Protokoll:
18199

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 199

  • date_rangeDatum: 10. November 2016

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:02 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 23:26 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/199 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 199. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 10. November 2016 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abge- ordneten Manfred Behrens und Hubert Hüppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19757 A Begrüßung des neuen Abgeordneten Rainer Hajek . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19757 A Wahl der Abgeordneten Elisabeth Motschmann und Franz Thönnes als Mit- glieder des Stiftungsrates der Stiftung Zen- trum für Osteuropa- und internationale Studien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19757 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19757 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 5, 20, 31 und 41 a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19758 D Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 19759 A Gedenken an den Volksaufstand in Un- garn 1956 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19759 C Tagesordnungspunkt 4: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films (Film- förderungsgesetz – FFG) Drucksachen 18/8592, 18/8627, 18/10218 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19760 A b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Kultur und Medien zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Filmförderung – Impulse für mehr Innovation statt Kommerz, für soziale und Genderge- rechtigkeit und kulturelle Vielfalt Drucksachen 18/8073, 18/10218 . . . . . . . . 19760 A Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 19760 B Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 19762 A Burkhard Blienert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19763 B Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19765 C Dr . Astrid Freudenstein (CDU/CSU) . . . . . . . 19767 B Sigrid Hupach (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 19768 B Matthias Ilgen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19769 A Johannes Selle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 19769 C Zusatztagesordnungspunkt 1: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Klimakonferenz von Marrakesch – Pariser Klimaabkommen auf allen Ebenen vorantreiben Drucksache 18/10238 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19771 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Eva Bulling- Schröter, Hubertus Zdebel, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Pariser Weltklimavertrag auf der UN-Kli- makonferenz in Marrakesch in Gang brin- gen – Dekarbonisierung in Deutschland be- schleunigen Drucksache 18/10242 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19771 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016II in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Antrag der Abgeordneten Bärbel Höhn, Annalena Baerbock, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Klimaschutz entscheidend voranbringen Drucksache 18/10249 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19771 C Dr . Barbara Hendricks, Bundesministerin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19771 D Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 19773 B Andreas Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19774 A Dr . Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19776 A Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19777 A Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19777 C Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 19778 C Dr . Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 19779 A Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19781 A Dr . Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19782 B Peter Stein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19783 B Tagesordnungspunkt 6: a) Erste Beratung des von den Abgeordne- ten Luise Amtsberg, Volker Beck (Köln), Dr . Franziska Brantner, weiteren Abgeord- neten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthalts- gesetzes (Familiennachzug für subsidiär Geschützte) Drucksache 18/10044 . . . . . . . . . . . . . . . . 19784 D b) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen, Frank Tempel, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Familiennachzug zu anerkann- ten Flüchtlingen uneingeschränkt ge- währleisten Drucksache 18/10243 . . . . . . . . . . . . . . . . 19785 A Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19785 A Barbara Woltmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 19786 B Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19787 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 19788 C Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19790 A Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19790 C Martin Patzelt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19792 B Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19792 D Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19795 A Dr . Lars Castellucci (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 19796 C Martin Patzelt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 19797 A Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19798 B Tagesordnungspunkt 40: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zur Auflösung der Bundesmono- polverwaltung für Branntwein und zur Änderung weiterer Gesetze (Brannt- weinmonopolverwaltung-Auflösungsge- setz – BfBAG) Drucksache 18/10008 . . . . . . . . . . . . . . . . 19800 A b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Zwei- ten Gesetzes zur Änderung des Kreis- laufwirtschaftsgesetzes Drucksache 18/10026 . . . . . . . . . . . . . . . . 19800 B c) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Abbau verzichtbarer Anordnungen der Schriftform im Ver- waltungsrecht des Bundes Drucksache 18/10183 . . . . . . . . . . . . . . . . 19800 B d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zu dem Abkommen vom 21. De- zember 2015 über eine verstärkte Partnerschaft und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Kasachstan andererseits Drucksache 18/10212 . . . . . . . . . . . . . . . . 19800 B e) Antrag der Abgeordneten Heidrun Bluhm, Norbert Müller (Potsdam), Caren Lay, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Beteiligung des Bundes am Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam Drucksache 18/10061 . . . . . . . . . . . . . . . . 19800 C Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Reduzie- rung, Beschränkung und Verbesserung von Tiertransporten Drucksache 18/10251 . . . . . . . . . . . . . . . . 19800 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 III b) Antrag der Abgeordneten Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Existenzminimum verlässlich absichern, gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen Drucksache 18/10250 . . . . . . . . . . . . . . . . 19800 D c) Antrag der Abgeordneten Maria Klein- Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Fairen Wettbewerb in der solidarischen Krankenversicherung ermöglichen – Weiterentwicklung des morbiditätsorientierten Risikostruktur- ausgleiches vorantreiben Drucksache 18/10252 . . . . . . . . . . . . . . . . 19800 D Tagesordnungspunkt 41: b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Michael Schlecht, Klaus Ernst, Matthias W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Exportüberschüs- se abbauen – Wende in der Lohnpolitik einleiten Drucksachen 18/4837, 18/6251 . . . . . . . . . 19801 A c)–j) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 367, 368, 369, 370, 371, 372, 373 und 374 zu Petitionen Drucksachen 18/10048, 18/10049, 18/10050, 18/10051, 18/10052, 18/10053, 18/10054, 18/10055 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19801 B Tagesordnungspunkt 7: Wahlvorschlag der Fraktion der SPD: Wahl von Mitgliedern des Sondergremiums ge- mäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmecha- nismusgesetzes Drucksache 18/10096 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19802 A Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19802 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19815 B Zusatztagesordnungspunkt 5: Vereinbarte Debatte zur aktuellen Lage in der Türkei Dr . Frank-Walter Steinmeier, Bundesminis- ter AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19802 D Dr . Dietmar Bartsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 19804 D Dr . Franz Josef Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 19806 A Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19807 C Gunther Krichbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 19809 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 19810 C Michelle Müntefering (SPD) . . . . . . . . . . . . . 19811 B Dr . Andreas Nick (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19812 C Dr . Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 19813 D Dr . Andreas Nick (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19813 D Dr . Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 19814 A Tagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Erlass und zur Ände- rung marktordnungsrechtlicher Vorschrif- ten sowie zur Änderung des Einkommen- steuergesetzes Drucksache 18/10237 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19815 B Christian Schmidt, Bundesminister BMEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19815 C Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 19816 D Dr . Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . 19817 D Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19819 B Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) . . . . . . 19820 B Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 19821 C Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 19822 C Tagesordnungspunkt 9: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Neun- ten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen Drucksache 18/10207 . . . . . . . . . . . . . . . . 19823 C b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Sondergutachten der Monopolkom- mission gemäß § 44 Absatz 1 Satz 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschrän- kungen: Strafrechtliche Sanktionen bei Kartellverstößen Drucksache 18/7508 . . . . . . . . . . . . . . . . . 19823 C c) Antrag der Abgeordneten Michael Schlecht, Klaus Ernst, Karin Binder, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Parlaments- statt Ministerer- laubnis im Kartellrecht Drucksache 18/10240 . . . . . . . . . . . . . . . . 19823 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016IV in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr . Thomas Gambke, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Für mehr Transpa- renz und demokratische Kontrolle bei der Ministererlaubnis Drucksachen 18/8078, 18/10279 . . . . . . . . . . 19823 D Uwe Beckmeyer, Parl . Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19823 D Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 19824 D Dr . Matthias Heider (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 19825 C Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . . . 19826 A Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19827 C Marcus Held (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19828 D Axel Knoerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19829 D Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz- ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Frakti- on DIE LINKE: Keine Steuerbefreiung für Atomkraftwerke – Die Brennelementesteu- er muss bleiben Drucksachen 18/9124, 18/10094 . . . . . . . . . . 19831 B Norbert Schindler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19831 C Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 19832 C Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19833 D Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19835 B Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) . . . . . . 19836 B Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 19837 C Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 19838 C Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19841 C Tagesordnungspunkt 11: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Hand- lungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der Char- ta der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie des Beschlus- ses der Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016 Drucksachen 18/9960, 18/10244 . . . . . . . . 19838 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10275 . . . . . . . . . . . . . . . . 19838 D Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19838 D Dr . Alexander S . Neu (DIE LINKE) . . . . . . . . 19840 A Gisela Manderla (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 19844 A Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19845 B Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19846 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19847 C Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19848 C Dr . Alexander S . Neu (DIE LINKE) . . . . . . 19849 A Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19850 A Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19850 B Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19850 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) (Erklärung nach § 30 GO) . . . . . . . . . . . . . . 19851 C Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19852 A Julia Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 19852 C Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 19853 B Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19854 D Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Abgeordneten Markus Kurth, Maria Klein-Schmeink, Kerstin Andreae, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Mit Sicherheit in die Selbständigkeit – Für eine bessere Absiche- rung von Selbständigen Drucksache 18/10035 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19853 C Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19853 D Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . . 19857 B Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19859 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 V Sabine Zimmermann (Zwickau) (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19860 A Michael Gerdes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19861 A Tobias Zech (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 19862 B Dr . Martin Rosemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 19863 D Tagesordnungspunkt 13: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV (GKV-Arzneimittelversorgungs- stärkungsgesetz – AMVSG) Drucksache 18/10208 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19865 B Hermann Gröhe, Bundesminister BMG . . . . . 19865 B Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 19866 B Dr . Edgar Franke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19867 C Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19869 B Michael Hennrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19870 B Martina Stamm-Fibich (SPD) . . . . . . . . . . . . . 19872 A Tino Sorge (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19873 A Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für die Angelegenheiten der Europäi- schen Union zu dem Antrag der Abgeordneten Andrej Hunko, Azize Tank, Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: 50 Jahre Europäische Sozialcharta – Deutschlands Verpflichtungen einhalten und die Sozialcharta weiterentwickeln Drucksachen 18/4092, 18/10175 . . . . . . . . . . 19874 C Dr . Martin Pätzold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 19874 C Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 19875 B Angelika Glöckner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 19876 A Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . 19877 B Katrin Albsteiger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19878 A Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an der von den Vereinten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan (UNMISS) auf Grundlage der Resolution 1996 (2011) des Sicherheitsrates der Ver- einten Nationen vom 8. Juli 2011 und Fol- geresolutionen, zuletzt 2304 (2016) vom 12. August 2016 Drucksache 18/10188 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19879 C Michael Roth, Staatsminister AA . . . . . . . . . . 19879 C Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 19880 D Michael Vietz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19881 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 19882 C Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19882 D Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19883 D Tagesordnungspunkt 16: Antrag der Abgeordneten Markus Tressel, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Eine transparente Regional- kennzeichnung einführen – Regionale Pro- duktion, Verarbeitung und Vermarktung von Lebensmitteln stärken Drucksache 18/9544 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19884 D Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19884 D Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 19885 D Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 19886 C Dr . Karin Thissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19887 C Katharina Landgraf (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 19888 B Willi Brase (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19888 C Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit- kräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur (UNAMID) auf Grundlage der Re- solution 1769 (2007) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2296 (2016) vom 29. Juni 2016 Drucksache 18/10189 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19889 B Dr . Ralf Brauksiepe, Parl . Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19889 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 19890 C Dirk Vöpel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19891 B Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19892 A Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) . . . . . . . . 19893 A Tagesordnungspunkt 18: Bericht des Ausschusses für Recht und Ver- braucherschutz gemäß § 62 Absatz 2 der Ge- schäftsordnung zu dem von den Abgeordneten Diana Golze, Agnes Alpers, Nicole Gohlke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016VI zur Einführung des Rechts auf Eheschlie- ßung für Personen gleichen Geschlechts Drucksachen 18/8, 18/9914 . . . . . . . . . . . . . . 19894 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Bericht des Ausschusses für Recht und Ver- braucherschutz gemäß § 62 Absatz 2 der Ge- schäftsordnung zu dem von den Abgeordne- ten Volker Beck (Köln), Ulle Schauws, Katja Keul, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung des Eheverbots für gleichgeschlechtliche Paare Drucksachen 18/5098, 18/10227 . . . . . . . . . . 19894 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts Drucksache 18/6665 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19894 A Dr . Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 19894 B Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 19895 A Dr . Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . 19895 D Dr . Sabine Sütterlin-Waack (CDU/CSU) . . . . 19896 D Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19897 D Bettina Bähr-Losse (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 19898 D Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 19899 C Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19900 D Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengeset- zes Drucksache 18/10009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19901 B Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN zu den Entwürfen für eine Durchführungsverordnung und zwei Durchführungsbeschlüsse der Europäi- schen Kommission über das Inverkehrbrin- gen von Saat-gut zum Anbau der gentech- nisch veränderten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 (Dokumente SANTE/10702/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10704/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10703/2016 CIS Rev. 3) hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- desregierung gemäß Artikel 23 Ab- satz 3 des Grundgesetzes Keine Zulassung der gentechnisch verän- derten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für den Anbau in der EU Drucksache 18/10246 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19901 C Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19901 D Kees de Vries (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19902 D Dr . Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . 19903 C Rita Hagl-Kehl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19904 C Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . . . . . . 19905 C Ute Vogt (SPD) (zur Geschäftsordnung) . . . . 19906 B Tagesordnungspunkt 21: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Saat- gutverkehrsgesetzes Drucksachen 18/9531, 18/9907, 18/10102 Nr . 7, 18/10278 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19907 B Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rekrutierung von Minderjährigen für die Bundeswehr sofort beenden und kei- ne Ausbildung von Jugendlichen an Waffen Drucksache 18/10241 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19907 C Tagesordnungspunkt 23: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung für psychiatrische und psychosomatische Leistungen (PsychVVG) Drucksachen 18/9528, 18/9837, 18/10102 Nr . 2, 18/10289 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19907 D b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Dr . Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 VII BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Psychisch erkrankte Menschen besser versorgen – Jetzt Hilfenetz weiterentwickeln Drucksachen 18/9671, 18/10289 . . . . . . . . 19908 A Ute Bertram (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 19908 A Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 19909 A Dirk Heidenblut (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19910 B Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19911 C Reiner Meier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19912 C Tagesordnungspunkt 24: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes Drucksachen 18/9981, 18/10225 . . . . . . . . 19913 D – Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Regiona- lisierungsgesetzes Drucksachen 18/3563, 18/10284 . . . . . . . . 19913 D – Berichte des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksachen 18/10285, 18/10286 . . . . . . . 19913 D Tagesordnungspunkt 25: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Straf- sachen Drucksachen 18/9757, 18/10074 . . . . . . . . . . 19914 B Tagesordnungspunkt 26: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften zur Bevorratung von Erdöl, zur Erhebung von Mineralöldaten und zur Umstellung auf hochkalorisches Erdgas Drucksachen 18/9950, 18/10274 . . . . . . . . . . 19914 C Tagesordnungspunkt 27: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu der Unterrichtung durch die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter: Jahresbe- richt 2015 der Bundesstelle und der Län- derkommission Drucksachen 18/8966, 18/9129 Nr . 1 .2, 18/10217 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19914 D Tagesordnungspunkt 28: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktio- nen der CDU/CSU und SPD: Fluchtursachen bekämpfen – Aufnahmestaaten um Syrien sowie Libyen entwicklungspolitisch stärken Drucksachen 18/8393, 18/9658 . . . . . . . . . . . 19915 A Tagesordnungspunkt 29: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirt- schaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2017 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2017) Drucksachen 18/9753, 18/10290 . . . . . . . . . . 19915 B Tagesordnungspunkt 30: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 22. März 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Re- publik Serbien über die Zusammenar- beit im Sicherheitsbereich Drucksachen 18/9754, 18/10090 . . . . . . . . 19915 C b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 31. Mai 2013 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- land und dem Ministerrat der Republik Albanien über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich Drucksachen 18/9755, 18/10092 . . . . . . . . 19915 C c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 9. Juli 2014 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- land und der Regierung von Georgien über die Zusammenarbeit bei der Be- kämpfung der Organisierten Kriminali- tät, des Terrorismus und anderer Straf- taten von erheblicher Bedeutung Drucksachen 18/9756, 18/10091 . . . . . . . . 19915 D Tagesordnungspunkt 32: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Berufszulassungsrege- lung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter von Wohnungseigentum Drucksache 18/10190 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19916 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016VIII in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wohneigen- tumsrecht umfassend reformieren und mo- dernisieren Drucksache 18/8084 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19916 B Tagesordnungspunkt 33: a) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (Heil- und Hilfs- mittelversorgungsgesetz – HHVG) Drucksache 18/10186 . . . . . . . . . . . . . . . . 19916 C b) Antrag der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Versorgung verbessern – Kompetenzen von Heilmittelerbringern ausbauen Drucksache 18/10247 . . . . . . . . . . . . . . . . 19916 C Tagesordnungspunkt 34: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Dem Frieden verpflichtet – Friedens- und Konfliktforschung stärken Drucksache 18/10239 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19916 D Tagesordnungspunkt 35: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen zur Stromer- zeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigenversorgung Drucksache 18/10209 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19917 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19917 C Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19917 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 19919 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kersten Steinke, Kerstin Kassner und Birgit Wöllert (alle DIE LINKE) zu der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses: Sammelübersicht 374 zu Petiti- onen (Zusatztagesordnungspunkt 41 j) . . . . . . . . . . 19919 B Anlage 3 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut- schen Bundestages, die an der Wahl der Mit- glieder des Sondergremiums gemäß § 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes teilge- nommen haben (Tagesordnungspunkt 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19920 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- ten Lothar Binding (Heidelberg), Bettina Bähr-Losse, Ulrike Bahr, Sören Bartol, Petra Crone, Bernhard Daldrup, Saskia Esken, Dr . Johannes Fechner, Michael Groß, Rita Hagl-Kehl, Ulrich Hampel, Dirk Heidenblut, Gustav Herzog, Christina Jantz-Herrmann, Ralf Kapschack, Ulrich Kelber, Cansel Kiziltepe, Arno Klare, Birgit Kömpel, Dr. Bärbel Kofler, Anette Kramme, Dr. Hans- Ulrich Krüger, Hiltrud Lotze, Dr . Matthias Miersch, Klaus Mindrup, Susanne Mittag, Ulli Nissen, Stefan Rebmann, Andreas Rimkus, Bernd Rützel, Sarah Ryglewski, Johann Saathoff, Annette Sawade, Dr . Hans-Joachim Schabedoth, Marianne Schieder, Elfi Scho- Antwerpes, Ursula Schulte, Ewald Schurer, Svenja Stadler, Kerstin Tack, Gülistan Yüksel und Stefan Zierke (alle SPD) zu der namentli- chen Abstimmung über die Beschlussempfeh- lung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling- Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Steuer- befreiung für Atomkraftwerke – Die Brennele- mentesteuer muss bleiben (Tagesordnungspunkt 10) . . . . . . . . . . . . . . . . 19923 A Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordne- ten Gabriela Heinrich, Gabriele Hiller- Ohm, Daniela Kolbe, Markus Paschke, Jeannine Pflugradt, Detlev Pilger, Dr. Simone Raatz, Mechthild Rawert, Dr . Nina Scheer, Dr . Dorothee Schlegel, Norbert Spinrath und Carsten Träger (alle SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling- Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Steuer- befreiung für Atomkraftwerke – Die Brennele- mentesteuer muss bleiben (Tagesordnungspunkt 10) . . . . . . . . . . . . . . . . 19924 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 IX Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- chen Abstimmung über die Beschlussempfeh- lung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling- Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Steuer- befreiung für Atomkraftwerke – Die Brennele- mentesteuer muss bleiben (Tagesordnungspunkt 10) . . . . . . . . . . . . . . . . 19925 A Heike Baehrens (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19925 A Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19925 D Bernd Westphal (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19926 D Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Michaela Engelmeier, Petra Rode-Bosse und Gülistan Yüksel (alle SPD) zu der nament- lichen Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deut- scher Streitkräfte zur Verhütung und Unter- bindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Ar- tikel 51 der Charta der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Ver- trages über die Europäische Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Na- tionen sowie des Beschlusses der Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gipfel am 8 ./9 . Juli 2016 (Tagesordnungspunkt 11) . . . . . . . . . . . . . . . . 19927 A Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Omid Nouripour und Kordula Schulz-Asche (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Auswärtigen Aus- schusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes be- waffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der Charta der Vereinten Natio- nen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Na- tionen sowie des Beschlusses der Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gipfel am 8 ./9 . Juli 2016 (Tagesordnungspunkt 11) . . . . . . . . . . . . . . . . 19927 D Anlage 9 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentli- chen Abstimmung über die Beschlussemp- fehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deut- scher Streitkräfte zur Verhütung und Unter- bindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Ar- tikel 51 der Charta der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Ver- trages über die Europäische Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Na- tionen sowie des Beschlusses der Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gipfel am 8 ./9 . Juli 2016 (Tagesordnungspunkt 11) . . . . . . . . . . . . . . . . 19928 D Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19928 D Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19929 B Klaus Mindrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19929 C Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19929 D Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19930 B Florian Post (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19930 C Ursula Schulte (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19930 D Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Än- derung des Soldatengesetzes (Tagesordnungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . 19931 B Bernd Siebert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19931 B Dr . Fritz Felgentreu (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 19932 A Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 19932 D Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19933 C Markus Grübel, Parl . Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19934 B Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes (Tagesordnungspunkt 21) . . . . . . . . . . . . . . . . 19935 B Kordula Kovac (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 19935 B Kees de Vries (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19936 A Rita Hagl-Kehl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19936 C Ursula Schulte (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19937 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016X Dr . Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . . 19937 D Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19938 B Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert Müller (Potsdam), Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rekrutierung von Minderjährigen für die Bundeswehr sofort beenden und keine Ausbildung von Jugendlichen an Waffen (Tagesordnungspunkt 22) . . . . . . . . . . . . . . . . 19939 A Michaela Noll (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19939 B Julia Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 19940 C Dr . Fritz Felgentreu (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 19941 B Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE) . . . . 19941 D Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19942 B Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 24) . . . . . . . . . . . . . . . . 19943 A Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . . . 19943 A Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 19944 A Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 19945 B Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19946 B Enak Ferlemann, Parl . Staatssekretär BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19946 D Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Tagesordnungspunkt 25) . . . . . . . . . . . . . . . . 19947 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 19947 C Dr . Patrick Sensburg (CDU/CSU) . . . . . . . . . 19947 D Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19948 C Jörn Wunderlich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 19949 C Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19950 C Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften zur Bevorratung von Erdöl, zur Erhebung von Mineralöldaten und zur Umstel- lung auf hochkalorisches Erdgas (Tagesordnungspunkt 26) . . . . . . . . . . . . . . . . 19951 C Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19951 C Florian Post (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19952 B Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 19953 A Dr . Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19953 C Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und hu- manitäre Hilfe zu der Unterrichtung durch die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter Jah- resbericht 2015 der Bundesstelle und der Län- derkommission (Tagesordnungspunkt 27) . . . . . . . . . . . . . . . . 19954 A Dr . Bernd Fabritius (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 19954 B Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) . . . . 19955 A Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19956 C Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 19957 D Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19958 D Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusam- menarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Flucht- ursachen bekämpfen – Aufnahmestaaten um Syrien sowie Libyen entwicklungspolitisch stärken (Tagesordnungspunkt 28) . . . . . . . . . . . . . . . . 19959 C Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 19959 D Dagmar G . Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19960 D Gabriela Heinrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 19961 D Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19962 C Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 19963 B Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19964 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 XI Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermö- gens für das Jahr 2017 (ERP-Wirtschaftsplan- gesetz 2017) (Tagesordnungspunkt 29) . . . . . . . . . . . . . . . . 19965 A Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 19965 A Andrea Wicklein (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19966 D Thomas Nord (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 19968 B Dr . Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19968 D Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung und Schlussabstimmung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 22 . März 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- land und der Regierung der Republik Ser- bien über die Zusammenarbeit im Sicher- heitsbereich – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 31 . Mai 2013 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- land und dem Ministerrat der Republik Albanien über die Zusammenarbeit im Si- cherheitsbereich – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab- kommen vom 9 . Juli 2014 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutsch- land und der Regierung von Georgien über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, des Terro- rismus und anderer Straftaten von erhebli- cher Bedeutung (Tagesordnungspunkt 30 a bis c) . . . . . . . . . . 19969 D Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . . 19970 A Wolfgang Gunkel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19971 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 19971 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19972 C Dr . Günter Krings, Parl . Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19973 B Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfüh- rung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und Ver- walter von Wohnungseigentum – des Antrags der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Nicole Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wohneigentumsrecht umfassend reformie- ren und modernisieren (Tagesordnungspunkt 32 und Zusatztagesord- nungspunkt 10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19974 A Astrid Grotelüschen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 19974 A Barbara Lanzinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 19975 A Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19975 D Marcus Held (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19976 B Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19976 D Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19977 B Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär- kung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz – HHVG) – des Antrags der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Versorgung verbessern – Kom- petenzen von Heilmittelerbringern ausbau- en (Tagesordnungspunkt 33 a und b) . . . . . . . . . . 19978 B Dr . Roy Kühne (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 19978 B Martina Stamm-Fibich (SPD) . . . . . . . . . . . . . 19979 B Birgit Wöllert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 19980 D Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19981 D Annette Widmann-Mauz, Parl . Staatssekretä- rin BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19982 C Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Dem Frieden verpflichtet – Friedens- und Konfliktforschung stärken (Tagesordnungspunkt 34) . . . . . . . . . . . . . . . . 19983 D Dr . Philipp Lengsfeld (CDU/CSU) . . . . . . . . . 19983 D Dr . Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) . . . . 19984 C Dr . Daniela De Ridder (SPD) . . . . . . . . . . . . . 19985 B Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016XII René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19985 D Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 19987 B Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19988 B Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Bestimmungen zur Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigenversor- gung (Tagesordnungspunkt 35) . . . . . . . . . . . . . . . . 19989 A Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 19989 A Florian Post (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19990 C Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19991 B Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 19991 D Dr . Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19992 C (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19757 199. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 10. November 2016 Beginn: 9 .02 Uhr
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    2) Anlage 23 Berichtigung 198 . Sitzung, Seite 19723 B, zweite Spalte: Bei den Ja- stimmen der Fraktion Die Linke ist der Name „Halina Wawzyniak“ durch den Namen „Harald Weinberg“ zu ersetzen . Vizepräsidentin Petra Pau (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19919 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Baerbock, Annalena BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .11 .2016 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .11 .2016 Bülow, Marco SPD 10 .11 .2016 Drobinski-Weiß, Elvira SPD 10 .11 .2016 Groth, Annette DIE LINKE 10 .11 .2016 Gysi, Dr . Gregor DIE LINKE 10 .11 .2016 Hellmich, Wolfgang SPD 10 .11 .2016 Hintze, Peter CDU/CSU 10 .11 .2016 Jüttner, Dr . Egon CDU/CSU 10 .11 .2016 Koenigs, Tom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .11 .2016 Malecha-Nissen, Dr . Birgit SPD 10 .11 .2016 Özdemir, Cem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .11 .2016 Riesenhuber, Dr . Heinz CDU/CSU 10 .11 .2016 Ripsam, Iris CDU/CSU 10 .11 .2016 Sarrazin, Manuel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 10 .11 .2016 Wawzyniak, Halina DIE LINKE 10 .11 .2016 Zeulner, Emmi * CDU/CSU 10 .11 .2016 *aufgrund gesetzlichen Mutterschutzes Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Kersten Steinke, Kerstin Kassner und Birgit Wöllert (alle DIE LINKE) zu der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Petitionsausschusses: Sammelübersicht 374 zu Petitionen (Zusatztagesordnungspunkt 41 j) Wir haben gegen die Beschlussempfehlung des Peti- tionsausschusses gestimmt . Die Petition beschäftigt sich mit dem Wunsch, direktdemokratische Elemente in das Grundgesetz aufzunehmen . Die Fraktion Die Linke hat in dieser Wahlperiode erneut einen Gesetzentwurf für mehr direktdemokrati- sche Elemente im Grundgesetz vorgelegt (Bundestags- drucksache 18/825) . Leider wurde er von der Mehrheit abgelehnt . Es wäre ein widersprüchliches Verhalten, auf der einen Seite mehr direktdemokratische Elemente im Grundgesetz zu fordern, dazu einen eigenen Gesetzent- wurf vorzulegen und gleichzeitig der Beschlussemp- fehlung des Petitionsausschusses zu folgen und das Pe- titionsverfahren ergebnislos abzuschließen . Dies umso mehr, als die tragenden Argumente in der Beschlussemp- fehlung des Petitionsausschusses nicht überzeugend sind . Erstens . In der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses wird argumentiert, dass auf die Einführung direktdemokratischer Elemente im Grundgesetz vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der Weimarer Republik verzichtet wurde . Auch wenn dies ein Standardargument ist und ständig wiederholt wird, ist es nicht richtig . In der Weimarer Republik, also zwischen 1919 und 1933, wurden auf der Reichsebene lediglich acht Volksbegeh- ren beantragt und davon vier zugelassen . Von diesen vier zugelassenen Volksbegehren wurden drei tatsächlich durchgeführt, und es kam zu zwei Volksentscheiden . Das auch von der NSDAP getragene Volksbegehren gegen den „Young-Plan“ zu den Reparationen (1929) überwand zwar knapp die Zulassungshürde, die Volksabstimmung darüber war aber nicht erfolgreich . Auch der zweite Volksentscheid, initiiert von KPD und SPD zur Fürsten- enteignung, scheiterte . Allein dies zeigt: Das Argument „Weimarer Republik“ ist nicht tauglich, um gegen direkt- demokratische Elemente im Grundgesetz zu sein . Zweitens . In der Beschlussempfehlung des Petitions- ausschusses wird weiter argumentiert, die Ergänzung des repräsentativ-demokratischen Systems um Möglichkei- ten von Volksabstimmungen oder Volksinitiativen auf Bundesebene sei komplexer als auf Landes- und Kom- munalebene . Dies deshalb, weil das Grundgesetz eine differenzierte Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern enthält . Schließlich seien auch die Länder an der Gesetzgebung beteiligt . Auch dieses Argu- ment ist nicht überzeugend . Mit einem entsprechenden Abstimmungsgesetz eben- so wie mit einer entsprechenden Grundgesetzänderung kann die Beteiligung der Länder an der Gesetzgebung gesichert werden . Drittens . Schließlich verweist der Petitionsausschuss auf „nicht zu unterschätzende Risiken“ . Ein sachliches Abwägen der Gesellschaftsinteressen, Staatsziele, lang- fristigen Vorteile und auch Risiken von Entscheidungen seien eher in parlamentarischen Abläufen gewährleistet . Gerade gesellschaftlich umstrittene Vorhaben werfen komplexe Fragestellungen auf, die nicht einfach mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten sind . Es bestehe auch die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619920 (A) (C) (B) (D) Gefahr einer „populistischen Ausnutzung“ des Instru- ments Volksentscheid . Aus dieser Argumentation spricht die Arroganz von Parlamentarierinnen und Parlamentariern . Weder sind Parlamentarierinnen und Parlamentarier weniger an- fällig für Populismus als Nichtparlamentarierinnen und Nichtparlamentarier – manchmal könnte sogar vermutet werden, es ist andersherum –, noch sind Parlamentarie- rinnen und Parlamentarier per se klüger oder dümmer als Nichtparlamentarierinnen und Nichtparlamentarier . Über ein entsprechendes Verfahren kann sichergestellt werden, dass in der Gesellschaft ebenso eine breite Diskussion zu Pro und Contra einer zur Abstimmung stehenden Fra- ge stattfindet als auch die Möglichkeit eingeräumt wird, ein konkret zur Abstimmung stehendes Anliegen zu ver- ändern . Es sei im Übrigen darauf hingewiesen, dass am Ende eines parlamentarischen Prozesses auch eine Ab- stimmung mit „Ja“ oder „Nein“ steht . Viertens . Dass der Petitionsausschuss es mehrheitlich abgelehnt hat, dem Antrag der Fraktion Die Linke zu folgen und die Petition den Fraktionen zur Kenntnis zu geben, zeugt von einer beschämenden Ignoranz . Es wäre das Mindeste gewesen, die Fraktionen von der Petition in Kenntnis zu setzen . Dies hätte ihnen nämlich die Chance eröffnet, mit den Petenten über ihr Anliegen ins Gespräch zu kommen . Anlage 3 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl der Mitglieder des Sondergremiums gemäß § 3 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 7) CDU/CSU Stephan Albani Katrin Albsteiger Artur Auernhammer Dorothee Bär Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Maik Beermann Manfred Behrens (Börde) Veronika Bellmann Sybille Benning Dr . André Berghegger Dr . Christoph Bergner Ute Bertram Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr . Maria Böhmer Wolfgang Bosbach Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr . Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr . Ralf Brauksiepe Dr . Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexandra Dinges-Dierig Alexander Dobrindt Michael Donth Marie-Luise Dött Hansjörg Durz Iris Eberl Jutta Eckenbach Dr . Bernd Fabritius Hermann Färber Uwe Feiler Dr . Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Dirk Fischer (Hamburg) Axel E . Fischer (Karlsru- he-Land) Dr . Maria Flachsbarth Klaus-Peter Flosbach Thorsten Frei Dr . Astrid Freudenstein Dr . Hans-Peter Friedrich (Hof) Michael Frieser Hans-Joachim Fuchtel Alexander Funk Ingo Gädechens Dr . Thomas Gebhart Alois Gerig Eberhard Gienger Josef Göppel Ursula Groden-Kranich Hermann Gröhe Klaus-Dieter Gröhler Michael Grosse-Brömer Astrid Grotelüschen Markus Grübel Manfred Grund Oliver Grundmann Monika Grütters Dr . Herlind Gundelach Fritz Güntzler Olav Gutting Christian Haase Florian Hahn Rainer Hajek Dr . Stephan Harbarth Jürgen Hardt Gerda Hasselfeldt Matthias Hauer Mark Hauptmann Dr . Stefan Heck Dr . Matthias Heider Helmut Heiderich Mechthild Heil Frank Heinrich (Chemnitz) Mark Helfrich Uda Heller Jörg Hellmuth Rudolf Henke Michael Hennrich Ansgar Heveling Christian Hirte Dr . Heribert Hirte Robert Hochbaum Alexander Hoffmann Thorsten Hoffmann (Dort- mund) Karl Holmeier Franz-Josef Holzenkamp Dr . Hendrik Hoppenstedt Margaret Horb Bettina Hornhues Charles M . Huber Anette Hübinger Hubert Hüppe Erich Irlstorfer Thomas Jarzombek Sylvia Jörrißen Andreas Jung Dr . Franz Josef Jung Xaver Jung Bartholomäus Kalb Hans-Werner Kammer Steffen Kanitz Alois Karl Anja Karliczek Bernhard Kaster Volker Kauder Dr . Stefan Kaufmann Roderich Kiesewetter Dr . Georg Kippels Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Markus Koob Carsten Körber Hartmut Koschyk Kordula Kovac Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr . Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr . Roy Kühne Günter Lach Uwe Lagosky Dr . Dr . h . c . Karl A . Lamers Andreas G . Lämmel Dr . Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19921 (A) (C) (B) (D) Barbara Lanzinger Dr . Silke Launert Paul Lehrieder Dr . Katja Leikert Dr . Philipp Lengsfeld Philipp Graf Lerchenfeld Dr . Ursula von der Leyen Antje Lezius Ingbert Liebing Matthias Lietz Andrea Lindholz Dr . Carsten Linnemann Patricia Lips Wilfried Lorenz Dr . Claudia Lücking-Michel Dr . Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Karin Maag Yvonne Magwas Thomas Mahlberg Dr . Thomas de Maizière Gisela Manderla Matern von Marschall Hans-Georg von der Marwitz Andreas Mattfeldt Stephan Mayer (Altötting) Reiner Meier Dr . Michael Meister Jan Metzler Maria Michalk Dr . h . c . Hans Michelbach Dr . Mathias Middelberg Dietrich Monstadt Karsten Möring Marlene Mortler Volker Mosblech Elisabeth Motschmann Dr . Gerd Müller Carsten Müller (Braun- schweig) Stefan Müller (Erlangen) Dr . Philipp Murmann Dr . Andreas Nick Michaela Noll Helmut Nowak Dr . Georg Nüßlein Julia Obermeier Wilfried Oellers Florian Oßner Dr . Tim Ostermann Henning Otte Ingrid Pahlmann Sylvia Pantel Martin Patzelt Dr . Martin Pätzold Ulrich Petzold Dr . Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Eckhard Pols Thomas Rachel Kerstin Radomski Alexander Radwan Alois Rainer Dr . Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Lothar Riebsamen Josef Rief Johannes Röring Kathrin Rösel Dr . Norbert Röttgen Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer (Saalstadt) Dr . Wolfgang Schäuble Andreas Scheuer Karl Schiewerling Jana Schimke Norbert Schindler Tankred Schipanski Christian Schmidt (Fürth) Gabriele Schmidt (Ühlingen) Patrick Schnieder Nadine Schön (St . Wendel) Dr . Kristina Schröder (Wies- baden) Bernhard Schulte-Drüggelte Dr . Klaus-Peter Schulze Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein) Christina Schwarzer Detlef Seif Johannes Selle Reinhold Sendker Dr . Patrick Sensburg Bernd Siebert Thomas Silberhorn Johannes Singhammer Tino Sorge Jens Spahn Carola Stauche Dr . Frank Steffel Dr. Wolfgang Stefinger Albert Stegemann Peter Stein Sebastian Steineke Johannes Steiniger Christian Freiherr von Stetten Dieter Stier Rita Stockhofe Gero Storjohann Stephan Stracke Max Straubinger Matthäus Strebl Karin Strenz Lena Strothmann Michael Stübgen Dr . Sabine Sütterlin-Waack Antje Tillmann Astrid Timmermann-Fechter Dr . Hans-Peter Uhl Dr . Volker Ullrich Arnold Vaatz Oswin Veith Thomas Viesehon Michael Vietz Volkmar Vogel (Kleinsaara) Sven Volmering Christel Voßbeck-Kayser Kees de Vries Dr . Johann Wadephul Marco Wanderwitz Karl-Heinz Wange Nina Warken Kai Wegner Dr . h . c . Albert Weiler Marcus Weinberg (Hamburg) Dr . Anja Weisgerber Peter Weiß (Emmendingen) Sabine Weiss (Wesel I) Ingo Wellenreuther Karl-Georg Wellmann Marian Wendt Waldemar Westermayer Kai Whittaker Peter Wichtel Annette Widmann-Mauz Heinz Wiese (Ehingen) Klaus-Peter Willsch Elisabeth Winkelmeier- Becker Oliver Wittke Dagmar G . Wöhrl Barbara Woltmann Tobias Zech Heinrich Zertik Dr . Matthias Zimmer Gudrun Zollner SPD Niels Annen Ingrid Arndt-Brauer Rainer Arnold Heike Baehrens Ulrike Bahr Bettina Bähr-Losse Heinz-Joachim Barchmann Dr . Katarina Barley Doris Barnett Klaus Barthel Dr . Matthias Bartke Sören Bartol Bärbel Bas Uwe Beckmeyer Lothar Binding (Heidelberg) Burkhard Blienert Willi Brase Dr . Karl-Heinz Brunner Dr . h . c . Edelgard Bulmahn Martin Burkert Dr . Lars Castellucci Petra Crone Bernhard Daldrup Dr . Daniela De Ridder Dr . Karamba Diaby Sabine Dittmar Martin Dörmann Siegmund Ehrmann Michaela Engelmeier Dr . h . c . Gernot Erler Petra Ernstberger Saskia Esken Karin Evers-Meyer Dr . Johannes Fechner Dr . Fritz Felgentreu Elke Ferner Dr . Ute Finckh-Krämer Christian Flisek Gabriele Fograscher Dr . Edgar Franke Ulrich Freese Dagmar Freitag Michael Gerdes Martin Gerster Iris Gleicke Angelika Glöckner Ulrike Gottschalck Kerstin Griese Gabriele Groneberg Michael Groß Uli Grötsch Wolfgang Gunkel Bettina Hagedorn Rita Hagl-Kehl Metin Hakverdi Ulrich Hampel Sebastian Hartmann Michael Hartmann (Wa- ckernheim) Dirk Heidenblut Hubertus Heil (Peine) Gabriela Heinrich Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619922 (A) (C) (B) (D) Marcus Held Dr . Barbara Hendricks Heidtrud Henn Gustav Herzog Gabriele Hiller-Ohm Thomas Hitschler Dr . Eva Högl Matthias Ilgen Christina Jantz-Herrmann Frank Junge Josip Juratovic Thomas Jurk Oliver Kaczmarek Johannes Kahrs Ralf Kapschack Gabriele Katzmarek Ulrich Kelber Marina Kermer Cansel Kiziltepe Arno Klare Lars Klingbeil Dr. Bärbel Kofler Daniela Kolbe Birgit Kömpel Anette Kramme Dr . Hans-Ulrich Krüger Helga Kühn-Mengel Christine Lambrecht Christian Lange (Backnang) Dr . Karl Lauterbach Steffen-Claudio Lemme Burkhard Lischka Gabriele Lösekrug-Möller Hiltrud Lotze Kirsten Lühmann Caren Marks Katja Mast Hilde Mattheis Dr . Matthias Miersch Klaus Mindrup Susanne Mittag Bettina Müller Detlef Müller (Chemnitz) Michelle Müntefering Dr . Rolf Mützenich Andrea Nahles Dietmar Nietan Ulli Nissen Thomas Oppermann Mahmut Özdemir (Duisburg) Aydan Özoğuz Markus Paschke Christian Petry Jeannine Pflugradt Detlev Pilger Sabine Poschmann Joachim Poß Florian Post Achim Post (Minden) Dr . Wilhelm Priesmeier Florian Pronold Dr . Sascha Raabe Dr . Simone Raatz Martin Rabanus Mechthild Rawert Stefan Rebmann Gerold Reichenbach Dr . Carola Reimann Andreas Rimkus Sönke Rix Petra Rode-Bosse Dennis Rohde Dr . Martin Rosemann René Röspel Dr . Ernst Dieter Rossmann Michael Roth (Heringen) Susann Rüthrich Bernd Rützel Sarah Ryglewski Johann Saathoff Annette Sawade Dr . Hans-Joachim Schabedoth Axel Schäfer (Bochum) Dr . Nina Scheer Marianne Schieder Udo Schiefner Dr . Dorothee Schlegel Ulla Schmidt (Aachen) Matthias Schmidt (Berlin) Dagmar Schmidt (Wetzlar) Carsten Schneider (Erfurt) Elfi Scho-Antwerpes Ursula Schulte Swen Schulz (Spandau) Ewald Schurer Frank Schwabe Stefan Schwartze Andreas Schwarz Rita Schwarzelühr-Sutter Rainer Spiering Norbert Spinrath Svenja Stadler Martina Stamm-Fibich Sonja Steffen Dr . Frank-Walter Steinmeier Christoph Strässer Kerstin Tack Claudia Tausend Michael Thews Dr . Karin Thissen Franz Thönnes Carsten Träger Rüdiger Veit Ute Vogt Dirk Vöpel Gabi Weber Bernd Westphal Andrea Wicklein Dirk Wiese Waltraud Wolff (Wol- mirstedt) Gülistan Yüksel Dagmar Ziegler Stefan Zierke Dr . Jens Zimmermann Manfred Zöllmer Brigitte Zypries DIE LINKE. Jan van Aken Dr . Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W . Birkwald Heidrun Bluhm Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Roland Claus Sevim Dağdelen Dr . Diether Dehm Wolfgang Gehrcke Dr . André Hahn Dr . Rosemarie Hein Andrej Hunko Sigrid Hupach Ulla Jelpke Susanna Karawanskij Kerstin Kassner Katja Kipping Jan Korte Katrin Kunert Caren Lay Sabine Leidig Ralph Lenkert Michael Leutert Stefan Liebich Dr . Gesine Lötzsch Thomas Lutze Birgit Menz Cornelia Möhring Niema Movassat Norbert Müller (Potsdam) Dr . Alexander S . Neu Thomas Nord Petra Pau Harald Petzold (Havelland) Richard Pitterle Martina Renner Michael Schlecht Dr . Petra Sitte Kersten Steinke Azize Tank Frank Tempel Alexander Ulrich Kathrin Vogler Harald Weinberg Katrin Werner Birgit Wöllert Jörn Wunderlich Hubertus Zdebel Pia Zimmermann Sabine Zimmermann (Zwickau) BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Luise Amtsberg Kerstin Andreae Volker Beck (Köln) Dr . Franziska Brantner Agnieszka Brugger Ekin Deligöz Katja Dörner Katharina Dröge Harald Ebner Dr . Thomas Gambke Matthias Gastel Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Dr . Anton Hofreiter Bärbel Höhn Dieter Janecek Uwe Kekeritz Katja Keul Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Stephan Kühn (Dresden) Christian Kühn (Tübingen) Renate Künast Markus Kurth Monika Lazar Steffi Lemke Dr . Tobias Lindner Nicole Maisch Peter Meiwald Irene Mihalic Beate Müller-Gemmeke Özcan Mutlu Dr . Konstantin von Notz Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19923 (A) (C) (B) (D) Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth (Augsburg) Corinna Rüffer Elisabeth Scharfenberg Ulle Schauws Dr . Gerhard Schick Dr . Frithjof Schmidt Kordula Schulz-Asche Dr . Wolfgang Strengmann- Kuhn Hans-Christian Ströbele Dr . Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Dr . Julia Verlinden Beate Walter-Rosenheimer Dr . Valerie Wilms Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt . Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Lothar Binding (Heidelberg), Bettina Bähr-Losse, Ulrike Bahr, Sören Bartol, Petra Crone, Bernhard Daldrup, Saskia Esken, Dr. Johannes Fechner, Michael Groß, Rita Hagl-Kehl, Ulrich Hampel, Dirk Heidenblut, Gustav Herzog, Christina Jantz-Herrmann, Ralf Kapschack, Ulrich Kelber, Cansel Kiziltepe, Arno Klare, Birgit Kömpel, Dr. Bärbel Kofler, Anette Kramme, Dr. Hans-Ulrich Krüger, Hiltrud Lotze, Dr. Matthias Miersch, Klaus Mindrup, Susanne Mittag, Ulli Nissen, Stefan Rebmann, Andreas Rimkus, Bernd Rützel, Sarah Ryglewski, Johann Saathoff, Annette Sawade, Dr. Hans-Joachim Schabedoth, Marianne Schieder, Elfi Scho- Antwerpes, Ursula Schulte, Ewald Schurer, Svenja Stadler, Kerstin Tack, Gülistan Yüksel und Stefan Zierke (alle SPD) zu der namentlichen Abstim- mung über die Beschlussempfehlung des Finanz- ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Steuerbefreiung für Atomkraftwerke – Die Brennelementesteuer muss bleiben (Tagesordnungspunkt 10) Die Atomenergieerzeugung hat ein Schadenspoten- zial, das unberechenbar höher ist als die Energiegewin- nung aus anderen Energieträgern . Das Risiko der Atom- energieerzeugung lässt sich dauerhaft nicht beherrschen . Im Gegenteil: In menschlichen Kategorien gedacht, ber- gen die bis heute schon erzeugten radioaktiven Abfälle verschiedene Ewigkeitsrisiken und Zukunftslasten mit unkalkulierbaren Zukunftskosten . Das zukunftsvergesse- ne Management der Energiekonzerne hat auch in Zeiten hoher Gewinne und höchster Gewinnabschöpfung für diese Zukunftskosten keine ausreichende Vorsorge ge- troffen . Die Allgemeinheit, alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, haben zunächst die Atom- bzw . Plasmafor- schung bezahlt und anschließend als Stromkunden Bau und Betrieb der Atomkraftwerke . Von Anfang an wurde darauf spekuliert, auch die Ewigkeitskosten auf die All- gemeinheit abzuwälzen . Deswegen ist die Nutzung der Atomenergie in Deutschland bis heute höchst umstritten . Zu Recht hat die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2000 den Atom- ausstieg beschlossen . Sogar die schwarz-gelbe Bundes- regierung hat – nach ihrem Zick-Zack-Kurs in der Atom- politik in 2010 – nach dem verheerenden Unglück in Fukushima zur Vernunft gefunden und einen „zweiten“ Atomausstieg bis zum Jahr 2022 beschlossen . Die Kernbrennstoffsteuer – umgangssprachlich Brenn elementesteuer – wurde im Jahr 2010 eingeführt . Ziel war es, die Belastung des Bundes durch die Kos- ten für die Endlagerung radioaktiver Abfälle wenigs- tens ein wenig zu mindern . Mit der Steuer sollte auch die Bevorzugung der Atomindustrie gegenüber anderen Energieträgern beendet werden: Die Atomindustrie trägt in keiner Weise die Folgekosten, die mit ihrem Betrieb verbunden sind . Nur ein Bruchteil des Schadenspoten- zials eines Atomunfalls muss versichert werden . Dane- ben profitiert die Atom industrie vom Handel mit Emis- sionszertifikaten, der andere Energieträger belastet. Die Atomenergie ist dabei ebenso begünstigt wie regenerati- ve Energieträger . Dabei ist auch die Atomenergie in kei- ner Weise CO2-neutral . Wer genauer hinschaut, sieht: Die Emissionen fallen vor und nach der Stromerzeugung an . Der Wettbewerb zwischen den Energieerzeugern wurde auf diese Art und Weise massiv zugunsten der Atomkraft verzerrt . Ohne sachliche Gründe zu nennen, hat die schwarz- gelbe Bundesregierung die Steuer bis zum 31 . Dezem- ber 2016 befristet . Die Gründe für ihre Erhebung be- stehen aber heute unverändert fort . Nach wie vor trägt die Atomindustrie in keiner Weise ihre Folgekosten . Das Auslaufen der Steuer bedeutet eine Rückkehr zu der Bevorzugung der Atomindustrie . Für uns heißt das im Ergebnis: Alle zukünftigen Generationen müssen die Kosten und das Risiko der Atomindustrie tragen, wäh- rend die Gewinne über Jahrzehnte in private Taschen geflossen sind. Die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Atomausstiegs (KFK) hat am 27 . April 2016 ihre Empfehlungen vorgelegt . Damit sollen die Weichen für eine sichere und verlässliche Finanzierung des Ausstiegs aus der Atomenergie gestellt werden . Für die Zwischen- und Endlagerung der radioaktiven Abfälle übertragen da- nach die Energieunternehmen 23,3 Milliarden Euro auf den Bund . Darin enthalten sind die bisherigen Rückstel- lungen der Energieunternehmen und ein Risikoaufschlag in Höhe von 6,1 Milliarden Euro. Die operative und fi- nanzielle Verantwortung für die Zwischen- und Endlage- rung geht damit auf den Staat über, der auf diese Weise auf lange Sicht die Verluste der Atomenergieerzeuger übernimmt . Das verstärkt die Begründung für die Erhebung einer Kernbrennstoffsteuer . Hinsichtlich der Kosten für die Endlagerung liegt nach den Empfehlungen der KFK das Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619924 (A) (C) (B) (D) Risiko für Kostensteigerungen – die über den Risikoauf- schlag hinausgehen – beim Staat . Liefe die Steuer wie vorgesehen zum 31 . Dezember 2016 aus, bedeutete dies eine Rückkehr zu der Bevorzugung der Atomwirtschaft gegenüber anderen Energieträgern, auch mit Blick auf die Versicherungspflicht und den Emissionshandel. Es ist leicht zu erkennen, dass sich die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Atomausstiegs für einen sehr – für viele für einen viel zu – moderaten Vor- schlag verwendet hat . Wir hören, dass die Atomindus trie durch verzögerten Austausch der Kernbrennelemente versucht, die schon gesetzlich geregelte Kernbrennstoff- steuer zu umgehen . Der Austausch wird dann erst nach dem 31 . Dezember 2016 erfolgen, der kalkulierte Ziel- wert der Steuereinnahmen also verfehlt . Der Verbrauch von Kernbrennstoffen sollte auch deshalb so lange besteuert werden, wie in Deutschland Atomkraftwerke betrieben werden dürfen . Derzeit laufen noch acht Atomkraftwerke; bei den im Atomgesetz fest- geschriebenen Laufzeiten würde eine Verlängerung der Steuer etwa 5 Milliarden Euro Einnahmen bringen . Der Vorschlag zur Vorlage eines Gesetzentwurfes zur Änderung des Kernbrennstoffsteuergesetzes, durch den die Kernbrennstoffsteuer ohne Unterbrechung bis zum Ende der Laufzeiten der Atomkraftwerke bzw . 31 . De- zember 2022 weiter erhoben werden sollte, wurde von der CDU/CSU abgelehnt . Der Koalitionsvertrag schließe Steuererhöhungen aus, und die Fortführung der Steuer sei eine Steueranhebung . Da die Koalition Anträge bzw . Gesetzentwürfe nur ge- meinsam einbringt und wir uns an den Koalitionsvertrag gebunden fühlen, gibt es weder einen Koalitionsantrag noch die Möglichkeit, dem Antrag der Linken zuzustim- men . Wir hoffen sehr, dass die Union ihre Blockadehaltung aufgibt und wir eine gemeinsame Initiative der Koaliti- onsfraktionen zur Verlängerung der Kernbrennstoffsteuer starten . Das sind wir kommenden Generationen schuldig . Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gabriela Heinrich, Gabriele Hiller-Ohm, Daniela Kolbe, Markus Paschke, Jeannine Pflugradt, Detlev Pilger, Dr. Simone Raatz, Mechthild Rawert, Dr. Nina Scheer, Dr. Dorothee Schlegel, Norbert Spinrath und Carsten Träger (alle SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordne- ten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Keine Steuerbefreiung für Atomkraftwerke – Die Brennelementesteuer muss bleiben (Tagesordnungspunkt 10) Atomenergienutzung ist mit hohen Kosten verbunden, die nicht im Strompreis abgebildet werden, sich hinge- gen in nicht versicherten und der Dimension nach nicht versicherbaren Risiken sowie bisher weltweit nicht ge- klärten Endlagermöglichkeiten wiederfinden. Gesetzli- che Versicherungshöchstbeträge bedeuten im Fall eines GAU während der Betriebsphase ökonomische Lasten unermesslichen Ausmaßes für die Allgemeinheit . Mit Blick auf die Folgelasten in der nachbetrieblichen Zeit ist es darüber hinaus richtig, dass nun mit einem Ge- setzentwurf der Bundesregierung zur Neuordnung der Verantwortung der kerntechnischen Entsorgung der Weg beschritten wird, Finanzierungsrisiken im Zusammen- hang mit Rückbau, Zwischenlagerung und Endlagerung einzugrenzen . Während des anhaltenden Betriebs von Atomkraft- werken, der bis zum Ausstieg im Jahr 2022 noch für acht Atomkraftwerke zutrifft, bietet derzeit die Brennelemen- testeuer – Kernbrennstoffsteuer – ein Instrument, das In- teresse an einer volkswirtschaftlichen Kostenentlastung während der Laufzeiten von Atomkraftwerken abzubil- den . Vor diesem Hintergrund erachte ich es als einen Fehler, dass bei der Einführung der Brennelementesteu- er unter der schwarz-gelb geführten Bundesregierung eine Befristung auf fünf Jahre vorgenommen wurde . Aus diesem Grund, aber auch aufgrund einer nach Ein- schätzung der SPD-Bundestagsfraktion mit 145 Euro pro Gramm zu niedrig angesetzten Bemessungsgrundlage für die Besteuerung des Brennstoffs, hat unsere Fraktion damals gegen die Einführung der Brennelementesteuer gestimmt, sie aber gleichwohl sachlich für richtig und erforderlich gehalten . Diese Einschätzung wird von der SPD-Bundestagsfraktion und uns persönlich nach wie vor getragen . Die mit Ablauf des Jahres 2016 erforderlich werdende Verlängerung der Brennelementesteuer ist auf eine ent- sprechende Einigung zwischen den Koalitionsfraktionen angewiesen . Bereits in den Koalitionsverhandlungen konnte hierüber mit der Unionsfraktion keine Einigung erzielt werden . Ein aktueller Sondierungsentwurf von- seiten der SPD-Bundestagsfraktion für einen Antrag zur Verlängerung der Brennelementesteuer bis zum Ende der Laufzeiten der Atomkraftwerke wurde von der Unions- fraktion nicht mitgetragen . Eine Verlängerung der Brenn- elementesteuer scheitert somit nach wie vor an der ableh- nenden Haltung der Unionsfraktion . Mangels Einigung mit unserem Koalitionspartner können wir dem vorliegenden, an die Bundesregierung gerichteten Antrag der Fraktion Die Linke, einen Gesetz- entwurf zur Änderung des Kernbrennstoffsteuergesetzes vorzulegen, durch den die bislang geltende Befristung der Brennelementesteuer bis Ende 2016 aufgehoben und stattdessen die Erhebung der Brennelementesteuer bis zum Ende der im Atomgesetz festgelegten Restbetriebs- dauer der jeweiligen Atomkraftwerke verlängert wird, nicht zustimmen . Wir erwarten von unserem Koalitionspartner weiter- hin, die Verweigerung einer Verlängerung der Brenn- elementesteuer aufzugeben und gemeinsam mit der SPD-Fraktion eine für die Restlaufzeit der Atomkraft- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19925 (A) (C) (B) (D) werke wirksame Brennelementesteuer auf den Weg zu bringen . Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE Keine Steuerbefreiung für Atomkraftwerke – Die Brennelementesteuer muss bleiben (Tagesordnungspunkt 10) Heike Baehrens (SPD): Die Atomenergieerzeugung hat ein Schadenspotenzial, das unberechenbar höher ist als die Energiegewinnung aus anderen Energieträgern . Das Risiko der Atomenergieerzeugung lässt sich dauer- haft nicht beherrschen . Im Gegenteil: In menschlichen Kategorien gedacht, bergen die bis heute schon erzeug- ten radioaktiven Abfälle verschiedene Ewigkeitsrisiken mit unkalkulierbaren Zukunftskosten . Auch in Zeiten hoher Gewinne und höchster Gewinnabschöpfung ha- ben die Energiekonzerne für diese Zukunftskosten keine ausreichende Vorsorge getroffen . Die Allgemeinheit, alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, haben zunächst die Atom- bzw . Plasmaforschung bezahlt und anschließend als Stromkunden Bau und Betrieb der Atomkraftwerke . Von Anfang an wurde darauf spekuliert, auch die Ewig- keitskosten auf die Allgemeinheit abzuwälzen . Die Nutzung der Atomenergie in Deutschland ist zu Recht bis heute höchst umstritten . Darum hat die rot-grü- ne Bundesregierung im Jahr 2000 den Atomausstieg beschlossen . Sogar die schwarz-gelbe Bundesregierung hat – nach ihrem Zick-Zack-Kurs in der Atompolitik in 2010 – wegen des verheerenden Unglücks in Fukushima zur Vernunft gefunden und einen „zweiten“ Atomaus- stieg bis zum Jahr 2022 beschlossen . Die Kernbrennstoffsteuer − umgangssprachlich Brenn- elementesteuer − wurde im Jahr 2010 eingeführt . Ziel war es, die Belastung des Bundes durch die Kosten für die Endlagerung radioaktiver Abfälle wenigstens ein we- nig zu mindern . Mit der Steuer sollte auch die Bevorzu- gung der Atomindustrie gegenüber anderen Energieträ- gern beendet werden . Ohne sachliche Gründe zu nennen, hat die schwarz- gelbe Bundesregierung die Steuer bis zum 31 . Dezember 2016 befristet . Die Gründe für ihre Erhebung bestehen aber heute unverändert fort . Nach wie vor trägt die Atom- industrie in keiner Weise ihre Folgekosten . Das Auslau- fen der Steuer bedeutet eine Rückkehr zu der Bevorzu- gung der Atomindustrie . Für mich heißt das im Ergebnis: Alle zukünftigen Generationen müssen die Kosten und das Risiko der Atomindustrie tragen, während die Strom- konzerne über Jahrzehnte große Gewinne realisieren konnten . Die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Atomausstiegs (KFK) hat am 27 . April 2016 ihre Empfehlungen vorgelegt . Damit sollen die Weichen für eine sichere und verlässliche Finanzierung des Ausstiegs aus der Atomenergie gestellt werden . Für die Zwischen- und Endlagerung der radioaktiven Abfälle übertragen da- nach die Energieunternehmen 23,3 Milliarden Euro auf den Bund . Darin enthalten sind die bisherigen Rückstel- lungen der Energieunternehmen und ein Risikoaufschlag in Höhe von 6,1 Milliarden Euro. Die operative und fi- nanzielle Verantwortung für die Zwischen- und Endlage- rung geht damit auf den Staat über, der auf diese Weise auf lange Sicht die Verluste der Atomenergieerzeuger übernimmt . Der Verbrauch von Kernbrennstoffen sollte deshalb so lange besteuert werden, wie in Deutschland Atomkraft- werke betrieben werden dürfen . Derzeit laufen noch acht Atomkraftwerke; bei den im Atomgesetz festgeschriebe- nen Laufzeiten würde eine Verlängerung der Steuer etwa 5 Milliarden Euro Einnahmen bringen . Der Vorschlag, einen Gesetzentwurf zur Änderung des Kernbrennstoffsteuergesetzes vorzulegen, durch den die Kernbrennstoffsteuer ohne Unterbrechung bis zum Ende der Laufzeiten der Atomkraftwerke bzw . 