind in der Passionszeit . Wenn man die Pas-
sion hört, dann ist da der Ruf des Volkes: „Kreuziget
ihn!“ Da sind wir heute weiter . Heute ruft man nur nach
einem neuen Gesetz . Das ist natürlich ein Fortschritt . Ob
jedes Gesetz ein Fortschritt ist, ist damit noch nicht ge-
sagt . In jedem Fall gilt: Die Gesetze, die wir haben, und
die Gesetze, die wir jetzt verabschieden, muss man kon-
sequent umsetzen, und dazu rufe ich Sie auf . Das ist das
Allererste, was wir tun müssen .

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)


Dr. Lars Castellucci






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822507000

Als nächste Rednerin spricht Luise Amtsberg für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822507100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Ich möchte erst einmal et-
was Grundlegendes zu diesem Gesetzgebungsverfahren
sagen, weil es ja mittlerweile schon schlechte Tradition
dieser Bundesregierung und mit ihr leider auch der Frak-
tionen der Großen Koalition ist, sich eben nicht mehr
sorgfältig mit der Asylpolitik auseinanderzusetzen . Das
ist nicht nur für das Parlament eine Belastung; es ist auch
eine Belastung für die Behörden, die das alles ausführen
müssen. Es ist eine Belastung für die flüchtlingssolidari-
sche Zivilgesellschaft, für die NGOs, vor allen Dingen
aber auch, verehrte Kolleginnen und Kollegen, für die
Geflüchteten selbst.

Diesem Gesetzentwurf ist ein Beschluss der Minis-
terpräsidentenkonferenz vorausgegangen . Der Referen-
tenentwurf aus dem Bundesinnenministerium kam kei-
ne Woche später . Die Länder hatten noch nicht einmal
zwei Tage Zeit zur Stellungnahme . Jetzt soll das Gesetz
schnellstmöglich verabschiedet werden . Eine sorgfältige
Auseinandersetzung des Bundestages mit diesen Vor-
schlägen ist also kaum möglich; das ist meines Erachtens
offensichtlich. Gestern haben wir im Innenausschuss eine
Expertenanhörung für nächsten Montag beantragt, und
dies, obwohl wir erst heute die erste Lesung im Parla-
ment haben und bei diesem Gesetz – das kann ich schon
einmal vorwegnehmen – die Eilbedürftigkeit überhaupt
nicht zu erkennen ist. Meine Fraktion empfindet dieses
Vorgehen als extrem befremdlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir haben gestern hier in diesem Hohen Hause alle
zusammen unserem ehemaligen, aber auch unserem am-
tierenden Bundespräsidenten zugeklatscht, als beide an-
gemahnt haben, Demokratie und demokratische Spielre-
geln auch ernst zu nehmen, sie mit Leben, aber eben auch
mit Respekt zu füllen . Liebe Kolleginnen und Kollegen,
zu diesen demokratischen Spielregeln gehört aber eben
auch die parlamentarische Befassung mit Vorschlägen
der Bundesregierung . Weil wir Abgeordneten bei diesen
Abstimmungen unserem Gewissen unterworfen sind,
verpflichtet sind, gehört eben auch die Sorgfalt in einem
Gesetzgebungsverfahren dazu . Das kann ich hier leider
Gottes nicht erkennen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will nicht falsch verstanden werden: Es ist voll-
kommen in Ordnung, dass sich auch die Ministerpräsi-
denten gemeinsam mit der Bundeskanzlerin beraten und
Beschlüsse fassen . Wenn diese aber, in Gesetzesform
gegossen, anschließend im Galopp durch den Bundes-
tag gejagt werden, dann entwertet dies den Bundestag als
Gesetzgebungsorgan, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deshalb noch einmal der Appell vor allen Dingen an
die SPD: Widersetzen Sie sich, wenn schon nicht in-
haltlich, dann zumindest wegen der Form! Ich möchte
nur noch einmal daran erinnern, dass das Asylpaket II
ein ähnliches Verfahren hatte. In seiner Folge sind jetzt
Zehntausende Flüchtlinge von der Beschränkung beim
Familiennachzug betroffen. Gerade Sie, liebe Sozialde-
mokraten, beteuern doch jetzt, dass Ihnen diese Folge
damals überhaupt nicht klar gewesen sei . Also machen
Sie bitte nicht noch einmal denselben Fehler; denn dieses
vorliegende Gesetz versteckt eben auch eine ganze Reihe
von Tücken für die Rechte von allen Schutzsuchenden in
Deutschland .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zum Inhalt: Es zielt vor allen Dingen darauf ab, die
Ausreisen und Abschiebungen zu beschleunigen . Was
dieser Gesetzesvorschlag dabei aber völlig außer Acht
lässt, ist, wie gut viele Menschen trotz ihres unsicheren
Aufenthalts in Deutschland bereits integriert sind . Ein-
zelne Regelungen des Entwurfs zielen auf die Verhinde-
rung eines effektiven Rechtsschutzes. Herr Bundesinnen-
minister, Sie haben gerade noch angemahnt, wie wichtig
dieser Schutz ist .

In dem Gesetzentwurf steht, dass Personen, die lange
in Deutschland geduldet gelebt haben, eben künftig nicht
mehr über anstehende Abschiebungen informiert werden
sollen . Sie werden in eine dauerhafte Unsicherheit ver-
setzt, und es soll für Personen gelten, die an ihrer eigenen
Ausweisung trotz zumutbarer Anforderungen nicht mit-
gewirkt haben. Der Begriff „zumutbare Anforderungen“
wird überhaupt nicht definiert oder konkretisiert.

Der ohnehin von uns kritisierte Ausreisegewahrsam
ohne richterliche Zustimmung wird auf zehn Tage erhöht .

Das geplante Auslesen von Handys durch das Bundes-
amt für Migration und Flüchtlinge – das wurde schon an-
gesprochen – kann letztendlich auch die privatesten Da-
ten von Geflüchteten umfassen. Bei der Frage, wie weit
Behörden dabei gehen können, gibt es überhaupt keine
Konkretisierung. Meine Fraktion findet aber, dass die
strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum
Schutz der Privatsphäre eben nicht nur für Deutsche gel-
ten, sondern für alle Menschen in Deutschland .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Geflüchtete sollen künftig noch länger in Sammel-
und Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden .
Weil die Gruppe, die es betreffen soll, im Gesetzestext
nicht klar definiert und umrissen ist, droht dies auch Kin-
dern und ihren Familien . Wenn sie dauerhaft in Erstauf-
nahmeeinrichtungen untergebracht werden, dann wäre
einer großen Zahl von Kindern der Zugang zur Schule
verwehrt . Es geht noch weiter: Unbegleitete minderjähri-
ge Flüchtlinge werden künftig schneller in Asylverfahren
gedrängt, anstatt endlich eine qualifizierte Rechtsbera-
tung für diese besonders schutzbedürftige Gruppe vorzu-
schalten . In meinen Augen haben wir hier eine besondere
Verpflichtung. Dieser kommt der Gesetzentwurf über-






(A) (C)



(B) (D)


haupt nicht nach . Deswegen können wir ihm in dieser
Form nicht zustimmen .

Herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822507200

Dr . Stephan Harbarth hat als nächster Redner das Wort

für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Stephan Harbarth (CDU):
Rede ID: ID1822507300

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Kolleginnen und Kollegen! Ich bin der festen
Überzeugung: Mit dem Gesetz, über das wir heute disku-
tieren, legen wir einen wichtigen Entwurf vor zur Verbes-
serung der inneren Sicherheit in diesem Land, zur Ver-
besserung des Schutzes vor islamistischen Anschlägen,
aber auch zur Verbesserung der Ausreisepraxis derer, die
in Deutschland keinen Schutzstatus haben . Allein mit der
Pflicht zur freiwilligen Ausreise werden wir nicht weiter-
kommen . Wir müssen – Thomas de Maizière hat es un-
terstrichen – dort, wo keine freiwillige Ausreise erfolgt,
die Ausreisepflicht auch mit Zwang durchsetzen. Wenn
wir es hinnehmen, dass geltendes Recht breitflächig nicht
vollzogen wird, dann werden wir das Vertrauen der Men-
schen in den Rechtsstaat untergraben, und wir werden
ihre Unterstützung verlieren, wenn es um die Aufnahme
von Schutzbedürftigen geht .

Für uns als Union ist klar: Wer Schutz braucht, der
soll diesen Schutz auf Zeit in Deutschland auch bekom-
men . Deshalb ist genau das Gegenteil dessen richtig, was
Sie, Frau Pau, vorhin ausgeführt haben . Es ist falsch: Wir
schaffen mit dem Gesetzentwurf kein feindseliges Kli-
ma gegen Migranten und Schutzsuchende, sondern wir
schaffen die Voraussetzung dafür, dass die gesellschaftli-
che Akzeptanz für diejenigen erhalten bleibt, die tatsäch-
lich Schutz benötigen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dagmar Ziegler [SPD])


Bei den Rückführungen geht es um ein ganz klares
Signal zur Begrenzung von Zuwanderung . Nur in dem
Maße, in dem ausreisepflichtige Ausländer unser Land
verlassen, wird deutlich, wer nicht schutzbedürftig ist .
Wer in Deutschland einen Asylantrag stellt, obwohl er
keine Aussicht auf einen Aufenthalt hat, sollte sich am
besten erst gar nicht auf den Weg in unser Land machen .
Unser prioritäres Ziel in der Union heißt: Zuwanderung
steuern, Zuwanderung begrenzen . Wer ein Bleiberecht
hat, darf auf Zeit bleiben . Wer kein Bleiberecht hat, muss
zeitnah in seine Heimat zurückkehren .

Wir möchten im parlamentarischen Verfahren von-
seiten der Unionsfraktion auch an anderer Stelle noch
einmal um Unterstützung werben. Zur finanziellen Un-
terstützung derer, die nach Deutschland kommen, geben
wir jedes Jahr viele Milliarden Euro aus . Diese vielen
Milliarden Euro geben wir nicht nach dem Prinzip aus,
dass sich jeder einfach nehmen kann, was er gerne hätte,

sondern nach klar festgelegten Regeln, nach klar festge-
legten Sätzen . Der allergrößte Teil der Asylbewerber hält
sich daran . Wir sind in den vergangenen Wochen aber
immer wieder auch mit Berichten über Asylbewerber
konfrontiert worden, die sich Sozialleistungen erschlei-
chen . Wenn etwa ein Sudanese mit sieben verschiedenen
Identitäten in Deutschland unterwegs ist und ein Mann
aus Eritrea mit vier verschiedenen Identitäten, dann hat
dafür niemand Verständnis. Diese Fälle haben aber eines
gemeinsam: Sie haben im Augenblick keine aufenthalts-
rechtlichen Konsequenzen . Deshalb möchten wir dafür
werben, dass Sozialbetrug künftig auch klare ausländer-
rechtliche Konsequenzen hat .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dazu gehört erstens, dass wir die strafrechtliche Hür-
de absenken wollen, bei der jemand aus dem Asylverfah-
ren ausgeschlossen wird . Dazu gehört zweitens, dass wir
uns auch noch einmal das Ausweisungsrecht ansehen .
Bei bestimmten Delikten wie etwa Angriffen gegen das
Leben, gegen die körperliche Unversehrtheit oder gegen
das Eigentum kann der Weg zum Ausschluss aus dem
Asylverfahren bereits ab einer Freiheitsstrafe von einem
Jahr eröffnet sein. Der Sozialbetrug fällt bisher nicht un-
ter diese Regelungen . Das sollten wir korrigieren, um
ein ganz klares Signal zu senden: Wer unseren Schutz
benötigt, der kann in Deutschland Schutz und auch fi-
nanzielle Zuwendungen bekommen; aber wer unserem
Land auf der Nase herumtanzen will, dem werden wir
mit Entschiedenheit entgegentreten . – Dafür werden wir
als Unionsfraktion auch im parlamentarischen Verfahren
noch einmal werben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, der Herr Innenminister hat
unterstrichen, dass es bei diesem wichtigen Gesetz nicht
„nur“ um die Rückführung von Migranten geht, sondern
es geht um eine ganze Reihe von wichtigen Maßnahmen
zur Verhinderung weiterer islamistischer Terroranschlä-
ge in Deutschland. Darunter befinden sich auch Maß-
nahmen, die Thomas de Maizière bereits im August des
vergangenen Jahres vorgeschlagen und zu denen er be-
reits im Oktober des vergangenen Jahres, weit vor dem
schlimmen Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz,
entsprechende Gesetzentwürfe vorgelegt hatte .


(Zuruf von der CDU/CSU: Ganz genau!)


Lange Zeit war Thomas de Maizière, lange Zeit war
unsere Fraktion bei diesem Thema der einsame Rufer
in der Wüste . Ich glaube, es ist wichtig, dass kluge Si-
cherheitspolitik nicht nach dem Grundsatz „Aus Schaden
wird man klug“ verfährt, sondern dass gute Sicherheits-
politik nach dem Grundsatz verfährt, Gefahren richtig
einzuschätzen und im Vorfeld zu handeln. Deshalb wäre
es besser gewesen, wenn wir in der Koalition bereits im
vergangenen Jahr die Unterstützung dafür bekommen
hätten und nicht erst nach den Geschehnissen auf dem
Berliner Breitscheidplatz .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, die Erweiterung der Ab-
schiebehaft für ausreisepflichtige Ausländer, von denen
eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder

Luise Amtsberg






(A) (C)



(B) (D)


bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht,
ist wahrlich keine Marginalie . Die Zahl dieser Gefährder
ist alles andere als gering . Derzeit geht die Polizei in den
Bundesländern davon aus, dass wir mehr als 100 ausrei-
sepflichtige Ausländer haben, bei denen zu befürchten
steht, dass sie sich an politisch motivierten Straftaten von
erheblicher Bedeutung beteiligen und eine feste Funktion
in der islamistischen Szene einnehmen . Wir müssen ge-
gen diesen Personenkreis in aller Konsequenz vorgehen .
Dazu leistet der vorgelegte Gesetzentwurf einen wichti-
gen Beitrag .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ja? Sagen Sie doch mal konkret, wie!)


Ich danke dem Bundesinnenminister, freue mich auf
die parlamentarischen Beratungen und bin überzeugt,
dass wir hiermit einen wichtigen Schritt zur Verbesse-
rung der Situation im Bereich der Ausreise abgelehnter
Ausländer, aber auch zur Bekämpfung des islamistischen
Terrorismus machen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822507400

Dr . Sebastian Hartmann hat als Nächster für die

SPD-Fraktion das Wort . – Ohne „Dr .“ .


(Beifall bei der SPD)



Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1822507500

Sehr geehrte Frau Präsidentin, auch aufgrund schlech-

ter Erfahrungen hier im Plenum: Die Promotion ist in
meinem Fall nicht zutreffend.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1822507600

Ich habe mich schon korrigiert .


Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1822507700

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte

das, was verschiedene Vertreter hier im Plenum bereits
angesprochen haben, aufgreifen . Es ist auf den Fall Anis
Amri und den Anschlag am Breitscheidplatz Bezug ge-
nommen worden . Aber wir stehen auch unter dem Ein-
druck des Attentats, das sich gestern in der Nähe des Par-
laments in London ereignet hat . Wir haben im Fernsehen
Opfer, Verletzte und traurige Bilder gesehen. Wir sind
schockiert und verurteilen dieses abscheuliche Handeln .

Die Attentate, die uns jeden Tag über die sozialen Me-
dien erreichen, haben alle ein Ziel: Sie sollen uns ängs-
tigen, uns zu bestimmten Handlungen veranlassen und
damit zu einer Veränderung unserer Denk- und Lebens-
weise führen . Es ist richtig, dass wir angesichts der Ge-
walt und der Taten, die wir an vielen Stellen der Welt er-
leben – im Übrigen auch in der Türkei oder im Irak, nicht
nur in Belgien oder in Großbritannien –, gegenüber den
wehrlosen Opfern nicht abstumpfen oder gar gleichgültig
werden, sondern dass uns das bewegt . Es ist für einen

demokratischen Rechtsstaat wichtig, dies deutlich zu ma-
chen . Aber wir müssen in aller Klarheit und aller Deut-
lichkeit auch sagen, dass die Terroristen das genaue Ge-
genteil dessen erreichen, was sie erreichen wollen . Denn
der demokratische, freie Rechtsstaat ist nicht schwach; er
ist stark . Unsere Gesellschaft ist zwar nicht immun gegen
Angst und Terror, aber wir sind mutig . Wir sind Demo-
kraten und handeln – das ist ganz wichtig – stets auf der
Basis von Recht und Gesetz, und wir stellen uns auch
unserer internationalen und humanitären Verantwortung.
Das werden wir hier immer zu unserer Linie machen und
auch durchhalten .

Unser Bundeskanzler Helmut Schmidt formulierte das
so:

Sie

– die Terroristen –

wollen den demokratischen Staat und das Vertrauen
der Bürger in unseren Staat aushöhlen . . . . Der Staat
muss darauf mit aller notwendigen Härte antworten .

Helmut Schmidt sagte uns auch: „Jeder weiß, dass es
eine absolute Sicherheit nicht gibt“, und er sagte, es
sei genauso klar: „Der Terrorismus hat auf Dauer keine
Chance“ .

Meine Damen und Herren, es bleibt das Ziel all unse-
ren Handelns, größtmögliche Sicherheit zu organisieren
und alles für einen starken und handlungsfähigen Rechts-
staat – ich betone: Rechtsstaat – zu tun .

Ich glaube, dass wir angesichts der Diskussionen und
der notwendigen Gesetzesänderung, die wir jetzt vorneh-
men, eines noch einmal an den Anfang stellen müssen:
Deutschland ist eines der sichersten Länder dieser Welt,
und daran wird sich nichts ändern . Hierfür haben wir ge-
handelt, und hierauf können wir stolz sein .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es bleibt auch richtig: Damit das so bleibt, haben wir
eine Vielzahl von Gesetzen angepackt und Veränderun-
gen vorgenommen. Die Verbesserung der Videoüberwa-
chung wurde hier mit breiter Mehrheit beschlossen . Wir
haben ein Gesetz zum Schutz unserer Einsatzkräfte und
vieles mehr beschlossen, wir gehen gegen die organisier-
te Kriminalität vor, und wir verbessern den Informations-
austausch . All das haben wir getan .

Daneben haben wir den Stellenausbau vorangetrie-
ben und entgegen dem alten Mantra der Neoliberalen
gehandelt, Stellen abzubauen und den Staat mit wenigen
Stellen schwach zu machen . Nein, wir haben gesagt: Wir
wollen mehr Stellen in Polizei- und Sicherheitsbehörden
haben . Auch das haben wir getan .


(Beifall bei der SPD – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie auch noch zum Gesetzentwurf?)


Dr. Stephan Harbarth






(A) (C)



(B) (D)


Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden wir zu
zwei Punkten kommen . – Lieben Dank, Frau Kollegin
Amtsberg .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich wollte Sie nur daran erinnern! Acht Minuten sind auch endlich!)


Wir befinden uns am Anfang des Gesetzgebungsverfah-
rens, und man muss das manchmal auch entsprechend
einordnen dürfen .

Wir reden über die Gefahrenabwehr und eine verbes-
serte Durchsetzung des Aufenthaltsrechtes . Es ist wich-
tig, dass wir hier einen Unterschied machen und einem
bestimmten Fehler nicht erliegen . Es gibt nämlich einen
großen Unterschied zwischen einem Flüchtling und ei-
nem Terroristen. Der Flüchtling flieht vor dem Terro-
risten, und er wird nicht durch sein Flüchtling-Sein zu
einem Terroristen . Ganz viele der Flüchtlinge – 99,9 Pro-
zent – wollen Schutz vor dem Terror, und dem werden
wir weiterhin gerecht werden .


(Beifall bei der SPD)


Wir müssen hier aber auch unterscheiden . Es gibt eine
gewisse Zahl an hochgefährlichen Menschen, die zwar
vollziehbar ausreisepflichtig sind, die wir aber nicht ab-
schieben können . Darauf muss der Staat reagieren kön-
nen . Die Zahlen sind genannt worden, und wir werden
das in Zukunft mit diesem Gesetz auch tun können .

Eine Person darf bisher nur dann in Ausreisehaft ge-
nommen werden, wenn die Ausreise innerhalb von drei
Monaten realistisch ist, und ich wende mich jetzt auch
einmal an die Kolleginnen und Kollegen, die es sich mit
ihrer Argumentation vielleicht etwas einfach gemacht
haben .

Hier darf man nämlich einem Fehler nicht erliegen:
Es wird die Argumentationslinie aufgemacht, man hätte
den Herrn Anis Amri mal eben in Haft nehmen können,
obwohl man wusste, dass er nach dem Gesetz nicht in-
nerhalb der nächsten drei Monate abgeschoben werden
kann . Man muss sich hier bei der Argumentation ent-
scheiden . Hat man das Gesetz nicht entsprechend auf-
bereitet, sodass man ihn nicht in Haft nehmen konnte?
Dann muss man es heute ändern . Und man darf den ver-
antwortlichen Sicherheitsbehörden der Länder nachher
nicht unterstellen – dieser Vorwurf ist im Innenausschuss
ja auch gemacht worden –, man hätte das auf Verdacht
tun können . Nein, auch die Sicherheitsbehörden – die
Exekutive – sind stets an Recht und Gesetz gebunden .
Sie müssen sich aber, wie alle Mitbürgerinnen und Mit-
bürger in diesem Land, darauf verlassen können, dass
wir dann, wenn wir diese Lücken erkennen, das Gesetz
entsprechend anpassen, und darum geht es . Wir werden
das ausweiten .


(Beifall bei der SPD)


Es geht nicht darum, pauschal jeden Ausländer zu tref-
fen . Ein Asylverfahren kann damit ausgehen, dass man
Asyl oder ein Recht zum Aufenthalt erhält oder nicht .
Es gibt aber auch Menschen, die sich in unserem Land
nichts zuschulden kommen lassen und trotzdem abge-
schoben oder zur Ausreise bewegt werden müssen .

Herr Innenminister, wir werden der freiwilligen Rück-
kehr natürlich immer den Vorrang einräumen, damit wir
aufgrund der hohen Zahlen auch zu guten Ergebnissen
kommen . Unter denjenigen, die wir abschieben müssen,
gibt es aber eine kleine, genau identifizierbare gefährli-
che Gruppe, die wir uns anschauen müssen . Diese müs-
sen wir in den Fokus nehmen, wenn es darum geht, eine
Abschiebehaft zu verhängen . Wir müssen den Schutz der
Allgemeinheit sicherstellen und dafür sorgen, dass von
dieser Gruppe keine Gefahr für die körperliche Unver-
sehrtheit und das Leben der Menschen ausgeht . Meine
Damen und Herren, ich glaube, das ist gut vertretbar . Da-
rauf können wir uns im Gesetzgebungsverfahren verstän-
digen .


(Beifall bei der SPD)


Es ist nicht so, wie immer unterstellt wird, dass man
eine pauschale Verschärfung einfach so vornimmt. Der
Deutsche Richterbund sagt hierzu:

Dies geschieht, indem weitere Sonderregelungen
für Ausländer geschaffen werden, von denen eine
Gefahr für die öffentliche Sicherheit sowie Leib und
Leben ausgeht . In Ansehung der erheblichen und
konkreten Gefahren, die sich in der jüngeren Ver-
gangenheit auch teilweise realisiert haben, stellen
wir diese rechtssystematischen Bedenken jedoch
zurück und stimmen den Regelungen zu .

Auch diejenigen, die bisher eine kritische Positionie-
rung zu bestimmten Fragen der Innenpolitik eingenom-
men haben, sagen: An dieser Stelle wird mit Augenmaß
gehandelt . Wir können dieser Gesetzesverschärfung
zustimmen . – Ich glaube, dass das dazu einladen sollte,
eine möglichst breite Mehrheit für diese Regelungen zu
schaffen, um die Menschen in unserem Land zu schüt-
zen . Dies gilt auch für die Menschen, die in jüngster Zeit
zu uns gekommen sind und Schutz vor Terror und Gewalt
suchen, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD)


Wir werden im Gesetzgebungsverfahren aber auch
kritische Punkte ansprechen müssen . Ja, jedem, der von
diesen Maßnahmen betroffen ist und möglicherweise in
Abschiebehaft genommen wird, muss der Rechtsweg
in allen Fällen offenstehen. Richtervorbehalte sind an-
gesprochen worden . Hier haben wir die Stellungnahme
des Bundesrates zur Kenntnis genommen . Wir stehen am
Anfang eines Gesetzgebungsverfahrens, in dem Anhö-
rungen folgen werden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dafür sind wir im
parlamentarischen Verfahren verantwortlich. Es ist unse-
re Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Deutschland so bleibt,
wie es ist: eines der sichersten Länder der Welt . Darauf
können sich die Menschen, liebe Mitbürgerinnen und
Mitbürger, auch auf den Tribünen, verlassen . Das ist un-
sere Aufgabe .

Danke .


(Beifall bei der SPD)


Sebastian Hartmann






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822507800

Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Volker Beck,

Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822507900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen

Sie mich eines vorwegschicken: Es wurde von Rednern
der Großen Koalition, zunächst vom Bundesinnenmi-
nister, betont – diese Auffassung teile ich –, dass viele
Menschen hierherkommen, die einen Aufnahmegrund
und damit einen Schutzanspruch haben, weil sie verfolgt
sind . Diesen Schutzanspruch wollen wir verwirklichen .
Wir müssen darauf achten – auch das möchte ich Ihnen
sagen –, dass das Bundesamt für Migration und Flücht-
linge nicht widerrechtliche Bescheide erstellt, durch die
bestimmte Verfolgungsschicksale ignoriert werden, und
dass diese Fehler erst im Rahmen der Rechtsprechung
korrigiert werden .

Es gibt aber auch Menschen, die hierherkommen und
Asyl beantragen, obwohl sie nicht verfolgt werden und
keinen Grund haben, hierzubleiben . Wir sind uns selbst-
verständlich einig, dass die Menschen, die keinen Grund
haben, hierzubleiben, das Land verlassen sollen und
müssen . Wir können und sollen rechtsstaatlich alles tun,
was dies befördert .

Der Dissens zeigt sich da, wo es um Regelungen geht,
die an der Verfassungswidrigkeit vorbeischrammen, oder
wo wir über rein symbolische Rechtspolitik reden . Ge-
nau das machen Sie hier . Sie tun so, als ob Sie auf den
schrecklichen Anschlag auf dem Breitscheidplatz, auf
den Fall Amri, rechtspolitisch reagieren würden . Ich habe
erstmals nach Ihrer Rede, Herr Castellucci, verstanden,
warum Sie diesen komischen Regelungsvorschlägen zu-
stimmen wollen: Sie wollen den Eindruck erwecken, es
sei gar nichts schiefgelaufen, es sei alles wunderbar ge-
wesen, und es hätte nur an Gesetzen gefehlt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es hat aber nicht an Gesetzen gefehlt, sondern an Koope-
ration und an konsequenter Anwendung des geltenden
Rechts .

Natürlich ist der Fall Amri nach § 2 Absatz 14 Ziffern
1 bis 3 des Aufenthaltsgesetzes einschlägig. Die Voraus-
setzungen zur Verhängung von Abschiebungshaft haben
in diesem Fall eindeutig bestanden . Es gab aber keinen
Informationsaustausch, in dessen Verlauf man hätte sa-
gen können: Angesichts der Voraussetzungen wenden
wir dieses Gesetz an, weil die Abschiebungshaft in die-
sem Fall sinnvoll ist .


(Dr . Johann Wadephul [CDU/CSU]: Wer regiert noch mal in Nordrhein-Westfalen?)


Die Frage, die sich dann im Fall Amri stellt – an die-
sem Dilemma ändern Sie mit Ihren Regelungen zur Ge-
fährderhaftung überhaupt nichts –, ist, ob die Vorausset-
zungen für Abschiebungshaft nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts gegeben sind . Abschie-
bungshaft ist nach der Rechtsprechung des Bundesver-
fassungsgerichts nur dann zulässig – sie ist eben keine
Strafhaft, und es gibt im deutschen Recht auch keine
Präventivhaft –, wenn sie unmittelbar der Durchführung

einer Abschiebung dienlich ist . Deshalb ist der neue
Haftgrund, den Sie schaffen, rechtlich weiße Salbe, weil
damit dieses Dilemma in einem Rechtsstaat nicht aufge-
löst werden kann .

Ja, wir wollen jeden Gefährder loswerden; aber was
ein Gefährder ist, ist sehr schwer zu definieren. Am Ende
ist das eine Prognose in die Zukunft . Deshalb ist man in
den rechtlichen Einwirkungsmöglichkeiten beschränkt,
solange diese Leute keine konkreten Straftaten begangen
haben, sondern wir das nur glauben und ihnen zutrauen,
dass sie diese begehen .

Wenn Sie nach drei Monaten aufgrund der Voraus-
setzungen zu dem Ergebnis kommen, die Abschiebung
konnte nicht durchgeführt werden, dann wird Ihnen die
Verlängerung um weitere drei Monate, die Sie hier im
Gesetz schaffen, nicht viel helfen, weil die Rechtspre-
chung Sie korrigieren wird . Das Bundesverfassungsge-
richt wird am Ende darauf achten, dass jemand, der un-
schuldig ist, nicht einfach dauerhaft in Haft genommen
werden kann, wenn es keine Abschiebungsaussicht gibt .
Deshalb müssen Sie Ihre Hausaufgaben machen . Sie
müssen mit den Herkunftsländern reden, auf dass diese
die Betroffenen zurücknehmen. Das sind die Aufgaben;
aber an diesem Dilemma ändert dieser Gesetzentwurf
einfach kein Jota .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ähnlich absurd ist das bei Ihrer Fußfesselregelung .
Der Hersteller aus Israel selbst, Herr Leo Milstein, der
diese Sachen gern an uns verkauft, sagt, er habe den
Eindruck, dass die Deutschen nicht richtig verstanden
hätten, wo man Fußfesseln anwenden kann . Im Rahmen
der Bewährungsauflage haben die Delinquenten selber
ein Interesse, statt in Haft zu bleiben, in die Freiheit, zur
Familie, zur Arbeit zu kommen und sind deshalb koope-
rationswillig . Wie will man die islamistisch motivierte
Person dazu motivieren, hier zu kooperieren? Sie hat
doch ein gegenläufiges Interesse. Die Praxis hat es tra-
gischerweise vor Augen geführt: Bei dem Attentat von
Saint-Étienne-du-Rouvray trug einer der beiden Attentä-
ter eine Fußfessel . Dieses Attentat konnte damit nicht
verhindert werden . Selbst Ihr eigenes BKA sagt Ihnen,
dass das, was Sie hier vorhaben, nicht geeignet ist .

Deshalb: Lassen Sie uns das im Ausschuss noch ein-
mal gründlich anschauen . Wir sollten bei den Bürgern
nicht den Eindruck erwecken, dass man mit Drucker-
schwärze in Gesetzen Terrorismus wirklich wirksam be-
kämpfen kann . Wir wollen alle gemeinsam –


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822508000

Herr Kollege .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822508100

– ich komme zum Schluss –, dass die, die nicht hier

sein dürfen, gehen müssen, und wir wollen alles für die
Sicherheit unseres Landes tun .


(Sebastian Hartmann [SPD]: Sehr gut!)







(A) (C)



(B) (D)


Ein Beitrag zu diesen beiden Zielen ist dieser Gesetzent-
wurf sicherlich nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822508200

Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Stephan Mayer

für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Stephan Mayer (CSU):
Rede ID: ID1822508300

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Zunächst einmal zu Ih-
nen, lieber Kollege Castellucci, nachdem Sie so freund-
lich waren, mein klares Plädoyer für eine härtere Gangart
in Sachen Abschiebungen zu erwähnen: Sie haben in ei-
nem Punkt recht . In diesem Jahr, in den ersten zwei Mo-
naten, liegt Bayern nicht ganz an der Spitze der Bundes-
länder, was das Thema Abschiebungen anbelangt . Aber
was Sie geflissentlich unterschlagen haben, zu erwähnen,
ist, dass beispielsweise das Land Nordrhein-Westfalen,
das in diesem Jahr schon etwas mehr Personen abge-
schoben hat als Bayern, fast fünfmal so viele ausreise-
pflichtige Personen im Land hat, die mit einer Duldung
versehen sind. Knapp 48 000 Personen befinden sich im
Land Nordrhein-Westfalen, die an sich das Land heute
verlassen müssten, aber mit einer Duldung versehen sind .
In Bayern sind es nur etwas mehr als 10 000 Personen .
Um es auf Deutsch und klar zu sagen: Es ist keine Kunst,
in der Zahl der Abschiebungen etwas über Bayern zu lie-
gen, wenn man in den letzten Jahren das Thema Abschie-
bungen total verpennt hat,


(Beifall bei der CDU/CSU)


wenn man wie die nordrhein-westfälische Landesregie-
rung über Jahre hinweg das Thema Abschiebungen stief-
mütterlich behandelt hat .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Der kommt aus Baden-Württemberg! Der kommt gar nicht aus NRW!)


Herr Kollege Castellucci, ich habe aber auch eine gute
Botschaft für Sie: Seitdem in Ihrem Heimatbundesland
wieder ein CDU-Landesinnenminister das Sagen hat,
sind zumindest die Abschiebungen in Baden-Württem-
berg innerhalb der letzten zwölf Monate deutlich gestie-
gen . Das ist ein gutes Signal .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir
haben heute endlich die erste Lesung dieses wichtigen
Gesetzes . Ich sage deshalb „endlich“, weil zur Wahrheit
auch gehört, dass dieser Gesetzentwurf nicht nur die
Konsequenz und die Schlussfolgerung der Erfahrungen
des Anschlags vom Breitscheidplatz ist, sondern dass ein
Großteil dieses Gesetzes auf Vorschläge des Bundesin-
nenministers zurückgeht, die er am 11 . August letzten
Jahres gemacht hat, nach den Anschlägen von Ans-
bach, Würzburg und München . Dazu gehört auch, dass
ein Großteil der Inhalte dieses Gesetzentwurfs bereits
Anfang Oktober letzten Jahres in einen Gesetzentwurf
eingeflossen ist, der zum Beispiel den besonderen Haft-

grund für Gefährder und die Verlängerung des Ausreise-
gewahrsams auf zehn Tage vorgesehen hat .

Leider hat unser Koalitionspartner diesem Gesetzent-
wurf bislang nicht zustimmen können . Das ist die bedau-
erliche Nachricht . Die gute Nachricht ist, dass wir heute
endlich die erste Lesung haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, er-
lauben Sie mir, darauf gerade in Zeiten hinzuweisen, in
denen der neue SPD-Vorsitzende wie vor wenigen Wo-
chen in einer bemerkenswerten Rede sinngemäß behaup-
tet, die Gefährdungssituation in Deutschland sei deshalb
so prekär, weil die Union den Bundesinnenminister stellt,
und es weitaus besser wäre, wenn endlich die SPD wie-
der den Bundesinnenminister stellen würde .


(Beifall bei der SPD – Sebastian Hartmann [SPD]: Wo er recht hat, hat er recht!)


Eine klare Antwort von mir darauf: Garant für die innere
Sicherheit ist die CDU/CSU . In Sachen Innenpolitik und
in Sachen Sicherheitspolitik macht uns, der CDU/CSU,
niemand etwas vor .


(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Letztendlich würde das auf das Gleiche hinauslaufen! – Gegenruf des Abg . Sebastian Hartmann [SPD]: Da hat er also doch recht!)


Es ist richtig, dass mit diesem Gesetzentwurf die
Voraussetzungen dafür erleichtert werden, dass ausrei-
sepflichtige Personen, von denen eine unmittelbare Ge-
fahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht,
schneller außer Landes gebracht werden können . Um
auch das einmal klar zu sagen: Wir haben in Deutschland
ungefähr 150 Personen der Preisklasse von Anis Amri,
entweder Gefährder oder relevante Personen, die aus-
reisepflichtig sind, sprich: die unser Land jetzt verlassen
müssten, dies aber nicht tun, weil sie sich renitent ver-
halten und weil sie bei der Identitätsfeststellung oder bei
der Passersatzbeschaffung nicht mitwirken. Es ist richtig,
dass wir jetzt einen eigenen Haftgrund für diese ausreise-
pflichtigen Personen schaffen.

Lieber Herr Kollege Hartmann, Sie haben darauf hin-
gewiesen, dass möglicherweise ein Widerspruch dazu
besteht, dass wir richtigerweise behaupten, dass das Land
Nordrhein-Westfalen schon von der jetzigen Rechtslage
hätte Gebrauch machen können, indem man Anis Amri
im August letzten Jahres in Abschiebehaft hätte nehmen
können .


(Dr . Johannes Fechner [SPD]: Nicht „möglicherweise“!)


Das stimmt . Ich bin auch der festen Überzeugung, dass
es eine Unterlassung war, dass man Anis Amri nicht in
Abschiebehaft genommen hat. Denn die materiellen Vo-
raussetzungen dafür sind schon jetzt vorhanden .

Deswegen stimmt die Aussage, man hätte Anis Amri
in Abschiebehaft nehmen können . Aber genauso richtig
ist die Aussage, dass wir trotzdem gesetzliche Verbesse-
rungen vornehmen müssen, um es den Ausländerbehör-

Volker Beck (Köln)







(A) (C)



(B) (D)


den zu erleichtern, in derartigen Fällen die Abschiebehaft
zu beantragen. Denn die Vergangenheit hat leider ge-
zeigt, dass viele Ausländerbehörden vor diesem Antrag
zurückgeschreckt haben, weil nicht sicher war, dass sie
innerhalb von drei Monaten die konkrete Ausreise hätten
bewirken können . Ich möchte aber dazusagen, dass die-
se Dreimonatsfrist auf Fälle wie Anis Amri nicht zutrifft,
weil Anis Amri sich renitent verhalten und seine nicht
erfolgte Ausreise selbst verschuldet hat .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist deshalb richtig, dass wir diese deutlichen
Verschärfungen vornehmen. Wir haben derzeit über
213 000 ausreisepflichtige Personen in Deutschland. Vie-
le können deshalb nicht abgeschoben werden, weil ihre
Identität nicht zweifelsfrei festgestellt werden kann .

Ich möchte noch etwas zu dem Thema Auslesen des
Mobilfunkgeräts sagen. Ich habe überhaupt kein Ver-
ständnis für die aus meiner Sicht sehr künstliche Erre-
gung und Entrüstung über diese gesetzliche Änderung .
Es ist doch das Normalste in der Welt, dass man im
Notfall alle Möglichkeiten auch unter Hinzuziehung des
Handys nutzt, um die Identität einer Person festzustellen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dabei geht es nicht darum, meine lieben Kolleginnen und
Kollegen von der Opposition, in die Intimsphäre des Be-
troffenen einzudringen, sondern es geht zum Beispiel nur
darum, mit welchen Telefonnummern derjenige in der
Vergangenheit häufiger Kontakt hatte, sprich: Hat er mit
Tunesien telefoniert? Hat er mit Ägypten telefoniert? Hat
er mit Marokko telefoniert?

Es geht nicht darum, auf den Inhalt der Telekommu-
nikation bzw. der SMS-Nachrichten Zugriff zu nehmen,
sondern es geht schlichtweg nur darum, die Identität fest-
zustellen. Ich sage ganz offen: Ich habe kein Verständnis
dafür, dass der Großteil der Migranten, die derzeit zu uns
kommen, nicht über einen Pass verfügen, aber fast alle
über ein Handy .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb ist es aus meiner Sicht nur konsequent, dass wir
diese Handys zurate ziehen, um die Identität desjenigen
feststellen zu können .

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir
müssen und werden dieses Gesetzgebungsvorhaben in
der notwendigen Seriosität durchführen . Ich sage aber
am Ende meiner Rede sehr ernsthaft und bewusst dazu:
Gerade angesichts der immanent großen Bedrohungssi-
tuation, in der sich unser Land befindet, dürfen wir uns
nicht zu viel Zeit lassen . Ich habe bereits darauf hinge-
wiesen: Ein Großteil der Inhalte geht bereits auf einen
Gesetzentwurf vom Oktober letzten Jahres zurück . Des-
halb ermahne ich uns zu der gebotenen Zügigkeit und
Eile bei diesem wichtigen Gesetzgebungsvorhaben .

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822508400

Danke schön . – Als letzte Rednerin zu diesem Ta-

gesordnungspunkt hat jetzt die Kollegin Nina Warken,
CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Nina Warken (CDU):
Rede ID: ID1822508500

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Die vergangenen beiden Jahre waren für uns alle,
für unser Land und unsere Bürgerinnen und Bürger, eine
große Herausforderung . Hunderttausende Menschen aus
vielen Teilen der Erde haben in unserem Land Schutz
und Zuflucht gesucht. Für uns als Union ist klar: Als rei-
ches Land und als christliches Land wollen und werden
wir Menschen in Not helfen . Aber ebenso klar ist für uns,
dass wir die Not der Welt nicht allein mit den Mitteln
des deutschen Asylrechts werden beheben können . Des-
halb besagen das Grundgesetz und unsere Gesetze ganz
bewusst nicht, dass jeder Mensch auf der ganzen Welt
ein Recht darauf hat, in Deutschland zu leben . Unser
Asylrecht schert gerade nicht alle Menschen über einen
Kamm, sondern enthält ausdifferenzierte Regelungen
und nimmt den Einzelfall, den einzelnen Menschen und
seine individuelle Situation, in den Blick . Beim Bundes-
amt für Migration und Flüchtlinge wird deswegen nicht
nach Schema F entschieden, sondern mit Dolmetschern
und Gutachtern großer Aufwand betrieben, um in einem
rechtsstaatlichen Verfahren für jeden einzelnen Antrag
eine gerechte Entscheidung treffen zu können.

Weil es sich dabei oft um schwierige Abwägungsfra-
gen handelt und die Entscheidung für den Einzelnen eine
enorme Tragweite hat, ist es für uns als Rechtsstaat eine
Selbstverständlichkeit, dass man diese Entscheidung vor
Gericht überprüfen lassen kann . Jeder Flüchtling hat das
Recht, vor das Verwaltungsgericht zu ziehen, dann ge-
gen dessen Entscheidung Rechtsmittel einzulegen und
schließlich sogar eine Verfassungsbeschwerde zu erhe-
ben . Das ist ein Maß an Rechtsschutz, das auf der ganzen
Welt seinesgleichen sucht . Wenn aber dann am Ende eine
rechtskräftige Entscheidung steht, dann gilt sie, und zwar
auch dann, wenn sie irgendwelchen linken Aktivisten
nicht gefällt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich ist es richtig, den ausreisepflichtigen Menschen
Perspektiven in ihrer Heimat aufzuzeigen und finanzielle
Starthilfe anzubieten . Wenn jemand aber trotz alledem
nicht freiwillig zur Ausreise bereit ist, dann muss unser
Staat die Ausreisepflicht durchsetzen. Nur so erhalten
wir das Vertrauen in unseren Rechtsstaat und die gesell-
schaftliche Akzeptanz unseres Asylrechts aufrecht .

Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein weiterer klu-
ger Baustein in einer vernünftigen Flüchtlingspolitik .
Wenn wir die Zahlen sehen – es gibt gegenwärtig über
200 000 Ausreisepflichtige in unserem Land –, dann müs-
sen wir feststellen, dass Handlungsbedarf besteht . Wenn
wir etwa sehen, dass manch ein Geduldeter seine Rück-
führung gezielt hintertreibt, indem er falsche Angaben zu
seiner Person oder zu seiner Staatsangehörigkeit macht
oder bei der Ausräumung von Ausreisehindernissen nicht
mitwirkt, dann wissen wir, dass wir hier ansetzen und

Stephan Mayer (Altötting)







(A) (C)



(B) (D)


den Aufenthalt für diese Menschen räumlich einschrän-
ken müssen . Wer unsere Hilfe will, von dem können und
dürfen wir Ehrlichkeit und Mitwirkung erwarten, und das
müssen wir als Gesellschaft auch einfordern . Dies bedeu-
tet auch, dass ein Flüchtling nicht nur mit den Schultern
zuckt und sagt, er habe seinen Ausweis verloren, sondern
dass er den Behörden die Möglichkeit gibt, seine Anga-
ben zu überprüfen . Deshalb ist es in Zeiten der mobilen
Kommunikation sinnvoll und erforderlich, dass die Da-
ten auf Smartphones und anderen mobilen Datenträgern
überprüft werden . Daraus können sich Hinweise ergeben,
woher jemand tatsächlich kommt . Dass der vorliegende
Gesetzentwurf eine entsprechende Mitwirkungspflicht
der Asylbewerber vorsieht, ist deshalb folgerichtig . Das
unterstützen wir .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn die zuständigen Behörden die Erfahrung ma-
chen, dass sich manche Ausreisepflichtige ihrer Rückfüh-
rung entziehen, dann ist es genau der richtige Ansatz, die
Höchstdauer des Ausreisegewahrsams zu verlängern, so-
dass wir dieser Leute dann habhaft sind, wenn der Flieger
abhebt . Eines ist ganz klar: Obwohl wir besser geworden
sind, werden wir im bisherigen Tempo nicht vorankom-
men . Eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund und
Ländern ist notwendig . Während sich etwa die rot-grü-
ne Landesregierung in Schleswig-Holstein aus der Ver-
antwortung stiehlt und mit pauschalen Abschiebestopps
populistische Wahlkampfmanöver durchführt, verbessert
der Bund mit dem Gesetz die rechtlichen Rahmenbedin-
gungen für die Länder, und das ist richtig so .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bei alldem ist eines auch klar: Wer unter dem Deck-
mantel des Asylrechts nach Deutschland kommt, um hier
unsere innere Sicherheit zu gefährden, und wer damit die
große Mehrheit der friedlichen Flüchtlinge in Misskredit
bringt, dem zeigen wir klar die Rote Karte . Wir sind ein
offenes und ein hilfsbereites Land, aber wir sind auch ein
starker Staat, der die Sicherheit seiner Bürger zu schüt-
zen hat .

Genau aus diesem Grund erweitern wir die Möglich-
keit der Abschiebehaft für Gefährder, für Menschen, von
denen eine große Gefahr für Leib und Leben unserer Bür-
gerinnen und Bürger ausgeht . Solche Menschen wollen
wir nicht in unserem Land . Bis zu ihrer Abschiebung ge-
hören diese Leute nicht auf die Straßen unserer Städte,
sondern hinter Gitter .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Für die Fälle, in denen es für einen Haftbefehl nicht
ausreicht, schaffen wir die Möglichkeit der elektroni-
schen Fußfessel, damit unsere Behörden wissen, wo sich
diese Gefährder aufhalten, und damit die Gefährder wis-
sen, dass wir sie im Blick haben . Damit schützen wir un-
sere Bevölkerung, damit gewährleisten wir die Rückfüh-
rung, und damit senden wir ein ganz klares Signal, dass
wir einen Missbrauch unserer Freiheit nicht dulden wer-
den . Dieses Signal wollen wir heute mit diesem Gesetz-
entwurf setzen . Ebenso erwarten wir von den Ländern,
dass sie das Ihre tun und Recht und Gesetz umsetzen .

Wir, die Union, sind entschlossen, die vor uns liegen-
den Herausforderungen besonnen, vor allem aber auch
konsequent anzugehen . Ich lade Sie herzlich ein, das Ge-
setz zügig auf den Weg zu bringen .

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822508600

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Damit ist die Ausspra-

che beendet .

Zwischen den Fraktionen wurde vereinbart, den Ge-
setzentwurf auf Drucksache 18/11546 an die Ausschüsse
zu überweisen, die in der Tagesordnung aufgeführt sind .
Haben Sie dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das
ist nicht der Fall . Dann ist so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 k sowie
Zusatzpunkte 1 a bis 1 d auf:

34 . a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Modernisierung des Rechts der
Umweltverträglichkeitsprüfung

Drucksache 18/11499
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

b) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Abkommen vom 11. Juli 2016
zwischen der Regierung der Bundesrepu-
blik Deutschland und der Regierung der
Arabischen Republik Ägypten über die
Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich

Drucksache 18/11508
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Abkommen vom 26. September 2016
zwischen der Regierung der Bundesrepu-
blik Deutschland und der Regierung der
Tunesischen Republik über die Zusam-
menarbeit im Sicherheitsbereich

Drucksache 18/11509
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes
zur Änderung des Strafgesetzbuches –

Nina Warken






(A) (C)



(B) (D)


Stärkung des Schutzes von Vollstre-
ckungsbeamten und Rettungskräften

Drucksache 18/11547
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Gesundheit

e) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Abkommen vom 29. August 2016
zwischen der Bundesrepublik Deutsch-
land und Turkmenistan zur Vermeidung
der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet
der Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen

Drucksache 18/11557
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

f) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Abkommen vom 8. Dezember
2016 zwischen der Regierung der Bun-
desrepublik Deutschland und der Euro-
päischen Agentur für Flugsicherheit über
den Sitz der Europäischen Agentur für
Flugsicherheit

Drucksache 18/11558
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

g) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Gesetzes zur Verbes-
serung der personellen Struktur beim
Bundeseisenbahnvermögen und in den
Postnachfolgeunternehmen sowie zur
Änderung weiterer Vorschriften des Post-
dienstrechts

Drucksache 18/11559
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

h) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines … Ge-
setzes zur Änderung des Strafgesetzbu-
ches – Ausweitung des Maßregelrechts
bei extremistischen Straftätern

Drucksache 18/11584
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

i) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van

Aken, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE
Atomwaffen aus Deutschland abziehen
und Neustationierung stoppen
Drucksache 18/6808
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss

j) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Ralph Lenkert, Caren Lay, Herbert Behrens,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Abschaffung der Zeitumstellung
Drucksache 18/10697
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Petitionsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

k) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, Susanna
Karawanskij, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE
Einen armutsfesten gesetzlichen Min-
destlohn sicherstellen
Drucksache 18/11599
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie

ZP 1 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Ausführung der Anlage VI des Umwelt-
schutzprotokolls zum Antarktis-Vertrag
vom 14. Juni 2005 über die Haftung bei

(Antarktis-Haftungsgesetz – AntHaftG)

Drucksache 18/11529
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Anlage VI des Umweltschutzprotokolls
zum Antarktis-Vertrag vom 14. Juni 2005
über die Haftung bei umweltgefährdenden
Notfällen (Antarktis-Haftungsannex)

Drucksache 18/11530
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


c) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald
Ebner, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Einrichtung eines Bundesprogramms „Zu-
gang zu Land – Chancen für neue Betriebe
ermöglichen“

Drucksache 18/11601
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-
Schmeink, Dr . Harald Terpe, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Arzneimittelversorgung an Bedürfnissen
der Patientinnen und Patienten orientie-
ren – Heute und in Zukunft

Drucksache 18/11607
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie

Es handelt sich hierbei um Überweisungen im ver-
einfachten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .
Dann ist so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 35 a bis 35 h sowie
Zusatzpunkt 2 auf . Auch hier handelt es sich um die Be-
schlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Ausspra-
che vorgesehen ist .

Tagesordnungspunkt 35 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Neuordnung der Aufbewahrung von
Notariatsunterlagen und zur Einrichtung des
Elektronischen Urkundenarchivs bei der Bun-
desnotarkammer

Drucksache 18/10607

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/11636

Durch die Einrichtung eines Elektronischen Urkun-
denarchivs wird die Möglichkeit eröffnet, die Aufbewah-
rungsfrist für parallel in Papierform aufzubewahrende
Notariatsunterlagen zu verkürzen . Dies soll zu einer Ent-
lastung der angespannten Lagerkapazitäten bei Notaren,
Amtsgerichten und Staatsarchiven beitragen . Außerdem
wird die Zuständigkeit für die Verwahrung von Notari-
atsunterlagen nach Erlöschen des Amtes oder Verlegung
des Amtssitzes neu geregelt .

Darüber hinaus beinhaltet der Gesetzentwurf in der
Fassung des Ausschusses für Recht und Verbraucher-

schutz auch Änderungen des Rechtspflegergesetzes, des
Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in
den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit so-
wie der Grundbuchordnung .

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/11636, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf Drucksache 18/10607 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung mit den Stimmen aller Fraktionen angenom-
men .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist damit angenommen .

Tagesordnungspunkt 35 b:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der Bun-
desregierung

Siebte Verordnung zur Änderung der Außen-
wirtschaftsverordnung

Drucksachen 18/10829, 18/10924 Nr. 2.2,
18/11214

Der Ausschuss empfiehlt, die Aufhebung der Verord-
nung auf Drucksache 18/10829 nicht zu verlangen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke an-
genommen .

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses, Tagesordnungspunkte 35 c bis 35 h .

Tagesordnungspunkt 35 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 416 zu Petitionen

Drucksache 18/11422

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 416 ist einstimmig ange-
nommen .

Tagesordnungspunkt 35 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 417 zu Petitionen

Drucksache 18/11423

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 417 ist einstimmig ange-
nommen .

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Tagesordnungspunkt 35 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 418 zu Petitionen

Drucksache 18/11424

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 418 ist einstimmig ange-
nommen .

Tagesordnungspunkt 35 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 419 zu Petitionen

Drucksache 18/11425

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 419 ist gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke mit den Stimmen des Hauses im
Übrigen angenommen .

Tagesordnungspunkt 35 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 420 zu Petitionen

Drucksache 18/11426

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 420 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke
angenommen .

Tagesordnungspunkt 35 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 421 zu Petitionen

Drucksache 18/11427

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 421 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppo-
sition angenommen .

Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines … Ge-
setzes zur Änderung des Gesetzes über die in-
ternationale Rechtshilfe in Strafsachen

Drucksache 18/11140

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/11638

Mit diesem Gesetzentwurf soll die strafrechtliche
Zusammenarbeit mit Island und Norwegen verbessert
werden . Dazu werden die erforderlichen Ausführungsbe-
stimmungen zu dem Übereinkommen vom 28 . Juni 2006

zwischen der Europäischen Union einerseits und Island
und Norwegen andererseits geschaffen, um das Ausliefe-
rungsverfahren und den Durchlieferungsverkehr an das
innerhalb der Europäischen Union eingeführte Verfahren
des Europäischen Haftbefehls anzugleichen .

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/11638, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/11140 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung bei Enthal-
tung der Fraktion Die Linke angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zu-
vor angenommen .

Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

60 Jahre Römische Verträge

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Cem
Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen . – Bitte schön .


Cem Özdemir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822508700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich glaube, ich kann im Namen aller hier im Hause sa-
gen, dass unsere Herzen gegenwärtig bei den Menschen
in London sind . We stand together with you against this
barbarism . This horrible attack targeted a European capi-
tal and the response will be a European one .

Wie wir alle wissen, heißt der Bürgermeister von Lon-
don Sadiq Khan . Dies auch an die Adresse all derer, die
pauschal von Islamophobie sprechen oder – umgekehrt –
sich wünschen, dass Muslime in Europa keinen Platz ha-
ben . Beides ist absurd und hat mit der Realität Europas
Gott sei Dank nichts zu tun .


(Beifall im ganzen Hause)


Ohne dieses Europa wären wir heute nicht da, wo wir
sind . Das gilt für unser Land . Das gilt für meine Partei .
Das gilt aber auch für mich ganz persönlich . Dass wir
Grüne im Jahr 2017 mit einer ostdeutschen Protestantin
und einem anatolischen Schwaben an der Spitze in den
Bundestagswahlkampf ziehen, das wäre ohne Europa si-
cherlich nicht denkbar gewesen .

Die erste Osterweiterung der Europäischen Gemein-
schaft fand nicht etwa im Jahr 2004 statt, wie wir häufig
lernen und lesen, sondern bereits im Jahr 1989/90 . Der
Fall der Berliner Mauer und die deutsche Wiederverei-
nigung haben nicht nur unser Land, sondern auch den
ganzen Kontinent umgekrempelt – als ein Triumph für

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Freiheit, ein Triumph für Demokratie und ein Triumph
für offene Gesellschaften.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für sehr viele Menschen hat sich ein Fenster geöffnet: die
Möglichkeit, zu reisen, die Möglichkeit zu Bildung, die
Möglichkeit, selber zu entscheiden, welchen Beruf man
sich aussucht, die Möglichkeit, frei gewählt zu werden,
ohne dass der Staat dabei lenkend eingreift .

Das ist das Tolle an Europa: Es zeigt, dass man sich
der Welt öffnen und trotzdem seine eigene Identität als
Schwabe oder was auch immer bewahren kann . Ich kann
Schwabe sein, ich kann Deutscher sein, und ich kann Eu-
ropäer sein. Ich finde das großartig, und das fühlt sich
großartig an .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Überzeugte Europäerin aus der Uckermark zu sein,
schließt sich ebenso wenig aus, wie gleichzeitig leiden-
schaftlicher – ich weiß gar nicht, wie man das sagt –
Würselener und leidenschaftlicher Europäer zu sein .
Beides ist möglich .

Mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge vor
60 Jahren haben wir den Rahmen dafür geschaffen, dass
unsere Demokratie wachsen konnte . 60 Jahre Römische
Verträge, das heißt auch: 60 Jahre Miteinander statt Ge-
geneinander in Europa . Darauf, glaube ich, können wir
alle miteinander stolz sein; denn das ist ein riesiger
Schatz für unser Land .

Umso bedauerlicher ist allerdings, dass die Große Ko-
alition nicht bereit war, diesen feierlichen Anlass, wie wir
es uns gewünscht hätten, mit einer vereinbarten Debatte
zu begehen . Das wäre ein Signal gewesen, nach Euro-
pa und in unsere Gesellschaft hinein, wie wichtig uns
60 Jahre Römische Verträge sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich finde es sehr schade, dass Sie sich dazu nicht durchrin-
gen konnten .

Bei der letzten Debatte, die wir hier im Hause zu die-
sem Thema geführt haben – das war vor zwei Wochen –,
ging es um Europa, aber es ging auch um das Thema
Türkei . Das zeigt, glaube ich: Wenn man über Europa
spricht, dann ist man immer auch beim Thema offene Ge-
sellschaften . Als die Türkei der Demokratie den Rücken
zuwandte, da hat sie eigentlich de facto auch Europa den
Rücken zugewandt. Als die Türkei anfing, Minderheiten
und kritische Stimmen massiv auszugrenzen, da hat sie
sich de facto auch von Europa ausgegrenzt . Deshalb:
Wenn wir für offene Gesellschaften eintreten, dann treten
wir immer auch für Europa ein .

Sie haben vielleicht in Rom und in Krakau studiert,
Sie haben vielleicht eine Schwester in Lissabon, einen
Schwager in Bukarest, Sie haben vielleicht Kinder, die
ganz selbstverständlich zum Schüleraustausch nach Hel-
sinki, nach Paris gehen, Sie haben vielleicht Arbeitskol-
legen, die aus Budapest oder aus Paris zu uns gekom-
men sind . Aber zu dieser Selbstverständlichkeit muss
noch eine weitere gehören, nämlich dass Menschen, die

nicht studiert haben, Menschen, die in Ausbildung sind,
sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ebenfalls in
den Genuss Europas kommen. Deshalb finde ich es eine
großartige Idee, dass man allen zum 18 . Geburtstag ein
freies Interrail-Ticket anbietet . Das wäre ein praktischer
Beitrag dazu, dass wir alle Europa erfahren können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Stefan Liebich [DIE LINKE])


Viele hier im Haus wissen vielleicht noch aus eigener Er-
fahrung, wie das war und wie verändert man zurückge-
kommen ist, nämlich mit diesem europäischen Lebens-
gefühl .

Ich finde, wir können den Menschen in Europa gar
nicht dankbar genug sein, die sich beim Pulse of Europe
und an diesem Samstag beim March for Europe hoffent-
lich massenhaft versammeln und dieses Europa in die
Hand nehmen .

Meine Damen, meine Herren, ich will zum Schluss sa-
gen: Ich bin froh, dass wir in einem Land leben, wo wir
bei dieser Frage Konsens haben . Wünschen würde ich
mir allerdings, dass die Regierung auch Gebrauch davon
macht, dass eine Opposition da ist, die proeuropäisch ist .
Viele in Europa würden sich wünschen, dass sie eine Op-
position haben, die Europa nicht infrage stellt . Wir stehen
hinter Ihnen . Allein: Machen Sie was draus!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822508800

Vielen Dank. – Bevor ich dem Kollegen Frei für die

CDU/CSU-Fraktion das Wort erteile, möchte ich noch
einmal darauf aufmerksam machen, dass bei aller Be-
geisterung für Europa in der Aktuellen Stunde die Rede-
zeit maximal fünf Minuten beträgt – nicht minimal .

Herr Kollege Frei .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thorsten Frei (CDU):
Rede ID: ID1822508900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

60 Jahre Römische Verträge, das ist vor allen Dingen
ein Grund zur Freude. 60 Jahre Römische Verträge be-
deuten letztlich nichts anderes als 60 Jahre Friede und
Freiheit in Europa – und das auf einem Kontinent, der in
den vergangenen Jahrhunderten eher durch Kriege, Ver-
wüstung und Elend geprägt war . Noch jede Generation
hat es bei uns geschafft, das, was sie sich selber erarbei-
tet hatte, durch Kriege wieder zunichtezumachen . Auch
wenn man den Blick auf die aktuellen Geschehnisse rich-
tet – die Bedrohungen in der Welt, den Krisenbogen um
Europa herum –, wird deutlich, dass wir das Vermächtnis
der europäischen Gründerväter fortzuführen haben und
dass die Geschichte unseres Kontinents für uns auch Ver-
pflichtung sein muss.

Europa ist aber auch Prosperität und Wohlstand . Das
gilt nicht nur für uns Deutsche, die wir als Exportwelt-
meister in besonderem Maße vom Binnenmarkt profitie-
ren . Es gilt auch für viele andere Länder . Ich denke da-
bei etwa an die ost- und mitteleuropäischen Länder, die

Cem Özdemir






(A) (C)



(B) (D)


2004 zu uns gekommen sind und es innerhalb kurzer Zeit
geschafft haben, von 40 Prozent der durchschnittlichen
europäischen Wirtschaftsleistung auf 60 Prozent zu kom-
men . Man muss sich nur Polen anschauen: Dieses Land
konnte in den ersten zehn Jahren nach dem Beitritt die
Arbeitslosigkeit halbieren und das Bruttoinlandsprodukt
um 50 Prozent steigern . Das alles sind Beweise dafür,
wie wichtig Europa ist und wie substanziell die Fort-
schritte sind, die wir hier erzielen können . Umgekehrt
aber sehen wir gerade am Beispiel Polens, dass dies ein
Land ist, das in besonderer Weise auf die Legitimations-,
Sinn- und Handlungskrise Europas hinweist .

Letztlich machen die großen Probleme, mit denen wir
konfrontiert sind – Migration insbesondere aus Afrika,
Brexit und viele andere mehr –, immer wieder deutlich,
wie wichtig es ist, dass wir nicht glauben, dass die Er-
rungenschaften in Europa für alle Zeiten gesichert sind,
sondern wissen, dass wir jedes Mal aufs Neue darum
kämpfen müssen . Das wird hier, glaube ich, in besonde-
rer Weise sichtbar .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich glaube, dass es gerade vor diesem Hintergrund gut
ist, dass die Kommission diesen Geburtstag zum Anlass
nimmt, darüber nachzudenken, wie denn die Zukunft
aussehen soll, wie sich Europa weiterentwickeln könnte .
Ich finde den Ansatz richtig, fünf Entwicklungsszenarien
zu erarbeiten, die unterschiedlicher nicht sein könnten,
die aber auch Denkanstöße für uns bieten, die uns da-
rüber nachdenken lassen, wie man Europa richtig baut,
damit es zukunftsfähig ist und Akzeptanz bei den Men-
schen findet.

Wenn ich ein paar wenige Bemerkungen dazu ma-
chen darf: Ich glaube, dass es richtig ist, wenn wir uns
in Europa auf die wesentlichen Themen konzentrieren
und immer auch deutlich machen, wo wir nicht nur einen
europäischen Mehrwert haben, sondern wo es vielleicht
sogar so ist, dass sich die Herausforderungen ohne Eu-
ropa auf nationaler Ebene gar nicht wirklich bewältigen
lassen . Dabei denke ich etwa an den Binnenmarkt, an die
Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, an die Si-
cherung europäischer Grenzen und an die Bewältigung
der Wanderungsbewegungen weltweit . Das alles sind
Punkte, bei denen für mich sonnenklar ist, dass sie auf
europäischer Ebene sehr viel besser und effektiver gelöst
werden können als auf nationaler Ebene .

Das bedeutet für mich aber gleichzeitig auch, dass
wir sehr genau hinschauen müssen, wo Aufgaben idea-
lerweise vielleicht nicht auf europäischer Ebene angesie-
delt sind . Dabei geht es nicht nur um das Austarieren der
Verhältnisse zwischen Europa und den Nationalstaaten.
Man muss da die Länder, die Regionen und die Kommu-
nen genauso mitdenken; denn jedes Haus wird vom Fun-
dament her gebaut . Das gilt auch für das Haus Europa .
Deshalb ist es entscheidend, dass die nächsthöhere Ebene
letztlich immer eine Begründungspflicht dafür hat, dass
sie eine Aufgabe besser bewältigen kann .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Da, glaube ich, haben wir noch einiges zu tun . Ich
denke dabei etwa an das Instrument der Subsidiaritäts-

rüge, das wir verzweifelt versuchen einzusetzen, zuletzt
beim Dienstleistungspaket, aktuell beim Winterpaket .
Wir stellen aber auch fest, dass das eben ein stumpfes
Schwert und nicht das richtige Mittel dafür ist, auszuta-
rieren, wie die politischen Aufgaben zwischen den ein-
zelnen Ebenen idealerweise verteilt werden sollten . Da
brauchen wir andere Ansätze, weil das Europa effektiver,
effizienter und schlagkräftiger macht und vor allen Din-
gen auch die Glaubwürdigkeit stärkt .

Und wir müssen auch dafür sorgen, dass die Dinge,
die wir gemeinsam vereinbart haben, dann auch tatsäch-
lich durchgesetzt werden, damit nationale Interessen
nicht immer wieder als Erpressungspotenzial eingesetzt
werden, um eigene Ziele auf Kosten der Gemeinschaft zu
erreichen . Europa ist auch eine Rechtsgemeinschaft, und
das muss im Umgang spürbar sein .

Die letzte Bemerkung, die ich machen möchte, ist:
Wir müssen uns immer auch bewusst sein, dass es nicht
nur auf Normen und Regelungen ankommt, sondern vor
allen Dingen auch auf die Menschen . Am Ende des Tages
muss es mehr Menschen geben, die von der Zukunft und
der Zukunftsfähigkeit der EU überzeugt sind, als Men-
schen, die das nicht so sehen . Da darf uns die aktuelle
Bertelsmann-Studie zuversichtlich stimmen, nach der
vier Fünftel der Jugendlichen und jungen Erwachsenen
in Europa ihre Zukunft genau in dieser Gemeinsamkeit
sehen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822509000

Herr Kollege Frei .


Thorsten Frei (CDU):
Rede ID: ID1822509100

Vielen Dank – auch für Ihr Verständnis.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Christian Petry [SPD])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822509200

Bitte schön . – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der

Kollege Alexander Ulrich das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822509300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

60 Jahre Römische Verträge: Dieses Ereignis hat es
tatsächlich verdient, würdig hier im Parlament bespro-
chen und diskutiert zu werden . Wir haben gemeinsam
mit Bündnis 90/Die Grünen im Ältestenrat den Antrag
für eine Vereinbarte Debatte eingebracht. Es ist schade,
dass CDU/CSU und SPD das offensichtlich nicht wollten
und dass es eine von der Opposition beantragte Aktuel-
le Stunde brauchte, um darüber zu diskutieren . Es zeigt
auch, mit welcher Euphorie diese Bundesregierung Eu-
ropa begleitet .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die europäische Ei-
nigung nach dem Zweiten Weltkrieg ist wohl die größte
historische Errungenschaft, die die hier im Bundestag

Thorsten Frei






(A) (C)



(B) (D)


vertretenen Generationen miterleben dürfen . Die Euro-
päerinnen und Europäer begegnen sich heute nicht mehr
auf dem Schlachtfeld, sondern in Städtepartnerschaften,
internationalen Universitäten, Austauschprogrammen,
Konferenzen oder auch im Europäischen Parlament . Das
ist historisch betrachtet eine Sensation .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Jahrestag der Römischen Verträge ist daher
selbstverständlich ein Grund zum Feiern . Wir müssen
diesen Jahrestag aber auch zum Anlass nehmen, darü-
ber zu reden, dass die Europäische Union ganz offen-
kundig in der tiefsten Krise ihrer Geschichte ist . Wenn
es hierfür noch der Beweise bedarf, dann sind dies die
Entscheidung Großbritanniens zum Ausstieg aus der Eu-
ropäischen Union, die Rechtsentwicklung in vielen Mit-
gliedsländern, aber auch antidemokratische Tendenzen in
osteuropäischen Ländern oder die Tatsache, dass Europa
immer mehr von seinen Werten Abstand nimmt . Das ist,
glaube ich, nicht gut . Wir kritisieren zu Recht, dass die
USA Mauern an der Grenze zu Mexiko aufbauen wollen .
Wir selbst aber bauen an den Grenzen Europas Mauern –
gegenüber Menschen, die auf der Flucht sind und in Eu-
ropa Hilfe suchen . Auch das muss man an diesem Tag
deutlich zum Ausdruck bringen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor wenigen Ta-
gen war der Infobus des Deutschen Bundestages in Kai-
serslautern, meiner Heimatstadt . Da hat eine junge Schü-
lerin, 17 Jahre alt, mit Migrationshintergrund, zu mir
gesagt: Die Friedensidee Europas ist richtig und gut, sie
reicht aber nicht mehr aus, um die jungen Menschen für
Europa zu gewinnen . Die junge Generation glaubt nicht,
dass mit dem Ausstieg Großbritanniens die Kriegsgefahr
in Bezug auf dieses Land wieder größer geworden ist . –
Die Friedensidee, die Europa bewegt hat, reicht also heu-
te nicht mehr aus, um die jungen Menschen für Europa
zu gewinnen .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die jungen Menschen sind eher europabegeistert!)


Wir brauchen mehr soziale Gerechtigkeit . Wir müssen
deutlicher machen, dass die EU mehr ist als ein Projekt
der Banken und der Großkonzerne . Wir brauchen ein Eu-
ropa der Menschen .


(Beifall bei der LINKEN)


Davon haben wir uns durch die Wirtschaftskrise weiter
entfernt als jemals zuvor .

Deshalb sage ich: Was sollen denn die jungen Men-
schen in Südeuropa denken, wo die Jugendarbeitslosig-
keit über 50 Prozent liegt? Der Gedanke, dass Europa
Wohlstand bringt, wird doch da gar nicht mehr verwirk-
licht . Wir erleben gerade auch in Südeuropa, dass viele
junge Menschen über Generationen keine Chance mehr
auf mehr Wohlstand haben. Vielmehr fühlen sie sich ab-
gehängt und verbinden das auch mit einer Austeritäts-
politik, die ihnen von der Europäischen Union und ins-
besondere von dieser Bundesregierung mit Merkel und

Schäuble verordnet worden ist . Sie haben sich mit dieser
Austeritätspolitik an der europäischen Idee versündigt .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Weißbuch, das die Europäische Kommission jetzt
auf den Weg gebracht hat, ist ein Beweis dafür, dass
man keine grundlegenden Ideen mehr hat . Es ist eine
Sammlung von möglichen Wegen, wie man Europa bes-
ser gestalten kann . Aber ich sage: Das hängt nicht damit
zusammen, in welchen Geschwindigkeiten man sich in
Europa beteiligt, es hängt nicht damit zusammen, ob man
einen eigenen Weg oder mit wenigen anderen Ländern
zusammen eigene Wege in Europa suchen kann . Die Po-
litik in Europa muss sich ändern . Nur das ist der Schlüs-
sel für mehr Europa und für ein besseres Europa .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Nicht die Institutionen sind das Problem, sondern die
Politik, die diese Institutionen betreiben, ist falsch . Sie
muss geändert werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke wird den mit dem Weißbuch einhergehen-
den Prozess proeuropäisch begleiten . Wir sagen auch
ganz deutlich: Wir brauchen einen Neustart der Europä-
ischen Union. Die Verträge von Lissabon haben leider
den Neoliberalismus als Grundlage in die EU-Verträge
aufgenommen . Das muss sich grundlegend ändern .


(Beifall bei der LINKEN)


Abschließend möchte ich – das habe ich auch gestern
im Europaausschuss gesagt – an die gestrige Rede des
neuen Bundespräsidenten erinnern, der deutlich gesagt
hat: Demokratie lebt auch davon, dass man Kritik zu-
lässt, dass kritische Stimmen wahrgenommen werden,
dass man sich damit beschäftigt . – Aber wie gehen wir
in Deutschland und auch in Europa oftmals mit Kritik
an der Europäischen Union um? Wir kritisieren pauschal,
die Kritiker seien alle Antieuropäer . Wir dürfen die Kri-
tik an Europa aber nicht immer antieuropäisch verklä-
ren . Wir müssen den Menschen die Chance geben, für
ein besseres Europa zu kämpfen, ohne stigmatisiert zu
werden .


(Beifall der Abg . Jutta Krellmann [DIE LINKE])


Deswegen sage ich ganz deutlich: Die Gegner von
TTIP oder CETA sind doch keine Antieuropäer . Sie wol-
len keinen Handel verbieten, sie wollen Europa nicht
beschädigen, sondern sie wollen einen fairen Handel .
Deshalb muss man diese Kritik auch in Zukunft zulassen,
liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822509400

Herr Kollege Ulrich, höchstens fünf Minuten, nicht

mindestens .

Alexander Ulrich






(A) (C)



(B) (D)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822509500

Ja . – Deswegen sage ich ganz deutlich: Wer den

Rechtspopulisten das Wasser abgraben will, muss die
Sorgen der Bürger ernster nehmen und auch ihre Diskus-
sionen ernst nehmen,


(Joachim Poß [SPD]: Den Linkspopulisten auch, nicht nur den Rechtspopulisten!)


um vielleicht auch in ihrem Sinne die Politik zu verän-
dern . Nur dann wird Europa gelingen – sozial, friedlich
und demokratisch .

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822509600

Vielen Dank. – Es ist ja gut, wenn die Emotionen zu

Europa so stark sind .

Jetzt spricht für die Bundesregierung Herr Staatsmi-
nister Michael Roth .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1822509700

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Wie viele von Ihnen besuche auch ich
Schulen und suche das Gespräch mit Schülerinnen und
Schülern . Kürzlich wurde ich von einer Schülerin gefragt:
Michael Roth, was hat Sie eigentlich zu einem Europäer
werden lassen? – Ich musste ein bisschen nachdenken .
Dann erinnerte ich mich daran, woher ich gekommen
bin, wo ich groß geworden bin und wo ich aufwuchs .
Ich bin in Heringen geboren, groß geworden, zur Schule
gegangen . Heringen an der Werra liegt in Osthessen, un-
gefähr 1 Kilometer von der ehemaligen Grenze zur DDR
entfernt . Wenige Monate vor meinem Abitur – ich weiß
das noch wie heute – fiel die Mauer. Ich hatte das große
Glück, dass ich im Westen groß geworden bin . Aber für
mich galt der Song von Udo Lindenberg: „Hinterm Hori-
zont geht’s weiter“ nicht . – Hinter dem Horizont ging es
für mich nämlich nicht weiter, weil in Richtung Osten ein
für mich unbekanntes Land lag .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da durfte man hinfahren!)


Daraus habe ich, wie viele Männer und Frauen meiner
Generation, eine Lehre gezogen: Europa ist ein Projekt
der Freiheit, ein Projekt, das Zäune und Mauern zu über-
winden versucht . Deswegen werde ich mich niemals mit
einem Europa abfinden, in dem neue Mauern gebaut und
neue Zäune errichtet werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Ja, Europa heißt für mich: nie wieder Krieg, nie wieder
Holocaust, nie wieder Faschismus, aber eben auch nie
wieder Mauern und Zäune .

Heute sind wir in Gedanken bei unseren Freunden und
Partnern in Großbritannien . Wir sind fassungslos über
diesen Terrorangriff. Wir trauern um die Opfer. Unser

Mitgefühl gilt den Familien der Opfer . Zusammenhalten,
zusammenstehen – das zeichnet uns in Europa aus . Liebe
Britinnen und Briten, ihr seid in eurer Trauer nicht al-
lein . Wir stehen an eurer Seite, auch im Kampf gegen den
Terrorismus . Solidarität, Miteinander – das ist die ein-
zigartige Stärke der Europäischen Union, und ihr gehört
dazu . Wir sind traurig, dass ihr in Zukunft nicht mehr
dazugehören wollt .

