Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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(B) (D)
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Anlagen zum Stenografischen Bericht
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Albsteiger, Katrin CDU/CSU 23 .03 .2017
Barthle, Norbert CDU/CSU 23 .03 .2017
Binder, Karin DIE LINKE 23 .03 .2017
Bülow, Marco SPD 23 .03 .2017
Dröge, Katharina * BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
23 .03 .2017
Funk, Alexander CDU/CSU 23 .03 .2017
Gabriel, Sigmar SPD 23 .03 .2017
Groneberg, Gabriele SPD 23 .03 .2017
Gysi, Dr . Gregor DIE LINKE 23 .03 .2017
Hajek, Rainer CDU/CSU 23 .03 .2017
Heller, Uda CDU/CSU 23 .03 .2017
Jelpke, Ulla DIE LINKE 23 .03 .2017
Klein, Volkmar CDU/CSU 23 .03 .2017
Kudla, Bettina CDU/CSU 23 .03 .2017
Lerchenfeld, Philipp
Graf
CDU/CSU 23 .03 .2017
Möhring, Cornelia DIE LINKE 23 .03 .2017
Mosblech, Volker CDU/CSU 23 .03 .2017
Müntefering, Michelle SPD 23 .03 .2017
Pfeiffer, Dr. Joachim CDU/CSU 23 .03 .2017
Post, Florian SPD 23 .03 .2017
Pronold, Florian SPD 23 .03 .2017
Rüthrich, Susann * SPD 23 .03 .2017
Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
23 .03 .2017
Schlecht, Michael DIE LINKE 23 .03 .2017
Schmidt (Ühlingen),
Gabriele
CDU/CSU 23 .03 .2017
Abgeordnete(r)
entschuldigt bis
einschließlich
Schmidt, Dr . Frithjof BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
23 .03 .2017
Schwarzelühr-Sutter,
Rita
SPD 23 .03 .2017
Stauche, Carola CDU/CSU 23 .03 .2017
Strebl, Matthäus CDU/CSU 23 .03 .2017
Tank, Azize DIE LINKE 23 .03 .2017
Tressel, Markus BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN
23 .03 .2017
Wagenknecht, Dr . Sahra DIE LINKE 23 .03 .2017
Wöllert, Birgit DIE LINKE 23 .03 .2017
*aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes
Anlage 2
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Dr. Thomas Feist, Michael
Kretschmer, Yvonne Magwas, Maria Michalk
und Marco Wanderwitz (alle CDU/CSU) zu der
Abstimmung über den von den Fraktionen CDU/
CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein-
gebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Fortent-
wicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl
eines Standortes für ein Endlager für Wärme ent-
wickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze
(Tagesordnungspunkt 3)
Wir können dem Gesetz zur Fortentwicklung des Ge-
setzes zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein
Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle
(StandAG) nicht zustimmen .
Obwohl in der Schlussberatung des federführenden
Ausschusses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit Zugeständnisse seitens des Bundesumwelt-
ministeriums hinsichtlich der Forschungsreaktoren des
Forschungszentrums Rossendorf gemacht wurden, bleibt
ein endgültiges Exportverbot Teil des Standortauswahl-
gesetzes . Der Freistaat Sachsen trägt vorerst als einziges
Bundesland weiter die Lasten für die Zwischenlagerung
der Kernbrennstoffe aus dem DDR-Reaktor.
Die im Protokoll des Umweltausschusses vom
22. März 2017 getroffene Verabredung, Gespräche sei-
tens des Bundes mit dem Freistaat Sachsen über mögli-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722642
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(B) (D)
che Kompensationsleistungen zu führen, sind unverzüg-
lich einzuleiten .
Weitaus schwerer wiegt jedoch die unzureichende
Formulierung hinsichtlich der Sicherungsvorschriften in
§ 21 . Die vorgesehene Regelung hindert die Weiterent-
wicklung des Bergbaus im Freistaat Sachsen . In einigen
Gebieten mit zu betrachtendem Wirtsgestein wurden
in den vergangenen Jahren bergbauliche Erkundungen
durchgeführt, die zur Genehmigung anstünden . Diese
werden nun erheblich beeinträchtigt . Für den Fall, dass
einzelne Gebiete oberirdisch erkundet werden, ist dort
von einer langjährigen Veränderungssperre auszugehen.
Leider konnte sich nicht auf eine klarstellende Formu-
lierung geeinigt werden, die bestehende oder beantragte
Bergbauvorhaben von einer Veränderungssperre aus-
nimmt .
Dies betrifft in erster Linie ländlich geprägte Regio-
nen im Freistaat Sachsen . Deren Zukunftsfähigkeit hängt
besonders von Arbeitsplätzen ab . Eine mittelfristige Un-
terbrechung der laufenden Projekte würde einem Ab-
bruch des jeweiligen Vorhabens gleichkommen. Das ist
nicht akzeptabel .
Anlage 3
Erklärungen nach § 31 GO
zu der Abstimmung über den von den Fraktionen
CDU/CSU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Fort-
entwicklung des Gesetzes zur Suche und Auswahl
eines Standortes für ein Endlager für Wärme ent-
wickelnde radioaktive Abfälle und anderer Gesetze
(Tagesordnungspunkt 3)
Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Mit der heutigen Abstimmung wird das Standortauswahl-
gesetz (StandAG) von 2013 novelliert – dabei liegen Er-
gebnisse der mehrjährigen Arbeit der „Atommüll-Kom-
mission“ – Kommission zur Lagerung hoch radioaktiver
Abfälle/Endlagerkommission – zugrunde .
Mir ist ein echter Neubeginn bei der Suche nach ei-
nem bestmöglichen Aufbewahrungsort in Deutschland
für den hochradioaktiven Atommüll wichtig . Und unter
Umständen wird es am Ende nur der „am wenigsten un-
geeignete“ Standort .
Als Bundestagsabgeordnete für Bündnis 90/Die Grü-
nen aus dem Wahlkreis Lüneburg-Lüchow-Dannenberg
kenne ich die über 40-jährige Geschichte der bisherigen
verfehlten Atommüllpolitik in Deutschland nur zu gut .
Gerade der Missstand, dass Gorleben 1977 nicht durch
ein wissenschaftsbasiertes vergleichendes Verfahren für
die Erkundung als Atommüll-Endlager ausgewählt wur-
de, ist der Hauptgrund für den heutigen neuen Anlauf .
Auch mir ist es ein besonders dringliches Anliegen, die
Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen, sondern
aus ihnen zu lernen .
Deswegen erwarte ich eine transparente, und an wis-
senschaftlichen Kriterien orientierte Suche als „selbst-
hinterfragendes und lernendes Verfahren“ und mit größt-
möglicher Bürgerbeteiligung von Anfang an .
Zur heutigen Abstimmung im Bundestag:
Im Vergleich zum Kabinettsbeschluss der Bundes-
regierung – Dezember 2016 – wurden bereits bis zur
parlamentarischen Einbringung des Gesetzentwurfs
der Bundestagsfraktionen zur ersten Lesung – Febru-
ar 2017 – mehrere Verbesserungen und Klarstellungen
am Text erreicht . Das geschah insbesondere auf Drängen
der grünen Bundestagsfraktion .
So wurden zum Beispiel die Stellung des Partizipa-
tionsbeauftragten sowie die Aufgabenbeschreibung des
Nationalen Begleitgremiums (NBG) erweitert und kon-
kretisiert . Und es wurde korrigiert, dass die Aufgabe des
Bundesamtes für kerntechnische Entsorgungssicherheit
(BfE), zu Ausnahmen nach § 21 Stellung zu nehmen,
nicht erst Monate später in Kraft tritt als der Rest des
Gesetzes .
Auch enthält das Gesetz durch den von Bündnis 90/
Die Grünen, SPD und CDU/CSU eingebrachten Ände-
rungsantrag jetzt erneut mehrere deutliche Verbesserun-
gen im Vergleich zum Stand des Gesetzestextes von der
ersten Lesung im Februar. Diese Verbesserungen wurden
vor allem von Bündnis 90/Die Grünen in die Verhand-
lungen zwischen den Bundestagsfraktionen erfolgreich
eingebracht und wurden von Sachverständigen in der
Expertenanhörung im Umweltausschuss des Bundestags
bestätigt .
Beispielsweise hat die Inanspruchnahme des Rechts-
schutzes nach § 17 und § 19 nun aufschiebende Wirkung
im Verfahren.
Besonders wichtig ist mir das zügige Inkrafttreten der
Sicherung potenzieller Atommüll-Endlager-Standorte in
ganz Deutschland – Stichwort „bundesweite Verände-
rungssperre“. Damit sollen Anträge auf Rohstoffabbau
oder andere Bohrungen nicht genehmigt werden, solan-
ge sich ein Gebiet noch im Suchverfahren befindet. Mit
den in § 21 aufgenommenen Schutzvorkehrungen wird
nun erstmals ein Großteil der bundesweit vorhandenen
Wirtsgesteine vor schädigendem Zugriff geschützt. Eine
deutliche Verbesserung gegenüber dem Status quo, denn
bisher galt die Veränderungssperre ausschließlich für
Gorleben .
Die Sicherung potenzieller Standorte ist für mich eine
ganz zentrale Grundvoraussetzung für ein faires Verfah-
ren, damit es im letzten Schritt der Endlagersuche über-
haupt mehrere unbeschädigte Standorte in den verschie-
denen Wirtsgesteinen gibt, die untertägig erkundet und
miteinander verglichen werden können . Dafür habe ich
mich seit Jahren eingesetzt .
Ein Gesetz oder ein Verfahren kann geändert werden.
Rücksprünge sind hier möglich . Doch wenn die Geologie
einmal irreversibel geschädigt wurde, dann steht der ent-
sprechende Standort für die sichere Lagerung des Atom-
mülls über 1 Million Jahre nicht mehr zu Verfügung.
Deswegen ist es so wichtig, dass potenzielle Standorte
nicht für andere kurzfristige Interessen genutzt werden,
sondern die Option erhalten bleibt, tatsächlich einen ge-
eigneten Ort für den Atommüll zu finden.
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22643
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(B) (D)
Zwar wurden von den Bundestagsfraktionen die
möglichen Ausnahmen in § 21 Absatz 2 für untertägige
Nutzung – im Vergleich zum Gesetzentwurf der Bundes-
regierung – weiter eingeschränkt, aber aus meiner Sicht
gehen die Ausnahmen noch zu weit .
Eine ganz entscheidende Verbesserung ist, dass nun
das BfE laut § 21 nicht nur eine Stellungnahme zu mög-
lichen Ausnahmen bei Anträgen auf untertägige Nut-
zung abgeben wird, sondern in vielen Fällen sogar ein
Vetorecht hat. Diesen Punkt hatte ich während der Ex-
pertenanhörung im Umweltausschuss angesprochen . Ich
erwarte hierdurch einen recht weitgehenden Schutz für
potenzielle Endlagerstandorte .
Insgesamt gibt es somit im Vergleich zur bisherigen
Gesetzeslage im StandAG einige Verbesserungen. Durch
die Umsetzung der Ergebnisse der Atommüll-Kommis-
sion wird die neue Rechtslage insgesamt besser sein, als
wenn das StandAG von 2013 weiterhin unverändert in
Kraft wäre. Zu diesen Verbesserungen gehört zum Bei-
spiel auch der Rechtsschutz für Bürgerinnen und Bürger
und Grundeigentümerinnen und Grundeigentümer . Hier-
für hatten sich in der Atommüll-Kommission sowohl die
Vertreter und Vertreterinnen von Bündnis 90/Die Grünen
als auch der Vertreter des Bundes für Umwelt und Natur-
schutz Deutschland (BUND) eingesetzt .
Meine Kritik am heute abzustimmenden Gesetz, unter
anderem:
Für ein vergleichendes wissenschaftliches Verfahren
sollten immer mindestens zwei Standorte pro Wirtsge-
stein – Ton, Salz, Kristallin – mit der gleichen Erkennt-
nistiefe erkundet werden . Dieses aus meiner Sicht ganz
zentrale Prinzip wurde bedauerlicherweise nicht im Ge-
setz festgeschrieben . Hierzu gab es schon in der Atom-
müll-Kommission leider keine Einigung .
Laut § 8 sei die Rolle des Nationalen Begleitgremiums
(NBG) die „vermittelnde und unabhängige Begleitung“,
Zweck ist, „Vertrauen in die Verfahrensdurchführung
zu ermöglichen“ . Relevant dafür, dass das NBG diese
Aufgabe auch erfüllen kann, sind ausreichende finanzi-
elle Mittel, breite Befugnisse und echte Unabhängigkeit .
Diese Rahmenbedingungen und Rechte des NBG können
nur in eingeschränktem Maße gesetzlich verankert wer-
den . Jedoch erwarte ich von allen Bundestagsfraktionen
ein klares Bekenntnis hierzu – auch hinsichtlich der zu-
künftigen Haushaltsberatungen .
§ 22 wurde nach der Anhörung konkretisiert und
hier deutlich gemacht, dass Erkundungsmaßnahmen
so geplant und durchgeführt werden müssen, „dass der
einschlusswirksame Gebirgsbereich nur in dem für den
erforderlichen Informationsgewinn unvermeidlichen
Ausmaß verritzt und seine Integrität nicht gefährdet
wird“ . Doch auch in der neuen Fassung des Gesetzes soll
eine Schädigung eines Standortes, die möglicherweise
durch die Erkundung entstanden ist, nicht sofort zum
Ausschluss dieses Standortes führen, selbst wenn da-
durch negative Einflüsse auf den Spannungszustand oder
die Permeabilität des Gebirges entstanden sind . Stattdes-
sen soll erst bei der vorläufigen Sicherheitsuntersuchung
geprüft werden, ob ein sicherer Einschluss trotz dieser
Folgen sichergestellt werden kann . Das führt dazu, dass
unter Umständen ein nicht geeigneter Standort länger im
Verfahren bleibt als nötig. Und dies ist aus meiner Sicht
nicht zielführend .
Nach sorgfältiger Abwägung all dieser Punkte werde
ich mich bei der Abstimmung zum Gesetz enthalten .
Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU): Mit der Verab-
schiedung des Standortauswahlgesetzes (StandAG) im
Sommer 2013 haben Bund und Länder gemeinsam die
Voraussetzungen dafür geschaffen, die Suche nach einem
Endlager für Wärme entwickelnde hochradioaktive Ab-
fälle auf eine neue Grundlage zu stellen . Auch die auf
Basis dieses Gesetzes einberufene Kommission „Lage-
rung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ und ihr am 28. Juni
2016 beschlossener Abschlussbericht mit den Empfeh-
lungen für ein neues Endlagersuchverfahren waren zen-
trale Meilensteine für einen zukunftsweisenden Konsens,
den ich grundsätzlich mittrage . Dieser Konsens kann in
meinen Augen zu einer möglichen Befriedung eines jahr-
zehntelangen und die gesamte Gesellschaft beschäftigen-
den Konflikts beitragen. Als Abgeordnete des Wahlkrei-
ses mit dem stillgelegten Kernkraftwerk Grafenrheinfeld
sehe ich es auch als wichtig an, der Region mit dem Ge-
setz hinsichtlich der Endlagerung der hochradioaktiven
Abfälle eine Perspektive zu geben . Nicht zuletzt war
für mich ausschlaggebend, dass durch die Festlegung,
das Endlager in allen drei Wirtsgesteinen zu suchen, der
Standort Gorleben weiterhin Teil der Endlagersuche sein
wird . Dies sind die Hauptgründe meiner Zustimmung
zum StandAG-Fortentwicklungsgesetz .
Kritisch sehe ich die im Gesetz vorgesehene Gleichran-
gigkeit verschiedener Endlagerkonzepte in den Wirtsge-
steinen Steinsalz, Ton- und Kristallingestein . Dies habe
ich auch während der parlamentarischen Beratungen
zum Ausdruck gebracht .
Nach dem internationalen Stand von Wissenschaft
und Technik kann in Steinsalz, Ton- und wohl auch in
Kristallingestein ein sicheres Endlager für hochradio-
aktive Abfälle für eine Million Jahre realisiert werden .
Kristallingestein ist jedoch im Gegensatz zu Steinsalz
und Tongestein meist geklüftet . Deshalb müssen dann
geotechnische und technische Barrieren – Streckenver-
füllung aus Bentonit (Ton) plus Endlagerbehälter – die
Isolation der Abfälle für den langen Betrachtungszeit-
raum gewährleisten . Das Konzept des einschlusswirksa-
men Gebirgsbereichs (ewG), bei welchem die Geologie
die Hauptlasst der Isolation der Abfälle von der Biosphä-
re trägt, ist dann nicht zu realisieren .
Der vorliegende Gesetzentwurf legt für die künftige
Endlagersuche den hohen Anspruch der „bestmöglichen
Sicherheit“ mit einem Vergleich von Standorten fest. Vor
diesem Hintergrund gibt es einen maßgeblichen Unter-
schied zwischen dem ewG- und dem Kristallinkonzept:
Im ewG-Konzept beruhen die Aussagen der Langzeit-
sicherheit maßgeblich auf der Geologie, welche viel ro-
buster für 1 Million Jahre zu prognostizieren ist als für
Konzepte mit geotechnischen und technischen Barrieren .
Ich bin mir sicher, dass vor dem Hintergrund der
„bestmöglichen Sicherheit“ nur ein Endlagerstandort
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mit dem Konzept des einschlusswirksamen Gebirgsbe-
reiches (ewG) sich am Ende des Endlagersuchverfahrens
durchsetzen wird bzw . kein Endlagerkonzept mit maß-
geblichen technischen oder geotechnischen Barrieren in
Deutschland zum Einsatz kommen wird . Letztendlich
wird dies dann aber nur die Durchführung des Verfahrens
erbringen .
Aufgrund der Klarstellung im Gesetzentwurf, dass
– bei einem Behälterkonzept deutlich höhere Anfor-
derungen an die Langzeitintegrität des Behälters zu
stellen sind,
– der Nachweis des sicheren Einschlusses der Ra-
dionuklide für eine Million Jahre im Vergleich zu
anderen Standorten mit dem Anspruch der „best-
möglichen Sicherheit“ geführt werden muss,
– der Bund nach Verabschiedung des „Gesetzes zur
Neuordnung der Verantwortung der kerntechni-
schen Entsorgung“ entsprechend dem Verursa-
cherprinzip die Rückstellungen der Energieversor-
gungsunternehmen für die atomare Zwischen- und
Endlagerung übertragen bekommen hat und im
Gegenzug nun für diese Aufgabe voll organisato-
risch und finanziell verantwortlich ist und
– aufgrund der überragenden politischen Bedeutung
des überfraktionellen Konsenses
stimme ich dem Gesetz dennoch zu . Dies tue ich insbe-
sondere auch für die Bürgerinnen und Bürgern im Land-
kreis Schweinfurt, die ein Recht auf eine verlässliche
Perspektive durch eine mittelfristige Endlagerlösung
haben .
Anlage 4
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur
Änderung des Europol-Gesetzes (Tagesordnungs-
punkt 16)
Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Wie kürz-
lich bekannt wurde, hat es Mitte Januar in Spanien einen
Schlag gegen einen riesigen Waffenhändlerring gege-
ben, bei dem mehr als 10 000 Waffen sichergestellt und
fünf beteiligte Personen festgenommen werden konnten .
Nach Presseberichten war man dem Händlerring im Rah-
men der Ermittlungen zum Anschlag auf das jüdische
Museum in Brüssel im Jahr 2014 auf die Spur gekom-
men . Unterstützt wurden diese Ermittlungen durch Euro-
pol. Dies zeigt, wie wichtig Europol bei der Verbrechens-
bekämpfung in der EU heutzutage ist .
Mit der Verabschiedung der neuen Europolverord-
nung im Mai vergangenen Jahres haben das Europapar-
lament und der Rat dafür gesorgt, dass die Agentur noch
schlagkräftiger agieren kann . Bei der Erweiterung der
Rechte von Europol wurde aber nicht nur die Frage der
künftigen Schlagkraft, sondern auch des Datenschutzes
und der parlamentarischen Kontrolle berücksichtigt . So
hat der europäische Datenschutzbeauftrage erweiterte
Kontrollrechte gegenüber Europol erhalten, und auch
eine parlamentarische Kontrolle ist nun vorgesehen . Die-
se wird zukünftig durch ein gemeinsames Gremium der
nationalen Parlamente und des europäischen Parlaments
ausgeübt .
An der genauen Ausgestaltung dieser neuen und mei-
nes Erachtens zukunftsweisenden Zusammenarbeit der
europäischen und nationalen Ebene wird derzeit fieber-
haft unter Beteiligung aller europäischen Parlamente
gearbeitet. Ich hoffe, dass wir bis zum Wirksamwerden
der neuen Europol-Verordnung Anfang Mai hier Vollzug
melden können .
Um Europol die neuen Aufgaben zu ermöglichen, ist
aber auch auf Ebene der Mitgliedstaaten die Umsetzung
der neuen Verordnung in nationales Recht nötig. Mit dem
nun vorliegenden ersten Gesetz zur Änderung des Euro-
polgesetzes wird diese Umsetzungsarbeit vom Bundes-
tag in Angriff genommen.
Einer der wesentlichen Punkte der Änderungen, die
auf EU-Ebene vorgenommen wurden ist, dass zukünftig
der Kreis der Polizeibehörden, die Vollzugriff auf die Da-
ten von Europol bekommen können, erweitert wird . In
Deutschland soll der Bundespolizei, dem Zollfahndungs-
dienst und den Polizeibehörden der Länder dieser Zugriff
auf das Europolsystem und seine Datenbanken gewährt
werden .
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Frage der techni-
schen Umsetzung . Diese erfolgt im Gegensatz zum bis-
herigen Ansatz des Europolratsbeschlusses technikneu-
tral. Es wird also auf bestimmte Verarbeitungszwecke
abgestellt und nicht auf bestimmte technische Systeme .
Dies führt innerhalb des Europolsystems zum einen zu
mehr Flexibilität, und zum anderen kann das System
besser an zukünftige technische Entwicklung angepasst
werden .
Mit den nun zu beschließenden gesetzlichen Ände-
rungen wird die polizeiliche Arbeitsebene zukünftig Zu-
griff auf wichtige Erkenntnisse von Europol haben. Dies
wird dazu beitragen, die tägliche Polizeiarbeit schnel-
ler, erfolgreicher und effizienter zu machen. Gerade in
der heutigen Zeit, in der Verbrechen und Verbrecher an
Staatsgrenzen nicht mehr Halt machen – wie der ein-
gangs erwähnte erfolgreiche Schlag gegen einen Waf-
fenhändlerring in Spanien zeigt –, ist die effektive und
schnelle Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in der
EU von entscheidender Bedeutung, um den Bürgerinnen
und Bürgern die Sicherheit zu bieten, die sie von ihrem
Staat erwarten .
Da die neue europäische Verordnung am 1. Mai dieses
Jahres in Kraft treten wird, wäre es wichtig, dass wir die
parlamentarischen Beratungen zügig abschließen . Damit
wäre gewährleistet, dass Deutschland direkt zum Start
am reformierten Europolsystem teilnehmen kann .
Sowohl vonseiten der Bundesländer als auch vonsei-
ten der Bundesbeauftragten für den Datenschutz wurde
kein Widerstand gegen das vorliegende Gesetz geäußert .
Dies ist erfreulich und sollte dazu beitragen, dass wir nun
anstehende Beratungen schnell abschließen .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22645
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Packen wir’s an, wir müssen den Bürgerinnen und
Bürgern zeigen, dass Europa für uns alle einen Mehrwert
hat, gerade wenn es um die Sicherheit von uns allen geht .
Susanne Mittag (SPD): Kriminalität ist ein weltwei-
tes Phänomen . Es macht vor keinen Grenzen Halt, ganz
im Gegenteil: Kriminelle nutzen Grenzen, um sich der
Verfolgung über Staatsgrenzen hinweg zu entziehen. Sie
nutzen unterschiedliche Strafverfolgungs- und Ermitt-
lungssysteme gezielt aus . Die organisierte Kriminalität
handelt mit allem Illegalen, mit dem sich viel Geld ver-
dienen lässt: Menschen, Drogen, Waffen, Kunstgegen-
ständen aus Raubgrabungen . Hochwertige Fahrzeuge
stehen gerade hoch im Kurs . Oder es sind mobile Banden,
die Wohnungseinbrüche begehen oder alte Menschen mit
dem sogenannten Enkeltrick betrügen . Sie schlagen mal
in Holland, mal entlang der A2 zu, um sich dann weiter in
den Osten zu bewegen; ein großer Teil ist in drei Ländern
unterwegs .
Deshalb ist es vollkommen richtig und wichtig, dass
auch die Polizeien sich besser international vernetzen .
Innerhalb der Europäischen Union wurde dafür schon
1999 das Europäische Polizeiamt mit Sitz in Den Haag
gegründet . Europol, wie das Polizeiamt auch kurz ge-
nannt wird, hilft den nationalen – also auch deutschen –
Strafverfolgungsbehörden bei der Bekämpfung schwerer
internationaler Kriminalität und von Terrorismus . Beides
gehört mehr und mehr zusammen .
Aber zum Beispiel auch Subventionsbetrug, Kriegs-
verbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit
gehören jetzt zu den Aufgabengebieten von Europol . Eu-
ropol fungiert als Knotenpunkt für den Informationsaus-
tausch zwischen den nationalen Polizeien zu kriminellen
Aktivitäten innerhalb der EU und erstellt gemeinsame
Ermittlungsgruppen .
Aber Europol dient nicht nur zur Informationsvertei-
lung, sondern bereitet aus den zur Verfügung gestellten
Daten Analysen zu unterschiedlichen Kriminalitätsberei-
chen auf . In Den Haag ist also ein Kompetenzzentrum
mit aus den Mitgliedstaaten entsandten Polizisten ent-
standen .
Hier können durch die internationale Vernetzung
ganzheitliche Analysen unterschiedlicher Phänomenbe-
reiche erarbeitet und den Polizeibehörden zur Verfügung
gestellt werden: zum Ermitteln, Verhaften und Werte-Si-
chern .
Beispielhaft für solch eine Analyse möchte ich hier
nur kurz den SOCTA-Bericht 2017, der Anfang des Mo-
nats erschienen ist, nennen . In diesem Bericht beleuch-
tet Europol die schwere und organisierte Kriminalität in
Europa . In der EU werden derzeit rund 5 000 bekann-
te Gruppen der OK in Ermittlungen überprüft . Eine
OK-Gruppe besteht dabei aus drei und mehr Personen,
die über eine bestimmte Zeitspanne zusammenarbeitet,
um Gewinne aus Straftaten zu erzielen . Rund 76 Prozent
dieser Gruppen haben sechs und mehr Mitglieder, sind
meist hierarchisch organisiert und arbeiten nur bedingt
deliktsbezogen, das heißt umgangssprachlich: klauen,
was bestellt wird. Vor allem die Bereiche des illegalen
Warenhandels im Internet, Drogen, Menschenschmuggel
und Menschenhandel sowie organisierte Eigentumsde-
likte sind Hauptbetätigungsfelder der OK .
Die organisierte Kriminalität gefährdet aber nicht nur
mit ihren Taten die Sicherheit in unserer Gesellschaft,
und zwar alle, Arm und Reich, nein, Terroristen nehmen
gerne Dienstleistungen von OK-Gruppen, wie zum Bei-
spiel den Menschenschmuggel, Dokumentenfälschungen
oder illegalen Waffenhandel, in Anspruch, um so mög-
lichst unter dem Radar der Sicherheitsbehörden einreisen
zu können bzw . ihre Taten vorzubereiten .
Um auch hier wirkungsvoll ansetzen zu können, brau-
chen wir eine verbesserte internationale Zusammenarbeit
der Sicherheitsbehörden . Dafür brauchen wir ein gut
aufgestelltes Europäisches Polizeiamt Europol und einen
modernen Rechtsrahmen, in dem Europol agieren kann .
Das ist die sogenannte Europol-Verordnung.
Die Verordnung, die im Mai vergangenen Jahres vom
Europäischen Parlament und vom Rat beschlossen wur-
de, war ein hartes Stück Arbeit für die Kolleginnen und
Kollegen des Europäischen Parlamentes . Auch der Bun-
destag hat sich eingehend damit befasst. Die zehn Ver-
handlungsrunden im Trilog zeugen davon, dass hier sehr
ausdauernd an sinnvollen Lösungen gearbeitet wurde .
Ich denke, es hat sich gelohnt .
Europol hat nun eine parlamentarische Kontrolle, be-
stehend aus Vertretern der nationalen Parlamente und
dem zuständigen LIBE- Ausschuss im EP, erhalten . Das
ist wichtig . Denn durch eine starke parlamentarische
Kontrolle entsteht auch die Legitimität und Akzeptanz in
den einzelnen Ländern, die eine EU-Polizeibehörde für
ihre Arbeit braucht .
Nun ist die Verordnung beschlossen und tritt am
1 . Mai 2018 in Kraft . Wir müssen jetzt kleinere, zuweilen
eher redaktionelle Änderungen an unserem Europol-Ge-
setz vornehmen, um es an die Verordnung anzupassen.
Endlich sollen auch die Bundespolizei, der Zollfahn-
dungsdienst und die Länderpolizeien direkten Zugriff auf
operative Analysedateien bei Europol erhalten . Oftmals
müssen die Erkenntnisse schnell erlangt werden . Der
veraltete „Dienstweg“ wurde mit der Europol-Verord-
nung modifiziert.
Wo mit Daten, besonders mit so sensiblen wie Per-
sonendaten gearbeitet wird, muss es eine aktuelle und
rechtssichere Datenschutzsystematik geben . Deshalb
wurde auch der Europäische Datenschutzbeauftragte, der
zuständig für die Kontrolle von Europol ist, darauf fest-
gelegt, dass er mit den nationalen Kontrollbehörden für
den Datenschutz eng zusammenarbeiten muss . Hierfür
wurde nach zähem Ringen der Beirat für die Zusammen-
arbeit gegründet, der sich aus je einem Vertreter der Kon-
trollbehörden der Mitgliedstaaten und dem Europäischen
Beauftragten für den Datenschutz zusammensetzt .
Die spannende Frage bei Kontrollen ist aber doch
immer: Wer benennt denn den Kontrolleur? Eigent-
lich logisch, dass im Entwurf das Ernennungsrecht des
deutschen Vertreters bei der Beauftragten für den Daten-
schutz und die Informationsfreiheit liegt . Wo sonst? Die
sogenannte BfDI ist ja auch in Deutschland die unabhän-
gige Kontrollinstanz im Bereich des Datenschutzes . Des-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722646
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halb ist es gut, diese Systematik auch beim Beirat für die
Zusammenarbeit für Europol beizubehalten .
Insgesamt halte ich den Entwurf für einen wichtigen
Schritt zur Bekämpfung der OK und bin gespannt auf die
parlamentarischen Beratungen .
Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung will
das Europol-Gesetz umschreiben, um es an die verän-
derte europäische Rechtslage anzupassen . Anlass ist die
im vorigen Jahr erfolgte Ersetzung des früheren Euro-
pol-Ratsbeschlusses durch die Europol-Verordnung, die
jetzt ihren Niederschlag in einem deutschen Gesetz fin-
den soll .
Die Linke wird diesem Gesetz die Zustimmung ver-
weigern, genau wie es unsere Schwesterfraktion im Eu-
roparlament gemacht hat. Denn die Europol-Verordnung
ist ein Schritt auf dem Weg zu einer Art Super-Polizeibe-
hörde, die immer mehr Kompetenzen erhält, ohne dass
die Kontrollbefugnisse von Parlamenten und Datenschüt-
zern damit Schritt halten . Die Bürgerrechte, insbesondere
das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung,
bleiben dabei auf der Strecke .
Sicherlich ist die Koordination europäischer Polizei-
behörden wichtig, damit sich Kriminelle nicht einfach
dem Zugriff entziehen können, indem sie sich in ein
anderes Mitgliedsland absetzen . Es muss aber klare Zu-
ständigkeiten und Kontrollbefugnisse geben, und daran
mangelt es leider .
Europol hat in den letzten Jahren erheblich aufgerüs-
tet . Die Behörde verfügt jetzt beispielsweise über eine
sogenannte Meldestelle für Internetinhalte, die gewalt-
verherrlichende Seiten aufspüren und ihre Löschung
veranlassen soll . Die Kriterien dafür bleiben, wie so vie-
les bei Europol, im Unklaren . So geht diese Meldestelle
mittlerweile auch gegen Facebook-Gruppen professio-
neller Schleusernetzwerke vor, was letztlich dazu führen
wird, dass die Fluchtwege noch gefährlicher werden . Sie
darf zudem von privaten Konzernen wie Google, Face-
book, Twitter usw . die Nutzerdaten anfordern und so ei-
nen gigantischen Datenberg anhäufen .
Unklar bleibt auch, was genau das von Europol An-
fang 2016 eingerichtete Europäische Zentrum für Ter-
rorismusbekämpfung macht . Europol-Direktor Rob
Wainwright bezeichnete das Zentrum im Januar 2017 als
„Meilenstein im Kampf gegen den Terrorismus“; der In-
formationsaustausch zwischen den europäischen Polizei-
behörden habe erheblich zugenommen . – Das glaube ich
gerne, aber ich kann darin nicht nur einen Vorteil sehen,
sondern ich sehe auch eine Bedrohung für die Bürger-
rechte, wenn es keine effektive Kontrolle darüber gibt,
welche Art von Daten hier auf welcher Grundlage ausge-
tauscht werden .
Deswegen ist es äußerst bedenklich, wenn die Euro-
pol-Verordnung festschreibt, dass die nationalen Polizei-
behörden Europol „alle nötigen Informationen“ für die
Terrorbekämpfung zukommen lassen sollen . Dem Gesetz
zufolge sollen die Polizeibehörden der Bundesländer
selbst Europol zuarbeiten und auch von dort Daten abru-
fen können . Da muss doch wenigstens geklärt sein: Wer
definiert, was Terrorbekämpfung ist, wer definiert, was
die nötigen Informationen sind, und – nicht zuletzt – wer
prüft nach, was mit diesen Informationen passiert und an
wen sie schlussendlich weitergegeben werden? Das alles
ist völlig unklar . Europol wird zur Blackbox, die für nie-
manden kontrollierbar ist .
Das gilt noch mehr für den angestrebten Datenaus-
tausch mit Geheimdiensten . In mehreren Mitgliedstaa-
ten gibt es schon eine institutionalisierte Zusammenar-
beit zwischen Polizei- und Geheimdienstbehörden, in
Deutschland etwa im Gemeinsamen Terrorabwehrzent-
rum und dem Gemeinsamen Extremismus- und Terroris-
musabwehrzentrum. Voriges Jahr schlug die Europäische
Kommission nun vor, ebenfalls ein „Drehkreuz für den
Informationsaustausch“ zwischen europäischen Polizei-
und Geheimdienstbehörden einzurichten, wobei Europol
wiederum eine zentrale Rolle erhalten soll .
Die Linke lehnt diese gemeinsamen Zentren in
Deutschland ab, weil sie das Trennungsgebot zwischen
Polizei und Geheimdiensten unterlaufen . Sie ermöglichen
es Polizeibehörden, an Informationen zu gelangen, an die
sie nach eigenem Recht gar nicht gelangen könnten, und
umgekehrt . Dieses Prinzip darf nicht auch noch auf die
ganze EU ausgedehnt werden . Denn natürlich operieren
diese Zentren quasi in einem rechtsfreien Raum und sind
weder durch nationale Parlamente zu kontrollieren noch
durch das Europaparlament . Auf diese Weise könnten
etwa deutsche Polizei- und Geheimdienstbehörden die
Beschränkungen des Informationsaustauschs, die ihnen
deutsches Recht auferlegt, klammheimlich und unbe-
merkt hintergehen .
Die Entwicklung von Europol geht damit in die fal-
sche Richtung . Internationaler polizeilicher Datenaus-
tausch muss konkret dem Kampf gegen Kriminalität
dienen und darf nicht zum Selbstzweck werden . Er muss
zudem einer parlamentarischen und soweit wie möglich
auch öffentlichen Kontrolle unterliegen. Dieser enge
Rahmen wird hier eindeutig verlassen . Die Zweckbin-
dung erhobener Daten, der Respekt vor der informati-
onellen Selbstbestimmung, das Prinzip der Trennung
polizeilicher und geheimdienstlicher Arbeit, all das wird
für hinfällig erklärt . Europol wird Schritt für Schritt zum
unkontrollierbaren Datenkraken aufgebaut . Das gibt den
Einwohnerinnen und Einwohnern der Europäischen Uni-
on nicht mehr Sicherheit, sondern es nimmt ihnen Frei-
heitsrechte .
Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
vorliegende Gesetzentwurf reagiert auf die im Mai 2016
beschlossene neue Verordnung 2016/794 des Europä-
ischen Parlaments und des Rates zu Europol und be-
schränkt sich im Wesentlichen darauf, die nach der Ver-
ordnung zwingend vorgegebenen nationalen Regelungen
zu schaffen.
Europol hat dabei weiterhin in erster Linie die Auf-
gabe, die Tätigkeit der zuständigen Behörden der Mit-
gliedstaaten zu stärken sowie deren Zusammenarbeit
bei der Prävention und Bekämpfung von organisierter
Kriminalität, Terrorismus und anderen Formen schwerer
Kriminalität zu unterstützen . Dabei steht die eigene Da-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22647
(A) (C)
(B) (D)
tenverarbeitung durch Europol sowie die Weitergabe von
Informationen und Analysen an nationale Behörden im
Zentrum .
Ein wesentlicher Punkt dabei ist aber, dass die Abfra-
gen nationaler Behörden künftig nicht mehr durch das
jeweilige Verbindungsbüro, sondern direkt durch die
jeweilige nationale Polizeibehörde erfolgen sollen . Ein
solcher Schritt war ja zu erwarten . Ob dadurch aber eine
bessere Nutzung der Systeme durch die Mitgliedstaaten
erreicht wird, wird man erst in der Praxis sehen können .
Neu ist aber auch, dass nationalen Behörden dabei nun
auch der Zugang zu Daten eröffnet wird, die bei Euro-
pol bisher nur zu Analysezwecken verarbeitet werden . In
diesem Zusammenhang besonders wichtig ist daher, dass
der europäische Gesetzgeber dem Thema Datenschutz
erhebliches Gewicht beimisst . So wurde ein ganz neues
Kapitel der Verordnung allein den Datenschutzgarantien
gewidmet .
Die Verordnung nimmt außerdem stärker alle Krimi-
nalitätsformen in den Blick, die durch die Nutzung des
Internets erleichtert, gefördert oder begangen werden,
und die Herausforderungen, die sich daraus für die po-
lizeiliche Arbeit ergeben . In diesem Zusammenhang de-
finiert die Verordnung eine völlig neue Aufgabe: Euro-
pol soll zukünftig in Kontakt zu privaten Anbietern von
Onlinediensten treten, damit diese auf freiwilliger Basis
die Vereinbarkeit bestimmter Inhalte mit ihren jeweiligen
Geschäftsbedingungen überprüfen und gegebenenfalls
Inhalte oder Links löschen .
Die Regelung müssen wir uns sehr genau anschauen,
da hier eine Datenweitergabe von einer nationalen Poli-
zeibehörde – also beispielsweise der Bundespolizei – an
Europol und von Europol an den privaten Betreiber eines
Onlinedienstes – also beispielsweise Facebook – erfolgt,
und das ist nach meiner Einschätzung etwas, das ein
nationaler Gesetzgeber explizit regeln sollte . Immerhin
wird hier eine private Stelle in die Erfüllung öffentlicher
Aufgaben einbezogen . Die dadurch ausgelösten Restrik-
tionen können durchaus grundrechtsrelevant sein oder
Grundrechtseingriffen jedenfalls sehr nahe kommen. Der
vorliegende Gesetzentwurf greift diese Fragen jedoch
nicht auf .
Geeignete nationale Regeln wären hier aber besonders
wichtig, um ein rechtsstaatliches Verfahren sicherzustel-
len . Immerhin ist davon auszugehen, dass die Folge der
Übermittlung polizeilicher Daten in aller Regel eine Lö-
schung oder Sperrung sein wird, wobei auch die Auswir-
kungen auf den Rechtsweg beziehungsweise den Rechts-
schutz der Betroffenen sehr schwer wiegen können.