31 . Dezember 2022 weiter erhoben werden sollte, wurde von der CDU/ CSU abgelehnt . Der Koalitionsvertrag schließe Steuerer- höhungen aus, und die Fortführung der Steuer sei eine Steueranhebung . Da die Koalition Anträge bzw . Gesetzentwürfe nur ge- meinsam einbringt und wir uns an den Koalitionsvertrag gebunden sehen, gibt es zum jetzigen Zeitpunkt weder ei- nen Koalitionsantrag noch die Möglichkeit, dem Antrag der Linken zuzustimmen . Nur aus diesem Grund muss ich den vorliegenden Antrag ablehnen . Ich hoffe sehr, dass die Union ihre Blockadehaltung aufgibt und wir eine gemeinsame Initiative der Koaliti- onsfraktionen zur Verlängerung der Kernbrennstoffsteuer starten . Das sind wir kommenden Generationen schuldig . Kirsten Lühmann (SPD): Die Atomenergieerzeu- gung hat ein Schadenspotenzial, das unberechenbar höher ist als die Energiegewinnung aus anderen Energieträgern . Das Risiko der Atomenergieerzeugung lässt sich dauer- haft nicht beherrschen . Im Gegenteil: In menschlichen Kategorien gedacht, bergen die bis heute schon erzeug- ten radioaktiven Abfälle verschiedene Ewigkeitsrisiken und Zukunftslasten mit unkalkulierbaren Zukunftskos- ten . Das zukunftsvergessene Management der Energie- konzerne hat auch in Zeiten hoher Gewinne und höchs- ter Gewinnabschöpfung für diese Zukunftskosten keine ausreichende Vorsorge getroffen . Die Allgemeinheit, alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, haben zunächst die Atom- bzw . Plasmaforschung bezahlt und anschließend als Stromkunden Bau und Betrieb der Atomkraftwerke . Von Anfang an wurde darauf spekuliert, auch die Ewig- keitskosten auf die Allgemeinheit abzuwälzen . Deswegen ist die Nutzung der Atomenergie in Deutschland bis heute höchst umstritten . Zu Recht hat die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2000 den Atom- ausstieg beschlossen . Sogar die schwarz-gelbe Bundes- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619926 (A) (C) (B) (D) regierung hat – nach ihrem Zick-Zack-Kurs in der Atom- politik in 2010 – nach dem verheerenden Unglück in Fukushima zur Vernunft gefunden und einen „zweiten“ Atomausstieg bis zum Jahr 2022 beschlossen . Die Kernbrennstoffsteuer − umgangssprachlich Brenn- elementesteuer − wurde im Jahr 2010 eingeführt . Ziel war es, die Belastung des Bundes durch die Kosten für die Endlagerung radioaktiver Abfälle wenigstens ein wenig zu mindern . Mit der Steuer sollte auch die Bevorzugung der Atomindustrie gegenüber anderen Energieträgern be- endet werden: Die Atomindustrie trägt in keiner Weise die Folgekosten, die mit ihrem Betrieb verbunden sind . Nur ein Bruchteil des Schadenspotenzials eines Ato- munfalls muss versichert werden. Daneben profitiert die Atom industrie vom Handel mit Emissionszertifikaten, der andere Energieträger belastet . Die Atomenergie ist dabei ebenso begünstigt wie regenerative Energieträger . Dabei ist auch die Atomenergie in keiner Weise CO2-neu- tral . Wer genauer hinschaut, sieht: Die Emissionen fallen vor und nach der Stromerzeugung an . Der Wettbewerb zwischen den Energieerzeugern wurde auf diese Art und Weise massiv zugunsten der Atomkraft verzerrt . Ohne sachliche Gründe zu nennen, hat die schwarz- gelbe Bundesregierung die Steuer bis zum 31 . Dezem- ber 2016 befristet . Die Gründe für ihre Erhebung be- stehen aber heute unverändert fort . Nach wie vor trägt die Atomindustrie in keiner Weise ihre Folgekosten . Das Auslaufen der Steuer bedeutet eine Rückkehr zu der Bevorzugung der Atomindustrie . Für mich heißt das im Ergebnis: alle zukünftigen Generationen müssen die Kosten und das Risiko der Atomindustrie tragen, wäh- rend die Gewinne über Jahrzehnte in private Taschen geflossen sind. Die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Atomausstiegs (KFK) hat am 27 . April 2016 ihre Empfehlungen vorgelegt . Damit sollen die Weichen für eine sichere und verlässliche Finanzierung des Ausstiegs aus der Atomenergie gestellt werden . Für die Zwischen- und Endlagerung der radioaktiven Abfälle übertragen da- nach die Energieunternehmen 23,3 Milliarden Euro auf den Bund . Darin enthalten sind die bisherigen Rückstel- lungen der Energieunternehmen und ein Risikoaufschlag in Höhe von 6,1 Milliarden Euro. Die operative und fi- nanzielle Verantwortung für die Zwischen- und Endlage- rung geht damit auf den Staat über, der auf diese Weise auf lange Sicht die Verluste der Atomenergieerzeuger übernimmt . Das verstärkt die Begründung für die Erhebung einer Kernbrennstoffsteuer . Hinsichtlich der Kosten für die Endlagerung liegt nach den Empfehlungen der KFK das Risiko für Kostensteigerungen − die über den Risikoauf- schlag hinausgehen − beim Staat . Liefe die Steuer wie vorgesehen zum 31 . Dezember 2016 aus, bedeutete dies eine Rückkehr zu der Bevorzugung der Atomwirtschaft gegenüber anderen Energieträgern, auch mit Blick auf die Versicherungspflicht und den Emissionshandel. Es ist leicht zu erkennen, dass sich die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Atomausstiegs für einen sehr – für viele für einen viel zu – moderaten Vor- schlag verwendet hat . Wir hören, dass die Atomindus trie durch verzögerten Austausch der Kernbrennelemente versucht, die schon gesetzlich geregelte Kernbrennstoff- steuer zu umgehen . Der Austausch wird dann erst nach dem 31 . Dezember 2016 erfolgen, der kalkulierte Ziel- wert der Steuereinnahmen also verfehlt . Der Verbrauch von Kernbrennstoffen sollte auch deshalb so lange besteuert werden, wie in Deutschland Atomkraftwerke betrieben werden dürfen . Derzeit laufen noch acht Atomkraftwerke; bei den im Atomgesetz fest- geschriebenen Laufzeiten würde eine Verlängerung der Steuer etwa 5 Milliarden Euro Einnahmen bringen . Der Vorschlag zur Vorlage eines Gesetzentwurfes zur Änderung des Kernbrennstoffsteuergesetzes, durch den die Kernbrennstoffsteuer ohne Unterbrechung bis zum Ende der Laufzeiten der Atomkraftwerke bzw . 31 . De- zember 2022 weiter erhoben werden sollte, wurde von der CDU/CSU abgelehnt . Der Koalitionsvertrag schließe Steuererhöhungen aus, und die Fortführung der Steuer sei eine Steueranhebung . Da die Koalition Anträge bzw . Gesetzentwürfe nur ge- meinsam einbringt und wir uns an den Koalitionsvertrag gebunden fühlen, gibt es weder einen Koalitionsantrag noch die Möglichkeit, dem Antrag der Linken zuzustim- men . Die vielen Briefe, die ich zu diesem Thema von Men- schen aus meinem Wahlkreis erhalten habe, bestärken mich in meiner Erwartung, dass die Union ihre Blocka- dehaltung aufgibt und wir eine gemeinsame Initiative der Koalitionsfraktionen zur Verlängerung der Kernbrenn- stoffsteuer starten . Das sind wir kommenden Generati- onen schuldig . Bernd Westphal (SPD): Mit Blick auf die Folgelas- ten in der nachbetrieblichen Zeit ist es richtig, dass nun mit einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neu- ordnung der Verantwortung der kerntechnischen Entsor- gung der Weg beschritten wird, Finanzierungsrisiken im Zusammenhang mit Rückbau, Zwischenlagerung und Endlagerung einzugrenzen . Während des anhaltenden Betriebs von Atomkraft- werken, der bis zum Ausstieg im Jahr 2022 noch für acht Atomkraftwerke zutrifft, bietet derzeit die Brennelemen- testeuer − Kernbrennstoffsteuer − ein Instrument, das In- teresse an einer volkswirtschaftlichen Kostenentlastung während der Laufzeiten von Atomkraftwerken abzubil- den . Vor diesem Hintergrund erachte ich es als einen Fehler, dass bei der Einführung der Brennelementesteuer unter der schwarz-gelb geführten Bundesregierung eine Befristung auf fünf Jahre vorgenommen wurde . Aus die- sem Grund, aber auch aufgrund einer nach Einschätzung der SPD-Bundestagsfraktion mit 145 Euro pro Gramm zu niedrig angesetzten Bemessungsgrundlage für die Be- steuerung des Brennstoffs, hat meine Fraktion damals ge- gen die Einführung der Brennelementesteuer gestimmt, sie aber gleichwohl sachlich für richtig und erforderlich gehalten . Die mit Ablauf des Jahres 2016 erforderlich werdende Verlängerung der Brennelementesteuer ist auf eine ent- sprechende Einigung zwischen den Koalitionsfraktionen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19927 (A) (C) (B) (D) angewiesen . Bereits in den Koalitionsverhandlungen konnte hierüber mit der Unionsfraktion keine Einigung erzielt werden . Ein aktueller Sondierungsentwurf von- seiten der SPD-Bundestagsfraktion für einen Antrag zur Verlängerung der Brennelementesteuer bis zum Ende der Laufzeiten der Atomkraftwerke wurde von der Unions- fraktion nicht mitgetragen . Eine Verlängerung der Brenn- elementesteuer scheitert somit nach wie vor an der ableh- nenden Haltung der Unionsfraktion . Mangels Einigung mit unserem Koalitionspartner kann ich dem vorliegenden, an die Bundesregierung ge- richteten Antrag der Fraktion Die Linke, einen Gesetz- entwurf zur Änderung des Kernbrennstoffsteuergesetzes vorzulegen, durch den die bislang geltende Befristung der Brennelementesteuer bis Ende 2016 aufgehoben und stattdessen die Erhebung der Brennelementesteuer bis zum Ende der im Atomgesetz festgelegten Restbetriebs- dauer der jeweiligen Atomkraftwerke verlängert wird, nicht zustimmen . Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Michaela Engelmeier, Petra Rode-Bosse und Gülistan Yüksel (alle SPD) zu der namentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaff- neter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Ar- tikel 51 der Charta der Vereinten Nationen in Ver- bindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsra- tes der Vereinten Nationen sowie des Beschlusses der Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gip- fel am 8./9. Juli 2016 (Tagesordnungspunkt 11) Der Einsatz der Bundeswehr dient der Bekämpfung der Terrorgruppe IS und damit der europäischen und un- serer eigenen Sicherheit sowie der Sicherheit aller vom sogenannten „Islamischen Staat“ bedrohten Länder . Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat wiederholt festgestellt, dass die Terrororganisation „Islamischer Staat“ unverändert eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit darstellt . Zahlreiche eu- ropäische Länder, aber auch Deutschland, mussten dies schmerzlich erfahren . Selbst wenn am Ende eine tragfä- hige Friedensregelung in der Region nur politisch erreicht werden kann, muss der IS auch mit militärischen Mitteln bekämpft werden . Aus diesem Grund haben sich 67 Staa- ten in der internationalen Anti-IS-Koalition zusammen- geschlossen . Deutschland hat mit seinen Maßnahmen zu Luftaufklärung, Luftbetankung und Begleitung für einen französischen Flugzeugträger einen wichtigen Beitrag innerhalb dieser Koalition geleistet . Die Erfolge gegen den IS sind unübersehbar. Aktuell befindet sich der IS be- reits in der Defensive . Nun gilt es, den eingeschlagenen Weg zu Ende zu gehen, ergänzt um Aufklärungselemente von AWACS, die Deutschland gemeinsam mit anderen Partnern in die Koalition einbringen kann . Deutschland zeigt sich hier als verlässlicher Partner, der bereit ist, Ver- antwortung zu übernehmen . Für uns ist klar: Der Kampf gegen den Terrorismus kann nicht allein mit militärischen Mitteln erfolgreich zu Ende gebracht werden . Aus diesem Grund setzen wir uns für einen breiten zivilen Ansatz ein, mit dem eine Sta- bilisierung der vom IS befreiten Gebiete in Syrien und Irak angestrebt werden soll . Deutschland gehört bereits heute zu den größten internationalen Gebern für huma- nitäre und Wiederaufbauhilfe in der Region . Das über- geordnete Ziel bleibt eine umfassende politische Lösung für Syrien und eine dauerhafte Stabilisierung des Irak, für die sich insbesondere unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier konsequent und mit großem persönlichem Engagement einsetzt . Deutschland ist somit neben sei- nem militärischen Engagement ein zentraler Akteur bei Stabilisierungsmaßnahmen und den Bemühungen um einen politischen Rahmen . Für 2017 plant die Bundes- regierung, ihr Stabilisierungsengagement im Irak und in Syrien unter dieser Zielsetzung fortzusetzen . Der Einsatz der Bundeswehr wird vom Deutschen Bundestag mandatiert . Es ist daher selbstverständlich, dass der Bundestag auch künftig die Möglichkeit haben muss, die deutschen Soldatinnen und Soldaten vor Ort zu besuchen – unabdingbare Voraussetzung für jede aus- wärtige Stationierung der Bundeswehr . Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich hierfür weiterhin mit großem Nachdruck einsetzt . Nach Abwägung aller Umstände und insbesondere der oben genannten Punkte stimmen wir dem von der Bun- desregierung vorgelegten Mandat zur Verlängerung des Anti-IS-Einsatzes zu . Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Omid Nouripour und Kordula Schulz-Asche (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zu der namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaff- neter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Ar- tikel 51 der Charta der Vereinten Nationen in Ver- bindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsra- tes der Vereinten Nationen sowie des Beschlusses der Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gip- fel am 8./9. Juli 2016 (Tagesordnungspunkt 11) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619928 (A) (C) (B) (D) Im letzten Jahr hielten wir das Mandat zum Einsatz deutscher Streitkräfte zur Bekämpfung des sogenannten „Islamischen Staats“ in Syrien und Irak (ISIS) für zu- stimmungsfähig . Die Argumente aus dem letzten Jahr sind immer noch valide . ISIS kann man nicht militärisch besiegen . Aber man kann ihn militärisch aufhalten . Nur so kann Raum für politische Lösungen für die befreiten Gebiete geschaffen werden . Ebenso richtig war unser schneller Beistand nach den feigen und abscheulichen Attentaten am 13 . November 2015 in Paris . Solidarität mit Frankreich und die De- monstration europäischer Einigkeit und europäischen Zusammenhalts angesichts dieser Anschläge auf unser aller Freiheit und unsere gemeinsamen Werte waren und bleiben wichtig . Frankreichs Ausrufung von Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrages war eine angemessene Ant- wort auf den Terror, der uns als gesamte Europäische Union getroffen hat . Es war eine sinnvolle Anwendung unserer europäischen Instrumente und deshalb für uns in vollem Maße zustimmungswürdig . Das war in dem Mo- ment das stärkste Zeichen, das wir als EU nach Innen und nach Außen senden konnten . Es gab letztes Jahr auch viele berechtigte Kritikpunk- te . Wir mussten uns fragen: Ist eine militärische Beteili- gung deutscher Soldaten in diesem Fall verantwortungs- und sinnvoll? Am Ende kamen wir in der Abwägung zu dem Ergebnis, dass wir dem Mandat zustimmen können . Wir schauen uns Mandate jedes Jahr neu an, weil sich Umstände ändern können – das ist in diesem Jahr der Fall . Wir müssen neu abwägen . Die Solidarität mit Frankreich und der europäische Zusammenhalt sowie die Notwendigkeit einer auch mili- tärischen Bekämpfung von ISIS sind in diesem Jahr nicht weniger wichtig . Aber die Situation im Einsatzgebiet hat sich stark verändert . Russland ist inzwischen nicht mehr nur Unterstützer des Assad-Regimes, sondern ein eigenständiger militäri- scher Akteur im Krieg in Syrien . Die Türkei ist inzwischen substanziell sowohl im Krieg in Syrien als auch im Nordirak involviert . Die türkische Luftwaffe fliegt fast täglich Angriffe, die sich nicht auf ISIS-Stellungen beziehen, sondern auf kurdi- sche Kämpfer . In beiden Fällen agiert die Türkei völker- rechtswidrig . Die NATO hat der internationalen Koalition zur Be- kämpfung von ISIS in einem Beschluss des NATO-Gip- fels am 8./9. Juli 2016 AWACS-Aufklärungsflugzeuge zugesichert, um Lagebilder zur Vorbereitung und Durch- führung militärischer Operationen zu erstellen . Das Pro- blem dabei ist, dass die erhobenen Daten über die Situa- tion am Boden für alle NATO-Mitglieder einsehbar sind, auch für die Türkei . Erdogan hat in den letzten Wochen bewiesen, dass diese Informationen bei ihm in den fal- schen Händen sind . Seine aggressive Politik in Syrien und Nordirak ist von seinen eigenen Interessen, nicht von gemeinsamen Zielen der NATO geleitet . Die Bundesregierung hat auf Nachfrage im letzten Jahr gesagt, dass ausschließlich Daten weitergegeben werden, die für die Bekämpfung von ISIS relevant sind . Dies wird zum einen erschwert, da die Daten nun nicht mehr von Deutschland für die Koalition erhoben wer- den . Zum anderen gibt es Frontlinien zwischen ISIS und kurdischen Kämpfern . Informationen hierüber sind also sowohl für die Bekämpfung ISIS relevant, als auch für Erdogans eigenen Krieg gegen die Kurden . Es gibt in der aktuellen komplexen Gemengelage keine Daten, die nur für die Bekämpfung von ISIS relevant sind . Die Bundesregierung hat bisher darauf bestanden, dass sie der Türkei vertraue, dass diese Informationen nicht für Eigeninteressen in Bezug auf die Kurden miss- braucht werden . Das ist extrem fahrlässig und naiv, wenn wir uns die besorgniserregende Entwicklung der Türkei unter Erdogan weg von Demokratie und Rechtsstaatlich- keit sowie die bewusste Eskalation mit der kurdischen Bevölkerung ansehen . Außerdem gibt es nach wie vor keinen dem deutschen Bundestag vorliegenden Operationsplan, der die Einsatz- regeln für den Einsatz der Bundeswehr in Syrien und Irak festlegt . Eine knappe Weisung des Verteidigungs- ministeriums, die ursprünglich nur als Grundlage für die Erarbeitung eines Operationsplans dienen sollte, wurde kurzerhand und leise zum Operationsplan umdeklariert . Das ist kein guter Umgang mit militärischer Verantwor- tung und eine Missachtung der Kontrollfunktion des Par- laments gegenüber der Regierung und den Streitkräften . Wir stehen weiterhin solidarisch an der Seite Frank- reichs . Wir sind nicht gegen eine notwendige militärische Bekämpfung von ISIS . In der Gesamtabwägung und vor dem Hintergrund der sich massiv veränderten Rolle der Türkei und Russlands stimmen wir gegen das vorliegen- de Mandat der Bundesregierung . Anlage 9 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaff- neter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Ar- tikel 51 der Charta der Vereinten Nationen in Ver- bindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsra- tes der Vereinten Nationen sowie des Beschlusses der Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gip- fel am 8./9. Juli 2016 (Tagesordnungspunkt 11) Kirsten Lühmann (SPD): Ich stimme der Verlänge- rung des Bundeswehreinsatzes zu, weil die Notwendig- keit, den sogenannten IS auch mit militärischen Mitteln Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19929 (A) (C) (B) (D) zu bekämpfen, nach wie vor besteht . Gerade jetzt, wo die Anti-IS-Koalition den entscheidenden Kampf um die IS-Hochburgen Rakka und Mossul beginnt, ist die Konti- nuität dieses Auslandseinsatzes von größter Wichtigkeit . Dies sind wir den Kämpfenden, darunter vielen Kurden und Kurdinnen, schuldig . Zu Recht pochen wir aber auf die Bedingung, dass der Einsatz von türkischem Boden nur fortgeführt wer- den kann, wenn sichergestellt ist, dass wir Abgeordneten ungehinderten Zugang zu den deutschen Soldaten und Soldatinnen haben . Diese Bedingung ist für eine Parla- mentsarmee unerlässlich . Daher ist es auch zwingend geboten, Alternativstandorte für diesen Bundeswehrein- satz auszuloten . Außerdem sind die gezielten Verzöge- rungen bei den Verbesserungen der Unterbringungsbe- dingungen für unsere Einsatzkräfte nicht tragbar . Daher war für mich, um dem Antrag zustimmen zu können, die Protokollerklärung der Bundesregierung über die Suche nach Alternativstandorten zwingend . Da sich der Antrag auf den Einsatz bezieht und keinen Einsatzort vorsieht, können und sollten die Soldaten und Soldatinnen bei Vorliegen eines guten Alternativstandortes sofort dorthin verlegt werden . Mir ist – auch aufgrund meiner aktuellen Besuche – bewusst, dass die innenpolitische Lage in der Türkei auf- grund der Einschränkung demokratischer Grundrechte besorgniserregend ist . Eine Unterbrechung des Kampfes gegen den sogenannten IS ist darauf jedoch keine geeig- nete Antwort . Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU): Zum vorliegenden Antrag der Bundesregierung über eine Fort- setzung und Ausweitung des militärischen Engagements der Bundeswehr in Syrien nehme ich wie folgt Stellung: Bereits im vergangenen Jahr habe ich mich gegen den Einsatz der Bundeswehr im syrischen Bürgerkrieg aus- gesprochen . Gerade die undurchsichtige Gemengelage zwischen den zahlreichen Konfliktparteien spricht gegen eine Intervention Deutschlands . Zusätzliche Aktivitäten der unterschiedlichen Regionalmächte, religiöser Fana- tismus und der Einsatz Russlands und der NATO haben zu keiner Entspannung beigetragen . Trotz internationaler Maßnahmen kommt es in Syrien immer wieder zu neu- en Gewaltexzessen . Ein Ende ist derzeit nicht absehbar und eine Einigung der Konfliktteilnehmer in weite Ferne gerückt . Vonseiten der UNO gibt es kein Mandat für konzer- tierte Maßnahmen der Staatengemeinschaft in Syrien . Entsprechende Resolutionen werden im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen blockiert . Gleichzeitig führten die innenpolitischen Konflikte im Partnerland Türkei und die Diskussionen um den Stützpunkt Incirlik in den vergangenen Monaten wiederholt zu Irritationen über ein zielgerichtetes gemeinsames Vorgehen der Allianz . Leider bleibt der Regierungsantrag ein deutliches Ausstiegsszenario schuldig . Die Bekämpfung des isla- mistischen Terrors, des sogenannten IS, wird allein mit militärischen Mitteln nicht gelingen . Außerdem legt das fragile Gefüge des Nahen Ostens ein vorsichtiges Agie- ren in dieser Region nahe . Unüberlegte Einsätze westli- cher Staaten haben das Potenzial, die Region zusätzlich zu destabilisieren . Die Folgen des Irakkrieges, einer mi- litärischen Intervention ohne Exit-Strategie, sind noch immer spürbar . Deutschlands Rolle als Konfliktpartei schwächt zu- sätzlich unsere diplomatische Glaubwürdigkeit . Bei in- ternationalen Verhandlungen und Konferenzen genießt die Bundesrepublik ein besonderes Maß an Vertrauen und ist Ansprechpartner für unterschiedliche Lager . Die zunehmende Abkehr von der geübten militärischen Zu- rückhaltung erschwert außerdem die Arbeit des Auswär- tigen Amtes, friedliche Lösungen am Konferenztisch zu erreichen . Der Einsatz der Bundeswehr in Syrien trägt weder zum Ende des Bürgerkrieges bei, noch kann die nach- haltige Bekämpfung des religiösen Fanatismus im Nahen Osten durch militärische Einsätze gelingen . Daher versa- ge ich dem Antrag meine Zustimmung . Klaus Mindrup (SPD): Seit geraumer Zeit blicken wir mit großer Sorge auf die Lage in Syrien und den Irak . Die Terrormiliz IS hat sich in weiten Teilen dieser Länder ausgebreitet und damit ihre menschenverachtende Ideo- logie verbreitet . In den vergangenen Monaten erzielten vor allem kurdische Kämpfer militärische Erfolge gegen die Terrormiliz . Gleichzeitig fanden in der Türkei systematische An- griffe auf den Rechtsstaat und die Pressefreiheit statt, die wir als Demokraten nicht billigen können . Angefangen mit Entlassungen von Staatsbediensteten, Verhaftungen von Andersdenkenden und nun auch Unterdrückung und Verfolgung von gewählten oppositionellen Abgeord- neten müssen wir in der Türkei eine besorgniserregen- de Entwicklung beobachten . Dies kann auch nicht mit dem gescheiterten Putschversuch gerechtfertigt werden . Zusätzlich sehen wir vermehrt das türkische Militär in Kampfhandlungen gegen kurdische Kämpfer in Syrien und Irak . Dem Bundeswehreinsatz, der vom türkischen Luft- waffenstützpunkt Incirlik ausgeht, kann ich aufgrund dieser aktuellen Entwicklungen in der Türkei nicht zu- stimmen . Dass Abgeordneten des Deutschen Bundestages zeit- weise sogar der Besuch des Luftwaffenstützpunktes un- tersagt wurde, ist für mich ein weiterer Grund, den An- trag der Bundesregierung abzulehnen . Markus Paschke (SPD): Im vergangenen Jahr habe ich für den Einsatz gegen die terroristische Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) gestimmt . Ich halte diese Ent- scheidung nach wie vor für richtig und stehe auch dazu . Vom IS geht weiterhin eine große Bedrohung aus . Der in- ternationale Kampf gegen den IS hat Erfolg gezeigt und muss weitergeführt werden . Richtig ist aber auch, dass sich die Rahmenbedin- gungen geändert haben . Unsere Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee . Wir Parlamentarier tragen die Ver- antwortung für die Einsätze der Frauen und Männer der deutschen Bundeswehr . Schon allein deshalb ist es das Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619930 (A) (C) (B) (D) Recht aller Bundestagsabgeordneten, unsere Soldatinnen und Soldaten dort, wo sie stationiert sind, zu besuchen . Bisher ist dies jedoch seitens der türkischen Regierung nicht sichergestellt . Im Gegenteil, dieses Besuchsrecht ist vom guten Willen der türkischen Regierung abhängig . Einen solchen Umgang mit Vertretern unseres Parlamen- tes verurteile ich und lehne ihn ab . Zudem konnte bis jetzt immer noch keine Einigung über die Investitionen in die Soldatenunterkünfte erzielt werden . Es kann nicht sein, dass unsere Angehörigen der Bundeswehr in Unterkünften untergebracht werden, die von der amerikanischen Armee als „unbewohnbar“ aufgegeben worden sind . Hier besteht dringender Hand- lungsbedarf . Und auch die politischen Rahmenbedingungen in der Türkei, wo sich der Stützpunkt für den heute abzu- stimmenden Einsatz befindet, sind inzwischen unsicher, wenn nicht sogar gefährlich . Die Handlungen des türki- schen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit den Ver- haftungswellen gegen Journalisten und Oppositionspoli- tiker, massenhaften Entlassungen von Richtern und der Krieg gegen Kurden führen zu einer Radikalisierung und Spaltung der türkischen Gesellschaft . Die Stimmung in der Türkei wird zunehmend explosi- ver, und dies kann Auswirkungen auf unsere Soldatinnen und Soldaten haben . Wir haben eine klare Verantwortung gegenüber den Mitgliedern unserer Streitkräfte . Diese Verantwortung müssen wir auch wahrnehmen . Wenn der türkische Präsident öffentlich sagt, so wie in den letzten Tagen geschehen, Deutschland unterstütze den Terro- rismus, dann ist für mich eine rote Linie überschritten . Dann kann ich auch nicht unsere Soldatinnen und Sol- daten indirekt in seine Hände geben . Unsere Empörung darüber zum Ausdruck zu bringen, reicht nicht mehr . Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind für mich einfach noch zu viele Fragen ungeklärt . Daher hätte ich mir ge- wünscht, dass die Abstimmung verschoben oder der Ein- satzort verlegt worden wäre – auch um das Engagement unseres Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier im Ringen um eine gute und verlässliche Lösung zu un- terstützen und ihm dafür den notwendigen Raum zu ge- ben . Aus heutiger Sicht ist es mir aus den angeführten Gründen nicht möglich, dem vorliegenden Antrag zu- stimmen . Daher werde ich heute gegen den Antrag „Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristi- scher Handlungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der Charta der Vereinten Nati- onen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie des Beschlusses der Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gipfel am 8 ./9 . Juli 2016 stimmen . Christian Petry (SPD): Obwohl ich den Einsatz der Bundeswehr im Kampf gegen den IS auch mit der Un- terstützung deutscher Aufklärungsflugzeuge unterstütze, kann ich einer Weiterführung des Mandates der Bundes- wehr auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik aufgrund des Verhaltens der türkischen Regierung und des türkischen Präsidenten nicht zustimmen . Zwar ist der Luftwaffenstützpunkt Incirlik nicht Gegenstand der Mandatsverlängerung, gleichwohl ist er als Standort der Bundeswehr weiterhin vorgesehen . Der jederzeit freie und unbegrenzte Zugang der Abgeordneten des Deut- schen Bundestages zum Luftwaffenstützpunkt Incirlik muss Voraussetzung einer Mandatsverlängerung sein . Dieser jederzeit freie und unbegrenzte Zugang der Ab- geordneten des Deutschen Bundestages wird auch in der Protokollerklärung nicht in für mich ausreichender Form eingefordert . Florian Post (SPD): Deutschland beteiligt sich der- zeit an der multinationalen Mission gegen den IS mit rund 470 Soldaten, von denen etwa 250 in dem türki- schen Standort Incirlik stationiert sind . Wegen der innen- politischen Entwicklung in der Türkei und der fehlenden Genehmigung für den Besuch eines Bundestagsabgeord- neten hatte ich im Vorfeld der Abstimmung gewichtige Bedenken geäußert . Bei der Abstimmung über die Mandatsverlängerung des Bundeswehreinsatzes in Incirlik werde ich aufgrund der Protokollerklärung der Bundesregierung zustimmen . Die in der Erklärung enthaltene Zusicherung der Bun- desregierung, andere Luftwaffenstützpunkte als Incirlik zu prüfen und das Parlament in geeigneter Weise darüber zu unterrichten, wird es uns gegebenenfalls ermöglichen, den Standort vorbereitet zu wechseln Der Einsatz der Bundeswehr wird vom Deutschen Bundestag mandatiert . Daher erwarte ich, dass sich die Bundesregierung weiterhin mit Nachdruck gegenüber der türkischen Regierung für die Ermöglichung von Be- suchen der Abgeordneten des Deutschen Bundestages einsetzen wird . Ursula Schulte (SPD): Der Einsatz der Bundeswehr dient der Bekämpfung der Terrorgruppe IS und damit der europäischen und unserer eigenen Sicherheit sowie der Sicherheit aller vom sogenannten „Islamischen Staat“ bedrohten Länder . Der Sicherheitsrat der Vereinten Na- tionen hat wiederholt festgestellt, dass die Terrororgani- sation „Islamischer Staat“ unverändert eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit dar- stellt . Zahlreiche europäische Länder, aber auch Deutsch- land, mussten dies schmerzlich erfahren . Selbst wenn am Ende eine tragfähige Friedensregelung in der Region nur politisch erreicht werden kann, muss der IS auch mit mi- litärischen Mitteln bekämpft werden . Aus diesem Grund haben sich 67 Staaten in der internationalen Anti-IS-Ko- alition zusammengeschlossen . Deutschland hat mit sei- nen Maßnahmen zu Luftaufklärung, Luftbetankung und Begleitung für einen französischen Flugzeugträger einen wichtigen Beitrag innerhalb dieser Koalition geleistet . Die Erfolge gegen den IS sind unübersehbar . Aktuell befindet sich der IS bereits in der Defensive. Nun gilt es, den eingeschlagenen Weg zu Ende zu gehen, ergänzt um Aufklärungselemente von AWACS, die Deutschland Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19931 (A) (C) (B) (D) gemeinsamen mit anderen Partnern in die Koalition ein- bringen kann . Deutschland zeigt sich hier als verlässli- cher Partner, der bereit ist, Verantwortung zu überneh- men . Für mich ist klar: Der Kampf gegen den Terrorismus kann nicht allein mit militärischen Mitteln erfolgreich zu Ende gebracht werden . Aus diesem Grund setzen wir uns für einen breiten zivilen Ansatz ein, mit dem eine Sta- bilisierung der vom IS befreiten Gebiete in Syrien und Irak angestrebt werden soll . Deutschland gehört bereits heute zu den größten internationalen Gebern für huma- nitäre und Wiederaufbauhilfe in der Region . Das über- geordnete Ziel bleibt eine umfassende politische Lösung für Syrien und eine dauerhafte Stabilisierung des Irak, für die sich insbesondere unser Außenminister Frank-Walter Steinmeier konsequent und mit großem persönlichem Engagement einsetzt . Der Einsatz der Bundeswehr wird vom Deutschen Bundestag mandatiert . Es ist daher unabdingbar, dass der Bundestag die Möglichkeit haben muss, die deutschen Soldatinnen und Soldaten im Einsatz in Incirlik zu besu- chen . Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sich weiterhin mit Nachdruck für das Besuchsrecht einsetzt . Sollte die türkische Regierung dem Bundestag dieses Besuchsrecht wiederholt verweigern, sollen die Bundes- wehreinheiten an einen anderen Standort verlegt werden . Die Standortalternativen sollen schon jetzt geprüft wer- den, damit eine Verlegung ohne zeitliche Verzögerung erfolgen kann . Nach Abwägung aller Umstände stimme ich dem von der Bundesregierung vorgelegten Mandat zur Verlänge- rung des Anti-IS-Einsatzes zu . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Sechzehnten Gesetzes zur Änderung des Soldatengesetzes (Tagesordnungs- punkt 19) Bernd Siebert (CDU/CSU): 24 Islamisten wurden in der Bundeswehr enttarnt . 60 weitere Verdachtsfälle werden verfolgt . Diese Informationen konnten wir der medialen Berichterstattung entnehmen . Da der MAD der einzige Geheimdienst im Inneren der Bundeswehr ist, kann diese wichtige Information nur aus den Quel- len des Dienstes stammen . Allein schon diese Tatsache macht zwei Dinge deutlich: Erstens . Es ist gut, dass wir den MAD haben! Zweitens . Es ist notwendig, eine ge- setzliche Regelung herbeizuführen, die Extremisten, Terroristen und auch Kriminelle schon in der Phase der Bewerbung, also frühzeitig, erkennt, bevor sie in die Bundeswehr aufgenommen werden . Insgesamt bearbeitet der MAD derzeit, so ist zu hören, eine dreistellige Zahl extremistischer Verdachtsfälle, da- runter Rechts- und Linksextremisten sowie die genann- ten islamischen Extremisten . Die Dunkelziffern dürften jedoch weitaus höher liegen . Der Wehrbeauftragte hat recht, wenn er darauf hinweist, dass Extremisten und Is- lamisten die Bundeswehr nicht zur Ausbildung für den Dschihad missbrauchen dürfen . Dies alles stellt eine rea- le Gefahr dar, die man ernst nehmen muss . Insofern sind die Bundesregierung und hier insbesondere das Bundes- ministerium der Verteidigung für die vorliegende Initiati- ve zur Änderung des Soldatengesetzes zu loben; denn der Zeitpunkt der heutigen Beratung ist hochaktuell . Die Gesetzesänderung sieht vor, dass sich Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr zukünftig vor dem Eintritt in die Bundeswehr einer einfachen Sicherheitsüberprü- fung unterziehen sollen, und zwar Berufs- und Zeitsol- daten ebenso wie auch freiwillige Wehrdienstleistende . Bisher ist dies in der Regel nur bei Verwendungen in si- cherheitsrelevanten Bereichen der Fall . Darüber hinaus wird von angehenden Soldaten lediglich ein Führungs- zeugnis oder eine Auskunft aus dem Bundeszentralregis- ter eingeholt sowie ein Bekenntnis zur freiheitlich-demo- kratischen Grundordnung eingefordert . Aufgrund der Erfahrungen aus vielen Truppenbesu- chen und aus der Arbeit als Mitglied im Verteidigungs- ausschuss muss ich erkennen, dass die bisherigen Maß- nahmen keine umfassenden Erkenntnisse über mögliche extremistische Hintergründe eines potenziellen Bewer- bers erlauben . Deswegen müssen wir hier dringend nach- bessern; denn es ist eben nicht nachvollziehbar, dass für Soldaten, die mit geheimen Dokumenten zu tun haben, andere Regeln gelten als für ihre Kameradinnen und Ka- meraden, die im täglichen Dienst mit Kriegswaffen um- gehen . Auch halte ich es für ein Gebot der Anständigkeit den vielen Tausend Soldatinnen und Soldaten gegenüber, wenn ihr Dienstherr zur Gefahrenabwehr bereits ganz am Anfang genauer hinschaut und nicht erst während der Dienstzeit . So kann Problemen und Gefahren vorgebeugt werden . Insbesondere der Prävention durch Aufklärung kommt eine wesentliche Bedeutung zu . Vorgesetzte und Mitarbeiter müssen über alle Formen des Extremismus informiert werden, damit sie mögliche Gefährdungspo- tenziale frühzeitig erkennen . Aber das allein genügt eben nicht . Wir wissen aus vielen Berichten, dass Extremisten, aber auch andere Schwerkriminelle, sich gezielt bei der Bundeswehr bewerben, um dort an Waffen ausgebildet zu werden und möglicherweise Einblicke in die Arbeits- weisen des sogenannten Feindes zu erhalten . Diese Men- schen verhalten sich oft gezielt unauffällig . Umso dringlicher ist es, die nun vorgeschlagenen Maßnahmen so bald wie möglich umzusetzen . Wir müs- sen unbedingt verhindern, dass gewaltbereite Extremis- ten, gleich welcher Prägung, in den Genuss einer militä- rischen Ausbildung gelangen, um mit diesen Kenntnissen später unserem Land schwerwiegende Schäden zuzufü- gen . Man stelle sich einen schweren terroristischen An- schlag mit Schusswaffen vor, vergleichbar den Attacken in Paris vor knapp einem Jahr, und bei den nachfolgen- den Ermittlungen kommt heraus, dass einer der Täter den Umgang mit Sturmgewehren bei den deutschen Streit- kräften gelernt hat – ein absolutes Horrorszenario! Die Bundesregierung kalkuliert mit etwa 20 000 Neu- einstellungen und Sicherheitsüberprüfungen von Sol- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619932 (A) (C) (B) (D) daten pro Jahr . Dazu kommen die bisher schon etwa 50 000 Sicherheitsüberprüfungen sowie standardmäßige Wiederholungsüberprüfungen . Aus diesem Grund wird der Militärische Abschirmdienst wohl etwa 90 weitere Planstellen benötigen . Doch dies sollte es uns wert sein! Es ist meine feste Überzeugung, dass unsere Armee kei- nen Platz für Extremisten, Terroristen und Kriminelle haben darf . Diese müssen so früh wie möglich erkannt werden . Wenn sie erst einmal erkannt sind, dürfen sie keinen Zugang zur Bundeswehr bekommen . Es ist daher unsere Verantwortung als Verteidigungspolitiker, dafür die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen . Der vorliegende Gesetzentwurf wird dazu beitragen, die Bun- deswehr noch sicherer zu machen . Dr. Fritz Felgentreu (SPD): In der Bundeswehr dienen von Jahr zu Jahr mehr Männer und Frauen mus- limischen Glaubens . Die SPD-Fraktion begrüßt diese Entwicklung . Sie zeigt, dass zunehmend auch die Kinder und Enkel von Einwanderern sich voll und ganz mit die- sem Land identifizieren. Sie alle schwören, der Bundes- republik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, und als religiöse Menschen schwören sie es in der Re- gel, so wahr Gott ihnen helfe . Wir können alle zusammen stolz darauf sein, dass immer mehr junge Leute mit Ein- wanderungsgeschichte so überzeugt von unserem Land sind, dass sie dazu bereit sind, in letzter Konsequenz ihr Leben dafür einzusetzen . Damit Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, sich ein Bild machen können, was für tolle Leute das sind, die die Bundeswehr da gewonnen hat, empfehle ich Ihnen das Porträt eines Sohnes mei- nes Wahlkreises Berlin-Neukölln, des Hauptfeldwebels Ferhat Alhayiroglu, das am vergangenen Montag im Ber- liner Tagesspiegel erschienen ist . Dazu eine Randbemerkung: Fast noch bemerkenswer- ter erscheint es mir, dass inzwischen auch Juden wieder in den deutschen Streitkräften dienen . Am kommenden Sonntag, dem Volkstrauertag, werde ich als Berliner Landesvorsitzender des Volksbunds Deutsche Kriegsgrä- berfürsorge wieder an einer Gedenkstunde für jüdische Gefallene des Ersten Weltkrieges auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee teilnehmen . Ihr Andenken ist von dem Land, dem sie ihr Leben geopfert haben, auf die schrecklichste Weise verraten worden . Dass dennoch heute wieder deutsche Juden als Soldaten dienen und die- ser Republik so das größtmögliche Vertrauen schenken, ist ein Grund für tiefe Dankbarkeit . Das Engagement von Juden und Muslimen in den deutschen Streitkräften muss auch der Dienstherr, also letztlich dieses Parlament, wür- digen und fördern . Ich würde es deshalb sehr begrüßen, wenn der Zentralrat der Juden sich dazu bereitfände, die jüdische Militärseelsorge wiederaufzunehmen, die im Ersten Weltkrieg Soldaten jüdischen Glaubens betreut hat . Und auch für den Aufbau einer islamischen Militär- seelsorge wird das Bundesministerium der Verteidigung Sorge tragen müssen, indem es geeignete Partner dafür sucht . Die Bundeswehr wird als Armee des ganzen deut- schen Volkes nur dann eine Zukunft haben, wenn Men- schen aller Religionen, die von jeher hier verwurzelt sind oder seit jüngerer Zeit hier Wurzeln geschlagen haben, dort ganz selbstverständlich ihren Beitrag leisten . In der SPD-Fraktion sind wir überzeugt: Nur eine Bundeswehr, die sich als Spiegel dieser Gesellschaft versteht, wird ih- ren Auftrag auf Dauer mit voller Kraft erfüllen können . Aber wie die Gesellschaft als Ganzes, so ist auch die Bundeswehr der Gegenwart nicht frei von alten und neu- en Gefahren . In der Vergangenheit hat der Militärische Abschirmdienst in einer kleinen, aber ernst zu nehmen- den Zahl von Einzelfällen Rechtsextremisten ausfindig gemacht, die in der Bundeswehr eine militärische Ausbil- dung machen wollten, um verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen . In jüngerer Zeit ist eine andere Risikogruppe auffällig geworden: Ich spreche von muslimischen Extre- misten, die in der Bundeswehr militärische Fähigkeiten für den Dschihad erwerben wollen und mit denen sich auch die Gefahr von Terroranschlägen in den Standorten und Einsatzorten der Bundeswehr verbindet . Seit 2007 konnte der MAD 24 solcher Personen enttarnen . Nach Medienberichten werden circa 60 weitere Verdachtsfälle geprüft . Der vorliegende Gesetzentwurf trägt den neuen Risi- ken Rechnung, denen die Bundeswehr als Freiwilligen- armee in einer veränderten sicherheitspolitischen Lage ausgesetzt ist . Damit Extremisten jeder Richtung nicht erst dann enttarnt werden können, wenn sie ihren Dienst bereits angetreten haben, sollen in Zukunft schon die Be- werberinnen und Bewerber einer einfachen Sicherheits- überprüfung unterzogen werden . Das wird nicht nur zu mehr Sicherheit in der Bundeswehr beitragen . Indirekt kann damit auch erschwert werden, dass gewaltbereite Extremisten die Dinge lernen, die sie brauchen, um un- schuldige Menschen zu terrorisieren . Mit diesem sinn- vollen Gesetz stärken wir also in schwieriger Zeit die wehrhafte Demokratie . Das sollte auch unser Leitgedan- ke bei der Beratung in den Ausschüssen sein . Inge Höger (DIE LINKE): Bei der Bundeswehr wer- den junge Menschen dazu ausgebildet, tödliches Kriegs- gerät zu bedienen . Das gilt für jeden einzelnen Fall, in dem Rekrutinnen und Rekruten die Grundausbildung oder auch weitergehende Ausbildungsschritte bei der Bundeswehr durchlaufen . Deswegen ist große Wachsam- keit gefragt, was mit diesen Fähigkeiten gemacht wird oder werden kann . In anderen Worten: Die Sorgen, die ich hinter dem Gesetzentwurf vermute, teile ich weitge- hend – allerdings gehen meine Sorgen deutlich weiter, und ich habe ernsthafte Zweifel, dass der vorgeschlagene Weg tatsächlich die realen Probleme löst . Als Militärkritikerin habe ich bereits mit der Tatsa- che, dass es diese Ausbildung zum Töten überhaupt gibt, ein Problem . Das ist besonders vor dem Hintergrund problematisch, dass es erklärtes Ziel der Ausbildung der Bundeswehr ist, Soldatinnen und Soldaten auf den Auslandseinsatz vorzubereiten. Konkret sind das häufig Kriegs- und Besatzungseinsätze . Der aktuelle Anlass für die vorgeschlagene Änderung des Soldatengesetzes ist die Angst davor, dass junge Menschen aus einer dschiha- distischen Motivation heraus zur Bundeswehr gehen könnten . An dieser Stelle muss ich meine Verwunderung zum Ausdruck bringen, dass jahrzehntelange Warnun- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19933 (A) (C) (B) (D) gen vor nationalistischen und rechtsradikalen Kräften in der Bundeswehr keine vergleichbare Aufmerksamkeit bekommen haben . Nach wie vor wird der regelmäßige Schwund von Waffen, Munition und Sprengstoff bei der Bundeswehr eher heruntergespielt . In der Begründung für die Gesetzesänderung wird ne- ben der Beschwörung dschihadistischer Unterwanderung zusätzlich an den Nationalsozialistischen Untergrund erinnert . Allerdings zeigt dieses Beispiel auch, dass Ge- heimdienste keineswegs die passende Antwort auf die durchaus realen Gefahren sind . Uwe Mundlos war wäh- rend seiner Dienstzeit bei der Bundeswehr massiv wegen rechtsextremer Umtriebe aufgefallen . Er wurde unter an- derem von der Polizei bei einer Demonstration zum Ge- denken an Rudolf Heß aufgegriffen, in seiner Wohnung wurden eine umfangreiche Musiksammlung von Neona- zibands und NPD-Flugblätter gefunden . Dennoch wurde er von seinen Vorgesetzten gelobt, befördert, und kurz vor Ende seiner Dienstzeit versuchte der MAD noch, ihn als Spitzel anzuwerben . So löst man keine Probleme, sondern schafft man neue . Notwendig ist eine umsichtige und sensible Perso- nalführung . Das ist aber keine Aufgabe, für die sich ein Geheimdienst eignet . Diese Aufgabe muss die Bundes- wehr auf allen Ebenen zusammen mit den jeweiligen Vorgesetzten ernst nehmen . Die zahlenmäßig bei weitem größte Gefahr geht übrigens nach wie vor von Rechtsex- tremen in der Bundeswehr aus . Aktuell gibt es 268 Ver- dachtsfälle . Dem stehen 64 mutmaßliche Sympathisanten von Dschihadisten gegenüber . Es wird befürchtet, dass diese dann entweder gegen andere Mitglieder der Bundeswehr Angriffe durchführen könnten, was bisher bei der Bundeswehr eher eine theore- tische Gefahr ist, oder dass mit den gelernten Fähigkeiten terroristische Anschläge ausgeübt werden . Die Fähigkeit, Kriegsgeräte zu bedienen, ist jedoch aller Erfahrung nach nicht notwendig, um terroristische Anschläge durchzu- führen . Wesentlich realer ist die Gefahr, dass Menschen, die bei der Bundeswehr den Umgang mit Kriegsgerät gelernt haben, später als Söldner ihre Fähigkeiten ver- kaufen . Es sind aktuell wohl etwa 30 ehemalige Soldaten nach Syrien und in den Irak ausgereist . Zusätzlich bieten Tausende deutsche Exsoldaten ihre „Dienste“ für ver- schiedene „Sicherheitsunternehmen“ auf dem globalen Markt an . 1990 hat die damalige Bundesregierung zwar die UN-Konvention gegen die Anwerbung, den Einsatz, die Finanzierung und die Ausbildung von Söldnern unter- zeichnet. Die Ratifikation, durch die die Resolution erst verpflichtend würde, wurde jedoch von wechselnden Bundesregierungen hinausgezögert und fand bis heute nicht statt . Mir geht es hier nicht um eine Relativierung der Ter- rorgefahr, sondern um den Hinweis darauf, dass die nun vorgeschlagenen Schritte bestenfalls billiger Aktionis- mus, aber kaum dazu geeignet sind, die konkreten Pro- bleme zu lösen . Zudem sind die Probleme wesentlich weitreichender, als die verkürzte Debatte um „islamisti- schen“ Terrorismus suggeriert . Vielmehr geht es darum, die Verantwortung für Fähigkeiten, die bei der Bundes- wehr gelernt wurden, wesentlich grundlegender zu er- kennen und auch entsprechend rechtlich und durch gute Personalführung einzulösen . Schlussendlich bleibt aber das Grundproblem: die deutsche Kriegspolitik . Es ist bekannt, dass die größte Radikalisierungsgefahr für Soldatinnen und Soldaten im Verlauf von Kriegseinsätzen existiert . Wenn sie psy- chisch oder auch moralisch mit der Realität der Kriege nicht klarkommen, äußert sich dies leider allzu häufig auch in gewaltförmigem Verhalten, gegen ihre Kolle- gen, gegen ihre Familien, aber auch gegen die gesamte Gesellschaft . Sogenannte Amokschützen sind leider nur ein Beispiel dafür . Wenn die Bundesregierung endlich Abstand nimmt von der interventionistischen Militär- politik, dann ist dies eine wesentlich bessere Form der Gewaltprävention als alle noch so umfangreiche Über- wachungspolitik . Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In einem Punkt sind wir uns wahrscheinlich alle einig: Extremistinnen und Extremisten, egal ob islamistisch oder rechtsradikal, dürfen auf keinen Fall bei der Bun- deswehr an der Waffe ausgebildet werden . Jeder Einzel- fall ist einer zu viel! Es ist also richtig, dass die Bun- desregierung in dieser Sache den Versuch unternimmt, die bisher zu laschen Regeln zu verschärfen . Es muss sichergestellt werden, dass Menschen mit extremisti- schem Gedankengut nicht der Bundeswehr angehören und dann das Wissen sowie die dort erlernten Fähigkei- ten anschließend nicht missbrauchen können . Deshalb ist das Ziel dieser Änderung des Soldatengesetzes, eine Sicherheitsüberprüfung für Bewerberinnen und Bewer- ber bei der Bundeswehr einzuführen, an sich nicht falsch oder kritikwürdig . Trotzdem sehe ich aber in den von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maßnahmen mehrere hochproblematische Punkte und habe aus vielen Grün- den großen Zweifel daran, ob die Sicherheitsüberprüfung durch den Militärischen Abschirmdienst ein geeigneter und vor allem auch ein ausreichender Weg ist, um der Gefahr zu begegnen . Wir Grüne haben mit Ihrem Gesetzentwurf ein ganz grundsätzliches Problem, das sich auf den institutionellen Rahmen bezieht . Die Bundesregierung will den Militäri- schen Abschirmdienst mit zusätzlichen Dienstposten ver- stärken und seine Aufgaben extrem ausweiten . Wir Grü- ne fordern seit Jahren immer wieder die Auflösung des Militärischen Abschirmdienstes . Manche Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition wollen uns hier scheinbar missverstehen oder hören nicht richtig zu . Immer wieder begegnet es mir, dass jemand versucht, unsere Position mit Absicht zu verdrehen, indem so getan wird, als woll- ten wir nicht die Institution des Militärischen Abschirm- dienstes abschaffen, sondern seine Aufgaben . Ich möchte hier ganz klar sagen: Das ist falsch! Ich möchte Ihnen auch erklären, wie wir Grüne zu dieser Position kommen . Sowohl der Untersuchungs- ausschuss zum Terrornetzwerk NSU als auch der zur NSA-Spähaffäre haben an vielen Stellen das generelle Versagen der deutschen Geheimdienste in Deutschland aufgedeckt . So zeigte sich im NSA-Untersuchungsaus- schuss, dass der Bundesnachrichtendienst vor allem mit Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619934 (A) (C) (B) (D) der Überwachung statt dem Schutz der eigenen Bürgerin- nen und Bürger beschäftigt ist . Die problematische Rol- le des Militärischen Abschirmdienstes ist im Zuge des NSU-Untersuchungsausschusses ans Tageslicht gekom- men . Es sind hier nicht nur wichtige Akten geheim ge- halten worden, sondern der Militärische Abschirmdienst wusste schon in den 90er-Jahren von der rechtsextremen Gesinnung von Uwe Mundlos und wollte diesen sogar als Informanten anwerben . Mit der Forderung, den Militärischen Abschirmdienst aufzulösen, stehen wir Grüne auch nicht allein . Vielleicht erinnern wir uns kurz an die FDP: Dies war einer der wenigen Punkte, wo wir Grüne einer Meinung mit der FDP waren . Auch der Bundesrechnungshof hat sehr klar bemängelt und analysiert, dass die Aufrechterhaltung des Militärischen Abschirmdienstes hohe Kosten für wenig Mehrwert bedeutet . Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen Sie nun aber die Aufgaben und das Personal dieses Dienstes mas- siv aufstocken, statt endlich eine sinnvolle Reform in Bezug auf die gesamte deutsche Geheimdienstlandschaft auf den Weg zu bringen . Erst vor kurzem haben wir hier im Parlament über die Reform des Bundesnachrichten- dienstes und die Notwenigkeit der umfassenden parla- mentarischen Kontrolle debattiert . Unsere grüne Kritik an dieser großen Reform und unsere grünen Alternativen haben meine Kollegen Konstantin von Notz und Hans- Christian Ströbele in ihren prägnanten Reden Ende Ok- tober dargelegt . Auch in einem Positionspapier haben wir unsere Ideen, insbesondere für die Kontrolle der Nach- richtendienste, sehr konkret dargestellt . Es geht Ihnen aber bei diesem Gesetz wohl eher da- rum, punktuell Tatkraft zu heucheln und angesichts der kritischen Debatten eine Existenzberechtigung des Mi- litärischen Abschirmdienstes zu liefern, statt wirksame und effektive Lösungen zu finden, um die Bundeswehr vor der Gefahr, die von Extremistinnen und Extremisten ausgeht, zu schützen . Diese wichtigen Aufgaben sollen unserer Auffassung nach entsprechend reformierte Insti- tutionen übernehmen . Markus Grübel, Parl . Staatssekretär bei der Bun- desministerin der Verteidigung: Die Bundeswehr darf nicht zum Ausbildungscamp für Extremisten, Islamisten, Gewalttäter und Terroristen werden . Das wollen wir ver- hindern . Und darum legen wir diesen Gesetzentwurf vor . Die Bundeswehr ist darauf angewiesen, pro Jahr etwa 25 000 Bürgerinnen und Bürger für den Dienst als Soldatin oder Soldat in den Streitkräften zu gewinnen: 13 000 Soldaten auf Zeit und 12 000 freiwilligen Wehr- dienst Leistende . Nur für diejenigen, die später eine „sicherheitsemp- findliche Tätigkeit“ ausüben sollen – das sind etwa 10 000 Personen –, wird aktuell eine Sicherheitsüber- prüfung nach der Einstellung durchgeführt . Da sich diese Sicherheitsüberprüfung nur auf den Schutz von Verschlusssachen und den Schutz vor Innensabotage be- zieht, erfolgt keine inhaltlich tiefgehende Prüfung aller einzustellenden Bewerberinnen und Bewerber auf Extre- mismus- oder Terrorismusverdacht . Bislang werden einzustellende Bewerberinnen und Bewerber für den soldatischen Dienst in der Bundeswehr über den Inhalt und die Bedeutung der Verfassungstreue belehrt . Sie müssen lediglich ein polizeiliches Führungs- zeugnis vorlegen und sich darüber hinaus über die mögli- che Mitgliedschaft in und die Verbindung zu bestimmten politischen Parteien, Organisationen oder Institutionen und über das Bekenntnis zur freiheitlichen demokrati- schen Grundordnung erklären . Somit ist es derzeit nicht ausgeschlossen, dass eine an anderer Stelle bereits als Extremistin oder Extremist erkannte Person als Soldatin oder Soldat in die Bundes- wehr eingestellt wird, eine Ausbildung an Kriegswaffen und insbesondere Umgang mit diesen erhält – einfach weil die zuständigen Stellen der Bundeswehr über diese Erkenntnisse nicht verfügen . Alle Soldatinnen und Soldaten werden im Rahmen der Grundausbildung in der Handhabung und dem Gebrauch von Kriegswaffen (zum Beispiel automatische Waffen) ausgebildet . Die Ausbildung ist qualitativ hochwertig und von daher auch bei solchen Menschen begehrt, die besser niemals lernen dürften, wie man ein Sturmgewehr bedient . Ich spreche hier von Islamisten, Extremisten, Gewalttätern und Terroristen sowie von Personen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie sich absehbar zu sol- chen entwickeln . Diese Menschen tragen ihre feindseligen Absichten aber nicht offen erkennbar auf der Stirn . Es besteht somit die Gefahr, dass derartige Neigungen bei einer Bewer- bung als Soldatin oder Soldat unerkannt bleiben, solche Bewerber das Auswahlverfahren erfolgreich absolvie- ren und in der Grundausbildung all das lernen, was zum Handwerk des Soldaten gehört, auch den Umgang mit Waffen . Man muss dafür nicht nach Syrien reisen . Es ge- nügt die Grundausbildung in Hammelburg . Dies wollen wir verhindern . Diese Lücke wollen wir schließen, diese Lücke müssen wir schließen . Wir wollen, dass zukünftig jeder Soldat, bevor er in der Handhabung von Kriegswaffen ausgebildet wird, ei- ner einfachen Sicherheitsüberprüfung unterzogen wird . Wir orientieren uns dabei am seit Jahrzehnten erprobten Instrumentarium des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes (SÜG) . Wie in anderen besonders „sensiblen“ Bereichen auch, zum Beispiel dem Luftverkehr und dem Umgang mit ra- dioaktiven Stoffen im Sinne des Atomgesetzes, wollen wir die bei Polizei- und Sicherheitsbehörden und dem Bundeszentralregister bereits vorliegenden Informatio- nen nutzbar machen . Deshalb wird künftig vor Dienstan- tritt bei allen Bewerberinnen und Bewerbern eine Sicher- heitsüberprüfung durchgeführt . Die beabsichtigte Regelung trägt dem Verhältnismä- ßigkeitsgrundsatz Rechnung . Ein durch den Tatbestand der „erstmaligen Berufung in ein Dienstverhältnis als Soldatin oder Soldat“ genau eingegrenzter Personenkreis kann somit durch die Ein- holung von Informationen im Rahmen eines bewährten Verfahrens überprüft werden . Die Anknüpfung an die Berufung in ein Dienstverhältnis als Soldatin oder Sol- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19935 (A) (C) (B) (D) dat und damit an die Einstellung als Soldatin oder Soldat stellt sicher, dass hierunter all diejenigen – aber auch nur diejenigen – fallen, die in der Bundeswehr an Kriegswaf- fen ausgebildet werden sollen . Als mitwirkende Behörde soll wie bislang schon der Militärische Abschirmdienst agieren . Dieser hat – ganz wie im „alten“ SÜG auch – hierbei keinerlei nachrichtendienstliche Befugnisse . Die Konzepte zur Vorbeugung der Einstellung von Extremistinnen und Extremisten in die Bundeswehr wur- den bereits im Verlauf des 2 . Untersuchungsausschusses der 17 . Legislaturperiode zur Terrorgruppe „Nationalso- zialistischer Untergrund“ kritisch hinterfragt . Insgesamt hat der Untersuchungsausschuss bemän- gelt, Sicherheitsbehörden hätten trotz vorhandener Er- kenntnisse zur Affinität rechtsextremistischer Kreise zu Waffen und Sprengstoffen das Gefahrenpotenzial in nicht nachvollziehbarer Art und Weise verkannt . Diese Vorwürfe werden durch die beabsichtigte Lösung aufge- griffen . Die „Extremismusprävention“ wird umfassend gestärkt . Insgesamt ist das vorgeschlagene Gesetz ein kleiner, aber bedeutender Baustein für mehr Sicherheit in einer zunehmend unsicherer werdenden Welt . Unsere Bürger und unsere Bürger haben ein Recht darauf! Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes (Tagesord- nungspunkt 21) Kordula Kovac (CDU/CSU): Pro Jahr verzehrt der Deutsche im Durchschnitt 200 Kilogramm Obst und Gemüse . Damit sind wir schon nah dran an der von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlenen Menge von 237 Kilogramm pro Jahr . Damit das aber auch so bleibt, müssen wir weiterhin beste Qualität und Vielfalt von deutschem Obst und Gemüse sicherstellen; denn machen wir uns nichts vor: Was dem Verbraucher nicht schmeckt, isst er nicht . Aber: Was der Verbraucher nicht kennt, isst er auch nicht, Gesundheit hin oder her . Der Obstbau ist aus der deutschen Landwirtschaft nicht wegzudenken, weder ökonomisch noch ökologisch oder sozial. Aber ohne leistungsfähige Pflanzensorten ist Obstbau nicht möglich. Hochwertiges Saat- und Pflanz- gut resistenter, qualitativ hochwertiger und leistungsfähi- ger Sorten dient nicht nur dem Schutz des Verbrauchers, sondern auch der Versorgung der Landwirtschaft und des Gartenbaus . Das Saatgutverkehrsgesetz regelt im wahrs- ten Sinne des Wortes das „in Verkehr bringen“ und die amtliche Anerkennung von Saatgut und Vermehrungs- material in Deutschland . Dieses Saatgutgesetz wird mit der heutigen Gesetzesänderung gemäß EU-Vorgaben präzisiert . Das Vierte Gesetz zur Änderung des Saatgutver- kehrsgesetzes setzt somit unter Einhaltung der Frist des 31 . Dezembers dieses Jahres verschiedene Durchfüh- rungsrichtlinien der EU-Kommission zur Schaffung von Sortenverzeichnissen für Obstsorten zur Fruchterzeu- gung und zum Inverkehrbringen von Vermehrungsmate- rial von Obstarten in nationales Recht eins zu eins um . Zugrunde liegt den beiden Richtlinien des Rates und der Kommission letztendlich der Wunsch der Harmonisie- rung und der Transparenz auf europäischer Ebene . Die Richtlinien enthalten nähere Bestimmungen zur Regis- trierung bzw . dem Verzeichnis von Versorgern, zur Ein- tragung von Sorten ebenso wie zur regionalen Herkunft und zur Saatgutmenge . Die EU-Richtlinien umfassen aber auch Vorgaben für ein gemeinsames Sortenverzeichnis auf europäischer Ebene, mit denen Details wie zum Beispiel die Bedin- gungen für die Eintragung, die Geltungsdauer der Ein- tragung oder auch die Erneuerung einer Eintragung, geregelt werden . Die Errichtung dieses gemeinsamen elektronischen Sortenverzeichnisses für Obstsorten zur Fruchterzeugung obliegt der Europäischen Kommissi- on . Dadurch, dass dieses Verzeichnis veröffentlicht wird, wird eine transparente und leicht abzufragende Daten- bank angelegt, die als Informationsquelle Vertrauen auf dem Markt, aber auch eine angemessene Verbraucherin- formation schaffen kann . Grundlage dieses gemeinsamen EU-Sortenverzeich- nisses sind die jeweiligen nationalen Gesamtlisten, in denen alle relevanten heimischen Obstsorten aufgelis- tet werden . Der Inhalt der nationalen Gesamtlisten ist ebenfalls durch EU-Vorgaben bestimmt worden . In dem Verzeichnis müssen zum Inverkehrbringen mit amtlicher Beschreibung zugelassene, nach dem nationalen Sorten- schutzrecht oder nach dem gemeinschaftlichen Sorten- schutzrecht geschützte und bereits vor dem 30 . Septem- ber 2012 mit anerkannter Beschreibung in den Verkehr gebrachte Sorten ebenso wie das Vermehrungsmaterial von Obstarten aufgeführt werden . Für die Erstellung der deutschen Liste ist das Bundessortenamt zuständig . Ab Beginn des nächsten Jahres muss das Amt diese Liste, ebenso wie das Verzeichnis der Versorger, jährlich an die EU-Kommission übermitteln . Der Mehrwert von solchen Listen ist ja nicht un- umstritten . Erlauben Sie mir aber darzustellen, warum dieses Sortenverzeichnis keine unnötige Bürokratie aus Brüssel ist: Erstens . Wir müssen nicht bei null anfangen . Die deutsche Gesamtliste kann auf der beim Bundessor- tenamt bereits vorhandenen Liste der vertriebsfähigen Obstsorten aufbauen . Zweitens . Die Mehrarbeit für das Bundessortenamt hält sich in Grenzen . Derzeit werden nicht mehr als 20 Anträge pro Jahr zur Aufnahme von Obstsorten in die deutsche Gesamtliste gestellt . Da der überwiegende Teil der vertriebsfähigen Obstsorten be- reits gelistet ist, ist zu erwarten, dass diese Zahl zukünf- tig eher rückläufig ist. Drittens. Durch die Erteilung von Sortenschutz und Sortenzulassung unterstützt das Bun- dessortenamt bereits jetzt die vielfältigen Aktivitäten zur Förderung des Züchtungsfortschritts und der biolo- gischen Vielfalt . Gerade die Wahrung der genetischen Vielfalt, die Erhaltung unserer pflanzengenetischen Res- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619936 (A) (C) (B) (D) sourcen und der damit einhergehenden Biodiversität ist unverzichtbar für die zukunftsorientierte Pflanzenzüch- tung in Landwirtschaft und Gartenbau . Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bin ich für Obst, Gemüse und Wein zuständig . Ich lebe in einer Region, in der diese Themen die Menschen im Haupt- und Nebenerwerb täglich beschäftigen . Wir wissen, wie wichtig regionale Produkte jetzt und in Zukunft für uns sind . Und als Kommunalpolitikerin weiß ich auch, wie wichtig eine Zukunft für Obst, Gemüse und Wein für unsere Kulturlandschaften und die Aufrechterhaltung der Landwirtschaft ist . Man erntet bekanntlich, was man sät! Lassen Sie uns daher heute dem Gesetz unse- re Zustimmung erteilen und somit die Weichen stellen für einen zukunftsorientierten, transparenten und wett- bewerbsfähigen Obstbau in Deutschland und Europa auf der Grundlage einer verlässlichen und genau geregelten Datenbank über Versorger und Sorten, die Qualität und Vielfalt des Angebots sicherstellt . Kees de Vries (CDU/CSU): Vielleicht erinnern Sie sich an die bunten und idyllischen Bilderbücher aus Ih- rer Kindheit . Dann haben Sie bestimmt noch den Bau- ern mit seiner Kuh oder die Bäuerin bei der Arbeit auf dem Weizenfeld vor Augen . Die banale, aber elementare Botschaft dieser Bilder lautet: Landwirtschaft produziert Lebensmittel . Abgesehen davon, dass viele Erwachsene die moderne Agrarwirtschaft mit Maßstäben der Bilder- buchromantik messen, wird häufig übersehen, welche bedeutende Aufgabe unsere Landwirte außerdem erfül- len. Ich spreche von Landschaftspflege – und ich spreche von der ökologischen Vielfalt des ländlichen Raumes, die es einerseits zu fördern, andererseits zu schützen gilt! Mit der Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes ver- größern wir den Spielraum der Landwirtschaft, nachhal- tig auf unsere Umwelt einzuwirken . Ziel der Brüsseler Richtlinie ist es, die genetische Vielfalt im Obstanbau zu bewahren . Mit der Umsetzung zweier Durchführungs- richtlinien wollen wir dieses Ziel in nationales Recht übersetzen . Es ist vorgesehen, die Versorger von Vermeh- rungsmaterial zu registrieren und auf europäischer Ebene ein transparentes und gemeinsames Sortenverzeichnis zu erstellen . Dem gemeinsamen sollen nationale Sorten- verzeichnisse zugrunde liegen, welche nach amtlicher Beschreibung zugelassene und vom Sortenschutzrecht geschützte Obstsorten auflisten. Ein solches Verzeichnis, also eine nationale Gesamtliste aller Obstsorten, wollen wir bis Ende des Jahres in Deutschland beschließen . Die entscheidende Neuerung ist, dass die Mitglied- staaten auch Obstsorten ohne Wert für den kommerziel- len Anbau in die Liste aufnehmen können . Das sind zum Beispiel alte Obstsorten, die Gefahr laufen, in Verges- senheit zu geraten, oder sogenannte Amateursorten, die bisher nicht vermarktet werden konnten . Hierfür müssen wir das Saatgutverkehrsgesetz anpassen, um die Rege- lung zum Inverkehrbringen und zur amtlichen Anerken- nung von Vermehrungsmaterial in Übereinstimmung zu bringen . Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf zur Gesetzesänderung erfüllt diese Kriterien, und ich rufe dazu auf, dem Entwurf zuzustimmen, einerseits deshalb, weil seine Umsetzung zur nachhaltigen Nutzung von pflanzengenetischen Ressourcen beiträgt, andererseits deshalb, weil er die Landwirtschaft bei einem wichtigen Dienst an unserer Gesellschaft unterstützt . Rita Hagl-Kehl (SPD): Das Saatgutverkehrsgesetz regelt das Inverkehrbringen und die amtliche Aner- kennung von Vermehrungsmaterial von Obstarten zur Frucht erzeugung . Mit dem Vierten Gesetz zur Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes wird die Durchführungs- richtlinie 2014/97/EU der Kommission vom 15 . Okto- ber 2014 zur Durchführung der Richtlinie 2008/90/EG des Rates hinsichtlich der Registrierung von Versorgern und der Eintragung von Sorten sowie des gemeinsamen Sortenverzeichnisses (ABl . L 298 vom 16 . Oktober 2014, S . 16) umgesetzt . Hierdurch wird die Erstellung eines Sortenverzeichnisses mit Sorten von Obstarten zur Fruchterzeugung geregelt . Das Gesetz trägt dabei auch zu einer Bereicherung der genetischen Vielfalt bei, da auch das Inverkehrbringen von Vermehrungsmaterial insbesondere von alten Obstsorten gefördert wird . Für mich ist die Förderung von ökologischem, gen- technikfreiem Saatgut sehr wichtig, da dieses nicht nur von Ökolandwirten verwendet wird, sondern auch von der konventionellen Landwirtschaft genutzt werden kann. Die Pflanzensorten, die im Ökolandbau verwen- det werden, müssen robust und standortangepasst sein . Aus diesem Grund ist eine eigenständige Ökozüchtung notwendig . Da keine bzw . nicht ausreichend ökologische Züchtungen zur Verfügung stehen, werden im Ökoland- bau konventionelle und Hybridsorten eingesetzt . Die gentechnikfreie und ökologische Erzeugung von Lebens- mitteln beginnt bereits bei der Auswahl des Saatgutes . Die Bewahrung und Sicherstellung der genetischen Viel- falt durch ein nationales Sortenverzeichnis und dessen Veröffentlichung in einem gemeinsamen Sortenverzeich- nis halte ich deshalb für wichtig und richtig . Generell stellt die Förderung pflanzlicher Eiweiße aus heimischer Produktion für mich eine Schlüsselstelle dar: Nur wenn wir es schaffen, unseren Bedarf an pflanzli- chen Eiweißen mit unserer heimischen Produktion zu decken, können wir unsere Abhängigkeit von Importen von gentechnisch verändertem Soja verringern . Die Le- guminosen bereichern nicht nur die Fruchtfolge, sondern erhöhen auch die Biodiversität und wirken sich auf die Bodenfruchtbarkeit positiv aus . Darüber hinaus leisten sie einen wertvollen Beitrag zur Stickstoffversorgung der Pflanzen. Somit ist die heimische Eiweißpflanzen- produktion wichtig für das Erreichen der internationalen Umweltschutz- und Klimaschutzziele . Deshalb ist für mich das Programm zur Förderung von Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung mit pflanzlichen Eiwei- ßen aus heimischer Produktion besonders wichtig . Die Eiweißpflanzenstrategie dient dabei zur Erweiterung der Fruchtfolgen in Deutschland, insbesondere um Legumi- nosen, und trägt so zu einer nachhaltigeren Landwirt- schaft und zur Stärkung der regionalen Wertschöpfungs- kette bei . Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich deshalb auch für eine Erhöhung des Haushaltsansatzes des Pro- jekts von 6 Millionen Euro in 2016 auf 8 Millionen Euro Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19937 (A) (C) (B) (D) in 2017 eingesetzt . Das bestehende Programm, das zu- nehmend von der Landwirtschaft angenommen wird, soll so verstärkt unterstützt werden . Ursula Schulte (SPD): Wenn wir über die Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes diskutieren, klingt das erst einmal sehr formal . Und das ist auch so; denn wir be- schließen heute eine Anpassung der nationalen Regelun- gen, die das Inverkehrbringen und die amtliche Anerken- nung von Vermehrungsmaterial bei Obstsorten betreffen . Die Fakten sind klar: Es wird erstens eine Gesamtliste geben, in der alle relevanten Sorten aufgeführt werden . Es wird zweitens zur Wahrung der genetischen Vielfalt auch das Vermehrungsmaterial von Obst in diese Liste aufgenommen, und es werden drittens auch die Sorten berücksichtigt, die ohne Wert für den kommerziellen An- bau sind . Als zuständige Berichterstatterin für das Thema Bio- diversität freut mich in diesem Zusammenhang vor allem die Aussage des Parlamentarischen Beirates für nachhal- tige Entwicklung . Dieser hat in seiner Stellungnahme zum Gesetz formuliert, ich zitiere: „Mit dem Vorhaben wird das Inverkehrbringen insbesondere alter Obstsorten befördert . Damit trägt das Gesetz auch zu einer Bereiche- rung der genetischen Vielfalt bei .