Das war sicherlich einer der Tiefpunkte, die uns im
vergangenen Jahr erschüttert haben: dass die Bürgerin-
nen und Bürger eines Staates zum allerersten Mal in der
Geschichte des vereinten Europas mehrheitlich sagen, sie
wollen nicht mehr dazugehören . Aber wir sollten deshalb
nicht rückwärtsgewandte Debatten führen, sondern das
auch als eine Chance zur europäischen Selbstvergewis-
serung begreifen .

Wir müssen natürlich auch selbstkritisch über unser
Europa, so wie es sich derzeit darstellt, nachdenken .
Streit gehört in Europa immer dazu . Es gehört aber auch
dazu, dass wir diesen Streit respektvoll und tolerant aus-
tragen und dass wir immer wieder versuchen, uns in die
Rolle des jeweils anderen Partners hineinzuversetzen,
dass wir Europa auch mal mit den Augen des jeweils an-
deren oder der jeweils anderen sehen . Das hilft .

Miteinander nach Lösungen zu suchen, ist gelegent-
lich schwierig; denn Europa beruht auf Vielfalt. Auch
wir in Deutschland haben Traditionen, wegen derer es
schwierig war, im Rahmen des Binnenmarktes zu ge-
meinsamen Lösungen zu kommen – wenn ich mal an die
Schornsteinfeger oder auch an den Meisterbrief denke .
Da ist es auch vielen bei uns in Deutschland schwergefal-
len, auf etwas zu verzichten, was als Stärke unseres Lan-
des angesehen wurde . Jedes Land hat eigene Traditionen,
die es vielleicht nur schwerlich aufgeben möchte .

Aber trotz allen Streits gehört es dazu, dass man sich
an das Gemeinsame erinnert . Was macht uns in Europa
stark, und was macht uns im Kern zu Europäerinnen und
Europäern? Wir sind nicht in erster Linie ein Binnen-
markt; wir sind in erster Linie eine Wertegemeinschaft,
und dieses Wertefundament verpflichtet uns. In Europa
wollen wir ohne Angst verschieden sein, unabhängig da-
von, wen wir lieben, unabhängig davon, an welchen Gott
wir glauben oder ob wir überhaupt an einen Gott glau-
ben . Das ist das, was Europa stark gemacht hat; Europa
beruht auf Vielfalt.

Vielleicht haben wir in den vergangenen Jahren zu
wenig daran erinnert, dass dieses Europa eben auch von
gemeinsamen Werten zusammengehalten wird . Diese
Werte verpflichten uns alle; aber Europa, die Europäi-
sche Union, ist offen für alle, unabhängig davon, welcher
Religion, welcher Ethnie oder auch welcher Kultur sie
angehören .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen unsere Stimme erheben, wenn politisch
Verantwortliche in der Europäischen Union einen Satz
wie diesen sagen: Flüchtlinge gehören nicht zu unserem
Land, wir können sie nicht aufnehmen, weil sie Muslime






(A) (C)



(B) (D)


sind . – Dieser Satz ist mit den Werten Europas unverein-
bar;


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


er ist mit den Verträgen der Europäischen Union nicht
vereinbar . Wir brauchen also auch hier, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, Klarheit . Bei Werten darf es keine
politischen Rabatte geben . Es geht um unsere eigene
Glaubwürdigkeit . Wie wollen wir auf der globalen Ebene
für Menschenrechte, für Demokratie, für die Unabhän-
gigkeit der Justiz, für die Freiheit der Medien glaubhaft
eintreten, wenn wir einen Zweifel daran lassen, dass wir
diese Werte uneingeschränkt im Inneren der Europäi-
schen Union achten, respektieren und verteidigen? Wir
können nur dann selbstbewusst unsere Werte gegenüber
Russland, gegenüber der Türkei, gegenüber China und
vielen anderen Staaten dieser Welt vertreten, wenn wir
selbst diese Werte uneingeschränkt achten .

Es ist seit der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten
der Vereinigten Staaten von Amerika auf der globalen
Ebene nicht leichter geworden . Umso wichtiger ist es,
dass wir hier zusammenstehen, mit einer Stimme spre-
chen und deutlich machen: „Europa steht für diese Wer-
te“ – nicht nur in Sonntagsreden, sondern im Alltag, im
Kleinen wie im Großen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Warum ist es gelegentlich so schwer, Bürgerinnen und
Bürger für Europa zu begeistern? Das mag auch daran
liegen, dass wir Politikerinnen und Politiker die Debatte
über Europa gelegentlich als eine Verzichtsdebatte ge-
führt haben, auch hier im Bundestag, nach dem Motto:
Wir müssen als Nationalstaat auf etwas verzichten, wenn
wir Zuständigkeiten auf die Europäische Union verla-
gern . – Umgekehrt wird ein Schuh daraus . Wir können
doch nur auf das verzichten, was wir noch haben . Der
Nationalstaat alter Prägung ist nicht mehr in der Lage,
die Globalisierung angemessen – demokratisch, sozial
und nachhaltig – zu gestalten . Das heißt, wir gewinnen
über ein handlungsfähigeres, ein demokratischeres, ein
stärkeres Europa politische Gestaltungsmacht zurück,
die uns auf der nationalen Ebene schon längst nicht mehr
zur Verfügung steht. Vielleicht können wir so Bürge-
rinnen und Bürgern wieder Mut machen und deutlich
machen, dass wir nichts verlieren, sondern dass wir mit
Europa etwas hinzugewinnen . Genau das hat auch unser
Außenminister kürzlich in einem Namensbeitrag deut-
lich gemacht .

Wie oft muss man hören: Deutschland ist der Zahl-
meister Europas . – Kein Land hat vom vereinten Europa
so viel profitiert wie die Bundesrepublik Deutschland.
Wir sind stark, weil wir in einem starken und solidari-
schen Europa leben . Wir können uns keine Armutsinseln
in der Europäischen Union erlauben . Wir leben vom
Wohlstand auch in anderen Regionen der Europäischen
Union . Unsere Arbeitsplätze, unser Wirtschaftswachstum
beruhen auf offenen Grenzen und darauf, dass sich auch
Spanierinnen und Spanier, Griechinnen und Griechen
und viele andere unsere qualitativ hochwertigen, aber

eben auch teuren Produkte leisten können . Das heißt,
wenn es anderen Europäerinnen und Europäern gut geht,
geht es uns auch in Deutschland gut . Das muss man wie-
der offensiv vertreten, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ja, dieses Europa der 28 ist komplizierter geworden;
es ist schwieriger geworden, einen Konsens zu finden.
Deswegen ist es vielleicht auch an der Zeit, wieder in-
tensiver darüber nachzudenken, wie wir es schaffen, dass
wir uns nicht vom Langsamsten und vom Unwilligsten
Richtung und Tempo vorgeben lassen müssen . Das hat
nichts mit der Debatte über Kerneuropa zu tun . Wir wol-
len keinen Closed Shop, sondern wir wollen ein Europa
der Mutmacher . Wir wollen, dass Staaten in bestimm-
ten Politikbereichen vorangehen und deutlich machen:
Europäische Lösungen sind am Ende besser, nachhal-
tiger, gerechter und funktionsfähiger als rein nationale
Lösungen . Diesem Europa der Mutmacher können sich
alle anschließen. Vielleicht bringt das Europa wieder in
Schwung und zeigt, dass Europa nun wirklich nicht Teil
des Problems, sondern vielmehr Teil der Lösung ist .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822509800

Herr Staatsminister .


Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1822509900

Um die wesentlichen Bewährungsproben, mit denen

wir es derzeit zu tun haben, zu bestehen, reichen, wie ich
das sehe, keine rein nationalen Lösungen aus . Weder im
Kampf gegen den Terrorismus noch in der Bekämpfung
von Fluchtursachen noch in der Vollendung der Europä-
ischen Wirtschafts- und Währungsunion noch im Kampf
gegen Steuerdumping noch in der Stärkung der sozialen
Dimension sehe ich allein Deutschland in der Pflicht, ich
sehe uns alle in Europa in der Pflicht. Wir in Deutschland
müssen uns besonders anstrengen, dass diese Europäi-
sche Union gelingt, dass sie besser und handlungsfähiger
wird; denn Europa war, ist und bleibt unsere Lebensver-
sicherung in Zeiten der Krise . Sie ist eine Chance auf et-
was Einzigartiges, vor allen Dingen für die jungen Men-
schen, die derzeit auf die Straßen gehen . Sie haben meine
Sympathie, sie haben meine Solidarität .

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822510000

Danke schön . – Als Nächste spricht für die CDU/

CSU-Fraktion die Kollegin Ursula Groden-Kranich .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ursula Groden-Kranich (CDU):
Rede ID: ID1822510100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bei der Durchsicht meiner Termine für diese Woche habe
ich eine Einladung vermisst, nämlich die Einladung des
Präsidenten des Deutschen Bundestages zu einem Emp-

Staatsminister Michael Roth






(A) (C)



(B) (D)


fang aus Anlass des 60. Jahrestages der Römischen Ver-
träge . Nichts läge mir ferner, als unser Präsidium in die-
ser Frage zu kritisieren .


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Sicherlich ist der eigentliche Grund für das Ausbleiben
dieser Einladung die derzeitige Fastenzeit . Aber gerade
der Deutsche Bundestag als eines der europäischsten na-
tionalen Parlamente in der EU hätte heute Grund zum
Feiern und zur Freude .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Genau das sollten wir viel öfter tun . Wir sollten uns an
dem erfreuen, was wir und die Generationen vor uns in
Europa erreicht haben . Gerade in der schwierigen Phase,
in der wir uns heute befinden, müssen wir aufhören, zu
jammern, und müssen die Dinge stattdessen anpacken .
Wo wären wir denn heute, wenn die Väter und Mütter der
europäischen Einigung vor 60 Jahren nur gezaudert hät-
ten? Sie haben sich anders entschieden . Sie gingen mutig
voran, brachen mit tradierten Klischees und Rollenzu-
schreibungen und wagten das, was nur wenige Jahre und
Jahrzehnte vorher undenkbar gewesen wäre: den Prozess
der europäischen Einigung. Das ist ein historischer Ver-
dienst, den man gar nicht hoch genug einschätzen kann .

Ich selbst bin leidenschaftliche Europäerin, und ich
weiß auch, warum: Weil meine persönliche Geschichte
und die meiner Familie mich dazu gemacht haben . Mein
Vater wurde 1931 in Breslau geboren, in einer Zeit, in der
die Länder unseres Kontinents von einer Welle des Nati-
onalismus überspült wurden . In den Wirren des Zweiten
Weltkrieges musste er, wie so viele, seine Geburtsstadt
verlassen . Er fand in Mainz eine neue Heimat . Gerade
nach den grauenvollen Erfahrungen des Krieges war es
für die Generation meiner Eltern geradezu unvorstell-
bar, dass die Menschen in Europa irgendwann nicht nur
friedlich nebeneinander koexistieren, sondern auch ge-
meinsam ihre Zukunft aktiv gestalten . Die europäische
Einigung mag vielleicht als Elitenprojekt gestartet sein,
sie wurde aber zu einer Volksbewegung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Von dieser Volksbewegung hat meine Generation wie-
derum ganz maßgeblich profitiert. Grenzen verschwan-
den mit der Zeit – nicht nur auf dem Land, sondern immer
mehr auch in den Köpfen . Wie viele andere konnte ich bei
meinem ersten Schüleraustausch Dijon, die Partnerstadt
meiner Heimatstadt, besuchen, Gleichaltrige treffen und
das Land mit ihnen gemeinsam kennenlernen . Später, im
Berufsleben, führten mich meine Wege nach Frankreich
und England und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs
auch zum Geburtshaus meines Vaters in Breslau.

Der Binnenmarkt mit seinen vier Grundfreiheiten be-
reichert doch unser aller Leben ungemein . Weil ich diese
guten und positiven Erfahrungen, die mich so geprägt
haben, machen durfte, freue ich mich umso mehr, dass
meine Tochter derzeit in England zur Schule geht und
dort Freunde aus aller Welt kennenlernt .

Dies alles wäre heute nicht möglich, wenn die Väter
und Mütter der europäischen Einigung nicht bereit gewe-
sen wären, neue Wege zu beschreiten . Heute können wir
auf den Wegen gehen, die diese Generation uns bereitet
hat. Daraus erwächst für uns eine besondere Verantwor-
tung .

Als leidenschaftliche Europäerin darf ich auch fest-
stellen, dass nicht alles in der EU gut läuft . Ja, wir haben
viele Baustellen . Ja, der Grundsatz, Europa muss groß in
großen Dingen und klein in kleinen Dingen sein, ist noch
nicht bis in jede Ecke des Berlaymont und des Europä-
ischen Parlaments vorgedrungen . Aber, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, es ist doch unsere Aufgabe, dafür zu
sorgen, dass dieser Grundsatz eingehalten wird; Kollege
Frei ist schon darauf eingegangen .

Der informelle Europäische Rat am kommenden
Samstag ist ein weiterer Meilenstein in einem Prozess
des Innehaltens und der Selbstprüfung für die Europä-
ische Union . Die mit dem Weißbuch vorgelegten fünf
Szenarien geben uns eine Möglichkeit, wieder über Eu-
ropa zu diskutieren . Europa ist nicht nur ein Friedensga-
rant . Die Europäische Union ist als Wertegemeinschaft
unsere einzige glaubhafte Antwort auf eine sich immer
stärker globalisierende Welt und – ich sage es gerne noch
einmal – gegen Nationalismus und Ausgrenzung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir künf-
tig häufiger über das reden, was Europa in den letzten
60 Jahren zu einer besseren Heimat für uns alle gemacht
hat, dann ist mir um die Zustimmung der Menschen zur
EU nicht bange . Dazu müssen wir nur in Europa gemein-
sam mutig vorangehen .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822510200

Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der

Kollege Andrej Hunko das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822510300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir re-

den heute über 60 Jahre Römische Verträge; aber noch
kein Redner ist bislang auf diese Verträge eingegangen.
Was waren denn die Römischen Verträge? Das waren
zwei Verträge. Der erste Vertrag war der Vertrag zur
Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft .
Ja, Frau Groden-Kranich, das war ein Elitenprojekt .
Wenn man sich den Vertrag anschaut, dann sieht man
das. Das ist ein Vertrag, der maßgeblich für große Kon-
zerne geschrieben wurde .


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Ursula Groden-Kranich [CDU/CSU]: Wie bitte? Dann haben Sie mir gerade nicht zugehört!)


Ursula Groden-Kranich






(A) (C)



(B) (D)


Das ist einer der Geburtsfehler der Europäischen Union .

Der zweite Vertrag, Herr Özdemir, war der Eura-
tom-Vertrag, in dem es um die Schaffung einer mäch-
tigen Atomindustrie in Europa ging . Es wundert mich,
dass das alles von Ihrer Seite so gefeiert wird .


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Von Ihrer Seite nicht, oder wie?)


– Den Euratom-Vertrag feiern wir nicht. Wir halten die
Schaffung einer mächtigen europäischen Atomindustrie
nicht für zielführend .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nicht kapiert, was die Europäische Union ist!)


Aber wir halten es für zielführend und für eine große Er-
rungenschaft, dass die Länder, die zwei Weltkriege ge-
geneinander geführt haben, miteinander kooperieren .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Beispiel für eine Rede, die man am besten nicht hält! Schämen Sie sich für Ihren Auftritt!)


Wir halten Integration für zielführend . Das gilt für Frank-
reich, für Großbritannien, aber auch für Russland .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist so was von peinlich!)


Zu einem gemeinsamen europäischen Haus gehören auch
eine Kooperation und der Frieden mit Russland . Das will
ich sehr deutlich sagen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ja, es ist eine historische Leistung, dass es eine wirt-
schaftliche Integration gegeben hat .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unerträglich!)


Wir erkennen das an; es ist sehr gut . Aber es ist eben
nur ein Teil Europas gewesen . Es waren am Anfang sechs
Länder . Die Anzahl der Mitgliedsländer ist dann größer
geworden . Aber Russland, ein Hauptopfer von zwei
Weltkriegen, ist nach wie vor ausgeschlossen, und wir
stehen vor einer neuen Konfrontation und einer neuen
Aufrüstung in Europa; auch dies muss man sehr deutlich
sagen . Wir wollen ein gemeinsames europäisches Haus,
ein gesamteuropäisches Haus, und nicht einen neuen
Kalten Krieg mit Russland .


(Beifall bei der LINKEN – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Russland ist gut, und wir sind böse!)


Im Juli 1989 hat Michael Gorbatschow in der Parla-
mentarischen Versammlung des Europarates diese Vision
eines gemeinsamen europäischen Hauses vorgetragen . In
den 90er-Jahren gab es eine historische Chance, es Wirk-
lichkeit werden zu lassen . Leider ist das nicht eingetre-
ten, sondern gescheitert, und das hat auch mit der NA-
TO-Osterweiterung und den dann folgenden Reaktionen
von russischer Seite zu tun . Es wird nach wie vor eine

große historische Aufgabe sein, dieses gesamteuropäi-
sche Haus zu schaffen.


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat Ihnen denn diese Rede geschrieben?)


Ein zweites Problem, auf das man hinweisen muss,
besteht darin, dass sich ebenfalls in den 90er-Jahren der
neoliberale Charakter der Europäischen Union verstärkt
hat, so in den Verträgen von Maastricht und Lissabon.
Es ist ein großes Problem in vielen europäischen Län-
dern, dass nach einer Bertelsmann-Studie gegenwärtig
118 Millionen Menschen von Armut betroffen sind und
dass der Anteil der Vollzeit arbeitenden Menschen, die in
Armut leben, wächst .


(Zuruf von der CDU/CSU: Das hat doch nichts mit Europa zu tun!)


Das schafft natürlich den Boden für Rechtspopulisten.
Der Rechtspopulismus ist die andere Seite des Neolibera-
lismus, seine Schattenseite, und diese Orientierung muss
aufhören . Wir brauchen ein sozial gerechtes Europa, ein
integratives Europa, sowohl sozial als auch geopolitisch .


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn wir also über die Römischen Verträge reden,
sollten wir auch über den Inhalt der Verträge reden und
hier nicht nur Sonntagsreden halten . Ich halte das durch-
aus für sehr wichtig .


(Beifall bei der LINKEN)


Diese zwei Säulen, einerseits eine Überwindung des
neoliberalen Charakters der Grundlagenverträge wie des
Lissabon- und des Maastricht-Vertrages


(Zurufe der Abg . Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


und andererseits eine Entspannung und eine integrative
Politik gegenüber dem Osten, umreißen die historische
Aufgabe, vor der Europa steht . Ich glaube, darüber müss-
ten wir ernsthaft diskutieren . Es ist gut, dass die Europä-
ische Kommission jetzt Szenarien entwirft . Ich hielte es
für wichtig, über diese Szenarien zu diskutieren und nicht
nur Sonntagsreden zu halten . Wenn das nicht passiert –
das sage ich hier auch sehr deutlich –, wird die Krisen-
haftigkeit der Europäischen Union leider fortschreiten .
Wir brauchen diese Debatte dringend .

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822510400

Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Joachim Poß für

die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt aber, Herr Poß!)


Andrej Hunko






(A) (C)



(B) (D)



Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1822510500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Hunko, Sie haben etwas geschafft, was nicht viele hier
schaffen: Sie haben die Geschichte so verzerrt, wie man
es selten in diesem Deutschen Bundestag gehört hat .


(Inge Höger [DIE LINKE]: Er hat die Wahrheit gesagt!)


– Das hat mit Wahrheit überhaupt nichts zu tun .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie verschleiern die Rolle Putins, dessen Ziel doch offen-
kundig ist, Europa zu zerstören, und Sie sind an seiner
Seite .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Oder wie sollte ich Ihren Beitrag jetzt interpretieren?
Punktum! Sie stellen sich in eine Reihe mit den Rechts-
extremisten aus der ganzen Welt, deren Schutzpatron
Putin de facto ist, Herr Hunko . Darüber müssen Sie sich
im Klaren sein .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn auch die Kritik nicht ganz unberechtigt ist, dass
es in den 60 Jahren oft ein Elitenprojekt war


(Inge Höger [DIE LINKE]: Und noch immer ist!)


und zu wenig getan wurde, um die Bevölkerung in ganz
Europa mitzunehmen, muss ich sagen: Ich war als Berg-
arbeiterkind schon mit zehn Jahren von Europa sehr be-
geistert . Also von wegen Elitenprojekt! Ich will damit
sagen: Es war in den 50er- und 60er-Jahren ein Projekt
der Herzen für viele Deutsche, die nicht zurückwollten .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das müssen Sie trotz Ihrer Grenznähe – Sie wohnen ja im
Dreiländereck – offenkundig noch lernen.

Wir alle müssen lernen, dass man mit Defensive und
Kleinmut den wachsenden Nationalismus nicht in die
Schranken weisen kann . Wir haben gute Argumente:
Meinungsfreiheit, Demokratie, Rechts- und Sozialstaat .
Viel zu selten verwenden wir eher egoistische Argumen-
te, sozusagen deutsche Argumente . Europa ist in unserem
eigenen Interesse – Herr Roth hat es angedeutet –: Es
geht um Arbeitsplätze, viele Arbeitsplätze, die durch ein
zusammenwachsendes Europa hier in Deutschland ent-
standen sind .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


So müssen wir die Diskussionen anpacken und nach vor-
ne führen .

Sigmar Gabriel hat recht: Deutschland ist ein Nettoge-
winnerland . Das ist aufgrund der oft populistischen und
opportunistischen Debatte – Sie haben hier ein Beispiel
dafür geliefert – vielen Menschen in diesem Land nicht
klar . Das klarzumachen, ist aber unsere Aufgabe, wenn
wir uns in der Tradition der Aufklärung sehen .

Es muss einiges passieren. Verschiedene Mitgliedstaa-
ten müssen hierfür Beiträge erbringen . Die Bereitschaft
Deutschlands, in die eigene Zukunft und damit in die
Zukunft Europas zu investieren, muss wachsen . Die Mit-
telmeerländer müssen sich stärker bei den notwendigen
Strukturreformen engagieren: bei Bildung, Ausbildung,
Justiz, einer effizienteren Verwaltung, der Bekämpfung
von Klientelismus und Korruption . Die Beneluxstaaten
als Gründerstaaten müssen endlich ihre skandalöse Steu-
erpolitik zulasten der ehrlichen Steuerzahler in Europa
beenden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Polen und Ungarn müssen realisieren, dass sie zu De-
mokratie und Rechtsstaatlichkeit zurückkehren müssen .
Nur so kann es, jedenfalls meines Erachtens, für sie eine
Zukunft in Europa geben . In diesem Zusammenhang
muss natürlich auch die rumänische Regierung genannt
werden .

Der Sündenfall geschah, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von der CDU/CSU, schon vor einigen Jahren im
Fall von Ungarn . Das anhaltende Schweigen der kon-
servativen Europäischen Volkspartei, der CDU und auch
von Frau Merkel und die Kumpanei der CSU mit Herrn
Orban waren einer der Sargnägel für Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit in Ungarn. Auch das muss man offen
aussprechen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Blödsinn!)


Dieses Verhalten hat den Polen Kaczynski zusätzlich
ermutigt . Was soll man von der falschen Solidaritäts-
debatte, die von einigen geführt wird, halten? Was soll
man davon halten, wenn Herr Kaczynski Solidarität in
Verteidigungsfragen einfordert, im Umgang mit Flücht-
lingen in Europa aber keine Solidarität zeigt, wenn Herr
Tsipras mangelnde Solidarität beklagt, obwohl sein Land
das größte europäische Hilfspaket in der Geschichte be-
kommen hat?


(Zuruf von der LINKEN)


– Ja, sicher . – Die in den Niederlanden, Frankreich und
Italien geführten Debatten über einen möglichen Exit aus
dem Euro sind ökonomisch und politisch noch absurder
als die Grexit-Debatte, die von einigen hier in Deutsch-
land geführt wird, auch auf der rechten Seite .

Sicherlich kann es ein Europa der verschiedenen Ge-
schwindigkeiten geben, nicht aber ein Europa, das in ver-
schiedene Richtungen strebt . Deswegen bin ich sehr ge-
spannt, wie die Erklärung am 25 . Juni in Rom aussehen
wird . Wenn unsere Werte dort nicht deutlich beschrieben
sind, dann wird es ernst für Europa .


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822510600

Vielen Dank. – Die nächste Rednerin ist Annalena

Baerbock für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Liebe Gäste! Die EU ist das Wertvollste, was die-
ser Kontinent je geschaffen hat. Konflikte lösen wir am
Verhandlungstisch und nicht mehr auf dem Schlachtfeld
und auch nicht auf Twitter . – Das ist ein Satz, dem je-
der hier folgen kann . Das in Festreden zu sagen, ist ein-
fach . Dafür zu werben, wenn einem der Wind ins Gesicht
bläst, das ist die eigentliche Aufgabe, vor der wir stehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte betonen: Die EU, die europäische Integra-
tion, das war nie ein einfaches Projekt . Konrad Adenauer
sagte vor 60 Jahren zu der Unterzeichnung der Römi-
schen Verträge:

. . . die Optimisten, nicht die Pessimisten, haben
recht behalten .

Charles de Gaulle, Konrad Adenauer und vor allen Din-
gen Robert Schuman sind damals das politische Risiko
eingegangen. Hätte es den Begriff „Shitstorm“ damals
schon gegeben, dann wäre er sicherlich ein Euphemis-
mus für das gewesen, was auf die Vorschläge, die kriegs-
wichtigen Güter der verschiedenen Länder zu verge-
meinschaften, gefolgt ist .

Herr Kollege Hunko, bei allem Respekt möchte ich Sie
an das erinnern, was uns die Geschichte gelehrt hat, und
deutlich machen, welch großer Mut bei den ehemaligen
Kriegsfeinden vor 60 Jahren erforderlich war, um zu sa-
gen: Wir arbeiten zusammen . – Das war doch eine Lehre,
vor allen Dingen für Deutschland . Was hat die NSDAP
denn stark gemacht? Es war der damalige Volksentscheid
zum Young-Plan . Es sollte in Deutschland nämlich da-
rüber abgestimmt werden, ob die Reparationszahlungen
als Folge des Ersten Weltkrieges geleistet werden soll-
ten. Diese Volksabstimmung hat die NSDAP erst stark
gemacht . In Anbetracht dieser Lehre aus der Weimarer
Republik sollte man nicht kritisieren, dass man nach dem
Zweiten Weltkrieg gesagt hat: Wir haben den politischen
Mut, uns auch gegen die Stimmung im Land in einer eu-
ropäischen Gemeinschaft zu versöhnen . – Das ist doch
ein historischer Erfolg . Ihn kleinzureden, ist wirklich ab-
solut falsch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich erwähne hier, wie viel Mut dafür erforderlich war,
weil mich wirklich stört, dass heute gerade von politi-
schen Verantwortungsträgern immer wieder gesagt wird:
Nein, jetzt können wir nicht über Europa reden; die
Stimmung ist gerade so schlecht. – Vor 60 Jahren war
die Stimmung richtig mies . Die Stimmung war auch
nicht rosig, als wir darüber diskutiert haben, ob wir die
Deutsche Mark behalten wollen . Die Stimmung war auch
nicht toll, als man gesagt hat – ich komme übrigens aus
Brandenburg –, man wolle eine Osterweiterung nach
Polen. Trotzdem hat man sich getraut, dieses Vorhaben

anzugehen, und man hat gesagt, man streite für das Frie-
densprojekt Europa .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Den politischen Mut, auch gegen die Stimmung im Land
zu sagen: „Wir stehen für unsere Werte ein“, brauchen
wir auch heute .


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Gilt das auch für Russland?)


Das ist unsere Aufgabe als Politiker .

Genau dies ist auch der Grund, warum der Brexit so
gekommen ist, wie er gekommen ist. Der politische Ver-
antwortungsträger hatte diesen Mut nämlich nicht .


(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Als UKIP groß geworden ist – ja, da lachen Sie; schauen
Sie es sich noch einmal an –, hat Cameron gesagt: Oh
Gott, wir haben hier Euroskeptiker . Was könnte das für
meine politische Karriere bedeuten? – Anstatt sich hin-
zustellen und zu sagen: „Ich streite für Europa“, hat er
gesagt: Diese Verantwortung möchte ich nicht überneh-
men . Ich möchte gerne weiterregieren . Machen wir doch
eine Volksabstimmung, aber erst in drei Jahren. Und die
Regeln für diese Abstimmung interessieren mich eigent-
lich nicht. – Das ist politisches Versagen, und Sie finden
das auch noch richtig . Das ist erschreckend!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Weil genau dieses politische Versagen in einigen an-
deren Mitgliedstaaten jetzt wieder droht – da sollten wir
übrigens auch auf Deutschland schauen –, hat der Kom-

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1822510700
Ich
zeige euch jetzt einmal auf, welche fünf verschiedenen
Szenarien es für Europa gibt . Ihr, liebe Mitgliedstaaten,
ihr, liebe Bürgerinnen und Bürger, aber vor allen Dingen
ihr, liebe politisch Verantwortlichen, sollt jetzt einmal da-
rüber diskutieren .

Ich finde es sehr traurig, dass wir auch in dieser Debat-
te nicht darüber diskutieren, wo wir eigentlich hinwol-
len, und dass vonseiten der Bundesregierung dazu leider
nichts zu hören ist . Bei der SPD hat man sich wohl ge-
dacht: Wir haben den Ex-Präsidenten des Europäischen
Parlaments als Kanzlerkandidaten aufgestellt; deshalb
brauchen wir zur Zukunft Europas jetzt gar nichts mehr
zu sagen .


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Vorschläge dazu, ob wir Szenario eins, zwei, drei, vier
oder fünf wollen, habe ich bisher überhaupt noch nicht
gehört . Auch von Ihnen, Herr Roth, habe ich gerade lei-
der nichts dazu gehört .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zur Union . Die Kanzlerin hat gesagt, sie sei für ein Eu-
ropa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten . Da denkt
man: Okay, zumindest hat sie sich einmal getraut . – Wenn
man allerdings genau hinschaut, stellt man fest: Das ist






(A) (C)



(B) (D)


eigentlich ein innenpolitischer Schachzug . Sie kleistert
nämlich zu, dass überhaupt nicht klar ist, wo die Union
eigentlich hinwill . Herr Friedrich erklärte letzte Woche
hier, er wolle Szenario vier; er will nämlich weniger Eu-
ropa . Andere sagen, sie wollen mehr Europa . Und was
liest man in der FAZ von Herrn Schäuble? Er sagt, unter
dem Stichwort „Unterschiedliche Geschwindigkeiten“
könne man ganz vieles verstehen: variable Geometrie
oder flexible Geschwindigkeit, Kerneuropa oder Coali-
tion of the Willing . Meine sehr verehrten Damen und
Herren, das ist doch nicht dasselbe! „Kerneuropa“ heißt,
es gehen einige voran, und der Rest ist außen vor . Das
spaltet Europa, und das ist das Ende von Europa!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir als Bündnis 90/Die Grünen sagen ganz klar: In den
Bereichen, von denen die Menschen sagen: „Hier muss
Europa etwas tun, sozialer werden, ökologischer werden
und für Sicherheit sorgen“, braucht es mehr Europa . Es
braucht Mut, das zu sagen, weil wir dazu vielleicht auch
Vertragsänderungen benötigen. Denn ohne diese Ver-
tragsänderungen werden wir hier nicht vorankommen .
Es ist aber unsere Aufgabe, meine sehr verehrten Damen
und Herren, nach 60 Jahren dafür zu sorgen . In den Be-
reichen, in denen die Menschen dies wollen, brauchen
wir, wie gesagt, mehr Europa . In den Bereichen, in denen
man nur im Rahmen unterschiedlicher Geschwindigkei-
ten zusammenarbeiten kann, –


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822510800

Das war gerade ein wunderbares Schlusswort, Frau

Baerbock .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– kann man das tun, aber im Rahmen der Verträge;
denn sonst ist dies das Ende der Römischen Verträge.

Herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822510900

Nächster Redner ist der Kollege Matern von Marschall,

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Matern von Marschall von Bieberstein (CDU):
Rede ID: ID1822511000

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegin

Baerbock, ich glaube, wenn wir über die Zukunft Euro-
pas nachdenken, dann ist ganz offensichtlich, dass wir
uns darauf konzentrieren müssen, in Europa die Aufga-
ben zu erledigen, die nicht in den Nationalstaaten selbst
erledigt werden können . Auf diese Arbeiten müssen wir
Europa begrenzen, und es gibt jede Menge großer Auf-
gaben, die wir nur gemeinsam und nicht in den Einzel-
staaten erledigen können, weil sie zu schwach dafür sind .


(Dagmar Ziegler [SPD]: Nicht ganz richtig!)


Deswegen haben wir über Verteidigung, über eine ge-
meinsame Terrorismusbekämpfung, über eine gemeinsa-
me Forschungslandschaft in einer Digitalunion und über
eine Energieunion, das heißt, über die Unabhängigkeit
der Energieversorgung, die auch die Energiewende er-
möglicht, gesprochen . Über diese wichtigen Dinge soll-
ten wir auch weiterhin sprechen – und nicht über das,
was vor Ort selbstständig in den Nationalstaaten gemacht
werden kann .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will aber auch sagen: All diese wichtigen Dinge
müssen einem Ziel zugeordnet sein, und dieses Ziel ist,
den Frieden in Europa in Freiheit zu stärken . Das bedeu-
tet, dass wir nicht nur den Anfechtungen von außen, Herr
Hunko, denen die Stabilität, die Freiheit und die Rechts-
staatlichkeit Europas ausgesetzt sind, begegnen, sondern
auch im Innern darauf achten müssen, dass die Grund-
prinzipien der Freiheit, die sich aus der Rechtsstaatlich-
keit der Demokratien ergibt, durchgesetzt werden . Das
bedeutet vor allen Dingen – darüber sprechen wir viel zu
wenig, und das ist auch ein Auftrag an die Bildung –: Die
Unabhängigkeit der Verfassungsorgane muss gewähr-
leistet sein . Das ist eine Aufgabe, die die Europäische
Kommission gegenüber den Mitgliedstaaten durchsetzen
muss .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber mit den Mitgliedstaaten! Allein kriegt sie das nicht hin!)


Was ist Europa für uns? Wir haben es gehört: Für je-
den ist Europa auch in seiner Heimat zu spüren . Meine
Heimat ist Freiburg im Breisgau . Wenn ich auf den wun-
derschönen Turm unseres Freiburger Münsters steige,
einem Beispiel der europäischen Gotik, dann sehe ich
gegenüber die Vogesen und etwas weiter flussabwärts
das Straßburger Münster, und dann erkenne ich: Das ist
Europa . Der Geist der Gotik manifestiert sich auf dem
europäischen Kontinent in diesen wunderbaren Bauwer-
ken. Gleichzeitig sehe ich in den Vogesen gegenüber
den Hartmannswillerkopf . Der Hartmannswillerkopf ist
die Blut- und Knochenmühle aus dem Ersten Weltkrieg .
Auch das ist Europa .

Wie durch ein Wunder ist trotzdem diese Freundschaft
zwischen Frankreich und Deutschland zustande gekom-
men . Ich bin so dankbar dafür, dass ich unseren französi-
schen Freunden – und ich glaube, wir dürfen das – gerade
in diesen Wochen vor der Wahl in Frankreich zurufe: Ne
nous quittez pas, nos amis français! Lasst uns nicht allei-
ne, wir brauchen euch in Europa!


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, wir kommen ganz alleine nicht zurecht .
Wir müssen Europa als Friedensgemeinschaft begrei-
fen . Wenn ich in den Schwarzwald hinaufschaue, dann
sehe ich dort die Donauquelle . Diese Quelle speist einen
Strom bis ins Schwarze Meer . An ihm liegen zehn Län-
der, von denen nicht alle Mitglieder der Europäischen
Union sind . In Serbien und im westlichen Balkan ha-
ben die Menschen die Schrecken des Krieges noch sehr

Annalena Baerbock






(A) (C)



(B) (D)


unmittelbar in Erinnerung . Auch diesen Menschen darf
und soll die Europäische Union Hoffnung geben; denn
sie klopfen sehnsuchtsvoll an die Tür dieses Hauses von
Frieden, Freiheit und Sicherheit .

Wenn wir auf den Rhein schauen und darauf jetzt die
vielen Handelsschiffe sehen, die nach Rotterdam und von
dort in die freie Welt fahren, dann sehen wir: Auch der
Handel ist etwas, was Europa stark macht . Aber stark
macht uns in erster Linie dieses Bekenntnis zur Freiheit .
Dieses Bekenntnis zur Freiheit ist in der Präambel des
Grundgesetzes verankert, das in den dunkelsten Stun-
den unseres Landes verfasst wurde . In der heißt es: „als
gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem
Frieden der Welt zu dienen“ .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822511100

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die

Kollegin Dr . Dorothee Schlegel .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Dorothee Schlegel (SPD):
Rede ID: ID1822511200

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Werte

Gäste! Seit der Antike wird der Kontinent Europa als
Frau dargestellt . Dieser Logik folgend, feiert die Europa
der Moderne in diesem Jahr ihren 60 . Geburtstag . Ihre
Geburtsurkunde sind die Römischen Verträge – Europa
hat Väter und Mütter –, und wir als überzeugte Europäe-
rinnen und Europäer feiern mit ihr .

Wir feiern im Namen der Aufklärung und der Vernunft
ein Europa, das von jeher Symbol für die Ideale von Frei-
heit, Demokratie und Gleichberechtigung ist . Wir feiern
Europa vor allem mit einem Gefühl der Dankbarkeit als
ein Symbol für 70 Jahre Frieden . Widerstände, Heraus-
forderungen und Krisen setzen der europäischen Eini-
gung hart zu. Vieles davon ist schon genannt worden: der
Brexit, die Nachwehen der Finanzkrise, die hohe Anzahl
an Flüchtlingen und das Erstarken der Nationalisten oder
Rechtspopulisten .

Trotzdem: Europa ist eine Erfolgsgeschichte, und das
europäische Projekt ist lebendig . Jugendliche zwischen
Wien, Warschau, Budapest, Berlin, Lissabon und eben
auch London schätzen Frieden und Freiheit . Dafür gehen
sie auch wieder auf die Straßen; denn sie schätzen das
grenzenlose Studieren, Arbeiten und Reisen . Die Mehr-
heit der jungen Europäerinnen und Europäer steht fest
hinter der EU . Aktuelle Umfragen, wie sie auch Kollege
Frei schon zitiert hat, bestätigen das . Es gibt also – gene-
rationenübergreifend – viele Europafans .

Meine Damen und Herren, „Europa ist unsere gemein-
same Zukunft“, heißt es in dem Entwurf einer Erklärung
der 27 EU-Staaten, die beim Gipfeltreffen am 25. März
2017 verabschiedet werden soll . Lassen Sie mich er-
gänzen: Europa ist unsere Aufgabe und unsere Antwort;
unsere Antwort auf große Aufgaben wie Klimaschutz,
Flüchtlingsfrage oder Terrorabwehr, die sich nur gemein-

sam bewältigen lassen. Das Vertrauen der Menschen in
die europäische Idee muss also wieder und weiter ge-
stärkt werden. Die Römischen Verträge und mit ihnen die
zwölf goldenen Sterne strahlen bis heute Zuversicht aus .

Wir halten an unseren europäischen Werten und Idea-
len fest . Auf Populisten, die die Zeit zurückdrehen wol-
len, haben wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokra-
ten seit über 150 Jahren die gleiche klare Antwort: Wir
wollen ein soziales Europa, und zwar nicht erst seit ges-
tern oder heute, Frau Kollegin Baerbock .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tja! Dann müssen Sie auch die Kompetenzen auf die EU übertragen!)


Wir wollen europaweite soziale Sicherungsstandards
und mehr Investitionen, vor allem in gute Arbeit, beruf-
liche Bildung und Ausbildung im Kampf gegen die hohe
Jugendarbeitslosigkeit . Wir wollen Europa demokrati-
scher gestalten und das EU-Parlament weiter aufwerten .
Wir wollen die europäische Integration in der Sozial- und
Wirtschaftspolitik weiterentwickeln . Die europäische
Säule sozialer Rechte ist ein erster guter Schritt . Wir ge-
hen mit auf diesem Weg zu einem Triple-A-Rating für
Europa im sozialen Bereich .

Auf unserer Wunschliste zum 60 . Geburtstag steht
aber ganz klar, dass wir ein Europa des größten gemein-
samen Nenners wollen . Europa ist so viel mehr als ein
Binnenmarkt . Es geht um Sicherheit, um Frieden, es geht
um Bürger- und Menschenrechte, es geht um Demokra-
tie und Freiheit . Das sind Errungenschaften in Europa,
auf die wir stolz sind, für die wir kämpfen und die wir
bewahren müssen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das Referendum in der Türkei zur geplanten Verfas-
sungsreform rückt näher . Wir erleben, dass sehr viele
türkische Mitbürgerinnen und Mitbürger diese europäi-
schen Werte schätzen und nicht nur in Deutschland mutig
auch für ein Nein werben .

Meine Damen und Herren, vom Vatikan hieß es im
Vorfeld der Feierlichkeiten in Rom, der Mensch müsse
wieder im Mittelpunkt der europäischen Politik stehen,
und ich ergänze sehr gern: für Frauen und Männer glei-
chermaßen; denn in Deutschland – wie in vielen anderen
Mitgliedstaaten – formieren sich neue konservative und
rechtspopulistische Kräfte gegen eine fortschrittliche
Geschlechter- und Familienpolitik . Aber Gleichstellung
ist in der EU ein primärrechtlich verankertes Ziel seit
60 Jahren, siehe Artikel 119 der Römischen Verträge
oder heute Artikel 141 des EG-Vertrages.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Daher wollen und müssen wir verhindern, dass
Gleichstellung schleichend von der Agenda verschwin-
det . Die Europa der Moderne wird hierbei den Stier bei
den Hörnern packen und ihm die Richtung weisen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD)


Matern von Marschall






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822511300

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt

Iris Eberl das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Iris Eberl (CSU):
Rede ID: ID1822511400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! 60 Jahre Römische Verträge sind eine
lange Erfolgsgeschichte von Frieden und Freiheit, eine
Erfolgsgeschichte der Europäischen Union . Es war eine
Friedensperiode mit wachsendem Wohlstand für alle, die
Deutschland die Wiedervereinigung ermöglichte . Die
Europäische Union hat sich gelohnt, und es lohnt noch
immer, an ihr festzuhalten, wovon wir alle – fast alle –
überzeugt sind .

Trotzdem gibt es genug Stimmen, die einen Austritt
fordern . Großbritannien wird austreten, wohl wissend,
wie schwierig und wie teuer der Prozess der Auseinan-
dersetzung werden wird . Inhaltlich benennt Großbritan-
nien vor allem zwei Gründe, die seine nationale Hoheit
betreffen. Es will wieder selbst über die Einwanderung
entscheiden, und es will sich dem EuGH nicht mehr beu-
gen .

Auch viele unserer Bürger haben das Vertrauen in die
Union verloren, bzw. ihr Vertrauen ist erschüttert. Wir
Abgeordnete sind praktisch gläsern, aber der Bürger weiß
nichts über die Richter am EuGH, nichts – oder kaum
etwas – über die Entscheidungsprozesse in Brüssel, fast
nichts über die Personen, die dort über Europa entschei-
den und sich ungebeten in nationale Belange einmischen .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Ausschüsse sind da alle öffentlich! – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Gegensatz zum Bundestag kann man sich die alle online anschauen!)


Menschen fürchten sich vor Unbekanntem; zu Recht .
Deshalb muss mehr Transparenz eine Forderung für die
Zukunft der Union sein .

Wie es mit der Europäischen Union weitergeht, wird
auch vom Umgangston untereinander abhängen und da-
von, wie wir mit Freunden umgehen . Noch ist Großbri-
tannien Unionsmitglied, und es ist ein Freund . Nutzen
wir also den Austrittsprozess Großbritanniens für eine
positive Evaluation unserer Union . Sortieren wir sorg-
sam für unser Projekt Europa: Rosinen ins Töpfchen und
Fallobst in die Saftpresse .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rosinen?)


Die Sicherheit der Bürger ist eine Rosine! Gemeinsame
europäische Verteidigungspolitik, Schutz der Außen-
grenzen, innere Sicherheit und Terrorbekämpfung – hier
erkennt der Bürger auch den Mehrwert der Union .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Solidarität ist keine Einbahnstraße!)


Aber was wir nicht brauchen, ist Einmischung in
Klein-Klein: Ekelbilder auf Zigarettenschachteln,
Feinstaubregelungen aus Brüssel, um nur zwei Beispiele
zu nennen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gesundheitsschutz!)


Das nächste aktuelle Schlagwort, hinter dem sich Pro-
bleme verbergen, heißt: Wir brauchen ein soziales Eu-
ropa .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sozial, aber keine Gesundheit!)


Falsch . Wir haben ein soziales Europa .


(Lachen bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Europa ist sozial, weil es aus sozialen Marktwirtschaften
besteht . Jede Nation hat ihre sozialen Sicherungen, abge-
stimmt auf die nationalen Verhältnisse.

Soziale Sicherungen können nur subsidiär geregelt
werden; denn sie müssen dem Bürger effektiv helfen.
Sein Bedarf wird in seiner Heimat bestimmt . Außerdem
ist es keinem Arbeitnehmer in Deutschland zumutbar, für
die Arbeitslosen in Frankreich zu bezahlen . Die gehören
dem französischen Premier .

Es ist ganz offensichtlich, dass ein europäisches So-
zialversicherungssystem für Deutschland unbezahlbar
wird . Warum sollten wir dieses Fass ohne Boden haben
wollen?


(Christian Petry [SPD]: Das ist aber nicht unsere Auffassung! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist aber extrem antieuropäisch!)


Die Umverteilung von reichen zu armen Ländern
läuft sowieso seit langem, zum Beispiel mit den nie fäl-
lig werdenden TARGET-Salden, die von uns nicht steu-
erbar sind . Wir bauen den BMW . Wir liefern ihn nach
Griechenland . Wir leihen dem Griechen das Geld, damit
er das Auto bezahlt . Dafür werden wir halbjährlich im
Europäischen Semester aus Brüssel gerügt, weil wir zu
viel exportieren .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: In welcher Welt leben Sie eigentlich?)


Diese Rüge verrät uns noch ein Problem der Uni-
on, nämlich Brüsseler Planwirtschaft programmiert mit
Nachfragepolitik .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Brüssel als Planwirtschaft? Die Bundesregierung entscheidet doch! Meine Güte!)


Wir brauchen wieder eine Diskussion über Wirtschafts-
politik . Erfolge für die Bürger gibt es nur dort, wo Frei-
heit und Eigenverantwortung gelten . Einen ganzen Kon-






(A) (C)



(B) (D)


tinent durch Bürokratie planwirtschaftlich steuern zu
wollen, ist zum Scheitern verurteilt .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Warum stimmt dann die Bundesregierung nicht dagegen?)


Soll die Europäische Union langfristig weiter existieren,
müssen wir uns zu Freiheit und Subsidiarität bekennen .

Ich hoffe, meine Damen und Herren, meine Worte wa-
ren konstruktiv .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren falsch! – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ahnungslos!)


Denn die Union ist die kostbarste Erfindung des 20. Jahr-
hunderts . Sehen wir sie als Gemeinschaft demokratischer
Länder! Respektieren wir jeden einzelnen Wählerwillen!
Auch den aus Ungarn, Herr Poß .


(Joachim Poß [SPD]: Ach! Das heißt, Sie sind auch für die Abschaffung von Demokratie und Rechtsstaat!)


Genießen wir die Vielfalt der Nationen! Pflegen wir un-
sere Europäische Union! Wir haben die Jugend auf un-
serer Seite .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sie nicht!)


Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822511500

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der

Kollege Norbert Spinrath .


(Beifall bei der SPD)



Norbert Spinrath (SPD):
Rede ID: ID1822511600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich teile ausdrücklich
nicht das, was Frau Kollegin Eberl gerade gesagt hat;
ich teile ausdrücklich zunächst einmal die Würdigung
der Entwicklung, aber auch der Notwendigkeit der Rö-
mischen Verträge und ihres Geistes, die Staatsminister
Michael Roth eben vorgenommen hat .

Am Samstag wird in Rom nicht nur gefeiert, son-
dern mit dem Bratislava-Prozess und dem Weißbuch
der Kommission steht nicht weniger als die Zukunft der
EU auf der Tagesordnung . Es wird von uns allen schon
seit langem erkannt, dass der Status der Verträge nicht
mehr ausreicht, um mit den aktuellen Erfordernissen und
den Herausforderungen der Zukunft umzugehen . Wir
sollten nicht so verzagt sein, wie wir es auch manchmal
in Deutschland sind . Martin Luther hat sich dazu einst
kräftig geäußert . Im Luther-Jahr sollte man ihn zitieren
dürfen, was ich mir jetzt aber versage . Um diese Uhrzeit
könnten Kinder zuhören .

Aber lassen Sie uns nicht verzagt sein . Lassen Sie uns
Mut zur Weiterentwicklung der Europäischen Union ha-

ben . Diesen Mut brauchen wir, so habe ich heute ver-
nommen, auch und gerade in Deutschland .


(Beifall bei der SPD)


Parallel zum Europäischen Rat werden Tausende
Menschen in Rom und in vielen weiteren europäischen
Städten für ein geeintes Europa demonstrieren, so wie
es auch die Bewegung Pulse of Europe seit einigen Wo-
chen jeden Sonntag europaweit macht . Diese Menschen
zeigen Mut . Sie ermuntern uns, unsere Zurückhaltung
aufzugeben und Europa für uns zu begreifen und weiter-
zuentwickeln .

Die vorgestern veröffentlichte Umfrage der Ber-
telsmann-Stiftung zeigt, dass die Mehrheit der 15- bis
24-Jährigen in Mittel- und Osteuropa die EU befürwortet


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwei Drittel!)


und damit Mut beweist . Die Zustimmungswerte liegen
in allen untersuchten Ländern bei über 70 Prozent, in
Deutschland sogar bei 87 Prozent . Aber wir sind verzagt .
Wir haben den Mut nicht; die jungen Menschen haben
ihn .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die zwei Jungen klatschen ja auch!)


– Genau, die jungen Menschen applaudieren . – Diese Ju-
gendlichen sollten uns motivieren, mutig und konstruk-
tiv über die Zukunft der EU zu diskutieren . Wir müssen
nun alle Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Jugend
Europas ihre eigene Zukunft in Europa gestalten kann .


(Beifall bei der SPD)


Im Weißbuch zur Zukunft der EU stellt die Kommis-
sion fünf mögliche Szenarien zur Diskussion . Zwei Sze-
narien erteile ich eine ganz klare Absage, nämlich dem
Rückzug auf den Binnenmarkt und einer Fokussierung
auf wenige Politikbereiche . Da unterscheiden wir uns,
Herr Frei und Herr Matern von Marschall . In Ihrer Auf-
zählung kommen die sozialen Standards nicht vor . Nicht
einmal der Begriff „sozial“ ist gefallen. Beide Szenarien
enthalten gravierende Folgen für Sozialstandards, Ar-
beitnehmerrechte und regionale Entwicklungen . Wer das
will, zeigt keinen Mut . Wer das will, versündigt sich ge-
gen den Geist der Römischen Verträge.


(Beifall bei der SPD)


Frau Eberl, es ist ein bisschen realitätsfremd, auf die
Sozialstandards in den jeweiligen Mitgliedsländern zu
verweisen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie predigen doch ständig, dass wir Konvergenz – auch
bei den Wirtschaftsdaten – brauchen, um alle am größt-
möglichen Profit Europas zu beteiligen. Wo bleibt denn
Ihre Forderung nach der Konvergenz der Sozialstan-

Iris Eberl






(A) (C)



(B) (D)


dards? Wir brauchen diese Konvergenz in Europa drin-
gend .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn die Menschen in Europa profitieren vom höchsten
Gut, das Europa ihnen zu bieten hat, nämlich von der
Freizügigkeit . Wenn sie diese Freizügigkeit nutzen, müs-
sen wir auch sicherstellen, dass die sehr unterschiedlichen
Sozialstandards angeglichen werden . Dafür brauchen wir
das soziale Europa, und dafür brauchen Sie endlich Mut .


(Beifall bei der SPD)


Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wol-
len hin zu einer echten gemeinsamen Wirtschafts- und
Währungsunion . Aber wir wollen auch hin zu einem so-
zialen Europa . Der Satz stimmt: Es ist Zeit für mehr Ge-
rechtigkeit, nicht nur für die Menschen in Deutschland,
sondern für alle Menschen in Europa .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie auch Kompetenzen übertragen!)


Lassen Sie uns die besten Ideen und Ansätze der drei
verbleibenden Szenarien des Kommissionsweißbuchs
aufgreifen, mit eigenen Vorschlägen ergänzen und daraus
ein neues Szenario entwickeln . Lassen Sie uns mit viel
Mut an der Gestaltung Europas im Sinne der Menschen
in Europa dranbleiben . Wer ein gemeinsames europä-
isches Haus will, Herr Hunko, ist herzlich dazu einge-
laden . Wir waren gemeinsam in der letzten Woche mit
einer Delegation des EU-Ausschusses in Moskau . Wer
uns aber so behandelt wie die dortige politische Ebene,
sendet keine Signale, dass er ein gemeinsames Haus will .
Man hat uns die kalte Schulter gezeigt . Ermutigen Sie
Ihre Freunde doch dazu, endlich Gesprächsbereitschaft
zu zeigen! Dann können wir weiterreden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen eine Weiterentwicklung in Europa .
Wenn wir nicht wollen, dass sich die Menschen von Eu-
ropa abwenden, dann müssen wir jetzt den Mut und die
Bereitschaft zu weiteren gemeinsamen Schritten aufbrin-
gen . Sonst wird es bald fünf vor zwölf für die EU sein .
Es ist nicht nur wichtig, Ergebnisse zu veröffentlichen.
Nein, wir müssen vielmehr über den Weg dorthin öffent-
lich diskutieren . Wir müssen die Menschen in Europa er-
fahren lassen, wie wir Lösungen anstreben und dass die
europäische Politik ihren Alltag und ihre Bedürfnisse in
den Mittelpunkt stellt . Wir müssen die Menschen deut-
lich mehr als bisher an der Gestaltung der Europäischen
Union beteiligen; denn nur dann können die Menschen
Europa als ihr Europa begreifen und dafür mutig und en-
gagiert kämpfen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822511700

Es wurde Zeit, dass Sie zum Ende kommen . – Jetzt hat

der Kollege Dr . Christoph Bergner die Gelegenheit, diese
Debatte abzuschließen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1822511800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Ich zitiere in dieser Debatte
gern folgenden Satz von Wolfgang Schäuble:

Die europäische Einigung ist vielleicht die bes-
te Idee, die die Europäer im 20 . Jahrhundert hat-
ten, und gewiss ist sie die beste Vorsorge für unser
21 . Jahrhundert .

Ich füge aus persönlicher Sicht gerne hinzu: Wenn ich
mir vor Augen führe, welche Verpflichtungen ich gegen-
über der Generation meiner Kinder und Enkel habe, dann
weiß ich, dass die Verpflichtung, mich für die Zukunft
Europas einzusetzen, eine zentrale Aufgabe ist . So erlebe
ich es, und so will ich es auch wahrnehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sosehr wir das Recht haben, den Feiertag „60 Jahre
Römische Verträge“ mit Dankbarkeit zu begehen und auf
die letzten 60 Jahre mit Genugtuung zurückzublicken, so
sehr sollten wir uns darüber im Klaren sein, welche Pro-
bleme uns in den nächsten sechs Jahren erwarten . Wir
sprechen im Europaausschuss über die Bewältigung des
Brexit, wir wissen von Zentrifugalkräften in der Euro-
päischen Union und vieles andere mehr . Deshalb ist es,
glaube ich, angemessen, dieses Jubiläum einerseits mit
Dankbarkeit für das, was erreicht wurde, aber anderer-
seits auch mit Problembewusstsein für das, was an Auf-
gaben unmittelbar vor uns steht, zu begehen .

So halte ich es für eine gute Fügung, dass zeitgleich
mit diesem Jubiläum das Weißbuch des Kommissions-
präsidenten, der Bratislava-Prozess und der Bericht des
Europäischen Parlamentes zum Zustand der EU sowie
mögliche Perspektiven verabschiedet und beraten wur-
den . Wer sich mit diesen Papieren beschäftigt, weiß, dass
wir die Probleme, die vor uns liegen, nicht allein mit Eu-
phorie – mit Mut schon – bewältigen werden, sondern
dass wir sehr viel Nüchternheit brauchen .

Im Sinne dieser Nüchternheit habe ich mir erlaubt,
ein Problem in dieser Debatte aufzugreifen, das mich be-
sonders umtreibt und in dem ich die Ursache mancher
Schwierigkeiten der Europäischen Union sehe . Das ist
die Frage nach der demokratischen Legitimation, über
die wir gestern im Ausschuss schon ein wenig diskutiert
haben . Um es klar zu sagen: Ich widerspreche jedem, der
vom Diktat der Kommission spricht, wenn es um Recht-
setzung geht, die wir als Nationalstaaten der Europäi-
schen Kommission übertragen haben .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, dem Rat und dem Parlament!)


Norbert Spinrath






(A) (C)



(B) (D)


Aber ich kann nicht übersehen, dass die Entscheidun-
gen in Brüssel oft genug so wahrgenommen werden, als
wären sie ein Diktat von oben,


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wem? Von Ihnen?)


und dass sich das Gefühl breitmacht – wenn ich Peter
Graf von Kielmansegg zitieren darf –, dass je höher wir
in den europäischen Institutionen sind, desto dünner die
demokratische Luft wird .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum?)


– Warum ist das so? Es ist so, weil der natürliche Ort
demokratischer Legitimation die Nationalstaaten und die
nationalen Parlamente sind .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach!)


Das Europaparlament ist eine großartige Erfindung,
es ist eine unverzichtbare Institution, aber es ist kein Ort
repräsentativer Demokratie,


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum?)


solange wir kein europäisches Staatsvolk haben und so-
lange wir nicht davon ausgehen können, dass wir eine
europäische Öffentlichkeit als Ort gemeinschaftlicher
Meinungsbildung haben .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Und jetzt wollen Sie sie abschaffen?)


– Werfen Sie mir doch so etwas nicht vor! – Das ist das
Dilemma, in dem wir uns bewegen und in dem wir uns
zurechtfinden müssen. Wir dürfen uns auch nicht wun-
dern, dass manche Prozesse, mit denen wir uns herum-
schlagen, entsprechend kompliziert und schwierig ge-
worden sind .

Demokratie ist konstitutiv für die Europäische Union,
und deshalb müssen wir Lösungen suchen . Ich wünsche
mir, dass Folgendes in die Debatte über das Weißbuch
mit einbezogen wird .

Erstens . Stärkung des Subsidiaritätsprinzips – das hat
Herr Frei schon gesagt –, weil es gewissermaßen ein Ins-
trument ist, die demokratische Willensbildung zu ordnen .

Zweitens . Das politische Mandat der Kommission
sollte unter den gegebenen Umständen nicht ausgebaut,
es muss wohl eher begrenzt werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie denn?)


Drittens. Die Vision eines europäischen Staatsvolkes
mag eine Utopie sein, aber wir müssen trotzdem bereit
sein, uns in diese Richtung zu bewegen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich denke, dass Dinge wie die Weiterentwicklung der
Unionsbürgerschaft, wie die Verständigung über grenz-
überschreitende, gemeinsame kulturelle Identifikations-

punkte, wie meinetwegen auch das Interrailticket, das
in dem Zusammenhang durchaus einen Beitrag leisten
kann, Elemente sind, die wir zur Stärkung der Identifika-
tion mit Europa brauchen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822511900

Vielen Dank, Herr Dr. Bergner.


Dr. Christoph Bergner (CDU):
Rede ID: ID1822512000

Ein letzter Satz . – Mein Wunsch wäre es, dass wir die-

ses Jubiläum nicht nur im Rückblick mit Zufriedenheit
feiern, sondern dass wir dieses Jubiläum als einen Ar-
beitsauftrag betrachten; denn es liegen schwierige Pro-
bleme vor uns, denen wir uns widmen müssen, und zwar
nicht nur mit Euphorie, sondern auch mit Nüchternheit
und Problembewusstsein .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822512100

Vielen Dank. – Die Debatte ist etwas länger geworden

als geplant . Aber es ist auch mit viel Leidenschaft gestrit-
ten worden, und das ist gut für Europa, denke ich . Die
Aktuelle Stunde ist damit beendet .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 32 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Er-
leichterung unternehmerischer Initiativen aus
bürgerschaftlichem Engagement und zum Bü-
rokratieabbau bei Genossenschaften

Drucksache 18/11506
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die
Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre von Ihrer
Seite keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bun-
desregierung hat der Parlamentarische Staatssekretär
Christian Lange . – Bitte schön .


(Beifall bei der SPD)


C
Christian Lange (SPD):
Rede ID: ID1822512200


Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf will
die Bundesregierung zum einen die Gründung kleiner
unternehmerischer Initiativen aus bürgerschaftlichem
Engagement erleichtern, indem eine passende Rechts-
form zur Verfügung gestellt wird. Zum anderen geht es
um Erleichterungen für Genossenschaften selbst .

Dr. Christoph Bergner






(A) (C)



(B) (D)


Beide Teile, freilich, stehen in einem Zusammen-
hang; denn die Genossenschaft ist ebenfalls eine ideale
Rechtsform für das bürgerschaftliche Engagement . Die
alte genossenschaftliche Idee „Was einer allein nicht
schafft, das schaffen viele“ gilt auch für Initiativen aus
bürgerschaftlichem Engagement: Viele Bürgerinnen und
Bürger tun sich zusammen, um etwas gemeinsam auf die
Beine zu stellen . Genau das wollen wir unterstützen und
fördern .

Diese Bürgerinnen und Bürger tun etwas nicht nur für
sich selbst, sondern für die Gemeinschaft, zum Beispiel
gründen sie einen Dorfladen, schaffen erreichbarere Ein-
kaufsmöglichkeiten, erhöhen die Lebensqualität auf dem
Land, insbesondere für ältere Personen . Die Umwelt wird
geschont, wenn Autofahrten zu entfernten Supermärkten
entfallen. Oft wird ein Dorfladen zu einem sozialen Treff-
punkt und stärkt die Dorfgemeinschaft .

Aber auch in Städten kann bürgerschaftliches En-
gagement die Lebensqualität verbessern, zum Beispiel,
wenn Bürgerinnen und Bürger ein Programmkino in ei-
ner Kleinstadt oder eine andere Kultureinrichtung über-
nehmen, weil das auf eine Gewinnerzielung angewiesene
Unternehmen es nicht mehr tun möchte .

Für solche kleinen Unternehmen aus bürgerschaftli-
chem Engagement gilt regelmäßig: Sie werden ehrenamt-
lich betrieben und haben wenig Geld zur Verfügung. Die
Mitglieder wollen die knappen Ressourcen an Zeit und
Geld so weit wie möglich für die Verwirklichung ihres
Zwecks nutzen und nicht für die Erfüllung von bürokra-
tischen Anforderungen . Bei bürgerschaftlich getragenen
Unternehmen ist es daher oft zu aufwendig und zu teuer,
den Zweck in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft
oder Genossenschaft zu verfolgen .

Auf der anderen Seite ist es den Bürgerinnen und Bür-
gern, die sich ehrenamtlich für ihre Region engagieren,
ein Anliegen, dass sie nicht persönlich haften . Unser Ge-
setzentwurf sieht deshalb vor, für solche Initiativen aus
bürgerschaftlichem Engagement den Zugang zum rechts-
fähigen Wirtschaftlichen Verein zu erleichtern.


(Beifall bei der SPD)


Diese Rechtsform verursacht wenig Aufwand und
Kosten, und es gibt keine Haftung der Mitglieder . Nach
den Erfahrungen in Rheinland-Pfalz hat sich bewährt,
dass Dorfläden die Rechtsfähigkeit als Wirtschaftlicher
Verein verliehen wird. Die Verleihungspraxis ist in den
Bundesländern freilich sehr uneinheitlich . Daher sol-
len künftig die Voraussetzungen für die Verleihung der
Rechtsfähigkeit an Wirtschaftliche Vereine stärker kon-
kretisiert und dadurch die Verleihungspraxis stärker
vereinheitlicht werden . § 22 des Bürgerlichen Gesetzbu-
ches soll verständlicher gefasst werden, und es ist eine
Ermächtigung für eine Rechtsverordnung vorgesehen,
durch die die Verleihungsvoraussetzungen für Initiativen
aus ehrenamtlichem Engagement konkretisiert werden .

Auch die Genossenschaft ist eine sehr geeignete
Rechtsform für bürgerschaftliches Engagement, insbe-
sondere wenn sich die Mitglieder mit nicht unerheblichen
Geldbeträgen beteiligen wollen; denn bei Genossenschaf-
ten werden – durch die verpflichtende Gründungsprüfung

und die regelmäßigen Pflichtprüfungen – die Vermögens-
lage und die Geschäftsführung überwacht . Dies gibt den
Mitgliedern Sicherheit bei ihrem Engagement .

Durch verschiedene bürokratische Erleichterungen
soll mit dem Gesetzentwurf auch die Rechtsform der Ge-
nossenschaft noch attraktiver gemacht werden, insbeson-
dere für Kleinstunternehmen .


(Beifall bei der SPD)


Zum Beispiel soll künftig bei Kleinstgenossenschaften
jede zweite Pflichtprüfung in Form einer kostengünstige-
ren vereinfachten Prüfung stattfinden. Auch soll die Fi-
nanzierung von Investitionen durch Mitgliederdarlehen
erleichtert werden .

Meine Damen und Herren, es sind keine tiefgreifen-
den Änderungen im Genossenschaftsgesetz vorgesehen .
Einige Vorschläge wurden im Regierungsentwurf gegen-
über dem Referentenentwurf etwas abgeschwächt . Aber
das Signal ist klar: Auch die Genossenschaft ist eine at-
traktive Rechtsform für Unternehmen des bürgerschaftli-
chen Engagements .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn Sie eine
Vielzahl anderer Gesetze zu beraten haben und im Hin-
blick auf das Ende der Wahlperiode die Zeit immer knap-
per wird: Dieses Gesetz sollte noch in dieser Legislatur-
periode verabschiedet werden, damit der Gesetzgeber
zeigt, dass er etwas für ehrenamtliches Engagement in
Deutschland tut .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822512300

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Als nächste Red-

nerin spricht Dr . Petra Sitte von der Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822512400

Danke . – Frau Präsidentin! Meine Damen und Her-

ren! Das UNESCO-Welterbekomitee hat im November
des vergangenen Jahres die Idee der Genossenschaften in
die Liste des immateriellen Weltkulturerbes aufgenom-
men . In der Begründung wurde einstimmig erklärt, dass
die Genossenschaftsidee als überkonfessionelles Modell
auf den Maximen der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und
Selbstverantwortung beruht .


(Beifall bei der LINKEN)


Weltweit sind über 800 Millionen Menschen in Ge-
nossenschaften organisiert . Allein in Deutschland enga-
gieren sich nach Zahlen aus dem Jahr 2015 20 Millionen
Menschen in rund 7 600 Genossenschaften . Genossen-
schaftliches Agieren hat eine jahrhundertealte Tradition .
Schon seit dem Mittelalter existieren nachweisbar ge-
nossenschaftliche Strukturen oder Bestrebungen, die der

Parl. Staatssekretär Christian Lange






(A) (C)



(B) (D)


wirtschaftlichen und sozialen Förderung ihrer Mitglieder
dienen .

Ich selbst bin vor vier Jahren Gründungsmitglied ei-
ner Genossenschaft in meinem Wahlkreis geworden,
nämlich der Peißnitzhaus Genossenschaft . Es gibt sicher
noch so manchen im Saal, der oder die auch in einer sol-
chen Genossenschaft mitarbeitet . Das Peißnitzhaus ist
ein ganz wichtiger Pfeiler bei uns für Hallesche Kultur,
für Naherholung . Es bietet zahlreiche Angebote in den
Bereichen Umweltbildung, Kunst, Kultur, Konzerte und
auch Geschichte. Vor allem ist es eine Genossenschaft,
in der Menschen mit Behinderung Arbeit finden. Das ist
auch ein Aspekt, den wir dabei mit bedenken sollten .


(Beifall bei der LINKEN)


So habe ich natürlich mit Interesse die Bestrebungen
der Bundesregierung verfolgt, bei der Gründung solcher
Genossenschaften zu Erleichterungen für das Ehrenamt
zu kommen. Im Koalitionsvertrag findet sich dazu auch
etwas . Es sind ungefähr dreieinhalb Jahre vergangen, seit
der Koalitionsvertrag geschrieben worden ist . Sie mah-
nen jetzt zur Eile . Nun ja, gut; besser jetzt als gar nicht .
Das hätte man aber auch schon früher hinbekommen
können .


(Zuruf des Abg . Dr . Karl-Heinz Brunner [SPD])


– Ja, wir haben immer etwas zu meckern; das wissen
Sie doch . – Im Koalitionsvertrag steht: Die Gründung
unternehmerischer Initiativen aus bürgerschaftlichem
Engagement, zum Beispiel – wie vorhin schon gesagt –
Dorfläden, aber auch Kitas, altersgerechtes Wohnen oder
Energievorhaben, soll erleichtert werden . Für solche Ini-
tiativen soll eine geeignete Unternehmensform im Ge-
nossenschafts- oder Vereinsrecht zur Verfügung stehen.
Vor allem sollen dabei, wie schon zitiert, unangemesse-
ner Aufwand und Bürokratie vermieden werden . – Al-
lerdings ist unsere Befürchtung: Der Gesetzentwurf, den
wir hier beraten, wird das weder gut noch deutlich besser
tun .

Das derzeitige Genossenschaftsgesetz – da sind wir
uns wohl einig – ist überorganisiert und ziemlich unde-
mokratisch verfasst . Man könnte sogar sagen: Es verhin-
dert in manchen Fällen die genossenschaftliche Selbst-
hilfe und Solidarität .


(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Eigentlich ist genau das Gegenteil der Fall! Jedes Mitglied hat eine Stimme!)


– Ich rede doch über das bisherige, das in der Kritik steht;
das ist ein feiner Unterschied .


(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Auch im bisherigen ist das so!)


Die alleinige Leitungsmacht des Vorstands nach dem Ge-
nossenschaftsgesetz muss eingeschränkt werden, und die
Mitbestimmungsmöglichkeiten und Rechte der Mitglie-
der und der Generalversammlung sollten gestärkt wer-
den .


(Beifall bei der LINKEN)


Eine engere Bindung der Geschäftsleitung an die Be-
schlüsse des Vorstandes könnte in vielen Fällen die Zahl
der Entscheidungen reduzieren, die „über die Köpfe hin-
weg“ getroffen werden. Wir wissen ja alle, dass es gerade
mancher Wohnungsgenossenschaft ausgesprochen gut
tun würde, sich in dieser Beziehung wieder zu erden .

Die Möglichkeit des Justizministeriums, den Wirt-
schaftlichen Verein per Rechtsverordnung nach § 22
BGB wieder einzuführen, könnte – da haben wir unsere
Bedenken – den Druck auf kooperative Wohninitiativen
wieder verschärfen . Es wird nämlich befürchtet, dass sie
diese Rechtsform – das können wir ja in der Ausschuss-
debatte klären – nutzen müssen, statt die Möglichkeit ei-
nes eingetragenen und teilweise gemeinnützigen Vereins
nutzen zu können . Diese Befürchtung ist ja auch nicht
ganz unbegründet, gibt es doch schon jetzt große Proble-
me, sich in das Vereinsregister eintragen zu lassen.

Ich will noch etwas zur Logik der Genossenschaften
sagen . Im Bundesjustizministerium, aber auch im Minis-
terium für Wirtschaft und Energie ist man offenbar der
Auffassung, dass sich Genossenschaften auch am Markt
bewähren und dass sie mit anderen Anbietern am Markt
konkurrieren müssen . Das sehen wir ausdrücklich nicht
so, weil zahlreiche Gründungen eben genau deshalb er-
folgen, weil man sich dieser Logik entziehen will . Das
sollten wir auch stärken, weil es eben um die Ressourcen
vieler zum Wohle aller geht .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich komme schließlich zu Kitas und Dorfläden: Ja, das
sind ganz wichtige Beispiele, wo kollegial und solida-
risch zusammengearbeitet werden muss und auch wird .
Jeder von uns kennt diese Beispiele . Insofern ist die
ehrenamtliche Arbeit in Genossenschaften bzw . um das
Genossenschaftswesen herum eine ganz wichtige Aufga-
be . Sie darf aber natürlich soziale Daseinsvorsorge oder
andere Aufgaben und Verantwortungen des Staates nicht
ersetzen . Darüber sollte man sich im Klaren sein, wenn
man über diese Konstrukte diskutiert .

Insofern werden wir also im Ausschuss schauen, was
sich dort machen lässt . Wo es eben möglich ist, Menschen
mit ihrem bürgerschaftlichen Engagement bzw . in ihrem
Ehrenamt zu unterstützen, da sollte sich das in diesem
Gesetz auch niederschlagen. Vor allen Dingen sollten die
bürokratischen Hürden reduziert werden .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822512500

Als nächster Redner hat das Wort Marco Wanderwitz

von der CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marco Wanderwitz (CDU):
Rede ID: ID1822512600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Zehntausende Bürgerinnen und Bürger
engagieren sich in unserem Land täglich ehrenamt-
lich miteinander und füreinander . Als Erstes fallen uns
da Feuerwehren und Vereine aller Art – zum Beispiel

Dr. Petra Sitte






(A) (C)



(B) (D)


Sportvereine – ein, aber eben auch Initiativen wie bei-
spielsweise kleine Dorfläden sowie Kitas, die sich in der
Trägerschaft von Elternvereinen befinden. Ich nenne in
diesem Zusammenhang weiterhin folgende Stichwörter:
altersgerechtes Wohnen, Energievorhaben, Eltern- und
Nachbarschaftsinitiativen usw . usf .

Viele dieser städtischen, aber auch ländlichen Initia-
tiven werden wirtschaftlich insbesondere dort tätig, wo
einerseits der Markt Teile der Daseinsvorsorge nicht
gewährleisten kann oder will oder wo es eben der Staat
auch nicht kann bzw . sich damit schwertut . Die bekann-
testen solcher Initiativen, deren Zweck auf einen wirt-
schaftlichen Betrieb in geringem Umfang gerichtet ist,
sind eben die genannten Dorfläden, wo der Einzelhandel
auf dem flachen Land – ich glaube, viele von uns kennen
das aus ihren Wahlkreisen – keine Gewinne erwirtschaf-
ten kann . Dort schließen sich nicht selten die Einwohner-
innen und Einwohner zusammen, um sich die gewohnten
kurzen Wege und die damit verbundene Lebensqualität
zu erhalten .

Dorfläden werden heute beispielsweise als Unterneh-
mensgesellschaft, als rechtsfähiger Wirtschaftlicher Ver-
ein oder eben als Genossenschaft gegründet . Die Genos-
senschaft stellt auch aus meiner Sicht eine sehr sinnvolle
Rechtsform für diese Initiativen dar . Ein Austritt von Mit-
gliedern ist sehr unkompliziert möglich . Die Mitglieder
haften nicht persönlich . Und es gilt der genossenschaft-
liche Grundsatz: Ein Mitglied, eine Stimme . Der schützt
beispielsweise davor, dass Investoren in irgendeiner Art
und Weise einsteigen und dominieren können .

Die Rechtsform der Genossenschaft ist jedoch für
kleine Unternehmen, wo weniger für den Gewinn als
gegen den Verlust gewirtschaftet wird, nicht immer at-
traktiv . Da gibt es zum einen die Kosten der Gründungs-
prüfung, zum anderen Mitgliedsbeiträge beim genossen-
schaftlichen Prüfungsverband oder auch die Kosten für
regelmäßige genossenschaftliche Pflichtprüfungen. Des-
halb haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart – Kollege
Staatssekretär Lange hat es schon dargestellt –, die Grün-
dung unternehmerischer Initiativen aus bürgerschaftli-
chem Engagement zu erleichtern .

Die Inhalte eines Koalitionsvertrages werden so ab-
gearbeitet, dass gewisse Dinge zu Beginn, gewisse Din-
ge zur Mitte und gewisse Dinge zum Ende an die Reihe
kommen . Das ist, glaube ich, in jeder Koalitionsregie-
rung so, egal wer daran beteiligt ist .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Die einen sind halt schneller, die anderen nicht!)