Vor allem ist es aber eine Grundsatzentscheidung, wie
Private in die Erfüllung von Sicherheitsaufgaben ein-
gebunden werden sollen . Ich verweise hier nur auf die
Diskussion, die wir gerade zur Erweiterung der privaten
Videoüberwachung führen. In der Anhörung zu dem ent-
sprechenden Gesetzentwurf wurde vonseiten der Sach-
verständigen schließlich auch auf die engen datenschutz-
rechtlichen Grenzen hingewiesen .
Aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit, aber auch im In-
teresse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit wäre es
im Übrigen dringend angezeigt, weitere Regelungen in
den Gesetzentwurf aufzunehmen . Wesentliche Ansätze
hinsichtlich der Frage der Zweckbindung polizeilicher
Daten hat zum Beispiel die Anhörung zum BKA-Gesetz
geliefert, die man auch hier aufgreifen könnte . Dazu ist
es jedoch notwendig, Anhörungen nicht nur durchzu-
führen, sondern die Stellungnahmen der Experten auch
tatsächlich in das Gesetzgebungsverfahren einfließen zu
lassen .
Und auch das zeigt der vorliegende Gesetzentwurf
deutlich: Europol braucht schon allein aufgrund der Mas-
se an polizeilichen Daten, die dort zukünftig zusammen-
laufen sollen, eine bessere parlamentarische Kontrolle .
Als nationales Parlament sollten wir daher unseren ge-
samten Einfluss geltend machen, das zu gewährleisten.
Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister des Innern: In der Sicherheitsarchitektur
der Europäischen Union nimmt Europol mittlerweile
eine zentrale Rolle beim gemeinsamen Informationsaus-
tausch und der Zusammenarbeit der Polizeibehörden der
Mitgliedstaaten ein .
Am Sitz von Europol in Den Haag arbeiten mittler-
weile über 1 000 Personen . Der Haushalt von Europol
beträgt mehr als 100 Millionen Euro im Jahr .
Insbesondere im Bereich der Terrorismusbekämpfung
hat Europol in den vergangenen zwei Jahren bedeutende
Fortschritte erzielt . Hervorzuheben sind etwa die Ein-
richtung eines Europäischen Zentrums zur Terrorismus-
bekämpfung und die EU-Internet-Meldestelle .
Ein weiterer bedeutender Baustein in dieser Entwick-
lung war im Mai vergangenen Jahres die Verabschiedung
einer neuen Rechtsgrundlage für Europol .
Durch die neue Europol-Verordnung (EU) 2016/794
werden die Arbeitsfähigkeit von Europol gestärkt und die
bestehenden hohen Schutzstandards gewahrt . Lassen Sie
mich nur drei Beispiele herausgreifen:
Die Zuständigkeit von Europol wird auf weitere Kri-
minalitätsformen erstreckt, darunter der sexuelle Miss-
brauch von Kindern, schwerer Diebstahl sowie Völker-
mord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Europol erhält mehr Flexibilität bei der Ausgestaltung
seiner IT-Strukturen, indem technikneutral auf bestimm-
te Verarbeitungszwecke abgestellt wird, anstatt einzelne
IT-Systeme durchzuregeln .
Schließlich wird der Informationsaustausch mit den
Mitgliedstaaten, mit Drittparteien und in eng umgrenzten
Fällen auch privaten Parteien erweitert .
Zugleich sind die datenschutzrechtlichen Vorkehrun-
gen bei Europol ausgeweitet worden . Der Europäische
Datenschutzbeauftragte erhält erweiterte Befugnisse und
kann insbesondere Anordnungen und Untersagungen mit
Blick auf Verarbeitungsvorgänge aussprechen. Zudem
ist erstmals bei einer EU-Agentur eine parlamentarische
Kontrolle durch das Europäische Parlament unter Betei-
ligung der nationalen Parlamente vorgesehen .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722648
(A) (C)
(B) (D)
Gegenstand des vorliegenden Gesetzentwurfs ist die
Anpassung der Vorschriften des Europol-Gesetzes an die
neue Europol-Verordnung.
Die Verweise im Europol-Gesetz auf den Euro-
pol-Ratsbeschluss sollen an die entsprechenden Vor-
schriften der Europol-Verordnung angepasst werden.
Soweit im Europol-Gesetz einzelne IT-Systeme von
Europol, wie das Europol-Informationssystem, genannt
oder vorausgesetzt werden, soll eine Anpassung an die
neue zweckorientierte Verarbeitung nach der Euro-
pol-Verordnung erfolgen.
Die Europol-Verordnung räumt den Mitgliedstaaten
einen erweiterten Zugang zu Analysedaten bei Europol
ein . Bislang erhalten die Mitgliedstaaten die sie betref-
fenden Analyseberichte . Nunmehr sind die Mitglied-
staaten befugt, auf thematische und strategische Analy-
sedaten und im Treffer/Kein-Treffer-Verfahren auch auf
operative Analysedaten zuzugreifen .
Der Gesetzentwurf sieht insoweit vor, den Zugang den
Behörden einzuräumen, welche derzeit bereits das Euro-
pol-Informationssystem nutzen .
Durch den Wechsel der Datenschutzaufsicht bei Euro-
pol hin zum Europäischen Datenschutzbeauftragten be-
darf es einer Anpassung der Entsendung von Vertretern
der nationalen Datenschutzaufsicht in die entsprechen-
den Gremien .
Ferner sollen die Vorschriften zur Erstattungspflicht
bei Schäden aus widerrechtlicher Datenverarbeitung an-
gepasst werden .
Die Ausgestaltung der eben erwähnten parlamentari-
schen Kontrolle von Europol unter Beteiligung der na-
tionalen Parlamente überlässt die Europol-Verordnung
zuständigkeitshalber der interparlamentarischen Verstän-
digung .
Im weiteren Verfahren im Bundestag soll rechtsförm-
lich eine Anpassung der Verweise an den Entwurf eines
Gesetzes zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamt-
gesetzes erfolgen . Hierfür hat sich auch der Bundesrat
ausgesprochen .
Anlage 5
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Än-
derung des Energiesteuer- und des Stromsteuerge-
setzes (Tagesordnungspunkt 17)
Norbert Schindler (CDU/CSU): Wir befassen uns
heute erstmalig mit dem Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung zur Änderung des Energiesteuer- und Stromsteu-
ergesetzes, die zwingend notwendig ist, um Vorgaben
des Rechts der Europäischen Union in nationales Recht
umzusetzen . Darüber müssen auch Entscheidungen der
EU-Kommission und des EuGH in die Regelungen des
Energiesteuer- und Stromsteuergesetzes eingearbeitet
werden .
In erster Linie dient das Gesetz jedoch der Umset-
zung des Auftrages des Deutschen Bundestages aus dem
Sommer 2015, die Steuerbegünstigungen für gasförmige
Kraftstoffe – Erdgas und Autogas –, die Ende des Jah-
res 2018 auslaufen, zu überprüfen, mit dem Ziel, diese
zu verlängern . Dies ist mit dem Gesetzentwurf auch zum
Teil gelungen .
Ich bin sehr froh, dass es der Bundesregierung gelun-
gen ist, den Gesetzentwurf nach fast einem Jahr Ressort-
abstimmung endlich in den Deutschen Bundestag einge-
bracht zu haben. Denn dieser schafft endlich Rechts- und
Planungssicherheit im nationalen Recht und enthält teil-
weise gute, schlanke Lösungen, die wir im Energiesteu-
errecht nicht immer gewohnt waren und sind .
Den inhaltlichen Schwerpunkt bilden Maßnahmen,
um nationale Steuerbegünstigungen im Energie- und
Stromsteuerbereich an das im Jahr 2014 novellierte
EU-Beihilferecht und die EU-Energiesteuer-Richtlinie
anzupassen . Für den Bereich der Elektromobilität wird
das Stromsteuergesetz so angepasst, dass Befreiungen
und Ermäßigungen insbesondere für den öffentlichen
Nahverkehr zukünftig möglich sein werden .
Des Weiteren werden bisherige Ausnahmen – die als
Beihilfe problematisch sein können – abgebaut, zum
Beispiel bei KWK-Anlagen oder beim sogenannten Her-
stellerprivileg, jedoch ist die ursprünglich vorgesehene
Entflechtung von KWK-Ausnahmen und EEG-Förde-
rung durch Einführung der sogenannten Kumulierungs-
höchstgrenze nicht mehr Bestandteil des Gesetzentwurfs .
Andererseits müssen jetzt die Fördertatbestände im Ener-
giesteuerrecht auf die Fördertatbestände des EEG bzw .
KWK oder anderer Förderungen von Bund, Ländern und
Kommunen einzeln aufeinander justiert werden, um den
europarechtlichen Anforderungen entsprechen zu kön-
nen .
Der Gesetzentwurf enthält zudem Verfahrensverein-
fachungen und Regelungen zum Abbau der Bürokratie
und schafft die Ermächtigungsgrundlage für eine elektro-
nische Kommunikation zwischen den Wirtschaftsbetei-
ligten und der Verwaltung im Energie- und Stromsteu-
erbereich. Hoffen wir, dass diese dann auch reibungslos
funktioniert . Doch dazu später .
Wie zuvor angesprochen, ist zudem eine Verlängerung
der Steuerbegünstigung für als Kraftstoff verwendetes
Erdgas (CNG/ LNG) über das Jahr 2018 bis Ende 2026 –
abschmelzend ab 2024 – enthalten . Damit ist ein Teil der
Forderungen des von den Koalitionsfraktionen initiier-
ten Antrags vom Sommer 2015 umgesetzt worden, auch
dank Unterstützung von Bundesminister Dobrindt, des-
sen Ressort die Steuerausfälle übernimmt .
Über den anderen Teil des Antrages – Verlängerung
der Steuerbegünstigung für Autogas (LPG) – ist noch
zu debattieren . Sowohl im Koalitionsvertrag als auch im
Antrag der Koalitionsfraktionen haben wir uns für eine
Verlängerung über 2018 hinaus ausgesprochen. Die Ar-
gumente für und wider sind schon vielfach ausgetauscht .
Ich möchte hier aber nochmals drei Fakten besonders he-
rausstellen:
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22649
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(B) (D)
Erstens . Auch bei dem schon jetzt im Gesetz vorge-
sehenen Normalsteuersatz – ohne Steuerermäßigung –
bleibt der Einsatz von Autogas gegenüber anderen Ener-
gieträgern im Kraftfahrzeugbereich weiter vorteilhaft .
Zweitens . Im Gegensatz zu Erdgas wird Autogas
schon seit vielen Jahren steuerlich gefördert . Dies spie-
gelt sich auch im Tankstellennetz wider, das bei Erdgas
in dieser Größenordnung nicht existiert und erst noch
aufgebaut werden muss .
Drittens . Autogas ist mehr oder weniger ein Ab-
fallprodukt aus den Raffinerien, das meines Erachtens
durchaus zu einem niedrigeren Preis angeboten werden
könnte; hier sehe ich auch die Hersteller in der Pflicht.
Eine Steueranpassung könnte von diesen zum Teil abge-
federt werden .
Trotzdem wäre ein abrupter Ausstieg aus der Förde-
rung kein gutes Signal für die Wirtschaftsbeteiligten,
seien es LPG-Autobesitzer, Umrüstbetriebe, Tankstel-
lenpächter oder die Mineralölindustrie . Deshalb werden
wir in den weiteren Beratungen abwägen müssen, was
wir diesen abverlangen können und wie wir andererseits
die Einnahmen aus der Energiesteuer verstetigen können .
Ich plädiere hier offen für eine stufenweise Abschmel-
zung der Steuervergünstigungen .
Durch die Gesetzesnovelle entfallen zudem eine Viel-
zahl von Einzelgenehmigungsanträgen bei der KOM,
zum Beispiel bei der Steuerentlastung für Betriebe der
Land- und Forstwirtschaft . So kann die Praxis der teil-
weisen Steuererstattung für „Agrardiesel“ und „Bioag-
rardiesel“ bis zum Auslaufen der Freistellungsanzeige
bei der KOM weitergeführt werden . Auch hierzu muss
ich noch ins Detail gehen .
Kritisch betrachtet werden muss die Streichung des
§ 60 EnergStG: Die Streichung ist europarechtlichen Be-
denken geschuldet, da die Regelung nur für mittelstän-
dische Unternehmen zur Anwendung kommt und damit
selektiv wirkt – Beihilfe . Auf den Inhalt möchte ich gar
nicht eingehen; ich teile die Bedenken nicht und setze
mich für eine Beibehaltung dieser Regelung ein .
Weitere Kritikpunkte am ansonsten gelungenen Ge-
setzentwurf: Einige Regelungen sind nach EU-Recht
nicht zwingend und schießen somit über das Ziel der
Eins-zu-eins-Umsetzung der Energiesteuerrichtlinie hi-
naus . Andere berechtigte Forderungen, wie die Gleich-
stellung der Industriegaseproduktion mit anderem produ-
zierenden Gewerbe, werden nicht berücksichtigt . Auch
hier halte ich Nachbesserungen für notwendig .
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Bundes-
finanzministerium bei der Anpassung des Energie- und
Stromsteuergesetzes an neues EU-Recht und an die
Rechtsprechung nunmehr fast durchgängig vernünftige
und praktikable Lösungen gefunden hat . Auch wenn da-
bei teilweise die so beliebte Einzelfallgerechtigkeit leidet,
so teile ich die Priorität des Gesetzentwurfes: möglichst
viel Bürokratieabbau, auch im Verhältnis zur KOM.
Die bisher dauernd notwendigen Notifizierungen bei
der KOM, beim Agrardiesel beispielsweise ein Riesen-
aufwand für ein halbes Kalenderjahr bis 30 . Juni 2017,
entfallen, und so haben wir hoffentlich für ein paar Jahre
Rechtssicherheit und Klarheit im Verwaltungshandeln.
Bürokratieabbau im Verhältnis zur EU darf aber nicht
zu weiterem Bürokratieaufbau bei den Bürgern führen .
Wenn im Vorgriff auf dieses Gesetz nun für die Bean-
tragung der Steuerrückerstattung für Agrardiesel zu den
schon bestehenden und schwer zu verstehenden Antrags-
formularen drei neue eingeführt werden, so widerspricht
dies dem Sinn des Gesetzes . Deshalb, liebes BMF, liebe
Generalzolldirektion: Geht in euch und schafft auch im
Verhältnis zu den Antragstellern den schlanken Staat.
Dass es uns mithilfe von Bundesminister Schmidt
gelungen ist, die Steuerermäßigung für Biodiesel zur
Verwendung in der Landwirtschaft beizubehalten, freut
mich als Landwirt und Vertreter der Biokraftstoffbranche
ganz besonders, da in diesem Bereich unsere Landwirte
gleichzeitig Hersteller und Verwender sind. So kann eine
kleine, regionale Kreislaufwirtschaft aussehen, die die
landwirtschaftlichen Betriebe stärkt .
Abschließend wünsche ich uns gute Beratungen des
Zweiten Gesetzes zur Änderung des Energiesteuer- und
des Stromsteuergesetzes, mit einem Ergebnis, mit dem
sowohl der Fiskus als auch die von der Besteuerung Be-
troffenen gut leben können. Wir Parlamentarier gehen
jetzt die Fragestellungen an, und seien Sie gewiss, auch
bei diesem Gesetzentwurf gilt das „erste Struck’sche Ge-
setz“: „Kein Gesetz kommt aus dem Parlament so heraus,
wie es eingebracht worden ist .“
Christian Petry (SPD): „Was lange währt, wird
endlich gut!“ – Mit diesen Worten kann man den Wer-
degang des vorliegenden Gesetzentwurfs zur Änderung
des Stromsteuer- und Energiesteuergesetzes treffend zu-
sammenfassen .
Ursprünglicher Kern dieser Gesetzesinitiative war die
im Koalitionsvertrag von SPD und Union festgelegte
Verlängerung der energiesteuerrechtlichen Ausnahmetat-
bestände für Erdgas und Autogas . Nun wurde der Koaliti-
onsvertrag bekanntlich schon im Jahr 2013 ausgehandelt .
Dass wir erst kurz vor dem Ende der Legislaturperiode
dieses Vorhaben umsetzen, ist schade. Schließlich hat
der Deutsche Bundestag bereits im Sommer 2015 die
Bundesregierung zur Vorlage eines entsprechenden Ge-
setzentwurfs aufgefordert . Nach einer langwierigen Res-
sortabstimmung liegt nun also der Entwurf vor und wir
starten mit dem parlamentarischen Verfahren.
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich einige Punk-
te loben, die sich vom ersten Referentenentwurf bis zum
Kabinettsbeschluss geändert haben .
Eine wesentliche Änderung betrifft das zunächst im
Entwurf enthaltene allgemeine Kumulierungsverbot von
Steuerbegünstigungen mit anderen Beihilfen . Hier hat
das Bundeswirtschaftsministerium hart verhandelt und
schlussendlich eine Streichung dieses Kumulierungsver-
bots bewirkt .
Darüber hinaus wurde im Rahmen der Ressortabstim-
mung die vom BMF geplante Streichung der Steuerent-
lastung für die Stromerzeugung in kleinen Anlagen nicht
übernommen . Das ist ein wichtiger Erfolg des Bundes-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722650
(A) (C)
(B) (D)
wirtschaftsministeriums . Die ursprünglich geplante Neu-
fassung des § 9 StromStG wird im aktuellen Gesetzes-
vorhaben nicht weiterverfolgt .
Neben diesen positiven Punkten möchte ich aber auch
auf ein großes Manko des Gesetzentwurfs hinweisen:
Der Entwurf der Bundesregierung enthält einen klaren
Verstoß gegen den Koalitionsvertrag. Im Koalitionsver-
trag haben wir uns schließlich auf eine Weiterförderung
von Erdgas und Autogas verständigt . Der Regierungsent-
wurf nimmt das Autogas jedoch komplett von der Wei-
terförderung aus .
Es ist daher nicht überraschend, dass ich an dieser
Stelle das oft zitierte Struck’sche Gesetz bemühe: „Kein
Gesetz kommt aus dem Parlament so heraus, wie es ein-
gebracht worden ist .“
Es gibt gute Gründe dafür, sowohl das Erdgas als auch
das Autogas über das Jahr 2018 hinaus weiter zu fördern .
Eine Schlüsselrolle bei der Reduzierung der Treib-
hausgasemissionen kommt dem Verkehrssektor zu. Da-
bei spielen Erdgas und Autogas eine entscheidende Rol-
le: Beide Kraftstoffe emittieren im Vergleich zu fossilen
Benzin-Kraftstoffen deutlich weniger CO2 .
Dabei gibt es aktuell circa 500 000 Pkw in Deutsch-
land, die mit Autogas betrieben werden, beim Erdgas
sind es etwa 80 000 Fahrzeuge. Beide Kraftstoffe sind
damit noch eine Nischentechnologie, die es auch weiter-
hin zu fördern gilt .
Für mich geht es dabei auch um das Einhalten politi-
scher Versprechen. Die Halter der 500 000 Autogas-Pkw
haben sich darauf verlassen, dass das Autogas auch über
2018 hinaus gefördert wird .
Ich finde es in diesem Zusammenhang übrigens rich-
tig, zwischen Erdgas und Autogas zu differenzieren.
Beim Erdgas gibt es eine regenerative Komponente, und
die Marktdurchdringung ist noch deutlich schwächer als
beim Autogas. Dies sollten wir bei einer Verlängerung
der steuerlichen Ausnahmetatbestände berücksichtigen .
Über genaue Förderzeiträume werden wir im anste-
henden parlamentarischen Verfahren in Ruhe beraten.
Auch weitere Punkte im Energie- und Stromsteuerrecht,
die vom Gesetzentwurf betroffen sind, werden wir uns
anschauen und dort, wo nötig, ändern .
In diesem Sinne freue ich mich auf die Beratungen im
Finanzausschuss .
Glück auf!
Andreas Rimkus (SPD): Ich spreche ja regelmäßig
vor Ihnen zum Thema Reduktion von Emissionen im
Verkehr. Auch der vorliegende Gesetzentwurf beinhaltet
Maßnahmen, die wichtige Meilensteine auf dem Weg zur
Energiewende im Verkehr sind.
Die Klimaziele sind klar: Bis 2050 wollen wir eine
Reduzierung der Treibhausgasemissionen um 80 bis
95 Prozent gegenüber 1990 erreichen . Sektorenübergrei-
fend sollen CO2-Emissionen bis 2020 um mindestens
40 Prozent gesenkt werden. Dies schaffen wir jedoch nur,
wenn wir beim Ausbau der erneuerbaren Energien voran-
kommen und die Energieeffizienz steigern.
Um diese Ziele jedoch zu erreichen, müssen wir
auch im Verkehrssektor besser werden. Der von Barbara
Hendricks vorgelegte Klimaschutzplan gibt uns kla-
re Hausaufgaben. Er mahnt uns, im Verkehrsbereich
10 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente einzusparen . Das
setzt uns unter enormen Handlungsdruck, doch diese He-
rausforderung nehme ich gerne an .
Mit diesem Gesetz bekennen wir uns zu den genann-
ten Zielen und wollen die Steuerbegünstigung für Erdgas
(CNG/LNG) über das Jahr 2018 hinaus verlängern . So
soll nach dem aktuellen Entwurf eine Verlängerung bis
Ende 2026 beschlossen werden, wobei die Begünstigung
ab 2024 schrittweise verringert werden soll . Ausgenom-
men von der Verlängerung ist nach dem Kabinettsent-
wurf Autogas . Hierzu wird es noch weitere Beratungen
geben, da sich die Koalitionsfraktionen im Koalitions-
vertrag und auch der Bundestag in einem Antrag auf eine
Verlängerung sowohl von Erd- als auch Flüssiggas ver-
ständigt haben . Dies schließt die Laufzeit und die Höhe
der Steuervergünstigung ein . Kern unserer Politik sollte
es sein, vor allen Dingen die Technologien zu fördern,
die im Zuge der Kraftstoffwende – hin zu erneuerbaren
Kraftstoffen, wie EE-Strom, EE-Wasserstoff oder EE-
Gas – Integrationsmöglichkeiten bieten . Deshalb ist es
auch folgerichtig, wenn wir Autogas, das vor allen Din-
gen auch hilft, die NOx-Werte in unseren Städten zu re-
duzieren, über 2018 hinaus fördern . Erfreulich ist, dass
wir bei Autogas schon eine gute Marktdurchdringung
haben, die bereits jetzt auf unseren Straßen hilft, Emissi-
onen zu reduzieren . Mit überschaubaren Kosten zur Um-
rüstung bietet Autogas die Möglichkeit für Menschen,
die sonst nicht das nötige Kleingeld haben, sich neue,
emissionsarme Technologien anzuschaffen, ihren Beitrag
zur Energiewende zu leisten .
Daneben sieht der Gesetzentwurf vor, Steuerbe-
günstigungen bei der Energie- und Stromsteuer an das
EU-Beihilferecht und die EU-Energiesteuerrichtlinie
anzupassen . Auch bei der Förderung des ökologischen
ÖPNV setzen wir Akzente und stellen Elektrofahrzeuge,
die im öffentlichen Personennahverkehr eingesetzt wer-
den, künftig steuerlich mit Oberleitungsomnibussen und
Schienenbahnen gleich .
Ich finde, das klingt nach einem Strauß guter Nach-
richten, und glaube, dass wir damit den Weg in die richti-
ge Richtung einschlagen .
Herbert Behrens (DIE LINKE): Die Automobilin-
dustrie bringt Autos auf den Markt, die erheblich drecki-
ger sind als angegeben . Es wird getrickst und getäuscht,
um Marktanteile und Profite zu sichern. Die Menschen
werden gesundheitlich geschädigt, die Umwelt ver-
dreckt, und die Arbeitsplätze werden durch diese Unter-
nehmenspolitik gefährdet .
Der Abgasskandal, der nicht allein ein Diesel-Abgas-
skandal ist, hat noch einmal deutlich gemacht: Fossile
Brennstoffe und saubere Autos passen nicht zusammen.
Wir brauchen deshalb eine Verkehrswende, die ökolo-
gisch ist und die sozial gerecht ist .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22651
(A) (C)
(B) (D)
Im Straßenverkehr müssen wir wegkommen von
Kraftstoffen, die Menschen und Umwelt belasten. Das
geht nicht von heute auf morgen . Wir brauchen Zwi-
schenschritte, ohne das Ziel, den vollständigen Verzicht
auf fossile Kraftstoffe, aus den Augen zu verlieren.
Erdgasbetriebene Fahrzeuge stoßen erheblich weniger
Schadstoffe aus als benzin- oder insbesondere dieselbe-
triebene Fahrzeuge . Da ist es sinnvoll, mit Steuerermäßi-
gungen Erdgas als Kraftstoff zu fördern.
Aber es sind nicht nur Erdgasautos, sondern auch
Fahrzeuge mit Autogas, die weniger Stickoxide, weni-
ger Feinstaub und weniger CO2 ausstoßen . Darum ist es
überhaupt nicht nachvollziehbar, dass die jetzige Förde-
rung von Autogas als Kraftstoff 2018 auslaufen soll.
Erstens . Es gibt einen Beschluss des Deutschen Bun-
destages von 2015, der die Bundesregierung auffordert,
die Steuerermäßigung für verflüssigtes Erdgas und für
Flüssiggas über 2018 hinaus zu verlängern .
Zweitens . Es steht sogar im Koalitionsvertrag, dass die
Große Koalition die Verlängerung der Steuerermäßigung
von Erdgas und Flüssiggas als Kraftstoff will. In diesem
Tagen wird ja viel vom Koalitionsvertrag gesprochen,
der selbst dann eingehalten werden muss, wenn eine of-
fenkundig EU-rechtswidrige Ausländer-Maut beschlos-
sen werden soll . Aber im Unterschied zum Maut-Gesetz
kann man den vorgelegten Gesetzentwurf zur Energie-
steuer verbessern .
Drittens . In einer Studie des ifeu – Institut für Ener-
gie- und Umweltforschung Heidelberg – für das Finanz-
ministerium heißt es, bis 2030 wird der Anteil der Auto-
gasfahrzeuge von heute etwa 500 000 auf etwa 700 000
steigen . Bei Erdgasfahrzeugen soll es eine Steigerung
geben von 100 000 auf 600 000 .
Nicht nachvollziehbar, zumindest nicht umweltpoli-
tisch nachvollziehbar, ist die Ungleichbehandlung von
Erdgas- und Autogasfahrzeugen, weil viertens Erdgas
einen geringeren Marktanteil und eine schlechtere Tank-
stelleninfrastruktur hat, so die ifeu-Studie . Autogas kann
man an 19 Tankstellen pro 1 000 km2 tanken, Erdgas bei
2,5 pro 1 000 km2. Und das Vertrauen in eine positive
Erdgasautoentwicklung ist nicht sehr verbreitet . Der nie-
dersächsische Energieversorger EWE zum Beispiel hat
sich aus der Kaufprämie für Erdgasautos zurückgezo-
gen ebenso wie die Stadtwerke in meiner Stadt Oster-
holz-Scharmbeck, die zusätzlich auch die einzige Erd-
gastankstelle in der Kreisstadt mit 30 000 Einwohnern
zum Ende des Jahres schließen wird .
Heiß debattiert wird heute über Fahrverbote für Diesel
und blaue Plaketten für Innenstädte, wo die Menschen
unter Feinstaub und Stickoxiden leiden . Und da will ich
jetzt mal den Verkehrsminister Dobrindt lobend zitie-
ren . Er sagte der Berliner Zeitung im Juli 2016: „Es ist
nicht wirkungsvoll, Autos mit Verboten zu belegen, die
ein- oder zweimal im Monat in die Stadt fahren . Wo wir
ran müssen, sind Fahrzeuge, die sich ständig im Straßen-
verkehr befinden, etwas Taxis, Busse, Behördenfahrzeu-
ge .“ Diese müssten baldmöglichst auf alternative Antrie-
be umgestellt werden . Das diene der Reduzierung von
Stickoxiden deutlich mehr als Einfahrverbote .
Um noch einmal eins deutlich zu machen: Die Förde-
rung von Erdgas und Autogas ist eine Zwischenlösung .
Aber sie kann eine schnell wirksame Zwischenlösung
sein, die technisch auch durch Umrüstung von Fahrzeu-
gen verwirklicht werden kann und die dringend nötig ist .
Der Finanzminister will jedoch möglich billig davon-
kommen, ohne sich um die gefährlichen Schadstoffbelas-
tungen insbesondere in den Städten zu kümmern . Nicht
nur Rauchen gefährdet die Gesundheit, auch Umweltpo-
litik aus dem Finanzministerium schadet der Gesundheit .
Darum die Forderung der Linken an die Bundesre-
gierung: erstens den vorliegenden Entwurf zur Ände-
rung des Energiegesetzes überarbeiten; zweitens bei der
Überarbeitung auf keinen Fall den Finanzminister für
umweltrelevante Fragen zuständig machen; drittens den
Koalitionsvertrag einhalten und Erdgas und Autogas als
Brückentechnologie bei Kraftstoffen weitgehend gleich
behandeln .
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Gro-
ße Koalition hat wieder einmal die Chance vergeben,
Deutschland auf die Anforderungen des 21 . Jahrhunderts
einzustellen . Denn beim Energie- und Stromsteuergesetz
hat sie es versäumt, die wichtige Verknüpfung von Wirt-
schafts- und Umweltpolitik herzustellen .
Die zweite Novelle des Energiesteuer- und des Strom-
steuergesetzes soll in erster Linie die nationalen Steuer-
begünstigungen an das im Jahr 2014 novellierte EU-Bei-
hilferecht und die EU-Energiesteuerrichtlinie anpassen .
In der Förderlogik der Großen Koalition geht es wieder
nur um die Subvention bestimmter Energiequellen .
Man lässt die Gutachter aufeinander losgehen und
stellvertretend streiten . Dabei gerät das grundlegende
Versäumnis der Bundesregierung aus dem Blick: Nötig
wäre ein grundlegender Wechsel zu einer konsistenten
Besteuerung nach ökologischen Kriterien .
Anstatt zukunftsorientierte Wirtschafts- und Umwelt-
politik zu machen, begnügt sich die Bundesregierung mit
Klientelpolitik . Die Diskussion um die Fortführung der
Steuererleichterungen für Erd- und Flüssiggas (Autogas)
gerade im Kraftstoffbereich ist dabei symptomatisch. Es
hat den Anschein, als fände sich die Bundesregierung
im Dickicht ihres eigenen Förderdschungels selbst nicht
mehr zurecht .
Unbestritten ist, dass insbesondere Neuwagen mit
Erdgasantrieb im Vergleich mit ihren Schwestermodel-
len sehr gute Umwelteigenschaften aufweisen . So stoßen
Erdgasautos bis zu einem Viertel weniger CO2 aus als
vergleichbare Benzinmodelle .
Dabei agiert die Koalition aber auch politisch nicht
besonders geschickt . Im Koalitionsvertrag kündigt sie
erst eine Verlängerung der Steuerermäßigungen für Erd-
und Flüssiggas an . Jetzt, fast vier Jahre später, macht
sie etwas anderes: Die Regierung lässt die Förderung
von Flüssiggas bis 2018 auslaufen, wohingegen Erdgas
befristet und abschmelzend bis Ende 2026 weitergeför-
dert werden soll – all das, während in Dieselkraftstoff,
den größten Luftverschmutzer in den Städten, mit rund
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722652
(A) (C)
(B) (D)
8 Milliarden Euro jährlich ein Vielfaches an Subventio-
nen gepumpt wird .
Das ist nicht nur un-logisch, sondern auch un-ökolo-
gisch und das zeigt: Der großen Koalition fehlt bei der
Energiebesteuerung jeder Kompass .
Im Gesamtkontext dieser Förderpolitik aber allein
über den Klimavorteil von Erdgas oder Flüssiggas zu
diskutieren, reicht einfach nicht aus .
Im Bereich der Industrieausnahmeregelungen und
umweltschädlichen Subventionen lässt sich die Liste
weiter fortsetzen: Neben den jährlich 8 Milliarden Euro
für Dieselsubventionen gibt es eine ganze Reihe anderer
Millionensubventionen, zum Beispiel für den Luftver-
kehr, und die fortdauernde Subventionierung von schwe-
ren Dienstwagen .
Um eines ganz klar zu machen: Die unterschiedlichen
und nicht nachvollziehbaren Steuersätze und -begünsti-
gungen aller Kraftstoffarten sind nicht mehr zeitgemäß.
Wir brauchen eine Energiebesteuerung, die sich konse-
quent nach CO2-Ausstoß und Energiegehalt ausrichtet,
nicht noch mehr widersprüchliche und umweltschädliche
Besteuerung . Ohne dass wir die strukturellen Marktver-
zerrungen und falschen Preissignale angehen, werden
wir die Lage nie in den Griff bekommen.
Denn machen wir uns nichts vor: Solange Diesel im
Verhältnis zum Ökostrom weiter so günstig ist, wird kein
Strom getankt . Und wenn Heizöl so günstig bleibt, gibt
es wenig Anreiz, Gebäude energieeffizient zu moderni-
sieren .
Mit einer konsequenten Besteuerung nach Energie-
wert und CO2-Ausstoß wären die Klimaschutzziele von
Paris vielleicht noch zu schaffen. Und das würde auch
nicht die deutsche Wettbewerbsfähigkeit schädigen – wie
gerne behauptet wird. Denn anders als häufig vermutet
ist der Anteil der Umweltsteuern an den Gesamtsteuer-
einnahmen in Deutschland nicht besonders hoch . Er liegt
nur noch bei unterdurchschnittlichen 9 Prozent, sodass
die OECD Deutschland empfiehlt, Steuervergünstigun-
gen für umweltschädliche Aktivitäten abzuschaffen und
Mehreinnahmen durch wirkungsvollere Umweltsteuern
zu erzielen .
Deshalb sage ich: Wir brauchen einen neuen Ansatz .
Wir Grünen fordern seit langem eine Energiebesteuerung
nach CO2-Ausstoß und Energiewert – ganz konsequent,
unabhängig von Technologie, Verursacher oder Energie-
träger . In diesem Modell würden vermutlich Erdgas oder
andere Energieträger mit Klimavorteil einen relativen
Preisvorteil haben . Das wäre eine bessere Förderung als
die Steuermillionen, die jetzt hineinfließen.
Konsequent nach Energiewert und CO2 besteuern –
das fordert übrigens auch die EU-Kommission seit lan-
gem . Das zeigt erneut: Die Große Koalition spricht zwar
gerne von Energiewende, aber ihr fehlen Mut und Kon-
zepte, sie umzusetzen . Dies hätten der politische Auftrag
und auch der eigene Anspruch der Bundesregierung sein
müssen .
Wir sehen sehr wohl, dass es bei der Novellierung ei-
nige Versuche gibt, die umweltschädlichen Subventionen
abzubauen und ökologisch umzusteuern. Aber der Ver-
such bleibt zu zaghaft und zu widersprüchlich . Damit ist
die historische Herausforderung des Klimawandels nicht
zu bewältigen . Mehr als eine Enthaltung können Sie da-
für von der grünen Fraktion nicht erwarten .
Dr. Michael Meister, Parl. Staatssekretär beim Bun-
desminister der Finanzen: Ich freue mich, Ihnen heute
den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des
Energiesteuer- und des Stromsteuergesetzes vorstellen
zu dürfen . Es handelt sich um einen wichtigen Gesetz-
entwurf . Wichtig alleine schon daher, weil es um den
Bereich der Energie- und Stromsteuer geht, der mit rund
47,1 Milliarden Euro Steuereinnahmen und über 7 Milli-
arden Steuerentlastungen einen essenziellen Beitrag zum
Bundeshaushalt leistet .
Der Gesetzentwurf sieht diverse Änderungen im Ener-
gie- und Stromsteuerrecht vor . Geschuldet ist dies dem
Umstand, dass die Bundesregierung gleich mehrfach „in
der Pflicht“ steht. Neben der Umsetzung eines Gesetzge-
bungsauftrags des Deutschen Bundestages geht es vor-
nehmlich um Anpassungen der Steuerbegünstigungen an
das Recht der Europäischen Union aber auch an neuere
technologische Entwicklungen. Die wesentlichen Vorga-
ben stammen aus dem in 2014 novellierten EU-Beihil-
ferecht, der Energiesteuerrichtlinie sowie Gerichtsent-
scheidungen des Europäischen Gerichtshofes:
Lassen Sie mich die zentralen Änderungen in Kürze
darstellen .
Erstens: Umsetzung von EU-Recht . Unter anderem
werden die Regelungen für die Begünstigung hocheffizi-
enter KWK-Anlagen beihilferechtskonform ausgestaltet .
Ferner wird das sogenannte Herstellerprivileg zurückge-
führt auf den Umfang der nach der Energiesteuerricht-
linie obligatorisch vorgesehenen Steuerbegünstigung für
selbst hergestellte Energieerzeugnisse . Schließlich sieht
der Gesetzentwurf – im Einklang mit der Energiesteu-
errichtlinie – eine neue Steuerbegünstigung für Elek-
tro- und sogenannte Plug-in-Hybridfahrzeuge vor, die im
öffentlichen Personennahverkehr eingesetzt werden. Da-
mit werden Elektro- und Plug-in-Hybridbusse mit dem
bereits geförderten Schienenverkehr gleichgestellt; der
technologischen Entwicklung im Verkehrssektor wird
Rechnung getragen .
Zweitens: die elektronische Kommunikation . Der
Gesetzentwurf enthält die Ermächtigungen für eine
elektronische Kommunikation zwischen den Wirt-
schaftsbeteiligten und der Verwaltung im Energie- und
Stromsteuerbereich, die die Abläufe im Besteuerungs-
verfahren weiter vereinfachen werden und das derzeit
laufende Projekt zur Modernisierung der IT-Unterstüt-
zung für die Verbrauchsteuern (MoeVe) flankieren.
Drittens: Verlängerung der Steuerbegünstigung für
Erdgas. Die Steuerbegünstigung für Erdgas als Kraftstoff
(CNG und LNG) wird über das Jahr 2018 hinaus verlän-
gert – und das bis 2026 (sukzessive verringert ab 2024) .
Die Steuerbegünstigung für Flüssiggas/Autogas (LPG)
wird nach Ende 2018 hingegen nicht fortgeführt .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22653
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Mit Beschluss vom 2 . Juli 2015 hat der Deutsche Bun-
destag die Bundesregierung aufgefordert, einen Gesetz-
entwurf zur Verlängerung der Steuerbegünstigung ein-
schließlich valider Gegenfinanzierung auf Grundlage der
Ergebnisse des Forschungsvorhabens zur Entwicklung
der Energiesteuereinnahmen im Kraftstoffsektor vorzule-
gen . Das entsprechende Gutachten, welches ich Ihnen im
Dezember 2015 übermittelt habe, sieht keinen fachlichen
Bedarf für eine weitere Förderung von Autogas .
Laut dem Institut für Energie- und Umweltforschung
Heidelberg (ifeu) bietet vielmehr Erdgas als Kraftstoff
mehr strategische Optionen für erneuerbare Energien
und gewährleistet einen deutlichen Beitrag zum Klima-
schutz . Wegen des derzeit noch geringeren Marktanteils
und schlechterer Tankstelleninfrastruktur gegenüber Au-
togas besteht überdies noch ein größerer Förderbedarf .
Hohes Potenzial wird auch bei Erdgas in verflüssigter
Form (LNG) gesehen .
Vor diesem Hintergrund und nicht zuletzt wegen der
fehlenden, aber notwendigen Gegenfinanzierung sieht
der Gesetzentwurf keine Verlängerung der Steuerbegüns-
tigung auch für Autogas vor .
Die Nutzung von Autogas als alternativer Kraftstoff
wird jedoch attraktiv bleiben, da die Besteuerung bei
Autogas, auch ohne zusätzliche steuerliche Förderung,
weiterhin geringer sein wird als bei Benzin und Diesel .
Das sukzessive Auslaufen der Steuerbegünstigung für
Erdgas ab 2024 schafft ausreichend Planungssicherheit,
sendet zugleich aber ein klares Signal, dass die Steuerbe-
günstigung – auch wegen der insgesamt zu erwartenden
sinkenden Einnahmen im Kraftstoffsektor – nicht unbe-
grenzt fortgeführt wird . Dies trägt dem erklärten Ziel des
Subventionsabbaus Rechnung .