“ In der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt fordern wir die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der genetischen Vielfalt von Kulturpflanzensorten und Nutz- tierrassen . Damit es nicht nur bei der Zielformulierung bleibt, müssen wir uns anstrengen, um die genetische Vielfalt zu sichern . Wenn die heutige Änderung des Saat- gutverkehrsgesetzes dazu beiträgt, begrüße ich das umso mehr! Bei unseren Einkäufen stellen wir jedoch fest, dass eine Vielzahl von Obst- und Gemüsesorten gar nicht mehr im Handel erhältlich ist . Das Angebot scheint zwar riesengroß, die Vielfalt wird aber immer kleiner . Das darf nicht sein! Am Ende geht das Verschwinden der Sorten auch zulasten unser Koch- und Essgewohnheiten . Das Saatgutverkehrsgesetz legt nicht nur fest, wel- che Pflanzensorten zugelassen werden, es bestimmt auch, welche Eigenschaften diese haben müssen . Das ist sinnvoll und dient auch dem Verbraucher . Er soll sich schließlich auf die Qualität verlassen können . Dabei ha- ben wir aber die genetische Vielfalt im Auge zu behalten . Wer kennt denn noch Kartoffeln mit rosa oder violetter Schale? Viele kennen nur noch mehlig oder festkochende Kartoffeln . Eine immer geringer werdende Sortenvielfalt ist nicht in unserem Interesse und dient am Ende nur den großen Saatgutkonzernen . Im Übrigen sollten wir darauf achten, dass Bauern und kleine Unternehmen auf diesem Markt auch weiterhin eine Chance haben . Sie sehen, dass auch ein technokratischer Rechtsakt interessante Fragen aufwerfen und weite Bereiche unseres alltäglichen Le- bens betreffen kann . Die FAO als Ernährungs- und Landwirtschaftsorga- nisation der Vereinten Nationen gibt zum Beispiel an, dass seit dem 19 . Jahrhundert mehr als drei Viertel der Gemüsesorten verlorengegangen sind . Der Grund dafür ist klar: Wir legen immer stärker den Fokus auf Produk- tivität und Homogenität . Im Zuge dieses Prozesses ver- schwanden die alten Landsorten immer mehr . Die Zulas- sungs- und Sortenkriterien fordern eben „Homogenität“ und „Beständigkeit“ . So auch die Durchführungsrichtli- nie 2014/94 vom 15 . Oktober 2014 . Dort heißt es zu den Anforderungen an die verschiedenen Sorten: Sie müssen unterscheidbar, homogen und beständig sein . Eine solche Formulierung unterstützt nicht das, was wir letztendlich wollen, nämlich den Erhalt der genetischen Vielfalt . Der Saatgutmarkt hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert . Er hat sich konzentriert, wie man an der Liebeshochzeit von Bayer und Monsanto sieht . Ich habe den Eindruck, dass der Saatgutmarkt von Firmen aus der Chemiebranche dominiert wird . Es geht hier um indus- trielle Qualitätsstandards, um Hightechproduktion und eben nicht um den Schutz alter Sorten. „Ökonomie first“ kann man das Prinzip nennen . Diese Dominanz der gro- ßen Konzerne hat das evangelische Hilfswerk „Brot für die Welt“ schon zum Auftakt seiner letztjährigen Spen- denaktion kritisiert . Ich zitiere aus einer Pressemitteilung vom 25 . November 2015: „Das von den Firmen global verbreitete Saatgut verdrängt zunehmend die Sorten- und Nahrungsvielfalt in vielen Entwicklungsländern . … Tra- ditionell angebaute Obst-, Getreide- und Gemüsesorten sind nicht nur reich an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen . Nein, sie halten auch Klimaschwan- kungen, Dürreperioden und längere Regenfälle besser aus .“ Sie sehen, wie wichtig es ist, sich mit dem Thema Saatgut zu befassen . Mit einem modernen Saatgutgesetz würde ich gerne die alten Sorten schützen, das Wissen der Landwirte um diese Sorten und die genetische Viel- falt erhalten . Der Anfang ist mit der heutigen Änderung gemacht, lassen sie uns diesen Weg gemeinsam weiter- gehen . Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Jeder Mensch weiß: ohne Saat keine Ernte . Aber wir wissen auch: Nicht jede Saat geht auf . Bevor Saatgut kommerziell in Umlauf gebracht werden darf, muss es als eigenständige Sorte zugelassen werden, und dafür muss es bestimmte Krite- rien erfüllen . Geregelt wird das im Saatgutverkehrsge- setz, das einerseits die Saatgutqualität im Sinne des Ver- braucherschutzes und andererseits die Versorgung der Landwirtschaft und des Gartenbaus mit hochwertigem Saat- und Pflanzgut sichern soll. Ohne eine solche amt- lich anerkannte Sortenbeschreibung darf die Sorte auch in der EU nicht vertrieben werden . Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht Änderungen an diesem Saatgutverkehrsgesetz vor, um Unionsrecht national umzusetzen; denn die EU-Kom- mission hat bereits im Oktober 2014 in der neuen Richt- linie geregelt, dass es ein EU-weites Sortenverzeichnis von Obstarten zur Fruchterzeugung geben soll . Dem- entsprechend müssen die Mitgliedstaaten ihre national bereits anerkannten Obstsorten in das EU-Verzeichnis einspeisen . Die Zeit drängt, weil die Richtlinie bereits bis zum Jahresende von den Mitgliedstaaten umzusetzen ist . Sollten die Änderungen des Saatgutverkehrsgesetzes deshalb nicht mehr dieses Jahr verabschiedet werden, könnten deutsche Obstgehölze ab 1 . Januar 2017 nicht mehr EU-weit gehandelt werden . Es ist also Eile gebo- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619938 (A) (C) (B) (D) ten, weil das Ministerium die Umsetzung verschleppt hat und erst kurz vor zwölf die entsprechenden Änderungen vorlegt . Grund hierfür ist aber auch, dass der Gesetzent- wurf zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen will, was nicht ganz einfach ist . Neben den vertriebsfähigen, vor allem kommerziell genutzten Sorten gibt es alte Sorten, die als genetisches Gedächtnis wertvoll sind, aber oft nicht als Sorte zugelas- sen werden . Aber sie müssen unbedingt als genetisches Gedächtnis erhalten, also auch vermehrt werden . Neben ihrem kulturellen Wert für eine bestimmte Region oder ihren besonderen Eigenschaften wie Geschmack spielt ihr Erhalt auch für spätere Veredlungsmöglichkeiten eine große Rolle . Schließlich verändern sich Züchtungskrite- rien im Zeitverlauf, von den Herausforderungen des Kli- mawandels ganz zu schweigen . Waren die alten Obstsorten zwar bisher über die An- baumaterialverordnung abgedeckt, soll es zukünftig eine Gesamtliste von Obstsorten geben, die alle umfasst, so- wohl vertriebsfähige Sorten, Amateursorten als auch Sorten, die zur Erhaltung und nachhaltigen Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen bestimmt sind. Die Bundesregierung verspricht sich hiervon auch eine Auf- wertung der alten Sorten, da eine Gesamtliste die alten Sorten bekannter machen würde . In Deutschland ist das Bundessortenamt (BSA) für die Gesamtliste zuständig . Wegen der gebotenen Eile wur- den bereits die Züchter, Baumschulen und Vermehrungs- betriebe bis Ende 2016 zur namentlichen Nennung aller Obstsorten aufgefordert . In Deutschland wird diese Ge- samtliste wohl rund 17 000 Obstsorten umfassen . Nach Aufschrecken der Branche, die sich mit der Aufgabe bis zum Jahresende überfordert sah, forderte der Bundesrat den Gesetzgeber auf, die Nachmeldung von Sorten und deren Beschreibung zu ermöglichen . Mit der Klarstel- lung der Bundesregierung, dass alle relevanten Sorten bis Ende 2016 beim Bundessortenamt namentlich zu benen- nen seien, aber im Anschluss die Sortenbeschreibungen ohne bestehende Frist vom Bundessortenamt unentgelt- lich vorgenommen werden, haben sich die Wogen wieder etwas geglättet . Ob das Bundessortenamt diese Aufgabe mit den vor- handenen personellen Ressourcen wirklich realisieren kann, werden wir im Auge behalten . Das kann nicht im Zug von Überstunden geleistet werden . Wenn nötig, muss das Personal im Bundessortenamt zur Umsetzung der Gesetzänderung kurzfristig aufgestockt werden! Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur vierten Ände- rung der Saatgutverordnung werden wir zustimmen . Es handelt sich um eine Umsetzung von EU-Recht und regelt ein Sortenverzeichnis für Obstarten zur Fruchter- zeugung, das Grundlage für die europaweite Vermarkt- barkeit ist . Das ist durchaus sinnvoll . Es ist allerdings schon höchst erstaunlich, dass wir seit fast drei Jahren im Agrarausschuss nur Berichte und EU-Vorlagen debattiert haben, jetzt aber urplötzlich auch dieser Gesetzentwurf wie einige andere in letzter Zeit als eilig gekennzeich- net ist . Uns hat sogar schon ein Brandbrief der Verbän- de erreicht, die fürchten, dass die Verabschiedung zu spät erfolgt und dass den Wirtschaftsbeteiligten, die auf die Umsetzung des Gesetzes angewiesen sind, dadurch Nachteile entstehen . Da das Unionsrecht die Umsetzung der Regelung in nationales Recht bis Ende dieses Jahres verlangt und ohne nationale Umsetzung den deutschen Baumschu- len Marktprobleme entstehen, begrüßen wir auch eine schnelle Implementierung in deutsches Recht . Herr Mi- nister, dass Sie erst lange gar nichts machen und dann auf den letzten Drücker etwas durchzupeitschen versuchen, sehen wir ja gerade auch bei anderen Gesetzvorhaben . Was sind das für Zustände bei Ihnen, dass sie es nicht gebacken kriegen? Dass das aber selbst bei einer so einfachen Sache wie der Umsetzung einer sehr kurzen, thematisch begrenzten EU-Richtlinie so ist, verwundert mich dann doch; denn Regelungen zu Saatgut und Sorten sind wichtige Stell- schrauben, um Biodiversität und die Erhaltung pflanz- engenetischer Vielfalt entweder zu fördern oder aber zu behindern . Wir begrüßen deshalb auch die vereinfachten Regelungen für die Erhaltungs- und Amateursorten und freuen uns, dass für die Bitte des Bundesrates eine prak- tikable Lösung gefunden wurde, nämlich dass nun die Möglichkeit besteht, bis zum Ende des Jahres 2016 alle relevanten Sorten dem Bundessortenamt namentlich zu benennen, ohne dass die Beschreibungen bereits fertig sein müssen; denn das wäre ein kaum zu erfüllendes Un- terfangen für mehrere Tausend Sorten . Das zeigt aber schon die Dimension auf, in der die- ses Gesetz Folgen hat, und hier stelle ich mir und Ihnen in der Tat die Frage, ob ausreichend gesichert ist, dass das Gesetz auch wirklich umsetzbar ist; denn mehrere Tausend Sorten müssen noch beschrieben werden, mehr als 17 000 (schon gemeldete) Sorten müssen noch in die europäische Sortensystematik überführt werden, und für mehrere Tausend Obstsortenbeschreibungen muss noch die Anerkennung erfolgen . Das ist ein umfassender Er- füllungsaufwand, den ich in der Gesetzesvorlage so nicht wiederfinde. Es muss aber gesichert sein, dass das Gesetz auch umsetzbar ist und dass insbesondere die vielen Sorten, die zur Erhaltung der genetischen Ressourcen beitragen, aber nicht zur kommerziellen Nutzung bestimmt sind, auch eingetragen werden . Dazu müssen die vielen Pri- vatinitiativen und Hobbyverbände, die sich bisher schon um diese Sorten gekümmert haben, dabei unterstützt werden, die notwendigen Beschreibungen zu erstellen . Wenn das nicht passiert, kann man die mit dem Gesetz verbundenen Ziele „Ergänzung der Gesamtliste auch mit Vermehrungsmaterial von Obst, das zur Wahrung der genetischen Vielfalt vermarktet werden soll“ und „Er- gänzung der Gesamtliste um Obstsorten, die ohne Wert für den kommerziellen Anbau sind“ nur als leere Phrasen bezeichnen . Ohne finanzielle Förderung oder Übernahme der Sor- tenbeschreibungen durch öffentliche Einrichtungen wie Institute und Bundesämter wird die Aufnahme der Ama- teursorten ins Gesetz sogar kontraproduktiv, weil dann viele Sorten schlicht aus Kapazitätsgründen nicht ein- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19939 (A) (C) (B) (D) getragen würden . Und klar ist auch: Das Bundessorten- amt muss entsprechend finanziell und personell gestärkt werden, statt im kommenden Haushalt schon wieder in seinen Mitteln gekürzt zu werden . Grundsätzlich reicht es für die Erhaltung der Bio- diversität und alter Sorten nicht, den Aufwand für die Züchterinnen und Züchter und die privat Anbauenden möglichst gering zu halten, sondern es braucht auch eine aktive Politik für den Erhalt . Wer den dramatischen Ver- lust an Pflanzensorten stoppen will, muss Sortenvielfalt nicht nur tolerieren, sondern aktiv fördern . Das bedeutet: Wir brauchen eine Förderung der Ökozüchtung und eine Förderung der kleinen regionalen Züchter, und wir brau- chen Unterstützung nichtkommerzieller Züchtungsinitia- tiven – und für diese jetzt vor allem eine Unterstützung bei der Katalogisierung und Sortenbeschreibung für die alten Obstsorten . Anlage 12 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Abgeordne- ten Norbert Müller (Potsdam), Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rekrutierung von Minder- jährigen für die Bundeswehr sofort beenden und keine Ausbildung von Jugendlichen an Waffen (Ta- gesordnungspunkt 22) Michaela Noll (CDU/CSU): Wir debattieren heute den Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Re- krutierung von Minderjährigen für die Bundeswehr so- fort beenden und keine Ausbildung von Jugendlichen an Waffen“ . Der Antragstitel ist im Vergleich zu früheren Anträgen der Linken zum Thema „Minderjährige bei der Bundes- wehr“ moderat formuliert, das Wort „Kindersoldaten“ fällt hier weder im Titel noch im Text . Anfang 2016 be- zeichnete Kollege Norbert Müller gegenüber der Welt die jungen Nachwuchsrekruten aber doch wieder als Kinder- soldaten . Daesh rekrutiert in Mosul aktuell Neunjährige als Kämpfer . Das sind Kindersoldaten . Das grausame Schicksal dieser Kinder hat nicht im Entferntesten mit der Situation von Minderjährigen in der Bundeswehr zu tun . Es scheint der Fraktion Die Linke also einzig und al- lein darum zu gehen, Misstrauen gegen die Bundeswehr zu schüren und ideologische Grabenkämpfe gegen die Politik der Bundesregierung zu führen . Sie skandalisie- ren die Bundeswehr und das, was die Soldatinnen und Soldaten täglich für uns und die Sicherheit und Freiheit unseres Landes leisten . Schauen wir uns die Realität doch einmal an . Welche Schutzmaßnahmen für Minderjährige sind bei der Bun- deswehr vorgesehen? Erstens . Der Eintritt in die Bundeswehr ist grundsätz- lich erst mit einem Mindestalter von 17 Jahren möglich . Zweitens . Die jungen Menschen sind freiwillig dort . Und freiwillig heißt freiwillig . Es werden keine Zwangs- rekrutierungen vorgenommen . Keiner wird zur Bundes- wehr eingezogen . Drittens . Die Minderjährigen dürfen nur mit dem Ein- verständnis der Eltern eingestellt werden . Viertens . Vor der Einstellung werden sie umfassend beraten und aufgeklärt über ihre Rechte und Pflichten und das, was sie bei der Bundeswehr erwartet . Auch bei diesen Gesprächen können die Eltern dabei sein . Fünftens . Im Einstellungsverfahren wird intensiv und unter unterschiedlichen Gesichtspunkten geprüft, ob ein Bewerber für den Soldatenberuf geeignet ist . Unter an- derem auch, ob sie oder er die erforderliche psychische Stabilität mitbringt und sich mit den Anforderungen des Soldatenberufes auseinandergesetzt hat . Natürlich wird bei dem Verfahren auch das Alter der Bewerber berück- sichtigt . Das alles passiert, bevor ein junger Mensch bei der Bundeswehr anfangen kann . Und auch nach erfolgter Einstellung wird dem besonderen Schutzerfordernis ge- genüber den Minderjährigen Rechnung getragen: Erstens . Sie dürfen die Waffe nur während der Ausbil- dung und nur unter strengster Aufsicht benutzen . Zweitens . Sie dürfen keine Funktionen ausüben, bei denen sie, wie etwa beim Wachdienst, zum Gebrauch der Waffe gezwungen sein könnten . Drittens . Sie nehmen nicht an Auslandseinsätzen teil . Sie werden also zwar an der Waffe ausgebildet, aber nicht an der Waffe eingesetzt . Ich möchte an dieser Stelle noch einmal auf einen Punkt zurückkommen, der mir – auch als Mutter – be- sonders wichtig ist: Minderjährige dürfen den Dienst bei der Bundeswehr nur antreten, wenn die Eltern bzw . die gesetzlichen Vertreter einverstanden sind . Und die Eltern dürfen bei dem Beratungsgespräch, das vor der Einstel- lung geführt wird, dabei sein . Die Minderjährigen sind also nicht alleine mit ihrer Entscheidung . Sie sind nicht aufgrund einer plötzlichen Eingebung in ein Karrierecenter gegangen und haben ei- nen Vertrag unterschrieben . Nein, ihre Eltern sind in den Prozess eingebunden . Sie müssen die Entscheidung ihrer Kinder mittragen und haben sich Gedanken gemacht, ob ihre Kinder dem Soldatenberuf gewachsen sind . Eltern kennen ihre Kinder . Wir sollten ihnen deshalb zutrauen, eine gute Entscheidung für ihre Kinder zu tref- fen, und zwar auch, wenn diese Entscheidung beinhaltet, mit 17 Jahren zur Bundeswehr gehen zu wollen . Zäumen wir das Pferd doch einmal von der anderen Seite auf . Mit dem Antrag und diversen Kleinen Anfra- gen suggerieren die Linken, dass sie um das Wohl der Minderjährigen in der Bundeswehr besorgt sind . Ich sehe es genau andersherum . Wenn 17-Jährige nicht zur Bundeswehr gehen dürfen, dann nehmen wir ihnen unter Umständen die Möglichkeit, ihren Traumbe- ruf zu ergreifen . Wir verbauen ihnen Chancen, wenn sie Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619940 (A) (C) (B) (D) nicht direkt nach ihrem Abschluss anfangen können, dort zu arbeiten, wo sie arbeiten wollen . Wir drängen ihnen Wartezeiten auf . Es mag durchaus sein, dass die Bundeswehr nicht der favorisierte Arbeitgeber der Linken ist . Viele Jugendliche sehen das aber ganz anders . So belegt die Bundeswehr bei Schülern mittlerweile Platz vier unter den beliebtes- ten Arbeitgebern, bei den Mädchen ist es sogar Platz drei . Bei den IT-Berufen sind die Streitkräfte der Aufstei- ger des Jahres: Im Trendence Graduate Barometer steigt die Bundeswehr von Platz 38 im Jahr 2015 auf Platz 27 der beliebtesten IT-Arbeitgeber – eine Steigerung um elf Plätze, die keinem der übrigen 120 Unternehmen gelingt . Und auch in den Bereichen Ingenieurwissenschaften und Medizin gewinnt die Bundeswehr deutlich an Attrakti- vität Die Bundeswehr bietet exzellente Ausbildungsmög- lichkeiten, interessante Tätigkeitsfelder und gute Auf- stiegschancen . Viele sehen eine Tätigkeit bei den Streit- kräften als sinnstiftend und den Soldatenberuf als Beruf, der die Persönlichkeit fördert und den Charakter schult . Bei der Bundeswehr wird Kameradschaft gelebt . Kurz: Die Bundeswehr ist für viele junge Menschen ein sehr attraktiver Arbeitgeber . Ich sehe das auch selbst, wenn ich in meinem Wahl- kreis unterwegs bin . Wenn irgendwo der Karriere-Truck der Bundeswehr steht, ist der Andrang von Jugendlichen groß . Das Interesse an der Bundeswehr ist einfach da . Da muss man sich schon die Frage gefallen lassen, mit welcher Begründung wir einem 17-Jährigen die Chance verbauen wollen, sich eine berufliche Zukunft bei einem solchen Arbeitgeber aufzubauen, wieso wir die Jugendli- chen und deren Eltern derart bevormunden und wieso wir die Schulzeit verkürzen und die jungen Menschen früher dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen, wenn ihnen ihr junges Alter dann zum Nachteil gereicht . Hier werden von den Linken Probleme herbeigeredet, wo es keine gibt . In ihrer Kleinen Anfrage vom 18 . De- zember 2015 ziehen sie zum Beispiel Untersuchungen in der britischen Armee heran . Diese Untersuchungen zeichnen in der Tat ein anderes Bild von der Lebens- wirklichkeit in den britischen Streitkräften . So seien zum Beispiel Fälle von PTBS, Mobbing, Selbstverletzungen, Selbstmord und sexueller Belästigung häufiger bei den jüngsten Rekrutinnen und Rekruten als bei den Erwach- senen . Ich weiß nicht, wie die Rekrutierungspraxis bei den Briten aussieht, und möchte mir hier auch kein Urteil anmaßen . Aber ob es in diesem Kontext sinnvoll ist, von den britischen auf die deutschen Streitkräfte zu schlie- ßen, halte ich doch für sehr fraglich . Aus den Antworten der Bundesregierung geht dann auch ganz klar hervor, dass wir diese Probleme nicht haben . Und auch der Vorsitzende des Deutschen Bun- deswehrverbandes, Oberstleutnant André Wüstner, hat mir auf Nachfrage bestätigt, dass ihm derartiges nicht bekannt sei . Auf diese Aussage können wir uns verlassen . Ich sitze seit 2002 im Bundestag und war bis 2013 Mitglied im Familienausschuss, dem ich nun auch noch als stellvertretendes Mitglied angehöre . Ich war Mit- glied in der Kinderkommission bzw . ein Jahr deren Vor- sitzende . Ich war Berichterstatterin für das Bundeskin- derschutzgesetz, ein Gesetz, das als Meilenstein für den Kinderschutz in Deutschland gilt . Genau wie die meisten von Ihnen habe ich mich am sogenannten Red Hand Day beteiligt, einer Initiative gegen den Missbrauch von Kin- dern als Soldaten . Sie können mir also glauben: Das Wohl von Kindern und Jugendlichen liegt mir am Herzen . Und ich weiß auch, dass die meisten Eltern nur das Beste für ihre Kin- der wollen . Der Soldatenberuf ist zwar kein Beruf wie jeder an- dere . Er ist mit Härten verbunden, die kein anderer Be- ruf mit sich bringt . Aber die Bundeswehr hat alle – auch völkerrechtlich gebotenen – Schutzmaßnahmen für die Minderjährigen getroffen . Wenn sich also eine 17-Jährige oder ein 17-Jähriger dazu entschieden hat, zur Bundeswehr zu gehen, und die Eltern ihrem Kind diesen Schritt zutrauen, dann sehe ich keinen Grund, sich diesem Wunsch entgegenzustellen . Julia Obermeier (CDU/CSU): Anfang November startete die Reality-Dokumentation Die Rekruten, die die Bundeswehr als Arbeitgeber vorstellt . Sie zeigt 12 jun- ge Menschen bei ihrer Grundausbildung – ungeschönt mit allen Höhen und Tiefen . Sie zeigt, dass es eine He- rausforderung ist, bei der Bundeswehr zu sein, sich in die Strukturen einzufinden und den hohen körperlichen und geistigen Ansprüchen gerecht zu werden . Die Protago- nisten von Die Rekruten sind keine martialischen Kämp- fertypen, sondern ganz normale junge Leute . Diese Serie wirbt für einen besonderen Beruf, für den des Soldaten . Und das ist nötig in Zeiten der ausgesetzten Wehrpflicht! Die Serie bringt ein ungeschminktes Bild der Bundeswehr auf die Smartphones und Tablets einer jungen Zielgruppe . Die Rekruten spricht 17- bis 25-Jährige an, die sich ein konkretes Bild von der Bundeswehr machen wollen . 2015 haben rund 21 000 Männer und Frauen ihren Dienst bei der Bundeswehr angetreten, darunter etwa 1 500 17-jährige Jugendliche . Sie alle haben sich für den Solda- tenberuf entschieden, der kein Beruf ist wie jeder andere: Soldaten schwören ihrem Arbeitgeber, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen . Und der Arbeitgeber, die Bundeswehr, hat im Gegenzug eine besondere Verantwortung denen gegenüber, die diesen Schwur leisten . Dies gilt gerade für die noch nicht volljährigen Re- krutinnen und Rekruten . Sie stehen unter besonderem Schutz – und zwar von Anfang an: Sie müssen den Ent- schluss, zur Bundeswehr zu gehen, grundsätzlich freiwil- lig fassen . Auch müssen ihre Erziehungsberechtigten die- ser Entscheidung zustimmen . Drüber hinaus werden sie über die Aufgaben und Pflichten als Soldaten umfassend aufgeklärt und informiert . Im Auswahlverfahren wird ihre Eignung für den Soldatenberuf und insbesondere ihre psychische Belastbarkeit geprüft . Ihrer besonderen Verantwortung kommt die Bundes- wehr auch in der Ausbildung nach . Sie stellt den Schutz Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19941 (A) (C) (B) (D) von Leben und Gesundheit der Soldatinnen und Soldaten in den Mittelpunkt . 17-jährige Rekrutinnen und Rekruten werden zwar militärisch ausgebildet, doch erfahren sie dabei eine besonders intensive Betreuung . Sie sind beispielsweise beim Gebrauch von Waffen stets unter strenger Aufsicht . Außerhalb der Ausbildungsmaßnahmen gelangen in ihre Hände keine Waffen! Und viel wichtiger noch: Es ist ausgeschlossen, dass Minderjährige an bewaffneten Konflikten teilnehmen oder in einen Auslandseinsatz der Bundeswehr geschickt werden . Die Bundeswehr kommt durch diese und andere Maßnahmen ihrer Schutzver- pflichtung gegenüber minderjährigen Rekruten vollum- fänglich nach . Trotzdem möchte die Fraktion Die Linke es den unter 18-jährigen Bundeswehrinteressenten verbieten, ihrem Berufswunsch nachzugehen . Sie, die Kollegen von den Linken, haben jedoch keine stichhaltige Argumentation . Sie zielen auf eine Diffamierung der Bundeswehr ab . Dies ist wohl weniger ihrer Sorge um die jungen Rekru- ten geschuldet als vielmehr ihrer generellen Ablehnung gegenüber allem Militärischen . Sie wollen durch solche Anträge die Bundeswehr aus der Mitte der Gesellschaft ins Abseits stellen . Doch dem treten wir entgegen . Der Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten bringen wir größte Anerkennen und Wertschätzung entgegen und wollen das Band zwischen Bundeswehr und Gesellschaft noch fester knüpfen . Die aktuelle Rekrutierungspraxis der Bundeswehr ist dabei kein Selbstzweck . Sie soll es ermöglichen, dass junge Menschen direkt nach ihrem Schulabschluss, kurz vor dem Erreichen ihre Volljährigkeit, ohne Wartezeiten ihre Ausbildung bei der Bundeswehr beginnen können . Durch ihren besonderen Berufswunsch sollen sie nicht gegenüber Gleichaltrigen benachteiligt sein . Aus diesen guten Gründen lehnen wir den Antrag ab . Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Die Kinderkommission des Bundestages hat sich mit der Einstellung 17-Jähri- ger als Soldatinnen und Soldaten bei der Bundeswehr auseinandergesetzt und noch einmal grundsätzlich fest- gestellt, dass das Mindestalter für den Dienstbeginn auf 18 Jahre angehoben werden soll . Diesen Grundsatz teilt auch die SPD-Fraktion . Der Dienst in der Bundeswehr ist kein Beruf wie jeder andere . Er sollte an die Voll- jährigkeit der Soldatinnen und Soldaten geknüpft sein . Das liegt übrigens nicht allein im Interesse des Jugend- schutzes: Es macht die Bundeswehr auch stärker . Denn die Minderjährigen haben nicht die gleichen Rechte und Pflichten wie die volljährigen Soldatinnen und Soldaten. Sie dürfen zum Beispiel an den Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht teilnehmen und müssen nach ihrem 18 . Geburtstag noch einmal eine Erklärung darüber ab- geben, dass sie sich auch zur Teilnahme an einem Aus- landseinsatz verpflichten. Perspektivisch braucht die Bundeswehr also eine sau- bere Lösung, die auf der Volljährigkeit beruht . Diese Lösung muss aber auch der Lebenswirklichkeit junger Menschen gerecht werden . Für die Bundeswehr ist es immer noch eine neue Situation, dass sie sich selbst da- rum kümmern muss, in ausreichender Zahl Freiwillige zu gewinnen . Der Bedarf der Truppe trifft jetzt auf die gesellschaftliche Entwicklung, dass die Abiturientinnen und Abiturienten heute anders als früher oft noch keine 18 Jahre alt sind – Stichwort „G 8“ . Aus Sicht der Bun- deswehr ist es wirklich ein Problem, einem 17-jährigen Schulabgänger, der aus wohlerwogenen Gründen Soldat werden möchte, eine Wartezeit abzuverlangen . Junge Leute sind dann schnell für die Bundeswehr verloren, ob- wohl der Truppendienst für sie vielleicht genau das Rich- tige gewesen wäre . Um es dazu nicht kommen zu lassen, setzt die Anforderung der Volljährigkeit voraus, dass die Bundeswehr diesen Bewerberinnen und Bewerbern et- was anbieten kann, womit sie zufrieden sind – etwa einen vernünftig konzipierten Vorbereitungsdienst . Solange wir so etwas nicht haben, muss bei der Aus- bildung minderjähriger Soldatinnen und Soldaten zumin- dest der Jugendschutz konsequent berücksichtigt werden . Die Kinderkommission macht dazu einige hilfreiche Vor- schläge – zum Beispiel zur getrennten Unterbringung der Jugendlichen . Sinnvoll ist auch die Forderung, dass diese jungen Leute am Standort einen entsprechend geschulten Ansprechpartner für ihre Sorgen und Nöte haben müssen . Weniger sinnvoll scheint mir der Antrag der Linken, von jetzt auf gleich keine Minderjährigen mehr zum Dienstantritt zuzulassen . Dass Ihr Antrag, lieber Kollege Müller, den Interessen der Bundeswehr schadet, wird die Linke vermutlich billigend in Kauf nehmen – die SPD nicht unbedingt . Wir wollen eine starke Bundeswehr, die ihren Auftrag gut erfüllen kann . Aber dieser Antrag wird eben auch den Interessen der betroffenen jungen Leute nicht gerecht, und das ist vielleicht etwas, das auch die Linke gar nicht will . Ich würde der Linken sowieso raten, nochmal darüber nachzudenken, was sie Jugendlichen zutraut und was nicht. Ich finde, es passt nicht richtig zusammen, einerseits das Wahlalter 16 zu fordern – da- mit sagen Sie doch, sogar noch jüngere Jugendliche sind ganz allgemein alt genug, um große Verantwortung für das ganze Gemeinwesen zu übernehmen –, und anderer- seits sagen Sie hier: Die 17-Jährigen sind aber noch viel zu jung, um für sich persönlich zu entscheiden, ob sie wirklich den Dienst in der Bundeswehr leisten können und wollen . Konsequent ist das nicht . Die SPD-Fraktion teilt die Auffassung, dass alle Sol- datinnen und Soldaten volljährig sein sollen . Wir nehmen aber zur Kenntnis, dass die Praxis derzeit auch im Sinne der 17-jährigen Rekrutinnen und Rekruten anders ist . Wir wollen deshalb eine Lösung, die auch den Interessen der jungen Leute gerecht wird . Solange wir die nicht haben, ist entsprechend den Empfehlungen der Kinderkommis- sion bei der Ausbildung der Minderjährigen konsequen- ter Jugendschutz oberstes Gebot . Norbert Müller (Potsdam) (DIE LINKE): Seit Aus- setzen der Wehrpflicht ist die Zahl minderjähriger Re- krutinnen und Rekruten bei der Bundeswehr beständig gestiegen . Traten 2011, in dem Jahr also, in dem die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, 689 Minderjährige ihren Dienst an der Waffe an, sind es in diesem Jahr 1 576 un- ter 18-Jährige . Hinter diesen Zahlen steckt eine Strategie: Die Bundeswehr und das Bundesverteidigungsminis- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619942 (A) (C) (B) (D) terium setzen im Wettbewerb mit der freien Wirtschaft gezielt auf die Anwerbung Minderjähriger . Immer neue Formate werden in Zusammenarbeit mit PR-Agenturen entwickelt, um möglichst früh die Begeisterung von Kin- dern und Jugendlichen für eine mögliche Karriere bei der Bundeswehr zu wecken . Diese Praxis wird seit Jahren von Kinderrechtsorgani- sationen, Friedensinitiativen, Pädagogenverbänden und Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit scharf kritisiert . Aber auch der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes hat der Bundesregierung bereits mehrfach empfohlen, die Rekrutierung Minderjähriger zu been- den . Und auch die Kommission zur Wahrnehmung der Belange der Kinder des Deutschen Bundestages hat sich in ihrer jüngsten Stellungnahme dieser Forderung ange- schlossen . Unser vorliegender Antrag greift das auf und fordert von der Bundesregierung, die Ausbildung von Minderjährigen an Waffen sofort zu beenden und einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Rekrutierung Minder- jähriger für die Bundeswehr stoppt . Wir als Fraktion Die Linke machen damit deutlich: Es darf keinen Vorrang von militärischen Interessen vor den Schutzrechten von Kindern und Jugendlichen geben . Die Rechte von Kindern und Jugendlichen, zu denen sich auch die Bundesrepublik Deutschland mit der Un- terzeichnung der UN-Kinderrechtskonvention bekannt hat, können aus unserer Sicht in militärischen Kontexten schlicht nicht gewährleistet werden . Dies wird insbeson- dere bei der Betrachtung der Unterschiede in der militä- rischen Ausbildung von minderjährigen und volljährigen Rekrutinnen und Rekruten deutlich . Die gibt es nämlich schlicht und ergreifend nicht . Minderjährige werden an der Waffe ausgebildet, sie werden mit Volljährigen zu- sammen untergebracht, es gibt keine gesonderten An- sprechpartnerinnen und -partner oder Schutzkonzepte gegen sexuellen Missbrauch . Auch wenn Minderjährige nicht an Auslandseinsätz- en teilnehmen dürfen und es ihnen ebenfalls untersagt ist, eigenverantwortlich sowie außerhalb der militäri- schen Ausbildung Funktionen auszuüben, bei denen sie wie etwa im Wachdienst zum Gebrauch der Waffe ge- zwungen sein könnten, ist es vor dem Hintergrund der internationalen Verantwortung der Bundesrepublik mehr als geboten, die Rekrutierung Minderjähriger endlich zu beenden . Wer glaubhaft international für die Demobili- sierung von Kindersoldaten eintreten will, kann es sich nicht leisten, für die eigenen Armee Jugendliche zu re- krutieren, auch wenn dies auf freiwilliger Basis und mit Zustimmung der Eltern geschieht . Ich fordere Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, hier- mit auf: Lassen Sie uns gemeinsam die Rekrutierung Minderjähriger für die Bundeswehr endlich beenden . Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich nehme an, Sie alle kennen sie längst: Julia, Jerome und Nathan . Die drei sind jung . Sie sind hip . Und seit dem 1 . November machen sie ihre Grundausbildung bei der Bundeswehr . Seitdem sehen wir sie jeden Nachmittag auf You Tube . In schnell geschnittenen, wackeligen Sel- fie-Videos berichten sie davon, wie es so ist, bei der Bun- deswehr . Und natürlich ist das alles echt abgefahren – aber irgendwie auch cool . Und das soll es ja auch sein: Denn das Verteidigungsministerium will möglichst junge Menschen für den Dienst in der Truppe begeistern . Und genau damit liefert die Bundesregierung den Be- weis dafür, wie aktuell und wie berechtigt der Antrag der Linken ist, über den wir heute debattieren . Die Rekrutie- rung von Minderjährigen ist offensichtlich kein Betriebs- unfall und keine Ausnahme, ganz im Gegenteil: Sie wird von der Bundeswehr ganz gezielt und auch erfolgreich betrieben . 1 515 Jugendliche haben 2015 ihren Dienst in der Bundeswehr angetreten – ein neuer Höchststand! Ich finde das skandalös! Wie Sie alle wissen, gilt in Deutschland ein Jugend- schutzgesetz . Darin schließt der Gesetzgeber junge Men- schen unter 18 Jahren ganz bewusst von bestimmten Aktivitäten aus: Jugendliche dürfen keine Spielhallen betreten . Sie dürfen keine Zigaretten kaufen . Sie dürfen auch keine Filme mit detaillierten Mordszenen sehen . Hinter all dem steht die völlig richtige Überzeugung: Junge Menschen sollten möglichst von allem fernge- halten werden, was ihnen körperlichen oder seelischen Schaden zufügen kann . Ich frage mich: Warum werfen wir diese Überzeugung über Bord, sobald Jugendliche eine Bundeswehruniform anziehen? Gibt es irgendeinen vernünftigen Grund, weshalb der real abgegebene Schuss auf den berühmten Pappkameraden weniger schädlich wirken soll als ein Mausklick im Videospiel? Hier misst die Bundesregierung doch offensichtlich mit zweierlei Maß – Die Bundeswehr hat Personalprobleme, da drückt man schon mal ein Auge zu . Aber Jugendschutz darf nie- mals eine Frage der politischen Opportunität sein! Und deshalb kann und darf nicht sein, dass der Staat Jugendli- che an der Waffe ausbildet! Ich möchte Ihnen noch einen zweiten Grund nennen, warum wir den Antrag der Linken unterstützen . Es geht um unseren gemeinsamen Einsatz gegen Kindersolda- ten . 250 000 Kinder werden nach Angaben von terre des hommes weltweit als Kämpfer in kriegerischen Ausei- nandersetzungen missbraucht . Mit Gewalt oder Drogen werden sie gefügig gemacht und an besonders gefährli- chen Frontabschnitten eingesetzt . Und das ist, lassen Sie mich das an dieser Stelle anmerken, auch nur möglich, weil auch Deutschland so viele Kleinwaffen exportiert, die leicht genug für Kinderhände sind . Viele dieser Kin- dersoldaten werden sexuell ausgebeutet . Falls sie über- leben, sind sie meist für ihr ganzes Leben traumatisiert . Der Einsatz von Kindersoldaten zählt zu den grausamsten und widerwärtigsten Menschenrechtsverletzungen über- haupt . Deutschland muss sein ganzes ökonomisches und politisches Gewicht einsetzen, um diesen Missbrauch von Jungen und Mädchen zu beenden . Deshalb ist es richtig, dass wir diverse UN-Abkom- men unterzeichnet haben, die die Rekrutierung von Minderjährigen in die Streitkräfte verbieten . Aber: Wie glaubwürdig, frage ich Sie, können wir den Missbrauch junger Menschen in den Armeen und Guerillas dieser Welt kritisieren – wenn wir zuhause bei uns selber Ju- gendliche an der Waffe trainieren? Welcher Warlord soll eine Bundesregierung ernst nehmen, die von ihm for- dert, was sie selbst nicht einhält? Mit dieser Ihrer Politik Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19943 (A) (C) (B) (D) schwächen Sie unseren Kampf gegen Kindersoldaten, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank! Und deshalb: Hören Sie endlich auf, Jugendliche in Deutsch- land in die Streitkräfte zu rekrutieren! Anlage 13 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Än- derung des Regionalisierungsgesetzes (Tagesord- nungspunkt 24) Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Diese vierte Änderung des Regionalisierungsgesetzes ist besonders eilbedürftig, sodass nach der ersten Beratung im Plenum am 20 . Oktober 2016 und der gestrigen Ausschussde- batte bereits heute die Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur erfolgen kann . Sämtliche Fraktionen im Ausschuss haben der Gesetzesänderung zugestimmt, um eine dringend benötigte Plansicherheit für den öffentli- chen Personennahverkehr herzustellen . Auch der Bun- desrat hat in seiner Sitzung am 4 . November 2016 keine Einwendungen zur Gesetzesänderung erhoben . Besonders hervorzuheben ist die Rolle des Bundes, der sich während der intensiven Verhandlungen über die Regionalisierungsmittel gegenüber den Ländern mehr- mals kompromissbereit gezeigt und sichtbar bewiesen hat, dass er seiner Verantwortung zur Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) nachkommt . So hatten sich Bund und Länder im Zuge der Verhand- lungen im Vermittlungsausschuss bereits 2015 auf eine Summe von 8 Milliarden Euro ab 2016 und eine jähr- liche Dynamisierung von 1,8 Prozent ab 2017 geeinigt . Am 16 . Juni 2016 haben die Bundesregierung und die Länder zudem eine nochmalige Erhöhung der Regiona- lisierungsmittel beschlossen, um eine Benachteiligung einiger Bundesländer zu vermeiden, die aufgrund des von den Ländern geplanten Verteilungsschlüssels in den kommenden Jahren sinkende Mittelzuweisungen gehabt hätten . Der neue Gesetzentwurf, dem wir gestern im Ausschuss zugestimmt haben, sieht daher vor, dass ab 2016 die 8 Milliarden Euro noch einmal um 200 Millio- nen Euro aufgestockt und ebenfalls ab 2017 jährlich um 1,8 Prozent dynamisiert werden . Die horizontale Verteilung der Regionalisierungs- mittel ist mit dem Gesetzentwurf ebenso klar geregelt: 8 Milliarden Euro werden auf alle Bundesländer nach einem Schlüssel verteilt, der sich je zur Hälfte aus den Einwohnern und den bestellten Zugkilometern im Jahr 2015 zusammensetzt . An folgende Länder, die durch diesen Verteilungsschlüssel finanzielle Nachteile ha- ben, werden die zusätzlichen 200 Millionen Euro nach einem gesonderten Verteilungsschlüssel vergeben: Ber- lin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen . Mit der Än- derung des Regionalisierungsgesetzes schaffen wir nun die rechtssichere Grundlage für die Auszahlung dieses Aufstockungsbetrages in 2016 . Die Länder erhalten die Möglichkeit, 2016 nicht beanspruchte Regionalisie- rungsmittel als zweckgebundene Rücklagen vorzusehen, was meine Fraktion sehr begrüßt . Insgesamt werden die Länderhaushalte bis ins Jahr 2031 um insgesamt über 153 Milliarden Euro durch den Bund entlastet. Dieses große finanzielle Engagement des Bundes über eine solch lange Dauer ist deutlich zu würdigen . Mit diesem Gesamtergebnis können die Län- der ihre 2014 aufgestellten Forderungen auf Grundlage eines eigenen Gutachtens im Vorfeld der Verhandlungen um die Anpassung der Regionalisierungsmittel als nahe- zu erreicht ansehen . Daher haben wir heute im Ausschuss den förmlichen Gesetzesantrag des Bundesrates vom De- zember 2014 einstimmig für erledigt erklärt . Die Länder sind nun angehalten, die ihnen zur Ver- fügung stehenden Mittel sachgerecht und klug einzuset- zen . Seit 1996 sind sie für die Planung, Organisation und Finanzierung für den öffentlichen Personennahverkehr und damit auch für den öffentlichen Schienenpersonen- nahverkehr zuständig . Grundlage dafür war die Bahnre- form 1996 . Gleichzeitig steht den Ländern laut Grund- gesetz unbefristet aus dem Mineralölsteueraufkommen des Bundes ein Betrag für den öffentlichen Personen- nahverkehr zu; dies sind die Regionalisierungsmittel . Diese Mittel werden den Ländern zweckgebunden für Bestellungen von Nahverkehrsleistungen zur Verfügung gestellt, die sie in erster Linie zur Finanzierung der Ver- kehrsleistungen des Schienenpersonennahverkehrs, aber auch investiv zur Verbesserung des übrigen ÖPNV – sprich: Bussen und Straßenbahnen – einsetzen können . Es ist zu begrüßen, dass der Bundestag jährlich über die Verwendung der Mittel einen Bericht erhalten wird . Dies schafft Transparenz und wird die Länder dazu anhalten, die Mittel des Bundes sachgerecht zu verwenden . Der Bund leistet mit den Regionalisierungsmitteln ei- nen wichtigen Beitrag für die staatliche Daseinsvorsorge im öffentlichen Personennahverkehr . Investitionen in die Infrastruktur, wie zum Beispiel die Schaffung von Barrie- refreiheit an Haltestellen, und Bestellungen von Nahver- kehrsleistungen sind für die kommenden Jahre gesichert . Mit dem Mitte 2016 verabschiedeten Eisenbahnregu- lierungsgesetz haben wir zudem sichergestellt, dass die Zahlungen für die Trassenentgelte der Nahverkehrszüge die Regionalisierungsmittel nicht über Gebühr beanspru- chen, da die jährliche Steigerung der Trassenpreise die Dynamisierung der Regionalisierungsmittel nicht über- steigen darf . Die den Ländern und ihren Bestellerorga- nisationen zur Verfügung stehenden Mittel leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Entlastung insbesondere der Ballungsräume und Stadtstaaten, weil Millionen von Pendlerkilometern auf der Schiene anstatt mit dem Auto zurückgelegt werden können . Es ist erklärter Wille mei- ner Fraktion, dass die Investitionen in die Infrastruktur nicht zu Lasten der Bestellungen gehen sollten; denn die seit Jahren jährlich steigenden Nutzerzahlen im öffent- lichen Personennah- und -schienenverkehr zeigen, dass die Bürgerinnen und Bürger die Angebote gerne nutzen und es auch zukünftig einen hohen Bedarf an einem at- traktiven Nahverkehrsangebot geben wird . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619944 (A) (C) (B) (D) Sebastian Hartmann (SPD): Mit der heutigen Le- sung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Regiona- lisierungsgesetzes beenden wir ein weiteres Kapitel des Koalitionsvertrages und den dritten Pfeiler der Bahnre- form, die bereits 1993 beschlossen wurde . Der Nahver- kehr in Deutschland ist ein Erfolgsmodell . Jedes Jahr steigt die Anzahl der Nutzer von Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr; aktuell sind es 10 Mil- liarden Passagiere und 93 Milliarden Personenkilometer jährlich – mehr als die Hälfte der letzteren, 48 Milliar- den Personenkilometer, fallen allein auf der Schiene an . Der Sektor beschäftigt bundesweit fast eine Viertelmil- lion Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und wer sich vor Augen hält, dass die Benutzung von Bussen und Bahnen jeden einzelnen Tag über 20 Millionen Autokilometer einspart, ist sich der wichtigen Rolle für den Klima- und Umweltschutz ohnehin bewusst . Die gesamtstaatliche Aufgabe der Finanzierung des Nahverkehrs, der sich Bund und Länder gemeinsam wid- men – auch wenn die Aufgabe 1993 regionalisiert wurde und an die Länder überging –, wird mit dem jetzt einge- brachten Entwurf zur Änderung des Regionalisierungs- gesetzes sichergestellt . Mit 8,2 Milliarden Euro steht ein Betrag ab 2016 zur Verfügung, der ab dem nächsten Jahr mit 1,8 Prozent jährlicher Steigerung dynamisiert wird . Er setzt sich zusammen aus 8 Milliarden Euro, die alle Bundesländer nach dem „Kieler Schlüssel“ aufteilen, und weiteren 200 Millionen mit eigenem Verteilschlüssel für die ostdeutschen Bundesländer inklusive Berlin und dem Saarland . Der Bund kommt damit seinem grundge- setzlichen Auftrag im Rahmen eines der zentralen Berei- che der Daseinsvorsorge vorbildlich nach . Die Regionalisierungsmittel des Bundes kompensie- ren den größten Anteil der Gesamtkosten des öffentlichen Schienenpersonennahverkehrs . 2014 wurden unter dem Vorgängergesetz aus Regionalisierungsmitteln 7,3 Milli- arden der insgesamt mehr als 10 Milliarden Euro auf- gewandt . Mit der neuen Regelung wird ein wichtiger Schritt zu einer zukunftssicheren, dauerhaften Lösung getan . Dieser großartige Erfolg ist ein echtes Glanzstück, auf das die SPD-Bundestagsfraktion sehr stolz ist . Richtschnur unseres Handelns mit dem Koalitions- partner, dessen Zustimmung wir benötigen, ist der mit großer Mehrheit unserer Parteimitglieder beschlosse- ne Koalitionsvertrag 2013 bis 2017 von CDU/CSU und SPD . Darin haben wir vereinbart, dass wir für die ausstehende „Revision der Regionalisierungsmittel im Juli 2014“ eine zügige Einigung mit den Ländern an- streben: Wir werden die Regionalisierungsmittel für den Zeitraum ab 2019 in der Bund-Länder-Finanzkommissi- on auf eine neue Grundlage stellen . Trotz unseres Einsatzes und unserer klaren Positi- onierung war es ein langer Weg bis zur heutigen Ver- abschiedung des Gesetzes . Der Entwurf des Bundes- haushaltes 2015 ist mit Blick auf die unterbliebene Dynamisierung der Regionalisierungsmittel, also dem Aufwuchs von 7,3 Milliarden Euro in 2014 um 1,5 Pro- zent auf dann 7,408 Milliarden Euro in 2015, auf die Kritik der NRW-Landesgruppe gestoßen . Insbesondere diese vielfach wiederholte Kritik führte dazu, dass die Dynamisierung durch einen eigenen Gesetzentwurf für 2015 letztendlich nachgeholt wurde . Das Kabinett hat- te zunächst am 29 . Dezember 2014 einen Gesetzentwurf beschlossen, der für die Länder ein Fortschreiben der bis- herigen Mittel mit einer entsprechenden Dynamisierung um 1,5 Prozent auf einen Betrag in Höhe von insgesamt 7,408 Milliarden Euro vorsah . Daraus ergaben sich aber folgende Probleme: Der „Kieler Schlüssel“ hätte nur dann für eine gerechte und ausreichende Mittelverteilung gesorgt, wenn sich die Bundesländer mit ihrer Maximalforderung gegen den Bund durchgesetzt hätten . Andernfalls würden die ost- deutschen Bundesländer dauerhaft weniger Geld erhal- ten . Auch wenn eine Neuverteilung nach Kriterien wie Verkehrsleistung und Bevölkerung konsequent ist, muss zumindest verhindert werden, dass kurzfristig Nahver- kehrsleistungen abbestellt werden müssen . Mit einem neuen Kompromiss am 16 . Juni 2016 konnte dieses Problem gelöst werden: Die Regionalisierungsmittel für 2016 wurden auf 8,2 Milliarden Euro erhöht . Damit haben wir den Betrag, der den Bundesländern für die Durchführung ihrer Nahverkehre zufließt, um 900 Mil- lionen Euro angehoben – das sind mehr als 12 Prozent Aufwuchs gegenüber der Summe von 2014, dem letzten regulär aus dem Regionalisierungsgesetz von 1993 her- geleiteten Betrag . Die Dynamisierung liegt ab nächstem Jahr mit 1,8 Prozent ebenfalls über den ehedem 1,5 Pro- zent jährlich, mit denen die Regionalisierungsmittel vor- her wuchsen . Ich möchte ausdrücklich anerkennen, wie sehr die Länder um eine Einigung gerungen haben . Denn es geht nicht nur um die Frage der Mittelhöhe, sondern auch um die Verteilung zwischen den Ländern . Die Länder sind mit dem „Kieler Schlüssel“ einen wichtigen Schritt ge- gangen . Die Länder haben sich mit dem „Kieler Schlüs- sel“ eine neue, gegenüber dem alten Verteilschlüssel sachgerechtere Verteilung der Mittel untereinander ge- schaffen . Sie basiert auf den beiden wesentlichen Para- metern Einwohnerzahlen und Zugkilometern und bietet damit ein besseres Abbild der tatsächlichen Bedarfslage . Die Mittelsicherheit und ihre zweckgerechte Verwen- dung sichern die benötigten Investitionen in die Infra- struktur ebenso wie das hohe Niveau von Bestellungen und Leistungen . Der „Kieler Schlüssel“ berücksichtigt natürlich, dass der Übergang von der bisherigen Vertei- lung auf die verabredeten Proportionen schrittweise er- folgen muss . Bis 2030 werden die prozentualen Anteile der Bundesländer langsam an den endgültigen Verteil- schlüssel herangeführt . Den ostdeutschen Bundesländern steht ein zusätzlicher Betrag deshalb zur Verfügung, weil sie aus der Verteilung nach dem „Kieler Schlüssel“ allein Einbußen hinnehmen müssten, die durch die ebenfalls jährlich um 1,8 Prozent wachsenden 200 Millionen Euro ausgeglichen werden . Die SPD-Bundestagsfraktion ist sehr zufrieden, dass da- mit jeder Eindruck einer Benachteiligung, den eine star- re Anwendung des „Kieler Schlüssels“ vermittelt hätte, ganz und gar unbegründet ist . Der NRW-Verkehrsminis- ter Michael Groschek hat an dieser Stelle in einer frühe- ren Debatte zum Thema gesagt: „Wer das Problem der Regionalisierungsmittel zu einem Ost-West-Gegensatz konstruiert, will mit dieser Konstruktion nicht Probleme Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19945 (A) (C) (B) (D) lösen, sondern er will sie für andere politische Zwecke instrumentalisieren .“ Weder den Menschen noch den Verkehren in Ost und West wird ein solcher Gegensatz gerecht . Das tatsächliche Problem – und die 200 Millio- nen Euro zusätzlich mildern es ab, reichen aber nicht, um es zu lösen – ist strukturell: Während im Westen vorhan- dene Schienenwege für den Fernverkehr auch regional den Raum gut genug erschließen, damit der Nahverkehr darauf bewegt werden kann, muss für die Versorgung im Osten diese Erschließung erst erfolgen – mithilfe einer dem eigentlichen Zweck der Regionalisierungsmittel fremden Verwendung . Jetzt herrscht Klarheit für die Bundesländer, für die Verkehrsunternehmen, für die Kommunen und am Ende für die Nutznießer des Nahverkehrs, die vielen Millio- nen Pendler . Wir schließen damit ein weiteres Kapitel aus dem Koalitionsvertrag erfolgreich ab, der 2013 die Revi- sion der Regionalisierungsmittel gefordert hatte . Damit der jetzt erzielte Erfolg nicht kannibalisiert werden kann, müssen die Trassen- und Stationsprei- se wirksam reguliert werden . Immerhin 40 Prozent der Regionalisierungsmittel werden für die Kosten der Nut- zung von Schienenwegen und Bahnhöfen verwendet; das ist der größte Einzelfaktor in der Gesamtrechnung . Wir haben im Eisenbahnregulierungsgesetz Vorkehrungen getroffen, um mit einer gedeckelten Rate eine Teuerung bei den Trassenpreisen kurzfristig wirksam zu verhin- dern . Nur mit einem wirksamen Regime lässt sich dafür sorgen, dass das Geld aus dem Regionalisierungsgesetz seinem eigentlichen Zweck dienen kann . Das wird auch in den nächsten Jahren stets neu zu justieren sein; denn der Regulierungsdruck ist unverändert hoch . Über allem steht das Ziel: Mehr Verkehr, mehr Nahverkehr auf der Schiene ist das Ziel! Wir haben damit heute den Schlussstein eines wesent- lichen Bausteins einer erfolgreichen Verkehrspolitik ge- setzt, die ihrer Verantwortung für den schienengebunde- nen Nahverkehr vorbildlich nachkommt . Die Perspektive des Mittelaufwuchses ist damit bis 2031 klar . Die Signale für den modernen Nahverkehr in Deutschland stehen auf grün . Sabine Leidig (DIE LINKE): Natürlich geht das Ge- setz, wie man so schön sagt, „in die richtige Richtung“ . Und natürlich können wir von der Bundestagsfraktion Die Linke es, wohl gemeinsam mit allen anderen Par- teien in diesem Parlament, nur begrüßen, wenn die Mit- tel für den Schienenpersonennahverkehr, SPNV, endlich erhöht werden . Und schließlich – bzw . ein letztes Mal: „natürlich“ – ist es richtig, wenn es diese 200 Millionen Euro als Schippe obendrauf gibt und damit diejenigen Bundesländer, die es bitter nötig haben, so im Westen das Saarland, Berlin und alle östlichen Bundesländer, einen gewissen zusätzlichen Betrag für den SPNV erhalten . Insofern sagen wir Ja zu den neu bestimmten 8,2 Mil- liarden Euro, die 2016 als Regionalisierungsmittel aus dem Bundeshaushalt den Bundesländern zufließen wer- den . Allerdings ist damit bei weitem nicht alles gut, und es gibt aus unserer Sicht drei große Aber: Das erste betrifft die Dynamisierung um jährlich 1,8 Prozent von 2017 bis zum Jahr 2031 . Nun hatten wir in den vergangenen Monaten kaum Inflation, und mo- mentan mögen die 1,8 Prozent sich ganz gut „anfühlen“ . Allerdings hatten wir mehr als 35 Jahre lang erheblich höhere Raten der allgemeinen Preissteigerung . Und eine wesentliche Ursache für die niedrige Inflation ist der ab- surd niedrige Rohölpreis, der zeitweilig bei weniger als 40 US-Dollar je Fass lag . Aktuell liegt er wieder bei über 50 Dollar . Er lag vor 5 bis 6 Jahren noch deutlich über 100 US-Dollar und ist kaum kalkulierbar . Da mutet es schlicht grotesk an, wenn man für die nächsten 15 Jahre sich auf eine fixe Dynamisierungsmarge festlegt. Richtig wäre es gewesen, die jährliche Erhöhung der Regionalisierungsmittel an die tatsächliche jährliche Preissteigerung anzubinden und dabei außerdem den An- stieg der Entgelte für die Nutzung der Trassen, der Bahn- höfe und der Energie zu berücksichtigen . Womit ich beim zweiten Aber bin – bei der Entwick- lung der Entgelte für die Nutzung von Bahnhöfen, Trassen und Energie . Im Gesetzestext dazu heißt es diesbezüg- lich: „Die Dynamik des Anstiegs der Infrastrukturent- gelte, insbesondere der Stations- und Trassenentgelte im Schienenpersonennahverkehr […] ist nach Maßgabe des Eisenbahnregulierungsrechts zu begrenzen .“ Diese Formulierung enthält zwei gefährliche Unge- nauigkeiten . Was, bitte schön, heißt das „… nach Maß- gabe des Eisenbahnregulierungsrechts“? Das wird nir- gendwo, auch nicht in der Begründung, ausgeführt . Es liegt nahe, dass damit die Formulierung, die „Dynamik des Anstiegs der Infrastrukturentgelte“ sei zu begrenzen, bereits relativiert wird . Sodann: Es heißt ja nur, dass die- ser Anstieg „zu begrenzen“ sei . Es gibt keinerlei Hinweis darauf, wie genau und wie stark begrenzt werden soll . Das ist doch die Öffnung eines Scheunentors – für massi- ve Erhöhungen dieser Entgelte . Ich darf Sie, werte Kolleginnen und Kollegen, darauf hinweisen, dass diese Infrastrukturnutzungsgebühren in den letzten eineinhalb Jahrzehnten mehr als doppelt so schnell gestiegen sind wie die Inflationsrate. Und es ist auch dieses Anwachsen der „Schienen- und Bahn- hofsmaut“, das auf der anderen Seite den Druck auf die „weichen“ Faktoren im SPNV, nicht zuletzt auf die Arbeitseinkommen der Beschäftigten und auf die Sozi- alstandards im SPNF-Bereich, krass erhöht . Obgleich all dies bekannt ist und obgleich wir in der Praxis erlebt haben, wie negativ sich diese massiv ansteigenden Infra- strukturnutzungsentgelte auf den SPNV auswirkten, wird auch in diesem neuen Gesetz zur Änderung des Regio- nalisierungsgesetzes dem kein Riegel vorgeschoben . Ja, man sagt sehenden Auges, dass das bis 2031 so weiter- laufen könne . Und wenn man als Gesetzgeber so etwas zulässt, dann kann die Deutsche Bahn AG als die Muttergesellschaft von DB Netz, von DB Station und Service und von der DB Energie GmbH, weiter an dieser Schraube drehen – für eine bessere Konzernbilanz und auf Kosten der All- gemeinheit . Mein drittes Aber bezieht sich auf die pauschale „Se- ligsprechung“, die man im Begründungsteil des Gesetz- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619946 (A) (C) (B) (D) entwurfs lesen kann . Dort heißt es: „Das Gesetzesvor- haben trägt zu einer nachhaltigen Entwicklung bei und ist umfassend mit der Nachhaltigkeitsstrategie der Bun- desregierung vereinbar .“ Es bewirke, „dass die Schiene insgesamt gestärkt […] wird .“ Dazu sage ich klipp und klar: Herr Dobrindt, werte Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und SPD: Ge- nau dies wird nicht eintreten . Erstens haben Sie – wie dargelegt – nicht einmal dafür gesorgt, dass auch künftig im gleichen Umfang Schie- nenpersonennahverkehr bezahlt werden kann . Zweitens reicht die Summe nicht, um den notwendi- gen Ausbau der Bahn in der Fläche zu finanzieren. Und Sie haben in den Bundesverkehrswegeplan, den wir gerade intensiv beraten haben, keines der beantragten Bahnprojekte aufgenommen, die – lediglich – regiona- le Bedeutung haben . Und viele wesentliche Bahn-Aus- bauprojekte sind noch nicht einmal im Vordringlichen Bedarf . Aber Sie haben jede Menge Straßenbauprojekte drin, die keinerlei übergeordnete Bedeutung haben . Nach Ihrem Willen soll es außerdem einen erheblichen Auto- bahnausbau geben – teilweise in Konkurrenz zur Bahn . Und drittens befindet sich der klassische Schienenper- sonenfernverkehr in einer ziemlich kritischen Lage – auf- grund der Erfolge der Fernbusverkehre . Und der beruht zu einem erheblichen Teil auf der Tatsache, dass diese keinerlei Maut für die Nutzung der Straßen zu entrich- ten haben . Die Deutsche Bahn AG hat gegen die heftigen Proteste von sehr vielen beschlossen, den Nachtreisezug- verkehr am 11 . Dezember komplett einzustellen . Dabei spielte bereits eine große Rolle, dass die viel zu hohen Entgelte für die Trassennutzung dieses Schienenver- kehrssegment enorm belasteten . Und der Schienengüter- verkehr ist auch alles andere als sorgenlos . Die Schiene wird in Gänze durch dieses Gesetz nicht gestärkt . Die Bundesregierung verstreicht mit dem Ge- setz etwas weiße Salbe . Insgesamt kann ich nicht erken- nen, dass damit eine Politik der Nachhaltigkeit betrieben und damit endlich eine Verkehrswende eingeleitet wer- den würde . Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Regionalisierungsmittel von 7,4 auf 8,2 Milliarden Euro jährlich erhöht . Das ist eine gute Nachricht für die Fahr- gäste des Nahverkehrs . Wir können damit den Nahver- kehr auf der Schiene nicht nur auf dem heutigen Niveau sichern, sondern vor allem dort weiter ausbauen, wo die Nachfrage stetig wächst . Ein leistungsfähiger Nahver- kehr auf der Schiene ist das Rückgrat eines attraktiven öffentlichen Verkehrssystems . Und dieses System müs- sen wir auch in Zukunft nicht nur hegen und pflegen, sondern massiv ausbauen . Wer die Klimaziele im Ver- kehrssektor erreichen will, der muss zukünftig mehr Ver- kehr auf die Schiene verlagern . Dafür brauchen wir neue Infrastruktur, und wir müssen das Angebot absichern . Mit der Erhöhung der Regionalisierungsmittel stellen wir erste Weichen für den weiteren Ausbau des Nahverkehrs auf der Schiene . Eine wichtige Neuerung sind die Transparenznach- weise, mit denen die Länder die Verwendung gegenüber dem Bund nachweisen und veröffentlichen müssen . Un- ter den Ländern gab und gibt es bei der Verwendung der Nahverkehrsmittel einige wenige „schwarze Schafe“, die die Bundesgelder teilweise zweckentfremden. So finan- zieren manche Länder damit beispielsweise die Schüler- beförderung, die eigentlich über die Länderhaushalte be- stritten werden sollte . Mit den Verwendungsnachweisen wird für alle nachvollziehbar, welche Länder ihre Mittel zweckgerichtet und sinnvoll einsetzen und welche nicht . Die jetzt gefundene Lösung für die Regionalisierungs- mittel steht in enger Verbindung mit dem Eisenbahnre- gulierungsgesetz . Erstmals wird mit diesem Gesetz eine Art Trassenpreisbremse für den Nahverkehr auf der Schiene vorgesehen, damit die Infrastrukturentgelte – also die Schienenmaut, die alle Eisenbahnunternehmen zu entrichten haben – nicht schneller anwachsen als die Regionalisierungsmittel . Das ist existenziell wichtig . In der Vergangenheit fand über die Erhöhung der Infra- strukturentgelte, die stärker als die Dynamisierung der Regionalisierungsmittel ausfiel, eine kontinuierliche Kaufkraftentwertung statt, sprich: Die Aufgabenträger bekamen immer „weniger Bahn“ für ihr Geld . Jetzt kann dieser Negativtrend der letzten 10 bis 15 Jahre, durch den ein immer höherer Anteil der Bestellerentgelte durch die Infrastrukturkosten gebunden ist, endlich gebrochen werden . Ende gut, alles gut, könnte man in Anbetracht der jetzigen Fassung des Regionalisierungsgesetzes resü- mieren . Doch auf einer weiteren Baustelle der Nahver- kehrsfinanzierung geht seit Jahren nichts voran – trotz anderslautender Ankündigungen und trotz klarer Ver- einbarung im schwarz-roten Koalitionsvertrag –, ruhen die Arbeiten . Ich meine das Bundesprogramm nach dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, mit dem die In- frastruktur des Nahverkehrs ausgebaut wird . Bei der Erweiterung der S-Bahn-Netze in den Ballungsgebieten besteht sogar ein direkter Zusammenhang zu den Regio- nalisierungsmitteln . Nun haben wir anlässlich der Einigung bei den Bund-Länder-Finanzen erneut vernommen, was wir vor einem Jahr nach dem sogenannten Flüchtlingsgipfel schon gehört haben: Das GVFG-Bundesprogramm soll fortgeführt werden . Auch hier hat die Bundesregierung durch ihr Zaudern und Zögern bei Kommunen und Ver- kehrsunternehmen für größtmögliche Verunsicherung gesorgt . Deshalb brauchen wir jetzt schnell Klarheit beim Ausbau der Nahverkehrsinfrastruktur . Die jährlich 333 Millionen des GVFG-Bundesprogramms reichen hinten und vorne nicht aus, um den Bedarf zu decken, zumal die Mittel seit fast 20 Jahren auf diesem Niveau eingefroren sind . Meine Fraktion wird sich dafür einset- zen, dass künftig jährlich 1 Milliarde Euro in Sanierung sowie Neu- und Ausbau der ÖPNV-Infrastruktur fließen und der Nahverkehr so noch attraktiver wird . Enak Ferlemann, Parl . Staatssekretär beim Bundes- minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Nach zu- gegeben langer Diskussion ist uns mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung des Regionalisierungsge- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19947 (A) (C) (B) (D) setzes ein beachtlicher Erfolg gelungen: Die Höhe der Regionalisierungsmittel ist nun langfristig – bis zum Jahr 2031 – gesichert . Mit den 8,2 Milliarden Euro im Jahr 2016, ab 2017 dynamisiert mit 1,8 Prozent, leis- tet der Bund seinen Beitrag für die Finanzierung des Schienenpersonennahverkehrs in den Ländern . Auch die schon im vorausgegangenen Vermittlungsausschuss im Herbst 2015 offen gebliebene Frage der horizontalen Verteilung der Regionalisierungsmittel konnte im Früh- sommer 2016 geklärt werden . Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat nun be- reits die nächste Hürde genommen . Der Bundesrat hat am 4 . November 2016 beschlossen, keine Einwendungen gegen den Gesetzentwurf zu erheben . Ich bin daher zu- versichtlich, dass wir in Kürze die zwischen Bund und Ländern erzielte Einigung in Gesetzesform vorliegen haben werden . Derzeit erfolgt die Auszahlung der Mittel an die Länder durch das Bundesfinanzministerium unter Vorbehalt auf der Basis der Daten des Jahres 2015, also unter Berücksichtigung des alten, nunmehr überholten Verteilungsschlüssels . Wie Sie wissen, haben wir diesen Gesetzentwurf als besonders eilbedürftig im Sinne von Artikel 76 Absatz 2 Satz 4 GG deklariert, um gegebenenfalls die Fristen im Gesetzgebungsverfahren verkürzen zu können . Dies ist entscheidend, damit wir noch in diesem Jahr das neue Regionalisierungsgesetz verkünden können . Erst dann ist die gesetzliche Grundlage vorhanden, um die entspre- chenden Auszahlungen an die Länder noch im laufenden Jahr 2016 vornehmen zu können . Das Gesetz wird daher rückwirkend zum 1 . Januar 2016 in Kraft treten . Die Länder sollen die ihnen zustehenden Mittel sobald wie möglich erhalten . Deshalb begrüße ich die Überle- gungen der Koalitionsfraktionen, sich gegenüber dem Bundesrat für einen Fristverzicht starkzumachen . Sollte der Bundesrat dem zustimmen, könnte der Gesetzent- wurf noch in diesem Monat, am 25 . November 2016, auf die Tagesordnung des Bundesrates gesetzt werden . Einer erneuten Zustimmung durch den Bundesrat sollte dann nichts mehr im Wege stehen . Dieser frühere Termin wäre insofern von Vorteil, als dass die abschließende Berechnung der jedem einzelnen Land zustehenden Mittel und das Auszahlungsverfahren aus dem Bundeshaushalt 2016 innerhalb der regulären Fristen sichergestellt werden könnten und die Mittel den Länderhaushalten auch noch in 2016 zugutekommen würden . Ich hoffe daher auf Ihre Unterstützung und zähle auch auf die Unterstützung der Länderkollegen, damit wir dieses Vorhaben nun zügig abschließen können . Dies ist heute ein guter Tag für den Nahverkehr in Deutschland . Wir stellen mit dem Beschluss eine gute Zukunft für den Nahverkehr in Deutschland langfristig sicher . Anlage 14 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Tagesordnungspunkt 25) Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Mit der Ent- scheidung zu einer Staatengemeinschaft Europa war die Entstehung neuer Herausforderungen vorgezeichnet . Grenzüberschreitende Sachverhalte machen Neuregelun- gen erforderlich, zum Beispiel im Bereich des Arbeits- rechts, des Gewerberechts, des Personenstandsrechts, aber auch im Bereich des Strafrechts . Es ist gut, dass hier nie der Versuch unternommen wurde, das alles umfassend auf einmal neu zu regeln; denn in der Regel handelt es sich um vielschichtige und komplexe Fragestellungen, die jeweils auf nationaler Ebene weitere Folgefragen generieren . Dennoch wird über die Jahre deutlich, dass es Bereiche gibt, in denen eine rasche Nachregulierung erforderlich wird, da die tat- sächliche Entwicklung ansonsten der Rechtslage enteilt . Exakt so erleben wir das im Strafrecht, dem der vor- liegende Gesetzentwurf gewidmet ist . Gerade hier stellen wir fest, dass Straftäter sich das Moment des Grenzüber- tritts innerhalb Europas zunutze machen – sei es beim Kalkül der erschwerten Fahndungsarbeit über Landes- grenzen hinweg bis hin zur Strafvollstreckung, der sich der Täter gerne entziehen möchte durch das Verlassen des entsprechenden Mitgliedstaates . Banden agieren or- ganisiert in Regionen, wo Landesgrenzen das Agieren der Strafverfolgungsbehörden erschweren . Deshalb ist der vorliegende Entwurf ausdrücklich zu begrüßen . Die tatsächliche Entwicklung zeigt die Erforderlich- keit, auch länderübergreifend Gerichts- und Ermittlungs- verfahren durchführen zu können . Im Rahmen der Richt- linienumsetzung geht es hier auf Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung um die Schaffung von Regelungen zur ineinandergreifenden Zusammenarbeit von Justiz und Strafverfolgungsbehörden der unter- schiedlichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union . Wenn wir nicht wollen, dass die Tatsache der Mehrstaat- lichkeit ein „Eldorado“ für Bandenkriminalität, Woh- nungseinbruchdiebstahl oder Schleuserwesen erzeugt, müssen wir die Herausforderung im Strafrecht entspre- chend abbilden . Das tut der vorliegende Gesetzentwurf . Deshalb bitte ich um Zustimmung . Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Mit dem vor- liegenden Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen führen wir die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen in nationales Recht ein . Nach den vorherigen Anpassun- gen des Gesetzes zur internationalen Rechtshilfe, insbe- sondere bei der Vollstreckung von freiheitsentziehenden Sanktionen, bei der Überwachung von Bewährungsmaß- nahmen und der Vollstreckungshilfe allgemein, ist dies nun ein wesentlicher weiterer Schritt, die internationale Rechtshilfe europaweit zu modernisieren und zu ver- bessern . Die CDU/CSU-Fraktion ist Vorreiter, wenn es darum geht, gute europarechtliche Rechtsrahmen und internationale Übereinkommen zu unterstützen, zu för- dern und dann auch in nationales Recht umzusetzen . Ich würde mir wünschen, dass alle Fraktionen im Bundes- tag ein vergleichbares Engagement für die Sicherheit der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619948 (A) (C) (B) (D) Menschen in die Debatte einbringen, wie dies die CDU/ CSU auch mit diesem Gesetzentwurf wieder leistet . Mein Dank gilt in diesem Zusammenhang auch den Kol- leginnen und Kollegen der EVP im Europäischen Parla- ment, die sich immer wieder gemeinsam mit uns für eine trag- und leistungsfähige Sicherheitsarchitektur engagie- ren . Der vorliegende Gesetzentwurf geht nämlich auf die Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen zurück . Sie ist bis zum 22 . Mai 2017 in nati- onales Recht umzusetzen, was wir mit dem vorliegenden Gesetz nahezu eins zu eins übernehmen . Die neu eingefügten Normen schaffen im bestehenden Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen auf der Grundlage des Prinzips der gegenseitigen Aner- kennung Regelungen für die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union im Bereich der grenzüberschreitenden Beweiserhebung . In Absatz 1 Satz 1 wird die Europäische Ermittlungs- anordnung als eine Entscheidung definiert, die von einer Justizbehörde zur grenzüberschreitenden Durchführung spezifischer Ermittlungsmaßnahmen zwecks Beweiser- langung erlassen oder bestätigt wird . Besondere Bedeu- tung kommt einer verstärkten Kommunikation zwischen den zuständigen Behörden des Anordnungsstaates und des Vollstreckungsstaates zu . Dies soll unter anderem die Arbeit der nationalen Strafverfolgungsbehörden und Gerichte erleichtern . Das Ziel der Europäischen Ermitt- lungsanordnung ist es, im Bereich der grenzüberschrei- tenden Beweiserhebung das bisherige Nebeneinander verschiedener Rechtsinstrumente abzubauen, und dies erreichen wir jetzt durch die nationale Umsetzung . Be- reits jetzt haben wir schon unterschiedliche Regelungen zur grenzüberschreitenden Beweiserhebung . Ein einheit- liches und umfassendes System gab es bisher aber nicht . Mit den §§ 91a ff IRG schaffen wir nun klare Regelun- gen für allgemeine Grundsätze und für die Zulässigkeit . Insgesamt wird das Verfahren detailliert in den entspre- chenden Normen beschrieben . Für besondere Formen der Rechtshilfe werden Ergänzende Zulässigkeitsvorausset- zungen in § 91c IRG aufgenommen . Dies betrifft zum Beispiel die Durchführung von kontrollierten Lieferun- gen oder den Einsatz von verdeckten Ermittlern . Der besonderen Sensibilität dieser Maßnahmen wird durch hohe Voraussetzungen Rechnung getragen . Insgesamt wird durch die klare Orientierung am Richtlinienzweck eine gute Implementierung ins nationale Recht erreicht . Unserer Justiz ermöglichen wir eine effektive Strafver- folgung unter gleichzeitiger Berücksichtigung eines wirksamen Grundrechtsschutzes . Auch die zum Beispiel vom Deutschen Richterbund geäußerte Kritik gegenüber der Richtlinie konnte im Gesetzgebungsverfahren berücksichtigt werden . Ist die Bundesrepublik Deutschland Vollstreckungsstaat, ver- bleibt es bei den nationalen Richtervorbehalten, die in dem deutschen Verfahrensrecht für bestimmte Ermitt- lungsmaßnahmen vorgesehen sind . Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung könnte vermuten lassen, dass der ersuchte Mitgliedstaat gehindert ist, seine eige- nen Verfahrensregelungen anzuwenden, wenn ein ande- rer Mitgliedstaat entsprechend dem dortigen Verfahrens- recht eine (Zwangs)Maßnahme angeordnet hat . Schon in der Richtlinie ist aber der Schutz des Richtervorbehaltes vorgesehen, und dies wird auch so im Gesetz umgesetzt . Ist die Bundesrepublik Deutschland also ersuchter Staat, kann die Durchführung einer Zwangsmaßnahme wei- terhin von der Anordnung durch ein deutsches Gericht abhängig gemacht werden, sofern das nationale Verfah- rensrecht dies vorsieht . So sieht es die neue Regelung eindeutig vor . Die ebenfalls teilweise geäußerte Kritik, jeder Ein- zelfall müsse am Maßstab des europäischen Verhältnis- mäßigkeitsbegriffs geprüft werden und behindere damit die angestrebte Vereinfachung grenzüberschreitender Ermittlungen, trägt nicht . Selbstverständlich muss in der internationalen Rechtshilfe wie auch grundsätzlich das Prinzip der Verhältnismäßigkeit geprüft werden . Dies ist im deutschen Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen auch schon eh und je so vorgesehen . Dass durch die speziell europarechtliche Prägung der neuen §§ 91a ff . IRG eine besondere Schwierigkeit entstünde, ist nicht ersichtlich . Vielmehr werden sich die Verfahren in der Praxis schnell als effektiv einspielen . Nachdem wir in der ersten Lesung das Gesetz noch ohne Debatte eingebracht haben, gab es eine intensive Diskussion zwischen den Fraktionen . Es steht nun ein Gesetz zur Abstimmung, zu dem wir einen ausgewoge- nen Entwurf vorlegen . Ich würde mich freuen, wenn alle Fraktionen diesem Entwurf nun zustimmen könnten . Dirk Wiese (SPD): Mit dem heute hier zu verabschie- denden Gesetzentwurf wird die Richtlinie über die Euro- päische Ermittlungsanordnung in Strafsachen umgesetzt . Anzumerken ist, dass wir ausnahmsweise gut in der Zeit sind; die Umsetzungsfrist ist der 22 . Mai 2017, an diesem Tag wird das Gesetz dann auch in Kraft treten . Mit der Umsetzung wird sich die sonstige Rechtshilfe in der EU ändern . Diese ist bisher noch durch die Instrumente der klassischen Rechtshilfe geprägt, dort insbesondere durch das EU-Rechtshilfeübereinkommen aus dem Jahr 2000 . Der vorliegende Gesetzentwurf wird dem Selbstan- spruch der Richtlinie gerecht, die grenzüberschreitende Beweiserhebung innerhalb der EU umfassend zu regeln . Die dem Gesetzentwurf zugrunde liegende Richtlinie be- ruht auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung . Kurz zur historischen Einordnung: Dieser wurde von den Mitgliedstaaten der EU im Jahr 1999 im finnischen Tam- pere beschlossen und ausdrücklich im Primärrecht der Union verankert . Die europäischen Rechtsinstrumente, die auf diesem Grundsatz basieren, unterscheiden sich von denen der klassischen Rechtshilfe durch ein höheres Maß an Ko- operationsverpflichtung. Ein Ermessen dazu, ob ein ein- gehendes Ersuchen zu bewilligen ist, wird es zukünftig nicht mehr geben . Die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung eines anderen Mitgliedstaates der EU kann nur noch abgelehnt werden, wenn ein in dem jewei- ligen Rechtsinstrument geregelter Zurückweisungsgrund eingreift . Hier ist anzumerken, dass die Bundesregierung in den Verhandlungen zur Richtlinie ein hervorragendes Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19949 (A) (C) (B) (D) Ergebnis erzielt hat und sicherstellen konnte, dass die Zurückweisungsgründe so weit gefasst wurden, dass den deutschen Behörden ein weiter Handlungsspielraum zur Verfügung steht, der dem Grad der klassischen Rechts- hilfe entspricht . Mit der Übernahme sämtlicher in der Richtlinie genannter allgemeiner und besonderer Zu- rückweisungsgründe in die §§ 91b, 91c und 91e IRG-E ist sichergestellt, dass die deutschen Behörden auch auf Anordnung aus dem europäischen Ausland keine Ermitt- lungs- oder gar Zwangsmaßnahmen vornehmen dürfen, die nach deutschem Recht nicht zulässig wären . Unterstreichen möchte ich, dass alle Richtervorbehal- te der StPO für die Anordnung von Zwangsmaßnahmen weiterhin uneingeschränkt zu beachten sind . Dies war ein wichtiges rechtspolitisches Anliegen des BMJV, der Länder und der Anwaltschaft . Hier möchte ich auch noch einmal die hervorragende Arbeit von Bundesjustizminis- ter Maas hervorheben, der so sichergestellt hat, dass eine der entscheidenden Säulen unseres Rechtssystems beste- hen bleibt . Auch umgekehrt ist übrigens sichergestellt, dass deutsche Behörden nur solche Ermittlungsmaßnah- men im EU-Ausland anordnen können, die auch nach deutschem Recht zulässig sind . Aufgrund von kritischen Stimmen der letzten Wochen möchte ich noch einmal ausdrücklich anmerken, dass dies auch für die in der Presse erwähnten Echtzeitmaß- nahmen gilt, für die bereits die Richtlinie selbst weit ge- fasste Zurückweisungsmöglichkeiten vorsieht . Denn für die Echtzeitmaßnahmen greifen zusätzlich zu den allge- meinen Zurückweisungsgründen aus dem Allgemeinen Teil der Richtlinie auch noch die maßnahmenspezifi- schen besonderen Zurückweisungsgründe aus dem Be- sonderen Teil der Richtlinie ein . Damit wird einer Aus- weitung von Ermittlungsbefugnissen durch die Hintertür der Riegel vorgeschoben . Sie sehen, der Gesetzentwurf ist durchweg gelungen . Die – soweit im Einzelfall möglich – Einbettung der komplexen neuen Regelungen in die Regeln und Verfah- ren, die wir aus der klassischen Rechtshilfe kennen, wird der Praxis die Anwendung erleichtern . Ich habe mich für eine zeitnahe Umsetzung eingesetzt, die mit der heuti- gen Verabschiedung auch glücken wird; denn dadurch gewähren wir der Praxis ein adäquates Zeitfenster, um sich auf die Anwendung der neuen Regelungen vorzu- bereiten . Dass der Gesetzentwurf Mittel wie Fristen für die Bearbeitung eingehender Ersuche, eine verbindliche Nutzung von Formularen und erhöhte Kommunikations- anforderungen der beteiligten in- und ausländischen Be- hörden vorschreibt, ist übrigens der Tatsache geschuldet, dass es bisher auch innerhalb der Europäischen Union immer noch vorkommt, dass ein Ersuchen deutscher Be- hörden im Ausland erst nach mehr als einem Jahr oder gar nicht beantwortet wird . Ich bin zuversichtlich, dass wir auf europäischer Ebene mit Umsetzung der Richt- linie in jeweils nationales Recht von diesem Missstand wegkommen und eine weitere Verbesserung und Straf- fung des Rechtshilfeverfahrens erreichen werden . Das hilft übrigens nicht nur den Ermittlungsbehörden; denn auch beschuldigte Personen können davon profitieren, wenn etwa im Ausland entlastende Beweise zu erheben sind . Nicht zuletzt wird sich zukünftig auch die Dauer des Strafverfahrens auf die rechtsstaatlich gebotene Kür- ze beschränken, wovon ebenfalls alle Beteiligten profi- tieren werden . Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Mit dem vorliegen- den Gesetz wird die EU-Richtlinie über die Europäische Ermittlungsanordnung (RL EEA) in nationales Recht umgesetzt . Dazu wird im Gesetz über die internationa- le Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) ein neuer Abschnitt zur EEA eingefügt . Die RL EEA schafft, basierend auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, Re- gelungen für die justizielle und strafrechtliche Zusam- menarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der grenzüberschreitenden Beweiserhebung . Sie soll der Vereinfachung und Beschleunigung grenzüberschreiten- der Strafverfolgung dienen . Grundsätzlich ist gegen eine solches Ziel nichts einzuwenden . Im Gegenteil . Auch der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, in Artikel 82 AEUV festgelegt, ist im Grunde zu begrüßen . Mehr Eu- ropa statt weniger Europa ist eine angemessene Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit . Doch wir reden hier nicht abstrakt über mehr oder weniger Europa . Wir reden hier über die konkrete Um- setzung dessen, was Artikel 82 AEUV und die RL EEA festlegen . Und da kommen wir dann an ein Dilemma, jedenfalls dann, wenn die im Grundsatz zu begrüßende Idee von mehr Europa in einer Weise genutzt wird, die zum Abbau von Standards im Bereich der Menschen- rechte und rechtstaatlichen Grundsätze führt . Nun wis- sen wir alle, dass dieser Abbau von Standards nicht ir- gendwelchen angeblichen Brüsseler Bürokrateninnen und Bürokraten zuzuschreiben ist, sondern das Ergebnis von Verhandlungen mit den nationalen Regierungen ist . Dass zumindest der Bundestag hier noch viel zu wenig Einfluss auf die Verhandlungen nimmt, obwohl ihm Ar- tikel 23 GG und § 8 EUZBBG dafür Instrumente in die Hand geben, sei nur am Rande erwähnt . Die damalige Bundesregierung aus Union und FDP hat keine Notwendigkeit für diese Richtlinie gesehen . In der Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Fraktion (Drucksache 18/1439) heißt es: „Aus Sicht der Bundes- regierung bestehen auch ohne die EEA keine rechtlichen Defizite bei der justiziellen Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union .“ Nun ist die- se Richtlinie beschlossen, und der deutsche Gesetzgeber muss sie in innerdeutsches Recht umsetzen . Die Richtli- nie verpflichtet die Behörden des Vollstreckungsstaates, grundsätzlich einer EEA, welche die Umsetzung einer polizeilichen oder justiziellen Maßnahme begehrt, eines Mitgliedsstaates (Anordnungsstaat) innerhalb einer be- stimmten Frist nachzukommen . Dies gilt nur dann nicht, wenn die Richtlinie eine Zurückweisung ermöglicht . Der Vollstreckungsstaat darf nur diese Zurückweisungsmög- lichkeiten geltend machen . Mit dem § 91b IRG regeln Sie nun diese Zurückwei- sung, indem Sie die Voraussetzungen der Zulässigkeit regeln . Ein Ersuchen im Hinblick auf eine EEA darf nur abgelehnt werden, wenn dies in der RL so vorgesehen ist . Der Artikel 10 der RL enthält im Wesentlichen die Zurückweisungsgründe . Er ist ein Kompromiss; denn die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619950 (A) (C) (B) (D) ursprüngliche und richtige Position der Bundesregierung war, wegen der Option von Verstößen gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit einen allgemeinen, weit gefass- ten Zurückweisungsgrund für den Fall, dass die Anerken- nung und Vollstreckung eines EEA gegen das nationale Recht des Vollstreckungsstaates verstoßen würde, zu for- mulieren . Das Problem bleibt bestehen . Der Artikel 10 Absatz 2 RL EEA – sogenannte Positivliste – schreibt Ermittlungsmaßnahmen vor, die in jedem Mitgliedstaat zur Verfügung stehen müssen . Für die dort genannten Ermittlungsmaßnahmen gilt das Zurückweisungsrecht der Mitgliedstaaten nicht . Zu Recht verweist der von Ih- nen vorgelegte Gesetzentwurf darauf, dass auch die dort aufgeführten Ermittlungsmaßnahmen unverhältnismäßig sein könnten . Ob die Zurückweisung dann wirklich im Rahmen des Artikels 11 Absatz 1 Buchstabe f möglich sein wird, wie der Gesetzentwurf behauptet, wird sich erst noch zeigen müssen . Der Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe f der RL sieht eine Zurückweisung vor, wenn „berechtigte Gründe für die Annahme bestehen, dass die Vollstreckung einer in der EEA angegebenen Ermittlungsmaßnahme mit den Verpflichtungen des Vollstreckungsstaats nach Artikel 6 EUV und der Charta unvereinbar wäre .“ Diese Regelung ist gut, und es ist kein Ruhmesblatt für die nationalen Regierungen, dass es erst das Europäische Parlament war, das mit Artikel 11 den Zurückweisungsgrund der drohenden Verstöße gegen die europäischen Grundrechte in der Richtlinie verankerte . Die Formulierung durch das Europäische Parlament zeigt aber auch, wie wichtig es ist, nationalstaatliche Blicke zu überwinden . Warum mit dem vorgelegten Gesetzentwurf nun aber nicht die Möglichkeit genutzt wurde, die fakultativen Zu- rückweisungsgründe aus Artikel 11 Absatz 1 RL EEA als zwingendes Zulässigkeitshindernis im IRG zu verankern, erschließt sich uns nicht . Sie schreiben im Gesetzentwurf sogar explizit, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen im IRG abschließend geregelt werden . Wir hätten uns eine klare Verankerung der Zurückweisungsgründe aus Arti- kel 11 Absatz 1 RL EEA gewünscht . Sie implementieren zwar Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe f (Verstöße gegen die europäischen Grundrechte) der Richtlinie über § 91b Absatz 3 IRG, nicht aber die Anerkennung der Versagung der Vollstreckung nach Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe d, also wenn die Vollstreckung dem Grundsatz „ne bis in idem“ widersprechen würde . In eingeschränkter Form wird versucht, diesen Grundsatz als bloßes Bewilligungs- hindernis in § 91e Absatz 1 Nr . 2 IRG festzuschreiben . Den Grundsatz „ne bis in idem“ aber zu einer Ermes- sensentscheidung zu machen, scheint uns unangemessen . Wir können auch nicht nachvollziehen, warum Sie in § 91b Absatz 1 IRG bei der abstrakten Beschreibung für die Zurückweisung einer EEA stehen bleiben und hier nicht Katalogtaten oder Kategorien von Straftaten oder Straftaten mit einem bestimmten Mindeststrafmaß ex- plizit aufzählen . Genau diese Möglichkeit eröffnet die RL . Die Erwähnung des Strafmaßes von drei Jahren in den Formblättern ist hier nicht ausreichend . Wenn Sie in der Begründung unter anderem auf die Katalogtaten aus §§ 100a Absatz 2, 100c Absatz 2 oder 111 Absatz 1 StPO verweisen, hätten Sie diese auch gleich in den Gesetzes- text schreiben können . In § 91a Absatz 3 IRG belassen Sie es bei der Ter- minologie Einziehung und Verfall bei der Vermögens- abschöpfung . Nun haben wir zu diesem Gesetz gerade die erste Lesung durchgeführt und werden sicherlich demnächst die Neuregelung der Vermögensabschöpfung hier abschließend behandeln . Es wäre aus unserer Sicht klüger gewesen, die Anpassungen an die Neuregelung bereits jetzt vorzunehmen oder auf die Neuregelung zu warten, bevor das IRG neu geregelt wird . Was wir benö- tigen, sind europäische Regelungen, die höchstmögliche rechtsstaatliche Standards sichern . Von daher können wir dem Gesetz nicht zustimmen . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Es gibt die Sorge, dass Ermittlungseingriffe von Strafverfolgungsbehörden von dem Anordnungsstaat in einem anderen Mitgliedstaat ungehindert und ohne wirk- liche Kontrollmechanismen möglich sein sollen und so einem Ausverkauf von Grundrechtsgarantien Vorschub geleistet werde . Auch wir haben hier im Deutschen Bundestag vor sechs Jahren unsere Bedenken gegen die Europäische Ermittlungsanordnung deutlich gemacht . Zum ersten Mal hatte der Bundestag sogar fraktions- übergreifend und einvernehmlich gegen eine geplante Regelung der EU-Kommission Stellung bezogen . Eini- ge Einschränkungen wurden sogar durchgesetzt, wie ein Zurückweisungsgrund, wenn die ersuchte Maßnahme nicht genauso auch innerstaatlich hätte angeordnet und durchgeführt werden können, ebenso zwingende Bewil- ligungshindernisse des Grundsatzes „ne bis in idem“ . Diese Punkte stehen auch im Umsetzungsgesetz . Zu be- grüßen ist auch, dass in der Richtlinie erstmals ein aus- drücklicher Zurückweisungsgrund bei Grundrechtsver- stößen verankert wurde (§ 91b Absatz 3 IRG-E) . So weit zum Positiven . Es ist richtig, Verbesserungen bei grenzüberschrei- tenden Ermittlungsmöglichkeiten innerhalb der EU bei grenzüberschreitenden Straftaten zu schaffen, insbeson- dere Erleichterungen etwa im Verfahrensablauf . Aber solche Erleichterungen dürfen nicht zulasten der Be- schuldigtenrechte und Verfahrensstandards gehen . Ebenso wie beim Europäischen Haftbefehl und bei der Europäischen Staatsanwaltschaft wollen wir einer- seits die Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden grenzübergreifend verbessern, weil auch Kriminalität grenzüberschreitend ist . Andererseits gibt es immer noch keine breite Angleichung von Strafrecht und Strafver- fahrensrecht . EU-weite Mindeststandards auf hohem Ni- veau fehlen noch, wie ein einheitlicher Richtervorbehalt . Stattdessen werden durch den Grundsatz der gegensei- tigen Anerkennung strafjustizieller Entscheidungen, der nun auch für die grenzüberschreitende Beweiserhebung gelten soll, die Verfahrensstandards auf ein Mindestmaß abgesenkt . Staatsanwalt oder Gericht eines europäischen Mitgliedstaats, in dem die strafprozessualen Standards deutlich unter den unsrigen liegen, können nun zum Beispiel die Überwachung von Telekommunikation, also Telefon- oder Emailverkehr, die Durchsuchung von Wohnungen oder Beschlagnahmungen anordnen . Deut- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19951 (A) (C) (B) (D) sche Stellen werden solche Anordnungen vollstrecken müssen – es sei denn, einer der ausdrücklich geregelten Zurückweisungsgründe greift . Dies ist auch der entschei- dende Unterschied zur klassischen Rechtshilfe – wie ja selbst in der Gesetzesbegründung angeführt wird . Euro- päische Rechtsinstrumente, die auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung beruhen, bringen eine stär- kere Kooperationsverpflichtung mit sich. Der Ermes- sensspielraum, ob ein Ersuchen bewilligt werden soll oder nicht, ist faktisch nicht mehr vorhanden . Geregelt ist zwar, dass nur Ermittlungsmaßnah- men für Taten durchgeführt werden dürfen, die auch in Deutschland strafbar oder ordnungswidrig sind und die nach deutschem Recht für die entsprechende Tat zuläs- sig sind . Aber nach dem Gesetzestext ist jedenfalls wohl nicht ausdrücklich ausgeschlossen, dass die entspre- chenden Behörden der EU-Mitgliedstaaten den Einsatz staatlicher Schadsoftware, sogenannte Staatstrojaner, in Deutschland anordnen dürften . Vorausgesetzt, dies fällt nicht unter § 91c Absatz 2 Nummer 2 dd IRG-E – Ein- schränkungen der Überwachung der Telekommunikati- on – in Verbindung mit § 59 Absatz 3 IRG – dann wäre es darüber ausgeschlossen . Auch der noch grundrechtsintensivere Eingriff, die akustische Wohnraumüberwachung, ist wohl nach dem Wortlaut nicht ausgeschlossen . Die Bundesrechtsan- waltskammer fordert in ihrer Stellungnahme, dass in § 91c Absatz 2 Nummer 2 IRG-E ein ausdrücklicher Ver- weis auf Maßnahmen nach §§ 100c ff ., 100f StPO erfol- gen sollte – um klarzustellen, dass die engen Vorausset- zungen für eine akustische Wohnraumüberwachung bzw . eine akustische Überwachung außerhalb von Wohnraum gelten müssen . Mindestens diese Klarstellung ist erfor- derlich . Für den Einsatz von Staatstrojanern fehlt in unserer Strafprozessordnung eine gesonderte und eindeutige Regelung . Wir Grüne lehnen diesen Grundrechtsein- griff ab, da wichtige Fragen hierzu völlig ungeklärt sind: Wie sollen Berufsgeheimnisträger und der Kernbereich höchstpersönlicher Lebensgestaltung geschützt werden? Wie sollen andere auf den Endgeräten gespeicherte In- halte jenseits der überwachten Kommunikation geschützt werden? Folglich sind wir mit der Möglichkeit, dass eine solche Maßnahme aus einem anderen EU-Staat heraus angeordnet werden könnte, nicht einverstanden . Mir ist klar, dass gerade in Grenzregionen die polizei- liche und staatsanwaltliche Zusammenarbeit zwischen den jeweiligen Nachbarländern Alltag ist und schon jetzt viele grenzübergreifende Maßnahmen durchgeführt wer- den können . Trotzdem ist mein Fazit: Die grundsätzlich richtige Erleichterung in grenzüberschreitender Beweis- erhebung rechtfertigt nicht, dass das Problem der zum Teil sehr unterschiedlichen strafverfahrensrechtlichen Standards fortbesteht . Das kann in bestimmten Konstel- lationen zu problematischen Ergebnissen führen . Es wur- de leider die Chance verpasst, im Kontext der Diskussion um die Europäische Ermittlungsanordnung das Etablie- ren von strafverfahrensrechtlichen Mindeststandards vo- ranzutreiben . Wir werden aus den genannten Gründen diesem Ge- setz nicht zustimmen, sondern uns enthalten . Anlage 15 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften zur Bevorratung von Erdöl, zur Erhebung von Mineralöldaten und zur Umstel- lung auf hochkalorisches Erdgas (Tagesordnungs- punkt 26) Jens Koeppen (CDU/CSU): Ich freue mich, dass wir heute unsere Beratungen zu dem wichtigen Artikelgesetz abschließen können . Im Vergleich zu anderen Gesetzes- vorhaben im Energiebereich ist dieses Gesetzesvorhaben relativ unumstritten und hat nicht zu vielen unterschiedli- chen Positionierungen hier im Bundestag geführt . Wenn ich an unsere Diskussionen zum EEG, zum Fracking, zum KWK-Gesetz oder zum Strommarktgesetz denke, ist das Gesetzesvorhaben heute quasi im Konsensverfah- ren durch das Bundestagsverfahren gelaufen . Bei der Gesetzesvorlage handelt es sich um ein Ar- tikelgesetz mit dem folgende Gesetze geändert werden: das Erdölbevorratungsgesetz, das Mineralölgesetz und das Energiewirtschaftsgesetz Die Änderung des Erdölbevorratungsgesetzes zielt auf folgende vier Punkte ab: Erstens sollen neben inlän- dischen Unternehmen auch Unternehmen mit Sitz in Mit- gliedstaaten der EU oder in Norwegen oder der Schweiz Mitglied im Erdölbevorratungsverband werden können . Zweitens soll für beitragspflichtige Erdölerzeugnisse, die auf Seeschiffen gebunkert werden, frühzeitig ein Abzug bei der Bemessung der Beträge ermöglicht werden . Drit- tens soll es durch die Novelle Unternehmen ermöglicht werden, in Deutschland gehaltene Mineralölbestände auch zugunsten der Krisenabsicherung in Drittstaaten bereitzuhalten . Viertens zielt die Gesetzesänderung da- rauf ab, dass die Auswahlverfahren für Vertragspartner des Erdölbevorratungsverbandes vereinfacht werden . Zusammengefasst: Wir wollen den Krisenmechanismus für Deutschland und Europa verbessern . Und hier freue ich mich ausdrücklich über unsere Einigkeit . Mit der Änderung des Mineralölgesetzes sollen vor- liegende Verwaltungsdaten für die statistischen Landes- ämter zur Erstellung von Energie- und Treibhausgasbi- lanzen nutzbar gemacht werden . Unsere Änderung hat damit einen ganz konkreten Bezug zur besseren Beob- achtung unser energiepolitischen Bemühungen zur Re- duzierung von CO2 in der Atmosphäre . Mit der Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes soll auf die neuen technischen Anforderungen auf Grund veränderter Gasbezugsquellen reagiert werden . Bis zum Jahr 2030 müssen sich 30 Prozent der deutschen Gas- kunden auf die veränderte Gasqualität einstellen . Hin- tergrund ist die rückläufige L-Gas-Produktion bei uns in Deutschland und in den Niederlanden und die damit verbundene Umstellung auf die Gasqualität H-Gas . Für Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619952 (A) (C) (B) (D) uns bedeutet der zusätzliche Gasimport nicht nur eine Erhöhung der Gasabhängigkeit vom Ausland, sondern die Gaskunden brauchen in Häusern, Wohnungen und Unternehmen andere Technik, damit die neue Gasquali- tät genutzt werden kann . Die Umrüstung der Geräte ist mit deutlichem Investitionsaufwand verbunden . Eine ab- schließende Einschätzung, inwieweit mit höheren Netz- entgelten diesbezüglich zu rechnen ist, konnte uns das zuständige Fachministerium bisher noch nicht geben . Die Gesetzesgrundlage sieht aber vor, dass hier nicht nur die besonders betroffenen Kunden in Norddeutschland diese Erhöhungen tragen müssen, sondern eine gesamt- deutsche Wälzung unter den Gaskunden stattfindet. Ich finde es wichtig – insbesondere hinsichtlich der Akzeptanz für die Umstellung –, dass wir jetzt die Grundlage für die Umrüstung schaffen und diese Umrüs- tung mit einer zweijährigen Vorabinformationspflicht der Kunden verbinden . Gaskunden müssen nach dem Gesetz mindestens zwei Jahre vor der Umstellung auf die Um- stellung hingewiesen werden. Diese Verpflichtung wird dazu führen, dass die Gaskunden mitgenommen werden, sie die Gründe hinterfragen können und keine pauscha- le Ablehnung für die neue Technik auf Grund fehlender Informationen aufbaut wird . Richtig und wichtig ist aus meiner Sicht auch, dass der Einbau von effizienteren Ge- räten mit einer Kostenerstattung von 100 Euro belohnt wird . Hier verbinden wir dieses energiepolitische Vorha- ben im Bereich der nicht regenerativen Energiequellen eng mit dem Energieeffizienzziel. Abschließend möchte ich um Ihre Zustimmung werben . Florian Post (SPD): Mit dem vorliegenden Artikel- gesetz bringen wir notwendige Änderungen von drei energiepolitischen Gesetzen auf den Weg . Hierbei han- delt es sich um das Energiewirtschafts-, das Erdölbevor- ratungs- und das Mineralöldatengesetz . Eine besondere Bedeutung hat hierbei sicherlich die Anpassung des Energiewirtschaftsgesetzes . Hinter- grund ist der signifikante Rückgang der in Deutschland geförderten Erdgasmengen sowie die Verringerung der Importmengen aus den Niederlanden . Daher müssen Gasimporte aus anderen Staaten diese Lücke schließen . Entscheidend hierbei ist: Erdgas ist nicht gleich Erdgas, denn Gas aus deutschen und niederländischen Vorkom- men hat einen geringeren Brennwert als Gas aus anderen ausländischen Bezugsquellen . Eine technische Umstellung der Gasendgeräte auf Gas mit höherem Brennwert – auch hochkalorisches oder H-Gas genannt – ist erforderlich damit Gasheizungen und Gasherde weiterhin sicher betrieben werden können . Von dieser sogenannten Marktraumumstellung sind gro- ße Teile der nord- und westdeutschen Gasnetze betroffen . Bis zum Jahr 2030 müssen etwa ein Drittel der deutschen Gaskunden auf eine andere Gasqualität wechseln . Eine Verzögerung bei dieser wichtigen Infrastruktur- maßnahme etwa aufgrund von Rechtsunsicherheit bei der Kostenverteilung können wir uns nicht leisten . Die Versorgungssicherheit vieler Millionen Haushalte und zahlreicher Industriebetriebe im Nordwesten Deutsch- lands, die momentan mit niedrigkalorischem Gas ver- sorgt werden und auf H-Gas umstellen müssen, wäre in Gefahr . Verantwortlich für die Umstellung sind die örtlichen Netzbetreiber . Die Kosten für die Anpassung von End- geräten – wie beispielsweise Gasheizungen und Gasher- den – werden damit zuerst einmal von diesen getragen . Die Kosten werden dann – in einem zweiten Schritt – über die Gasnetzentgelte auf die Gaskunden umgelegt . Bisher wurden die Kosten der Umstellung immer nur im betroffenen Marktgebiet umgelegt . Mit der Geset- zesänderung führen wir nun eine bundesweite Wälzung der Kosten ein . Damit wird eine ungleiche Belastung der Endverbraucher beider Marktgebiete aufgrund un- terschiedlicher Umstellungszeitpunkte vermieden . Die Einführung einer bundesweiten Wälzung der Kosten ist im Sinne einheitlicher Grundbedingungen im gesamten Bundesgebiet ein wichtiger Schritt . Damit die Kosten des Anpassungsprozesses nicht künstlich aufgebläht werden und auf das notwendige Maß beschränkt bleiben, führen wir zudem ein gesetzli- ches Prüfrecht durch die zuständige Regulierungsbehör- de ein . Diese prüft nun, ob die von den Netzbetreibern vorgenommenen Anpassungen erforderlich und die Kos- ten angemessen sind . Damit haben wir eine wirksame Kostenkontrolle im Gesetz verankert . Die Einführung einer Informationspflicht für die Netz- betreiber stellt eine weitere wichtige Neuerung dar . Die Verteilnetzbetreiber werden nun gesetzlich verpflichtet, die Letztverbraucher mit einem zeitlichen Vorlauf von zwei Jahren über die geplante Umstellung zu informie- ren . Dies gibt den Gaskunden die Möglichkeit, sich rechtzeitig mit dem Thema auseinanderzusetzen und zu entscheiden, ob sie im Zuge der Umstellung ein effizien- teres Neugerät einbauen wollen . Entscheidet sich der Eigentümer eines Gasendgerätes dafür, anstelle der Anpassung des alten ein neues und in der Regel effizienteres Gerät anzuschaffen, erstattet ihm der örtliche Netzbetreiber einen Teil der Anschaffungs- kosten. Damit fördern wir den Einsatz effizienter Gashei- zungen und liefern einen Baustein für eine erfolgreiche Wärmewende . Zusammenfassend schaffen wir mit der Änderung des Energiewirtschaftsgesetzes also eine verlässliche Grund- lage für eine kostengünstige, transparente und reibungs- lose Marktraumumstellung bis 2030 . Damit wird die Ver- sorgungssicherheit der Gasnetzkunden dauerhaft erhöht . Neben der Änderung des EnWG werden mit dem vor- liegenden Gesetz auch notwendige Änderungen an zwei weiteren energiepolitischen Gesetzen vorgenommen: dem Erdölbevorratungsgesetz und dem Mineralöldaten- gesetz . Mit der Änderung des Erdölbevorratungsgeset- zes können nun auch Unternehmen mit Sitz in ande- ren EU-Mitgliedstaaten sowie aus Norwegen und der Schweiz Mitglieder im Erdölbevorratungsverband wer- den . Die Aufgabe dieses öffentlich-rechtlichen Verban- des ist es, Erdöl und verschiedene andere Kraftstoffe für 90 Tage vorzuhalten . In Zeiten, in denen das Risiko von Versorgungsengpässen auch durch unsichere außenpoli- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19953 (A) (C) (B) (D) tische Verhältnisse zunimmt, gewinnt diese strategische Erdölreserve immer weiter an Bedeutung . Diese Gesetzesänderung führt in erster Linie zu Ver- fahrensvereinfachungen; Umfang und System der Bevor- ratung bleiben aber unverändert . Die Erdölbevorratung wird zudem im Sinne einer stärker gesamteuropäisch gedachten Energiepolitik weiterentwickelt . Die Krisen- festigkeit der Öl- und Kraftstoffversorgung wird dadurch auch in Deutschland erhöht . Zu guter Letzt nehmen wir mit dem Artikelgesetz eine kleine, aber wichtige Änderung am Mineralöldatengesetz vor . Diese Anpassung stellt sicher, dass alle Bundeslän- der wieder alle notwendigen Daten für ihre Energiesta- tistiken erhalten . Eine freiwillige Datenweitergabe durch die Mineralöl- branche hat sich hier als nicht praktikabel herausgestellt . Nun steht fest, dass die Länder über verlässliche Energie- und Treibhausgasbilanzen verfügen, die wiederum eine wichtige Basis für energiepolitische Entscheidungen auf Bundes- und Landesebene darstellen . Klaus Ernst (DIE LINKE): Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Änderung von Vorschriften zur Be- vorratung von Erdöl, zur Erhebung von Mineralöldaten und zur Umstellung auf hochkalorisches Erdgas sollen das Erdölbevorratungsgesetz, das Mineralöldatengesetz und das Energiewirtschaftsgesetz geändert werden . Da- bei werden verschiedene Ziele verfolgt . Unter anderem wurde die Erdgasversorgung in den Ländern Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nord- rhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt dauerhaft auf das sogenannte H-Gas umgestellt, das ei- nen höheren Methangehalt hat . Hintergrund ist die rück- läufige Förderung des bisherigen L-Gases in den Nieder- landen und in Deutschland . Die Umstellung von L-Gas auf H-Gas ist nicht zuletzt auch deshalb zu befürworten, weil es eine höhere Energieeffizienz hat. Das Ressort schätzt, dass von den 4,3 Millionen Gas- und Brennwert- kesseln und 1,2 Millionen sonstigen Geräten, in erster Li- nie Gaskochgeräte und Gasdurchlauferhitzer, 2,5 Prozent bzw . 10 Prozent nicht umrüstbar sind . Die Umrüstungskosten werden auf 4 000 Euro für Gas- und Brennwertkessel und 400 Euro für sonstige Ge- räte pro Fall geschätzt . Aufgrund einer hohen Anzahl al- ter Geräte würde die Investition allerdings ohnehin anfal- len . Es gibt einen Kostenerstattungsanspruch gegenüber dem Netzbetreiber von Neugeräten, 100 Euro für jedes Neugerät . Damit fallen am Ende für die Bürgerinnen und Bürger Kosten für den Austausch der Geräte von rund 175 Millionen Euro an . Wir kritisieren jedoch, dass der Gesetzentwurf nicht die Chance nutzt, zeitgleich die Sicherheitsrisiken bei den Kavernenspeichern zu beseitigen, vor denen Um- weltschützer seit langem warnen . Das Nachrüsten der Kavernen mit Doppelrohren wäre ein wichtiger Schritt, ein anderer die stärkere Überwachung der Kavernenspei- cher . Mit der Änderung des Mineralöldatengesetzes sollen vorliegende Verwaltungsdaten für die statistischen Lan- desämter für die Erstellung von Energie- und Treibhaus- gasbilanzen nutzbar gemacht werden . Dies begrüßen wir ausdrücklich . Darüber hinaus sollen auch Unternehmen mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in Norwegen und in der Schweiz Mitglied des Erdölbevorratungsverbandes werden können . Für die Mengen beitragspflichtiger Erdölerzeugnisse, die zur Bebunkerung von Seeschiffen verwendet werden, soll frühzeitiger ein Abzug bei der Bemessung der Höhe der Beiträge geltend gemacht werden können . Außerdem soll es Unternehmen ermöglicht werden, in Deutschland gehaltene Mineralölbestände auch zugunsten der Krisen- vorsorge von Drittstaaten bereitzuhalten, und die Verfah- ren zur Auswahl von Vertragspartnern des Erdölbevor- ratungsverbandes sollen vereinfacht werden . An dieser Stelle ist anzumerken, dass sich mit einer erfolgreichen Energiewende eine Bevorratung von Erdöl in diesem Ausmaß erübrigen würde . Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich will mich auf einen Punkt des vorliegenden Gesetz- entwurfes konzentrieren: den Umstieg von L-Gas auf H-Gas . Seit Mai 2015 wird das Erdgasnetz schrittweise von L-Gas auf H-Gas umgestellt . Davon sind schätzungs- weise 4,3 Millionen Kundinnen und Kunden, Gewerbe- treibende und Industrieunternehmen betroffen . Insgesamt werden 5 bis 6 Millionen Endgeräte angepasst . Es geht vor allem um den Nordwesten: Niedersachsen, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Hessen . Die Umstellung soll bis 2030 abgeschlossen sein. Wir finden es richtig, dass die Kosten dieser Um- stellung nicht mehr nur diejenigen tragen sollen, die in den betroffenen Marktgebieten Gas beziehen, sondern alle Netzkundinnen und -kunden bundesweit herangezo- gen werden . Allerdings hätte man an dieser Stelle auch dafür sorgen können, dass die Berechnungen der Gas- netzbetreiber für die Umlage transparent gemacht wer- den . Im Strombereich ist das schließlich auch möglich . Warum nicht hier? Auch andere Neuregelungen, die sich aus den bisheri- gen Erfahrungen bei der Umstellung ergeben haben, halte ich grundsätzlich für richtig . Man könnte aber mehr tun . Ich bin überzeugt, dass wir die Umstellung von L-Gas auf H-Gas auch als Chance für Energieeinsparungen und erneuerbare Energien sehen sollten . Alle rund 4 Millio- nen Betroffenen werden für die Umrüstung persönlich aufgesucht . Dies bietet eine besondere Gelegenheit, für mehr Energieeffizienz und erneuerbare Energien zu werben; denn die Beschäftigung mit der Gasumstellung könnte für viele Verbraucherinnen und Verbraucher ein Anlass sein, über Neuanschaffungen oder Veränderungen bei ihren vorhandenen Geräten nachzudenken . Das ist ein geeigneter Ansatzpunkt, um für mehr erneuerbare Ener- gien zum Beispiel im Wärmebereich zu sensibilisieren und auf weitere Fördermöglichkeiten (MAP erneuerbare Wärme etc .) aufmerksam zu machen . Eine begleitende Informationskampagne für Energieeffizienzmaßnahmen und erneuerbare Energien als Alternative zu Erdgas wäre also sinnvoll, ist jedoch nicht geplant . Wer die Energie- wende vorantreiben will, darf sich solche Gelegenheiten aber nicht entgehen lassen! Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619954 (A) (C) (B) (D) Erdgas ist wie Erdöl und Kohle ein fossiler Rohstoff . Wenn wir die Klimaziele einhalten wollen, müssen wir mittelfristig auch auf Erdgas verzichten . Investitionen in Infrastruktur wie das Gasnetz sind langfristig ausge- richtet . Auch Geräte wie Heizungen, die heute neu ange- schafft werden, werden in der Regel mindestens 20 Jahre genutzt und nicht so schnell wieder angefasst . Wir müs- sen also jetzt dafür sorgen, dass Chancen für Effizienz und erneuerbare Energien konsequent genutzt werden, und wir müssen uns jetzt überlegen, wie das deutsche Gasnetz aussehen muss, wenn wir uns zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien versorgen . Wir sollten nicht zu- lassen, dass Geld in fossile Infrastrukturen fließt, die wir in wenigen Jahren so nicht mehr brauchen . Die Priorität muss stattdessen immer bei Energieeinsparungen, mehr Energieeffizienz und mehr erneuerbaren Energien liegen. Weil wir Grüne die technisch notwendigen Inhalte des Gesetzes grundsätzlich für richtig halten, aber die güns- tige Gelegenheit von Geräteumstellungen nutzen wollen und dabei mehr Engagement von der Bundesregierung für die Energiewende erwarten, enthalten wir uns . Anlage 16 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu der Unterrichtung durch die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter Jahresbericht 2015 der Bundesstelle und der Län- derkommission (Tagesordnungspunkt 27) Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU): Folter ist ein schauriges Überbleibsel längst vergangener Jahrhunder- te . Es ist fatal, dass wir uns heute überhaupt noch mit ihr beschäftigen müssen . Doch die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: In circa 70 Prozent aller Staaten wird gefoltert oder misshandelt . Sicher, diese viel zu hohe Zahl schließt auch jene Länder mit ein, in denen in den vergangenen Jahren nur Einzelfälle von Folter beobach- tet wurden . Aber jeder Einzelfall ist einer zu viel, und in der Mehrzahl der Staaten gehören Folter und Misshand- lungen zur traurigen Routine . Dies zeigt, wie schwierig es offenkundig auch weiterhin ist, dieser gravierenden Menschenrechtsverletzung den Garaus zu machen . Wenn wir über Folter sprechen, dann geht es dabei nicht nur um Nordkorea und China – oder Saudi-Arabi- en, wo Raif Badawi die Peitschenhiebe Nummer 51 bis 100 Gerüchten zufolge kurz bevorstehen . In Russland werden laut Amnesty International jedes Jahr Hunder- te Menschen Opfer von Folter . Auf das Schicksal Oleg Sentsovs habe ich an dieser Stelle bereits mehrfach hingewiesen; diese Woche haben wir den Bericht des Kreml-Kritikers Ildar Dadin zur Kenntnis nehmen müs- sen, in dem dieser sein Martyrium im russischen Gefäng- nis schildert . Große Besorgnis löst darüber hinaus die Situation in der Türkei aus: Berichte über drastisch häufiger vorkom- mende Folterungen bzw . die Aussetzung entsprechender Schutzmechanismen nach dem Putschversuch wider- sprechen gänzlich unseren Vorstellungen von Rechts- staatlichkeit und Menschenrechten . Der Druck auf Präsi- dent Erdogan muss umgehend erhöht werden; der gestern veröffentlichte Fortschrittsbericht der EU (der tatsächlich eher ein Rückschrittsbericht ist) war ein Schritt in diese Richtung . Einer der wichtigsten Ansätze in dem Bemühen, Fol- ter und Misshandlung ein Ende zu setzen, ist – neben einer Portion gesunden Menschenverstandes – die Anti- folterkonvention der Vereinten Nationen, die inzwischen von 157 Staaten ratifiziert wurde. Das 2006 verabschie- dete Zusatzprotokoll zu dieser Konvention sieht für alle Vertragsstaaten einen nationalen Präventionsmecha- nismus vor, der regelmäßige Besuche in Gefängnissen und weiteren Orten der Freiheitsentziehung vorzieht . In Deutschland wurde dieser Präventionsmechanismus mit der Einrichtung der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter umgesetzt, deren Bericht für das Jahr 2015 uns heute vorliegt . Lassen Sie mich zunächst den Mitgliedern der Natio- nalen Stelle zur Verhütung von Folter für ihre Arbeit dan- ken . Zwar ist die Situation bei uns eine gänzlich andere, als ich sie eingangs in Bezug auf andere Länder geschil- dert habe . Folter gibt es bei uns nicht . Dennoch müssen selbstverständlich auch wir in Deutschland darauf ach- ten, dass es – erstens – genau so bleibt . Zweitens können auch wir noch Dinge verbessern, bei denen der Begriff „Folter“ eher verwunderlich anmutet, aber Verbesserung im Detail anregt . Genau hier setzt der vorliegende Be- richt an . So wird beispielsweise mit Blick auf die Arrestzellen einer Bundeswehrkaserne angemerkt, dass es Insassen ermöglicht werden sollte, selbstständig die Beleuchtung in den Arresträumen zu regeln . Das mag sich für manch einen schon fast übertrieben anhören . Dennoch hat es sei- ne Berechtigung; denn in anderen Ländern wird Licht – oder dessen Abwesenheit – tatsächlich als Folterinstru- ment angewendet . Gleichzeitig verdeutlicht dieses Beispiel: Wenn sich die Kritikpunkte einer unabhängigen Organisation in sol- chen Dimensionen bewegen, dann wird klar, dass es sich hier bei uns um Sachverhalte ganz anderer Art handelt, als in den 141 Ländern, in denen Amnesty International in seinem letzten Berichtszeitraum Folter oder andere Formen der Misshandlung beobachtet hat . Wir müssen und wollen unseren menschenrechtlichen und rechtsstaatlichen Pflichten nachkommen – selbstver- ständlich auch gegenüber „Arrestantinnen und Arrestan- ten“, wie es in dem Bericht so schön heißt . Denn die eigentliche Stärke einer Gesellschaft lässt sich auch an ihrem Umgang mit denjenigen ablesen, die sich nicht an die Regeln gehalten haben . Anfang 2015 wurden daher die Finanzmittel für die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter aufgestockt, um eine größere Anzahl an Besu- chen zu ermöglichen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19955 (A) (C) (B) (D) Ich möchte an dieser Stelle allerdings ganz klar un- terstreichen, worum es dabei eindeutig nicht gehen darf . In Justizvollzugsanstalten sitzen zum Teil verurteilte Schwerkriminelle ein: Mörder, Kinderschänder und Ter- roristen . Die Haft im Gefängnis ist eine Einschränkung und soll auch eine solche sein . Mit einem Hotelaufenthalt braucht sie nicht verglichen zu werden . Das ist nicht das Ziel von Strafe . Der vorliegende Bericht zieht eine positive Bilanz und bestätigt damit das hohe Niveau, auf dem Deutschland sich befindet. In den vergangenen Jahren wurden viele Empfehlungen der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter zeitnah umgesetzt . Wir gehen davon aus, dass dies auch weiterhin so sein wird, und bringen dies auch in der heute zur Abstimmung stehenden Entschließung zum Ausdruck . Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Folter in Deutschland – anlässlich der Veröffentlichung des Jah- resberichts 2015 der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter widmen wir uns heute diesem Thema . Und wir freuen uns über sehr positive Nachrichten . Schon 2013 stellte der Ausschuss gegen Folter der Vereinten Nationen fest, dass es in Deutschland keine Fälle von Folter gab . Der aktuelle Bericht der Nationa- len Stelle zur Verhütung von Folter, also des deutschen Nationalen Präventionsmechanismus gegen Folter, die nach der Ratifizierung vom VN-Fakultativprotokoll zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigen- de Behandlung oder Strafe vom 10 . Dezember 1984 (VN-Antifolterkonvention – CAT) gegründet wurde und 2009 ihre Arbeit aufnahm, ist durchaus positiv . Zu Beginn des Jahres 2015 wurde das Budget der Na- tionalen Stelle auf 540 000 Euro erhöht und die Anzahl der Mitglieder der Länderkommission auf acht verdop- pelt, womit die Aufnahme der Besuchstätigkeit in bisher nicht oder kaum abgedeckten Bereichen – insbesondere in Alten- und Pflegeheimen, psychiatrischen Kliniken und Einrichtungen der Jugendhilfe – zumindest spora- disch möglich wurde . Die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter besteht aus der Bundestelle und der Länderkommission . Haupt- aufgabe der Nationalen Stelle ist es, Orte der Freiheits- entziehung aufzusuchen, auf Missstände aufmerksam zu machen und den Behörden Empfehlungen und Vorschlä- ge zur Verbesserung der Situation der Untergebrachten, zur Verhütung von Folter und sonstigen Misshandlungen zu unterbreiten . Letztes Jahr besuchte die Bundesstelle 16 Dienststel- len der Bundespolizei . Trotz des hohen Arbeitsaufkom- mens wegen der großen Zahl von einreisenden Flücht- lingen und Migranten vermerkte die Bundesstelle eine insgesamt positive und problembewusste Haltung der Beamten . Die Länderkommission befasste sich schwerpunktmä- ßig mit dem Jugendstrafvollzug . Sie berichtet über eine hohe Zahl an ausgebildeten Mitarbeitern, die die Gefan- genen intensiv betreuen und behandeln und über keine menschenunwürdigen Bedingungen . Diese positiven Er- kenntnisse begrüßen wir . Wir begrüßen auch die konstruktiven Empfehlungen der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter und un- terstützen ihre Bemühungen, diese Empfehlungen bun- desweit stärker bekannt zu machen, damit sie bei Bedarf in ähnlichen Einrichtungen ebenfalls und noch breiter angewandt werden können . Zukünftig können wir die Bundesregierung nur dazu auffordern, die Nationale Stelle zur Verhütung von Fol- ter weiterhin zu unterstützen und ihr Engagement gegen und zur Verhütung von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe mit Nachdruck im In- und Ausland fortzusetzen . Wahrscheinlich denkt man, dass diese guten Nach- richten selbstverständlich sind, dass Deutschland vor- bildlich ist, was Folterprävention angeht . Doch es ist keine Selbstverständlichkeit . Nur ein paar Blicke in die weltweite Situation machen es schon sehr deutlich . Denn Folter ist außerhalb Deutschland und Europa überhaupt keine Ausnahmeerscheinung . Laut Professor Manfred Nowak, dem ehemaligen Sonderberichterstatter für Folter der Vereinten Nationen, ist Folter in der überwiegenden Mehrheit der Staaten die- ser Erde eine weit verbreitete Praxis . In manchen Län- dern werden sogar Körperstrafen als gerichtliche Sank- tion vorgesehen und angewandt, wie in Afghanistan, in Saudi-Arabien und im Sudan . Letztes Jahr haben wir hier im Reichstag die Freilas- sung von Raif Badawi gefordert . Der saudische Blogger und Internetaktivist war zu 1 000 Stock- und Peitschen- hieben verurteilt worden . Der Menschenrechtsverteidi- ger sitzt übrigens immer noch im Gefängnis; sein Ge- sundheitszustand ist schlimm, und das Regime hat die weiteren Schläge noch nicht aufgehoben . Erschütternd ist die Situation auch in Syrien, wie wir es leider schon allzu gut wissen . Laut Schätzungen der internationalen Menschenrechtsorganisation Amnesty International sind seit 2011 in den Gefängnissen der sy- rischen Regierung mindestens 17 723 Menschen durch Folter, Misshandlungen und katastrophale Haftbedin- gungen ums Leben gekommen . Ihr Bericht „It Breaks the Human: Torture, disease and death in Syria’s prisons“ belegt anhand von Aussagen von Überlebenden das er- schreckende Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen . Dieses staatliche Vorgehen stellt ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar . Wieder zeigt sich, wie dringend wir Gesprächskanäle brauchen, um den Bürgerkrieg zu beenden . Oft sind die schutzbedürftigsten Menschen Folter aus- geliefert . So zum Beispiel junge Eritreer, die vor der Dik- tatur ihres Landes fliehen. Auf dem Weg nach Ägypten durch den Sudan werden viele entführt und gefoltert . Die Menschenhändler erpressen immense Lösegeldsummen von den verzweifelten Verwandten daheim . Sie rufen die Familien an und lassen sie dabei zuhören, wie ihre Ange- hörigen gefoltert werden . Manchen werden Organe ent- nommen . Die aus Eritrea stammende Menschenrechtle- rin Fessaha berichtete über Menschen, deren Körper mit Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619956 (A) (C) (B) (D) glühenden Eisen verbrannt wurden, deren Haut mit ko- chendem Wasser oder Öl übergossen wurde, deren Lei- ber aufgeschlitzt und akribisch wieder zugenäht wurden . Folter ist völkerrechtlich ohne Einschränkungen ver- boten . Die Internationale Gemeinschaft hat als Reaktion auf den Nazi-Holocaust das Folterverbot aus guten Grün- den zu einem der wenigen absoluten und notstandsfesten Menschenrechte erklärt . Artikel 2 der Anti-Folter-Kon- vention der Vereinten Nationen von 1984 bekräftigt dies nochmals nachdrücklich, so § 2: „Außergewöhnliche Umstände gleich welcher Art, sei es Krieg oder Kriegs- gefahr, innenpolitische Instabilität oder ein sonstiger öf- fentlicher Notstand, dürfen nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden .“ Und § 3: „Eine von ei- nem Vorgesetzten oder einem Träger öffentlicher Gewalt erteilte Weisung darf nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden .“ Wir dürfen nicht vergessen, dass das Zulassen von Folter in Ausnahmefällen zur Öffnung der berühmten Büchse der Pandora geführt hat . In verschiedenen Geheimgefängnissen weltweit ließ die CIA nach den Anschlägen vom 11 . September 2001 Terrorverdächtige foltern, um an Informationen zu gelan- gen . Dies belegt der Ende 2014 veröffentlichte Bericht des US-Kongresses . Die USA haben damit gegen das ab- solute Folterverbot und das Völkerrecht verstoßen und sich schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig ge- macht. Mit der bisherigen Straflosigkeit für die Folterer haben sie ein verheerendes Signal in die Welt gesandt . Noch besorgniserregender sind die Aussagen des neu- gewählten amerikanischen Präsidenten Donald Trump während seines Wahlkampfs . Vor dem Fernseher kün- digte er an, mit derzeit illegalen Foltermethoden gegen Terroristen durchgreifen zu wollen: Er würde sich darum bemühen, dass die rechtlichen Vorschriften überarbeitet würden, die Waterboarding und extremere Formen der Folter verbieten, weil die USA einen strategischen Nach- teil gegenüber der IS-Miliz hätten . Letzten Februar sagte er: Torture works . OK, folks? You know, I have these guys –”Torture doesn’t work!” – believe me, it works . And waterboarding is your minor form . Some people say it’s not actually torture . Let’s as- sume it is . But they asked me the question: What do you think of waterboarding? Absolutely fine. But we should go much stronger than waterboarding . Donald Trump sprach sich übrigens auch mehrmals für die Tötung von Familienmitgliedern von Terrorver- dächtigen aus . Den neuen amerikanischen Präsidenten ermutigen wir gern, „Amerika wieder groß zu machen“ . Am 4 . Juli 1776 gründeten die Gründerväter die Vereinigten Nati- onen von Amerika auf den Prinzipien der Freiheit . Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung ist das welt- weit erste offizielle Dokument, dass Menschenrechte postuliert: „Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle Menschen gleich erschaffen worden, daß sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freyheit und das Bestreben nach Glückseligkeit .“ Seitdem haben die USA sich unerlässlich als Schutz- und Trutzmacht der Frei- heit weltweit eingesetzt . Seit Guantanamo, Abu Ghuraib oder außerordentlichen Überstellungen sind die USA aber kein Vorbild mehr . Daher ermutigen wir – ermutige ich – den neuen Präsidenten, „Amerika wieder groß zu machen“: Amerika wieder zur größten Schutzmacht für jeden Freiheitsliebenden dieser Welt zu machen . Frank Schwabe (SPD): Wir befassen uns heute mit dem Jahresbericht 2015 der Nationalen Stelle zur Ver- hütung von Folter . Die Nationale Stelle ist Deutschlands Einrichtung für die Wahrung eines menschenwürdigen Lebens von Personen, denen ihre Freiheit entzogen wur- de . Es ist eine sehr wichtige Einrichtung . Aus ihrem Jah- resbericht erfahren wir, ob in Deutschland Menschen, denen ihre Freiheit entzogen wurde, menschenwürdig untergebracht und behandelt wurden . Hierfür überprüft die Nationale Stelle Orte der Freiheitsentziehung wie Dienststellen der Bundespolizei, Haft- und Arrestein- richtungen der Bundeswehr, Justizvollzugsanstalten, Ju- gendarrestanstalten, Abschiebungshaftanstalten, psychi- atrische Kliniken sowie Alten- und Pflegeheime. Die Untersuchungen der Nationalen Stelle zur Verhü- tung von Folter sind auch insofern wichtig, da wir oft und zu Recht Folter und unmenschliche Behandlung und Strafe im Ausland kritisieren . Deshalb müssen wir darauf achten, dass auch wir selbst jene menschenrechtlichen Standards einhalten, die wir von anderen fordern . „Folter versteht sich als jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden … .“ So steht es im Über- einkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Be- handlung oder Strafe vom 10 . Dezember 1984, der soge- nannten Antifolterkonvention . Es ist erfreulich, dass die Nationale Stelle zusammenfassend feststellen kann, dass es in Deutschlands Gewahrsamseinrichtungen keine Fol- ter gibt . Allerdings gibt es Situationen und Missstände, die nicht mit der Menschenwürde vereinbar sind . Die- se Missstände müssen wir ernst nehmen und beseitigen . Bund und Länder sind hier gleichermaßen gefordert . Laut Artikel 2 der Antifolterkonvention ist jeder Ver- tragsstaat verpflichtet, „… wirksame gesetzgeberische, verwaltungsmäßige, gerichtliche oder sonstige Maß- nahmen, um Folterungen in allen seiner Hoheitsgewalt unterstehenden Gebieten zu verhindern“, durchzufüh- ren . In diesem Sinne wurde 2002 die Konvention durch ein Fakultativprotokoll ergänzt. Dieses verpflichtet die Unterzeichnerstaaten, einen Nationalen Präventionsme- chanismus einzurichten, der dafür sorgt, dass freiheits- einschränkende Institutionen, die der staatlichen Gewalt unterliegen, die Antifolterkonvention einhalten . Bis Ende 2015 wurde das Fakultativprotokoll von 98 Staa- ten unterzeichnet und von 80 ratifiziert. 63 Staaten haben bereits einen Nationalen Präventionsmechanismus ein- gerichtet . Die SPD-Bundestagsfraktion hat lange für die Ratifi- zierung des Zusatzprotokolls gekämpft . In Deutschland wurde der Nationale Präventionsmechanismus 2009 zu- nächst in Form der Bundesstelle eingerichtet, 2010 dann Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19957 (A) (C) (B) (D) ergänzt durch die Länderkommission . Bundesstelle und Länderkommission bilden gemeinsam die Nationale Stelle . Der Zuständigkeitsbereich der Bundesstelle ist mit 280 Gewahrsamseinrichtungen klein im Vergleich zu jenem der Länderkommission . Diese ist für meh- rere Tausend Einrichtungen zuständig . Dazu gehören 1 270 Dienststellen der Landespolizei, etwa 550 psychia- trische Fachabteilungen sowie 10 900 Alten- und Pflege- heime . Dies ist eine immense Herausforderung . Als Schnittstelle zwischen internationalem Abkom- men und deutschem Recht besteht die Nationale Stelle aus einem unabhängigen Gremium, das auf Missstände aufmerksam macht und Verbesserungsvorschläge unter- breitet . Viele frühere Empfehlungen der Nationalen Stel- le wurden umgesetzt, jedoch fast ausschließlich in den besuchten Einrichtungen, nicht aber landes- und bundes- weit in Einrichtungen mit ähnlich gelagerten Problemen . Dies ist bedauerlich und muss sich ändern . Zu den Problemen und Missständen in freiheitsentzie- henden Institutionen in Deutschland zählen zum Beispiel fehlende Rauchmelder, fehlende Intimsphäre der Gefan- genen, unzulässige Doppelbelegung einer Zelle, nicht dimmbare Beleuchtung, fehlende Papierunterwäsche und teilweise schlechte bauliche Zustände der Einrichtungen . Auch der aktuelle Fall des Terrorismusverdächtigen Jaber Albakr hat deutlich gemacht, dass zumindest in der Leipziger JVA Handlungsbedarf besteht . Der inhaftierte Syrer hätte besser bewacht werden müssen und keine Gelegenheit erhalten dürfen, sich das Leben zu nehmen . Dass dies geschehen konnte, ist allein schon Beleg für strukturelle und personelle Probleme in dieser JVA . Speziell 2015 stellte die unerwartet hohe Zahl der Flüchtlinge eine große Herausforderung für Deutschland und die damit befassten Einrichtungen dar . So war zum Beispiel das Bundespolizeirevier in Passau auf die vie- len Menschen nicht ausreichend vorbereitet . Sie wurden daher auch in Räumen untergebracht, die die Besuchs- delegation der Bundesstelle als nicht geeignet empfand . Außerdem mussten Personen untergebracht werden, die verdächtig waren, eine Straftat begangen zu haben . So war eine Einzelzelle doppelt belegt; weder gab es eine abgetrennte Toilette in der Haftzelle noch einen Sicht- schutz durch die Gitter von außen . Problematisch sah die Delegation auch die Unterbringung von zehn Personen in einem Raum ohne Sitzgelegenheit an . Trotz der He- rausforderungen und dem hohen Arbeitsaufwand für die Bundespolizeiinspektion Freyung mit ihrer Zuständig- keit für sehr viele Flüchtlinge wird im Bericht das ins- gesamt hilfreiche und problembewusste Verhalten der Beamten gewürdigt . In einer von der Länderkommission besuchten Ju- gendarrestanstalt waren die 8 Quadratmeter großen Ar- resträume ebenfalls doppelt belegt, die Toilette war bau- lich nicht abgetrennt . Das Bundesverfassungsgericht hat solche Situationen als Verletzung der Menschenwürde eingestuft . Die Wahrung der Intimsphäre gehört zu je- nen Standards, die freiheitsentziehende Einrichtungen einhalten müssen . Dennoch gibt es in diesem Bereich viele Mängel, oft in Waschräumen, in denen Trennwände zwischen den Duschkabinen fehlen . Obwohl viele Ein- richtungen inzwischen ganz auf Türspione verzichten, was die Nationale Stelle empfiehlt, werden sie anderswo weiterhin benutzt . Auch auf die vollständige Entkleidung von Gefangenen sollte verzichtet werden . Sollte ein Aus- nahmefall bestehen, werden Papierunterwäsche und Pa- pierhemden empfohlen . Die Menschenwürde muss unter allen Umständen gewährleistet werden . Diese und andere Missstände konnten durch die Na- tionale Stelle aufgedeckt werden . Zugleich gibt sie den besuchten Einrichtungen vielfältige Empfehlungen – von Dolmetschern im Jugendstrafvollzug über bauliche Ver- änderungen bis hin zu unabhängigen Ermittlungs- und Beschwerdestellen . Da die Nationale Stelle eine präventi- ve Funktion wahrnimmt, richten sich ihre Empfehlungen nicht nur direkt an die von ihr besuchten Einrichtungen . Deshalb unterstützen wir ihre Bemühungen, die Emp- fehlungen bundesweit stärker bekannt zu machen, damit sie bei Bedarf in vergleichbaren Einrichtungen ebenfalls angewandt werden können . Auch sollten die Berichte auf der Internetseite besser zugänglich gemacht werden . Eine engere Zusammenarbeit mit europäischen Staaten, um gemeinsame Standards einzuführen und voneinander zu lernen, wie dies die Nationale Stelle plant, begrüßen wir sehr . Ich freue mich, dass es für das Jahr 2015 gelungen ist, die Nationale Stelle finanziell und personell aufzu- stocken . Das Budget wurde auf 540 000 Euro erhöht, die Anzahl der Mitglieder der Länderkommission auf acht verdoppelt, sodass mehr Einrichtungen besucht werden können . Dies ist gut, reicht aber nicht aus . Trotz verbes- serter Arbeitsbedingungen steht die Nationale Stelle wei- terhin vor einer großen Herausforderung . Mittelfristig muss der Präventionsmechanismus erneut finanziell und personell verstärkt werden . Die personelle und fachliche Erweiterung der Nationalen Stelle macht künftig auch verstärkt Besuche in Pflege- und Altenheimen möglich. Dies ist ein weites Feld, in dem viel Missbrauch gesche- hen kann, unabhängig davon, ob die Heime über ge- schlossene Abteilungen verfügen oder nicht . Insgesamt sind wir auf einem guten Weg . Die Natio- nale Stelle hat sich schon jetzt bewährt, die SPD-Bundes- tagsfraktion wird sie weiterhin in ihrer wichtigen Aufga- be unterstützen . Im Namen des Deutschen Bundestages danke ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Nationalen Stelle für ihre engagierte Arbeit . Annette Groth (DIE LINKE): Der Entschließungsan- trag der Koalition zeichnet in völligem Widerspruch zum Bericht der Nationalen Stelle ein rosarotes Bild von den Zuständen in den besuchten Einrichtungen . Die Koaliti- on sieht offensichtlich keinen Handlungsbedarf und hat die reale Lage nicht zur Kenntnis genommen . In keiner Weise thematisiert der Antrag die Tatsache, dass es drin- gend einer deutlichen Aufstockung der finanziellen und personellen Ressourcen für die Nationale Stelle und die Länderkommission bedarf, damit mehr Besuche in den Einrichtungen durchgeführt werden können . Zwar ist es positiv, dass 2015 die Anzahl der Mitglie- der der Länderkommission vergrößert wurde, dies ist aber nur ein erster Schritt . Auch die Erhöhung des Bud- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619958 (A) (C) (B) (D) gets der Nationalen Stelle auf 540 000 Euro ist lediglich ein erster bescheidener Anfang, der keinesfalls ausreicht . So schreibt die Nationale Stelle zwar in ihrem Be- richt: „Dies war für die Länderkommission ein wichtiger Schritt, da nun die Aufnahme der Besuchstätigkeit in den bisher nicht oder kaum abgedeckten Bereichen möglich wurde“, gleichzeitig zeigt der Bericht jedoch ganz klar auf, dass auch nach der Erhöhung der finanziellen und personellen Ressourcen für die Nationale Stelle nur we- nige Stichprobenbesuche in den zu überprüfenden Ein- richtungen durchgeführt werden können . Aufgabe der Nationalen Stelle ist es, Orte der Frei- heitsentziehung zu besuchen und vorhandene Missstände aufzuzeigen . Sie schlägt den Behörden konkrete Verbes- serungen vor . Dabei ist die Nationale Stelle für die etwa 280 Gewahrsamseinrichtungen der Bundeswehr, der Bundespolizei und des Zolls sowie für Rückführungs- maßnahmen, die von der Bundespolizei begleitet werden, zuständig . In die Zuständigkeit der Länderkommission fallen 184 organisatorisch selbstständige Justizvollzugs- anstalten, etwa 1 270 Dienststellen der Landespolizeien, alle Gerichte mit Vorführzellen, sieben Abschiebungs- hafteinrichtungen, circa 550 psychiatrische Fachabtei- lungen in speziellen Kliniken oder allgemeinen Kranken- häusern, 28 Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe mit geschlossenen Plätzen sowie geschlossene Heime für Menschen mit Behinderung und die circa 10 900 Alten- und Pflegeheime, in denen freiheitsentziehende Maßnah- men durchgeführt werden . Wer sich vor Augen hält, um was für ein riesiges Aufgabengebiet es sich handelt, erkennt sofort, dass die derzeitige Ausstattung der Nationalen Stelle und der Länderkommission bei weitem nicht ausreicht, um eine angemessene Prüfung der Situation in diesen Ein- richtungen durchzuführen . Deshalb fordert die Fraktion Die Linke seit vielen Jahren, die Mittel für die Nationale Stelle deutlich anzuheben und die Personalstellen für die Länderkommission auf mindestens 20 Vollzeitstellen zu erweitern . Im Bericht wird deutlich, dass eine Intensivierung der Besuche der Nationalen Stelle und der Länderkommis- sion mehr als notwendig ist . Wenn im Bericht zum Bei- spiel darauf hingewiesen wird, dass die Empfehlungen nach wie vor in vielen Fällen nur in der jeweils besuchten Einrichtung umgesetzt werden, aber nicht landes- bzw . bundesweit, ist dies mehr als bedauerlich . Daraus folgt jedoch auch, dass möglichst viele Einrichtungen besucht werden müssen, damit vorhandene Missstände abgestellt werden . Gleichzeitig werden in dem Bericht immer wieder schwerwiegende Eingriffe in die Menschenwürde be- klagt . So wird darauf hingewiesen, dass besonders ge- sicherte Hafträume per Video überwacht werden, wobei häufig die Intimsphäre der Untergebrachten nicht hin- reichend geschützt ist . Es ist höchst alarmierend, dass ein erheblicher Anteil der Gefangenen in den Gemein- schaftsduschen nur mit Unterwäsche bekleidet duschen will . Es muss so schnell wie möglich Sorge dafür getra- gen werden, dass die Intimsphäre der Betroffenen ausrei- chend geachtet und geschützt wird . Die Ausführungen im Bericht über die Jugendar- restanstalt Lebach sind erschreckend . Insbesondere im Jugendarrest sind Unterbringungsbedingungen, die die Menschenwürde verletzen, nicht akzeptabel . In dem Be- richt wird dargestellt, dass Arresträume, die über eine Grundfläche von lediglich 8 Quadratmetern verfügen und deren Toilette nicht baulich abgetrennt und geson- dert entlüftet wird, doppelt belegt sind . Solche Zustände wurden vom Bundesverfassungsgericht als Verletzung der Menschenwürde bewertet . Auch der Hinweis, dass bei den Nachfolgebesuchen in den Jugendarrestanstal- ten Düsseldorf und Wetter (Ruhr) durch die Länderkom- mission ein Großteil ihrer Empfehlungen trotz teils an- derslautender Mitteilungen der Aufsichtsbehörde nicht umgesetzt worden waren, ist erschreckend . Es ist skandalös, dass die Fixierung von Personen in Polizeidienststellen, die die Nationale Stelle als „men- schenunwürdig“ bezeichnet, immer noch nicht abge- stellt wurde . Außerdem weist die Nationale Stelle in ih- rem Bericht darauf hin, dass Durchsuchungen, die mit einer vollständigen Entkleidung verbunden sind, einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlich- keitsrecht darstellen . Sie fordert deshalb völlig zu Recht, diese auf das absolut notwendige Maß zu reduzieren . Ich kann mich nur voll und ganz der Einschätzung der Nationalen Stelle anschließen, dass die Durchsu- chung Geflüchteter in Abschiebeeinrichtungen bei ih- rer Inhaftierung unter vollständiger Entkleidung einen schwerwiegenden Eingriff in die Intimsphäre darstellt . Ausdrücklich unterstütze ich den Hinweis der Nationalen Stelle in ihrem Bericht, dass Abzuschiebende keine Kri- minellen sind . Es zeigt sich an diesem Kapitel im Bericht überdeutlich, welche menschenrechtlich nicht akzepta- blen Praktiken in Abschiebeeinrichtungen noch immer vorzufinden sind. Diese müssen sofort abgestellt werden. Für die Fraktion Die Linke möchte ich ausdrücklich meinen Dank an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Nationalen Stelle und der Länderkommission für ihre wichtige Arbeit aussprechen . Ich fordere die Bun- desregierung auf, endlich die Ausstattung der Nationalen Stelle und der Länderkommission deutlich zu verbessern, damit Deutschland seinen eingegangenen Verpflichtun- gen aus dem Fakultativprotokoll zum Übereinkommen (OPCAT) angemessen nachkommen kann . Nur mit einer spürbaren Anhebung des Budgets und der Personalstellen kann die Nationale Stelle den präventiven Ansatz, den sie als wichtigen Teil der Sicherung der Menschenrechte und der Menschenwürde für Gefangene und Menschen, die in Einrichtungen untergebracht sind, in denen ihre Freiheit eingeschränkt wird, umsetzen und so ihren Verpflichtun- gen nachkommen Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das Verbot von Folter ist eine der zentralen Menschenrechts- garantien, die der Staat zu gewährleisten hat . Erwachsen aus dem Zusatzprotokoll zur UN-Anti-Folter-Konventi- on von 2002 ist hier auf deutscher Ebene die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter . Ihre gesetzliche Aufgabe ist es, die Orte, an denen Menschen die Freiheit entzogen werden kann, zu besuchen und Missstände aufzudecken . Das Mandat umfasst sowohl körperliche als auch seeli- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19959 (A) (C) (B) (D) sche Formen der Gewalt und Misshandlungen und geht damit über einen eng gefassten Folterbegriff hinaus . Es ist seit langem klar, dass die Nationale Stelle der- zeit diesen Auftrag nicht einmal ansatzweise erfüllen kann . Leider wird dies auch im nun vorgelegten Jah- resbericht 2015 wieder einmal deutlich . Es ist daher ab- solut überfällig und dringend, dass die seit Jahren von den Grünen im Bundestag geforderte Aufbesserung der finanziellen Mittel in Zukunft im Bundeshaushalt durch- gesetzt wird . Lassen Sie mich einige Beispiele nennen, an denen die mangelhafte Ausstattung der Nationalen Stelle sich offenbart . Zunächst einmal ist da die internationale Kritik, die in der Vergangenheit an Deutschland geäußert wurde . So- wohl die Vereinten Nationen als auch der Europäische Ausschuss zur Verhütung der Folter haben die mangel- hafte Ausstattung der Nationalen Stelle mehrfach scharf kritisiert . Dass trotz dieser mehrfachen Kritik eine wirk- liche Verbesserung der Verhältnisse verweigert wurde, ist – man kann es nicht anders sagen – ein wiederkehren- des Armutszeugnis für die Bundesregierung . Zudem ist die Leitung der Stelle noch immer ehren- amtlich und wird von noch nicht einmal zehn Mitarbeite- rinnen und Mitarbeitern unterstützt, die zudem zeitgleich für die achtköpfige Länderkommission tätig sind. Der Besuch Hunderter Einrichtungen, die in den Zuständig- keitsbereich der Nationalen Stelle fallen, ist somit fak- tisch unmöglich . Im Jahr 2015 wurden laut Bericht ins- gesamt 41 Besuche durchgeführt . Schaut man sich die besuchten Einrichtungen an, so wird deutlich, dass ins- besondere zwei Felder aufgrund der demografischen Ent- wicklung sowie der aktuellen Lage vermehrte Aufmerk- samkeit durch eine besser ausgestattete Nationale Stelle bekommen müssen: erstens die Pflege- und Altersheime, zweitens die Unterkünfte für Geflüchtete. In Zukunft werden immer mehr Menschen in Deutsch- land in Pflege- und Altersheimen wohnen. Die teilweise dramatischen Zustände in diesen Einrichtungen, die sich sowohl auf Bewohnerinnen und Bewohner als auch auf die Pflegekräfte auswirken, sind weithin bekannt. Viel zu oft werden Schutzlose und Pflegebedürftige Opfer kör- perlicher und seelischer Gewalt, ausgeübt ausgerechnet von denjenigen, denen sie aufgrund ihrer Situation ver- trauen müssen . Viel zu oft werden Seniorinnen und Se- nioren mit nachlassender körperlicher Kraft Opfer von Willkür und Repression im Altersheim . Gerade auch bei diesen Fällen von nichtstaatlichen Einrichtungen sind die Überwachung und ganz ausdrücklich auch die Präventi- on, die sich aus dem Folterverbot ergeben, von immenser Wichtigkeit . Kommen wir zum zweiten großen Thema: Aus dem gesamten Bundesgebiet gab es während des letzten Jah- res Berichte über die unhaltbaren Zustände in den Un- terkünften für Geflüchtete. Der sächsische Flüchtlingsrat beispielsweise kritisierte im Sommer dieses Jahres die unhaltbaren Zustände einer Gemeinschaftsunterkunft in Rossau . Keine Küchen, keine Betten und verschmutzte sanitäre Anlagen – so der Bericht des Flüchtlingsrates . Doch was machte das zuständige Landratsamt als Re- aktion auf die Vorwürfe? Anstatt Transparenz herzustel- len, dementierte es die Vorwürfe schlichtweg und, noch schlimmer, erteilte dem Flüchtlingsrat Hausverbot . Ein gravierendes Beispiel, das verdeutlicht, dass wir dringend nicht nur einen Aufstand der Anständigen, son- dern auch einen Aufstand der Zuständigen in diesem Land brauchen . Hierbei könnte die Nationale Stelle hel- fen . Sie könnte in diesem und unzähligen vergleichbaren Fällen mit einer besseren finanziellen und personellen Ausstattung eine immens wichtige Lücke füllen . Die Be- suche bei einigen Stellen der Bundespolizei, die mit der Erstregistrierung Geflüchteter befasst waren, sowie der Abschiebungshaftanstalt Eisenhüttenstadt und die Beob- achtung einer Rückführung von 106 Personen von Leip- zig nach Belgrad sind hier leider nichts als Tropfen auf den heißen Stein . Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat be- reits im Jahr 2013 eine Erhöhung der Bundesmittel auf 300 000 Euro und anschließend weitere Budgetsteige- rungen gefordert . Es ist an der Zeit, dass sich die Bun- desregierung bewegt und die Nationale Stelle in Zukunft angemessen unterstützt . Denn der Humanismus und die Reife einer Gesellschaft zeigen sich vor allem darin, wie mit den Schwächsten und Schutzbedürftigsten in ihren Reihen umgegangen wird . Und kaum eine Gruppe ist schutzbedürftiger als Folteropfer . Anlage 17 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu- sammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Fluchtur- sachen bekämpfen − Aufnahmestaaten um Syrien sowie Libyen entwicklungspolitisch stärken (Ta- gesordnungspunkt 28) Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): „Fluchtursachen be- kämpfen“ ist zu einem geflügelten Begriff geworden. Kaum eine Debatte über Syrien oder Afrika kommt ohne diese Formulierung aus . Wenn man diesen Begriff wörtlich nimmt, müssten wir eigentlich über Konfliktbe- friedung und Konfliktvermeidung sprechen – sind doch Konflikte die größten Verursacher von Flucht. Doch wir wissen, wie schwer es die Diplomatie hat, gerade in Syri- en eine politische Lösung des Konflikts herbeizuführen. Als Entwicklungspolitiker können wir jedoch die- jenigen Staaten unterstützen, die die Masse der rund 5 Millionen syrischen Flüchtlinge aufgenommen haben und deshalb vor enormen innenpolitischen Herausfor- derungen stehen . Ich denke da vor allem an die Türkei, Jordanien, Libanon, Nordirak und Libyen . Diese Länder leisten Hervorragendes, und die internationale Gemein- schaft und auch wir zollen den Verantwortlichen für ihre Hilfsbereitschaft Dank und Respekt . Die Auswirkungen der großen Zahl an Flüchtlingen in diesen Ländern auf den Arbeitsmarkt, den Wohnungs- markt, die soziale Infrastruktur und auch den Zusammen- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619960 (A) (C) (B) (D) halt der Gesellschaft sind gewaltig . Daher müssen wir unser komplettes entwicklungspolitisches Instrumentari- um anwenden, um die Länder bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise zu unterstützen . Dazu zählt zunächst die Finanzierung der Arbeit der internationalen Hilfswerke, seien es das UNHCR, UNICEF oder andere . Wir haben unsere Beiträge erhöht und teilweise auch früher ausge- zahlt, um diesen Institutionen die notwendige Planungs- sicherheit zu ermöglichen . Ich hoffe, dass auch andere Geber ihre Zusagen zeitnah einhalten werden, damit die internationalen Hilfsinstitutionen nicht wieder in eine Si- tuation kommen, in der sie aufgrund von Unterfinanzie- rung vor Ort Rationen kürzen müssen . Neben der Finanzierung der internationalen Arbeit leisten wir schon seit Jahren natürlich die reguläre, bi- laterale Entwicklungszusammenarbeit mit diesen Län- dern, die wir zudem noch über das Instrumentarium der Übergangshilfe und Krisenbewältigung vor Ort sinn- voll ergänzen können . Deren Fokus liegt vor allem auf den Gemeinden und Kommunen, in denen das Gros der Flüchtlinge in den Aufnahmestaaten lebt . Und nicht zu- letzt können wir auf die großen Mittel der speziell ge- schaffenen Sonderinitiativen im Rahmen des BMZ-Etats zurückgreifen . Deren Einführung erweist sich im Rück- blick als Glücksfall für die Handlungsfähigkeit der deut- schen EZ in der betroffenen Region . In der Summe kann sich unser Instrumentarium mehr als sehen lassen . All unsere Maßnahmen und Instrumente haben das Ziel, die aufnehmenden Länder zu stabilisieren und die dort lebenden Flüchtlinge zu unterstützen; denn machen wir uns nichts vor: Diese Volkswirtschaften und Gesell- schaften leiden schon heute unter Ressourcenknappheit, die durch die große Zahl der Flüchtlinge noch verstärkt wird . Daher müssen wir alles tun, um innergesellschaft- liche Spannungen zu verhindern und auch die Geflüch- teten vor Ort in Lohn und Brot zu bringen . Insbesondere das „Cash-for-Work“-Programm hat hier großes Potenzi- al . Rund 40 000 Menschen konnten schon über Jobs be- schäftigt werden, die so ihre Familien ernähren können . Bis Jahresende hoffen wir, 50 000 Menschen anzustellen . Insgesamt erreichen wir damit eine Viertelmillion Fa- milienmitglieder . Ich möchte in diesem Zusammenhang noch auf zwei Punkte hinweisen, nämlich dass die Mittel, die in dieser Region ausgegeben werden, die circa 10- bis 20-fache Wirkung entfalten als in Deutschland, und dass ich hoffe, dass der sogenannte „Jordan Compact“ als wirtschaftlich selbsttragendes Modell doch noch zum Erfolg geführt werden kann – aber das nur am Rande . Zurück zu „Cash for Work“ . Das Programm ist nicht nur eine Beschäftigungsmaßnahme: Wir investieren gleichzeitig auch in die örtliche Infrastruktur und Aus- bildung . Durch das „Cash-for-Work“-Programm können rund 335 000 Kinder in die Schule gehen, über 11 000 Be- rufsschüler ausgebildet, über 1 700 Wohnungen sowie 40 andere Gebäude wie Schulen oder Gesundheitssta- tionen gebaut und mehrere Hundert Kilometer Straßen instand gehalten werden . Darüber haben wir uns ja in der gestrigen Ausschusssitzung ausführlich unterrichten las- sen . Auch das gehört zur Erfolgsbilanz und muss auch an dieser Stelle deutlich gewürdigt werden . Dennoch wissen wir, dass die Aufnahmestaaten vor schwierigen Herausforderungen stehen . Das gilt insbe- sondere für Libyen, einem Land, dem in meinen Augen eine Schlüsselrolle zukommen wird . Den Friedens- schluss vor einem knappen Jahr zur Bildung einer Ein- heitsregierung haben wir alle noch gut in Erinnerung . Der Bürgerkrieg war lang und schlimm genug . Wir be- obachten, dass die neue Zentralregierung in Tripolis sich um die Konsolidierung der staatlichen Strukturen be- müht . Dennoch gibt es im Land Spannungen und droht ein Verlust staatlicher Autorität . Libyen darf kein „failed state“ und Transitland für Migration werden, in dem kri- minelle Schleuserstrukturen ihr menschenverachtendes Unwesen treiben können . Daher ist es gut und richtig, dass Deutschland zur Initiierung der Stabilisierungsfazi- lität des Entwicklungsprogramms der Vereinten Natio- nen 10 Millionen Anschubfinanzierung leistet. Lassen Sie mich zusammenfassen . Das Thema „Fluchtursachen bekämpfen“ ist in aller Munde . Die Ent- wicklungspolitik hat die Bedeutung erfasst und liefert . Das von der Bundeskanzlerin Merkel angekündigte ver- stärkte Engagement bei der Fluchtursachenbekämpfung setzen das Entwicklungsministerium und auch das Aus- wärtige Amt eindrucksvoll um . Die Ergebnisse können sich sehen lassen . Unsere Mittel und Instrumente wirken . Mehr kann man in der jetzigen Situation von der Ent- wicklungspolitik nicht verlangen . Ich hoffe, dass es der Diplomatie bald gelingen wird, einen Frieden in Syrien zu vermitteln, damit das Morden ein Ende hat und die Geflüchteten in ihr Land zurückkehren können. Dann – und das wissen wir nur zu gut – beginnt eine ganz andere Aufgabe für die Entwicklungspolitik . Aber auch dafür sind wir bereit . Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU): Beim Luftangriff auf das syrische Idlib, südlich von Aleppo, vor zwei Wochen haben wir zusehen müssen, wie 22 Kinder und 6 Lehrer getötet wurden . Es war bisher der Angriff auf eine Schu- le, der am meisten Todesopfer gefordert hat . Obwohl Bildungseinrichtungen ebenso wie Krankenhäuser nach internationalem Recht unter besonderem Schutz stehen, hat UNICEF seit Beginn des gewaltsamen Konflikts in Syrien vor fünf Jahren mittlerweile über 4 000 Attacken auf Schulen gezählt . Jede dritte Schule in Syrien ist inzwischen außer Be- trieb . Ich habe größten Respekt vor dem Mut der Leh- rer, die sich trotz der Gefahr für ihr Leben hinstellen und versuchen, den Kindern Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen . Die versuchen, den Kindern Normalität zu vermitteln, und sich dafür anstrengen, dass die Kinder trotz des Kriegs nicht völlig aus der Bildung herausfal- len . Ich habe auch größten Respekt vor den Kindern, die trotz der täglichen Bomben, Kampfflugzeuge, Hub- schrauber, Tretminen und Heckenschützen den Ent- schluss fassen, sich jeden Morgen auf den gefährlichen Weg in die Schule aufzumachen . Diese Kinder tragen keine Schuld an dem brutalen Krieg in ihrem Land, dem sie ausgeliefert sind . Sie wollen sich nicht ihre Zukunft rauben lassen . Sie wollen nicht zu einer verlorenen Gene- ration werden . Ich habe Respekt vor den Menschen, die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19961 (A) (C) (B) (D) in Aleppo ausharren, weil sie das Letzte, was sie besit- zen, nicht zurücklassen wollen . Oder weil sie ihren Ver- wandten und Freunden beistehen wollen . Ich habe aber auch bei allem Respekt für die, die blei- ben, Verständnis für die, die diese tägliche Hölle nicht mehr aushalten und vor den Zuständen fliehen, weil sie die Zustände nicht mehr ertragen . Oder ganz einfach, weil sie Angst um die Gesundheit und das Leben ihrer Kinder haben . 5 Millionen Menschen haben die Zustände nicht mehr ertragen und sind aus Syrien geflohen. Davon sind über 80 Prozent in die Nachbarländer Syriens geflohen. Sie sind nicht zu uns nach Europa gekommen, sie sind in der Region geblieben und haben dort Aufnahme gefunden . In unserem Antrag „Fluchtursachen bekämpfen – Auf- nahmestaaten um Syrien sowie Libyen … stärken“ sagen wir sehr deutlich, dass wir diese Aufnahmestaaten nicht im Stich lassen dürfen . Denn alle Saaten sind von der Last der Flüchtlinge überdurchschnittlich stark gefordert, einige überfordert . Im Libanon leben 1,2 Millionen syrische Flüchtlinge, und in Jordanien haben 650 000 Syrer Schutz gefun- den . In beiden Ländern kippt die Stimmung . Und das hat Gründe . Das wirtschaftliche Wachstum in Jordanien sinkt seit fünf Jahren kontinuierlich, was ja auch kein Wunder ist, wenn die vor Beginn der Gewalt wichtigsten Absatzmärkte, Syrien und der Irak, fast ganz weggefallen sind . Die Verschuldung in Jordanien hat immer weiter zu- genommen und liegt schon fast bei 100 Prozent . Die Ju- gendarbeitslosigkeit liegt mittlerweile bei 30 Prozent . In beiden Ländern werden die Forderungen immer deutli- cher, dass die syrischen Flüchtlinge zurück in ihr Land müssen, weil man die Versorgung der Flüchtlinge nicht mehr bewältigen kann, weil die Gesellschaft vor eine Zerreißprobe gestellt ist . Wohin sollen die Syrer zurück? In den Bombenhagel? Die Lösung des Syrien-Konflikts ist die wichtigste Voraussetzung für eine Rückkehr der über 4 Millionen syrischen Flüchtlinge, die sich in den Nachbarländern aufhalten . Wir müssen weiter alles für eine politische Lösung tun, damit es so bald wie möglich ein Ende der Gewalt in Syrien geben kann . Aber bis dahin muss die Versorgung der Flüchtlinge im Land und in den Staaten um Syrien sowie die Stabilisierung der Aufnahmestaaten und -gemeinden im Mittelpunkt stehen . Wir setzen mit unseren Maßnahmen an den richtigen Stellen an . Wir helfen, die Wasser- und Stromversorgung so auszubauen, dass alle Menschen erreicht werden . Wir können beim „Cash-for-Work“-Programm eine gute Bi- lanz ziehen und haben mit den aktuell knapp 40 000 Jobs unser Ziel für 2016, 50 000 Jobs zu schaffen und damit insgesamt 250 000 Menschen ein Einkommen zu bieten, schon fast erreicht . Mit der Sanierung von Wohnungen, Straßen und Ab- wasserleitungen im Libanon, in Jordanien, im Irak und in der Türkei tragen wir gleichzeitig dazu bei, dass sich die Lebensbedingungen für alle Menschen dort verbessern . Mit der Bezahlung von Lehrern sorgen wir dafür, dass wir für möglichst viele der Flüchtlingskinder aus Syrien, aber auch für die Kinder der einheimischen Bevölkerung der Aufnahmestaaten Bildung zur Verfügung stellen kön- nen . Damit eben keine verlorene Generation entsteht . Im Irak, der mit 250 000 syrischen Flüchtlingen gleichzeitig Aufnahmestaat ist und dazu noch 3,3 Millio- nen Binnenvertriebene zu versorgen hat, die im eigenen Land fliehen mussten, deuten sich mit der Rückerobe- rung des Landes vom IS jetzt die Herausforderungen an, die auch in Syrien auf uns zukommen werden, sobald dort ein Frieden erreicht werden kann . Das sind neue Herausforderungen, die vor allem die Frage betreffen, wie Aufbau, Versöhnung und stabiler Frieden gleichzeitig erreicht werden können . Wir sind aber jetzt schon gefordert, den Blick nach vorne zu rich- ten, um vorbereitet zu sein und am Tag X in Syrien direkt handeln zu können, denn es gibt keine Zeit zu verlieren . Wenn in Syrien die Gewalt beendet ist, werden wir den Menschen schnell beim wirtschaftlichen Neuanfang hel- fen müssen . Wenn wir verhindern wollen, dass nach einem Frie- densschluss die Gewalt immer und immer wiederkehrt und dann noch mehr Menschen aus Syrien fliehen müs- sen und die Region so dauerhaft instabil bleibt, dann wird das aber nicht ausreichen . Wir werden auch die schwie- rige Aufgabe lösen müssen, die Menschen bei einem ge- sellschaftlichen Neuanfang zu unterstützen . Wir sind gefordert, jetzt schon darüber nachzudenken, wie wir bei der Gestaltung eines Syriens helfen, in dem bei allen ethnisch-religiösen Unterschieden und bei al- lem gegenseitig zugefügten Leid ein friedliches Zusam- menleben gefördert werden kann . Mit welcher Versöh- nungsarbeit wir wo ansetzen müssen, welche Programme zur Förderung des religiösen Dialogs es braucht . Auf welche Weise wir beim Aufbau einer tragfähigen staat- lichen Struktur mithelfen, die Entstehung einer Zivilge- sellschaft fördern, wo wir helfen, möglicherweise not- wendige Dezentralisierungsmaßnahmen durchzuführen . Wie wir es schaffen können, Minderheiten in die neuen Strukturen einzubinden, die beim Wiederaufbau des Lan- des entstehen . Wir stehen hier vor großen Aufgaben, die jahrelanges entwicklungspolitisches Engagement erfordern werden . Entwicklungspolitisches Engagement, ohne das Syrien niemals stabilisiert werden kann . Wichtig ist, dass wir auf den Tag X gut vorbereitet sind . Das heißt, wir haben zwei prioritäre Aufgaben: die Stabilisierung der Aufnahmestaaten konstant weiterzu- führen und gleichzeitig die Maßnahmen vorzubereiten, die notwendig sein werden, um ein Syrien wiederauf- zubauen, in dem alle Bevölkerungsteile zu dauerhaftem Frieden finden. Ein Land, das Teil einer stabilen Region Naher und Mittlerer Osten wird . Beides sind schwierige Aufgaben . Ich bin überzeugt, dass wir sie schaffen können . Gabriela Heinrich (SPD): Perspektivlosigkeit ist eine häufige Ursache dafür, dass sich Menschen ent- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619962 (A) (C) (B) (D) scheiden, weiterzuziehen . Wenn Menschen einem Krieg entkommen sind und dann in einem Nachbarland aufge- nommen werden, haben sie ihr Leben gerettet, viel mehr aber häufig nicht. Für viele Menschen gilt: kein Zugang zum Arbeitsmarkt, kein Geld, keine vernünftige Unter- kunft, und die Kinder können keine Schule besuchen . Ein solches Leben können Menschen, die vor einem Krieg fliehen, eine Weile aushalten, und das tun sie. Aber was, wenn der Konflikt weitergeht? Der Syrien-Krieg tobt seit 2011 . Deswegen konnte sich niemand wundern, als im letzten Jahr viele der Flüchtlinge ihre Flucht fortgesetzt haben; denn niemand will Perspektivlosigkeit als Dauer- zustand für sich und für die eigene Familie . Seit die Große Koalition Ende 2013 an den Start ge- gangen ist, hat sich sehr viel geändert . Wir investieren jetzt massiv in die Region und helfen den Aufnahme- staaten . Dazu haben wir vor allem den Haushaltstitel „Krisenbewältigung und Wiederaufbau, Infrastruktur“ massiv ausgebaut, von 49 Millionen Euro im Jahr 2013 auf zuletzt 400 Millionen Euro im Jahr . Auf der Geber- konferenz in London hatten wir mit 2,3 Milliarden Euro die größte Einzelzusage gegeben und auch eingehalten . Wir engagieren uns zum Beispiel mit der Schaffung von bis zu 50 000 Arbeitsplätzen für Flüchtlinge in den Auf- nahmestaaten im Rahmen der Initiative „Cash for Work“ . Mit dem vorliegenden Antrag gehen wir diesen Weg wei- ter . Die Frage „Was geht uns das denn an?“ stellt sich heute kaum noch jemand, und das ist gut so . Mit dem Antrag wollen wir weiter daran arbeiten, Per- spektiven für die Flüchtlinge in den Hauptaufnahmestaa- ten zu schaffen. Dazu gehört auch die flächendeckende Absicherung des Schulunterrichts für alle Kinder in den Aufnahmestaaten . Wir gehen aber noch weiter; denn mit dem Antrag fordern wir auch mehr Engagement bei der zivilen Krisenprävention . Wir sprechen uns klar für eine politische Lösung für Syrien aus, und wir wollen im Rah- men der Entwicklungszusammenarbeit solche Maßnah- men stärken, die der Stabilisierung der Region dienen . Um die Konfliktbearbeitung, die Achtung der Menschen- rechte und den Dialog in den Aufnahmestaaten zu för- dern, setzen wir auch auf die Deutsche Welle und den Zivilen Friedensdienst . Das ist wichtig; denn wir müssen Konflikten zwischen den Flüchtlingen und den Aufnah- megesellschaften entgegenwirken . Viele Flüchtlinge haben Grausames erlebt; wir brau- chen daher auch mehr Traumaarbeit, mehr Aufarbeitung . Aber es geht noch um mehr . Wir wollen schließlich, dass irgendwann die Menschen nach Syrien zurückkeh- ren können, und dann werden sich auch Menschen der verschiedenen Konfliktparteien wieder gegenüberstehen. Natürlich ist das erste Ziel der Frieden für Syrien . Aber wir müssen heute schon daran arbeiten, dass der Frieden nachhaltig wird . Deswegen dürfen wir nicht warten, son- dern müssen schon jetzt – in den Aufnahmestaaten der Flüchtlinge – Konfliktprävention und den Dialog för- dern . Genau das fordern wir mit unserem Antrag . Die Oppositionsfraktionen haben in der Ausschussbe- ratung kritisiert, unser Antrag sei nicht umfassend genug, um Fluchtursachen zu beseitigen . Das ist richtig . Aber natürlich ist das Thema Fluchtursachen zu komplex, um es mit einem Antrag lösen zu können . Mit dem Antrag konzentrieren wir uns sinnvollerweise auf einen Aspekt der Fluchtursachen, nämlich darauf, die Aufnahmestaa- ten rund um Syrien zu stärken sowie Libyen zu stabili- sieren . Wir wollen die Länder stärker unterstützen, die vom Syrien-Konflikt am stärksten betroffen sind und den Großteil der Flüchtlinge aus Syrien bei sich aufgenom- men haben . Außerdem wollen wir zur Stabilisierung Li- byens beitragen, damit hier nicht der nächste Konflikt vor den Toren Europas weiter eskaliert, sondern eingedämmt wird . Dass die Grünen und die Linke diese Ansinnen im Ausschuss abgelehnt haben, finde ich sehr schade und nicht sachgerecht, zumal wir in dem Antrag einen wei- teren wichtigen Punkt ansprechen: Wiederaufbau und die stärkere Vernetzung von Außen-, Sicherheits- und Ent- wicklungspolitik . Die Frage, ob in Libyen ein Wiederauf- bau gelingt, ist genauso entscheidend wie die Frage, ob wir in Syrien – im Falle eines Endes des Krieges – einen Wiederaufbau hinbekommen . Ein wichtiger Grund für die Existenz des „Islamischen Staates“, für Terror und Konflikte ist die Perspektivlosigkeit. Es geht also darum, weiterzudenken und weiter zu unterstützen, und zwar ge- rade auch dann, wenn die Waffen niedergelegt sind; denn das ist der Punkt, wo sich entscheidet, ob der Frieden dauerhaft sein wird oder nicht . Stefan Rebmann (SPD): Ende 2015 waren welt- weit 65,3 Millionen Menschen auf der Flucht . Das ist die höchste Zahl, die jemals vom UNHCR gemessen wurde . Im Rahmen der Berichterstattung in Deutschland konn- te leicht der Eindruck entstehen, diese Menschen hätten sich alle auf dem Weg nach Europa bzw . nach Deutsch- land gemacht . Betrachtet man jedoch die tatsächlichen Zahlen, relativiert sich dieser Eindruck recht schnell . Ja, es sind viele Menschen nach Deutschland geflohen, 890 000 um genau zu sein . Aber 86 Prozent, also neun von zehn Flüchtlingen weltweit, leben in Entwicklungs- ländern . Nicht etwa Deutschland zählt zu den größten Aufnahmeländern, sondern die Türkei (2,5 Millionen), der Libanon (1,1 Millionen) und Jordanien (664 100) . Die Zahl im Falle Jordaniens ist zwar geringer als die Zahl der Menschen, die Deutschland aufgenommen hat, im Vergleich zur Gesamtbevölkerung aber wesent- lich höher . In Anbetracht der Herausforderungen, denen wir als reiche Industrienation im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise gegenüber stehen, ist es nicht schwer, zu erahnen, dass diese in wirtschaftlich schwächeren Län- dern ungleich höher sind . Zunächst stellt die Erstunterbringung und Versorgung eine zentrale Aufgabe dar . Nachgelagert haben so große Flüchtlingszahlen auch Auswirkungen auf die Wohn- und Arbeitsmärkte, Gesundheitssysteme und Bildungsein- richtungen der Aufnahmeländer . Diese Vielschichtigkeit an Herausforderungen zeigt auch: Entwicklungszusam- menarbeit alleine kann hier nicht das Allheilmittel sein . Fluchtursachenbekämpfung ist folglich immer eine res- sortübergreifende Aufgabe . Der vorliegende Antrag ist auch nicht als ein allum- fassendes Instrument zur Fluchtursachenbekämpfung im Allgemeinen zu verstehen . Hier geht es um einen sehr Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19963 (A) (C) (B) (D) wichtigen Teilbereich . Es ist unbedingt notwendig, dass alle finanziellen Zusagen, beispielsweise an die Hilfs- werke der UN, eingehalten werden . Wir haben im ver- gangenen Jahr gesehen, welch katastrophale Folgen die Unterfinanzierung des Welternährungsprogramms hatte. Das darf unter keinen Umständen erneut passieren . Neben der Sicherstellung von grundlegenden Bedürf- nissen, wie Unterbringung und Versorgung, müssen aber unbedingt auch Perspektiven für die geflüchteten Men- schen geschaffen werden . Dazu gehört beispielsweise die flächendeckende Absicherung des Schulunterrichts für geflüchtete Kinder, Traumaarbeit und die Berücksichti- gung besonderer Belange von Frauen und Kindern . Ebenso wichtig ist es, eine Perspektive für die Men- schen in den Aufnahmeländern selbst zu schaffen; denn sind Bildungsangebote in den Flüchtlingsunterkünften besser als im Rest des Aufnahmelandes, wird dies wiede- rum zu gesellschaftlichen Konflikten führen. Aus diesem Grund ist die entwicklungspolitische Stärkung in den Aufnahmeländern so wichtig, und die Bundesregierung hat hier schon einiges getan . Deutschland hat bei der in- ternationalen Geberkonferenz für Syrien mit 2,3 Milliar- den Euro bis 2019 die größte Einzelzusage getätigt . Als Entwicklungspolitiker freut mich zudem der Aufwuchs des Entwicklungsetats, der auf dem höchsten Stand der Geschichte steht, wenngleich das Ziel, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammen- arbeit auszugeben, noch nicht erreicht wird . Dieser Antrag ist ein wichtiger Schritt zur entwick- lungspolitischen Stärkung der Aufnahmeländer um Syri- en, aber auch eine Anerkennung für das, was diese Län- der bisher humanitär geleistet haben . Der Antrag ist eine deutliche Aufforderung an die Bundesregierung, weiter ihrer internationalen Verantwortung gerecht zu werden und nicht in ihren Anstrengungen nachzulassen, auf der einen Seite alles für eine Lösung des Syrienkonflikts zu tun und gleichzeitig die Nachbarstaaten bei der Unter- bringung der Flüchtlinge zu unterstützen . Heike Hänsel (DIE LINKE): Der vorliegende An- trag „Fluchtursachen bekämpfen“ von SPD und CDU/ CSU spiegelt realistisch die Außenpolitik der Bundesre- gierung wider: Sie reden ständig über die Bekämpfung von Fluchtursachen, aber Sie machen überhaupt nichts, um real Fluchtursachen zu bekämpfen . Sie betreiben eine Politik, die sich darauf konzentriert, Fluchtmöglichkei- ten, Fluchtwege und auch direkt Flüchtlinge zu bekämp- fen . In Ihrem Antrag konzentrieren Sie sich auf die schlechte Situation der Flüchtlingslager in den Nachbar- staaten Syriens und Iraks . Und es stimmt, die Lebens- bedingungen sind nach wie vor inhuman und unwürdig, und trotz vieler Appelle der UN-Organisationen reicht die finanzielle Ausstattung nicht aus. Wir haben das mehrfach kritisiert und deshalb auch in den Haushalts- verhandlungen gefordert, dass endlich die Regelbeiträge der Bundesregierung an die UN-Hilfsorganisationen wie UNHCR, WFP etc . erhöht werden und nicht immer, viel zu spät und zögerlich, im Nachhinein Gelder aufgestockt werden müssen; dies wäre ein überfälliger Schritt, um die Kürzung von Essensrationen, Schulangeboten usw . in Flüchtlingslagern von Beginn an zu verhindern . Das sind aber nur mittelbar Fluchtursachen, unmit- telbare Fluchtursachen sind doch die Kriege in der ge- samten Region . Dazu beigetragen hat eine unverant- wortliche Regime-Change-Politik des Westens . Und eine menschenverachtende Rüstungsexportpolitik in diese Region, allen voran von Deutschland . In 2016 haben wir erneut einen Höchststand an Exportgenehmigungen . Ernsthaft Fluchtursachen bekämpfen heißt, keine Waffen mehr in alle Welt zu exportieren . Und keine Entsendung von Bundeswehrsoldaten, noch dazu ohne völkerrechtli- che Grundlage! Stoppen Sie diese Kriegspolitik, und das würde dazu beitragen, dass weniger Menschen fliehen müssen . Weiterhin wird der Kurs der militärischen Aggressi- on ausgebaut . Dafür wird die Schaffung von verschie- denen militärischen Instrumenten auf der EU-Ebene als ein zentraler Bestandteil gesehen . Nach den Erfahrungen im Irakkrieg, im Kosovokrieg im Afghanistankrieg, im Jemen sollte eigentlich auch die aktuelle Bundesregie- rung begriffen haben, dass eine militärische Aufrüstung und militärische Aggression die Gewaltspirale weltweit weiter vorantreibt und der sogenannte Kampf gegen den Terrorismus nicht mit Waffengewalt gewonnen werden kann . Statt die Zusammenarbeit mit Despoten und autori- tären Regimen voranzutreiben, zum Beispiel Erdogan in der Türkei, muss diese Kumpanei beendet werden . Erdogan selbst ist doch die personalisierte Fluchtursache . Hunderttausende Kurden und Kurdinnen mussten bereits aus dem Südosten der Türkei vor dem Krieg Erdogans gegen die Zivilbevölkerung fliehen. Zum Beispiel wurde die Altstadt Diyarbakirs dem Erdboden gleichgemacht . Das muss beendet werden, und da braucht es klare Kante gegen den NATO-Partner Türkei und keine Unterstüt- zung durch Flüchtlingsdeals, Rüstungsexporte und Bun- deswehrsoldaten nach Incirlik . Dieses Mandat haben Sie, als Antragsteller, heute gerade verlängert, und dann spre- chen Sie von Bekämpfung von Fluchtursachen, während- dessen Sie Erdogan damit Grünes Licht geben, genauso weiterzumachen, wie bisher . Das heißt auch, Erdogan kann weitermachen mit seiner Unterstützung für islamis- tische Terrorgruppen und den IS, die ja maßgeblich für die Vertreibung Hunderttausender Menschen aus Syrien und Irak verantwortlich sind . Diese Politik von SPD/ CDU ist zynisch . Wer Fluchtursachen verhindern möchte, muss welt- weit faire Handelsbedingungen schaffen, statt weiterhin immer neue Freihandelsverträge, auch mit den Ländern des Südens, durchzudrücken . Bestes Beispiel sind die EPAs mit den afrikanischen Ländern, die dazu beitragen, dass noch weniger ökonomische Perspektiven auf diesem Kontinent entstehen . Auch die EPAs sind eine zentrale Fluchtursache, und wenn Sie ernsthaft Fluchtursachen bekämpfen wollen, dann stoppen Sie auf europäischer Ebene diese zerstörerische Handelspolitik; sonst brau- chen Sie uns hier nicht mehr solche Anträge vorzulegen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619964 (A) (C) (B) (D) Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Leider belegt die Große Koalition mit der heuti- gen Debatte ein weiteres Mal ihr mangelndes Verständnis dafür, was wirksame Fluchtursachenbekämpfung tat- sächlich bedeutet . Bei der letzten Debatte im Mai hatten Sie unseren Antrag nicht zugelassen, mit der Begrün- dung, er sei zu breit . Dann aber haben Sie selber einen vorgelegt, der sich in erster Linie mit der Bekämpfung von Sekundärbewegungen auseinandersetzte, also das Thema verfehlte . Dieses Mal setzen Sie diese so zentrale und für die Öffentlichkeit so wichtige Debatte mitten in der Nacht und zu Protokoll an . Das ist zwar ärgerlich, aber es ist konsequent; denn die Politik der Bundesregierung hat sich längst von dem Ziel verabschiedet, Fluchtursachen bekämpfen zu wollen, und sich stattdessen darauf verlegt, mit allen Mitteln zu verhindern, dass die Geflüchteten nach Europa kommen. Damit wird es keinen Flüchtling weniger auf der Welt geben . Nein, das ist eine Politik nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn . Wer Fluchtursachen wirklich bekämpfen will, der kann seine Politik gar nicht breit genug anlegen . Bekämpfung von Fluchtursachen fängt nämlich bei uns zu Hause an . Es geht um eine allumfassende Politik, bei der kein Res- sort, kein Ministerium außer Acht gelassen werden kann und bei der nicht nur die beiden Gute-Gewissen-Minister Barbara Hendricks und Gerd Müller gefragt sind . Wir sollten uns mehr mit der Frage auseinanderset- zen, inwieweit das politische Handeln und Nichthan- deln in unseren Partnerländern, aber eben auch bei uns in Deutschland, dazu beitragen, dass über 60 Millionen Menschen ihre bisherige Heimat, ihr bisheriges Leben hinter sich lassen mussten; denn so, wie wir gerade Po- litik betreiben, wie wir unsere Handelspolitik, unsere Agrarpolitik, unsere Kohlepolitik, unsere Verkehrspo- litik, unsere Rüstungsexportpolitik ausgestalten und gleichzeitig Entwicklungszusammenarbeit hochfahren, ist das in etwa so, als ob man von einer Seite Fässerweise Öl in ein riesiges Feuer kippt und gleichzeitig von der anderen Seite mit einer Wasserpistole versucht, das Feuer zu löschen . Stattdessen betreibt die Bundesregierung derzeit in Brüssel zusammen mit den anderen Mitgliedstaaten die Abkehr von ihrer menschenrechtsbasierten Außenpoli- tik und einer Entwicklungspolitik, die sich dem Ziel der Armutsreduzierung und der Umsetzung der SDGs ver- schreibt . Das neue Ziel lautet Flüchtlingsabwehr . Das war der Grund von Frau Merkels Afrikareise . Ich begrü- ße, dass Frau Merkel Afrika mehr in den Blick nehmen will, aber das Wie ist grundfalsch! Denn das Muster des EU-Türkei-Deals soll nun auf zahlreiche andere Länder wie etwa Jordanien, Libanon, Niger, Nigeria oder Äthiopien angewendet werden – noch dazu am Europäischen Parlament vorbei . Das ist nicht nur vollkommen undemokratisch, sondern auch politisch geradezu wahnwitzig . Trotz massiver Abschottung in den letzten Monaten und Jahren ertrinken auch weiterhin Tausende Menschen im Mittelmeer . Wer glaubt, das Ster- ben durch noch mehr Abgrenzung schon irgendwie been- den zu können, erliegt einem fatalen Irrtum und handelt auf Kosten der Schutzbedürftigen . Handelsbeziehungen, Entwicklungsgelder und an- dere Finanzmittel sollen jetzt künftig dafür eingesetzt werden, dass Drittländer Migrantinnen und Migranten daran hindern, Europa zu erreichen . Die Ankündigung, europäische Entwicklungszusammenarbeit fortan kondi- tionieren zu wollen und Länder zu bestrafen, die bei der Migrationskontrolle nicht ausreichend kooperieren, ist nicht hinnehmbar . Entwicklungspolitik muss die Situa- tion und Unterstützungsbedürftigkeit der Menschen zum Maßstab haben, nicht das Verhalten der Regierung in Fragen der Grenzkontrolle und Abschottung . Selbstver- ständlich ist es richtig, Ländern wie Libyen beim Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen nach aller Kraft beizustehen . Auch spricht nichts dagegen, die Zivilbevölkerung in Äthiopien oder Niger zu unterstützen . Wenn aber nun das gesamte außenpolitische Handeln der EU und ihrer Mitgliedstaaten dem Leitmotiv weiterer Abschottung un- tergeordnet werden soll, ist das der vollkommen falsche Weg! Wir fordern stattdessen in unserem Antrag, die Struk- turen unseres Handelns zu überdenken und nach der eigenen Verantwortung zu fragen . Wir exportieren Rüs- tungsgüter in Krisengebiete, überfischen die Weltmeere und nehmen in Kauf, dass unser Export und Konsum andernorts zu Armut und Zukunftslosigkeit führen . Viel zu oft haben wir – ebenso wie die Regierungen und Kon- fliktparteien vor Ort – bei der Konfliktprävention und Friedensschaffung versagt, und die von uns mitverur- sachte Klimakrise führt weltweit zu immer mehr Dürren, Stürmen und Ernteausfällen . All das erzeugt Flucht und Vertreibung, wird aber weder mit höheren Zäunen noch mit Patrouillenbooten oder Pakten mit Despoten zu lösen sein . Mit unserem Ansatz setzen wir uns deshalb für eine kohärente internationale Politik ein und fordern struktu- relle Reformen in Bereichen wie Handel, Landwirtschaft, Fischerei, Außenpolitik und Klimaschutz . Konkret fordern wir, die diplomatischen Anstrengun- gen bei der Bearbeitung und politischen Beilegung ak- tueller Krisen sowie die zivile Krisenprävention massiv zu verstärken und dabei etwa Rüstungsexporte in Krisen- gebiete und an Staaten mit einer hochproblematischen Menschenrechtslage zu stoppen; innerhalb der EU und in den EU-Außenbeziehungen auf die verbesserte Aner- kennung nationaler Minderheiten und die Verbesserung ihres Schutzes vor Diskriminierung zu drängen; die ne- gativen Folgen unseres Wirtschaftens für andere Weltre- gionen abzustellen, um Armut und Zukunftslosigkeit zu bekämpfen; das Klima zu schützen, die ärmsten Staaten bei der Anpassung an Klimaveränderungen entschieden zu unterstützen und Klimaflüchtlinge zu schützen; Auf- nahme- und Transitländer bei der Unterbringung und Versorgung sowie bei der Stabilisierung und der Integra- tion der Geflüchteten in die Gesellschaft aus humanitären Gründen zu unterstützen; die multilaterale Kooperation bei der Festsetzung globaler Maßnahmen und Regeln für mehr globale Gerechtigkeit und Klimaschutz zu stärken, vor allem im Rahmen der Vereinten Nationen; sowie Ent- wicklungs- und Migrationspolitik stärker zu verschrän- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19965 (A) (C) (B) (D) ken, legale Fluchtwege und Migrationsmöglichkeiten zu schaffen . Wenn wir tatsächlich dafür sorgen wollen, dass we- niger Menschen fliehen müssen, und nicht nur erreichen wollen, dass weniger Menschen bei uns ankommen, dann müssen wir unsere Politik in vielen Feldern ganz grundle- gend umgestalten . Und dann kann der Ansatz eben nicht breit genug sein, sondern dann muss er überall, in allen Bereichen, anfangen – und das besser heute als morgen . Anlage 18 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Son- dervermögens für das Jahr 2017 (ERP-Wirt- schaftsplangesetz 2017) (Tagesordnungspunkt 29) Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Mit einem Bruttoinlandsprodukt von mehr als 3 000 Milliarden Euro, dem Wert der deutschen Exporte von mehr als 1 000 Milliarden Euro sowie einer Arbeitslosenquote von unter 6 Prozent ist unsere Wirtschaft auf einem soliden Wachstumskurs . Es ist jedoch weiterhin nötig, unterstüt- zend tätig zu werden, um die großen Potenziale unserer Wirtschaft optimal auszuschöpfen . Wir debattieren des- halb heute zum Gesetzentwurf des ERP-Wirtschaftsplan- gesetzes für das nächste Jahr . Es soll am 1 . Januar 2017 in Kraft treten . Ohne Vergangenheit keine Zukunft; deshalb gestat- ten Sie mir einen kurzen Blick in die Geschichte: Im Juni 1947 verkündete der US-Außenminister George Marshall ein wirtschaftliches Aufbauprogramm für Euro- pa . Das war die Geburtsstunde des „European Recovery Program“, kurz: ERP oder Marshallplan genannt . Der Marshallplan wurde zu einem Mythos und war mitver- antwortlich für das „Wirtschaftswunder“ in Deutschland . Denn kurz darauf, im November 1948, wurde die Kre- ditanstalt für Wiederaufbau (KfW) mit dem Ziel gegrün- det, den Wiederaufbau zu finanzieren. Das Startkapital stammte aus Mitteln des ERP . Das ERP-Sondervermögen dient also faktisch der För- derung der deutschen Wirtschaft nach den Bestimmungen des Abkommens über Wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland vom 15 . Dezember 1949 . 1953 lief der Marshallplan aus, und es wurde festgelegt, dass Deutschland lediglich knapp 1 Milliarde US-Dol- lar zurückzahlen musste . Da der Bund die Tilgung aus dem Bundeshaushalt leistete, wurde das ERP-Sonderver- mögen nicht geschmälert . Das Sondervermögen wurde nun per Gesetz zu einem Fonds für langfristige Investiti- onskredite ausgestaltet . Diese sollten zur Förderung der Wirtschaft eingesetzt werden . Ab jetzt war es eine klassi- sche Hilfe zur Selbsthilfe, und durch Zinseinnahmen ist das Sondervermögen bis heute stark angewachsen . Erfreulicherweise werden nun Mittel aus dem ERP-Sondervermögen in Höhe von rund 800 Millionen Euro für Förderzwecke bereitgestellt . Und das Bundes- ministerium für Wirtschaft und Energie wird ermächtigt, Kredite bei der KfW bis zur Höhe von 30 Prozent dieses festgestellten Betrages aufzunehmen. Hiervon profitie- ren in erster Linie mittelständische Unternehmen der ge- werblichen Wirtschaft und die Freien Berufe . Sie erhal- ten zinsgünstige Darlehen und Beteiligungskapital von insgesamt rund 6 800 Millionen Euro aus dem ERP-Son- dervermögen . Darüber hinaus darf das Wirtschaftsmi- nisterium – mit Einwilligung des Bundesministeriums der Finanzen – Bürgschaften, Garantien oder sonstige Gewährleistungen zur Wirtschaftsförderung einschließ- lich der Freien Berufe bis zu einem Gesamtbetrag von 2 900 Millionen Euro zulasten des ERP-Sondervermö- gens übernehmen . Vielfach unerwähnt bleibt hierbei, dass bei der För- derung den Begünstigten keine zusätzlichen Kosten entstehen . Im Gegenteil, sie werden von Finanzierungs- kosten entlastet . Denn die Kosten, die zum Beispiel den Hausbanken mit der Gewährung der Darlehen entstehen, werden vom ERP-Sondervermögen gedeckt . Ebenso sel- ten erwähnt wird, dass der ERP-Wirtschaftsplan zwar im Wesentlichen von der KfW durchgeführt wird, aber auch Förderinstitute eine gewichtige Rolle spielen . Der Bund trägt auch hier die Personal- und Sachkosten, die unmit- telbar bei ihm für die Verwaltung des Vermögens entste- hen . Und für die Verwaltung ist das BMWi zuständig . Lassen Sie uns ein wenig tiefer in die Materie einstei- gen: Was die Ausgaben betrifft, möchte ich zunächst Fol- gendes hervorheben. Bezüglich einer Investitionsfinan- zierung haben wir für 2017 zwei große Posten: Zum einen sind das Förderkosten aus Zusagen bis Ende 2016 sowie Verpflichtungen aus der Neuordnung der ERP-Wirt- schaftsförderung mit 243,1 Millionen Euro . Zum ande- ren haben wir Projektfinanzierungen mit deutschen und europäischen Partnern zur Bereitstellung von Kapital für deutsche KMU sowie von Vorhaben im Kontext der Energiewende mit 500 Millionen Euro im Jahr 2017 . Sinn und Zweck der ERP-Finanzierungshilfen ist es, der Unterstützung von Unternehmensgründungen und -übernahmen, der Leistungssteigerung mittelständischer privater Unternehmen sowie der Förderung von Expor- ten der gewerblichen Wirtschaft zu dienen . Des Weiteren sollen Förderbeiträge zur Förderung von Energieeffizi- enzmaßnahmen geleistet werden . Das heißt: Es könnten mit den Mitteln Finanzierungs- zwecke von rund 6 500 Millionen Euro zinsbegünstigt werden. Besonders erfreulich und wichtig finde ich den Punkt „Existenzgründungen und Wachstumsfinanzie- rungen“, der hiervon mit 3 890 Millionen Euro berück- sichtigt wird . Ein weiterer Ansatz umfasst besonders die Dotierung der ERP/EIF-Programme mit dem Ziel, mit- telständischen Unternehmen die Kapitalbeschaffung in der Früh- und auch in der Wachstumsphase – Venture Capital – zu erleichtern . Außerdem sollen sie in der Ex- pansionsphase durch Private Equity und Mezzaninkapi- tal unterstützt werden . Die einzelnen Planansätze in den ERP-Programmgruppen wurden bewusst so gewählt, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619966 (A) (C) (B) (D) dass den speziellen Finanzierungsbedürfnissen im Mit- telstand entsprochen werden kann . Ich möchte an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, dass außer den wirtschaftsfördernden Maßnahmen auch völkerverbindende finanziell unterstützt werden können. Es handelt sich vor allem um Stipendienprogramme und Maßnahmen im Rahmen des Deutschen Programms für transatlantische Begegnung . Wir haben im Wirtschafts- plan hierfür Baransätze von insgesamt 6,3 Millionen Euro und Verpflichtungsermächtigungen von insgesamt 5,1 Millionen Euro veranschlagt . Lassen Sie mich kurz den Blick auf die Start-up-Szene richten: Nachdem die KfW im letzten Jahr mit dem För- derinstrument „ERP-Venture Capital-Fondsinvestments“ als Fondsinvestor in den Wagniskapitalmarkt zurückge- kehrt ist, hat man mit dem Ko-Investitionsfonds „copa- rion“ im März den nächsten Schritt gewagt . Als eigene Gesellschaft wird sich der Fond unmittelbar an jungen innovativen Unternehmen beteiligen . So können sie von Venture Capital in Höhe von insgesamt rund 450 Millio- nen Euro profitieren. Der Fonds soll zunächst über fünf Jahre laufen und zur Finanzierung von etwa 60 Unter- nehmen, die jünger als 10 Jahre sind, mit öffentlichem Wagniskapital dienen . Was den besseren Schutz des Eigentums betrifft, so ist die KfW auch durchaus aktiv: Umbaumaßnahmen zum Schutz vor Einbruch sollen künftig ab einer Inves- titionssumme von 500 Euro mit einem zehnprozentigen Zuschuss der KfW gefördert werden . Bislang mussten 2 000 Euro investiert werden . Auch bei der großen Herausforderung zum Thema „Betriebsübergabe gestalten“ wollen wir etwas tun . So sollten wir alles daran setzen, dass die Zahl von poten- ziellen Unternehmensnachfolgern für die mittelständi- schen Unternehmen nicht auf ein Rekordtief sinkt . Denn neben dem demografischen Wandel bringen vor allem Engpässe bei der Finanzierung den Generationswechsel ins Stocken . Daher mein Hinweis: Mit dem ERP-Grün- derkredit können KMU unter anderem günstige Konditi- onen im Rahmen von Unternehmensnachfolgen erhalten . Der Zinssatz wird aus Mitteln des ERP-Sondervermö- gens vergünstigt . Mit der Umsetzung des vorliegenden Gesetzes sol- len die deutschen Wirtschaftsunternehmen im Kalen- derjahr 2017 finanziell „begleitet“ werden und unser politischer Förderauftrag weiterhin umgesetzt werden . In der letzten Sitzung des Unterausschusses Regionale Wirtschaftspolitik und ERP-Wirtschaftspläne befassten wir uns erstens mit dem Bericht des Wirtschaftsminis- teriums über die Inanspruchnahme der Fördermittel aus dem ERP-Sondervermögen und zudem mit dem Bericht des Bundesrechnungshofes zu Förderleistung und Subs- tanzerhalt . Sinnvollerweise müssen die Berichte gemein- sam beraten werden, und beide beziehen sich auf das Jahr 2015 . Im Bericht des Bundesrechnungshofes wird nun un- missverständlich festgestellt, dass die Förderleistung un- ter der vom Deutschen Bundestag angestrebten Mindest- zielgröße lag – dies war in den vergangenen Jahrzehnten so und ist laut Bundesrechnungshof auch für die Zukunft zu erwarten . Der Vermögenszuwachs an zinsverbilligten Förder- krediten, die Bestandteil der KfW-Förderung sind, kann also keine maximale Schlagkraft entfalten . Andererseits besteht jedoch für mittelständische Unternehmen ein gro- ßer Bedarf, zum Beispiel im Bereich der Beteiligungsfi- nanzierung und des Venture Capital . Aus meiner Sicht besteht deshalb auch die förder- politische Notwendigkeit, die Innovationsfähigkeit be- sonders der KMU am Standort Deutschland zu stärken, indem umfassende Angebote geschaffen werden . Denn wir stehen mit dem ERP-Wirtschaftsplangesetz 2017 in der Verantwortung, einen wichtigen Beitrag zur Stabilität und zum wirtschaftlichen Wachstum in Deutschland zu leisten . Und die Erwartung an die KfW als Durchfüh- rungsorganisation des BMWi und weltweit größte natio- nale Förderbank muss deshalb sein, dass sie ihre Förder- aufgaben noch besser erfüllt und gestaltend tätig wird . Brach liegendes Kapital nutzt niemandem . Mit dem ERP-Wirtschaftsplan 2017 wollen wir die Förderung unserer mittelständischen Unternehmen in 2017 sicherstellen . Das ist mein Kernanliegen . Wichtig ist es aber auch, dass wir in der weiteren Zukunft, also über 2017 hinaus, die vielfältigen Möglichkeiten und fi- nanziellen Potenziale des ERP-Sondervermögens noch besser ausschöpfen und die Förderkraft deutlich erhöhen können . Denn um wirklich schlagkräftig zu sein, muss die Förderung zeitnah und flexibel auf veränderte wirt- schaftliche Rahmenbedingungen und zum Teil ganz un- terschiedliche Bedürfnisse unserer Unternehmen reagie- ren können . Gerade das Förderelement der Zinsverbilligung bei KfW-Krediten hat in der schon langen Zinsniedrigphase nur wenig Impulse setzen können . Damit bleiben Förder- möglichkeiten ungenutzt. Dieses „Potenzialdefizit“ gilt es zu schließen, indem die KfW ein stärkeres Engage- ment im Wagnis- und Beteiligungsbereich wagt . Das wäre aus meiner Sicht ein für die Unternehmen wichtiges Engagement . In seiner Sitzung vom 23 . September 2016 hat der Bundesrat beschlossen, gegen den Gesetzentwurf keine Einwendungen zu erheben . Dies gilt auch für den Unter- ausschuss Regionale Wirtschaftspolitik und ERP-Wirt- schaftspläne und seit gestern auch für den Ausschuss für Wirtschaft und Energie . Nun fehlt uns noch das Votum aus diesem Plenum zugunsten unserer mittelständischen Wirtschaft . Andrea Wicklein (SPD): Beschäftigung, wirtschaft- liches Wachstum und Wohlstand sind ohne unseren Mit- telstand nicht denkbar . Der Mittelstand, dessen Mitar- beiterinnen und Mitarbeiter, sind das Rückgrat unserer Wirtschaft und die Basis für soziale Gerechtigkeit in unse- rem Land . Über 99 Prozent der Unternehmen in Deutsch- land zählen zu den kleinen und mittleren Unternehmen . Das sind insgesamt rund 2,5 Millionen Unternehmen . Rund 61 Prozent der 27,8 Millionen Beschäftigten arbei- ten in kleinen und mittleren Unternehmen . Den wiede- rum größten Anteil daran haben die Kleinstunternehmen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19967 (A) (C) (B) (D) Hier sind 18 Prozent aller tätigen Personen beschäftigt . Dagegen gelten nur etwa 17 000 als Großunternehmen . Der Gesamtumsatz des Mittelstandes im Jahr 2013 betrug mehr als 1,8 Billionen Euro . Das entspricht etwa einem Drittel des Gesamtumsatzes in Deutschland . Der Anteil der kleinen und mittelständischen Unternehmen an der Wertschöpfung betrug 47 Prozent . Das sind beachtliche Fakten, die zeigen: Unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen sind die wichtigste Stütze für die Beschäf- tigung in Deutschland . Der Mittelstand ist deshalb ein wesentlicher Faktor für den Erfolg des Wirtschaftsstandortes Deutschland . Die stark ausgeprägte Verzahnung von mittelständischen Be- trieben in Wertschöpfungsketten bzw . Wertschöpfungs- netzwerken ist weltweit nach wie vor einmalig . Diese Strukturen müssen erhalten bleiben und gestärkt werden . Im Vergleich zu größeren Betrieben hat der Mittelstand besondere Chancen, aber auch spezifische Herausforde- rungen zu bewältigen . Er steht mit Großunternehmen in einer harten Konkurrenz um Fachkräfte, hat einen ein- geschränkteren finanziellen Spielraum und ist vom bü- rokratischen Aufwand vergleichsweise höher betroffen . Auf der anderen Seite sind kleine und mittlere Unter- nehmen sehr flexibel, innovativ und zeichnen sich häufig durch eine starke regionale Verbundenheit aus . Uns ist deshalb klar: Wir brauchen die passenden Rahmenbedin- gungen zur Entfaltung von Mittelstand, Selbstständigkeit und Existenzgründungen . Darum kümmern wir uns mit unserer Mittelstandspolitik . Dazu gehören die erfolgreichen Maßnahmen zum Bürokratieabbau genauso wie die Mittelstandsförderung über das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand, ZIM, die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, GRW, und eben auch die Mittelstandsfinanzierung mit den ERP-Programmen; denn wir wissen, dass die Herausforderungen der kleinen und mittleren Unternehmen enorm sind . Sie brauchen immer wieder aufs Neue Investitionen und Innovationen für marktfähige Produkte und Dienstleistungen . Sie brau- chen hochqualifizierte und motivierte Fachkräfte, und sie sind angesichts der Globalisierung immer mehr auch auf Exporte angewiesen . Ich bin sehr froh, dass wir mit den ERP-Programmen einen erfolgreichen Instrumentenkasten an Finanzie- rungsunterstützung für den Mittelstand zur Verfügung haben . Auch wenn das ERP-Sondervermögen nicht allzu oft im Mittelpunkt der Öffentlichkeit steht, hat es den- noch eine enorme Bedeutung für die Mittelstandsfinan- zierung . Das ERP-Sondervermögen hat eine lange Erfolgs- geschichte . Hervorgegangen ist es aus den Mitteln des Marshallplans für den Wiederaufbau der nach dem Zwei- ten Weltkrieg am Boden liegenden deutschen Wirtschaft . Es war eine richtige Entscheidung, dass der Bund die Tilgung für die Marshallplanhilfe an die Amerikaner damals aus dem Bundeshaushalt leistete und nicht aus dem Investitionsfonds . So konnte der Grundstein für das ERP-Sondervermögen als einem revolvierenden Fonds erhalten bleiben . Auch heute sollten wir Parlamentarier ab und zu da- ran erinnern, dass das European Recovery Program, ERP, das am 5 . Juni 1947 vom amerikanischen Außenminister George Marshall verkündet wurde, die Geburtsstunde für das ERP-Sondervermögen war, mit dem wir seitdem die deutsche Wirtschaft fördern . Diverse Förderprogram- me, ob zum Wohnungsbau, zur Strukturförderung, Mit- telstandsfinanzierung oder Umweltschutz wurden oder werden hierüber finanziert, seit 1990 auch die Wirtschaft in den ostdeutschen Bundesländern . Bis heute gilt, dass die erwirtschafteten Erträge aus dem Sondervermögen ausschließlich für die ERP-Wirtschaftsförderung und den Substanzerhalt eingesetzt werden dürfen . Schließ- lich gilt auch weiterhin der Parlamentsvorbehalt für die ERP-Mittel . Auch das heute zur abschließenden Beratung anste- hende ERP-Wirtschaftsplangesetz 2017 wird einen wich- tigen Beitrag zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der KMU und der freien Berufe leisten . Gefördert werden insbesondere mittelständische Unternehmen der gewerb- lichen Wirtschaft und Angehörige freier Berufe . Ziel ist die Schaffung und der Erhalt von Arbeitsplätzen sowie der dauerhafte Erhalt der internationalen Wettbewerbs- fähigkeit durch die Förderung von Gründungen und In- novationen . Im kommenden Jahr will die Bundesregie- rung aus dem ERP-Sondervermögen 800 Millionen Euro bereitstellen . Mobilisiert werden könnten dadurch zins- günstige Darlehen und Beteiligungskapital mit einem Volumen von rund 6,8 Milliarden Euro . Im Mittelpunkt stehen kleine und mittelständische Unternehmen, die in ihrer Finanzierungssituation oftmals gegenüber Großun- ternehmen strukturell benachteiligt sind . Schwerpunkte der ERP-Finanzierungshilfen sind die Förderung von Existenzgründungen und Wachstumsfi- nanzierungen, Innovationsförderung, Exportfinanzierun- gen, Förderung von Beteiligungskapital, Unternehmens- finanzierung in strukturschwachen Regionen in Ost- und Westdeutschland und bei Bedarf auch die Beteiligung an Projekten im Zusammenhang mit der Energiewende . Im Gesetz ist darüber hinaus verankert, dass Unterneh- men in den ostdeutschen Bundesländern auch weiterhin entsprechend der Fördergebiete Fördervorteile erhalten, zum Beispiel durch höhere Zinsverbilligungen, länge- re Laufzeiten und höhere Mitfinanzierungsanteile. Mit 6,3 Millionen Euro werden darüber hinaus Maßnahmen im Rahmen des Deutschen Programms für transatlan- tische Begegnungen und verschiedene Stipendienpro- gramme insbesondere in die USA bezuschusst . Die Förderprogramme aus dem ERP-Sondervermö- gen gehören mit ihren zinsgünstigen Krediten und Be- teiligungen zu den wichtigsten Instrumenten der deut- schen Wirtschaftsförderung . Gleichzeitig müssen sich die ERP-Programme immer wieder aufs Neue der Rea- lität stellen; denn wir wollen, dass die Finanzierungspro- gramme die kleinen und mittelständischen Unternehmen auch tatsächlich erreichen . Der Bundesrechnungshof hat in seiner Stellungnahme zum ERP-Wirtschaftsplange- setz 2017 darauf hingewiesen, dass er das Volumen für die Zinsverbilligungen für 2017 für überhöht hält, da das Fördervolumen schon bisher nicht vollständig aus- geschöpft worden sei . Diese Hinweise sind sehr wichtig; Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619968 (A) (C) (B) (D) denn angesichts des anhaltenden Zinstiefs stoßen wir bei der Mittelstandsfinanzierung zunehmend an Grenzen. Gleichzeitig hat sich die Bedürftigkeit des Mittelstandes in Richtung Risiko- und Beteiligungsfinanzierung ver- schoben . Diese Entwicklung bewerte ich als sehr positiv . Zeigt sie doch, dass Bedarf an Finanzierung von neuen Ideen und Innovationen besteht . Gründungen, gerade im in- novativen Bereich, sind für Fortschritt, Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit besonders wichtig . Mit unseren Fördermaßnahmen und Initiativen, wie zum Beispiel dem EXIST-Gründerstipendium, dem High-Tech Grün- derfonds oder dem Programm INVEST, das einen Zu- schuss für Wagniskapital beinhaltet, haben wir diese Nachfrage bereits unterstützt . Aber wir wissen, dass das Potenzial als Wagniskapitalfinanzierung in Deutschland noch lange nicht ausgeschöpft ist und dass die kleinen und mittelständischen Unternehmen und auch die Grün- derinnen und Gründer hier noch bessere Rahmenbedin- gungen brauchen . Wir halten es deshalb für angezeigt, die Programme des ERP-Sondervermögens noch stärker auf Beteili- gungsfinanzierung auszurichten und die Finanzierungs- säule des Beteiligungskapitals zu stärken; denn wir wol- len auch weiterhin, dass Handwerk und Mittelstand die passenden Finanzierungsmöglichkeiten bei uns finden und nicht gezwungen sind, das notwendige Kapital im Ausland einzuwerben . Die parlamentarischen Gespräche dazu werden in den kommenden Wochen und Monaten stattfinden. Mit dem ERP-Wirtschaftsplangesetz setzen wir weiterhin auf den Erfolg der sozialen Marktwirt- schaft in Deutschland . Ein starker und innovativer Mit- telstand ist der Garant dafür . Thomas Nord (DIE LINKE): Wir behandeln heute den Gesetzentwurf der Bundesregierung über die Fest- stellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2017 (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2017) . Die Bundesregierung will aus dem Sondervermögen des European Recovery Program (ERP) rund 800 Millionen Euro bereitstellen . Das Geld soll besonders mittelständi- schen Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft und der freien Berufe zugutekommen . Mobilisiert werden könn- ten dadurch in einer Prognose zinsgünstige Darlehen und Beteiligungskapital mit einem Volumen von rund 6,8 Milliarden Euro . Allgemein verweisen Meldungen des Statistischen Bundesamts auf ein weiterhin schwieriges wirtschaft- liches Umfeld für Kleinunternehmen und Freiberufler. Das Statistische Bundesamt hat im September 2016 ei- nen Rückgang von neu gegründeten Unternehmen im Vergleich zum Vorjahresraum um circa 95 000 oder 10,4 Prozent vermeldet . Die Gesamtzahl der Gewerbe- anmeldungen sank im ersten Halbjahr auf rund 360 000, in etwa 2,9 Prozent weniger als im Vergleichsraum 2015 . Gewerbeanmeldungen müssen nicht nur bei Gründung eines Gewerbebetriebes erfolgen, sondern auch bei Be- triebsübernahme, Umwandlung oder Zuzug . Dieser rückläufige Befund spricht nicht für gute wirtschaftliche Rahmenbedingungen . Immerhin aber war die Zahl der Unternehmensinsolvenzen auf der anderen Seite zuletzt auch stark rückläufig. So lagen die Unternehmensinsol- venzen laut einer Meldung des Statistischen Bundesamts vom 14 . Oktober 2016 im Juli 2016 um 17,5 Prozent unter denen des Vorjahresmonats . Die Linke sieht die Förderung von Unternehmen durch das ERP-Sonderver- mögen gerade vor dem Hintergrund eines schwierigen wirtschaftlichen Umfelds als ein sinnvolles Instrument . Während dem Förderzweck grundsätzlich zuzustim- men ist, gibt es bei der Förderpraxis und Evaluierung jedoch einige kritische Bemerkungen . Seit 2011 ist be- kannt, dass es bei dem ERP-Regionalförderprogramm besonders hohe Mitnahmeeffekte gegeben hat, 38 Pro- zent . In der Antwort auf unsere Kleine Anfrage vom November 2015 (Drucksache 18/6717) sagt die Bundes- regierung, dass es seit 2011 keine neue Evaluierung ge- geben hat . Sie verweist dabei auf den hohen Arbeits- und Kostenaufwand und weist die Forderung einer jährlichen Evaluation zurück . Deshalb sollten wir als Nächstes die Frage erörtern, ob eine Evaluierung nicht in kürzeren, regelmäßigen Abständen erfolgen kann, zum Beispiel alle zwei Jahre oder wenigstens einmal pro Wahlperiode, zum Beispiel in der Mitte . Eine überprüfbare statistische Kennzahl über die Mit- nahmeeffekte liegt seit 2011 nicht mehr vor . Dennoch nimmt die Bundesregierung an, dass sie sich „voraus- sichtlich“ reduziert haben . Wir würden aber gerne etwas verlässlicher von der Bundesregierung bzw . dem Wirt- schaftsministerium wissen, ob und in welchem Umfang es hier zu einer Begrenzung der Mitnahmeeffekte ge- kommen ist . Auch würden wir gerne wissen, wie sich die Neuordnung der ERP-Förderung von 2012 ausgewirkt hat, dies insbesondere bei der Konzentration auf etablier- te Unternehmen, die seit mindestens 5 Jahren am Markt sind . In ihrer Antwort hat die Bundesregierung selber einen mehrjährigen Zeitraum vorgeschlagen, in dem Evaluie- rungen durchgeführt werden sollten . Wie man es dreht und wendet, ob alle zwei Jahre oder mindestens ein- mal in der Wahlperiode, der mehrjährige Zeitraum, den die Bundesregierung selbst in ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage vorgeschlagen hat, ist rum . Legen Sie dem Bundestag vor dem nächsten Gesetzentwurf eine neue Evaluation vor, in der auch die Neuordnung der ERP-Förderung von 2012 einer kritischen Überprüfung unterzogen wird . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wirtschaftsförderung ist eine wichtige gesell- schaftspolitische Aufgabe . Es gehört zur öffentlichen Daseinsvorsorge, dass der Staat im Interesse seiner Bür- gerinnen und Bürger die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen fördert . Dabei kommt der Förderung von neuen Geschäften und Innovationen für die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen eine wichtige Bedeutung zu; denn ganze Branchen können gleichzeitig durch techno- logische oder gesellschaftspolitische Entwicklungen ihre Bedeutung für Beschäftigung verlieren . Dabei kommt der Förderung des Mittelstandes und kleiner und mittlerer Unternehmen eine besondere Be- deutung zu . Es ist gut, dass wir mit dem ERP-Sonder- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19969 (A) (C) (B) (D) vermögen ein Instrument haben, um Innovationen ge- rade von kleinen und mittelständischen Unternehmen zu fördern . Was genau ist ERP? ERP steht für European Recovery Program . Aus den verbliebenen Geldern der Marshallplanförderung wurde in den 50er-Jahren ein Fonds gebildet, der mittlerweile an die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die KfW, übertragen wurde . Wir halten die Förderinstrumente des ERP-Wirtschaftsplangesetzes grundsätzlich für sinnvoll und werden daher dem Gesetz- entwurf zustimmen . Aber natürlich sind wir als Parlament aufgefordert, uns das Programm sorgfältig und kritisch anzuschauen . Drei Punkte sind uns dabei aufgefallen . Erstes Thema: Schaut man sich die Fördervolumina der letzten 10 Jahre an, so stellt man fest, dass die Förderzielgrößen in den vergangen Jahren immer deutlich unterschritten wurden . Im Jahr 2015 lagen die tatsächlich geleisteten Förderun- gen zum Beispiel um rund 100 Millionen Euro unter der Zielmarke, und in den Jahren davor waren die Abwei- chungen nicht deutlich geringer . Dies wird aktuell mit der Niedrigzinsphase begründet . Diese Begründung ist sicher nicht verkehrt . Bei niedrigen Zinsen ist das klas- sische Förderinstrument eines Zinszuschusses kaum at- traktiv für die Unternehmen . Das Nicht-Erreichen der Förderziele kann allerdings nicht allein eine Konsequenz der Niedrigzinsphase sein; denn auch in Phasen mit hö- herem Zinsniveau wurde die Förderung der ERP-Mittel nicht ausgeschöpft . Leider hat erst in diesem Jahr die Bundesregierung überhaupt auf diese Tatsache hingewie- sen . Hier müssen wir intensiv nach Lösungen suchen . Es kann nicht sein, dass im wichtigen Bereich der Innovati- onsförderung gerade kleiner und mittlerer Unternehmen vorhandene Fördermittel nicht ausgeschöpft werden . Gleichzeitig lehnt der Bundesfinanzminister aber die steuerliche Forschungsförderung, die von den Fachpo- litikern auch der Regierungsfraktionen und den meisten Experten gerade für kleine und mittlere Unternehmen gefordert wird, aus fiskalischen Gründen ab. An dieser Stelle spielt die Große Koalition mit gezinkten Karten . Das ist gerade im Interesse der Sache nicht in Ordnung! Der zweite kritische Punkt ist jetzt aktuell ein Ergeb- nis der Bankenregulierung vor dem Hintergrund, dass die ERP-Mittel 2007 an die KfW übertragen wurden . Im Prinzip war die Überlegung damals gut begründet, wollte man doch nachhaltig verhindern, dass der Bun- desfinanzminister in einer engen Lage diese Mittel ein- fach in den Haushalt einstellt, diesen damit entlastet, aber gleichzeitig die Mittel für zukünftige Förderzwecke nicht mehr zur Verfügung stehen . Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die BaFin, hat nun ange- wiesen, dass im Rahmen der bisherigen Förderstrukturen der KfW der ERP-Fonds nicht mehr als Eigenkapital in der Bilanz abgebildet werden darf . Um die Bilanzposi- tion der ERP-Mittel bei der KfW unverändert halten zu können, sind Förderungen der KfW, in denen die Mittel als Eigenkapital eingesetzt werden, nicht mehr möglich . Das ist insofern mehr als problematisch, da die Be- reitstellung von Eigenkapital das wesentliche Element der Förderung von Innovationen und Start-ups ist und die Eigenkapitalförderung gerade in Zeiten schnellen technologischen Wandels immer wichtiger wird . Die Be- schränkung der Förderung von Eigenkapital würde damit ein wichtiges Förderziel der KfW treffen . Lösungsansät- ze konnten von der KfW und vom Bundeswirtschaftsmi- nisterium bisher nicht genannt werden . Der Weg zurück zur Situation von vor 2007 ist aus dem oben genannten Grund sicher nicht zielführend, umso mehr müssen an- dere Lösungsmöglichkeiten gesucht und umgesetzt wer- den . Und da dürfen wir nicht zu kleinmütig sein, dafür ist das Thema zu wichtig . So rege ich an, zu prüfen, ob die ERP-Mittel nicht in eine Stiftung eingebracht wer- den könnten, um damit deutlich verbesserte Handlungs- möglichkeiten zu haben . So etwas wurde in der Vergan- genheit schon gemacht . Beispiel ist die VW-Stiftung . Mit dem Einbringen der Bundes- und Landesanteile am VW-Konzern in die VW-Stiftung konnte vor mehr als 50 Jahren der Grundstock zu einer Forschungsförderung gelegt werden, die sich wesentlich durch höhere Frei- heitsgrade gegenüber staatlicher Forschungsförderung auszeichnet . Ich halte es für sehr zielführend und unter- stütze ausdrücklich, dass wir im Unterausschuss Regio- nale Wirtschaftspolitik entschieden haben, diese und ge- gebenenfalls weitere Themen in einer Expertenanhörung zeitnah zu beleuchten . Dritter Kritikpunkt ist das Thema Transparenz . Es ist die Lehre in vielen Bereichen, dass nur bei Transparenz der Daten und Vorgehensweisen ein unmittelbarer Druck entsteht, Fehlentwicklungen zu korrigieren . Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen besteht darauf, dass die Bun- desregierung – wie versprochen – Transparenz über die Beteiligungen im ERP-Programm an den Wagniskapital- fonds herstellt und – wie angekündigt – den gesonderten Risikobericht über auffällige Besonderheiten der Betei- ligungsfinanzierung vorlegt. Dies hat zu Recht auch der Bundesrechnungshof angemahnt . Nur bei regelmäßiger und umfassender Information kann das Parlament Risi- ken einschätzen und gegebenenfalls nachsteuern; denn dies ist unsere vornehmste Aufgabe . Bitte verstehen Sie in diesem Sinne unsere Kritik: Wir wollen die Förderung von Innovationen im Mittelstand und insbesondere klei- ner und mittlerer Unternehmen stärken! Anlage 19 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung und Schlussabstimmung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 22. März 2016 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Re- gierung der Republik Serbien über die Zusam- menarbeit im Sicherheitsbereich – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 31. Mai 2013 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Minis- terrat der Republik Albanien über die Zusam- menarbeit im Sicherheitsbereich – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619970 (A) (C) (B) (D) vom 9. Juli 2014 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regie- rung von Georgien über die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Organisierten Krimi- nalität, des Terrorismus und anderer Straftaten von erheblicher Bedeutung (Tagesordnungspunkt 30 a bis c) Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU): Wir behan- deln heute drei Abkommen über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Serbien, Albanien und Georgien . Das Albanien betreffende Abkommen wurde von den beiden Vertragspartnern, der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und dem Ministerrat der Republik Albanien, bereits am 31 . Mai 2013 unterzeichnet, das Abkommen mit Georgien am 9 . Juli 2014 und das mit der Republik Serbien am 22 . März 2016 . Mit dem uns vorliegenden Gesetz zu dem nun durch den Bundestag zu ratifizierenden Abkommen wird ein wichtiger Schritt in der Kooperation unserer Länder in der Kriminalitätsbekämpfung getan . Die Abkommen über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich werden nicht nur die freundschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Serbien, Albanien und Georgien stärken und vertiefen . Sie werden vor al- lem der Verhinderung und Bekämpfung von Straftaten, besonders durch die organisierte Kriminalität, dienen . Verbrechen wie Zuhälterei und Menschenhandel, der Schmuggel von Waffen sowie die Herstellung und der Handel mit illegalen Betäubungsmitteln sind gravierende Probleme, die die Kooperation der Staaten untereinander erfordern . Zusätzlich dazu stehen Straftaten gegen das Leben, Korruption, Geldwäsche, illegales Glücksspiel, Eigentumskriminalität sowie weitere Delikte im Fokus der Abkommen . Die organisierte Kriminalität agiert im freien Euro- pa verstärkt über Grenzen hinweg: Drogenlabors bei- spielsweise, deren Produkte in Deutschland konsumiert werden, befinden sich oftmals außerhalb unserer Lan- desgrenzen . Speziell grenznahe Gebiete werden immer stärker von einer steigenden Wohnungseinbruchskrimi- nalität international agierender Banden belastet . Gerade das vergangene Jahr und die massiven Migrationsbewe- gungen sollten zudem jedem klar gemachthaben, dass wir nicht nur innerhalb der Europäischen Union, sondern vor allem auch mit den Balkanstaaten eine intensivere Zusammenarbeit der Sicherheitskräfte anstreben müssen . Vor diesem Hintergrund ist auch zu erwähnen, dass die Kooperation mit den Sicherheitsorganen der drei Staaten in der Bekämpfung von Terrorismus und Terrorismusfi- nanzierung vertieft werden soll . Zu diesem Zweck werden zwischen den Vertragspart- nern Fachpersonal und Expertise in der Verbrechens- bekämpfung und -prävention sowie Informationen und Erfahrungen zu Verbrechensmustern, Strukturen und Methoden der organisierten Kriminalität ausgetauscht werden . Darüber hinaus vereinbaren die unterzeichnen- den Staaten die Zusammenarbeit nach Maßgabe der nati- onalen Gesetze durch die zuständigen Behörden und die gegenseitige personelle, materielle und organisatorische Unterstützung bei polizeilichen Maßnahmen im Rahmen operativer Ermittlungen . Die Vertragsparteien werden dabei insbesondere in den Fällen kooperieren, in denen kriminelle Handlungen oder die Vorbereitungen dazu im Hoheitsgebiet einer der jeweiligen beiden Parteien be- gangen werden und es Anzeichen dafür gibt, dass auch das Hoheitsgebiet des anderen Vertragspartners oder des- sen Sicherheit betroffen sein wird . Warum aber brauchen wir diese Abkommen? Zu- nächst einmal ist es eine der Kernaufgaben des Staates, die Sicherheit seiner Bürger zu garantieren und die Auf- rechthaltung und Umsetzung seiner demokratisch erlas- senen Gesetze zu gewährleisten . Aber auch die generelle Frage der zwischenstaatlichen Kooperation in Europa über den Rahmen der Europäischen Union hinaus halte ich für einen zentralen Punkt . Da Serbien und Albanien Beitrittskandidaten der EU sind und auch Georgien dies eines Tages sein könnte, liegt eine Annäherung und Ver- tiefung der Beziehungen und Zusammenarbeit sowohl in ihrem als auch unserem Interesse . Als Partei der inneren Sicherheit stehen wir als CDU voll und ganz hinter dem Vorhaben, die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich in Europa zu vertiefen . Von der verbesserten Effizienz und Wirksamkeit der Sicherheits- kräfte in den beteiligten Ländern werden auch die Wirt- schaft vor Ort und ausländische Investoren profitieren. In diesem Zusammenhang gibt es noch einen weiteren wichtigen Punkt, den ich zwar bereits erwähnt habe, auf den ich aber noch einmal näher eingehen möchte . Dies sind die Migrationsbewegungen nicht nur nach Europa, sondern auch innerhalb Europas . Der Balkan spielt vor diesem Hintergrund nicht nur eine herausragende Rolle als neben dem Mittelmeer wichtigste Route der nach Eu- ropa ziehenden Menschen, sondern auch als Herkunfts- ort Zehntausender von Asylbewerbern . Zwar konnten wir inzwischen erfolgreich die Balkanstaaten Bosnien-Her- zegowina, Mazedonien, Serbien, Montenegro, Albanien und Kosovo als sichere Herkunftsstaaten einstufen und somit den Migrationsdruck von dort massiv senken . Eine nachhaltige Lösung der Balkan-Emigration kann aber nur sein, die Push-Faktoren vor Ort, die die Menschen zur Auswanderung bewegen, zu lindern . Und da sehe ich die Eindämmung der organisierten Kriminalität, die schwer auf dem alltäglichen Leben der Menschen lastet und deren verbrecherische Aktivitäten auch hier in Deutschland ihre Spuren hinterlassen, als einen wichtigen Punkt . Gerade in Zeiten, in denen die Europäische Union geschwächt ist und an Strahlkraft zu verlieren droht, müssen wir daran arbeiten, die engen Bindungen an unsere Nachbarn aufrechtzuerhalten und gegebenenfalls zu vertiefen; denn dahinter steht letztlich eine Stärkung der europäischen Idee, für die wir als CDU stets mit Leidenschaft gestritten haben . Aber auch unsere Bürger vor Ort, die Menschen in den Großstädten und grenznahen Orten, erwarten zu Recht von uns, dass wir die nötigen Maßnahmen ergreifen, sie vor Terrorismus und Bandenkriminalität zu schützen . Im Kampf gegen die organisierte Kriminalität und den Terrorismus ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit unverzicht- bar . Wir können uns in einer globalisierten Welt nicht Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19971 (A) (C) (B) (D) einigeln; wir müssen gemeinsam Entscheidungen tref- fen und zusammenarbeiten, um so unsere Gegenwart und Zukunft konstruktiv zu gestalten . Dazu leisten diese Abkommen mit Serbien, Albanien und Georgien einen wertvollen Beitrag . Wolfgang Gunkel (SPD): Wir behandeln heute einen ausgesprochen wichtigen Punkt im Bereich der inneren Sicherheit . Polizeiliche Zusammenarbeit über Länder- grenzen hinweg wird angesichts der zunehmenden Ge- fahr international operierender Banden im Bereich der organisierten Kriminalität, aber vor allem wegen der Gefahr durch den Terrorismus, immer wichtiger . Ich bin froh, dass die Bundesregierung hierbei auch den Blick über das Schengen-Gebiet und die EU hinaus sucht . Anfang 2015 haben wir bereits über ein Polizeiabkom- men mit unserem direkten Nachbarn Polen diskutiert . Dieses war sehr detailliert geregelt, weil es hier auch eine unmittelbare Zusammenarbeit, etwa bei gemeinsamen Streifen oder bei der Nacheile, gibt . Die Abkommen, die wir hier heute beraten, sind dabei eher grundsätzlicher Natur . Dass bereits Zusammenarbeit in dem Bereich statt- findet, zeigt eine Meldung vom September. Dem BKA ist es gemeinsam mit der Abteilung zur Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität des Innenministeriums Serbiens gelungen, mehrere internationale Täter im Bereich der Rauschgiftkriminalität in Deutschland, Serbien und Kro- atien festzunehmen und große Mengen an Rauschgift sicherzustellen . Vorangegangen waren 13 Monate Er- mittlungsarbeit . Ein weiterer Erfolg war die Festnahme eines wegen Mordes international gesuchten serbischen Staatsangehörigen, der von Zielfahndern des BKA ergrif- fen werden konnte. Zusammenarbeit findet bereits statt und erfreulicherweise auch ausgesprochen erfolgreich . Nichtsdestotrotz ist es zu begrüßen, dass diese partielle Zusammenarbeit nun auf gesetzliche Füße gestellt wird . Wie sieht das nun konkret aus? Die Abkommen zie- len dabei auf bestimmte Deliktsbereiche; denn es soll die Zusammenarbeit bei der Verhütung, Bekämpfung und Aufklärung von Straftaten der organisierten und schweren Kriminalität gestärkt werden . Exemplarisch geht es hierbei unter anderem um Terrorismus und Ter- rorismusfinanzierung, Zuhälterei und Menschenhandel, Waffen- und Sprengstoffschmuggel, das Verschieben von Kraftfahrzeugen und Drogenhandel . Die Formen der Zu- sammenarbeit sind hierbei insbesondere der Austausch . Nicht nur der Austausch an Erfahrung, sondern auch der Informationsaustausch über Tatbeteiligte, Struktur der Tätergruppen, typisches Täterverhalten und Einzelheiten des Sachverhaltes ist relevant . Daneben sollen die be- teiligten Polizeien auch operativ durch aufeinander ab- gestimmte polizeiliche Maßnahmen zusammenarbeiten und sich dabei personell, materiell und organisatorisch Unterstützung leisten . Außerdem ist die Entsendung von Verbindungsbeamten vorgesehen . Einen besonderen Teil nimmt in den Abkommen die Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität ein . Auch hier geht es um den Austausch von Informationen unter anderem über Personen, Verstecke, Transportmittel, Arbeitsweisen so- wie Herkunfts- und Bestimmungsorte der Stoffe . Gren- zen findet die Zusammenarbeit, wenn sie in Widerspruch zu deutschen, serbischen, georgischen oder albanischen Gesetzen steht, die Souveränität eines Staates beein- trächtigt oder Ermittlungen bzw . laufende Maßnahmen gefährdet . Neben allen positiven Auswirkungen, welche die dis- kutierten Abkommen haben, möchte ich mir noch ein paar kritische Anmerkungen erlauben . Die Länder, mit denen wir die Abkommen abschließen, haben einige menschen- rechtliche Probleme, in die die Polizeien mitunter auch involviert sind . Aus Serbien, das infolge des starken Migrationsdrucks im vergangenen Jahr als Transitland ebenfalls mit einer größeren Zahl Flüchtlingen zurecht- kommen musste, erreichten uns Berichte über Misshand- lungen und Ausbeutung . Laut Amnesty-Report erlaubten die Behörden ab November 2015 nur noch Afghanen, Syrern und Irakern die Einreise und stuften Flüchtlinge aus anderen Ländern willkürlich als Wirtschaftsflüchtlin- ge ein, denen die Einreise verweigert wurde . Auch über Georgien und Albanien gibt es Berichte, dass die Polizei in Einzelfällen die Versammlungsfreiheit nicht gewähr- leistet und Strafverdächtige auf Polizeiwachen misshan- delt . Diese Form der Zusammenarbeit bietet jedoch immer die Chance, auf Verbesserungen der menschenrechtli- chen Standards zu dringen und Missstände klar anzu- sprechen . Ich erwarte von der Bundesregierung, dass dies erfolgt . Abschließend freue ich mich, dass wir mit den Abkommen einen bedeutenden Schritt zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität gehen. Ich bin mir sicher, dass wir durch eine effiziente Zusammenarbeit viel erreichen können . Ulla Jelpke (DIE LINKE): Wir beraten hier über drei Gesetzentwürfe der Bundesregierung zur Sicherheits- zusammenarbeit mit Georgien, Serbien und Albanien . Dabei geht es um den Austausch von Informationen und personenbezogenen Daten über begangene oder geplante Straftaten etwa im Bereich der organisierten Kriminalität und des Terrorismus . Vorgesehen sind zudem Regelun- gen zur Durchführung gemeinsamer oder abgestimmter Operationen von bundesdeutschen Stellen mit Sicher- heitsbehörden dieser Länder . Lassen Sie mich erst einmal ganz grundsätzlich be- merken, dass es sich hier um Partnerländer handelt, bei denen – trotz mancher Reformanstrengungen der letzten Jahre – noch keineswegs von einem Rechtsstaat nach unserem Verständnis die Rede sein kann . Es sei noch viel Arbeit, um Georgien zu „europäisieren“ und den Rechtsstaat zu stärken, gestand selbst der georgische Regierungschef Giorgi Kwirikaschwili vor wenigen Wo- chen ein . Und bezüglich Albanien kam eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung im Sommer zu dem Ergebnis, dass die Entpolitisierung der Justiz weiterhin eine Haupt- forderung europäischer Akteure, aber auch der Bevölke- rung des Balkanlandes bliebe . Solche Mängel im Justizsystem oder Sicherheitsappa- rat schließen eine Sicherheitszusammenarbeit mit diesen Staaten natürlich nicht aus . Doch umso entscheidender sind hohe Standards der entsprechenden Abkommen; Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619972 (A) (C) (B) (D) denn nur so kann verhindert werden, dass Daten in die falschen Hände geraten, sich Unschuldige etwa aus po- litischen Gründen Verfolgung ausgesetzt sehen oder die Bundesrepublik sich durch eigene Fahrlässigkeit mit- schuldig an Menschenrechtsverletzungen macht . Genau diese Sorgfalt findet sich in den vorliegenden Entwürfen für Sicherheitsabkommen leider nicht . So sind die darin genannten Deliktfelder entweder viel zu ausufernd und zu weit gefasst, oder sie sind viel zu un- bestimmt . Sind mit Eigentumsdelikten bereits kleine La- dendiebstähle gemeint oder erst millionenschwere Straf- taten? Beginnen Betrug und Glücksspiel bereits beim Hütchenspieler oder erst beim illegalen Kasino und beim Scheckkartenbetrug im professionellen Stil? Die Linke ist der Auffassung: Der Anwendungsbe- reich eines solchen bilateralen Sicherheitsabkommens sollte auf die Abwehr von erheblichen Straftaten be- schränkt werden . Das entspräche den in § 61a des Ge- setzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen genannten Tatbestandsvoraussetzungen . Ansonsten soll- te der Informationsaustausch auf die in § 61b genann- ten Ermittlungsgruppen beschränkt werden, für die hier zugleich die Bedingung der völkerrechtlichen Vereinba- rung erfüllt wird . Das geplante Abkommen mit Georgien enthält durch- aus begrüßenswerte datenschutzrechtliche Bestimmun- gen . Doch leider fehlen entsprechende Regeln zu ihrer Durchsetzung und zur Sanktionierung bei Verstößen . Dieses Manko entwertet die entsprechenden Klauseln zur reinen Augenwischerei . Zudem fehlt bei diesem Abkommen eine klare Benen- nung der behördlichen Zuständigkeit für die Verhütung und Verfolgung von Straftaten . Nicht auszuschließen ist damit, dass auch Behörden mit geheimdienstlichen Zuständigkeiten und Kompetenzen an der polizeili- chen Zusammenarbeit beteiligt werden . Damit wird das grundgesetzliche Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten unterlaufen . So besteht die Gefahr, dass Informationen in deutsche Ermittlungsverfahren einflie- ßen, die mit – aus bundesdeutscher Sicht – illegalen Er- mittlungsmethoden gewonnen wurden . Umgekehrt kön- nen in Deutschland festgestellte Daten bei ausländischen Behörden landen, die sie nicht nur zur Strafverfolgung sondern gegebenenfalls auch zur politisch motivierten Verfolgung nutzen . Schließlich enthält das geplante Abkommen mit Alba- nien sogar das äußerst umstrittene Element der „kontrol- lierten Lieferung“ . Gemeint sind vorgetäuschte Deals mit strafbaren Substanzen, die grenzübergreifend observiert werden . In der Regel geht es dabei um Drogen; doch wie Sie wissen, gibt es in diesem Bereich keine beson- ders gute Erfahrung . Erinnert sei hier an den spektaku- lären Fall von „kontrolliertem“ Plutoniumschmuggel . Hier besteht immer die Gefahr, dass Personen erst durch verdeckte Ermittler zu schweren Straftaten veranlasst werden, die sie von sich aus gar nicht begangen hätten, und somit die Kriminalitätsbekämpfung ihr Gegenteil er- reicht . Aus all den genannten Gründen lehnt die Linke diese drei Gesetzentwürfe ab . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wenn ich richtig gezählt habe, dann hat die Bun- desrepublik Deutschland inzwischen mit 24 Staaten – inklusive der drei Länder, über die wir heute sprechen: Serbien, Albanien und Georgien – Sicherheitsabkommen geschlossen . Dabei sind auch Staaten wie Saudi-Arabi- en, China oder Katar. In einer Reihe dieser Länder finden mit staatlicher Beteiligung systematische Menschen- rechtsverletzungen statt: Folter, willkürliche Verhaftun- gen, Verschwindenlassen sowie Unterdrückung der Op- position oder Verhängung der Todesstrafe . Es ist daher dringend geboten, klarzustellen, ob und unter welchen Voraussetzungen Deutschland Sicherheitsabkommen mit Staaten schließen sollte . Die Bundesregierung sieht das offenkundig anders . Sie hält – wie auch die vorliegenden Abkommen zei- gen – daran fest, immer wieder die gleichen Textbaustei- ne für die verschiedenen Bereiche der Zusammenarbeit zu verwenden . Dieser Standardtext enthält aber keine Anforderungen oder Bedingungen in puncto Menschen- rechte oder Rechtsstaatsprinzipien . Unsere Fraktion hatte daher bereits Ende 2014 einen Antrag eingebracht – „Sicherheitsabkommen brauchen Standards“, Bundestagsdrucksache 18/3553 –, in dem wir fordern, Sicherheitszusammenarbeit grundsätzlich neu zu gestalten und auszurichten . Dazu sollten in den Abkommen selbst die Vertragsstaaten in konkreten Klau- seln verbindlich zur Einhaltung menschenrechtlicher und rechtsstaatlicher Standards verpflichtet werden. Die Bun- desregierung lehnt diesen Vorschlag ab . Wir sind nicht grundsätzlich gegen Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich und auch nicht gegen eine Zu- sammenarbeit mit Albanien, Serbien und Georgien . Es macht aber einen erheblichen Unterschied, ob mit Län- dern wie Saudi-Arabien, China, Katar oder Usbekistan im Sicherheitsbereich zusammengearbeitet wird oder eben mit diesen drei Ländern . Serbien und Albanien sind EU-Beitrittskandidaten, Georgien hat einen vehementen Reformkurs vorangetrieben und ist EU-assoziiert . Trotzdem kann sich die Lage in Staaten jederzeit ändern . EU-Beitrittsverhandlungen oder selbst eine EU-Mitgliedschaft garantieren nicht, dass rechtsstaatli- che Prinzipien und Standards hoch entwickelt sind bezie- hungsweise nicht irgendwann beschnitten werden . Das gilt ebenso für die menschenrechtliche Lage . Das EU- Land Ungarn ist ein gutes Beispiel hierfür oder auch die Türkei . Aus diesem Grund wollen wir, dass anhand klarer und vorab verbindlich festgelegter Kriterien über Fort- oder Rückschritte im Bereich der Menschenrechte und der Korruptionsbekämpfung in den jeweiligen Kooperati- onsländern berichtet werden muss . Anhaltend negative Ergebnisse müssen zu einer Aussetzung und/oder Been- digung des Sicherheitsabkommens führen . Es muss also eine Exit-Klausel geben . Im April dieses Jahres haben wir die Bundesregierung gefragt, ob jemals ein geplantes Sicherheitsabkommen aufgrund einer bedenklichen Menschenrechtslage nicht abgeschlossen wurde . Es gab keinen einzigen Fall, war die Antwort . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19973 (A) (C) (B) (D) Das ist eine ziemlich erschütternde Bilanz . Das heißt nämlich, dass nicht einmal eine desaströse menschen- rechtliche Lage wie zum Beispiel in Saudi-Arabien Grund genug ist, um auf ein solches Abkommen zu verzichten . Dabei kann im Rahmen einer solchen Zusammenarbeit mitnichten ausgeschlossen werden, dass Deutschland sich mittelbar mitschuldig macht, indem es bestimmtes Know-how an staatliche Institutionen weitergibt, aus de- nen heraus Menschenrechtsverletzungen begangen wer- den, wenn wir zum Beispiel die Polizei eines bestimm- ten Landes an einer bestimmten Sicherheitstechnologie schulen und diese dann nicht etwa zur Bekämpfung von Kriminalität eingesetzt wird, sondern beispielsweise ge- gen Regierungskritiker . Ein solches Szenario muss aber ausgeschlossen sein . In unserer Kleinen Anfrage hatten wir von der Bundesregie- rung auch wissen wollen, warum Sicherheitsabkommen bisher keine konkreten Klauseln mit Überprüfungscha- rakter in Bezug auf die Einhaltung der Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit sowie Verhinderung von Korruption beinhalten . Die Antwort hierzu war – unter anderem –, dass Sicherheitsabkommen so ausgestaltet seien, dass Maßnahmen im Rahmen ihrer Umsetzung keinen Men- schenrechtsverletzungen Vorschub leisten können . Ins- besondere seien sämtliche Maßnahmen nur im Rahmen und auf der Grundlage des jeweiligen nationalen Rechts zulässig, das heißt, für die deutschen Sicherheitsbehör- den gelten die auch in Deutschland anwendbaren Rechts- grundlagen und Beschränkungen . Das klingt alles ganz schön – stimmt aber nicht . Neh- men wir Ägypten . Auch hier verhandelt die Bundesregie- rung seit geraumer Zeit über ein Sicherheitsabkommen . Auch hier wäre ein Teil dieses Abkommens die polizei- liche Zusammenarbeit – Ausbildungs- und Ausstattungs- hilfe – mit ägyptischen Sicherheitsbehörden, sogar mit dem Inlandsgeheimdienst NSS . Wir wissen, dass der NSS fürchterlich foltert . Wir wissen, dass das BKA ägyp- tische Polizisten ausbildet, unter anderem die brutale Stadionpolizei, die willkürlich und gewalttätig vorgeht . Die Bundesregierung kann hier doch nicht ernsthaft glau- ben, sie leiste dadurch keine Unterstützung zu all diesen Menschenrechtsverletzungen . Ein Sicherheitsabkommen würde diese Zusammenarbeit noch intensivieren . Solange die Bundesregierung nicht bereit ist, Sicher- heitszusammenarbeit neu zu gestalten und als Ausgangs- bedingung für Sicherheitsabkommen, aber auch für an- dere zwischenstaatliche Abkommen in den Bereichen Sicherheitszusammenarbeit, Ausbildungs- und Aus- stattungshilfe für Polizei und Militär sowie für jegliche sonstigen Unterstützungsmaßnahmen im Sicherheitssek- tor, konkrete Bedingungen, vor allem die Einhaltung von menschenrechtlichen Standards zu knüpfen, können wir einer solchen Zusammenarbeit nicht zustimmen . Die Lage in Serbien, Albanien und Georgien ist nicht vergleichbar mit der in Ägypten, Mexiko oder Sau- di-Arabien . Daher enthalten wir uns zu diesen drei Ge- setzvorlagen . Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Wir beraten heute drei Gesetzentwürfe jeweils zu Sicherheitsabkommen, die die Bundesregierung in den vergangenen Jahren mit den Regierungen von Albanien, Serbien und Georgien abgeschlossen hat . Sicherheitsabkommen dienen seit vielen Jahren ins- besondere der Verbesserung der Bekämpfung schwerer und organisierter Kriminalität im Rahmen der sogenann- ten Vorverlagerungsstrategie der Bundesregierung . Diese Politik zielt darauf ab, die Auswirkungen von Kriminali- tät und Terrorismus auf Deutschland zu reduzieren . Konkret umfassen die Sicherheitsabkommen – um nur einige Beispiele zu nennen – die Zusammenarbeit etwa bei der Bekämpfung von Betäubungs- und Eigentumskri- minalität, Menschenhandel oder Schleusung . Näher geregelt werden in den Abkommen die Formen und Rahmenbedingungen der Zusammenarbeit . So haben die Vertragsparteien in den jeweiligen Sicherheitsabkom- men unter anderem vereinbart, dass sie zur Verhütung und Bekämpfung von Straftaten Fachleute austauschen, einander Informationen und Personalien zu Tatbeteilig- ten mitteilen, auf Ersuchen die nach dem Recht der je- weils ersuchten Vertragspartei zulässigen Maßnahmen durchführen oder bei Bedarf kriminalistische und krimi- nologische Forschungsergebnisse austauschen werden . Sofern nicht bereits erfolgt, ist auch die Entsendung von Verbindungsbeamten zu den Polizeibehörden der ande- ren Vertragspartei ausdrücklich vorgesehen . Der Abschluss eines abstrakt formulierten bilateralen Sicherheitsabkommens hat zunächst keinen unmittelba- ren Einfluss auf konkrete Maßnahmen der polizeilichen Ausstattungshilfe oder die Entsendung von Verbindungs- beamten des Bundeskriminalamts . Nach erfolgter fachlicher Bedarfserhebung werden im Einzelfall Maßnahmenpläne zur Festlegung der umzu- setzenden Aktivitäten erarbeitet . Insbesondere bei Aus- bildungsmaßnahmen im Bereich der Durchführung von Ermittlungshandlungen sollen Arbeitsweisen vorgestellt und geübt werden, die in der kriminalpolizeilichen Arbeit Anwendung finden. Unser Ziel ist es, bei den Vertrags- partnern den sogenannten Sachbeweis als wesentlichen Bestandteil eines Ermittlungsverfahrens nach rechts- staatlichen Grundsätzen zu fördern . Die einzelnen vertraglichen Regelungen entsprechen zu weiten Teilen den bereits mit anderen Staaten abge- schlossenen Abkommen zur Verbrechens- und Terroris- musbekämpfung . Ich verweise insoweit etwa auf die Si- cherheitsabkommen mit dem Kosovo oder der Ukraine, die dem Bundestag seinerzeit ebenfalls vorlagen . Anzumerken ist noch, dass es sich bei den Sicherheits- abkommen um völkerrechtlich bindende Vereinbarungen handelt, die – im Gegensatz zu Polizei- und Justizverträ- gen – den Vertragsparteien keine über die Regelungen im innerstaatlichen Recht hinausgehenden Befugnisse oder Verpflichtungen einräumen. Die Sicherheitsabkommen sehen vor, dass die Zusammenarbeit der Vertragsparteien in allen Bereichen nach Maßgabe ihres jeweiligen inner- staatlichen Rechts erfolgt . Für die deutschen Sicherheits- behörden gelten somit auch die in Deutschland anwend- baren Rechtsgrundlagen und Beschränkungen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619974 (A) (C) (B) (D) Weiterhin enthalten die Abkommen jeweils zusätz- lich eine allgemeine Vorbehaltsklausel zur Ablehnung der Zusammenarbeit, wenn diese im Widerspruch zu dem innerstaatlichen Recht einer Vertragspartei steht . Wie Sie sehen, sind die Sicherheitsabkommen so ausge- staltet, dass Maßnahmen im Rahmen ihrer Umsetzung Menschenrechtsverletzungen keinen Vorschub leisten können . Anlage 20 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Im- mobilienmakler und Verwalter von Wohnungs- eigentum – des Antrags der Abgeordneten Christian Kühn (Tübingen), Renate Künast, Nicole Maisch, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Wohneigentumsrecht umfassend reformieren und modernisieren (Tagesordnungspunkt 32 und Zusatztagesord- nungspunkt 10) Astrid Grotelüschen (CDU/CSU): Wir debattieren heute in erster Lesung das Gesetz zur Einführung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilien- makler und Verwalter von Wohnungseigentum, das uns im November vom Bundesministerium vorgelegt wurde . Grundlage ist unser Koalitionsvertrag, in dem CDU/ CSU und SPD vereinbart haben, dass wir unter anderem für die genannten Berufe Mindestanforderungen durch einen Sachkundenachweis und Pflichtversicherungen einführen wollen . Beide Berufsbilder sind derzeit nicht zwingend mit einer Ausbildung verbunden, sondern le- diglich an eine Gewerbeanmeldung und ein Führungs- zeugnis geknüpft . Durch diese Maßnahmen soll dem Kunden eine gewisse Leistungsqualität zugesichert, und er soll zudem vor möglichen Folgen bei Fehlern bei der Vermittlung und Verwaltung einer Immobilie geschützt werden, es soll also der Verbraucherschutz einen höheren Stellenwert erhalten . Dies ist aufgrund des sich in den letzten Jahren in Deutschland entwickelten Zuwachses an Haus- und Wohnungseigentum zu diskutieren . Zu den über 9 Millionen Eigentumswohnungen, die nach dem Wohnungseigentumsgesetz verwaltet werden, kommt noch ein beachtlicher Anteil privater Mietwoh- nungen hinzu: Hier zählen neben 5 Millionen vermieteten Eigentumswohnungen weitere Wohnungen in Gebäuden privater Eigentümer dazu. Insgesamt ist die qualifizierte Fremdverwaltung von knapp 18 Millionen Wohnungen oder rund 44 Prozent des deutschen Wohnungsbestandes zu sichern . Dem Verbraucherschutz kommt hier mit dem Aspekt der Altersvorsorge eine besondere Bedeutung zu . Denn Wohnungseigentum ist eine äußerst attraktive Form der Vermögensbildung . Nun kommen wir zu dem Punkt, wie wir denn im Maklerrecht Anreize für eine bessere Beratung des Ver- brauchers beim Immobilienerwerb schaffen wollen . Und: Wie genau müssen wir dies in einem Gesetz eigentlich überhaupt festlegen? Hierzu haben bereits seit 2014 intensiv und ressort- übergreifend das BMWi, das BMJV und das BMUB die Einführung dieses Gesetzentwurfes mit dem Ziel des Ver- braucherschutzes diskutiert . Hintergrund ist: Standards aus anderen Beratungsberufen auf das Maklergewerbe zu übertragen . Das ist gleichzeitig einer der Knackpunkte des Gesetzes . Unser Ziel muss es immer sein, dass neben dem gut gemeinten, erweiterten Verbraucherschutz übermäßige Bürokratie und ausufernde Kosten vermieden werden . Immobilienverwaltungen und Makler haben bereits heu- te eine Vielzahl an Gesetzen und Verordnungen zu beach- ten . Daran müssen wir insbesondere bei dem Nachweis der Sachkunde denken . Die Notwendigkeit eines Sachkundenachweises zum Beispiel für den Geschäftsführer einer gewerblichen Im- mobilienverwaltung gilt ohnehin . Deshalb trifft rechtlich betrachtet nur ihn die Verantwortlichkeit für die quali- fizierte Auswahl seiner Mitarbeiter. Und daher sollte er ganz im eigenen Interesse dafür sorgen, dass seine Mit- arbeiter die nötige Fachkunde für ihre Arbeit besitzen . Und wenn trotzdem der Haftungsfall eintritt, muss der Geschäftsinhaber bzw . die Gesellschaft dafür einstehen . Übrigens stelle ich mir auch vor diesem Hintergrund ernsthaft die Frage, ob wir generell eine Berufshaft- pflichtversicherung für den Beruf des Maklers überhaupt benötigen . Beim Verkauf einer Immobilie haftet eh der Verkäufer, und der Vorgang des Verkaufes ist als „ein- maliger Akt“ mit der Unterzeichnung des Kaufvertrages beendet . Bei allen Punkten halte ich es für zweckmäßig, die für Anfang 2017 geplante Sachverständigenanhörung abzu- warten, die ich auch als Chance für die mittelständische Branche betrachte, ihre Standpunkte weiter zu präzisie- ren . Auch würde ich gerne Vertreter des Normenkontroll- rates hierzu begrüßen . Denn der NKR hat sich bereits im Dezember letzten Jahres zu einigen wichtigen genannten Punkten qualifiziert und kritisch geäußert. So berücksichtigen nämlich zum Beispiel die Kosten- schätzungen nicht, dass neue Meldepflichten besonders gegenüber den Gewerbeämtern zu erfüllen sind . Außer- dem sind der Aufwand und die Kosten von Immobilien- maklern und WEG-Verwaltern zur Vorbereitung einer Sachkundeprüfung nicht berücksichtigt . Hierbei wäre mir übrigens wichtig, eine große Vielfalt an verschiede- nen Institutionen oder Einrichtungen etc . zu haben, die eine solche Prüfung abnehmen würden . Eine Beurteilung fällt mir im Moment noch schwer, da keine hinreichenden empirischen Belege vorliegen . Dies haben bei der Anhörung im Dezember 2015 übri- gens auch alle befragten Sachverständigen erklärt . Die Frage ist ja grundsätzlich, inwieweit Schäden durch ge- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19975 (A) (C) (B) (D) setzliche Berufszulassungsregelungen vermieden wer- den können . So könnten zum Beispiel auch ein einfaches Qualitätssiegel oder die Einführung eines Registers völ- lig ausreichend sein . Geklärt werden müssen bei einer weiteren Anhörung aus meiner Sicht auch exakte begriff- liche Berufsbezeichnungen, wie zum Beispiel die Diffe- renzierung zwischen Immobilienmaklern und WEG-Ver- waltern . Wer darf sich eigentlich Makler nennen? Diese Frage gilt es zu klären, zumal es ja einen Ausbildungsbe- ruf „Immobilienkaufmann“ oder auch einen „Immobili- enmakler IHK“ gibt . Ich teile zentrale Bedenken des NKR, vor allem wenn es um mögliche hohe Kosten für die mittelständische Wirtschaft geht . Abschließend möchte ich daher noch- mals unterstreichen, dass es uns wichtig ist, dass die neuen Zulassungsvoraussetzungen, so sie wirklich nö- tig sind, mit möglichst geringem regulatorischem und bürokratischem Aufwand umzusetzen sein müssen . Wir haben eigentlich die „One in, one out“-Regelung, doch diese greift aufgrund des geltenden Gewerberechtes hier nicht . Eine unmittelbare Kompensation des entstehenden Erfüllungsaufwands ist also nicht möglich . Daher muss der Erfüllungsaufwand in Höhe von 18,3 Millionen Euro pro Jahr durch sinnvolle Entlastungen an anderer Stelle ausgeglichen werden können . Barbara Lanzinger (CDU/CSU): Der Abbau von unnötiger Bürokratie stärkt die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen, insbesondere kleiner und mittlerer Unternehmen . Wir wollen Wirtschaft und Bürger wei- ter spürbar von unnötiger Bürokratie entlasten . Gesetze müssen einfach, verständlich und zielgenau ausgestaltet werden, damit Bürokratielasten vermieden oder so ge- ring wie möglich gehalten werden . Die Europäische Uni- on muss sich bei der Normsetzung selbst zurücknehmen . Ich habe soeben Auszüge aus dem Koalitionsvertrag für die 18 . Legislaturperiode zitiert . Bei dem heutigen Gesetzentwurf meine ich, dass wir uns ernsthaft fragen müssen, ob er den gerade genannten Anforderungen ge- nügt . Wenn wir aber von der Europäischen Union Zu- rückhaltung bei der Normsetzung fordern, sollten wir uns auch hier im Deutschen Bundestag danach richten . Von vielen Branchenvertretern wird die Notwendigkeit einer Regulierung bejaht, und zwar vor allem mit dem Argu- ment des Verbraucherschutzes und wegen der Bedeutung von Wohneigentum für die individuelle Altersvorsorge . Natürlich haben Immobilienverwalter und -makler wichtige Aufgaben zu erfüllen . Diese nehmen hinsicht- lich der Anforderungen an die energetische Sanierung von Gebäuden sicherlich auch noch zu . Allerdings fra- ge ich mich ernsthaft, ob es derartige Missstände in der Branche gibt, die eine Regulierung und damit einen Ein- griff in die Berufsfreiheit rechtfertigen . Auch wenn von verschiedener Seite Zahlen vorgetragen wurden, konn- te nicht bestätigt werden, dass es belastbare Statistiken zu Schadensfällen in diesem Bereich gibt . Das wäre aber eine Grundvoraussetzung, um die Notwendigkeit einer Regulierung zu beurteilen – zumal die geplanten Regelungen insbesondere kleine und mittelständische Immobilienverwaltungen und Makler belasten würden und hohe Kosten für die Branche mit sich bringen . Die- se Kosten würden letztlich auch die Verbraucher treffen; denn es wäre zu erwarten, dass die Verwaltungen den gestiegenen Aufwand auf die Wohneigentümergemein- schaften umlegen . Wenn wir die Notwendigkeit eines Gesetzes aller- dings bejahen, müssen wir aus meiner Sicht auch Miet- verwalter mit einbeziehen . Eine Trennung der Berufsbil- der WEG-Verwalter und Mietverwalter ist praxisfern, sie sollten daher auch rechtlich gleich behandelt werden . Aus meiner Sicht gibt es aber noch weitere Fragen zu klären: Die diskutierte „Alte-Hasen-Regelung“, also der Verzicht auf einen verpflichtenden Sachkundenach- weis für Verwalter und Makler, die schon länger auf dem Markt agieren, überzeugt mich nicht . Wenn die behaup- teten Missstände vom Versagen unqualifizierter „Altver- walter“ herrühren, sollten gerade diese Sachkundenach- weise erbringen müssen, dies allerdings nicht ohne eine angemessene Übergangsfrist, auch um das Verfahren praktikabel zu gestalten . Ich bin aber nicht der Ansicht, dass sich die Pflicht zum Sachkundenachweis auch auf Mitarbeiter erstrecken sollte . Der Sachkundenachweis sollte allein für den Geschäftsinhaber oder Geschäftsfüh- rer gelten . Diesen trifft dann die Verantwortlichkeit für die Auswahl und Überwachung seiner Mitarbeiter, und er muss – schon im eigenen Interesse – dafür Sorge tragen, dass diese die erforderliche Sach- und Fachkunde für die übernommene Tätigkeit haben . Sollte dennoch ein Haf- tungsfall auftreten, muss – je nach Rechtsform – grund- sätzlich der Geschäftsinhaber oder die Gesellschaft dafür einstehen . Damit ist aus meiner Sicht dem Verbraucher- und Kundenschutz ausreichend Rechnung getragen; denn wir wollen ja ein Zuviel an Bürokratie vermeiden . Was die geplante verpflichtende Berufshaftpflichtver- sicherung betrifft, frage ich mich ebenfalls, ob diese not- wendig ist . Schon im eigenen Interesse werden Immobi- lienverwalter eine Haftpflichtversicherung abschließen. Da aber eben keine belastbaren Zahlen zu Schadens- fällen vorliegen, sollten wir uns mit einer gesetzlichen Verpflichtung aus meiner Sicht zurückhalten. Pflicht- versicherungen verteuern den Versicherungsschutz und führen zu mehr Bürokratie . Dies wäre insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen nachteilig . Bei der Zuständigkeit für die Abnahme der Sachkun- deprüfung meine ich, dass wir hier eine größere Vielfalt zulassen könnten . Möglicherweise ist ein Prüfmonopol der Industrie- und Handelskammern, wie bislang ge- plant, nicht notwendig . All diese Fragen sollten wir im neuen Jahr in einer öffentlichen Anhörung klären . Michael Groß (SPD): Ich begrüße den Gesetzent- wurf des Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriel zur Einführung einer Berufszulassungsregelung für gewerb- liche Immobilienmakler und Verwalter von Wohneigen- tum . Damit wird ein weiterer Baustein unseres Koaliti- onsvertrages umgesetzt . Mit dem Gesetz wird auch ein gewichtiger Punkt für den Verbraucherschutz umgesetzt . Immobilienmakler und Verwalter von Wohneigentum brauchten bisher trotz massiv gestiegener Anforderungen an ihr Profil gerade im Wohnimmobilienbereich keine spezifische Qualifizierung oder verpflichtende Haft- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619976 (A) (C) (B) (D) pflichtabsicherung zur Absicherung im Schadensfall. Natürlich sind gute Verwalter und Makler von Immobili- en bereits heute freiwillig versichert und bilden sich fort bzw . gehen nicht ohne Kenntnisse auf den Immobilien- markt . Trotzdem gibt es immer wieder schwarze Scha- fe, die die fehlende Gesetzgebung zu ihren Gunsten und zum klaren Nachteil bis hin zum persönlichen Ruin von Wohnungseigentümern führen . Mit der Gesetzesnovelle wird nun endlich klar definiert, welche Qualifizierungen und Voraussetzungen dringend und zwingend notwendig sind für das Berufsbild des Verwalters und des Maklers . Leider wurden bisher noch nicht alle Aspekte der Tä- tigkeiten aufgegriffen im Gesetzentwurf . Die große Spar- te der Mietwohnungsverwalter ist im bisherigen Entwurf nicht berücksichtigt . Hier sehe ich als wohnungs- und baupolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion dringenden Nachholbedarf . Damit stehe ich nicht alleine, sondern werde durch den Bundesverband der Immobi- lienverwalter, den Deutschen Mieterbund und auch von Haus & Grund – also den Wohnungseigentümern – un- terstützt . In Zeiten von niedrigen Zinsen und dem so- genannten Betongold als Rücklage und Alterssicherung ist der Traum der Eigentumswohnung nicht nur für den Eigenbedarf wichtig, um überhöhten Mieten in Ballungs- gebieten zu entfliehen, sondern auch eine langfristige Geldanlage und der Einstieg in die Kleinvermietung . Doch gerade für den Mieter können hier bei Fehlverhal- ten hohe finanzielle und existenzielle Lasten entstehen, und es sollte daher der Gesetzentwurf – auch zur eigenen Absicherung von Verwaltern – auf die Mietwohnungs- verwaltung ausgeweitet werden . Die bisherigen Ausnah- meregelungen werden wir im parlamentarischen Prozess noch diskutieren . Gerade die sogenannte Alte-Hasen-Re- gelung für langjährig tätige Gewerbetreibende und an- gestellte Verwalter und Makler sollte auf den Prüfstand gestellt werden . Dies würde eine große Zahl der Verwal- ter und Verwalterinnen betreffen, doch gerade die vielsei- tigen neuen Anforderungen an das Berufsbild erfordern eine umfassende Qualifikation und regelmäßige Weiter- bildung . Ich bin daher sehr dafür, die Sachkundenach- weispflicht auch auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auszudehnen . Unterm Strich sorgt der vorliegende Gesetzentwurf für Sicherheit auf allen Seiten: Verwalter und Makler si- chern sich besser ab und schließen aus, dass ein ganzes Berufsbild durch schwarze Schafe in Verruf gerät . Mie- terinnen und Mieter können sich sicher sein, von kompe- tenten Menschen betreut zu werden . Marcus Held (SPD): Heute behandeln wir in erster Lesung den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Ein- führung einer Berufszulassungsregelung für gewerbliche Immobilienmakler und Verwalter von Wohnungseigen- tum . Damit setzen wir als Regierungskoalition einen wei- teren Punkt aus dem Koalitionsvertrag um, wo es heißt: „Wir wollen im Maklerrecht Anreize für eine besse- re Beratung des Verbrauchers beim Immobilienerwerb schaffen . Hierzu streben wir als weitere Option des Ver- brauchers eine erfolgsunabhängige Honorierung entspre- chend dem Beratungsaufwand an . Zudem wollen wir einen Sachkundenachweis einführen und Standards aus anderen Beratungsberufen auf das Maklergewerbe über- tragen. Wir werden berufliche Mindestanforderungen und Pflichtversicherungen für Wohnungsverwalter und Immobilienmakler verankern .“ Der vorliegende Gesetzentwurf bildet eine gute Grundlage, um im parlamentarischen Verfahren nun wei- ter daran arbeiten zu können . Wohneigentum wird für viele Menschen hier in Deutschland, vor allem als Altersvorsorge, immer wich- tiger . Attraktive Zinssätze und steigende Mieten beför- dern den „Traum vom Eigenheim“ bei den Bürgerinnen und Bürgern derzeit . Deswegen ist es wichtig, dass wir insbesondere auf Qualität bei den Verwaltern und Im- mobilienmaklern setzen und diese mit diesem Gesetz- entwurf hervorheben . Sachkunde bei der Tätigkeit eines Immobilienmaklers und Wohnungseigentumsverwalters ist deshalb von großer Wichtigkeit . Bereits im Vorfeld gab es zu diesem Gesetzentwurf großen Diskussionsbedarf, viele Stellungnahmen aus der Branche hatten mich dazu erreicht . Aus Sicht der SPD-Bundestagsfraktion möchte ich kurz auf ein paar Dinge eingehen, die für uns wichtig sind und die wir im Gesetz ergänzen und sicherstellen wollen . Die Pflicht zum Nachweis der Sachkunde und die Weiterbildungspflicht sollen auf Mitarbeiter, die eine ak- tive Verwaltungstätigkeit ausüben, ausgeweitet werden . Ich kenne dazu die Bedenken des Normenkontrollrats und auch die des Koalitionspartners, werbe aber hier aus- drücklich weiter für diese Regelung, weil wir dies in der SPD-Bundestagsfraktion für sinnvoll halten . Zudem sollen auch die Mietverwalter in das Verfahren eingeschlossen werden . Außerdem wollen wir die Bestandsschutzregelung, die sogenannte Alte-Hasen-Regelung, so verändert wis- sen, dass alle Verwalter die oben genannten Vorausset- zungen erfüllen müssen . Allerdings erst nach drei Jahren . Auch halte ich die Erweiterung der Versicherungs- pflicht auf die Betriebshaftpflichtversicherung für Immo- bilienmakler für sinnvoll . Dies werden wir als Koalition im parlamentarischen Verfahren prüfen lassen . Deshalb freue ich mich auf die vor uns stehende Zu- sammenarbeit in der Koalition zu diesem Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren, insbesondere mit mei- nen beiden Unionskolleginnen Frau Grotelüschen und Frau Lanzinger, und bin guter Dinge, dass wir ein für alle Seiten anständiges und annehmbares Gesetz hinbekom- men werden . Caren Lay (DIE LINKE): Mit dem vorliegenden Ge- setzentwurf löst die Bundesregierung das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag ein, Immobilienmaklern und Verwaltern von Wohneigentum Berufszulassungen auf- zuerlegen . Gewerbliche Immobilienmakler und Woh- nungsverwalter müssen einen Sachkundenachweis über die IHK erbringen und Verwalter eine Berufshaftpflicht- versicherung abschließen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19977 (A) (C) (B) (D) Gemeinsam mit den Verbänden begrüßt die Linke das Anliegen des Gesetzes . Der Sachkundenachweis sichert die Qualität der Arbeit und bremst vereinzelt auftretende schwarze Schafe aus, und eine Berufshaftpflichtversiche- rung schützt im Endeffekt Mieterinnen und Mieter vor finanziellen Schäden bei Zahlungsunfähigkeit des Ver- walters oder der Verwalterin . Die Linke sieht in einigen Bereichen aber noch deutli- chen Änderungsbedarf . Der Gesetzentwurf bleibt an vie- len Punkten hinter seinen Möglichkeiten zurück . Es er- schließt sich uns nicht, warum die Zulassungsregelungen ausschließlich auf die Verwalter von Wohneigentum be- schränkt sind und nicht auf die Verwalterinnen und Ver- walter von Mietwohnungen . Im Koalitionsvertrag sprach die Bundesregierung noch ausdrücklich von Wohnungs- verwaltern, was auch die Mietverwalter mit einschließt . Dies fordern sogar die Betroffenen selber . Es ist nicht nachvollziehbar, warum ein großer Teil der Verwalterin- nen und Verwalter nicht vom Gesetzentwurf erfasst wird . Nicht verständlich ist auch, warum der Sachkunde- nachweis nicht auch auf Mitarbeiterinnen und Mitarbei- ter von Wohneigentumsverwaltern ausgedehnt wird, die dieselbe Tätigkeit ausüben wie Gewerbetreibende . Ähn- liche Regelungen gibt es bereits bei den Finanzvermitt- lern . Genauso wenig ist nachvollziehbar, dass die Berufs- haftpflicht nicht auf Maklerinnen und Makler ausgedehnt wird . Wir alle wissen: In fast keinem Beruf reichen die ein- mal erlernten Kenntnisse bis zum Eintritt in die Rente . Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern müssen sich auf ständig verändernde Bedingungen einstellen . In man- chen Berufen passiert dies im laufenden Betrieb, aber gerade Verwalterinnen und Verwalter sind mit ständig wechselnden Anforderungen und Gesetzen konfrontiert . Ein einmaliger Sachkundenachweis wird dafür nicht aus- reichen . Nutzen Sie die Gelegenheit und führen Sie eine Weiterbildungspflicht für Verwalterinnen und Verwalter ein . Das nützt am Ende auch ihren Kundinnen und Kun- den und entlastet die Gerichte . Der vorliegende Gesetzentwurf ist in vielen Punkten notwendig, leider aber noch nicht ganz ausgereift . Wir fordern die Bundesregierung auf, hier noch einmal nach- zubessern . Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Seit über einem Jahr warten wir auf die Einführung dieses Sachkundenachweises für gewerbli- che Immobilienmakler und Verwalter von Wohnungsei- gentum . Der Zeitpunkt, zu dem wir ihn nun debattieren, spricht Bände . Sowohl Vertreterinnen und Vertreter von Wohnungseigentümern wie auch von Verwalterseite sind sich schon lang darüber einig, dass es hier Regelungen braucht . Und auch politisch diskutieren wir das seit letz- ter Wahlperiode; es steht sogar im Koalitionsvertrag . Deshalb ist es für mich absolut nicht nachvollziehbar, warum die Bundesregierung so lange gebraucht hat, um diesen Gesetzentwurf vorzulegen . Wenn Sie gleichzeitig eine Reform des WEG-Rechts vorgelegt hätten, könnte ich das verstehen; denn diese ist mindestens ebenso not- wendig wie die Einführung des Sachkundenachweises . Aber man kann ja schon froh sein, dass wenigstens dieser Gesetzentwurf im Bundestag behandelt wird . Anderen Vorhaben dieser Bundesregierung ist noch nicht einmal das vergönnt; denn leider ist ihre momentane Politik von einem gegenseitigen Ausbremsen geprägt, das man in vielen Politikfeldern beobachten kann . Leider bleiben Sie in ihrem Gesetzentwurf wieder einmal weit hinter dem zurück, was guten Mieter- und Verbraucherschutz ausmacht . Der Sachkundenachweis muss zum Beispiel auch auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie auf Mietverwalterinnen und Mietver- walter ausgedehnt werden . Zusätzlich sollten auch sie verpflichtet werden, sich jährlich fortzubilden. Damit Wohnungseigentümer darauf vertrauen können, dass aus- nahmslos jeder Wohnungseigentums- und Mietverwalter und jede -verwalterin über einen Sachkundenachweis verfügt, muss die sogenannte Alte-Hasen-Regelung ge- strichen werden . Außerdem fordern wir ein öffentliches Register von Immobilienverwalterinnen und -verwal- tern, welches bei den Industrie- und Handelskammern angesiedelt und jederzeit einsehbar sein soll . Mittlerweile ist jede vierte Wohnung in Deutschland eine Eigentumswohnung – Tendenz steigend . Insgesamt haben wir 9 Millionen Eigentumswohnungen, deren Be- sitzerinnen und Besitzer, trotz ihrer großen Bedeutung für die Wohnungsmärkte, in der wohnungspolitischen Debatte kaum Gehör finden. Das WEG-Recht ist hoff- nungslos veraltet, obwohl der Wohnungsmarkt einem stetigen Wandel unterliegt . Auch hier agiert die Große Koalition zukunftsvergessen . Wohnungseigentümerin- nen und Wohnungseigentümer sind wichtige Partner für das Erreichen der Klimaziele . Das wissen wir seit gerau- mer Zeit . Angesichts des hohen Reformbedarfs haben wir unseren Antrag „Wohnungseigentumsrecht umfas- send reformieren und modernisieren“ zu Ihrem Gesetz- entwurf dazugesetzt . In der gestrigen Kabinettssitzung hat die Bundesregie- rung eingeräumt, dass es Änderungen am Wohnungsei- gentumsgesetz bedarf . Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Großen Koalition: Sie müssen das nicht in die nächste Legislaturperiode schieben! Sie können auch ein- fach unserem Antrag zustimmen, der auch umfassende Änderungsvorschläge in Bezug auf Klima- und Verbrau- cherschutz enthält . Bereits das Bundesverfassungsge- richt hat im März 2015 in seinem Urteil anerkannt, dass Wohnungseigentümergemeinschaften Verbraucher sind . Dementsprechend muss sich auch der Verbraucherschutz viel stärker im Wohnungseigentumsrecht wiederfinden. Wir brauchen endlich mehr Transparenz bei der Ver- waltung von WEG-Finanzen . WEG-Konten müssen bes- ser vor Missbrauch geschützt werden . In Krisenfällen brauchen Wohnungseigentümerinnen und -eigentümer mehr Handlungsmöglichkeiten . Ihnen muss eine ver- einfachte Einberufung der Eigentümerversammlung er- möglicht werden . Insgesamt wollen wir den WEG-Beirat gegenüber den Verwalterinnen und Verwaltern stärken und als Kontrollinstanz ausbauen . Hierfür brauchen wir deutlich mehr Beratungs- und Schulungsangebote auch von staatlicher Seite . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619978 (A) (C) (B) (D) Es sollen mehr Umbaumaßnahmen und Sanierungen von Wohnungseigentümergemeinschaften ermöglicht werden . Dafür bedarf es zum Beispiel mehr Rechtssi- cherheit bei der Abgrenzung von Sanierungsmaßnah- men als Instandhaltung, Instandsetzung, modernisierte Instandsetzung, Modernisierung und bauliche Verände- rung . Zusätzlich wären steuerliche Anreize für den ener- getischen und barrierefreien Umbau von WEG sinnvoll . Um die Gerichte zukünftig von den häufigen Rechtsstrei- tigkeiten in Wohnungseigentümergemeinschaften zu ent- lasten, fordern wir Möglichkeiten zur außergerichtlichen Streitbeilegung. Hierzu finden Sie einige Vorschläge in unserem Antrag . Wir setzen uns als Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen für eine bessere Stellung der Eigentümerinnen und Eigentümer gegenüber den Verwalterinnen und Ver- waltern ein . Obwohl es zahlreiche Beispiele für eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit gibt, ist der Scha- den, der von einigen schwarzen Schafen in der Branche verursacht wurde, leider zu hoch . Dem dürfen wir nicht tatenlos zusehen . Deswegen schlagen wir als ein Instru- ment einen Abberufungskatalog für WEG-Verwalter ein . Wie Sie sehen, sind umfassende Reformen am Woh- nungseigentumsrecht, ergänzt durch die Verbesserun- gen an den Berufszulassungsvoraussetzungen für Woh- nungs- und Immobilenverwalterinnen und -verwalter, notwendig . Vor Ihnen liegt das weitere parlamentarische Beratungsverfahren . Nutzen Sie diese Möglichkeit, und verschieben Sie die notwendigen Lösungen nicht auf den Sankt-Nimmerleins-Tag! Anlage 21 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung (Heil- und Hilfsmit- telversorgungsgesetz – HHVG) – des Antrags der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ver- sorgung verbessern – Kompetenzen von Heil- mittelerbringern ausbauen (Tagesordnungspunkt 33 a und b) Dr. Roy Kühne (CDU/CSU): Heute bringen wir das Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung in den Deutschen Bundestag ein . Mit diesem schaffen wir verbesserte wirtschaftliche Bedingungen für die Heilmit- telleistungserbringer, schärfen die Rahmenbedingungen für die Versorgung mit Hilfsmitteln sowie im Bereich der Wundversorgung und stärken dadurch vor allem die Patientinnen und Patienten in ihren Rechten und Mög- lichkeiten . All diese Schritte sind unbedingt notwendig geworden, schaut man sich die Situationen in den unter- schiedlichen Bereichen einmal genauer an: Die Heilmittelerbringer, wir sprechen hier von mehr als 330 000 Beschäftigten in den Berufsgruppen der Phy- siotherapie, Ergotherapie, Sprachtherapie und Podologie, leiden unter starkem finanziellen Druck. Hohe Schul- geldkosten und geringe Verdienstaussichten dünnen die Berufsgruppen zunehmend aus . Hinzu kommt, dass zahl- reiche Qualifikationen erst im Anschluss erlernt werden können, was mit einem hohen zeitlichen und finanziellen Zusatzaufwand verbunden ist . Es ist richtig, dass wir uns dieser Berufsfelder annehmen und ihnen eine echte Zu- kunftsperspektive aufzeigen . Bisher sind die Therapeuten in ihren Verhandlungen an die Grundlohnsumme gebunden . Die Grundlohnsum- menveränderungsrate markiert die obere Grenze für die Gehälterentwicklung der Therapeuten . Ärzte und Zahn- ärzte haben es längst geschafft, die Entkopplung zu er- reichen, nun sind endlich auch die therapeutischen Ge- sundheitsberufe an der Reihe . Sosehr ich die zahlreichen Vorteile begrüße, möchte ich ganz deutlich die Verkür- zung auf drei Jahre kritisieren und verspreche, dass ich mich intensiv darum bemühen werde, zur Formulierung aus dem ersten Referentenentwurf aus dem BMG zu- rückzukehren . Die Therapeuten müssen dauerhaft die Möglichkeit haben, auch oberhalb der Veränderungsrate verhandeln zu können . Die Anforderungen, vor denen unser Gesundheitssys- tem steht – steigende Lebenserwartung, alternde Gesell- schaft, wachsender Pflegebedarf –, müssen mit klaren Konzepten und guten Ideen konsequent angegangen wer- den . Das geplante Modellvorhaben „Blankoverordnung“ ist genau der richtige Weg zu einem kompetenzorien- tierten Gesundheitssystem . Ziel ist es, dem Therapeuten die Versorgungsverantwortung zu übertragen, indem er Auswahl und Dauer der Therapie sowie die Frequenz der Behandlungseinheiten selbst bestimmen kann . Die Er- probung in einem Modellvorhaben ist aus unserer Sicht notwendig, um die Überführung in die Regelversorgung zu überprüfen . Ich rufe aber an dieser Stelle die Bundes- länder, Kassen und Therapieverbände auf, sich gemein- sam an einen Tisch zu setzen, um einheitliche und ver- bindliche Rahmenbedingungen zu schaffen . Nur dadurch können evaluierbare Daten geschaffen werden, nur so kann das Modellvorhaben erfolgreich sein . Ebenfalls stehen wir im Bereich der Hilfsmittelversor- gung vor großen Herausforderungen . Der Patientenbe- auftragte der Bundesregierung, Staatssekretär Karl-Josef Laumann, hat mit seiner Aktion zu Inkontinenzproduk- ten auf ein Thema aufmerksam gemacht, das Millionen Patienten betrifft . Die Qualitätsanforderungen an Hilfs- mittel müssen konkretisiert werden, der Schutz der Pa- tienten muss für uns oberste Priorität haben, und die Versorgungssicherheit darf nicht unter kalkulatorischen Rechenbeispielen aufgerieben werden . Diese Aufgaben gehen wir mit dem HHVG konsequent an . Das Hilfsmittelverzeichnis bedarf einer grundlegen- den Überarbeitung . Dass einige Produktgruppen seit Jahrzehnten nicht überarbeitet worden sind, ist für mich vollkommen unverständlich . Aber jetzt haben wir re- agiert und dem GKV-SV aktualisierte Instrumente an die Hand gelegt, um den Missstand zu beheben . Die kontinu- ierliche Fortschreibung, Aktualisierung und Bereinigung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19979 (A) (C) (B) (D) des Hilfsmittelverzeichnisses ist ein wichtiges Instru- ment, ebenso wie die Festsetzung von Qualitätskriterien . Wichtig war uns, dass neben der Qualität des Produkts auch die Zweckmäßigkeit oder die Zugänglichkeit der Leistung, aber auch andere Kriterien zur Bewertung he- rangezogen werden . Nur so können wir einen Standard garantieren, der allen Patientinnen und Patienten gerecht werden kann . Aus meiner beruflichen Erfahrung weiß ich bestens, dass nicht jeder Patient mit jedem Hilfsmittel einwand- frei zurechtkommt . Deswegen ist es sinnvoll, dass wir die Anzahl der zur Verfügung stehenden mehrkostenfrei- en Hilfsmittel erhöhen . Dadurch hat jeder die Möglich- keit auf eine vernünftige und zweckmäßige Versorgung . Es gilt der Grundsatz: Umfangreiche und gute Versor- gung müssen für jeden zugänglich sein . Fakt ist: Das Hilfsmittelverzeichnis wird grundlegend überarbeitet und muss permanent fortgeschrieben wer- den . Fakt ist auch: Die Beratungs- und Informationsrech- te der Versicherten werden umfangreich gestärkt . Darüber hinaus schaffen wir die Grundlage zur Ver- besserung der Versorgung chronischer und schwer hei- lender Wunden . In besonderen Fällen können speziali- sierte Wundzentren bereits jetzt gegründet werden . Diese sollen aber explizit unabhängig in ihren Finanzierungs- strukturen bleiben, weswegen wir durch Nachjustierun- gen das Zusammenwirken der Leistungserbringer aus- schließen . So wird die Unabhängigkeit der Einrichtungen sichergestellt . Sie sehen: Wir stärken die Versicherten in ihren In- teressen, unterstützen Heil- und Hilfsmittelerbringer auf vielfältige Art und Weise und stärken die Pluralität im Gesundheitssystem . Ich möchte mich auf diesem Wege ganz herzlich beim Bundesminister für Gesundheit, Hermann Gröhe, und seinem Haus – hier möchte ich insbesondere den Pflege- beauftragten der Bundesregierung, Karl-Josef Laumann, hervorheben –, meinen Kolleginnen und Kollegen in der Koalition und ganz besonders innerhalb unserer Arbeits- gruppe Gesundheit für Ihre Unterstützung danken . Be- sonders vor dem Hintergrund, dass dieses Gesetz außer- halb der Koalitionsvereinbarung zusätzlich seinen Weg in die Gesetzgebung finden wird, meinen herzlichsten Dank . Martina Stamm-Fibich (SPD): Laut einer repräsen- tativen Umfrage der Schwenninger Krankenkasse unter rund 1 000 Teilnehmern sind die Bürgerinnen und Bür- ger mit der Hilfsmittelversorgung durch die gesetzliche Krankenversicherung unzufrieden . 74 Prozent sind der Meinung, es werde immer schwieriger, beispielsweise Bandagen, Einlagen oder Hörhilfen so wie beantragt auch bewilligt zu bekommen . Jeder Zweite gibt an, Hilfs- mittel schon selbst bezahlt zu haben, obwohl sie nach ei- gener Einschätzung medizinisch notwendig waren . Das Thema Hilfsmittel beschäftigt mich inzwischen seit über zwei Jahren . Ausschlaggebend war eine Petiti- on beim Deutschen Bundestag zum Thema Inkontinenz- versorgung . Diese Petition weist auf massive Missstände in der Versorgung mit aufsaugenden Hilfsmitteln hin . Die Monatspauschalen der gesetzlichen Krankenkassen liegen derzeit zum Teil unter 10 Euro . Meiner Meinung nach sind für eine qualitativ angemessene Versorgung je- doch mindestens Pauschalen in Höhe von 20 Euro nötig . Durch meine Hartnäckigkeit und durch viele Gespräche unter anderem mit dem Patientenbeauftragten der Bun- desregierung, Karl-Josef Laumann, ist der Stein ins Rol- len gekommen . Auch der Petitionsausschuss hat das Pro- blem erkannt und die Petition mit einem hohen Votum an das Bundesministerium für Gesundheit überwiesen . Im Juni lag dann der ersehnte Referentenentwurf ei- nes neuen Heil- und Hilfsmittelgesetzes aus dem Bun- desgesundheitsministerium vor . Daraufhin erfolgte Ende August der Kabinettsbeschluss . Ich freue mich sehr, dass sich das Gesetz heute in der ersten Lesung befindet und wir den parlamentarischen Prozess starten . Ich hoffe, dass auch in diesem Fall das sogenannte Struck’sche Ge- setz, wonach kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es hineingekommen ist, greifen wird; denn vollständig glücklich bin ich mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf noch nicht . Unter den Begriff Hilfsmittel fallen Sachmittel, die Patienten mit funktionseingeschränkten Gliedmaßen oder Organen benötigen, also beispielsweise Hörhil- fen, Inkontinenzhilfen oder Prothesen . Der Markt ist aufgrund völlig unterschiedlicher Produkte und einer Vielfalt von Anbietern sehr intransparent . Durch die de- mografische Entwicklung steigen der Bedarf an Hilfsmit- teln und die Ausgaben kontinuierlich an, sodass dieser Bereich stärker in den Fokus rückt . Betrachtet man die einzelnen Ausgaben der GKV im Jahr 2015, entfielen 7,6 Milliarden Euro auf Hilfsmittel . Mit einem Anteil von 3,8 Prozent an den GKV-Gesamtausgaben lagen die Hilfsmittel damit auf Rang sechs, nach Krankenhausleis- tungen, ärztlicher Behandlung und Arzneimitteln . Medi- zinischer Fortschritt und medizintechnischer Fortschritt tragen zudem ständig zur Entwicklung neuer Hilfsmittel bei . Zu den Hilfsmittelproduktgruppen mit den höchsten Ausgaben pro Versichertem zählten im letzten Jahr die Hörhilfen, Inhalations- und Atemtherapiegeräte, Orthe- sen/Schienen, Inkontinenzhilfen, Kranken- und Behin- dertenfahrzeuge sowie Einlagen . Das Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittel- versorgung regelt nun wichtige Maßnahmen zur Quali- tätsverbesserung der Hilfsmittelversorgung . Das Gesetz umfasst aber auch Regelungen zu Heilmitteln, zur Wund- versorgung und zum Schutz der Sozialdaten . Der Ge- setzentwurf sieht vor, dass die Krankenkassen beim Ab- schluss von Lieferverträgen nicht nur den Preis, sondern vor allem die Produktqualität angemessen berücksichti- gen . Neben dem Preis sollen zu mindestens 40 Prozent Qualitätsaspekte wie Kundendienst, Erreichbarkeit und Anwendungshilfen berücksichtigt werden . Außerdem soll der GKV-Spitzenverband verpflichtet werden, das Hilfsmittelverzeichnis regelmäßig zu aktualisieren . Das vom GKV-Spitzenverband zu erstellende und regelmäßig fortzuschreibende Hilfsmittelverzeichnis ist das wichtig- ste Werkzeug zur Sicherung der Qualität der Hilfsmittel- versorgung und zur Schaffung von Transparenz über das Angebot erstattungsfähiger Hilfsmittel . Die über Jahre Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619980 (A) (C) (B) (D) verschleppte Anpassung der Qualitätskriterien einzelner Produktgruppen hatte das Preisdumping befördert . Mit dem HHVG sollen die Versicherten zudem die Wahl zwischen mehreren aufzahlungsfreien Hilfsmitteln, auch bei Ausschreibungsverträgen, erhalten . Dies ist po- sitiv zu bewerten . Am Instrument der Ausschreibungen generell wird nicht gerüttelt . Krankenkassen soll es er- möglicht werden, sogenannte Mehrpartnermodelle aus- zuschreiben . Dadurch können bei einer Ausschreibung mehrere Hersteller den Zuschlag erhalten . Dies kann sinnvoll sein, um den Versorgungsablauf der Versicher- ten sicherzustellen, wenn beispielsweise ein Hersteller Lieferschwierigkeiten hat . Exklusivverträge mit nur ei- nem Anbieter und einem Produkt sind künftig verboten . Die Krankenkassen sollen in Zukunft Stichproben- und Auffälligkeitsprüfungen durchführen . Hierfür soll es ihnen ermöglicht werden, die notwendigen Daten bei den Leistungserbringern anzufordern . Bei patientenbezoge- nen Daten ist eine vorherige Zustimmung des Patienten notwendig . Die Regelung gewährleistet, dass den Kran- kenkassen auch wirklich Daten vorliegen und ein effekti- ves Vertragscontrolling ermöglicht wird . Zukünftig soll über die Abrechnung der Hilfsmittellie- feranten auch die Höhe der Aufzahlungen erfasst werden . Bisher liegen diese Daten weder Krankenkassen noch Politik vor, da Hersteller und Versicherte über die ge- wählte Versorgung und eine damit verbundene Aufzah- lung eine privatrechtliche Vereinbarung schließen . Durch die neue Regelung können Krankenkassen auf mögliche Fehlentwicklungen aufmerksam machen und ihnen ent- gegenwirken . Das ist sehr zu begrüßen . Hier besteht eine echte Chance, Licht in den Dschungel der Aufzahlungs- märkte zu bringen und die Versicherten zielgerichtet zu beraten und zu unterstützen . Schade ist, dass im aktuellen Gesetzesentwurf keine Regelung zum Thema der externen Hilfsmittelberater vorgesehen ist . Hier fehlt bislang eine eindeutige Rechts- grundlage . Die derzeitige Rechtsunsicherheit beruht da- rauf, dass die Krankenkassen gemäß SGB V nicht befugt sind, Daten an die externen Hilfsmittelberater weiterzu- geben . Deshalb sitzen die Berater derzeit in den Räumen der Krankenkassen . Durch eine gesetzliche Klarstellung könnte die Weitergabe der Daten an die externen Hilfs- mittelberater erlaubt werden . Der Einsatz dieser Fachleute ist immer dann hilfreich, wenn es darum geht, eine Hilfsmittelversorgung auf ihre Zweckmäßigkeit und den bedarfsgerechten Einsatz im in- dividuellen Wohnumfeld zu überprüfen . Ich wünsche mir hier eine gesetzliche Klarstellung und werde im weiteren Gesetzgebungsprozess darauf hinwirken . Aktuell wer- den Hilfsmittelberater für etwa 1 Prozent der Hilfsmit- telversorgung eingeschaltet . Der Hilfsmittelexperte berät Krankenkassen in technischen Fragen . Er übernimmt da- bei keine Leistungen des MDK. Die finale Entscheidung über die Versorgung bleibt bei der Krankenkasse, der Be- rater spricht nur eine Empfehlung aus . Aus meiner Sicht wäre der Aufbau der Expertise für technische Beratung bei den Krankenkassen selbst unwirtschaftlich, da es sich nur um eine sehr kleine Anzahl von Fällen handelt . Unter keinen Umständen dürfen externe Hilfsmittelberater von Krankenkassen dazu eingesetzt werden, auf Kosten der Versicherten zu sparen . Beim Einsatz der Berater sollen auch die Versicherten einen Vorteil haben . Die Berater sollen zur Qualitätssicherung der Versorgung eingesetzt werden . Ziel ist es, so Über-, Fehl- als auch Unterversor- gung aufzudecken . Für mich ist klar, dass die Situation der Betroffenen besser werden muss . Wirtschaftlichkeit darf nicht der einzige Maßstab sein . Wir brauchen in der Versorgung mit Hilfsmitteln mehr Qualität und mehr Bewusstsein für die individuellen Bedürfnisse der Patienten . Jeder Patient muss davon ausgehen können, dass er bei seiner Kran- kenkasse ordentlich versorgt wird . Das neue Heil- und Hilfsmittelgesetz muss die nötigen Rahmenbedingungen für eine patientengerechte, aber finanzierbare Versorgung Betroffener mit Hilfsmitteln setzen . Grundsätzlich muss der Wettbewerb zwischen den Kassen bestehen bleiben . Zukünftig muss dieser jedoch viel stärker zu einem Wett- bewerb um die qualitativ beste Versorgung werden – nicht wie bisher einer um das billigste Angebot . Als Ge- setzgeber müssen wir die Voraussetzungen schaffen, dass den Kassen ein harmonischer Dreiklang aus Wirtschaft- lichkeit, Qualität und Serviceleistung gelingen kann . Ich begrüße es, dass der GKV-Spitzenverband bereits im Vorgriff auf die Gesetzgebung reagiert hat und die Qualitätsanforderungen an aufsaugende Inkontinenz- hilfsmittel deutlich anheben wird . Von den aktuell rund 2 200 für diesen Bereich gelisteten Produkten werden voraussichtlich über 600 Produkte nach dem Ende der Übergangsfrist aus dem Verzeichnis gestrichen . Es wird gründlich aufgeräumt . Wie der GKV-Spitzenverband Ende Oktober gegen- über „apotheke adhoc“ bestätigte, soll ab Mitte Novem- ber die Hilfsmittelliste der entsprechenden Gruppe 15 ak- tualisiert werden . Damit stehen circa 100 höherwertige Produkte zur Versorgung bereit . Der Selbsthilfeverband Inkontinenz geht davon aus, dass die neuen Produkte ab Januar bei den Patienten ankommen und damit noch be- vor das „Gesetz zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittel- versorgung“ verabschiedet wird . Als Arbeitsgruppe Gesundheit der SPD-Bundestags- fraktion haben wir uns als Erste um das Thema Hilfs- mittelversorgung gekümmert . Wir haben bereits Ende Juni 2015 unser Positionspapier „Hilfsmittelversorgung verbessern – Versorgungsqualität für Patienten stärken“ veröffentlicht . Wir haben sieben konkrete Forderungen formuliert . Darin enthalten sind neben der konsequenten Kopplung der Ausschreibung an Qualitätskriterien auch die Forderung nach Transparenz sowie die Überwachung der Qualitätsstandards . Die Eckpunkte unseres Koaliti- onspartners sowie der nun vorliegende Gesetzentwurf orientieren sich an unseren Forderungen . Birgit Wöllert (DIE LINKE): Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung vorgelegt . Das Anliegen begrüßen wir ausdrücklich . Im Sinne von Gesundheitsförderung, Therapie und Rehabilitation sieht auch meine Fraktion Die Linke eine zunehmende Bedeutung der Heil- und Hilfsmittelversorgung . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19981 (A) (C) (B) (D) Die circa 330 000 Physiotherapeuten und Physiothera- peutinnen, Ergotherapeuten und Ergotherapeutinnen, Lo- gopäden und Logopädinnen und Podologen und Podolo- ginnen leisten in der gesundheitlichen und medizinischen Versorgung hervorragende Arbeit . Dieser Gesetzentwurf wird sich unter anderem daran messen lassen müssen, ob er für diese Berufsgruppen eine substanziell bessere Ver- gütung gebracht hat . Ob dazu allein die Loslösung von der allgemeinen Lohnentwicklung ausreichend ist, darf stark angezwei- felt werden . Schließlich ermöglicht dies zunächst nur eine größere Flexibilität bei den Honorarverhandlungen mit den Krankenkassen . Das ist aber längst keine Garan- tie dafür, dass die Therapeutinnen und Therapeuten auch wirklich mehr Geld in der Tasche haben werden . Dass diese Regelung nun anders als im früheren Entwurf auch noch zeitlich befristet ist, schürt den Verdacht, dass es sich um eine Hinhaltetaktik der Bundesregierung han- delt, der wir uns keinesfalls anschließen werden . Schon seit langem fordern wir mehr Kompetenzen für die Therapeutinnen und Therapeuten . Es ist nur richtig, dass die Expertinnen und Experten auf ihrem Gebiet die richtige Behandlung auf Basis der ärztlichen Diagnose selbst bestimmen . In der Physiotherapie laufen schon zwei Modellvorhaben mit ersten Zwischenergebnissen . Ich denke, wir sollten im Gesetzgebungsverfahren darü- ber diskutieren, ob es tatsächlich notwendig ist, Modell- vorhaben nochmals auszudehnen, oder ob der Gesetzge- ber Regelungen für eine Blankoverordnung schon jetzt vorgibt und sie nach einem bestimmten Zeitraum evalu- iert . Dagegen ist es doch sehr enttäuschend, dass der Di- rektzugang zur Logopädie, Physiotherapie etc . überhaupt nicht angegangen wird . Auch hier sind entsprechende Modellversuche überfällig . Für den Bereich der Hilfsmittel sind Veränderungen längst überfällig . Diese Veränderungen müssen vor allem auf eine qualitativ bessere Versorgung der Betroffenen abzielen . Es muss gewährleistet sein, dass Hilfsmittel, die dem speziellen Krankheitsbild und dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechen, ohne Mehrkosten für die Versicherten erstattet werden . Die ständige Fortschrei- bung und Aktualisierung des Hilfsmittelverzeichnisses hätten schon viel eher vorgeschrieben werden müssen . Die bessere Überwachung der Ergebnisqualität und die Stärkung der Wahlmöglichkeiten für die Versicherten, die Festlegung einer Verfahrensordnung zur Aufnahme von Hilfsmitteln in das Hilfsmittelverzeichnis und jährli- che Berichterstattung vor dem Ausschuss für Gesundheit sind mögliche Schritte für eine bessere Versorgung . Mit den Regelungen zu Hilfsmittelausschreibungen gesteht die Bundesregierung endlich ein, dass hier in der Praxis vieles schief gelaufen ist . Dass der Preis nun nicht mehr das alleinige Kriterium für Wirtschaftlichkeit sein soll, ist auch eine längst überfällige Erkenntnis . Dass die Gewichtung der Qualität nun aber ausgerechnet bei 40 Prozent liegen soll, ist kaum überprüfbar und dürfte wenig spürbare Verbesserungen bringen . Die Ausschrei- bungen an nur einen oder einige wenige Anbieter sind ein Konstruktionsfehler, der nicht mit ein paar kosmetischen Verbesserungen korrigiert werden kann . Wir sagen nach wie vor: Diese intransparenten Hilfsmittelausschreibun- gen, die die Versorgungsqualität beeinträchtigen und die Anbietervielfalt bedrohen, gehören abgeschafft . Die Änderungen im § 126 mit der Einrichtung von Präqualifizierungsverfahren sind ein richtiger Schritt zur Qualitätskontrolle zugelassener Hilfsmittel . Die Rege- lungen im § 127 unter anderem mit Beratungspflicht der Leistungserbringer ist eine Möglichkeit, Betroffene bes- ser in die Lage zu versetzen, eine für sie passende Versor- gung zu finden. Die in § 140 benannten Verbesserungen für die Beteiligung von Patientenvertretungen sind eine richtige, aber noch nicht ausreichende Maßnahme, damit Patientinnen und Patienten in eigener Sache ihre Interes- sen wahrnehmen können . Dann wäre da noch das Vorhaben einer verbesserten Wundversorgung . Auch hier ist das Ziel lobenswert . Aber ist hierfür die Änderung des § 37 SGB V mit der Orientierung auf spezialisierte Zentren wirklich das erste und wichtige Mittel der Wahl? Oder sollte nicht besser auf eine Stärkung spezialisierter Pflegekräfte im ambu- lanten und vollstationären Bereich hingewirkt werden? Lassen Sie mich noch ein Wort zu den Leistungsaus- schlüssen sagen, die hier von allen Fraktionen außer der Linken befürwortet werden . Warum Sehhilfen nicht er- stattet werden, erschließt sich keinem normal denkenden Menschen. Wer nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfügt, stolpert mit erhöhtem Unfallrisiko durch den Alltag . Das entspricht nicht Ihrem eigenen Anspruch im Gesetzentwurf . Dort schreiben Sie selbst, dass neben die Behandlung von Akuterkrankungen und Verletzun- gen auch die Prävention, die Verhinderung des Voran- schreitens chronischer Beschwerden sowie die Wieder- herstellung verloren gegangener Alltagskompetenzen und Hilfen zur selbstbestimmten Bewältigung der Anfor- derungen des Alltags auch bei chronischer Erkrankung oder Behinderung treten müssen . Der vorliegende Gesetzentwurf enthält positive Ele- mente für die Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln . Doch er bleibt auf halbem Wege stehen, versucht Symp- tomtherapie, wo an die Ursachen gegangen werden sollte, und traut sich weiterhin nicht, die Kompetenzen von Heilberufen substanziell zu stärken . Er bietet eine Grundlage, auf der im Gesetzgebungsverfahren mutigere Schritte gegangen werden können . Nicht mehr und nicht weniger . Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wir werden älter, das ist die gute Nachricht . Wir bleiben häufig sogar länger gesund. Dennoch wird die Zahl der kranken, körperlich eingeschränkten und pflege- bedürftigen Menschen insgesamt steigen . Da kommt den Heilmittelerbringern, also den Physiotherapeuten, den Logopäden, Ergotherapeuten und den Podologen, eine wichtige Rolle zu . Sie können die Folgen von Krank- heiten mildern, sie können Menschen helfen, ein Stück Eigenständigkeit zurückzugewinnen . Logopäden helfen Patienten nach einem Schlaganfall, wieder klar sprechen zu lernen. Physiotherapeuten können Pflegebedürftigen helfen, mehr Mobilität zu erlangen, und die Ergothera- pie stärkt motorische Fähigkeiten, sodass Menschen im Idealfall wieder selbstständig leben können . Heilmittel- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619982 (A) (C) (B) (D) erbringer fördern noch vorhandene Fähigkeiten und un- terstützen eine selbstbestimmte Lebensführung . Sie spie- len damit eine wichtige Rolle, ganz besonders in einer alternden Gesellschaft . Leider behandeln wir die Angehörigen der therapeuti- schen Berufe nicht ihrer Rolle entsprechend . Sie müssen immer noch für ihre Ausbildungen zahlen, viele verdie- nen wenig . Wir achten ihre Kompetenzen gering . Da- bei ist es für eine bessere Qualität der gesundheitlichen Versorgung wichtig, die Handlungsmöglichkeiten der Heilmittelerbringer zu stärken . Dazu müssen ihre spezi- fischen Kompetenzen, Kenntnisse und Erfahrungen auf- gegriffen werden . Ebenso wichtig ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit der Berufsgruppen auf Augenhöhe . Die Aufgabenteilung und Aufgabenverteilung zwischen aka- demischen und nichtakademischen Gesundheitsberufen, insbesondere den Heilmittelerbringern, müssen überprüft und sinnvoll gestaltet werden . Darüber wird schon so lange diskutiert, in der Wissenschaft ebenso wie in der Politik . Doch der Gesetzentwurf der Bundesregierung bleibt viel zu zögerlich . Es sollen lediglich Modellver- suche zur sogenannten „Blankoverordnung“ stattfinden. Das bedeutet: Ärzte stellen die Diagnose und verordnen eine Behandlung . Über die geeignete Therapiemethode entscheiden die Heilmittelerbringer mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung selbst . Wir wollen, dass die „Blankoverordnung“ zügig in die Regelversorgung überführt wird . Darüber hinaus fordern wir Modellprojekte zum „Direktzugang“ für Heilmittel- erbringer . Das bedeutet, dass Patientinnen und Patienten sich direkt an den Therapeuten wenden können, ohne dass eine vorherige Verordnung durch den Arzt erforder- lich ist . Voraussetzung ist natürlich eine entsprechende Qualifikation des Heilmittelerbringers. Beide Maßnahmen werten die therapeutischen Berufe auf, geben ihnen mehr Entscheidungen an die Hand und schöpfen damit auch besser das spezifische Wissen, die besonderen Kenntnisse der Heilmittelerbringer aus . Und beide Maßnahmen sind auch schon einmal in einem Po- sitionspapier der AG Gesundheit der CDU/CSU-Bundes- tagsfraktion aufgetaucht . Da wurde durchaus mutig und zukunftsorientiert gedacht, doch leider haben diese Ide- en keinen Eingang in den Gesetzentwurf gefunden: Die Unionsfraktion konnte sich nicht durchsetzen . Mir ist schon klar, dass das nicht so einfach ist, dass man damit an Tabus rührt und Teile der Ärzteschaft verärgert . Auch die Berufsgesetze der Heilmittelerbringer müssten auf- geschnürt werden, insbesondere für den Direktzugang . Aber gerade darum müsste die Bundesregierung die Din- ge anpacken, statt sie zu vertagen! Im Koalitionsvertrag von 2013 sind Modellvorhaben zur Erprobung neuer For- men der Substitution ärztlicher Leistung geplant – und bei Erfolg deren Überführung in die Regelversorgung . Kein einziges Modellvorhaben zur Substitution ärztlicher Leistungen ist bis jetzt umgesetzt . Die Überführung in die Regelversorgung befindet sich in ganz weiter Ferne. Genau das jedoch, tatsächlich mehr Kompetenzen und Befugnisse, wäre ein überfälliges Signal an alle Heilmit- telerbringer gewesen, dass ihr Beruf wertgeschätzt wird, dass er eine wichtige Rolle in der Zukunft der gesund- heitlichen Versorgung spielen wird . Annette Widmann-Mauz, Parl . Staatssekretärin beim Bundesminister für Gesundheit: Auch wenn die Heil- und Hilfsmittelversorgung in den vergangenen Jah- ren nicht im Blickpunkt der öffentlichen Debatte gestan- den hat, wird sie zukünftig angesichts der Altersentwick- lung in unserer Bevölkerung eine größere Bedeutung im Bereich der medizinischen und pflegerischen Versorgung erlangen . Anders als der Begriff auf den ersten Blick vermuten lässt, sind Heilmittel medizinische Behandlungen, die von Vertragsärzten verordnet und von speziell ausge- bildeten Therapeuten erbracht werden . Zu nennen sind hier zum einen die Anwendungen der Physiotherapie wie Krankengymnastik, Massagen und Wärmebehandlungen sowie der Logopädie bei Stimm-, Sprech-, und Sprach- störungen . Zum anderen zählen auch Maßnahmen der Ergotherapie sowie der podologischen Therapie zu den Heilmitteln . Während erste bei Störungen im Bereich der Motorik, der Sinnesorgane sowie der geistigen und psychischen Fähigkeiten zum Einsatz kommen, werden zweite von den Krankenkassen bei Schädigungen an Füßen aufgrund von Diabetes übernommen . Hilfsmittel wiederum sind Gegenstände, deren Gebrauch eine be- einträchtigte Körperfunktion ersetzt, erleichtert, ergänzt oder erst ermöglicht, zum Beispiel Körperersatzstücke, Hörhilfen, Blindenführhunde, Prothesen sowie Rollato- ren und Rollstühle . Als Folge des demografischen Wandels verändern sich sowohl die Krankheitsbilder als auch die Ziele der Gesundheitsversorgung . Neben die Behandlung von Akuterkrankungen und Unfallverletzungen treten zu- nehmend die Prävention, die Rehabilitation und Hilfen zur selbstbestimmten Bewältigung des Alltags auch bei chronischer Erkrankung und Behinderung . Für diese Versorgungsziele haben eben Heil- und Hilfsmittel eine besondere Bedeutung . Handlungsbedarf besteht dabei an verschiedenen Punkten . So gibt es im Bereich der Hilfsmittelversor- gung Hinweise auf erhebliche Qualitätsdefizite. Im Vor- dergrund der medialen Berichterstattung sowie der vielen Zuschriften, die das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) sowie der Patientenbeauftragte der Bundesregie- rung erhalten, stehen vor allem Qualitätsmängel bei In- kontinenzhilfen . So gerieten Krankenversicherer in den Fokus der Kritik, weil sie ihren Versicherten Windeln mit nur geringer Saugfähigkeit anboten . Aber auch mit Blick auf andere Produktgruppen wird kritisiert, dass die an die Hilfsmittel gestellten Qualitätsanforderungen vielfach nicht mehr dem aktuellen Stand der medizinisch-tech- nischen Entwicklung und den sich veränderten Anforde- rungen der Versicherten gerecht würden . Die zahlreichen Berichte haben den Bundesrechnungshof dazu veran- lasst, einen ausführlichen Prüfbericht zur Hilfsmittel- versorgung zu verfassen, in dem er die Qualitätsdefizite bestätigt . Auch die Anforderungen der Heilmittelversorgung wachsen, während die Heilmittelverbände die vermeint- lich unzureichenden Einkommen der Heilmittelerbrin- ger beklagen und von großen Schwierigkeiten berich- ten, offene Stellen in den Heilmittelpraxen zu besetzen . Bestätigt werden diese Berichte durch eine 2014 vom Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19983 (A) (C) (B) (D) Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) veröffentlichte Studie zu Fachkräfteengpässen in Unter- nehmen . Dieser zufolge gehören die Physiotherapie und die Logopädie zu den Bereichen mit dem stärksten Fach- kräftemangel . Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Heil- und Hilfsmittelversorgung wirkt diesen Proble- men entgegen . Zur Veranschaulichung möchte ich hierzu sowohl für den Hilfsmittel- als auch für den Heilmittel- bereich einige Beispiele nennen . Beginnen wir mit dem Bereich der Hilfsmittel, für den der Gesetzentwurf ein ganzes Maßnahmenbündel für mehr Qualität vorsieht. Der Gesetzentwurf verpflichtet den GKV-Spitzenverband zu einer grundlegenden Aktua- lisierung des Hilfsmittelverzeichnisses einschließlich der in ihm enthaltenen Qualitätsanforderungen an die Hilfs- mittel und der mit ihnen verbundenen Dienstleistungen bis zum 31 . Dezember 2018 . Damit die Aktualität des Hilfsmittelverzeichnisses auch über die einmalige Aktu- alisierung hinaus gewährleistet bleibt, hat der GKV-Spit- zenverband darüber hinaus bis zum 31 . Dezember 2017 eine Verfahrensordnung zu beschließen . Diese hat ins- besondere Fristen für die einzelnen Produktgruppen des Hilfsmittelverzeichnisses zu enthalten, bis zu denen künftig eine Prüfung auf Aktualisierungsbedarf erfolgt sein muss . Um die Umsetzung der Qualitätsanforderungen an die Hilfsmittel durch die Anbieter von Hilfsmitteln sicherzu- stellen, werden die Krankenkassen dazu verpflichtet, die Einhaltung der Vertragsinhalte durch Auffälligkeits- und Stichprobenprüfungen zu überwachen . Für dieses Ver- tragscontrolling hat der GKV-Spitzenverband bis zum 30 . Juni 2017 Rahmenempfehlungen vorzulegen . Dane- ben enthält der Gesetzentwurf Vorgaben für die Kranken- kassen zu einer stärkeren Berücksichtigung von Quali- tätsaspekten bei Vergabeentscheidungen im Rahmen von Hilfsmittelausschreibungen . Darüber hinaus haben die Krankenkassen auch bei solchen Versorgungen, die über Ausschreibungen zustande kommen, ihren Versicherten Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen aufzah- lungsfreien Produkten zu ermöglichen . Zudem werden die Informationsmöglichkeiten der Versicherten erweitert . Die Krankenkassen müssen ihre Versicherten über ihre Vertragspartner und die wesent- lichen Inhalte der mit ihnen abgeschlossenen Verträge informieren . Darüber hinaus werden die Krankenkassen verpflichtet, die Informationen über die Inhalte der Ver- träge auch Versicherten anderer Krankenkassen über das Internet zugänglich zu machen . Damit werden den Ver- sicherten Vergleiche zwischen den Leistungsangeboten verschiedener Krankenkassen ermöglicht . Weiterentwickelt wird auch das Präqualifizierungsver- fahren. Im Präqualifizierungsverfahren weisen die Leis- tungserbringer ihre grundsätzliche Eignung für Vertrag- sabschlüsse mit den Krankenkassen nach . Dabei werden die organisatorischen, personellen, räumlichen und tech- nischen Bedingungen in den Betrieben, die Hilfsmittel abgeben, auf den Prüfstand gestellt . Durchgeführt wer- den die Präqualifizierungsverfahren durch Präqualifizie- rungsstellen . Künftig erfolgt die Begutachtung, Akkredi- tierung und Überwachung der Präqualifizierungsstellen durch die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS) . Alle fünf Jahre müssen sich die Präqualifizierungsstel- len einem Akkreditierungsverfahren sowie regelmäßigen Überwachungsaudits durch die DAkkS unterziehen . Des Weiteren enthält der Gesetzentwurf Regelun- gen zu den Beratungspflichten der Hilfsmittelerbringer gegenüber den Versicherten und zu einer verbesserten Transparenz über die Verbreitung und Höhe von Aufzah- lungen, die Versicherte über die gesetzlich Zuzahlung hi- naus zu entrichten haben, wenn sie sich für ein Hilfsmit- tel entscheiden, das über den Leistungsrahmen der GKV hinaus geht . Für den Heilmittelbereich möchte ich zudem folgende Punkte anführen: In Modellversuchen zur sogenannten „Blankoverordnung“ soll eine stärkere Einbindung von Heilmittelerbringern in die Versorgungsverantwortung bundesweit erprobt werden . Bei dieser Versorgungsform erfolgt die Diagnose und Verordnung weiterhin über den Arzt, der Therapeut bestimmt aber selbst Art, Dauer und Häufigkeit der Therapie. Außerdem erhalten Kranken- kassen und Heilmittelverbände zusätzliche Bewegungs- spielräume für ihre jährlichen Vergütungsvereinbarun- gen . In den Jahren 2017 bis 2019 entfällt die Begrenzung der Preisanhebungen für Heilmittelleistungen durch die Grundlohnrate . Doch der vorliegende Gesetzesentwurf enthält nicht allein Vorschriften zur Heil- und Hilfsmittelversorgung, sondern darüber hinaus auch Regelungen für weitere Be- reiche: Regelungen zur Verbesserung der Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden, zur Defini- tion von Verbandmitteln, zur finanziellen Unterstützung der Interessenvertretung der Patientinnen und Patienten in den Gremien der GKV, zum Schutz von Sozialdaten vor unbefugter Kenntnisnahme, eine Erweiterung der Ausnahmeregelung von der Mitteilungspflicht an die Krankenkassen bei drittverursachten Gesundheitsschä- den um Fälle sexualisierter und häuslicher Gewalt und eine klarstellende Beitragsregelung für landwirtschaftli- che Unternehmer, die Arbeitslosengeld II beziehen . Im Ergebnis verbindet der vorliegende Gesetzentwurf eine deutliche Weiterentwicklung der Rahmenbedingun- gen der Qualität der Hilfsmittelversorgung mit einer Auf- wertung des Stellenwerts des Heilmittelbereichs im Ver- sorgungssystem . Damit leistet er einen wichtigen Beitrag für die Ausrichtung beider Leistungsbereiche auf sich verändernde und zusätzliche Anforderungen . Anlage 22 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Dem Frieden verpflichtet – Friedens- und Konfliktforschung stärken (Tages- ordnungspunkt 34) Dr. Philipp Lengsfeld (CDU/CSU): Der vorliegende Antrag hat meine Unterstützung, obwohl sich der Vorder- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619984 (A) (C) (B) (D) teil des Titels wie eine Parole aus meiner Pionierzeit in der DDR anhört . Trotzdem handelt es sich ja um ein wichtiges Anlie- gen: Im Münchner Konsens hatten vor zwei Jahren über- einstimmend der Bundespräsident, der Bundesminister des Auswärtigen und seine Kollegin der Verteidigung die Bereitschaft Deutschlands zur verstärkten Übernahme internationaler Verantwortung erklärt . Die Ministerien haben ihre Hausaufgaben gemacht und mit dem Re- view-Prozess bzw . dem Weißbuch Dokumente erarbeitet, nach denen sie sich neu aufstellen . Es ist folgerichtig, dass sich auch der Deutsche Bun- destag mit dem Feld der Friedens- und Konfliktforschung intensiver befasst . Die wissenschaftliche Analyse von Konfliktursachen ist von herausragender Bedeutung, um Fehler frühzeitig zu erkennen oder am besten gar nicht erst zu machen – oder um aus Fehlern und Entwicklun- gen wenigstens etwas Positives zu lernen, selbst wenn diese äußerst schmerzhaft verlaufen sind . Die gewonnenen Erkenntnisse stehen natürlich auch den Abgeordneten zur Verfügung . Die Erkenntnisse der Friedens- und Konfliktforschung können direkt über Ex- pertengespräche oder Einzelberatung oder indirekt über das breite Instrumentarium der wissenschaftlichen Poli- tikberatung abgerufen werden, über den Service des Wis- senschaftlichen Dienstes für eher kurzfristige Fragestel- lungen oder über das Büro für Technikfolgenabschätzung (TAB) für intensivere, gründliche Studien . Die Friedens- und Konfliktforschung ist dabei für uns Abgeordnete von herausragender Bedeutung, da wir in Deutschland aus historisch bedingten, unverän- dert guten Gründen eine Parlamentsarmee haben: Jeder Bundeswehreinsatz muss im Deutschen Bundestag eine Mehrheit erhalten . Wir tragen die Verantwortung für das Leben der Soldaten; dafür sind wir auf umfassende In- formationen angewiesen . Und dies gilt nicht nur für die Mandatierung von Auslandseinsätzen, sondern insbeson- dere auch für das Aufzeigen von Möglichkeiten zur früh- zeitigen Lösung von Konflikten. Die Vernetzung von Informationen ist nicht zuletzt im Zuge der Migrationsbewegung der letzten zwölf Monate deutlich verbessert worden . Dies muss, wie im Antrag richtig formuliert, auch in der Konflikt- und Frie- densforschung erfolgen, um durch Zusammenarbeit auf grenzüberschreitende Konflikte angemessen reagieren zu können . Nicht zuletzt die Intensivierung der hybriden Kriegsführung lässt uns hier auch gar keine andere Wahl: Über Ländergrenzen hinweg finden Einflussnahmen statt, die wir erkennen und entschärfen müssen . Dafür ist interdisziplinäre und internationale Zusammenarbeit der Schlüssel . Natürlich darf Friedens- und Konfliktforschung keine Selbstbeschäftigung sein . Die unabhängige, kontinuier- liche Evaluierung ist mir ein wichtiges Anliegen . Es ist richtig, dass sich die Forschung stets am Bedarf nach Erkenntnissen zu aktuellen Fragestellungen ausrichten muss und die Programme des BMBF und anderer Res- sorts dementsprechend flexibel gestaltet werden. Die gemeinsame Ausrichtung ist natürlich die Beförderung von friedlichen Konfliktlösungen, von demokratischen Prozessen und Lösungen unter dem Leitstern von Frei- heit und Menschenrechten . Ob dafür der verkürzte Titel die optimale Zusammenfassung bildet, sei dahingestellt . Aber wirklich wichtig ist die inhaltliche Stoßrichtung . Und die ist in Ordnung . Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU): Was zeichnet Friedens- und Konfliktforschung aus? Eins ist sicher: Sie ist in jeder Hinsicht vielfältig . Erstens . Ihre Disziplinen sind vielfältig: Friedens- und Konfliktforschung ist zwar traditionell politikwissen- schaftlich geprägt, aber sie ist heute in großem Maße interdisziplinär: Jura, Geistes- und Sozialwissenschaf- ten, auch Naturwissenschaften, wenn es etwa um die Rüstungskontrolle geht, Ethnologie – all diese Fachdis- ziplinen tragen unter anderem zum Erkenntnisgewinn bei . Das ist eine angemessene Reaktion auf die vielfach zusammenwirkenden Ursachen für Konflikte überall auf der Welt, die nicht allein durch militärische Mittel ge- löst werden können . Militärische Mittel müssen leider in vielen Fällen erst bewaffnete Konflikte beenden und die Voraussetzungen für Verhandlungen schaffen . Aber dann geht es um die Herstellung von Rechtsstaatlichkeit, die Atmosphäre der Aussöhnung und um gute Regierungs- führung . Dafür brauchen wir gute Analysen, um infor- mierte politische Entscheidungen zu treffen . Es wäre dennoch unfair, von wissenschaftlichen Analysen zu er- warten, dass sie den goldenen Weg zur Konfliktlösung oder auch zur Prävention kennen . Zweitens . Die Themen sind vielfältig: Friedens- und Konfliktforschung befasst sich mit zwischen- und inner- staatlichen Konflikten weltweit. Ein Beispiel dafür ist der geplante Aufbau eines Deutsch-Kolumbianischen Frie- densinstituts, das an der größten staatlichen Universität des Landes, der Universidad Nacional, angesiedelt ist . Von deutscher Seite sind hier die Hessische Stiftung Frie- dens- und Konfliktforschung, kurz HSFK, die Universi- täten Gießen und Göttingen und die FU Berlin beteiligt . Mit dem Ergebnis des Referendums in Kolumbien stellt sich die Relevanz eines solchen Projekts in neuem Licht dar . Es spannt einen breiten Bogen: von der historischen Aufarbeitung über Methoden der Konfliktprävention zur Frage der Gestaltung einer Post-Konflikt-Gesellschaft. Hier sieht man schon, dass wissensbasierte Politikbera- tung in der Friedens- und Konfliktforschung immer eine wichtige Rolle spielt . Sie befasst sich auch mit Themen, die uns in Deutsch- land direkt betreffen . Welche Bedrohungen von Cyber- terrorismus ausgehen können, ist eine relativ neue Frage, auf die wir Antworten finden müssen. Auch wenn wir über die Stärkung des Zusammenhalts unserer Gesell- schaft nachdenken, ist dieser Wissenschaftsbereich rele- vant . Ein Forschungsprojekt, auf das ich noch eingehen werde, zeigt dies hochaktuell: das Projekt zur Erfor- schung des Salafismus in Deutschland. Drittens. Die Akteure der Friedens- und Konfliktfor- schung sind vielfältig . Aus sehr unterschiedlichen Per- spektiven wird geforscht: von der Universität der Bun- deswehr über das Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg bis zum Leib- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19985 (A) (C) (B) (D) niz-Institut HSFK . Eine ideologische Färbung muss man den Akteuren übrigens nicht gleich unterstellen, nur weil sie den Frieden als normativ erstrebens- oder erhaltens- werten Zustand werten . Die Vielfalt der Themen, Denkansätze und Akteure macht es notwendig, Friedens- und Konfliktforschung möglichst breit zu fördern . Wir tun das bereits und wol- len dies auch in Zukunft tun: über die sogenannten Area Studies die soziale, kulturelle und politische Gegeben- heiten für bestimmte Regionen untersuchen; über die Deutsche Stiftung Friedensforschung, die vor dem Hin- tergrund der interdisziplinären Aufstellung der Friedens- und Konfliktforschung geeignete Förderangebote macht; über Projektförderung wie etwa des Salafismus-Projekts an der schon erwähnten HSFK, das ich kurz vorstellen möchte: Hier ging es erstens darum, einen Überblick zu erhalten, was wir zu Salafismus eigentlich schon wissen. Welche Daten stehen uns zu Verfügung, welche fehlen, wie werden Jugendliche in Deutschland umworben und angeworben, was können wir zur Prävention tun? Das waren nur einige der Fragestellungen . Zweitens ging es darum zu ermitteln, welchen Bedarf an Beratung Politik und Gesellschaft zum Thema haben . Wissenschaftliche und praxisbezogene Expertise wird hier gebündelt . Zu jeder der Fragestellungen, die die For- schungsgruppen untersucht haben, wurden Handlungs- empfehlungen für Politik, Sicherheitsbehörden, Zivil- gesellschaft und Medien verfasst . Ein gutes Beispiel für Wissenstransfer! Ich begrüße, dass aus diesem Forschungsprojekt eine Folgeuntersuchung abgeleitet wurde, die den Schwer- punkt Radikalisierungsforschung hat . Für diese und viele weitere Vorhaben sind Fördergelder gut angelegt . Das wollen wir auch in Zukunft unterstützen, wie unser Antrag deutlich macht . Deshalb bitte ich um Ihre Unter- stützung . Dr. Daniela De Ridder (SPD): Gut 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sind wir in Deutschland in der glücklichen Situation, in Frieden zu leben, während gleichzeitig in Syrien ein Bürgerkrieg herrscht, der ganze Generationen dazu zwingt, das Land zu verlassen – ohne eine konkrete Perspektive zu haben . Mit unserer Geschichte im Hintergrund sehe ich uns in der Pflicht, nicht nur humanitäre Hilfe zu leisten, sondern auch weiterhin einen Beitrag zur Friedenssicherung, Ge- walt- und Krisenprävention sowie zur Lösung von Kon- flikten zu leisten. Deshalb begrüße ich diesen Antrag der Koalition ausdrücklich . Dass in Europa Frieden herrscht, ist nicht gleichbe- deutend mit Konfliktfreiheit. Beunruhigt schauten wir in dieser Woche in Richtung USA und Türkei – der Wahl- sieg Donald Trumps und das Erstarken von Populisten macht auch mich besorgt. Auch sehe ich das Konfliktpo- tenzial in Bezug auf die Fortführung einer konsequen- ten Ukraine-Politik . In seinem Wahlkampf hatte Trump ja bereits angekündigt, die russische Annexion der Krim anzuerkennen . Dies und auch die Missachtung der Nato hatten bei vielen Menschen Besorgnis ausgelöst und ge- fährdet unser Bündnis . Zumindest darf man diesen Poli- tikstil fragwürdig finden. Nun gilt es, erst einmal abzuwarten, wie sich die Si- tuation in den USA entwickelt, und gleichzeitig den internationalen Austausch in der Friedens- und Kon- fliktforschung zu befördern. Hier unterstütze ich beim vorliegenden Antrag, die Friedensforschung mit regel- mäßigen internationalen Konferenzen zu aktuellen wis- senschaftlichen Erkenntnissen aus der Friedens- und Konfliktforschung zu stärken. Letztlich haben wir – zumindest in Europa – doch mit sehr ähnlichen Konflikten zu kämpfen. Auch hierzulan- de und in unseren angrenzenden Nachbarländern finden Populisten einen Nährboden für ihre Thesen und eine im- mer breiter werdende Anhängerschaft – sei es in Frank- reich, den Niederlanden, Ungarn oder Polen . Sie stellen keine Randgruppe mehr da, nein, sie finden auch Zugang zu unseren Parlamenten . Gleichzeitig stehen wir vor der Herausforderung, uns mit dem aufkeimenden gewaltbereiten Salafismus zu beschäftigen und Anschläge wie in Frankreich, Belgien oder zuletzt auch in Deutschland zu verhindern . Damit die verschieden verantwortlichen Politikbereiche zusam- men spielen können – seien es Innen- und Verteidigungs- politik aber auch bildungspolitische Aspekte – benötigen wir eine Friedens- und Konfliktforschung, die geistes- und sozialwissenschaftliche, juristische, aber auch natur- wissenschaftliche und technische Fragen und Lösungs- ansätze interdisziplinär bearbeitet . Ich möchte noch einmal die Forderung unseres An- trags hervorheben, dass es einen Ausbau der wissen- schaftlichen Politikberatung geben sollte sowie geziel- te Maßnahmen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses . Insbesondere in der naturwissenschaftli- chen Friedensforschung besteht aktuell aufgrund eines Generationswechsels sowie des Fehlens einer kontinu- ierlichen finanziellen Förderung die Gefahr eines Verlus- tes von wissenschaftlichen Kompetenzen . Dafür steht im Übrigen auch die Deutsche Stiftung Friedensforschung mit Sitz in Osnabrück . Wir sind – wie es im Titel des Antrags zu Recht heißt – dem Frieden verpflichtet. Und die wissenschaftliche Expertise, die in der Friedens- und Konfliktforschung generiert wird, ist für Regierungen, Parlamente und Ge- sellschaft unverzichtbar . Wir sind darauf angewiesen, dass im Rahmen der For- schung daran gearbeitet wird, Konfliktursachen und Ge- waltdynamiken zu analysieren, Grundvoraussetzungen für die Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit zu definieren oder friedliche Lösungsansätze für Konflikte herauszuarbeiten . Ich denke, das ist etwas, das unsere vollste Unterstüt- zung verdient und dem wir mit unserer Initiative Aus- druck verleihen . René Röspel (SPD): Leider zu einem sehr späten Zeitpunkt in der Nacht von Donnerstag auf Freitag geben wir ein Thema zu Protokoll, das wahrscheinlich nie so wichtig war wie dieser Tage . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619986 (A) (C) (B) (D) Wir sehen uns aktuell mit einer schier unüberschau- baren Zahl inner- und zwischenstaatlicher kriegerischer Konflikte konfrontiert. Ob Syrien oder die Ukraine, Irak oder Südsudan – wir haben es mehr und mehr mit ganz neuartigen und nicht nur wegen der vielen beteiligten Akteure oftmals undurchsichtigen Konfliktsituationen zu tun . Aber auch die globalen Verteilungsprobleme bei Wasser und Ernährung, die drohende Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, die Krisen, die in Folge von (klimawandelbedingten) Umweltkatastrophen auf- treten, und nicht zuletzt die Gefahren des internationalen Terrorismus stellen neue Bedrohungsdimensionen dar . Die klassischen Methoden sowie Narrative der Außen- politik und Diplomatie geraten hier regelmäßig an ihre Grenzen. Nun ist es unsere moralische Verpflichtung, auf Krisen und Kriege nicht nur zu reagieren, sondern auch vorausschauend zu agieren. Dazu verpflichtet uns bereits die Präambel unseres Grundgesetzes, in der es heißt, dass die Bundesrepublik „dem Frieden der Welt dienen“ möge . Einen überragend wichtigen Beitrag zum Verständnis moderner Kriegs- wie auch Friedensprozesse trägt das Feld der Friedens- und Konfliktforschung bei, um wel- ches es im vorliegenden Antrag geht . Deswegen sind nicht nur wir Forschungspolitiker in der Pflicht: Es ist unumgänglich, dass wir dieses Feld entschieden stärken . Eine erfolgreiche Friedenspolitik braucht Erfahrung, Verantwortung und Wissen . Denn letztlich hängen Menschenleben davon ab, ob und wie man alle relevanten Akteure einer kriegerischen Auseinandersetzung an einen Tisch bekommt, ob man die Konfliktursachen korrekt herausarbeitet und entspre- chend bekämpft und ob man Wege für eine nachhaltigen Friedensprozess findet. Wir benötigen kontinuierlich neue bzw. fallspezifische wissenschaftliche Erkenntnis- se zur friedlichen Krisen- und Gewaltprävention, Kon- fliktbearbeitung und Konfliktnachsorge. Da das nun alles ein wenig abstrakt klingen mag, möchte ich anhand einiger ganz konkreter Beispielpro- jekte verdeutlichen, wie hochaktuell und wichtig das Betreiben der Friedens- und Konfliktforschung ist und warum wir uns mit dem vorliegenden Antrag für eine Stärkung des interdisziplinären Forschungsfaches so- wohl in Deutschland, als auch in Europa einsetzen: Ein wichtiger Teil der deutschen Forschungsland- schaft ist zum Beispiel die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, die vom BMBF institutionell über die Leibniz-Gemeinschaft mitfinanziert wird. Sie koordiniert unter anderem das Projekt „Salafismus in Deutschland“, mit dem vor allem zwei Ziele verfolgt werden: Das Projekt erhebt einerseits den wissenschaftli- chen Forschungsstand in den Themenfeldern Datenlage, Organisations- und Rekrutierungsformen, Motivationen der Hinwendung zum Salafismus, Rechtfertigungsnarra- tive der Bewegung und ihres dschihadistischen Zweiges, transnationale Dimensionen salafistischer Netzwerke sowie Erkenntnisse der Präventions- und Deradikalisie- rungsarbeit . Andererseits ermittelt das Projektteam para- llel dazu den Beratungsbedarf in Politik, Verwaltung und Gesellschaft und entwickelt diesen Bedarfen entspre- chend Instrumente des Wissenstransfers . Das Forschungsprojekt trägt damit zur Aufklärung der Phänomene Salafismus und Dschihadismus in Deutsch- land sowie vor allem auch zur wissenschaftlichen Poli- tikberatung in diesem Themenfeld bei . Ich denke, wir sind uns darüber einig, dass es sich dabei um dringliche und besonders politikrelevante Probleme unserer Zeit handelt . Darum fordern wir im vorliegenden Antrag nicht nur, dass die Friedens- und Konfliktforschung weiterhin gezielt gefördert wird, sondern auch, dass ihre Ergebnis- se noch stärker als bisher in die Arbeit der Bundesregie- rung auf allen Ebenen einfließen. Das Projekt „Humanitär-völkerrechtliche Rahmen- bedingungen für den Einsatz luftgestützter unbemannter militärischer Kampfsysteme im bewaffneten Konflikt“ der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF) widmet sich der juristischen Dimension eines drängenden sicher- heitspolitischen Themas . Kampfdrohnen sind seit gerau- mer Zeit in aller Munde, wenn es um moderne Kriegs- führung geht . Es ist unerlässlich, die besorgniserregende Automatisierungstendenz bei der Entwicklung neuer Mi- litärtechnik auch (völker-)rechtlich zu beleuchten . Dass sich die DSF – eine weitere feste Größe in der deutschen Friedens- und Konfliktforschungslandschaft – diesem Thema angenommen hat und uns damit die notwendige Expertise an die Hand gibt, ist vor diesem Hintergrund sehr zu begrüßen . Als weiteres Beispiel sind die Arbeiten des Imre Kertész Kolleg an der Universität Jena anzuführen . Hier forscht man zur Geschichte des östlichen Europas im 20 . Jahrhundert mit fünf Schwerpunktbereichen: Krieg, Gewalt, Unterdrückung; Staatlichkeit; Umbrüche zur Moderne; Intellektuelle Horizonte; Selbst- und Fremd- wahrnehmungen in Europa sowie Geschichte und Öf- fentlichkeit . Durch eine transnationale Perspektive auf die Gesamtregion Ostmittel- und Südosteuropa lassen sich gemeinsame Entwicklungslinien und spezifischen Unterschiede der Länder herausarbeiten und die ge- schichtswissenschaftliche Analyse der historischen Er- eignisse in dieser Region auf eine neue Grundlage stel- len . Wie sich nicht nur an diesem Projekt zeigt, kann die Friedens- und Konfliktforschung in den seltensten Fällen national gedacht werden . Daher fordern wir, dass sich die Bundesregierung auch auf europäischer Ebene dafür einsetzt, dass die Disziplin im Zuge der Implementierung des Rahmenprogramms „Horizont 2020“ einen breiteren Raum einnimmt . Das Käte Hamburger Kolleg „Politische Kulturen der Weltgesellschaft“ des Centre for Global Cooperation Re- search an der Uni Duisburg-Essen wiederum forscht zu globalen Kooperationen als Schlüssel zur effektiven und legitimen Bearbeitung dringender transnationaler Pro- bleme . Die Analyse und der Umgang mit globalen Kul- turkonflikten und transkulturellen Kooperationen bilden hier einen Forschungsschwerpunkt . Neben diesen eher klassisch geisteswissenschaft- lich-juristischen Beispielen ist auch die besondere Be- deutung der naturwissenschaftlichen Friedensforschung hervorzuheben . Arbeitsbereiche naturwissenschaftlicher Friedensforschung sind Abrüstung, präventive Rüstungs- kontrolle, Rüstungstechnikfolgenabschätzung und die technische Verifikation internationaler Verträge, aber http://salafismus.hsfk.de/dimensionen-des-salafismus/herausforderungen-der-emp-forschung/ http://salafismus.hsfk.de/dimensionen-des-salafismus/organisations-und-rekrutierungsformen/ http://salafismus.hsfk.de/dimensionen-des-salafismus/motivationen-und-karrieren/ http://salafismus.hsfk.de/dimensionen-des-salafismus/motivationen-und-karrieren/ http://salafismus.hsfk.de/dimensionen-des-salafismus/rechtfertigungsnarrative/ http://salafismus.hsfk.de/dimensionen-des-salafismus/rechtfertigungsnarrative/ http://salafismus.hsfk.de/dimensionen-des-salafismus/transnationale-aspekte/ http://salafismus.hsfk.de/dimensionen-des-salafismus/praevention-und-deradikalisierung/ http://salafismus.hsfk.de/dimensionen-des-salafismus/praevention-und-deradikalisierung/ http://salafismus.hsfk.de/wissenstransfer/ Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19987 (A) (C) (B) (D) auch die Erforschung und Entwicklung von Technologi- en oder alternativen Technologiepfaden, die konfliktver- meidend oder friedensfördernd sind . Da geht es unter anderem um nukleare Abrüstung und Nichtverbreitung, biologische und chemische Waffen, Raketenabwehr und Weltraumrüstung, neuere Entwicklungen in der Robotik, bei unbemannten Waffensystemen, der Cyberkriegfüh- rung, in der Nanotechnik, der synthetischen Biologie und bei neuen Materialien . Beispiel von deutschen Vorzeigeinstitutionen in die- sem Bereich sind das Zentrum für Naturwissenschaft und Friedensforschung (ZNF) an der Uni Hamburg, das Insti- tut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg (IFSH) sowie die Arbeitsgruppe Physik und Abrüstung an der TU Dortmund . Der naturwissen- schaftlich orientierten Friedensforschung fehlt seit länge- rem der Nachwuchs, weil zum Beispiel keine nachhaltige Perspektive gegeben werden kann . Wir müssen dringend dafür sorgen, dass die bestehende Expertise in dem Be- reich aufrechterhalten bleibt und die Forschungsbedin- gungen so verbessert werden, dass auch wieder mehr Nachwuchswissenschaftler angezogen werden . Alle diese Beispiele stellen natürlich nur einen kleinen Ausschnitt des gesamten Spektrums der Friedens- und Konfliktforschung dar. Sie verdeutlichen, warum unser Bekenntnis im Koalitionsvertrag, die Förderung in die- sem Forschungsbereich auszuweiten, so wichtig und not- wendig war und ist . Wir brauchen friedenswissenschaft- liche Expertise heute mehr denn je, und gute Forschung benötigt nun mal eine solide finanzielle Ausstattung. Es ist zu begrüßen, dass das BMBF die Friedens- und Konfliktforschung bereits gezielt fördert. Dennoch müs- sen wir hier weiter dranbleiben und noch mehr tun . So müssen auch bereits bestehende Forschungsprogramme des BMBF und der anderen Ressorts darauf geprüft wer- den, inwieweit Fragestellungen und Lösungsansätze aus der Friedens- und Konfliktforschung noch stärker einge- bunden werden können . Ich hoffe, ich konnte verdeutlichen, warum es so es- senziell ist, diese Forschungsdisziplin noch mehr in den Fokus zu rücken . Der vorliegende Koalitionsantrag setzt dafür einen wichtigen Impuls, auf dem es weiter aufzu- bauen gilt . Kathrin Vogler (DIE LINKE): Wir diskutieren heu- te über die Rolle und Zukunft der Friedens- und Kon- fliktforschung für unsere Gesellschaft. Die Friedens- forschung steht in der Tradition der Aufklärung, des Humanismus und für die Maxime der Gewaltfreiheit . Sie versteht sich als Teil der Friedensbewegung, sie begleitet und unterstützt friedenspolitisches Engagement, indem sie staatliche Sicherheitspolitik, Militärstrategien und Aufrüstungsmaßnahmen kritisch analysiert und erklärt und Vorschläge für friedliche Konfliktbearbeitung entwi- ckelt . So weit die historisch begründbare und zivilgesell- schaftlich wünschenswerte Theorie . In der Praxis hängt die Friedensforschung jedoch am Gängelband regierungspolitischer Interessen . Finanziel- le und administrative Abhängigkeiten beeinflussen For- schungsplanung und Forschungsergebnisse . So beliebig und berechenbar sich der Mainstream der Friedenswis- senschaften heute präsentiert, so dringend brauchen wir eine kritische, alternative, der zivilen Konfliktbearbei- tung und Rüstungskontrolle verpflichtete, interdiszipli- näre Friedensforschung . Wer als Friedenswissenschaftler aus der aktuellen Weltlage schlussfolgert, man müsse das „robuste Peace- keeping“ stärken, und damit die Anwendung von mili- tärischer Gewalt rechtfertigt, ist kein Friedensforscher . Er arbeitet einer Regierung zu, die immer wieder Legi- timationshilfen für ihre völlig unsinnige Kriegspolitik braucht . Wer als Friedensforscher Begründungsmuster und Ar- gumentationshilfen für eine interventionistische Außen- politik entwickelt, indem er zum Beispiel die Erzählung von den „schwachen“ oder „gescheiterten“ Staaten zu einem Bedrohungsszenario aufbaut, mit dem Deutsch- land seine Wirtschaftsinteressen auch noch im hinters- ten afrikanischen Krisengebiet begründen kann, ist kein Friedensforscher . Er hilft mit, dass dieses Land Kriege führen kann, wo immer es den Interessen der Herrschen- den dient . Wissenschaftliche Institutionen dürfen nicht zu Stich- wortgebern militärfixierter Strategiekonzepte degradiert werden . Es darf auch nicht sein, dass zivile Universitä- ten ihre knappen Ressourcen zur Verfügung stellen für Rüstungs- und Militärforschung und zur Ausbildung von Soldaten und Soldatinnen . Die Verstrickung von Wissenschaft und Militär ist fa- tal . Der Artikel 5 Absatz 3 unseres Grundgesetzes garan- tiert die Freiheit der Wissenschaft . Freiheit braucht aber wirtschaftliche Unabhängigkeit . Und die fehlt in einem Wissenschaftssystem, in dem alle von Drittmitteln ab- hängig sind und befristete Verträge eher die Regel als die Ausnahme sind . Anfang 2016 gab es in Deutschland 239 Hochschulen in staatlicher Trägerschaft, nur acht von ihnen boten Masterstudiengänge im Bereich Frie- dens- und Konfliktforschung an. Aber seit 2014 hat das Verteidigungsministerium schon über 300 Aufträge im Umfang von 125 Millionen Euro an öffentliche Hoch- schulen und andere Forschungseinrichtungen erteilt . Während sich die Bundeswehr-Universitäten, die im Antrag der Regierungskoalition frech zu Institutionen der Friedenswissenschaft umdekoriert werden, offen von Rüstungsfirmen sponsern lassen, ganze Forschungsetats in Grauzonen wie der Zivilschutzforschung verschwin- den und die Bundeswehr insbesondere in der Informatik die bundesdeutschen Hochschulen mit Kooperationsan- geboten überrennt, fristen die tatsächlichen Friedensfor- scher ein eher prekäres Dasein . Entziehen sich Forscherinnen und Forscher den militä- rischen Avancen, weil es ihnen ernst ist mit der Entwick- lung von echten zivilen Alternativen zu militärischem Interventionismus und weil sie die Entwicklung, Produk- tion und Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaf- fen verhindern wollen, sehen sie sich mit schrumpfenden Etats, einer schwindenden Zahl von Lehrstühlen, einem kaum vorhandenen öffentlichen Interesse oder sogar Dif- famierungskampagnen konfrontiert . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619988 (A) (C) (B) (D) Die Linke will eine freie, gut ausgestattete und kri- tische Friedens- und Konfliktforschung, die interdiszip- linär und international agiert und die Chance bekommt, mit langfristigen und interessanten Projekten wissen- schaftlichen Nachwuchs auszubilden . Solange aber die zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und der Wille zum Frieden nicht handlungsleitend sind, bleibt der viel zu regierungsnahen Friedens- und Konfliktforschung nur die Rolle als Stichwortgeberin . Aber dass es möglich ist, sich gegen die militärische Vereinnahmung zu wehren, dokumentiert ganz aktuell das Rechtsgutachten, das der ehrenamtlich arbeitende Verein „NaturwissenschaftlerInnen Initiative Verantwor- tung für Frieden und Zukunftsfähigkeit e .V .“ in Auftrag gegeben hat . Dabei geht es um das Recht der Hochschu- le Bremen, sich auf ihre Zivilklausel zu berufen und die Kooperation mit dem Bundesamt für das Personalwesen der Bundeswehr zu verweigern . Darin heißt es: „Die Wissenschaftsfreiheit ist im Grundgesetz vorbe- haltlos gewährleistet . Eine Zivilklausel stellt einen Ein- griff in dieses vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht dar . Ein solcher Eingriff ist nur dann gerechtfertigt, wenn er einem Rechtsgut dient, das seinerseits durch die Ver- fassung geschützt wird . Dieses Rechtsgut ist das verfas- sungsrechtliche Leitbild des Friedens .“ Und es heißt weiter: „Die Bundeswehr dient militärischen Zwecken . Eine Kooperation der Hochschule Bremen mit der Bundes- wehr ist deshalb durch die bestehende Zivilklausel aus- geschlossen .“ Solche klaren Worte brauchen wir . Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Gera- de jetzt, nach der Präsidentschaftswahl in den USA, er- leben wir, wie schnell sich geopolitische Lagen ändern und neue Herausforderungen entstehen, die sich auf die Sicherheit in vielen Regionen der Welt auswirken kön- nen . Die Leitlinie unserer Politik muss es sein, kriegeri- sche Konflikte so weitgehend wie möglich präventiv im Vorfeld zu verhindern. Wo Kriege trotzdem stattfinden, müssen ihre verheerenden Folgen so gut wie möglich eingedämmt und die Auseinandersetzungen schnellst- möglich beendet werden . Um dafür erfolgversprechende diplomatische und politische Strategien zu entwickeln, sind wir auf wissenschaftlich fundierte Informationen, Einschätzungen und Empfehlungen angewiesen . Des- halb sind der Wert und die Wichtigkeit der Friedens- und Konfliktforschung kaum hoch genug einzuschätzen. Nach dem Ende der Blockkonfrontation haben sich internationale Bedrohungslagen massiv verändert . So sind unsere Gesellschaften mit verstärkten Gefährdungen konfrontiert, sei es durch den internationalen Terroris- mus in Verbindung mit asymmetrischer Kriegsführung, sei es durch neue Risiken eines Cyberwars, sei es durch Konflikte, die aus Ressourcenmangel oder Folgen der Klimakatastrophe zu erwachsen drohen . Hierzu braucht es präventive Politikansätze und sicherheitspolitische Antworten, die Bürgerrechte nicht schleifen, sondern stärken . Als grüne Fraktion haben wir auch deshalb einen An- trag zum Thema Biosicherheit eingebracht, der sich mit dem Missbrauchspotenzial moderner Techniken und der Dual-Use-Problematik auseinandersetzt . Beispielhaft geht es hier darum, Vorsorgemechanismen zu etablieren, damit Bedrohungen für die Sicherheit der Bevölkerung, für Gesundheit und Umwelt nicht zur Realität werden . Einen solchen Konkretisierungsgrad vermissen wir bei den Forderungen an die Bundesregierung im vorlie- genden Antrag der Koalitionsfraktionen . Der Feststel- lungsteil Ihres Antrags führt zwar wichtige Akteure der Forschungslandschaft mit deren Schwerpunkten auf, den ohnehin dünnen Forderungsteil stellen Sie jedoch unter einen generellen Finanzierungsvorbehalt . Diese unge- deckten Forderungen werden den Herausforderungen nicht gerecht . Der Mittelaufwuchs in den vergangenen Jahren reicht nicht aus . Speziell die Einrichtungen, die auf Zinszahlungen aus ihrem relativ geringen Stiftungs- kapital angewiesen sind, waren und sind in ihren Mög- lichkeiten massiv eingeschränkt . Deshalb wollen wir die Deutsche Stiftung Friedens- forschung (DSF) finanziell stärken. Diesen Bedarf sieht auch der Bundesrechnungshof, der der DSF attestiert, ihre Finanzierung befinde sich am unteren Limit des in- stitutionellen Mindestaufwands zur Aufrechterhaltung ihrer Aktivitäten . Ein wesentliches Problem der Friedens- und Kon- fliktforschung wird in den nächsten Jahren der fehlende wissenschaftliche Nachwuchs sein . Die Unsicherheit, ob und wie die jeweilige Institution in den kommenden Jahren gefördert wird, führt zur Abwanderung hochqua- lifizierter Forschender. Die Einrichtungen selber spre- chen von einem schwierigen „Generationenwechsel“ . So befürchtet zum Beispiel der Forschungsverbund der naturwissenschaftlichen Friedensforschung, dass dessen „Kompetenz in der Rüstungstechnik-Folgeabschätzung in den nächsten fünf Jahren in Deutschland verloren geht .“ Es gilt, eine bessere Kooperation leistungsfähiger Strukturen dauerhaft zu ermöglichen . Dazu gehört selbst- verständlich eine regelmäßige Evaluation, die beim Wis- senschaftsrat sicherlich in guten Händen liegen würde . Friedens- und Konfliktforschung erfordert interdiszipli- näre Expertise, die einzelne Hochschulen kaum vorhal- ten können . Deshalb ist es richtig, die nationale und eu- ropäische Vernetzung und Zusammenarbeit auszubauen . Eine grundlegende Stärkung muss jedoch schon früher beginnen, etwa durch den Ausbau der Friedenspädagogik in Schulen und Jugendeinrichtungen, ziviler Krisenprä- vention und entsprechender Freiwilligendienste für Ju- gendliche und Erwachsene und den Ausbau interdiszipli- närer, international ausgerichteter Studiengänge . Diesen Aufgaben müssen sich Bund und Länder sowie die Forschungsorganisationen gemeinsam stellen . In der Vergangenheit war dies immer wieder an ideologischen Grabenkämpfen gescheitert . Frau Ministerin Wanka er- klärte noch im letzten Jahr im Forschungsausschuss auf meine Frage zu den Perspektiven der Friedensforschung sinngemäß, diese hätte ja nicht einmal den arabischen Frühling vorhergesehen . Das war in dieser Pauschali- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19989 (A) (C) (B) (D) tät nicht nur falsch, solche Plattitüden bringen uns auch nicht weiter . Friedensforschung bearbeitet aktuell The- men, an die sich die Bundesregierung nicht herantraut . Wo bleibt zum Beispiel die im Koalitionsvertrag ange- kündigte grundlegende Diskussion über den Umgang mit unbemannten Waffensystemen? In der deutschen Frie- densforschung wird dies verantwortungsvoll diskutiert . Diese Ressourcen zur Reflexion und Entscheidungsfin- dung müssen wir stärken als bisher nutzen! In der wei- teren parlamentarischen Beratung wünsche ich mir eine unvoreingenommene gemeinsame Suche nach dauerhaft tragfähigen Strukturen . Darauf freue ich mich! Anlage 23 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung der Bestimmungen zur Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigenversorgung (Tagesordnungspunkt 35) Thomas Bareiß (CDU/CSU): Planungs- und Rechts- sicherheit sind wesentliche Eckpfeiler einer verlässlichen Energiepolitik und unseres Erfolgs als Industrienation . Auch wenn die Energiewende ein umfassender energie- wirtschaftlicher Veränderungsprozess ist, kann sie nur dann zum Erfolg geführt werden, wenn die Politik aus- reichend Planungssicherheit für alle Beteiligten schafft . Das ist unser Anspruch . Die nun vorliegenden gesetzlichen Änderungen zum Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) und Erneuer- bare-Energien-Gesetz (EEG) sind ein wichtiger Schritt in diese Richtung . Nach monatelanger Unsicherheit auf- grund von intensiven beihilferechtlichen Verhandlungen mit der EU-Kommission wird jetzt für die Kraft-Wär- me-Kopplung (KWK) sowie für die Eigenstromerzeu- gung Planungssicherheit geschaffen . Damit werden Investitionen ermöglicht und der Energiewende neuer Schwung gegeben . Der erste Teil des Gesetzes passt den Förderrahmen für die KWK an das europäische Beihilferecht an . Der Ausbau dieser emissionsarmen Erzeugungstechnologie kann damit nach fast einem Jahr Unterbrechung endlich weiter vorangehen . Für uns ist KWK ein intelligenter Weg, effizient mit Energiequellen umzugehen. KWK hat einen hohen Wirkungsgrad . Während in konventionellen Kraftwerken zwischen 45 und 70 Prozent der Energie, die für die Stromerzeugung eingesetzt wird, als Abwär- me verloren gehen, haben moderne KWK-Technologien Wirkungsgrade von bis zu 90 Prozent . KWK trägt damit auch entscheidend zur Einsparung von CO2 und zur Erreichung unserer ehrgeizigen Klima- ziele auf nationaler und europäischer Ebene bei . Gegen- über der ungekoppelten Strom- und Wärmeerzeugung werden rund 56 Millionen Tonnen CO2 eingespart . Wenn man mehr Klimaschutz in der Energiewirtschaft möchte, kommt man nicht an der KWK vorbei . Gerade in der De- batte um den Klimaschutzplan ist dieser Beitrag nicht zu unterschätzen . Auch können KWK-Anlagen in verschiedenen Grö- ßen einen Beitrag zur Netz- und Systemstabilität leis- ten . So kann durch dezentrale KWK dort Energie be- reitgestellt werden, wo sie benötigt wird . Durch den Eigenverbrauch des KWK-Stroms wird das bestehende Stromversorgungssystem entlastet . Ausbaubedarf und Leitungsverluste können so verringert werden . Um die KWK im Einklang mit der Energiewende weiter auszubauen, haben wir im vergangenen Jahr ein KWK-Gesetz auf den Weg gebracht . Gerade die CDU/ CSU-Bundestagsfraktion hat sich damals massiv für die KWK eingesetzt und erreicht, dass KWK auch künftig ein Bestandteil der Energiewende bleibt . So wurden die Förderung neuer KWK-Gasanlagen erhöht, die Förde- rung von Fernwärmenetzen und Speichern verstärkt und bestehende KWK-Anlagen gesichert . Nach der beihilferechtlichen Überprüfung der EU-Kommission und den langen, intensiven Verhand- lungen konnte dann endlich eine Einigung im Sommer erzielt werden . Das KWK-Gesetz, das im vergangenen Jahr auf den Weg gebracht wurde, kann nun endlich auch rückwirkend seine Wirkung entfalten . Der Investitions- stau bei der KWK ist damit seit dem 24 . Oktober 2016 aufgelöst . Die Regelungen, bei denen die EU-Kommission Än- derungen festgeschrieben hat, werden wir mit dem vor- liegenden Gesetz bereinigen . So können auch in diesen Bereichen zeitnah Investitionen getätigt werden . Kern der Einigung ist, dass auch künftig, wie schon bei den er- neuerbaren Energien, KWK-Anlagen nur noch gefördert werden, wenn sie sich erfolgreich an einer Ausschrei- bung beteiligen . Die Ausschreibung gilt jedoch nur für KWK-Anlagen mit einer Größe von 1 bis 50 Megawatt . Alle anderen Anlagen bleiben im bestehenden System . Ausschreibungen sind grundsätzlich richtig und wur- den von uns schon in der vergangenen KWK-Novelle gefordert . Wir haben jedoch kein Verständnis dafür, dass Eigenversorgung und damit der Großteil der industriellen KWK von den Ausschreibungen ausgeschlossen ist . Das ist der falsche Weg . Hier werden wir auf Änderungen drängen . Denn wer mehr Klimaschutz im Industriesektor will, braucht auch zukünftig den Ausbau der KWK . Es ist uns auch gelungen, Planungssicherheit und Ver- trauensschutz für bereits getätigte Investitionen zu schaf- fen . Die Ausschreibung gilt nicht für KWK-Anlagen, die noch 2016 eine immissionschutzrechtliche Genehmi- gung erhalten haben oder verbindlich bestellt sind . Die- se Anlagen müssen nicht in die Ausschreibung, sondern können noch unter dem bisherigen System des KWKG 2016 gefördert werden . Auch die Einführung einer Aus- schreibung für innovative KWK-Anlagen und Systeme, wie zum Beispiel die Kombination KWK-Anlagen und Wärmepumpe, begrüßen wir . Denn damit bringen wir Innovationen und neue Technologien voran, die für die Energiewende von großer Bedeutung sein können . Der im Gesetz festgelegte Systemwechsel bei der Fi- nanzierung der KWK-Förderung muss aus unserer Sicht Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619990 (A) (C) (B) (D) ebenfalls im Rahmen der parlamentarischen Beratun- gen näher beleuchtet werden . Künftig soll nämlich nur noch derjenige von der KWK-Umlage entlastet werden, der auch einen Begrenzungsbescheid auf der Grundlage der Besonderen Ausgleichsregelung im EEG hat . Der Mechanismus der Besonderen Ausgleichsregelung wird somit, mit angepassten Mindestsätzen, analog auf das KWKG übertragen . Diese Anpassung bedeutet für die deutsche Industrie zusätzliche Kostenbelastungen . Gerade für viele kleine- re und mittelständische Unternehmen, die nicht von der Besonderen Ausgleichsregelung profitieren, entsteht ein deutliches Kostenplus . Einen mittelständischen Auto- mobilzulieferer (mit 10 Millionen Kilowattstunden Ver- brauch) kostet die Neuregelung bis zu 70 000 Euro . Geld, welches für Investitionen fehlt . Deshalb brauchen wir, wie schon im EEG veranlagt, eine Härtefallregelung . Un- ternehmen, die bisher von einer reduzierten KWK-Umla- ge profitieren, müssen auch zukünftig dauerhaft teilweise entlastet werden . Dafür werden wir uns mit aller Kraft einsetzen . Eng mit dem Thema KWK ist auch das Thema Eigen- stromerzeugung verbunden . Nach langen und intensiven Verhandlungen haben wir bei der Novelle des EEG im Jahr 2014 eine Beteiligung der Erzeuger von Eigenstrom an der EEG-Umlage eingeführt . Auf Eigenstrom muss 40 Prozent der EEG-Umlage gezahlt werden . Diese Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen . Sie war jedoch im Interesse einer bezahlbaren Energiewende richtig . Denn die steigende EEG-Umlage hat es immer attraktiver gemacht, sich durch Erzeugung von Eigen- strom von der Pflicht zur Zahlung der EEG-Umlage zu befreien . Diese Entsolidarisierung geht jedoch zu Lasten der Mehrheit der Bevölkerung, die ihren Strom selber nicht erzeugen kann, wie zum Beispiel Wohnungsmieter . Es ging also nicht darum, Eigenstrom zu verteufeln, son- dern um eine faire Aufteilung der Energiewende-Kosten . Eigenverbrauch ist nach wie vor möglich, das zeigt auch der Boom bei den Hausspeichern . Bei der nun folgenden beihilferechtlichen Prüfung durch die EU-Kommission wurden mögliche Wettbe- werbsverzerrungen zwischen Neu- und Altanlagen be- mängelt . Nach langen, intensiven Verhandlungen ist nun klar: Der Vertrauensschutz für Altanlagen bleibt beste- hen . Die Eigenversorgung von Bestandsanlagen wird wie bisher nicht mit der EEG-Umlage belastet . Dies gilt, so- lange die Bestandsanlage nicht wesentlich modernisiert wird . Ab einer solchen wesentlichen Modernisierung, also dem Ersatz des Generators, fällt eine EEG-Umlage in Höhe von 20 Prozent an . Das ist ein großer Verhandlungserfolg für Deutsch- land und ein wichtiges Signal für den Industriestandort Deutschland . Denn hätten die Eigenerzeugungs-Be- standsanlagen zukünftig auch 40 Prozent der EEG-Um- lage zahlen müssen, wären rund 4 Milliarden Euro (56,7 TWh x 6,88 Cent) Zusatzbelastung auf Industrie- betriebe, Erneuerbaren- oder KWK-Anlagenbetreiber zugekommen . Manch traditioneller Industriebetrieb, der schon seit Jahrzehnten Eigenerzeugung betreibt – also noch lange vor dem EEG –, wäre in große finanzielle Be- drängnis gekommen . Im Rahmen des nun beginnenden parlamentarischen Verfahrens werden wir die Regelung auf ihre Praxistaug- lichkeit hin überprüfen. So dürfen sinnvolle Effizienz- maßnahmen nicht durch eine drohende Umlagepflicht bei Modernisierung bestraft werden . Hier werden wir schauen, was im Rahmen des Beihilferechts an Änderun- gen möglich ist . Das gilt auch für die Einführung einer Neudefinition von Eigenstrom, die restriktiver ist als die bisherige Praxis . Ausufernde Bürokratie sollte weitest möglich vermieden werden . Die zunehmende Einmischung der Europäischen Kommission in die nationale Energiepolitik hat ihren Preis . Die Verfahren dauern länger und werden leider auch intransparenter . Planungssicherheit herzustellen, liegt nicht mehr alleine in der nationalen Verantwortung . Das ist auch für uns als Parlamentarier nicht leicht . Ich bin daher froh und dankbar, dass es für die KWK und die Eigenstromerzeugung wieder Planungssicherheit gibt . Es gilt nun, die Regelung im Sinne von mehr Praxis- tauglichkeit weiterzuentwickeln und mögliche Schwach- stellen in Detailfragen auszubessern . Denn unsere Ener- giewende braucht mehr KWK und weniger Bürokratie . Für uns ist klar: KWK und Eigenstromerzeugung sind und bleiben ein elementarer Bestandteil der Energiewen- de . Florian Post (SPD): Die gekoppelte Erzeugung von Strom und Wärme ist hocheffizient, ressourcen- und kli- maschonend . Sie schlägt eine Brücke zwischen den Sek- toren Strom und Wärme und ist, gerade in Verbindung mit Speichern, durch ihre Flexibilität und den komplementä- ren Bedarf von Wärme und der Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energieträgern die Nahtstelle zwischen Klimaschutz und Versorgungssicherheit . Es dürfte kein Geheimnis sein, dass ich ein großer Freund der KWK bin, und ich denke, dass diese Technologie eine wichtige Aufgabe in unserem sich wandelnden Energiemarkt hat . Wir haben letztes Jahr mit der Novellierung des KWKG dafür gesorgt, dass die KWK nicht nur kurzfristig gerettet wird, sondern diese Technologie eine echte Per- spektive hat . Nach zähem Ringen mit der EU-Kommissi- on werden wir nun endlich die lang ersehnte Planungssi- cherheit schaffen, die es braucht, um den KWK-Ausbau auf den Weg zu bringen; denn die Branche braucht drin- gend verlässliche Rahmenbedingungen, um ihrer Rolle bei der Energiewende gerecht zu werden . Die andau- ernde Ungewissheit hinsichtlich der Finanzierungsbe- dingungen bedeutet faktisch den Stopp für neue, bereits in Planung befindliche KWK-Projekte ebenso wie einen Stopp für die Modernisierung bestehender Anlagen . Da- rum werbe ich dafür, dass wir dieses Gesetz zügig und zugleich sorgfältig angehen . Es sind uns durch die Einigung mit der EU-Kommis- sion gewisse Grenzen gesetzt, und ich finde, der Ent- wurf, den uns das Ministerium vorgelegt hat, ist in seiner grundsätzlichen Aussage zu begrüßen . Gerade die Ein- führung der Förderkategorie der innovativen KWK ist ein zukunftsweisender Ansatz, um die Entwicklung der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19991 (A) (C) (B) (D) KWK in den kommenden Jahren voranzutreiben . Aber es gibt auch noch Diskussionsbedarf hinsichtlich des Ge- setzentwurfs, für dessen Prüfung ich mich im laufenden parlamentarischen Verfahren einsetzen werde . Besonders beim Ausschreibungsvolumen sollten wir das Ziel des Ausbaus im Blick behalten . Um unser Ziel von 110 Terawattstunden im Jahr 2020 zu erreichen, kann das Ausschreibungsvolumen von 200 Megawatt pro Jahr möglicherweise nicht genügen – gerade wenn man im Blick behält, dass zwischen 2009 und 2015 der Ausbau im Schnitt bei 350 Megawatt elektrisch lag . Auch sollten wir gründlich prüfen, ob es eine zielführende Forderung ist, wenn ein Zuschlag nur gewährt wird, wenn kein ver- miedenes Netznutzungsentgelt oder Steuerbegünstigun- gen nach Stromsteuergesetz in Anspruch genommen wurden . Hier wurde davon ausgegangen, dass es sich bei den vermiedenen Netznutzungsentgelten um eine Förderung handelt (in Anlehnung an das Doppelförde- rungsverbot) . Dem stehe ich vorsichtig gegenüber; denn bei den vermiedenen Netznutzungsentgelten handelt es sich ja eher um eine Weitergabe von tatsächlich erzielten Kosteneinsparungen der Netzbetreiber . Die dezentralen KWK-Anlagen speisen ja direkt in deren Netze ein und senken den Strombezug aus vorgelagerten Netzen . Wer- den diese Kosteneinsparungen nicht an die KWK-Anla- genbetreiber (als Einspeiser) ausgegeben, so verbleiben sie als Windfall Profits bei den Einspeisenetzbetreibern. Hier müssen wir genau schauen, ob in diesem Punkt An- reize für dezentrale Erzeugungslösungen nicht durch den vorgeschlagenen Ansatz untergraben werden . Insgesamt haben wir mit dem Gesetzentwurf eine gute Grundlage für die weiteren Beratungen, um der Techno- logie KWK die lang ersehnte Investitionssicherheit zu verschaffen . Johann Saathoff (SPD): „Mennigmaal mutten Sa- ken langer düüren, um gaud tau worden“, würde man in meiner Heimat Ostfriesland sagen . Also: Oft will gut Ding Weile haben . Lange, eigentlich viel zu lange, mussten wir und vor allem die davon betroffenen Unternehmen auf die Ge- nehmigung des KWKG durch die Kommission warten . Die Verhandlungen des Bundeswirtschaftsministeriums mit der Kommission waren sehr umfangreich . Aber nun gibt es endlich ein Ergebnis und damit die notwendige Sicherheit, wie die KWK-Förderung auch in den nächs- ten Jahren europarechtskonform bleibt . Es gibt eine ganze Reihe von Projekten, die schon in den Startlöchern standen und nur auf die Genehmigung durch die Kommission gewartet haben . Mit dem vorlie- genden Gesetzentwurf wollen wir die Einigung mit der Kommission nun umsetzen und damit die monatelange Unsicherheit für Investoren beenden . Die Einigung mit der Kommission sieht unter ande- rem vor, dass KWK-Anlagen zwischen 1 und 50 Mega- watt künftig nur noch einen per Ausschreibung ermittel- ten Zuschlag erhalten sollen . Grundsätzlich erachte ich Ausschreibungen bei der KWK für genauso schwierig wie bei EEG-Anlagen, allerdings aus anderen Gründen . Da ja nun aber anscheinend kein Weg daran vorbeizuge- hen scheint, werden wir uns das genau anschauen . Ein Blick in die Zukunft ist die Ausschreibung für in- novative Systeme, die wir auch im EEG machen wollen . Hier wollen wir Flexibilitätspotenzial heben und auf eine stärkere Verknüpfung mit den erneuerbaren Energien hinwirken . Dadurch können und sollen Zukunftspotenzi- ale erschlossen werden, und die KWK kann uns in einem zukünftigen Energiemarkt viele Optionen bieten . Wir werden die KWK also noch lange brauchen, wenn wir sie fit für die Zukunft machen. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält aber weit mehr Regelungen, als es zur Umsetzung der Einigung mit der Kommission bedarf . Es sind zahlreiche Klarstellungen enthalten, aber eben auch weitergehende Regelungen . In diesem Zusammenhang möchte ich feststellen, dass die Kommission die Förderung mittels Zuschläge außer- halb des Ausschreibungssegments für europarechtskon- form befunden hat . Auch im Hinblick darauf werden wir den Gesetzentwurf noch mal detailliert prüfen . Der Bundesrat hat uns in seiner Stellungnahme eine ganze Reihe wertvoller Hinweise gegeben, und wir wer- den uns auch diese genau anschauen . Er fordert ja bei- spielsweise eine Untergrenze für die Ausschreibungen bei Anlagen von 2 Megawatt oder zur Förderung bei Teilmodernisierung . Interessant finde ich auch den Versuch, die technische Mindesterzeugung – die einen großen Teil des Must-Run darstellt – zu begrenzen . Schon beim EEG habe ich die- ses Jahr deutlich gemacht, dass wir den Must-Run be- grenzen müssen; denn wir sollten unsere Netze möglichst für erneuerbaren Strom freihalten . Der größte Teil der Maßnahmen zur Begrenzung des Must-Run findet sich weit untergesetzlich, aber wir soll- ten als Gesetzgeber hier ein deutliches Signal senden . Und natürlich enthält der Gesetzentwurf auch eine Re- gelung, um die Privilegierung der stromkostenintensiven Unternehmen bei den Förderkosten des KWKG an die europäischen Umweltschutz- und Energiebeihilfeleitli- nien anzupassen . Zu diesem Zweck wird die besondere Ausgleichsregelung des EEG 2017 auf das KWKG über- tragen . Das ist ein komplexes Vorhaben, und wir werden uns mögliche Folgen genau anschauen . Sehr wichtig ist auch die Einigung bei der Zukunft der Eigenversorgung . Die zeitliche Begrenzung dieser Ge- nehmigung hing wie ein Damoklesschwert über uns, und ich bin froh und dankbar, dass das Bundeswirtschaftsmi- nisterium hier ein Ergebnis erzielt hat . Wir werden zu dem Gesetzentwurf eine öffentliche Anhörung im Ausschuss durchführen, und ich freue mich schon auf die Beratungen, sodass wir das Gesetz zu ei- nem guten Abschluss bringen können . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Als Sigmar Gabriel Ende August aus Brüssel zurückkehrte und der Öffentlichkeit von seinen Verhandlungen mit der EU-Kommission berichtete, war er stolz, die hohen In- dustrieprivilegien in Brüssel durchgeboxt zu haben . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 201619992 (A) (C) (B) (D) Sowohl die stromintensive Industrie als auch der Eigen- verbrauch im großen Stil bleiben also befreit von der EEG-Umlage, was bedeutet, dass grünes Licht gegeben wird für insgesamt 5,4 Milliarden Euro Flucht aus der EEG-Umlage . Davon kommen 3,4 Milliarden über die Besondere Ausgleichsregelung und gut 2 Milliarden aus dem Eigenverbrauch . Dieses Geld müssen die übri- gen Stromverbraucher und -verbraucherinnen bezahlen . Als Linke halten wir diese Subventionierung der Indus- trie quasi mit der Gießkanne für völlig überzogen . Man sollte hier streng überprüfen, welche Betriebe eine sol- che Befreiung wirklich brauchen, denn die Kosten der Energiewende sollten von allen getragen werden, nicht nur von Privathaushalten und Mittelständlern . Hier wird Strukturpolitik mit Energiewende-Mitteln gemacht, das halte ich für den falschen Weg, weil auf der anderen Seite dann wieder aufgrund angeblich hoher Kosten der Ener- giewende der Ausbau gedrosselt wird . Eine faire Ener- giewende sieht anders aus . Dass der Deal aus Brüssel endlich das bereits ein Drei- vierteljahr zuvor in Kraft getretene Kraft-Wärme-Kopp- lungs-Gesetz abgesegnet hat, war das glückliche Ende einer Hängepartie . KWK-Förderbescheide, die seit Ja- nuar auf Eis liegen, können endlich erteilt werden, viele Stadtwerke können aufatmen, weil sie für hocheffiziente Gas-KWK der öffentlichen Versorgung einen Ausgleich für den Strompreisverfall erhalten . So viel Freude wird natürlich wie gewohnt sofort mit dem nächsten Dämpfer getrübt: Auch die Förderung für Kraft-Wärme-Kopplung soll nun ausgeschrieben wer- den . Leider gibt es dafür kein Konzept, keine Erfahrun- gen, keine ausgereifte Idee . Wir Linken haben bei der Bundesregierung nachgefragt: welche Studien das Mi- nisterium zu diesem Thema kennt, welche es in Auftrag geben will und welche Erfahrungen aus anderen Ländern man kennt . Antwort: keine, keine, keine . Das ist we- nig, muss ich sagen! Und das ist fahrlässig hinsichtlich der Zukunft dieser hocheffizienten Technologie, die die Energiewende sinnvoll ergänzen kann . De facto wird der Kraft-Wärme-Kopplung damit auch ein rigider Deckel verpasst, weil natürlich nur die ausgeschriebene und mit 200 Megawatt jährlich zu gering angesetzte Menge zuge- baut werden kann . Kraft-Wärme-Kopplung wird im Blindflug in die Aus- schreibungen geschickt, und zwar bereits in einem Jahr . Die KWK wird als Versuchskaninchen dem Experimen- tierfeld Ausschreibungen geopfert, obwohl klar ist, dass Kraft-Wärme-Kopplung ganz andere Anforderungen hat als Photovoltaik und Windenergie . Es ist daher höchst fraglich, ob hier wettbewerbliche Ausschreibungen über- haupt Sinn machen . Ich möchte die Stadtwerke von Neuburg an der Do- nau, aus meinem Wahlkreis in Oberbayern, als hervor- ragendes Beispiel für Energiewende und Klimaschutz anführen . Der Stadtwerke-Chef aus Neuburg ist ein Mann vom Fach und will bei den Stadtwerken bis 2020 den CO2-Ausstoß um 30 Prozent senken . Er setzt dabei auf ein Nahwärmenetz, das die Abwärme eines Glasher- stellers nutzt, erzeugt aber auch selbst Strom und Wärme mithilfe von hocheffizienter Gas-KWK mit einem Wir- kungsgrad von 91 Prozent . Wir brauchen solche Men- schen wie in Neuburg, die überzeugt sind von der hochef- fizienten Technologie für die dezentrale Erzeugung, wir brauchen aber auch die Rahmenbedingungen, damit die Engagierten ambitionierte Ziele überall in Deutschland verfolgen können . Mit Ausschreibungen bei der KWK legt die Bun- desregierung diesen Leuten Steine in den Weg . Aus- schreibungen bedeuten Risiken und Bürokratie ohne Preissicherheit . Ich bin nicht sicher, ob der Neuburger Stadtwerke-Chef unter den neuen Bedingungen investiert hätte . Wer so mit der sowieso schon dahindümpelnden KWK-Branche umgeht, der will sie nicht voranbringen und gefährdet nachhaltige Arbeitsplätze im Maschinen- bau . Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist unfassbar, wie diese Bundesregierung mit der KWK-Branche umgeht, einer Branche, die wir für die Energiewende und die Energieversorgung der Zukunft brauchen, und einer Branche, die die Bundesregierung in ihren eigenen Klimaschutzzusagen fest eingeplant hatte . Nun ja, was die Zusagen zum Klimaschutz unter dieser schwarz-roten Koalition wert sind, erleben wir gerade hautnah bei dem unwürdigen Geschacher um den Kli- maschutzplan . Es ist ein einziges Trauerspiel, was diese Bundesregierung in der zentralen Frage über die Lebens- grundlagen für die kommenden Generationen aufführt . Die Bundesregierung hat in ihrem Klimaaktions- programm beschlossen, dass durch den Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung zusätzlich 4 Millionen Tonnen CO2 bis 2020 eingespart werden sollen . Doch statt den Unternehmen Planungssicherheit und klare Förderzusa- gen für den Ausbau der KWK zu geben, lässt die Bundes- regierung eine ganze Effizienzbranche am ausgestreckten Arm verhungern . Erst hat das Wirtschaftsministerium die Novelle des KWK-Gesetzes über ein Jahr verzögert, ein Jahr, in dem Investoren und Planer für energieeffiziente Kraft-Wär- me-Kopplungsanlagen in die Glaskugel schauen muss- ten, statt seriös planen zu können . Als das Gesetz dann Anfang 2016 endlich in Kraft trat, konnte es nicht ange- wendet werden; denn das Wirtschaftsministerium hatte einen Vorbehalt für die beihilferechtliche Genehmigung aus Brüssel eingefügt . So verging ein weiteres Dreivier- teljahr, in dem kein einziger Zuschlag für ein KWK-Pro- jekt bewilligt wurde . Unternehmen mussten ihre geplan- ten Projekte einstampfen und im Zweifel Leute entlassen . Wenn Sie jetzt sagen: „Die Verlinden soll doch auf- hören, zu jammern, wir regeln mit dem neuen Gesetz ja die offenen Fragen“, antworte ich Ihnen: Mitnichten! Für einen großen Teil der KWK-Betreiber bleibt die Unsicherheit weiter bestehen; denn Sie wollen nun für KWK-Kraftwerke mit einer Leistung von 1 bis 50 Me- gawatt Ausschreibungen einführen . Die Details für diese Ausschreibungen lassen Sie im vorliegenden Gesetz- entwurf aber weitgehend im Dunkeln . Licht in die Sa- che soll erst eine Verordnung bringen . Die kommt aber erst irgendwann im nächsten Jahr . Die Hängepartie für KWK-Betreiber, für Stadtwerke und für dezentrale Versorger geht also weiter . Das ist das Gegenteil von Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 199 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 10 . November 2016 19993 (A) (C) (B) (D) KWK-Ausbau und auch das Gegenteil von verlässlicher Energiewende! Was brauchen wir, um die KWK zum Teil der Ener- giewende und zu einem wirksamen Beitrag für den Kli- maschutz zu machen? Ich nenne Ihnen exemplarisch drei Punkte: Erstens . Wir brauchen mehr dezentrale Lösun- gen mit KWK . Das können Bürgerprojekte, Mieterstrom- modelle oder Contracting-Lösungen sein, bei der hoch- effiziente KWK-Anlagen vor Ort Strom und Wärme für Gebäude liefern . Doch in der Vorstellung der Regierung kommt KWK bei Mieterstrom bisher gar nicht vor . Eine entsprechende Verordnung wollen Sie ausschließlich für Photovoltaik aufsetzen . Außerdem stellt der vorliegende Gesetzentwurf die direkte Versorgung über Kundenanla- gen schlechter als die Versorgung über öffentliche Netze . Das ist ein weiterer Hemmschuh . Zweitens . Wir brauchen stärkere Anreize für den Um- stieg auf klimaschonende Brennstoffe und erneuerbare Energien . Statt in diesem Bereich nachzulegen, tun Sie mit dem vorliegenden Gesetz das Gegenteil . Zusätzliche Hürden für die Modernisierung bestehender Anlagen oder der Ausschluss von Abwärmenutzung bei der För- derung bremsen den Umstieg und damit auch den Nutzen für das Klima . Drittens . Wir brauchen stärkere Impulse für Nahwär- menetze; denn Wärmenetze machen die Energieversor- gung flexibler und erleichtern die Einbindung von erneu- erbaren Energien oder industrieller Abwärme . Doch auch für Wärmenetze errichten Sie mit der vorgesehenen Ein- zelfallbegründung der Förderwürdigkeit neue Hürden . An diesen drei Beispielen sehen Sie, was die KWK für die Energiewende und damit für den Klimaschutz leis- ten könnte . Doch dafür muss man erstens die KWK auch wollen und zweitens die richtigen Rahmenbedingungen setzen . Dazu ist diese Bundesregierung ganz offensicht- lich nicht in der Lage oder einfach nicht willens, wie der heute eingebrachte Gesetzentwurf zeigt . Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 199. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 4 Förderung des deutschen Films ZP 1 - 3 Klimakonferenz von Marrakesch TOP 6 Änderung des Aufenthaltsgesetzes TOP 40, ZP 4 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 41 Abschließende Beratungen ohne Aussprache TOP 7 Wahl: Sondergremium nach dem StabMechG ZP 5 VereinbarteDebatte zur aktuellen Lage in der Türkei TOP 8 Marktordnungsrechtliche Vorschriften TOP 9, ZP 6 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen TOP 10 Erhalt der Brennelementesteuer TOP 11 Bundeswehreinsatz gegen die Terrororganisation IS TOP 12 Absicherung von Selbständigen TOP 13 Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV TOP 14 50 Jahre Europäische Sozialcharta TOP 15 Bundeswehreinsatz in Südsudan (UNMISS) TOP 16 Regionalkennzeichnung bei Lebensmitteln TOP 17 Bundeswehreinsatz in Dafur (UNAMID) TOP 18, ZP 7, 8 Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts TOP 19 Änderung des Soldatengesetzes ZP 9 Anbau von gentechnisch verändertem Mais TOP 21 Änderung des Saatgutverkehrsgesetzes TOP 22 Rekrutierung von Minderjährigen für die Bundeswehr TOP 23 Psychiatrische und psychosomatische Leistungen TOP 24 Änderung des Regionalisierungsgesetzes TOP 25 Internationale Rechtshilfe in Strafsachen TOP 26 Änderung des Erdölbevorratungsgesetzes TOP 27 Jahresbericht 2015 über Folter und Misshandlung TOP 28 Bekämpfung von Fluchtursachen TOP 29 ERP-Wirtschaftsplangesetz 2017 TOP 30 Abkommen mit Serbien, Albanien und Georgien TOP 32, ZP 10 Berufszulassung für Immobilienmakler TOP 33 Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz TOP 34 Friedens- und Konfliktforschung TOP 35 Stromerzeugung aus Kraft-Wärme-Kopplung Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11 Anlage 12 Anlage 13 Anlage 14 Anlage 15 Anlage 16 Anlage 17 Anlage 18 Anlage 19 Anlage 20 Anlage 21 Anlage 22 Anlage 23
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819900000