– Ja, mir sind aber keine Koalitionen aus den Ländern
bekannt, an denen die Linkspartei beteiligt ist und die im
letzten Jahr nichts mehr aus ihrem Koalitionsvertrag ab-
zuarbeiten gehabt hätten .

Aber ich glaube, wichtig ist, dass wir jetzt an dieser
Stelle noch tätig werden, dass es jetzt den Gesetzentwurf
gibt und dass wir ihn, so hoffe ich zumindest, auch in den
Ausschussberatungen zu einem guten Ergebnis führen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Karl-Heinz Brunner [SPD])


Wir haben im Koalitionsvertrag einen Prüfauftrag ver-
einbart und wollen schauen, inwieweit Handlungsbedarf
besteht und wo wir gegebenenfalls weitere Erleichterun-
gen am sinnvollsten abbilden können, ohne in bewähr-
te Systeme zu tief und zu grundlegend einzugreifen . An
dieser Stelle gleich einmal gesagt: Ich halte das Genos-
senschaftsgesetz für sehr bewährt . Es gibt sicherlich im-
mer gewisse Dinge zu verbessern, aber die doch relativ
fundamentale Kritik, die hier geäußert wurde, teile ich
nicht . Das für das Genossenschaftswesen zuständige
Bundeswirtschaftsministerium hatte zu Beginn der Le-
gislaturperiode eine Studie mit dem Titel „Potenziale
und Hemmnisse von unternehmerischen Aktivitäten in
der Rechtsform der Genossenschaft“ in Auftrag gegeben .
Das war einer der Gründe – erst einmal anschauen, dann
vorlegen –, warum es nicht gleich zu Beginn der Legisla-
turperiode zu einem Gesetzentwurf kam .

Meine Lesart der Studie: Mehr als 90 Prozent der Be-
fragten sind zufrieden mit der gewählten Rechtsform und
lehnen Änderungen am genossenschaftlichen Prüfungs-
und Beratungsansatz ab . Eine große Mehrheit bewer-
tet Vorteile wie Vertrauen und Sicherheit höher als die
Kostennachteile, die die Rechtsform Genossenschaft mit
sich bringt . Selbst Kleinstgenossenschaften wie Dorf-
läden mit geringfügiger wirtschaftlicher Tätigkeit, die
dieser Gesellschaftsform unterliegen und befragt wur-
den, fordern mit Blick auf die Kosten mehrheitlich keine
generelle Abschaffung von Pflichtmitgliedschaft und Ab-
schlussprüfung, und jeder zweite Betreiber der so organi-
sierten und befragten Dorfläden sagt, die Gründungsprü-
fung verhindere unternehmerische Fehlentscheidungen
früh . Insofern sind nach meiner Lesart eher nur kleinere
Eingriffe im bewährten Genossenschaftsrecht zu recht-
fertigen .

Der vorgelegte Gesetzentwurf sieht einerseits Maß-
nahmen im Genossenschaftsrecht, andererseits im
Vereinsrecht vor. Insbesondere die Änderungen im
Vereinsrecht hat Kollege Lange schon umfänglich aus-
geführt . Wir sind der Meinung, dass das gut angelegte
Regelungen sind . Wir unterstützen diese ausdrücklich .
Skeptischer bin ich bezüglich der Änderungen, die das
Genossenschaftsrecht betreffen. Das betrifft insbeson-
dere den neu eingefügten § 53a Genossenschaftsgesetz .
Dort sind Pflichtprüfungen in der normalen Form, wie
sie bisher jährlich stattfinden, nur noch jedes zweite Jahr
vorgesehen . In den Jahren dazwischen soll es zu ver-
einfachten Prüfungen kommen . Klar, die vereinfachten
Prüfungen bedeuten ein Weniger im Verhältnis zu den
regulären Pflichtprüfungen, wie wir sie jetzt kennen. Wir
sollten zumindest sehr genau hinschauen, ob diese Ände-
rung im Genossenschaftsrecht eine gute Idee ist oder ob
sie nicht dem Vertrauen in die Genossenschaft als beson-
ders insolvenzfester, besonders gut geprüfter und berate-
ner Unternehmensform schadet .

Vorgeschlagen ist zudem, dass eine Befreiung von der
Jahresabschlussprüfung für Genossenschaften mit einer
Bilanzsumme von unter 1,5 Millionen Euro und einem
Umsatzerlös von unter 3 Millionen Euro stattfinden soll.
Das würde bedeuten, dass zu den 50 Prozent der Gesell-
schaften, die jetzt schon von dieser Jahresabschlussprü-
fung befreit sind, noch weitere dazukommen würden .

Marco Wanderwitz






(A) (C)



(B) (D)


Auch mittelgroße Gesellschaften würden dann künftig
nicht mehr diesen Regelungen unterliegen . Damit würde
ein Stück weit weniger genau hingeschaut und beispiels-
weise in Frühphasen nicht mehr erkannt, dass es unter-
nehmerische Fehlentwicklungen gibt . Deswegen wollen
wir in den Ausschussberatungen insbesondere diese bei-
den Punkte noch einmal sehr genau thematisieren .

Die Verordnungsermächtigung ist bereits angespro-
chen worden . Wir sind der Meinung, dass es ideal wäre,
wenn es uns gelänge, im Zuge des Gesetzgebungsver-
fahrens dieses Thema mit abzuräumen . Das heißt, dass
wir entweder im Gesetz festschreiben, was die genauen
Kriterien sind, oder dass wir uns als Gesetzgeber alter-
nativ die Verordnung gleich mit anschauen und sie dann
in unmittelbarer zeitlicher Nähe in einer auch vom Par-
lament diskutierten und gebilligten Form verabschiedet
werden kann .

Wir haben eine gute Chance, in einem zeitlich gar
nicht so weit auseinanderliegenden Verfahren zu einer
guten Lösung zu kommen, damit Initiativen wie bei-
spielsweise Kitas oder Dorfläden als Kleinstgenossen-
schaften, aber auch als Vereine künftig noch ein Stück
leichter und ein Stück besser arbeiten können . Wir haben
uns das fest vorgenommen und freuen uns auf die parla-
mentarischen Beratungen hier im Haus .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822512700

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstes kommt der

Redner Dieter Janecek von der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen .


Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822512800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Gemeinsam mehr er-

reichen – das ist der Grundgedanke der Genossenschaf-
ten . Sie haben ja auch schon viel erreicht: die Energie-
wende in der heutigen Form, letztlich auch den Ausstieg
aus der Atomenergie, den wir heute schon in der Endla-
gerdebatte thematisiert haben . Das alles wäre ohne ge-
nossenschaftliches Engagement nicht gegangen, bei dem
sich viele Hunderttausend Menschen für gemeinsame
Ideale eingesetzt haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme aus München . Ich merke auch dort, dass
viele Leute mithelfen, zum Beispiel die Landwirtschaft
ökologischer zu machen, um die Versorgung sicherzu-
stellen. Mir fällt das Beispiel des Kartoffelkombinats ein,
das den Gemüseanbau in der Region nach vorne bringt
und Menschen in der Stadt mit guten Produkten aus der
Region versorgt . Deswegen ist es gut, dass wir heute ge-
meinsam diskutieren, wie wir noch mehr Freiheiten und
noch weniger Bürokratie für die Genossenschaften errei-
chen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


Mit den Genossenschaften machen wir unsere Wirt-
schaft nachhaltiger, aber auch die Unternehmen handeln
verantwortlicher und effizienter. Das sind oftmals die Er-

fahrungen . Ganz wichtig ist: Wir machen die Wirtschaft
demokratischer . All das zusammen wollen wir; denn wir
wollen eine wertebasierte Wirtschaft, die für die Men-
schen da ist und nicht umgekehrt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


Deshalb fordern wir Grüne schon seit vielen Jahren,
die Bedingungen für genossenschaftliches Wirtschaften
zu stärken . Wir haben Anträge verfasst, beispielsweise
„Kleine und Kleinstgenossenschaften stärken, Bürokra-
tie abbauen“, zuletzt einen Antrag zum Thema „Share
Economy“ . Wir wollen Betriebe haben, die teilen statt
besitzen . Wir wollen auch das E-Government stärken und
für Hilfe sorgen, um den analogen Prozess in das digitale
Zeitalter zu überführen, weil genau das den Kleinen sehr
viel Arbeit macht . Wir wollen uns für das Prinzip „Ein
Mitglied, eine Stimme“ einsetzen; denn das entspricht
dem genossenschaftlichen Demokratieprinzip und dem
Grundsatz der Selbstverwaltung . All das wollen wir ge-
meinsam stärken . Wir wollen es auch deswegen tun, weil
wir mit unserer Wirtschaftsweise schlechte Erfahrungen
gemacht haben. Ich erinnere nur an die Weltfinanzkrise
von 2007/2008 . Seitdem gibt es wieder eine Renaissance
des genossenschaftlichen Modells, weil viele den Weg
des Finanzkapitalismus nicht gehen wollen . Sie wollen
Alternativen aufbauen, die für Wertschöpfung in der Re-
gion sorgen . Dafür stehen wir .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


Ich komme auf Ihren Gesetzentwurf zu sprechen . Sie
haben einige Ziele benannt . Wir sind auch noch bei der
künftigen Anhörung im Gespräch . Wir werden uns heute
noch nicht abschließend zu diesem Gesetzentwurf ver-
halten, weil es eine rechtlich komplizierte Situation ist,
die wir zu bewerten haben . Aber ich will einige Dinge
ansprechen . Sie wollen zum einen, dass es sehr kleinen
Genossenschaften zukünftig ermöglicht wird, jede zwei-
te Pflichtprüfung in Form einer vereinfachten Prüfung
durchzuführen . Das begrüßen wir uneingeschränkt . Das
finden wir gut. Wir hätten allerdings auch bei einer Erhö-
hung der Grenzen der Bilanzsumme – beispielsweise von
2 Millionen Euro auf 4 Millionen Euro – für verpflich-
tende Jahresabschlussprüfungen ansetzen können . Auf
diesen Vorschlag sind Sie nicht eingegangen. Wir hätten
uns hier gewünscht, dass Sie mehr Spielraum schaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


Wir begrüßen auch, dass darüber nachgedacht wird,
die Förderlandschaft zielgerichteter auszubauen . Dieses
Problem betrifft viele Kleinstunternehmer. Auch hier
müssen wir bei der Anhörung auf die Details achten . Wir
müssen dafür sorgen, dass die Instrumente greifen, da-
mit Menschen mit einem Umsatz in Höhe von vielleicht
10 000 bis 20 000 Euro, die sehr viele gemeinwohlorien-
tierte Interessen verfolgen, zum Zuge kommen . Hier ist
die Förderlandschaft, die wir heute haben, nicht wirklich
innovativ aufgestellt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Marco Wanderwitz






(A) (C)



(B) (D)


Zu guter Letzt – das ist vielleicht einer der wesent-
lichsten Punkte – geht es hier um die Frage – das haben
Sie, Herr Staatssekretär, angesprochen –, ob wir mehr
Unternehmen in die Rechtsform eines Wirtschaftlichen
Vereins überführen können. Nach § 22 Absatz 2 BGB hat
das BMJV – das haben Sie angesprochen – diese Mög-
lichkeit, aber es gibt auch hinreichend Kritik, beispiels-
weise von der Bundesanwaltskammer, auch von der
Verbandsseite selber, ob diese Regelung zielführend ist.
Ich will das in diesem Moment einfach nur mal anspre-
chen. Ich glaube, wir sind da offen für die Diskussion;
aber bisher sehen auch wir diesen Punkt kritisch, weil die
Eingriffe vielleicht eben nicht zu Erleichterungen führen
könnten, sondern eher zu einer Beschränkung des wirt-
schaftlichen Handelns solcher Kleinstbetriebe .

Fazit aus unserer Sicht: Das Ansinnen ist gut . Wir
werden im Verfahren weiter konstruktiv mitarbeiten,
wünschen uns Fortschritte im Sinne des Gedankens des
gemeinwirtschaftlichen Handelns und der Gemeinwohl-
ökonomie, die wir uns vielleicht für die Zukunft wün-
schen, und freuen uns auf den weiteren Prozess . – So
weit von meiner Seite .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822512900

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als nächster Redner

spricht Dr . Matthias Bartke von der SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1822513000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! „Was

dem einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele .“
Dieser Satz stammt von Friedrich Wilhelm Raiffeisen,
einem der großen Gründerväter des Genossenschaftswe-
sens . Dieser Satz bringt das Wesen der Genossenschaft
auch heute noch treffend auf den Punkt. Genossenschaf-
ten haben in Deutschland eine lange Tradition. Volksban-
ken und Wohnungsbaugenossenschaften sind bis heute
bei uns weit verbreitet .

Trotzdem schien die Idee der Genossenschaften eine
Zeit lang ein Auslaufmodell zu sein . Ende der 90er-Jah-
re war ein Jahr mit 30 Neugründungen schon ein gutes
Jahr . Mit der Energiewende hat sich das Blatt dann aber
gewendet . Genossenschaften sind damals geradezu wie
Pilze aus dem Boden geschossen . Die Menschen haben
sich zusammengetan, um selbst Energieproduzenten zu
werden .

Inzwischen hat sich die Zahl der Neugründungen von
Genossenschaften bei etwa 200 pro Jahr stabilisiert . Die
Neugründungswelle im Energiebereich ist abgeebbt . Da-
für gibt es aber im Dienstleistungssektor neuen Aufwind .
Die Genossenschaftsszene ist eben sehr vielfältig . In
meinem Wahlkreis, in Hamburg-Altona, gibt es zum Bei-
spiel die fux eG . Sie ist ein gemeinschaftlich betriebener
Produktionsort für Kunst, Kultur, Gewerbe und Bildung
in einer alten, trutzigen Polizeikaserne, der Viktoria-Ka-
serne .

Das Besondere an Genossenschaften ist: Sie dienen
nicht der Erwirtschaftung von Gewinnen; sie dienen den
wirtschaftlichen, sozialen oder kulturellen Zwecken ih-
rer Mitglieder . Die Haftung der Mitglieder ist auf ihre
Einlage beschränkt, und ein Mindestkapital ist nicht
vorgeschrieben . Es gilt – es wurde schon gesagt –: ein
Mitglied, eine Stimme . Damit bieten Genossenschaften
den idealen Rahmen für Bürgerinnen und Bürger, die ge-
meinsam etwas auf die Beine stellen wollen . Und doch
wird die Genossenschaft von unternehmerischen Initia-
tiven des bürgerschaftlichen Engagements regelmäßig
gemieden . Den Genossenschaften obliegen nämlich ver-
schiedenste Pflichten, und die Erfüllung dieser Pflichten
kostet Zeit und Geld . Gerade bei kleinen Genossenschaf-
ten verkomplizieren sie die Nutzung dieser Rechtsform
unnötig .

Die SPD fordert daher schon lange, dass kleine Ge-
nossenschaften von den überzogenen Prüfungspflichten
befreit werden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


2013 gab es einen ersten Anlauf dafür . Geplant war die
Einführung einer Kooperationsgesellschaft im Genos-
senschaftsrecht. Sie sollte von Pflichtprüfungen und
-mitgliedschaften generell befreit sein .

Der Gesetzentwurf ist damals gescheitert, der Reform-
bedarf ist aber geblieben . Das hat auch die umfangreiche
Studie „Potenziale und Hemmnisse von unternehmeri-
schen Aktivitäten in der Rechtsform der Genossenschaft“
ergeben, auf die Herr Wanderwitz eben hingewiesen hat .
Die Studie zeigt deutlich: Insgesamt herrscht große Zu-
friedenheit mit der Rechtsform der Genossenschaft . Klar
ist aber auch: Die Belastungen für kleine Initiativen sind
zu hoch .

Insofern freue ich mich, dass wir mit dem vorliegen-
den Gesetzentwurf ganz wesentliche Erleichterungen für
Genossenschaften einführen . Das erleichterte Prüfwesen,
Herr Wanderwitz, gehört dazu . Wir Sozialdemokraten
haben das Wort „Bürokratiemonster“ nicht erfunden .
Aber für viele kleine Genossenschaften gilt das, was dort
in der Vergangenheit an Prüfungsgeschichten praktiziert
worden ist, als ein Bürokratiemonster, etwas, was richtig
davon abhält, Genossenschaften zu gründen .

Im Koalitionsvertrag hatten wir uns vorgenommen:

Wir werden Genossenschaften die Möglichkeit der
Finanzierung von Investitionen durch Mitglieder-
darlehen wieder eröffnen.

Wir haben das umgesetzt: In Zukunft können Genossen-
schaften ihr Geschäft rechtssicher über Mitglieder finan-
zieren .

Im Koalitionsvertrag hatten wir uns auch zum Ziel
gesetzt:

Wir wollen die Gründung unternehmerischer Initi-
ativen aus bürgerschaftlichem Engagement … er-
leichtern .

Bei vielen ehrenamtlichen Initiativen stehen enga-
gierte Bürgerinnen und Bürger vor der Frage, wie sie
ihr Engagement auf sicherer Rechtsgrundlage und ohne

Dieter Janecek






(A) (C)



(B) (D)


persönliches Haftungsrisiko organisieren können: Ge-
nossenschaften sind zu aufwendig und zu teuer; Vereine
wiederum dürfen nur in ganz begrenztem Ausmaß eine
wirtschaftliche Betätigung verfolgen .

In der SPD haben wir die Lösung für dieses Problem
in den prüfungsbefreiten Minigenossenschaften gesehen .
Wir haben in der letzten Wahlperiode aber auch die Kri-
tik, die einer Minigenossenschaft entgegenschlägt, er-
lebt . Wir hätten hier also nicht unser Ziel erreicht . Ans
Ziel wollen wir aber unbedingt kommen . Bürgerschaftli-
ches Engagement leistet nämlich unersetzliche Beiträge
für den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, wo bürgerschaftlichem En-
gagement Hürden begegnen, müssen wir diese aus dem
Weg räumen . Das Fehlen einer unkomplizierten Rechts-
form ist eine solche Hürde . Solange wir die Einführung
der Minigenossenschaft nicht durchsetzen können, gehen
wir den Weg über das Vereinsrecht. Der vorliegende Ge-
setzentwurf wird den Zugang zum Wirtschaftlichen Ver-
ein erleichtern .

Von den Idealvereinen ist uns in der letzten Woche sig-
nalisiert worden, dass sie sich im Wirtschaftlichen Verein
nicht zu Hause fühlen können, schließlich verfolgen sie
vor allem einen ideellen Zweck und keinen Geschäftsbe-
trieb . Ich kann das sehr gut nachvollziehen . Ich glaube
trotzdem, dass der Wirtschaftliche Verein auch für sie
ein Zuhause sein kann. Der Wirtschaftliche Verein verur-
sacht wenig Aufwand und Kosten . Er besitzt die vertrau-
ten Strukturen des eingetragenen Vereins. Ich glaube, der
Wirtschaftliche Verein ist eine wirkliche Alternative für
all jene Vereine, deren wirtschaftliche Betätigung über
das Nebenzweckprivileg hinausgeht .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822513100

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als letzter Redner

spricht in dieser Aussprache Dr. Volker Ullrich von der
CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1822513200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Bürgerschaftliches Engagement bereichert über-
all in unserem Land die Gesellschaft . Die Menschen
kümmern und sorgen sich um eine gute Nachbarschaft,
um Projekte und um Vorhaben, ohne die eine Gesell-
schaft in sozialem Zusammenhalt nicht gelingen könnte .
Viele Projekte sind in den letzten Jahren entstanden. Zu
denken ist an Initiativen für Kindertagesstätten, Gaststät-
ten und Vereinslokale, die sonst geschlossen wären. Zu
denken ist an Initiativen für Investitionen in Blockheiz-
kraftwerke und Windräder, aber auch an den klassischen
Dorfladen, der die Versorgung gerade auf dem Land und
in Stadtteilen verbessert .

Die konkrete Frage, vor der die Menschen stehen, ist
eine ganz praktische: Welche Rechtsform sollen wir für
diese Initiativen wählen? Klar ist für uns: Das Recht soll
den Menschen und ihren Projekten dienend zur Seite
stehen . Deswegen darf es nicht zu formal sein wie bei
einer Aktiengesellschaft oder einer Gesellschaft mit be-
schränkter Haftung . Aber auch eine persönliche Haftung
wie bei einer BGB-Gesellschaft muss für diese Men-
schen ausfallen, weil sie schlichtweg nicht zumutbar ist .
Es geht den Menschen, die sich engagieren, nicht um den
persönlichen Ertrag, sondern es geht ihnen um den Ge-
winn für das Gemeinwesen . Das unterstützen wir .

Wir haben uns deswegen zu fragen, ob wir nicht eine
neue Rechtsform einführen sollten . Ich glaube aber, dass
wir eines mit Fug und Recht festhalten können: Es be-
steht in diesem Land kein Mangel an Rechtsformen . Die
Einführung einer weiteren neuen Gesellschaftsform wäre
nicht unbedingt ein wesentlicher Beitrag zum Bürokra-
tieabbau .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist deswegen richtig, die Lösung für die Proble-
me in den bestehenden Rechtsformen zu suchen . Es ist
richtig, dass dieser Gesetzentwurf zunächst einmal das
Vereinsrecht in den Blick nimmt. Wirtschaftliche Vereine
können tatsächlich eine taugliche Rechtsform sein, um
die beschriebenen Projekte, um gerade bürgerschaftli-
ches Engagement auch rechtlich abzusichern, gerade
dann, wenn eine Kapitalgesellschaft oder eine größere
Gesellschaft nicht zumutbar erscheint .

Deswegen mein Appell bereits jetzt, zu Beginn des
Gesetzgebungsverfahrens: Lassen Sie uns die Zulassung
für Wirtschaftliche Vereine unbürokratisch handhaben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie uns gerade auf Länderebene den Ländern die
entsprechende Möglichkeit geben, diese Vereine schnell
gründen zu lassen .

Und ja, es ist richtig, dass auch die Genossenschaf-
ten gestärkt werden . Genossenschaften sind die ideale
Rechtsform für Kooperationen, für Gemeinsinn und Zu-
sammenhalt . Sie sind vielleicht die am demokratischsten
verfasste Rechtsform, weil jeder Genosse eine Stimme
hat, egal wie viele Kapitalanteile er einbringt, und weil
jeder, der Verantwortung trägt, im Aufsichtsrat und im
Vorstand, auch Mitglied dieser Genossenschaft sein
muss . Das ist Selbstverantwortung aus sich selbst heraus .

Deswegen ist es richtig, dass wir die Gründung von
Genossenschaften erleichtern


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


und zulassen, dass Mitglieder Kleindarlehen an ihre Ge-
nossenschaften vergeben und damit finanzielle Verant-
wortung für die eigene Idee übernehmen . Ich glaube, das
sind gute Lösungen für ein modernes Genossenschafts-
wesen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen uns auch überlegen, wie wir zukünftig
mit den Prüfungen umgehen . Im Genossenschaftsrecht

Dr. Matthias Bartke






(A) (C)



(B) (D)


ist vorgeschrieben, dass jede Genossenschaft eine ver-
pflichtende Prüfung durch den Genossenschaftsverband
zu erdulden hat . Diese Prüfung ist im Kern richtig, weil
wir die Lauterkeit und das Funktionieren des Genossen-
schaftswesens irgendwie überprüfen müssen . Die gerin-
ge Insolvenzrate von Genossenschaften – sie ist in dieser
Rechtsform so gering wie in keiner anderen – zeigt, dass
dieses genossenschaftliche Prüfungswesen seinen Sinn
und Zweck nicht verfehlt hat . Deswegen lassen Sie uns
in Ruhe und besonnen überlegen, wie wir die rechtli-
chen Rahmenbedingungen für die Prüfungen in Zukunft
regeln. Ich glaube, wir müssen einen Mittelweg finden
zwischen möglichen Erleichterungen für kleine Genos-
senschaften einerseits und den für das Vertrauen in diese
Rechtsform notwendigen Prüfungen andererseits .

Insgesamt ist dieser Gesetzentwurf ein Appell an
eine ein Stück weit stärker gemeinwohlorientierte Wirt-
schaftspolitik in den Stadteilen und in den ländlichen
Räumen . Das ist ein Gesetzentwurf für gute Nachbar-
schaft und Zusammenhalt in diesem Land . Lassen Sie
uns das angehen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822513300

Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich schließe die Aus-

sprache .

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzentwur-
fes auf Drucksache 18/11506 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es dazu
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Damit
ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Zimmermann (Zwickau), Matthias W . Birkwald,
Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Kreis der Anspruchsberechtigten und die Be-
zugsdauer in der Arbeitslosenversicherung
erweitern

Drucksache 18/11419

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat als erster
Redner Klaus Ernst von der Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: LINKEN: Guter Mann!)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822513400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Zunächst auch von mir Glückwunsch an Martin
Schulz .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wer ist das? – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Ach, jetzt geht es los! – Beifall bei der SPD)


Er hat es geschafft, der SPD wieder Leben einzuhauchen.
Grandios!


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wir haben vorher schon gelebt!)


– Na ja, nicht mehr so ganz . – Mich freut übrigens auch
das Wahlergebnis von 100 Prozent für Martin Schulz .


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Sozialistisch!)


Damit hat er mit mir etwas gemeinsam: Ich habe auch
100 Prozent bekommen, allerdings nur im Wahlkreis
Schweinfurt .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Schlimm genug!)


In der Süddeutschen Zeitung habe ich gelesen – Zi-
tat –: „Kauder: Schulz denkt nur an Wahlkampf“ . Ich bin
erschrocken . Habt ihr schon aufgegeben? Macht ihr kei-
nen Wahlkampf mehr?


(Heiterkeit bei der SPD – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Wir regieren noch ein bisschen, Herr Ernst!)


Habt ihr keine Lust mehr? Habt ihr schon resigniert, weil
die Werte der SPD nach oben gehen und eure nach unten?
Was macht denn euer Kauder? Macht er keinen Wahl-
kampf mehr? Züchtet er nur noch Karnickel, oder was
macht er?


(Heiterkeit bei der LINKEN und der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Er ist Lobbyist von der Waffenindustrie!)


Macht euch doch nicht lächerlich mit solchen Sprüchen!
Als ich das gelesen habe, habe ich gedacht: Das darf
doch wirklich nicht wahr sein, der Schulz macht Wahl-
kampf . Irre!


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie jetzt Pressesprecher der SPD werden?)


Schulz hat gesagt – das ist der Grund, warum es diesen
Hype gibt; damit sind wir beim Thema –:

Menschen müssen mit Respekt und Anstand be-
handelt werden, wenn sie ihren Job verlieren . Men-
schen, die viele Jahre, oft Jahrzehnte, hart arbeiten
und ihre Beiträge zahlen, haben ein Recht auf ent-
sprechenden Schutz und Unterstützung, wenn sie –
oft unverschuldet – ins Straucheln geraten .

So weit das Zitat . Genau darum geht es in unserem An-
trag .

Ein 49-Jähriger, der sein ganzes Leben gearbeitet und
Beiträge gezahlt hat, hat zurzeit nur 12 Monate Anspruch
auf Arbeitslosengeld I, ein 55-Jähriger nur 18 Monate .

Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


Dann ist er oder die betroffene Person oder wie auch im-
mer auf Hartz IV. Das kriegt er aber auch nicht unbedingt,
sondern nur dann, wenn er das, was er sich in seinem Le-
ben sauer angespart hat, auch noch vorher ausgibt .

Das ist die Realität . Das ist eine himmelschreiende
Ungerechtigkeit, und deshalb hat Schulz vollkommen
recht, wenn er das anprangert, und ihr seid ein bisschen
hinter dem Mond, wenn ihr nicht merkt, dass das ein Pro-
blem ist . Das ist der Zustand, den wir haben .


(Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Das ist glatte Anbiederung!)


Nach unserem Antrag, meine Damen und Herren, hät-
te ein Beschäftigter, der im Alter von 25 Jahren zu arbei-
ten beginnt, nie arbeitslos ist und immer in die Arbeitslo-
senversicherung eingezahlt hat, bei einer Arbeitslosigkeit
im Alter von 55 Jahren wenigstens einen Anspruch von
drei Jahren und vier Monaten .

Abhängig Beschäftigte zahlen in die Arbeitslosenver-
sicherung ein, um bei Jobverlust finanziell abgesichert zu
sein . Je größer die Angst vor Arbeitslosigkeit ist – ich
denke, das hat sich als Standpunkt wieder durchgesetzt –,
umso leichter ist es, Belegschaften zu disziplinieren und
die Löhne zu drücken . Wenn man das Ziel verfolgt, die
Löhne zu drücken, muss man das Arbeitslosengeld I
schleifen . Genau das hat Schröder getan; Sie wissen das
noch . Deshalb wurde die Schutzfunktion der Arbeits-
losenversicherung mit den Reformen der Agenda 2010
massiv eingeschränkt. Vor Schröder, also in der Kanzler-
schaft von Kohl, wurde Arbeitslosengeld bis zu 32 Mo-
nate gezahlt . Sie wissen das vielleicht nicht mehr; es war
so .


(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Doch, ich weiß es! Ich habe es gelesen!)


Heute sind nur noch 31 Prozent der Erwerbslosen im
Arbeitslosengeld I; der Rest ist schon ins Arbeitslosen-
geld II abgedrängt . Durch die realistische Gefahr, durch
Jobverlust bald in Hartz IV zu landen, wurde der Zwang
erzeugt, einen neuen Job anzunehmen, selbst wenn die-
ser schlechter bezahlt ist als der vorherige und weit unter
der bisherigen Qualifikation ist. Schröder hat übrigens
die Lohndrückerei auch noch gelobt . Er rühmte sich auf
dem Weltwirtschaftsforum in Davos 2005 – Zitat –, „ei-
nen der besten Niedriglohnsektoren in Europa geschaffen
zu haben“ .

In der Tat haben wir heute in Deutschland den größ-
ten Niedriglohnsektor in Europa . Was hat Schulz dazu
gesagt? Das freut mich jetzt wieder . Er hat dazu gesagt –
Zitat –:

Auch wir haben Fehler gemacht . Fehler zu machen,
ist nicht ehrenrührig . Wichtig ist, wenn Fehler er-
kannt werden, dann müssen sie korrigiert werden .


(Beifall bei der SPD – Katja Mast [SPD]: Guter Mann!)


Recht hat er . – Heute haben Sie mit unserem Antrag die
Möglichkeit, es gleich schon einmal zu tun .


(Beifall bei der LINKEN – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: So gut ist er nun auch wieder nicht!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie allerdings
korrigieren, dann bitte schön auch richtig .

Das ist jetzt schon zum Nachdenken, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen: Auch die Kriterien, wann ein
Arbeitsloser im Arbeitslosengeld I einen Job ablehnen
darf, ohne dass ihm eine Kürzung oder Sperrung seines
Arbeitslosengeldes droht, wurden im Zuge der Agenda
deutlich verschlechtert . Schon in den ersten drei Mona-
ten der Arbeitslosigkeit muss jeder einen Job annehmen,
auch wenn er bis zu 20 Prozent schlechter bezahlt wird,
nach weiteren drei Monaten, auch wenn er zu 30 Prozent
schlechter bezahlt wird . Ohne das Recht, einen Job un-
ter der eigenen Qualifikation ablehnen zu dürfen, bleiben
Förderung, Weiterbildung und Qualifikation Etiketten-
schwindel . Dann müssen wir das schon richtig machen .

Das, was wir gegenwärtig haben, ist eine verordnete
Rutschbahn der Löhne nach unten . Das müssen wir än-
dern . Es geht bei unserem Antrag tatsächlich um das, was
Martin Schulz gesagt hat . Ich zitiere ihn noch einmal:

Menschen müssen mit Respekt und Anstand behan-
delt werden, wenn sie ihren Job verlieren .

Das gilt im Übrigen ganz besonders – das sage ich
auch an die Adresse der Grünen – für Menschen, die älter
sind . Sie brauchen mehr Zeit für die Jobsuche . Sie sollen
bis 67 arbeiten, aber werden kaum noch eingestellt, wenn
sie älter als 50 sind . Frau Hasselfeldt – ich habe sie nicht
gesehen –, auch ältere Menschen wollen arbeiten und
nicht, wie Sie behaupten, in Frührente gehen .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben!)


Das ist Unfug . Deshalb sage ich Ihnen: Sie wollen auch
schon deshalb nicht in Frührente gehen, weil sie mit den
gekürzten Renten, für die auch die Grünen Verantwor-
tung haben, kaum noch über die Runden kommen . Wenn
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, wegen Ihres Koa-
litionsvertrages unserem Antrag schon nicht zustimmen,
was ich mir vorstellen könnte,


(Dr . Karl-Heinz Brunner [SPD]: Das könnte so passieren!)


dann geben Sie wenigstens zu, dass wir recht haben;
dann regeln wir das in der nächsten Koalition .


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Optimist!)


Ich danke fürs Zuhören .


(Beifall bei der LINKEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822513500

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstes spricht der

Kollege Albert Weiler von der CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Klaus Ernst






(A) (C)



(B) (D)



Albert Weiler (CDU):
Rede ID: ID1822513600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren auf der Tribüne! Werte Kolleginnen und Kol-
legen! Sicherheit hat für jeden Menschen oberste Priori-
tät . Hier geht es aber nicht um innere oder äußere Sicher-
heit, hier geht es um soziale Sicherheit .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch wichtig!)


Ich kann gut verstehen, dass ein Mensch, der Verant-
wortung für eine Familie, eine Firma oder Freunde über-
nimmt, sich nach sozialer Absicherung sehnt. Viele füh-
len sich gerade in der jetzigen Zeit in dieser Sicherheit
bedroht . Die Linke nutzt diese Bedrohung aus und prä-
sentiert hier reine Wahlkampfforderungen ohne Finan-
zierungsvorschlag . Ich aber frage mich: Was ist mach-
bar? Ich handle nach dem Sprichwort „Ehrlich währt am
längsten“. Ich bin in der finanzpolitischen Realität ange-
kommen, und da werden Sie, Kollegen von den Linken,
im September nach der Wahl auch ankommen müssen .

Ich habe Verständnis dafür, dass Menschen von jetzt
auf gleich jemandem hinterherlaufen, der verspricht,
alle Wünsche zu erfüllen . Wahlkampfplattitüden hören
sich gut an und erzeugen ein trügerisches Gefühl von
Sicherheit. Sie geben Versprechungen ab, nur um Stim-
men zu erschleichen . Sie wollen sogar, dass Menschen,
die mehrmals gute Arbeit ablehnen und nicht arbeiten
wollen, nicht mehr sanktioniert werden . Damit stellen
Sie Arbeitsunwillige auf eine Stufe mit Menschen, die
jeden Tag acht bis zehn Stunden arbeiten, um sich eine
Wohnung, ein kleines Häuschen, ein Auto oder vielleicht
einen Urlaub leisten zu können . Aber wenn die Realität
kommt – das sehen wir im Freistaat Thüringen –, werden
linke Versprechungen eben nicht eingehalten.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ihr habt doch einen guten Ministerpräsidenten!)


Von dem Kuchen, von den 600 Millionen Euro, die der
Steuerzahler mehr eingebracht hat, geben Sie den Kom-
munen und somit den Schulen, den Kindergärten und den
Jugendhilfeeinrichtungen nichts ab . Sie verbraten dieses
Geld für ein unsinniges Gebietsreformvorhaben à la Rot-
Rot-Grün .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir reden gerade über Arbeitslosenversicherung! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie haben den falschen Tagesordnungspunkt erwischt!)


Was wollen wir? Wir wollen Bedürfnisse stillen . Jeder
soll durch seine Arbeit seinen Lebensunterhalt finanzie-
ren und für seine Familie sorgen können . Wir sagen: So-
zial ist, was Arbeit schafft.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das muss man auch hinterfragen!)


Wir sichern Wachstum und Wohlstand, damit Arbeits-
plätze entstehen und Arbeitslosigkeit schon im Voraus
verhindert wird .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg . Alexander Ulrich [DIE LINKE])


Sie machen Versprechungen. Wir bekämpfen Arbeitslo-
sigkeit präventiv, damit Menschen überhaupt gar nicht
erst arbeitslos werden .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wir wären überhaupt nicht an die Macht gekommen, wenn ihr erfolgreich gewesen wärt! – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 1,2 Millionen Aufstocker!)


Das muss das eigentliche Ziel sein . Aus meiner Sicht
kann es daher nur einen Weg geben: Wir müssen Arbeits-
losigkeit verhindern . Wir müssen Menschen, die arbeits-
los geworden sind, schnellstmöglich wieder integrieren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Danke schön . – Daher plädiere ich dafür, die Angebote
in der Aus- und Weiterbildung zu intensivieren und zu
modernisieren . Weiterbildungsmaßnahmen dürfen nicht
erst bei Arbeitslosigkeit erfolgen . Wir sorgen für pas-
sende Angebote, welche die Beschäftigten so befähigen,
dass sie den Anforderungen einer modernen Arbeitswelt
nicht nur gerecht werden, sondern bei den Veränderun-
gen an der Spitze vorangehen können .

Unser Fokus liegt vor allem bei den Älteren, den Al-
leinerziehenden und den Jugendlichen . Für sie benötigen
wir passende Instrumente, um ihnen den Weg in den
Arbeitsmarkt zu erleichtern . Für die Förderung von älte-
ren Arbeitslosen hat sich unser Programm „Perspektive
50plus“ als erfolgreich erwiesen .


(Katja Mast [SPD]: Unser Programm! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gibt es doch gar nicht mehr!)


Alleinerziehende müssen besonders unterstützt werden .
Unsere Änderung des Unterhaltsvorschussgesetzes zielt
hier genau in die richtige Richtung . Angesichts von rund
655 000 gemeldeten offenen Stellen bei der Bundesagen-
tur für Arbeit stärken wir eine individuelle Betreuung
und effektive Vermittlung, um Phasen zwischen den Be-
schäftigungen so kurz wie möglich zu halten und insbe-
sondere Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wo sind die Schwächen Ihres Antrags? Sie führen zu
Recht an, dass insbesondere ältere Menschen auf dem
Weg zurück in die Beschäftigung größere Schwierigkei-
ten haben .

Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass auf
Druck der Union in der Vergangenheit bereits wichtige
Korrekturen umgesetzt wurden, um genau diesen Men-
schen zu helfen . Wer älter als 50 Jahre ist, bekommt
15 Monate Arbeitslosengeld I, wer über 55 Jahre ist,
18 Monate, und ab 58 Jahren gibt es 24 Monate Arbeits-
losengeld I . Damit ist der Zeitraum für die Suche nach
einer Anschlussbeschäftigung erheblich ausgeweitet
worden . Sicher: Mehr zu fordern, hört sich immer gut an .
Ihre Forderung, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes
über 48 Monate – das sind vier Jahre – auszuweiten, be-
deutet nichts anderes, als die populistischen Forderungen






(A) (C)



(B) (D)


eines einzelnen Herrn mit Bart – den Namen möchte ich
jetzt nicht nennen – zu überbieten .


(Dr . Matthias Bartke [SPD]: Guter Mann!)


Ich zitiere lieber unseren gerade verabschiedeten Bun-
despräsidenten, der gestern noch sagte: Fürchten Sie sich
nicht vor den Scheinriesen, die da draußen in der Welt
herumspringen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn Sie in Ihrem Antrag aufführen, dass jeder Vierte
nach einer Beschäftigung direkt in das Hartz-IV-System
fällt, dann heißt das doch im Umkehrschluss, dass die
Arbeitslosenversicherung für drei Viertel aller Beschäf-
tigten funktioniert . Das ist ein positives Zeichen . Die
Schutzfunktion der Arbeitslosenversicherung ist also
stark . Nur passt diese Sichtweise nicht zu Ihrer Taktik der
Angstmacherei . Sie stellen alles immer nur negativ dar,
bieten aber selbst keine vernünftigen Vorschläge. Auf die
Frage nach der Finanzierung höre ich immer nur: Steuern
erhöhen . – Sie wollen also eine noch stärkere Belastung
der arbeitenden Bevölkerung .

Statt die Steuern zu erhöhen, sorgen wir für eine her-
vorragende Bilanz . 43,6 Millionen Erwerbstätige – das
gab es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie .
Die Zahl der Langzeitarbeitslosen wurde seit 2005 fast
halbiert .


(Katja Mast [SPD]: Und was habt ihr dazu beigetagen?)


Sie verschweigen, dass wir den Beitragssatz zur Arbeits-
losenversicherung in den letzten zehn Jahren deutlich
senken konnten . Das merken vor allem die vielen Milli-
onen Menschen, die in Arbeit sind, in ihrem Geldbeutel .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gab noch nie so viele erwerbstätige Arme und noch nie so viele arme Kinder!)


Wie wollen Sie die zu erwartenden Kosten begleichen?
Etwa durch eine Erhöhung des Beitragssatzes, wodurch
Sie die Menschen, die arbeiten, wieder direkt belasten
würden? Das ist mit uns nicht zu machen; das sage ich an
dieser Stelle ganz deutlich .

Sie bleiben uns einen sinnvollen Finanzierungsvor-
schlag schuldig . Höhere Steuern sichern keine Arbeits-
plätze, sondern belasten Steuer- und Beitragszahler . Ihre
Vorschläge schaden der Arbeitslosenversicherung und
vor allem den Versicherten. Einen Versuch war es wert.
Aber den Menschen vor der Wahl billige Versprechen
zu machen und ihnen durch die Hintertür in die Tasche
zu greifen, ist unredlich und mit der CDU/CSU nicht zu
machen .


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: So ein Quatsch! Das wollen wir ja auch gar nicht!)


Zum Schluss möchte ich festhalten:


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Guter Antrag!)


Ziel unserer gemeinsamen Bemühungen muss es sein,
Arbeitslosigkeit präventiv zu verhindern, Menschen ohne

Arbeit durch gezielte Qualifizierung effektiv zu vermit-
teln und sie schnell an den Arbeitsmarkt heranzuführen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das sorgt für Sicherheit und sozialen Frieden . Der ent-
scheidende Unterschied liegt darin: Wir wollen Arbeits-
losigkeit verhindern und Menschen in Arbeit bringen, da-
mit alle am Wohlstand teilhaben können, und wir wollen
durch angemessene Löhne bei den Menschen für Zufrie-
denheit sorgen .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822513700

Vielen Dank, Herr Kollege Weiler. – Als Nächste hat

die Kollegin Brigitte Pothmer von der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen das Wort .


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822513800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich fin-

de es gut, dass jetzt wieder mehr über die Reform der
Arbeitslosenversicherung geredet wird – natürlich abge-
sehen von Ihnen, Herr Weiler; Sie haben hier über alles
Mögliche geredet, aber nicht über das Thema .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/ CSU: Doch! Sie haben wohl nicht aufgepasst!)


Ich habe heute Morgen schon darauf hingewiesen,
dass es dringend notwendig ist, bei der Arbeitslosenver-
sicherung etwas zu verändern, weil sie für sehr viele Bei-
tragszahler ihre Schutzfunktion verloren hat . Wenn wir
das nicht korrigieren – das muss uns klar sein –, dann
gerät die Arbeitslosenversicherung irgendwann in eine
Legitimationskrise .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Richtig!)


Wir können von einem Sozialsystem, wie ich finde, zu
Recht, erwarten – das gilt insbesondere für die Arbeits-
losenversicherung –, dass es genauso flexibel ist, wie
die Menschen heute arbeiten . Es muss Sicherheit bieten,
ganz unabhängig davon, ob jemand selbstständig ist oder
ob jemand befristet, unbefristet, in Projekten arbeitet
oder, oder, oder .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In diese Richtung ist diese Bundesregierung bisher leider
keinen Schritt vorangekommen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linksfrakti-
on, bei Ihrem Antrag


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Der gut ist, oder?)


beschleicht mich der Verdacht, dass es Ihnen in erster Li-
nie um einen nahtlosen Übergang ab 55 in die Rente geht .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dr. h. c. Albert Weiler






(A) (C)



(B) (D)


Das ist wirklich nicht gut, und das hat auch nicht unbe-
dingt etwas mit Respekt zu tun .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich finde es richtig, dass auch Sie die hohen Hürden
beim Zugang zur Arbeitslosenversicherung abbauen wol-
len. Deswegen finde ich es auch gut, dass Sie unseren
unbürokratischen Vorschlag übernommen haben, der be-
sagt: Wer vier Monate eingezahlt hat, erhält zwei Monate
lang Arbeitslosengeld, wer sechs Monate eingezahlt hat,
erhält drei Monate lang Arbeitslosengeld, usw . Das ist
nämlich ein echtes Angebot in Bezug auf die kurzfristi-
gen Beschäftigungsverhältnisse .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Ernst, bei Ihrer Rede habe ich den Eindruck ge-
habt, dass Sie jetzt irgendwie auch Pressesprecher der
SPD geworden sind .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Man hilft, wo man kann! – Heiterkeit bei der LINKEN)


Herr Ernst, bei den allermeisten Vorschlägen in Ihrem
Antrag geht es vor allen Dingen darum, die Bezugsdau-
er des Arbeitslosgengeldes I zu verlängern . Ich bestreite
nicht, dass ältere Arbeitslose ein größeres Problem ha-
ben, wieder Arbeit zu finden. Die Verlängerung der Be-
zugsdauer des Arbeitslosengeldes I bringt aber nieman-
den schneller und besser in Arbeit . Das ist das Problem .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Den Beweis müssen Sie erst mal antreten!)


Ich finde, es hat ausdrücklich etwas mit Respekt ge-
genüber Älteren zu tun, wenn wir alles, aber auch wirk-
lich alles daransetzen, Brücken in Beschäftigung zu
bauen, sodass sie schnell wieder Arbeit finden. Dafür ist
Weiterbildung natürlich ein gutes Instrument, aber es ist
verdammt noch mal nicht das einzige .


(Katja Mast [SPD]: Das behauptet doch kein Mensch!)


Effektive Lohnkostenzuschüsse, verstärktes Coaching:
das alles sind Maßnahmen, die wirklich helfen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Paul Lehrieder [CDU/CSU])


Herr Ernst, das Prinzip „Weiterbildung verlängert die
Zahlung des Arbeitslosengeldes I“ gibt es in der Arbeits-
losenversicherung bereits . Schon heute verlängert das
den Bezug von Arbeitslosengeld I . Sie wollen diesen Be-
zug jetzt einfach noch einmal weiter verlängern .

Wo wir gerade bei der Weiterbildung sind: Weder Sie
noch die SPD reden in diesem Zusammenhang – hier
geht es um den Rechtsanspruch nach dem SGB III – über
die Tatsache, dass im SGB II überhaupt nichts in dieser
Richtung steht . Im Gegenteil: Hier gilt immer noch der
Vermittlungsvorrang. Diese Menschen interessieren Sie
offensichtlich nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie verstärken dieses unhaltbare Zweiklassensystem in
der Arbeitsförderung in unverantwortlicher Art und Wei-
se, und das werden wir nicht mitmachen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wer hat es erfunden?)


Gerade im Bereich des SGB II – wo 60 Prozent der
Bezieherinnen und Bezieher von Hartz IV keine Be-
rufsausbildung haben und jeder Fünfte keinen Schulab-
schluss hat – könnten wir mit Qualifizierung echte Zu-
gänge eröffnen und Arbeitsmarktchancen schaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Insgesamt gilt für die Arbeitslosenversicherung: Wir
müssen sie auf die digitale Zukunft vorbereiten – das ist
sie bisher nämlich nicht –, und wir müssen sie für die bun-
ter werdenden Erwerbsbiografien fit machen. Sie muss
auch präventiv arbeiten und Arbeitslose unterstützen
können, und sie muss dabei helfen, dass die Menschen
wieder gut in Arbeit kommen . Das gilt für alle Arbeitslo-
sen, völlig unabhängig davon, welche Geldleistungen sie
beziehen, wie alt sie sind und welche Voraussetzungen
sie mitbringen . Davon ist die Arbeitslosenversicherung
noch sehr, sehr weit entfernt . Lieber Herr Ernst, Ihr An-
trag bringt uns diesem Ziel kaum näher .

Ich danke Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822513900

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Als Nächstes hat der

Kollege Markus Paschke von der SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1822514000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Guter Antrag!)


Vor einigen Monaten war in meiner Bürgersprechstunde
ein Facharbeiter aus der Textilindustrie . Er ist Mitte 40
und hat 25 Jahre im selben Unternehmen gearbeitet, bis
dessen Insolvenz seine Lebensplanung kaputt gemacht
hat . Die früher stolze und starke Textilindustrie produ-
ziert heute in Deutschland so gut wie gar nicht mehr . Der
Strukturwandel hat dazu geführt, dass der Facharbeiter
keine Alternative in der Region mehr hat und mit seinen
Qualifikationen keine Chance auf dem Arbeitsmarkt er-
hält .

So wie ihm geht es vielen Menschen in Deutschland .
Eine einmal erworbene Qualifikation reicht längst nicht
mehr für ein gesamtes Berufsleben. Vonseiten der Politik
können wir die Betroffenen nicht alleinlassen und sagen:
Pech gehabt! Wenn du noch arbeiten willst, arbeite unter
deiner Qualifikation. Hauptsache, du bist schnell wie-
der in einem Job. – Vielmehr sind wir es den Menschen
schuldig, sie dabei zu unterstützen, eine Perspektive für
die Zukunft zu finden.

Brigitte Pothmer






(A) (C)



(B) (D)


Dieser Facharbeiter muss noch 20 Jahre arbeiten . Er
will auch noch 20 Jahre arbeiten . Eine gute und zukunfts-
fähige Qualifizierung lässt sich aber nicht mit Praktika
und Kurzschulungen erreichen .


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Recht hat der Mann!)


Deshalb brauchen wir einen Rechtsanspruch auf Quali-
fizierung.


(Beifall bei der SPD)


Der Qualifizierungszeitraum darf dann nicht auf die Be-
zugsdauer des Arbeitslosengeldes angerechnet werden .
Das ist doch ganz klar .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber beim ALG II geht das alles!)


Das ist auch der Grund, warum Andrea Nahles und
Martin Schulz


(Beifall bei der SPD – Kai Whittaker [CDU/ CSU]: Funktioniert das auch auf Knopfdruck?)


– damit nicht nur Klaus Ernst von unserem Vorsitzenden
redet –


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die Nahles war das aber nicht!)


den Vorschlag gemacht haben, das Arbeitslosengeld Q –
„Q“ bedeutet Qualifizierung – einzuführen. Das hilft den
Menschen und gibt ihnen für die Zukunft eine Perspek-
tive .


(Beifall bei der SPD – Abg . Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Zu dir komme ich gleich noch .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822514100

Lassen Sie die Zwischenfrage zu? Ich sehe es Ihrem

Gesicht schon an .


Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1822514200

Gerne .


Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822514300

Bitte .


Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1822514400

Ganz herzlichen Dank, lieber Kollege Paschke, dass

die Zwischenfrage zugelassen wird . – Inzwischen ist so
häufig, nicht nur heute Morgen, sondern auch jetzt, von
einem Abwesenden die Rede, dass man fast den Eindruck
haben könnte, hier wird ein Lied von Mireille Mathieu
intoniert: „All meine Träume heißen Martin, Martin,
denn seine Liebe war so schön“ .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Gleichwohl: Es wurde hier schon mehrfach über das
Arbeitslosengeld Q gesprochen, das für ältere Arbeitslose
sozusagen eine Verlängerung des Bezuges von Arbeitslo-
sengeld mit der Möglichkeit vorsieht, sich zu qualifizie-
ren . Das kann man durchaus machen . Mich interessiert
thematisch, wie es mit Ihrem Bild von sozialer Gerech-
tigkeit vereinbar ist, wenn gleichzeitig die Perspektive
„50plus“ nicht mehr weitergeführt wird, also Langzeitar-
beitslose nicht weiter besonders gefördert werden .

Ich bitte einfach darum, mir zu versichern, dass das
nicht das Bild der sozialen Gerechtigkeit ist, das die SPD
im Wahlkampf präsentieren will, dass sie die Gesell-
schaft nicht spalten will, dass sie die Langzeitarbeitslo-
sen nicht abhängen will, sondern dass sie sich wie die
Union darum bemüht, alle in Arbeit zu bringen, seien sie
langzeitarbeitslos oder seien sie im SGB III .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Markus Paschke (SPD):
Rede ID: ID1822514500

Lieber Kollege Zimmer, ich freue mich über diese

Zwischenfrage und Anmerkung . Das gibt mir Gelegen-
heit, genau diesen Punkt herauszuarbeiten . Heute reden
wir über die Arbeitslosenversicherung. Da ist Qualifi-
zierung dafür, in der Zukunft Perspektiven zu haben, ein
ganz entscheidender Punkt .

Sie haben gerade die Förderung von Langzeitarbeits-
losen angesprochen . Wir sind dazu bereit . Wir können
sofort die Einführung des Passiv-Aktiv-Transfers unter-
schreiben,


(Beifall bei der SPD)


sodass wir etlichen Langzeitarbeitslosen eine Chance auf
dem Arbeitsmarkt geben . Das ist doch bisher an der Uni-
on gescheitert und nicht an der SPD .


(Beifall bei der SPD – Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das war jetzt ein Rohrkrepierer! – Katja Mast [SPD]: Eigentor!)


Wir waren aber beim Arbeitslosengeld, bei der Quali-
fizierung. Genau in diesem Zusammenhang finde ich in-
teressant – ich habe heute Morgen gut zugehört bei der
Diskussion –, dass genau diejenigen dieses Konzept am
lautesten kritisieren, die auch am lautesten über Fach-
kräftemangel jammern und die bisher nicht bereit sind,
unsere Jugendlichen bei der Ausbildung ausreichend zu
unterstützen und jedem einen Ausbildungsplatz zu bie-
ten . Ich sage es ganz deutlich: Wenn dann einige Politi-
ker auf diesen Zug aufspringen, dann frage ich mich, mit
welcher Motivation sie dies tun und wessen Interessen
sie da eigentlich vertreten .

Ich will das mit einem schönen Bild verbinden: Der
Schulz-Zug ist in der Frage der Arbeitslosenversicherung
und der Gerechtigkeit ein ICE,


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Mit Neigetechnik!)


und einige versuchen, ihn mit einer handbetriebenen
Draisine zum Wettrennen aufzufordern .


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)


Markus Paschke






(A) (C)



(B) (D)


Ich freue mich, dass die Linken mit Teilen ihres Antrags
auf diesen ICE aufspringen wollen und nicht auf die
Draisine . Klaus, da kriegen wir bestimmt etwas hin .


(Beifall bei der SPD)


Wir haben im Dialogprozess Arbeiten 4 .0 den An-
spruch auf Qualifikations- und Weiterbildungsberatung
festgelegt. Mit dem Gesetz zur Stärkung der beruflichen
Weiterbildung und des Versicherungsschutzes in der
Arbeitslosenversicherung haben wir Schwerpunkte auf
die Weiterentwicklung und Weiterbildung von Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmern gesetzt . Wir belohnen
Bildung und motivieren zum Weitermachen bis zum er-
folgreichen Abschluss . Das sind doch die ersten Schritte
hin zu einer zukunftsfähigen und zukunftsorientierten
Arbeitsversicherung .

Eine weitere Baustelle ist der Zugang zur Arbeits-
losenversicherung . Gerade Menschen in prekären und
flexiblen Beschäftigungsformen brauchen eine Absiche-
rung. Ich kann den Ärger der Betroffenen sehr gut ver-
stehen . Kurzfristig Beschäftigte zahlen im Rahmen ihres
Arbeitsverhältnisses Beiträge an die Arbeitslosenversi-
cherung und haben dann keinen Anspruch auf Arbeits-
losengeld, wenn sie nicht mindestens 12 volle Monate
innerhalb von 24 Monaten Beiträge bezahlt haben . Ich
finde, das ist nicht gerecht, und weil das nicht gerecht ist,
ist auch hier der Schulz-Zug schon in Fahrt gekommen,
liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD)


Andrea Nahles und Martin Schulz haben Anfang des
Monats ihre Ideen vorgestellt, wie es besser geht:


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was die SPD alles machen würde, wenn sie an der Regierung wäre!)


Wer in drei Jahren zehn Monate lang Beiträge gezahlt
hat, soll zukünftig Arbeitslosengeld erhalten . Damit
wird der Schutz in der Arbeitslosenversicherung auf vie-
le kurzfristig und prekär Beschäftigte, Filmschaffende
und andere Künstlerinnen und Künstler ausgedehnt . Ich
finde, das ist gerecht. Es hilft vor allem den betroffenen
Menschen; denn die Menschen müssen im Mittelpunkt
stehen .


(Beifall bei der SPD)


Ich lade alle herzlich ein, ein Ticket für diesen ICE zu
lösen und gemeinsam mit der SPD die Arbeitslosenversi-
cherung zukunftsfähig und gerechter zu gestalten .

Danke .


(Beifall bei der SPD – Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Kommt der Schulz-Zug auch zum Koalitionsausschuss? Oder wird die Haltestelle ausgelassen?)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822514600

Danke, Herr Kollege . – Als nächster Redner spricht

Tobias Zech von der CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Tobias Zech (CSU):
Rede ID: ID1822514700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Klaus Ernst, vielen Dank erst einmal für die von
mir wohlgemeint aufgenommene Sorge um unsere Wahl-
kampffähigkeit. Natürlich hast du recht: Wir sind nicht
im Wahlkampf . Wir sind sechs Monate vor der Bundes-
tagswahl nicht im Wahlkampf, weil wir als Union, als
CDU/CSU, dieses Land regieren und uns nicht mit Wahl-
kampfklamauk aufhalten und eine Sau nach der anderen
durchs Land treiben,


(Beifall bei der CDU/CSU)


weil dieses Land und dieses Volk es verdienen, dass man
auch sechs Monate vor der Bundestagswahl vernünftige
Arbeit abliefert . Dafür stehen wir hier in dieser Koalition
und in diesem Parlament


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Dann müsst ihr mal Horst Seehofer Bescheid sagen!)


und vor allem in dieser Debatte, der Debatte, die wahr-
scheinlich jeden von uns schon einmal betroffen hat
durch die Angst vor Arbeitslosigkeit .

Ich weiß nicht, wie es Ihnen in der Vergangenheit ging.
Ich habe erst vor kurzem wieder daran denken müssen:
Ich habe vor knapp 20 Jahren eine Ausbildung bei Edeka
gemacht . Ich habe da Tomaten nach Größe und Joghurts
nach Datum sortiert. Vor kurzem habe ich gehört, dass es
den ersten kassenlosen Supermarkt geben wird, in dem
kein Kassierer und keine Kassiererin mehr gebraucht
wird . Da habe ich mir gedacht: Was denken sich jetzt
meine Kollegen in dem alten Laden? Die können nichts
dafür . Die Technologie schreitet fort . – Kollege Paschke
hat es ausgeführt: Es gibt Branchen, die verschwinden .
Somit ist jeder persönlich, individuell immer wieder mit
Arbeitslosigkeit konfrontiert . Dieses Thema lädt dazu
ein, aufgegriffen zu werden. Es ist aber kein Thema für
Wahlkampf, und es ist auch kein Thema für Klamauk .

Weil ich die Debatte in den letzten Wochen verfolgt
habe und auch davon die Rede war, dass man am Ar-
beitslosengeld schrauben muss, will ich kurz ein paar
sachliche Fakten in die Debatte einführen: Wir haben im
Vergleich zu 2005 400 000 offene Stellen zusätzlich –
on top! – auf dem Arbeitsmarkt . Wir haben so viele so-
zialversicherungspflichtig Beschäftigte wie noch nie
seit Bestehen dieser Bundesrepublik, und seit 2005, seit
Angela Merkel regiert, hat sich die durchschnittliche Be-
zugsdauer von Arbeitslosengeld I bei über 55-Jährigen
nahezu halbiert .


(Dr . Martin Rosemann [SPD]: Sag doch mal, woran das liegt, Tobi! Was hat Angela Merkel damit zu tun?)


Sie ist mit 217 Tagen auf einem historischen Tiefstand .
Das ist die Wahrheit .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Zahl der über 55-jährigen Arbeitslosen ist nur leicht
gesunken; das stimmt . Man muss aber dazusagen, dass
wir mittlerweile 3 Millionen mehr Arbeitnehmer über 55
auf dem Arbeitsmarkt haben . Somit ist die Zahl der über

Markus Paschke






(A) (C)



(B) (D)


55-jährigen Arbeitslosen massiv zurückgegangen . Das
und nichts anderes ist die Wahrheit . Wir sind seit zehn
Jahren auf einem guten Weg . Alles andere redet den Ar-
beitsmarkt und die Fähigkeiten der Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer in Deutschland schlecht . Dafür sind
wir nicht zu haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Klaus, du hast uns einen Tipp für den Wahlkampf ge-
geben. Ich gebe euch auch einen: Vielleicht müsstet ihr
euch auch einen Buchstaben für euer Konzept überlegen .
Von Q war schon die Rede. Vielleicht nehmt ihr W für
Arbeitslosengeld „Wahlkampf“ . Mehr ist es nämlich
nicht .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder V wie Verstand! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Oder L wie Links!)


Ich möchte auf den Antrag näher eingehen; er hat es
nämlich verdient .


Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822514800

Herr Kollege Zech, lassen Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Ernst zu?


Tobias Zech (CSU):
Rede ID: ID1822514900

Natürlich .


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822515000

Lieber Tobias, ich möchte noch einmal auf folgenden

Zusammenhang eingehen – da sind wir wahrscheinlich
gar nicht so weit auseinander –: Ja, Qualifikation ist not-
wendig, auch für die Älteren, die möglicherweise noch
mit 55 ihren Job verlieren . Meine Erfahrung ist, dass ge-
rade die 55-Jährigen das sehr gerne annehmen, weil sie,
wenn sie bis 67 arbeiten müssen, nicht zwölf Jahre zu
Hause bleiben wollen . Es liegt also nicht daran, dass die
Menschen nicht arbeiten wollen . Wenn wir uns darüber
einig sind und wenn wir die guten Arbeitsmarktzahlen
kennen, dann müsste klar sein, dass eine theoretisch län-
gere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes in der Praxis
gar keine Wirkung hat, weil die Menschen mit ihrer Qua-
lifikation bzw. spätestens nach einer Qualifikationsmaß-
nahme wieder Arbeit haben . Das bedeutet: Unser Antrag,
auch wenn man die möglichen Kosten entsprechend
hochrechnet, ist eigentlich nicht das Problem . Das Pro-
blem besteht vielmehr darin, dass eine große Zahl von
Älteren – du hast die Zahlen selbst genannt – trotz der
Weiterbildung nicht mehr in Jobs kommt .

Wenn jemand mit 55 aus dem Betrieb ausscheidet,
dann ist er nach zwei Jahren Weiterbildung 57 . Wer stellt
denn einen 57-Jährigen noch ein? Es gibt noch zwei Jobs,
wo das theoretisch gut funktioniert, nämlich Bundes-
präsident und Papst . Bei den normalen Bürgern ist das
schwieriger .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind da wirklich schon weiter!)


Wir haben jetzt auch schon einen jüngeren Bundesprä-
sidenten . Ja, auch da ist es nicht mehr so, dass man als
Älterer gleich wieder einen Job kriegt .

Wenn das Problem ist, dass man Ältere trotz Weiter-
bildung nicht vermitteln kann, dann ist die Frage: Wie
gehen wir mit deren Würde um? Was machen wir mit
denen? Schicken wir sie in den Hartz-IV-Bezug, oder
schaffen wir eine Lösung, indem wir ihnen länger Ar-
beitslosengeld-I-Bezug ermöglichen, sodass sie mehr
Zeit haben, wieder in Arbeit zu kommen, statt sie kurz
vor der Rente nach einem erfüllten Arbeitsleben und
möglicherweise 30, 40 oder 50 Jahren Arbeit in Hartz IV
zu schieben? Das ist der Sinn unseres Antrags .


Tobias Zech (CSU):
Rede ID: ID1822515100

Sehr geehrter Kollege Ernst, vielen Dank . Ich habe

Ihren Antrag gelesen . Mir ist auch die Ernsthaftigkeit
dessen, was dahintersteckt, durchaus bewusst . Das er-
kenne ich an . Ich bitte aber, mir nachzusehen – ich kom-
me gleich darauf zurück –, dass ich einen anderen Ansatz
habe, was die Lösung betrifft.

Ich bin der Überzeugung – insofern haben Sie mei-
ne volle Zustimmung –: Für Weiterbildung ist es nie zu
spät – bis zum letzten Tag .


(Beifall bei der SPD)


Die Frage ist nur, wer die Weiterbildung anbietet . Dazu
gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten . Wenn Sie
die Studien vom IAB und vom Institut der deutschen
Wirtschaft lesen, welche Art der Weiterbildung zur Rein-
tegration in den Job führt, dann werden Sie feststellen,
dass es sich zu 75 Prozent um Angebote der betriebli-
chen Weiterbildung und nur zu einem sehr geringen Teil
um Angebote der Bildungsträger handelt . Wir müssen
sicherlich noch einmal darüber sprechen, was unter Wei-
terbildung zu verstehen ist . Aber grundsätzlich stimmen
Sie sicherlich der Aussage zu, dass Weiterbildung der
Hauptfaktor ist, wenn es um auskömmliche Renten und
gesunde Jobs geht .

Ich glaube aber, dass ihr bei den Symptomen und
nicht bei den Problemen ansetzt . Ich gebe der Kolle-
gin Pothmer recht – das ist nichts Neues –: Euer Antrag
geht – egal ob es um Q oder W geht – an der Praxis vor-
bei; denn er würde dazu führen, dass wir ein Mittel für
eine weitere Frühverrentungswelle schaffen. Gerade das
wollen wir nicht . Wir wollen nicht den leichten Weg in
die Frühverrentung gehen . Euer Antrag stellt nichts an-
deres dar als eine reine Symptombekämpfung und greift
nicht dort, wo es notwendig wäre .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die arbeitslos
sind, wollen nicht – ich bitte auch hier um Ihre Zustim-
mung –, dass die Bezugsdauer so lange wie möglich ist,
sondern wollen so schnell wie möglich zurück auf den
ersten Arbeitsmarkt . Da – und nicht an der Bezugsdau-
er – müssen wir ansetzen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Daher erkläre ich – ob es nun um Q oder W geht –, dass
die Koalition aus CDU/CSU und SPD diesen Antrag in
voller Überzeugung ablehnen wird, und das zu Recht .

Tobias Zech






(A) (C)



(B) (D)


Frank-Jürgen Weise hat sich zur Verlängerung der
Bezugsdauer wie folgt geäußert – ich darf zitieren, Frau
Präsidentin –:

Mehr Verteilung schafft Leistungsempfänger statt
Leistungserbringer . Der Wettlauf um die höchsten
Zahlungen führt in eine Sackgasse .

Diese Sackgasse wollen wir nicht . Wir haben sie erkannt
und werden sie umschiffen.

Zur Ehrlichkeit gehört dazu, dass die Kosten unkalku-
lierbar sind, wenn die Dauer der Arbeitslosengeldzahlun-
gen verlängert wird . Das geht am Bedarf und auch an den
Interessen der Arbeitnehmer vorbei. Ich halte eine Ver-
längerung auch im Hinblick auf die Generationengerech-
tigkeit für nicht verantwortbar; denn dieses Geld sollte
besser für wirkliche Qualifizierungsmaßnahmen einge-
setzt werden . Ich will jetzt nicht auf die Details einge-
hen; das haben schon die Vorredner gemacht. Ich möchte
vielmehr betonen, dass wir die Arbeitslosenversicherung
in diesem Land in den letzten Jahrzehnten zu einem äu-
ßerst modernen Zweig unseres Systems weiterentwickelt
haben . Natürlich werden wir auch in Zukunft tatkräftig
anpacken . Wir müssen die Arbeitslosenversicherung
weiterentwickeln, aber in die Zukunft gewandt und nicht
rückwärts . Wir müssen uns dabei an den Arbeitnehmern
als Kunden orientieren, und die Kunden wollen zurück
auf den ersten Arbeitsmarkt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ähnliches gilt für Ihre einzelnen Forderungen und die
Ausweitung der Rahmenfrist von zwei auf drei Jahre . Ich
könnte diese Liste beliebig fortsetzen .

Wir haben sicherlich das Problem erkannt, dass nicht
jede Beratung funktioniert und dass es Schwierigkeiten
bei der Vermittlung älterer Arbeitnehmer gibt. Hier muss
die Bundesagentur für Arbeit, die dem Ministerium für
Arbeit und Soziales zugeordnet ist, ansetzen . Es muss
operativ gearbeitet werden . Wie das geschehen soll, will
ich aber nicht erst aus Presseartikeln erfahren. Vielmehr
muss sich das in der Arbeit des Ministeriums zeigen . Wir
hatten lange genug Zeit dafür . Wir brauchen keine Sys-
temänderung . Wir haben sehr gute Gesetze und eine gute
Arbeitslosenversicherung; das müssen wir nutzen . Man
muss operativ eingreifen, wenn etwas nicht funktioniert .
Was wir aber nicht brauchen, ist eine unkalkulierbare,
sinnlose und am Arbeitnehmer vorbeigehende Erweite-
rung der Arbeitslosengeldbezugsdauer . Eine solche Er-
weiterung wird nur dazu führen, dass die Menschen eher
in Rente geschickt werden, bringt aber keinen Einzigen
eher zurück in den Job . Den Menschen wieder Arbeit zu
geben, muss unser Ziel sein .


(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Mast [SPD]: Olle Kamellen!)


Dieses Thema wird uns garantiert noch länger be-
schäftigen . Ich freue mich auf die weiteren Debatten mit
Ihnen über dieses große Thema . Ich lade jeden, dem es
um die Sache geht, ein, darüber mitzudiskutieren . Das
tun wir am besten hier im Parlament und nicht bei irgend-
welchen Partys .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822515200

Vielen Dank, Herr Kollege Zech. – Als Nächste spricht

die Kollegin Waltraud Wolff von der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1822515300

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben
schon heute Vormittag über die sich verändernde Arbeits-
welt gesprochen – ich sage das nur für die Zuschauer –
und haben dabei festgestellt, dass wir in Zukunft einen
weitaus flexibleren Arbeitsmarkt erwarten. Der stellt ge-
nauso Anforderungen an Fortbildung und Qualifizierung
wie auch an die soziale Absicherung von Arbeitslosig-
keit – das Thema, über das wir jetzt reden .

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat
im Rahmen des Prozesses „Arbeit 4 .0“ eine Langzeit-
prognose für den Arbeitsmarkt erstellen lassen . Diese
Zahlen sind heute noch nicht genannt worden . Die gute
Nachricht ist: Uns geht die Arbeit nicht aus, keine Frage .
Wir stehen aber vor der riesigen Herausforderung, dass
ungefähr 750 000 Arbeitsplätze in 27 Wirtschaftszwei-
gen bis 2030 verloren gehen werden . Auf der anderen
Seite werden aber in 13 völlig anderen Branchen 1 Milli-
on Arbeitsplätze entstehen .

Hinter diesen Zahlen stecken natürlich Tätigkeiten
und Qualifikationen, die verschwinden, ebenso wie sol-
che, die neu hinzukommen . Hinter diesen Zahlen stehen
aber vor allem Menschen – Menschen, die in diesen
Branchen arbeiten, die diese Berufe erlernt haben und
die die entsprechenden Qualifikationen erworben haben.
Diese Menschen brauchen Sicherheit . Erst einmal wollen
sie sicher sein, dass die Arbeitslosenversicherung zahlt .
Dann wollen sie sicher sein, dass sie nicht aufs Abstell-
gleis geschoben werden . Sie wollen auch sicher sein,
dass sie eine Qualifizierung erhalten, mit der sie einen
dieser neuen Jobs bekommen können .

Ich komme aus Sachsen-Anhalt und weiß, wie läh-
mend die Angst sein kann, aufs Abstellgleis geschoben
zu werden . Das ist auch heute noch an der Tagesordnung .
Die Zukunft des digitalen Arbeitsmarktes wird natürlich
Chancen bringen; das ist unbestritten . Aber die Men-
schen trauen sich doch nur dann, neue Chancen zu ergrei-
fen, wenn sie Vertrauen in die Arbeitslosenversicherung
haben können .


(Beifall bei der SPD)


In einigen Punkten stimmen wir mit dem Antrag der
Linken überein, insbesondere darin, dass die Qualifi-
zierung einen besonderen Stellenwert bekommen muss .
Aber wir brauchen mehr . Aus der Arbeitslosenversiche-
rung muss eine Arbeitsversicherung werden .


(Beifall bei der SPD)


Tobias Zech






(A) (C)



(B) (D)


Aus der Bundesagentur für Arbeit muss eine Bundes-
agentur für Arbeit und Qualifizierung werden.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist sie doch schon!)


Darauf – das ist kein Wahlkampfgetöse; das will ich
gleich abtun – zielt das Weißbuch der Bundesregierung
ab . Da hat unsere Bundesministerin schon einiges getan .

Wir wissen: Der erlernte Beruf reicht heute nicht mehr
aus . Das Schlagwort „lebenslanges Lernen“ müssen wir
ernster denn je nehmen . Aus diesem Grund soll die Bun-
desagentur für Arbeit nicht erst bei Arbeitslosigkeit grei-
fen . Sie soll nicht erst dann ins Spiel kommen, sondern
Beschäftigte sollen in ihrem Berufsleben jederzeit eine
unabhängige Beratung erhalten können .


(Beifall bei der SPD)


Jeder stellt sich doch die Fragen: Welche beruflichen
Perspektiven habe ich mit meiner vorhandenen Qualifi-
kation? Welche Optionen bleiben mir für eine berufliche
Weiterbildung? Was ist für mich sinnvoll? – Die Bundes-
agentur soll für das gesamte Erwerbsleben Ansprechpart-
nerin für Weiterbildung sein, auch ohne Arbeitslosigkeit .


(Beifall bei der SPD)


Es geht um den Wiedereinstieg in Arbeit, aber nicht
nur . Es geht auch darum, Beschäftigungsfähigkeit zu er-
halten und zu sichern . Eine Arbeitsversicherung könnte
im Bereich der Qualifizierung die notwendigen Schrit-
te übernehmen . Natürlich gilt das umso mehr für Men-
schen, die arbeitslos sind . Kollegin Pothmer, Kollege
Weiler und Kollege Zech, Sie alle haben gesagt: Das ist
Wahlkampfgetöse! – Nein, ein Blick ins Weißbuch der
Bundesregierung bringt ein bisschen mehr Klarheit .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dort steht eindeutig drin: Erste Schritte haben wir mit
der Novelle zum Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz
und zum Arbeitslosenversicherungsschutz- und Weiter-
bildungsstärkungsgesetz unternommen .


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Aber das alles nicht als Brücke in die Frührente!)


Es gibt nun für langzeitarbeitslose und geringqualifizier-
te Menschen einen besseren Zugang zu einer Weiterbil-
dung, die auch zu einem Abschluss führt . Da müssen
wir – das ist mir eine Herzensangelegenheit – nachlegen .


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss . Die Geschichte erzählt uns von vielen Beru-
fen, die es schon lange nicht mehr gibt . Ich glaube, das
Thema „digitale Arbeitswelt“ hat uns wieder an eine Zei-
tenwende gebracht; da stehen wir jetzt . Dass wir unsere
sozialen Sicherungssysteme so gestalten, dass Menschen
Sicherheit haben in Zeiten der Arbeit und auch der Ar-
beitslosigkeit, das ist unsere Aufgabe . Daran werden wir
arbeiten . Das Weißbuch gibt uns die Grundlage .

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822515400

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Ich schließe die Aus-

sprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/11419 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 8 a und 8 b auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Um-
setzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie,
zur Ausführung der EU-Geldtransferverord-
nung und zur Neuorganisation der Zentral-
stelle für Finanztransaktionsuntersuchungen

Drucksache 18/11555

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Sahra Wagenknecht, Dr . Dietmar Bartsch,
Dr . Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE

Anonyme Briefkastenfirmen verbieten –
Transparenzregister einrichten

Drucksache 18/8133

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner spricht
zu Ihnen der Parlamentarische Staatssekretär Dr . Michael
Meister .