Der vierte und letzte Punkt fällt aus der Reihe, weil er
gerade keine im Gesetzentwurf vorgesehene Änderung
betrifft, sondern im Gegenteil der Status quo beibehalten
wird . Es geht um die Steuerbefreiungen für Strom aus
erneuerbaren Energieträgern und aus sogenannten Klein-
anlagen mit einer elektrischen Nennleistung bis zu 2 MW
(§ 9 Absatz 1 Nummer 1 und Nummer 3 StromStG) . Die
Bundesregierung hat – nach intensiven Beratungen – be-
schlossen, die gegenwärtigen Steuerbefreiungen des § 9
StromStG unverändert zu lassen, sie aber zur Schaffung
von Rechtssicherheit für die betreffenden Wirtschaftsteil-
nehmer parallel mit den beihilferelevanten Tatbeständen
des Gesetzentwurfes der Europäischen Kommission zur
beihilferechtlichen Prüfung vorzulegen . Dies ist bereits
geschehen, und die Kommission hat ihre Prüfung begon-
nen – mit derzeit noch offenem Ergebnis.
Anlage 6
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der
strafrechtlichen Vermögensabschöpfung (Tages-
ordnungspunkt 18)
Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Das Strafrecht
verfolgt drei Zielsetzungen: Da ist einmal Strafe, Schuld
und Sühne als vordringliches Ziel . Daneben hat aber das
Strafrecht auch die General- und die Spezialprävention
im Blick und eben auch den Opferschutz . Ich freue mich,
dass das vorliegende Gesetz gerade auf die letzten beiden
Punkte einen Schwerpunkt legt .
Präventiv setzt das Gesetz an, da ein Geld- bzw. Ver-
mögenszuwachs meist die Hauptmotivation eines Täters
ist . Deshalb ist es naheliegend, das Signal auszusenden:
„Das nehmen wir dir!“ Es gilt der Satz: „Wer Straftaten
bekämpfen will, der muss den Profit aus Straftaten be-
kämpfen .“
Das vorliegende Gesetz setzt genau dort an: Das Recht
der Vermögensabschöpfung wird grundlegend verein-
facht, und wir schließen nicht vertretbare Systemlücken .
So wird die bisherige Beschränkung des Anwendungsbe-
reichs auf gewerbsmäßige und bandenmäßige Begehung
aufgehoben . Zudem soll eine Einziehung zukünftig auch
dann möglich sein, wenn klar ist, dass ein Gegenstand
aus einer rechtswidrigen Tat stammt, aber eine Verurtei-
lung nicht möglich ist .
Lassen Sie mich auch noch einiges zum Opferschutz
ausführen:
Bisher konnte die Strafjustiz zwar im Wege der Rück-
gewinnungshilfe Gegenstände sichern . Der Anspruch
musste jedoch zivilrechtlich später durch das Opfer gel-
tend gemacht werden . Das kostete Geld bzw . Zeit, und es
galt das Prinzip „Wer zuerst kommt, der mahlt zuerst“ .
Nun erfolgt im Rahmen der Strafvollstreckung zu-
nächst die Sicherstellung, nach Rechtskraft des Urteils
die Verwertung und am Ende die Auskehrung des Er-
löses an das Opfer . Das ist unkomplizierter, vor allem
aber kostenfrei für das Opfer . Wir gewährleisten so die
Gleichbehandlung aller Geschädigten und kommen ge-
gebenenfalls zu einer Quotenregelung wie in der Insol-
venzordnung für den Fall, dass beim Täter kein ausrei-
chendes Vermögen mehr vorhanden ist. Das ist echter
Opferschutz!
Ich kann die Gegenargumente nicht einmal im Ansatz
nachvollziehen . Wenn da behauptet wird, das Adhäsions-
verfahren sei ein ausreichendes Instrument, dann müsste
der Praktiker eigentlich wissen, dass das ein stumpfes
Schwert ist . Denn es wird in der Praxis von Richtern re-
gelmäßig gemieden, weil die Durchsetzung zivilrechtli-
cher Ansprüche erhebliche Mehrarbeit verursacht . Diese
soll hier durch ein schlankeres und effizienteres Verfah-
ren gerade vermieden werden . Damit glaube ich auch
nicht an eine Mehrbelastung der Justiz . Wenn man aller-
dings so argumentiert, dann müsste man ehrlicherweise
auch die Entlastung auf dem Zivilrechtsweg ausleuchten .
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sehen
also: Insgesamt ein sehr gelungenes Gesetz, weshalb ich
um Ihre Zustimmung bitte .
Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Als Union sa-
gen wir ganz klar: Verbrechen dürfen sich nicht lohnen. –
Dies erfordert nicht nur mit ausreichenden Befugnissen
und Ressourcen ausgestattete Polizei- und Ermittlungs-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722654
(A) (C)
(B) (D)
behörden . Auch Strafgesetze müssen so ausgestaltet sein,
dass sie eine gezielte Bekämpfung von Straftaten ermög-
lichen und auch die Folgen von Straftaten in den Blick
nehmen .
Der Vermögensabschöpfung kommt dabei eine ganz
zentrale Rolle zu, um Vermögenswerte aus strafbaren
Handlungen schnell, wirksam und umfassend dem Tä-
ter wieder zu entziehen . Das ist in mehrfacher Hinsicht
wichtig: Erstens schwindet so der Anreiz für die Bege-
hung der Tat. Zweitens wird der finanzielle Boden dafür
entzogen, auch in Zukunft Straftaten begehen zu kön-
nen – insbesondere im Bereich des Terrorismus und der
organisierten Kriminalität ist dies ein zentraler Gesichts-
punkt .
Heute scheitert eine erfolgreiche Vermögensabschöp-
fung in der Praxis allerdings häufig an der außerordent-
lich komplexen und unübersichtlichen Rechtsmaterie .
Das wollen wir als Union ändern. Die Reform der Ver-
mögensabschöpfung war für uns daher ein wichtiges
und dringendes Vorhaben, das wir im Koalitionsvertrag
verankert haben . Dies setzen wir mit dem vorliegenden
Gesetz nun um .
Ziel ist es, das Abschöpfungsverfahren effektiver und
einfacher zu gestalten und die Rechtsposition von Opfern
zu verbessern. Dazu bedarf es einer Vielzahl an Neurege-
lungen, die straf-, zivil- und insolvenzrechtliche Aspekte
besser miteinander verzahnen und für die Praxis hand-
habbar machen .
Dabei schließen wir Abschöpfungslücken, indem
etwa die bisherigen Beschränkungen bei der erweiterten
Einziehung aufgehoben werden . Aktuell kann sie nur in
Bezug auf bestimmte Straftatbestände angeordnet wer-
den . Wird etwa im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens
wegen Bandendiebstahls Bargeld gefunden, das aus ei-
ner anderen Straftat stammt, so kann dies eingezogen
werden – bei Ermittlungen wegen Wohnungseinbruchs-
diebstahls hingegen nicht. Diese Differenzierung – so-
gar innerhalb eines Qualifikationstatbestands – ist nicht
nachvollziehbar . Das gleichen wir an .
Ob ein Vermögenswert aus der einen oder der ande-
ren rechtswidrigen Tat herrührt, darf keinen Unterschied
machen . Insofern ist es gut, dass zukünftig jede rechts-
widrige Tat ausreicht, um die erweiterte Einziehung eines
Vermögensgegenstandes anzuordnen, wenn das Gericht
davon überzeugt ist, dass er aus einer anderen rechtswid-
rigen Tat stammt .
Das ist ein wichtiger Beitrag für eine effektive Ver-
brechensbekämpfung – genauso wie die umfassende
Neuregelung der selbstständigen Einziehung: Derzeit
ist es so, dass grundsätzlich keine Möglichkeit besteht,
Vermögenswerte einzuziehen, wenn rechtliche Gründe
wie Strafklageverbrauch entgegenstehen . Gleiches gilt,
wenn kein Zweifel daran besteht, dass das Geld aus ei-
ner rechtswidrigen Straftat herrührt, aber eine konkrete
Straftat nicht nachgewiesen werden kann, aus der der
Vermögensgegenstand stammt.
Die Möglichkeit der selbstständigen Anordnung be-
schränkt sich bislang auf Fälle, bei denen der persönli-
chen Verfolgung des Täters ein tatsächliches Hindernis
entgegensteht, die materielle Strafbarkeit der Tat aber un-
berührt bleibt – etwa wenn der Täter ins Ausland geflüch-
tet ist . Das ist im höchsten Maße unbefriedigend und ge-
nau das Gegenteil einer effektiven Strafverfolgung. Dies
ändern wir nun: Künftig besteht nicht nur die Möglich-
keit, Vermögensgegenstände selbstständig einzuziehen,
wenn etwa prozessuale Hindernisse wie Strafklagever-
brauch bestehen. Auch bei deliktisch erlangtem Vermö-
gen unklarer Herkunft – unabhängig vom Nachweis einer
konkreten rechtswidrigen Tat – ist die selbstständige Ein-
ziehung möglich .
Kritiker wenden ein, dass die selbstständige Einzie-
hung nicht mit der Eigentumsgarantie aus Artikel 14
Grundgesetz vereinbar sei und im Widerspruch zur Un-
schuldsvermutung stünde . Diese Bedenken haben wir
sehr ernst genommen . In der Abwägung sehe ich jedoch
nicht, dass diese Kritik durchgreift: Auf der einen Seite
stehen im Interesse der Sicherheit aller Menschen eine
effektive Strafverfolgung, der Opferschutz und das Ziel,
die finanziellen Quellen organisierter Kriminalität und
des Terrorismus auszutrocknen . Auf der anderen Seite
stehen die Rechte der Beschuldigten .
Vor diesem Hintergrund sind an die selbstständige
Einziehung bereits hohe rechtsstaatliche Anforderungen
zu stellen . Diesen wird unser Gesetz gerecht:
– So ist die selbstständige Einziehung unabhängig
vom Nachweis einer konkreten rechtswidrigen
Tat nur im Zusammenhang mit Delikten aus dem
Bereich des Terrorismus oder der organisierten
Kriminalität zulässig wie etwa der Bildung krimi-
neller und terroristischer Vereinigungen oder des
gewerbs- oder bandenmäßigen Menschenhandels .
Mit dem Änderungsantrag haben wir die Katalo-
gdaten unter anderem um die Zuhälterei wie auch
die gewerbs- und bandenmäßige Steuerhehlerei er-
gänzt, die typischerweise im Zusammenhang mit
organisierter Kriminalität stehen .
– Zudem ist die selbstständige Einziehung nur unter
der Voraussetzung der uneingeschränkten rich-
terlichen Überzeugung zulässig, dass der Vermö-
genswert aus einer rechtswidrigen Tat herrührt .
Das Gericht kann sich dabei „insbesondere auf ein
grobes Missverhältnis zwischen dem Wert des Ge-
genstands und den rechtmäßigen Einkünften des
Betroffenen“ stützen.
Auch die Unschuldsvermutung ist nicht tangiert, da
die Vermögensabschöpfung keinen Strafcharakter hat.
Sie ist auf den Vermögenswert, also die Sache, und nicht
auf die Person bezogen .
Den Opferschutz stärken wir zum Beispiel auch darü-
ber, dass wir ersatzlos die gesetzliche Regelung in § 73
Absatz 1 Satz 2 streichen, nach der die Vermögensab-
schöpfung versagt wird, wenn dem Opfer Ersatzansprü-
che gegen den Täter zustehen – bekannt als „Totengräber
des Verfalls“. Das ist ein unhaltbarer Zustand, weil damit
das Opfer – insbesondere im Bereich der Vermögensde-
likte – mit allen prozessualen Risiken alleine gelassen
wird . Künftig kann der Staat dem Opfer mit dem Mittel
des Strafrechts auch in diesen Fällen zur Seite stehen .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22655
(A) (C)
(B) (D)
Neben einem staatlichen Entschädigungsverfahren
stärken wir den Opferschutz zudem durch eine bessere
Verzahnung mit insolvenzrechtlichen Vorschriften: Nicht
immer wird am Ende eines Strafverfahrens das Vermö-
gen eines Täters ausreichen, um sämtliche Schäden aus-
zugleichen . Insofern ist es richtig, dass das Gesetz auch
schon vor einer Verurteilung Sicherungsmöglichkeiten
bietet . Nur so kann verhindert werden, dass Gelder zu-
lasten von Opfern verschoben werden .
Mit dem Änderungsantrag erreichen wir insofern wei-
tere Verbesserungen und führen die Möglichkeit ein, dass
die Staatsanwaltschaften aus eigenem Recht einen Antrag
auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellen können.
Zu beachten ist jedoch, dass die wirtschaftliche Stel-
lung eines Unternehmers, insbesondere eines Selbst-
ständigen, durch einen Insolvenzantrag erheblich beein-
trächtigt werden und nicht zuletzt die Existenz bedrohen
kann – gerade zu einem Zeitpunkt, zu dem noch die
Unschuldsvermutung gilt . Insofern ist das Sicherungs-
interesse des Staates mit den Belastungen etwa für ein
Unternehmen im Einzelfall sorgfältig abzuwägen . Das
muss die Staatsanwaltschaft bei der Antragstellung be-
rücksichtigen .
Mit dem Gesetz schließen wir erfolgreich Abschöp-
fungslücken, vereinfachen die Einziehung deliktisch
erlangter Vermögenswerte, erleichtern deren vorläufige
Sicherstellung und stärken die Rechtsposition von Tatop-
fern . Es ist ein gutes Gesetz, ich bitte daher um Ihre Zu-
stimmung .
Dr. Johannes Fechner (SPD): Ich freue mich sehr,
dass wir heute nach intensiven Beratungen das Gesetz
zur Vermögensabschöpfung beschließen können. Damit
schaffen wir ein wichtiges Instrument, um Opfer einfa-
cher zu entschädigen, vor allem aber, um Gewinne aus
Verbrechen abzuschöpfen, damit der vielzitierte, aber
eben auch absolut richtige Grundsatz gilt: Verbrechen
darf sich nicht auszahlen .
Schon das Bundesverfassungsgericht hat in diesem
Sinne geurteilt und festgehalten, dass das Vertrauen der
Bevölkerung in die Gerechtigkeit und in die Unverbrüch-
lichkeit der Rechtsordnung Schaden nehmen kann, wenn
Straftäter deliktisch erlangte Vermögensvorteile dauer-
haft behalten dürfen . Und deutlich führt das Bundesver-
fassungsgericht aus, dass das Vertrauen der Bürger in die
Justiz Schaden nehmen kann: Die Duldung strafrechts-
widriger Vermögensanlagen durch den Staat kann den
Eindruck hervorrufen, dass sich kriminelles Verhalten
auszahlt .
Daraus ergibt sich für uns die Pflicht, das rechtsstaat-
lich Mögliche zu unternehmen, um Straftätern die Ge-
winne aus ihren Verbrechen zu nehmen. Genau diesem
Ziel dient der vorliegende Gesetzentwurf zur Vermö-
gensabschöpfung . Ich möchte mich auf die wichtigsten
Änderungen beschränken:
Wichtig ist, dass die Vermögensabschöpfung zum Re-
gelfall wird . Leider wird allzu oft, etwa bei komplizierten
Fällen aus der Wirtschaftskriminalität, trotz erheblicher
Schäden auf die Vermögensabschöpfung im Sinne eines
schnellen Verfahrensabschlusses verzichtet. Dies führt
dann weiter dazu, dass gerade hohe Schäden nicht aus-
geglichen werden und – viel schlimmer noch – dass hohe
Beträge aus der kriminellen Tätigkeit beim Täter verblei-
ben. Dies schwächt, wie ich finde, in ganz erheblichem
Maße das Vertrauen in unseren Rechtsstaat. Und deshalb
ist es eine wichtige Maßnahme, dass zukünftig die Ver-
mögensabschöpfung zum Regelfall wird .
Die Gerichte können dabei die Entscheidung über die
Vermögensabschöpfung vom Strafprozess abtrennen und
in einem Nachverfahren treffen. Bei geringen Schäden
kann das Gericht von Vermögensabschöpfung absehen.
Und es ist sogar möglich, dass die Vermögensabschöp-
fung auch nachgeholt werden kann, etwa wenn sich erst
später nachträglich entdecktes Vermögen bei einem im
Zeitpunkt des Strafverfahrens scheinbar mittellosen Tä-
ter zeigt .
Eine zweite wichtige Neuerung besteht darin, dass zu-
künftig die Vermögensabschöpfung bei allen Straftaten
möglich ist . Bislang war dies im Wesentlichen auf den
sogenannten Gewerbestrich und bandenmäßige Taten
beschränkt .
Die Reform wird dabei das staatsanwaltschaftliche
Ermittlungsverfahren und die Hauptverhandlung erleich-
tern und vereinfachen . Dazu trägt insbesondere bei, dass
die Entscheidung über die Vermögensabschöpfung in der
Hauptverhandlung abgetrennt und später auch nachge-
holt werden kann .
Nicht nötig sind zukünftig auch die bislang nötigen
aufwendigen Beweisfeststellungen zu einer möglichen
Entreicherung des Angeklagten . Und wir stellen klar,
dass so das Bruttoprinzip gilt . Bislang war in der Recht-
sprechung nicht klar, was tatsächlich abgeschöpft wer-
den kann bzw . was der Straftäter gegenrechnen darf . Mit
unserer Regelung tragen wir Sorge für Klarheit in der
Strafrechtspraxis .
Und es wird für die Opfer wesentlich einfacher wer-
den, eine Entschädigung zu erlangen . Das Windhund-
rennen wird der Vergangenheit angehören, vielmehr
gewährleistet diese Reform, dass alle Verletzten und
alle Opfer gleichmäßig und gerecht entschädigt werden .
Insbesondere müssen Opfer keinen Vollstreckungstitel
mehr gegen den Täter erstreiten, weil die Entschädigung
im Zuge des Strafvollstreckungsverfahrens oder im In-
solvenzverfahren erfolgen kann, was für die Opfer einfa-
cher, schneller und kostengünstiger ist .
Die bedeutendste Verbesserung der Rechtslage ist
aber, dass bei organisierter Kriminalität und Terrorismus
zukünftig Vermögen unklarer Herkunft eingezogen wer-
den kann . Wenn etwa eine Person an einem Flughafen
in einer Kontrolle mit 100 000 Euro Bargeld erwischt
wird und das Gericht dann durch weitere Indizien zur
Überzeugung gelangt, dass Geldwäsche vorliegt oder die
Person als Kurier einer kriminellen oder terroristischen
Vereinigung tätig ist, dann kann das Geld eingezogen
werden, ohne dass dem Täter eine konkrete Straftat nach-
gewiesen werden muss . Ausreichend ist, dass das Gericht
davon überzeugt ist, dass der Vermögensgegenstand aus
irgendeiner Straftat herrührt . Damit schließen wir eine
große Lücke in der Einziehung von Taterträgen, und da-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722656
(A) (C)
(B) (D)
durch werden den Opfern ganz erhebliche Summen zur
Schadenswiedergutmachung zur Verfügung stehen.
In den Gesetzesberatungen haben wir, wie ich fin-
de, noch die wichtige Klarstellung vorgenommen, dass
nämlich auch für Altfälle das neue Recht gelten soll . Die
Strafjustiz wird so davor bewahrt, dass es möglicher-
weise jahrelang ein Nebeneinander von alten nach neu-
em Recht gibt . Ab Inkrafttreten des Gesetzes sind aus-
schließlich die neuen Vorschriften anzuwenden.
Mit dieser Neuregelung zur Vermögensabschöpfung
leisten wir einen enorm wichtigen Beitrag zur Bekämp-
fung von Kriminalität und Terrorismus . Durch dieses
Gesetz verlieren Straftäter Beute, und die Opfer werden
schnell entschädigt . Stimmen wir also diesem guten Ge-
setz zu .
Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Bei dem vorlie-
genden Gesetz geht es nach wie vor – vereinfacht aus-
gedrückt – um die Frage, wie der vermögensrechtliche
Schaden aus einer Straftat dem Geschädigten wieder zu-
geführt werden kann. In Fällen, in denen der Betroffene
nicht ermittelt werden kann, soll der Vermögensvorteil
aus der Straftat trotzdem nicht beim Täter verbleiben .
Denn nach wie vor gilt: Verbrechen soll sich nicht loh-
nen . – Klingt erstmal gut .
Aber wie soll es umgesetzt werden? Was soll letztlich
dem Täter wieder weggenommen werden? Alles durch
die Tat Erlangte oder doch nur ein Teil? Die Regierung
hat dazu ausgeführt, dass es im Kern dabei um die bis-
lang strittige Frage ginge, ob und – gegebenenfalls – in
welchem Umfang Aufwendungen des Täters berücksich-
tigt werden sollten . Der neuen Regelung läge folgender
Rechtsgedanke zugrunde: Was in Verbotenes investiert
wird, ist unwiederbringlich verloren . Im Übrigen müssen
Aufwendungen hingegen berücksichtigt werden . Damit
sei eine umfassende Abschöpfung gewährleistet .
Die Frage ist, ob es da nicht sinnvoll ist, bei der Ver-
mögensabschöpfung einen Straftatenkatalog für die Taten
einzuführen, bei denen richtige Gewinne gemacht wer-
den . Denn so logisch es auf den ersten Blick erscheint,
alle Straftaten in die Gewinnabschöpfung einzubeziehen,
um eine umfassende Gewinnabschöpfung zu gewährleis-
ten, sehe ich doch in der Praxis Schwierigkeiten . Ich den-
ke nur an Beförderungserschleichung – das sogenannte
Schwarzfahren –, Ladendiebstahl, an Kleinstkriminalität
eben. In all diesen Fällen die Vermögensabschöpfung zu
prüfen, ohne die Justiz über Gebühr zu belasten – das
schafft man personell einfach nicht mehr.
So sieht es ja auch der Deutsche Richterbund, der in
seiner Stellungnahme ausgeführt hat, dass der Mehrauf-
wand mit dem vorhandenen Personal nicht ausgeglichen
werden kann . Diese Annahme entbehre jeder Grundlage .
Ich möchte einmal den Deutschen Richterbund aus sei-
ner Stellungnahme zitieren: „Eine erfolgreiche und ge-
rechte Opferentschädigung setzt neben der Aufklärung
der Schuld- und Straffrage die eingehende Klärung zivil-
rechtlicher Positionen im Strafverfahren voraus . Dadurch
ist zu besorgen, dass mit dieser zusätzlichen Belastung
durch aufwendige Nebenentscheidungen die Funktions-
fähigkeit der Strafrechtspflege in ihrem Kernbereich
Schaden erleidet, da die Strafgerichte schon heute ange-
sichts knapper personeller Ressourcen an der Grenze der
Belastbarkeit arbeiten .“
Vor zwei Wochen hat die Regierung noch bekräftigt,
dass der Staat von Verfassungs wegen gehalten ist, eine
funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten,
ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch ver-
holfen werden kann .
Ich bin der Überzeugung, dass dieses Gesetz dem
Durchbruch der Gerechtigkeit nicht dient . Nicht nur we-
gen der Belastung der Gerichte und Staatsanwaltschaften .
Ich finde, gerade im Bereich der Wirtschaftskriminalität
und bei Firmendreiecksverhältnissen ist der Vermögens-
abschöpfung ein Riegel vorgeschoben . Ich möchte versu-
chen, dies an einem Beispiel zu erklären .
Ein Industriekonzern erwirtschaftet durch betrügeri-
sche Geschäfte 500 Millionen Euro . Diese investiert er
in ein Tochterunternehmen, welches legale Geschäfte be-
treibt, jedoch (leider) keinen Gewinn, sondern Verluste
macht . Nach zwei Jahren wird das Tochterunternehmen
aufgelöst, die investierten 500 Millionen sind bis auf den
Verkaufserlös von 200 Millionen weg. Diese werden für
Abfindungen der Manger verbraucht. Der Betrug fliegt
auf . Die Geschäftsführer werden verurteilt . Das zu Un-
recht erlangte Vermögen soll abgeschöpft werden. Nun
kann der Mutterkonzern die Investitionen von den er-
gaunerten 500 Millionen abziehen, wozu unter anderem
alle mit dem Tochterunternehmen verbundenen Kosten
zählen. So auch etwa die Gehälter und Abfindungen der
Manager etc .
Dies kann der Ladendieb und der Schwarzfahrer nicht .
Ein Schelm, wer Arges dabei denkt . Aber es galt ja schon
früher der Grundsatz: Die kleinen Diebe hängt man, die
großen lässt man laufen . – Mich würde schon interes-
sieren, welcher Konzern bei diesem Gesetzentwurf Pate
gestanden hat .
Nach wie vor bestehen auch nach der Änderung durch
die Koalition Bedenken hinsichtlich der Einbeziehung
der Erben in die Vermögensabschöpfung. Hier wird zu
sehr in das entsprechend Artikel 14 GG geschützte Ei-
gentum eingegriffen.
Alles in allem bleibt zu konstatieren: Das Gesetz wird
seinem Ziel nicht gerecht, es begünstigt das Großkapi-
tal und belastet Gerichte und Staatsanwaltschaften über
Gebühr, ohne für einen personellen Ausgleich zu sorgen
oder entsprechende Regelungen zu treffen, und ist ver-
fassungsmäßig zumindest bedenklich .
Die Linke lehnt solch ein Gesetz ab .
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): Gestern im Rechtsausschuss habe ich schon ver-
sucht, die Kolleginnen und Kollegen von der Koalition
davon zu überzeugen, dass die von ihnen hier vorge-
schlagenen Neuregelungen der Vermögensabschöpfung
nicht praxistauglich, sondern viel zu kompliziert sind .
Vor allem werden sie nicht dazu führen, Opfer von Straf-
taten rasch und problemlos zu entschädigen .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22657
(A) (C)
(B) (D)
Das Vorhaben, die strafrechtliche Vermögensabschöp-
fung zu reformieren, begrüßen wir grundsätzlich . Das
geltende Recht ist unübersichtlich, schwer anwendbar
und fehleranfällig . Die Gerichte wenden es deshalb äu-
ßerst zurückhaltend und selten an . Deshalb muss vieles
geändert werden . Opfer von Straftaten müssen in der
Tat schneller und einfacher ihr Geld oder ihr Eigentum –
Auto, Fahrrad, die goldene Uhr; das, was ihnen durch
eine Straftat entzogen wurde – zurückerhalten oder Er-
satz dafür. Und Verbrechen dürfen sich nicht materiell
lohnen . Darüber sind wir uns einig .
Die Reformvorschläge, die Sie mit diesem Gesetz vor-
legen, tragen wir jedoch nicht mit . Ich gestehe zu, dass
diese Rechtsmaterie äußerst komplex und schwierig, die
Neuregelung daher eine große Herausforderung ist . Nach
der ersten Runde hier im Plenum hatten Sie angeboten,
wir sollten nochmals über die einzelnen Änderungen re-
den . Aber es fand erst einmal nur eine Anhörung statt .
Kundige Sachverständige, auch aus der Praxis, Vertreter
der Staatsanwaltschaft, Richter, Anwälte fanden lobende
Worte für Ihr Projekt, zeigten aber auch Schwächen Ih-
res Entwurfs deutlich auf . Das war im November letzten
Jahres . Umso erstaunter war ich, dass Sie angebotene Be-
richterstattergespräche nicht annahmen und das Gesetz
nun nahezu unverändert zur Verabschiedung vorlegen.
Um daran doch noch etwas zu ändern, hat die Fraktion
der Grünen gestern im Rechtsausschuss einen Entschlie-
ßungsantrag eingebracht – zu finden in Beschlussempfeh-
lung und Bericht auf Bundestagsdrucksache 18/11640 –,
den die Regierungsfraktionen leider abgelehnt haben .
Dieser benennt unsere grundsätzlichen Bedenken zu dem
Vorhaben und stützt sich dabei auch auf die Einlassungen
der Praktiker. Er enthält aber auch Vorschläge für die not-
wendigsten Änderungen .
Wir bezweifeln stark, dass durch die Vorschläge der
Bundesregierung Geschädigte von Straftaten wirklich
schneller und einfacher entschädigt werden können .
Zwar sollen nun den Tatgeschädigten der Gang zum Zi-
vilgericht und damit weitere Kosten erspart bleiben . Häu-
fig werden sie aber unzumutbar lange auf die Herausgabe
des Genommenen oder eine Entschädigung warten müs-
sen . Die Strafjustiz arbeitet langsam . Bis zum rechtskräf-
tigen Urteil können Jahre vergehen. Vorher gibt es in der
Regel nichts . Dabei kann das Abwarten-Müssen auf das
Strafurteil existenzbedrohend sein .
Deshalb haben wir vorgeschlagen, in den Vorschriften
§§ 73 ff. StGB-E in Verbindung mit § 459h StPO-E zu
verankern, dass, sofern Geschädigte parallel den zivil-
rechtlichen Weg beschreiten, dieser prioritär ist und eben
nicht die Rechtskraft des strafrechtlichen Urteils abge-
wartet werden muss . So besteht für den Geschädigten
jedenfalls die Möglichkeit, schneller entschädigt zu wer-
den. Vorrangig sollten auch etwaige freiwillige Vereinba-
rungen zur Schadensregulierung mit dem Beschuldigen
gelten. Diese haben daran häufig Interesse, weil sie dann
auf ein milderes Urteil hoffen.
Die neuen Regelungen zur erweiterten Einziehung
(§ 73a StGB-E), der selbstständigen Einziehung (§ 76a
Absatz 1 StGB-E) sowie der Einziehung von Vermögen
unklarer Herkunft (§ 76a Absatz 4 StGB-E) halten wir
sogar für verfassungsrechtlich sehr problematisch .
Das Institut der erweiterten Einziehung beispielsweise
soll danach auf alle Straftatbestände – auch Kleinkrimi-
nalität – ausgedehnt werden und nicht mehr, wie jetzt,
beschränkt sein auf Taten mit Bezug zur organisierten
Kriminalität und auf banden- und gewerbsmäßig began-
gene Taten. Und das, obwohl eine Verurteilung wegen
dieser „anderen rechtswidrigen Taten“ nicht erfolgt ist .
Außerdem soll nun möglich sein, in einem laufenden
Verfahren, „Vermögen unklarer Herkunft unabhängig
vom Nachweis einer konkreten [anderen] rechtswidrigen
Tat (selbstständig) einzuziehen, wenn das Gericht davon
überzeugt ist, dass der sichergestellte Gegenstand aus
(irgend-)einer rechtswidrigen Tat herrührt . Es ist nicht
erforderlich, dass die Tat im Einzelnen festgestellt wird“ .
Maßgaben für die Einschätzung des Gerichts, ob der Ge-
genstand aus einer rechtswidrigen Tat herrührt, sind unter
anderem „ein grobes Missverhältnis zwischen dem Wert
des Gegenstandes und den rechtmäßigen Einkünften des
Betroffenen“ und „sonstige persönliche und wirtschaftli-
che Verhältnisse des Betroffenen“. Diese Regelung, die
zu einer faktischen Beweislastumkehr zulasten des Be-
troffenen führt und gegen die Unschuldsvermutung ver-
stößt, wird zu Recht heftig kritisiert .
Es ist richtig, dass bestimmte Fallkonstellationen bis-
her in der Praxis zu unbefriedigenden Ergebnissen füh-
ren . Ein Beispiel: das geklaute Fahrrad wird im Keller
des Diebes aufgefunden, daneben aber noch ein Geldkof-
fer mit 500 000 Euro . Da § 242 StGB (Diebstahl) nicht
auf § 73d StGB (erweiterter Verfall) verweist, kann das
Geld aus dem Koffer nach geltendem Recht nicht einge-
zogen werden . Das versteht erst einmal keiner .
Trotzdem kann es nicht sein, dass die Bundesregie-
rung versucht, solches dolose Vermögen oder Vermögen
unklarer Herkunft auf Grundlage verfassungswidriger
Gesetze einzuziehen . Zu guter Gesetzgebung gehört,
rechtsstaatlich einwandfreie Lösungen zu erarbeiten .
Wenn wir anfangen – gerade im Strafrecht – rote Linien
zu überschreiten, dann ist das gefährlich . Das Austesten
der Verfassungsmäßigkeit einer Regelung und bewuss-
tes Anheimstellen der Verfassungsrechtsprechung ist das
Gegenteil guter Gesetzgebung . Ein „Meilenstein“, wie
die Neuregelungen zur erweiterten und selbstständigen
Einziehung im Rechtsausschuss von Vertretern der Gro-
ßen Koalition bezeichnet wurden, sind sie also mitnich-
ten .
Bedenken ergeben sich auch hinsichtlich des Vor-
schlags in § 73d Absatz 1 Satz 1 StGB-E . Die vorgesehe-
ne Abzugsregelung wurde von verschiedenen Seiten als
faktische Abkehr vom Bruttoprinzip beurteilt . Dazu wur-
den wir insbesondere von Vertretern der Richterschaft
angeschrieben. Es wäre doch möglich gewesen, den Vor-
schlag in § 73d StGB Absatz 1 StGB-E dahin gehend zu
überarbeiten, dass eine Abkehr vom sogenannten Brutto-
prinzip ausgeschlossen und aktuell bestehende Abschöp-
fungsmöglichkeiten nicht nachteilig beschränkt werden .
Hinzu kommt, dass bei den geplanten Änderungen der
Insolvenzordnung das Parlament einhellig das sogenann-
te Fiskusprivileg abgelehnt hat . Hier in diesem Gesetz-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722658
(A) (C)
(B) (D)
entwurf taucht es nun wieder auf . Ist der Täter insolvent,
soll der Staat vorrangig auf sein noch vorhandenes Rest-
vermögen zugreifen können . Die noch zu verteilende
Masse wird dadurch für den Rest der Geschädigten ge-
schmälert . Das ist nicht vereinbar mit dem Ziel des Ge-
setzes – der verbesserten Entschädigung der Verletzten.
Nein, die höchst komplizierten Neuregelungen zur
Vermögenseinziehung sind nicht praxistauglich. Die be-
reits jetzt schon überlasteten Strafverfolgungsbehörden
und Gerichte erhalten Steine statt Brot . Wenn das Gesetz,
so wie vorgesehen, konsequent angewandt wird, werden
die ohnehin viel kritisierten langen Verfahren noch viel
länger dauern . Ein großer Apparat zur Feststellung der
Einziehungsgüter, ihrer Einziehung, Aufbewahrung, Ver-
waltung und Verteilung muss im Bereich der Staatsan-
waltschaften aufgebaut werden .
Ich fürchte, das neue Gesetz wird genauso wenig von
der Praxis angewandt werden wie das bisher geltende .
In zwei Jahren kann der Rechtsausschuss des Bun-
destags noch einmal Strafrichter, Staatsanwälte und
Rechtspfleger einladen und sich berichten lassen, warum
das wieder nicht klappt mit der Verkürzung der Strafver-
fahren und der raschen Opferentschädigung . Sie werden
dann feststellen, dass sich Verbrechen immer noch loh-
nen . Leider .
Anlage 7
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung
von Vorschriften im Bereich des Internationa-
len Privat- und Zivilverfahrensrechts (Tagesord-
nungspunkt 20)
Dr. Silke Launert (CDU/CSU): In einer globalisier-
ten Welt sehen wir uns immer häufiger mit grenzüber-
schreitenden Rechtsstreitigkeiten konfrontiert . Das inter-
nationale Privat- und Zivilverfahrensrecht gewinnt damit
zunehmend an Bedeutung . Auf EU-Ebene und durch
diverse internationale Übereinkommen wurden in der
Vergangenheit bereits zahlreiche Instrumente geschaffen,
um den Menschen bei Streitigkeiten mit Auslandsbezug
die Möglichkeit zu geben, ihr Recht einzufordern und
durchzusetzen .
Wie es aber so ist mit dem Recht: Es tun sich immer
wieder Lücken oder auch Rechtsunsicherheiten auf, die
uns durch die Rechtspraxis oder auch den Europäischen
Gerichtshof aufgezeigt werden . Man kann bei den Ge-
setzgebungsverfahren eben nicht alles vorab im Blick
haben .
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, über den wir
heute abschließend beraten, wollen wir daher eine Rei-
he von Vorschriften, die Fälle mit Auslandsbezug regeln,
ändern und an den aktuellen Stand anpassen . Konkret
geht es darum, Klarstellungen zu schaffen, Präzisierun-
gen vorzunehmen und Gesetzeslücken zu schließen .
Im Einzelnen enthält der Entwurf zunächst vor al-
lem technische Änderungen verschiedener Gesetze im
Bereich der Auslandszustellung von Schriftstücken, des
Europäischen Mahnverfahrens und des Verfahrens zum
Eintreiben geringfügiger Forderungen .
So stellen wir beispielsweise im Rahmen der Aus-
landszustellung klar, dass die grenzüberschreitende Zu-
stellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstü-
cke in Zivil- oder Handelssachen abschließend durch die
entsprechende europäische Verordnung geregelt ist. In
diesem Zusammenhang führen wir auch eine gesetzliche
Klarstellung ein, dass für ein fiktives Zustellungsverfah-
ren, wie es die deutsche Zivilprozessordnung in § 184
kennt, bei der Auslandszustellung kein Raum ist . Damit
sorgen wir für mehr Rechtssicherheit und Rechtsklarheit
bei den Beteiligten, wenn es um gerichtliche Auseinan-
dersetzungen mit Auslandsbezug geht .
Weitere Anpassungen betreffen die Frist für die Klage-
zustellung im Ausland und die Einspruchsfrist gegen ein
Versäumnisurteil, welches im Ausland zugestellt wurde.
Damit tragen wir dem Umstand Rechnung, dass in diesen
Konstellationen typischerweise mit längeren Postlaufzei-
ten gerechnet werden muss .
Zudem überarbeiten wir die Vorschriften über die
Durchführung der Verordnung zur Einführung eines
Europäischen Mahnverfahrens . Insbesondere wird ein
gesonderter Rechtsbehelf eingeführt, mit dem der An-
tragsgegner die Aufhebung des Europäischen Zahlungs-
befehls beantragen kann, wenn ihm dieser nicht oder
nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde .
Knackpunkt bei diesem Gesetzentwurf war sicher-
lich die Frage, ob wir unsere Rechtshilfe in Zivilsachen
für „pre-trial discovery of documents“-Ersuchen durch
US-amerikanische Gerichte öffnen. Diese Möglichkeit
besteht im Rahmen der Umsetzung des Haager Bewei-
saufnahmeübereinkommens . Deutschland hatte hiervon
zunächst keinen Gebrauch gemacht, und mit der heutigen
abschließenden Beratung soll es auch dabei bleiben . Eine
entsprechende Änderung wurde aus dem vorliegenden
Gesetzentwurf herausgenommen .
Ich begrüße es ausdrücklich, dass die Änderung auf
Drängen der Union gestrichen wurde . Anders als im
deutschen Recht, wo der Beibringungsgrundsatz gilt,
wird der Sachverhalt im amerikanischen Rechtssystem
im Wege eines gerichtlichen Vorverfahrens der Parteien
ermittelt . Solche Ausforschungsbeweise sind dem deut-
schen Prozessrecht aber fremd, und das soll auch so blei-
ben . Denn würde der Ausforschungsbeweis Einzug hal-
ten, würden vor allem deutsche Unternehmen mit Sitz in
den USA erheblichen Risiken ausgesetzt werden . Selbst
wenn Klagen nicht begründet wären, könnten sie ver-
pflichtet werden, Dokumente in großem Umfang heraus-
zugeben . Das wäre mit erheblichen Kosten und Aufwand
verbunden und würde den Datenschutz der Betroffenen
erheblich schwächen .
In Deutschland wird der Datenschutz immer noch
großgeschrieben . Nicht zuletzt deswegen werden wir
unsere Unternehmen weiterhin bei der Herausgabe von
Dokumenten in Zivil-/Handelsverfahren in den USA
schützen .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22659
(A) (C)
(B) (D)
Die Idee, den Ausforschungsbeweis ins deutsche
Recht zu übernehmen, war auch verbunden mit der Hoff-
nung, dass die USA im Gegenzug ebenfalls weitere Vor-
schriften des Haager Beweisaufnahmeübereinkommens
anwenden . Davon ist aber nicht zu auszugehen, weswe-
gen wir erst recht keinen Anlass sehen, unsere Rechtshil-
fe für „pre-trial discovery“-Ersuchen zu öffnen.