(Beifall bei der CDU/CSU)


D
Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1822515500


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich habe Ihnen an dieser Stelle im vergangenen Monat
das Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz vorgestellt .
Dann haben wir uns als Konsequenz aus den Panama Pa-
pers mit der Frage, wie wir Steuerhinterziehung besser
bekämpfen können, auseinandergesetzt . Bundesminister
Wolfgang Schäuble hat einen Zehn-Punkte-Plan vorge-
legt, den wir in diesem Gesetzgebungsverfahren auf den
Weg gebracht haben . Heute befassen wir uns mit den He-
rausforderungen der Geldwäsche und der Terrorismus-
finanzierung. Vor dem Hintergrund der Anschläge von
Paris und Brüssel im vergangenen Jahr und gestern in
London ist es, glaube ich, nicht nachvollziehbar, wenn

Waltraud Wolff (Wolmirstedt)







(A) (C)



(B) (D)


wir nicht energisch gegen die Finanzierung terroristi-
scher Organisationen vorgehen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die internationale Organisation FATF, die sich mit der
Frage befasst, was man gegen Geldwäsche und Terroris-
musfinanzierung tun kann, hat Empfehlungen ausgespro-
chen, die auf europäischer Ebene in der Vierten Geld-
wäscherichtlinie niedergelegt sind . Diese Empfehlungen
besagen, in Zukunft nicht mehr eine gleichmäßige Kon-
trolle der gesamten Wirtschaft durchzuführen, sondern
zu versuchen, mit den zur Verfügung stehenden Ressour-
cen in einem effizienteren Ansatz eine risikoorientierte
Kontrolle vorzunehmen, also dort vertieft zu prüfen, wo
man Risiken identifizieren kann, und dort Ressourcen ab-
zubauen, wo keine Risikoindikatoren anschlagen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das ist der Grundgedanke dieser Richtlinie .

Die Richtlinie ist im Mai 2015 verabschiedet worden .
Die Umsetzungsfrist läuft bis Juni dieses Jahres . Deshalb
müssen wir jetzt hier im Bundestag über die nationale
Umsetzung sprechen .

Der erste Ansatzpunkt ist die Neuausrichtung der
Financial Intelligence Unit, kurz: FIU . Das ist ein An-
satz, den in Deutschland bereits das Bundeskriminalamt
verfolgt . Wir überführen das Ganze nun von der Polizei
in den Bereich der Finanzen . Das ist wichtig, weil wir
eine Institution schaffen wollen, die eine Filterfunktion
hat und eingehende Verdachtsmeldungen nicht einfach
ungefiltert weiterleitet. Sie führt eine erste Prüfung des
Gehalts einer Meldung durch und sorgt dann dafür, dass
die zuständigen Polizei- und Strafverfolgungsbehörden
risikoorientiert den tatsächlichen Verdachtsfällen nach-
gehen können . Wir werden die FIU beim Zoll ansiedeln
und personell deutlich aufstocken . Heute hat diese Ein-
heit 25 Mitarbeiter . Wir streben in Zukunft 165 Mitarbei-
ter an, um deutlich zu machen, dass wir diese Aufgabe
sehr ernst nehmen . An dieser Stelle ist auch internationa-
le Koordination gefragt; denn Verdachtsmeldungen kom-
men nicht nur aus dem Inland, sondern möglicherweise
auch aus dem Ausland . Umgekehrt müssen wir natürlich
entsprechenden Partnerbehörden in anderen Ländern un-
sere Verdachtsmeldungen weitergeben.

Der zweite Ansatzpunkt ist ein sogenanntes Transpa-
renzregister, mit dem wir dafür sorgen wollen, dass bei
allen wirtschaftlichen Akteuren, insbesondere bei juris-
tischen Personen, klar ist, wer eigentlich der wirtschaft-
lich Berechtigte ist, der dahinter steht . Das muss nicht
zwingend der Eigentümer sein . Wir möchten wissen: Wer
hat den wirtschaftlichen Einfluss auf eine Einheit? Das
werden wir im Transparenzregister niederlegen . Da wir
versuchen wollen, mit möglichst wenig Bürokratie aus-
zukommen, greifen wir auf bestehende Register zurück,
zum Beispiel das Handelsregister, und werden diese zu
einem neuen Register verlinken . Wo wir neue Daten be-
nötigen – bei Stiftungen, bei Trusts –, werden wir diese
anfordern . Ansonsten versuchen wir, sparsam mit diesem

Mittel umzugehen . Wir wollen den Zweck erreichen,
aber nicht, indem wir viel Bürokratie erzeugen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es gibt eine intensive Debatte über die Frage, wer
Zugang zu den Informationen in diesem Register haben
soll . Wir sind der Meinung, dass wir an dieser Stelle eine
Eins-zu-eins-Umsetzung des europäischen Rechts, wie
es in der Vierten Geldwäscherichtlinie steht, vornehmen
sollten . Das bedeutet, dass bei einem berechtigten Inte-
resse – aber eben nur dann – Zugang besteht nicht nur für
Behörden und Verpflichtete im Sinne des Geldwäschege-
setzes, sondern auch für Journalisten oder für Nichtregie-
rungsorganisationen . Wir haben das vor dem Hintergrund
des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit dem Eingriff in
die Persönlichkeitsrechte und Datenschutzrechte des ein-
zelnen Bürgers abgewogen . Wenn wir in diese Persön-
lichkeitsrechte eingreifen, dann muss eben ein entspre-
chender Grund dafür angeführt werden können .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir sehen an zwei Stellen Ausweitungen vor, und
zwar im Bereich der Verpflichteten. Das ist zum einen bei
den Güterhändlern der Fall . Für die Güterhändler gelten
heute schon die notwendigen Sorgfaltspflichten. Wenn
sie Geschäfte abwickeln, dann sind sie Verpflichtete und
müssen geldwäscherechtliche Sorgfaltspflichten einhal-
ten . An dieser Stelle wird ein Grenzwert verändert . Statt
heute 15 000 Euro bei Barzahlung sind es in Zukunft
10 000 Euro . Das heißt nicht, dass man bei Geschäften
unterhalb dieser Grenze bezogen auf Geldwäsche nicht
sorgfältig sein muss . Aber das heißt, dass man bei Bar-
zahlung oberhalb dieser Grenze auf jeden Fall die Sorg-
faltspflichten einhalten muss.

Zum anderen ist das im Bereich des Glücksspiels der
Fall . Beim Glücksspiel ist es seit jeher so, dass Glücks-
spielanbieter nicht zwingend Verpflichtete sind. Sie wer-
den jetzt Verpflichtete, es sei denn, es ist ein staatlicher
Anbieter wie etwa die Lottogesellschaft, oder es ist eine
Gastronomie, wo Glücksspielautomaten stehen . Im letz-
teren Fall ist es zwar auch Glücksspiel; aber da sehen
wir bei dem risikoorientierten Ansatz nicht unbedingt die
Herausforderung .

Ich bitte Sie, in der relativ knappen Zeit bis Juni die-
sen Gesetzentwurf sorgsam und intensiv mit uns zu be-
raten. Ich hoffe, dass wir unseren Verpflichtungen bei der
Terrorismusfinanzierungsbekämpfung und der Geldwä-
schebekämpfung nachkommen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822515600

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Als Nächster

spricht der Kollege Richard Pitterle von der Fraktion Die
Linke .


(Beifall bei der LINKEN)


Parl. Staatssekretär Dr. Michael Meister






(A) (C)



(B) (D)



Richard Pitterle (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822515700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Vor
ungefähr einem Jahr war es Panama, vor ungefähr ei-
nem Monat Malta . In schöner Regelmäßigkeit wird über
Geldwäsche und Steuerhinterziehung per Briefkasten-
unternehmen in Steueroasen berichtet . Es ist sozusagen
längst Alltag, dass manche Reiche und Hyperreiche ihre
Vermögen auf zwielichtigem Wege vor dem Zugriff des
Finanzamtes schützen . Das schadet uns allen; denn wenn
Steuern nicht gezahlt werden, fehlt dringend benötigtes
Geld für Schulen, Straßen und Krankenhäuser .

Die Bundesregierung legt nun den Entwurf ihres Ge-
setzes zur Umsetzung der Vierten Geldwäscherichtlinie
der EU vor und präsentiert sich hier wieder als große
Kämpferin gegen Geldwäsche und Steuerhinterziehung .
Meine Damen und Herren, die Realität sieht leider anders
aus . Die Bundesregierung schreitet nicht voran, sondern
dackelt offenbar völlig überfordert hinterher.


(Beifall bei der LINKEN)


Bis zum 26 . Juni dieses Jahres ist – so haben wir gehört –
die aus 2015 stammende Richtlinie umzusetzen, und erst
jetzt, kurz vor Schluss, wird die Bundesregierung tätig .
Mehr noch: Auf europäischer Ebene schnürt man längst
am nächsten Maßnahmenpaket . Die Bundesregierung
ist nicht Motor, sondern Bremse bei der EU-weiten Be-
kämpfung von Geldwäsche . Die Linke lässt Ihnen das so
nicht durchgehen!


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will drei Punkte zum vorliegenden Gesetz anspre-
chen . Das ist erstens das Transparenzregister, einer der
zentralen Punkte des Gesetzes . Darin sollen die „wirt-
schaftlich Berechtigten“ – also die wahren Eigentümer
zum Beispiel eines Unternehmens – aufgeführt werden,
damit sich nicht X oder Y hinter irgendwelchen Briefkas-
tenunternehmen verstecken können . So weit, so gut . Das
Transparenzregister aber, das die Bundesregierung nun
plant, ist leider genau eines nicht: transparent . Im Ge-
genteil: Die Daten bleiben unter Verschluss und werden
nur dann an die Öffentlichkeit herausgegeben, wenn man
ein berechtigtes Interesse an der Einsichtnahme nachwei-
sen kann . Die Bundesregierung hat hier einmal wieder
dem Druck der Unternehmerlobby nachgegeben, die auf
angebliche Gefahren durch Entführer verwies . Wir von
der Linken fordern hingegen in unserem Antrag, dass das
Transparenzregister uneingeschränkt öffentlich zugäng-
lich ist, damit tatsächlich eine wirksame Kontrolle statt-
finden kann.


(Beifall bei der LINKEN – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Aber Journalisten haben jetzt auch schon Zugang bei berechtigtem Interesse! Das ist schon einmal sehr gut!)


Ich komme zum zweiten Punkt im Gesetz, den ich an-
sprechen möchte und der tatsächlich positiver Natur ist .
Die bei Meldungen auf Geldwäscheverdacht zuständige
Stelle war bisher beim Bundeskriminalamt angesiedelt .
Mit dem neuen Gesetz wird die Stelle dort herausgelöst
und künftig als sogenannte Zentralstelle für Finanztrans-
aktionsuntersuchungen bei der Generalzolldirektion und

somit im Geschäftsbereich des Bundesfinanzministeri-
ums untergebracht .


(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das ist gut!)


Das ist grundsätzlich auch sinnvoll; denn genau dort soll-
ten die Kompetenzen gebündelt sein, wenn man Geld-
wäschern und Steuerhinterziehern auf den Zahn fühlen
will . Damit kommt die Bundesregierung – wenn auch
mit kleinen Trippelschritten – wieder einmal einer unse-
rer Forderungen entgegen . Immerhin hat die Linke schon
2013 die Einrichtung einer Bundesfinanzpolizei beim
Bundesfinanzministerium gefordert, um Geldwäsche
wirksam bekämpfen zu können .


(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Wenn wir Sie nicht hätten!)


Wir freuen uns, dass die Große Koalition auch einmal
lernfähig ist und geben natürlich weiterhin gerne Hilfe-
stellung beim Laufenlernen .


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Beispiel muss sich die Bundesregierung auch hier
von ihrem Sparzwang befreien und das entsprechende
Personal kräftig aufstocken .

Ich komme zum letzten und dritten Punkt, zu den
vollmundigen Ankündigungen der Bundesregierung
und dem Ergebnis . Liebe Kolleginnen und Kollegen, die
Bundesminister Gabriel, Müller und Maas haben im letz-
ten Jahr noch groß gefordert, auch weltweit mit gutem
Beispiel voranzugehen und Briefkastenunternehmen zu
bekämpfen . Da frage ich mich: Wo bleibt denn nun die
große Initiative seitens der Bundesregierung? Wir wollen
doch hoffen, dass das am Ende nicht wieder bloß die hin-
länglich bekannte heiße Luft ist .


(Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Sie reden vom völlig falschen Gesetz!)


Aus meiner Sicht wäre es zumindest erforderlich, die
Bußgelder nach dem Geldwäschegesetz sowie auch die
Bußgelder bei Verletzung der Meldepflichten nach der
Außenwirtschaftsverordnung deutlich anzuheben . Diese
verpflichtet bekanntlich den Steuerpflichtigen, Beteili-
gungen an einer ausländischen Gesellschaft – zum Bei-
spiel an einer GmbH in Panama – an die Bundesbank
zu melden . Die Bußgeldrahmen unterscheiden sich bei
vergleichbarem Fehlverhalten deutlich . Es wäre im Üb-
rigen effizienter, Meldepflichten in einem Gesetz zu kon-
zentrieren. Dies wäre auch für die Meldepflichtigen über-
sichtlicher .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822515800

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächster hat das

Wort Dr . Jens Zimmermann von der SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Jens Zimmermann (SPD):
Rede ID: ID1822515900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich glau-

be, man kann sehr gut an die Rede vom Kollegen Pitterle






(A) (C)



(B) (D)


anschließen; denn der Kampf auch gegen Briefkasten-
firmen und im Zusammenhang mit den Panama Papers
eint uns ja . Deswegen verhandeln wir hier im Deutschen
Bundestag gerade auch das Steuerumgehungsbekämp-
fungsgesetz . Man kann uns da also sicherlich vieles vor-
werfen, aber nicht, dass wir untätig sind .

Gleichzeitig muss man an dieser Stelle – da haben Sie
schon ein bisschen recht – auch sagen: Es gehört eben
doch alles zusammen . Wenn man in dieser Woche die
Presse verfolgt hat, konnte man lesen, dass Briefkasten-
firmen im Zusammenhang mit der „Russian Laundro-
mat“ – dabei ging es um die „russische Waschmaschi-
ne“ – eine Rolle gespielt haben . Das zeigt eben, dass
Geldwäsche nach wie vor ein sehr großes Thema ist . Es
werden Gelder aus zwielichtigen Kanälen gewaschen .
Auch wird Geld gewaschen und transferiert, das für ter-
roristische Aktivitäten genutzt werden kann . Deswegen
eint uns, glaube ich, hier alle im Haus der entschiedene
Kampf gegen Geldwäsche .

Die Tatsache, dass sich die Umsetzung jetzt ein biss-
chen nach hinten geschoben hat, ist ja kein Beleg dafür,
dass wir wenig machen wollen, sondern ganz im Gegen-
teil . Das Ansinnen der Koalition und der Bundesregie-
rung an dieser Stelle war ja, möglichst die Fünfte Geld-
wäscherichtlinie, die wir jetzt noch bekommen werden,
hier schon direkt hineinzunehmen . Dass das – Sie wis-
sen, wie in Brüssel manchmal die Verhandlungen lau-
fen – jetzt nicht geklappt hat, ist schade; aber es wäre
falsch, das in diese Richtung zu interpretieren, meine
Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber wenn wir uns anschauen, was wir in der Umset-
zung der Vierten Geldwäscherichtlinie in diesem Paket
jetzt drin haben, dann können wir sagen: Wir haben mit
der Neustrukturierung der Financial Intelligence Unit –
das ist die Zentralstelle, die den Kampf gegen Geldwä-
sche führt – einen wirklich wichtigen Punkt umgesetzt,
und wir begrüßen es sehr, dass wir an dieser Stelle eine
deutliche personelle Aufstockung erleben werden . Ich
glaube, ein ganz wichtiger Punkt, auf den wir in den Ver-
handlungen noch ein bisschen genauer eingehen müssen,
ist die Koordinierungsfunktion zwischen den einzelnen
Ländern . Wir alle, die wir im Kampf gegen Geldwäsche
immer wieder zusammensitzen, wissen: Erfolgreich kön-
nen wir in Deutschland nur sein, wenn der Bund und die
Bundesländer an einem Strang ziehen, meine Damen und
Herren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Transparenzregister ist angesprochen worden,
ein wichtiger Punkt . Wir diskutieren jetzt darüber, wer
eigentlich auf die Informationen in diesem Transparenz-
register zugreifen darf . Es ist nun nicht so, als würden
da ganz geheime Informationen drinstehen . Da steht
letztendlich drin, wer der wirtschaftlich Berechtigte ei-
nes Unternehmens ist . Ich denke, das sind im Normalfall
Informationen, die auch durch viele öffentliche Quellen
zugänglich sind . Sie werden aus bestehenden Registern
zusammengeführt. Wir haben ein abgestuftes Verfahren.

Behörden sollen einen tieferen Einblick haben können als
Geschäftspartner oder auch Journalisten . Das halten wir
für richtig. Aber wir sollten uns im Laufe der Verhand-
lungen noch einmal genau überlegen, ob wir wirklich
diese Schwelle einziehen wollen, dass dieses berechtigte
Interesse jedes Mal nachgewiesen werden muss; denn es
gibt, glaube ich, an dieser Stelle nur zwei Varianten.

Die eine Variante ist, dass dieses berechtigte Interesse
in Zukunft immer als Begründung dafür herhalten muss,
dass man keinen Einblick gewährt, wenn man eine harte
Linie fährt. Die andere Variante ist, dass man es umge-
kehrt ganz leicht macht und jeder, der möchte, immer
Einblick nehmen kann . Dann sollten wir meiner Mei-
nung nach aber auch nach außen das ganz klare Signal
senden: Jeder sollte Einblick nehmen können, weil es
eigentlich Informationen sind, bei denen niemand etwas
zu verbergen hat . Diese Güterabwägung können wir an
dieser Stelle, denke ich, treffen.


(Beifall des Abg . Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Die Güterhändler sind ein wesentlicher Teil im Kampf
gegen Geldwäsche . Es sind nicht nur die Banken . Es geht
nicht nur um die Geldtransfers, sondern es geht auch um
die Frage: Was passiert am Ende eigentlich mit diesem
Geld? Deswegen halten wir es für den richtigen Schritt,
dass die Schwelle, ab der erhöhte Sorgfaltspflichten gel-
ten, von 15 000 Euro auf 10 000 Euro gesenkt wird . Was
wir in der Diskussion, auch mit vielen Betroffenen, er-
fahren haben, ist, dass man gerne bereit ist, sich auf diese
Schwelle einzulassen, weil viele Unternehmen zuneh-
mend merken, dass sie Risiken eingehen, wenn sie solch
hohe Bartransaktionen akzeptieren . Ich glaube, an dieser
Stelle können wir mit der Industrie, mit dem Handel si-
cher zu einer guten Lösung kommen .

In den weiteren Verhandlungen – wir sind heute in der
ersten Lesung; der Bundesrat ist mit diesem Gesetzent-
wurf auch betraut – müssen wir vielleicht an der einen
oder anderen Stelle noch genauer hinschauen . Ich will ei-
nen Punkt noch einmal explizit in den Blick nehmen, und
zwar die Frage: Was machen wir mit den Glücksspielau-
tomaten? Der Kollege Staatssekretär hat so schön von
diesem einen Automaten in der Eckkneipe gesprochen,
den wir jetzt nicht übermäßig belasten wollen . Da sind
wir vollkommen einer Meinung . Aber mir geht es an die-
ser Stelle nicht um die Eckkneipe mit dem einen Glücks-
spielautomaten, sondern mir geht es um ganze Glücks-
spielkasinos, die teilweise – das muss man sagen – einen
zweifelhaften Ruf haben . Ich halte es für ein schlechtes
Signal, wenn wir bei der Umsetzung des Geldwäsche-
bekämpfungsgesetzes genau diese Branche privilegieren
und ausnehmen. Wir wollen aber nicht diejenigen ins Vi-
sier nehmen, die an diesen Automaten spielen, sondern
wir wollen mit denjenigen reden, die solche Geschäfte
betreiben . Ich glaube, es ist der Mühe wert, dass wir uns
in den weiteren Verhandlungen dieses Thema noch ein-
mal genauer anschauen und überlegen sollten, nicht auch
für Betreiber von solchen Etablissements erhöhte Sorg-
faltspflichten einzuführen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. Jens Zimmermann






(A) (C)



(B) (D)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822516000

Vielen Dank, Herr Kollege Zimmermann. – Als

Nächstes spricht der Kollege Dr . Gerhard Schick von der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822516100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das Dossier in der Süddeutschen Zeitung über russi-
sche Geldwäsche, wonach in den Jahren 2010 bis 2014
mindestens 20 Milliarden Euro russisches Schwarzgeld
in der Europäischen Union gewaschen worden sind, ist
schon angesprochen worden. In dem Artikel finden sich
zwei Zitate, die man sich in dieser Debatte noch einmal
in Erinnerung rufen muss . Das eine Zitat ist:

Geldwäscher fühlen sich von der Bundesrepublik
eingeladen .

Das andere Zitat lautet:

Geldwäscher lieben Deutschland .

Das ist nicht das Bild, das wir von unserem Land ger-
ne hätten . Die Diagnose ist auch nicht neu . Wenn es um
die Frage der Schattenfinanzzentren geht und von den
NGOs internationale Rankings aufgestellt werden, dann
taucht die Bundesrepublik Deutschland leider regelmä-
ßig relativ weit oben auf . Es stellt sich die Frage: Was
passiert hier eigentlich? Was ist in den letzten Jahren pas-
siert? Jetzt haben wir wieder ein Gesetz, wo es im We-
sentlichen um die Umsetzung einer europäischen Richt-
linie geht . Wir haben also nicht einen eigenen Ansatz,
das Defizit in unserem eigenen Land anzugehen, sondern
es ist erneut getrieben von der Europäischen Union . In
den Jahren seit 2009 wäre es notwendig gewesen – der
Bundesfinanzminister ist für dieses Thema zuständig –,
irgendwann zu überlegen: Was machen wir eigentlich,
um diese Diagnose, diesen Zustand auch aus unserem
eigenen Interesse heraus zu überwinden? Es kann nicht
sein, dass wir immer warten, bis die Europäische Union
handelt. Vor allem angesichts des ständigen Fingerzeigs
von Deutschland auf Steueroasen da und dort ist es nicht
lauter, nicht vor der eigenen Haustüre zu kehren . Das ist
notwendig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Kernstück des Gesetzes, das in der Öffentlichkeit
am meisten bekannt ist, ist das Transparenzregister . Es ist
schon im Jahr 2014 von der Financial Action Task Force
angemahnt worden, dass in Deutschland ein solches Re-
gister fehlt . Es ist eine langjährige Forderung, dass wir
ein solches Register bekommen . Jetzt könnte man froh
sein, dass es das gibt . Aber es wird keine wirkliche Öf-
fentlichkeit hergestellt, weil dieses Register nur auf An-
trag eingesehen werden kann, wenn man ein berechtigtes
Interesse nachweisen kann . Auf der einen Seite gibt es
das Problem, dass viele aufgrund dieser Voraussetzun-
gen abgehalten werden, diese Information einzusehen,
andererseits wird es ein Problem bei der Qualität der da-
rin enthaltenen Daten geben . Wie stellt man denn sicher,
dass das, was in einem solchen Register steht, wirklich
stimmt? Am besten über eine öffentliche Kontrolle, also
dadurch, dass korrigiert werden kann, wenn Leute mer-
ken, dass irgendwelche Daten nicht stimmen .

Deswegen wird für uns ein wichtiger Punkt in den Be-
ratungen des Gesetzes sein, dass wir es schaffen, dieses
Register zu einem öffentlichen Register zu machen. Das
ist auch aus Teilen Ihrer Parteien gefordert worden . Es
ist eine Forderung der Zivilgesellschaft . Wir werden uns
dafür starkmachen. Ein nichtöffentliches Transparenz-
register schafft keine wirkliche Transparenz. Deswegen
brauchen wir eine Korrektur .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch fehlt es wieder an Datenschutz . Das, was uns
manche Unternehmerinnen und Unternehmer sagen, ist
nicht ganz falsch . Wir wollen nicht, dass sich Unterneh-
men verschleiern können; aber Personen haben einen
Anspruch darauf, dass ihre sensiblen Daten geschützt
werden . Deswegen meinen wir, dass man noch einmal
darüber reden muss, ob man mit einer Verschlüsselung
der sensiblen Daten ein Stück mehr Datenschutz errei-
chen kann . Auch das werden wir in die Beratungen ein-
bringen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn es um die Verlagerung der Financial Intelligen-
ce Unit geht, dann werden wir uns das genau anschauen
müssen . Der Aufwuchs der Beschäftigten ist sicher hilf-
reich. Aber allein die Verlagerung wird das Strukturpro-
blem, dass Informationen aus vielen Branchen überhaupt
nicht kommen, dass Verdachtsmeldungen überhaupt
nicht da sind und nicht die richtige Qualität haben, dass
die Behörden nicht zusammenarbeiten, nicht lösen . Des-
wegen bleibt der Appell an die Verantwortlichen in Bund
und Ländern, das seit Jahren bekannte Problem: „Wie
stellen wir uns organisatorisch, behördlich auf, welche
Behörde macht was und wie arbeiten sie zusammen?“
endlich sinnvoll anzugehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will noch einen Punkt kurz ansprechen . Es geht
um die Frage, die jetzt gerade auf europäischer Ebene
diskutiert wird – die Bundesregierung steht da auf der
Bremse –: Kann man eigentlich bei Immobilieneigentum
feststellen, wem da was gehört, wenn man zum Beispiel
Vermögen von Kriminellen einziehen will? Ich glaube,
auch da gibt es in Deutschland noch Nachsteuerungsbe-
darf; das sollten wir hier diskutieren . Es sollte vielleicht
nicht so sein, dass wir da wieder auf eine europäische
Initiative, auf Druck von europäischer Seite warten, son-
dern aus unserem Interesse dafür sorgen, dass Strafver-
folgungsbehörden hier die Möglichkeit haben, die Straf-
verfolgung zu leisten .

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822516200

Vielen Dank, Herr Kollege. – Als Nächstes spricht

Dr. Frank Steffel von der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)



Frank Steffel (CDU):
Rede ID: ID1822516300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir beraten heute die Vierte EU-Geldwäscherichtlinie
und hatten in der Tat die Absicht, sie gemeinsam mit der
Fünften zu beraten . Das macht ja auch Sinn; denn es geht
um erhebliche Veränderungen auch im Hinblick auf die
Strukturen, die Kontrollmechanismen, das Controlling
von Zehntausenden Unternehmen in Deutschland . Inso-
fern sollte man das nicht jedes halbe Jahr neu regulieren .
Leider hat die EU den Zeitrahmen, den sie sich vorge-
nommen hat, nicht eingehalten . Insofern werden wir
jetzt – der Koalitionspartner hat zu Recht darauf hinge-
wiesen: bis Juni – selbstverständlich die Vierte EU-Geld-
wäscherichtlinie in Deutschland umsetzen und unseren
Beitrag dazu leisten, dass in Deutschland noch weniger
Geldwäsche stattfindet und die Terrorismusbekämpfung
noch effizienter erfolgen kann.

Mit Panama-Briefkästen hat das alles übrigens leid-
lich wenig zu tun . Wir sind uns völlig einig: Das mit
den Panama-Briefkästen ist eine Sauerei . Wo immer so
etwas noch möglich ist, muss es international bekämpft
und sanktioniert werden . Hier müssen diejenigen, die es
zulassen, und diejenigen, die es tun, bestraft werden, in
Deutschland und überall auf der Welt . Es gibt aber eine
Gemeinsamkeit: Beides geht nur international – sowohl
Geldwäsche- und Terrorismusbekämpfung als auch die
Bekämpfung von Steuerhinterziehung und dessen, was
sich hinter den Begriffen „Panama-Briefkasten“ und
„Panama Papers“ verbirgt .

Insofern kann man am heutigen Tage bei aller Kritik
an Europa, bei all dem, was manchmal schlecht und lang-
sam umgesetzt wird, positiv feststellen – ich sage das ge-
rade auch den vielen jungen Zuhörern hier im Deutschen
Bundestag –: Geldwäsche- und Terrorismusbekämpfung
ist ein gutes Beispiel dafür, dass es eben nur gemeinsam
in Europa geht . Denn Geldwäsche macht vor deutschen
Grenzen nicht halt, aber eben auch nicht vor polnischen,
vor österreichischen oder vor französischen Grenzen .
Insofern müssen wir es in Europa gemeinsam tun und
werden es auch tun .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Kritik an der mangelhaften Umsetzung in Deutsch-
land – Herr Schick, Sie haben das zu Recht in vielen Be-
richterstattergesprächen sehr kritisch angemahnt – eint
uns, glaube ich, alle . Wir stellen fest, dass die Umset-
zung in den 16 Bundesländern, die dafür zuständig sind,
ziemlich leidenschaftslos betrieben wird, es da in vielen
Ländern einen Mitarbeiter in irgendeiner Behörde gibt,
und das nicht einmal einheitlich in allen Bundesländern .
Deswegen unterstützen wir ausdrücklich das Anliegen
der Bundesregierung, mehr zu zentralisieren, Stellen auf
Bundesebene zu schaffen, den professionellen Zoll ein-
zusetzen und Verdachtsmeldungen wirklich sehr konse-
quent nachzugehen .

Das ist für mich nämlich das Allerfrustrierendste: Wir
haben viele Unternehmen in Deutschland – ganz große
und viele mittelständische –, die Verdachtsfälle melden.
Sie sagen: Wir haben einen konkreten Verdacht, dass
vielfach auch Menschen nichtdeutscher Nationalität in

Deutschland Geldwäsche betreiben, indem sie Güter
kaufen, indem sie Bargeld in Umlauf bringen und vieles
andere mehr, aber stellen fest, dass unseren Verdachts-
meldungen überhaupt nicht nachgegangen wird, dass wir
die Verdachtsmeldung abgeben und wir von der Behörde
über Monate überhaupt nichts hören . – Ich glaube, das ist
die Mindestvoraussetzung, von der man als Staatsbürger
ausgehen kann: Wenn wir hier ein Gesetz beschließen,
dann muss es auch ernsthaft dort umgesetzt werden, wo
es kontrolliert wird, nicht nur in den Unternehmen und in
den Organisationen, die die Meldungen machen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Zweiter Punkt: Bargeld . Wir stellen in Deutschland im
positiven Sinne – das ist ganz menschlich – eine hohe
Sensibilität im Hinblick auf Bargeld fest . Wir haben we-
niger Kreditkarten-Geldverkehr als fast alle vergleichba-
ren Länder der Welt . Sobald boulevardesk aufgemacht
wird: „Die 500-Euro-Note verschwindet“, haben die
Deutschen das Gefühl, man missachte ihr Interesse, mit
Bargeld zahlen zu dürfen und nicht alles dokumentieren
zu müssen, aber auch den Schutz ihrer persönlichen Da-
ten und ihrer persönlichen Bürgerfreiheiten . Hier möch-
ten wir die Menschen beruhigen und sagen: Nein, das
werden wir nicht tun .


(Beifall der Abg . Marie-Luise Dött [CDU/ CSU] – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das wird von manchen Professoren geschürt!)


– Das wird von Fachleuten, von Medien geschürt, übri-
gens auch von Politikern, Herr Kollege Binding . – Aber
eine Änderung in diesem Bereich wird nicht stattfinden,
sondern es wird auch in Zukunft jedem Deutschen mög-
lich sein, ganz legal mit Bargeld zu bezahlen . Hier muss
niemand Sorge vor dieser Bundesregierung und dieser
Koalition haben .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Sache mit dem Transparenzregister haben Sie sehr
verkürzt dargestellt, Herr Schick . Da Sie Fachmann und
nicht so naiv sind, wie Sie sich hier verkauft haben,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


wissen Sie ganz genau, dass da kein Student nachts am
Computer sitzt und im Transparenzregister stöbert und
nebenbei russischen Oligarchen, den Mafiosi oder den
Terroristen entdeckt . Das ist absurd . Die Hauptarbeit
müssen die staatlichen Stellen leisten . Journalisten kön-
nen da helfen . Die Hauptarbeit müssen NGOs leisten .

Wir haben die Möglichkeit geschaffen, dass jeder, der
ein Geschäftsinteresse hat, prüfen kann, ob derjenige, der
etwas bei ihm kaufen möchte, etwas verschleiern möch-
te . Es gibt die Möglichkeit, zu prüfen: Wer ist wirtschaft-
lich begünstigt?


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die meisten Informationen kamen von den Whistleblowern und nicht von den staatlichen Stellen!)







(A) (C)



(B) (D)


– Aber Herr Schick! – Hier eine Hexenjagd daraus zu
machen


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Hexenjagd!)


und den Eindruck zu erwecken, dass jeder stille Gesell-
schafter und jeder, der aus irgendwelchen Gründen an
einer deutschen Gesellschaft beteiligt ist, ein potenziel-
ler Geldwäscher ist, das wird der deutschen Wirklichkeit
nicht gerecht .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat auch niemand behauptet!)


99,9 Prozent der deutschen Unternehmen sind von
dem, was wir hier diskutieren, überhaupt nicht betroffen.


(Dr . Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo haben Sie denn diese Zahl her?)


Wir reden über einige wenige schwerkriminelle Strafta-
ten, deren Überwachung wir noch besser hinbekommen
möchten . Im Übrigen ist Deutschland deshalb so betrof-
fen, weil es in Europa zentral liegt und weil es ein sehr
großes und ein sehr freiheitliches Land ist .

Natürlich ist eine Güterabwägung zu treffen. Wir wer-
den in allen Bereichen, übrigens auch was den Güterhan-
del betrifft, mit Augenmaß vorgehen. Uns liegen sehr de-
zidierte Hinweise von internationalen Konzernen vor, in
denen es heißt: Achtung, reguliert in Deutschland nicht
schärfer als in anderen europäischen Ländern! Ihr macht
unsere Geschäfte in Europa, in Asien und in Amerika ka-
putt, weil wir uns an das deutsche Gesetz halten müssen,
unsere Wettbewerber aber nicht .

Wir werden darauf achten, dass wir die Bürokratie
nicht überborden . Es kann nicht sein, dass jeder, der ei-
nem Studenten einen Gebrauchtwagen für 1 200 Euro
verkauft, in den Verdacht der Geldwäsche gerät. Das ist
absurd . Das hat mit der Lebenswirklichkeit nichts zu tun .

Wir haben im Parlament jetzt vier Wochen Zeit bis zur
Anhörung Ende April . Wir werden über dieses Thema in
aller Ausgewogenheit diskutieren . Die Menschen sollen
wissen: Uns liegt Geldwäschebekämpfung am Herzen,
Terrorismusbekämpfung ohnehin . Wir werden mit Au-
genmaß dafür sorgen, dass nicht Zehntausende von Un-
ternehmen und Millionen von Bundesbürgern betroffen
sein werden, nur weil es einige wenige furchtbar krimi-
nelle schwarze Schafe gibt .

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822516400

Danke, Herr Kollege Steffel. – Als nächster Redner:

Lothar Binding von der SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1822516500

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestatten Sie mir vor-

ab eine Bemerkung . Ich habe bei Google nach dem Be-
griff „Geldwäsche“ gesucht.


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Haben Sie Dr . Schick gefunden?)


und wurde mit folgendem Pop-up beglückt: Diesen
Freitag – jetzt mitspielen, Euro-Jackpot rund 49 Millio-
nen! – Es hat mich gewundert, dass in diesem Kontext
ein solches Pop-up kommt . Da merkt man, was von Goo-
gle im Hintergrund verknüpft wird .

Gerhard Schick hat zitiert, dass Geldwäscher Deutsch-
land lieben, und die Zahl 20 Milliarden Euro erwähnt .
Soweit wir wissen, sind von den 20 Milliarden Euro un-
gefähr 30 bis 40 Millionen Euro in Deutschland gewa-
schen worden . Das ist eine andere Größenordnung . Des-
halb denke ich: Wenn wir so pauschal über dieses Thema
sprechen, dann kommen wir der Sache nicht näher .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Was sind bei dem Beispiel, das er genannt hat, über-
haupt die Zutaten? Ich nenne sie einmal: eine russische
Firma, die Schwarzgeld hat – das ist klar –, zwei Brief-
kastenfirmen, und zwar nicht in Deutschland, sondern
in Großbritannien – ich nenne sie einmal Firma A und
Firma B –, einen Richter aus Moldau – man fragt sich:
warum Moldau?; die Antwort: wir haben ein Assoziie-
rungsabkommen, es gibt also Freihandel mit Moldau,
und deshalb gelten Rechtsverhältnisse in Moldau auch
für die EU – und einen Staatsbürger aus Moldau . Wir ha-
ben also Russland, England, Moldau und Deutschland .
Jetzt schauen wir uns einmal an, was da eine Rolle spielt .

Die Firma A schließt mit der Firma B einen Vertrag,
dass die Firma A der Firma B ganz viel Geld leiht . Sie
leiht ihr gar kein Geld, aber die Bürgschaft für dieses
Leihgeschäft übernehmen die russische Firma und der
Bürger aus Moldau, wir haben also zwei Bürgen . Nun
verlangt die Firma A das gar nicht an die Firma B gelie-
hene Geld zurück, obwohl noch gar kein Geld geflossen
ist . Weil Firma B aber nicht zahlt – ist ja klar, sie hat ja
auch kein Geld bekommen –, verklagt Firma A jetzt Fir-
ma B in Moldau auf Rückzahlung dieses nichtgezahlten
Geldes . Der Bürge in Moldau ist zuständig . Der Rich-
ter in Moldau entscheidet, dass die Schuldforderung zu
Recht besteht, und wenn die Schuldforderung zu Recht
besteht, müssen die Bürgen zahlen . Das ist klar . Das ist
ein Rechtsgeschäft, das dort gültig ist . Deshalb über-
nimmt jetzt die russische Firma die Überweisung an den
Gerichtsvollzieher in Moldau . Der wiederum überweist
das Geld auf ein Konto der Firma A in Lettland . Man
merkt, was da eine Rolle spielt: Das Schwarzgeld ist nun
auf dem Konto der Firma A in Lettland, in der EU, an-
gekommen . Jetzt werden mit diesem Geld Bestellungen
bei der Firma Bogner im Auftrag der russischen Firma
getätigt . Sie kauft mit diesem Schwarzgeld in einer ganz
großen Dimension in Deutschland ein .

Jetzt könnte man sich fragen, ob der Außenhandels-
vertreter der Firma Bogner nicht hätte spüren können,
dass da möglicherweise andere Geschäftsmodelle im
Hintergrund ablaufen . Man könnte darüber nachdenken,
ob wir ihn nicht verpflichten sollten, in einem solchen
Fall aktiv zu werden .

Dr. Frank Steffel






(A) (C)



(B) (D)


An diesem Fall merken wir, dass die Sache nicht ganz
so einfach ist, wie es hier vorgetragen wurde . Es geht
nicht nur um Deutschland, sondern es geht um ein gro-
ßes Geflecht und eine komplizierte Konstruktion, die das
alles möglich macht . Umso mehr müssen wir mit den an-
deren Ländern darüber reden .

Wer ist eigentlich beteiligt? Es gibt immer drei Schrit-
te: die Einspeisung des Schwarzgeldes in den Markt, die
Verschleierung – da gibt es verschiedene Mechanismen –
und die Integration des Weißgeldes in den Markt . Wer ist
hauptsächlich beteiligt? Spielbanken, Pferderennen, Ho-
tels, Wechselstuben, Bankkonten, Automatenwirtschaft .

Eine kleine Bemerkung dazu – Jens Zimmermann hat
das schon erwähnt –: Wir haben uns ein bisschen darü-
ber geärgert – darüber haben wir auch gestritten –, dass
die CDU es erreicht hat, dass die Automatenwirtschaft,
die im Referentenentwurf klugerweise enthalten war, he-
rausgenommen wurde .


(Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Wir waren doch gar nicht beteiligt, Herr Kollege!)


Wir sehen darin einen schweren Fehler, weil – sagen wir
es einmal so – zumindest nicht ganz klar ist, dass in den
Automatensalons, von denen es allein im Umfeld mei-
ner Wohnung sechs Stück gibt, Geldwäsche unmöglich
ist . Insofern wäre es klug, sich darum noch einmal zu
kümmern . Wir müssten sicher noch ein bisschen strei-
ten, damit sie wieder hineinkommen . Aber auch deutsche
Banken haben fragwürdige Überweisungen aus Russland
angenommen .


(Dr . h . c . Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist doch strafbar!)


Auch dort hat niemand genau hingeschaut, obwohl das
gut gewesen wäre .

Die Verschleierung funktioniert – das kennen wir
schon –: Scheingeschäfte, Offshorebanken, Briefkasten-
gesellschaften, Scheingesellschaften, Strohmänner, ge-
fälschte Rechnungen, Rückdatierungen usw . Die Quellen
und Senken sind Korruption, Waffen- und Drogenhandel,
Terrorismusfinanzierung. Also, es lohnt sich, dass wir
uns darum kümmern .

In dem Gesetz wird als Antwort eine Neuorganisation
der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen
in der vorgetragenen Weise vorgeschlagen . Das halten
wir für eine sehr gute Idee . Auch die Einrichtung eines
Transparenzregisters halten wir für eine gute Idee . Wer
ein „berechtigtes Interesse“ hat, sollte da hineinschauen
können, inklusive Journalisten . Das ist eine Brücke in die
Öffentlichkeit. Vielleicht kann man da noch mehr ma-
chen; als ersten Schritt finde ich das aber ganz gut. Vielen
Journalisten verdanken wir ja die Erkenntnisse, die wir in
diesem Kontext haben . Insofern ist das sehr gut .

Ein letzter Satz: Ich finde auch die Verschärfung der
Sanktionen von 100 000 Euro auf 1 Million Euro hin-
reichend . Es handelt sich um die übelsten kriminellen
Machenschaften, die wir beobachten können . Deshalb ist
eine Geldbuße von 1 Million Euro wahrscheinlich ange-
messen .

Ich finde, das ist für die erste Lesung ein sehr guter
Aufschlag . Wir warten auf die zweite und dritte Lesung .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michaela Tadjadod (CDU):
Rede ID: ID1822516600

Vielen Dank, Herr Kollege. – Der letzte Redner in die-

ser Aussprache ist Dr . Hans Michelbach von der CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1822516700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In

einer Studie von 2016 wird das Geldwäschevolumen in
Deutschland pro Jahr auf 100 Milliarden Euro geschätzt .
Das ist eine unglaublich hohe Zahl . Ich glaube nicht, dass
das realistisch ist .


(Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Nein! Ich auch nicht!)


Ich weiß aber, dass Ihr Zitat, Herr Dr . Schick, falsch
ist . Geldwäscher dürfen sich in Deutschland nicht einge-
laden fühlen . Das Gegenteil ist der Fall . Herr Dr . Schick,
das wissen Sie . Natürlich wollen Kriminelle dorthin ge-
hen, wo es eine hohe Wirtschaftlichkeit, eine hohe Wirt-
schaftskraft und eine hohe wirtschaftliche Wertschöp-
fung gibt . Das ist die automatische Anziehungskraft eines
guten, erfolgreichen Wirtschaftsstandorts . Aber – das ist
das Wichtige dabei – wir wollen in Deutschland saube-
re Geschäfte . Wir wollen keine Kriminellen . Wir wollen
keine Steuerhinterziehung .

Ich habe den Eindruck, Herr Kollege Binding, es
wird in diesen Zeiten immer mehr Mode, den Standort
Deutschland eher schlechtzureden . Wir sind stark als
Wirtschaftsstandort, und ich glaube, wir können und
müssen zwischen den sauberen und den unsauberen Ge-
schäften trennen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Deshalb werden Geldwäsche und Terrorismus mit al-
ler Entschiedenheit bekämpft . Gerade in Zeiten, in de-
nen die Terrorismusgefahr so hoch ist wie seit Jahrzehn-
ten nicht mehr, müssen wir auf allen Gebieten intensiv
gegen den Terrorismus vorgehen . Dazu kann nicht nur
die Innen- und Sicherheitspolitik einen wichtigen Bei-
trag leisten, sondern eben auch die Finanzpolitik; denn
schließlich planen Kriminelle und Terroristen oft auch
mit finanziellen Mitteln, um ihre extremen Pläne umzu-
setzen . Insofern tragen wir auch mit diesem Gesetz klar
zu einer Bekämpfung bei .

Es ist ein gutes Zeichen, dass in dieser Woche, in der
wir das 60-jährige Bestehen der Römischen Verträge fei-
ern, Europa auf diesem Gebiet vereint vorankommt, und
das sollten wir auch positiv festhalten . Mit europaweit
einheitlichen Regeln können Geldwäsche und Terroris-
mus am besten in effizienter Weise bekämpft werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lothar Binding (Heidelberg)







(A) (C)



(B) (D)


Schließlich haben uns die Anschläge der vergangenen
Jahre gezeigt, dass Terroristen nicht national, sondern in-
ternational agieren . Die Dritte Geldwäscherichtlinie gilt
in Deutschland nunmehr zehn Jahre, und es ist selbstver-
ständlich, dass wir angesichts der vielen Entwicklungen
und der zusätzlichen technischen Möglichkeiten auf die
neuen Vorgehensweisen zur Geldwäsche und Terrorfi-
nanzierung reagieren müssen .

Zudem verbessern wir mit diesem Gesetz ganz klar die
Effizienz. Dies tun wir mit der heutigen Einbringung des
vorliegenden Gesetzentwurfes zur Umsetzung der Vier-
ten EU-Geldwäscherichtlinie, die die Dritte EU-Geldwä-
scherichtlinie ablöst, und wir erwarten auch die Fünfte
EU-Geldwäscherichtlinie, sobald das EU-Parlament dies
beschlossen hat .

Konkret bedeutet dies, dass wir die Empfehlungen
weiter voranbringen . Die bedeutendsten Änderungen
sind natürlich nun einmal die Geldwäscherisiken an-
hand von Listen . Wir haben jetzt mit dem Elektronischen
Transparenzregister eine gute Lösung, hier auch weitere
Erfassung voranzubringen . Damit erhöhen wir die Trans-
parenz und erschweren wir gleichzeitig den Missbrauch
von Gesellschaften und Trusts für Geldwäsche, Steuerbe-
trug und Terrorismusfinanzierung. Zukünftig müssen die
Finanzinstitute auch die Risiken ihrer Niederlassungen
im Ausland erfassen und somit entsprechende Maßnah-
men danach ausrichten .

Ich glaube, das ist der richtige Ansatz . Es ist das Pro-
blem, dass international in besonderem Maße in verein-
ter Kraft hingesehen werden muss . Dabei – das ist mir
wichtig – darf es nicht zu pauschalem Generalverdacht
und zur Überbürokratisierung kommen, und es darf nicht
zu falschem Aktionismus kommen, wie das hier heute
angeklungen ist . Das ist der falsche Weg . Wir müssen
schon genau die Schnittstelle betrachten, wo etwas kri-
minell wird, wo Steuerhinterziehung stattfindet, und soll-
ten nicht pauschal alles in Grund und Boden verdammen .
Das ist falsch,


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das macht, glaube ich, auch keiner! Oder?)


und deswegen müssen wir uns dies ganz gezielt vorneh-
men .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin überzeugt, meine Damen und Herren, dass wir
als starker Wirtschaftsstandort auch die Verantwortung
haben, dass hierbei das kriminelle Geschäft, der Steu-
erbetrug, die Terrorismusfinanzierung von den anderen
Dingen klar getrennt werden . Das werden wir mit der
Beratung über dieses Gesetz realisieren .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822516800

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/11555 und 18/8133 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .

Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c sowie
den Zusatzpunkt 4 auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie (9 . Ausschuss) zu dem Antrag der Ab-
geordneten Sylvia Kotting-Uhl, Kai Gehring,
Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Europaweiten Atomausstieg voranbringen –
Euratom-Vertrag reformieren oder aussteigen

Drucksachen 18/8242, 18/8439

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Alexander Ulrich, Hubertus Zdebel, Wolfgang
Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

EU-Förderung von Atomenergie stoppen –
EURATOM-Vertrag beenden

Drucksache 18/11595

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Hubertus
Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Ausfuhr von Uran-Brennstoffen für den Be-
trieb störanfälliger Atomkraftwerke im Aus-
land stoppen

Drucksache 18/11596
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie

ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit (16 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting-
Uhl, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Brennstofflieferungen für belgische Atom-
kraftwerke stoppen

Drucksachen 18/9676, 18/10934

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Dr . Nina Scheer für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Nina Scheer (SPD):
Rede ID: ID1822516900

Meine sehr verehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Wir sprechen heute über verschiedene
Vorlagen, die den Euratom-Vertrag betreffen. Es ist nicht
das erste Mal in dieser Legislaturperiode, dass wir uns
mit dieser Thematik auseinandersetzen . Ich möchte vor-

Dr. h. c. Hans Michelbach






(A) (C)



(B) (D)


anstellen, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zu dem,
was wir heute Vormittag verabschiedet haben, besteht.
Das Standortauswahlgesetz ist reformiert worden . Ich
verknüpfe den heutigen Tagesordnungspunkt thematisch
mit dem heute verabschiedeten Gesetzentwurf; denn das
Standortauswahlgesetz hält uns eindrücklich vor Augen,
mit welch enormen Lasten und Risiken die Nutzung der
Atomenergie verbunden ist .

Im Gesetz ist festgeschrieben, dass wir uns für 1 Mil-
lion Jahre verpflichten, verantwortlich mit den Altlas-
ten der Atomenergienutzung umzugehen . Die Angabe
„1 Million Jahre“ ist natürlich ein Platzhalter für Ewig-
keit, weil wir erkennen mussten, dass die Gefahren, die
allein schon vom Atommüll ausgehen, so unermesslich
und unbeherrschbar sind, dass wir es nur so beziffern
können; denn es geht ins Unendliche . Um dies gesetzlich
zu fixieren, haben wir uns für die Angabe „1 Million Jah-
re“ entschieden .

Ich betone das deswegen hier so ausdrücklich, weil es
versinnbildlicht, wie unverantwortlich die Nutzung von
Atomenergie ist . Wir haben über die deutschen Grenzen
hinweg in und für Europa und natürlich auch internati-
onal eine Verpflichtung, möglichst schnell aus dieser so
gefährlichen Technologie, deren Erzeugung selbst schon
Risiken birgt, auszusteigen .

Wir kennen auch andere Gefahren . Zuletzt gab es vor
ein paar Tagen die Meldung, dass aufgrund einer 20-mi-
nütigen Unterbrechung des Kontaktes zu einem Flug-
zeug Alarm in Atomkraftwerken in Deutschland ausge-
löst wurde und Räumungen stattgefunden haben . Auch
das zeigt, wie sensibel und gefährlich die Nutzung dieser
Technologie ist .

Es gibt noch eine weitere große Schwierigkeit im
Zusammenhang mit der Nutzung von Atomenergie: die
Verquickung – dies betrifft das technische Know-how –
von militärischer Nutzung und ziviler Nutzung . Wenn
man sich die Situation weltweit anschaut, wenn man sich
anschaut, wer zu den Nutzern von Atomenergie im zivi-
len Bereich zählt und wer über Atomwaffen verfügt, ist
eine Kongruenz festzustellen von atomenergienutzenden
Staaten und solchen, die sich zugleich Staaten mit Atom-
waffen oder Zulieferstaaten nennen können. Dies zeigt,
dass wir hier eine weitere Herausforderung im Umgang
mit der Nutzung von Atomenergie bzw . bei der Beendi-
gung der Nutzung von Atomenergie vor uns haben . Wahr-
scheinlich wird es sehr schwer werden, weltweit aus der
Atomenergie auszusteigen, solange noch Staaten in der
Welt über Atomwaffen verfügen. Denn sie werden wahr-
scheinlich immer bestrebt sein, über die zivile Nutzung
von Atomenergie das entsprechende Know-how im Land
zu halten und sich in diesem Bereich sowie hinsichtlich
der Technologie und der zu verwendenden Ressourcen
nicht von anderen Staaten abhängig zu machen .

Insofern haben wir, denke ich, auch friedenspolitisch
eine Verpflichtung, weltweit dafür zu werben, dass tat-
sächlich nicht wieder in eine Atomwaffenaufrüstung hin-
eingeschlendert wird, wie wir es derzeit leider vermuten
müssen. Vielmehr müssen wir uns auf unsere weltwei-
ten Abrüstungsverpflichtungen besinnen und sie weiter
verschärfen . Auf diesen Weg müssen wir uns rückbe-

sinnen, um den Ausstieg aus der militärischen Nutzung
tatsächlich hinzubekommen und daran anschließend den
Ausstieg aus der zivilen Nutzung vervollkommnen zu
können . Auf diesen technischen und faktischen Zusam-
menhang wollte ich an dieser Stelle unbedingt hinwei-
sen; denn er ist von zentraler Bedeutung .

Im Zusammenhang mit dem Euratom-Vertrag möch-
te ich auf folgende Punkte hinweisen: Wir haben eine
zweigeteilte Betrachtungsnotwendigkeit, was den Eura-
tom-Vertrag betrifft. Einerseits gibt es im Euratom-Ver-
trag Bereiche, die in der Tat Dinge betreffen, die aus
sicherheitspolitischen und aus Gesundheitsschutz- bzw .
Vorsorgegründen wahrscheinlich aufrechtzuerhalten
sind . Ich denke, wir sind uns wahrscheinlich weitgehend
einig – auch hier im Bundestag –, dass es Elemente gibt,
auf die sich die europäischen Staaten jenseits des Eura-
tom-Vertrags oder auch innerhalb des Euratom-Vertrags
verständigen sollten, weil sie bedeuten, gemeinsam für
Sicherheit zu sorgen, jedenfalls solange in Europa auch
nur noch ein einziges AKW existiert . Ein gemeinsames
Für-Sicherheit-Sorgen ist, denke ich, sicherer, als wenn
man das einem Staat alleine überlässt . Insofern gibt es
aus sicherheitspolitischen und aus Gesundheitsschutz-
bzw. Vorsorgegründen Anhaltspunkte, in der Europäi-
schen Union vertragliche Vereinbarungen zu haben, die
dies abbilden .

Aber die Frage ist, ob der Euratom-Vertrag dies tat-
sächlich leistet . Wir müssen erkennen, dass im Eura-
tom-Vertrag Aussagen enthalten sind, die sich zwar aus
der Geschichte erklären lassen mögen, die heutzutage
aber nicht mehr zeitgemäß sind . In der Präambel des Eu-
ratom-Vertrags steht zum Beispiel, dass es das Ziel ist,
die „Voraussetzungen für ... eine mächtige Kernindustrie
zu schaffen“. Und: Die Kernenergie stelle eine „unent-
behrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung
der Wirtschaft und für den friedlichen Fortschritt“ dar .
Ich glaube, ich brauche meinen Kommentar nicht hinzu-
zufügen – ich tue es trotzdem –, dass das aus deutscher
Sicht nicht mehr unser Ziel sein kann . Ich denke, die
meisten Staaten in Europa würden das heute nicht mehr
so formulieren .

Zugleich – das muss man dazusagen – gibt es durch
eine Erklärung der Bevollmächtigten die Anerkennung
der Vertragsparteien, dass mit den Verpflichtungen, die
damals durch den Euratom-Vertrag geschlossen wurden,
nicht einhergeht, dass man sich tatsächlich auch ver-
pflichtet, Atomenergie zu nutzen. Man ist in den letzten
Jahren schon ein Stück weitergekommen: Die ursprüng-
liche Verpflichtung bedeutet nicht, dass in den betreffen-
den Staaten eine Pflicht zur Nutzung der Atomenergie
besteht .

Dennoch muss man erkennen: Solange eine vertrag-
liche Verpflichtung der gerade von mir zitierten Art be-
steht, findet man natürlich Wertungswidersprüche, nicht
nur mit Blick auf den Atomausstieg, den wir in Deutsch-
land beschlossen haben und der verfassungsgerichtlich
für zulässig erklärt wurde, sondern zum Beispiel auch
mit Blick auf die Energiewende, die von der Europäi-
schen Union formulierten Ziele zum Ausbau der erneuer-
baren Energien und die klaren Erkenntnisse hinsichtlich

Dr. Nina Scheer






(A) (C)



(B) (D)


der Gefahren im Umgang mit der Atomenergienutzung,
die durch die EU-Stresstests Eingang gefunden haben .

Insofern bleibt uns nichts anderes übrig – dafür werbe
ich; ich werde gleich auch noch darauf hinweisen, inwie-
weit sich Deutschland dafür einsetzt –, als eine Reform
des Euratom-Vertrages durchzuführen. Eine Reform des
Euratom-Vertrages erachte ich für wichtig. Daher möchte
ich dazu noch kurz ein paar Hintergründe erwähnen .

Deutschland hat bereits in der Schlussakte von Lissa-
bon vom 13 . Dezember 2007 gemeinsam mit anderen eu-
ropäischen Mitgliedstaaten eine Erklärung abgegeben, in
der man die Unterstützung einer zeitgemäßen Verände-
rung des Euratom-Vertrags zum Ausdruck gebracht hat.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Und nichts ist passiert!)


Ich möchte diese Schlussakte, weil sie, denke ich, für das
weitere Verfahren im Umgang mit dem Euratom-Vertrag
zentral ist, hier zitieren; auf die Frage, warum dies in der
Zwischenzeit nicht passiert ist, gehe ich gleich noch ein .
Die Erklärung Nummer 54 lautet:

Deutschland, Irland, Ungarn, Österreich und Schwe-
den stellen fest, dass die zentralen Bestimmungen
des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atom-
gemeinschaft seit seinem Inkrafttreten in ihrer Sub-
stanz nicht geändert worden sind und aktualisiert
werden müssen . Daher unterstützen sie

– die erklärenden Mitgliedstaaten –

den Gedanken einer Konferenz der Vertreter der
Regierungen der Mitgliedstaaten, die so rasch wie
möglich einberufen werden sollte .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lange her!)


– In der Tat, das ist bis heute nicht erfolgt .

Es gibt zudem einen Beschluss der 56 . Europaminis-
terkonferenz, in dem diese ebenfalls eine Überarbeitung
des Euratom-Vertrags fordert. Wir, die SPD-Fraktion,
haben bereits in der letzten Legislaturperiode einen An-
trag erarbeitet, in dem wir die Bundesregierung, damals
Schwarz-Gelb, aufgefordert haben, darauf hinzuwirken,
dass die im Euratom-Vertrag festgeschriebene Sonder-
stellung der Atomenergienutzung abgeschafft wird und
die Passagen des Euratom-Vertrages, die Investitionen
in die Atomenergie begünstigen, gestrichen werden . In
der Tat ist bis heute eine solche Vertragsstaatenkonferenz
nicht einberufen worden . Ich kann nur bestätigen, dass
das ein misslicher Umstand ist .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist es!)


– Das ist in der Tat der Fall .

Ich möchte jetzt auf das Hier und Heute zu sprechen
kommen, weil der Rückblick alleine ja nichts hilft, und in
Erinnerung rufen, dass wir in den letzten Jahren in Europa
durchaus auf hoher See unterwegs waren . Wir hatten in
der Europäischen Union sehr starke Auseinandersetzun-
gen und schwierige Konflikte jenseits des Euratom-Ver-
trages zu bewältigen . Damit will ich die Problematik im

Zusammenhang mit dem Euratom-Vertrag keinesfalls
kleinreden, aber ich möchte darauf hinweisen, dass es in
der Europäischen Union eine sehr starke Fokussierung
auf die Flüchtlingsfrage gab, und ich denke, ich sage
nichts Neues hier im Haus, wenn ich konstatiere, dass
Europa vor diesem Hintergrund tatsächlich vor eine Zer-
reißprobe gestellt wurde .

Jetzt steht der Brexit vor der Tür . Die Briten haben
sich entschieden, aus Europa auszusteigen . Insofern
möchte ich jetzt hier nach vorne blickend genau auf die-
sen Punkt, den Brexit, eingehen, weil ich denke, dass in
diesem Zusammenhang ohnehin eine Auseinanderset-
zung darüber wird stattfinden müssen, wie sich das He-
rauslösen eines Staates aus Verträgen, die zu den Grün-
dungsakten zählen – der Euratom-Vertrag zählt zu den
Gründungsakten –, zu vollziehen hat .

Ich finde, genau in diesem Zusammenhang sollten
wir uns auch intensiv damit auseinandersetzen, wie eine
solche Reform des Euratom-Vertrages aussehen kann –
gerade mit Blick auf den besonderen Gehalt des Eura-
tom-Vertrages als einem der Gründungsakte.

Ich bin am Ende meiner Redezeit; auch elf Minuten
können sehr schnell vorbei sein, wenn es sich um eine
komplexe Materie handelt .

Ich hoffe und setze auf den weiteren Prozess in der
von mir skizzierten Art, meine aber, dass man die Anträ-
ge, die heute vorliegen und zur Abstimmung stehen, aus
den genannten Gründen abzulehnen hat .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


In diesem Sinne: Vielen Dank für Ihre Aufmerksam-
keit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Du hast doch genau das gesagt, was in unserem Antrag steht!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822517000

Das Wort hat der Kollege Alexander Ulrich für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822517100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bertolt Brecht sagte einmal: „Man muss vom Alten ler-
nen, Neues zu machen .“

Heute ist ein guter Tag, weil wir am gleichen Tag über
Euratom diskutieren, an dem wir mittags eine Aktuelle
Stunde zu den Römischen Verträgen durchgeführt haben;
denn der Euratom-Vertrag ist einer dieser sogenannten
Römischen Verträge. Ich glaube, es ist tatsächlich an der
Zeit, das Alte – in diesem Fall den Euratom-Vertrag –
zu beenden . Mit der milliardenschweren Förderung der
Atomenergie sollte endlich Schluss sein .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Dr. Nina Scheer






(A) (C)



(B) (D)


Ziehen wir unsere Lehren aus der Geschichte, und
beginnen wir endlich mit dem Neuen, nämlich mit der
Förderung der erneuerbaren Energien – und das nicht nur
halbherzig, sondern tatsächlich richtig .


(Beifall bei der LINKEN)


Vor 60 Jahren glaubte man an die Atomenergie. Die
sechs Gründerstaaten der Europäischen Union unter-
zeichneten damals den Euratom-Vertrag. Damals galt
die Atomenergie noch als sicher, billig und beherrschbar .
Fukushima zeigte erneut, dass sie nicht sicher und be-
herrschbar ist, und ich glaube – Frau Scheer, Sie haben
über die 1 Million Jahre und die hohen Kosten gespro-
chen –, wenn wir alles zusammenrechnen, dann wissen
wir alle: Die Atomenergie ist keine billige Energieform .


(Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Die teuerste!)


Inzwischen sind 60 Jahre vergangen . In diesen 60 Jah-
ren haben die Menschen auf dramatische Art und Weise
feststellen müssen – Stichworte: Tschernobyl und Fuku-
shima –, zu welchen Folgen diese Atomenergie beitragen
kann . Deshalb, glaube ich, ist es an der Zeit, noch ein-
mal deutlich zu sagen: Wer den deutschen Atomausstieg
ernsthaft betreiben will, der kann nicht länger an dieser
milliardenschweren Förderung der Atomenergie über
den Euratom-Vertrag europäisch festhalten. Wir müssen
damit endlich Schluss machen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Dr . Scheer, ich habe Ihre Rede wirklich als
sehr gut empfunden . Ich frage mich nur, warum Sie am
Schluss zu dem Ergebnis kommen, dass die Anträge ab-
gelehnt werden müssen;


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


denn die beste Begründung, warum man die Anträge von
den Grünen und von uns heute annehmen müsste, haben
Sie selbst geliefert .

Wenn Sie sagen, dass Sie in Ihrer Fraktion in der Min-
derheit sind, dann verstehen wir das ja noch .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Koalition!)


Wir verstehen es aber nicht, wenn Sie sagen, dass wir
jetzt auf die nächsten zwei Jahre hoffen sollten, weil zehn
Jahre lang nichts passiert ist, und wenn Sie das Argument
anführen, dass der Brexit vielleicht ein toller Türöffner
für Euratom-Gespräche ist . Ich glaube, die SPD-Fraktion
sollte Ernst mit ihrer Regierungsverantwortung machen
und sagen: Wir müssen jetzt frischen Wind in dieses The-
ma bringen und das europäisch verhandeln . Aus deut-
scher Sicht kann das nur bedeuten, dass wir nicht länger
Steuergelder für die atomare Nutzung und Erforschung
bereitstellen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch der Sicherheitsaspekt wird meines Erachtens
falsch dargestellt . Nordrhein-Westfalen hat letztes Jahr

Jodtabletten bestellt: Das Land hatte Angst, dass bei den
Pannenreaktoren in Belgien etwas schiefgeht . Wir ken-
nen die Situation von Kernkraftwerken aus Frankreich
oder auch aus Osteuropa .

Es ist nicht so, dass Euratom die Sicherheit von Kern-
kraftwerken tatsächlich erhöht . Das ist nur ein Placebo;
denn für die Sicherheit sind immer noch die National-
staaten zuständig . Euratom macht also gar nicht das, von
dem man glaubt, dass es das macht, nämlich die Sicher-
heit der AKWs zu verbessern . Deshalb: Wenn man Eura-
tom abwickeln würde, wie es unser Vorschlag vorsieht,
und wenn man die vielen Milliarden zur Einrichtung
einer Agentur zur Förderung der erneuerbaren Energien
nutzen würde, dann könnte man die Sicherheitsfragen in
diese Agentur eingliedern, ohne an Euratom festzuhalten .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich etwas zu den vielen Hunderten von
Millionen Euro sagen, die für ITER ausgegeben werden .
Wenn wir es ernst damit meinen, dass die Zukunft in den
Erneuerbaren liegt – das ist möglich; wir wären viel wei-
ter, wenn man dieses Geld dafür genutzt hätte –, dann ist
die Frage: Warum wollen wir dieses viele Geld weiterhin
für eine Kernfusionsforschung nutzen, bei der wir nicht
wissen, ob wir diese Technik sicherheitspolitisch meis-
tern können? Wir wissen nicht, welche Gefahren damit
verbunden sind . Auch da wird das Geld völlig unnütz für
eine Zukunftstechnologie im Energiesektor verbrannt,
die wir wirklich nicht brauchen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sagen deshalb ganz deutlich: Wir gehen weiter als
die Grünen, die in ihrem Antrag schreiben: Wir wollen
Euratom reformieren . – Ich glaube, wir können Euratom
und damit eine veraltete Technologie, die uns wirklich
nicht weiterbringt – da hat Frau Dr . Scheer vollkommen
recht; ich bin mir sicher, dass dies die Rednerin der Grü-
nen gleich bestätigen wird –, nicht reformieren . Wir müs-
sen einfach sagen: All das, was sich die Staaten bei der
Gründung von Euratom vor 60 Jahren, vielleicht im gu-
ten Glauben, erhofft haben, hat sich leider nicht bestätigt.

Um glaubwürdig zu bleiben, müssen wir sagen: Es ist
an der Zeit, über Euratom nicht indirekt neue AKWs zu
fördern und damit die Erneuerbaren zu schädigen . Wir
müssen deutlich machen: Wir wollen überhaupt keinen
Euro mehr in neue AKWs investieren . Wir wollen auch
nicht, dass Euratom Bürgschaften für neue AKWs in
Osteuropa gibt . Wir wollen, dass mit der Atomenergie
endlich Schluss gemacht wird . Dafür muss Euratom als
Agentur tatsächlich geschlossen werden .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss . Frau Scheer, vielleicht kön-
nen Sie Ihre Fraktion davon überzeugen – heute ist dafür
eine gute Gelegenheit –, nach 60 Jahren zu sagen: Das
war’s . Wenn wir es mit dem deutschen Atomausstieg
wirklich ernst meinen, müssen wir Euratom abwickeln .

Alexander Ulrich






(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822517200

Das Wort hat die Kollegin Barbara Lanzinger für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Barbara Lanzinger (CSU):
Rede ID: ID1822517300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf
den Rängen! Die Linken und Grünen mit ihren heutigen
Anträgen


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sind gut! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben recht!)


versuchen – ich sage es einfach so –, mit ihren Verbotsan-
trägen den anderen EU-Ländern zu diktieren und vorzu-
schreiben, wie sie die Energiepolitik zu gestalten haben .


(Zuruf von der LINKEN: Oh Gott! Oh Gott! Oh Gott! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Freiheit von Atomkraftwerken!)


Sie versuchen, zu suggerieren, der Euratom-Vertrag sei
eine böse Atomkraftwerksförderungsmaschinerie .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Stimmt ja auch! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ist er auch!)


Das ist nicht richtig . Das ist lächerlich, und das ist ein-
fach falsch .


(Andreas G . Lämmel [CDU/CSU]: Genau!)


Wir haben bei uns in Deutschland die Energiewende
beschlossen . Dazu stehen wir .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Mühe und Not!)


Wir stehen am Beginn des Zeitalters der erneuerbaren
Energien mit enormem umwelt- und wirtschaftspoliti-
schem Potenzial, aber auch mit schwierigen Herausfor-
derungen . Wir haben uns entschieden, in Deutschland
2023 die letzten Kernkraftwerke abzuschalten . Das ist
ein wirklich sehr ambitionierter Weg, vor allem ein nicht
einfacher .

Die EU-Mitgliedsländer entscheiden sich jedoch an-
ders . Sie entscheiden sich nicht so wie wir . Ich sage ganz
deutlich: Das haben wir zu respektieren . Wir können den
anderen nicht das diktieren, was wir bei uns für richtig
halten . Wir können darüber reden, ja, aber nicht in ei-
nem Diktat. Im Vertrag über die Arbeitsweise der Euro-
päischen Union ist in Artikel 194 festgehalten, dass die
Mitgliedstaaten selber entscheiden über die Struktur der
Energieversorgung und die Nutzung ihrer Energieres-
sourcen . Wir sollten uns davor hüten, anderen Ländern
vorschreiben zu wollen, wie sie ihre Energiepolitik zu
gestalten haben . Das könnte uns im Rahmen unserer ei-

genen nicht ganz so einfach umzusetzenden Energiewen-
de durchaus auf die Füße fallen .

Was steht denn in diesem Euratom-Vertrag? Interes-
sant sind dort unter Artikel 3 die Ziele . Ich kann nicht
alles vorlesen . Ich lese beispielhaft die Absätze 4 und 5
der Verordnung vor:

Das Euratom-Programm wird so umgesetzt, dass
die unterstützten Prioritäten und Tätigkeiten den
sich wandelnden Bedürfnissen entsprechen und die
Weiterentwicklung von Wissenschaft, Technologie,
Innovation, Politik, Märkten und Gesellschaft be-
rücksichtigen, damit die personellen und finanziel-
len Ressourcen optimiert und Doppelarbeit bei der
Forschung und Entwicklung im Nuklearbereich in
der Union vermieden wird .

Absatz 5:

Innerhalb der in den Absätzen 2 und 3 genannten
Einzelziele können neue und unvorhersehbare Er-
fordernisse berücksichtigt werden, die sich während
des Durchführungszeitraums des Euratom-Pro-
gramms ergeben . . . .

Es ist also durchaus möglich, Änderungen und Anpas-
sungen darin vorzunehmen . Durch Ihre Anträge wird im
Prinzip jedoch so getan, als sei der Euratom-Vertrag nur
dazu da, den Bau und den Betrieb von Kernkraftwerken
in anderen EU-Ländern oder auch bei uns finanziell zu
fördern, und das ist falsch .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die erste Zielbeschreibung!)


Kurz und prägnant wird das in einer Analyse des Wis-
senschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags vom
September 2016 widerlegt:

Weder im Euratom-Rahmenprogramm noch im
Haushalt der EU sind Mittel für die Förderung des
Baus und Betriebs von Kernkraftwerken in der EU
bzw . Nicht-EU-Staaten vorgesehen .

Der Vertrag setzt im Kern den Rahmen für eine siche-
re Verwendung der Kernenergie über Grenzen hinweg.
Er ist die Rechtsgrundlage für europäische Regelungen
beim Gesundheitsschutz, der Überwachung von Kern-
material, nuklearen Entsorgung, europäischen und in-
ternationalen Kooperation, nuklearen Sicherheit und für
weitere Punkte; alles zu lesen im Vertragswerk und im
dazugehörigen Rahmenprogramm . Dazu gehört auch die
Gefahrenabwehr, die nicht zu unterschätzen ist und wich-
tiger denn je wird .

Erst 2014 wurde der Euratom-Vertrag weiterentwi-
ckelt durch eine Richtlinie über einen Gemeinschafts-
rahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer An-
lagen . Deutschland hat sich darin für die Festsetzung von
verbindlichen Sicherheitszielen in der EU für ein System
wechselseitiger Kontrolle erfolgreich starkgemacht . Das
heißt: Über Grenzen hinweg soll die Sicherheit kerntech-
nischer Anlagen verbessert werden .

Wichtig ist auch: Der Euratom-Vertrag legt den
Rahmen für Forschung und Entwicklung in diesem

Alexander Ulrich






(A) (C)



(B) (D)


Hochtechnologiebereich fest . Dazu steht als übergeord-
netes Ziel auch im aktuellen Euratom-Rahmenvertrag bis
2018 festgeschrieben, „Forschungs- und Ausbildungs-
maßnahmen im Nuklearbereich mit Schwerpunkt auf der
kontinuierlichen Verbesserung der Sicherheit, der Gefah-
renabwehr und dem Strahlenschutz . . . fortzusetzen, um
insbesondere gegebenenfalls einen Beitrag zur langfris-
tigen effizienten und sicheren Senkung der CO2-Emmis-
sionen des Energiesystems zu leisten“ . Unser verehrter
Herr Riesenhuber hat im letzten Jahr sehr viel zu dem
Thema, was Forschung und Entwicklung auch in diesem
Rahmen bedeutet, gesprochen .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, für mich ist
das Zauberwort auch: Forschung und innovative Techno-
logien, die es hier eines Tages hoffentlich geben mag. Ich
sage ganz deutlich: Wir wären töricht, nicht nach vorn zu
blicken und unser Wissen zu erweitern .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir!)


Europaweit brauchen wir nicht zuletzt im Bereich Rück-
bau von Kernkraftanlagen weiterhin hohe Kompetenzen .

Wie anmaßend wären wir, künftigen Generationen
neue Technologien zu verwehren, indem wir jetzt nicht
weiterforschen . Ob diese potenziellen neuen Technologi-
en sich dann als sinnvoll erweisen werden oder nicht, ist
eine ganz andere Frage, und die sollten wir unsere nach-
folgenden Generationen entscheiden lassen .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Anmaßend wäre, den Generationen nach uns noch mehr Atommüll zu hinterlassen! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nichts gelernt aus der ganzen Atomwirtschaft!)


Ihre Anträge haben aber auch eine nicht zu unterschät-
zende, erhebliche politische Brisanz . Für mich sind sie
europafeindlich . Das ist eine europafeindliche Haltung .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Euratom-Vertrag ist eines der beiden Gründungs-
dokumente der EU . Er ist einer der beiden Grundsteine
der Europäischen Union, deren 60 . Geburtstag wir am
kommenden Samstag feiern werden .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Niveauloser geht es nicht mehr!)


Was für ein – ich sage es deutlich – verheerendes politi-
sches Signal würden wir in diesen momentan so turbul-
enten Zeiten an Europa und die Welt senden, wenn wir
das heute beschließen würden?


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird ja für alles bemüht!)


Zusammenfassend ist bei dem, was Sie, liebe Grü-
ne und Linke, fordern, nur eines sicher: Ein Ausstieg
aus dem Euratom-Vertrag führt definitiv nicht zu mehr
Sicherheit, sondern zu weniger Verantwortung unserer-
seits, weil wir dann nämlich sämtliche Mitspracherechte,
die wir bisher in den Gremien haben, verlieren würden .

Ihre inhaltlich so oft unbegründete und gesellschaftlich
aus meiner Sicht gefährliche Fundamentalopposition


(Lachen des Abg . Alexander Ulrich [DIE LINKE])


in manchen Themen macht mich immer wieder fassungs-
los. Dazu gehören nicht nur der Euratom-Vertrag, son-
dern auch viele andere Themen wie zum Beispiel CETA .

Entweder erkennen Sie die politische Realität nicht,
oder Sie wollen sie nicht erkennen . Ich weiß, ehrlich ge-
sagt, nicht, was mir mehr Sorge bereiten soll .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich appelliere: Der Euratom-Vertrag ist nach wie vor
dem Grunde nach sinnvoll und gerade zum 60 . Geburts-
tag der EU ein starkes politisches Signal für Europa, und
das sollte er auch bleiben .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Weiter Atomenergie aus Dankbarkeit für 60 Jahre!)


Danke schön für Ihr Zuhören und für Ihre Mitdiskus-
sion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822517400

Die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl hat für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822517500

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Präsidentin!

60 Jahre Römische Verträge, 60 Jahre Euratom: Das eine
ist Grund für eine Feier und Anlass, für und um die Wei-
terentwicklung der EU zu kämpfen, das andere ist die
Restekiste einer vergangenen Zeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich will Ihnen darlegen, warum das so ist . Euratom
setzt das Ziel „Entwicklung einer mächtigen Kernindus-
trie“, begründet die ausschließliche Souveränität der
Länder bei der Sicherheit ihrer Atomkraftwerke und si-
chert die staatlichen Beihilfen bei Neubauten von Atom-
kraftwerken wie Hinkley Point und Paks .