Was das internationale Privatrecht angeht, werden wir
heute eine wichtige Lücke schließen: Bislang waren die
Voraussetzungen und Wirkungen einer Stellvertretung
aufgrund einer Vollmacht bei grenzüberschreitendem
Sachverhalt nur durch die Rechtsprechung und Literatur
herausgearbeitet worden . Das werden wir nun ändern: In
einem neuen Artikel 8 EGBGB werden künftig die auf
eine gewillkürte Stellvertretung anwendbaren Kollisi-
onsnormen präzise festgeschrieben, um den Rechtsan-
wendern klare Regelungen an die Hand zu geben .
Abschließend möchte ich festhalten: Auch wenn das
vorliegende Gesetz zunächst sehr technisch erscheint,
stellt es doch einen weiteren wichtigen Baustein dar,
um für mehr Klarheit und Sicherheit im internationalen
Rechtsverkehr zu sorgen und so den Lebensalltag der
Bürgerinnen und Bürger weiter zu erleichtern . Und er-
freulicherweise waren wir uns da auch ausnahmsweise
fraktionsübergreifend einig .
Sebastian Steineke (CDU/CSU): Der vorliegen-
de Gesetzentwurf beinhaltet in erster Linie die Klar-
stellung einzelner Vorschriften, weil sich aufgrund des
internationalen Zivilverfahrensrechts Änderungs- und
Präzisionsbedarf ergeben hat . Hintergrund hierfür sind
vor allem die Entwicklungen aus der Rechtspraxis und
der Rechtsprechung, insbesondere der des Europäischen
Gerichtshofes . Weiterhin war aufgrund der Änderung
der EU-Verordnung zur Einführung eines europäischen
Verfahrens für geringfügige Forderungen eine Anpas-
sung zivilprozessualer Vorschriften notwendig. Zuletzt
schließen wir mit einer Regelung zur gewillkürten Stell-
vertretung eine Rechtslücke, die bisher in der Praxis nur
aufgrund von Richterrecht Anwendung finden konnte.
Trotz vieler kleinteiliger Regelungsinhalte dieses Ge-
setzentwurfs, die augenscheinlich unproblematisch sind,
gab es einen zentralen Punkt, den wir als Union sehr
kritisch gesehen haben . Und dies war der im Gesetz-
entwurf der Bundesregierung enthaltene § 14 des Aus-
führungsgesetzes zum Haager Übereinkommen über die
Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schrift-
stücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen und des
Haager Übereinkommens über die Beweisaufnahme im
Ausland in Zivil- und Handelssachen . Der Entwurf sah
vor, eine Erledigung von Rechtshilfeersuchen aus dem
Ausland unter bestimmten Voraussetzungen zu ermögli-
chen, wenn das Ersuchen ein Verfahren nach Artikel 23
des Übereinkommens zum Gegenstand hat . Lassen Sie
mich das nachfolgend etwas näher erläutern .
Bei Verfahren nach Artikel 23 des Haager Über-
einkommens handelt es sich um Verfahren, bei denen
der Vertragsstaat, in unserem Fall die Bundesrepublik
Deutschland, bei der Unterzeichnung, bei der Ratifika-
tion oder beim Beitritt erklärt hat, dass er Rechtshilfeer-
suchen nicht erledigt, die ein Verfahren zum Gegenstand
haben, das in den Rechtskreisen des Common Law unter
der Bezeichnung „pre-trial discovery of documents“ be-
kannt ist. In erster Linie geht der Blick dabei auf Verfah-
ren vor US-amerikanischen Gerichten . Hier ist es üblich,
dass Prozessbeteiligte in Vorbereitung auf die mündliche
Verhandlung in einem förmlichen Beweisverfahren die
Beweismittel offenlegen, auf die sie sich später berufen
wollen . Deutschland hat hier aus gutem Grund eine ent-
sprechende Erklärung zu dem Übereinkommen abgege-
ben, die verhindert, dass dies bei uns möglich ist . Dies ist
unserem Recht völlig fremd .
Der Gesetzentwurf wollte die Erledigung solcher
Rechtshilfeersuchen nun aber ohne Not zulassen, wenn
das Herausgabeverlangen nicht gegen wesentliche deut-
sche Rechtsgrundsätze verstößt, die vorzulegenden
Dokumente genau bezeichnet werden und von grundle-
gender Bedeutung für das Verfahren sind und die Do-
kumente sich im Besitz einer am Verfahren beteiligten
Partei befinden. Auch wenn sich innerhalb dieser Vo-
raussetzungen immer noch einige, vor allem aber auch
unbestimmte Hürden befinden, wäre eine solche Rege-
lung aus unserer Sicht ein Einfallstor zu weiteren Aus-
forschungsmöglichkeiten gegen eine Prozesspartei und
auch gegen Dritte . Deutsche Unternehmen, die in den
Vereinigten Staaten tätig sind, wären als betroffene Partei
oder gegebenenfalls als Dritte erheblichen Risiken aus-
gesetzt, zum Beispiel bezüglich der Kosten, die mit der
Dokumentenherausgabe verbunden sein würden sowie
bei datenschutz- und arbeitsrechtlichen Problemen . Sol-
che Ausforschungsbeweise sind mit dem deutschen Pro-
zessrecht nicht vereinbar und dürfen auch nicht über den
internationalen Rechtsverkehr Einzug halten .
Die Hoffnung des Bundesjustizministeriums bestand
darin, US-amerikanische Gerichte dazu zu bringen, das
Haager Übereinkommen anzuwenden, was in der Pra-
xis bislang so gut wie gar nicht der Fall ist . Dies hätte
sich durch den vorgesehenen Artikel 14 jedoch in keiner
Weise geändert . Selbst der US Supreme Court sieht das
Haager Übereinkommen nur als fakultative Ergänzung
für die Erlangung von Beweismaterial aus dem Ausland .
In Deutschland ist es hingegen verbindlich . Schon diese
Auffassung des höchsten amerikanischen Gerichts zeigt,
wie die Anwendungspraxis in den Vereinigten Staaten
aussieht .
Wir empfehlen stattdessen zunächst eine entsprechen-
de Evaluierung zu den Auswirkungen einer solchen mög-
lichen Änderung, insbesondere unter Berücksichtigung
der Erfahrungen von Frankreich, Dänemark, Finnland,
den Niederlanden und Schweden . Ich freue mich, dass
wir mit dem Koalitionspartner hier schnell eine Einigung
erzielen und einen entsprechenden gemeinsamen Ände-
rungsantrag auf den Weg bringen konnten . Damit erwei-
sen wir den deutschen Unternehmen, die mittlerweile in
einer beachtlichen Zahl auf dem internationalen Markt
tätig sind, einen großen Dienst . Dies kann man in dieser
Deutlichkeit ruhig mal betonen .
Im Ausschuss haben alle Fraktionen dieses Hauses
zugestimmt . Daher bitte ich auch hier um Ihre Zustim-
mung zu dem Gesetzentwurf in der Fassung unseres Än-
derungsantrags .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722660
(A) (C)
(B) (D)
Sonja Steffen (SPD): Der vorliegende Gesetzent-
wurf befasst sich mit Änderungen im Bereich des inter-
nationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht .
Beim internationalen Privatrecht (IPR) handelt es
sich um die Gesamtheit der Rechtssätze des nationalen
Rechts, die festlegen, welche von mehreren möglichen
internationalen Privatrechtsordnungen in einem Kollisi-
onsfall angewandt werden . Das IPR regelt private Sach-
verhalte also nicht unmittelbar, sondern durch Verweise,
die die jeweils anzuwendende Rechtsordnung festlegen .
In Deutschland finden sich die Regelungen zum IPR im
Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch, dem
EGBGB .
Das internationale Zivilverfahrensrecht widmet sich
unter anderem der internationalen Zuständigkeit, der
Gerichtsbarkeit und den Besonderheiten von Verfahren
mit Auslandsbezug. Das IZVR ist überwiegend in der Zi-
vilprozessordnung und internationalen Abkommen gere-
gelt .
Konkret beinhaltet der vorliegende Gesetzentwurf in
den Artikeln 1, 2, 4 und 6 notwendige und unproblemati-
sche Änderungen der ZPO, des Einführungsgesetzes des
Gerichtsverfassungsgesetzes, des Internationalen Famili-
enrechtsverfahrensgesetzes sowie Folgeänderungen .
Im Bereich der ZPO werden insbesondere die Vor-
schriften über die Auslandszustellung präziser gefasst
und Anpassungen an geltendes EU-Recht vorgenommen .
Aufgrund einer EuGH-Entscheidung wird ein spezieller
Rechtsbehelf im Rahmen des Europäischen Mahnverfah-
rens eingeführt. Weitere Vorschriften der ZPO wurden
redaktionell an Veränderungen einer EU-Verordnung an-
gepasst . Auch wurde eine Konzentrationsermächtigung
für die Länder in europäischen Verfahren für geringfü-
gige Forderungen geschaffen. Weiterhin soll eine Ände-
rung des Internationalen Familienrechtsverfahrensgesetz
die Befugnisse des Bundesministeriums der Justiz und
für Verbraucherschutz beim automatisierten Abruf von
Meldedaten erweitern . Es handelt sich also neben redak-
tionellen Änderungen vor allem um Regelungen, die eine
stärkere Systematisierung und Kompetenzbündelung
zum Ziel haben .
Artikel 5 des Gesetzentwurfs soll die gewillkürte
Stellvertretung, also die reguläre rechtsgeschäftliche
Stellvertretung im Sinne der §§ 164 ff. BGB, im Fall des
Auslandsbezugs eines Rechtsgeschäfts regeln .
Durch den neu einzuführenden Artikel 8 EGBGB soll
eine Gesetzeslücke geschlossen werden . So beruhte das
anwendbare Recht bis dato auf Richterrecht, was die
Einzelfallanwendung unnötig verkomplizierte . Auf der
Grundlage dieses Richterrechts hat der Deutsche Rat für
Internationales Privatrecht einen Entwurf verfasst, der
die durch Rechtsprechung und Literatur herausgearbei-
teten und praktizierten, ungeschriebenen Kollisionsnor-
men zur gewillkürten Stellvertretung rechtlich fixiert.
Dieser liegt nun diesem Gesetzentwurf zugrunde .
So enthält die Norm unterschiedliche Fallgruppen:
Grundsätzlich soll die Wahl der Rechtsordnung, also die
Rechtswahl, bei der Bevollmächtigung vorrangig sein .
Dies entspricht dem Gedanken der Privatautonomie der
Vertragsparteien. Fehlt es an einer solchen Rechtswahl,
knüpft die Regelung in erster Linie an den Ort an, an dem
von der Vollmacht Gebrauch gemacht wird. Ausnahms-
weise kann bei der Bevollmächtigung eines Unterneh-
mers oder eines Arbeitnehmers sowie der Unkenntnis
des Dritten über den Gebrauchsort an den gewöhnlichen
Aufenthaltsort des Bevollmächtigten oder des Bevoll-
mächtigenden angeknüpft werden . Der Gesetzentwurf
regelt also abschließend und für jedermann ersichtlich,
wann welche Rechtsordnung im Bereich der gewillkür-
ten Stellvertretung mit Auslandsbezug zu gelten hat .
Diskutiert wurde dabei auch ein spezielles Formerfor-
dernis der Rechtswahlvereinbarung . Mit gutem Grund
hat man die konkrete Formbedürftigkeit jedoch abge-
lehnt . Schließlich gilt auch in diesem Rahmen die Form-
vorschrift des Artikel 11 EGBGB . Ein Rechtsgeschäft ist
damit immer dann formgültig, wenn es die Formerfor-
dernisse des Rechts, das auf das seinen Gegenstand bil-
dende Rechtsverhältnis anzuwenden ist, oder des Rechts
des Staates erfüllt, in dem es vorgenommen wird .
Artikel 3 des Gesetzentwurfs sieht zwei Änderun-
gen des Gesetzes zur Ausführung des Haager Überein-
kommens vom 15 . November 1965 über die Zustellung
gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im
Ausland in Zivil- oder Handelssachen und des Haager
Übereinkommens vom 18 . März 1970 über die Beweis-
aufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen vom
22 . Dezember 1977 (HZÜ/HBÜ) vor .
Sinnvoll ist die im ersten Teil genannte Kompetenz-
bündelungen bei Spezialgerichten . Schließlich verlangen
diese sehr speziellen Fälle kundige und erfahrene Rich-
ter .
Ursprünglich befand sich in dem Gesetzentwurf auch
eine Regelung für zukünftige Beweisaufnahmeersu-
chen . In der Sache ging es um die sogenannte „pre-trial
discovery of documents“ . Diese sollte zukünftig, unter
strengen Voraussetzungen, ermöglicht werden. Bei der
„pre-trial discovery of documents“ – übersetzt: vorpro-
zessuale Dokumentenherausgabe – handelt es sich um
die im angloamerikanischen Recht vorgesehene Mög-
lichkeit, bereits vor der Verhandlung zur Sache die mög-
lichen Wissensträger der Gegenseite intensiv zu befragen
und Einsicht in die Dokumentenlage der Gegenseite zu
nehmen . Aus deutscher Sicht wird dadurch eine unzu-
lässige Ausforschung der Gegenseite ermöglicht . Eine
Gesetzesnovellierung wurde vom BMJV angeregt, weil
US-amerikanische Gerichte begannen, ihr Prozessrecht
entgegen den Wertungen des Haager Übereinkommens
extraterritorial anzuwenden .
Zwar war der Gesetzentwurf des BMJV diesbezüglich
sehr differenziert und hatte ein höheres Maß an Beklag-
tenschutz deutscher Parteien in den USA zum Ziel . Doch
haben wir uns als Beteiligte der Koalition mit dem BMJV
vernünftigerweise darauf verständigt, erst einmal die Re-
aktion US-amerikanischer Gerichte auf gleichgerichtete
Regelungen in anderen europäischen Staaten (zum Bei-
spiel in Frankreich oder den Niederlanden) abzuwarten .
Schließlich kann es sich hier um datenschutzrechtlich
höchst brisante Dokumente handeln. So haben die Ver-
bände wiederholt zu verstehen gegeben, dass eine Ge-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22661
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(B) (D)
setzesneufassung mit erheblichen Risiken für deutsche
Prozessparteien in den USA verbunden sein könnte . Hier
gilt es also bedächtig vorzugehen . Der Praxistest in den
anderen europäischen Ländern wird zeigen, ob es hier
zukünftig einer Regelung bedarf oder nicht .
In der Gesamtbetrachtung handelt es sich also um ei-
nen sehr ausgewogenen Gesetzentwurf . Neben redakti-
onellen Änderungen, Kompetenzbündelungen und einer
stärkeren Systematisierung vorhandener Regelungen
wird vor allem ein höheres Maß an Rechtsklarheit ge-
schaffen. Dabei werden Gesetzeslücken geschlossen und
notwendige Konkretisierungen und Anpassungen an gel-
tendes EU-Recht vorgenommen . Dabei wurden viele Im-
pulse aus Rechtsprechung und Rechtspraxis aufgegriffen
und umgesetzt .
Gerade bei der Regelung zur gewillkürten Stellvertre-
tung bei Rechtsgeschäften mit Auslandsbezug wurden
Forderungen aus Wissenschaft und Praxis sorgfältig um-
gesetzt, was zu einem erhöhten Maß an Rechtssicherheit
in derartigen Fällen führen wird .
Zu loben ist vor allem die gelungene Abstimmung
zwischen dem BMJV, den beteiligten Abgeordneten, den
Ländern, den Verbänden und der Wissenschaft. Damit
handelt es sich bei dem vorliegenden Entwurf um ei-
nen richtigen und wichtigen Beitrag im internationalen
Privat- und Zivilverfahrensrecht, der auf breiter Zustim-
mung beruht und von mir und der Fraktion der SPD nur
zu begrüßen ist .
Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE): Wir
diskutieren heute hier abschließend über einen Gesetz-
entwurf zur Änderung von Vorschriften im Bereich des
internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts . Die
Linke wird – das kann ich vorab schon zusichern – die-
sem Gesetz ihre Zustimmung geben . Auch wenn wir im
Detail durchaus Kritik haben, bedeuten die Änderungen,
Präzisierungen und Ergänzungen von Vorschriften des
internationalen Zivilverfahrensrechts für die Bürgerin-
nen und Bürger Verbesserungen, zu ihrem guten Recht
kommen zu können .
Zwei Beispiele dafür: Stellen Sie sich vor, Sie verkau-
fen über ein Onlineverkaufsportal eine Ware an einen In-
teressenten aus Dänemark, Holland, Schweden . Sie wer-
den sich über das Internet einig . Sie versenden die Ware,
erhalten aber kein Geld . Auf Ihre mahnenden E-Mails
gibt es keine Antwort . Sie müssen sich an ein Gericht
wenden, um Ihr Geld einzuklagen .
Dies war bisher ein umständliches und für viele Ver-
braucherinnen und Verbraucher schwer nachvollzieh-
bares Verfahren. Oft musste man zum Landgericht ge-
hen – für viele mit weiten Wegen verbunden . Ein Richter
konnte entscheiden, dass er nicht zuständig ist, sondern
ein anderer Richter – eine sogenannte gewillkürte Stell-
vertretung .
Dies wird jetzt geändert und für die Bürgerinnen und
Bürger nachvollziehbarer gestaltet, indem Gerichte be-
reits auf der Ebene von Amtsgerichten – also in meinem
Wahlkreis wäre das zum Beispiel in Oranienburg mög-
lich – zu zuständigen Gerichten erklärt werden . Durch
die Möglichkeit, ein Amtsgericht mehrerer Amtsge-
richtsbezirke zum zuständigen Gericht zu erklären, hat
dieses die Möglichkeit, sich auf das jeweilige Rechtsge-
biet zu spezialisieren und damit wirkungsvoll, schneller
und effizienter im Sinne von Verbraucherinnen und Ver-
brauchern Recht zu sprechen .
Zweites Beispiel: Ein Paar – sie Deutsche, er US-Ame-
rikaner – haben ein gemeinsames Kind . Sie sind aber
nicht verheiratet. Es kommt zu Konflikten, sie wollen das
Kind aber nicht darunter leiden lassen und einigen sich
auf Umgangsmöglichkeiten für die einzelnen Elterntei-
le. Plötzlich fällt dem Vater ein: Ich fahre mit dem Kind
in die Staaten und bleibe dort dauerhaft; soll doch die
Mutter sehen, wie sie künftig zu ihrem Umgangsrecht
kommt .
Die USA sind ein weites Land und haben Regionen,
die hin und wieder auch mal ohne Internet sind . Der ge-
wöhnliche Aufenthaltsort des Kindes kann sich verlau-
fen .
Die Mutter wartet und wartet, sie schreibt eine E-Mail
nach der anderen – keine Reaktion von ihrem ehemaligen
Lebensgefährten . Ihr bleibt nur der Rechtsweg . Bisher
ein sehr kompliziertes Verfahren, zu dem sie in die Staa-
ten fahren musste, dort einen Anwalt nehmen, Überset-
zungsleistungen beibringen usw .
Jetzt wird das Internationale Familienrechtsverfah-
rensgesetz so geändert, dass die zentrale Behörde im
automatisierten Abrufverfahren Daten abrufen kann, wie
zum Beispiel derzeitige Staatsangehörigkeiten, frühere
Anschriften, gekennzeichnet nach Haupt- und Neben-
wohnungen, sowie das Einzugs- und Auszugsdatum .
Dadurch könnte die Mutter von Deutschland aus und
deutlich schneller und unkomplizierter als bisher an In-
formationen über den gewöhnlichen Aufenthaltsort ihres
Kindes herankommen .
Ich weiß, dies ändert alles noch gar nichts an einer
ganzen Reihe von Rechtsproblemen, mit denen Bürge-
rinnen und Bürger ebenfalls konfrontiert sein können .
Und die Regelungen betreffen, wie gesagt, nur den Be-
reich des internationalen Privat- und Zivilrechts . Aber es
sind Schritte in die richtige Richtung . Außerdem werden
Lücken im internationalen Privatrecht geschlossen . Auch
im internationalen Zivilverfahrensrecht gab es in mehr-
facher Hinsicht Klarstellungs- und Änderungsbedarf,
einschließlich der Rechtshilfe und des internationalen
Familienverfahrensrechts .
Darüber hinaus hat die jüngste Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu Rechtsunsicher-
heiten für die Rechtspraxis geführt . Der bestehende
Rechtshilfeverkehr mit den USA ist um weitere Möglich-
keiten ergänzt worden . All dies ist im Sinne der Bürge-
rinnen und Bürger und wird von der Linken unterstützt .
Allerdings können wir der Bundesregierung eine
wichtige Kritik nicht ersparen: Im ursprünglichen Ge-
setzentwurf haben Sie ohne Not das im deutschen Zi-
vilverfahrensrecht geltende Ausforschungsverbot im
grenzüberschreitenden Rechtsverkehr, insbesondere
im Verhältnis zu den USA, aufgegeben, ohne dass dem
greifbare Vorteile gegenübergestanden hätten. Es be-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722662
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durfte erst wieder erheblichen Protestes aus der Zivil-
gesellschaft und eines Änderungsantrages im Rahmen
des parlamentarischen Verfahrens, um diese Absicht zu
vereiteln . Dies ermöglicht uns die Zustimmung zu dem
vorliegenden Gesetzentwurf in geänderter Fassung .
Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Mit dem
Gesetzentwurf, den wir heute hier beraten, sollen einige
Vorschriften im Bereich des internationalen Privat- und
Zivilverfahrensrechts geändert oder klargestellt werden .
Es ist ein kleiner Rundumschlag, der Regelungen in der
Zivilprozessordnung, den Einführungsgesetzen zum
BGB, dem Gerichtsverfassungsgesetz und dem Famili-
enrechtsverfahrensgesetz betrifft. Das Vorhaben greift
verschiedene Entwicklungen aus Rechtsprechung und
Praxis auf und ist im Interesse der Rechtsklarheit zu be-
grüßen .
In der ZPO werden insbesondere die Vorschriften über
die Auslandszustellung präzisiert . Bei geringfügigen For-
derungen wird für europäische Verfahren eine Zuständig-
keitskonzentration ermöglicht . Im Europäischen Mahn-
verfahren soll bei Nichtzustellung des Europäischen
Zahlungsbefehls ein Rechtsbehelf eingeführt werden .
Ins Kollisionsrecht des EGBGB wird eine Regelung
zum anwendbaren Recht bei Stellvertretung aufgenom-
men. So wird der Rechtswahl des Vollmachtgebers Vor-
rang eingeräumt und Regelungen für Fälle getroffen,
wenn keine Rechtswahl erfolgt ist . Dies entspricht den
bisher in der Praxis angewandten Kriterien .
Im Internationalen Familienrechtsverfahrensgesetz
werden die Möglichkeiten zum Abrufen von Meldedaten
durch das Bundesamt für Justiz erweitert . Das Bundes-
amt für Justiz ist zum Beispiel zuständig für die Rück-
führung von entführten Kindern . Die im automatisierten
Verfahren abrufbaren Daten sollen zur Ermittlung des
Aufenthaltes eines Kindes um Staatsangehörigkeit und
frühere Anschriften ergänzt werden .
Im parlamentarischen Verfahren ist glücklicherweise
die rechtspolitisch fragwürdige Erweiterung der Rechts-
hilfemöglichkeiten nach dem Haager Übereinkommen
über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Han-
delssachen entfallen, die ursprünglich im Gesetzentwurf
der Bundesregierung vorgesehen war .
In Deutschland gilt zwar auch bisher schon dieses
Haager Übereinkommen, doch die Bundesrepublik
Deutschland hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht,
einen Vorbehalt gegen die Vorgaben zur Dokumentenhe-
rausgabe einzulegen . Rechtshilfeersuchen, die das im
Common Law verbreitete „pre-trial discovery“-Verfah-
ren zum Gegenstand haben, werden entsprechend dem
Vorbehalt nicht erledigt.
Ursprünglich war von der Bundesregierung vorge-
sehen, dass auf Rechtshilfeersuchen beispielsweise aus
den USA unter bestimmten Voraussetzungen Dokumente
herausgegeben werden sollten, wenn die Beweisaufnah-
me im „pre-trial discovery“-Verfahren stattfindet, also in
einem bei uns nicht vorhandenen Beweisermittlungsver-
fahren zwischen Klageerhebung und Hauptverhandlung .
Das steht im Gegensatz zur Grundmaxime des deut-
schen Zivilprozessrechts, wonach – als Ausprägung des
Beibringungsgrundsatzes – die Ausforschung der Gegen-
seite unzulässig ist . Dieser Grundsatz sollte nicht ohne
Not durchbrochen werden .
Zugegebenermaßen ist auch die aktuelle Rechtsla-
ge etwas unbefriedigend . Nachdem deutsche Gerichte
Rechtshilfeersuchen aus den USA, die auf Dokumenten-
herausgabe im Rahmen der „pre-trial discovery“ gerich-
tet waren, abgelehnt hatten, begannen US-Gerichte, ihr
eigenes Zivilverfahrensrecht extraterritorial anzuwen-
den. Wird die Vorlage von Dokumenten unter Berufung
auf das deutsche Recht verweigert, drohen der deutschen
Partei im US-Verfahren prozessuale Nachteile. Der vom
Vorbehalt zum Haager Übereinkommen intendierte
Schutz der deutschen Prozesspartei läuft dann leer .
Dass aber eine – mit rechtlichen Hürden versehene –
Anwendung der Regelung des Haager Übereinkommens
über die Dokumentenherausgabe zum Ziel führen wür-
de, ist zweifelhaft . Denn auch wenn der Weg der grenz-
überschreitenden Beweisaufnahme „pre-trial“ über das
Ausführungsgesetz zum Haager Übereinkommen er-
öffnet wäre, würde dies nur einen zusätzlichen Weg für
die US-Gerichte bedeuten, nicht den bisher gegangen
Weg – die Anwendung des eigenen Verfahrensrechts –
ausschließen . Im Ergebnis wäre also nichts gewonnen,
wenn die USA weiterhin auf die Anwendung ihres eige-
nen, weitergehenden Rechtes setzen würde . Und wenn
die Erreichung des Ziels eines Gesetzes so unsicher ist,
sollten wir dafür keine nationalen prozessrechtlichen
Grundsätze über Bord werfen .
Die Bundesregierung tut also gut daran, wenn sie zu-
nächst die Auswirkungen auf die US-Praxis in anderen
Vertragsstaaten des Haager Übereinkommens untersucht,
die bereits das Verfahren der Dokumentenherausgabe
über das Übereinkommen zulassen . Nur wenn dort posi-
tive Erfahrungen festgestellt werden, lohnt es sich über-
haupt, hier über eine begrenzte Öffnung des deutschen
Verfahrensrechts zu diskutieren, um die aktuelle US-Pra-
xis abzuwehren .
Gesetzesänderungen müssen auf einer ausreichenden
Faktenanalyse basieren . Diesen Grundsatz hat die Ko-
alition hier letztlich beherzigt – die ursprünglich vom
Bundesjustizministerium vorgesehene Fassung des Re-
gierungsentwurfes wurde entsprechend geändert .
Ich wünschte nur, die Koalition würde auch bei ande-
ren Bereichen die Faktenlage auswerten, bevor sie Geset-
ze ändert oder beschließt .
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Zehnten Gesetzes zur Än-
derung des Weingesetzes (Tagesordnungspunkt 21)
Kordula Kovac (CDU/CSU): Manchen von Ihnen
mag es aufgefallen sein: Bei den verschiedenen Festak-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22663
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ten anlässlich der Bundesversammlung wurde überwie-
gend deutscher Wein serviert . Zu meiner großen Freude
sogar auch Wein aus meiner Heimat Südbaden . Das war
nicht immer so und ist letztendlich auch ein Verdienst der
Arbeit des Parlamentarischen Weinforums . Dieses wurde
nämlich im Jahr 2003 auf überparteiliche Initiative hin
gegründet in dem Bestreben, dass bei Veranstaltungen
des Deutschen Bundestages auch deutscher Wein bzw .
deutscher Winzersekt ausgeschenkt wird .
Kann natürlich sein, dass das jetzt dem ein oder an-
deren der „Mulitkulti-Fraktion“ gegen den Strich geht,
aber: Deutscher Wein braucht schließlich den Vergleich
zur ausländischen Konkurrenz nicht zu scheuen . Damit
dies auch in Zukunft so bleibt, muss die Politik hin und
wieder die Rahmenbedingungen der Weinbranche in
Deutschland überprüfen und gegebenenfalls anpassen .
Genau dies tun wir mit dem vorliegenden Gesetz .
Zwar mag der Titel des Gesetzes etwas schwerfällig
über die Lippen kommen, die konkreten Beschlüsse sind
aber vor allem durch Vereinfachung von Verwaltung und
Verfahren und dem Vorbeugen von möglichen Marktstö-
rungen geprägt . Erlauben Sie mir, die wichtigsten Punkte
zusammenzufassen:
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Bun-
desländer ermächtigt, durch Rechtsverordnungen sowohl
Schutzgemeinschaften zur Verwaltung der Lastenhefte
als auch Branchenverbände auf ihrem Hoheitsgebiet zu
erlauben .
Durch die nun erlaubte Einführung von Schutzge-
meinschaften vereinfachen wir die Verwaltung von her-
kunftsgeschützten Weinen, da hierdurch die Anträge zur
Änderung der Produktspezifikationen einer geschützten
Ursprungsbezeichnung oder einer geschützten geogra-
fischen Angabe nicht mehr einzeln durch die Erzeuger,
sondern durch die jeweilige Schutzgemeinschaft vorbe-
reitet und gestellt werden kann . Die genaue Ausgestal-
tung der Struktur der Schutzgemeinschaften soll durch
eine Rechtsverordnung der Bundesländer geregelt wer-
den .
Gleichzeitig gewährleisten wir aber bundeseinheitlich
eine hinreichende Repräsentativität für das entsprechen-
de Gebiet, indem die Schutzgemeinschaft nur anerkannt
werden kann, wenn sie durch mindestens zwei Drittel der
Erzeuger des jeweiligen Anbaugebiets vertreten ist und
auf sie zusätzlich zwei Drittel der Weinerzeugung ent-
fallen .
Durch das Aufheben des bisherigen Verbots der Bran-
chenverbände im Weinbau entsprechen wir dem Wunsch
der Bundesländer, ihren spezifischen regionalen Beson-
derheiten Rechnung tragen zu können . Mit der dement-
sprechend notwendigen Änderung des Agrarmarktstruk-
turgesetzes ermöglichen wir erstmals, dass durch die
vielzähligen Fördermöglichkeiten und Funktionen von
Branchenverbänden Synergien zwischen Weinbauver-
bänden, Gebietsweinwerbung und Schutzverbänden er-
möglicht werden .
Zukünftige Marktstörungen verhindern wir durch
eine Länderermächtigung zur Festsetzung eines Hektar-
höchstbetrages von bis zu 200 Hektoliter/Hektar für Wei-
ne ohne Herkunftsbezeichnung, insbesondere für Flächen
außerhalb der Anbau- und Landweingebiete . Außerdem
schreibt das Gesetz bundeseinheitlich 200 Hektoliter/
Hektar vor, sollten die Länder nicht durch eine eigene
Rechtsverordnung aktiv werden .
Einem zukünftigen Überangebot kommen wir zu-
vor, indem die Begrenzung von Neuanpflanzungen auf
0,3 Prozent der bepflanzten Gesamtfläche auf drei weite-
re Jahre bis 2020 ausgeweitet wird .
Durch die Kombination dieser beiden Anbauhöchst-
grenzen vermeiden wir einen bundesweiten Flickentep-
pich und verhindern, dass der Weinsektor durch eine
Mehrmenge von bis zu 9 Millionen Liter Wein pro Jahr
belastet wird . Eine solche Menge würde bei einer Neube-
pflanzung von 1 Prozent der Rebflächen in Deutschland,
wie sie die EU erlaubt, zusätzlich auf den Weinmarkt
drängen, wenn wir auf nationaler Ebene die 0,3 Pro-
zent-Begrenzung nicht fortsetzten .
Durch die Einbeziehung der Stadtstaaten in den Vor-
wegabzug, also die Erlaubnis der 5-Hektar-Neubepflan-
zung, entsprechen wir den Interessen dieser Bundeslän-
der, ohne dass der Markt hierdurch signifikant gestört
wird .
Last, but not least: Mit der Anhebung der Bagatell-
grenze von 5 auf 10 Ar reduzieren wir nicht nur die Zahl
der abgabepflichtigen Betriebe, sondern verringern auch
den Verwaltungsaufwand. Die finanziellen Einbußen die-
ser Maßnahme entsprechen gerade mal 1,34 Prozent und
können dementsprechend vernachlässigt werden .
Kurzum vereinfacht dieses Gesetz somit, um es noch
einmal zu wiederholen, die Verwaltung und beugt Markt-
störungen vor .
Auf rund 100 000 Hektar Rebfläche werden in
Deutschland durchschnittlich 9,5 Millionen Hektoli-
ter Wein pro Jahr erzeugt . Insgesamt konsumieren die
Deutschen im Jahr rund 20 Millionen Hektoliter Wein .
13 Millionen Hektoliter davon sind allerdings auslän-
dische Erzeugnisse . Deutschland ist damit der größte
Weinimporteur der Welt . Helfen Sie mit, dass deutsche
Winzerinnen und Winzer auch auf dem einheimischen
Weinmarkt konkurrenzfähig bleiben und stimmen Sie
diesem Gesetz zu .
Marlene Mortler (CDU/CSU): Die Krise in der
Milchwirtschaft hat es uns im letzten Jahr schmerzlich
vor Augen geführt: Wenn wir den Branchen in der Land-
wirtschaft keine Eigenverantwortung zugestehen, kön-
nen sie nicht angemessen auf Marktschwankungen und
-krisen reagieren .
Was die Milchbranche angeht, hat der Deutsche Bun-
destag bereits 2016 eine gangbare Lösung gefunden:
Seitdem können sich unter anderem Branchenverbän-
de freiwillig zusammentun, um zeitlich befristet die
Rohmilchproduktion zu regulieren .
Mit dem vorgelegten Gesetzentwurf eröffnen wir nun
den Ländern die Möglichkeit, der Weinbranche ähnliche
gestalterische Freiheiten zu übertragen . Wir wollen sie –
genauso wie die gesamte Landwirtschaft – fit für den
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722664
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internationalen Wettbewerb und damit für die Zukunft
machen .
Der Weinsektor ist, wie kaum eine andere Branche
in der Landwirtschaft, aufs Engste mit seinen Anbau-
regionen verwoben . Diesen besonderen Gegebenheiten
müssen wir Rechnung tragen . Die Länder sollen daher
künftig selbst für ihr Territorium entscheiden können, ob
sie Branchenverbände anerkennen . Dies soll durch eine
Bundesverordnung ganz oder teilweise an die Landesre-
gierungen delegiert werden .
Für Weine, die ohne Herkunftsbezeichnung vermark-
tet werden, können zudem Hektarhöchsterträge festge-
legt werden . Damit wirken wir Marktverzerrungen ent-
gegen .
Bereits jetzt ist in der Novelle des Weingesetzes vor-
gesehen, in den Jahren 2018 und 2019 die Neuanpflan-
zungen auf 0,3 Prozent der Gesamtrebfläche zu begren-
zen . Damit erreichen wir mehr Preisstabilität .
Vor allem in der Neuregelung für den Zusammen-
schluss von Branchenverbänden sehe ich große Vorteile,
auch für uns in Bayern: Über reine Marktanpassungs-
strategien hinaus sind es in erster Linie Synergieeffekte,
die Branchenverbände attraktiv machen. Der Verwal-
tungsaufwand, um beispielweise EU-Förderungen zu
beantragen, kann geteilt und damit für einzelne Betriebe
verringert werden . Gemeinsame Absatz- und Marke-
tingstrategien ermöglichen eine optimale Ausrichtung
auf den Markt . Angebote können gebündelt und gemein-
same Werbemaßnahmen auf den Weg gebracht werden .
Jede Branche hat darüber hinaus ihre berechtigten
Interessen, die sie gegenüber Wirtschaft, Gesellschaft
und Politik vertreten möchte und muss . Wer mit einer
Stimme für alle oder zumindest viele spricht, kann seine
Anliegen natürlich wesentlich besser durchsetzen als ein
Einzelkämpfer . Das zeigt ein Blick in die romanischen
Weinbauländer: Die Champagne und Südtirol sind er-
folgreiche Beispiele für die Einrichtung von Branchen-
verbänden .
Unsere Landwirte bewegen sich heute in globalisier-
ten Märkten . Dadurch sind einerseits Handelshemmnis-
se weggefallen und Absatzmärkte dazugekommen . An-
dererseits müssen sich unsere Bäuerinnen und Bauern
sowie auch alle anderen international tätigen Branchen
einer wesentlich breiteren Konkurrenz stellen als früher .
Derzeit haben wir in Deutschland einen Anteil von
ausländischen Weinen von rund 56 Prozent . Wir sind
weltweit Weinimportland Nummer eins . Das zeigt,
welch große Vielfalt auf dem deutschen Markt herrscht.
Gleichzeitig ist der Weinexport gesunken . Unsere eige-
nen Weinerzeugnisse stehen unter einem erheblichen
Marktdruck . Schlimmer noch: Es herrscht ein regelrech-
ter Verdrängungswettbewerb. Zwei Drittel aller Weine
im Lebensmitteleinzelhandel und Discount werden für
1,99 Euro verkauft – ein Preis, zu dem in Deutschland
schwer qualitätsbewusster Weinbau betrieben werden
kann .
Branchenverbände können hierfür die ideale Antwort
sein. Sie schärfen und profilieren eine Herkunft als Mar-
ke . Und sie bieten die Möglichkeit, sich von der inter-
nationalen Konkurrenz abzuheben . Unserem Ziel, auf
Klasse anstatt auf Masse zu setzen, kommen wir dadurch
einen guten Schritt näher .
Wir wissen dank vieler praktischer Erkenntnisse, dass
Kooperationen innerhalb einer Branche oder sogar von
mehreren Branchen gerade in der Landwirtschaft erfolg-
versprechend sind . Zum Beispiel ist es auch Zuckerrü-
benbauern möglich, dass sie sich zusammenschließen,
um Preisverhandlungen mit der Industrie zu führen .
Um der schwierigen Marktlage und dem unaufhalt-
samen Strukturwandel zu trotzen, schaffen sich unsere
Bäuerinnen und Bauern immer häufiger mehrere Stand-
beine . Sie wandeln damit oft zwischen den „Branchen-
welten“ . Nehmen Sie nur das Konzept „Ferien auf dem
Bauernhof“ . Es vereint die Landwirtschaft mit der Tou-
rismuswirtschaft .
Mit einem schönen Beispiel aus meiner Heimat möch-
te ich aufzeigen, dass und wie solche integrativen Stra-
tegien zu einer Erfolgsgeschichte werden können: In
Franken reden wir seit zehn Jahren nicht mehr überei-
nander, sondern miteinander . Hier verbindet sich edler
Genuss mit dem Tourismus . Dies wird im ganzheitlichen
Weintourismuskonzept „Franken – Wein .Schöner .Land“
vereint und verdeutlicht . Die Bayerische Landesanstalt
für Weinbau und Gartenbau, die Tourismusverbände in
Franken und die Gebietsweinwerbung Franken haben
sich zusammengeschlossen und mit Zertifizierungskrite-
rien Maßstäbe für Exzellenz und Genuss gesetzt .
Wir Bayern, insbesondere wir Franken, wollen end-
lich die offensichtlichen Vorteile von Branchenverbän-
den nutzen und wettbewerbsbedingte Risiken für den
einzelnen Betrieb reduzieren .
Mit der Neuregelung des Weingesetzes legen wir die
Grundlage für alle Beteiligten, damit sie zielgerichtet
und vor allem effizient zusammenarbeiten können. Wir
institutionalisieren ihre Kooperation und heben so bereits
existierende Zusammenschlüsse im Weinsektor auf eine
neue Ebene .