Frau Lanzinger, ich will gerne die Begründung zitie-
ren, auf die sich die Kommission bei der Bewilligung
dieser staatlichen Beihilfen gestützt hat . In Artikel 2
Buchstabe c Euratom-Vertrag heißt es: Die Mitgliedstaa-
ten haben „die Investitionen zu erleichtern und, insbe-
sondere durch Förderung der Initiative der Unternehmen,
die Schaffung der wesentlichen Anlagen sicherzustellen,
die für die Entwicklung der Kernenergie in der Gemein-
schaft notwendig sind“. – So weit der Euratom-Vertrag.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Ist das was Schlimmes?)


Euratom ist intransparent und undemokratisch . So hat
das EU-Parlament keine Hoheit über das Euratom-Bud-
get. Die finanzielle Ausrichtung der europäischen Ener-
gieforschung wird von Euratom gesteuert . Nach der

Barbara Lanzinger






(A) (C)



(B) (D)


Logik von Euratom muss sich das Atomkarussell wei-
terdrehen . Das heißt Kernfusion, Thoriumforschung,
SMRs . Hauptsache, das Ziel von Euratom, die mächtige
Kernindustrie, wird am Leben erhalten .

Auch das Ausstiegsland Deutschland beteiligt sich –
durch seine EU-Beiträge – selbstverständlich an diesen
Forschungen .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Sind wir Teil der Europäischen Union oder nicht?)


Dass der Neubau von AKWs und Anlagen zur Erfor-
schung der Kernfusion in Olkiluoto, Flamanville, Cada-
rache – das ist der ITER – ökonomische Desaster sind,
spielt dabei offensichtlich keine Rolle. Das alles nehmen
Sie in Kauf, weil Sie Euratom – ich zitiere die Bundesre-
gierung – „als geeignete Rechtsgrundlage für … Sicher-
heitsforschung, internationale Kooperation“ und „nukle-
are Sicherheit“ ansehen .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Irre!)


Selbst wenn Euratom das wäre, könnte man fragen, ob
das den Preis rechtfertigt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Euratom ist das aber nicht . Ich wurde vor kurzem gefragt,
ob es nicht gut sei, dass es durch Euratom eine europä-
ische Atomaufsicht gebe . Das ist aber gerade nicht der
Fall . Es gibt keine europäische Atomaufsicht . Das Ziel
von Euratom ist Investition in Atomkraft und nicht deren
Begrenzung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Selbst heutige auf der Basis von Euratom beruhende
Richtlinien der EU folgen der antiquierten Vor-Tscher-
nobyl-und-Fukushima-Logik . Nehmen Sie zum Beispiel
die Sitzung des Umweltausschusses gestern . Herr Kanitz
wird sich erinnern: Es ging um die AtG-Novelle, die die
EU-Richtlinie über einen Gemeinschaftsrahmen für die
nukleare Sicherheit umsetzt . Darin steht: Anlagen sollen
„so weit wie vernünftigerweise durchführbar“ verbessert
werden . Hallo? Wir reden von alternden Schrottreaktoren
an unseren Grenzen wie Tihange, Cattenom und Fessen-
heim .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn hier bei der Sicherheit nach dem Stand von Wis-
senschaft und Technik nicht mehr nachgerüstet werden
kann, entweder weil es sich – so meint das Euratom
hauptsächlich – wirtschaftlich nicht mehr rechnet oder
weil die Anlagen schlicht zu alt sind, dann müssen die
betreffenden Atomkraftwerke abgeschaltet werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Aber nicht, solange wir Euratom haben . Dann laufen
die Schrottreaktoren so lange, wie die Betreiber und die
Länder, denen die Atomkonzerne oft genug gehören, das
wollen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen gemein-
sam für die EU kämpfen und sie verbessern . Wir wis-
sen: Die EU muss die Klimakrise, die Wirtschaftskrise
und die Abhängigkeit von Energieimporten überwinden .
Dazu muss von Deutschland aus für eine europäische
Energiewende gearbeitet werden . Euratom ist hier ein
Klotz am Bein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir können diesen Klotz drehen und wenden, aber er
wird kein Schwungrad für eine zukunftsfähige Ener-
gieausrichtung werden . Das Ausstiegsland Deutschland
muss hier initiativ werden . Nehmen wir, Nina Scheer,
den zutiefst bedauerlichen Brexit, der auch den Austritt
Großbritanniens aus Euratom bedeutet, zum Anlass, end-
lich einen Euratom-Konvent zu fordern . Werben wir in
der EU dafür, Euratom endlich den Anforderungen von
heute anzupassen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das hieße vor allem, die Sonderförderung der Atomkraft
zu beenden, ein Mitspracherecht für Anrainerstaaten bei
grenznahen Atomkraftwerken zu verankern, die euro-
päische Energieforschung auf die Zukunft auszurichten
und die demokratische Kontrolle durch das Europäische
Parlament zu ermöglichen . Wenn das mit den Partnern in
der EU nicht zu machen ist, dann müssen wir das Kreuz
haben, Euratom zu verlassen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das stellt, Frau Lanzinger und andere, unser Bekenntnis
zu Europa nicht infrage,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Doch!)


sondern nur das in Euratom festgeschriebene Bekennt-
nis zur Vorstellung von Atomkraft als eine Beglückung
der Menschheit, die zu Gesundheit und Wohlstand führt .
Diese Vorstellung hatte ihre Berechtigung vielleicht vor
Tschernobyl und Fukushima . Heute ist sie von gestern .
Wir müssen uns aber für morgen aufstellen .

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822517600

Das Wort hat der Kollege Steffen Kanitz für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Steffen Kanitz (CDU):
Rede ID: ID1822517700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eigent-
lich schade, dass wir nach der großen Einmütigkeit in der
Endlagerdebatte von heute Morgen – die, fand ich, sehr
erfrischend war – ein Stück weit wieder in alte Muster
verfallen .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können ja zustimmen, Herr Sylvia Kotting-Uhl Kanitz! Sie müssen nicht in alte Muster verfallen!)





(A) (C)


(B) (D)


Ich verstehe das aber . Es sind Wahlkampfzeiten . Die Op-
position sucht nach Möglichkeiten der Profilierung.

Ich will meinen Teil dazu beitragen, unsere Position
deutlich zu machen . Ich beziehe mich hierbei insbeson-
dere auf den Antrag der Linken, der auf unsägliche Art
und Weise mit den Ängsten der Menschen spielt – ich
zitiere –:

In den noch am Netz befindlichen Atomkraftwer-
ken … besteht weiterhin die Gefahr eines katastro-
phalen Störfalls bis hin zur Kernschmelze .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ja, das ist auch so!)


Meine Damen und Herren von der Linken, wir haben
die sichersten Kernkraftwerke weltweit, die wir bis 2022
abschalten; darin sind wir uns völlig einig . Den Men-
schen zu suggerieren, dass diese nicht sicher sind und
dass wir in Deutschland kurz vor einem GAU stehen, ist
unverantwortlich, ist blödsinnig und entspricht in keiner
Weise der Realität .


(Beifall bei der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es denn kein Risiko? Keine Versicherung versichert das!)


Die Aussagen, die Sie zu Doel und Tihange treffen,
zeigen, dass insbesondere Sie als Linke mittlerweile lei-
der sehr ernsthaft im Zeitalter des Postfaktischen ange-
kommen sind . Sie behaupten, dass das BMUB Hinweise
habe, dass die Reaktordruckbehälter den Anforderungen
bei schweren Störfällen nicht mehr gewachsen sein könn-
ten . Das Gegenteil ist der Fall . Ich verweise auf die Ant-
wort auf eine Kleine Anfrage der Grünen vom 15 . März
dieses Jahres, in der das BMUB sehr deutlich sagt – ich
zitiere –:

Die Reaktordruckbehälter von Doel 1 und Doel 2
wurden vor der Genehmigung zum Wiederanfahren
auf Wasserstoffflocken geprüft. Dabei wurde der
ordnungsgemäße Zustand der Reaktordruckbehälter
festgestellt …

Meine Damen und Herren, Sie skandalisieren einen
Vorgang und operieren ganz offensichtlich mit falschen
Behauptungen .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Ministerin ist trotzdem für die Abschaffung von Tihange!)


Das ist fahrlässig und schäbig .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich will das ergänzen . Das BMUB stützt seine Hin-
weise und Erkenntnisse auf eine unabhängige Kommis-
sion, die Reaktor-Sicherheitskommission, die in ihrer
Kurzbewertung zu Doel/Tihange zu folgendem Ergebnis
kommt:

… kann aufgrund der umfangreichen Untersuchun-
gen und geführten Nachweise zu den RDB Doel-3
und Tihange-2 … davon ausgegangen werden, dass

unter Betriebsbelastungen ein Integritätsverlust der
drucktragenden Wand der RDB nicht zu unterstellen
ist .

Aus heutiger Sicht gibt es keine konkreten Hinweise,
dass die Sicherheitsabstände aufgezehrt sind .

Ich finde, das muss man zur Kenntnis nehmen, wenn
man von Schrottreaktoren an den deutschen Grenzen
spricht, in Wirklichkeit aber weiß, dass das Gegenteil der
Fall ist .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sind das denn für Reaktoren ohne jegliches Risiko, Herr Kanitz?)


Es ist so, dass der Bund eine ganze Menge tut . Wir
haben gerade im letzten Dezember ein bilaterales Ab-
kommen zur nuklearen Sicherheit geschlossen, das es
uns ermöglicht, in Gespräche einzutreten . Genau das ist
der Punkt . Nur wer spricht, kann auch auf die Standards
Einfluss nehmen; wer nicht spricht, kann das eben nicht.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822517800

Kollege Kanitz, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-

kung der Kollegin Kotting-Uhl?


Steffen Kanitz (CDU):
Rede ID: ID1822517900

Gerne .


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822518000

Vielen Dank, Herr Kanitz. – Ich beziehe mich auf Ihre

Äußerung von gerade eben, dass Sie es für fahrlässig hal-
ten, die Defizite von Tihange so zu thematisieren, wie
die Linke es in ihrem Antrag gemacht hat . Würden Sie
denn auch das Verhalten der Bundesumweltministerin
für fahrlässig halten, die in Richtung Belgien deutlich
gefordert hat, dieses Atomkraftwerk aus Gründen der Si-
cherheit abzuschalten, und zwar endgültig?


Steffen Kanitz (CDU):
Rede ID: ID1822518100

Vielen Dank für die Frage, Frau Kollegin. – Das, was

die Bundesumweltministerin getan hat, ist völlig richtig
und ist auch im deutschen Interesse . Sie hat deutlich ge-
macht, dass wir gemeinsam mit den Belgiern Einfluss
darauf nehmen wollen, dass die Sicherheitsstandards der
Kernkraftwerke an der deutschen Grenze ordentlich und
vernünftig sind und dass wir mit unseren deutschen Ex-
perten die Möglichkeit bekommen, dort hineinzuschau-
en . Sie hat ebenfalls gesagt, dass sie bis zum Abschluss
der Prüfungen mit dem Wiederanfahren warten möchte .
Das ist richtig, das ist konsequent, und das ist vernünftig .

Insofern zeigt das, dass diese Bundesregierung die
Sorgen und Ängste der Menschen in der Grenzregion
sehr ernst nimmt . Aber ich meine, wir sollten es nicht
übertreiben und den Leuten suggerieren, sie müssten
jetzt Jodtabletten besorgen .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das hat doch die NRW-Regierung gemacht!)


Mir haben in Dortmund, weit weg von Aachen, Apothe-
ker genau das gesagt. Ich finde, das ist extrem sensibel.

Steffen Kanitz






(A) (C)



(B) (D)


Wir sollten hier Aufklärung leisten und nicht skandali-
sieren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich komme zur Urananreicherungsanlage in Gronau,
von der Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Op-
position, sehr genau wissen, dass sie über eine unbefris-
tete Betriebsgenehmigung verfügt . Der Ministerpräsident
der damaligen rot-grünen Landesregierung Steinbrück
war es, der einer Verdreifachung der Kapazität das Wort
geredet hat . Das geschah laut der Antwort der rot-grünen
Landesregierung auf eine Kleine Anfrage im Jahr 2013,
um auf deutsche Sicherheitsstandards zu setzen und nicht
auf Anlagen im Ausland vertrauen zu müssen, die sich
der Kontrolle der deutschen Behörden entziehen .

Wir haben am Standort über 300 Mitarbeiter, alle
hochqualifiziert, und wir brauchen jeden dieser Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter mit seinem Know-how in
Deutschland . Sie wissen zu gut, dass alle Kernkraftwerke
weltweit ihre Beschaffung von Brennelementen redun-
dant aufgestellt haben . Es hilft uns überhaupt nichts, und
wir tragen auch nicht dazu bei, dass der Ausstieg welt-
weit beschleunigt wird, wenn wir 300 hochqualifizierte
Arbeitsplätze in Deutschland streichen und gleichzeitig
aus Fabriken in Großbritannien, den Niederlanden oder
den USA liefern .

Urenco wurde in den Stresstest nach dem Reaktorun-
fall in Fukushima einbezogen . Die RSK kam zu einem
ganz eindeutigen Ergebnis, nämlich dass die Anlage in
Gronau deutliche Reserven gegen auslegungsüberschrei-
tende Ereignisse aufweist . Sie erreichen in allen unter-
stellten Lastfällen das höchste Stresslevel .

Deswegen muss man einfach einmal zur Kenntnis
nehmen, dass es sich hier um eine extrem gut geführte
Anlage handelt, dass die Sicherheitsstandards sehr hoch
sind, dass es große Reserven gegenüber hohen Belas-
tungen gibt, gegenüber Erdbeben, gegenüber Überflu-
tungen, und dass diese Anlage insofern mehr als sicher
ist . Einem Weiterbetrieb dieser Urananreicherungsanlage
steht damit weder rechtlich noch tatsächlich und sicher-
heitstechnisch irgendetwas im Wege .

Diese Einschätzung wird durch ein Rechtsgutachten
der rot-grünen Landesregierung aus dem Jahr 2013 be-
stätigt . Dieses Rechtsgutachten kommt sehr unmissver-
ständlich zu dem Ergebnis, dass der Betrieb der Uran-
anreicherungsanlage in Gronau nach dem Atomgesetz
zulässig ist, dass eine rechtssichere Beendigung des
Betriebes der Anlage nicht möglich ist, dass es keine
juristische Handhabe gibt, die Einstellung des Betriebes
anzuordnen .

Ich zitiere jetzt einmal aus dem Gutachten, weil es,
finde ich, sehr schön zeigt, dass man da auf einem Holz-
weg ist:

Allgemein und als Gesamtergebnis nahezu aller in
diesem Gutachten behandelten Fragen ist schließlich
nachdrücklich von einem rein politisch motivierten
Vorgehen gegen die Urananreicherungsanlage in
Gronau bzw . die hierfür erteilten Genehmigungen
auf der verwaltungsrechtlichen Ebene abzuraten .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, seit 2013
hat sich an dieser Einschätzung nichts geändert . Wir
stehen zu dem Betrieb in Gronau auch weiterhin . Es
ist nicht nur so, dass die Beendigung des Betriebs aus
Gründen der Rechtssicherheit nicht geht, sondern es geht
auch deshalb nicht, weil wir über den Staatsvertrag von
Almelo, der natürlich das Ziel hat, dass wir uns mit den
Niederlanden und Großbritannien verbünden, um die nu-
kleare Nichtverbreitung sicherzustellen, völkerrechtliche
Verpflichtungen eingegangen sind.

Ich füge hinzu: Sie wollen ja aus jeglicher Nuklear-
technik aussteigen . Ich bin mir nicht so ganz sicher, ob
wir dann nach wie vor verlangen könnten, dass Stan-
dards, die durch die IAEO kontrolliert werden, auch ein-
gehalten werden. Ich bin eher der Auffassung, dass wir
dafür sorgen sollten, mehr Mitspracherechte zu bekom-
men, dass wir im deutschen Sicherheitsinteresse dafür
sorgen sollten, dass beispielsweise das Atomabkommen
mit dem Iran eingehalten wird, und dass wir nicht aus
jeglicher Nukleartechnik aussteigen, weil wir dann nicht
mehr die Möglichkeit der Einflussnahme hätten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, das Gutachten kommt
ebenfalls zu dem Schluss, dass, sofern Gronau aus rein
politisch motivierten Gründen geschlossen werden soll-
te, umfangreiche Schadensersatzansprüche auf uns zukä-
men . Der Wert des Unternehmens, Stand 2013, lag bei
etwa 10 Milliarden Euro . Ich bin mir nicht ganz sicher,
ob es sinnvoll wäre, wenn der Staat diese 10 Milliarden
Euro übernähme . Ich bin mir ziemlich sicher – anders-
herum gesprochen –, dass das nicht sinnvoll ist, sondern
dass es sich um ein rein politisch motiviertes Vorgehen
handelt. Wir brauchen diese hochqualifizierten Arbeits-
plätze in Deutschland . Die Anlage leistet Hervorragen-
des .

Insofern wollen und können wir Ihren Antrag ableh-
nen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822518200

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Euro-
paweiten Atomausstieg voranbringen – Euratom-Vertrag
reformieren oder aussteigen“. Der Ausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/8439,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/8242 abzulehnen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .

Tagesordnungspunkt 9 b . Abstimmung über den An-
trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/11595
mit dem Titel „EU-Förderung von Atomenergie stop-
pen – Euratom-Vertrag beenden“. Wer stimmt für diesen
Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –

Steffen Kanitz






(A) (C)



(B) (D)


Der Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke und der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt .

Tagesordnungspunkt 9 c . Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 18/11596 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Wir kommen zum Zusatzpunkt 4 . Abstimmung über
die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Umwelt,
Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit zu dem An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel
„Brennstofflieferungen für belgische Atomkraftwerke
stoppen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/10934, den Antrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9676
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen von CDU/
CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Frak-
tion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum wei-
teren quantitativen und qualitativen Ausbau
der Kindertagesbetreuung

Drucksache 18/11408
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Bun-
desministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend,
Manuela Schwesig .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Manuela Schwesig, Bundesministerin für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrten Damen
und Herren Abgeordnete! Ich lege Ihnen heute den Ent-
wurf eines Gesetzes vor, das wichtig und gut für die Fa-
milien in unserem Land ist . Wir wollen das vierte Inves-
titionsprogramm auf den Weg bringen, um das Angebot
an Kitaplätzen im Land weiter auszubauen, und das ist
nötig .

Sie alle wissen, dass wir in den letzten Jahren sehr viel
dafür getan haben – Kommunen, Länder, Bund gemein-
sam –, dass der Rechtsanspruch, nach dem jedes Kind in
unserem Land ab einem Jahr eine Kita besuchen kann,
wenn es die Eltern wünschen, auch erfüllt wird . Oft
werde ich deshalb gefragt, nicht nur vom Finanzminis-

ter, auch von anderen: Frau Schwesig, wir haben in den
letzten Jahren schon so viel getan, so viele Milliarden da
hineingesteckt . Ist es jetzt nicht genug? – Dann sage ich:
Nein, das ist nicht genug . Wir müssen das Angebot an
Plätzen weiter ausbauen .

Warum? Es gibt dafür drei gute Gründe:

Erstens . Es werden nach über 15 Jahren endlich wie-
der mehr Kinder in Deutschland geboren – das ist eine
gute Nachricht –, und allein dafür lohnt es sich, weiter
zu investieren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens. Wir haben eine gesellschaftliche Verände-
rung . Immer mehr Frauen und Männer wollen sich nicht
mehr zwischen Beruf und Familie entscheiden, sondern
wollen beides . Deswegen ist auch der Bedarf von Jahr zu
Jahr gestiegen . Immer mehr junge Eltern brauchen gute
Kitaplätze. Ich finde, auch das ist eine gute Nachricht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Drittens . Besonders im letzten und vorletzten Jahr
sind viele Menschen zu uns geflüchtet, darunter viele
Kinder . Es ist auch eine Frage der Gerechtigkeit und eine
Frage der Menschlichkeit, dass wir ganz klar sagen: Die-
se Kinder, die zu uns gekommen sind, können am aller-
wenigsten etwas für das, was in ihren Ländern los ist,
sei es Krieg oder Bürgerkrieg . Sie haben sich auch nicht
ausgesucht, auf die Flucht zu gehen und gegebenenfalls
wohin . Wenn die Kinder zu uns kommen, dann sollen
sie genauso gute Chancen haben wie unsere Kinder, hier
aufzuwachsen . Dazu zählt ein Kitabesuch, um zum Bei-
spiel frühzeitig die Sprache zu lernen. Ich finde, auch das
ist ein guter Grund für einen höheren Kitabedarf .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Darauf, meine sehr geehrten Damen und Herren Ab-
geordnete, reagieren wir . Sie wissen, wir haben aktuell
noch das dritte Investitionsprogramm laufen . Wir wollen
aber schon das vierte anschieben . Wir wollen 100 000
neue Kitaplätze in Deutschland schaffen –


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Gemeinsam mit der Union!)


nicht nur für Kinder unter drei Jahren, wie das in den
letzten drei Programmen üblich war . Mit diesem Gesetz
werden wir erstmalig nicht nur Krippenplätze fördern,
sondern auch Kindergartenplätze . Das ist die vierte gute
Nachricht bei diesem Gesetz .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist deshalb notwendig, weil wir in den letzten Jah-
ren viel für die U-3-Betreuung gemacht haben . Aber die
Kinder wollen auch im vierten, fünften und sechsten
Lebensjahr den Kindergarten besuchen, und wir müssen
aufpassen, dass da nicht Engpässe entstehen .

Wir werden für dieses vierte Programm die Beträge
im Sondervermögen um 1,1 Milliarden Euro aufstocken .

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Wir stellen diese Mittel für 2017 bis 2020 für 100 000
neue Plätze zu Verfügung. Es wird aber nicht nur in das
Platzangebot investiert, sondern auch in die Qualität .
Wir wollen mit den Mitteln auch dafür sorgen, dass in
Sport- und Bewegungsräume und in inklusive Kinder-
gärten investiert werden kann . Es ist in meinen Augen
sehr wichtig, dass wir auch diese Themen beachten; denn
letztendlich geht es nicht um eine Betreuung, sondern
wirklich um frühkindliche Bildung . Dafür brauchen wir
gute Qualität, und auch das ist mit diesem vierten Inves-
titionsprogramm möglich .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieses vierte
Investitionsprogramm steht natürlich nicht für sich al-
lein, sondern es wird von dem Programm „Sprach-Kitas“
flankiert. Sie erinnern sich: Dank Ihrer Unterstützung im
Haushaltsausschuss können wir die Anzahl der Sprach-
Kitas verdoppeln . Wir können mehr Erzieherinnen und
Erzieher in den Kitas finanzieren. Insbesondere geht es
dabei um den Bereich der Sprachförderung, was ganz
elementar in der frühkindlichen Bildung ist . Des Weite-
ren wird das Investitionsprogramm von dem Programm
„KitaPlus“ flankiert. Es ist möglich, in über 300 Kitas in
unserem Land mehr Randzeiten anzubieten . Das zeigt:
Wir investieren im Sinne der Vereinbarkeit von Beruf
und Familie für junge Mütter und auch Väter in Quantität
und in Qualität .

Das Letzte möchte ich sehr betonen . Es gibt eine ak-
tuelle Studie, die zeigt, dass Väter sagen: Wir wollen,
dass Politik dafür sorgt, dass unsere Frauen, aber auch
wir Väter Beruf und Familie besser vereinbaren können.
Deshalb ist die Investition in Kitas, auch was Randzeiten
betrifft, für uns so wichtig. Das sind wichtige Forderun-
gen der Väter, die wir auch gerne unterstützen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, im
Jahr 2013 hat der Bund 1,5 Milliarden Euro in die Kin-
dertagesbetreuung investiert . Heute sind es jährlich
2,5 Milliarden Euro . Das ist eine Rekordsumme . Ich
danke Ihnen für Ihre Unterstützung . Das ist ein wichtiges
Zeichen für die Familien im Land – für diejenigen, die
sich mit dem Kinderwunsch beschäftigen, und für dieje-
nigen, die sich längst für Kinder entschieden haben .

Wir werden weiter dafür sorgen, dass es bei der Ver-
einbarkeit von Beruf und Familie Verbesserungen gibt,
aber auch dafür, dass mit diesen Investitionen die Bil-
dungschancen für Kinder schon im frühkindlichen Alter
steigen . Ich bin fest davon überzeugt, dass sich jeder
Euro doppelt und dreifach auszahlt . Deshalb bitte ich Sie
um Unterstützung bei diesem Gesetzentwurf .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822518300

Das Wort hat der Kollege Norbert Müller für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Norbert Müller (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822518400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Im Jahr 2016
befanden sich etwa 700 000 Kinder im U-3-Bereich in
Einrichtungen der Kindertagesbetreuung . Damit betrug
die Betreuungsquote etwa 33 Prozent, wobei etwa jedes
vierte Kind in Westdeutschland und mehr als jedes zwei-
te Kind in Ostdeutschland betreut wurden .

Trotz eines deutlichen Ausbaus in den letzten Jahren
ist dies schlichtweg zu wenig . Wir wissen aus Erhebun-
gen des Deutschen Jugendinstituts, dass mehr als 43 Pro-
zent aller Eltern inzwischen den Wunsch haben, ihre
Kinder in Einrichtungen der frühkindlichen Bildung und
Betreuung zu bringen . Das heißt, es gibt eine erhebliche
Lücke zwischen den vorhandenen Plätzen und dem be-
stehenden Bedarf .

Ich verweise an dieser Stelle nochmals auf das Urteil
des Bundesverwaltungsgerichtes, dass Kitaplätze auf der
Grundlage des Rechtsanspruchs so anzubieten sind, dass
sie in einer vernünftigen Erreichbarkeit von Wohn- oder
Arbeitsort der Eltern verfügbar sind . Ansonsten müssen
die Kommunen Strafen zahlen, nämlich für Einkom-
mensausfälle der Eltern, wenn diese ihre Erwerbstätig-
keit nicht aufnehmen bzw . dieser nicht nachgehen kön-
nen, weil die entsprechenden Plätze nicht vorhanden
sind .

Wir hatten im letzten Jahr trotz des Ausbaus sogar ei-
nen Rückgang der Betreuungsquote . Auch darüber muss
man sprechen, weil das ein gefährliches Warnsignal ist .
Wir haben erfreulicherweise seit 2010 geburtenstarke
Jahrgänge . Der Rückgang der Betreuungsquote muss
dazu führen, dass der Bund den Status quo nicht fort-
führt, sondern mehr drauflegt.


(Beifall bei der LINKEN)


Wer hat den Kitaausbau bezahlt? Ich höre der Minis-
terin Schwesig immer gerne zu; das alles klingt so schön .
In Wahrheit aber hat nicht der Bund den Kitaausbau be-
zahlt . Der Bund hat den Rechtsanspruch eingeführt . Der
war – da sind wir uns einig – überfällig, gut und richtig .
Die Kosten für den Ausbau haben aber im Wesentlichen
die Länder, die Kommunen und die Eltern getragen . Die
Länder und die Kommunen haben jeweils – und das je-
des Jahr – 2 Milliarden Euro dafür ausgegeben, die Eltern
1 Milliarde Euro; das sind Zahlen aus Ihrem Ministeri-
um. Die haben den Ausbau im Wesentlichen finanziert –
und nicht der Bund, der sich hier relativ billig aus der
Verantwortung herausgeschlichen hat.


(Beifall bei der LINKEN)


So groß die Aufgabe auch ist, die Plätze weiter aus-
zubauen, so groß ist die Erwartungshaltung in Bezug auf
den Qualitätsausbau . Dem folgen Sie mit Ihrem Gesetz-
entwurf, insbesondere was den Titel angeht . In ihm steht
viel über Qualität . Im Gesetzestext steht eigentlich gar
nichts mehr über Qualität . Das Einzige, was Sie in Bezug
auf verbesserte Qualität mit fördern, ist, dass die Länder
und die Kommunen jetzt auch in Ausstattung investieren
können . Tische und Stühle in einer Kita haben aber re-
lativ wenig mit Qualität zu tun . Qualität heißt Personal,

Bundesministerin Manuela Schwesig






(A) (C)



(B) (D)


Personal, Personal, und da lassen Sie Kommunen, Län-
der und Eltern wieder im Regen stehen .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir als Linke schlagen vor, ein bundesweites Kitaqua-
litätsgesetz aufzulegen . Ich weiß, dass in den Ländern
inzwischen einiges in Bewegung gekommen ist . Wenn
Sie sich die Stellungnahme des Bundesrates, die Sie ja
gelesen und erwidert haben, anschauen, dann werden Sie
feststellen, dass der Bundesrat erstmals fordert, dass es
möglich sein soll, die Gelder für den Platzausbau auch in
den Qualitätsausbau zu stecken . Das macht auch durch-
aus Sinn, weil der Ausbau unterschiedlich weit fortge-
schritten ist . Die Antwort der Bundesregierung darauf ist,
das sei nicht nötig . Wenn wir aber hier über ein Kita-
qualitätsgesetz reden, dann sagen Sie: Die Länder wollen
das ja gar nicht, weil sie angeblich keine vergleichbaren
Standards wollen . – Ich sage Ihnen: Die Länder wür-
den bei einem Kitaqualitätsgesetz mitmachen, wenn der
Bund das Geld dazu gibt


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das glaube ich Ihnen!)


und nicht wie beim Rechtsanspruch die Qualitätsstan-
dards festlegt und sich am Ende mit wenig Geld aus der
Verantwortung stiehlt. Das funktioniert nicht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Genau! Der Bund zahlt, und die Länder bestimmen! Schauen Sie mal nach Thüringen, Herr Müller!)


Kitaqualitätsgesetz heißt: Wir müssen über bundes-
weite Standards für die Fachkraft-Kind-Relation reden .
Was heißt das? Die Fachkraft-Kind-Relation beschreibt,
wie viele Kinder auf eine Fachkraft kommen . Wir müs-
sen auch darüber reden, was eigentlich eine Fachkraft ist .
Eine Fachkraft ist – das wird durch die Bundesagentur
für Arbeit inzwischen vermittelt – keine Fachkraft für
die Mittagsbetreuung – Qualifikationsaufwand: 40 Stun-
den Weiterbildung – und auch kein Kindergartenhelfer,
wozu in einigen Ländern ausgebildet wird, schlecht be-
zahlt und bei weitem nicht so hoch qualifiziert wie der
staatlich anerkannte Erzieher . Das ist entscheidend: Wir
brauchen staatlich anerkannte Erzieher in den Kitas, und
wir brauchen bundesweite Standards für gute Qualität .


(Beifall bei der LINKEN)


Gute Qualität heißt auch Leitungsfreistellung . Es kann
nicht sein, dass die Leitung in einer Kindertageseinrich-
tung den kompletten Verwaltungsapparat mitstemmt und
am Ende diese Kraft eben nicht am Kind ist . Das heißt,
wir müssen über Leitungsfreistellungen reden . Das for-
dert auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft,
und das war auch eine Forderung bei den Streiks im Be-
reich der Sozial- und Erziehungsberufe im letzten Jahr .

Legen Sie also endlich ein Kitaqualitätsgesetz vor . Be-
schleunigen Sie den Ausbau, und lassen Sie die Länder,
die Kommunen und vor allem die Eltern nicht mehr im
Regen stehen, die erst keinen Platz kriegen, und dann,
wenn sie einen Platz bekommen, in der Republik auf sehr
unterschiedliche Qualitätsstandards stoßen, je nachdem,

wie die politischen Verhältnisse in den Ländern sind,
und je nachdem, wie die Kassenlage von Ländern und
Kommunen ist . Wir brauchen einen Einstieg des Bundes
bei der Kitaqualität, und wir brauchen sozusagen einige
Kohlen mehr in der Frage des Platzausbaus .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Damit die links regierten Länder über ihre Verhältnisse leben können, Herr Müller!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822518500

Das Wort hat der Kollege Marcus Weinberg für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1822518600

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Herr Müller, wo waren Sie eigentlich die
letzten acht Jahre? Was haben Sie eigentlich nicht mit-
bekommen, als in den Jahren 2005, 2006 und 2007 beim
Ausbau der Kindertagesbetreuung und beim Ausbau der
Qualität in diesem Land viel passiert ist?

Bevor ich allgemein einiges zu dem neuen, wichtigen
Programm, das jetzt auf den Weg gebracht wird, sage,
komme ich noch einmal auf Ihre Bemerkungen bezüglich
eines Qualitätsgesetzes zurück . Darüber diskutieren wir
schon lange . Wir haben eine gemeinsame Arbeitsgruppe
des zuständigen Ministeriums . Diese arbeitet seit 2016
mit den Ländern zusammen . Es ist nämlich, Herr Müller,
eine Gemeinschaftsaufgabe zwischen den Ländern, die
bekanntermaßen auch heute wieder ein hohes Interesse
an der Debatte haben, weil wir ihnen Geld des Bundes
für den Ausbau der Kindertagesbetreuung zur Verfügung
stellen . Daran werden wir festhalten . Wir werden aber
nicht zu 100 Prozent die Kosten für den Bereich Kinder-
tagesbetreuung übernehmen, und wir werden auch nicht
zu 100 Prozent die Kosten für den Ausbau übernehmen .
Wir erwarten von den Ländern Unterstützung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Sönke Rix [SPD])


Warum haben wir das gemacht, seit 2005 Frau Merkel
Bundeskanzlerin wurde und Frau von der Leyen Famili-
enministerin? Wir wissen: Kindertagesbetreuung ist ers-
tens unter bildungspolitischen Gesichtspunkten wichtig,
um den Kindern frühe Bildung und Kreativität beizu-
bringen, zweitens integrationspolitisch, weil Sprache der
Schlüssel zur Integration ist, was gerade vor dem Hinter-
grund, dass jetzt mehr und mehr Kinder in Deutschland
leben, die aus fremden Kulturen kommen, die dringend
integriert werden müssen, die dringend die Sprache erler-
nen müssen, wichtig ist, und drittens auch arbeitsmarkt-
politisch .

Die Frau Ministerin hat es angesprochen: Mehr und
mehr Familien wollen frei entscheiden, wie sie ihre Er-
werbstätigkeit und ihre Familienzeit einteilen . Das heißt,
wir müssen und sollten auch Angebote machen, übrigens
auch für die Wirtschaft . Denn die Wirtschaft braucht

Norbert Müller (Potsdam)







(A) (C)



(B) (D)


Fachkräfte, und wer Fachkräfte braucht, muss sie quali-
fizieren, oder aber auf die Fachkräfte zurückgreifen, die
bereits ausgebildet sind und die wieder als Fachkraft ar-
beiten wollen . Auch deswegen ist das Thema „Ausbau
der Kindertagesbetreuung“ wichtig .

Man hat ja bei Ihnen gemerkt, Herr Müller, dass Sie
hier die Gräte im Fisch oder das Haar in der Suppe su-
chen . Ob wir nun auf der linken Seite, auf der rechten
Seite oder in der Mitte sitzen: Wir sind uns alle einig,
was die Bedeutung des Ausbaus der Kindertagesbetreu-
ung angeht . Ob Wirtschaftsvertreter oder Familienpoliti-
ker: Alle zusammen wissen, dass die Entwicklung in den
letzten Jahren eine Erfolgsgeschichte war .

Es wurden nicht nur 100 000 zusätzliche Betreuungs-
plätze – das wurde angesprochen – für den U-3-Bereich
geschaffen, also für den Krippenbereich, sondern auch
für den Bereich bis zur Einschulung . 1,126 Milliarden
Euro werden in dem mittlerweile vierten Programm von-
seiten des Bundes investiert .

Ich habe bereits angesprochen, wie wir die Bedeu-
tung der Kindertagesbetreuung sehen . Deswegen will ich
noch einen weiteren Punkt ansprechen . Wenn wir von ei-
ner gemeinsamen Aufgabe zwischen Bund und Ländern
sprechen, die jetzt diskutiert wird und die gemeinsam fi-
nanziert werden muss – die finanzielle Absicherung ist
auch eine Aufgabe dieser Arbeitsgruppe –, dann müssen
wir uns auch mit den Forderungen des Bundesrates be-
schäftigen. Ich will an dieser Stelle ganz offen sagen: Es
gibt drei ganz wesentliche Forderungen des Bundesrates .
Eine ist, die Fristen zu verlängern . Ich glaube, dieser
werden wir zustimmen können . Wir haben bei den ersten
drei Programmen gemerkt, dass die Beantragung und das
Verfahren sehr lange dauern. Das heißt, wir sollten mehr
Freiheit geben und die Fristen verlängern .

Bei den beiden anderen Forderungen werden wir
deutlich machen, dass wir sie als problematisch ansehen .
Dazu gehört der Wunsch, dass wir als Bund bei gewis-
sen schnellen Ausbauverfahren 100 Prozent der Kosten
übernehmen sollen . Dazu sagen wir ganz deutlich: Nein,
wir wollen, dass Länder und Kommunen bei ihrer Ver-
antwortung bleiben . Wir brauchen diese neuen Plätze .
Angebot schafft Nachfrage. Wir wissen, bei den Drei-
bis Fünfjährigen liegen wir bei 95 Prozent Ausbau und
97 Prozent Bedarf . Das heißt, wir haben noch eine klei-
ne Lücke . Deswegen werden wir ganz deutlich sagen:
Wenn wir das Geld ausgeben, dann wollen wir, dass neue
Kitaplätze geschaffen werden. Das werden wir gegen-
über den Ländern auch deutlich machen . Die gestiegene
Geburtenzahl, die Zuwanderung von Flüchtlingskindern
sind für uns Anlass, diesen Ausbau mit Nachdruck fort-
zusetzen .

Es wurde schon das vierte Programm angesprochen .
3,28 Milliarden Euro wurden bereits vonseiten des Bun-
des bereitgestellt in den drei Programmen 2008-2013,
2013-2014 und 2015-2018 .

Noch eine Bemerkung zur Unterstützung der Länder:
Eigentlich haben wir gesagt, wir investieren, wir wollen
das Investitionsprogramm auf den Weg bringen . Aber wir
haben auch gesagt, dass wir die Betriebskosten mittra-
gen: in den ersten Jahren 845 Millionen Euro, jetzt noch

einmal 100 Millionen Euro mehr, also fast 1 Milliarde
Euro jährlich für eine originäre Aufgabe der Länder . Ich
finde, Sie können das nicht abtun, als würde sich der
Bund nicht beteiligen . Im Gegenteil: Der Bund beteiligt
sich – zu Recht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Sönke Rix [SPD])


Wir wissen um unsere Verantwortung. Wir erwarten aber
auch, dass man gemeinsam mit den Ländern schaut, wo
die Länder ihrer Aufgabe nachkommen können .

Ich habe es gesagt: Der Ausbau der Kindertagesbe-
treuung ist für Chancengerechtigkeit, für die sprachliche
Entwicklung von Kindern und für die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf entscheidend . Auch das Thema, auf
das ich jetzt zu sprechen komme, ist nicht unwichtig . Der
Ausbau der Kindertagesbetreuung verringert nämlich das
Armutsrisiko der Familien mit Kindern bis zwölf Jahren
deutlich, nämlich um rund 7 Prozentpunkte . Ich will
Prof . Dr . Holger Bonin zitieren, der in der Anhörung am
Montag zur Kinderarmut gesagt hat:

Weiterhin demonstrieren die Ergebnisse der Ge-
samtevaluation der ehe- und familienbezogenen
Leistungen die zentrale Bedeutung der Vereinbar-
keit von Familie und Beruf für die Sicherung der
wirtschaftlichen Stabilität von Familien . Unter den
untersuchten Leistungen sticht die öffentlich geför-
derte Kindertagesbetreuung heraus . Sie entfaltet
substanziell positive Wirkungen auf alle Kernziele
der Familienpolitik .

Das bestätigt, dass der Weg richtig war, den wir einge-
schlagen haben .

Jetzt kommt in diesem Land eine Debatte über die
Qualität auf . Wir sagen: Ausbau ist wichtig, Qualität
ist wichtig . Ich glaube, außer Bremen erfüllt noch kein
Bundesland die Standards . Wenn man sich die Relation
Erzieherinnen und Erzieher zu Kindern – es gibt die Vor-
gabe 1 zu 3 oder 1 zu 4, je nachdem, ob man Bertelsmann
oder OECD präferiert – anschaut, dann erkennt man: Die
meisten Länder – gerade im Westen – schaffen das noch
nicht . Das heißt, wir haben ein Qualitätsproblem, obwohl
wir viele Maßnahmen zur Qualitätssteigerung über den
Bund finanziert haben. Trotzdem haben wir hier noch ein
Defizit.

Ich finde, man muss Prioritäten setzen. Geld kann man
nur einmal ausgeben . Wenn hinausposaunt wird, dass
man die Beiträge abschaffen will, dass es keine Eltern-
beiträge mehr geben soll, dann muss ich kritisch hinter-
fragen, ob das die richtige Prioritätensetzung ist .


(Zuruf des Abg . Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])


Dazu möchte ich Folgendes sagen: Einige Länder ha-
ben bereits zum Beispiel, weil der Ausbau der Kinderta-
gesbetreuung ihre originäre Verantwortung ist, das Jahr
vor der Einschulung kostenfrei gestellt . Andere Länder
wie mein Bundesland haben die fünfstündige Grundbe-
treuung kostenfrei gestellt . Andere Länder haben weni-
ger gemacht . Einige Länder haben höhere Elternbeiträ-
ge, andere Länder geringere Elternbeiträge . Und – das

Marcus Weinberg (Hamburg)







(A) (C)



(B) (D)


ist zentral – einige Länder haben eine sehr kluge soziale
Staffelung; denn die Elternbeiträge dürfen nicht dazu
führen, dass Kinder gerade aus bildungsfernen Schichten
abgehalten werden, die Kindertagesbetreuungsangebote
wahrzunehmen. Deswegen bin ich Verfechter der Mei-
nung, dass diejenigen, die mehr verdienen, sich auch in
einem gewissen Maße daran beteiligen können .

Ich weiß, wir müssen die Eltern – auch jene mit mittle-
rem Einkommen – entlasten, um ihre Freiheit zu stärken .
Aber ich sage eines ganz deutlich: Solange wir den Aus-
bau nicht abgeschlossen und die Qualitätsstandards nicht
erreicht haben, sollten wir die Priorität auf Ausbau und
Qualität legen und nicht auf das Thema Beitragsfreiheit .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich gönne allen Eltern eine Beitragsentlastung . Aber
die Wirklichkeit ist eine andere . Wir reden über einen
zweistelligen Milliardenbetrag, den Sie hier aufrufen .
Das kann man ja im Wahlkampf gerne machen . Dann
muss man aber auch sagen, was man nicht macht . Man
muss sich entscheiden und Schwerpunkte setzen . Ich
sage ganz deutlich: Dafür vonseiten des Bundes 20, 25
oder 30 Milliarden Euro auszugeben, wäre ein Problem .

Mir wäre es lieber, an dem weiterzuarbeiten, was wir
schon gemacht haben, nämlich schrittweise Qualitätspro-
gramme zu entwickeln und die Kitabetreuung in Rand-
zeiten auszubauen . Wir unterstützen – das Thema wurde
angesprochen – das Bundesprogramm „KitaPlus: Weil
gute Betreuung keine Frage der Uhrzeit ist“ und das Bun-
desprogramm „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel
zur Welt ist“ . Wir wollen lieber gezielt da investieren,
wo Bedarfe sind, anstatt etwas mit der Gießkanne aus-
zuschütten .

Besserverdienende oder gar Reiche können sich viel-
leicht mit kleineren Beiträgen an dieser wichtigen ge-
sellschaftspolitischen Aufgabe beteiligen. Ich finde es
erstaunlich, dass ich als Christdemokrat jetzt hier solche
Positionen vertreten muss; aber anscheinend ist es not-
wendig, weil man momentan sehr offen und frei Geld
ausgeben will, das gar nicht vorhanden ist . Wir erwarten
in den nächsten Monaten weitere nette Programmpunkte
von Ihnen, und irgendwann machen wir mal eine große
Rechnung auf; Kollege Rix freut sich schon darauf . Ob
es dann bei einem zweistelligen Milliardenbetrag bleibt,
weiß ich nicht .

Als Fazit bleibt Folgendes festzuhalten: Seit unge-
fähr zehn Jahren haben wir eine große Unterstützung der
Länder in diesem Bereich gewährleistet, weil die Aufga-
be der Kinderbetreuung wichtig ist . Wir haben Qualität
und Quantität erhöht . Diese Maßnahmen wirken, die ein-
zelnen Programme wirken . Ich glaube, daran sollten wir
weiterarbeiten .

Dann komme ich – letzter Punkt – zur Kooperation .
Wir werden in diesem Jahr oder im Frühjahr nächsten
Jahres sehen, was die gemeinsame Arbeitsgruppe im
Hinblick auf eine Qualitätsoffensive und ihre finanziel-
le Absicherung erarbeitet hat . Ich bin sehr optimistisch,
dass man das gut hinbekommt, wenn man kooperativ
verhandelt . Aber eines sagen wir ganz deutlich: Wir un-
terstützen die Länder gerne, aber es hat auch alles seine

Grenzen; denn wir haben als Parlament im Bund weitere
Aufgaben, die wir angehen müssen .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822518700

Das Wort hat die Kollegin Dr . Franziska Brantner für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
und Herren! Wir reden heute hier über die Kleinsten in
unserem Land, über die kleinen Kinder . Auch die Fünf-
und Sechsjährigen gehören noch zu den kleinen Kindern
in unserem Land . Wir wissen, dass diese jungen Jahre
für ihre spätere Biografie entscheidend sind. Was Kinder
in der Zeit mitbekommen, macht mit Blick auf das, was
sie später im Leben anstreben und erreichen können, so
viel aus . Wir wissen, dass alle Kinder von guten Kitas
profitieren, aber von sehr guten Kitas besonders jene
profitieren, die am Anfang ihres Lebens nicht die besten
Startchancen haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])


Auch das wurde am Montag in der Anhörung bestätigt .

Gute Kitas gibt es nun mal nicht umsonst . Deswegen
reden wir hier heute auch über das Geld . Im Novem-
ber 2016 haben Sie, Frau Schwesig, im Rahmen der Vor-
stellung des Zwischenberichts der Arbeitsgruppe noch
1,7 Milliarden Euro zusätzlich für Kitas angekündigt .
Das war eigentlich auch damals schon zu wenig für den
Bereich, wenn man ernsthaft einen Ausbau und eine Stei-
gerung der Qualität erreichen will . Aber so viel ist es ja
jetzt gar nicht mehr: Was im Gesetz steht, ist die Summe
von 1,26 Milliarden Euro . Der Betrag ist geschrumpft .
Obwohl es in diesem Haushalt Überschüsse gibt und jetzt
18 Milliarden Euro in die Reserve geschoben werden, ha-
ben Sie es nicht geschafft, den richtigen Betrag für die
Kinderbetreuung einzustellen . Die Kinder sind die Zu-
kunft, da müssen wir investieren – das erwarten wir von
Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir reden jetzt die ganze Zeit darüber, ob wir die Kitas
beitragsfrei gestalten . Ich sehe es so: Es besteht noch die
Notwendigkeit, die Kinderbetreuung auszubauen, gerade
auch deshalb, weil es mehr Kinder gibt – das haben Sie
ja selber gesagt –, und wir brauchen eine bessere Quali-
tät, und zwar bundesweit einheitlich . Wenn wir das noch
nicht erreicht haben, dann können wir doch nicht darü-
ber hinaus etwas versprechen; denn die Gelder sind jetzt
schon geringer, als es notwendig wäre .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen mehr Qualität, mehr Plätze und, ja, in
Zukunft vielleicht auch Beitragsfreiheit . Aber die Prio-
rität muss doch auf der Schaffung von Betreuungsplät-

Marcus Weinberg (Hamburg)







(A) (C)



(B) (D)


zen und der Steigerung der Qualität liegen . Denn was
hat man davon, wenn ein Platz beitragsfrei ist, der noch
gar nicht existiert? Wir müssen doch erst mal die Plätze
schaffen und die Qualität sichern, und dann können wir
auch gerne über Beitragsfreiheit sprechen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)


Einen Punkt, der von den kommunalen Spitzenver-
bänden angemahnt wurde, möchte ich noch herausgrei-
fen . Sie wollen jetzt, dass die Gelder schon vor Ende
des Programms umgeschichtet werden können . Diese
Umschichtungsmöglichkeit führt zu Unsicherheit vor
Ort, weil nicht mehr klar ist: Stehen uns die Gelder zu
oder nicht? Gerade in der Phase des Ausbaus, in der wir
Planungssicherheit brauchen, ist es nicht zielführend,
die Möglichkeit zu schaffen, die Gelder zu verschieben.
Es ist notwendig, dass wir für Sicherheit sorgen . Es ist
falsch, dass das geändert werden soll . Man könnte die
bisherige Regelung beibehalten . Hier sollten Sie noch
einmal nachbessern; wir sind gerne mit dabei .

Zum Thema Qualität . Frau Schwesig, als Sie noch Mi-
nisterin auf Landesebene waren, haben Sie selber gesagt,
dass eine Arbeitsgruppe nur ein „Notnagel“ sein kann;
das waren damals Ihre Worte, als 2013 eine entsprechen-
de Arbeitsgruppe zur Qualität eingerichtet wurde . Was
haben Sie seither getan? Sie haben eine Arbeitsgruppe
eingerichtet, die immer noch tagt, obwohl wir ein Quali-
tätsgesetz dringend brauchen, um bundesweit für einheit-
liche Standards sorgen zu können . Wir reden in unserem
Land immer viel über Chancengleichheit, und wir wis-
sen: Gerade die frühkindliche Lebensphase ist entschei-
dend . Chancengleichheit darf nicht davon abhängen, ob
man in einer reichen oder in einer armen Stadt wohnt .
Alle Kinder brauchen die gleichen Chancen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Damit unser Vorhaben funktioniert, müssen wir unse-
rer Verantwortung gemeinsam nachkommen. Wir dürfen
nicht die eine gegen die andere Bevölkerungsgruppe aus-
spielen, sondern wir müssen klar sagen: Es geht um die
Zukunft, und Zukunft braucht Chancengleichheit . Ohne
Qualitätsgesetz und nur mit den derzeit zur Verfügung
stehenden Mitteln werden wir das leider nicht erreichen .
Wir müssten uns gemeinsam darauf verständigen, für
die nächsten Jahre noch etwas Geld draufzulegen . An-
gesichts der schon angesprochenen 18 Milliarden Euro
sage ich: Ganz ehrlich, für die Zukunft muss mehr drin
sein . Wir führen derzeit vehement eine Debatte über Rüs-
tungsausgaben in Höhe von 2 Prozent des Bruttoinlands-
produkts . Ich wünsche mir, dass wir so eine intensive
Debatte auch über die Ausgaben für die Zukunft unserer
Kinder führen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir diese Debatte mit einer solchen Vehemenz füh-
ren würden, dann wären wir einen Schritt weiter .

Ich danke Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822518800

Das Wort hat der Kollege Sönke Rix für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Sönke Rix (SPD):
Rede ID: ID1822518900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst einmal will ich an den von uns vereinbarten
Dreiklang erinnern, der deutlich macht, was wir für die
Familien erreichen wollen. Wir wollten erstens die fi-
nanzielle Entlastung – das haben wir in mehreren Schrit-
ten geschafft, insbesondere für Alleinerziehende –, wir
wollten zweitens mehr Zeit für Eltern – das haben wir
geschafft, indem wir das Programm Elterngeld Plus ge-
schaffen haben, mit dem wir insbesondere die Partner-
schaftlichkeit fördern –, und wir wollten drittens mehr
Infrastruktur für eine bessere Vereinbarkeit von Familie
und Beruf . Mittlerweile legen wir mit einem neuen Pro-
gramm mehrere Milliarden Euro auf den Tisch, damit
Länder und Kommunen ihrer Aufgabe, die wir ihnen
aufgegeben haben, nachkommen können . Wir haben ver-
sprochen, entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen,
und wir halten uns an das, was wir versprochen haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Kita ist nicht nur für die Vereinbarkeit von Fa-
milie und Beruf wichtig – Kollege Weinberg hat darauf
hingewiesen –, sondern sie ist auch deshalb wichtig, weil
sie ein Ort der frühkindlichen Bildung ist und kein Auf-
bewahrungsort . Über die Jahre haben sich die Kitas her-
vorragend entwickelt . Den Erzieherinnen und Erziehern,
die diese Entwicklung so positiv begleitet haben, gebührt
unser aller Dank . Sie sind diejenigen, die vor Ort die Ar-
beit leisten, die wir ihnen mit auf den Weg geben .

Auch der qualitative Ausbau der Kindertagesbetreu-
ung gehört dazu . Wir haben im Rahmen des Investitions-
programms vereinbart, Geld speziell für Bewegungsför-
derung und für Gesundheitsvorsorge zur Verfügung zu
stellen . Wir stellen also auch Mittel für die Steigerung
der Qualität bereit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich komme auf das Thema Qualitätsgesetz zu spre-
chen. Ich bin schon etwas erstaunt, dass meine Vorredne-
rin die Bundesministerin dafür kritisiert hat, dass es kein
Qualitätsgesetz auf Bundesebene gibt, und gefragt hat,
was Frau Schwesig da bitte gemacht habe . Dabei gibt es
mehr als eine Arbeitsgruppe: Es gibt eine Vereinbarung
zwischen allen zuständigen Landesministerinnen und
Landesministern und der Bundesregierung . Ein Land ist
allerdings nicht dabei . Das ist ein von Schwarz-Grün re-
giertes Land, nämlich Hessen .


(Petra Crone [SPD]: Ehrlich? Hört! Hört!)


Mit dem Finger nur auf die Ministerin zu zeigen, aber
nicht auf die eigenen Kollegen im Land, so geht das
nicht, Frau Brantner .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf der Abg . Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dr. Franziska Brantner






(A) (C)



(B) (D)


Lieber Herr Kollege Weinberg und liebe Kollegin
Brantner, im Rahmen der Anhörung haben wir auch da-
rüber diskutiert, wie sinnvoll es wäre, den Kitabesuch
beitragsfrei zu stellen und dadurch die Eltern zu entlas-
ten . Sie stellen das immer als Gegensatz dar und spielen
das in der Diskussion gegeneinander aus .


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Geld ist endlich!)


– Hören Sie ruhig zu . – Sie sagen immer: Wir wollen
erst einmal Mittel in den Ausbau, dann in die Qualität
und dann eventuell auch in die Beitragsfreiheit stecken .
Natürlich kann man das gegeneinander ausspielen . Wir
spielen das auch gegeneinander aus, aber anders: Wir
spielen das zum Beispiel gegen Ausgaben aus, die Ih-
rer Programmatik entsprechen, zum Beispiel gegen die
Steuerentlastung, die Sie versprechen . Wieso wollen Sie
eigentlich mit der Gießkanne übers Feld ziehen und Steu-
erentlastungen verteilen, anstatt vor allen Dingen Fami-
lien zu entlasten? Beitragsfreiheit ist eine Entlastung von
Familien, liebe Kolleginnen und Kollegen . Das kann
man auch gerne einmal gegeneinander ausspielen .


(Beifall bei der SPD – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie haben ja nur so geringe Beträge! Sie kriegen ja noch nicht einmal die Qualität finanziert!)


Das wäre eine Entlastung. Vielleicht betrachten Sie das
einmal vor diesem Hintergrund und handeln dann ent-
sprechend .

Es gibt einen weiteren Posten, gegen den man das
ausspielen könnte . Ich weiß gar nicht mehr, wie groß die
Summe war, die Ihr Staatssekretär im Finanzministerium
genannt hat, als es um zusätzliche Mittel für die Bundes-
wehr ging. Von solchen Summen können wir bei unse-
rem Haushalt nur träumen . Wenn man andere Prioritäten
setzen würde, könnte man sagen: Nein, wir brauchen das
Geld zusätzlich zur Entlastung von Familien .


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Es wäre schön, wenn ihr im Parlament mal Nein sagen würdet!)


Man sollte lieber mehr Geld konkret für die Entlastung
von Familien ausgeben, als es mit der Gießkanne zu ver-
teilen . – Sie haben danach gefragt, Herr Weinberg . Ich
wollte Ihnen nur die Antwort geben .


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Ihr regiert zusammen! Dann müsst ihr das mal klären!)


– Ja, das liegt aber auch an anderen, warum wir noch
zusammen regieren .


(Heiterkeit bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir bringen ein gu-
tes Programm auf den Weg . Das, was wir hier machen,
ist wirklich ein Erfolgsprogramm – und das nach den
zahlreichen Entlastungen, die wir den Kommunen ins-
gesamt schon gewährt haben. Ich erinnere an die Verab-
redungen im Zusammenhang mit dem Bund-Länder-Fi-
nanzausgleich, aber auch an die mehreren Milliarden, die
wir insgesamt in dieser Wahlperiode zur Entlastung der

Kommunen bereitgestellt haben . Das ist jetzt das vierte
Investitionsprogramm . Wir leisten unseren Beitrag zum
Kitaausbau . Darauf können wir stolz sein .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822519000

Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Ingrid

Pahlmann das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Stell das mal richtig!)



Ingrid Pahlmann (CDU):
Rede ID: ID1822519100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Ich denke, trotz aller Diskussionen ist
heute ein richtig guter Tag . Wir beraten in erster Lesung
den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum weite-
ren quantitativen und qualitativen Ausbau der Kinder-
tagesbetreuung. Ich finde, dieser Gesetzentwurf sollte
spätestens am Ende der Beratungen auf eine ganz breite
Zustimmung bei allen stoßen .

Seit der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen
Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren durch die
damalige Familienministerin Ursula von der Leyen hat
sich die Betreuungsquote in diesem Bereich fast ver-
doppelt: rund 720 000 betreute Kinder im U-3-Bereich .
Diese Leistung nicht nur des Bundes, sondern auch eini-
ger Länder und vor allem der Kommunen vor Ort muss
man einmal anerkennen . Mit der Zurverfügungstellung
von zusätzlich 1,126 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020
wollen wir, wie bereits mehrfach gesagt, 100 000 neue
Betreuungsplätze schaffen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte deutlich machen, dass wir zum ersten Mal
auch die Förderung neuer Plätze für über dreijährige Kin-
der ermöglichen . Trotz der bereits seit langem hohen Be-
treuungsquote bei über Dreijährigen stellen wir auch in
diesem Bereich einen wachsenden Bedarf fest . Das freut
uns, und dem wollen wir Rechnung tragen . Das unter-
streicht: Der Bund steht weiterhin zu seiner Verantwor-
tung . Er steht an der Seite der Familien und an der Seite
der Alleinerziehenden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber der Bund ist nicht alleine verantwortlich . Es ist
weiterhin eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund,
Ländern und Kommunen notwendig . Aus dem Rat mei-
ner Heimatstadt Gifhorn weiß ich, wie sehr sich Kommu-
nen oftmals strecken müssen . Sie sind es, die vor Ort den
Spagat zwischen den berechtigten Forderungen der El-
tern nach einem ausreichenden und qualitativ guten Be-
treuungsangebot für die Kinder auf der einen Seite und
den Bedürfnissen einer zukunftsfähigen Haushaltsfüh-
rung auf der anderen Seite schaffen müssen. Sie spüren
den steigenden Bedarf am allerdeutlichsten und sind dem
daraus resultierenden Druck am stärksten ausgesetzt .

Sönke Rix






(A) (C)



(B) (D)


Wir als Bund machen uns dafür stark, diesen Druck zu
lindern . Als Große Koalition haben wir die Kommunen
in den letzten Jahren in Milliardenhöhe entlastet . Wir als
Union haben unsere Politik für starke Kommunen fortge-
setzt; sie liegen uns ganz besonders am Herzen . Man darf
ebenso nicht vergessen: Auch die Bundesländer haben in
unserer Regierungszeit ungemein davon profitiert.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Da verwundert es umso mehr, was ich nun aus mei-
nem Heimatland Niedersachsen hören muss . Angeblich
möchte die rot-grüne Landesregierung die Förderhöhe
beim Ausbau der Kinderbetreuung senken . So sollen
Krippenplätze statt mit 12 000 nun nur noch mit ma-
ximal 9 500 Euro und Plätze in der Kindertagespflege
mit nur noch 2 500 Euro statt der bisherigen maximal
4 000 Euro gefördert werden . Diese Befürchtung hat der
Niedersächsische Städte- und Gemeindebund in einem
Schreiben Anfang März formuliert, und ich muss sagen:
Die Landesregierung hat diese Sorge bisher leider noch
nicht zerstreuen können . Ich sage Ihnen: Das sorgt für
Unverständnis und vor allem für Unruhe in den Kom-
munen . Und bei mir persönlich stärkt es doch einmal
mehr die Sorge, dass erneut mit Bundesgeldern nicht so
umgegangen wird, wie wir uns das wünschen . Deshalb
habe ich auch Bedenken, zwei der drei Forderungen in
der Stellungnahme des Bundesrates zu folgen .

So wird erstens vonseiten der Bundesländer gefordert,
Steigerungen in der Qualität losgelöst von der Schaffung
zusätzlicher Betreuungsplätze über dieses Investitions-
programm zu fördern . Aber dies widerspricht schlichtweg
dem primären Ziel dieses Gesetzes . Es geht hier zunächst
einmal um die Schaffung zusätzlicher Betreuungsplätze.
Sie haben es angemahnt . Wir brauchen zusätzliche Plät-
ze . Trotzdem wollen wir, wie es ja im Titel des Geset-
zes zu lesen ist, qualitätssteigernden Maßnahmen nicht
im Wege stehen und sie auch fördern, besonders dann,
wenn die Alternative der Wegfall der Betreuungsplätze
sein würde .

Die Anforderungen und Auflagen an die Einrichtun-
gen sind gestiegen, und zwar beispielsweise bei der Es-
sensversorgung, nicht nur bei der Bewegung . Wenn in
diesem Zusammenhang Küchen in den Einrichtungen
den neuen Bedingungen angepasst werden müssen, so
soll das durchaus möglich sein .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Darüber hinaus haben wir auch schon eine Vielzahl
von Förderprogrammen auf den Weg gebracht, die ge-
zielt die Qualität in den Kinderbetreuungseinrichtungen
fördern . Ich möchte hier nur kurz das KitaPlus-Programm
für erweiterte Öffnungszeiten, das neue Programm zum
Kitaeinstieg und die Sprachkitas, für die allein insgesamt
rund 1 Milliarde Euro zur Verfügung gestellt wurden,
nennen .

Grundsätzlich aber sollten wir die bestehende Qua-
lität in unseren Kindertageseinrichtungen auch nicht
schlechter darstellen, als sie ist . Wir wissen, dass das
Fachkräfteniveau und der Betreuungsschlüssel in den
Einrichtungen trotz des massiven Ausbaus des Angebo-
tes mindestens auf dem gleichen Niveau geblieben sind .

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich finde die Aus-
weitung der Qualität in der Kinderbetreuung sehr gut,
wichtig und richtig . Wir sollten aber hier und heute nicht
den zweiten vor dem ersten Schritt machen, sondern uns
vielmehr bei gleichbleibend gutem Qualitätsniveau zu-
nächst einmal auf die Deckung des Bedarfs fokussieren,
der eindeutig und unbestritten vorhanden ist .

Ähnliches gilt in meinen Augen übrigens auch für die
Beitragsfreiheit von Kinderbetreuung . Da bin ich bei
meinen Kollegen Weinberg und Brantner . Auch ich stehe
einer pauschalen Abschaffung der Elternbeiträge kritisch
gegenüber, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, da wir uns
immer noch darum bemühen, für eine weiter steigende
Nachfrage ausreichend Betreuungsplätze zur Verfügung
zu stellen, und erst am Anfang des weiten Weges zu bei-
spielsweise flexibleren Öffnungszeiten, mehr Fachkräf-
ten und kleineren Gruppen in unseren Betreuungsein-
richtungen stehen .

Ich halte derzeit Elternbeiträge für eine wichtige Säule
der Finanzierung des Angebots, solange sie nicht Einzel-
ne vom Angebot ausschließen . Und um das zu verhin-
dern, Herr Rix, halte ich eine gut durchdachte Sozialstaf-
felung der Beiträge für zielführend und, wie der Name
sagt, im Übrigen auch für deutlich sozial gerechter als
eine pauschale Beitragsbefreiung .


(Beifall bei der CDU/CSU – Sönke Rix [SPD]: Im ersten Schritt eine bundesweite wäre schon gut!)


Wenn es dann aber schon jetzt kostenfreie Kitas geben
soll, dann bitte nicht zulasten der Qualität, und das ge-
schieht leider viel zu oft . Wenn es auf dem Rücken
der Kommunen ausgetragen wird, trifft es immer die
Schwächsten .

Aber kurz zurück zu den Forderungen des Bundesra-
tes . Zweitens wünschen sich die Bundesländer, dass eine
Bagatellgrenze eingezogen wird . So soll bei einer För-
derung bis 1 000 Euro diese vom Bund in voller Höhe
getragen werden . Ich bin nun keine Juristin und möchte
daher die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit dieser
Forderung den Experten überlassen. Ich empfinde aber
eine mögliche Kostenteilung bei Einzelmaßnahmen von
90 Prozent für den Bund und 10 Prozent für alle anderen
Beteiligten als äußerst fair . Wenn es gelingen kann, mit
einem so geringen Beitrag von unter 1 000 Euro einen
Platz zu erhalten, sollte es doch nicht an den 1 000 Euro
Unterstützung durch das Bundesland scheitern .

Über eine Verlängerung der Fristen, wie auch von den
Bundesländern gefordert, sollten wir alle im Sinne der
Kommunen noch einmal intensiv beraten . Wir wissen um
die Herausforderungen, vor denen die kommunalen Ver-
waltungen zurzeit stehen .

Es ist erst drei Bundesländern gelungen, aus dem lau-
fenden Programm Mittel in voller Höhe zu bewilligen,
darunter Niedersachsen; jetzt lobe ich einmal mein Hei-
matland .


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: 47 Prozent in Bayern!)


Ingrid Pahlmann






(A) (C)



(B) (D)


Lieber Paul Lehrieder – ich hoffe, du wirst die Nachricht
überstehen –, diesmal war es nicht der Freistaat ganz im
Süden unseres Landes .


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ja, ja!)


Insgesamt liegt uns hier meines Erachtens ein bereits
sehr, sehr guter Gesetzentwurf vor . Ich bin auf die An-
hörung in der kommenden Woche und auf die weiteren
Beratungen gespannt. Ich hoffe, dass wir uns im Sinne
unserer Familien, unserer Kinder einigen werden und
dieses gute Gesetz auf den Weg bringen .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822519200

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/11408 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Gohlke, Sigrid Hupach, Klaus Ernst, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissen-
schaft wirksam bekämpfen

Drucksache 18/11597
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .

Wir warten noch ab, bis die offensichtlich notwendi-
gen Umgruppierungen in den Fraktionen abgeschlossen
sind .

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kollegin
Nicole Gohlke für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Nicole Gohlke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822519300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Letzten Monat postete eine junge Berliner Nachwuchs-
wissenschaftlerin auf Facebook, sie habe innerhalb der
letzten vier Jahre an ein und derselben Hochschule, das
heißt bei ein und demselben Arbeitgeber, zehn verschie-
dene Arbeitsverträge gehabt . Ich halte das für einen rie-
sigen Skandal .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Es ist skandalös, dass das offenbar immer noch möglich
ist, obwohl sich die Bundesregierung letztes Jahr endlich
dazu durchgerungen hat, das Sonderbefristungsrecht in
der Wissenschaft zu reformieren .

Dadurch, dass so etwas heute immer noch möglich ist,
werden zwei Dinge deutlich: einmal, dass die Große Ko-
alition bei der Novelle des Wissenschaftszeitvertragsge-
setzes nicht gut genug gearbeitet hat, und zweitens, dass
es die Große Koalition nicht hinkriegt, Rahmenbedingun-
gen für stabile Beschäftigungsverhältnisse und planbare
Karrierewege in der Wissenschaft zu schaffen; denn sie
weigert sich, Schritte in Richtung einer soliden Grundfi-
nanzierung zu gehen . Das muss aber endlich passieren .
Deswegen hat die Linke heute diesen Antrag vorgelegt .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Als Hauptproblem kristallisieren sich die schwammi-
gen Formulierungen im überarbeiteten Wissenschafts-
zeitvertragsgesetz heraus . Jetzt ist zwar endlich festge-
legt worden, dass die Befristung von Arbeitsverträgen
nur zum Zwecke der eigenen Qualifizierung zulässig ist,
gleichzeitig hat sich die Koalition aber geweigert, ein-
deutig zu definieren, was Qualifizierung eigentlich be-
deutet . Das hat sie sogar in die Hände der Arbeitgeber
gelegt, die das natürlich in ihrem Sinne nutzen . Das war
ja klar .

Der zuständige Arbeitskreis der Universitätskanzler
zum Beispiel interpretiert die neuen Regelungen jetzt
folgendermaßen: Jede Tätigkeit im Wissenschaftsbetrieb
fördere ja die wissenschaftliche Qualifizierung der Be-
schäftigten und reiche daher aus, um eine Befristung zu
rechtfertigen . – Die TU Berlin war auch sehr kreativ . Für
sie gilt zum Beispiel der Kompetenzerwerb beim Verfas-
sen von Drittmittelanträgen auch als wissenschaftliche
Qualifizierung. Das ist doch einfach absurd. Hier muss
dringend nachgebessert werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Schreiben Sie mal einen Drittmittelantrag! Das werden Sie gar nicht hinkriegen!)


Das nächste Problemfeld ist die familienpolitische
Komponente . Auch hier überlässt es die Große Koalition
dem Ermessen der Arbeitgeber, ob Arbeitsverträge von
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verlängert
werden, wenn sie Kinder betreuen . Auch das hat die Gro-
ße Koalition ganz bewusst in Kauf genommen . Das geht
aber zulasten von Familien, besonders zulasten von Frau-
en . Auch das gehört schnellstens korrigiert .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auch vom wissenschaftsunterstützenden Personal in
Verwaltung und Technik – dieses ist aus dem Geltungs-
bereich des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes heraus-
genommen – wird uns berichtet, dass sich für viele die
Situation kaum verbessert hat . Manche der Kolleginnen
und Kollegen werden jetzt nach Ablauf der maximalen
Befristungsdauer einfach gar nicht weiterbeschäftigt und
verlieren ihren Arbeitsplatz . Das hat auch etwas damit zu
tun, dass gerade die Hochschulen zur Einrichtung von

Ingrid Pahlmann






(A) (C)



(B) (D)


Dauerstellen keine oder nur geringe finanzielle Spielräu-
me sehen .


(Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Weil Sie so industriefeindlich sind, Frau Kollegin! Das liegt an Ihnen!)


Sie dürfen dauerhafte Planstellen zum Beispiel gar
nicht aus Projektmitteln des Bundes finanzieren. Es ist
ein Problem, wenn sich die laufenden Grundmittel der
Hochschulen von der Jahrtausendwende bis 2014 trotz
steigender Studierendenzahlen nur um die Hälfte erhöht
haben, während die Drittmittel im selben Zeitraum um
150 Prozent gestiegen sind; denn Drittmittel sind das Ge-
genteil von Planungssicherheit .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Mit Planungssicherheit und Planwirtschaft kennen Sie sich ja aus!)


Die Wahrheit ist: Die Situation der Wissenschaft und der
Beschäftigten bleibt prekär, solange die Bundesregierung
nicht endlich eine Kehrtwende in der Wissenschaftsfi-
nanzierung einleitet . Dafür wäre es allerhöchste Zeit .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das liegt im Zuständigkeitsbereich der Länder, Frau Kollegin!)


Für uns Linke ist klar: Wir wollen gute Arbeit, auch
in der Wissenschaft . Die Einrichtungen und die Beschäf-
tigten brauchen endlich Verlässlichkeit und Planungs-
sicherheit, und zwar nicht nur für Prestigeprojekte wie
Ihre Exzellenzinitiative. Also: Verstetigen Sie den Hoch-
schulpakt, und sagen Sie endlich, wie es mit dem Hoch-
schulbau weitergehen soll! Das sind Sie den Beschäftig-
ten schuldig .

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822519400

Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin

Alexandra Dinges-Dierig das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Tankred Schipanski [CDU/ CSU]: Gott sei Dank!)



Alexandra Dinges-Dierig (CDU):
Rede ID: ID1822519500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Verehrte Gäste auf den Tribünen! Bereits vor einem gu-
ten Jahr habe ich an gleicher Stelle gesagt, dass die Zu-
kunft des Wissenschaftsstandortes Deutschland in hohem
Maße davon abhängig ist, inwiefern es uns gelingt, die
besten Köpfe zu holen oder zu behalten; „behalten“ im
Sinne von „halten“ . Deshalb spielen gute Bedingungen
am Arbeitsplatz – da stimme ich Ihnen zu, Frau Gohlke –
eine enorme Rolle . Ich sage an dieser Stelle für die CDU/
CSU aber auch ganz klar: Ein Befristungsunwesen, so

wie Sie es immer wieder bezeichnen, werden wir mit al-
ler Entschiedenheit bekämpfen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Dann mal los!)


Gute Arbeitsbedingungen brauchen zunächst eine aus-
reichende und verlässliche Grundfinanzierung; auch da
sind wir uns einig .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Gut!)


Aber jetzt kommt der entscheidende Unterschied zwi-
schen uns .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Aha!)


Der entscheidende Unterschied ist: Diese Grundfinanzie-
rung muss verbunden sein mit einer zeitgemäßen Perso-
nalstruktur . Beides sind Punkte, für die die Länder ver-
antwortlich sind .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Aha! Was nicht alles im Grundgesetz steht!)


Die Länder – jetzt gut zuhören! – haben ebenso wie
der Bund in den vergangenen Jahren eine recht gute Ein-
nahmesituation gehabt .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Wenn Sie sich einmal die Ausgaben des Bundes für die
Hochschulen vom Jahr 2010 bis zum Jahr 2014 anschau-
en, stellen Sie fest: Sie sind um 56 Prozent gestiegen,


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ui!)


die der Länder um 19 Prozent .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Da stimmt doch etwas nicht!)


Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Prioritätensetzung für Bil-
dung und Wissenschaft sieht für mich anders aus .


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wow! 19 Prozent Steigerung sind toll, wenn man keine Steuern einnimmt!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Bund kann
wichtige Rahmenbedingungen setzen . Im Gegensatz zu
Ihnen von den Linken reden wir nicht Jahrzehnte über
prekäre Arbeitsbedingungen – übrigens ohne auch nur
einmal definiert zu haben, was eigentlich gute Arbeits-
bedingungen sind, auch nicht gestern Nachmittag auf der
Podiumsdiskussion –, sondern wir als CDU/CSU wissen,
was gute Arbeitsbedingungen sind. Wir haben sie defi-
niert und wollen sie für alle Beschäftigten im Wissen-
schaftssystem . Deshalb haben wir analysiert, wie die Si-
tuation heute ist, und wir haben gehandelt . Dies sind – da
muss ich Ihnen völlig recht geben – die ersten Schritte
hin zu einer Veränderung.

Was haben wir – nur in den letzten zwölf Monaten –
verändert? Ich mache es im Zeitraffer und ganz kurz;
denn ich habe nur wenig Redezeit .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehr als die Opposition!)


Nicole Gohlke






(A) (C)



(B) (D)


Wir haben zuerst ein neues Hochschulstatistikgesetz auf
den Weg gebracht . Warum? Wir brauchen Erkenntnisse
über die Personalstruktur; sonst können wir keine ent-
sprechenden Maßnahmen aufsetzen .


(Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Wir haben den Ländern die Last der BAföG-Kosten
genommen . Das waren immerhin 1,17 Milliarden Euro .
Für die Gäste auf der Tribüne, die mit dieser Größen-
ordnung vielleicht nicht viel anfangen können, sage ich:
Hätten sie diese Gelder – „hätten“, also Konjunktiv – in
die Hochschulen gesteckt, wären das rund 12 000 Stellen
gewesen . Wenn wir diese Stellen auf alle Hochschulen
verteilt hätten, wären das pro Hochschule im Schnitt 40
unbefristete neue Stellen jährlich gewesen .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hätte, hätte!)


Damit hätte man etwas anfangen können, wenn man es
gewollt hätte .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Es sind auch viele Lehrerinnenund Lehrerstellen geschaffen worden!)