Wein gehört zu unserer Kultur und ist identitätsstif-
tend für Regionen wie mein Frankenland . Als Drogenbe-
auftragte der Bundesregierung ist mir in diesem Zusam-
menhang besonders wichtig: Ein Genuss ist Wein nur,
wenn er in Maßen getrunken wird . – Es würde dem edlen
Getränk und der Arbeit unserer Winzerinnen und Winzer
nicht gerecht werden, wenn er achtlos und in ungesun-
den Mengen missbräuchlich konsumiert wird . Und in
der Schwangerschaft und Stillzeit, aber auch am Lenkrad
und am Arbeitsplatz müssen grundsätzlich 0,0 Promille
gelten .
Ich werbe für einen verantwortungsvollen Umgang
mit Alkohol insgesamt und für die Wertschätzung derje-
nigen, die unseren hervorragenden Wein in harter Hand-
arbeit produzieren .
Gustav Herzog (SPD): Passend zum Ende der Pro-
Wein in Düsseldorf beraten wir heute abschließend die
zehnte Änderung des Weingesetzes . Im Sommer 2015
haben wir die neunte Änderung beschlossen und schon
damals war absehbar, dass wir 2017 die zehnte und vo-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22665
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raussichtlich schon im kommenden Jahr die nächste Ge-
setzesänderung haben werden . Gleich nach der Bundes-
tagswahl im September werden wir uns also an die Arbeit
für eine größere Reform machen . Ich bin in diesen Tagen
ganz zuversichtlich, dass ich dann auch wieder in Regie-
rungsverantwortung mit dabei sein werde .
In gewohnter Manier konnten wir uns als Berichter-
statter im Parlamentarischen Weinforum auf die wesent-
lichen Dinge informell einigen . Ich bin immer wieder
dankbar für dieses überfraktionelle Gremium, in dem wir
uns seit mehreren Wahlperioden nicht nur im Vorfeld auf
eine Gesetzesänderung verständigen können . An dieser
Stelle meinen herzlichen Dank an die Kollegin und die
Kollegen für die gute Zusammenarbeit in dieser Wahl-
periode .
Verständigt hatten wir uns zunächst einvernehmlich
auf drei Punkte. Die Verlängerung des 0,3-Prozent-Zu-
wachses bei den Neuanpflanzungen bis 2018, eine Aus-
weitung der Höchstertragsregelung auf alle Anbauflächen
und die Einrichtung einer institutionellen Organisation
zur Betreuung der Lastenhefte für herkunftsgeschützte
Weine, also Weine mit geschützter Ursprungsbezeich-
nung und mit geografisch geschützten Angaben.
Der Bundesrat hat darüber hinaus weitere Vorschläge
gemacht, welche die Bundesregierung in ihrer Gegenäu-
ßerung aufgegriffen hat. Nach intensiven, zum Teil kont-
roversen Beratungen wollen wir diese nun mit umsetzen .
Doch wie so oft gilt auch hier das Struck’sche Gesetz:
Nichts verlässt das Parlament, wie es hineingekommen
ist . – Daher freue ich mich auf die Zustimmung der Op-
position zu dem Änderungsantrag der Koalition, der die
Vorschläge von Bundesrat und Bundesregierung in mo-
difizierter Form umsetzt.
Dazu gehört die Ausweitung der 0,3-Prozent-Regel
bis 2020, um mehr Rechtssicherheit für alle Beteiligten
und mehr Ruhe bei der Antragstellung herzustellen .
Weiterhin wollen bestimmte Anbaugebiete Branchen-
verbände für den Wein einrichten . Wir ändern also auch
das Marktstrukturgesetz und ermächtigen die Bundesre-
gierung, den Landesregierungen zu erlauben, solche Ver-
bände auch für die Weinbranche einzurichten .
Als dritter Zusatzpunkt wird die Beitragserhebung
für die Weinwerbung vereinfacht . Zum einen heben wir
die Bagatellregelung von 5 auf 10 Ar an . Das bedeu-
tet, dass gut 300 Hektar Klein- und Kleinstflächen aus
der Beitragserhebung herausfallen . Dadurch entstehen
dem Weinfonds Einnahmeverluste in Höhe von etwa
22 000 Euro . Gleichzeitig schränken wir die Beitrags-
pflicht dahin gehend ein, dass nur bestockte Rebflächen
erhoben werden . Das wiederum bedeutet Beitragsverlus-
te für den Weinfonds in Höhe von etwa 125 000 Euro .
In der Summe gehen also der Weinwerbung rund
150 000 Euro im Jahr verloren . Dieses spezielle Thema
werden wir aber im Rahmen des elften Änderungsgeset-
zes erneut aufgreifen und intensiv beraten müssen .
Besonderen Beratungsbedarf benötigte die Frage nach
der inneren Organisation der sogenannten Schutzge-
meinschaften zur Verwaltung der Lastenhefte herkunfts-
geschützter Weine . Wir sehen die unterschiedlichen Er-
wartungshaltungen an dieser Regelung bei den Ländern,
den Verbänden und den einzelnen Erzeugern bzw. Kelle-
reien . Den meiner Meinung gut abgewogenen Kompro-
miss werden wir in der gelebten Praxis genau beobachten
und gegebenenfalls nachschärfen müssen .
Die Gelegenheit dazu liegt, wie bereits erwähnt, mit
dem elften Änderungsgesetz in greifbarer Nähe . Hierzu
wird für die SPD-Bundestagsfraktion auch gehören, den
Anteil der deutschen Weinwerbung an dem Stützungs-
programm spürbar anzuheben, um damit insbesondere
das Auslandsmarketing zu verstärken .
Mit dieser Gesetzesänderung setzen wir den Weg ei-
ner sehr praxisorientierten, behutsamen Weinbaupolitik
fort . Die SPD-Fraktion wird daher gerne zustimmen .
Roland Claus (DIE LINKE): Es gibt nicht viele poli-
tische Sachverhalte hier im Hohen Hause, bei denen man
sich so gut überfraktionell einigen kann wie beim Wein .
Aus diesem Grunde wird die Fraktion Die Linke auch in
diesem Jahr der Weingesetz-Novelle zustimmen .
Als Vertreter der beiden ostdeutschen Weinbauregio-
nen Saale/Unstrut in Sachsen-Anhalt und Thüringen und
Meißen an der Elbe in Sachsen habe ich mich zunächst –
das will ich hier nicht verhehlen – nach wie vor für eine
Zuwachsmöglichkeit von 0,5 Prozent (gleich 500 Hek-
tar) der Rebflächen eingesetzt. Nun ist es wieder bei den
0,3 Prozent geblieben . Entsprechend der Festlegung für
die Jahre 2016 und 2017 sollen nun auch für die Jah-
re 2018 und 2019 Neuanpflanzungen auf 0,3 Prozent der
deutschen Rebflächen begrenzt werden. Die Anpassun-
gen korrigieren redaktionelle Unsauberkeiten und aktua-
lisieren die Quote, um den Preis für vor allem herkunfts-
geschützte Weine zu stabilisieren . Gerade für uns Linke
ist es spannend, wie die Bundesregierung beim Weinbau
wacker verteidigt, was sie bei der Milch zum Leid der Er-
zeugerinnen und Erzeuger aufgab: Eine staatliche Men-
genregulierung zur Sicherung der regionalen Produktion
und der Preisstabilität . Auch wenn wir die Schizophrenie
nicht nachvollziehen können, teilen wir dennoch das Vor-
haben dieses Gesetzentwurfs .
Positiv daran zu bewerten ist, dass damit versucht
werden soll, den Weinmarkt weiterhin dauerhaft zu sta-
bilisieren . Des Weiteren wird somit auch der nationalen
Nachhaltigkeitsstrategie entsprochen – welches ebenso
vom Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwick-
lung des Deutschen Bundestages getragen wird .
In Bezug auf die Festlegungen der Schutzgemein-
schaften hoffen wir als Fraktion Die Linke, dass unserem
Ansinnen nach Abbau von Bürokratie Rechnung getra-
gen wird und nicht diesen unseren Forderungen zuwider-
gelaufen wird .
Nichtsdestotrotz freue ich mich, auch in meiner Funk-
tion als Mitglied des Parlamentarischen Weinforums,
dass wir auch in diesem Jahr wieder so lange verhandelt
haben, bis ein einvernehmlicher Kompromiss zustande
gekommen ist . Dafür möchte ich mich bei der Mit-Be-
richterstatterin und den Mit-Berichterstattern wie auch
bei den Mitgliedern im Parlamentarischen Weinforum
herzlich bedanken .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722666
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Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
Weinbau ist für zahlreiche ländliche Regionen ein bedeu-
tender Wirtschaftszweig . Er stärkt die regionale Wert-
schöpfung und schafft Arbeitsplätze auf dem Land. So
sind rund 17 000 Menschen insgesamt im Weinbau be-
schäftigt, viele davon in Winzerfamilien-Betrieben .
Wir sehen in den letzten Jahrzehnten gute Entwick-
lungen, die dafür gesorgt haben oder dazu beitragen, dass
unsere Winzerinnen und Winzer Preise erzielen, von de-
nen sie auch leben können .
Zum einen haben wir eine Qualitätsoffensive erlebt:
Junge Winzerinnen und Winzer konzentrieren sich auf
die Produktion von Qualitätswein und nehmen dafür we-
niger Ertrag in Kauf; sie bauen weniger Wein besser aus,
und nehmen ihre Standorte und Sorten ernst . Deutscher
Wein wird deshalb inzwischen weltweit geschätzt – und
erzielt entsprechend gute Preise .
Zur Qualitätsoffensive zählt auch der boomende
Ökoweinbau: Auch hier machen sich immer mehr Win-
zerinnen und Winzer auf den Weg, konsequent ökolo-
gisch und qualitätsorientiert zu wirtschaften .
Und der Weinbau wird zunehmend zu einem bedeu-
tenden Tourismusfaktor: Seit Jahren erfreut sich der
Weintourismus wachsender Beliebtheit . Besucherinnen
und Besucher schätzen die Kulturlandschaften mit ihren
Weinbergen, Terrassen und Trockenmauern und genie-
ßen die besondere Lebensqualität, die wir mit Wein ver-
binden und die die Regionen seit Hunderten von Jahren
prägen .
Und auch das ist mit dem Qualitätsweinbau verbun-
den: Die Steillagen und alten Wingerte lassen sich eben
nicht mit Massenertrag erhalten, sondern erfordern – al-
lein schon aufgrund ihrer Lage und geringen Größen –
eine Fokussierung auf Qualität, die dann auch die ent-
sprechend damit verbundene, oft noch manuelle Arbeit
entlohnen kann .
Die Qualität des Weins und seine Einbettung ist also
der entscheidende Faktor für die regionale Wertschöp-
fung . Unsere Aufgabe in der Politik ist es, die Rahmenbe-
dingungen so zu setzen, dass der Weinbau auch weiterhin
diese wichtigen Aufgaben in den Regionen erfüllen kann .
Für uns gilt also der einfache Grundsatz: Klasse statt
Masse . So können wir dazu beitragen, die Weinpreise
stabil zu halten und unseren Winzerinnen und Winzern
den Rücken zu stärken .
Mit der heute vorliegenden zehnten Änderung des
deutschen Weingesetzes gehen wir diesen Schritt ent-
schlossen weiter . Denn auch für Landwein wird ein bun-
deseinheitlicher Hektarhöchstertrag festgesetzt, sodass
nicht mehr beliebig viel Wein auf einer bestimmten Flä-
che produziert werden kann . Das ist ein wichtiger Schritt
Richtung stabiler Weinpreise .
Vor knapp zwei Jahren hat sich der Bundestag mit der
Frage beschäftigt, wie wir mit dem Auslaufen des euro-
paweiten Anbaustopps für Reben umgehen sollen . Hät-
ten wir nicht eine bundeseinheitliche strengere Regelung
gefunden, hätte die Rebfläche jährlich um 1 Prozent aus-
geweitet werden dürfen. Nach längeren Verhandlungen
hier im Bundestag und mit den weinbauenden Ländern
haben wir einen guten Mittelweg gefunden: der Ein-
schränkung der Neubepflanzungen auf 0,3 Prozent im
Qualitätsweinbau .
Heute steht die Fortschreibung dieser Einschränkung
zur Abstimmung. Vor dem Hintergrund der niedrigen
Fassweinpreise an einem sensiblen Markt ist es wichtig,
dass wir hier eine Regelung treffen, die für unsere Win-
zerbetriebe Klarheit und Planbarkeit bedeutet . Mit der
Fortschreibung bis einschließlich 2020 schaffen wir das
auch über den Wahlperiodenwechsel hinaus. Das findet
unsere ausdrückliche Zustimmung .
Wir müssen auch ein besonderes Augenmerk auf
den Strukturwandel der Winzerbetriebe legen . Um die
Vielfalt der Betriebe und ihrer Produkte zu erhalten
und auch jungen Menschen eine Perspektive im Wein-
bau zu geben, gilt es, kleinere Betriebe nicht zusätzlich
zu belasten . Das bedeutet auch: weniger bürokratische
Anforderungen für diejenigen, die den guten Wein an-
bauen und produzieren . Die in der vorliegenden zehnten
Änderung des Weingesetzes vorgesehene Anhebung der
Bagatellgrenze für die abgabepflichtigen Betriebe stärkt
kleinen Betrieben und Betrieben im Nebenerwerb den
Rücken . Und das ist gut so .
Wichtig ist jetzt ein starkes gemeinsames Signal in
diese Richtung aus dem Bundestag . So erhalten wir un-
seren Grundsatz „Klasse statt Masse“ unsere Kulturland-
schaften und wirtschaftlichen Potenziale in ländlichen
Regionen . Wir stimmen dem Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Weingesetzes deshalb zu .
Über die heute beschlossenen Regelungen hinaus
müssen wir aber auch an anderen Stellen dafür sorgen,
dass unsere Weinbaubetriebe unter guten Rahmenbedin-
gungen wirtschaften können .
Insbesondere der Steillagen- und Terrassenweinbau
prägt vielerorts in Deutschland die Kulturlandschaften
und trägt wesentlich zur Schönheit der Regionen bei .
Zwar bringen diese Lagen herausragende Weine hervor,
aber der vielfache Bearbeitungsaufwand gegenüber fla-
chen Lagen stellt den Fortbestand von Steillagen und
Weinterrassen betriebswirtschaftlich trotz guter Preise
zunehmend infrage .
Oft wirtschaften auf den schwierigen Lagen auch Ne-
benerwerbs- und Hobbywinzer, die zwar nicht auf hohe
Erträge angewiesen sind . Aber es ist auch darauf zu ach-
ten, dass noch ausreichend Haupterwerbsbetriebe vor Ort
sind, die die nötigen Maschinen haben, um Lohnarbeiten
in den Weinbergen auszuführen . Daher ist es von zen-
traler Bedeutung, dass die Haupterwerbsbetriebe wirk-
sam unterstützt werden und nötige Investitionen tätigen
können . In den Ländern wurden dazu gute Programme
eingerichtet, sowohl, was die Förderung der Steillagen-
bewirtschaftung betrifft, wie auch die Schaffung von In-
vestitionshilfen .
Für die Erhaltung des Kulturerbes Weinbau braucht es
aber auch weitere Ideen, die in die ländlichen Regionen
eingebunden sind – und die nur finanziert werden kön-
nen, wenn wir die Förderung für den ländlichen Raum
und für Regionalmarketing und Zusammenarbeit in der
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22667
(A) (C)
(B) (D)
Wertschöpfungskette von Anbau bis Tourismus und Gas-
tronomie weiter stärken .
Für die ökologisch wirtschaftenden Betriebe, die
derzeit 8 Prozent der Anbaufläche ausmachen, und all
diejenigen, die sich für eine Umstellung interessieren
und die jahrelange Umstellung mit Mehraufwand ohne
Mehrpreis auf sich nehmen wollen, braucht es planba-
re Bewirtschaftungsbedingungen . Dazu zählt zuvörderst
eine stabile EU-Rechtsgrundlage . Die Betriebe müssen
sich darauf verlassen können, dass die Bundesregierung
keiner Revision der Öko-Verordnung zustimmt, die den
ökologischen Weinbau unmöglich macht .
Und die Betriebe, die sich seit Jahren auf den Weg ge-
macht haben, und mit sehr viel weniger oder keinem Ein-
satz von Kupfer mehr arbeiten wollen, brauchen für den
Übergangszeitraum, bis andere Methoden zur Verfügung
stehen, die Rechtssicherheit, weiterhin Kaliumphospho-
nat einsetzen zu können, ohne dass sie danach wieder in
die Umstellung gehen müssen, und nicht eine chaotische
Situation ohne Rechtssicherheit wie im letzten Jahr, das
aufgrund der nassen Witterung fatal für den Ökoweinbau
war . Da hat sich auf Kosten der Ökowinzer gerächt, dass
Minister Schmidt die Forschung in alternativen Pflanzen-
schutz sträflich vernachlässigt hat.
Um den ökologischen Weinbau mittel- und langfristig
zu unterstützen, braucht es endlich ernsthafte Anstren-
gungen und entsprechende finanzielle Mittel für die For-
schung an alternativen Pflanzenschutzmaßnahmen und
die Züchtung von weiteren pilzresistenten Sorten .
Solange es keine Alternativen gibt, fordern wir die
Bundesregierung auf, sich bei der EU konsequent für
die Prüfung einer zeitlich und mengenmäßig begrenzten
Zulassung von Kaliumphosphonat im Ökoweinbau ein-
zusetzen .
Anlage 9
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Modernisie-
rung der Netzentgeltstruktur (Netzentgeltmoder-
nisierungsgesetz) (Tagesordnungspunkt 23)
Thomas Bareiß (CDU/CSU): Die Energiewende hat
unsere Erzeugungslandschaft massiv gewandelt: Wo es
früher einige wenige Hundert Erzeugungseinheiten nahe
der großen Verbrauchszentren gab, gibt es heute bereits
1,5 Millionen dezentrale Anlagen weit verteilt über un-
ser Land . Das hat Folgen: Mit zunehmendem Ausbau
der erneuerbaren Energien ist ein Ausbau der Stromnetze
dringend erforderlich . Der dezentral erzeugte Strom, vor
allem aus dem Norden, muss in die Verbrauchszentren
im Westen und Süden Deutschlands transportiert werden .
Am Netzausbau führt kein Weg vorbei .
Bis zum Jahr 2025 müssen daher fast 10 000 Kilo-
meter Übertragungsnetz um- und ausgebaut werden .
Investitionen von bis zu 50 Milliarden Euro sind erfor-
derlich . Hinzu kommt ein enormer Investitionsbedarf in
den Verteilernetzen. Das alles finanzieren die Stromver-
braucher über die Netzentgelte, die durch den enormen
Investitionsbedarf weiter ansteigen werden . Deshalb ist
es richtig, dass wir die Netzentgeltstruktur modernisie-
ren und auch die Verteilung der Kosten diskutieren. Das
Netzentgeltmodernisierungsgesetz ist ein erster Schritt in
diese Richtung .
Kern des vorliegenden Gesetzes ist die Abschaffung
der sogenannten vermiedenen Netzentgelte . Das sind
Bonuszahlungen der Netzbetreiber an Erzeugungsan-
lagen, die vermeintlich Netzausbau einsparen, weil sie
sich nahe am Verbrauch befinden. Vermiedene Netzent-
gelte werden sowohl an konventionelle und Kraft-Wär-
me-Kopplungsanlagen (KWK) als auch an erneuerbare
Erzeugungsanlagen gezahlt . Die Betreiber der erneuer-
baren Energien erhalten den Bonus nicht direkt, sondern
dieser fließt auf das allgemeine EEG-Konto. Die Betrei-
ber von erneuerbaren Erzeugungsanlagen haben also
durch das System der vermiedenen Netzentgelte weder
Vor- noch Nachteile.
Die von der Bundesregierung vorgesehene schrittwei-
se Abschaffung der vermiedenen Netzentgelte für alle
Anlagen muss jedoch im Rahmen der Gesetzesberatun-
gen gründlich geprüft werden . Hier sehen wir noch Än-
derungsbedarf .
Die Annahme, dass volatile erneuerbare Einspeiser
Netzausbau vermeiden, ist längst überholt . Im Gegenteil:
Sie verursachen den Netzausbau . Deshalb ist die Strei-
chung der vermiedenen Netzentgelte für volatile erneuer-
bare Energien richtig . Dadurch würden die Netzentgelte
direkt um 500 Millionen Euro entlastet, ohne dabei die
Finanzierung der erneuerbaren Anlagen zu gefährden .
Bei den steuerbaren Anlagen hingegen bedarf es einer
differenzierten Betrachtung. Denn steuerbare Anlagen,
insbesondere KWK-Anlagen, können systemdienlich
wirken und damit wirklich Netze entlasten. Vermiedene
Netzentgelte sind zudem Teil der Wirtschaftlichkeitsbe-
trachtung von KWK . Eine Streichung würde daher die
Existenz vieler Anlagen bedrohen . Damit würden wir die
Perspektive, die wir für die KWK in mühsamen Verhand-
lungen bei der letzten Gesetzesnovelle errungen haben,
zunichtemachen . Wir werden daher auf Änderungen im
Sinne von steuerbaren Anlagen drängen .
Das eigentliche Topthema dieses Gesetzesvorhabens
ist die Vereinheitlichung der Übertragungsnetzentgelte,
auch wenn sie nicht Bestandteil des Gesetzentwurfs ist .
Hintergrund für die Forderung ist das Auseinanderfallen
der Netzentgelte in den Regelzonen der vier Übertra-
gungsnetzbetreiber . Ich will an dieser Stelle ausdrücklich
betonen, dass dies kein Ost-West-Problem ist . Bayern
oder Niedersachsen sind beispielsweise genauso von hö-
heren Netzentgelten betroffen wie die neuen Bundeslän-
der .
Mit zunehmendem Ausbau der erneuerbaren Ener-
gien steigen der Netzausbaubedarf sowie die Netzma-
nagementmaßnahmen zum Erhalt der Stabilität im Über-
tragungsnetz . Damit kommt es zu einer zunehmenden
Spreizung der Netzentgelte zwischen den vier Übertra-
gungsnetzbetreibern, auch wenn manche Bestandteile
der Übertragungsnetzentgelte, wie Erdkabel und Offsho-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722668
(A) (C)
(B) (D)
re-Anbindung, bereits heute bundeseinheitlich gewälzt
werden . Das spüren vor allem große Stromverbraucher
wie zum Beispiel die Industrie .
Eine Vereinheitlichung ist lediglich eine Kostenvertei-
lung und keine Kostenbegrenzung . Ohne Kompromisse
wird es immer Verlierer geben. Daher sollten wir sach-
lich nach einem tragfähigen Kompromiss für alle Seiten
suchen, auch wenn dies nicht einfach wird .
Statt uns wieder einmal auf Verteilungsdebatten zu
fokussieren, sollten wir an die Wurzeln des Problems
gehen . Wir brauchen einen schnelleren Ausbau unserer
Netze . Dieser muss dringend umgesetzt werden . Zu oft
haben Länder wie Niedersachsen den Netzausbau in der
Vergangenheit blockiert. Das muss ein Ende haben.
Auch die erneuerbaren Energien müssen in Zukunft
netzverträglicher ausgebaut werden . Dezentrale Stro-
merzeugungsanlagen müssen zukünftig einen deutlich
stärkeren Beitrag an den Kosten der Netzinfrastruktur
tragen . Grundsätzlich muss gelten: Erneuerbare Energi-
en können nur dann ausgebaut werden, wenn der Strom
auch abtransportiert werden kann . Nur so kann die Ener-
giewende wirklich gerechter werden .
Jens Koeppen (CDU/CSU): Im Koalitionsvertrag
haben sich die regierungstragenden Parteien auf eine
faire Verteilung der energiewendebedingten Netzausbau-
kosten verständigt . Ich zitiere aus dem Koalitionsver-
trag: „Wir werden das System der Netzentgelte daraufhin
überprüfen, ob es den Anforderungen der Energiewende
gerecht wird . Die Koalition wird das System der Netzent-
gelte auf eine faire Lastenverteilung bei der Finanzierung
der Netzinfrastruktur überprüfen .“
Nun kann man sicherlich in Nuancen zu anderen Ein-
schätzungen kommen, was eine faire Lastenverteilung
ist . Man kann aber nicht, wie mit dem vorgelegten Ge-
setzentwurf geschehen, ernsthaft zu der Einschätzung
kommen, dass alles okay ist, wenn die Menschen in
Ostdeutschland deutlich überproportional belastet sind
und jede weitere Beteiligung an den Netzkosten im Be-
reich der Übertragungsnetze den Stromkunden in Nord-
rhein-Westfalen nicht zumutbar ist .
Es gab einen anderen, früheren Gesetzentwurf aus
dem BMWi, der die Problematik der Kostenverteilung
ernsthaft aufgegriffen hat. Jetzt allerdings gibt es diesen
Entwurf, für den Minister Gabriel noch zuständig war,
der ganz klar dem SPD-Wahlkampf in NRW geschuldet
ist und der keinen Lösungsansatz mehr beinhaltet . Die
versprochene Festlegung auf bundeseinheitliche Über-
tragungsnetzentgelte wurde diesem Wahlkampf skrupel-
los geopfert .
Wenn die Netzentgelte neu geordnet werden, gibt es
unter den Stromkunden Gewinner und Verlierer. Es fin-
det eine Umverteilung statt . Aber – das ist ganz wichtig
festzuhalten – diese Umverteilung hat nicht das Ziel, den
Menschen und den Unternehmern in Nordrhein-Westfa-
len ungerechtfertigterweise zusätzliche Kosten aufzubür-
den, sondern die Kosten endlich – nach 17 Jahren EEG –
im gesamten Bundesgebiet fair zu verteilen und nicht
hauptsächlich den Stromzahlern im Osten Deutschlands
aufzubürden .
Die Energiewende ist ein gesamtdeutsches Projekt,
und damit sind die Kosten gesamtdeutsch zu tragen . Wer
die Stromerzeugung umbauen will, muss auch in der
Lage sein, die Kosten dafür zu tragen . Die Energiewende
hat nun mal ihren Preis, und das ist auch lange bekannt .
Man kann nicht immer ehrgeizigere Ziele zum Umbau
der Energieversorgung formulieren und sich dann weg-
ducken, wenn es darum geht, über die faire Finanzierung
zu sprechen . Die Energiewende darf nicht nur ein politi-
sches Projekt sein, sondern sie muss von der gesamten
Gesellschaft getragen werden .
Ich halte es für einen riesengroßen Fehler, dass man
im Bereich der Energiewende seit nun fast zwei Jahr-
zehnten versucht, alles schönzureden, was die erneuer-
baren Energien betrifft. Die wirklichen Kosten der Ener-
giewende, die Folgen der Eingriffe in die Natur und das
Landschaftsbild, die Folgen auf die Versorgungssicher-
heit – bei der zunehmenden Abhängigkeit von Gas aus
unsicheren Drittstaaten –, die fehlende Akzeptanz und
die Sorgen der Bürger mit den zu geringen Abständen
von Windrädern zur Wohnbebauung und andere Frage-
stellungen werden schlichtweg negiert, beschönigt, und
jeder ernsthaften Debatte wird ausgewichen .
Dass die Reaktion aus NRW auf den ursprüngli-
chen Referentenentwurf dieses Gesetzes einem Hilferuf
gleichkommt, sollte uns aber Anlass zum Innehalten sein .
NRW argumentiert: Unseren Unternehmen können wir
die zusätzlichen Kosten nicht zumuten, das vernichtet
Arbeitsplätze bei uns in NRW . – Die Auswirkungen auf
den Osten Deutschlands und auf die künftige Beschäf-
tigungs- und Wettbewerbssituation sind gravierend, und
man nimmt eine Deindustrialisierung Ostdeutschlands
billigend in Kauf .
Es trifft zu, dass in den neuen Bundesländern ein ge-
ringerer Teil der Beschäftigten in der Industrie arbeitet .
Aber diese Arbeitsplätze einfach aufs Spiel zu setzen,
weil in NRW eine Wahl stattfindet, ist weder solidarisch
noch zukunftsorientiert . Diese Entsolidarisierung dürfen
wir nicht zulassen .
Deshalb kämpfen die CDU-Bundestagsabgeordneten
der ostdeutschen Landesgruppen auch konsequent dafür,
dass die Kosten der Übertragungsnetze bundesweit um-
gelegt werden . Sonst besteht die Gefahr, dass die Kosten-
frage die Menschen zunehmend gegen die Energiewende
aufbringt .
Wenn wir uns die Kostenunterschiede für die Strom-
netznutzung zwischen Ostdeutschland und Netzgebieten
in Nordrhein-Westfalen anschauen, wird die schon heu-
te bestehende Dramatik deutlich . Aus der Wissenschaft
und der Praxis liegen uns klare Zahlen vor . Beispielswei-
se zahlt eine Bäckerei in Brandenburg für ihren Strom
Netzkosten in Höhe von 8 000 Euro, eine vergleichbare
Backerei in NRW hat für die gleiche Strommenge Netz-
kosten von weniger als 3 000 Euro . Diese Unterschiede
sind energiewendebedingt, und diese Preisunterschiede
sind insbesondere für energieintensive Unternehmen rui-
nös und mittlerweile wettbewerbsverzerrend .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22669
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Bei Erd- und Seekabeln – die eher weniger in Ost-
deutschland vorgesehen sind – haben wir uns für eine
bundesweite Wälzung der Kosten entschieden . Was hier
vernünftig ist und was die Menschen in Ostdeutschland
auch mittragen, soll für Freileitungen nicht gelten? Das
ist in den neuen Bundesländern schwer zu erklären .
Der Osten Deutschlands hat nicht nur deutlich höhere
Netzkosten zu tragen, auch ein Großteil der Windräder
steht dort . Die Akzeptanzprobleme werden stark unter-
schätzt . Mitnichten ist es zudem so, dass durch die er-
neuerbaren Energien enorme Wertschöpfungsketten
entstanden sind und die Gewerbeeinnahmen in den Ost-
kommunen sprudeln . Es sind Arbeitsplätze entstanden,
aber diese sind in ganz Deutschland entstanden und nicht
unbedingt dort, wo die erneuerbaren Anlagen hauptsäch-
lich errichtet wurden .
Wenn uns die Kosten der Energiewende zu hoch sind
und wir sie den Stromkunden in Nordrhein-Westfalen
nicht zumuten können, dann kann diese Einschätzung
durchaus schlüssig sein . Aber dann können wir diese
hohen Kosten auch den Stromkunden in anderen Teilen
Deutschlands nicht zumuten . Dann führt uns die Analyse
dorthin, dass wir für die Energiewende ein Moratorium
brauchen, um die Vorhaben insgesamt neu zu bewerten.
Ich hoffe, wir werden im Rahmen der nun anstehen-
den Diskussionen uns auf eine faire Entgeltsystematik
einigen und endlich die hohen finanziellen Lasten für die
Stromkunden in Ostdeutschland auf Gesamtdeutschland
aufteilen .
Johann Saathoff (SPD): Für die heutige erste Le-
sung des Netzentgeltmodernisierungsgesetzes möchte
ich ein Bild nutzen, das ich schon mehrmals hier am
Pult genutzt habe, wenn es um die Energiewende ging .
Es ist das Bild des Balles, den man auf der Fingerspitze
balanciert . Man muss stets nachjustieren, damit er nicht
herunterfällt . Und so ist es auch bei der Energiewende .
Seit der letzten Bundestagswahl gab es zwei EEG-No-
vellen nebst kleineren Korrekturen, das Strommarktge-
setz, das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende,
eineinhalb KWK-Novellen und den Vorrang für Erdkabel
bei Gleichstromleitungen . Immer wieder haben wir nach-
gesteuert, weil es Bedarf dazu gab .
Wat nich greit of bleiht, dat geiht torügg’ – Stillstand
ist Rückschritt, ist hier das Motto . Und wir können schon
heute absehen, dass uns viele dieser Themen in nicht all-
zu ferner Zukunft wieder beschäftigen werden .
Mit dem vorliegenden Gesetz, dem NEMOG, wie es
abgekürzt so schön heißt, steuern wir wieder etwas nach .
Zum einen geht es im NEMOG um die Abschaffung der
vermiedenen Netzentgelte . Ich gebe zu: Zu verstehen,
was die vermiedenen Netzentgelte sind, hat bei mir etwas
gedauert . Zu erklären, was die vermiedenen Netzentgel-
te sind und was der Sinn dahinter ist, überlasse ich gern
meinen Nachrednern .
Klar ist aber: Die vermiedenen Netzentgelte dienen
nicht mehr dem Zweck, mit dem sie geboren wurden .
Und sie spielen bei erneuerbaren Anlagen eine unterge-
ordnete Rolle; denn sie werden in der 20-jährigen Zeit
der Vergütungszahlung nicht an die Betreiber ausgezahlt,
sondern fließen direkt ins EEG-Konto. Deshalb hat ein
Wegfallen der VNE hier überschaubare Folgen.
Ganz anders ist das bei Erzeugern, die nicht auf Sonne
oder Wind basieren. Hier sind die VNE ein wichtiger Teil
der Vergütung. Und genau deshalb stellt sich für meine
Fraktion an diesem Punkt im Kabinettsbeschluss noch
eine ganze Reihe von Fragen, die wir in den parlamen-
tarischen Beratungen klären wollen . Das gilt sowohl für
das Abschmelzen wie auch für das Einfrieren der ver-
miedenen Netzentgelte . Denn immerhin gestehen wir der
KWK bei der Erreichung unserer Klimaziele eine wichti-
ge Rolle zu, die wir gerade erst mit einer KWK-Novelle
untermauert haben . Wenn wir jetzt über eine Abschaf-
fung der VNE reden und keine überzeugende Alternative
anbieten, sendet das in meinen Augen völlig falsche Si-
gnale . Und da für dieses Jahr ohnehin eine große Evalu-
ierung der KWK geplant ist, sollten wir an diesem Punkt
besser nichts überstürzen .
Auf der Stromrechnung eines Normalbürgers finden
sich 6 bis 7 Cent an Netzentgelten pro Kilowattstunde .
Das kann variieren, denn das hängt auch von den Ge-
gebenheiten im örtlichen Verteilnetz ab. Durch eine
Abschaffung der vermiedenen Netzentgelte würden die
Netzentgelte aber in jedem Fall sinken, weil die vermie-
denen Netzentgelte über die Netzentgelte finanziert wer-
den .
Wenn wir über eine Vereinheitlichung der Netzentgel-
te auf Übertragungsebene sprechen, geht es nicht um die
gesamten 6 bis 7 Cent, sondern um nur rund ein Viertel
davon, denn die Netzentgelte setzen sich aus den Kosten
auf den unterschiedlichen Ebenen des Stromnetzes zu-
sammen .
Die Netzentgelte auf Übertragungsebene sind vor al-
lem für industrielle Großverbraucher bedeutsam . Hier
schlagen die zum Teil erheblichen Erhöhungen der Über-
tragungsnetzbetreiber dieses Jahr voll durch . Die Kla-
gen über Standortnachteile aufgrund hoher Netzentgelte
gerade in den neuen Bundesländern kann ich schon ein
Stück weit nachvollziehen . Deshalb hat sich ja auch der
Bundesrat für eine Vereinheitlichung ausgesprochen. Wir
werden also auch diesen Punkt noch zu beraten haben .
Man muss sich eben immer vor Augen führen: Die
Energiewende ist ein mindestens gesamtdeutsches Pro-
jekt mit generationenübergreifender Bedeutung . Deshalb
ist es auch folgerichtig, dass die Kosten der Energiewen-
de auf möglichst viele Schultern verteilt werden .
Im Fall der Netzentgelte auf Übertragungsebene ist
das momentan eben noch nicht so . Der Zuschnitt der
vier Regelzonen in Deutschland ist nun mal so, dass
nur zwei der vier ÜNB Nord- und Ostsee abdecken .
Der Strom der Offshorewindkraft wird aber ganz sicher
in ganz Deutschland benötigt; es scheint also nicht ge-
recht, dass nur Einwohner aus zwei Regelzonen für die
Offshorenetz anschüsse zahlen.
Im Agrarausschuss des Deutschen Bundestages ist ei-
nes meiner Hauptthemen die Politik für die ländlichen
Räume . Ländliche Räume sind da, wo wenig Menschen
leben . Den existierenden Unterschied zwischen Stadt
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722670
(A) (C)
(B) (D)
und Land können Sie auch an Netzentgelten ablesen .
Der Anteil der ländlichen Räume in den Regelzonen
der Übertragungsnetzbetreiber ist ungleich verteilt . Die
Energiewende findet in den ländlichen Räumen statt. Na-
turgemäß sind die Netzentgelte dort höher .
Aber es gibt auch Vorteile. Ich komme aus einem sol-
chen ländlichen Raum . Die Energiewende hat der struk-
turschwachen Region Ostfriesland enorm geholfen . Wir
haben dadurch viel Wertschöpfung generiert . Ich bin
stolz darauf, dass wir bei der weiteren Ausgestaltung der
Energiewende voranschreiten .
Die Kluft zwischen Ballungsgebieten und ländlichen
Regionen wollen wir zum Beispiel dadurch verringern,
dass wir es ermöglichen, dass die Energiewende ein
Stück weit in den urbanen Zentren stattfinden kann. Wie
Sie wissen, läuft innerhalb der Bundesregierung gerade
der Abstimmungsprozess für ein Mieterstromgesetz . Wir
wollen, dass auch Menschen ohne das eigene Dach über
dem Kopf mehr Anteil an der Energiewende haben sol-
len als über die Zahlung der EEG-Umlage . Durch die-
se gerechtere Verteilung des Nutzens der Energiewende
steuern wir ebenfalls nach, halten also den Ball auf der
Fingerspitze .
Und da ich gerade bei Gerechtigkeit bin: In der kom-
menden Legislaturperiode werden wir auch über eine
gerechtere Verteilung der Lasten der Energiewende spre-
chen . Dieses Thema beschäftigt uns schon seit einigen
Monaten, und ich bin mir sicher, dass sich in der nächs-
ten Periode dort etwas bewegen wird . Das wird dann
einhergehen mit einer Reform der Netzentgelte; denn die
Finanzierungsfragen lassen sich kaum davon trennen .
Wenn wir zum Beispiel an die Sektorkopplung denken,
gibt es große Überschneidungen .
Ich möchte aber noch auf einen anderen zentralen
Punkt eingehen, der direkten Einfluss auf die Netzentgel-
te hat . Ein wesentlicher Treiber der ausbaubegrenzenden
Maßnahmen des EEG 2017 waren die Kosten des Netz-
engpassmanagements . Durch den Netzausbau werden
diese Kosten irgendwann nicht mehr anfallen . Der Netz-
ausbau ist wichtig, und er muss zügig voranschreiten,
obwohl ich gerade beim größten ÜNB noch ein gewisses
Optimierungspotenzial sehe .
Aber wir müssen auch über Maßnahmen sprechen,
die uns in den nächsten zehn Jahren ein Entlastungspo-
tenzial bieten . Es geht also um innovative Maßnahmen
beim Netzbetrieb, durch die der geplante Netzausbau
keinesfalls infrage gestellt werden soll, die aber alles in
allem höhere Übertragungsraten liefern, um im digitalen
Jargon eine Anleihe zu nehmen . Es gibt dort eine ganze
Reihe vielversprechender Ansätze . Diese wollen wir uns
in den nächsten Monaten genauer anschauen, auf ihr Po-
tenzial prüfen und gegebenenfalls auch schnellstmöglich
umsetzen .
Jetzt beraten wir aber erst mal das NEMOG . Ich freue
mich darauf .
Ralph Lenkert (DIE LINKE): Das ist schon ein star-
kes Stück, was sich die Koalition mit diesem Gesetzent-
wurf leistet . Wir alle kennen den Referentenentwurf aus
dem Ministerium, der war gar nicht so schlecht . Und dann
streicht das Ministerium aus dem Entwurf den wichtigs-
ten und auch noch vernünftigen Punkt der Angleichung
der Netzentgelte für die Übertragungsnetze . Sie hätten
konsequenterweise auch gleich den Titel des Gesetzes
ändern sollen; denn das, was hier jetzt übrig ist, ist ein
Gesetz zur Abschaffung der vermiedenen Netzentgelte.
Und nicht mal in dem kümmerlichen Rest nehmen Sie
von der Koalition die Realitäten wahr und zeigen so, wie
wenig Sie vom Umbau des Energiesystems für eine ech-
te Energiewende mit 100 Prozent erneuerbarer Energie
verstehen .