Wir haben das Wissenschaftszeitvertragsgesetz mit
Augenmaß novelliert . Wir wollten eindeutig bessere
Rahmenbedingungen . Wir wollten, dass sich eine Befris-
tung an der Qualifizierung orientiert; sie muss also ange-
messen sein . Das müssen die Hochschulen jetzt lernen,
und das muss mit den Arbeitnehmern und vor allem zwi-
schen Personalrat und Leitung besprochen werden . Sie
und nicht wir müssen es aushandeln .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Tankred Schipanski [CDU/ CSU]: Sehr richtig! Man muss das Gesetz eben auch einmal lesen!)


Wir haben das Tenure-Track-Programm geschaffen,
das einen planbaren Einstieg bietet . Wir reden hier über
tausend neue unbefristete Stellen, die mit diesem Pro-
gramm geschaffen werden.


(Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Um diese Stellen zu bekommen, ist ein Personalentwick-
lungskonzept Pflicht. Das ist das, was wir in Zukunft
brauchen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir all diese Laufbahnen positiv begleiten wol-
len, dann brauchen wir noch mehr Sicherheit bezüglich
der Erkenntnisse über die Menschen, die dort arbeiten,
und die Strukturen. Ich hoffe sehr, dass uns sowohl
durch die Erfahrungen mit dem Wissenschaftszeitver-
tragsgesetz als auch durch die neuen Erkenntnisse über
die Personalstruktur durch das Hochschulstatistikgesetz
Schwachstellen, aber auch die Stärken aufgezeigt wer-
den .

Frau Gohlke, das ist ein ganz wichtiger Punkt: Sie sa-
gen, Dauerstellen und Projektmittel gehen nicht . Schau-
en Sie einmal in die Länder . Ganz viele Hochschulen in

den Ländern sind nicht mehr stellengesteuert, sondern
budgetgesteuert . Die budgetgesteuerten Hochschulen
können sehr wohl Dauerstellen aus Drittmitteln einrich-
ten, weil sie wissen, wie viele Mittel sie im Jahr haben,
und weil ein Teil dieser Mittel über die Jahre verlässlich
zur Verfügung steht.

Sie haben aber völlig recht: Für die stellengesteuerten
Hochschulen gilt das nicht . Das ist aber eine Länderauf-
gabe . Die Länder müssen lernen, anders zu arbeiten . Sie
müssen sich heute endlich für die Zukunft und nicht für
das Gestern aufstellen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bin mir sicher, dass das Thema Personal inzwi-
schen überall angekommen ist . Jetzt müssen wir in der
Politik Geduld haben .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Die Frage ist, ob die Beschäftigten Geduld haben!)


Im Gesetz steht, dass die Evaluation des Wissenschafts-
zeitvertragsgesetzes im Jahr 2020 erfolgt . Das werden
wir abwarten . Bis dahin haben wir auch Erkenntnisse
zum Hochschulstatistikgesetz . Dann werden wir sehen,
ob diesem ersten Schritt ein zweiter Schritt folgt .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822519600

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun

der Kollege Kai Gehring .


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822519700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Groß war zu Beginn dieser Wahlperiode die Einigkeit im
Hohen Haus, dass Nachwuchswissenschaftlerinnen und
-wissenschaftler klarere Karriereperspektiven, bessere
Arbeitsbedingungen und mehr Familienfreundlichkeit
benötigen .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Deshalb haben wir auch viel gemacht!)


Das war eine sehr günstige Ausgangslage, um Großes zu
bewegen .


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Was wir getan haben!)


Diese Chance haben Union und SPD verspielt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Irrtum!)


Für faire statt prekäre Wissenschaftskarrieren zu sor-
gen, ist nun mal ein Marathonlauf, aber der Koalition ist
schon nach 100 Metern die Puste ausgegangen .


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Also, ist ja mutig!)


Alexandra Dinges-Dierig






(A) (C)



(B) (D)


Bessere Bedingungen in der Wissenschaft bleiben auf der
Strecke, und das ist schlecht; denn wir dürfen kein Talent
vergraulen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Sie sind selber nicht hinterhergekommen!)


Kurzatmig ist ihr sogenanntes Nachwuchsprogramm .
Bei 1 000 Tenure-Track-Professuren an Universitäten
bleiben unklare Perspektiven und wenig Planbarkeit für
viel zu viele Alltag . Auch fehlt Ihrem Tenure-Track-Pro-
gramm eine explizite Förderung von Frauen, während
zugleich die Zukunft des Professorinnenprogramms völ-
lig ungewiss ist . Für dauerhafte Karrierewege neben der
Professur sorgen Sie nicht, und die Tenure-Track-Profes-
suren sind viel zu wenig lukrativ und attraktiv für viele
Universitäten .


(Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Abwarten!)


Die Fachhochschulen haben Union und SPD gleich
jahrelang vergessen,


(Dr . Simone Raatz [SPD]: Das stimmt nicht!)


obwohl sie besonders damit zu kämpfen haben, Profes-
sorinnen und Professoren zu gewinnen . Ein Nachwuchs-
programm für die FHs gibt es noch nicht . Machen Sie das
doch endlich! Wer regiert denn? Fazit: Mit Ihrem Nach-
wuchsprogramm müssen Sie noch mal ins Trainingsla-
ger .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr . Simone Raatz [SPD]: Liegt so gut wie auf dem Tisch!)


Schnappatmung bekomme ich allerdings bei Ihrer No-
velle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das möchte ich einmal sehen!)


Es fehlt noch eine systematische Untersuchung . Sie
kommt erst 2020, also fast am Ende der nächsten Legis-
laturperiode,


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ja, eben! Warum denn nicht früher?)


obwohl man schon jetzt weiß – das haben die Anhörun-
gen gezeigt –, dass Ihre Novelle nicht vernünftig wirken
kann und viel zu große Hoffnungen damit verbunden
werden .

Mindestvertragslaufzeiten sind Fehlanzeige,


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Natürlich!)


und undefiniert ist zum Beispiel, was unter Qualifizie-
rung zu verstehen ist


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Genau!)


und was eine angemessene Befristungsdauer für einen
Qualifizierungsschritt sein soll.

Damit werden sich noch viele Anwälte und auch fin-
dige Personaler in den Chefetagen der Wissenschaft zu
beschäftigen haben . Durch solche Schwammigkeiten

verfehlen Sie das eigentliche Ziel, einen klaren recht-
lichen Rahmen für bessere Arbeitsbedingungen in der
Wissenschaft zu schaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Beim WissZeitVG hilft weder Trainingslager noch
Doping, sondern nur eine Novelle, die klare Mindestver-
tragslaufzeiten, einen Wegfall der Tarifsperre und eine
echte Familienkomponente bringt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Nicole Gohlke [DIE LINKE])


Gänzlich außer Sichtweite ist das Ziel, die Grundfi-
nanzierung der Hochschulen zu verbessern . Es ist echt
problematisch, sich von Pakt zu Pakt zu hangeln;


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: 1,4 Milliarden jedes Jahr! – Gegenruf der Abg . Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das ist ein alter Hut! Das können Sie nicht vier Jahre lang sagen!)


denn das erschwert es den Hochschulen, zusätzliche ver-
lässliche Dauerstellen für Daueraufgaben zu schaffen.

Es wird noch besser . Beim neuen Unionspapier schril-
len bei mir sämtliche Alarmglocken, weil Sie offensicht-
lich die Axt an den Hochschulpakt legen wollen .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Richtig!)


Wenn Sie das tun, dann reißen Sie mutwillig Löcher in
die Finanzierung der Universitäten und vor allem der
Fachhochschulen vor Ort . Nicht mit uns! Wir brauchen
eine verlässliche Grundfinanzierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch künftig wollen viele junge Menschen studieren .
Der Studierendenberg wird nicht zum Tal, sondern zu ei-
nem Hochplateau . Wir wollen diesen jungen Menschen
Freiräume ermöglichen, anstatt sie zu versperren . Des-
halb sind und bleiben eine ausreichende Zahl an Studi-
enplätzen und gute Studienbedingungen unser Anspruch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Über 90 Prozent der Verträge in der Wissenschaft –
über 90 Prozent! – sind befristet . Über die Hälfte dieser
Verträge hat eine unsäglich kurze Laufzeit von unter ei-
nem Jahr .


(Dr . Simone Raatz [SPD]: „Hatte“, nicht „hat“!)


Nur 22 Prozent der Promotionen werden abgeschlossen .
Über 10 Prozent der Promovierenden verdienen weniger
als 826 Euro im Monat .


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Aus welchem Jahr sind denn die Zahlen? 2014?)


Sie sind also armutsgefährdet . Diese niederschmettern-
den Zahlen aus dem Bundesbericht Wissenschaftlicher
Nachwuchs mahnen: Da müssen wir ran! Dieses Befris-

Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


tungsunwesen muss enden . So können wir mit Talenten
für die Wissensgesellschaft jedenfalls nicht umgehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deswegen ist es dringend notwendig, schnell zu
weiterführenden Schritten zu kommen . Jetzt stehen ein
vernünftiges Wissenschaftszeitvertragsgesetz für mehr
Sicherheit an, um gut forschen zu können, ein Personal-
programm für die Fachhochschulen, eine bessere Grund-
finanzierung für die Hochschulen und auch mehr Verant-
wortungsbewusstsein in der Wissenschaft für die eigenen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in puncto Personalent-
wicklung und Karrierewege .

Diesen Marathon gilt es zu laufen . Wir sind dazu be-
reit . Das, was Sie vorgelegt haben, ist wirklich Stück-
werk . Das Befristungsunwesen lässt sich damit leider
nicht überwinden . Deshalb: Da muss mehr passieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822519800

Das Wort hat die Kollegin Dr . Simone Raatz für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Simone Raatz (SPD):
Rede ID: ID1822519900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Trotz der Äußerungen von Frau Gohlke und
Herrn Gehring muss ich doch sagen – ich denke, das ist
unbestritten –: Wir haben in dieser Legislatur vieles an
Verbesserungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs
auf den Weg gebracht . Das muss man einmal anerken-
nen; man sollte nicht immer nur herumnörgeln .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber – das ist richtig –: Jetzt heißt es dranbleiben, ins-
besondere am Thema „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ .
Frau Gohlke, jetzt sollten Sie einmal zuhören; das, was
jetzt kommt, hören Sie nicht so oft: Ich möchte Ihnen und
den Kolleginnen und Kollegen von der Linken für den
Antrag Danke sagen . Ihr Antrag unterstützt nämlich un-
ser Thema „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ in einigen
Punkten . Das muss man einmal anerkennen . Es ist schön,
dass Sie das präsent halten und uns natürlich damit im-
mer auch den Spiegel vorhalten .

Ich gebe Ihnen recht: Es ist wirklich ein Unding, dass
heutzutage jede zweite Neueinstellung – nicht in der
Wissenschaft, sondern prinzipiell – befristet erfolgt . Das
geht nicht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dazu kommt, dass es in der Forschung – die Zahl haben
wir häufig gehört – fast 90 Prozent sind. Außerdem hat-
ten diese befristeten Verträge – „hatten“, nicht „haben“ –
häufig eine sehr kurze Laufzeit, und zwar nicht nur an
unseren Hochschulen. Ich finde es bedenklich, dass dies

auch an unseren außeruniversitären Forschungseinrich-
tungen so ist . Das ist für mich überhaupt nicht erklärbar .


(Beifall der Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD] und Nicole Gohlke [DIE LINKE])


Jeder kann hier Beispiele nennen, auch ich . Sie haben
das Beispiel genannt, dass jemand zehn befristete Verträ-
ge hintereinander bekommen hat . Ich kenne eine junge
Wissenschaftlerin, die noch an ihrer Doktorarbeit arbeitet
und in dieser Zeit schon 15 verschiedene Arbeitsverträge
unterschreiben musste. Von diesen 15 Kurzzeitverträgen
hatten manche nur eine Laufzeit von einem Monat .

Ich war gestern beim Parlamentarischen Abend der
AiF . Mir gegenüber stand ein Wissenschaftler, schon ein
gestandener Mann, der mittlerweile schon 50 befristete
Arbeitsverträge unterschrieben hatte . Das geht natürlich
nicht; das ist klar . Dem haben wir nun einen Riegel vor-
geschoben .


(Beifall bei der SPD)


Jeder von uns kann irgendwelche Beispiele nennen,
und wir könnten uns sicherlich gegenseitig mit Zahlen
übertrumpfen . Aber das ist nicht das, was wir wollen . Wir
wollen mit dieser hohen Zahl an befristeten Verträgen
Schluss machen .

Diese kurzen Laufzeiten und die fehlenden Karri-
ereperspektiven schrecken insbesondere junge Frauen
ab, die ihre berufliche Zukunft dann leider nicht in der
Wissenschaft sehen . Ich denke, das können wir uns in
der Zukunft definitiv nicht mehr leisten. Auch, liebe Kol-
leginnen und Kollegen, ist dies ungerecht und darüber
hinaus familien- und gleichstellungsfeindlich . Darum
haben wir, wie gesagt, den Missbrauch von Befristungen
in dieser Legislatur endlich eingedämmt . Wir haben das
Wissenschaftszeitvertragsgesetz novelliert, und ich be-
tone: wir, die Fraktionen von SPD und CDU/CSU . Wir
haben das auf den Weg gebracht . In Ihrem Antrag steht,
dass es von der Bundesregierung kommt . Die hat es jetzt
umgesetzt, aber auf den Weg gebracht haben wir es als
Koalitionsfraktionen, und das möchte ich mir auch nicht
nehmen lassen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das Gesetz auf den Prüfstand zu stellen und zu no-
vellieren, war nicht leicht; das muss man sagen . Die
Mehrheit der Akteure in Wissenschaft und Politik sieht
zwar, dass bei den Arbeitsverträgen in der Wissenschaft
etwas aus dem Ruder gelaufen ist, trotzdem bleibt es eine
Mammutaufgabe, Lösungen zu finden, die allen Beteilig-
ten und Belangen gerecht werden .

Ja, Frau Gohlke, und ja, Herr Gehring, auch wir hätten
uns an manchen Stellen eine Konkretisierung gewünscht .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das machen wir mit Rot-Rot-Grün!)


Andererseits muss ich sagen: In diesen Einrichtungen
arbeiten Leute, die auch einen Kopf auf den Schultern
haben und ihn benutzen können . Die wissen, wie wichtig
es ist, gutes Personal zu halten, und das kann man heute
nur halten mit vernünftigen Arbeitsbedingungen . Darum
appellieren wir zum Beispiel auch an die Eigenverant-

Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


wortung unserer Wissenschaftseinrichtungen . Alles im-
mer vorzugeben, halte ich nicht für den richtigen Weg .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb haben Sie eine Frauenquote beschlossen!)


Mit der Reform haben wir das alte Wissenschaftszeit-
vertragsgesetz vom Kopf auf die Füße gestellt . Wir ha-
ben aus einem Befristungsgesetz ein Qualifizierungsge-
setz gemacht und die Zeit der willkürlichen Befristungen
damit hoffentlich endgültig beendet. Seit einem Jahr ist
dieses Gesetz nun in Kraft . Die junge Wissenschaftlerin,
von der ich gerade erzählt habe, aber auch viele andere
junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben
dadurch endlich einen vernünftigen Arbeitsvertrag und
damit mehr Planungssicherheit als bisher, und das freut
mich erst einmal . Das sollte uns insgesamt erst einmal
freuen .

Schön wäre gewesen, wenn sich das bereits in den
Zahlen des Bundesberichts Wissenschaftlicher Nach-
wuchs widergespiegelt hätte, doch die aktuellsten Zahlen
in diesem Bericht, auf die sich auch Herr Gehring bezo-
gen hat, sind von 2014 . Man muss sagen: Damit kann
man nichts anfangen . Das ist schade . Wir müssen also im
Endeffekt den nächsten Bericht abwarten, um zu sehen,
was unser Wissenschaftszeitvertragsgesetz bewirkt hat .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, allein die gesetzli-
chen Rahmenbedingungen zu ändern, reicht aber nicht .
Für planbare Karrierewege braucht es auch Program-
me zur besseren Stellenausstattung an der Hochschule .
Auch darauf haben meine Vorrednerinnen und Vorredner
hingewiesen . So haben wir ein Bund-Länder-Programm
für den wissenschaftlichen Nachwuchs auf den Weg ge-
bracht . Für einen Zeitraum von über zehn Jahren haben
wir immerhin zusätzliche 1 000 Tenure-Track-Stellen fi-
nanziert . Allein für Sachsen sind das 52 zusätzliche Stel-
len. Das finde ich erst einmal gut. Das ist eine Zahl, mit
der man etwas anfangen kann .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Darüber hinaus – das wissen wir, und das muss man
nicht dauernd betonen, aber ich sage es an dieser Stelle
noch einmal – hat der Bund seit 2015 die komplette Fi-
nanzierung des BAföGs übernommen . Damit stehen den
Ländern über 1 Milliarde Euro jährlich zur Verfügung.
Allein für Sachsen sind das über 80 Millionen Euro . Da-
mit kann man etwas anfangen . Auch damit kann man die
Stellensituation verbessern .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Und wie geht es jetzt weiter? Sicher nicht mit den
unrealistischen und durch nichts begründeten Forderun-
gen Ihres Antrags nach 100 000 zusätzlichen Stellen .
Schon aus diesem Grund können wir Ihrem Antrag so
nicht zustimmen . Unbestritten ist aber, dass die Grund-
finanzierung der Hochschulen nachhaltig verbessert wer-
den muss . Das Aufheben des Kooperationsverbotes im
Hochschulbereich gibt jetzt Möglichkeiten, und diese
Möglichkeiten sollten wir auch nutzen .

Wichtig ist – und darauf hat meine Kollegin schon
hingewiesen –, dass Personalplanung oder bestehende
Personalentwicklungskonzepte ein verbindliches För-
derkriterium bei der Bewilligung von Projektmitteln sein
müssen . Finanzielle Einschnitte zeigen dann auf jeden
Fall ihre Wirkung .

Aber, wie ich schon sagte, allein politische Initiativen
verbessern die Personalsituation noch nicht . Was wir da-
rüber hinaus brauchen – und das ist mir ganz wichtig –,
sind Präsidentinnen und Präsidenten, Rektorinnen und
Rektoren sowie Lehrstuhlinhaber, die sich als gute Ar-
beitgeber verstehen,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


und die auch alles dafür tun, um den wissenschaftlichen
Nachwuchs durch eine gute Betreuung zu wissenschaft-
lichem Erfolg zu führen . Und da haben wir noch sehr viel
Luft nach oben . Dazu gehört auch, dass man Perspek-
tiven aufzeigt; entweder innerhalb oder außerhalb der
Hochschule . Dazu zählen für mich auch Fachhochschu-
len oder Stellen in der Wirtschaft .

Für einen Wandel ist es auch wichtig, dass wir Wis-
senschaftlerinnen und Wissenschaftler haben, die nicht
nur fachlich exzellent sind, sondern sich auch gesell-
schaftspolitisch engagieren, die eben wissen, wie man
sich organisiert und wie man die eigenen Rechte im End-
effekt durchsetzt. Auch hier können wir einmal gucken,
welchen Organisationsgrad wir im wissenschaftlichen
Mittelbau haben . Der ist sehr gering . Daran liegt es auch .
Da müssen die Leute auch einmal selbst für ihre Sache
einstehen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sich mit Dreimonatsverträgen zu organisieren, ist nicht so leicht!)


Denn eines ist gewiss – damit komme ich zum
Schluss –: Nur mit motivierten und engagierten Wis-
senschaftlerinnen und Wissenschaftlern werden wir die
Innovationsfähigkeit unseres Landes auch zukünftig si-
chern . Nur mit unseren Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftlern werden wir einen Beitrag zur Bewältigung
der großen globalen Herausforderungen wie Klima-
wandel, Energieversorgung oder Digitalisierung leisten .
Dazu gehören – das ist klar – gute Arbeitsbedingungen,
Planungssicherheit und auch attraktive Karriereoptionen .

Danke .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822520000

Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege

Dr. Wolfgang Stefinger das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Simone Raatz






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Wolfgang Stefinger (CSU):
Rede ID: ID1822520100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wenn man den Antrag der Linken und seinen
Titel liest,


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Geraten Sie in Verzückung!)


dann könnte man glatt den Eindruck gewinnen, als stünde
es um unser Wissenschaftssystem richtig schlecht . Daher
schlage ich vor, dass wir uns einmal die Fakten ansehen .

Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sind
auf einem historischen Höchststand . Niemals zuvor wur-
de in Deutschland so viel in Forschung und Entwicklung
investiert . Staat und Wirtschaft haben 2015 erstmals das
3-Prozent-Ziel erreicht .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht jetzt aber um Befristung!)


Wir gehören zu den weltweiten Innovationsführern .
Nie zuvor gab es übrigens auch mehr Jobs im Bereich
Forschung und Entwicklung . Mehr als 600 000 Men-
schen sind in diesem Bereich tätig .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über 90 Prozent befristet!)


Deutschland hat eine hohe Publikationsintensität und
einen Spitzenwert bei der Exzellenzrate wissenschaftli-
cher Veröffentlichungen, und Deutschland wird auch für
ausländische Forscherinnen und Forscher immer attrak-
tiver . Ihr Anteil in den Hochschulen und außeruniver-
sitären Forschungseinrichtungen ist in den letzten zehn
Jahren erheblich gestiegen .

Sie sehen: Unser Wissenschaftssystem steht hervorra-
gend da, und das hat auch mit den richtigen politischen
Weichenstellungen der letzten Jahre zu tun .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nun wollen die Linken mit ihrem Antrag die Axt an
Grundpfeiler unseres erfolgreichen Wissenschaftssys-
tems legen .


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das Bild hatten wir heute schon einmal!)


Der Pakt für Forschung und Innovation – so steht es in
Ihrem Antrag – soll abgeschafft werden, und es soll auch
keinen Wettbewerb mehr geben . Stattdessen lesen wir
von kostenträchtigen Forderungen, verbunden mit dem
Ruf nach immer höherer Lastenübernahme durch den
Bund .

Es ist schon darauf hingewiesen worden: Fast auf den
Tag genau vor einem Jahr ist das novellierte Wissen-
schaftszeitvertragsgesetz in Kraft getreten . Die in Ihrem
Antrag genannten Zahlen beinhalten jedoch überwie-
gend nur Auswertungen bis 2014. Von daher wären Sie
gut beraten gewesen, zunächst einmal die Wirkung der
beschlossenen Vorhaben und der Gesetzesnovellierung

abzuwarten und Kritik auf eine solidere Faktenlage zu
stellen .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Also dann erst wieder 2020 etwas anfangen und bis dahin nichts machen?)


Und bitte, liebe Linken, suggerieren Sie nicht immer,
als würden sich nur die Linken oder auch die Grünen um
gute Karriereperspektiven in der Wissenschaft kümmern .
Das tun wir nämlich auch . Die Koalition hat bewiesen:
Gute Karriereperspektiven für junge Wissenschaftlerin-
nen und Wissenschaftler sind uns mindestens genauso
wichtig .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie kündigen an! – Gegenruf des Abg . Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wir kündigen nicht nur an, wir setzen es um!)


Die Koalition hat deswegen einige Initiativen auf den
Weg gebracht . Das ist schon angesprochen worden . Mit
dem neuen Tenure-Track-Programm zur Förderung des
wissenschaftlichen Nachwuchses wollen wir akademi-
sche Karrierepfade planbarer und transparenter machen,
die Anziehungskraft unseres Wissenschaftssystems wei-
ter erhöhen, aber auch die Chancengleichheit voranbrin-
gen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärken.
Wir nehmen dafür auch Geld in die Hand, nämlich über
1 Milliarde Euro .

Hier sind auch die Länder gefordert . Ich freue mich
darauf, wenn die Linken oder auch die Grünen in ihren
Landesregierungen den Beweis erbringen, ob nur gere-
det wird oder in den Landeshaushalten auch tatsächlich
gehandelt wird .

Um Fehlentwicklungen in der Befristungspraxis ent-
gegenzuwirken, haben wir – das ist schon angesprochen
worden – das Wissenschaftszeitvertragsgesetz novelliert
und eine Reform mit Augenmaß umgesetzt . Wir berück-
sichtigen die berechtigten Interessen der Beschäftigten
im Wissenschaftsbetrieb und sichern zugleich die im
Wissenschaftssystem unerlässliche Flexibilität und Dy-
namik . Unsachgemäßen Kurzbefristungen von jungen
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die uns na-
türlich auch ein Dorn im Auge sind, wollen wir mit dem
Gesetz einen Riegel vorschieben . Wir werden dann se-
hen, was die Evaluierung bringt .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Pakt
für Forschung und Innovation, den Sie in Ihrem Antrag
ansprechen und den Sie abschaffen wollen, ist ein gro-
ßer Erfolg . Er hat sich nämlich bewährt, und er wirkt .
Das hat der Monitoringbericht 2016 der Gemeinsamen
Wissenschaftskonferenz abermals bestätigt . Mit ihm
bekommen die beteiligten Wissenschaftsorganisationen
finanzielle Planungssicherheit und verpflichten sich auf
bestimmte forschungspolitische Ziele, übrigens auch auf
verlässliche Karriereperspektiven .

Für die Union ist klar: Wir wollen Leistung und Ex-
zellenz fördern und faire Chancen bieten . Unser Wis-
senschaftssystem braucht eine gewisse Flexibilität und
Dynamik, um Innovationen zu ermöglichen . Weil in den
letzten Wochen immer wieder von einem gerechten Bil-
dungssystem gesprochen und in den Medien berichtet






(A) (C)



(B) (D)


wurde, darf ich daran erinnern: Seit 2005 haben sich die
Ausgaben des Bildungs- und Forschungsministeriums
mehr als verdoppelt . In diesem Jahr stehen dem Bund für
Bildung, Wissenschaft und Forschung 17,5 Milliarden
Euro zur Verfügung. Das soll uns mal einer nachmachen!


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Schäuble kann es ja im nächsten Jahr absenken!)


Seit Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, wurde massiv
in Deutschlands Zukunft investiert, und gleichzeitig wur-
den keine neuen Schulden gemacht . Das ist gerechte Po-
litik für alle Generationen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Künftig wächst nur die Verteidigung!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822520200

Vielen Dank, lieber Kollege Stefinger. – Schönen gu-

ten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! – Ich schlie-
ße die Debatte .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/11597 an den Ausschuss für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung vorgeschla-
gen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie

Drucksache 18/11495
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind
25 Minuten für die Aussprache vorgesehen . – Ich höre
viel, aber keinen Widerspruch . Dann ist es so beschlos-
sen .

Darf ich die Kolleginnen und Kollegen bitten, sich an
der SPD zu orientieren? – Dort haben sich alle brav hin-
gesetzt und warten gespannt auf die Debatte .


(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Das sind auch nur fünf!)


Damit eröffne ich die Aussprache und gebe das Wort
dem Parlamentarischen Staatssekretär Dr . Michael
Meister .

D
Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1822520300


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Zweiten
Zahlungsdiensterichtlinie – das hört sich zunächst etwas
technisch und schwierig an . Das ist allerdings ein The-
ma, das uns alle betrifft; denn jeder von uns hat schon
im Laden oder im Internet bargeldlos gezahlt, ob nun
mit einer Debitkarte oder einer Kreditkarte, ob kontakt-
los oder mit dem Handy . Genau solche Bezahlvorgänge

werden in der Zahlungsdiensterichtlinie rechtlich gere-
gelt und fundamentiert . Wir haben in der digitalen Welt
einen massiven Wandel bzw . technologischen Fortschritt
zu verzeichnen . Deshalb müssen wir überlegen, wie wir
sowohl im Bereich des Zivilrechts als auch im Bereich
des Aufsichtsrechts dafür neue, vernünftige Rahmen-
bedingungen schaffen können. Zum Zivilrecht wird der
Kollege Lange aus dem Justizministerium etwas sagen .
Ich will mich daher auf die Themen des Aufsichtsrechts
konzentrieren .

Unser Ziel ist, den Technologiewandel zu ermöglichen
und damit neue Marktchancen zu eröffnen, die Sicher-
heit im Zahlungsverkehr trotz der neuen Entwicklungen
sicherzustellen und den Kunden bei dieser Entwicklung
so zu schützen, dass er nicht Gefahr läuft, sein Geld zu
verlieren . Im Aufsichtsrecht sehen wir deshalb drei Din-
ge vor .

Erstens . Diejenigen, die als Zahlungsdienstleister auf-
treten, und diejenigen, die mit Kontoinformationen han-
deln, werden in Zukunft der Finanzaufsicht, der BaFin,
unterstellt . Bislang unterstehen diese Dienstleister nicht
der Aufsicht . Nun machen wir einen qualitativen Sprung,
um die weißen von den nicht weißen Schafen zu trennen
und um für Ordnung auf diesem Feld zu sorgen .

Zum Zweiten verpflichten wir kontoführende Banken,
diesen Dienstleistern in Zukunft Informationen über die
Konten verfügbar zu machen . Das heißt, sie müssen ei-
nen Zugang ermöglichen, allerdings natürlich nur dann,
wenn der Kontoinhaber in diesen Zugang eingewilligt
hat und wenn die IT-Sicherheit und der Datenschutz si-
chergestellt sind – der Datenschutz deshalb, damit die
Konteninformationen nicht in falsche Hände gelangen,
und die IT-Sicherheit, damit sich kein unbefugter Dritter
zu Informationen oder dem Konto selbst Zugang ver-
schaffen kann.

Wir glauben, dass durch den Ansatz, diesen Dienst-
leistern einen Rechtsanspruch auf Zugang zu gewähren,
in Deutschland neue Geschäftsmodelle ermöglicht wer-
den und die Kunden, die diese neuen Geschäftsmodelle
nutzen, damit am Ende des Tages einen gewissen Mehr-
wert haben .

Für die Sicherheit von Zahlungen werden bei der Au-
thentifizierung des Kunden mindestens zwei Kompo-
nenten verlangt . Um das einmal anschaulich zu machen:
Wir haben heute sehr oft einen Zahlvorgang, bei dem wir
die EC-Karte nutzen und zusätzlich eine Nummer ein-
geben müssen . Das sind zwei voneinander unabhängige
Komponenten . Beim Zahlvorgang im Internet haben wir
auch die Karte und eine TAN, die die Unterschrift ersetzt .
Diesen Zwei-Komponenten-Vorgang wollen wir für die
Sicherheit festschreiben .

Das Ganze wird mit einer EU-Verordnung verzahnt,
in der dieser Zahlungsvorgang im EU-Raum einheitlich
geregelt ist, sodass sich die Bürger jenseits dessen, was
wir national umsetzen, darauf verlassen können, dass es
einen einheitlichen Ansatz im gesamten EU-Raum gibt .
Ich glaube, das ist ein vernünftiger Weg .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Wolfgang Stefinger






(A) (C)



(B) (D)


Wir versuchen, die Marktchancen und die neuen Tech-
nologieentwicklungen auf der einen Seite mit der Sicher-
heit des Zahlungsverkehrs und dem Kundenschutz auf
der anderen Seite in eine ausgewogene und vernünftige
Balance zu bringen .

Wir haben die Aufgabe, diese Richtlinie bis zum Ja-
nuar kommenden Jahres umzusetzen . Da könnte man
sagen: Na ja, wir könnten eigentlich geruhsam die Bun-
destagswahl abwarten und dann an die Umsetzung he-
rangehen . – Ich glaube allerdings, wenn man sich den
Kalender anschaut, stellt man fest, dass es klug ist, sich
dieser Aufgabe noch vor Ende der Legislaturperiode zu
stellen. Dazu möchte ich Sie herzlich einladen und hoffe
auf gute Beratungen .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822520400

Vielen Dank, Dr. Meister. – Jetzt stellt sich bei uns

hier oben die Frage, ob es neben den weißen und den
schwarzen Schafen auch die nicht weißen gibt? Also sind
die nicht weißen Schafe schwarze, oder ist da noch ir-
gendetwas zwischen?


(Margaret Horb [CDU/CSU]: Die sind noch grün hinter den Ohren!)


– Grüne Schafe? Nein! – Aber Sie sehen, wir lauschen
interessiert Ihrer Rede .

Nächste Rednerin: Susanna Karawanskij für die Lin-
ke .


(Beifall bei der LINKEN)



Susanna Karawanskij (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822520500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und

Kolleginnen! Sperriger Titel: Zahlungsdiensterichtlinie .
Das klingt kompliziert, geht uns aber alle etwas an .

Drei Ziele sollen mit diesem Gesetz verfolgt werden:
Innovationen im Zahlungsverkehr sollen gefördert, die
Sicherheit von Zahlungen soll verbessert und vor allen
Dingen sollen die Rechte der Kunden von Zahlungs-
dienstleistern gestärkt werden .

Zentral in der Debatte ist der Datenzugang für Dritt-
anbieter . Geldanbieter müssen ab 2018 Wettbewerbern
wie sogenannten FinTechs sowie anderen Zahlungs-
dienstleistern sämtliche Konteninformationen zugäng-
lich machen und dann entsprechend die Zahlungsaufträ-
ge weiterleiten . Das ist gewiss innovativ . Wie sicher und
kundenfreundlich das in der Praxis tatsächlich ist, wird
sich erst noch erweisen müssen .

Die Zahlungsdienstleister, also die kontoführenden
Banken, müssen zukünftig zwei bisher gesetzlich nicht
regulierten Dienstleistern den Zugang zum Konto ge-
währen, zum einen den Zahlungsauslösedienstleistern,
die eine Erlaubnis benötigen, und zum anderen den Kon-
toinformationsdienstleistern, die bei der Aufsichtsbehör-
de registriert werden müssen . In beiden Fällen besteht
für die Banken eine gesetzliche Pflicht, den Zugang zum
Konto online zu gewährleisten .

Wir kennen alle Fälle – vielleicht sind wir sogar selbst
schon Opfer davon geworden –, bei denen sich Unbe-
fugte mit immer wieder neuen Tricks Zugang zu Konten
verschafft haben. Das wird dann als Phishing, Hacking,
Skimming usw . bezeichnet .

Die Umsetzung dieses Gesetzes birgt Risiken . Bis
heute bestehen genau an der Schnittstelle zu den Kun-
denkonten zu wenig sichere Standards, bzw . es sind noch
keine festgesetzt worden . Dies ist ein erhebliches Risiko
für die Konteninhaber . Mit Sicherheitslücken im On-
lineverkehr werden wir uns auch weiterhin beschäftigen
müssen .

Wir müssen auch akribisch auf den Datenschutz
schauen. Dazu gehört, dass wir darauf achten, dass Ver-
fahren wie Screen Scraping weiterhin nicht erlaubt sind .
Um das kurz zu erklären: Dabei wird zum Beispiel ein
Drittanbieter im Account des Verbrauchers selber tätig
und löst dabei einen Zahlungsvorgang aus . Damit ent-
steht so etwas wie eine vorübergehende Identitätsaneig-
nung . Das ist problematisch . Da muss man ganz genau
schauen, wie sich das gestaltet, gerade im Bereich des
Datenschutzes . Wir müssen auch schauen, dass solche
FinTechs, wie ich sie gerade beschrieben habe, nicht so
etwas werden wie eine Quengelware, etwas, was wir von
den Supermarktkassen kennen .

Man muss es sich einmal vorstellen: Dienstleistungs-
anbieter könnten sensible Daten auslesen oder auswerten;
dann meldet sich selbstständig eine App und sagt: Guten
Tag, Herr Murmann, ich habe gesehen, Sie haben noch
keinen Riester-Vertrag. Wie wäre es denn hiermit? – Wir
müssen also aufpassen, dass Kontoinformationsdienst-
leister nur auf Informationen, die der Nutzer tatsächlich
gegeben hat, und auf in diesem Zusammenhang stehende
Zahlungsvorgänge zugreifen können .


(Beifall bei der LINKEN)


Das liest sich auf dem Papier erst einmal ziemlich gut .
Laut Text dürfen sensible Zahlungsdaten für keinen an-
deren als für den vom Nutzer ausdrücklich geforderten
Zweck angefordert werden . Es darf auf keine anderen
Daten zugegriffen werden, und sie dürfen auch nicht ge-
speichert werden . Der Zahlungsauslösedienstleister darf
nur eine Zahlung des Bankinstituts anstoßen und selber
nicht über das Konto verfügen . Besagter Dienstleister
darf die Zahlungsdaten der Kunden nicht an Dritte wei-
tergeben .

Ich möchte das Augenmerk noch darauf lenken – das
ist sozusagen das, was im Gesetzentwurf festgeschrieben
ist –, dass diese enge Zweckbindung bestehen bleibt und
dass wir hier nur ganz enge Räume schaffen, damit dem
Missbrauch vorgebeugt werden kann .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte noch auf einen Punkt eingehen. Ich hoffe
sehr, dass sich folgender positiver Aspekt im Gesetzge-
bungsverfahren durchsetzt: die geringe Haftungsgrenze
für Verbraucher, wenn es um nicht autorisierte Karten-
zahlungen geht . Bislang mussten Kunden 150 Euro aus
eigener Tasche zahlen . Künftig kann die Bank vom Kon-
toinhaber höchstens 50 Euro Schadensersatz verlangen .
Somit würde den Kunden nicht mehr unterstellt, dass sie

Parl. Staatssekretär Dr. Michael Meister






(A) (C)



(B) (D)


grob fahrlässig gehandelt haben, etwa weil sie ihre PIN
neben ihrer Bankkarte liegen ließen. Ich hoffe sehr, dass
sich im Gesetzgebungsverfahren durchsetzt, dass künftig
die Banken den Kunden nicht grobe Fahrlässigkeit oder
Vorsatz unterstellen können, sondern dass die Banken
ebendiese beweisen müssen .

Wir Linken schreiben bei allen notwendigen Innovati-
onen die Sicherheit von Zahlungen und den Verbraucher-
schutz ganz groß .

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822520600

Vielen Dank, Frau Kollegin Karawanskij. – Nächster

Redner: der Parlamentarische Staatssekretär Christian
Lange .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


C
Christian Lange (SPD):
Rede ID: ID1822520700


Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Wir alle haben es bei Bestellungen im In-
ternet sicher schon selbst gemerkt: Die Möglichkeiten,
schnell und unkompliziert zu zahlen, sind größer gewor-
den. Vielleicht haben wir uns aber auch schon einmal
gefragt, was eigentlich passiert, wenn bei diesen Vorgän-
gen etwas schiefgeht . Wer haftet eigentlich, wenn eine
Zahlung ausgelöst wurde, die die betreffende Person gar
nicht autorisiert hat? Wer trägt die Beweislast? Das klang
gerade eben an . Wie und von wem bekommen wir unser
Geld zurück, wenn außer der Bank noch ein sogenannter
Zahlungsauslösedienst in den Zahlungsvorgang einge-
schaltet war?

Dass Verbraucher vor unautorisierten Zahlungen oder
Fehlüberweisungen auch in den Fällen, in denen sie auf
neue Zahlungsdienste zurückgreifen, geschützt werden,
ist von großer Bedeutung; denn die Öffnung des Marktes
für neue Dienstleistungen, so wünschenswert sie ist, soll
nicht dazu führen, dass neue Risiken auf Verbraucherin-
nen und Verbraucher abgewälzt werden.

Zu dem Thema Zahlungssicherheit hat Ihnen mein
Kollege aus dem Bundesfinanzministerium Dr. Meister
die aufsichtsrechtlichen Regelungen bereits erläutert .
Mit dem zivilrechtlichen Teil des Ihnen nun vorliegenden
Gesetzentwurfes gliedern wir die Zahlungsauslösediens-
te in das bestehende zivilrechtliche Haftungsregime ein .
Der Kontoinhaber kann sich bei nicht autorisierten Zah-
lungen grundsätzlich weiter an sein Kontoinstitut halten,
das wiederum – auch das wird in Zukunft rechtssicher
geregelt sein – bei dem Zahlungsauslösedienst Regress
nehmen kann . Damit wird vermieden, dass Kontoinhaber
von einem Zahlungsdienstleister an den anderen verwie-
sen werden und am Ende leer ausgehen . Das wollen wir
nicht .


(Beifall bei der SPD)


Darüber hinaus, meine Damen und Herren, gibt es
weitere wesentliche Verbesserungen für Verbraucherin-

nen und Verbraucher: Händler und Dienstleister dürfen in
Zukunft in vielen Fällen keine Gebühren mehr dafür ver-
langen, dass ihre Kunden mit SEPA-Überweisung, SE-
PA-Lastschrift oder einer gängigen Kreditkarte bezahlen .

In Deutschland kann man sich eine Lastschrift ohne
Angabe von Gründen binnen acht Wochen erstatten las-
sen . Dieses sogenannte bedingungslose Erstattungsrecht
war bislang vertraglich geregelt und hat ganz wesent-
lich zur Akzeptanz des Lastschriftverfahrens bei uns in
Deutschland beigetragen . Es wird jetzt ausdrücklich ge-
setzlich geregelt und gilt in Zukunft europaweit .

Für nicht autorisierte Zahlungen haften Zahler der-
zeit zwar begrenzt, aber immerhin noch in Höhe von
150 Euro . Dieser Betrag wird nunmehr auf 50 Euro ab-
gesenkt .

Weiter, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird der
Kunde bei missbräuchlicher Nutzung seiner abhanden-
gekommenen Zahlungskarte besser geschützt . Die Bank
muss in Zukunft unterstützende Beweismittel vorlegen,
wenn sie behauptet, dass der Kunde den Missbrauch vor-
sätzlich oder grob fahrlässig ermöglicht hat .

Bei Fehlüberweisungen ist es für den Überweisenden
oft schwierig, den Geldbetrag zurückzuerhalten . Sein ei-
gener Zahlungsdienstleister muss ihn hierbei unterstüt-
zen . Mit dem Gesetzentwurf wird jetzt auch die Bank des
Empfängers verpflichtet, die notwendigen Informationen
mitzuteilen, damit der Zahler sein Geld zurückerhält .

Also, meine Damen und Herren: eine gute Sache –
eine gute Sache für Verbraucherinnen und Verbraucher.
Deshalb darf auch ich Sie um Unterstützung des Gesetz-
entwurfs der Bundesregierung bitten .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822520800

Vielen Dank, Christian Lange. – Nächster Redner:

Dr . Gerhard Schick für Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822520900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

ist schon angeklungen: Was die Umsetzung der Zweiten
Zahlungsdiensterichtlinie beinhaltet, hat eine große Pra-
xisrelevanz . Es gibt ganz viele Details und Hintergründe,
mit denen wir uns am liebsten nicht beschäftigen . Wir
als Gesetzgeber müssen uns aber sehr intensiv damit be-
schäftigen, damit es nachher im Alltag möglichst wenig
Ärger oder Geldverlust gibt .

Das Umsetzungsgesetz ist da im Kern auf dem richti-
gen Weg. Vieles ist vorgegeben. Es sind auch schon viele
Aspekte genannt worden, auf die zu achten ist . Ich will
ein Beispiel nehmen, eine Flugbuchung im Internet: Sie
suchen Ihre Flugstrecke, vergleichen die Preise, wählen
das günstigste Angebot, klicken durch den Buchungs-
prozess und wollen mit der Kreditkarte bezahlen . Dann
gibt es plötzlich einen Aufschlag . Zum Flugpreis kommt
noch die Optional Payment Charge dazu . Es wird alles
etwas teurer und intransparent . Dann überlegen Sie, ob
Sie noch einmal von vorne anfangen. Vielleicht ist dann

Susanna Karawanskij






(A) (C)



(B) (D)


aber das Angebot plötzlich weg, und der Preis ist nicht
mehr derselbe wie vorher . – Es stellt sich also die Fra-
ge: Was ist eigentlich das richtige Zahlungsmittel? Viele
Verbraucher gehen den einfachen Weg und bleiben auf
höheren Kosten als notwendig sitzen . Da für einen guten
Rahmen für Verbraucherinnen und Verbraucher zu sor-
gen, ist richtig und notwendig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Problem beschränkt sich nicht auf Flugbuchungen,
sondern das gibt es bei jeder Art von Transaktion .

Das ist allerdings nur eine der Neuerungen, die wir
jetzt in deutsches Recht umsetzen sollen . Die Richtli-
nie beinhaltet einen Strauß von Neuerungen, die den
gemeinsamen Zahlungsverkehrsraum vorantreiben und
Zahlungen für den Verbraucher grenzüberschreitend ein-
facher und billiger machen . Derzeit betragen die Kosten
bei den Verbrauchern für Zahlungen in der Europäischen
Union immer noch knapp 130 Milliarden Euro . Da sind
also durch die Europäisierung für Verbraucherinnen und
Verbraucher richtig viele Vorteile herauszuholen.

Gleichzeitig schafft die Richtlinie für bestimmte Innova-
tionen, die sich am Markt etabliert haben, einen Rechts-
rahmen, sodass diese nicht länger in einem Graubereich
agieren müssen . Das ist wichtig; denn diese neuen Me-
thoden – das ist schon genannt worden – verlangen uns
sensible Daten ab . Sogenannte Zahlungsauslösediens-
te – den meisten in Form der Sofortüberweisung be-
kannt – werden immer häufiger angeboten und genutzt.
Die Händler bekommen eine sofortige Zahlungsgarantie .
Der Kunde benötigt weder eine Kreditkarte noch einen
anderen Service, sondern nur ein ganz normales Bank-
konto . Er muss noch nicht einmal die Homepage seiner
Bank besuchen, sondern kann alles über die Händlersei-
te abwickeln . Das alles ist sehr praktisch . Doch diesen
praktischen Möglichkeiten steht eben auch ein Miss-
brauchspotenzial und – das ist schon angedeutet wor-
den – die Frage gegenüber: Was geschieht denn, wenn
etwas schiefgeht? Wer haftet dann? Ist es das Kreditin-
stitut, der Zahlungsauslösedient oder der Händler? Oder
bin ich als Verbraucher letztlich derjenige, an dem die
Kosten hängen bleiben? Deswegen ist es notwendig, dass
wir jetzt auch bei der Umsetzung in Bezug auf die Details
noch einmal darauf achten, dass es gerade nicht die Ver-
braucherin oder der Verbraucher ist – sie haben häufig
die geringste Kenntnis –, welche bzw . welcher nachher
die Lasten trägt .

Wir wollen uns dafür einsetzen, dass es bei allen Be-
teiligten in der Kette immer einen Anreiz gibt, sich für
die Lösung einzusetzen, bei der es am wenigsten Miss-
brauchspotenzial gibt . Das ist nicht ganz trivial; denn
heute ist es ja häufig so, dass es für die Anbieter gar kei-
nen Anreiz gibt, das möglichst sicher zu machen, weil sie
selber so nachher keinen Schaden haben .

Das ist jetzt genau die Linie, die wir finden müssen:
Wir müssen für Innovationen offen sein, gleichzeitig den
bürokratischen Aufwand gering halten und das Miss-
brauchspotenzial eindämmen . Darauf werden wir jetzt
bei den Diskussionen über die Umsetzung achten .

Danke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822521000

Vielen Dank, Gerhard Schick. – Nächster Redner ist

Matthias Hauer für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Matthias Hauer (CDU):
Rede ID: ID1822521100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir beginnen heute mit den Beratungen zur deut-
schen Umsetzung der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie
der EU. Damit stärken wir die Rechte der Verbraucherin-
nen und Verbraucher. Wir passen den Rechtsrahmen an
den technologischen Fortschritt an . Wir fördern Innova-
tion und sorgen für mehr Sicherheit im Zahlungsverkehr .
Dafür werden wir das Aufsichtsrecht und das Zivilrecht
ändern . Gerade die Regelungen bzw . Änderungen im
Bürgerlichen Gesetzbuch werden für Verbesserungen für
Verbraucherinnen und Verbraucher sorgen. Die Details
dazu haben gerade die Parlamentarischen Staatssekretäre
Herr Dr . Meister und Herr Lange ausgeführt .

Wir werden die parlamentarischen Beratungen aber
auch dazu nutzen, noch einmal auf die Auswirkungen des
Kleinanlegerschutzgesetzes aus dem Jahr 2015 zu sehen .
Und wir werden uns die Regelungen zur Finanzierung
durch Crowdfunding im Detail anschauen . Dazu gab es
eine Evaluierung durch die Bundesregierung . Auch die
Ergebnisse daraus werden wir in dieses Gesetz mit ein-
fließen lassen.

„Geld ist geprägte Freiheit“ . Das sagte der russische
Schriftsteller Dostojewski bereits im 19 . Jahrhundert .
Das Zitat ist, zugegeben, etwas abgegriffen – wie viel-
leicht auch die eine oder andere Euro-Münze, die Sie
heute im Portemonnaie dabei haben . Es stimmt aber noch
heute . Dostojewski meinte keine Bitcoins und kein Gi-
ralgeld, er meinte Bargeld . Bargeld ist mehr als geprägte
Freiheit . Es ist auch gelebter Datenschutz . Jeder soll auch
weiterhin frei entscheiden können, ob er lieber bar oder
bargeldlos bezahlt . Die Freiheit des Bargeldverkehrs ist
uns sehr wichtig .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gerade der Onlineeinkauf kommt am bargeldlosen
Zahlungsverkehr aber nicht vorbei . Egal ob am Compu-
ter, über Smartphone, per App oder auf anderem Wege:
Innovative Unternehmen haben für jede Menge techni-
schen Fortschritt gesorgt . Es gibt viele neue Dienstleister,
die bisher in einem aufsichtsrechtlichen Graubereich tä-
tig waren . Das ändern wir jetzt . Wir sorgen für eine Auf-
sicht durch die BaFin . Im Übrigen stärken wir mit dem
Gesetz auch den Verbraucherschutz und die Sicherheit
bei bargeldlosen Zahlungen .

Wer häufig online einkauft oder bucht, kennt den Be-
griff „Zahlungsmittelentgelt“. Gerade der sorgt für viel
Frust bei Kundinnen und Kunden sowie für Zusatzkos-
ten . Herr Dr . Schick von den Grünen hat das gerade am
Beispiel einer Flugbuchung deutlich gemacht . Ich neh-

Dr. Gerhard Schick






(A) (C)



(B) (D)


me einmal das Beispiel einer Bahnkartenbuchung . Wie
läuft sie ab? Man sucht sich eine Bahnverbindung heraus
und schaut, zu welcher Uhrzeit man fahren möchte . Man
durchforstet mehrere Ticketoptionen und sucht sich ei-
nen Sitzplatz in einem bestimmten Abteil aus . Man gibt
seine persönlichen Daten – den Namen und die Adres-
se – ein . Und ganz am Ende, nachdem man alles mühsam
eingegeben hat, stellt man fest: Wenn man mit einer Kre-
ditkarte bezahlt, wird es teuer . Man wird bei Bahnfahrten
mit bis zu 3 Euro zur Kasse gebeten . Bei Flugbuchungen
können es – da ergänze ich den Kollegen Dr . Schick ger-
ne – schnell 10 Euro, 20 Euro oder noch mehr werden .
Bei Hotelbuchungen oder im Onlinehandel ist das oft
ähnlich .

Wir machen damit nun Schluss . Bei Zahlungen per
Überweisung, per Lastschrift oder mit gängigen Kredit-
karten wird es kein Zahlungsmittelentgelt mehr geben .
Das führt auch zu mehr Transparenz beim Preisvergleich .


(Beifall bei der CDU/CSU – Richard Pitterle [DIE LINKE]: Nur Bares ist Wahres!)


– Herr Pitterle, Sie haben das richtig erkannt: Nur Ba-
res ist Wahres . Das ist nur manchmal im Internet etwas
schwierig .

Mehr Verbraucherschutz schaffen wir aber auch für
alle Bankkunden . Die Rückbuchung von Lastschriften
wird verbraucherfreundlicher ausgestaltet . Gleiches gilt
auch für die Haftung bei nicht autorisierten Zahlungs-
vorgängen, zum Beispiel beim Kreditkartenmissbrauch .
Auch diese Neuregelungen kommen Verbraucherinnen
und Verbrauchern zugute. Wir werden die anstehenden
Beratungen dazu nutzen, die noch offenen Fragen zu klä-
ren . Wir werden uns intensiv austauschen mit Experten,
mit den betroffenen Verbänden, mit Verbraucherschüt-
zern . Dabei stehen für uns der sichere Zahlungsverkehr,
ein hohes Maß an Datenschutz und verbraucherfreund-
liche Lösungen im Vordergrund. Gleichzeitig wollen
wir aber auch Raum lassen für weitere Innovationen im
Bereich des Zahlungsverkehrs, für neue kundenorientier-
te Dienstleistungen und für zusätzliche Arbeitsplätze in
diesem Bereich in Deutschland .

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822521200

Vielen Dank, Matthias Hauer. – Der letzte Redner in

dieser Debatte: Dr . Jens Zimmermann für die SPD-Frak-
tion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Jens Zimmermann (SPD):
Rede ID: ID1822521300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um die

Verwirrung, die mein Vorredner in die Debatte hineinge-
bracht hat, aufzulösen:


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Matthias Hauer [CDU/CSU]: Ich erkläre Ihnen das gleich noch mal!)


Man hätte schon glauben können, wir reden über die Bar-
geldzahlungsrichtlinie . Das machen wir aber nicht, mei-
ne Damen und Herren, sondern wir reden heute über die
Umsetzung der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie der
EU . Dabei geht es eben nicht um Bargeld, sondern um
bargeldlose Überweisungen .


(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Die SPD zahlt nur bargeldlos!)


Ich glaube, das ist ein sehr wichtiger Schritt, den wir hier
machen . Das kann ich Ihnen als Digitalpolitiker einerseits
und Finanzpolitiker andererseits sagen . Wir haben gerade
in diesem Feld eine sehr dynamische Entwicklung . Das
Thema FinTech ist angesprochen worden, wobei man da
aufpassen muss: Nicht jedes Unternehmen, das irgendet-
was mit Internet macht, ist auch gleich ein FinTech . Aber
das ist ein anderes Thema . Ich will auf zwei Punkte aus
dem Gesetzentwurf eingehen, die meiner Meinung nach
sehr wichtig sind .

Das Verbot von Aufschlägen, Surcharging genannt – es
muss ja heute alles einen britischen oder amerikanischen
Namen haben –, ist eben schon angesprochen worden .
Hier gibt es ganz klar eine Lücke im Verbraucherschutz,
wenn Menschen, die Buchungen vornehmen, egal ob sie
jetzt mit der Bahn oder mit dem Flugzeug reisen, darüber
getäuscht werden, was dieser Flug oder diese Bahnfahrt
eigentlich kostet . Damit machen wir jetzt Schluss . Jeder
weiß jetzt: Der Preis, der am Anfang steht, ist auch das,
was ich am Ende zahlen muss . Das ist, glaube ich, ein
ganz wichtiger Schritt für den Verbraucherschutz, den
wir an dieser Stelle machen .


(Beifall bei der SPD – Dr . Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Das war jetzt aber sehr verwirrend!)


Damit kommen wir zum zweiten Teil, dem gesamten
Bereich der sogenannten Zahlungsdienste, der Auslöse-
dienste, der Informationsdienste. Im Bereich des Ver-
braucherschutzes gilt: Geben Sie niemandem Ihre PIN .
Und was machen viele Leute heute? Sie geben ihre PIN
im Internet auf der Seite eines Drittanbieters ein . Sie ma-
chen also genau das, wovor man sie immer gewarnt hat,
nämlich fahrlässig diese Geheimzahl herauszugeben . Das
Umsetzungsgesetz greift dieses Problem auf . Wir fangen
an, diesen Bereich neu zu regeln . Das heißt: Wenn sich
ein Anbieter zwischen den Kunden und die Bank setzt,
um Zahlungen, zum Beispiel in einem Onlineshop, abzu-
wickeln, dann muss dieser Anbieter auch reguliert wer-
den, dann muss er die gleichen Sicherheitsanforderungen
erfüllen wie eine Bank . Auch das greifen wir in diesem
Umsetzungsgesetz auf, meine Damen und Herren .

Ich glaube, wir werden in den weiteren Beratungen
noch an der einen oder anderen Stelle wie immer ein
bisschen herumschrauben . Aber mein Eindruck bis jetzt
ist, dass wir da eine sehr gute Vorlage aus den beiden
Ministerien bekommen haben und dass wir weit vor dem
Januar 2018 zu einem Abschluss kommen .

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Matthias Hauer






(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822521400

Vielen Dank, Dr. Zimmermann. – Ich schließe die

Aussprache, bedanke mich für eine wirklich spannende
Debatte – viel gelernt – und wünsche Ihnen gute wei-
tere Verhandlungen im Ausschuss über diesen wichtigen
Entwurf .

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfes auf Drucksache 18/11495 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Es gibt
keine anderweitigen Vorschläge dazu. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe (17 . Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Tom Koenigs, Claudia Roth

(Augsburg), Uwe Kekeritz, weiterer Abgeord-

neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Rechte indigener Völker stärken durch Ratifi-
kation der ILO-Konvention 169

Drucksachen 18/4688, 18/11569

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort an
Frank Schwabe für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1822521500

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Verehrte Damen und Herren! Was haben der Protest der
Sioux gegen eine Ölpipeline in Dakota in den USA, die
Proteste ecuadorianischer indigener Gemeinden gegen
chinesische Investitionen, und der Mord an Berta Caceres
aus Honduras, die als Angehörige der indigenen Volks-
gruppe der Lenca gegen ein Staudammprojekt gekämpft
hat, gemeinsam? Das sind drei Beispiele dafür, wie die
Rechte von mindestens 370 Millionen Indigenen welt-
weit gefährdet sind und wie sie missachtet werden . Da-
mit das geändert wird, gibt es die ILO-Konvention 169 .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Damit es da gar keine Missverständnisse gibt: Die So-
zialdemokratische Fraktion ist dafür, dass wir diese Kon-
vention ratifizieren, weil es eigentlich – das werden wir
vielleicht in der Debatte hören –, inhaltlich jedenfalls,
keine Argumente dagegen gibt .

Reisen bildet . Der Deutsche Bundestag hat Ende des
Jahres 2015 eine Delegation nach Mexiko und nach Peru
entsandt . Der Kollege Tempel war zum Beispiel dabei .
Wir haben uns dort intensiv mit der ILO-Konvention 169
auseinandergesetzt . Ich empfehle all denjenigen, die viel-
leicht noch nicht überzeugt sind, mit den Stiftungen der
Parteien zu reden, zum Beispiel mit der Konrad-Adenau-
er-Stiftung . Diese hat uns sehr nachvollziehbar dargelegt,

wie sinnvoll diese ILO-Konvention 169 ist und dass es
sinnvoll ist, sie auch in Deutschland zu ratifizieren.

Wie schützen wir die Rechte von Indigenen? Wie
schützen wir die indigene Lebensweise? Wie schaffen
wir es, dass Nachteile, die indigene Völker durch Groß-
infrastrukturprojekte, durch den Abbau von Rohstoffen
haben, ausgeglichen werden? Wie bekommen wir es hin,
dass Konflikte um das von vielen Indigenen als heilige
Land empfundene Gebiet vernünftig gelöst werden kön-
nen? Dafür bietet die ILO-Konvention 169 besondere
Aushandlungs- und Entscheidungsinstrumente, mit de-
nen man schauen kann, wie man bei solchen Großpro-
jekten, zum Beispiel bei Staudämmen oder Ölpipelines,
die Rechte Indigener sichert, wie man einen intelligenten
Aushandlungsprozess hinbekommt . Deswegen macht die
Ratifizierung jetzt Sinn.

Die ILO-Konvention 169 ist das einzige völker-
rechtlich verbindliche Dokument, das die Rechte von
Indigenen anerkennt . Die UN-Sonderberichterstatterin
für die Rechte indigener Völker Victoria Tauli-Corpuz
drängt auf eine schnelle Umsetzung . Mittlerweile haben
22 Staaten weltweit die ILO-Konvention 169 ratifiziert,
davon drei Staaten der Europäischen Union – die Nie-
derlande, Dänemark und Spanien –, auch Norwegen, ein
Nicht-EU-Land, aber ein europäisches Land . Auch Lu-
xemburg ist auf dem Weg . Deswegen ist die Frage, wa-
rum Deutschland dies eigentlich nicht tun sollte, gerade
vor dem Hintergrund, dass die deutsche Bundesregierung
einen Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und Men-
schenrechte“ verabschiedet hat, in dem diese Konvention
genannt wird .

Was den Bundestag betrifft, haben wir uns mit dem
Thema oft beschäftigt . Es gibt einen Antrag von Rot-
Grün, auf den sicherlich gleich noch einmal Bezug ge-
nommen wird, aus dem Jahre 2011 . Wer den Antrag der
Grünen liest, dem kommt vieles bekannt vor – aus dem
Antrag von 2011 .

Wir haben einen ähnlichen Antrag formuliert, haben
ihn dem Koalitionspartner schon zugeleitet . Es liegt am
Ende an Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen des Ko-
alitionspartners, ob wir im Deutschen Bundestag noch
zu einer gemeinsamen Beschlussfassung kommen kön-
nen . Der Bundesrat hat sich bereits klar positioniert und
hat uns bereits im Jahr 2015 aufgefordert, einen solchen
Ratifikationsprozess einzuleiten. Ich will aber auch sa-
gen, dass wir Sozialdemokraten uns selbstverständlich
an den Koalitionsvertrag gebunden fühlen und am Ende
nur gemeinsam mit dem Koalitionspartner – und den
Oppositionsfraktionen – zu einer solchen Entscheidung
kommen können . Wir Sozialdemokraten – ich sage es
noch mal – sind aber entschieden der Meinung, dass wir
dem Wunsch des Bundesrates nachkommen und end-
lich – nach einem wirklich langen und zähen Prozess und
zähen Diskussionen hier im Deutschen Bundestag über
viele Jahre hinweg – diese Entscheidung treffen sollten.

Die Bundesländer haben in ihrer Entschließung deut-
lich gemacht, dass es indigene Völker im Sinne der
ILO-Konvention 169 in Deutschland gar nicht gibt . Das
stimmt zweifellos. Dennoch tragen wir besondere Ver-
antwortung für die indigenen Gruppen weltweit – gerade






(A) (C)



(B) (D)


in den Ländern, in denen Menschen von Infrastruktur-
projekten betroffen sind, die zum Beispiel von deutschen
Unternehmen auf den Weg gebracht werden . So etwas
haben wir zum Beispiel in Peru; da geht es um Kupfer-
abbau und anderes . Insofern tragen wir eine besondere
Verantwortung.

Wir könnten also ein deutliches Zeichen setzen, ein
Zeichen der Solidarität mit den indigenen Völkern in der
Welt . Die Niederlande haben es gemacht, andere Länder
haben es gemacht . Warum sollten wir das nicht können?
Wir könnten ein Beispiel geben und unsere Glaubwür-
digkeit untermauern . Gerade wenn Gruppen aus den ent-
sprechenden Ländern zu uns kommen oder wir in diese
Länder fahren, um dort für Menschenrechte zu werben,
täte es unserer Glaubwürdigkeit und unserem Engage-
ment gut, wenn wir sagen könnten: Ja, in Deutschland
haben wir diese ILO-Konvention ratifiziert.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822521600

Vielen Dank, Frank Schwabe. – Nächste Rednerin:

Annette Groth für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Annette Groth (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822521700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Frank, dann drücke ich
doch die Daumen, dass ihr euren Koalitionspartner noch
überzeugen könnt, diese wichtige Konvention zu ratifi-
zieren .


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Da helfen Sie mal!)


Das wäre wirklich ein toller Akt .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . Karamba Diaby [SPD]: Macht mal!)


Ich finde, es ist schon sehr schändlich, dass sich die
Bundesregierung bislang immer geweigert hat, diese so
wichtige Konvention zu ratifizieren. Denn es geht, wie
schon gesagt, um den unglaublich wichtigen Schutz für
indigene Völker. Viele wissen es ja nicht – du hast es
gesagt –: 370 Millionen Menschen in 90 Staaten gehören
indigenen Völkern an. In ihren Lebensräumen befinden
sich mehr als 60 Prozent der weltweit begehrtesten Roh-
stoffe. Deshalb muss davon ausgegangen werden, dass
die Weigerung der Bundesregierung dazu dient, wirt-
schaftliche Interessen der international agierenden Roh-
stoffkonzerne vor die Interessen der indigenen Völker zu
stellen . Das ILO-Abkommen beinhaltet auch UN-Min-
deststandards für die Konsultation indigener Völker,
wenn Projekte auf ihrem Land umgesetzt werden sollen .

Die Begründung der Bundesregierung für die Nicht-
ratifizierung ist, gelinde gesagt, relativ lächerlich; denn
als Grund wird angegeben, dass es auf dem deutschen
Staatsgebiet keine indigenen Völker gebe und dass

Deutschland daher von dem Abkommen nicht betroffen
sei. Darum geht es aber nicht. Die Ratifizierung durch
Deutschland würde dem Abkommen international mehr
Gewicht verleihen, und die Regierung würde sich gleich-
zeitig verpflichten, in ihren Außenwirtschaftsbeziehun-
gen die ILO-Konvention zu beachten . Wie gesagt: Dies
würde aber die Rohstoffinteressen deutscher Konzerne
berühren . Das scheint der eigentliche Hintergrund der
Weigerung zu sein .

Ich möchte hier zwei Beispiele nennen:

Beispiel Amazonas . Durch den exzessiven Anbau von
Soja, Mais und Zuckerrohr schrumpft der Amazonas-Re-
genwald immer schneller . Damit wird immer mehr Le-
bensraum von indigenen Völkern zerstört. Es entstehen
riesige Monokulturen, deren Erträge dann als Futtermit-
tel für die Massentierhaltung in den Staaten der EU oder
für Biodiesel eingesetzt werden . Allein für die Massen-
tierhaltung in Deutschland werden mehr als 10 Millio-
nen Hektar Land außerhalb Deutschlands benötigt, um
darauf die Futtermittel für die Turboschweine und die
Hochleistungskühe zu produzieren . Würde Deutschland
die ILO-Konvention ratifizieren, müssten diese Landzer-
störung und der Landraub zumindest überprüft werden,
wenn wir ihn schon nicht stoppen können .

Beispiel Palmölanbau . Etwa 85 Prozent der weltwei-
ten Palmölerträge kommen aus Indonesien und Malaysia .
Von dem exzessiven Anbau von Palmöl sind Millionen
Indigene betroffen. Für die Produktion des Palmöls wer-
den riesige Urwaldflächen vernichtet und systematisch
Menschen vertrieben . In Indonesien allein werden dabei
die Menschenrechte von mehr als 45 Millionen Angehö-
rigen indigener Völker verletzt. Das ist ein echter Skan-
dal .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Frank Schwabe [SPD])


Die ILO-Konvention sorgt für die Einhaltung der
Menschenrechte, insbesondere des Rechts auf kulturelle
Selbstbestimmung indigener Völker. Die Bundesregie-
rung sollte nicht nur diese Konvention dem Parlament
zur Ratifizierung vorlegen, sondern sie müsste auch
das deutsche Recht weiterentwickeln. Indigene Völker
sollten ein verbrieftes Recht erhalten, in Deutschland
gegen Investitionsentscheidungen vorgehen zu können,
und hier Rechtsschutz erhalten, wenn sie den Klageweg
beschreiten; das fordern Menschenrechtsorganisationen
schon seit vielen Jahren . Damit könnte Deutschland ein
positives Signal für eine gerechtere Weltwirtschaft set-
zen, und die brauchen wir dringend .

Danke für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822521800

Vielen Dank, Frau Kollegin Groth. – Nächste Redne-

rin: Sylvia Pantel für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Frank Schwabe






(A) (C)



(B) (D)



Sylvia Pantel (CDU):
Rede ID: ID1822521900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Heu-
te beschäftigen wir uns im Bundestag zum wiederholten
Male – wie Sie das eben auch gesagt haben – mit dem
Thema der Ratifizierung der Konvention 169 der Interna-
tionalen Arbeitsorganisation zu indigenen Völkern.

Als indigene Völker bezeichnet man die Nachfah-
ren der Erstsiedler einer Region . Wir haben eben schon
mehrfach gehört, dass es ungefähr 370 Millionen Indige-
ne gibt, die in etwa 90 Staaten leben . Sie machen knapp
5 Prozent der Weltbevölkerung aus . Das ist schon eine
beachtliche Zahl .


(Beifall des Abg . Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Von den 7 000 Sprachen, die weltweit existieren, wer-
den mehr als 4 000 Sprachen von indigenen Völkern ge-
sprochen . Die internationale Gemeinschaft hat sich den
Schutz der Rechte indigener Volksgruppen, ihrer Kultur
und ihres Lebensraums zur Aufgabe gemacht, um der
Gefahr von Diskriminierung und Ausgrenzung entgegen-
zuarbeiten .

Die Internationale Arbeitsorganisation hat bereits
1989 ein Übereinkommen zum Schutz indigener Völker
verabschiedet. Eine mögliche Ratifizierung dieses Über-
einkommens, der Konvention 169, wurde seitdem mehr-
fach geprüft . Bisher haben nur 22 der 187 Mitgliedstaa-
ten der ILO dieses Übereinkommen ratifiziert.


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht gut!)


Bei den Unterzeichnern handelt es sich hauptsächlich um
lateinamerikanische Länder mit einem hohen indigenen
Bevölkerungsanteil . Das ist nur konsequent;


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


denn die ILO-Konvention 169 richtet sich eben an Staa-
ten, auf deren Gebieten indigene Bevölkerungsgruppen
leben. Das trifft auf Deutschland – wir haben es eben
schon festgestellt – nicht zu . Das ist einer der Gründe,
warum die Bundesregierung bisher davon Abstand ge-
nommen hat, das Übereinkommen zu ratifizieren; aber
eben nur einer der Gründe . Bisher haben auch nur vier
europäische Staaten – auch das wurde erwähnt – diese
Konvention aus Solidaritätsgründen ratifiziert.


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Können wir auch machen!)


– Liebe Kollegen, Sie kennen doch die Realität . Sie wis-
sen doch, dass selbst die Länder, die ratifiziert haben, die
Rechte der indigenen Völker praktisch kaum beachten.


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Das ist aber keine Erklärung!)


– Es ist keine Erklärung, wie Sie sagen – mag ja sein –,
aber es ist ein Beleg dafür, dass die Ratifizierung schlecht-
hin keine Hilfe sein muss .

Wir setzen uns anders für die Rechte der indigenen
Völker ein. Wir halten es nicht für nötig, die Konven-

tion zu unterzeichnen . Bereits im September 2007 hat
die Bundesregierung bei der Generalversammlung der
Vereinten Nationen mit eindeutiger Mehrheit zusammen
mit 143 von 158 Staaten für die Rechte indigener Völker
gestimmt .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822522000

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Frage oder Bemer-

kung von Herrn Ströbele?


Sylvia Pantel (CDU):
Rede ID: ID1822522100

Ja .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822522200

Herr Ströbele, bitte .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Danke, Frau Präsidentin . – Danke, Frau Kollegin, dass
Sie die Frage zulassen . – Sie wissen vielleicht, dass in
diesen Staaten Lateinamerikas sehr häufig die Rechte
indigener Völker in der jeweiligen Verfassung verankert
sind, es leider trotzdem mit der Wahrung dieser Rechte
häufig nicht weit her ist – häufig, nicht immer natürlich.
In diesem Zusammenhang meine Frage: Wir diskutieren
heute nicht zum ersten Mal im Deutschen Bundestag über
dieses Thema, sondern schon zum x-ten Mal . In Deutsch-
land steht immer ein Diskussionspunkt im Raum – das
war schon zur Zeit von Rot-Grün so –: Wir erkennen das
nicht an, weil wir die Sorben im Land haben . – Ist Ih-
nen das bekannt? Teilen Sie die Sorge, dass die Sorben in
Deutschland zu viele Rechte bekommen könnten, insbe-
sondere was die von ihnen besiedelten Gebiete betrifft?


Sylvia Pantel (CDU):
Rede ID: ID1822522300

Nein, diese Sorge teile ich nicht . Wenn Sie meinen

Ausführungen bis zum Schluss lauschen, werden Sie
eine Antwort auf diese Frage bekommen . Ich möchte
meine Rede nicht zerrupfen . Ich werde diesen Aspekt
aber behandeln . Wenn Sie danach noch Fragen haben,
können Sie diese dann gerne stellen .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822522400

Schauen wir mal .


(Heiterkeit)



Sylvia Pantel (CDU):
Rede ID: ID1822522500

Ich glaube, Fragen lassen Sie immer zu, oder?

Verbindliche Standards zielen darauf ab, die Rechte
indigener Bevölkerungsgruppen zu sichern . Artikel 46
dieser Erklärung zählt die Schutzrechte der Indigenen
ausführlich auf . Die große Zahl an Unterzeichnern, zu
denen eben auch die Bundesregierung gehört, unter-
streicht die besondere Wahrnehmung indigener Völker
seitens der internationalen Gemeinschaft und die Wich-
tigkeit, die ihnen beigemessen wird .






(A) (C)



(B) (D)


Die Bundesregierung setzt sich bei den Vereinten Na-
tionen und in ihrer Zusammenarbeit mit anderen Regie-
rungen permanent für die Verbesserung der Lage indige-
ner Bevölkerungsgruppen ein . Unser Schwerpunkt liegt
auf der Wahrung ihrer Rechte zur Kontrolle über ihre
Einrichtungen, ihre Lebensweise, ihre wirtschaftliche
Entwicklung, ihre Identität, Sprache und Religion . Wir
unterstützen die zügige Umsetzung von Verfassungsvor-
schriften in den betroffenen Ländern sowie die Einbin-
dung in die politischen Prozesse .

Die deutsche Entwicklungspolitik ist entlang men-
schenrechtlicher Standards so ausgerichtet, dass die
Stärkung und Unterstützung indigener Völker immer im
Blickfeld ist . So fördert das Bundesministerium für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit über
28 Millionen Euro Projekte, die die Rechte indigener
Völker stärken. Die Gesamtsumme der verschiedenen
Förderprojekte liegt weitaus höher . Für den Erhalt und
Ausbau interkultureller Universitäten Indigener werden
über 6 Millionen Euro und für die Stärkung indigener
Organisationen in Lateinamerika über 14 Millionen Euro
investiert. Außerdem stärken wir indigene Völker in
Honduras mit 30 000 Euro . Das heißt, es laufen verschie-
dene Projekte . Die Zahlen kann man nicht im Einzelnen
ausweisen; aber die Bundesregierung macht da eine gan-
ze Menge .

Unsere Politik orientiert sich auch an den Leitlinien
der Vereinten Nationen von 2011 zu Menschenrechten
und Wirtschaft . Die OECD-Leitlinie für verantwor-
tungsvolle Landpolitik ist ebenfalls Grundlage unserer
Entwicklungspolitik . Die Liste ist lang . Das Bundesmi-
nisterium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung hat 2011 die Achtung der Menschenrechte in-
digener Völker mit dem Konzept „Menschenrechte in der
deutschen Entwicklungspolitik“ ausdrücklich verankert .
Zusätzlich unterstützt die Bundesregierung die Überar-
beitung der Schutzstandards der Weltbank, um so einen
besseren Schutz indigener Bevölkerungsgruppen zu er-
reichen .

2014 fand im Rahmen der UN-Generalversammlung
zum ersten Mal eine Weltkonferenz indigener Völker
statt. UN-Mitgliedstaaten und Vertreter indigener Völker
nutzten diese Möglichkeit, um auf die Situation indigener
Völker aufmerksam zu machen. Die Entwicklungspoli-
tik in unserem Land unterstützt das Ziel der Konferenz,
eindeutige Schritte für die Verwirklichung der Rechte
indigener Völker einzuleiten. Eine wichtige Vorausset-
zung für die Verwirklichung dieser Rechte ist die aktive
Mitarbeit der indigenen Völker.

All diese erwähnten Projekte der internationalen Ge-
meinschaft enthalten Rechte, die in wesentlichen Punk-
ten über die ILO-Konvention 169 hinausgehen . Die Grü-
nen – das sagten Sie eben – fordern in ihrem Antrag die
Bundesregierung auf, diese Konvention zu ratifizieren,
obwohl sie wissen müssten, dass die Ratifizierung kaum
etwas an der Situation der Indigenen vor Ort geändert
hat .

Bislang wurde diese Konvention von 22 der
187 ILO-Mitgliedstaaten ratifiziert. Allein diese Zahl
zeigt, wie wenig davon erwartet wird . Ein Blick auf die

Unterzeichnerliste lässt schnell erkennen, dass fast aus-
schließlich lateinamerikanische Länder die Resolution
ratifiziert haben. Dies ist auch verständlich: Diese Kon-
vention richtet sich nämlich in erster Linie an diejenigen
Länder, in denen indigene Völker leben. Es leben natür-
lich auch indigene Völker in Ländern, die diese Konven-
tion nicht ratifiziert haben. In Deutschland – das haben
wir eben und auch schon mehrfach gesagt – leben eben
keine .