Ich fange von vorn an .
Erstens . Ich erinnere an die Plenardebatte zu unserem
Antrag zu bundeseinheitlichen Netzentgelten . Da sprach
der Kollege Dirk Becker von der SPD, bezogen auf das
Problem der immer größeren Spanne bei den Netzentgel-
ten, die zwischen 4 Cent in Düsseldorf und 10 Cent im
Havelland betragen, ich zitiere: „Das Problem ist ange-
kommen, es steht auf der Agenda der Großen Koalition,
und wir werden es entsprechend lösen .“ Das war im No-
vember 2014 . Mit Hinweis auf ihren Koalitionsvertrag
hat die Große Koalition mehrfach angekündigt, das Pro-
blem anzugehen . Jetzt sind zweieinhalb Jahre vergangen,
ihre Regierungszeit läuft ab, und das Problem besteht
noch immer . Die Koalition hat sich erpressen lassen oder
will im Hinblick auf die Wahlen Rücksicht auf bestimmte
Regionen nehmen, in denen die Angleichung der Netz-
entgelte zu leichten Erhöhungen führen würde . Dabei ist
ihr die unsoziale Benachteiligung der ländlichen Räume
der Bundesrepublik wurscht . Die Koalition hat versagt .
Zweitens. Mit der Abschaffung der vermiedenen Netz-
entgelte meint die Koalition, einen großen Kostentreiber
der Netzentgelte auszuschalten. Vermiedene Netzentgel-
te sind eine Prämie für dezentrale Stromerzeugungsanla-
gen, weil sie theoretisch den Strom dort erzeugen, wo er
gebraucht wird, und damit die Netze entlasten . Dezen-
trale Stromerzeugungsanlagen sind Solar- und Windan-
lagen und auch Blockkraftwerke, die Heizwärme und
Strom gleichzeitig erzeugen – KWK genannt . Doch statt
zielgenau Wildwuchs bei den vermiedenen Netzentgel-
ten zu entfernen, übt sich die Koalition im Kahlschlag .
Einerseits erkennen wir natürlich an, dass die ver-
miedenen Netzentgelte für Solar- und Windkraftanla-
gen inzwischen nicht mehr zeitgemäß sind . In diesem
Zusammenhang lohnt es sich auch, einmal darüber
nachzudenken, die Netzentgeltabrechnung nicht mehr
ausschließlich nach verbrauchten Kilowattstunden vor-
zunehmen, sondern auch die bereitgestellte Anschluss-
leistung einzubeziehen. Diese Vorschläge sind Ihnen von
der Koalition seit Jahren bekannt, aber auf darauf möchte
ich jetzt nicht näher eingehen .
Denn mit ihrem Kahlschlag-Gesetzentwurf will die
Koalition andererseits auch die vermiedenen Netzentgelte
für die Kraft-Wärme-Kopplung aufheben . Das wiederum
schadet der Energiewende . Ich will Ihnen das erläutern:
Die KWK-Anlagen sind das Rückgrat der Energiewen-
de . Ich muss Ihnen das so deutlich sagen, weil es ganz
offensichtlich ist, dass ein großer Teil der Koalition das
nicht verstanden hat oder nicht verstehen will . Denken
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22671
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(B) (D)
Sie einmal ein paar Jahre weiter . Dann stellen Sie sich die
Frage, wodurch bei Ihrem geplanten 80-Prozent-Anteil
von erneuerbarem Strom bei Dunkelheit und Windstil-
le die notwendige Leistung, die gesicherte Leistung im
Stromsystem bereitgestellt werden soll . Wollen Sie dann
teure zentrale Ersatzkraftwerke vorhalten? Das ist volks-
wirtschaftlich die teuerste Lösung; das lehnt die Linke
ab .
Denken Sie lieber wie wir an KWK-Anlagen . Die
haben schon heute eine installierte Leistung von über
30 Gigawatt . Diese KWK können, wenn sie über Heizpa-
tronen auch Überschussstrom im Wärmebereich nutzen
und netzdienlich Strom erzeugen, Netze entlasten und
Netzausbau reduzieren . Deshalb verdienen sie es auch
weiterhin, für real vermiedene Netzkosten entschädigt zu
werden und weiterhin vermiedene Netzentgelte zu erhal-
ten .
Aber die KWK wird von Ihnen allenthalben stief-
mütterlich behandelt . Es ist nicht verwunderlich, dass
insbesondere Stadtwerke mit mittleren KWK-Anlagen
zu Recht beklagen, dass ihre KWKs am Rande der Un-
wirtschaftlichkeit stehen . Die Förderpolitik der Großen
Koalition, aber auch der vorherigen Bundesregierung aus
Union und FDP ist durchweg darauf ausgerichtet, jegli-
che Infrastruktur, die einer dezentralen Energiewende
dienlich wäre, vielleicht sogar noch von kommunalen
Unternehmen betrieben werden könnte, zu verhindern .
Wir lehnen den Gesetzentwurf ab, und zwar nicht nur
wegen der vom Ex-SPD-Wirtschaftsminister Gabriel
aus dem Gesetzentwurf herausgestrichenen Vereinheitli-
chung der Übertragungsnetzentgelte, sondern auch we-
gen des Anschlags auf die KWK-Anlagen, die für die
Energiewende unverzichtbar sind .
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der
Gesetzentwurf der Bundesregierung zu Netzentgelten
trägt seinen Namen völlig zu Unrecht. Von wegen Netz-
entgeltmodernisierung! Von den angekündigten tiefgrei-
fenden Reformen bei den Netzentgelten ist nur ein Torso
übrig geblieben . Das ist keine Reform und nicht einmal
ein Reförmchen .
Die Flexibilisierung der Stromabnahme bleibt auf der
Strecke, und auch eine längst überfällige Regelung zu
einheitlichen Übertragungsnetzentgelten ist aus dem Ge-
setzentwurf wieder rausgeflogen. Geblieben ist nur die
Abschaffung der vermiedenen Netzentgelte – und das,
ohne eine notwendige Kompensation für die Kraft-Wär-
me-Kopplung (KWK) zu schaffen. Das bringt uns bei
Netzentgelten und einer verursachergerechten Finan-
zierung des Netzes kaum weiter und konterkariert alle
Bemühungen, die KWK als Beitrag zum Klimaschutz
endlich im notwendigen Umfang auszubauen .
Und das ist schon irre, was Sie da mit der KWK ma-
chen . Bei der letzten KWKG-Novelle war eine der Be-
gründungen, warum Vergütungssätze gerade für die klei-
ne, dezentrale KWK nicht angepasst werden, dass die
über Einnahmen aus vermiedenen Netznutzungsentgel-
ten verfügen . Genau die streichen Sie jetzt . Das passt zu
Ihrem jahrelangen Kreuzzug gegen die dezentrale KWK,
die zwar für Sonntagsreden beim Klimaschutz im Ener-
giesektor gut ist, aber immer dann, wenn es konkret wird,
ausgebremst wird .
Eine Reform des Netzentgeltsystems müsste eine
Flexibilisierung von Erzeugung und Verbrauch und eine
gerechte Verteilung der Kosten bewirken. Das wäre
Netz entgeltmodernisierung . Was wir brauchen, ist ein
Netzentgeltsystem, das die richtigen Anreize für eine
flexible Abnahme und Systemdienlichkeit setzt, um das
Netz entscheidend zu entlasten . Nur so könnte Netzaus-
bau vermieden und könnten unnötige Redispatchkosten
eingespart werden . Das heutige System aber setzt keiner-
lei Anreize für eine flexible Stromabnahme. Im Gegen-
teil .
Ungerechtfertigte Netzentgeltprivilegien müssen end-
lich abgeschafft werden. Private Stromkunden haben
über die Netzentgelte in den letzten vier Jahren Milliar-
den Industriesubventionen bezahlt, ohne dass es dafür
eine Gegenleistung gab . Im Gegenteil: Die Belastung
und damit die Kosten des Stromnetzes wurden durch
Netzentgeltermäßigungen zum Teil sogar noch höher .
Mit rund 6 bis 8 Cent pro Kilowattstunde machen die
Netzentgelte inzwischen ein Viertel des Strompreises für
private Verbraucher aus. Große Teile der Industrie, aber
auch Golfplätze und Ähnliches zahlen deutlich geringere
Stromnetzentgelte als private Verbraucher. Seit der Ein-
führung wird diese Subvention immer damit gerechtfer-
tigt, dass die Unternehmen durch „atypisches Nutzungs-
verhalten“ das Stromnetz entlasten . Das aber ist nicht
richtig: Durch die Netzprivilegien wird das Stromnetz
teilweise sogar be- statt entlastet .
In der jetzigen Fassung nutzt das NEMOG niemanden .
Es ist lediglich ein weiterer Knüppel, der den KWK-Be-
treibern zwischen die Beine geworfen wird . Dem wird
sich die grüne Bundestagsfraktion entgegenstellen und
im Rahmen der Beratungen entsprechende grundlegende
Änderungen einfordern . So sehen wir es als erforderlich
an, dass der Gesetzentwurf grundlegend überarbeitet
wird .
Wir Grüne fordern, dass die Streichung der vermie-
denen Netzentgelte zwingend an eine vollständige Kom-
pensation für die KWK-Anlagen gekoppelt wird .
Ungerechte Netzentgeltprivilegien müssen endlich
abgeschafft werden.
Die Netzentgelte müssen endlich so ausgestaltet wer-
den, dass sie echte Flexibilitätsanreize für eine system-
dienliche Abnahme schaffen, damit das Netz entlastet
wird .
Wir hoffen, dass sich die Große Koalition bei den Be-
ratungen über dieses Gesetz noch einen Ruck gibt und
das reinschreibt . Sonst können wir am Ende festhalten,
dass diese Koalition im Hinblick auf die seit Jahren
überfällige Reform der Netzentgelte nichts auf die Ket-
te gebracht hat . Das aber ist ein weiterer Bremsklotz für
eine erfolgreiche und kostengünstige Energiewende . Das
hinterlassen Sie – wie so vieles – der nächsten Bundesre-
gierung, und wir haben wertvolle Jahre durch die großko-
alitionäre Selbstblockade verloren .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722672
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Anlage 10
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Än-
derung des Gesetzes über den Deutschen Wetter-
dienst (Tagesordnungspunkt 24)
Günter Lach (CDU/CSU): Der Blick der meisten
Menschen am Morgen eines jeden Tages gilt dem Wet-
ter . Denn es gibt kaum einen Bereich unseres Lebens, der
nicht durch das Wetter und das Klima beeinflusst wird.
Dies gilt für Nutzer aus Land- und Forstwirtschaft, Bau-
wesen, Gesundheitswesen genauso wie für den Bereich
Verkehr, Wasserwirtschaft mit Hochwasserschutz, Um-
welt, Naturschutz und Wissenschaft .
Mit diesen vielfältigen Informationen versorgt uns der
Deutsche Wetterdienst (DWD) zuverlässig bereits seit
1952 . Neben dieser Kernaufgabe hält der DWD viele
weitere meteorologische Dienstleistungen für uns bereit .
Er ist als nationaler meteorologischer Dienst der Bundes-
republik Deutschland mit seinen Wetter- und Klimain-
formationen im Rahmen der Daseinsvorsorge tätig . Der
DWD versorgt uns mit Wissenswertem rund um das Wet-
ter und ist für die meteorologische Sicherung der Luft-
und Seeschifffahrt zuständig.
In seiner Verantwortlichkeit liegt auch eine der wich-
tigsten Aufgaben des DWD: die Herausgabe von amt-
lichen Warnung vor meteorologischen Ereignissen und
Wettererscheinungen . Die extremen Wetterlagen der letz-
ten Jahre machen deutlich, dass diese Arbeit des DWD
von besonderer Bedeutung ist . Dies gilt insbesondere für
unsere moderne Gesellschaft, in der die Verwundbarkeit
weltweit vernetzter Verkehrswege und wichtiger Infra-
strukturen durch Wettererscheinungen Gefahren für die
öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen können.
Nun hat die Bundesregierung eine Novelle des
DWD-Gesetzes vorgelegt . Darin werden die Aufgaben
des DWD modernisiert und die Verbreitung von meteo-
rologischen Informationen zur Sicherung von Verkehrs-
wegen und wichtigen Infrastrukturen ermöglicht . Wich-
tige Umwelt- und Klimabeobachtungsaufgaben werden
nun in den Aufgabenkatalog mit aufgenommen .
Das Hauptziel des Gesetzentwurfes ist die Möglich-
keit, eine Abgabe von meteorologischen Dienstleistungen
und Produkten entgeltfrei zu ermöglichen . Als nationaler
Wetterdienst erfasst, bewertet und überwacht der DWD
die physikalischen und chemischen Prozesse in unserer
Atmosphäre . Als meteorologischer Ansprechpartner in
Deutschland für alle Fragen zum Wetter und Klima bietet
er eine reichhaltige Palette von Dienstleistungen für die
Allgemeinheit an und betreibt das nationale Klimaarchiv .
Mit der Erfassung der wissenschaftlichen Daten und sei-
ner Forschungsarbeit ist der DWD außerdem Teil eines
weltumspannenden Netzes der Meteorologie und vertritt
die Bundesrepublik Deutschland in zahlreichen nationa-
len und internationalen Gremien .
Mit hohem technischem Aufwand fließen verschie-
denste Informationen vom Wettersatelliten und Wetter-
ballon bis zur automatischen Messboje auf dem Atlantik
zusammen und werden verarbeitet .
Diese hochwertigen Geodaten und Leistungen sollen
durch den Gesetzentwurf nun entgeltfrei im Geoportal
bereitgestellt werden . Damit werden Informationen des
Öffentlichen Dienstes einer breiten gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen Nutzung zugeführt . Dienstleister
können diese hochwertigen Daten für neue Geschäftsfel-
der verwenden und entscheidende Zukunftstechnologien
entwickeln . Für viele kleine und mittelständische Un-
ternehmen werden neue Geschäftsmodelle so erst wirt-
schaftlich, da keine Beschaffungskosten oder Nutzungs-
lizenzen mehr zu beachten sind . Die bereits etablierten
Geschäftsmodelle werden kostengünstiger und können
beispielsweise durch die Kombination von klimatologi-
schen und meteorologischen Daten mit anderen Informa-
tionen auf neue Geschäftsfelder – auch mit internationa-
ler Perspektive – weiterentwickelt werden .
Damit folgt der Gesetzentwurf der Bundesregierung
einer Forderung aus der Digitalen Agenda der Bundes-
regierung, die Rahmenbedingungen für einen effektiven
und dauerhaften Zugang zu öffentlich finanzierten Daten
zu verbessern .
Des Weiteren erfolgt mit der vorgesehenen Gesetzes-
änderung auch eine Modernisierung des Aufgabenkata-
logs des Deutschen Wetterdienstes . Der Aspekt der Kli-
ma- und Umweltbeobachtung wird ausdrücklich genannt
und somit auch beim DWD-Gesetz seiner gesellschaftli-
chen Bedeutung gemäß dokumentiert . Die klimatologi-
schen Dienste mit der langfristigen Wetterbeobachtungen
unterstützen Wissenschaft, Forschung und Politik bei ih-
ren Bemühungen, den Klimawandel aufzuhalten .
Wichtigste Aufgabe des Deutschen Wetterdienstes ist
und bleibt die Bereitstellung von Wetter- und Klimain-
formationen für die Allgemeinheit im Sinne der Daseins-
vorsorge . Wir wollen, dass die Daten und das Wissen der
Behörde uneingeschränkt zum Schutz von Gesellschaft,
Umwelt und Gesundheit eingesetzt werden können .
Mit seinen detaillierten Wetterinformationen gibt der
DWD rechtzeitig Warnungen vor bedrohlichen Wetterla-
gen . Damit unterstützt er maßgeblich die Arbeit unserer
Katastrophenschutzbehörden .
Wie verletzlich unsere moderne Gesellschaft ist, in der
Verkehrswege und auch die Infrastruktur für Kommuni-
kation und Energie eng vernetzt sind, hat sich bereits in
der Vergangenheit gezeigt.
Denken wir zum Beispiel zurück an das Jahr 2007, in
dem der Orkan Kyrill mit Windböen von fast 200 km/h
Spitzengeschwindigkeit Deutschland traf . Hier hatte der
DWD schon Tage vorher Warnungen vor dem schweren
Orkantief herausgegeben und die Öffentlichkeit über die
Medien informiert . Über die speziellen Wetterwarnsyste-
me waren Katastrophenschützer, Polizei, Feuerwehr und
Technisches Hilfswerk gut vorbereitet . Die schlimmsten
Verwüstungen durch diese zerstörerische Kraft des Or-
kans konnten so verhindert werden .
Oder auch die Starkniederschlagsereignisse, die zu
Hochwasser an Elbe und Donau im August 2002 und
Mai/Juni 2013 führten, sowie die Sturzfluten im Mai/
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22673
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Juni 2016 . Die Bedeutung von Wetter- und Klimaereig-
nissen hat sich auch bei Luftverfrachtungen wie durch
den Vulkanausbruch des Eyjafjallajökull auf Island im
April 2010 gezeigt .
Umso wichtiger sind die frühzeitigen Warnungen des
Deutschen Wetterdienstes . Dazu gehören auch beispiels-
weise die hohen Schneefälle, Nassschneefälle und Stür-
me, die zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen im Novem-
ber 2005 zu Vereisung und Bruch von Stromleitungen
mit tagelangem Stromausfall führten .
Damit Bürgerinnen und Bürger die Warnungen des
DWD besser verstehen und nachvollziehen können ist es
unerlässlich, dass sie sich jederzeit ein qualifiziertes Bild
von der Wetterlage machen können . Das ist nur möglich,
wenn Karten, Radarfilme und Vorhersagen jederzeit ein-
sehbar sind .
Klar ist dabei eines: Der Deutsche Wetterdienst wird
dabei selbst nicht zum Marktteilnehmer und steht auch
nicht in Konkurrenz zu privaten Wetterdienstleistern .
Das werden wir uns im laufenden Gesetzgebungsverfah-
ren auch genau ansehen .
Der Gesetzentwurf ist insgesamt zu begrüßen . Denn
er modernisiert die Aufgaben des Deutschen Wetter-
dienstes . So wird die Allgemeinheit mit wichtigen Wet-
terwarnungen sowie umwelt- und klimaschutzrelevanten
Informationen versorgt . Darüber hinaus erhält die Privat-
wirtschaft nun entgeltfreien Zugriff auf Daten und Pro-
dukten aus der Arbeit der Behörde . Mit seinen Leistun-
gen sorgt der DWD jeden Tag dafür, dass unsere Städte
und Gemeinden auf bestmögliche Weise über bevorste-
hende mögliche Gefahrensituationen durch Wetterlagen
vorbereitet sind . Daher brauchen wir die Arbeit des nati-
onalen Wetterdienstes .
Arno Klare (SPD): Das Wetter ist wichtig . Fast jeder
hat eine oder mehrere Wetter-Apps auf seinem Smart-
phone . Damit ist man jederzeit bestens informiert, ob
man den Schirm mitnehmen sollte oder ihn zu Hause
lassen kann, ob die dicke oder dünne Jacke vom Haken
genommen wird oder die Grillparty am kommenden Wo-
chenende stattfinden kann.
Doch es geht um mehr: Je größer der Anteil volatiler
Energie im Netz ist, desto exakter – ja, fast auf die Minu-
te genau – müssen wir wissen, wo und vor allem in wel-
cher Stärke der Wind weht . Man kann die Kraftwerke,
die angesichts einer Flaute zugeschaltet werden müssen,
nicht wie ein häusliches Elektrozusatzöfchen anknipsen;
es braucht Vorlauf von Stunden, besser von einem Tag.
Die meteorologischen Daten müssen exakt sein, re-
gional spezifisch und valide. Das alles organisiert seit
Jahrzehnten der Deutsche Wetterdienst, kurz DWD . Der
DWD hat die gesetzliche Aufgabe, die Bevölkerung vor
Unwettern zu warnen . Das gehört zweifelsohne zur Da-
seinsvorsorge .
Seit einiger Zeit gibt es beim DWD den Geschäftsbe-
reich KU, gleich Klima – und Umwelt . Dazu gehören die
wichtigen Unterabteilungen Klima- und Umweltbera-
tung, Klimaüberwachung sowie die beiden Felder Agrar-
und Hydrometeorologie . Insofern ist es konsequent, das
DWD-Gesetz dem ohnehin vollzogenen erweiterten
Aufgabenspektrum anzupassen . Das geschieht erkenn-
bar: An vielen Stellen im Gesetz steht jetzt der Begriff
„Klima“ . Dass die Aufgabenerweiterung im Gesetz kodi-
fiziert wird, ist zu begrüßen.
Strittig ist allein § 6 Absatz 2a . Hier haben sowohl
die privatrechtlichen Wetterdienstleister als auch – in
der Folge dieser Kritik – der Bundesrat Bedenken ange-
meldet . In der Tat sollte der § 6 Absatz 2a noch einmal
kritisch hinterfragt werden . Hier geht es, um es konkret
zu machen, um die semantische Wirkungsreichweite des
Begriffs „Leistungen“. Sind damit endnutzerfähige Pro-
dukte gemeint oder lediglich Rohdaten? Der Minister hat
auf eine so lautende Frage hier im Plenum geantwortet,
dass der DWD nicht plane, endnutzerfähige Produkte auf
den Markt zu bringen, die über die definierten Aufgaben
hinausgingen . Es wird im parlamentarischen Diskurs da-
rüber zu sprechen sein, wie diese richtige Position mit
mehr Klarheit als bisher im Gesetz formuliert werden
muss .
Ralph Lenkert (DIE LINKE): Der Deutsche Wetter-
dienst (DWD) ist als Dienstleister und Warndienst vor
eventuell katastrophalen Wetterereignissen Teil der öf-
fentlichen Daseinsvorsorge und deshalb eine zu Recht
steuerfinanzierte Institution des Bundes. Der Wetterpro-
gnosemarkt hat sich in den vergangenen Jahren vielfältig
entwickelt, insbesondere was Onlinewetterdienstleister
angeht . Somit unterzieht sich selbst die Wettervorhersa-
ge heute häufig den Mechanismen der Marktwirtschaft.
Fast alle der derzeit auf dem Markt tätigen Wetter-
dienstleister haben eines gemeinsam: Sie beziehen Aus-
gangsdaten für ihre Prognosen und Wetterprodukte vom
DWD. Vor wenigen Jahren forderten private Wetterpro-
gnostiker deshalb sehr häufig, der DWD solle seine Daten
kostenfrei zur Verfügung stellen. Man argumentierte mit
Wettbewerbsnachteilen der privaten Wetterprognoseer-
steller . Mit dem Gesetz über den Deutschen Wetterdienst
ist bislang klargestellt, dass der DWD als Institution des
öffentlichen Rechts seine Daten nicht kostenlos an priva-
te Firmen zur gewinnbringenden Verwertung weiterge-
ben darf. Daten, die mit einer kostspieligen, steuerfinan-
zierten Infrastruktur ermittelt wurden, werden zu Recht
nicht kostenlos an private Wetterdienstleister abgegeben .
Und trotzdem entwickelte sich ein erfolgreicher privater
Wetterprognosemarkt in der heutigen Vielfalt. Dabei gibt
es im umkämpften Markt der Wetterdienstleister nur eine
Chance: mit Qualität und Genauigkeit zu bestehen .
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf stehen wir nun
vor der Situation, dass dieselben Wetterunternehmen, die
vor Jahren laut nach kostenlosen Daten riefen, heute die
kostenlose Verfügbarkeit von Wetterdaten für die Allge-
meinheit verhindern wollen, und zwar wiederum mit dem
Argument der Wettbewerbsverzerrung . Das kann man
nur als scheinheilig bezeichnen, und es ist ganz klar für
die Linke, dass eine Institution des öffentlichen Rechts
natürlich selbst als Wetterdienstleister mit einer kosten-
losen Wetterapp für die Bevölkerung auf dem Markt
erscheinen können muss . Erstens bezahlte die Bevölke-
rung ja die Erhebung der Daten bereits . Das Angebot des
DWD ist nicht kostenlos und wird es auch nach diesem
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722674
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Gesetz nicht sein . Die Menschen zahlen dafür Steuern .
Und zweitens ist der Schutz vor Wetterereignissen ein
Bestandteil der Daseinsvorsorge .
Die Linke begrüßt diesen Gesetzentwurf daher . Wir
sehen das Argument der Wettbewerbsverzerrung nicht;
denn letztendlich hat jedes Unternehmen, ob es privater
oder öffentlich-rechtlicher Natur ist, sich weiterhin den
Qualitätsansprüchen der Nutzerinnen und Nutzer der An-
gebote zu stellen .
Die meteorologische Prognostik liefert auch heute
keine eineindeutigen Ergebnisse . Das liegt in der Natur
der Sache, denn Wetter ist ein chaotischer Prozess und
deterministisch niemals komplett zu erfassen . Prognosen
werden sich immer unterscheiden, je nachdem, welche
numerischen Verfahren und welche Gewichtung der
Eingangsparameter vorgenommen werden . Letztendlich
sind Wetterprognosen aber nicht nur eine Frage der zur
Verfügung stehenden Rechnerkapazität, sondern auch
eine Frage der Messnetzdichte, der Datenqualität, aber
auch der Interpretation der numerischen Modellierung .
Es gibt hier genügend Spielraum, mit denen private Wet-
terdienstleister sich gegenüber dem DWD behaupten
können .
Und da kommen wir zu einem wesentlichen Aspekt,
weshalb es ausdrücklich zu begrüßen ist, wenn der DWD
selbst am Marktgeschehen der Wetterdienstleister teil-
nimmt: Die Klima- und Wetterprognostik ist unentbehr-
lich . Der Bundesrepublik steht im zivilen Bereich dafür
nur der DWD verlässlich zur Verfügung. Als Wetter-
dienstleister wird er nun dem Druck ausgesetzt, jenseits
der klassischen Forschung seine eigene Vorhersageme-
thodik noch intensiver als bisher immer wieder zu vali-
dieren . Das wird letztendlich zu steigender Qualität der
Prognosen führen, was wiederum allen zugutekommt .
Die Voraussetzung ist allerdings, dass der DWD in Zu-
kunft ausreichend finanziert wird und in die Lage ver-
setzt wird, sein Messnetz weiter zu verdichten . Die Linke
fordert, die Regierungspolitik des Stellenabbaus und der
Stellenbefristungen auch beim DWD zu beenden, die
derzeit in der öffentlich finanzierten Forschung leider
gang und gäbe ist .
Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN): In Zeiten zunehmender Wetterextreme ist der
Deutsche Wetterdienst eine wertvolle Einrichtung, um
die Bevölkerung vor Gefahren durch Stürme, Über-
schwemmungen oder Hitzewellen zu warnen und damit
Menschenleben zu retten . Die klimatologischen Arbei-
ten, die durch den Gesetzentwurf gestärkt werden sol-
len, sind wichtige Grundlagen, um die Klimakatastrophe
doch noch abzuwenden .
Wir begrüßen deshalb grundsätzlich, dass die Bun-
desregierung die längst überfällige Öffnung der Wetter-
und Klimadaten des Deutschen Wetterdienstes angeht .
Bislang zählt Deutschland nämlich zu den Schlusslich-
tern bei der Öffnung der öffentlichen Datenbestände. Bis
heute wurde das von der Bundesregierung angekündigte
Open-Data-Gesetz nicht eingebracht . Auch der Beitritt
zur Open Government Partnership ist immer noch nicht
vollzogen . Beim Thema E-Government kommt die Bun-
desregierung nicht voran .
Die kostenfreie Bereitstellung von Daten, die im öf-
fentlichen Sektor anfallen, kann innovative Geschäfts-
modelle ermöglichen und die junge und dynamische Di-
gitalwirtschaft antreiben . Das gilt auch für die Daten des
Deutschen Wetterdienstes, die eine wertvolle Ressource
für innovative Start-ups darstellen und zum Wachstum in
der Digitalbranche beitragen können, auf das Deutsch-
land nicht verzichten kann . Auch ehrenamtliche Projekte
und solche mit sozialer, ökologischer oder gemeinwohl-
orientierter Motivation profitieren von kostenfreien Da-
ten und bereichern das Informationsangebot weiter .
Doch obwohl der Gesetzentwurf eine Tür öffnet, um
die digitale Wirtschaft zu stärken, droht er gleichzeitig
andere Türen zuzuschlagen . Künftig soll es dem Deut-
schen Wetterdienst erlaubt sein, eigene Apps anzubieten,
die nicht alleine vor Unwettern und anderen Gefahren
warnen, sondern alle Informationen, beispielsweise in
Form von Wetterberichten, kostenlos und werbefrei zur
Verfügung stellen. Was zunächst nach einer vernünftigen
Initiative klingt, entpuppt sich jedoch als bedenklicher
Eingriff in einen funktionierenden Markt von wetterba-
sierten Dienstleistungen. Die Entwicklung und Verbes-
serung privater Informationsangebote könnte erschwert
werden oder gar gänzlich ausbleiben, wenn der App-
Markt durch einen staatlichen Anbieter dominiert würde,
der durch seine staatliche Finanzierung einen eindeuti-
gen Wettbewerbsvorteil genießt . Private Anbieter, die
sich durch Werbung oder andere Einnahmen selbst finan-
zieren müssen, könnten ins Hintertreffen geraten.
Deshalb sollte der Deutsche Wetterdienst nicht als
Konkurrent zu den bestehenden Anbietern auftreten .
Stattdessen sollte er die vorhandenen Wetterinformati-
onen ausschließlich als Rohdaten allen Anbietern glei-
chermaßen zur Verfügung stellen und somit die Qualität
von Wetterinformationsangeboten insgesamt verbessern .
Die Bereitstellung von Rohdaten entspräche auch viel
eher den Grundsätzen von Open Data . Sein eigenes An-
gebot sollte der Deutsche Wetterdienst wiederum auf die
Leistungen beschränken, für die der Staat eine originäre
Zuständigkeit besitzt – also beispielsweise die Warnung
vor Unwettern und anderen Gefahren . Genau diese Be-
schränkung wird der Aufgabe des Wetterdienstes gerecht,
die öffentliche Sicherheit und den Katastrophenschutz zu
stärken .
Schon heute befindet sich der Deutsche Wetterdienst
durch seine eigenen Angebote in einer rechtlichen Grau-
zone . Die Bundesregierung hätte die Änderung des Ge-
setzes über den Deutschen Wetterdienst zum Anlass neh-
men müssen, um die bestehende Praxis prüfen zu lassen .
Die Bundesregierung muss die von vielen Seiten vorge-
tragenen Bedenken zur Vereinbarkeit des Gesetzentwurfs
mit dem europäischen Wettbewerbsrecht ernst nehmen .
Deshalb hätte die Bundesregierung den Gesetzentwurf
bei der EU-Kommission notifizieren lassen müssen, um
auf die schon heute bestehenden Bedenken gegenüber
dem Aufgabenspektrum des Deutschen Wetterdienstes
einzugehen .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22675
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Ich möchte die Beratung des Gesetzentwurfes zum
Abschluss nutzen, um darüber hinaus auf die Erhebung
der Wetter- und Klimadaten einzugehen: Heute beobach-
ten an etlichen Wetterstationen hauptamtliche Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter das Wetter und sorgen damit
für verlässliche Datengrundlagen . Bis 2021 plant der
Deutsche Wetterdienst die Wetterbeobachtung vollstän-
dig zu automatisieren . Wir haben Zweifel, ob durch die
Automatisierung eine vergleichbare Messgenauigkeit
insbesondere für die langfristigen Klimareihen gesichert
werden kann . Diese sind ein wichtiger Beitrag zur inter-
nationalen Klimaforschung . Der Deutsche Wetterdienst
kann zum Beispiel Schneehöhen, Schnee-Wasser-Äqui-
valent und Bedeckungsgrad derzeit technisch noch nicht
vollautomatisiert erfassen . Aus unserer Sicht besteht hier
erheblicher Gesprächs- und Klärungsbedarf hinsichtlich
der Strategie des Deutschen Wetterdienstes .
Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Wir neh-
men heute einen weiteren wichtigen Meilenstein zu mehr
Open Data in Deutschland und machen den Weg frei für
einen offenen Zugang zu Millionen an Wetter-Klimada-
ten – mit dem ersten Änderungsgesetz unseres Gesetzes
zum Deutschen Wetterdienst, kurz DWD-Gesetz .
Das Gesetz ist in seiner jetzigen Fassung auf dem
Stand von 1998 und bedarf daher dringend einer Anpas-
sung an aktuelle Entwicklungen wie die Globalisierung,
den Klimawandel und insbesondere die Digitalisierung .
Fest steht: Daten sind der zentrale Rohstoff der Di-
gitalisierung . Jede digitale Wertschöpfung braucht Da-
ten . – Wir werben daher seit Beginn der Wahlperiode
dafür, dass wir Big Data als Chance begreifen – und in
Deutschland eine neue Datenkultur entwickeln: Weg von
der Datensparsamkeit als Übermaßstab hin zum kreati-
ven und sicheren Datenreichtum .
Der Staat verfügt über einen enormen Datenschatz –
und steht damit in einer besonderen Verantwortung. Un-
ser Grundsatz muss deshalb lauten: Public data is open
data . – Alle nicht personenbezogenen Daten, die der
Staat erhebt, müssen offen zur Verfügung stehen, um di-
gitale Wertschöpfung zu ermöglichen .
Das ist übrigens auch ein Ziel unserer Digitalen Agen-
da, wo wir uns vorgenommen haben, die Rahmenbedin-
gungen für einen effektiven und dauerhaften Zugang zu
öffentlich finanzierten Daten zu verbessern. Wir arbeiten
dafür in allen Bereichen:
– Wir haben eine Mobility Cloud, die mCLOUD, ge-
startet, mit der wir Millionen an Mobilitäts-, Geo-
und Wetterdaten offen zur Verfügung stellen.
– Wir veranstalten Hackathons, unsere BMVI-Da-
ta-Runs, bei denen Programmierer und Entwickler
aus unseren Daten in 24 Stunden Innovationen ent-
stehen lassen .
– Und wir haben jetzt das DWD-Gesetz auf den Weg
gebracht .
Konkret regeln wir:
Erstens. Wir schaffen die Voraussetzungen, damit der
DWD in Zukunft Millionen an Klima- und Wetterdaten
kostenfrei zur Verfügung stellen kann. Bislang durfte
der DWD einen Teil seiner Daten, hochwertige Daten,
per Gesetz nur gegen eine Gebühr zur Verfügung stel-
len . Damit verbunden sind im Bundeshaushalt Minder-
einnahmen von voraussichtlich 3,5 Millionen Euro pro
Jahr, die durch Einsparungen bzw . Umschichtungen im
Einzelplan 12 ausgeglichen werden .
Zweitens . Wir modernisieren den Katalog der Aufga-
ben des DWD und ergänzen ihn um die ausdrückliche
Nennung der meteorologischen Sicherung der Verkehrs-
wege und kritischen Infrastrukturen (bisher nur Luft- und
Seefahrt) sowie der Klimatologie, deren Bedeutung ins-
besondere im Zusammenhang mit dem Klimaschutz zu-
genommen hat .
Drittens . Wir stärken die Zusammenarbeit der Behör-
den im Bereich Katastrophen-, Bevölkerungs- und Um-
weltschutz und beziehen neben den Ländern erstmals
auch die Gemeinden und Gemeindeverbände mit ein .
Kurz: Mit diesem Gesetz öffnen wir einen wirklich
einzigartigen Datenschatz .
Der DWD verfügt heute über eines der größten Re-
chenzentren Europas – und über Milliarden an histori-
schen wie aktuellen Klima- und Wetterdaten mit einer
unglaublichen Bandbreite . Ich nenne nur ein paar Bei-
spiele: Luft- und Bodentemperatur, Niederschlagshöhe,
Luftfeuchtigkeit und Luftdruck, Verdunstung, Boden-
feuchte und Frosteindringungstiefe, Windgeschwindig-
keit und Windrichtung, solare Sonneneinstrahlung,
Sonnenscheindauer und Wolkenbedeckung, weitere zahl-
reiche phänologische und geologische Daten .
Diese Daten des DWD finden bereits heute Anwen-
dung in den unterschiedlichsten Bereichen: von der
Schifffahrt und Luftfahrt über die Land- und Forstwirt-
schaft, bis hin zur Energiewirtschaft und Bauwirtschaft .
Jeder Wirtschaftszweig und jeder Bürger ist von
Wetter und Klima betroffen. Damit ist die offene Be-
reitstellung dieser Daten im Zeitalter der intelligenten
Vernetzung absolut unverzichtbar – und eine Grundvo-
raussetzung für eine Vielzahl an digitalen Innovationen:
– Automatisiertes und vernetztes Fahren: Fahrzeug
kennt Wetterprognose, integriert diese Informati-
onen in die Routenplanung, bekommt in Echtzeit
Warnmeldungen und kann somit frühzeitig reagie-
ren .
– Smart Home: Haus stimmt sein Energiekonzept
selbstständig auf Wetter und Klima ab und teilt
sein Wissen mit den Bewohnern .
– Digitales Planen und Bauen: Integration von me-
teorologischen Daten in digitale Modelle und die
Cloud, wodurch zahlreiche Risiken vermindert,
Kosten reduziert, das Controlling optimiert und die
Umsetzung effizient gestaltet werden kann.
– Katastrophenschutz: Bevölkerung wird über digi-
tale Anwendungen in Echtzeit über Gefahren und
Gefährdungspotenziale informiert .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722676
(A) (C)
(B) (D)
Um es ganz klar zu sagen: Von diesem Gesetz profi-
tieren alle: Bevölkerung, Wissenschaft und Wirtschaft –
auch die bereits etablierten privaten Wetterdienste, die
auf der Grundlage der vom DWD in Zukunft frei zur
Verfügung gestellten Daten kostengünstig weitere Inno-
vationen entwickeln können .
Ich bitte daher um Zustimmung zu diesem Gesetzent-
wurf .
Anlage 11
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Fortschrei-
bung der Vorschriften für Blut- und Gewebezube-
reitungen und zur Änderung anderer Vorschriften
(Tagesordnungspunkt 25)
Dr. Roy Kühne (CDU/CSU): Mit dem Gesetz zur
Fortschreibung der Vorschriften für Blut- und Gewebe-
zubereitungen und zur Änderung anderer Vorschriften
werden fachlich und rechtlich notwendige Änderungen
der betroffenen Vorschriften vorgenommen. Wir möchten
unter anderem die Möglichkeiten bieten, die Entwicklung
und Herstellung von Arzneimitteln für neuartige The-
rapien nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen
ausrichten zu können . Aktuelle technische Entwicklun-
gen müssen mindestens genauso in die Verfahrensweisen
einfließen können. Durch die neuen Regelungen ermög-
lichen wir diese notwendigen Anpassungen .
Das Gesetz fokussiert sich unter anderem auf die Hä-
moglobie- und Gewebevigilanzverfahren, die entspre-
chenden Register und Forschungsbereiche . Hämophilie,
auch als Bluterkrankheit bekannt, ist eine erbbedingte Er-
krankung, bei der die Blutgerinnung gestört ist . Hierunter
werden verschiedene Formen (unter anderem Hämophi-
lie A, B und C, Willebrand-Syndrom) unterschieden .
Seit 2009 werden therapierelevante Daten dieser Pa-
tienten im deutschen Hämophilieregister gesammelt . In
dieser Online-Datenbank werden die Krankheitsverläufe
der Patienten sowie deren jährlicher Verbrauch von Ge-
rinnungspräparaten registriert . Dies ermöglicht den be-
handelnden Ärzten einen komfortablen Zugriff auf deren
Daten und eine langfristige Dokumentation .
Das Hämo- und Gewebevigilanzverfahren wurde von
der Europäischen Union als Überwachungssystem der
gesamten Bluttransfusionskette eingeführt . Dabei wer-
den unerwünschte Folgen registriert, die bei der Ver-
abreichung von Blutprodukten auftreten können . Diese
Transfusionsreaktionen unterstehen der Meldepflicht
gegenüber dem Paul-Ehrlich-Institut . An der Kette sind
verschiedenste Berufsgruppen beteiligt: Der Hersteller
garantiert nach den Qualitätsbestimmungen eine ein-
wandfreie Produktauslieferung, der Lieferant berück-
sichtigt eine produktspezifische Lieferung, der Arzt be-
rücksichtigt die Indikation für die Transfusion, und das
ärztliche Personal achtet auf die fehlerfreie Gabe des
Blutproduktes . Fehler passieren, Fehler sind menschlich,
aber Fehler dürfen sich eben nicht wiederholen: Deshalb
unterliegen sie schon jetzt einem engen Meldungs- und
Analyseprozess, an dem wir festhalten .