(Michael Brand [CDU/CSU]: Die Sorben!)


Eine Ratifizierung durch die Bundesregierung wäre
nur eine symbolische Geste und würde an der Situation
indigener Bevölkerungsgruppen nur wenig ändern . Un-
serer Regierung geht es aber in erster Linie eben nicht um
symbolische Gesten, sondern um konkrete Taten . Des-
halb befürworten wir es nach wie vor, wenn die Länder
mit indigenen Bevölkerungsgruppen diese Konvention
ratifizieren – und eben nicht Deutschland.

Die Berücksichtigung der Interessen indigener Völ-
ker ist seit Jahren nicht nur fester Bestandteil deutscher
Entwicklungspolitik, sondern eben auch der Außen- und
Wirtschaftspolitik . Um sich für die Rechte indigener
Völker einzusetzen, bedarf es nicht der Ratifizierung.


(Beifall des Abg . Michael Brand [CDU/ CSU])


In Deutschland leben Minderheiten, die die deutsche
Staatsangehörigkeit besitzen, wie zum Beispiel die Frie-
sen und Dänen im Norden und die Sorben im Osten so-
wie die Sinti und Roma im restlichen Gebiet der Bundes-
republik .


(Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Schwaben in Berlin! – Heiterkeit)


– Manchmal sind die Fähigkeiten der Schwaben gar nicht
schlecht . Denn man muss ja gucken, dass man das Geld
zusammenhält, damit man es für das Richtige ausgibt .


(Heiterkeit)


An dieser Stelle möchte ich auf unseren Ansatz der
integrativen Minderheitenpolitik hinweisen . Er steht im
Gegensatz zu dem segregativen Ansatz der Konvention .
Auch aus diesem Grund halten wir die Ratifizierung we-
der für notwendig noch für sinnvoll .

Sie führen das Argument an, Deutschland solle wie
beispielsweise die Niederlande die Konvention aus soli-
darischen Gründen ratifizieren. Diese Möglichkeit hätten
Sie – lieber Herr Ströbele, Sie hatten es angedeutet – be-
reits 1999 bis 2005 gehabt . Auch Sie hatten damals keine
Solidarratifikation vorgenommen.


(Michael Brand [CDU/CSU]: Innenminister Ströbele, das wäre ja zu schön gewesen!)


Wir sind der Ansicht, dass sich die Situation der indi-
genen Völker durch die Ratifizierung dieser Konvention
nicht verbessern würde. Wir erwarten eine Ratifizierung
von denjenigen Ländern, in denen indigene Völker an-
gesiedelt sind. Außerdem ist nicht die Ratifizierung,
sondern sind die Achtung und die Einhaltung der Rechte
der indigenen Völker wichtig. Da die Ratifizierung der

Sylvia Pantel






(A) (C)



(B) (D)


ILO-Konvention 169 durch Deutschland keine direkte
Verbesserung bewirken würde, unterstützen wir die Vor-
gehensweise der Bundesregierung .

Die Einhaltung der Rechte dieser Bevölkerungsgrup-
pe ist erstrebenswert . Selbstverständlich unterstützen wir
die Rechte der Minderheiten, und das zeigen wir in unse-
rer umfangreichen Entwicklungshilfe und in Taten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Seit Jahrzehnten setzen wir uns in Deutschland erfolg-
reich für die Integration von Minderheiten ein . Wir set-
zen auf Integration und nicht auf Segregation . Deshalb ist
der segregative Ansatz der ILO-Konvention aus unserer
Sicht nicht erstrebenswert, und wir lehnen eine Ratifizie-
rung ab .


(Dr . Karamba Diaby [SPD]: Schade!)


Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822522600

Vielen Dank, Frau Kollegin Pantel. – Letzter Redner

in dieser Debatte: Tom Koenigs für Bündnis 90/Die Grü-
nen .


Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822522700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Frau Pantel, mit dem segregativen Ansatz – das
ist ein Schmarren . Das ist auch diskutiert worden, und
das ist ein absoluter Unsinn .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Niemand geht davon aus . Sie sagen ja selbst, dass wir
affirmative, positive Programme mit den indigenen Min-
derheiten machen, und da machen wir eine ganze Menge .
Das freut mich, und das unterstützen wir auch, wenn es
von der Bundesregierung gemacht wird . Die ILO-Kon-
vention gibt aber Rechte, und das ist etwas ganz anderes .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Sylvia Pantel [CDU/CSU]: Die würdet ihr nicht geben!)


Wenn man ein romantisches patriarchalisches oder
matriarchalisches Verhältnis zu den Indigenen hat –
nicht? 94 grüne Bände von Karl May, Lex Barker und so
etwas –, dann sagt man: Es reicht ja, dass wir so gnädig
sind und dass wir so viele Programme haben . Hier geht
es aber um Rechte der indigenen Völker. Diese Rechte
verlangen diese Völker seit der Kolonialisierung, und
zwar sowohl der militärischen, der Conquista, als auch
der wirtschaftlichen. Diese Völker sind nach wie vor in
hohem Maße diskriminiert .

Dieses Hohe Haus hat ja schon einmal beschlossen,
die Bundesregierung zur Ratifizierung aufzufordern. Das
war 2002 . In den verschiedenen Wahlperioden mussten
dann die unglückseligen Rednerinnen und Redner der
SPD immer begründen, warum sie das entweder bei
ihren Wirtschaftsministern und Finanzministern – al-

les SPD-Genossen – oder beim Koalitionspartner nicht
durchsetzen konnten . Die Beschreibung, die du gibst,
Frank, ist ja völlig richtig; aber es fehlt doch irgendetwas .
Karin Roth, Esslingen, fand dazu 2011 bewegende Wor-
te . Dies sei politisch folgerichtig und wichtig . Bis heute
betonen Bischöfe gegenüber der Katholischen Nachrich-
ten-Agentur, zum Beispiel der brasilianische Kardinal
Claudio Hummes heute, dass die Einhaltung der Men-
schenrechte der indigenen Völker in den Amazonas-Ge-
bieten notwendig ist und dass sie notleidend sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt aber nicht nur diese Fürsprecher . Ich denke an
den Bundesrat . Manche Ihrer Rednerinnen und Redner
haben sich ja bei anderer Gelegenheit darüber beklagt,
dass die Genossen oder Regierungen in den Ländern
nicht dabei sind . Jetzt sind sie dabei . Jetzt lässt sich also
die Gelegenheit nutzen .

Es gibt auch eine Bürgervereinigung bzw. eine Ver-
einigung von Personen, die den ökologischen Wert, die
ökologische Bedeutung der indigenen Völker für uns be-
tonen . Das ist das Klima-Bündnis . Dieses Bündnis ver-
bindet 1 716 europäische Gemeinden mit einer Bevölke-
rung von 54 Millionen im Sinne des Klimaschutzes . Die
Indigenen sind die besten Klimaschützer, die wir haben .
Deshalb lohnt es sich, diese nicht nur aus Solidarität zu
unterstützen, sondern auch, weil unsere Unternehmen
in den indigenen Gebieten dieser Länder arbeiten, zum
Beispiel in Cesar in Kolumbien, wo wir garzweilerartig
Kohleabbau durch Abnahme fördern . Es gibt Unterneh-
mensverpflichtungen, die dann einzulösen wären. Es gibt
Rechte, die auch gegenüber uns wirken könnten . Dieses
ökologische Element, dass es keine besseren Verteidiger
gegen die Abholzung des Regenwaldes als die indigenen
Völker gibt, muss man doch sehen; Sie sehen es leider
nicht . In diese Richtung geht die Konvention .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich finde, nachdem wir so oft darüber diskutiert haben
und dieses Thema so viele Sonntags-, Montags-, Diens-
tags-, Mittwochs- und Donnerstagsreden gefüllt hat, soll-
te man zumindest das ökologische Argument dann doch
mal ernst nehmen . Der SPD kann man sagen: Als ihr die
Minister gestellt habt, habt ihr es nicht durchbekommen,
obwohl ihr mit uns in einer Koalition wart . Als ihr in der
Opposition wart, habt ihr mit uns Anträge gestellt . Auch
in der jetzigen Koalition bekommt ihr es nicht durch .

Ich möchte daran erinnern, dass etwas fehlt . Gestern
haben wir alle in diesem Hohen Hause den großen Reden
der Präsidenten gelauscht . Das war toll . In allen Reden
hat eines vollkommen gefehlt, obwohl der Entwurf für
die Entwicklung der Welt sehr umfassend war: die Um-
welt .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Diese brauchen wir aber für unsere Zukunft . Deshalb
brauchen Sie die Grünen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sylvia Pantel






(A) (C)



(B) (D)


Auch die SPD braucht die Grünen .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Aber nicht Schwarz-Grün! Da gibt es auch noch andere Konstellationen!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822522800

Vielen Dank, Tom Koenigs. – Ich schließe die Aus-

sprache .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zum An-
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Ti-
tel „Rechte indigener Völker stärken durch Ratifikation
der ILO-Konvention 169“. Der Ausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/11569,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/4688 abzulehnen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen gibt es nicht . Die Beschlussempfehlung ist damit
angenommen .

Dann rufe ich den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Verarbeitung von Fluggastdaten zur Umset-
zung der Richtlinie (EU) 2016/681 (Fluggast-
datengesetz – FlugDaG)

Drucksache 18/11501
Überweisungsvorschlag:

Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem
Parlamentarischen Staatssekretär Dr . Günter Krings .


(Beifall bei der CDU/CSU)


D
Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1822522900


Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren Kollegen! Es hat lange gedauert
und großen Einsatzes gerade des deutschen Innenminis-
ters, von Thomas de Maizière, bedurft, aber schließlich
hat die Europäische Union doch geliefert . Im Mai letzten
Jahres ist die europäische Richtlinie über die Verwen-
dung von Fluggastdaten endlich in Kraft getreten . Am
Ende hat auch eine Mehrheit des Europäischen Parla-
ments eingesehen, dass wir die Fluggastdaten aus dem
grenzüberschreitenden Luftverkehr dringend brauchen,
um Terrorismus und schwere Kriminalität besser, wirk-
samer bekämpfen zu können .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Burkhard Lischka [SPD])


Gestern wurde uns mit dem bestialischen Anschlag
vor dem britischen Parlament erneut in Erinnerung ge-
rufen, wie notwendig wirksame Waffen – ich verwende
bewusst den Plural; denn nicht ein Instrument ist für alle
Probleme geeignet – im Antiterrorkampf sind und dass
wir unser Instrumentarium immer entsprechend anpassen
müssen, wenn wir Lücken entdecken .

In der vergangenen Woche haben wir in Paris zum
wiederholten Male gesehen, dass der Flugverkehr und
die Flughäfen selbst nach wie vor besonders attraktive
Ziele für Terroranschläge abgeben. Vor allem aber nut-
zen international vernetzte Terrorgruppen und natürlich
auch die grenzüberschreitende organisierte Kriminali-
tät den internationalen Flugverkehr, um ihre dunklen
Netzwerke aufzubauen und ihre Anschläge zu planen .
Es ist unerlässlich, dass wir die Reisewege von Terror-
gefährdern und Kriminellen nachvollziehen können, um
diese gefährlichen Netzwerke aufspüren und möglichst
zerschlagen zu können . Deshalb ist es gut, dass wir die-
se Richtlinie haben . Aber natürlich wirkt sie nur, wenn
Deutschland als größter EU-Mitgliedstaat sie nun auch
zügig in nationales Recht umsetzt und sie damit über-
haupt erst wirksam macht .

Den Sicherheitsbehörden wird ein neues Instrument
an die Hand gegeben, das den bereits bestehenden eu-
ropaweiten Austausch von Erkenntnissen zu verdächti-
gen Personen sinnvoll ergänzt . Dieses neue Instrument
ermöglicht den Behörden unter anderem, bereits bekann-
te Personen durch einen Abgleich von Fluggastdaten
mit Fahndungsbeständen zu identifizieren, bevor diese
Personen die Bundesrepublik Deutschland mit einem
Flugzeug verlassen oder hier landen . Erforderliche Maß-
nahmen können so durch die zuständigen Sicherheitsbe-
hörden rechtzeitig vorbereitet werden .

Durch die Auswertung von Fluggastdaten wird es zu-
dem möglich sein, Beweismaterial zusammenzutragen
und mögliche Komplizen von Straftätern aufzuspüren .
So kann zum Beispiel im Rahmen eines Ermittlungsver-
fahrens gegen eine terrorverdächtige Person durch einen
Abgleich von Fluggastdaten mit ihren Personalien nach-
vollzogen werden, ob und wann sie sich in Kriegsgebie-
te begeben hat, etwa zur Ausbildung oder um dort an
Kampfhandlungen teilzunehmen . Zugleich kann nach-
vollzogen werden, ob andere Personen zur gleichen Zeit
die gleichen – möglicherweise sehr ungewöhnlichen –
Reiserouten gewählt haben .

Meine Damen und Herren, diese Richtlinie beweist
zugleich – das ist mir besonders wichtig –, dass sich ein
großer Gewinn an Sicherheit durchaus mit einem hohen
Datenschutzniveau verknüpfen lässt . In diesem Geiste
erfolgt nun auch die Umsetzung in das deutsche Recht .
Der Datenschutzbeauftragte des Bundeskriminalamts
und die Bundesdatenschutzbeauftragte werden bei der
Verarbeitung der Fluggastdaten eine zentrale Rolle spie-
len . Darüber hinaus enthält der Entwurf verschiedene
Verfahrensregeln zum Schutz personenbezogener Daten.
Ich will als Beispiel nur die Depersonalisierung von Da-
ten nach einer gewissen Frist, aber auch die vollständige
Protokollierung und Dokumentierung der Verarbeitung
von Fluggastdaten nennen, durch die das behördliche
Handeln nachvollzogen werden kann .

Tom Koenigs






(A) (C)



(B) (D)


Meine Damen und Herren, mit dem Entwurf des Flug-
gastdatengesetzes werden wir ein wichtiges neues In stru-
ment zur Bekämpfung von Terrorismus und schwerer
Kriminalität schaffen.

Europa ist in Sicherheitsfragen inzwischen ein wich-
tiger und starker Akteur geworden . Das begrüße ich aus-
drücklich; denn sowohl für den Schutz vor Terror und
organisierter Kriminalität als auch für den Datenschutz
brauchen wir eine europaweite vertrauensvolle Zusam-
menarbeit . Für uns ist es wichtig, dass wir die Sicher-
heitsstandards, die die Europäische Union damit setzt,
zügig in nationales Recht umsetzen; denn in Europa darf
es keine Zonen unterschiedlicher Sicherheit geben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist übrigens auch der Grund – das darf ich noch er-
gänzen –, warum wir den Beschlüssen des Europäischen
Rates bewusst folgen und diese Fluggastdaten nicht nur
bei transkontinentalen Flügen, sondern auch bei Flügen
innerhalb Europas verarbeiten .

Ich bitte um eine ebenso intensive wie zügige Bera-
tung und Verabschiedung dieses wichtigen Gesetzent-
wurfes .

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822523000

Vielen Dank, Dr. Krings. – Nächster Redner: Jan

Korte für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822523100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kollege Krings, genau das, was Sie gerade vorgetragen
haben, bringt nach unserer Auffassung eben nicht mehr
Sicherheit, sondern ist eine Simulation von Sicherheit .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die schrecklichen Anschläge haben gezeigt – das ist ei-
nes der Hauptprobleme –, dass ein Großteil der Täter dort
aufgewachsen ist, oftmals in kleinkriminellen Milieus;
auch in London war es, wie wir heute erfahren mussten,
ein britischer Staatsbürger . Das, was Sie hier vorschla-
gen, ist doch eine Simulation von Sicherheit . Was wir
brauchen, sind gut abgestimmte Deradikalisierungspro-
gramme und Präventionsmaßnahmen auf europäischer
Ebene . Das wäre der richtige Weg .


(Beifall bei der LINKEN – Clemens Binninger [CDU/CSU]: Tun wir beides!)


Das Problem ist, dass es hier wieder einmal um eine
Vorratsdatenspeicherung geht, also um eine anlasslose
und lückenlose Datenspeicherung von Fluggastdaten .
Auch wenn Sie unsere grundsätzlichen Bedenken dazu
nicht teilen, will ich zumindest einen Verfahrensvor-
schlag machen . Im Jahre 2016 gab es bekanntermaßen
ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsda-

tenspeicherung mit Blick auf die Kommunikationsdaten .
Das Urteil – kurz zusammengefasst – war mehr als deut-
lich: Diese Speicherung war nicht mit der europäischen
Grundrechtecharta vereinbar . Wir haben zur Umsetzung
der Richtlinie bis 2018 Zeit . Warum können wir denn
nicht seriöserweise abwarten, wie das EuGH zu dem
PNR-Abkommen zwischen der EU und Kanada urteilen
wird? Es wäre doch das Mindeste, das abzuwarten, um
auf der sicheren Seite zu sein . Ich kann das nicht verste-
hen . Das ist unseriöse Politik .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Marian Wendt [CDU/ CSU]: Warten bis zum nächsten Anschlag!)


Zur Grundproblematik des Gesetzentwurfs, den Sie
hier heute vorgelegt haben, will ich den Deutschen Rich-
terbund zitieren. Er sagt, wie ich finde, prägnant zusam-
mengefasst:

Bei den gesammelten Daten handelt es sich um sen-
sible und umfassende persönliche, finanzielle als
auch soziale Informationen der Fluggäste, so dass
ein ganz erheblicher Eingriff in die grundrechtlich
geschützten Interessen der Betroffenen hinsichtlich
ihrer informationellen Selbstbestimmung stattfin-
det .

So sieht es aus . Deswegen lehnen wir das, was heute vor-
gelegt wird, ab .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen das Ganze doch einmal ganz praktisch
weiterdenken . Angesichts der Gefahr des internationalen
Terrorismus muss es doch der Grundsatz sein, nicht alle
Mittel, die möglich sind, auch voll auszuschöpfen . Der
Zweck heiligt doch nicht die Mittel . Wir müssen darü-
ber nachdenken, was passiert ist und was noch passieren
kann und müssen uns dabei ganz praktische Fragen stel-
len . Was ist denn, wenn Terroristen und Gefährder, die et-
was planen, gar keine Flugzeuge mehr benutzen, weil sie
mitbekommen haben, dass diese am meisten überwacht
werden?


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Dann hat es etwas gebracht!)


Sie fahren dann mit dem Auto über die Grenze, Kolle-
ge Binninger . Was ist in dieser Logik das Nächstbeste?
Wird dann in jedes Auto ein Chip installiert, um zu kon-
trollieren, wann die Bürger der Europäischen Union nach
Frankreich oder sonst wohin fahren? Das kann doch nicht
die Logik in einer demokratisch verfassten Europäischen
Union sein .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Stephan Harbarth [CDU/CSU]: Sie sprechen heute zu einem ernsten Thema! Dem wird Ihr Beitrag nicht gerecht!)


Was ich nun wirklich für ein sicherheitsrelevantes
Problem halte – dazu kommt von Ihnen überhaupt gar
nichts –, ist die Situation an deutschen Flughäfen . Ich er-
innere nur an die ungenügenden Fluggepäckkontrollen .
Bei Tests im Rahmen der Europäischen Union konnte
man ganze Handgranaten in die Flugzeuge mitnehmen .

Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings






(A) (C)



(B) (D)


Ich frage mich: Was machen Sie da? Wir haben ein wirk-
lich großes Problem, nämlich die Privatisierung von Si-
cherheitsdienstleistungen . Früher wurde diese Arbeit von
top ausgebildeten Bundespolizisten gemacht; nun ist dies
an private Sicherheitsdienstleister ausgegliedert worden .
Das müssen wir rückgängig machen . Das ist sicherheits-
relevant, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich finde, das, was Europa so verteidigenswert macht,
die Freizügigkeit, die Möglichkeit, einen Raum zu ha-
ben, der im Großen und Ganzen frei von Überwachung
ist, sollten wir in Zeiten der Bedrohung durch den Terro-
rismus nicht leichtfertig aufgeben . Deswegen glaube ich,
dass das, was Sie machen, der völlig falsche Weg ist und
ein falsches Zeichen für ein freies Europa .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822523200

Vielen Dank, Jan Korte. – Nächster Redner: Wolfgang

Gunkel für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Wolfgang Gunkel (SPD):
Rede ID: ID1822523300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst den
Hinterbliebenen der Opfer des Londoner Anschlags mein
Beileid ausdrücken . Es war erschütternd, zu sehen, wie
schnell uns das Thema wieder einholt, was das Erleben
und Bekämpfen von Terrorismus angeht .

Insofern ist es natürlich schwer, am vorliegenden Ge-
setzentwurf etwas zu kritisieren . Ich will aber trotzdem
einige Schwachstellen aufzeigen . Herr Krings, Sie haben
den großen Rahmen vorgegeben und erläutert . Der Kol-
lege Korte hat darauf hingewiesen, dass es auch entschei-
dend sein kann, hier etwas zurückzustecken .

2004 wurde ein Gesetz beschlossen, nach dem wir
mit API-Daten, die von der Bundespolizei erhoben wer-
den, ausgestattet werden . Dieses Personalienpaket reicht
nach unserer Auffassung vollkommen aus als Grundlage
zur Bekämpfung des Terrorismus . Die Erweiterung der
Regelungen ist nach meiner Ansicht sehr großzügig aus-
gefallen . Beispielsweise verstehe ich nicht, warum man
zur Bekämpfung des Terrorismus den Namen der Sach-
bearbeiterin im Reisebüro benötigt . Aber das ist nur ein
Punkt . An und für sich geht es nicht darum, die Speicher-
fristen anzugreifen oder Ähnliches . Es ist sicher richtig,
dass man vor Abflug wissen muss, wer im Flugzeug sitzt
und wer unter Umständen als Gefährder angesehen wer-
den kann . Insgesamt hätten wir es gut gefunden, wenn
das Ganze etwas weniger komfortabel ausgefallen wäre .
An der Umsetzung dieser Richtlinie werden wir aber
nicht vorbeikommen . Insofern will ich das an dieser Stel-
le so stehen lassen .

Des Weiteren ist interessant, wie man die Verknüp-
fung zu den anderen Daten herstellen will . Ich weise hier
insbesondere auf das Schengener Informationssystem II

hin . Man kann feststellen, dass vier europäische Staa-
ten überhaupt nicht involviert sind, nämlich Rumänien,
Bulgarien, Kroatien und Zypern . Das heißt, schon da
entstehen erhebliche Sicherheitslücken . Zudem werden
die Schengener Informationssysteme mithilfe biometri-
scher Daten aufgerüstet . Ich frage mich, wie das in der
PNR-Gesetzgebung Berücksichtigung findet und wie die
Daten abgerufen werden sollen . Diese sich abzeichnen-
den Sicherheitslücken könnten doch von Bedeutung sein .

Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Bundespo-
lizei, die nach § 31a des Bundespolizeigesetzes bisher
die Daten erhoben hat, Bestandteil dieses neuen Systems
wird. Ich war der Auffassung, dass es vielleicht gar nicht
so schlecht gewesen wäre, wenn man diese Aufgabe bei
der Bundespolizei belassen hätte, anstatt eine neue Be-
hörde damit zu beauftragen, die erst anfangen muss, die-
ses System aufzubauen .

Die Erfahrungen, die die Bundespolizei mit dem Ge-
setz gemacht hat – das ist entscheidend –, liegen vor .
Im Jahr 2015 sind bei 100 000 Flugdaten insgesamt
550 000 Euro an Gebühren für Ordnungswidrigkeiten an-
gefallen . Das bedeutet also, dass bei immerhin 1 100 Flü-
gen, wenn man 500 Euro als Mindeststrafe nimmt, keine
Daten übermittelt worden sind .

Jetzt hat man sich für das INPOL-System entschieden,
was richtig ist; alles andere wäre datenrechtlich noch
problematischer gewesen . Das bedeutet also, dass man,
wenn man dies verhindern will, sehr stark auf Außenhil-
fe, nämlich auf die Fluggesellschaften, angewiesen ist .
Ich glaube, das ist einer der Punkte, die man noch einmal
überdenken muss .

Insgesamt gesehen kommt zum Tragen – der Rich-
terbund ist schon zitiert worden; ich will das nicht wie-
derholen –, dass wir neben dem, was bei SIS II und den
anderen Datenschutzsystemen herauskommt, am Ende
doch einige Unsicherheiten haben, und die sind natürlich
auch für die Folgezeit von Bedeutung . Ich will daran er-
innern, dass wir noch eine Anhörung haben werden . Ich
weiß, dass dies nicht viel ändern wird .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, bitte!)


Das Gesetz kommt so, wie es vorgesehen ist . Das war
schon immer so; daran hat sich nicht viel geändert . Es ist
aber interessant, zu hören, was die Experten dazu sagen
werden . Ich glaube, daraus kann noch die eine oder an-
dere Erkenntnis erwachsen. Vielleicht gelingt es ja, hier
noch die eine oder andere Veränderung vorzunehmen.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Eben!)


Ich will noch etwas zu den Datenschutzbestimmungen
sagen . Wir haben schon einmal kurz darüber gesprochen .
Es ist der Hinweis auf die Drittstaatenregelung, die ich
noch einmal anführen will . Das Bundesverfassungsge-
richt hat in seinem Urteil zum BKA-Gesetz gesagt: An
Staaten, die menschenrechtswidrige Verhältnisse haben
oder die nicht sicherstellen können, dass mit einem er-
heblichen datenrechtlichen Standard mit den Daten um-
gegangen wird, sollte nicht übermittelt werden . – Auch
das ist eine Frage der Interpretation . Ihr verweist immer

Jan Korte






(A) (C)



(B) (D)


auf die §§ 78 bis 80 Datenschutzgesetz, in denen das
drinstehen soll .


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Steht ja auch drin!)


Das ist alles gut und schön; aber bei den Begriffen gibt
es Interpretationsmöglichkeiten . So kommt es auf denje-
nigen an, der entscheidet, wer was übermitteln darf, wer
beispielsweise Menschenrechte verletzt oder wer nicht
datenrechtliche Standards voraussetzt, wie wir hier in
Europa . Wer Daten abgibt, der hat die Kontrolle darüber
verloren .

Das sind die Punkte, die ich hier noch einmal anführen
wollte . Es ist klar, dass wir in der derzeitigen Lage nicht
gegen diesen Gesetzentwurf sprechen können . Wir wer-
den ihn natürlich befürworten . So wird die SPD-Fraktion
diesem Gesetzentwurf zustimmen .

Schönen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Clemens Binninger [CDU/ CSU]: Damit habe ich nicht mehr gerechnet!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822523400

Vielen Dank, Wolfgang Gunkel. – Nächster Redner:

Dr . Konstantin von Notz für Bündnis 90/Die Grünen .


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Jetzt kommt ein Befürworter!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Die Unionsfraktion war rich-
tig froh, dass das eben noch ein so gutes Ende genommen
hat . Trotzdem: Der Kollege hat viele sehr kritische Dinge
aufgezählt .

Die von Ihnen umzusetzende Richtlinie, die jetzt mit
diesem Umsetzungsgesetz hier aufschlägt, war schon im
Europäischen Parlament hochumstritten . Die juristischen
Dienste sowohl des Rates der EU als auch des Europä-
ischen Parlaments halten sie bis heute für rechtswidrig,
und wir auch . Deswegen sagen wir Nein, meine Damen
und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Verdachtsunabhängig werden in Ihrem Entwurf von
allen Bürgerinnen und Bürgern, auch von Ihnen, wenn
Sie in ein Flugzeug steigen, 60 Datenkategorien gespei-
chert, darunter sämtliche Kontaktangaben, Sitzplatz, Ge-
päck bis hin zu den Sachbearbeiterinnen des Reisebüros .
Aber natürlich lassen Sie als Große Koalition selbst ein
solches Gesetz nicht so, wie es ist, sondern satteln noch
einmal anständig drauf;


(Zuruf von der CDU/CSU: Zur Sicherheit!)


denn während die EU-Richtlinie die Speicherung der
Fluggastdaten nur von aus der EU und in die EU gehen-

den Flügen vorschreibt, planen Sie zusätzlich die Spei-
cherung von Flugdaten innerhalb der EU .


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Richtigerweise! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)


Sammeln soll diese Massendaten eine beim BKA an-
gesiedelte Zentralstelle . Allein die Errichtung dieser Stel-
le soll sage und schreibe 78 Millionen Euro kosten . Der
laufende Betrieb wird mit mindestens weiteren 65 Milli-
onen Euro pro Jahr veranschlagt .


(Zuruf von der CDU/CSU: Sicherheit kostet Geld!)


Da kann man nur sagen: Die Umsetzung ist auch vor die-
sem Hintergrund absurd;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


denn das PNR-Abkommen der EU mit Kanada – das hat
der Kollege Korte zu Recht angesprochen – liegt derzeit
zur Überprüfung beim EuGH, und es ist sehr wahrschein-
lich bei all den Bedenken, die es gibt, dass das Abkom-
men und damit auch die Richtlinie in vielen Punkten
eben nicht mit den Grundrechten der EU und auch nicht
mit unserem Grundgesetz vereinbar ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das zeigt, wie übereilt Sie agieren und wie teuer das für
uns werden kann .

Insgesamt wird hier die Widersprüchlichkeit Ihres
Agierens deutlich . Sie tun die Fragen, über die wir reden,
gerne als lästigen und nicht mehr zeitgemäßen Daten-
schutz ab, weil Sie offenbar nicht verstehen oder nicht
verstehen wollen, dass es um den Kernbereich unserer
Verfassung geht, um Menschenwürde, Persönlichkeits-
rechte und Privatsphäre .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es hilft niemandem, wenn wir wie gestern zwei Bundes-
präsidenten gemeinsam beklatschen, einen neuen und
einen scheidenden, wenn diese Präsidenten zu Recht
fordern, wir müssten gerade jetzt, in diesen schwierigen
Zeiten unsere Freiheit, unsere offene Gesellschaft und
unseren Rechtsstaat verteidigen,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


wenn Sie von der Großen Koalition im Wochentakt ver-
fassungswidrige Gesetzentwürfe vorlegen . Das ist hoch
widersprüchlich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Im Wochentakt?)


Erst letzten Dezember hat der EuGH zum wiederhol-
ten Male die anlasslose Speicherung von Telekommuni-
kationsdaten für ungültig erklärt . In seinem Schlussplä-
doyer bezeichnet der Generalanwalt das Abkommen
als unvereinbar mit EU-Grundrechten . Die massiven
Probleme bei dieser Form der Vorratsdatenspeicherung

Wolfgang Gunkel






(A) (C)



(B) (D)


sind evident – Sie wissen das zwar schon alles, aber ich
sage es Ihnen noch einmal –: Erstens entstehen unkal-
kulierbare Risiken, wenn Sie solche riesigen Datenmas-
sen anhäufen; denn man kann sie nicht sicher speichern .
Zweitens entstehen höchst problematische sogenannte
Chilling-Effekte, die unsere Unbefangenheit und Frei-
heit, einen Kernwert unserer Gesellschaft, bedrohen . Das
sagen nicht nur wir Grünen, das sagen Ihnen auch Verfas-
sungsrichter, aber Sie wollen nicht hören .

Sie kennen die Argumente . Sie kennen auch die Ur-
teile des Bundesverfassungsgerichts . Dennoch verabrei-
chen Sie unserem Rechtsstaat erneut eine Dosis Gift fort-
schleichender Präventivüberwachung . Sie konzentrieren
sich eben nicht, Herr Kollege Binninger, auf Personen,
die verdächtig sind . Das hat sich gestern in London wie-
der gezeigt . Es war wieder jemand, den man auf dem
Zettel hatte. Sie schaffen Datenberge von uns allen, von
80 Millionen Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern .
Deswegen machen wir nicht mit .

Ganz herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822523500

Vielen Dank, Konstantin von Notz. – Der letzte

Redner in dieser Debatte ist der schon angesprochene
Clemens Binninger für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Burkhard Lischka [SPD])



Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1822523600

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Ich fürchte, meine Redezeit wird nicht ganz reichen, um
all das auszuräumen, was wieder einmal reflexartig in
den Raum geworfen wurde .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das waren nur vier Minuten!)


Wenn Sie ernsthaft von Gift für den Rechtsstaat sprechen,
dann liegen Sie ziemlich daneben, Kollege von Notz .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Burkhard Lischka [SPD] – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie beweisen! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warten wir mal auf das nächste Verfassungsgerichtsurteil!)


Aber vielleicht der Reihe nach; dann vergesse ich
auch keinen . Kollege Korte, Sie haben recht: Wir müss-
ten einiges für die Deradikalisierung tun .


(Beifall des Abg . Frank Tempel [DIE LINKE])


Das gehört zu einem Konzept dazu . Das gilt auch für Ge-
fängnisse, wo neue Radikalisierung stattfindet.


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Das ist richtig! Da sind wir uns einig!)


Das wird einer der Schwerpunkte sein, die wir angehen
müssen .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Da machen wir mit!)


Aber selbst wenn wir etwas für die Deradikalisierung tun,
heißt das nicht, andere unsichere Flanken nicht zu schlie-
ßen . Es gehört beides dazu . Das ist der Unterschied . Es
geht darum, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen .
Wir tun beides, und deshalb ist es richtig .

Kollege von Notz, Sie sagen, wir gingen wieder ein-
mal über die Richtlinie hinaus und erfassten auch Flüge
innerhalb von Europa .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Ja, völlig zu Recht .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wie kommt man dazu, ernsthaft zu glauben, Terrorver-
dächtige reisten aus den USA nach Europa oder umge-
kehrt, aber nicht von Madrid nach Berlin? Mir ist die
Sicherheit der Flüge innerhalb von Europa genauso
wichtig . Deshalb nehmen wir sie mit auf .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Man kann doch nicht sagen, dass sie uninteressant sind .

Kollege Gunkel, deine Sorge war: Was passiert mit
den Daten, die wir an Drittstaaten außerhalb der EU
übermitteln? Es ist wahr: Das ist eine Entscheidung, die
abgewogen werden muss . Aber wir haben zwei Siche-
rungssysteme: zum einen den Bezug auf das Bundesda-
tenschutzgesetz, und zum anderen haben wir im gesam-
ten Gesetz ein so hohes Datenschutzniveau eingezogen,
dass jede einzelne dieser Übermittlungen an einen Dritt-
staat außerhalb der EU dem Datenschutzbeauftragten des
BKA mitgeteilt werden muss, der das dann noch einmal
prüfen kann . Wir haben also zwei Sicherungsebenen ein-
gezogen . Ich sehe an der Stelle wirklich keine Bedenken .

Die Debatte über die PNR-Daten bzw . das Fluggastda-
tenabkommen läuft schon eine gewisse Zeit . Zu Beginn
wurde zu Recht kritisiert, dass es sich um weit mehr als
30 Merkmale handelt; sogar Daten zum Essen wurden
erhoben . Aber viele Merkmale sind nicht mehr drin . Es
gibt jetzt 19 Merkmale – das zwanzigste ist nur ein Fol-
gemerkmal –, die sich fast ausschließlich auf die Reise,
den Reisenden, sein Gepäck und seine Mitreisenden be-
ziehen . Das macht auch Sinn; denn wir wollen wissen,
wer nach Deutschland kommen will,


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit wem ich dahin reise?)


bevor eine gefährliche Person die Grenze übertritt und
wir dann die Kontrolle verlieren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es doch überhaupt nicht, Herr Binninger!)


Dr. Konstantin von Notz






(A) (C)



(B) (D)


Es geht nicht nur um Terrorismusbekämpfung, son-
dern auch um die Bekämpfung der organisierten Krimi-
nalität, des Waffenhandels, des Rauschgifthandels und
des Menschenhandels . Wir brauchen die entsprechenden
Daten, um zu erkennen, wie sich Täter bewegen, und um
Netzwerke zu entdecken . Es besteht die Möglichkeit, die
Daten mit Mustern abzugleichen . Auf diese Muster hat
auch der Datenschutzbeauftragte Zugriff. Sie dürfen nur
mit ihm zusammen erstellt werden . So erreichen wir bei-
des: Wir erkennen Netzwerke und gewährleisten gleich-
zeitig ein hohes Datenschutzniveau . Das ist ein guter
Mittelweg . Es gibt keinen Grund, Kollege von Notz, so
zu skandalisieren und mit der immer gleichen reflexar-
tigen Behauptung zu argumentieren, die Freiheitsrechte
seien massenhaft gefährdet .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das sagen die Gerichte, Herr Binninger!)


– Jetzt sage ich, was ich sagen will . – Ich habe Angst,
dass Terroristen in ein Flugzeug steigen . Ich werde alles
dafür tun, dass das nicht passiert .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, gut!)


Das ist meine Sorge . Wir sorgen uns um die Sicherheit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Jeder, der ein Flugzeug besteigt – gerade wir Abgeord-
nete tun das sehr oft – und irgendwohin fliegt, wird froh
sein, zu wissen, dass die Daten der Passagiere, die mit an
Bord sind, zuvor von einer Sicherheitsbehörde überprüft
wurden,


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht der Punkt! Sie wollen sie jahrelang speichern! Darum geht es!)


um zu verhindern, dass Kriminelle, Terrorverdächtige
oder andere gefährliche Personen mitfliegen. Dafür wird
jeder dankbar sein .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich will auch nicht, dass solche Leute in die S-Bahn steigen!)


Angesichts dessen ist die Aussage, die Freiheit sei einge-
schränkt, weit hergeholt .

Herr von Notz, ich habe Ihren Zuruf nicht gehört .
Wenn Sie ihn wiederholen, reagiere ich darauf .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht doch nicht darum, dass die Leute ihre Angaben machen, wenn sie in ein Flugzeug steigen, sondern es geht darum, dass Sie es jahrelang speichern! Darum geht es!)


– Vielen Dank, ich hätte sonst die Sorge um die lange
andauernde Speicherung fast vergessen .


(Dr . Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der Punkt!)


– Einen Moment! Nur zuhören! Ich habe bei Ihrem Zuruf
extra auf Repeat gedrückt . Jetzt kann ich antworten, und
die Präsidentin gibt mir zehn Sekunden mehr Zeit .


(Heiterkeit)


Wir speichern die Daten offen gerade einmal sechs
Monate . Sechs Monate! Dann werden sie entpersonali-
siert und anonymisiert . Sie bleiben dann als Blackbox –
für niemanden sichtbar – länger gespeichert; fünf Jahre
sind es nicht . Aber niemand kann die Daten mehr erken-
nen . Nur sechs Monate sind die Daten sichtbar . Wenn
man dann auf die Blackbox zugreifen will, braucht man
eine neue Befugnis, einen konkreten Grund bzw . „Anfas-
ser“. Von einer massenhaften und unkontrollierten Spei-
cherung sind wir jedenfalls weit entfernt .

Es ist ein gutes Gesetz, das die Sicherheit verbessert .
Wir werden dem Gesetzentwurf zustimmen. Ich hoffe,
dass ihr von der SPD das auch tun werdet . Ihnen, meine
Damen und Herren von den Grünen, rate ich es .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822523700

Vielen Dank, Clemens Binninger. – Damit schließe

ich die Aussprache .

Herr Gunkel, ich wünsche Ihnen eine inspirierende
Anhörung . Wir beschließen ja öfter Anhörungen . Diese
sollten schon eine Funktion haben .

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/11501 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Danke für die lebendige Debatte . Das ist Demokratie .
Bleiben Sie dabei! Es geht spannend weiter .

Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Inge
Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
sowie der Abgeordneten Agnieszka Brugger,
Jürgen Trittin, Katja Keul, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verhandlungen über einen Atomwaffenver-
botsvertrag aktiv unterstützen

Drucksache 18/11609
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Dazu gibt es
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Wenn sich die Kollegen entschieden haben, ob sie
dabei sein wollen oder nicht, eröffne ich gerne die Aus-
sprache. – Ich eröffne die Aussprache und gebe als ers-

Clemens Binninger






(A) (C)



(B) (D)


ter Rednerin Inge Höger für die Fraktion Die Linke das
Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822523800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich be-

ginne mit einem Zitat:

Solange nukleare Waffen existieren, besteht ein re-
ales Risiko, dass sie eingesetzt werden, mit Absicht
oder durch Zufall .

Die Menschheit habe bislang mehrmals sehr viel Glück
gehabt, dass es nicht zu einer atomaren Katastrophe ge-
kommen ist . Im Zitat heißt es weiter:

Aber können wir uns weiter auf unser Glück ver-
lassen?

Diese Aussage stammt von Sebastian Kurz, dem Außen-
minister Österreichs . Österreich hat sich in den letzten
Monaten mit vielen anderen nicht paktgebundenen Staa-
ten für Verhandlungen über ein Verbot von Nuklearwaf-
fen eingesetzt .

Bereits nach der Explosion von Atombomben in
Hiroshima und Nagasaki am Ende des Zweiten Weltkrie-
ges forderte die UNO im Januar 1946 die Abschaffung
von Atomwaffen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trump sieht das anders!)


Erst 1968 wurde dann der Atomwaffensperrvertrag un-
terzeichnet. Er erlaubt den Atomwaffenmächten, ihre
Bomben zu behalten, verpflichtet sie aber zur Abrüstung
und die Nichtnuklearwaffenstaaten darauf, keine Nukle-
arwaffen zu erwerben.

Trotz Atomwaffensperrvertrag beharren die offiziellen
Atommächte seit Jahrzehnten auf dem Besitz von Nu-
kle arwaffen. Sie widersetzen sich ernsthaften Verbots-
verhandlungen . Die letzten Überprüfungskonferenzen
über die Nichtverbreitung von Atombomben scheiterten
an dieser Haltung . Selbst die vor Jahren beschlossenen
Verhandlungen über einen Nahen Osten ohne Massen-
vernichtungswaffen wurden nicht aufgenommen.

Nach wie vor gibt es weltweit über 15 000 Atombom-
ben, und aktuell sollen sie sogar modernisiert werden,
auch die nicht weit von meinem Heimatort stationierten
US-Atomwaffen in Büchel in der Eifel.

Die Zerstörungskraft sowie die katastrophalen huma-
nitären und ökologischen Folgen eines Einsatzes von
Nuklearwaffen verbieten es, mit ihnen zu drohen. Trotz-
dem sind Atomwaffen die einzigen Massenvernichtungs-
waffen, die noch nicht völkerrechtlich geächtet sind. Dies
will eine Initiative von nicht paktgebundenen Staaten än-
dern . Im vergangenen Jahr hat sich eine überwältigende
Mehrheit in der Generalversammlung der Vereinten Nati-
onen für Verbotsverhandlungen ausgesprochen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war gut!)


Die Bundesregierung allerdings stimmte zusammen mit
den Atommächten Frankreich, Großbritannien, Russland
und den USA gegen diese Resolution .


(Dr . Christoph Bergner [CDU/CSU]: Es waren aber noch mehr dabei!)


Am 27. März beginnen die Verhandlungen, und Deutsch-
land will nicht teilnehmen . Das ist ein Skandal .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Statt ein Verbot von Atomwaffen voranzubringen,
droht US-Präsident Trump, das Atomwaffenarsenal der
USA auszubauen und noch umfassender zu modernisie-
ren . Daraufhin meinte der CDU-Politiker Kiesewetter,
Europa brauche nun einen eigenen Atomschirm . Inzwi-
schen wird in Bild, Spiegel, Zeit und FAZ über eine nu-
kleare Bewaffnung Deutschlands debattiert. Das ist er-
schreckend . Weder Deutschland noch die Welt brauchen
Atombomben. Die Welt muss vielmehr atomwaffenfrei
werden .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In Deutschland ist eine Mehrheit der Bevölkerung für
ein Verbot von Atomwaffen. Auch die Bundesregierung,
Frau Merkel, Herr Gabriel – sie alle reden immer wieder
viel von Abrüstung. Nun geht es um konkrete Verhand-
lungen, und sie wollen nicht dabei sein . Das ist völlig
unverständlich .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Begründung für die Nichtteilname ist, eine Atom-
waffenkonvention sei nur sinnvoll, wenn alle Atommäch-
te von Anfang an dabei seien . Die Logik erschließt sich
nicht .


(Zuruf von der LINKEN: Da ist auch keine Logik!)


Das Gegenteil ist der Fall. Nur durch Verhandlungen
kann man bei der Abrüstung zu einer atomwaffenfreien
Welt vorankommen. Auch Bio- und Chemiewaffen sind
international geächtet, ohne dass alle von Anfang an
dabei waren. Ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag
macht auch auf all diejenigen Druck, die ihn nicht gleich
unterzeichnen wollen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn die Bundesregierung die Sicherheitsinteressen
aller Staaten ernst nimmt, muss sie sich an den Verbots-
verhandlungen beteiligen, gerade als NATO-Mitglied .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822523900

Vielen Dank, Inge Höger. – Nächste Rednerin:

Dr . Katja Leikert für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Katja Leikert (CDU):
Rede ID: ID1822524000

Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kollegin-

nen und Kollegen! Die Fraktionen Die Linke und Bünd-
nis 90/Die Grünen beschäftigen uns heute mit einem
gemeinsam formulierten Antrag für eine nuklearwaffen-
freie Welt . Sie fordern die Bundesregierung auf, an den
Verhandlungen über ein Kernwaffenverbot teilzuneh-
men . Sie werden wohl keinen hier im Plenum und unter
den Zuhörerinnen und Zuhörern finden, der sich nicht
wünschen würde, dass es keine Atomwaffen mehr gibt.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss etwas dagegen tun!)


– Hören Sie erst einmal zu! – Sie stellen es sich so vor,
dass man auf einer Seite Papier zusammen mit ein paar
anderen Staaten zusammen aufschreibt, dass Kernwaffen
verschwinden und dass wir sie ächten sollen .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Wir alle wissen, dass es sich rein um eine Initiative der
Nichtkernwaffenstaaten handelt. Das ist ein bisschen so,
als wenn sich die Mäuse eines Viertels dazu verabreden,
etwas gegen die Katzen zu tun .


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Katzen haben keine Atomwaffen!)


– Jetzt hören Sie bitte noch einmal kurz zu!

Ganz ehrlich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition, ich schätze Sie wirklich sehr – ich bin auch
im Gespräch mit Einzelnen von Ihnen –, gerade wegen
Ihres abrüstungspolitischen Engagements . Ich respek-
tiere das auch und finde gut, dass viele aus friedenspo-
litischen Ideen heraus und mit viel Idealismus Politik
betreiben. Viel von diesem Idealismus teilen wir. Aber
gerade weil Sie in Ihren Reihen viel Kenntnis im Bereich
Abrüstung und Nichtverbreitung von Atomwaffen haben,
bin ich, ehrlich gesagt, regelrecht enttäuscht über die-
sen Antrag . Ich sage es gleich vorab: Ihr Weg gefährdet
aus unserer Sicht alle bisherigen Erfolge der nuklearen
Abrüstung .


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Nebelkerzen!)


Sie kennen genau das klare Ziel der schwarz-roten
Koalition: Wir stehen für eine nuklearwaffenfreie Welt.
Dieses Ziel ist ausdrücklich auch so im Koalitionsvertrag
benannt . Sie wissen genau, dass Deutschland weltweit
ein anerkannter und geschätzter Verhandlungspartner für
nukleare Abrüstung ist .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Inge Höger [DIE LINKE]: Sie nimmt ja nicht teil!)


Sie wissen auch, dass Deutschland in seiner Rolle als
Brückenbauer schon viel erreicht hat . Wenn Sie ganz
ehrlich zu sich selbst sind, dann wissen Sie auch, dass Ihr
Antrag an vielen Stellen schlichtweg weltfremd ist . Ich
möchte Ihnen das gerne erläutern .

Erstens . Natürlich können wir uns wünschen, dass die
Kernwaffenstaaten, die offiziellen und die inoffiziellen,
faktisch gemeinsam zu der Einsicht kommen, dass es für
alle besser wäre, wenn sie auf Kernwaffen verzichteten.
Die Bereitschaft der Kernwaffenstaaten dazu liegt aber
schlichtweg nicht vor . Das ist eine Tatsache, an der wir
nicht vorbeikommen .

Zweitens . Ihr Antrag ist unrealistisch, nicht nur, weil
er die Grundlagen der internationalen Machtverteilung
schlichtweg ignoriert, sondern auch, weil die von Ihnen
geforderten Verhandlungen aus unserer Sicht das wert-
vollste Vertragswerk, das wir im Bereich der nuklearen
Abrüstung haben, gefährden würden: den internationalen
Nichtverbreitungsvertrag .

Sie wollen, dass wir am Ende ein Papier haben, auf
dem steht – ich habe das schon erklärt –: Wir ächten
Atomwaffen. – Darin stünde aber nichts, was mit den-
jenigen Staaten passieren soll, die kernwaffenfähiges
Material schon haben, oder was mit denjenigen Staaten
passieren soll, die schon Atomwaffen haben oder ein Pro-
gramm für die zivile Nutzung von Atomenergie haben .
Wer soll das denn alles überprüfen?

Sie riskieren, dass sich die Nichtkernwaffenstaaten
aus dem Nichtverbreitungsvertrag zurückziehen und
dass damit die Kontrollen ihrer Atomanlagen durch die
Internationale Atomenergie-Organisation entfallen . Wie
wollen wir dann in Zukunft eigentlich noch verhindern,
dass nicht die nächsten Staaten nachziehen und heimlich
Atomwaffen entwickeln? Es ärgert mich, dass Sie genau
wissen, dass wir schon viel weiter sind mit dem beste-
henden Regime, und die etablierten Verifikationsmecha-
nismen über Bord werfen wollen .

Drittens. Alle Verhandlungen innerhalb des Nicht-
verbreitungsvertrags haben einen entscheidenden Vor-
teil – auch das wissen Sie –, dass nämlich beide Seiten
verhandeln: die Atomwaffenstaaten und die Nichtatom-
waffenstaaten. Das ist aus unserer Sicht absolut essen-
ziell; denn was wir in dieser Welt nicht brauchen kön-
nen – das ist etwas, was wir alle hier bedauern –, sind ein
weiteres Wettrüsten und eine weitere Spaltung in diesem
Bereich .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822524100

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Bemerkung oder

Zwischenfrage von Dr . Neu?


Dr. Katja Leikert (CDU):
Rede ID: ID1822524200

Ja .


Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822524300

Frau Dr . Leikert, Ihnen ist bekannt, dass im Jahre 2010

fast alle Fraktionen im Deutschen Bundestag gemeinsam
einen Antrag verabschiedet haben, der darauf abzielte,
die Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen. Ist Ihnen
bekannt, ja?

Im Jahre 2012 hat Deutschland im Rahmen des Chi-
cagoer NATO-Gipfels seine Souveränität in der Frage






(A) (C)



(B) (D)


des Abzuges der Nuklearwaffen aus Deutschland an die
NATO abgegeben. Ist das Ihrer Auffassung nach ein Bei-
trag zu einer nuklearwaffenfreien Welt?


Dr. Katja Leikert (CDU):
Rede ID: ID1822524400

Vielen Dank für Ihre Frage. Ich stelle gern eine Rück-

frage an Sie: Was machen wir hier in Deutschland, wenn
wir nicht mehr Teil der NATO sind, wenn wir so tun, als
würden wir nicht ein Stück weit von der nuklearen Teil-
habe profitieren?


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822524500

Eigentlich haben wir hier jetzt keine Dialogveranstal-

tung .


(Heiterkeit)


Aber gut, kurze Rückfrage .


Dr. Katja Leikert (CDU):
Rede ID: ID1822524600

Nein, das ist okay . Ich mache jetzt einfach weiter, weil

ich noch einmal zu diesem Punkt komme .

Wir halten den Antrag von Linken und Grünen an die-
ser Stelle für sinnlos bis gefährlich; ich habe das vorhin
schon ausgeführt .

Die CDU/CSU-Fraktion setzt vielmehr auf das große
Engagement Deutschlands innerhalb des Nichtverbrei-
tungsregimes, das wir aufrechterhalten und ausbauen
wollen . Wir verfolgen dabei einen schrittweisen Ansatz,
und Sie kennen ihn auch . Ich nenne nur drei Punkte, die
uns dabei besonders wichtig sind .

Ein Baustein dabei ist Transparenz . Ohne Transpa-
renz mit Blick auf die Atomwaffenarsenale der Atom-
waffenstaaten – das ist uns allen, die wir hier sind,
bewusst – werden wir keine messbaren Fortschritte er-
zielen . Deshalb werden wir auch weiterhin innerhalb der
Non-Proliferation and Disarmament Initiative – Sie wis-
sen, wie engagiert Deutschland da ist – in den Dialog mit
den fünf Atommächten treten .


(Zuruf von der LINKEN: Was machen Sie mit Israel?)


So haben wir es schon geschafft, mehr Transparenz in
Bezug auf die Kernwaffenarsenale der Atomwaffenstaa-
ten zu bekommen . Wir alle sind natürlich noch nicht be-
sonders zufrieden mit den Fortschritten, die dort erzielt
wurden, aber wir wollen an dieser Initiative festhalten
und sie weiter ausbauen .

Zu unserem schrittweisen Ansatz gehört auch, dass
wir die Produktion von spaltbarem Material unterbinden
wollen . All das erreichen Sie nicht mit Ihrem nu klearen
Bann . Hier haben wir eine konkrete Resolution, die
Deutschland gemeinsam mit Kanada und den Nieder-
landen in die UN-Generalversammlung eingebracht hat .
Eine Expertengruppe wird mögliche Vertragselemente
für einen Fissile Material Cut-off Treaty identifizieren.
Wir haben dabei sichergestellt, dass zumindest vier
Kernwaffenstaaten eng eingebunden sind.

Ich möchte noch ein weiteres Element hervorheben:
Deutschland – auch das wissen Sie – setzt sich schon lan-
ge dafür ein, dass der Umfassende Nukleare Teststopp-
vertrag gestärkt und weiter ratifiziert wird. Auch dieses
Engagement wollen wir in Zukunft aufrechterhalten .

Sie sehen, dass all diese Schritte zu einem klaren Kon-
zept führen .

Lassen Sie mich daher feststellen: Solange die macht-
politischen Realitäten – wir können uns andere wün-
schen – so sind, wie sie sind, solange einzelne Staaten
in der Lage sind, immer wieder zu destabilisieren – dazu
zählt auch Russland; Sie haben gerade nur über die Mo-
dernisierung des amerikanischen Atomwaffenarsenals
gesprochen; das ist sehr einseitig –,


(Inge Höger [DIE LINKE]: Wenn der eine anfängt, rüsten die anderen nach!)


so lange ist es gut für uns, wenn wir eine starke Allianz
mit unseren NATO-Partnern bilden . So viel Realitätsbe-
wusstsein muss sein .

Deshalb wird die CDU/CSU-Fraktion keinen Antrag
unterstützen, mit dem wir uns aus unseren Bündnis-
pflichten – dazu gehört die nukleare Teilhabe – innerhalb
der NATO verabschieden . Ich sage es hier ganz deutlich:
Ich möchte im Deutschen Bundestag nichts beschließen,
was unsere Sicherheit gefährdet .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gleichzeitig wissen wir, dass die nukleare Abrüstung
immer wieder neue Impulse braucht . Wir werden auch
weiterhin alles dafür tun, um hier greifbare Erfolge zu
erzielen . Was wir dabei aber nicht zulassen werden – das
unterscheidet uns von Ihrem Antrag –, ist, dass die her-
vorragenden bestehenden Verträge und Initiativen zur
nuklearen Abrüstung für ein einziges wirkungsloses Blatt
Papier geopfert werden .

Ich möchte Ihnen aber abschließend eine Brücke bau-
en und freue mich im Zuge der Beratung über richtig gute
Initiativen für eine nuklearwaffenfreie Welt, die wir alle
wollen .

Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822524700

Vielen Dank, Katja Leikert. – Nächste Rednerin:

Agnieszka Brugger für Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kollegin Katja Leikert, der Vergleich mit den Mäusen
und Katzen ging doch etwas am Kern der Debatte vorbei .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich möchte darauf gerne mit einem Zitat antworten, das
so lautet:

Dr. Alexander S. Neu






(A) (C)



(B) (D)


Der Mensch erfand die Atombombe, doch keine
Maus der Welt würde eine Mausefalle konstruieren .

Das hat niemand Geringerer als Albert Einstein gesagt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die beiden größten Atommächte der Welt, Russland
und die USA, verfügen über 90 Prozent der weltweiten
Nuklearwaffenarsenale. Beide haben ihre vor Jahrzehn-
ten gegebenen Versprechen nicht erfüllt. Statt abzurüsten,
werden in Moskau und in Washington gerade gigantische
Beträge in die Modernisierung dieser Waffen investiert.
Beide Seiten blockieren Fortschritte und stellen mit ih-
ren Taten und Ankündigungen bestehende Abrüstungs-
vereinbarungen infrage und damit auch auf eine harte
Probe . Donald Trump und Wladimir Putin spielen sogar
mit der Gefahr eines neuen Wettrüstens . Liebe Kollegin-
nen und Kollegen, da ist es doch kein Wunder, dass über
100 Staaten endgültig der Geduldsfaden gerissen ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Nicht nur die Zivilgesellschaft streitet für ein Verbot
dieser grausamen Waffen, damit sie endlich – wie ande-
re Massenvernichtungswaffen, die biologischen und die
chemischen – mit einem internationalen Vertrag geächtet
werden. Vielmehr haben 123 Staaten in der Generalver-
sammlung der Vereinten Nationen ein klares Zeichen
gegen diesen quälenden Stillstand gesetzt und für Ver-
handlungen über einen Verbotsvertrag gestimmt. Es ist
eine überwältigende Mehrheit, und es ist eine historische
Entscheidung . Außerdem ist es ein überfälliger und rich-
tiger Schritt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Frau Kollegin Leikert, wenn Sie sich damit ausein-
andergesetzt hätten, hätten Sie auch festgestellt, dass
niemand den Atomwaffensperrvertrag oder Nichtverbrei-
tungsvertrag abschaffen will, sondern es handelt sich um
eine Ergänzung und Stärkung der bisherigen Abrüstungs-
regime .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Was hat dann die schwarz-rote Bundesregierung ge-
tan, die ja immer erklärt, sich dem Ziel einer atomwaf-
fenfreien Welt verpflichtet zu fühlen? Sie hat nicht mit Ja,
nicht einmal mit Enthaltung, sondern mit Nein gestimmt .
Allein das ist ein abrüstungspolitisches Armutszeugnis .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es geht ja noch weiter . Die Bundesregierung sagt so-
gar Nein zur Teilnahme an den Gesprächen . Damit boy-
kottieren Sie diesen historischen Schritt . Das ist eine gro-
ße Fehlentscheidung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das ist nicht nur mutlos, sondern auch eine Schwächung
der Vereinten Nationen und des Multilateralismus. In den

schwierigen außenpolitischen Zeiten, in denen wir uns
gerade befinden, ist das doch genau das Gegenteil von
dem, was diese Welt gerade dringend benötigt .

Angesichts der neuen Eiszeit zwischen Russland und
den USA braucht es doch jetzt mehr denn je klare, klu-
ge Stimmen der sicherheitspolitischen Vernunft, die für
Rüstungskontrolle und Abrüstung streiten,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


aber nicht eine Bundesregierung, die ihren guten Ruf und
ihre abrüstungspolitische Glaubwürdigkeit aufs Spiel
setzt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
wir fordern Sie im gemeinsamen Antrag der Linken und
der Grünen auf: Lassen Sie uns zu dem Konsens von
2010 zurückkehren, wo wir gemeinsam – alle Fraktionen
in diesem Hohen Haus – den Abzug der US-Atomwaffen
aus Deutschland gefordert haben! Sorgen wir zusammen
dafür, dass ihr Verbleib über die Modernisierung nicht
zementiert wird, dass nicht gleichzeitig Millionenbeträ-
ge für die Anpassungen am Trägersystem Tornado ver-
wendet und verschwendet werden! Die Bundesregierung
muss ganz klar und unmissverständlich diesen finanziell,
völkerrechtlich und politisch aberwitzigen Rufen nach
europäischen oder gar deutschen Atomwaffen eine Ab-
sage erteilen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir fordern Sie aber vor allem dazu auf, dass die Bun-
desregierung das längst überfällige Verbot dieser barbari-
schen Massenvernichtungswaffen nicht weiter behindert
und boykottiert, sondern es mit Kraft und Ideen unter-
stützt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Als Bundesregierung haben Sie in den letzten Jahren im-
mer wieder von einer neuen deutschen Verantwortung in
der Außen- und Sicherheitspolitik gesprochen . Statt sich
hier mutlos im Schatten der Nuklearwaffenstaaten weg-
zuducken, haben Sie hier die Gelegenheit, sie ganz kon-
kret zu übernehmen . Tun Sie es!

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822524800

Vielen Dank, Agnieszka Brugger. – Die letzte Red-

nerin in dieser Debatte: Dr . Ute Finckh-Krämer für die
sozialdemokratische Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):
Rede ID: ID1822524900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf den Tribü-
nen! Ich möchte mich zunächst bei all denen bedan-
ken, die sich Gedanken um nukleare Abrüstung machen

Agnieszka Brugger






(A) (C)



(B) (D)


und das Ziel, das uns, glaube ich, alle eint – dass diese
schrecklichen Waffen irgendwann wieder von der Erde
verschwinden –, unterstützen sowie mit uns darüber dis-
kutieren . Auch möchte ich mich bei denen bedanken, die
im Augenblick Briefe an Außenminister Gabriel schrei-
ben, in denen sie ihn bitten, sich an den Verhandlungen
zu beteiligen, sowie bei denjenigen, die schon über diese
Verhandlungen, die jetzt Ende dieses Monats beginnen,
hinausschauen und sich überlegen, was es noch alles an
guten Gelegenheiten gibt, abrüstungspolitisch aktiv zu
werden .


(Beifall des Abg . Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE])


In der Resolution 71/258 des UN-Sicherheitsrates, mit
der die Verhandlungen über den Ban Treaty, einen Atom-
waffenverbotsvertrag, beschlossen wurden, ist auch der
Beschluss der UN-Generalversammlung von 2013 be-
kräftigt worden, ein „high-level meeting … on nuclear
disarmament“ durchzuführen . Das hieße wahrscheinlich,
dass eine solche Konferenz im September 2018 stattfän-
de und eine Vorbereitungskonferenz im Januar oder Fe-
bruar . Eine solche High-Level-Konferenz zu Atomwaf-
fen hat es noch nie gegeben . Gestern habe ich deswegen
im Unterausschuss „Abrüstung, Rüstungskontrolle und
Nichtverbreitung“ die Vertreterin der Bundesregierung
danach gefragt, ob die Bundesregierung sich darauf vor-
bereitet, an dieser High-Level-Konferenz teilzunehmen .
Die Antwort lautete: Ja. Ich finde es einen wichtigen
Schritt, dass die Bundesregierung an einem solchen Be-
schluss, der vor der neuen Eskalation zwischen Russland
und den USA oder Russland und der NATO gefasst wor-
den ist, festhält .

Ein anderer Punkt, wo es meiner Ansicht nach gute
deutsche Aktivitäten gibt, ist die International Partner-
ship for Nuclear Disarmament Verification. Denn wir
wissen: Wenn Atomwaffen verboten werden, wird es viel
länger als bei den Chemiewaffen dauern, bis sie tatsäch-
lich alle abgerüstet sind. Bei den Chemiewaffen ist der
Verbotsvertrag 1997 in Kraft getreten. Man hat damals
gehofft, dass man innerhalb von zehn Jahren alle Che-
miewaffen der Unterzeichnerstaaten vernichten kann. Im
Augenblick ist die Schätzung, dass die Vernichtung der
US-amerikanischen Chemiewaffen noch bis 2023 dauert.


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Grund mehr, heute dafür zu stimmen!)


Diese International Partnership hat den Vorteil, dass
auf Einladung der USA seit 2014 tatsächlich bei fünf
Treffen darüber geredet wurde, was denn notwendig ist,
um Nuklearwaffen so abrüsten und zerstören zu können,
dass dies für die anderen Vertragspartner nachvollziehbar
ist. Das ist eine Parallele zum Chemiewaffenabkommen;
denn beim Chemiewaffenabkommen wurde ja nicht nur
ein Abkommen beschlossen, sondern es wurde auch eine
Verifikations- und Überprüfungseinrichtung geschaffen:
die Organisation für das Verbot chemischer Waffen. Die-
se kontrolliert seitdem alle Einrichtungen, die Chemie-
waffen vernichten. Aber sie kontrolliert auch Einrichtun-
gen, Firmen und Labore, die mit Substanzen arbeiten, aus
denen erneut Chemiewaffen gebaut werden könnten. In

dieser Richtung nachzudenken, Tagungen auszurichten,
Konferenzen von Fachleuten sind einige der Aktivitäten
der Bundesregierung, und darüber bin ich froh .

Wir waren am 8 . März dieses Jahres als Unteraus-
schuss „Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtverbrei-
tung“ eingeladen, uns zum Ende der fünften derartigen
Konferenz, die hier in Berlin stattgefunden hat, von den
Arbeitsgruppenleitern dieser Organisation briefen zu las-
sen, was sie diskutiert und beschlossen haben . Bei die-
sem Briefing waren ein Kollege von der CDU und ich
dabei . Die anderen hatten leider keine Zeit . Bei Inge
Höger weiß ich, dass das mit Schwierigkeiten am Mitt-
wochnachmittag in Sitzungswochen zusammenhängt . Da
ist die SPD mit fünf Mitgliedern im Menschenrechtsaus-
schuss etwas besser aufgestellt .

Insofern: Deutschland ist aktiv im Bereich der nukle-
aren Abrüstung . Deutschland gehört zu der Gruppe der
Freunde des Nichtverbreitungsvertrags und zu den Befür-
wortern eines Nuklearen Teststoppabkommens . Einige
von uns waren vor etwa anderthalb Jahren im Auswärti-
gen Amt, wo eine Ausstellung zu der Verifikationsorgani-
sation eröffnet wurde, die zu dem noch gar nicht in Kraft
befindlichen Nuklearen Teststoppabkommen gehört. Das
heißt: Auch in diesem Bereich ist Deutschland aktiv und
versucht zum Beispiel zu erreichen, dass die noch feh-
lenden Annex-B-Staaten das Abkommen unterzeichnen
bzw ., soweit sie es schon unterzeichnet haben, auch rati-
fizieren, damit dieses wichtige Rüstungskontrollabkom-
men in Kraft treten kann, mit dem auch ein Teil der Zie-
le, die mit dem Ban Treaty verfolgt werden, verwirklicht
werden soll, nämlich das Verbot von Atomwaffentests.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822525000

Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

-bemerkung von Dr . Neu?


Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):
Rede ID: ID1822525100

Ja .


Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822525200

Frau Kollegin Finckh-Krämer, Sie haben eine Viel-

zahl von Maßnahmen und Initiativen dargelegt . Sie ha-
ben sich nicht dazu geäußert, wie sich die SPD zu unse-
rem Antrag verhält . Können Sie dazu noch etwas sagen?


Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):
Rede ID: ID1822525300

Wir diskutieren den Antrag in erster Lesung, das heißt,

es folgt noch eine Ausschussbefassung . So wie er im Au-
genblick vorliegt, werden wir vermutlich gemeinsam mit
der Union mit Nein stimmen .


(Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE], an die SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewandt: Habt ihr gehört?)


Aber uns ist wichtig, dass auch ein solcher Antrag zur
Diskussion beiträgt . Deswegen habe ich erwähnt, wie
wichtig es aus meiner Sicht ist, dass sich zivilgesell-
schaftliche Gruppen, dass wir uns im Plenum mit dem

Dr. Ute Finckh-Krämer






(A) (C)



(B) (D)


Antrag, mit dem Vorhaben eines Atomwaffenverbotsver-
trags befassen .


(Beifall bei der SPD)


Ich habe aufgezeigt, was wir mittragen, was das Aus-
wärtige Amt als federführendes Ministerium für Abrüs-
tung und Rüstungskontrolle mitträgt, was zumindest im
Geiste dieser Verhandlungen ist. Ich persönlich kann
mir vorstellen, dass nach der ersten Verhandlungswoche
vielleicht einige der Ängste, die die Kollegin Leikert ge-
schildert hat, nicht mehr ganz so groß sind und dass dann
die Frage, wie man mit der zweiten und dritten Verhand-
lungsrunde umgeht, hier neu diskutiert wird .

Ich finde auch wichtig, dass bei der Frage – das hat
Frau Höger beschrieben –, bei der sich Russland und die
USA im Augenblick ineinander verhaken, nämlich wie
man die bilateralen Abrüstungs- oder Rüstungskontroll-
abkommen im Bereich der nuklearen Waffen aufrechter-
hält, am Leben erhält, Deutschland wiederum aktiv ist
und zum Beispiel in der Deep Cuts Commission, einer
trilateralen Kommission mit Wissenschaftlern aus Russ-
land, den USA und Deutschland, diskutiert, wie die zum
Teil gefährdeten bilateralen Abkommen wie der INF-Ver-
trag am Leben erhalten werden können, wie die gegen-
seitigen Vorwürfe geklärt werden können. Ich weiß von
einem Wissenschaftler der Deep Cuts Commission, dass
der INF-Vertrag dort aktuell Thema ist und dass es dazu
ein Papier geben wird. Ich finde es einen wichtigen Bei-
trag der Bundesregierung und des Außenministeriums,
dass solche Wissenschaftlerkommissionen unterstützt
werden . Damit leisten wir einen Beitrag zu dem Ziel, das
wir gemeinsam mit denjenigen haben, die aus verständli-
chen Gründen einen Atomwaffenverbotsvertrag fordern,
nämlich das Ziel einer atomwaffenfreien Welt.


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822525400

Vielen Dank, Kollegin Finckh-Krämer. – Damit

schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/11609 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Europol-Gesetzes

Drucksache 18/11502
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . Sind
Sie damit einverstanden? – Gut .1)

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/11502 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Dazu

1) Anlage 4

gibt es keine weiteren Vorschläge. Dann ist die Überwei-
sung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset-
zes zur Änderung des Energiesteuer- und des
Stromsteuergesetzes

Drucksache 18/11493
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . –
Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch .2)

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/11493 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Auch
dazu gibt es keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist
die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Reform der strafrechtlichen Vermö-
gensabschöpfung

Drucksachen 18/9525, 18/10146, 18/10307
Nr. 7

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/11640

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . –
Auch damit sind Sie einverstanden .3)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/11640, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
chen 18/9525 und 18/10146 in der Ausschussfassung an-
zunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um das
Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Dann gibt es kei-
ne Enthaltungen . Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter
Beratung angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD, dagegen waren die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die diesem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe-
ben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann
ist der Gesetzentwurf angenommen . Zugestimmt haben

2) Anlage 5
3) Anlage 6

Dr. Ute Finckh-Krämer






(A) (C)



(B) (D)


CDU/CSU und SPD, dagegen waren Bündnis 90/Die
Grünen und die Linke .

Ich übergebe und wünsche Ihnen noch einen schönen
Restabend .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822525500

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Berufsanerkennungsricht-
linie und zur Änderung weiterer Vorschriften
im Bereich der rechtsberatenden Berufe

Drucksachen 18/9521, 18/9948, 18/10102
Nr. 13

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/11468

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Christian
Flisek, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christian Flisek (SPD):
Rede ID: ID1822525600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kolle-

ginnen und Kollegen! Gut Ding will manchmal Weile
haben, und so ist es auch mit der Umsetzung der Be-
rufsanerkennungsrichtlinie . Wir haben mit diesem Um-
setzungsgesetz und den Änderungen am Berufsrecht der
rechtsberatenden Berufe eine EU-Richtlinie umgesetzt,
und wir sind jetzt durchaus ein wenig hinterher; die Frist
ist eigentlich abgelaufen . Aber das lag mit Sicherheit
nicht nur am Parlament; das muss man mal sehr deutlich
so sagen . Wir jedenfalls haben diesen ganzen Komplex
verschiedener Änderungen in der Koalition sehr ordent-
lich beraten . Es ist ein durchaus komplexer Katalog von
Einzeländerungen, die wir hier abzuarbeiten hatten, und
wir haben es uns damit nicht leicht gemacht . Insofern hat
das Ganze etwas Zeit in Anspruch genommen . Zuletzt,
auf den letzten Metern, ist es zu Verzögerungen gekom-
men, die zumindest wir als SPD-Fraktion nicht direkt zu
verantworten haben .


(Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU]: Wir auch nicht!)


Aber es ist heute ein guter Tag, weil es überhaupt zu die-
ser Beratung kommt .

Die Reformen – das habe ich bereits gesagt – lösen
zahlreiche Probleme im Berufsrecht der rechtsberaten-
den Berufe . Ich möchte mich in meiner Rede – das sage
ich hier gleich zu Beginn – auf einen Bereich konzen-
trieren, nämlich auf eine Forderung, die vom Deutschen
Anwaltverein und von der Bundesrechtsanwaltskammer
erhoben worden ist: Es geht um die Fortbildungspflicht
für Anwälte allgemein .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und vom Bundesjustizministerium!)


Es stand dort ursprünglich mal die Forderung im
Raum, dass es eine allgemeine Fortbildungspflicht für
Anwälte geben soll


(Beifall des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


– sicherlich, man kann nicht gegen Fortbildung sein –,
und zwar in dem Sinne, dass sich Anwälte grundsätzlich
jedes Jahr fortbilden müssen, zusätzlich zu den bereits
bestehenden Fortbildungspflichten, die die meisten An-
wälte in diesem Land, zum Beispiel die Fachanwälte,
haben .

Wir haben diese Satzungsermächtigung, die ursprüng-
lich im Regierungsentwurf vorgesehen war, in der Koa-
lition sehr ernsthaft geprüft, und wir sind entsprechend
dem Struck’schen Gesetz zu dem Ergebnis gekommen,
dass wir uns dem Vorschlag im Entwurf nicht anschlie-
ßen werden, sondern uns als Parlamentarier dafür einset-
zen, dass diese Satzungsermächtigung gestrichen wird .

Ich gebe zu, es gab deswegen Kritik von den Berufs-
verbänden . Die Kritik von einigen war teilweise sogar
sehr schrill; das muss man auch sehr deutlich sagen . Aber
ich möchte Ihnen erklären, warum wir der Meinung sind,
dass das der richtige Schritt ist .

Beim Anwaltsmarkt haben wir es mit einem Markt
zu tun, der sich seit vielen Jahren spezialisiert . Es wur-
de in den letzten Jahren eine Vielzahl von Fachanwalt-
schaften eingeführt . Jeder, der diesen Bereich einigerma-
ßen kennt, weiß, wie mühsam es mittlerweile ist, einen
Fachanwaltstitel zu erwerben und auch zu halten . Wenn
Sie mit der Materie vertraut sind, dann wissen Sie, dass
man, wenn man Fachanwalt ist, sich mittlerweile jedes
Jahr 15 Stunden fortzubilden hat .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja wohl das Minimum!)


Das ist gut, und das ist richtig, aber wir glauben: Gerade
auf einem Anwaltsmarkt, der sich seit Jahren wegen der
Fachanwaltschaften so ausdifferenziert, bedarf es nach-
träglich nicht noch einer allgemeinen Fortbildungspflicht
für Anwälte,


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gibt es ja schon! Das steht doch im Gesetz!)


die, wenn man der BRAK, der Bundesrechtsanwaltskam-
mer, und dem Anwaltsverein hätte glauben wollen, wei-
tere 10 bis 15 Stunden jedes Jahr in Anspruch genommen
hätte .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht doch nur um die Ausgestaltung!)


Wir sind der Überzeugung – Frau Keul, Sie haben
gleich die Gelegenheit, in Ihrer Rede darauf hinzuwir-
ken –, dass man die Anwälte auch im Sinne eines Funkti-
onierens des Anwaltsmarktes nicht überfordern darf .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Bei der SPD könnte das vielleicht helfen!)


Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


Deswegen sage ich Ihnen sehr deutlich: Ich glaube, dass
wir mit einer allgemeinen Fortbildungspflicht weit über
das Ziel hinausgeschossen wären .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht doch jetzt schon im Gesetz!)


Ich sage Ihnen noch etwas: Wir tun hier immer so,
als wenn der Deutsche Anwaltsverein oder die Bundes-
rechtsanwaltskammer hier völlig uneigennützig agieren
würden . Das ist mitnichten der Fall . Wenn man sich die
Zahl der zugelassenen Anwälte in Deutschland anschaut
und wenn man sich anschaut, wer im Wesentlichen An-
bieter solcher Fortbildungsleistungen ist, dann stellt man
fest, dass das Fortbildungsinstitute sind, die vom An-
waltsverein oder von der BRAK geführt werden . Wenn
Sie die durchschnittlichen Preise eines Tagesseminars
hochrechnen, dann stellen Sie fest: Wir reden hier über
einen zusätzlichen Markt, den sich die Damen und Her-
ren verschaffen wollten, dessen Umsatz mindestens im
dreistelligen Millionenbereich liegt .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wirklich haarsträubend!)