Gleichzeitig erweitern wir aber die Vorschriften zur
Gewebevigilanz um die Faktoren der Regelungen zur
Gewebezubereitung . Durch diese und durch die recht-
lichen und fachlichen Anpassungen schaffen wir eine
deutliche Vereinfachung der Vorschriften zur Hämo- und
Gewebevigilanz .
Das Gesetz wird auch besonders im Bereich der Ge-
nehmigungsverfahren für ATMPs (Advanced therapy
medicinal products/Arzneimittel für neuartige Therapi-
en) Neuerungen mit sich bringen, indem wir die Defini-
tion des Begriffs der „nicht routinemäßigen Herstellung“
anpassen . Die bisherigen Erfahrungen machen diese Än-
derungen notwendig . Der Bereich der Arzneimittel für
neuartige Therapien verdient eine genauere Betrachtung:
Deren Forschung und Entwicklung hat in den vergan-
genen Jahren enorm an Fahrt aufgenommen . Im Bereich
der regenerativen Medizin, aber auch zur Ausrottung von
Erbkrankheiten und in der Bekämpfung von Krebs, die
Hoffnungen, die in ATMPs gesteckt werden, sind groß.
Um die anspruchsvolle Entwicklung solcher Arzneimit-
tel ermöglichen zu können, sind optimale Zulassungsver-
fahren und eine enge regulatorische Betreuung notwen-
dig . Gentherapeutika, somatische Zelltherapeutika und
biotechnologisch bearbeitete Gewebeprodukte eröffnen
neue Wege für die Behandlung von Funktionsstörungen
und Krankheiten .
Lassen Sie mich kurz darauf eingehen, worum es sich
bei den einzelnen Produktgruppen der biologischen Arz-
neimittel zur Anwendung im oder am Menschen handelt:
Gentherapeutika kommen beispielsweise in der Be-
handlung von kritischer Ischämie oder der unteren Ex-
tremitäten zum Einsatz. Genetisch modifizierte Bak-
terienstämme finden in der Behandlung von Morbus
Parkinson Anwendung, Wachstumsfaktoren bei sekun-
dären Lymphödemen nach der Behandlung von Brust-
krebs . Der Einsatz von rekombinanten Nukleinsäuren ist
vielfältig .
Somatische Zelltherapeutika kommen zum Beispiel
im Bereich der Leberzelltherapie, in der Therapie bei
Ovarialkarzinomen oder zur Behandlung von Diabetes
zum Einsatz . Sie bestehen teilweise aus Zellen oder Ge-
weben, die substanziell bearbeitet worden sind bzw . ei-
nen neuartigen oder gar anderweitigen Nutzen für den
Empfänger aufweisen .
Biotechnologisch bearbeitete Gewebeprodukte die-
nen dem direkten Ersatz von Körperzellen, Knochen-
mark und anderen Körperbestandteilen . Berichtet wird
insbesondere über Hautersatzprodukte, die bei schweren
oder umfangreichen Verbrennungen zum Einsatz kom-
men . Auch der Einsatz im Bereich der Knochenmarkim-
plantationen und Knorpelmasse ist hinlänglich bekannt .
Biotechnologisch bearbeitete Zellen oder Gewebe sind
umfangreich einsetzbar und – relativ betrachtet – weit-
gehend erforscht .
Biologische Arzneimittel, die zur Heilung von Krank-
heiten beim Menschen eingesetzt werden, oder Krank-
heiten bzw . den Ausbruch von Krankheiten verhüten,
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sind demnach biologische Arzneimittel, ebenso wie
diese, die im oder am menschlichen Körper verwendet
werden können und eine pharmakologische, immunolo-
gische oder metabolische Wirkung erzielen . Der Schutz
der öffentlichen Gesundheit findet im Bereich der For-
schung, der Herstellung und des Vertriebs besondere
Anwendung . Gleichzeitig muss gewährleistet sein, dass
diese Arzneimittelprodukte, ebenso wie kombinierte
ATMPs, die Vorteile des freien Warenverkehrs in der Eu-
ropäischen Union und weitere Wettbewerbsvorteile auch
im außereuropäischen Raum genießen können . Harmoni-
sierte Vorschriften sind daher schon in der Vergangenheit
implementiert worden, daran können wir nun anknüpfen .
Deutschland steht, insbesondere mit dem Paul-
Ehrlich-Institut, national wie international sehr gut da .
Um die Wettbewerbsfähigkeit auch künftig zu erhalten,
die Forschung voranzutreiben, wissenschaftliche Er-
kenntnisse noch direkter in die Entwicklung einfließen
zu lassen und damit die Versorgung zukünftig zu sichern,
ist der aufgezeigte Weg notwendig . Bei diesem richtigen
Schritt werden die Erfahrungen aus den Ländern und
des Paul-Ehrlich-Instituts eingebunden und bestehende
Hindernisse konkret abgebaut . Ich freue mich, dass die
Kommunikation gut funktioniert . Wir alle sollten uns ein
Beispiel an der guten Verzahnung zwischen Praxis und
Gesetzgeber nehmen . Hier zeigt sich, welches Potenzial
entsteht, wenn Akteure zusammenarbeiten .
Ich danke dem Bundesministerium für Gesundheit für
diesen Aufschlag und freue mich über die weitere Bera-
tung in unserer Fraktion und mit dem Parlament .
Emmi Zeulner (CDU/CSU): Wir beraten heute den
Entwurf des Gesetzes zur Fortschreibung der Vorschrif-
ten für Blut- und Gewebezubereitungen und zur Ände-
rung anderer Vorschriften.
Doch was versteht man überhaupt unter „Blut- und
Gewebezubereitungen“ genau, und was sind die auf-
geführten „Arzneimittel für neuartige Therapien“? Um
die Änderungen und deren Notwendigkeit zu verstehen,
muss man meiner Ansicht nach hier ansetzen . Erst da-
nach möchte ich darauf eingehen, warum die Änderun-
gen notwendig sind und wie genau die Verbesserungen
aussehen .
Lassen Sie mich gleich zu Beginn die Beispiele nen-
nen, die den Inhalt des Gesetzes für alle greifbarer ma-
chen: Augenhornhäutchen, Gefäße, Herzklappen, Haut
und Knorpelgewebe – das alles sind klassische Gewe-
bezubereitungen . Also Arzneimittel, die menschliches
Gewebe im Sinne des Transplantationsgesetzes enthalten
oder aus solchen hergestellt werden . Organe sind somit
nicht erfasst .
Neben den genannten klassischen Beispielen werden
von dem Gesetz auch die sogenannten „Arzneimittel für
neuartige Therapien“ erfasst, sofern als Ausgangsstoff
menschliches Gewerbe verwendet wurde . Das sind bei-
spielsweise Gen- und Zelltherapeutika und biotechno-
logisch bearbeitete Gewebeprodukte . Etwas greifbarer
wird dies, wenn man sich vorstellt, dass hier Therapi-
en entwickelt werden, die es ermöglichen, mit einem
Virus eine bestimmte Geninformation zur Heilung auf
eine Zelle zu übertragen . Diese Entwicklungen bringen
ganz neue Heilungschancen mit sich und unterliegen der
dauernden Forschung und Weiterentwicklung, um eben
irgendwann keine „neuartige“, sondern eine bewährte
Therapie zu werden .
Genau hier liegt auch die Notwendigkeit für die An-
passung der gesetzlichen Vorschriften. Zum einen haben
sich die wissenschaftlichen und technischen Erkenntnis-
se so stark weiterentwickelt, dass eine Anpassung uner-
lässlich ist, um die neuen Erkenntnisse in die Therapie
mit aufzunehmen und dem Patienten die beste Versor-
gung zukommen zu lassen . Denn wir sind uns alle einig,
dass genau das das Ziel der Forschung sein muss: dem
Patienten zu helfen und neue, wirksame Therapien zu
entwickeln .
Zum anderen – und das ist sehr wertvoll und zeichnet
gerade das Handeln unseres Ministeriums aus – wurden
die gesammelten Erfahrungen der mit dem Vollzug direkt
betrauten Länder und des Paul-Ehrlich-Instituts ernst-
und die Anregungen der Praxis mit in das Gesetz auf-
genommen . Es wird nicht an den tatsächlichen Bedürf-
nissen der Beteiligten vorbei gehandelt, sondern deren
Erkenntnisse fließen unmittelbar mit in das Gesetz ein.
Womit wir auch schon bei den drei großen Verbesse-
rungen wären, die wir durch das Gesetz erreichen wollen:
Erstens nehmen wir uns des dringenden Problems der
Lieferengpässe bei den Gewebezubereitungen an: Wir
sorgen dafür, dass die Versorgung der Patienten mit Ge-
webe- und Stammzellenzubereitungen aus dem EU-Aus-
land bei Versorgungsengpässen erleichtert wird. Indem
wir in § 21a Absatz 9 Arzneimittelgesetz den § 73 Ab-
satz 3a mit aufnehmen, bauen wir Hemmnisse in Notsitu-
ationen ab, schaffen Abhilfe, wo sie dringend gebraucht
wird, und erhalten dennoch unsere hohen Standards, in-
dem wir die Rahmenbedingungen für eine Versorgung
aus dem EU-Ausland genau im Gesetz festschreiben und
die Standards auch hier hoch ansetzen .
Diese Öffnung ist im Sinne der Betroffenen und ein
wichtiger Schritt hin zu mehr Versorgungssicherheit in
diesem Bereich .
Zweitens sorgen wir auch gerade in dem komplizier-
ten Genehmigungsverfahren für die Arzneimittel für
neuartige Therapien für deutliche Erleichterungen . Denn
durch die Befassung mit gentechnisch veränderten Or-
ganismen musste nicht nur das Paul-Ehrlich-Institut als
Bundesoberbehörde für Gewebezubereitungen, sondern
auch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebens-
mittelsicherheit miteinbezogen werden . Das heißt, die
Antragsteller mussten zwei Genehmigungen bei zwei
Behörden beantragen und zwei Verfahren koordinieren,
die voneinander abhängig waren. Dieses Verfahren galt
es zu entschlacken und effizienter zu gestalten. Die Kri-
tik, die hier vor allem aus der Praxis kam, wird in dem
vorliegenden Entwurf aufgenommen, und es wird eine
Lösung geschaffen: Die Genehmigungen sollen nun al-
leine vom Paul-Ehrlich-Institut erteilt werden können .
Das entlastet die Antragsteller, ohne dass die Sicherheit
des Inverkehrbringens hierdurch beeinträchtigt wird .
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Drittens stellen wir das Hämophilieregister, welches
bisher nur ein rein klinisches Register war, nun auf
rechtlich sichere Beine und verankern es im Transfu-
sionsgesetz . In diesem Zusammenhang führen wir die
Meldepflicht für die behandelnden Ärzte ein, sodass
mit Einwilligung der Patienten die pseudonymisierten
Behandlungs- und Diagnosedaten, unter Wahrung des
hohen Datenschutzniveaus, an das Register übermittelt
werden. Das sorgt für mehr Transparenz, schafft die
Grundlagen für eine bessere Forschung und liefert letzt-
lich eine detaillierte Entscheidungsgrundlage für die op-
timale Behandlung und Versorgung von Patienten.
Zusammenfassend führen die Verbesserungen zu einer
besseren Versorgung durch den Einsatz neuer Therapien
und vor allem zu einer besseren Versorgungssicherheit
für die betroffenen Patienten. Gleichzeitig schaffen wir
Erleichterungen im Verfahren und setzen mit dem Re-
gister die rechtliche Grundlage für die so notwendige
Grundlagenforschung in diesem Bereich .
Vielen Dank an das Gesundheitsministerium für die
gute Arbeit .
Hilde Mattheis (SPD): Das Gesetz zur Fortschrei-
bung der Vorschriften für Blut- und Gewebezubereitun-
gen und zur Änderung anderer Vorschriften beinhaltet
zum großen Teil technische und rechtlich notwendige
Änderungen .
Sie betreffen zum einen eine Verfahrensvereinfachung
für die Zulassung von Arzneimitteln für neuartige Thera-
pien, sogenannte ATMP . Es gibt auf dem deutschen Markt
ATMP, die aus gentechnisch veränderten Organismen –
GVO oder aus einer Kombination von GVO – bestehen
bzw . solche enthalten . Derartige Arzneimittel mussten
bisher an zwei Stellen beantragt werden, nämlich beim
Paul-Ehrlich-Institut und zusätzlich aufgrund der GVO
auch beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Le-
bensmittelsicherheit (BVL). Dies wird nun vereinfacht,
sodass nur noch ein Antrag beim Paul-Ehrlich-Institut
nötig ist . Wenn hier eine Genehmigung erteilt wird, ge-
schieht das im Benehmen mit dem Bundesamt für Ver-
braucherschutz und Lebensmittelsicherheit .
Wir werden zum anderen weitere Vorschriften im Arz-
neimittelgesetz ändern und anpassen, die allesamt darauf
zielen, ein stringenteres und vereinfachteres Verfahren
zur Zulassung von ATMP zu ermöglichen . Dazu zählen
unter anderem die Anpassung der Definition der „nicht
routinemäßigen Herstellung“, die in § 4b Arzneimittel-
gesetz aufgeführt wird, sowie eine genaue Aufstellung
der Unterlagen, die für eine Genehmigung eingereicht
werden müssen .
Für die Zulassung von Arzneimitteln für neuartige
Therapien werden wir zudem einen Ausnahmetatbestand
in der Verordnung über radioaktive und mit ionisieren-
den Strahlen behandelte Arzneimittel einfügen, da ATMP
sehr häufig mit ionisierenden Strahlen behandelt werden,
aber hierfür bisher ein Verkehrsverbot bestand. Hier gibt
es keine sachlichen Gründe . Daher ändern wir das .
Den zweiten Schwerpunkt im Gesetz bilden Maßnah-
men zur besseren Behandlung von Hämophiliepatientin-
nen und -patienten . Hämophilie ist eine Erbkrankheit, bei
der das Blut nicht oder nur sehr langsam gerinnt und bei
der bei besonders schweren Fällen spontane Blutungen
auch ohne sichtbare Wunden auftreten können . Daher
können auch einfache Unfälle für diese Menschen le-
bensbedrohlich werden, da die Wunde nicht verheilen
kann . Nach Angaben des Hämophiliezentrums in Mün-
chen leiden circa 10 000 Menschen in Deutschland an
Hämophilie . Ein Register für Hämophilie existiert seit
2008 und wird vom Paul-Ehrlich-Institut gemeinsam mit
Patientenorganisationen und der Gesellschaft für Throm-
bose- und Hämostaseforschung unterhalten und weiter-
entwickelt . Im Deutschen Hämophilieregister sollten
zunächst nur pseudonymisierte und medizinische Daten
erfasst werden . Geplant sind auch Erfassungen von Ne-
benwirkungen, Gelenkstatus, Komplikationen, Infek-
tionen, Genotyp, Todesursache und anderem, um noch
umfassendere wissenschaftliche Erkenntnisse zu gewin-
nen . Im Blut- und Gewebegesetz wird nun geregelt, dass
das Hämophilieregister als klinisches Register rechtlich
im Transfusionsgesetz verankert wird . Zudem wird eine
Verpflichtung zur Meldung von hämophiliebehandeln-
den ärztlichen Personen an das Register geschaffen.
Neben diesen Kerninhalten wollen wir als Gesetzge-
ber weitere offene Punkte regeln, die sich im Laufe der
Legislatur ergeben haben oder die in bisherigen Refor-
men in der Wahlperiode nicht behandelt werden konnten .
Von weiteren beabsichtigten Änderungen möchte ich
hier die geplanten Qualitätskriterien erwähnen, die wir
im Rahmen des Krankenhausstrukturgesetzes eingeführt
haben . Hier braucht es Präzisierungen vonseiten des
Bundesgesetzgebers, da sich die Bundesländer und der
Gemeinsame Bundesausschuss nicht auf Qualitätsindi-
katoren und die Frage von Stichprobenprüfungen durch
den Medizinischen Dienst der Krankenkasse einigen
konnten . Hier ist es wichtig, dass klare Anforderungen
vonseiten des Bundesgesetzgebers an den Gemeinsamen
Bundesausschuss (G-BA) gerichtet werden, um die Qua-
litätsindikatoren im Krankenhausbereich rechtssicher
umzusetzen . Die Frage nach der Bewertung der Quali-
tät von Krankenhausleistungen war einer der zentralen
Bausteine in der Krankenhausreform 2015 . Es ist klar,
dass wir Neuland betreten . Daher ist eine Präzisierung im
Nachhinein richtig, um etwaige Fehler auszuschließen .
Des Weiteren streben wir eine Vereinheitlichung der
Regelungen zur Darlehensaufnahme bei Banken für den
Unterhalt bzw . für Investitionen bei krankenkasseneige-
nen Gesundheitseinrichtungen wie Krankenhäusern und
Arztpraxen an . In Deutschland unterhalten einige Kran-
kenkassen einige wenige Eigeneinrichtungen, das heißt
ein Krankenhaus oder eine Praxis, welche direkt von der
Kasse geführt werden . Da die gesetzlichen Krankenkas-
sen zu Recht einer besonderen Finanzierungsordnung
unterliegen, dürfen sie keine Darlehen aufnehmen . Kran-
kenkassen müssen ihre gesetzlichen Aufgaben grund-
sätzlich mit ihren Mitgliedsbeiträgen und sonstigen Ein-
nahmen aus dem Gesundheitsfonds erfüllen . Daran soll
auch nicht gerüttelt werden . Allerdings verbietet diese
Regelung den Kassen als Betreibern eines Krankenhau-
ses gleichzeitig, anfallende Investitionsmaßnahmen über
ein Darlehen zu zahlen, was angesichts der oftmals ho-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22679
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hen Summen für Investitionen nicht einfach ist . Alle an-
deren Einrichtungen, egal ob von der öffentlichen Hand
oder von privaten Betreibern geführt, haben diese Mög-
lichkeit . Wir wollen die Darlehensaufnahme daher in
diesem speziellen Bereich auf Antrag ermöglichen . Die
Aufsichtsbehörden müssen die Darlehensaufnahme prü-
fen und genehmigen und daher darauf achten, dass diese
den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit
entspricht .
Auch im Bereich Pflege wollen wir die beschlossenen
Reformen, die Pflegestärkungsgesetze, mit diesem Gesetz
genauer ausdefinieren. Wir haben im Pflegestärkungsge-
setz II eine fachlich unabhängige Expertenkommission
beauftragt, bis 2020 Personalbemessungsstandards so-
wohl in stationären als auch in ambulanten Pflegeeinrich-
tungen zu erarbeiten . Im Zuge der Einführung des neu-
en Pflegebedürftigkeitsbegriffs kann es sinnvoll sein, in
einzelnen Pflegeeinrichtungen modellhafte Erprobungen
vorzunehmen . Diese können dabei helfen, den durch-
schnittlichen Versorgungsaufwand, der bei pflegerischen
Maßnahmen entsteht, zu dokumentieren und daraus ab-
leitend den notwendigen Personalschlüssel zu errechnen .
Für diese Fälle können die Pflegekassen Geld aus dem
Ausgleichsfonds der Pflegeversicherung nehmen, der
speziell für die Durchführung wissenschaftlicher Exper-
tisen und der Weiterentwicklung der Pflegeversicherung
eingerichtet wurde. Von den Landesrahmenverträgen, die
üblicherweise Personalbedarf, Vergütung und Ähnliches
zwischen Kassen und Leistungserbringern regeln, kann
in diesem Fall abgewichen werden .
Ich möchte hier noch ein für uns als SPD sehr wichti-
ges Thema ansprechen, welches wir im Gesetz anbringen
wollen . Es handelt sich um die Stiftung Humanitäre Hil-
fe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen. Diese
Stiftung wurde infolge des sogenannten Blutspendeskan-
dals eingerichtet. Während der 80er-Jahre infizierten sich
weltweit mehrere Tausend Menschen aufgrund konta-
minierter Blutprodukte mit HIV. In Deutschland waren
es mehr als 1 500 Menschen . Dieser Skandal wurde erst
1993 mithilfe eines Untersuchungsausschusses des Deut-
schen Bundestages aufgearbeitet und in Folge mit dem
HIV-Hilfegesetz die erwähnte Stiftung Humanitäre Hilfe
gegründet . Sie soll – so der Stiftungszweck – „aus huma-
nitären und sozialen Gründen und unabhängig von bisher
erbrachten Entschädigungs- und sozialen Leistungen an
Personen, die durch Blutprodukte unmittelbar oder mit-
telbar mit dem Human Immunodeficiency Virus (HIV)
oder infolge davon an Aids erkrankt sind, und an deren
unterhaltsberechtigte Angehörige finanzielle Hilfe“ leis-
ten . Die Stifter sind der Bund, die Länder, das DRK und
mehrere Pharmaunternehmen .
Allerdings ist im HIV-Hilfegesetz unter § 14 gere-
gelt: „Die Stiftung wird aufgehoben, wenn der Stiftungs-
zweck erfüllt ist oder die Mittel für die finanzielle Hilfe
erschöpft sind .“ Im Jahr 1994 dachten die Stiftungsgrün-
der aufgrund des damaligen medizinischen Wissens
nicht daran, dass HIV-Infizierte und AIDS-Kranke sehr
viel länger leben als das damals angesetzte Vermögen.
Glücklicherweise ist der medizinische Fortschritt in die-
sem Bereich so rasant, dass diese Menschen heute eine
ähnlich hohe Lebenserwartung wie jeder andere Mensch
auch haben. Der letzte Halbsatz im HIV-Hilfegesetz führt
aber dazu, dass inzwischen jährlich die Weiterführung
der Stiftung im Bundeshaushalt durch zusätzliches Geld
beschlossen werden muss und damit bei den Betroffenen
jedes Jahr große Unsicherheit besteht, ob sie weiterhin
Geld aus der Stiftung beziehen können . Die Briefe und
Anrufe der Betroffenen werden einige Kolleginnen und
Kollegen kennen .
Ich halte es für unzumutbar, dass Patientinnen und
Patienten und deren Familien in ständiger Unsicherheit
leben müssen und von Jahr zu Jahr wieder darauf hof-
fen, dass der Gesetzgeber sich abermals entschließt, die
Stiftung weiterzuführen . Diese Unsicherheit müssen wir
beenden . Schon bei den Haushaltsberatungen zum ver-
gangenen Bundeshaushalt hatten wir als SPD-Fraktion
angekündigt, dass möglichst noch in dieser Wahlperiode
die dauerhafte Einrichtung der Stiftung beschlossen wer-
den muss . Das heißt, die Stiftung wird erst dann aufge-
hoben, wenn der Stiftungszweck erfüllt ist . Jede Patientin
und jeder Patient soll bis zu seinem Lebensende Geld aus
der Stiftung erhalten; denn der Schaden, der diesen Men-
schen entstanden ist, verjährt nicht . Wir werden daher im
anstehenden Gesetzgebungsverfahren diesen Punkt mit
unserem Koalitionspartner und der Opposition diskutie-
ren und hoffen, dass wir hier im Sinne der Patientinnen
und Patienten zu einer geschlossenen Position kommen
können .
Sie sehen also, dass mit diesem Gesetz zwar sehr tech-
nische, aber eben dennoch relevante Änderungen ange-
strebt werden, die für betroffene Patientinnen und Pati-
enten bzw . in dem relevanten Gesundheitssektor wichtig
sind . Ich lade daher alle Kolleginnen und Kollegen ein,
auch zum Abschluss der Wahlperiode konstruktiv und
zielorientiert dieses Gesetz zu diskutieren .
Kathrin Vogler (DIE LINKE): Mit dem hier vorlie-
genden Gesetzentwurf will die Bundesregierung noch
kurz vor Toresschluss gleich eine Reihe unterschiedli-
cher Sachverhalte regeln . Das macht es natürlich schwie-
rig, in vier Minuten die ganze Bandbreite anzusprechen .
Aber man merkt schon, dass im Ministerium gerade
unter Zeitdruck gearbeitet wird: Auf die Schnelle sind
der Bundesregierung einige Schnitzer passiert, die im
Beratungsverlauf noch korrigiert werden müssten . An
mehreren Stellen finden sich unzulängliche Begriffsbe-
stimmungen, fehlende Differenzierungen, uneinheitliche
Sprachregelungen und zum Teil inkonsistente Regelun-
gen zu Genehmigungsverfahren .
Auch wundert es mich, warum die Bundesregierung
Blutstammzellen in Deutschland anders als in der EU
unterschiedlichen Qualitätsanforderungen unterwerfen
will, je nachdem ob sie aus dem Knochenmark oder der
Nabelschnur stammen . Kann mir da mal jemand den
Sinn erklären?
Eine wissenschaftliche Auswertung der zur Verfü-
gung stehenden Daten für angeborene Blutungskrank-
heiten ist sinnvoll und wird von uns unterstützt . Aber es
bringt für die Betroffenen keinerlei Nutzen, wenn das
bereits existierende Hämophilieregister künftig allein
beim Paul-Ehrlich-Institut liegt und die Betroffenenor-
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ganisationen nicht mehr beteiligt sind . Stattdessen sollte
die Bundesregierung ein schlüssiges Konzept für die Da-
tengewinnung und vor allem für die Auswertung der im
DHR gesammelten Daten vorlegen . Aber das leistet ihr
Entwurf nicht .
Insbesondere bereitet in der Praxis große Sorge, dass
die Regelungen zu Blut- und Gewebezubereitungen über
das Transplantationsgesetz, das Transfusionsgesetz und
das Arzneimittelgesetz verteilt sind . Dass dies insbeson-
dere bei Keimzellen zu einer großen Unübersichtlich-
keit führt, beklagen Praktiker und Juristen . Sie sehen
da große Probleme und rechtlichen Klärungsbedarf . Zu-
dem gibt es gerade bei der Reproduktionsmedizin jede
Menge offener Fragen. Bei Keimzellspenden und nicht
zuletzt Embryonenspenden im Ausland kommt es auch
für Kinder, die in Deutschland aufwachsen oder geboren
werden, zu vielen ungeklärten familienrechtlichen Fra-
gen . Einer Klärung geht die Bundesregierung wie beim
Samenspenderegister auch mit diesem Gesetz wieder aus
dem Weg – abermals eine vertane Chance .
Kommen wir zu den Änderungen bei der Pflegebe-
ratung: Im Gesetzentwurf erklärt die Bundesregierung,
es sollen „technische Anpassungen und Änderungen der
Regelungen zu den Modellvorhaben zur kommunalen
Beratung im . . . SGB XI“ vorgenommen werden . Das
klingt harmlos und irgendwie unspektakulär . Was Sie
aber genau vorhaben, betrachten wir durchaus kritisch .
Sie wollen die Möglichkeit schaffen, dass Kommu-
nen, die Modellprojekte zur Pflegeberatung durchführen,
besser auf lange gewachsene Strukturen und die Kompe-
tenz der Pflegekassen zurückgreifen können. So sollen
Kommunen künftig darauf verzichten können, die Pfle-
geberatung in eigenen Beratungsstellen durchzuführen,
wozu sie diese Bundesregierung erst im letzten Jahr mit
dem Pflegestärkungsgesetz III verpflichtet hatte – und
zwar unabhängig vom Vorhandensein anderer Möglich-
keiten . Das hört sich ja zunächst mal vernünftig an .
Aber was gar nicht geht, ist, dass Sie die Qualitätsstan-
dards für die Pflegeberatung aufweichen wollen und dass
die Kommunen das so eingesparte Geld behalten dürfen .
Denn erstens brauchen Pflegebedürftige und ihre Ange-
hörigen bestmögliche Beratung und nicht irgendwelche .
Und zweitens gehört dieses Geld den Pflegeversicherten,
nicht der öffentlichen Hand.
Deswegen sage ich Ihnen: Lassen Sie die Finger von
der Beratungsqualität, und sorgen Sie dafür, dass die
Beiträge der Pflegeversicherten wirklich in der Pflege
ankommen . Sonst werden wir diesem Gesetz nicht zu-
stimmen können .
Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Zum zweiten Mal in dieser Legislaturperiode legt die
Bundesregierung einen Gesetzentwurf vor, der die
Transparenz und Qualitätssicherung im Bereich der Ge-
webemedizin in Deutschland verbessern soll . Die vor-
geschlagenen Gesetzesänderungen sind grundsätzlich
sinnvoll und zu begrüßen . Leider wurde die noch im
Referentenentwurf enthaltene Genehmigungspflicht der
BÄK-Richtlinien zur Blutspende und Transfusion wieder
gestrichen . Über die Gründe kann man nur spekulieren .
Interessant wird der Gesetzentwurf aber erst, wenn man
sich ansieht, was die Bundesregierung alles nicht regelt .
Wie beim letzten Mal gehen die im Gesetz vorge-
schlagenen Änderungen auf EU-Vorgaben zurück. Und
wie beim letzten Mal lässt die Bundesregierung die Ge-
legenheit verstreichen, die Mängel, die es in der Gewebe-
medizin in Deutschland gibt, zu beheben . Es ist nämlich
mitnichten alles im grünen Bereich, wie auch der zweite
Bericht der Bundesregierung zur Versorgungssituation
mit Gewebeprodukten in Deutschland gezeigt hat . Die
Zahl der Gewebeeinrichtungen in Deutschland steigt
kontinuierlich . Aber rund ein Fünftel der Einrichtungen
kommt ihren gesetzlichen Meldepflichten nicht nach,
trotz Nachfassens durch das Paul-Ehrlich-Institut und
Verständigung der zuständigen Landesbehörden. Offen-
sichtlich ist es um die Bereitschaft zur Transparenz und
Kooperation bei manchen Einrichtungen ebenso schlecht
bestellt wie um die wirksame Kontrolle durch die Be-
hörden .
Zudem sind viele der gemeldeten Zahlen, insbeson-
dere im Bereich der muskuloskelettalen Gewebe und
Hautgewebe, nach eigenen Aussagen der Bundesregie-
rung unplausibel . Es werden viel mehr dieser Gewebe
in Deutschland transplantiert und exportiert als entnom-
men . Der Überschuss lässt sich nicht mit Restbeständen
aus den Vorjahren erklären. Es bleibt also bei einem gro-
ßen Fragezeichen, wo diese Gewebe eigentlich herkom-
men . Hier muss das Ministerium Transparenz herstellen .
Der Bericht der Bundesregierung hat zudem gezeigt,
dass es in Deutschland – ähnlich wie bei Organspen-
den – einen Mangel an bestimmten Geweben gibt, sodass
manche Patientinnen und Patienten nicht oder nur mit
erheblicher Verspätung ein Transplantat erhalten. In ers-
ter Linie betrifft dies Augenhornhäute und Herzklappen.
Transparenz gibt es bei der Verteilung aber weiterhin
nicht. Es gibt weder – wie bei der Organspende – öffentli-
che Vorgaben, nach welchen Kriterien diese sogenannten
Mangelgewebe verteilt werden . Noch führen die Einrich-
tungen und Kliniken (bis auf eine Ausnahme) Wartelis-
ten . So bleibt es weiterhin dem Ermessen der Akteure
überlassen, wer ein Transplantat erhält . Wir haben schon
seinerzeit im Zuge der Erarbeitung des Gewebegesetzes
transparente Verteilungskriterien und ein Wartelisten-
system für solche Mangelgewebe gefordert . Die Bun-
desärztekammer ebenfalls . Angesichts zu erwartender
gerichtlicher Auseinandersetzungen muss hier dringend
nachgebessert werden, Herr Bundesgesundheitsminister .
Ich frage mich, warum die Bundesregierung in regel-
mäßigen Abständen einen Bericht zur Analyse der Gewe-
bemedizin in Deutschland erstellt, wenn dort aufgezeig-
te Mängel stur ignoriert werden . Diese Berichte dienen
doch dazu, im Bedarfsfall nachzusteuern . Die Bundes-
regierung hingegen gibt an, sie sehe ihre Aufgabe vor-
rangig darin, die Netzwerkbildung und Kommunikation
der Gewebeeinrichtungen untereinander zu fördern . Das
wird die eben dargestellten Probleme aber kaum behe-
ben .
Und noch in einem anderen Bereich bleibt die Koa-
litionsregierung untätig: Der diskriminierende Pauschal-
ausschluss von homo- und bisexuellen Männern von der
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22681
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Blutspende wird weiterhin nicht aufgehoben . – Noch
im letzten Jahr hatte Minister Gröhe sich offen für eine
Lockerung des pauschalen Verbots gezeigt, wenn durch
geeignete Testverfahren eine Ansteckung der Empfänger
mit Infektionskrankheiten ausgeschlossen werden kann .
Danach kam – nichts . Und mit der Streichung der Geneh-
migungsbedürftigkeit der Blutspende-Richtlinien würde
sich das Ministerium zugleich jeglichen Einflusses da-
rauf entledigen, dass dieser diskriminierende Ausschluss
irgendwann entfällt .
Die Koalition wird voraussichtlich als eine Art Kehr-
aus der Gesundheitsgesetzgebung noch eine Menge
fachfremder Änderungsanträge zu Gesundheitsthemen
anhängen, die sie unbedingt auf den letzten Metern noch
regeln will, wie beispielsweise zur Pflege im Kranken-
haus . Sie haben also noch genug Zeit, auch im Bereich
der Gewebemedizin im Interesse der Patientinnen und
Patienten noch mal nachzubessern, genauso, wie Ände-
rungsvorschläge einzubringen, die die Rolle der Kommu-
nen in der Pflege stärken, beispielsweise durch wirkliche
Steuerungs- und Planungskompetenzen in der Pflege –
wenn schon nicht grundsätzlich, dann doch wenigstens
in den spärlich wenigen Modellvorhaben, die die Koa-
lition eingeführt hat . Nutzen Sie diese Chance endlich,
damit es nicht nur bei den eher dürren pflegepolitischen
Regelungen des Entwurfs bleibt .
Anlage 12
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung des Berichts des Ausschusses für
Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung gemäß § 56a der Geschäftsordnung:
Technikfolgenabschätzung (TA)
Synthetische Biologie – Die nächste Stufe der Bio-
und Gentechnologie
(Tagesordnungspunkt 26)
Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): Als „nächste
Stufe der Gentechnologie“ wird die Synthetische Biolo-
gie bezeichnet: Ihr Ansatz geht weiter, als dies bislang
möglich war; ihre Methoden und Verfahren zielen auf ei-
nen Umbau natürlicher Organismen ab, bis hin zur Schaf-
fung kompletter künstlicher „biologischer“ Systeme .
Die „Synbio“ ist in den letzten Jahren Gegenstand
einer kaum überschaubaren Zahl von Studien und Stel-
lungnahmen geworden. In der Öffentlichkeit und zivil-
gesellschaftlichen Organisationen ist das Thema jedoch
kaum präsent aufgrund der geringen praktischen, wenn-
gleich hohen gesellschaftlichen Relevanz . Der Arbeitsbe-
richt des Büros für Technikfolgenabschätzung (TAB) soll
dies im Auftrag des Ausschusses für Bildung, Forschung
und – eben auch – Technikfolgenabschätzung ändern . Er
untersucht neben naturwissenschaftlich-technologischen
Aspekten insbesondere Fragen der Ethik, der Sicherheit,
des geistigen Eigentums, der Regulierung und der Risi-
ken .
Damit kommt das TAB seinem Auftrag nach, uns
Abgeordnete wissenschaftlich eingehend zu beraten,
Einschätzungen abzugeben und Handlungsempfehlun-
gen aufzuzeigen . An dieser Stelle möchte ich mich als
Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion für die gute Zu-
sammenarbeit bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
des TAB bedanken, insbesondere den Leitern des Ber-
liner Büros, Herrn Dr . Revermann und Herrn Dr . Sauter,
unter dessen Federführung auch der diskutierte Bericht
entstand . In Anerkennung der Arbeit des TAB haben wir
jüngst erstmals seit dessen Gründung 1990 die Mittel si-
gnifikant erhöht. Der fraktionsübergreifend befürwortete
Aufwuchs im Bundeshaushalt 2017 beträgt 25 Prozent,
womit das gesamte Haus seine Anerkennung ausge-
drückt hat .
Welche Empfehlungen gibt uns nun der Bericht? Auf-
grund der wachsenden Möglichkeiten von gezielten mo-
lekularbiologischen Veränderungen an Organismen ist
mit vielfältigen Anwendungen zu rechnen . Nach einer
Konzentration auf Mikroorganismen für die industriel-
le und medizinische Nutzung hat sich der Fokus jüngst
auf Genveränderungen bei Pflanzen und Tieren verlagert.
Dies verdeutlicht, dass öffentliche Debatten über die ver-
antwortungsvolle Weiterentwicklung und auch rechtliche
Regulierung der Gentechnik auf internationaler und nati-
onaler Ebene notwendig werden . Potenziale und Risiken
der Synbio gilt es abzuwägen und ergebnisoffene ethi-
sche Debatten zu führen .
Hierfür ist der federführende Ausschuss für Bildung,
Forschung und Technikfolgenabschätzung prädestiniert .
Ich plädiere für eine entsprechende Überweisung des
TAB-Berichtes .
René Röspel (SPD): Der Arbeitsbericht „Syntheti-
sche Biologie – Die nächste Stufe der Bio- und Gentech-
nologie“, den das Büro für Technikfolgenabschätzung
beim Deutschen Bundestag bereits Ende 2015 vorlegte
und um den es uns heute geht, hat nicht an Aktualität
verloren. Neue Verfahren wie CRISPR-Cas9, die wohl
bekannteste Methode des sogenannten Genome Editing,
versprechen präzise Eingriffe zur kontrollierten Verände-
rung im Erbgut, die effizienter als die bisher verfügba-
ren Methoden seien . Dadurch werden unter Umständen
ganz neue Dimensionen für die molekularbiologische
Grundlagenforschung eröffnet. Als „Paradebeispiel“ für
die Anwendungspotenziale der neuen Technologien wird
die Züchtung mehltauresistenten Weizens angeführt – ein
Unterfangen, das in Pre-CRISPR-Zeiten als beinahe aus-
sichtslos galt . Mehltau, ein verbreiteter Pilz, war und ist
ein großes Problem für die Landwirtschaft, da er in der
Regel zu hohen Ertragsausfällen führt . Gehören solche
Schwierigkeiten dank der Synthetischen Biologie nun
bald gänzlich der Vergangenheit an? Ohne diese Frage
abschließend beantworten zu können, mahne ich zur Vor-
sicht und Zurückhaltung – noch stehen ganz andere und
nicht minder wichtige Fragen im Zentrum der Debatte:
(Sicherheits-)politische, rechtliche und ethische Fragen,
die mit der Synthetischen Biologie verbunden sind, wer-
den auf allen Ebenen kontrovers diskutiert . Besonders
interessant an den geführten Debatten finde ich die Aus-
gangsfragestellungen, die ihnen in der Regel zugrunde
liegt und die ich wie folgt zusammenfassen würde: Syn-
bio, was ist das eigentlich? Soll da „Leben“ zusammen-
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722682
(A) (C)
(B) (D)
gebaut werden, wie einige das als Vision nennen? Han-
delt es sich dabei um etwas strukturell so Neues, dass
wir mit unseren bisherigen Kategorien und Fragestel-
lungen nicht mehr weiterkommen, oder können wir an
diese anknüpfen und müssen sie nur weiterentwickeln?
Der TAB-Bericht nimmt eine Basisunterscheidung vor,
die Synbio im engeren Sinne als „Herstellung von »am
Reißbrett« entworfenen und de novo konstruierten Zel-
len oder Organismen (oder auch von zellfreien biologi-
schen bzw. biochemischen Systemen)“ definiert, und im
weiteren Sinne als „Sammelbegriff aller aktuell verfolg-
ten, zunehmend informationsbasierten und meist anwen-
dungsorientierten Ansätze der molekularbiologischen
Veränderung bekannter Organismen.“
Dass sich die Debatte zum Großteil auch nach wie vor
auf einer solchen Metaebene befindet, zeigt zum einen,
wie komplex das ist, was wir unter Synthetischer Biolo-
gie verstehen, und zum anderen, dass wir einfach noch
nicht genau wissen, was die neuen Technologien alles
könnten und zu welchem Preis .
Der vorliegende TAB-Bericht bestätigt dies in weiten
Teilen .
Ich halte eine zurückhaltend differenzierende Haltung
in Zeiten reißerischer Schlagzeilen auch aus dem Wis-
senschaftsbetrieb für angebracht . Während die ersten
schon davon sprechen, den „Rotstift Gottes“ gefunden
zu haben, und behaupten, dadurch gehörten Zika-Mü-
cken eher morgen als übermorgen der Vergangenheit an,
mahnen viele Forscherinnen und Forscher zur Vorsicht.
All dies erinnert stark an all die „Heilsversprechen“ der
Gentechnikdebatte, die leider bis heute in den meisten
Fällen nicht eingelöst werden konnten .
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, das Büro für Tech-
nikfolgenabschätzung wieder einmal ausdrücklich zu lo-
ben und mich herzlich zu bedanken . Denn es reiht sich
mit seiner Abhandlung nicht einfach in den wachsenden
Hype ein, sondern nähert sich dem Thema nüchtern und
analytisch . Nur so kann gute Technikfolgenabschätzung
gelingen .
Bei allen bestehenden Unklarheiten ist allerdings
auch gewiss, dass sich die Forschungspolitik des The-
mas annehmen muss . Die im Arbeitsbericht des TAB
dargestellten Potenziale der Synthetischen Biologie sind
beeindruckend . Unter anderem für die Landwirtschaft
und Pflanzenzüchtung, die chemische Produktion und
Energiegewinnung, die Umweltsensorik und -sanierung
sowie die Medizin sind Anwendungsmöglichkeiten
denkbar . Ohne jegliche Fortschrittsfeindlichkeit müssen
wir uns nun fragen, zu welchem Preis diese Potenziale
ausgehoben werden können .
Erneut ergeben sich Parallelen zu vergangenen bzw .
immer noch andauernden Debatten über die Gentechnik
oder die Nanotechnologie .
Wir sollten nun auf dem, was wir aus diesen großen
Diskussionen – hoffentlich – gelernt haben, aufbauen.
Das heißt in meinen Augen vor allem, dass wir anste-
hende – ethische – Risikodebatten – denn diese sind in
meinen Augen stets die relevantesten – von vornherein
langfristig und ressortübergreifend gestalten und echte
Beteiligungsmöglichkeiten für alle relevanten Akteure
sicherstellen . Wie das funktionieren kann, deutete das
Fachgespräch des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung zur Synthetischen Biolo-
gie vom September 2016 an . Hier tauschten sich unter
anderem Biologinnen, Philosophinnen, Unternehmerin-
nen, Biohackerinnen und Behördenvertreterinnen kon-
struktiv über die Thematik aus . Dabei wurde schnell
deutlich, dass es bei der Synbio um mehr als eine po-
tenzielle Schlüsseltechnologie der Bioökonomie geht . So
wurden Dual-Use-Problematiken genauso problemati-
siert, wie die Frage, ob unsere Gentechnikdefinition die
Synbio überhaupt angemessen erfassen kann . Wir müs-
sen uns ferner vom Gedanken trennen, dass es die Syn-
thetische Biologie und das „genome editing“ gebe . Da-
hinter verbirgt sich nämlich eine Vielzahl von Methoden,
die jeweils einer eigenständigen Bewertung bedürfen .
In einer großen und gut besuchten Diskussionsveran-
staltung, die der deutsche Ethikrat gemeinsam mit der
DFG und Leopoldina im Februar diesen Jahres ausrichte-
te, fragten sich Landwirtinnen, Juristinnen, Ethikerinnen
und andere ebenfalls, ob wir eine neue Gentechnikdefi-
nition benötigen und, wenn ja, welche Anforderungen an
eine solche zu stellen seien .
Angesichts dieser interdisziplinären Ansätze und der
fundierten Debatten, die aktuell in Deutschland geführt
werden, bin ich zuversichtlich, dass wir auf einem guten
Wege sind . Ich bin da ganz beim TAB, wenn es unter-
streicht, dass sich gerade die Entwicklung von gesell-
schaftlich potenziell umstrittenen Technologien, wie der
Synbio, an der Lösung konkreter Probleme orientieren
sollte .
Am Ende dieses Prozesses muss eine kluge, nachhal-
tige und ethisch verantwortbare Regulierung stehen . Das
TAB führt uns hierzu einmal mehr auf den richtigen Pfad .
Ganz unabhängig von diesen politischen Erwägungen
finde ich die Entwicklungen im Bereich der syntheti-
schen Biologie übrigens unglaublich spannend . Ich bin
sicher nicht der einzige, der die Entdeckung der CRISPR/
Cas9-Methode durch die Emmanuelle Charpentier, die
übrigens hier in Berlin forscht, sowie Jennifer Doudna
aus dem Jahre 2013 für höchst nobelpreisverdächtig hält .
Auch als Biologe freue ich mich auf anregende Debatten,
die wir in diesem Hause dazu noch führen werden . Einen
grundsätzlichen Unterschied zur bisherigen Gentech-
nologie erkenne ich noch nicht, sodass ich politischen
Handlungsbedarf derzeit nicht sehe. Aber wir befinden
uns mitten in der Diskussion, und wir sollten die Ent-
wicklung weiterhin aufmerksam verfolgen .
Anlage 13
Zu Protokoll gegebene Reden
zur Beratung:
– der Beschlussempfehlung und des Berichts des
Innenausschusses zu dem Antrag der Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD: Innovativer
Staat – Potenziale einer digitalen Verwaltung
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22683
(A) (C)
(B) (D)
nutzen und elektronische Verwaltungsdienst-
leistungen ausbauen
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dieter
Janecek, Dr. Konstantin von Notz, Kerstin
Andreae, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Stillstand
beim E-Government beheben – Für einen inno-
vativen Staat und eine moderne Verwaltung
(Tagesordnungspunkt 27)
Michael Frieser (CDU/CSU): Die Digitalisierung ist
eines der zentralen Themen unserer Zeit. Vor allem wird
es derzeit im Hinblick auf den Arbeitsmarkt, Arbeitszeit-
modelle sowie Möglichkeiten für die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf diskutiert . Digitalisierung ist aber in
besonderer Weise eine große Chance für den ländlichen
Raum . In den letzten Jahren gab es einen verstärkten Zu-
zug in die Städte. Es wurde von Landflucht und Entlee-
rung der Räume gesprochen . Doch die Binnenmigration
verändert sich . Der ländliche Raum ist durchaus mit posi-
tiven Bildern verbunden, wie unter anderem auch die Er-
folge von Magazinen, die sich dem Landleben widmen,
zeigen . Und der ländliche Raum bietet bezahlbaren und
verfügbaren Wohnraum, bietet also das, was in Städten
zunehmend fehlt und besonders für junge Familien ein
Problem darstellt .
Abgesehen von den allgemeinen Chancen der Digi-
talisierung durch neue Arbeitszeitmodelle, die Verein-
barkeit von Beruf und Familie, ergeben sich wichtige
Impulse für den ländlichen Raum durch die mögliche
Vermeidung von Fahrtwegen. In einem entscheiden-
den Punkt liegen wir jedoch noch zurück. Das betrifft
Deutschland im Allgemeinen, stellt aber vor allem auf
dem Land einen besonderen Nachteil dar: der schlep-
pende Ausbau von E-Government-Angeboten in seiner
Fülle . Und genau hier setzt der diskutierte Antrag der
Regierungsfraktionen zu einem innovativen Staat an .
Dass Deutschland hier allein dem Nachbarn Österreich
zehn Jahre hinterherhinkt, ist bekannt, von Musterlän-
dern wie Estland ganz zu schweigen . Doch es ist nichts
verloren, und die ersten richtigen Schritte wurden bereits
getan. Mit der Einführung der eID ist eine wichtige Vo-
raussetzung erfüllt . Dies gilt es auszubauen, nicht nur für
Bürger, sondern auch für Unternehmen, Verbände und
Behörden, sodass eine einheitliche Authentifizierung
über alle Ebenen hinweg möglich ist . Dies ist eine der
Grundvoraussetzungen für die Nutzung der Potenziale,
die in einem Ausbau der digitalen Verwaltung und der
elektronischen Dienstleistungen bestehen .
Genau dies sind die notwendigen Ergänzungen für
das Attraktivitätsangebot im ländlichen Raum . Große
Distanzen, beispielsweise zu Behörden, stellen für die
Menschen vor Ort ein Hindernis dar . Das gilt nicht nur
für den Weg, sondern auch den damit verbundenen zeit-
lichen Zusatzaufwand, zumal die bereits heute mögli-
chen Dienstleistungen zeigen, dass die Aufträge deutlich
schneller ausgeführt werden können . Als Beispiel sei die
Beantragung eines polizeilichen Führungszeugnisses ge-
nannt . Gehen Sie wie gewohnt zum Amt, müssen Sie mit
einer Bearbeitungsdauer von etwa zwei Wochen rechnen;
lösen Sie den Auftrag online aus, haben Sie das Zeugnis
in der Regel innerhalb der nächsten drei Werktage . Dies
ist ein deutlicher Fortschritt und zeigt, welches Potenzi-
al die digitale Verwaltung und elektronische Dienstleis-
tungen bieten . Bauen wir dies aus, kann vor allem der
ländliche Raum davon profitieren und das Lebens- und
Wohnumfeld stabilisiert und attraktiver gestaltet werden .
CDU und CSU haben das Potenzial erkannt und bringen
den Ausbau des innovativen, digitalen Staates voran .
Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Ich freue mich,
dass wir heute den Antrag „Innovativer Staat“ der Koali-
tionsfraktionen nach den Beratungen in den Ausschüssen
endgültig verabschieden können . Denn die Zeit drängt:
Wie ich schon in meiner ersten Rede zu diesem Thema
ausgeführt habe, ist das Angebot von digitalen Verwal-
tungsdienstleistungen in Deutschland erschreckend ge-
ring. Dies trifft auch auf die Nutzerzahlen zu; denn wo
kaum Leistungen angeboten werden, können auch keine
Nutzer für das Angebot gewonnen werden .
Deutschland liegt damit im europäischen Vergleich
im unteren Mittelfeld . Gerade unsere Nachbarn Schweiz
und Österreich sind hier deutlich besser aufgestellt . Die-
sen Rückstand müssen wir unbedingt aufholen, denn es
sollte unser Anspruch sein, auch im Bereich der Digita-
lisierung von Verwaltungsdienstleistungen im europäi-
schen Vergleich im Spitzenfeld zu stehen.
Wie viel Nachholbedarf wir in Deutschland haben und
welchen Nerv wir mit diesem Antrag getroffen haben, hat
sich mir auch nach unserer letzten Plenardebatte gezeigt .
Ich habe Anrufe und Zuschriften von einigen Bürgern
und einer Reihe von Unternehmen erhalten, die sich da-
rüber gefreut haben, dass wir das Thema der Digitalisie-
rung unserer Verwaltung endlich angehen wollen. Nicht
zuletzt deshalb meine ich, dass Bürger und Unternehmen
bessere, nutzerfreundliche und deutlich ausgebaute digi-
tale Verwaltungsangebote sehr begrüßen würden. Des-
halb ist es unverzichtbar, dass der Bund nun das Tempo
bei der Verwaltungsdigitalisierung erhöht.
Erste Anzeichen für eine solche Tempoverschärfung
sind bereits zu beobachten. Vor kurzem hat sich der Deut-
sche Bundestag in erster Lesung mit dem Gesetz zur Neu-
ordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen befasst .
Teil dieses umfangreichen Gesetzespakets, das bekannt-
lich auch mehrere Grundgesetzänderungen umfasst, ist
auch das Onlinezugangsgesetz, das alle Behörden von
Bund, Ländern und Kommunen dazu verpflichtet, ihre
Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 auch elektronisch
zur Verfügung zu stellen. Dazu sollen alle bestehenden
Portale mit digitalen Verwaltungsdienstleistungen der
verschiedenen Ebenen zu einem Portalverbund zusam-
mengeführt und damit den Bürgern und Unternehmen
zugänglich gemacht werden . Mithilfe eines einzurichten-
den Nutzerkontos können Bürger und Unternehmen sich
über Verwaltungsdienstleistungen informieren und dann
die entsprechenden Angebote in Anspruch nehmen .
Mich freut hierbei besonders, dass die Bundesregie-
rung ein lebenslagengestütztes Verfahren anbietet, das
heißt, die Verwaltungsdienstleistungen werden an den
Bedürfnissen der Nutzer ausgerichtet und nicht an den
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722684
(A) (C)
(B) (D)
Strukturen der Verwaltung. Außerdem sollen alle Dienst-
leistungen aus einer Hand angeboten werden – die Ver-
waltungsstrukturen von Bund und Ländern sind im Hin-
tergrund und für die Nutzer nicht zu erkennen. Ich finde,
dass die Bundesregierung mit dem Vorschlag, einen Por-
talverbund einzurichten, schon einen sehr großen Schritt
in die Richtung gemacht hat, die wir mit unserem Antrag
vorgeben wollen . Das Gesetz ist sicherlich ambitioniert,
allerdings haben wir auch einen großen Rückstand aufzu-
holen. Ich hoffe, dass die Bundesregierung, inspiriert von
unserem Antrag, nun weitere Gesetzesvorhaben dieser
Art folgen lassen wird. Denn der Bund muss Vorreiter
für die übrigen Ebenen sein .
Die deutsche Verwaltung gilt nach wie vor weltweit
häufig als Vorbild. Damit das so bleiben kann, müssen
wir unsere Verwaltungsstrukturen unbedingt an das
21 . Jahrhundert anpassen . Mit diesem Antrag hat der
Bundestag seinen Beitrag dazu geleistet .
Saskia Esken (SPD): Was macht eine moderne und
effiziente öffentliche Verwaltung aus? Meines Erachtens
entscheidet sich diese Frage beim alltäglichen Umgang
der Verwaltung mit den Bürgerinnen und Bürgern.
Eine moderne und effiziente öffentliche Verwaltung
begreift sich als Dienstleister . Als Nutzer erwarten wir
heute, dass wir unsere Behördengänge online und mobil
erledigen können . Und wir wollen uns darauf verlassen
können, dass die zum Teil sehr sensiblen Daten, die wir
mit der Behörde teilen, nicht in unbefugte Hände geraten .
Gemessen an diesen Erwartungen muss die deutsche
Verwaltung noch einiges nachholen. Das sagen uns auch
diverse Studien und internationale Vergleiche zum The-
ma E-Government . Egal welche Studie wir heranziehen,
sie alle kommen zu einem einhelligen Urteil: Die Ange-
bote der digitalen Verwaltung in Deutschland sind dürf-
tig – in Anzahl und Qualität, aber auch in ihrer Nutzung,
also in der Akzeptanz .
So belegt Deutschland zum Beispiel beim gerade er-
schienenen „Digital Economy and Society Index 2017“
der Europäischen Kommission den elften Rang . Damit
befinden wir uns im gesicherten Mittelfeld; nicht gerade
eine Traumplatzierung!
Die Autoren der Studie schreiben, die größte Heraus-
forderung für die deutsche Verwaltung bestehe darin, die
Online-Interaktion zwischen Behörden und Bürgern zu
verbessern . Nur 19 Prozent der Deutschen nutzten der
Studie nach E-Government-Dienste .
Diese kurze Ausführung zeigt, dass die Politik im Be-
reich E-Government noch viel zu tun hat . Zwar haben
wir mit dem im Jahr 2013 in Kraft getretenen E-Govern-
ment-Gesetz und mit dem in dieser Legislatur beschlos-
senen Programm „Digitale Verwaltung 2020“ einige
Schritte getan; deren Umsetzung geht jedoch quälend
langsam und nicht konsequent genug voran . Ich bin
deshalb dankbar, dass wir uns mit unserem Koalitions-
partner auf den vorliegenden Antrag zum E-Government
geeinigt haben .
Ein wichtiger Bestandteil ist das Bürgerkonto, über
das die Nutzer sicher mit der Verwaltung kommunizie-
ren können. Als eindeutige Identifikation beim Zugriff
auf das Bürgerkonto dient die elektronische ID des neuen
Personalausweises . Bei allen neu ausgestellten Personal-
ausweisen soll die eID deshalb – anders als bisher – vor-
eingestellt sein und nur auf Wunsch abgeschaltet werden .
Opt-out statt opt-in also .
Ein weiteres wichtiges Anliegen unseres Antrags wird
in der Fachwelt als Open Government und Open Data
diskutiert. Hier geht es um die Offenheit und Transparenz
staatlichen Handelns sowie um den freien Zugang zu den
Daten der Verwaltung. Der zuvor zitierte „Digital Eco-
nomy and Society Index“ stellt fest, dass in Deutschland
im Bereich Open Data „kein Wachstum zu verzeichnen“
sei .
Im Antrag fordern wir die Offenlegung von Verwal-
tungsdaten, und zwar nicht auf Antrag, sondern proaktiv,
in einheitlichen und maschinenlesbaren Formaten und
unter freien Lizenzen . Es ist zu begrüßen, dass die Regie-
rung noch in dieser Legislatur ein solches Open-Data-Ge-
setz in Form einer Änderung des E-Government-Geset-
zes vorlegen wird .
Wie ich bereits erwähnte, ist das Vertrauen der Nutzer
in die Sicherheit von Daten und Kommunikation von zen-
traler Bedeutung bei der Frage, ob und in welchem Um-
fang die E-Government-Angebote der Verwaltung von
der Bevölkerung benutzt werden . Deshalb ist es wichtig,
dass die Verwaltung den Bürgerinnen und Bürgern siche-
re, durchgängig oder, wie man sagt: Ende-zu-Ende ver-
schlüsselte Kommunikationswege zur Verfügung stellt.
Nicht nur die Unternehmen der kritischen Infrastruk-
tur, auch die digitale Verwaltung ist durch cyberkriminel-
le Angriffe in ihrer Funktions- und Handlungsfähigkeit
hoch gefährdet und muss sich deshalb besonders schüt-
zen . Sie muss deshalb, auch das ist Gegenstand unseres
Antrags, beim Umgang mit solchen Angriffen, beim Ein-
satz von IT-Sicherheitstechnik und bei der Anwendung
von IT-Sicherheitsverfahren eine Vorreiterrolle spielen.
Vom digitalen Staat, von der digitalen Verwaltung
sind wir in Deutschland noch weit entfernt . Mit dem vor-
liegenden Antrag fordern wir die Bundesregierung auf,
den eingeschlagenen Weg gemeinsam mit Ländern und
Kommunen weiter zu beschreiten, damit Deutschland
in Zukunft auch bei Rankings zum E-Government einen
Spitzenplatz belegen kann .
Mahmut Özdemir (Duisburg) (SPD): Informati-
onstechnische Systeme haben das Verhältnis von Staat,
Bürger und Wirtschaft grundlegend verändert . Daten
sind die neue Währung der digitalisierten Welt . Unse-
re Rechtsordnung ist davon nicht unberührt geblieben,
denn wir haben auf das Dreiecksverhältnis zwischen
Bürger, Staat und Wirtschaft reagiert und reagieren müs-
sen . Zwischen Bürgern und Staat ist grundrechtlich im
Sinne von Abwehrrechten des Bürgers gegen den Staat
seit der Entscheidung des BVerfG mit der Kreation eines
Grundrechts auf Schutz der Vertraulichkeit und Integri-
tät informationstechnischer Systeme längst ein Anknüp-
fungspunkt geschaffen. Zwischen Bürgern als Verbrau-
chern und Wirtschaft scheint dies nicht zu gelten oder
einfach mit dem Setzen eines digitalen Häkchens unter
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22685
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eine – ausgedruckt zig Seiten umfassende – Erklärung
erledigt zu sein . Man könnte fast sagen, der Bürger hätte
es nicht erledigt, sondern sich einiger Schutzmechanis-
men entledigt .
In diesem System ein ganzheitliches Angebot von di-
gitaler Verwaltungsdienstleistung anzulegen, ist eine He-
rausforderung – und im Mindestmaß jedoch ein Werk,
das mit kleinen Schritten voranzugehen scheint .
Bund und Länder haben mit Artikel 91c GG eine not-
wendige Grundlage für die Zusammenarbeit geschaffen,
die in den Vertrag zur Errichtung des IT-Planungsrates
mündete . Der große Wurf gelang damit jedoch nicht . Die
Vergabe der öffentlichen Hand für IT-Ausstattung und
interoperable Systeme sind immer noch weit weg von
der Harmonisierung . Hier müssen wir dringend zu wirk-
sameren Instrumenten greifen und mehr Verbindlichkeit
herstellen . Die Zaghaftigkeit im IT-Bereich korrespon-
diert mit einem Weniger an Staat in der digitalen Lebens-
realität der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland .
Ein Attest für gesetzgeberische Zaghaftigkeit war da-
her, dass sich das BVerfG 2008 genötigt sah, ein Grund-
recht zu entwickeln: „Schutz der Vertraulichkeit und
Integrität informationstechnischer Systeme“ . Und acht
Jahre später, am 17 . August 2016, titelt die FAZ – immer
noch – mit einem prominent platzierten ganzseitigen Ar-
tikel: „Wir brauchen ein Digitalgesetz!“
Deshalb ist es richtig und wichtig, dass wir mit diesem
Antrag die Strategie der Bundesregierung gesetzgebe-
risch fordern . Die Wirtschaft hat es erkannt, den Komfort
durch elektronische Dienste gewinnbringend einzuset-
zen . Nutzerdaten, elektronische Zahlungsmethoden und
in Algorithmen verschwindende Suchbegriffe der Nutzer
werden zu einer Dienstleistung verschmolzen, die das
Leben vereinfacht . Die Standardisierung dieser Prozesse
führte zu einer Evolution, die das Nutzerverhalten antizi-
pierte . Diese Lebenswirklichkeit der Menschen müssen
wir als Staat aufnehmen . Staatliche Dienstleistungen
müssen komfortabel, sicher und zeitgemäß werden –
vom Personalausweis bis zur Verwaltungsdienstleistung.
Dieser Gleichschritt aus Komfort, Sicherheit und
Zeitgemäßheit ist aber vermutlich nicht weniger als der
berühmte Versuch der Quadratur des Kreises. Wir bewe-
gen uns stets auf dem schmalen Grad zwischen einem
gesunden und tolerablen Verhältnis aus Praktikabilität,
Datensicherheit und Datenschutz der Bürgerinnen und
Bürger. Gänzlich auflösen werden wir diesen Antagonis-
mus wohl nie, sodass wir hier stets und immer wieder
aufs Neue mit wachem Auge und Fingerspitzengefühl
rechtliche Rahmenbedingungen schaffen, aber auch –
wo nötig – begrenzen müssen . Insgesamt besteht bei
der Verbindung, Verschlüsselung und der Art und Weise
der Übermittlung von Daten zwischen Verwaltung und
Bürgern noch Handlungsbedarf . Allerdings hat hier die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum
Schutz der Vertraulichkeit und Integrität informations-
technischer Systeme einen exzellenten Maßstab für den
Gesetzgeber und die Verwaltung gesetzt, den es beim
künftigen gesetzgeberischen Tätigwerden zu beachten
gilt .
Dennoch gilt für uns die Grundüberzeugung: Die Be-
schleunigung der Entwicklung einer digitalen und mo-
dernen Verwaltung ist notwendig und muss zügig voran-
getrieben werden .
Bei diesem Vorhaben konnten auch durchaus schon
Erfolge erzielt werden . So ist mit Blick auf die Mittei-
lung der Kommission zum EU-E-Government-Aktions-
plan 2016-2020 bei der elektronischen Vergabe und in
der elektronischen Rechnungsstellung im Binnenmarkt
bereits sehr viel erreicht worden . Allerdings werden
diese Erfolge andererseits wieder durch unzureichende
Ausstattung mit technisch geeigneter EDV konterkariert,
weil mit der aktuell verwendeten Technik eine rechtssi-
chere Vergabe derzeit noch unmöglich ist. Ich glaube,
der Schlüssel liegt hier in einem Vergaberecht, das die
Interoperabilität der Systeme in Bund, Ländern und Ge-
meinden sicherstellt, die derzeit durch die – grundsätz-
lich richtige – Verwaltungs- und Organisationsautonomie
verhindert wird .
Notwendig ist daher auch ein Staatsvertrag, der
Schnittstellen für den Abruf zentraler Datensätze bei
gleichzeitiger Wahrung eines gemeinsam mit den Lan-
desdatenschutzbeauftragten zu erarbeitenden Daten-
schutzkodexes verbindlich festlegt, um wenigstens die
60 wichtigsten Verwaltungsdienstleistungen für Bund
und Länder in einer einheitlichen Maske anbieten zu
können . Der unter Beachtung des Datenschutzes not-
wendige zentrale Zugriff auf Datensätze durch Bund und
Länder hat sich beim Ende des letzten Jahres verabschie-
deten Luftsicherheitsgesetz gezeigt, mit dem durch digi-
tale Verwaltung die Effizienz, aber auch die Sicherheit
erhöht worden ist .
Allerdings ist die Digitalisierung kein Selbstzweck .
Politische Vorhaben müssen sich stets am Wohle der Bür-
gerinnen und Bürger ausrichten . Dieser Topos bedeutet
für mich hier im Konkreten zweierlei: Einerseits soll das
Vorantreiben der Digitalisierung in der Verwaltung nicht
auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen werden .
Ein Mehr an Digitalisierung darf nicht zu einem Weniger
an Beschäftigten und entsprechenden Einsparungen in
der Verwaltung führen. Es mag sinnvoll erscheinen, die
Chancen der Digitalisierung zu nutzen, um Pensionie-
rungs- und Rentenwellen abzufedern . Es darf aber nicht
passieren, dass wir als Staat in unserem Einflussbereich
die Menschen massenhaft auf die Straße setzen .
Und andererseits gilt: Um allen Menschen gleichen
Zugang zu Verwaltungsdienstleistungen zu garantieren,
muss auch auf diejenigen Rücksicht genommen werden,
die aus ökonomischen oder technischen Gründen E-Go-
vernment-Angebote nicht nutzen könnten . Denn eine di-
gitale Verwaltung soll Vorteile für die Bürgerinnen und
Bürger schaffen und den Komfort im Alltag erhöhen,
aber niemanden ausgrenzen!
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): Was E-Government
und die Digitalisierung der Verwaltung angeht, ist
Deutschland leider weit im Hintertreffen. Und daran hat
sich in den vergangenen Jahren auch wenig geändert .
Wie kommt das? Schaut man sich den Antrag der
Koalition an, könnte man auf den Gedanken kommen,
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 201722686
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es müsse wohl daran liegen, dass bisher nicht genügend
wohlklingende Zielvorstellungen aufgeschrieben wur-
den . Allein, gerade daran fehlt es nicht .
Bei den Zielen werden wir uns wohl alle schnell einig:
die leicht zugängliche Möglichkeit für alle, Anliegen ge-
genüber der Verwaltung auch elektronisch zu erledigen;
eine leistungsfähige Verwaltung, die nicht mehr so viel
Zeit mit dem Bewältigen von Medienbrüchen verbringt;
ein hohes Niveau der IT-Sicherheit, insbesondere um
persönliche Daten zu schützen; und mehr Transparenz
staatlichen Handelns .
Nur wenigen Dingen, die in dem vorliegenden Antrag
stehen, lässt sich direkt widersprechen . Es fehlt ihm aber
an Konzepten und an konkreten Vorgaben.
Die erfolgreiche Einführung von E-Government er-
fordert finanziellen und personellen Einsatz, wobei wir
insbesondere die Kommunen nicht auf sich allein gestellt
lassen können . Sie erfordert einen Ansatz, der die Per-
spektive der Beschäftigten und ihre Mitbestimmungs-
rechte ernst nimmt . Sie erfordert ganz allgemein die Be-
reitschaft, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Und
von alldem ist hier wenig zu lesen .
Sie halten beispielsweise immer noch am gescheiter-
ten Projekt De-Mail fest, statt auf existierende Standards
der Verschlüsselung zu setzen. Überhaupt ist das Vorge-
hen der Bundesregierung hier zwiespältig: Einerseits will
man verschlüsselte Kommunikation stärken, andererseits
wendet man beträchtliche Mittel auf, um Wege zu finden,
sie zu umgehen . Sicherheitslücken sollen also sowohl ge-
schlossen als auch ausgenutzt werden . Die Cybersicher-
heitsstrategie der Bundesregierung adelt das zur „Kryp-
to-Strategie“; strategisch ist daran aber nichts .
Sie bekennen sich – mal wieder – zu Open Data . Sie
hätten in den letzten Jahren jede Gelegenheit gehabt,
hierfür den rechtlichen Rahmen zu schaffen. Während in
immer mehr Bundesländern das Informationsfreiheits-
recht hin zu Transparenzgesetzen weiterentwickelt wird,
warten wir nun hier auf ein Open-Data-Gesetz, das ab-
sehbar immer noch keine durchsetzbare Pflicht zur Ver-
öffentlichung von Daten vorsehen wird.
Sie wollen den IT-Planungsrat stärken . Aber gerade
kürzlich erst hat die Bundesregierung den Entwurf eines
Onlinezugangsgesetzes vorgelegt, das dem Bund neue
Kompetenzen gibt und die Rolle des Planungsrats eher
beschränken wird .
Ihrem gesamten Antrag fehlt es an einer klaren Linie
und an eigenen Konzepten . Ihn hier zu verabschieden,
wird kein einziges E-Government-Projekt einen Schritt
voranbringen .
Der Antrag der Grünen benennt die Probleme weit
deutlicher und stellt auch eine ganze Reihe richtiger
Forderungen auf, denen wir zustimmen können . Auch er
spart aber einen wichtigen Punkt aus .
Es ist richtig, dass mit der Digitalisierung der Verwal-
tung große Effizienzgewinne zu erwarten sind; Sie zitie-
ren die 34 Prozent aus der Studie des Normenkontrollrats .
Aber wem soll dieser Gewinn zugutekommen? Wenn Sie
das als „ökonomisches Einsparpotential“ bezeichnen,
zielen Sie am Ende womöglich auf Personalabbau .
Bei der Digitalisierung der Verwaltung auf den soge-
nannten „schlanken Staat“ zuzusteuern, vergibt aber ihre
echten Chancen und gefährdet auch die bei diesem The-
ma so notwendige Akzeptanz . Aus unserer Sicht müssen
Effizienzgewinne in die Stärkung der öffentlichen Ver-
waltung gehen, damit diese die ihr anvertrauten Aufga-
ben im Sinne der Menschen gut erfüllen kann .
Wenn wir das hinkriegen, können wir vielleicht in ei-
nigen Jahren einmal über dieses Thema reden, ohne eine
so schlechte Bilanz ziehen zu müssen .
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Ob E-Perso, De-Mail und ELENA, ob die
Gesundheitskarte oder das Informationstechnikzen-
trum Bund – die Liste an chronisch problembehafteten
IT-Großprojekten des Bundes ist schon lang, aber offen-
bar immer noch verlängerbar: In unschöner Regelmä-
ßigkeit wird erst großtrabend angekündigt, um dann bei
den absehbaren Mühen der Ebene umso schmallippiger
kommentiert ein Prestigevorhaben nach dem anderen in
den Sand zu setzen .
Denn meist ist man schlichtweg zu sehr am eigentli-
chen Bedarf vorbei, bleibt ohne Koordination, Standards
und Durchgängigkeit zu unpraktisch und unbekannt,
wenn nicht gar unauffindbar. Bei fehlender Marktent-
wicklung sind die Angebote auch noch zu teuer und tech-
nisch anfällig sowie ohne effektiven Datenschutz wenig
vertrauenswürdig . Akten werden nur selten vollständig
und systematisch elektronisch geführt . Open Source und
offene Standards spielen kaum eine Rolle, ja werden teils
zurückgesetzt, während bei der Beschaffung proprietärer
Produkte und Beratungsleistungen die Gefahr wächst,
von kommerziellen Marktführern an der Nase herumge-
führt zu werden .
Entsprechend eindeutig fallen Vergleichsstatistiken
aus: Die Bundesrepublik Deutschland verliert im EU-Di-
gitalisierungsindex den Anschluss, der Normenkontroll-
rat beklagt länger schon, dass es de facto kaum Angebo-
te gibt – die daher auch nur von wenigen angenommen
werden. Die Nutzungszahlen von Online-Verwaltungs-
diensten in Deutschland bleiben weit hinter Ländern wie
Österreich, Schweiz oder Schweden zurück, und es sieht
eher noch nach einer weiteren Rückentwicklung denn ei-
ner wirklichen Aufholjagd aus .
In ihrem Antrag räumt die Große Koalition immerhin
ungewohnt offenherzig die Bilanz des eigenen Scheiterns
ein: Es drohe „der Verlust der technologischen Souve-
ränität“ – nun das könnte damit zusammenhängen, wie
unsouverän diese Bundesregierung digitalpolitisch seit
Jahren unterwegs ist . Angesichts dieser Ausgangslage
ziehen Sie in manchem – wie bei der Bedeutung von
Open Data – sogar ansatzweise die richtigen Schlüsse,
freilich nur auf dem Antragspapier . Denn wie so oft in
den enttäuschenden Jahren Ihrer „Digitalen Agenda“
folgen den hehren Worten selten und nur unentschlos-
sen die richtigen Taten . Wenn man nicht gar mit einer
Verschlimmbesserung um die Ecke kommt, doch dazu
später .
Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 225 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 23 . März 2017 22687
(A) (C)
(B) (D)
Dabei hat eine Enquete-Kommission dieses Hauses in
der vergangenen Legislaturperiode fraktionsübergreifend
in einer tiefgehenden Grundlagenarbeit umfangreiche
und konkrete Handlungsempfehlungen vorgelegt, und
auch in den vergangenen Jahren hat sich der Deutsche
Bundestag intensiv mit diesen Fragen beschäftigt . Hier
besteht ja eigentlich Konsens, dass die Digitalisierung
unserer Verwaltung gerade mit Blick auf die demografi-
sche Entwicklung sowie den ländlichen Raum, aber auch
auf gestiegene Ansprüche an Beteiligung und Transpa-
renz enorme Chancen bietet . Das großes Synergie- und
Einsparpotenzial für unsere Verwaltung mitsamt entspre-
chender Entwicklungsanreize für die Wirtschaft spielen
also auch, aber keineswegs ausschließlich eine Rolle, wie
manche Fehlfokussierung in dieser Diskussion glauben
ließe .
Doch Sie bekommen leider das Kunststück fertig, die
Enquete-Empfehlungen entgegen Ihrer überraschend
schonungslosen Problemerfassung auch nur mit einem
Wort zu erwähnen – vielleicht weil es dann bei der fol-
gerichtigen Problemlösung in eigener Regierungsverant-
wortung allzu konkret würde .
So warten wir weiterhin auf eine kohärente, entschlos-
sen verfolgte Strategie, um die offensichtlichen Potenzia-
le von Open- und E-Government endlich zu heben . Nach
beinahe vier Jahren schwarz-roten Kompetenzgerangels
bräuchte es eine ressortübergreifende Zusammenarbeit
mitsamt einer zugstarken Koordinierung durch eine/n
Beauftragte/n der Bundesregierung . Mit Beratungsbü-
ros könnte der Bund frühzeitig Länder und Kommunen
bei der Implementierung entsprechender Angebote un-
terstützen. Für alle wesentlichen Verwaltungsverfahren
bedarf es der engen Abstimmung im föderalen Gefüge
mithilfe des IT-Planungsrats .
Statt immer neuer, aber aussichtsloser Leucht-
turm-Vorhaben, sollte man vielleicht erst einmal von un-
abhängiger Seite beleuchten lassen, warum die eigenen
IT-Projekte der vergangenen Jahren so spektakulär schei-
terten, und dann fortlaufend die eigenen Reformbemü-
hungen in Zweijahresschritten evaluieren .
Doch schon jetzt sollte über einige, seit langem eta-
blierte Grundsätze Einigkeit bestehen: Ein bisschen
Schriftformverzicht wird es kaum richten: Vielmehr
brauchen wir umfassend eine Vorrangigkeit digitaler
Verfahren und Verwaltungsleistungen, wobei konsequent
auf die Barrierefreiheit zu achten ist und zugleich immer
auch eine gleichwertige Alternative bestehen muss, zu-
mal solange diese Bundesregierung ebenso wenig eine
wirkliche Strategie für eine flächendeckende Breitband-
versorgung hat wie für die digitale Partizipation margina-
lisierter Gesellschaftsgruppen .
Ohne das Benutzervertrauen, dass ein Angebot tech-
nisch sicher und dabei der Datenschutz gewährleistet ist,
werden IT-Projekte wieder so ruhmlos enden wie De-
Mail, E-Perso oder ELENA. Hier bedarf es effektiver
Methoden wie der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung sowie
den neuesten Standards bei der Daten- und IT-Sicherheit .
Dass die Bundesregierung bei der aktuellen Umsetzung
der europäischen NIS-Richtlinie weiterhin die eigene
Verwaltung pauschal von den Sicherheitsanforderungen
an kritische Infrastrukturen ausnehmen will, dürfte da
eher nicht als vertrauensbildende Maßnahme durchge-
hen .
Nicht zuletzt müssen Best-Practice-Beispiele Schule
machen können. So zersplittert die öffentliche IT-Land-
schaft auch ist und so viele Probleme auf allen Ebenen
zweifelsohne bestehen: Immer wieder gibt es im Kleinen
und gerade auch in den Kommunen erfreuliche Vorrei-
ter . Der IT-Planungsrat hat in seiner langjährigen Bot-
tom-up-Strategie immer wieder eine bessere Koordinie-
rung angemahnt .
Angesichts der vielen gescheiterten Bundesprojekte
verwundert es da nun umso mehr, wie schnell, stark und
von oben herab mit einer weiteren Grundgesetzände-
rung und dem Onlinezugangsgesetz zentralisiert werden
soll . Anstatt endlich mal wenigstens ein IT-Projekt auf
Bundesebene zu wuppen, haben Sie nichts Besseres zu
tun, als ans Grundgesetz zu gehen . So sinnvoll hier eine
stärkere Koordinierung auch ist, solange Sie sich nicht
endlich an die ja seit langem bekannten Problemursachen
und entsprechenden Lösungsansätze machen, wird es mit
dem E-Government unter dieser Großen Koalition nichts
mehr werden .
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225. Sitzung
Inhaltsverzeichnis
TOP 3 Fortentwicklung des Standortauswahlgesetzes
TOP 4 Arbeit 4.0 – Arbeitswelt von morgen
TOP 5 Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht
TOP 34, ZP 1 Überweisungen im vereinfachten Verfahren
TOP 35, ZP 2 Abschließende Beratungen ohne Aussprache
ZP 3 Aktuelle Stunde „60 Jahre Römische Verträge“
TOP 32 Unternehmungen aus bürgerschaftlichem Engagement
TOP 7 Arbeitslosenversicherung
TOP 8 Umsetzung der EU-Geldwäscherichtlinie
TOP 9, ZP 4 Europaweiter Atomausstieg
TOP 10 Ausbau der Kindertagesbetreuung
TOP 11 Prekäre Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft
TOP 12 Umsetzung der Zahlungsdiensterichtlinie
TOP 13 Rechte indigener Völker
TOP 14 Fluggastdatengesetz
ZP 5 Verhandlungen über einen Atomwaffenverbotsvertrag
TOP 16 Änderung des Europolgesetzes
TOP 17 Änderung des Energie- und des Stromsteuergesetzes
TOP 18 Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung
TOP 19 Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie
TOP 20 Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht
TOP 21 Änderung des Weingesetzes
TOP 22 Stärkung der Innovationskraft von Unternehmen
TOP 23 Netzentgeltmodernisierungsgesetz
TOP 24 Gesetz über den Deutschen Wetterdienst
TOP 25 Vorschriften über Blut- und Gewebezubereitungen
TOP 26 Technikfolgenabschätzung – Synthetische Biologie
TOP 27 Digitale Verwaltung
Anlagen
Anlage 1
Anlage 2
Anlage 3
Anlage 4
Anlage 5
Anlage 6
Anlage 7
Anlage 8
Anlage 9
Anlage 10
Anlage 11
Anlage 12
Anlage 13