Dass das Angebot völlig uneigennützig sei und dass das
Angebot sozusagen nur von dem Gedanken der Quali-
tätssicherung getragen sei, das kann ich, offen gespro-
chen, nicht glauben .

Wir haben in der Koalition intensiv über das Thema
debattiert, und wir sind zu dem Ergebnis gekommen,
dass wir eine allgemeine Fortbildungspflicht für Anwälte
zum jetzigen Zeitpunkt nicht wollen, weil wir glauben,
dass der Anwaltsmarkt derzeit


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht jetzt schon im Gesetz!)


auch im Sinne der rechtssuchenden Kreise, der Verbrau-
cherinnen und Verbraucher, über ausreichende Qualitäts-
siegel und auch über ausreichende Titel verfügt, die alle
mit Fortbildungspflichten behaftet sind, durch die dafür
Sorge getragen wird, dass Qualität am Markt existiert
und dass transparent nachgefragt werden kann .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Na ja! Na ja!)


Ich möchte an dieser Stelle noch einmal den Vorschlag
der SPD-Fraktion ansprechen . Wir haben durchaus ver-
sucht, einen sachgerechten Kompromiss vorzulegen . Wir
haben gesagt: Wenn eine solche Fortbildungspflicht ein-
geführt wird, dann wollen wir dafür sorgen, dass Fachan-
waltsfortbildungen anerkannt werden und dass junge An-
wälte in den ersten fünf Jahren nicht überfordert werden .

All das haben wir vorgeschlagen . Ich muss sagen:
Ich fand es schade, dass es vonseiten der Union keine
Zustimmung zu unserem Vorschlag gab. Wir hätten uns
durchaus vorstellen können, gemeinsam einen Kom-
promissvorschlag zustande zu bringen, mit dem wir ein
Stück weit auf den Anwaltsverein und auf die Bundes-
rechtsanwaltskammer zugegangen wären . Wir haben von
beiden Institutionen das Signal bekommen, dass sie mit
unserem Kompromissvorschlag einverstanden sind . Aber
das war mit den Kolleginnen und Kollegen der Union lei-

der nicht zu machen . Insofern bleibt es jetzt dabei, dass
wir an dieser Stelle keine Regelung mehr haben .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Aber mit uns ginge es!)


– Herr Hahn, schauen wir mal . Es dauert ja nicht mehr
lange: Am 24 . September sind Wahlen . Dann werden wir
überlegen, was mit anderen Parteien so möglich ist .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Aber warten wir erst einmal ab, ja?

Meine Damen und Herren, das ist aber nicht das Ein-
zige, das wir geregelt haben . Wir haben zum Beispiel
auch – und das ist mir persönlich wichtig – bei den Syn-
dikusanwälten dafür gesorgt, dass ihnen für den Zeitraum
zwischen Antrag auf Zulassung und Erteilung der Zulas-
sung keine versorgungsrechtlichen Nachteile entstehen .
Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt .

Ich möchte zum Schluss noch erwähnen, dass wir da-
für gesorgt haben, dass in Zukunft bei Kammerversamm-
lungen bei der Vorstandswahl die Briefwahl obligatorisch
ist . Das ist mir ein ganz wichtiger Punkt, weil ich aus
einem Kammerbezirk komme, in dem sich viele Tausend
Anwälte an dieser Wahl nicht beteiligen . Es geht darum,
dafür zu sorgen, dass man nicht zum Zwecke der Wahl
zur Versammlung hinfahren muss, sondern sich auch per
Briefwahl an einer solchen Wahl beteiligen kann .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822525700

Herr Kollege Flisek .


Christian Flisek (SPD):
Rede ID: ID1822525800

Ich komme zum Schluss . – Es geht darum, die Legi-

timation von solchen Wahlen zu stärken . Ich glaube, das
ist ein ganz guter Schritt . Was bei der Bundestagswahl
gang und gäbe, üblich und möglich ist, das muss in Zu-
kunft auch bei Kammerwahlen möglich sein . Aber wir
werden von der Opposition gleich sicherlich hören, wa-
rum das alles des Teufels ist .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Ich bin gespannt, meine Damen und Herren .

In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zu diesem
Gesetzentwurf .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Ganz so schlimm ist es gar nicht!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822525900

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion

Die Linke der Kollege Jörn Wunderlich .


(Beifall bei der LINKEN)


Christian Flisek






(A) (C)



(B) (D)



Jörn Wunderlich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822526000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Teufelchen!


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die links oder die rechts? – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also ich kann nicht gemeint sein!)


In erster Linie handelt es sich hier um ein begrüßenswer-
tes Vorhaben. Die seit langem geforderten an vielen Stel-
len sinnvollen Änderungen und die sprachliche Straffung
sind ja ganz gut, aber dann hört es auch schon fast auf .

Aufgrund meiner knappen Redezeit möchte ich mich
hier auf zwei Punkte beschränken, die Herr Flisek schon
angesprochen hat . Es geht um die Konkretisierung der
anwaltlichen Fortbildung . Dieses Thema ist bislang ge-
regelt in § 43a der Bundesrechtsanwaltsordnung . Dort
heißt es: „Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, sich fortzu-
bilden.“ Die Fortbildungspflicht besteht also schon.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! – Christian Hirte [CDU/CSU]: Eben!)


Jetzt will man den Kammern die Möglichkeit eröff-
nen, das auszugestalten, Sanktionen zu verhängen und
die Briefwahl zu ermöglichen . So war es im ursprüng-
lichen Gesetzentwurf vorgesehen . Zu den geplanten
Änderungen gehörte auch die Einführung der Pflicht,
im Zusammenhang mit der Zulassung Kenntnisse im
Anwaltsrecht zu erlangen; auch das war erfreulich . Dies
sollte den Verbraucher und letztlich auch den Anwalt
schützen und absichern . Man muss sich doch nur einmal
den Vergleich mit anderen Berufsgruppen anschauen,
mit Ärzten oder Lehrern beispielsweise, für die die Fort-
bildung auch bindend ist . Und um den Start in die An-
waltstätigkeit nicht zu sehr zu erschweren – das ist schon
angesprochen worden –, sollte die Teilnahme an diesen
Lehrveranstaltungen auch noch im ersten Jahr nach der
Zulassung möglich sein .

Jetzt komme ich zum Kernstück der Fortbildungs-
pflicht: Auch die Regelung, dass seitens der Kammer
Sanktionen bei Nichtbeachtung der Pflicht verhängt wer-
den können, wäre sinnvoll gewesen . Das Tolle ist, dass
der Kollege Flisek von der SPD in der ersten Lesung die-
se Regelung noch als sinnvoll erachtet hat .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Er hat in der ersten Lesung vor sechs Monaten hier ge-
sagt – ich zitiere aus dem Protokoll –:

... eine Fortbildungspflicht ohne entsprechenden
Druck zur tatsächlichen Durchsetzung der Ver-
pflichtung ist inkonsequent.


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Das glaube ich jetzt nicht!)


Ich weiß gar nicht, was die Kolleginnen und Kollegen
von der Koalition gegen Sanktionen haben. Bei Hartz IV
sind Sie doch auch nicht so zimperlich .


(Beifall des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Die Koalition fand die von der Bundesregierung vor-
geschlagene Regelung gut, die Opposition findet sie gut,
die betroffenen Berufsverbände finden sie gut. Alle wol-
len das, und trotzdem wird diese Regelung wieder ge-
strichen . Das soll man mal einem erklären . Ich kann das
keinem erklären .


(Christian Flisek [SPD]: Ich kann das schon erklären!)


– Ja, das meinen Sie, dass Sie das erklären können .


(Christian Flisek [SPD]: Das habe ich doch gerade gemacht!)


– Das war aber ein untauglicher Versuch – um im Juris-
tendeutsch zu bleiben .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Nachdem bekannt wurde, dass die Koalition die
Weiterbildungspflicht aus dem Gesetzentwurf streichen
will – sie wurde letztlich auch gestrichen – meldeten
sich sowohl die Bundesrechtsanwaltskammer als auch
der Deutsche Anwaltsverein und baten darum, diese
verpflichtende Fortbildung der Satzungsversammlung
der Bundesrechtsanwaltskammer zu ermöglichen . Wenn
jetzt wieder das Argument kommt, der Vorstand der Bun-
desrechtsanwaltskammer, die Vorstände aller Kammern
seien mangels Teilnahme der Mitglieder an den Vor-
standswahlen gar nicht hinreichend legitimiert – solche
Argumente habe ich gehört –,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei uns waren es wieder ganz viele!)


möchte ich Sie fragen, auf welche Legitimität Sie sich
berufen, wenn hier im Parlament Gesetzentwürfe mit 30
Jastimmen verabschiedet werden .


(Christian Flisek [SPD]: Au, au, au! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sollen wir auch Briefwahl machen?)


Darüber hinaus sollte die Briefwahl durch jeweiligen
Kammerbeschluss und nicht generell eröffnet werden.
Gerade durch die unterschiedliche Größe der einzelnen
Kammerbezirke – das ist angesprochen worden – sollte
diese Entscheidung den einzelnen Kammern im Rahmen
ihrer funktionalen Selbstverwaltung vorbehalten bleiben .


(Christian Flisek [SPD]: Ein Flickenteppich in Deutschland, oder was?)


Nun aber soll die verbindlich vorgesehene Briefwahl in
der Form erfolgen können, dass die Briefwahlzettel auch
in der Kammerversammlung abgegeben werden können .
Tolle Regelung!

Gut ist, dass die Koalition mit ihrem Änderungsan-
trag – so wie auch die Linke – dafür gesorgt hat, dass
die Änderung im Rechtsdienstleistungsgesetz dergestalt






(A) (C)



(B) (D)


vorgenommen wird, dass unqualifizierte Rechtsdienst-
leistungsangebote aus dem Ausland heraus nicht mehr
möglich sein sollen . Aber dies allein kann die bestehen-
den Mängel nicht ausgleichen .

Alles in allem wird meine Fraktion daher dieses Ge-
setz ablehnen, es sei denn, der Änderungsantrag der
Grünen findet hier in diesem Hohen Hause Zustimmung.
Dann können wir dem Gesetz zustimmen, weil er den
alten Rechtsstand wiederherstellte, so wie vom Justizmi-
nisterium und der Regierung gewollt, von den Beteilig-
ten gewünscht und ursprünglich von allen Parlamentari-
ern hier im Haus auch gewollt .

Danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822526100

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt

der Kollege Detlef Seif das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Detlef Seif (CDU):
Rede ID: ID1822526200

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Meine Damen und

Herren! Heute beraten wir den Entwurf eines Gesetzes
der Bundesregierung zur Umsetzung der Berufsanerken-
nungsrichtlinie .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Ach was!)


Die Richtlinie war spätestens zum 18 . Januar 2016 in
nationales Recht umzusetzen, und das wäre auch unpro-
blematisch möglich gewesen . Man hat sich aber nicht auf
die Kernvorschriften beschränkt, sondern diesen Gesetz-
entwurf mit vielen zusätzlichen Vorschlägen regelrecht
überfrachtet. Wenn wir uns das Verfahren angucken,
stellen wir fest: Das ist natürlich unvertretbar, und man
kann im Interesse der Qualität unserer Arbeit und auch
der Schnelligkeit nur dringend empfehlen, dass zukünf-
tig Gesetzentwürfe, die EU-Richtlinien betreffen, im We-
sentlichen nur auf diese Themen bezogen sind und nicht
im Omnibusverfahren alles total überfrachtet wird .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist kein Omnibus! Das stand im Entwurf des Justizministers!)


Zwei im ursprünglichen Gesetzentwurf vorgesehene
Vorschläge haben für eine besonders intensive Diskus-
sion gesorgt, auch heute wieder, einerseits die Verpflich-
tung von Berufsanfängern, sich im Jahr zehn Stunden
fortzubilden, und zwar bezogen auf das Berufsrecht,
andererseits die Regelung, nach der die Satzungsver-
sammlung der Bundesrechtsanwaltskammer, aber auch
der Patentanwaltskammer die Befugnis erhalten sollten,
durch Satzung die bestehende Fortbildungsverpflichtung
zu konkretisieren, verbunden allerdings auch mit der
Möglichkeit, die dann gesetzlich geschaffen werden soll-
te, über die Rüge hinauszugehen und ein Bußgeld von bis

zu 2 000 Euro zu verhängen . Diese Regelungsvorschläge
lehnt die Unionsfraktion aus guten Gründen ab .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Ohne gute Gründe!)


Es mag sein, dass Berufsanfängern berufsrechtliche
Kenntnisse fehlen . Um diese Kenntnisse zu vermitteln,
bedarf es aber keiner Fortbildungsstunden und erst recht
keines Gesetzes . Es würde ausreichen, wenn die Be-
rufsanfänger direkt nach der Erstzulassung von der je-
weiligen Kammer nachdrücklich durch eine entsprechen-
de Zusammenfassung auf einem Merkblatt informiert
würden, wo auf die wichtigsten Vorschriften hingewie-
sen wird .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer soll das jetzt glauben?)


Das sind immerhin studierte Leute, und sie wissen, wie
sie auch mit fremder Rechtsmaterie umzugehen haben .

Weder das Justizministerium noch die Berufsverbän-
de konnten angebliche Qualitätsmängel der anwaltlichen
Tätigkeit belegen . Auch aus einschlägigen Statistiken der
Berufshaftpflichtversicherer folgt kein Nachweis für eine
Verschlechterung der anwaltlichen Arbeit. Die allermeis-
ten Rechtsanwälte bilden sich in ihrem eigenen Interesse
selbst fort . Soweit einige Prozent der 164 000 Rechtsan-
wälte sich nicht fortbilden, ist fraglich, ob die Einführung
von Zwangsstunden zur Fortbildung überhaupt zu einer
Verbesserung des Kenntnisstandes dieser Personen füh-
ren wird . Entscheidend ist aber: Es ist doch völlig unver-
hältnismäßig, die anderen Rechtsanwälte, die weit über-
wiegende Zahl – rund 90 Prozent, rund 140 000 – mit
einer derartigen Fortbildungspflicht zu überfrachten, die
sanktionsbewehrt ist, sie wie Schuljungen auf die Bank
zu schicken .

Jetzt kommen wir zur rechtlichen Seite . Es gibt die
Wesentlichkeitstheorie, und unter Berücksichtigung die-
ser Theorie muss der Gesetzgeber wesentliche Regelun-
gen selbst treffen. Wenn wir das wollten, müssten wir als
Gesetzgeber die Rahmenbedingungen schon selbst fest-
legen und können sie nicht über eine Satzungsbefugnis
an ein Selbstverwaltungsorgan übertragen .

Aber auch im Interesse einer möglichen Interessen-
kollision wäre es geboten, dann hier ein entsprechendes
Gesetz zu machen . Wir reden von einem neuen Markt,
bis zu 150 Millionen Euro netto Jahresumsatz, und das
Risiko ist groß, dass Vertreter berufsständischer Orga-
nisationen ein Interesse daran haben, dass ihre Fortbil-
dungsinstitute am Markt beteiligt werden, und sie die In-
teressen der Anwaltschaft dabei aus dem Blick verlieren .

Meine Damen und Herren, wenn man das Wirken im
Gesetzgebungsverfahren sieht, hat man wirklich den Ein-
druck: Da sind knallharte Lobbyisten unterwegs, und die
bestärken diese Einschätzung .


(Beifall des Abg . Christian Flisek [SPD])


Jörn Wunderlich






(A) (C)



(B) (D)


Einige behaupten, dass die Anwaltschaft selbst die buß-
geldbewehrte Fortbildungspflicht wünscht; das haben wir
auch gerade wieder gehört . Das ist so aber nicht richtig .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So, jetzt bitte die richtige Entscheidung zitieren!)


Selbst in der Satzungsversammlung der Bundes-
rechtsanwaltskammer gehen die Ansichten auseinander .
Fragen Sie doch mal die Rechtsanwälte, die sich selbst
fortbilden – das sind die allermeisten –, was sie von dem
Gesetzesvorschlag halten, und dann lassen Sie die Ant-
wort einmal auf sich wirken .

Die Sicherung der Qualität der anwaltlichen Tätigkeit
liegt der Unionsfraktion am Herzen .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Ach Gott!)


Deshalb wird sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion
nach Abschluss dieses gesetzlichen Verfahrens im Rah-
men eines Kolloquiums mit Experten darüber austau-
schen, ob und in welcher Form eine Qualitätsverbesse-
rung erreicht werden kann,


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Irgendwann!)


und zwar durch eine maßgeschneiderte Regelung und
nicht durch eine pauschale und belastende Vorgabe für
alle Rechtsanwälte .

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822526300

Vielen Dank. – Die nächste Rednerin ist Katja Keul,

Bündnis 90/Die Grünen .


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822526400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir haben es gehört: Mit dem Gesetz sollte
ursprünglich nicht nur die Berufsanerkennungsrichtlinie
umgesetzt werden, sondern darüber hinaus auch das Be-
rufsrecht der Rechtsanwälte modernisiert werden . Dieses
zweite Ziel wurde nun gründlich verfehlt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Veränderungen aus dem Parlament heraus wären
besser unterblieben . Jetzt ist das Gesetz quasi entkernt,
indem es auf Qualitätssicherung und Verbraucherschutz
gänzlich verzichtet . Das ist mehr als schade .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Fangen wir trotzdem mit dem kleinen positiven As-
pekt an: Der Anwendungsbereich des Rechtsdienstleis-
tungsgesetzes steht künftig auch bei grenzüberschrei-
tender Beratung nicht mehr in Zweifel . Die jetzige
Formulierung stellt klar: Der Rechtsuchende oder die
Rechtsuchende soll bei einer grenzüberschreitenden Be-
ratung immer dann geschützt sein, wenn Gegenstand der
Beratung deutsches Recht ist .

Erfreulich ist auch die Einführung der Briefwahl bei
den Vorstandswahlen der Rechtsanwaltskammer. Dass
die Kammern die Briefwahlen jetzt nicht nur durchführen
können, sondern auch müssen, ist allerdings eher skurril .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Diese Entscheidung hätte man den Kammern selbst über-
lassen können .

Die wichtigste Neuerung im Regierungsentwurf war
vor allem die Konkretisierung der Fortbildungspflicht für
die Anwaltschaft, und zwar durch die Satzungsversamm-
lung, also durch das frei gewählte Anwaltsparlament .
Die Fortbildungspflicht dient der Qualitätssicherung für
die Verbraucher und der Förderung und Stärkung der
anwaltlichen Selbstverwaltung. Dieser Vorschlag wurde
auch im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens von
allen Experten begrüßt, auch von dem Kollegen Flisek,
wie wir gerade gehört haben .

Das Gleiche gilt für die Einführung eines Nachwei-
ses über Grundkenntnisse im anwaltlichen Berufsrecht .
Auch dies ist eine Forderung, die sowohl die Rechtsu-
chenden als auch die Rechtsanwälte selbst vor Haftungs-
fallen schützen soll . Deswegen ist es völlig unverständ-
lich, warum diese guten und notwendigen Regelungen
ersatzlos aus dem Gesetzentwurf verschwunden sind .
Die Erklärungen für diesen Rückschritt sind schwammig
und überzeugen nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Eine übermäßige finanzielle und zeitliche Belastung
sehe ich durch eine Fortbildungsveranstaltung von zehn
Stunden im Jahr eher nicht . Für Berufseinsteiger gibt es
in der Regel ohnehin entsprechende Vergünstigungen.
Außerdem gab es den sinnvollen Vorschlag, die Fortbil-
dungspflicht in den ersten fünf Jahren nach dem zweiten
Staatsexamen zugunsten der Berufsanfänger auszuset-
zen . Das wäre schon deswegen sinnvoll, weil den frisch
Examinierten die Ausbildungsinhalte ohnehin noch prä-
sent sind und die Regelung vor allem die älteren Berufs-
kollegen zur regelmäßigen Fortbildung anhalten sollte .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Dann hieß es – das haben wir eben auch noch mal ge-
hört –, es ginge in Wahrheit um die Profitinteressen der
Fortbildungsveranstalter, zu denen unter anderem auch
die Kammern gehören . Das ist nun wirklich ein merk-
würdiges Argument: Weil Fortbildung Geld kostet, ver-
zichten wir lieber ganz darauf . Dabei wäre die zusätzliche
Nachfrage ohnehin gar nicht so riesig, weil die Fachan-
waltsfortbildungen ja auf die allgemeine Fortbildung
angerechnet werden sollten . Aus gutem Grund nehmen
schon heute die meisten Anwälte an Fachanwaltsfortbil-
dungen teil . Trotzdem wollten Sie das nicht .


(Christian Flisek [SPD]: Wer? Wer wollte das nicht? – Gegenruf des Abg . Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Na ihr wolltet das nicht!)


Detlef Seif






(A) (C)



(B) (D)


Es drängt sich vielmehr ein ganz anderer Grund für
die Streichung auf. Angeblich soll es überflüssig und
unzumutbar sein, wenn Unternehmensanwälte – so Herr
Seif im Ausschuss –, die doch ohnehin jahrelang nur für
ihr Unternehmen tätig sind und dort ihr eigenes Spezi-
algebiet bearbeiten, mit derartigen Fortbildungspflichten
belästigt werden .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Nur die Altersvorsorge! – Detlef Seif [CDU/CSU]: Frau Keul, das ist kein Zitat von mir! Das ist falsch!)


Da rächt sich jetzt das freundliche Entgegenkommen
gegenüber den Syndikusanwälten im letzten Jahr . Als es
darum ging, Mitglied im anwaltlichen Versorgungswerk
sein zu dürfen, war es allen so wichtig, ihre Arbeit als
anwaltliche verstanden zu wissen .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das ist verkehrt, was Sie da jetzt sagen! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist Populismus!)


Das hörte allerdings bereits bei der Erkenntnis auf, dass
anwaltliche Tätigkeit auch eine Berufshaftpflicht nach
sich zieht .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rosinenpickerei!)


Auch jetzt will man sich nicht mit weiteren störenden
Pflichten belasten. So geht das nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Sie haben das Syndikusgesetz nicht verstanden, Frau Kollegin!)


Wer seine anwaltliche Tätigkeit ernst nimmt, muss
vorrangig die Interessen der Rechtsuchenden in den
Blick nehmen . Außerdem dient konsequente Qualitätssi-
cherung auch den Interessen der Anwaltschaft selbst und
der Rechtspflege insgesamt. Wer sich daran nicht betei-
ligen möchte, sollte auf eine Anwaltszulassung besser
verzichten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Diesen entkernten Gesetzentwurf lehnen wir ab . Dem
Entwurf Ihres Justizministers hätten wir gerne zuge-
stimmt. Deswegen stellen wir dessen ursprüngliche Vor-
schläge mit unserem Änderungsantrag hier und heute
noch einmal zur Abstimmung .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Sehr vernünftig! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zweite Chance!)


Nutzen Sie die Chance!

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also, wir stimmen für die Heiko-Maas-Sache! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau, wir stimmen für Heiko Maas! – Hans Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist er denn?)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822526500

Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Alexander

Hoffmann für die CDU/CSU-Fraktion die Chance, diese
Debatte abzuschließen .


(Beifall bei der CDU/CSU )



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1822526600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-

nen und Kollegen! Wir stärken Europa, indem wir grenz-
überschreitende Vorgänge erleichtern. Dieser Satz gilt
auch in der Rechtsberatung . Deswegen ist es richtig, die
Möglichkeit zu eröffnen, dass Rechtsanwälte, Patentan-
wälte und Berufe, die unter das Rechtsdienstleistungsge-
setz fallen, grenzüberschreitend agieren können . Das ist
nicht zuletzt schon Ausfluss der Dienstleistungsfreiheit.
Dabei muss es aber unser Ziel sein, die Qualität unserer
juristischen Ausbildung und die Qualität der juristischen
Beratung im Land auf einem möglichst hohen Niveau zu
halten .

Wir haben ein hohes Niveau, und deswegen darf es
auch keinen Automatismus geben, nach dem Motto: Wer
in einem Land rechtsberatend tätig sein darf, der darf das
dann automatisch auch in einem anderen . Wir brauchen
Qualität in der Rechtsberatung, und wir brauchen eine
Lage, die denjenigen, die diese Beratung in Anspruch
nehmen, das Vertrauen gibt: Jawohl, ich bin dort in je-
dem Falle in guten Händen . – Deswegen ist es richtig,
dass dieser Gesetzentwurf nach wie vor darauf abstellt,
dass wir eine mindestens gleichwertige Berufsqualifika-
tion brauchen und dass ansonsten eine Eignungsprüfung
erforderlich ist .

Ich persönlich glaube aber, dass wir für die Beibehal-
tung des hohen Niveaus der Rechtsberatung, das wir im
Land haben, nicht als Grundvoraussetzung eine Fortbil-
dungspflicht für Berufsanfänger im Bereich des Berufs-
rechts brauchen,


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für die Älteren!)


die wir dann auch noch mit einer Sanktionsmöglichkeit
versehen . Das ist auch der wesentliche Unterschied zwi-
schen den Formulierungen, wie wir sie heute haben, auch
in der Fachanwaltsordnung, wo das ja als Obliegenheit
formuliert ist .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß nicht, wie
es Ihnen geht . Aber wenn ich mich an meine Referendar-
zeit zurückerinnere, dann muss ich feststellen, dass wir
weitaus mehr als zehn Stunden Berufsrecht gemacht ha-
ben . Wenn wir heute in der Debatte den Eindruck erwe-
cken, dass wir bei neuen Rechtsanwälten unter Umstän-
den nicht bundesweit ein dementsprechend hohes Niveau
auf dem Gebiet des Berufsrechts haben, dann müssen wir
diese Diskussion eigentlich um die Frage bereichern:
Wie gelingt es uns dann, bundesweit schon in der Ausbil-
dung im Bereich der Kenntnisse über das Berufsrecht ein
solches Niveau zu etablieren?

Katja Keul






(A) (C)



(B) (D)


Im Übrigen glaube ich, dass Fortbildung, Weiterbil-
dung und das Sich-mit-der-Rechtslage-Entwickeln ein
originäres Eigeninteresse eines jeden Rechtsanwalts sein
muss .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Wenn man sich den heutigen Markt anschaut, dann muss
man feststellen: Rechtsanwalt sein ist heute kein Zucker-
schlecken mehr, weil der Konkurrenzdruck so groß ist,
dass man in dem Moment, in dem man das Eigeninteres-
se an Fortbildung nicht mehr verfolgt, unter Umständen
komplett abgehängt wird . Die Zahlen in diesem Bereich
sprechen Bände . Es gibt Zahlen des Soldan Instituts,
nach denen sich 90 Prozent aller Rechtsanwälte regelmä-
ßig fortbilden. Deswegen empfinde ich es als völlig ver-
fehlt, wenn in dieser Debatte der Eindruck erweckt wird,
dass die Qualität für Bürgerinnen und Bürger schlechter
wird, weil wir nicht sanktionsbewehrt eine Fortbildungs-
pflicht etablieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Kollege Seif hat es vorhin angesprochen: Auch in
der BRAK ist das Stimmungsbild gespalten . Es ist nicht
so, dass alle sagen, es gebe nur diesen einen Weg,


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Aber sehr viele!)


und ich denke, diesen Eindruck sollten wir in dieser De-
batte auch nicht erwecken .

Wenn wir auf die besonderen Änderungen im berufs-
ständischen Recht der Rechtsanwälte und in bestimmten
Rechtsgebieten zurückblicken, dann stellen wir fest: Es
war eigentlich nie ein Problem für die Rechtsanwälte,
sich punktgenau auf die neue Rechtslage und die neue
Situation vorzubereiten . Erinnern Sie sich nur an die gro-
ße Änderung im Gebührenrecht .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausgerechnet dieses Beispiel halte ich nicht für gelungen!)


Ich glaube, insoweit wird deutlich, dass die Anwälte und
Anwältinnen, die wir hier im Land haben, keinen An-
sporn in Form eines sanktionsbewehrten Zwangsmittels
brauchen .

Ich halte die Formulierung, die im Moment auf dem
Tisch liegt, für sehr gelungen und möchte deswegen um
Ihre Zustimmung werben .

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822526700

Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umset-
zung der Berufsanerkennungsrichtlinie und zur Änderung
weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden
Berufe. Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-

che 18/11468, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/9521 und 18/9948 in der Aus-
schussfassung anzunehmen .

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/11626 vor, über
den wir zuerst abstimmen .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau, das ist der Entwurf der Bundesregierung!)


Wer stimmt für den Änderungsantrag von Bündnis 90/
Die Grünen? –


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir stimmen für die Bundesregierung! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir stimmen für Heiko Maas! – Gegenruf des Abg . Christian Flisek [SPD]: Das könnt ihr mal öfters tun!)


Wer stimmt dagegen? – Das ist die Koalition; das war
eindeutig die Mehrheit . – Enthaltungen sehe ich nicht .
Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt .

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist
der Gesetzentwurf in zweiter Beratung mit den Stimmen
der Koalition gegen die Stimmen der Opposition ange-
nommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, aufzuste-
hen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen . – Wer
ist dagegen? – Enthaltungen sehe ich nicht . Damit ist
der Gesetzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen
Stimmenverhältnis angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung von Vorschriften im Bereich
des Internationalen Privat- und Zivilverfah-
rensrechts

Drucksache 18/10714
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Recht
und Verbraucherschutz (6. Ausschuss)


Drucksache 18/11637

Hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben wer-
den . – Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind .1)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/11637, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/10714 in der Ausschussfassung anzunehmen .
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der

1) Anlage 7

Alexander Hoffmann






(A) (C)



(B) (D)


Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen aller Fraktionen angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte alle, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Ge-
setzentwurf in dritter Beratung einstimmig angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Zehnten
Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes

Drucksachen 18/10944, 18/11284, 18/11472
Nr. 1.2
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Er-
nährung und Landwirtschaft (10 . Ausschuss)


Drucksache 18/11635

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Sie sind damit einverstanden .1)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/11635, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa-
chen 18/10944 und 18/11284 in der Ausschussfassung
anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung mit
den Stimmen aller Fraktionen bei einer Enthaltung aus
der Fraktion Die Linke angenommen .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er muss wissen, worum es geht! – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Bei uns darf man frei abstimmen!)


Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis ange-
nommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Innovationskraft von kleinen und mittleren
Unternehmen stärken – Anreize für mehr
Investitionen in Forschung und Entwicklung
schaffen

Drucksache 18/11594

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

1) Anlage 8

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Andreas Lämmel, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1822526800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es gibt natürlich keine schlechte Zeit, um sich über die
Unterstützung innovativer Unternehmen zu unterhalten .
Es gibt jedoch auch bessere Zeiten als jetzt . Aber wir
wollen das heute so nehmen, wie es kommt, und uns um
diese Zeit intensiv damit auseinandersetzen, wie wir in
Deutschland die Szene der innovativen Unternehmen
noch besser unterstützen können .

Die innovativen kleinen und mittleren Unternehmen
in Deutschland bilden das starke Rückgrat der deutschen
Wirtschaft, meine Damen und Herren . Sie sorgen für
technologischen Fortschritt in Deutschland und sichern
hochqualifizierte Arbeitsplätze. Eine Vielzahl von ih-
nen gehört zu den sogenannten Hidden Champions, also
Weltmarktführern, deren Namen man aber nicht genau
kennt .


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Alles trotz CDU!)


– Lieber Kollege Hahn, du weißt ja, dass wir trotz der
PDS in Sachsen hervorragende Fortschritte gemacht ha-
ben . Gerade Sachsen ist ja ein Land der innovativen Un-
ternehmen . Insofern kann das so nicht stimmen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Oh, oh, oh!)


Meine Damen und Herren, trotzdem muss man ehr-
licherweise sagen: Verschiedene Studien attestieren
dem innovativen Mittelstand in den letzten Jahren eine
nachlassende Innovationskraft . Wenn man den Studien
glauben darf, dann ist es so, dass die Zahl der forschen-
den Unternehmen in Deutschland seit einigen Jahren
stagniert . Die Ausgaben für Innovationen, also für die
Forschung, in den kleinen und mittleren Unternehmen,
haben sich, gemessen am Umsatz, in den letzten 15 Jah-
ren nahezu halbiert . Auch die Zahl der Gründer wächst
schon seit Jahren nicht mehr in Deutschland . Damit ist
natürlich der Nachwuchs für zukünftige innovative Un-
ternehmen gefährdet .

Deswegen brauchen wir einen frischen Wind in der
Szene der innovativen Unternehmen . Genau darauf zielt
unser Antrag . Wir haben im Prinzip drei Punkte heraus-
gegriffen – sie sind uns in vielen Diskussionen mit Ver-
tretern innovativer Unternehmen und von Forschungsin-
stituten immer wieder genannt werden –, die notwendig
sind, um hier etwas Bewegung in die ganze Sache zu
bringen .

Erstens . Die Finanzierung von Innovationen und
Start-ups muss erleichtert werden . Das ist ein ständiges
Thema; gar keine Frage. Viele Vorschläge liegen auf dem
Tisch . Trotzdem muss man deutlich sagen: In den letzten
Jahren der Großen Koalition und seitdem Bundeskanz-
lerin Angela Merkel im Amt ist, also seit 2005, haben

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


sich die Ausgaben für Forschung und Technologie enorm
erhöht, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Förderung des innovativen Mittelstandes hat sich
nahezu verdoppelt und beträgt jetzt fast 1,6 Milliarden
Euro pro Jahr . Das ist schon ein ziemlich bedeutender
Betrag . Hier gibt es zwei Säulen: zum einen das Zentrale
Innovationsprogramm Mittelstand und zum anderen die
Projektförderung über die Industrielle Gemeinschafts-
forschung . Es geht darum, die Finanzierung dieser Pro-
gramme in den nächsten Jahren zu sichern . Innerhalb der
Koalition haben wir vor, die Mittel – sie sind in der mit-
telfristigen Finanzplanung schon ausgewiesen – für diese
Programme deutlich zu steigern .

Zweiter Punkt . Die Bildungs- und Forschungskoope-
ration – das halte ich aufgrund meiner eigenen Erfahrung
aus der Landespolitik in Sachsen für sehr wichtig – muss
weiter forciert werden . Es handelt sich um Kooperatio-
nen zwischen Unternehmen und Universitäten, zwischen
Unternehmen und außeruniversitären Forschungsein-
richtungen, von Unternehmen untereinander . Das ist,
glaube ich, für die nächste Zukunft sehr wichtig, obwohl
wir auch hier in den letzten Jahren eigentlich deutliche
Fortschritte gemacht haben . Wir haben 15 Spitzencluster
aus dem Spitzencluster-Wettbewerb – das ist schon sehr
gut –, und wir haben immerhin über 400 Netzwerke zum
Beispiel aus der BMBF-Innovationsinitiative „Unterneh-
men Region“ .

Dritter und letzter Punkt aus unserem Programm ist, die
KMUs fit zu machen für die digitale Wirtschaft. Glaubt
man den verschiedenen Stimmen aus der Wissenschaft
und den verschiedenen Studien, dann ist es angeblich so,
dass der Mittelstand die Digitalisierung verschläft . Aus
meiner Sicht ist das nicht so . Trotzdem muss hier darauf
hingewiesen werden: Wer heute in der Digitalisierung
nicht die richtigen Schritte geht, wird es in der Zukunft
schwer haben . Deshalb gilt es für uns, das Thema digitale
Wirtschaft voranzubringen und die KMUs weiter zu un-
terstützen . Die Plattform Industrie 4 .0 ist hier schon ein
wichtiger Schritt in die richtige Richtung .

Ich bitte Sie ganz herzlich um Zustimmung zu unse-
rem Antrag .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822526900

Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt

Thomas Lutze das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Thomas Lutze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822527000

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! In

34 Punkten listen Sie auf, was man alles machen müsste
und machen könnte, wenn man die Stellung von kleinen
und mittelständischen Unternehmen in der Bundesre-
publik stärken wollte . Und Sie betonen zu Recht, dass
der Zugang und die Perspektiven für diese Unternehmen
zum Beispiel im Bereich Forschung und Entwicklung
verbessert werden müssen .

Erlauben Sie mir heute Abend, eine Schulnote zu ver-
geben; denn man kann resümieren: Schön, dass Sie alles
aufgeschrieben haben. Vollständigkeit: Note 1. Was man
aber nicht in eine Schulnote pressen kann, ist eine poli-
tische Frage . Die Antragsteller, CDU/CSU und SPD, re-
gieren seit dreieinhalb Jahren hier . Sie stellen zusammen
eine komfortable Mehrheit . Wenn sie es ernst meinen mit
dem Thema, dann muss die Frage erlaubt sein, warum
wir heute Abend nur einen Antrag haben und keine ent-
sprechende Gesetzesinitiative .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei der Lektüre Ihres Antrags bekommt man ein
bisschen den Eindruck, dass wir kurz vor der Bundes-
tagswahl – und fast hätten wir es kurz vor Mitternacht
gehabt – einen Schaufensterantrag auf der Tagesordnung
haben. Ich finde das Thema zu wichtig, Herr Lämmel,
als dass wir es hier im Ad-hoc-Verfahren einfach mal so
durchwinken . Das ist kein seriöses parlamentarisches
Verfahren.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn Sie ernsthaft eine Debatte wollen – und ich
glaube, wir liegen bei ganz vielen Einzelfragen gar nicht
so weit auseinander –, dann überweisen Sie Ihr Papier in
die zuständigen Ausschüsse und lassen Sie uns darüber
diskutieren .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aus der Sicht der Linksfraktion ist klar: Kleine und
mittelständische Unternehmen sind eine tragende Säule
unserer Volkswirtschaft. Millionen Menschen haben über
diese Unternehmen ein Einkommen, weil sie zum Bei-
spiel Unternehmer, Teilhaber oder auch Mitarbeiter sind .
Im Gegensatz zu den großen privatrechtlichen, aber auch
vielen öffentlichen Unternehmen sind ihre Möglichkei-
ten, Forschung und Entwicklung selbst zu betreiben,
aufgrund ihrer Größe meist sehr begrenzt . Sie sind also
auf Hilfe von außen, auf Zuschüsse, auf Programme usw .
angewiesen .

Ich bin nun sehr gespannt, was mit Ihrem Antrag kon-
kret passiert, welche Konsequenzen er für den Rest der
Wahlperiode hat und welche Aussagen dann im Wahl-
kampf getroffen werden. Man muss, glaube ich, kein
Prophet sein, um voraussagen zu können: Dieses Thema
werden wir in der nächsten Wahlperiode wieder auf der
Tagesordnung haben. Ich hoffe, dann mit einer anderen
Bundesregierung und einer anderen Mehrheit hier im
Haus .

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Matthias Heider [CDU/CSU]: Machen Sie sich keine Hoffnung!)


Andreas G. Lämmel






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822527100

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Sabine

Poschmann, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Sabine Poschmann (SPD):
Rede ID: ID1822527200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Vorab möchte ich etwas zu Herrn Lutze sa-
gen, und zwar: Sie hätten unseren Antrag besser lesen
sollen . Dann hätten Sie festgestellt, dass 19 Punkte, der
überwiegende Teil unseres Antrags, besagen, was wir
befürworten, was wir bisher alles auf die Reihe gekriegt
haben und wo wir überall schon etwas für Innovation und
den Mittelstand getan haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Na ja!)


15 Punkte besagen dagegen, wo wir noch aufbauen kön-
nen . Das ist also nicht die Mehrheit . Wir haben schon
sehr viel getan in dieser Wahlperiode .

Deshalb denke ich, man kann zwar immer noch darü-
ber hinausgehen, aber ich freue mich, dass auch die Linke
mit uns diesen Weg geht . Denn wir alle wissen: Unsere
Forschungs- und Entwicklungslandschaft genießt welt-
weit hohes Ansehen . Der jüngsten OECD-Studie zufolge
zählt Deutschland zu den fünf führenden Forschungsna-
tionen und hat seine Innovationskraft in den vergangenen
Jahren deutlich gesteigert .

Die Gesamtinvestitionen für Forschung und Entwick-
lung haben zuletzt einen Höchstwert von 158 Milliarden
Euro erreicht. Wir befinden uns insgesamt also auf einem
richtigen Weg .

Die eigentlichen Wachstumstreiber sind aber die gro-
ßen Unternehmen . Während diese ihre F-und-E-Ausga-
ben kontinuierlich steigern, fällt der Anteil der kleineren
Betriebe mit weniger als 500 Mitarbeitern seit Jahren
weiter zurück . Wir laufen also Gefahr, dass ein großer
Teil des Mittelstandes den Anschluss verliert . Diese Ent-
wicklung müssen wir gerade in Zeiten von Digitalisie-
rung und Internationalisierung stoppen, und wir müssen
versuchen, sie umzudrehen .

Wir wollen den Pioniergeist kleiner Unternehmen
wecken und ihr F-und-E-Potenzial stärken . Genau da-
rauf zielt unser heutiger Antrag ab . Er bietet eine gute
Grundlage und ist das Ergebnis vieler Gespräche, die wir
seit einem Jahr noch viel intensiver mit allen mittelstän-
dischen Akteuren geführt haben .

Ein wesentlicher Punkt ist für uns, kleineren Betrieben
den Zugang zu Förderprogrammen zu erleichtern. Vie-
les ist für sie einfach zu kompliziert . Wir brauchen Wege
durch den Förderdschungel . Deshalb muss die Projekt-
förderung transparenter und einfacher gestaltet werden .

Der Anker ist und bleibt das Zentrale Innovationspro-
gramm Mittelstand, ZIM, mit dem wir technologische
Neuerungen auf den Weg bringen . Aber auch hier können
wir noch eine Schippe drauflegen, indem wir das Volu-
men bei ZIM von 543 Millionen Euro auf 700 Millionen
Euro erhöhen .

Sehr geehrte Damen und Herren, unser gesamtstaat-
liches Ziel, die F-und-E-Ausgaben auf 3 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, haben wir inzwischen
erreicht . Das ist ein Erfolg . Wir dürfen jetzt aber nicht
stehen bleiben; denn andere Volkswirtschaften haben die
3 Prozent längst hinter sich gelassen . Deshalb möchten
wir mit unserem Antrag die Gesamtinvestitionen in For-
schung und Entwicklung in Deutschland bis 2025 auf
3,5 Prozent des BIP steigern .

Wir Sozialdemokraten sind bereit, noch weiter zu
gehen . Die deutsche Förderarchitektur ist auf eine klas-
sische Projektförderung fokussiert . Was wir unserer
Meinung nach ebenfalls benötigen, ist eine steuerliche
Forschungsförderung . Wenn wir den Entdeckergeist der
kleinen Betriebe wecken wollen, brauchen wir eine brei-
te Förderung, die diese auch erreicht .

Daher finde ich es sehr bedauerlich, dass Sie, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU, unse-
ren Vorschlag für eine steuerliche Forschungsförderung
nicht mittragen wollen,


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Aber so sind die! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Man braucht im Haushalt für ZIM nur mehr Mittel zu bewilligen! Ist alles schon da!)


erst recht, da Niedersachsen und Bayern ein gutes Kon-
zept vorgelegt haben und nun sogar Bundesfinanzminis-
ter Schäuble Sympathien für unseren Vorstoß gezeigt hat.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Vielleicht fehlt für den tatsächlichen Schritt dann doch
der Mut. Vielleicht hat es Herr Schäuble nicht ernst ge-
meint . Die SPD jedenfalls steht bereit, das entsprechende
Gesetz mit dem Koalitionspartner noch vor der Sommer-
pause auf den Weg zu bringen .


(Dr . Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, macht das! – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Geht auch mit uns! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Nicht mit mir!)


– Vielleicht nach der Sommerpause.

Meine Damen und Herren, Innovationen dürfen nicht
am fehlenden Kapital scheitern . Wir begrüßen ausdrück-
lich, dass die KfW-Bank die Finanzierung von Start-ups
deutlich ausweitet . Wir wollen damit sicherstellen, dass
jungen, innovativen Unternehmen in allen Entwick-
lungsphasen ausreichend Kapital zur Verfügung steht.
Die aktuellen Gründerzahlen zeigen: Da ist noch Luft .
Da geht noch was .

Wenn ich von Innovationen spreche, meine ich nicht al-
lein technische Neuerungen . Unser Innovationsverständ-
nis reicht weiter . Wir als SPD-Fraktion beziehen dabei
ausdrücklich soziales Unternehmertum ein, das mit neu-
en Ideen und Geschäftsmodellen die Lebensqualität der
Menschen verbessern will . Das können Gutschein-Apps
für Flüchtlinge sein oder Projekte wie die Solidarische
Landwirtschaft, bei der eine Gruppe von Verbrauchern
mit einem Partner in der Landwirtschaft kooperiert . Der
Kreativität sind hier – genauso wie in der Technik – keine
Grenzen gesetzt . Auch solche Start-ups werden künftig
deutlich stärker in den Blick genommen und durch die






(A) (C)



(B) (D)


Öffnung der Programme hoffentlich unterstützt. Sie sind
eine wahre Schatztruhe . Je mehr Menschen sich für die
Lösung gesellschaftlicher Probleme engagieren, desto
größer werden die Auswahl und die Ideenvielfalt . Damit
punkten wir gleich mehrfach . Wir stärken privates Un-
ternehmertum, entlasten staatliche Organisationen und
stoßen Kooperationen zwischen innovativen Sozialun-
ternehmen und Wohlfahrtsverbänden an .

Meine Damen und Herren, der deutsche Mittelstand
ist eine Lok für unser Wachstum . Lassen Sie uns die
Weichenstellung weiter verbessern, damit die Fahrt noch
kraftvoller vorangeht .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822527300

Danke schön . – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht

jetzt Dr . Thomas Gambke .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch wenn meine Rede Sie möglicherweise zu anderen
Erwartungen verleitet: Wir werden dem Antrag zustim-
men . Er enthält eine Reihe aufgelisteter richtiger Punkte .
Es gibt kaum etwas, dem wir widersprechen würden . Herr
Lämmel, Sie haben sich ein bisschen darüber beschwert,
dass wir heute zu relativ später Zeit dieses Thema auf die
Tagesordnung gesetzt haben . Ich bin recht stolz, dass Sie
noch da sind . Ich habe mich in den letzten zwei Tagen
immer wieder gewehrt, meine Rede zu Protokoll zu ge-
ben, eine Rede über einen Antrag, der vor noch nicht ein-
mal 48 Stunden in dieses Parlament eingebracht wurde .

Sie schreiben zu Beginn Ihres Antrags richtigerweise:

Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft
Deutschlands hängt maßgeblich davon ab, wie gut
es uns gelingt, innovative Ideen zu verwirklichen .
Es geht darum, zukunftsfähige Lösungen für die
großen Herausforderungen unserer Zeit zu finden.

Das machen Sie mit einer Protokollrede, wenn es nach
Ihnen gegangen wäre? Das machen Sie, wenn es nach
Ihnen geht, mit einer Sofortabstimmung? Das machen
Sie, ohne uns irgendwelche konkreten Maßnahmen vor-
zustellen? Ich bin erschüttert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Matthias Heider [CDU/CSU]: Aber Sie stimmen zu!)


Viele von Ihnen, die aus den Fachabteilungen kom-
men, haben an der Anhörung zu den ERP-Mitteln am
letzten Montag teilgenommen . Auf Ihre Frage wurden
die mir bekannten und Ihnen wahrscheinlich noch nicht
bekannten Zahlen betreffend das Volumen von Venture
Capital in Deutschland im Vergleich zu dem in den USA
genannt – ich bin versucht, Sie zu fragen, ob Sie mir die-
se Zahlen nennen können –: 60 Milliarden Dollar in den
USA und 800 Millionen Euro bei uns. Das Volumen von
Venture Capital in Deutschland macht – bei einem Fak-
tor 10 der beiden Volkswirtschaften – etwa ein Hunderts-

tel des Volumens von Venture Capital in den USA aus.
Wenn wir uns mit diesem Thema befassen, müssen wir
uns auch – so steht es in Ihrem Koalitionsvertrag – mit
Fragen zum Wagniskapital ernsthaft befassen . Was ist da-
raus geworden? Ist Ihr vorliegender Antrag die Antwort
darauf? Aber ich bitte Sie, meine Damen und Herren!
Das kann doch wohl nicht wahr sein, dass Sie, obwohl
Sie diese Lücke schon identifiziert haben, gar nichts vor-
legen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich nenne Ihnen ein Beispiel . Wenn ein Unternehmer
ein von der TU München entwickeltes elektrisch ange-
triebenes und an die Erfordernisse der heutigen Welt
angepasstes Auto sieht und sagt, dass er das hier bauen
möchte, dann braucht er aber Kapital in einer Größenord-
nung von 75 Millionen bis 125 Millionen Euro . Solche
Summen müssen Sie generieren, wenn Sie solche Projek-
te angehen . Wir brauchen Antworten darauf, woher wir
das private Kapital dafür bekommen, wie die rechtlichen
Rahmenbedingungen beschaffen sein müssen und wie
der Staat das fördern kann . Aber von Ihnen gibt es keine
Antworten auf diese Fragen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun komme ich zum Punkt der steuerlichen For-
schungsförderung . Dazu hatten wir einen Gesetzentwurf
eingebracht . Dazu gab es eine Anhörung und zahllose
Fachgespräche . Daraus haben Sie dann einen Prüfauftrag
gemacht . Das ist doch lächerlich!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Alibi!)


Entweder wollen Sie es, oder Sie wollen es nicht . Was
Sie nun vorgelegt haben, dient nur dazu, im Wahlkampf
sagen zu können: Wir kümmern uns . – Aber nichts ist
gemacht . Selbst Herr Schäuble – ich habe mich ja ge-
wundert – hat schon zugestimmt, und Sie blockieren das
immer noch . Der Ball lag auf dem Elfmeterpunkt . Wa-
rum haben Sie ihn nicht versenkt?

Ich nenne Ihnen dazu noch ein ganz wesentliches
Argument: Es geht nicht um Projektförderung gegen
steuerliche Forschungsförderung . Wir kommen bei inter-
disziplinären, neuen und innovativen Ideen mit der Pro-
jektförderung nicht weiter . Wir kommen bei den kleinen
und mittleren Unternehmen nicht weiter, hinter denen
kein Akademiker steht, sondern ein Fachmann, der mög-
licherweise noch nicht einmal eine Ingenieurausbildung
hat . Dieser bekommt nämlich kein Geld aus den Mitteln
für Projektförderung für das, was er an guter Entwick-
lungsarbeit leistet . Das kann man nur mit der steuerlichen
Forschungsförderung erreichen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich kann nur noch einmal sagen: Ich bin erschüttert
über diesen dünnen Antrag, der inhaltlich zwar nicht
falsch ist, der aber vollkommen an der Problemstellung
vorbeigeht .

Sabine Poschmann






(A) (C)



(B) (D)


Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822527400

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt Dr . Stefan Kaufmann .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Stefan Kaufmann (CDU):
Rede ID: ID1822527500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! In seiner unvergessenen
„Ruck-Rede“ vor fast genau 20 Jahren formulierte Ro-
man Herzog treffend: „Die Fähigkeit zur Innovation ent-
scheidet über unser Schicksal.“ Dies trifft auch für die
kleinen und mittleren Unternehmen in unserem Lande zu .
Es ist schicksalhaft für deren erfolgreiches Fortbestehen,
dass sie innovativ bleiben, dass sie Schritt halten; denn
nur so – das haben wir schon gemeinsam festgestellt, und
dem widerspricht auch Herr Gambke nicht – bleiben sie
wettbewerbsfähig, und zwar nicht nur national, sondern
auch weltweit .

Dieser weltweite Wettbewerb ist hart . Der deutlich
schnellste Rechner der Welt – „Sonnenweg“, 93 Pe-
taflops – steht nicht in Europa. Er steht auch nicht in den
USA . Er steht in China, und dort wurde er im Übrigen
auch entwickelt .

Mit dem vorliegenden Antrag haben die Koaliti-
onsfraktionen ein, wie ich meine, wirklich gelungenes
Portfolio der Innovationsförderung für den Mittelstand
seitens des Bundes aufgezeichnet . Gleichzeitig legen
wir – Frau Kollegin Poschmann hat es gesagt – der Bun-
desregierung einen Forderungskatalog vor, mit dem wir
weitere Ideen für die weitere Stärkung der Innovations-
kraft der deutschen KMU formulieren . Denn: Wir sind
gut, aber wir müssen noch besser werden .

Woran genau lässt sich dies nun festmachen? Das
EFI-Gutachten, auf das wir Bezug nehmen, wurde ge-
nannt . Dort wurde festgestellt, dass nur rund 42 Prozent
der KMU im Zeitraum von 2013 bis 2015 Innovationsak-
tivitäten aufwiesen . Damit sind die deutschen KMU im
europäischen Vergleich zwar führend, aber die Innovati-
onsintensität – Herr Kollege Lämmel hat es gesagt –, also
die Innovationsausgaben in Relation zum Gesamtumsatz,
ist rückläufig, sie sank nämlich von 1,7 Prozent im Jahr
2006 auf 1,5 Prozent im Jahr 2015 .

Was sind die Gründe? Was sind die sogenannten Inno-
vationshemmnisse? Was hindert die KMU daran, Inno-
vationsaktivitäten zu entfalten?


(Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Die CDU!)


Hier liefert das EFI-Gutachten einige interessante Ant-
worten . Es sind ganz allgemein zu hohe Innovationskos-
ten, ein zu hohes wirtschaftliches Risiko, außerdem ein
Mangel an geeignetem Fachpersonal – auch das ist ein
wichtiger Punkt – sowie an internen Finanzierungsquel-
len .

Genau bei diesen Punkten setzen wir mit unserem An-
trag an . Wir beschreiben ein ganzes Bündel von Maß-
nahmen des BMWi und BMBF vor allem im Bereich der
Fachkräftesicherung, aber auch, Kollege Gambke, im
Bereich der Innovationsfinanzierung, um die Innovati-
onshemmnisse weiter abzubauen .

Ich möchte einige Beispiele kurz nennen. Vor allem
unsere Hightech-Strategie hat wichtige Impulse gesetzt
und die Rahmenbedingungen für Innovationen entgegen
Ihren Unkenrufen hier in den letzten Jahren deutlich ver-
bessert .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im Bereich des BMBF wurde die KMU-Förderung
um immerhin 30 Prozent auf nunmehr 320 Millionen
Euro pro Jahr aufgestockt . Im Bildungsbereich bringen
wir die Digitalisierung vor allem auch in der beruflichen
Bildung voran und sorgen dafür, dass der künftige Fach-
kräftebedarf gesichert werden kann .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich darf an dieser Stelle das im letzten Jahr von Mi-
nisterin Johanna Wanka vorgestellte Zehn-Punkte-Pro-
gramm „Vorfahrt für den Mittelstand“ ausdrücklich
loben . Darin hat das BMBF die Förderpolitik für mehr
Innovationen bei KMU neu aufgestellt . Mit dem Pro-
gramm werden neue Ideen, Anwendungsmöglichkeiten
und Geschäftsmodelle gefördert und eine weite Verbrei-
tung von Forschungsergebnissen und Modelllösungen
unter den KMU vorangetrieben . Hier setzen wir auf
niederschwellige Angebote und vor allem auch auf die
Hebelwirkung von Netzwerken – auch das hat Kollege
Lämmel schon angesprochen –, insbesondere auf Part-
nerschaften von KMU mit regionalen Hochschulen oder
auch mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen .

Meine Damen und Herren, für die Zukunft braucht es
aber weitere, noch größere Anstrengungen . Deshalb spre-
chen wir uns ganz klar für das 3,5-Prozent-Ziel aus und
für ein effizientes Modell zur steuerlichen F-und-E-För-
derung . Herr Gambke, wir sind noch nicht ganz am Ziel
der Diskussion; aber wir sind ein weites Stück vorange-
kommen . Wenn der entscheidende Schritt nicht mehr in
dieser Legislatur kommt, dann kommt er auf jeden Fall
in der nächsten .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Aber dann ohne euch!)


Dafür steht die Union .

Für erfolgversprechende Start-ups – auch das wurde
genannt; ein ganz wichtiges Thema – werden wir zusätz-
liche Möglichkeiten zur Mobilisierung von Wagniskapi-
tal schaffen. Auch da sind wir dran. Insbesondere hin-
sichtlich der Seed-Phase sind wir uns weitgehend einig,
dass es vor allem dort noch Probleme gibt .

Wenn uns dies alles gelingt – da bin ich sehr zuver-
sichtlich –, dann muss uns auch um das Schicksal unserer
KMU und damit um die künftige Innovationsfähigkeit
der deutschen Wirtschaft insgesamt nicht bange sein .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dr. Thomas Gambke






(A) (C)



(B) (D)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822527600

Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksa-
che 18/11594 mit dem Titel „Innovationskraft von klei-
nen und mittleren Unternehmen stärken – Anreize für
mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung schaf-
fen“ . Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen
Abstimmung in der Sache . Die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen wünscht Überweisung zur Federführung an den
Ausschuss für Wirtschaft und Energie und zur Mitbera-
tung an den Finanzausschuss, an den Haushaltsausschuss
sowie an den Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung .

Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den
Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Ich frage deshalb:
Wer stimmt für die von der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen beantragte Überweisung? – Das sind die Grünen und
die Linke . Wer stimmt dagegen? – Das sind die CDU/
CSU und die SPD . Wer enthält sich? – Keiner . Damit ist
der Antrag auf Ausschussüberweisung abgelehnt .

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag auf
Drucksache 18/11594 in der Sache . Wer stimmt für die-
sen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Antrag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD,
Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Moder-

(Netzentgeltmodernisierungsgesetz)


Drucksache 18/11528
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit

Die Reden hierzu sollen zu Protokoll gegeben wer-
den . – Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind .1)

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/11528 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht
der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Gesetzes über den Deutschen
Wetterdienst

Drucksache 18/11533
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie

1) Anlage 9

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss Digitale Agenda

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind .2)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/11533 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Ich sehe
dazu keine anderweitigen Vorschläge. Dann ist die Über-
weisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fort-
schreibung der Vorschriften für Blut- und
Gewebezubereitungen und zur Änderung an-
derer Vorschriften

Drucksache 18/11488

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden .3)

Die Fraktionen haben vereinbart, dass der Gesetzent-
wurf auf Drucksache 18/11488 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden soll . –
Ich sehe auch hierzu keine anderen Vorschläge. Dann ist
so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:

Beratung des Berichts des Ausschusses für Bil-
dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung

(18 . Ausschuss) gemäß § 56a der Geschäftsord-

nung

Technikfolgenabschätzung (TA)


Synthetische Biologie – Die nächste Stufe der
Bio- und Gentechnologie

Drucksache 18/7216

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

2) Anlage 10
3) Anlage 11






(A) (C)



(B) (D)


Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Stephan
Albani, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Stephan Albani (CDU):
Rede ID: ID1822527700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Einige haben ja
noch bis heute Abend durchgehalten . – Wissenschaftli-
cher Fortschritt birgt Risiken . Darüber sind wir uns alle
im Klaren . Dennoch ist der Umgang damit sehr unter-
schiedlich . Den Umgang mit Neuerungen in den eigenen
vier Wänden oder im Verkehrsbereich kann man durch-
aus als weitestgehend entspannt bezeichnen . Hier sind
wir neugierig und vertrauen uns schon mal eher, aber
immer zugleich auch zögerlich neuen Flugzeugen oder
rückwärts einparkenden Assistenzsystemen an .

Ganz anders ist dies im Bereich der Gentechnolo-
gie oder eben der Synthetischen Biologie . Diese macht
Angst, oftmals aber unter Ausblendung der Fakten . Die
verheerenden Zukunftsszenarien von Bioterrorismus,
Designermenschen und Menschen, die beim Gottspie-
len scheitern, sind Stoff für Kinofilme. Glücklicherwei-
se stellte Bischof Karl Lehmann bereits 1996 fest, dass
Gentechnik kein Teufelswerk sein muss .

Der vorliegende TAB-Bericht verschafft uns wichti-
ge Klarheit darüber, was Synthetische Biologie ist und
was nicht . Die im Bericht enthaltenen Anwendungsfel-
der verdeutlichen, welche enormen Chancen für unser
Land aus diesem rasant wachsenden Forschungsfeld ent-
stehen können . So bietet sich vor allem in der Medizin
bedeutendes Innovationspotenzial . Kurz- und langfristig
kann die Synthetische Biologie zu neuen Entwicklun-
gen bei molekularbiologisch basierten Diagnose- und
Therapieverfahren, der Impfstoffentwicklung sowie der
Krebsbehandlung führen – exakt also den Gesundheits-
forschungsfeldern, auf denen unser Land heute und auch
in Zukunft eine Führungsrolle einnimmt und einnehmen
soll .

Das Beispiel zeigt, wie wichtig es aus politischer
Sicht ist, diese Chancen zu fördern – ganz im Sinne von
Weizsäckers Dreisatz: Die Technik von heute ist das Brot
von morgen . Die Wissenschaft von heute ist die Technik
von morgen .

Dabei stellen Experten immer wieder fest, dass die
Finanzierung von Biotech-Start-ups und der Zugang zu
Risikokapital bei uns durchaus ausbaufähig sind . Der
Bericht stellt fest, dass das BMBF in den vergangenen
20 Jahren eine sehr aktive Rolle bei der Unterstützung
von Unternehmensgründungen in der Biotechnologie
gespielt hat . Auch wir haben seitens der Unionsfraktion
immer wieder für öffentliches und privates Risikokapital
gekämpft – durchaus mit Erfolg .

Dennoch fehlt es in der Branche an den nötigen Mit-
teln . Medizinische Forschung ist kostenintensiv, stark
reguliert und langwierig . Kapitalgeber für Biotechgrün-
dungen brauchen einen langen Atem . Das kann sich aus-
zahlen, wie zum Beispiel große Biotechunternehmen aus
den USA belegen . So ist der 1987 gegründete Biotechrie-
se Gilead Sciences heute 80 Milliarden Euro wert . Der

fünf Jahre später gegründete deutsche Branchenprimus
MorphoSys ist mit 1,6 Milliarden Euro lediglich 2 Pro-
zent davon wert .

Doch nicht nur Wirtschaft und Arbeitsmarkt, vielmehr
auch die Menschen profitieren in diesem Bereich von der
Synthetischen Biologie . Es gibt bereits vielversprechen-
de Ansätze in der Heilung schwerer Erbkrankheiten wie
der Mukoviszidose oder im Bereich der personalisierten
Krebsbehandlung . Auch die Möglichkeiten im Bereich
der Wirkstoffforschung sind vor dem Hintergrund welt-
weit zunehmender Resistenzen von großer Bedeutung .

Vieles davon sind zunächst kühne Visionen. Nur wenn
wir uns als Gesellschaft dieser Chancen annehmen, kön-
nen wir diese Realität werden lassen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dafür braucht es jedoch gesellschaftliche Akzeptanz für
diese Forschung . Einseitig gefärbte Darstellung, Skanda-
lisierungen oder eine Art Postfaktendebatte, wie wir sie
in diesem Hause vor kurzem schon einmal hatten, wären
eher verheerend .

Wir brauchen kulturelles Startkapital für diese For-
schung und für die Diskussion in der Gesellschaft . Auch
hier kann und muss die Politik eine wichtige Anschubfi-
nanzierung leisten . Wir brauchen eine gute sowie sachli-
che Informationsgrundlage . Der TAB-Bericht im Auftrag
dieses Hauses ist hier ein wichtiger, ein erster Schritt in
diese Richtung . Wichtig ist aber auch, dass wir die Men-
schen von Betroffenen zu Beteiligten und Wissenden ma-
chen . Den Dialog kann die Politik einleiten und moderie-
ren – und das bitte sachbezogen .

Mir geht es nicht darum, die Synthetische Biologie
einseitig positiv darzustellen . Ich will aber dazu beitra-
gen, dass das Gleichgewicht zwischen Risiko- und Chan-
cenbeurteilung wiederhergestellt wird .

Wenn wir den Menschen aber zeigen, dass die For-
schung aus unserer Welt eine bessere und gesündere
macht, sorgen wir für Akzeptanz. Denn auch Hoffnung
steuert unser Verhalten. So ergab eine Umfrage im ver-
gangenen Jahr, dass die große Mehrheit ihre medizini-
schen Daten für neue, personalisierte Therapieansätze
zur Verfügung stellen würde. Datenschutz und Medizin-
forschung schließen sich aber nicht gegenseitig aus . Man
kann beides zum Wohle der Menschen in Einklang mit-
einander bringen . Das wird auch unsere Aufgabe bei der
Synthetischen Biologie sein – mit Wissen und Ruhe und
stets sachbezogen . Denn wenn wir das nicht tun: Gute
Nacht!

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822527800

Vielen Dank. – Als Nächster hat jetzt Ralph Lenkert

für die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)


Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1822527900


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Niemand
kann die komplexe Entwicklung in Wissenschaft, For-
schung und Technologie überschauen . Hätten Sie vor
zehn Jahren die Möglichkeit von Smartphones erahnt?
Und hätten Sie erahnt, dass Wikipedia für viele zum mo-
bilen Brockhaus wird?

Warum hole ich so weit aus? Zur Debatte steht ein
Bericht über die Technikfolgenabschätzung bei Syn-
thetischer Biologie . Deren Möglichkeiten und Chancen
werden von den Beratern des Bundestages im Büro für
Technikfolgen-Abschätzung, dem TAB, dargestellt . Die
Auswirkungen auf die Gesellschaft dagegen lassen sich
nur erahnen .

Worum geht es? Ich zitiere aus der Definition für Syn-
thetische Biologie:

Mit Synthetischer Biologie wird die Herstellung
von am Reißbrett entworfenen und konstruierten
Zellen und Organismen bezeichnet . Charakteristi-
sche Forschungsansätze sind die Herstellung kom-
pletter synthetischer Genome, die Konstruktion
sogenannter Minimalzellen sowie der Einsatz nicht-
natürlicher Zellen .

Die technischen Methoden dafür sind bereits ent-
wickelt und werden unter dem Begriff „Gene Editing“
zusammengefasst . Schon heute kann man Gene – auch
komplett in mehrzelligen bzw . vielzelligen Organis-
men – gezielt austauschen oder verändern. Vielleicht
wird man so in wenigen Jahren Aids, Krebs oder Erb-
krankheiten heilen . Aber vielleicht designen manche El-
tern ihr Wunschbaby, indem sie Größe, Haar- und Au-
genfarbe sowie weitere Merkmale bestimmen. Vielleicht
kann man dann Fleisch ohne Tierhaltung produzieren .
Und vielleicht werden auch neue Pflanzen und Tiere kre-
iert . Wenn Sie dies als reine Science-Fiction abtun, dann
lesen Sie die TAB-Berichte 164, 168 oder 169, welche
die vorhandenen Möglichkeiten beschreiben .

Die Labortechnik für viele synthetische Biologie-
verfahren – wie beispielsweise „Gene Editing“ – ist
preiswert . Für ein paar 1 000 Dollar können Sie diese
erwerben – frei käuflich. Synthetische Biologie hat zwei
Seiten . Positives sehen wir zum Beispiel in der Medizin,
wenn bisher unheilbare Krankheiten behandelt werden
können und wenn Insulin für Patienten verträglicher und
ohne Leid für Schweine aus genveränderten Bakterien
gewonnen werden kann . Die Risiken aber sind groß,
sei es, weil Tausende von Do-it-yourself-Biohackern in
Hinterzimmern und Garagen an Technik für Genmani-
pulation – und damit an Genveränderungen – arbeiten
und eventuell ungewollt Unfälle passieren, sei es, wenn
Geheimdienste, Armeen und Terroristen weltweit diese
Möglichkeiten als Kampfmittel einsetzen wollen, oder
sei es, wenn skrupellose Geschäftemacher diese Techni-
ken rücksichtslos zur Profitsteigerung einsetzen.

Wenn ich all dies betrachte, glaube ich, dass Verbote
nicht durchsetzbar sind . Also schlage ich vor, Syntheti-
sche Biologie bestmöglich zu regulieren .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für Synthetische Biologie ist das Gentechnikgesetz an-
zuwenden . Gentechnik in der Landwirtschaft bleibt ver-
boten. Der Verkauf, Handel und Besitz von Anlagen und
Geräten für „Gene Editing“-Verfahren sind – wie Waf-
fenhandel und Waffenbesitz – zu regulieren. Patente auf
Lebewesen werden nicht erteilt .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Bürgerinnen und Bürger, wir stehen erst am
Anfang einer Debatte über eine sich rasant entwickelnde
Technik . Lassen Sie uns die Chancen erhalten und die
Risiken minimieren .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822528000

Vielen Dank. – Da die Kollegen René Röspel und

Dr . Philipp Lengsfeld aufgrund von Erkrankungen ihre
Reden zu Protokoll gegeben haben1), hat jetzt nur noch
der Kollege Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen, die
Gelegenheit, das Wort zu ergreifen und die Debatte zu
beschließen .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt „nur“? – Sven Volmering [CDU/CSU]: Da haben wir den ganzen Tag drauf gewartet! – Dr . Stefan Kaufmann [CDU/ CSU]: Das muss jetzt aber auch die Rede des Tages werden!)



Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1822528100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Kaum eine andere technologische Entwick-
lung hat Wissenschaft und Medien in den letzten Jah-
ren so stark bewegt wie die Entdeckung der Genschere,
CRISPR/Cas und andere Ansätze der neuen Gentechnik .
Der Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung
zur Synthetischen Biologie gibt uns als Bundestag und
damit auch der Gesellschaft hierzu wichtiges Rüstzeug
an die Hand .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Albani, ich weiß nicht, ob Sie den Bericht wirk-
lich durchgeschaut haben .


(Sven Volmering [CDU/CSU]: Ja! Hat er!)


Zur Not empfehle ich auch den TAB-Fokus . Auch das
hilft .


(Sven Volmering [CDU/CSU]: Den hat er auch gelesen!)


1) Anlage 12






(A) (C)



(B) (D)


Noch ist es kaum möglich, die tatsächlichen Potenzia-
le und den Nutzen dieser Technologien realistisch einzu-
schätzen, auch weil sie auf sehr vielen Gebieten einsetz-
bar scheinen, von Medizin über Rohstoffherstellung bis
hin zur Pflanzenzüchtung. Die mit der Technik in Verbin-
dung gebrachten Erwartungen sind nicht nur hoch, son-
dern gehen leider oft auch am wissenschaftlichen Stand
auf erstaunlich naive Weise vorbei .


(Sven Volmering [CDU/CSU]: Wieso das denn?)


So lautete eine Schlagzeile dieser Woche in der Berliner
Morgenpost „Können Superpflanzen den Hunger besie-
gen?“ . Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, Welter-
nährung ist eben nicht in erster Linie eine Mengenfrage .
Das hat bereits der TAB-Bericht von 2011 zum Thema
Welternährung deutlich gemacht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schon bei der klassischen Gentechnik wurde alles
Mögliche versprochen. Heute wissen wir: Die Verspre-
chen haben sich nicht bewahrheitet. Gentech-Pflanzen
haben eben keine höheren Erträge gebracht, der Pesti-
zideinsatz ist gestiegen statt gesunken, und trockenheits-
und salztolerante Sorten gibt es zwar längst, aber sie
stammen nicht aus dem Genlabor . Gerade bei der Tro-
ckenheitstoleranz, eine der Schlüsseleigenschaften für
Zukunftsfragen des Pflanzenbaus, liegt das auf der Hand;
denn da wird durch ein äußerst komplexes Zusammen-
spiel vieler Gene diese Eigenschaft bestimmt . Genau da
kommen CRISPR/Cas und Co . eben auch an ihre Gren-
zen . Wir dürfen uns nicht von verlockenden vermeintli-
chen Potenzialen dazu verleiten lassen, für einen neuen
Technologiezweig aus reiner Innovationsbegeisterung
auf eine Regulierung zu verzichten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Wir müssen gewährleisten, dass Gemeinwohlinte-
ressen und ethische Grundsätze gewahrt bleiben . Der
TAB-Bericht, aber auch weitere Gutachten machen deut-
lich, dass es sich beim Genome Editing um gentechnische
Ansätze handelt, auch im juristischen Sinne . Deshalb ist
für uns klar: Auch neue Gentechnik ist Gentechnik und
muss genauso reguliert werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn in Lebensmitteln Gentechnik drinsteckt, muss
auch Gentechnik draufstehen, und wenn der Eingriff per
se nicht nachweisbar ist, müssen wir auf einem anderen
Weg für Rückverfolgbarkeit sorgen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir reden hier über mächtige Instrumente . Man kann
damit wenig, aber man kann damit auch sehr viel am
Erbgut verändern, und das viel schneller und billiger als
bisher . Und deshalb ist es ganz klar: Auch bei der neuen
Gentechnik handelt es sich um eine Risikotechnologie,
bei der viele Sicherheitsfragen nicht geklärt sind . Das
gilt besonders für Bereiche, wo geneditierte, lebensfä-
hige Organismen in die Umwelt entlassen werden . Das
Vorsorgeprinzip gebietet es eben, einen angemessenen

Regulierungsrahmen für den Umgang mit den neuen
Technologien sicherzustellen, und dazu gehören auch die
Zulassungsverfahren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie der TAB-Bericht zeigt, werfen die neuen Gen-
technikmethoden neue oder verschärfte Risikofragen
auf: Wollen wir alles zulassen, was technisch möglich
ist, auch Eingriffe in die menschliche Keimbahn? Wel-
che Folgen hätte der Einsatz der Gene-Drive-Technolo-
gie, bei der gezielt genetisch veränderte Sequenzen zur
Weiterverbreitung in freilebenden Populationen ausge-
bracht werden? Können wir die Gefahren geplanter Aus-
rottung tatsächlich ökologisch verantworten? Können
wir alle Auswirkungen vorhersehen? Selbst die Leopol-
dina warnt vor den Risiken . Und wie gehen wir damit
um, dass Do-it-yourself-Biologen spielend leicht im Ga-
ragenlabor neue Gentechnikorganismen erschaffen kön-
nen? Das zeigt uns: Laissez faire kann keine Option sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Debatte .
Wer Akzeptanz für Genome Editing will, etwa im medi-
zinischen Bereich, der muss auch dafür sorgen, dass die-
se Debatte stattfindet, und darf nicht die neue Gentechnik
den Menschen durch die Hintertür aufzwingen . Deshalb
ist es falsch – mein letzter Satz –, dass die Bundesregie-
rung im Entwurf des Gentechnikgesetzes die neue Gen-
technik unter dem Radar der Regulierung durchwinken
will und damit vollendete Tatsachen schafft. Das ist der
falsche Weg, liebe Kolleginnen und Kollegen . Deshalb
sollte auch die Bundesregierung den TAB-Bericht drin-
gend lesen .

Danke schön und gute Nacht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1822528200

Vielen Dank, Herr Kollege. – Damit ist die Ausspra-

che beendet .

Wir kommen zur Abstimmung . Zwischen den Frak-
tionen wurde vereinbart, die Vorlage auf Drucksa-
che 18/7216 an die in der Tagesordnung aufgeführten
Ausschüsse zu überweisen . – Ich sehe, Sie sind damit
einverstanden . Dann ist das so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Innenausschusses (4 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und SPD

Innovativer Staat – Potenziale einer digi-
talen Verwaltung nutzen und elektronische
Verwaltungsdienstleistungen ausbauen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Dieter
Janecek, Dr . Konstantin von Notz, Kerstin
Andreae, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Harald Ebner






(A) (C)



(B) (D)


Stillstand beim E-Government beheben –
Für einen innovativen Staat und eine mo-
derne Verwaltung

Drucksachen 18/9788, 18/9056, 18/10865
Hierzu sollen die Reden zu Protokoll gegeben wer-

den . – Sie sind einverstanden . Dann ist das so beschlos-
sen .1)

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Innenausschuss auf Drucksache 18/10865 .
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Be-
schlussempfehlung die Annahme des Antrags der Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksache 18/9788
mit dem Titel „Innovativer Staat – Potenziale einer di-
gitalen Verwaltung nutzen und elektronische Verwal-
tungsdienstleistungen ausbauen“ . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen

1) Anlage 13

der Fraktion Die Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/
Die Grünen angenommen .

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 18/9056 mit dem Titel „Stillstand
beim E-Government beheben – Für einen innovativen
Staat und eine moderne Verwaltung“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen .

Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesord-
nung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 24 . März 2017, 9 Uhr, ein .

Die Sitzung ist geschlossen . Ich wünsche Ihnen noch
einen schönen Restabend .