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich .

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich
den Kollegen Manfred Behrens und Hubert Hüppe
nachträglich zu ihrem jeweils 60 . Geburtstag gratulieren
mit allen guten Wünschen des Hauses .


(Beifall)


Für den ausgeschiedenen Kollegen Heiko Schmelzle
ist der Kollege Rainer Hajek als Mitglied des Deut-
schen Bundestages nachgerückt, den ich herzlich begrü-
ßen möchte und dem ich eine gute Zusammenarbeit für
die verbleibende Zeit in dieser Legislaturperiode wün-
sche . Herzlich willkommen!


(Beifall)


Dann müssen wir noch die Wahl von zwei Mitgliedern
des Stiftungsrates der Stiftung „Zentrum für Osteu-
ropa- und internationale Studien“ durchführen . Die
CDU/CSU-Fraktion schlägt vor, die Kollegin Elisabeth
Motschmann als Mitglied des Stiftungsrates zu berufen .
Die SPD-Fraktion schlägt den Kollegen Franz Thönnes
als Mitglied dieses Gremiums vor . Gibt es dagegen Ein-
wände? – Das ist nicht erkennbar . Dann sind die Kollegin
Motschmann und der Kollege Thönnes in den Stiftungs-
rat gewählt .

Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesord-
nung um die in der Zusatzpunkteliste aufgeführten Punk-
te zu erweitern:

ZP 1 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Klimakonferenz von Marrakesch – Pariser
Klimaabkommen auf allen Ebenen vorantrei-
ben

Drucksache 18/10238

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Hubertus Zdebel, Caren Lay,

weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Pariser Weltklimavertrag auf der UN-Klima-
konferenz in Marrakesch in Gang bringen –
Dekarbonisierung in Deutschland beschleuni-
gen

Drucksache 18/10242

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel
Höhn, Annalena Baerbock, Oliver Krischer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Klimaschutz entscheidend voranbringen

Drucksache 18/10249

ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren


(Ergänzung zu TOP 40)


a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Nicole Maisch, Harald Ebner, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Reduzierung, Beschränkung und Verbesse-
rung von Tiertransporten

Drucksache 18/10251
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin
Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Existenzminimum verlässlich absichern, ge-
sellschaftliche Teilhabe ermöglichen

Drucksache 18/10250
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung






(A) (C)



(B) (D)


c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Maria
Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg,
Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Fairen Wettbewerb in der solidarischen Kran-
kenversicherung ermöglichen – Weiterent-
wicklung des morbiditätsorientierten Risiko-
strukturausgleiches vorantreiben

Drucksache 18/10252
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

ZP 5 Vereinbarte Debatte

zur aktuellen Lage in der Türkei

ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie

(9 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten

Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr . Thomas
Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für mehr Transparenz und demokratische
Kontrolle bei der Ministererlaubnis

Drucksachen 18/8078, 18/10279

ZP 7 Beratung des Berichts des Ausschusses für
Recht und Verbraucherschutz (6 . Ausschuss)

gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu
dem von den Abgeordneten Volker Beck (Köln),
Ulle Schauws, Katja Keul, weiteren Abgeordne-
ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Abschaffung des Eheverbots für gleichge-
schlechtliche Paare

Drucksachen 18/5098, 18/10227

ZP 8 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des
Rechts auf Eheschließung für Personen glei-
chen Geschlechts

Drucksache 18/6665
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

zu den Entwürfen für eine Durchführungs-
verordnung und zwei Durchführungsbe-
schlüsse der Europäischen Kommission
über das Inverkehrbringen von Saatgut
zum Anbau der gentechnisch veränderten
Maislinien MON 810, 1507 und Bt11

(Dokumente SANTE/10702/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10704/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10703/2016 CIS Rev. 3)


hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes

Keine Zulassung der gentechnisch veränder-
ten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für
den Anbau in der EU

Drucksache 18/10246

ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian
Kühn (Tübingen), Renate Künast, Nicole Maisch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Wohneigentumsrecht umfassend reformieren
und modernisieren

Drucksache 18/8084
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

ZP 11 Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim Dağdelen,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes – Auf-
enthaltsrecht für Opfer rechter Gewalt

Drucksache 18/2492

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/10288

Dabei soll wie üblich für den Beginn der Beratungen,
soweit erforderlich, von den entsprechenden Fristen ab-
gewichen werden .

Der Tagesordnungspunkt 5 – hier geht es um den Ent-
wurf eines Gesetzes zum Schutz vor Manipulationen an
digitalen Grundaufzeichnungen – wird heute abgesetzt .
Stattdessen soll unter Beibehaltung der Debattendauer
von 60 Minuten der Antrag auf der Drucksache 18/10238
mit dem Titel „Klimakonferenz von Marrakesch – Pari-
ser Klimaabkommen auf allen Ebenen vorantreiben“
in verbundener Beratung mit den Anträgen auf den
Drucksachen 18/10242 und 18/10249 debattiert wer-
den . Ebenso soll der Tagesordnungspunkt 20 abgesetzt
werden – hier geht es um eine Große Anfrage zur poli-
tischen Willensbildung – und stattdessen der Antrag auf
der Drucksache 18/10246 – hier geht es um eine Stel-
lungnahme nach Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes
zum Anbau gentechnisch veränderter Maislinien in der
EU – mit einer unveränderten Debattendauer von 25 Mi-
nuten beraten werden . Zudem werden auch der Tagesord-
nungspunkt 31 – abschließende Beratung des Gesetzes
zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes – und
der Tagesordnungspunkt 41 a – hier geht es um die ab-
schließende Beratung des Gesetzes zur Änderung des
Versorgungsrücklagegesetzes und weiterer dienstrechtli-
cher Vorschriften – abgesetzt .

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Schließlich mache ich noch auf zwei nachträgli-
che Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zusatz-
punkteliste aufmerksam:

Der am 20 . Oktober 2016 (196 . Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-
schuss für Gesundheit (14 . Ausschuss) zur Mitberatung
überwiesen werden:

Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des
Gentechnikgesetzes

Drucksache 18/6664
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

Der am 20 . Oktober 2016 (196 . Sitzung) überwiesene
nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem Aus-
schuss für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss) zur
Mitberatung überwiesen werden:

Beratung des von der Bundesregierung einge-
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung
der nichtfinanziellen Berichterstattung der
Unternehmen in ihren Lage- und Konzernla-

(CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz)


Drucksache 18/9982
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Ich frage Sie, ob Sie mit allen diesen Vereinbarungen
einverstanden sind . – Das ist der Fall und wird die PGFs
jetzt sehr erleichtern; denn es hätte die Sache umgekehrt
enorm kompliziert, wenn es dazu kein Einvernehmen
gäbe .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: War aber gut vorbereitet!)


– Wie immer war das gut vorbereitet und ist deswegen
erwartungsgemäß reibungslos so akzeptiert worden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ergänzung unse-
rer heutigen Tagesordnung um eine Vereinbarte Debatte
zur Situation in der Türkei gibt Anlass zu einem Hinweis
auf ein anderes historisches Ereignis . Vor genau 60 Jah-
ren gab es in Budapest und anderen ungarischen Städten
letzte Gefechte eines Volksaufstands, bei dem Bürger für
Meinungs- und Pressefreiheit, für ein Mehrparteiensys-
tem und für freie Wahlen kämpften . Die kommunistische
Führung in Moskau ließ im November 1956, also vor
genau 60 Jahren, das protestierende Volk durch Panzer
brutal niederschlagen .

Daran zu erinnern, ist nicht nur von historischem Inte-
resse, sondern von leider aktueller politischer Bedeutung .
Die Tausenden Opfer des Ungarn-Aufstands sind eine
bleibende Mahnung an alle, die im vereinten Europa heu-
te in Freiheit leben, diese Freiheit nicht für eine schlichte
Selbstverständlichkeit zu halten. Sie verpflichten uns, all
denen beizustehen, für die staatliche Willkür noch immer
eine alltägliche Erfahrung ist . Deswegen schweigen wir
auch nicht, wenn in der Türkei, die zu unseren Partnern
gehört, Mitglied der NATO und des Europarates ist und
Teil unserer Wertegemeinschaft sein oder werden will,
die staatliche Rechtsordnung gebeugt und fortgesetzt
Grundrechte mit Füßen getreten werden .


(Beifall im ganzen Hause)


Während 1956 in Ungarn die Armee einen Aufstand
des Volkes niederschlug, scheiterte in diesem Sommer
in der Türkei ein Putsch des Militärs gegen die demo-
kratisch gewählte Regierung am couragierten Wider-
stand der Bevölkerung, die seitdem erleben muss, wie
die eigene Regierung mit Zensur, Massenentlassungen
und Verhaftungen offensichtlich systematisch nicht nur
gegen tatsächliche und vermeintliche Staatsfeinde, son-
dern gegen jede Form politischer Opposition vorgeht .
Wir verurteilen jedes Vorgehen, das die Beseitigung von
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vorantreibt .


(Beifall im ganzen Hause)


Wir erklären unsere Solidarität mit allen aus politi-
schen Gründen verhafteten Parlamentariern, Journalis-
ten, Wissenschaftlern und Beamten, und wir appellieren
an das türkische Parlament, seine Verantwortung als
Volksvertretung wahrzunehmen, damit die Türkei zu
dem demokratischen Standard zurückfindet, zu dem sie
sich als Mitglied des Europarats ausdrücklich verpflich-
tet hat .


(Beifall im ganzen Hause)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will noch eine
letzte Bemerkung machen . Von großer Aktualität ist
auch, dass der Ungarn-Aufstand 1956 die erste große
Flüchtlingswelle in Europa auslöste, jedenfalls die ers-
te große Flüchtlingswelle nach dem Zweiten Weltkrieg .
Schätzungen zufolge gelang damals 200 000 Ungarn die
Flucht . 200 000! Das waren mehr als 2 Prozent der Be-
völkerung . Sie erlebten in europäischen und westlichen
Gesellschaften eben die „echte Solidarität der freien
Menschen“ – wie es Bundeskanzler Adenauer in einer
Sondersitzung vor dem Bundestag damals formulierte –,
woran es gelegentlich, auch in Ungarn, zu erinnern gilt .


(Beifall im ganzen Hause)


Damals machten die Bundesbürger, von denen in
ungleich schwierigerer Lage als gegenwärtig Tausende
vorlebten, was wir heute Willkommenskultur nennen,
erste Erfahrungen mit der massenhaften Anwendung des
Rechts auf politisches Asyl . Dieses elementare Grund-
recht gilt auch heute ausnahmslos für alle, die staatlicher
Repression ausgesetzt sind – wo auch immer . Ihnen ge-
hört unsere Solidarität und Unterstützung .


(Beifall im ganzen Hause)


Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes über Maßnahmen zur Förderung des deut-
schen Films (Filmförderungsgesetz – FFG)


Drucksachen 18/8592, 18/8627

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Kultur und Medien (22 . Ausschuss)


Drucksache 18/10218

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Kultur und Medien

(22 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Harald Petzold (Havelland), Sigrid Hupach,
Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Filmförderung – Impulse für mehr Innovati-
on statt Kommerz, für soziale und Genderge-
rechtigkeit und kulturelle Vielfalt

Drucksachen 18/8073, 18/10218

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Also können wir so verfahren .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als Erstes nicht
dem Kollegen Bernd Neumann das Wort, den ich aber
auf der Besuchertribüne herzlich begrüße, sondern dem
Kollegen Marco Wanderwitz für die CDU/CSU-Frakti-
on .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Marco Wanderwitz (CDU):
Rede ID: ID1819900100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Zunächst einmal möchte ich mich der Begrü-
ßung unseres ehemaligen Staatsministers für Kultur und
Medien und jetzigen Präsidenten der Filmförderungsan-
stalt – in dieser Rolle ist nämlich Bernd Neumann heute
hier bei uns – anschließen und ihn ebenfalls herzlich be-
grüßen, ebenso die anwesenden Vorstände der Filmför-
derungsanstalt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kinofilme erzählen
Geschichten, und diese Geschichten erzählen etwas über
unser Land, unsere Gesellschaft, über uns . Sie tragen
damit zur Identitätsbildung bei . Das ist heute so wichtig
wie eh und je . Filme werden auch im Ausland gesehen .
Dort formen sie das Bild von Deutschland in der Welt .
Sie sind damit so etwas wie Kulturbotschafter . Deshalb
ist es wichtig, dass wir gute Filme in und aus Deutsch-
land haben: spannende, glaubwürdige und professio-
nell erzählte Storys, die gut unterhalten, aber auch eine
Aussage haben . Produktionen auf der Höhe der Zeit zu
schaffen – das ist die Aufgabe der Filmschaffenden und
der Filmbranche, nicht die der Politik . Politiker liefern

höchstens – ab und an freiwillig, aber zumeist unfreiwil-
lig – den einen oder anderen filmreifen Stoff ab.

Die Bedeutung fiktionaler bewegter Bilder ist überall
in der Welt erkannt worden – für das Bild von Nationen
ebenso wie als Wirtschaftsfaktor, Bruttoinlandsprodukt-
treiber, Arbeitsplatzmaschine . Daher wird der Wettlauf
in Europa und der Welt insbesondere um die großen,
hochwertigen Produktionen immer enger . Der Deutsche
Filmförderfonds, DFFF, mit dem Deutschland 2007 das
wahrscheinlich innovativste Produktionsförderungsin-
strument der Welt geschaffen hatte, ist inzwischen viel-
fach kopiert und zum Teil auch finanziell überflügelt
worden . Es ist unsere Aufgabe und Verantwortung, für
die richtigen Rahmenbedingungen und für eine finanziel-
le Förderung zu sorgen, ohne die es bei den allermeisten
Kinofilmen oft einfach nicht geht. Um diese Rahmenbe-
dingungen zu schaffen, novellieren wir in gewissen Ab-
ständen turnusgemäß das Filmförderungsgesetz .

Das Filmförderungsgesetz, FFG, ist so etwas wie der
Kompass für die Filmförderungsanstalt als Eigenorgani-
sation der Filmbranche. Sie arbeitet mit den finanziellen
Eigenmitteln der Filmwirtschaft, nicht mit Steuergeld .
Sie ist der Ort für die Debatten der Akteure der Branche
und manchmal auch Mediatorin bei Streitfällen . Peter
Dinges und sein Team leisten in diesem Sinne seit vielen
Jahren vorzügliche Arbeit, für die ich mich im Namen
meiner Fraktion herzlich bedanken möchte .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Der vielfach geteilte Befund zum Zustand des deut-
schen Films lautet: Die kommerzielle Erfolgskurve weist
über die Jahre stetig nach oben, vor allem wenn Schwei-
ger, Schweighöfer oder ein populärer Kinder- oder Ko-
mödienfilmstoff an den Start gehen und so zum Zuschau-
ermillionär im Kino werden . Es entstehen zudem höchst
respektable filmkünstlerische Werke, die aber leider
meist nur einen kleinen Publikumsausschnitt treffen bzw .
von Haus aus nur auf diesen gezielt haben . Was fehlt, ist
die Mittelware, sind Filme, die mehrere Hunderttausend
Besucher anziehen, die nicht Besuchermillionär werden,
aber eben auch nicht nur einige Zehntausend Besucher
ansprechen .

Allgemeiner Konsens ist auch, dass wir insgesamt
zu viele Filme produzieren, die sich gegenseitig das
Publikum streitig machen und von denen viele letztlich
floppen, was wohl nicht zuletzt auch auf den einen oder
anderen Fehlanreiz im bestehenden System der Filmför-
derung zurückzuführen ist .

Gleichwohl ist die deutsche Filmförderung alles an-
dere als schlecht . Das brauchen wir uns – auch wenn
manche das versuchen – nicht einreden zu lassen . Dafür
spricht nicht zuletzt der stetig steigende Marktanteil . Was
wir brauchen, sind ein paar weniger, dafür aber mehr bes-
sere Filme. Wir brauchen zielgenauere, flexiblere Förder-
instrumente .

Hier liegt, glaube ich, die Stärke dieser Novelle . Sie
ist aus meiner Sicht an ziemlich vielen Stellen ziemlich
innovativ . Das ist nicht nur eine kleine Novelle . Die Pro-

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


duzenten erhalten Erleichterungen bei der Erbringung ih-
rer Eigenanteile . Wir verstärken die aus meiner Sicht sehr
wichtige Drehbuchförderung deutlich und sorgen durch
die Einführung der Förderung der Drehbuchfortentwick-
lung dafür, dass – so ist zumindest der Plan – nur die
guten Bücher weiter gefördert werden, diese dann aber
mit mehr Geld und Betreuung .

Wir betreiben mehr Spitzenförderung, indem wir die
Mindestfördersumme auf 200 000 Euro erhöhen . Das
heißt, dass weniger Filme Geld erhalten, die geförderten
Filme dann aber mehr Geld erhalten . Wir professionali-
sieren – auch das ist sehr wichtig – die Zusammenset-
zung der Förderkommission, um die Wahrscheinlichkeit
für zündende Auswahlentscheidungen zu erhöhen . Wir
haben neue Wege aufgezeigt, die Sperrfristen im Einzel-
fall weiter zu lockern . Dies tun wir gemeinsam mit und
im Interesse der Kinos; denn wir wollen neue Geschäfts-
modelle befördern, bei denen die Kinos beispielsweise
an der Video-on-Demand-Auswertung beteiligt sind .

Ferner wollen wir modellhaft an Dokumentarfilmen
neue Auswertungsformen erproben . Vielleicht schafft ein
gleichzeitiger Filmstart in Kino und Internet gegenseitige
Beflügelungseffekte, an die wir heute noch gar nicht den-
ken . Ich bin überzeugt, von einem Experimentierfeld für
den Umgang mit der Digitalisierung können die Kinos
und der deutsche Film insgesamt profitieren.

Last, but not least schaffen wir mit der Freischussre-
gelung den Zwang ab, Filme in die Kinos zu bringen,
die sich letztlich in einer Produktionsphase, die eher am
Ende liegt, doch als nicht kinotauglich erweisen .

Diese Ansätze stehen für uns als Unionsfraktion im
Mittelpunkt der Überlegungen, wie man den deutschen
Film voranbringen kann . Themen wie Austarierung der
Gremien im Detail, sozialverträgliche Beschäftigung
und dergleichen sind selbstverständlich auch wichtige
Fragen . Aber zentral für die Ausgestaltung der Filmför-
derung sind aus unserer Sicht: erstens Stabilität beim Ab-
gabeaufkommen der FFA – sie muss auch künftig 50 Mil-
lionen plus X in ihrem Etat haben –, zweitens Effizienz
und Zielgenauigkeit der Förderinstrumente und drittens
europarechtliche Kompatibilität . Wir mussten eine Reihe
von Anpassungen an die EU-Kinomitteilung vornehmen .

Von den weiteren Änderungen, die wir im parlamen-
tarischen Verfahren am sehr gelungenen Entwurf der
Staatsministerin vorgenommen haben, möchte ich drei
hervorheben:

Erstens . Wir kommen einem Wunsch der Verleiher
und einer Reihe von Kinobetreibern nach und ermögli-
chen eine sogenannte sendebezogene Berechnung der
Filmabgabe . Das ist Entbürokratisierung . Gleichzeitig
bleibt die Beteiligung an diesem Abrechnungsmodell
aber freiwillig . Kein Kino wird gezwungen, daran teil-
zunehmen .

Zweitens . Wir machen ernst mit der Gleichstellung im
Filmbereich . Das von unserer Staatsministerin ausgege-
bene Ziel, den Verwaltungsrat mittelfristig zu mindestens
30 Prozent mit Frauen zu besetzen, erreichen wir sofort,
und zwar durch eine Umstellung in § 6 Filmförderungs-
gesetz und letztlich auch durch die Selbstverpflichtung

des Deutschen Bundestages . Ich glaube, das ist ein rich-
tiger und wichtiger Weg .

Was hingegen mit uns nicht geht, das ist eine wie
auch immer ausgestaltete Frauenförderquote innerhalb
des Systems der FFA . Das wäre aus unserer Sicht mit
der Maxime einer Kulturförderung ausschließlich nach
inhaltlichen Gesichtspunkten und letztlich mit der Frei-
heit der Kunst nicht vereinbar . Frauen und Männer sitzen
in den Gremien und Jurys und sind dort gemeinsam in
der Verantwortung für Förderentscheidungen . Hier endet
aber dann aus unserer Sicht die Vorgabe, wie diese aus-
zusehen haben .

Parallel zu den Verhandlungen über das FFG haben
wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner und mit
Vertretern der Länder intensiv über das Thema Digita-
lisierung unseres Filmerbes verhandelt . Im FFG passen
wir nun den gesetzlichen Rahmen für den Erhalt und die
Zugänglichmachung des filmischen Erbes weiter an den
Stand der technischen Entwicklung an .

All diese Bemühungen stehen und fallen letztlich aber
immer mit dem Thema Geld . Die Filmwirtschaft und der
Bund stehen bereit, ihr Drittel zu den nötigen 10 Milli-
onen Euro im Jahr für zehn Jahre beizusteuern . Damit
könnte die Digitalisierung unseres Filmerbes sofort in
großem Stile aufwachsen . Es hakt aber leider immer noch
an einer Reihe von Ländern, die sich zu ihrem Anteil an
der Verantwortung noch nicht bekennen . Die Kulturho-
heit in unserem Land liegt aber aus gutem Grund vor
allen Dingen bei den Ländern . Ihr verdanken wir einen
Großteil unseres kulturellen Reichtums . Zum kulturellen
Erbe gehört eben das filmische Erbe; sicher nicht jede
Super-8-Aufnahme und jedes Werbefilmchen, aber das
Gros der Spiel-, Dokumentar- und Kinderfilme, die im
Kino gelaufen sind, darf ich jedenfalls zu unserem kul-
turellen Erbe zählen . Deswegen können und wollen wir
die Länder hier auch nicht aus ihrer Verantwortung ent-
lassen . Eine alleinige Übernahme der Kosten durch den
Bund oder durch die Filmförderungsanstalt und damit
durch die Kinowirtschaft ist ausgeschlossen . Das möchte
ich an dieser Stelle in aller Deutlichkeit festhalten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eigentlich hätten wir eine Veränderung im Verwal-
tungsrat der Filmförderungsanstalt vornehmen und die
AG Verleih neu in diesen aufnehmen müssen . Insbeson-
dere die in diesem Verband vertretenen Verleiher sind es,
die diejenigen deutschen Filme vorantreiben, von denen
wir uns noch mehr wünschen . Ich nenne stellvertretend
die Filme von Tom Tykwer . Die Größe des Verwaltungs-
rates und die Aufnahme- und Aufstockungswünsche vie-
ler weiterer Verbände haben es letztlich verhindert, dass
wir diesen Punkt in der vorliegenden Novelle angefasst
haben . Wir setzen uns aber mit Nachdruck dafür ein, dass
die AG Verleih in den Unterkommissionen angemessen
repräsentiert wird . Die nächste Novelle wird an dieser
Stelle dann grundsätzlich zu Veränderungen im Verwal-
tungsrat führen müssen .

Ich freue mich über den sehr konstruktiven Gesetzge-
bungsprozess . Insbesondere möchte ich meinem Bericht-
erstatterpendant bei den Sozialdemokraten Burkhard
Blienert herzlich für die kollegiale Zusammenarbeit dan-

Marco Wanderwitz






(A) (C)



(B) (D)


ken . Ich glaube, es ist uns gelungen, eine gute Novelle
zum Filmförderungsgesetz auf die Beine zu stellen . Auf
dass wir, so hoffe ich, auch 2017 auf ein gutes Kinojahr
blicken können, für die deutschen Kinos und für den
deutschen Film in den Kinos!

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819900200

Das Wort erhält nun der Kollege Harald Petzold für

die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819900300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf den
Besuchertribünen! Auch ich möchte mich der Begrüßung
von Herrn Neumann und den Vertretern der Filmförde-
rungsanstalt für meine Fraktion anschließen . Ich möchte
genauso herzlich aber auch die Vertreterinnen von Pro
Quote Regie ganz herzlich begrüßen, die ebenfalls auf
der Besuchertribüne Platz genommen haben .

Es ist nicht ganz so einfach, vor dem Hintergrund der
zahlreichen historischen Schwerpunktdaten, die durch
den Präsidenten heute früh schon angesprochen worden
sind, und der Tatsache, dass in der Öffentlichkeit derzeit
alle über die Ergebnisse der amerikanischen Präsiden-
tenwahl reden, zum Filmförderungsgesetz zu sprechen .
Aber das können wir trotzdem erhobenen Hauptes tun .

Auch wenn ich die Euphorie von Kollegen Wanderwitz
nicht ganz so teile, so bin ich doch der Auffassung: Das
Filmförderungsgesetz, das wir heute hier verabschieden
werden, ist ein besseres Gesetz als sein Vorgänger, und es
ist besser als der Entwurf, den die Kulturstaatsministerin
im Sommer dieses Jahres hier in den Bundestag einge-
bracht hat .

Ich denke, daran hat auch meine Fraktion Die Linke
einen wesentlichen Anteil . Mit unserem Antrag „Film-
förderung – Impulse für mehr Innovation statt Kommerz,
für soziale und Gendergerechtigkeit und kulturelle Viel-
falt“ haben wir vielen Filmschaffenden in diesem Land
eine Stimme gegeben . An ihren berechtigten Forderun-
gen an die künftige Filmförderung – mehr soziale Ge-
rechtigkeit, mehr Geschlechtergerechtigkeit und mehr
kulturelle Vielfalt – ist am Ende auch die Große Koalition
nicht vorbeigekommen . Das ist gut so, und deshalb wird
meine Fraktion den Gesetzentwurf heute nicht ablehnen .


(Beifall bei der LINKEN – Johannes Selle [CDU/CSU]: Das ist weniger als zustimmen!)


– Ja, das ist aber keine Gegenstimme, Herr Kollege . Das
sollten Sie mal würdigen .

Wir beschließen hier heute ein Gesetz, dessen Ziel es
ist, die Struktur der deutschen Filmwirtschaft zu sichern
und den deutschen Film als Wirtschafts- und Kulturgut
zu stärken, aber leider eben auch in dieser Reihenfolge .
Wir hätten uns hier mehr kulturelle Akzente gewünscht,

zum Beispiel ein viel stärkeres Bekenntnis zum Kulturort
Kino und eine stärkere Förderung originärer Stoffe in al-
len Filmsparten .

Worauf ich sehr stolz bin, ist, dass in dem Entwurf
des Filmförderungsgesetzes, das wir heute beschließen,
steht, dass die Filmförderungsanstalt, FFA, wenigstens
darauf hinwirken soll, dass für die Beschäftigten in der
Filmwirtschaft sozialverträgliche Bedingungen herge-
stellt werden . Das ist mehr als das Nichts dazu im ur-
sprünglichen Entwurf von Frau Staatsministerin Grütters .
Ich weiß, das ist hart erkämpft . Trotzdem bleiben wir bei
unserer Kritik: So, wie es im Gesetzentwurf enthalten ist,
wird das leider pure Symbolik, also ein zahnloser Tiger
bleiben .

Das gilt leider auch für den Vorschlag, den die Grünen
in ihrem Entschließungsantrag zur Selbstverpflichtung
unterbreiten . – Wir werden trotzdem eurem Entschlie-
ßungsantrag zustimmen, weil wir der Auffassung sind,
dass auch das mehr ist als das Nichts dazu vorher . Des-
wegen gibt es Zustimmung von uns .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für uns ist besonders wichtig, dass die Filmförde-
rungsanstalt durch aktives und konkretes Zutun daran
mitwirkt, die prekären und teilweise skandalösen Be-
schäftigungsverhältnisse und Beschäftigungsbedingun-
gen in der Branche zu überwinden . So ähnlich hat das
im Übrigen auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme
gefordert . Deswegen bleiben wir dabei: Mindestlohn und
bestehende Tarifverträge sind geltendes Recht,


(Beifall bei der LINKEN)


und wer öffentliche Fördergelder bekommt, steht in einer
besonderen Verpflichtung, sich an Recht und Gesetz zu
halten . Tut er dies nicht, muss sie oder er von der öffent-
lichen Förderung zumindest für eine gewisse Zeit ausge-
schlossen werden können .


(Beifall bei der LINKEN)


Deswegen bleiben wir dabei, dass die Antragstellerinnen
und Antragsteller gegenüber der Filmförderungsanstalt
offenlegen müssen, ob ein Tarifvertrag oder eine ver-
gleichbare Regelung besteht, und sie müssen gewährleis-
ten, dass diese eingehalten wird – nicht mehr und nicht
weniger . Dabei bleiben wir .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, wir beschließen hier heute
ein Gesetz, das sich nicht darauf beschränkt, die Film-
produktion zu fördern . Unterstützt werden alle Ent-
wicklungsstufen der Filmproduktion, vom Drehbuch bis
zur Fertigstellung des Films, sowie die anschließende
Auswertung im Kino und auf den folgenden Verwer-
tungsstufen . Neu ist dabei eine Spitzenförderung für die
Weiterentwicklung besonders vielversprechender Dreh-
bücher bis zur Drehreife . Dafür werden die Fördermittel
im Bereich Drehbuch erhöht . Wir sagen trotzdem: Eine
Filmförderung, die den Wert eines Films zuerst nach sei-
nem kommerziellen Erfolg an den Kinokassen bemisst,
ist auf dem falschen Weg . Sie beschneidet künstlerische
Vielfalt und Innovation und vereinheitlicht das filmische

Marco Wanderwitz






(A) (C)



(B) (D)


Produkt . Mit dem kulturellen Auftrag des Bundes hat das
nach unserer Meinung nichts zu tun .

Mit der Verabschiedung dieses Filmförderungsgeset-
zes wird es Aufgabe der Filmförderungsanstalt, zu si-
cherndes Filmarchivmaterial zugänglich zu machen . Das
ist ein klarer Fortschritt . Ich will aber darauf aufmerk-
sam machen, dass die Sicherung und die Bewahrung des
Film erbes auch die Möglichkeit beinhalten muss, von
analogem Material analoge Kopien herzustellen . Des-
wegen fordern wir, dass die Filmsicherung auf sichere
Füße gestellt und entsprechend finanziell untersetzt wird:
10 Millionen Euro pro Jahr plus Sicherung des Kopier-
werkes in Hoppegarten .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir beschließen schließlich heute – auch darauf bin
ich sehr stolz –, dass der Förderhilfehöchstsatz für die
medienpolitische Begleitung von Kinderfilmprogram-
men deutlich erhöht wird, von ursprünglich 2 000 Euro
auf 5 000 Euro . Das freut uns besonders; denn dies war
ein Vorschlag meiner Fraktion und vieler engagierter Fil-
memacherinnen und Filmemacher .

Alles in allem: Dieses Gesetz ist – ich sagte es be-
reits – besser als sein Vorgänger und besser als das, was
eingebracht worden ist . Insofern von uns zumindest Ent-
haltung .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819900400

Der Kollege Blienert erhält nun das Wort für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Burkhard Blienert (SPD):
Rede ID: ID1819900500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Filmbegeisterte und die, die es noch
werden wollen, auf der Tribüne! Eine Nachricht hat uns
kürzlich alle aufhorchen lassen: Der US-amerikanische
Mobilfunkkonzern AT&T will das Time-Warner-Studio
kaufen . Damit will man selbstproduzierte Inhalte ex-
klusiv für mobile Endgeräte anbieten . Der Deal ist noch
nicht sicher, aber diese Meldung wirft ein Schlaglicht auf
die zukünftige Entwicklung insgesamt .

Solche Entwicklungen haben natürlich auch darauf
Auswirkungen, wie bei uns Filme entstehen, was für
Filme gemacht werden, wie sie verwertet und wie sie
konsumiert werden . Die internationalen Marktverände-
rungen beschreiben somit Koordinaten, in denen sich
letztendlich auch das Filmförderungsgesetz bewähren
muss . Sie markieren enorme Herausforderungen für den
deutschen und europäischen Kinofilm, und sie markieren
Herausforderungen für den Ort, an dem diese Filme zu-
allererst ihr Publikum finden sollen, nämlich das Kino.

Für mich ergeben sich daraus zwei zentrale Aufgaben:
Zum einen geht es darum, auch unter diesen Rahmen-

bedingungen Vielfalt und Qualität des Filmschaffens zu
ermöglichen und weiterzuentwickeln . Zum anderen geht
es darum, dem kulturellen Begegnungsort Kino eine Zu-
kunft zu geben und damit unsere einzigartige Kinoland-
schaft weiterhin zu pflegen.


(Beifall bei der SPD)


Das waren für mich zugleich die Maßgaben für alle
Beratungen über den Gesetzentwurf . Das Ergebnis ins-
gesamt stimmt mich zufrieden . Schon der erste Entwurf
war zu begrüßen . Der Ausschuss hat als Ergebnis seiner
Anhörung weitere Änderungen beschlossen, die die gan-
ze Sache rund machen . Im Vorfeld hatten wir übrigens ei-
nige neue Ansätze gründlich unter die Lupe genommen,
aber am Ende aus guten Gründen wieder verworfen . Das
gilt etwa für den Erlöskorridor und für Experimente bei
den Sperrfristen . Darauf komme ich später noch im De-
tail zurück .

Es freut mich besonders, dass der Beschluss im Aus-
schuss ohne Gegenstimme erfolgte . Ich möchte daher die
konstruktiven Beratungen mit den Oppositionsfraktio-
nen ausdrücklich anerkennen . An dieser Stelle danke ich
Marco Wanderwitz und den Kollegen von der Union für
die guten und intensiven Beratungen und ganz herzlich
auch dem Filmreferat der BKM und der Filmförderungs-
anstalt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der überarbeitete Entwurf gibt wirklich allen Anlass
zur Hoffnung, dass die Finanzierung der FFA in den
nächsten Jahren auf sicheren Beinen steht und dass die
Effektivität der Förderung deutlich verbessert werden
kann . Zudem gibt es gute Regelungen bei der Gleich-
stellung . Ich gehe davon aus, dass die Parität in den
Fördergremien für einen deutlich steigenden Anteil der
Filme von Regisseurinnen und Produzentinnen sorgen
wird . Vielleicht ist es schon ein gutes Zeichen, dass die
FFA-Vergabekommission in der letzten Sitzung die För-
derung von zwölf Kinoprojekten beschlossen hat, von
denen die Hälfte unter weiblicher Regie entsteht . Wir
werden genau beobachten, wie sich der Frauenanteil
bei den Kinofilmprojekten entwickelt. Sollte es hier wi-
der Erwarten keine nachhaltigen Verbesserungen geben,
werden wir uns noch einmal mit der Zielvorgabe bei der
Förderung beschäftigen müssen .

Das neue Gesetz wird mit seiner konsequenten Qua-
litätsorientierung einen wichtigen Beitrag dazu leisten,
dass die Flut der Filmstarts eingedämmt werden kann .
Allein im ersten Halbjahr gingen 127 deutsche Filme an
den Start . Dies war gegenüber dem Vorjahr erneut eine
Steigerung, diesmal um elf Filme . Der Fokus auf Qualität
wird mit der verbesserten Drehbuchförderung dafür sor-
gen, dass weniger mittelmäßige Filme ins Kino kommen .
Mittelmäßig sind sie meist aufgrund halbgarer Dreh-
bücher . Deshalb wird es mehr Filme aus dem mittleren
Segment geben, also Filme mit einem Budget zwischen
4 und 6 Millionen Euro . Das sind genau die Filme, an
denen es in unseren Kinos derzeit mangelt .

Mit ausgereiften Drehbüchern, höheren Fördersum-
men und besonderen Anforderungen an die Expertise der

Harald Petzold (Havelland)







(A) (C)



(B) (D)


Fördergremien wollen wir das ändern . Der Qualitätsbe-
griff im neuen FFG ist an eine wirtschaftlich erfolgreiche
Verwertung gebunden . Damit erfährt das FFG eine Pro-
filschärfung, das seinem Charakter eines Wirtschaftsför-
derungsgesetzes entspricht, zugleich aber dem Kulturgut
gerecht wird .

An dieser Stelle muss man auf die kulturelle Filmför-
derung durch die BKM zurückkommen . Ich kann es nur
begrüßen, dass bereits im nächsten Haushalt eine Aufsto-
ckung um 15 Millionen Euro vorgesehen ist . Das muss
natürlich auf eine dauerhafte Grundlage gestellt werden .
So gibt es auch Möglichkeiten für innovative, mutige,
sperrige, künstlerisch ambitionierte Projekte, die sonst
nicht gefördert werden könnten . Dann hätten wir bald ein
Problem . Denn ohne diese Mittel ist eine Stärkung der
kulturellen Ausrichtung der Förderung nicht mehr zu ma-
chen . Ich würde mir daher wünschen, dass auch die För-
derung durch die BKM ihr Profil schärft. In Abgrenzung
zum FFG und vom FFG sollte es hier um Projekte gehen,
die gerade nicht unter dem Verwertungsaspekt entstehen .
Bei der BKM sollte der Akzent eindeutig auf der För-
derung künstlerisch herausragender und anspruchsvoller
Filme liegen . Dies sollte auch in den neuen BKM-För-
derrichtlinien, die wir in der nächsten Zeit erwarten, be-
rücksichtigt werden .

Darüber hinaus: Wir müssen natürlich auch unsere
Standortförderung überdenken . Dass es mit dem DFFF
nicht weitergehen kann wie bisher, hat sich mittlerweile
herumgesprochen . Der Glanz des ehemaligen Vorzeige-
modells aus Deutschland ist mittlerweile leider verblasst .
Der DFFF kann seinen Zweck nicht mehr erfüllen .
Grund sind eindeutig die attraktiveren Anreizsysteme in
Frankreich, Italien, Großbritannien, Kanada, Ungarn und
vielen, vielen anderen Ländern . Leider machen interna-
tionale Großproduktionen inzwischen einen Bogen um
Deutschland. Alarmierend finde ich auch, dass deutsche
Produktionen Deutschland verlassen, weil sie woanders
bessere Förder- und Produktionsbedingungen vorfinden.


(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Warum ändern wir das nicht?)


Wenn wir den Filmstandort Deutschland erhalten
wollen, müssen wir hier deutlich nachlegen . Ich möch-
te daran erinnern, dass ein attraktiver Standort nicht nur
ein Innovationstreiber für Zukunftstechnologien wie
Animation und Spezialeffekte ist, sondern auch viele
neue, zum Teil hochspezialisierte Arbeitsplätze bringt .
Alle Studien belegen, dass es sich bei dieser Förde-
rung nicht um Subventionen handelt, sondern geradezu
um ein Geschäftsmodell für den Finanzminister mit er-
heblichen Steuerrückflüssen. Ich würde mir daher eine
Standortförderung mit verschiedenen sich ergänzenden
Instrumenten wünschen – ich würde mir auch wünschen,
dass wir eine Debatte darüber führen –: erstens mit An-
reizmodellen für internationale Großproduktionen, auch
unter Prüfung von Steueranreizen, die den Filmstandort
Deutschland im internationalen Wettbewerb stärken und
sichern, zweitens mit der Förderung der deutschen Pro-
duktionswirtschaft und drittens mit einer technologisch
orientierten Förderung, wie sie bereits seit zwei Jahren
durch den German Motion Picture Fund des Wirtschafts-
ministers Sigmar Gabriel erfolgt .

Wieder zurück zum FFG: Ganz besonders freut mich,
dass mein Appell aus der ersten Lesung gehört wurde
und wir uns auf eine wichtige Nachbesserung am Re-
gierungsentwurf verständigen konnten . Der Gesetzgeber
bekennt sich nun zu seiner Verantwortung, dass es bei der
Produktion der öffentlich geförderten Projekte fair und
sozialverträglich zugehen muss .


(Beifall bei der SPD)


Dazu haben wir den gesetzlichen Aufgabenkatalog der
Filmförderungsanstalt erweitert . Künftig muss die FFA
darauf hinwirken, dass in der Filmwirtschaft eingesetztes
Personal zu sozialverträglichen Bedingungen beschäftigt
wird . Bei den Bewilligungsvoraussetzungen haben wir
zusätzlich konkretisiert, wie diese Aufgabe umzusetzen
ist . Über Förderanträge wird künftig nur dann entschie-
den, wenn der Hersteller angibt, ob eine Tarifbindung
gilt . Ist dies nicht der Fall, muss er erklären, ob die Ein-
haltung sozialer Standards auf anderem Wege vereinbart
wurde . Diese Angaben werden im Förderbericht der FFA
veröffentlicht . So schaffen wir endlich Transparenz da-
hin gehend, wie viele nicht tarifgebundene Produktionen
wir im Moment leider noch öffentlich fördern . Auch das
werden wir genau beobachten . Sollte der Anteil über die
Jahre zu hoch sein, müssen wir als Gesetzgeber gege-
benenfalls wiederum nachsteuern . Es ist schließlich das
erklärte Ziel der Bundesregierung, die Tarifbindung von
Unternehmen auszubauen . Das gilt natürlich auch für die
Filmwirtschaft .


(Beifall bei der SPD)


Hier bringt die FFG-Novelle einen weiteren Fort-
schritt . Sie ist damit ein wichtiger Beitrag zur Verbes-
serung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der
Filmschaffenden . Auch die Urheber unter den Filmschaf-
fenden können sich freuen . Schon im Regierungsent-
wurf wurde festgeschrieben, dass die Erlösbeteiligungen
gemäß dem Urhebervertragsrecht bei der Tilgung der
Förderdarlehen vorrangig zu bedienen sind . Seit dem
1 . November dieses Jahres gibt es für freie Film- und
Fernsehschaffende bei der Alterssicherung aus der Pen-
sionskasse übrigens wieder mehr Sicherheit . Auch dafür
hat sich die SPD-Bundestagsfraktion eingesetzt, und
auch das ist ein guter Baustein der Sicherung .

Die Verabschiedung der FFG-Novelle markiert einen
guten Tag für die Filmschaffenden und einen guten Tag
für die Kinos; denn weder bei den regelmäßigen noch
bei den ordentlich verkürzten Sperrfristen wird es Frist-
verkürzungen geben . Damit ebnen wir gerade denjenigen
Filmtheatern den Weg in die Zukunft, die als Teil unserer
Kinolandschaft zur Vielfalt des Filmangebotes beitragen .
Diese Häuser sind auf das Kinofenster angewiesen, also
auf die Möglichkeit, Filme über viele Wochen hinweg
auswerten zu können, wie im Moment Toni Erdmann, der
seit 15 Wochen läuft und noch immer erfolgreich ist und
nach wie vor Tausende ins Kino zieht .

Kinos sind immer auch öffentliche kulturelle Treff-
punkte mit einer wichtigen sozialen Funktion – sowohl
in der Großstadt als auch in der Fläche . Gerade in den
kleineren Städten sind die Kinos oftmals das einzige
kulturelle Angebot und damit unverzichtbar . Mit der Di-
gitalisierungsförderung ist es uns gelungen, diese Viel-

Burkhard Blienert






(A) (C)



(B) (D)


falt unserer Kinolandschaft zu erhalten . Das sollten wir
durch Sperrfristverkürzungen nicht leichtfertig aufs Spiel
setzen .

Dennoch verkennen wir nicht, dass der Druck auf das
Kinofenster durch neue internetbasierte Geschäftsmo-
delle und veränderte Sehgewohnheiten größer wird, und
wir sehen auch, dass sich das Kino keinen Gefallen da-
mit tut, wenn es diese Entwicklung ignoriert . Vor diesem
Hintergrund haben wir erwogen, ob man im Rahmen des
FFG ein Experimentierfeld bei den Sperrfristen eröffnen
sollte, und zwar mit dem Ziel, auf diesem Weg die Kino-
zuschauer stärker an sich zu binden und neue Kinogän-
ger – gerade auch jüngere – zu gewinnen . Aufgrund der
absehbaren Nachteile und Risiken eines solchen Experi-
ments, die wir uns angeschaut haben, haben wir am Ende
aber Abstand davon genommen .

Dennoch bleibt festzuhalten: Das neue FFG geht be-
hutsame Schritte – nicht zur generellen Verkürzung, aber
doch zu einer weiteren Flexibilisierung der Sperrfristen .
Ich glaube, das ist ein richtiger und vernünftiger Weg .

Ausnahmen sind weiterhin möglich, aber nur, wenn
zum Beispiel der Kinovertreter im FFA-Präsidium diesen
auch zustimmt . Damit stellen wir sicher, dass nichts über
die Kinos hinweg geschieht .

Ich wünsche mir, dass die Kinos die Chancen erken-
nen, die die neuen Möglichkeiten mit sich bringen, und
ich möchte ausdrücklich an die Kinoverbände appellie-
ren, dass sie diesen neuen Wegen zur Anwendung ver-
helfen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Novelle bringt
nicht den großen Paradigmenwechsel, den sich manch
einer in der Branche vielleicht erhofft hat, aber sie nimmt
Weichenstellungen vor, die die Filmförderung nachhaltig
zum Besseren verändern werden .

Damit hat sich natürlich auch der Antrag der Fraktion
der Linken erübrigt . Das war wahrscheinlich auch nicht
anders erwartet worden . Wir sind aber auf viele Punkte
eingegangen und haben sie umgesetzt . Ich denke, das ist
ein deutliches Zeichen dafür, dass wir hier gemeinsam
für die Kinos und für den deutschen Film die Grundlagen
für die nächsten Jahre geschaffen haben .

Dieses Jahr ist trotz niedrigerer Besucherzahlen nach
dem Rekordjahr 2015 ein erfolgreiches Jahr . Ich erinnere
an den furiosen Auftritt von Toni Erdmann in Cannes . Er
ist jetzt in der Kategorie „Bester fremdsprachiger Film“
für den Oscar nominiert . Daneben haben wir weitere
Studenten-Oscars gewonnen . Erst vor wenigen Wochen
wurden drei junge deutsche Filmemacher ausgezeichnet .

Das FFG ist ein guter Beitrag für die Zukunft und für
einen qualitativ guten und erfolgreichen – auch wirt-
schaftlich erfolgreichen – deutschen Kinofilm.

Für die deutsche Filmwirtschaft kann ich nur sagen:
Wir sind auf einem guten Wege und werden weiter daran
arbeiten, dass wir zukunftssicher und optimistisch nach
vorne blicken können .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819900600


Tabea Rößner von der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen ist die nächste Rednerin .


Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819900700


Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Frau Staatsministerin Grütters, mit großen Ver-
sprechungen sind Sie die Novelle des Filmförderungsge-
setzes angegangen . Sie sprachen von „Mut zum Experi-
ment“ und davon, „mehr neue, gute Ideen zu fördern“ .
Das, was heute verabschiedet werden soll, wäre als Dreh-
buch aber nur bedingt förderfähig . Es ist zu vorhersehbar
und unoriginell . Ihr Entwurf ist ungefähr so visionär wie
eine Til-Schweiger-RomCom und so mutig wie Katzen-
videos auf YouTube .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben die Auseinandersetzung mit den Verwertern
gescheut, Sie lassen die Kreativen weiter im Stich, und
Sie haben es versäumt, was mich bei Ihnen wirklich per-
sönlich enttäuscht, tatsächlich für mehr Geschlechterge-
rechtigkeit beim Film zu sorgen . Wir brauchen aber mehr
Vielfalt, damit das deutsche Kino auch international wie-
der mehr Beachtung erfährt . Doch das wird durch das
FFG eher verhindert .

Schauen wir uns einmal die Lage des deutschen Films
an . Eine Regisseurin wie Maren Ade wird zu Recht –
Herr Blienert hat sie auch erwähnt – hoch gelobt und als
Beweis dafür herumgereicht, dass das deutsche Kino in-
novativ ist . Aber viele bedeutende Filmschaffende sind
nicht dank, sondern trotz der Filmförderung erfolgreich .
Es gibt unzählige Hürden, und viele herausragende Filme
sind einfach hoffnungslos unterfinanziert. Ein paar Bei-
spiele: Der Film Der Nachtmahr von 2015 hatte keine
Förderung und nur ein ganz kleines Budget . Aber weil
dieser Film das sinnliche Kino praktisch neu erfunden
hat, war er auf zahlreichen internationalen Festivals er-
folgreich .

Selbst renommierten Filmschaffenden fällt es oft ex-
trem schwer, die Finanzierung neuer Projekte zu stem-
men . Der Film Schlafkrankheit von Ulrich Köhler wurde
2011 auf der Berlinale mit dem Silbernen Bären ausge-
zeichnet . Das Geld für sein neues Projekt hat er nur mit
sehr vielen Mühen zusammengekratzt . Andere erfolg-
reiche Filme wie Im Schatten oder Vor der Morgenrö-
te mussten mit einem winzig kleinen Budget umgesetzt
werden, oft war es sogar noch kleiner als ursprünglich
geplant .

Budgeteinschränkungen führen aber zu Kompromis-
sen . Diese Filme, obwohl sie im Kino erfolgreich sind,
können ihr künstlerisches und ihr wirtschaftliches Po-
tenzial überhaupt nicht ausschöpfen . Damit Kreative

Burkhard Blienert






(A) (C)



(B) (D)


herausragende Filme machen können, benötigen sie vor
allem eines: Freiräume .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Stattdessen ersticken sie in Bürokratie . Zudem sind sie
in den Fördergremien unterrepräsentiert . Die Verwerter
haben hier nach wie vor die Übermacht . Sie entscheiden
vor allem nach wirtschaftlichen Aspekten, welches Film-
projekt gefördert wird – logisch, denn schließlich wollen
sie damit ja auch Gewinne machen . Wenn ein Haufen
Menschen mit unterschiedlichen Interessen bei einem
Filmprojekt mitredet, dann bleibt vom Neuen und Inno-
vativen nicht mehr viel übrig .


(Johannes Selle [CDU/CSU]: Das ist nicht logisch!)


Nichts gegen gut gemachte Blockbuster, aber mutige
Filmprojekte bleiben in diesem System zu oft auf der
Strecke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das führt zu Monokultur statt zu Vielfalt, und wir be-
kommen nur selten Filme wie Victoria von Sebastian
Schipper zu sehen, der eine Geschichte in einer einzigen
Filmeinstellung erzählt . Dabei sollte doch gerade Mut
prämiert und Unbequemes gefördert werden .

Schauen Sie sich doch einmal die Welt an . Nach dem
gestrigen Tag habe ich den Eindruck, dass wir unbeque-
me Kreative mehr denn je brauchen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Regisseurinnen und Drehbuchautoren können oft besser
entscheiden, ob ein Film künstlerisch wertvoll ist, und
darum muss die Anzahl von Kreativen in den Förder-
kommissionen unbedingt erhöht werden . Die Koalition
hat aber die Verwerter bei ihrer Besitzstandswahrung un-
terstützt, und das ist für die Kreativen, so glaube ich, eine
ziemlich klare Botschaft: Von Union und SPD haben sie
leider nicht viel zu erwarten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE] – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist völliger Blödsinn!)


Es gibt noch eine weitere vernachlässigte Interessen-
gruppe: die Produzentinnen und Produzenten . Wer einen
Film produzieren will, muss erhebliche finanzielle Mittel
als Eigenmittel einbringen . Aber selbst wenn ein Film
wie Toni Erdmann dann an der Kinokasse erfolgreich ist,
bekommen die Gewinne vor allem die Verwerter, sodass
am Ende den Produzenten kaum etwas übrig bleibt .

Dieses Problem hätte man mit einem Erlöskorridor lö-
sen können . Produzenten würden dann einen festgelegten
Anteil von den Nettoverleiherlösen erhalten . Gleichzei-
tig würde die Chance auf Rückzahlung der geförderten
Mittel an die FFA steigen . Wieso Sie das nicht ins Gesetz

aufgenommen haben, verstehe ich nicht . Da hat Ihnen
wohl wieder der Mut gefehlt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn wir mehr gute Filme von Frauen sehen wol-
len, Filme wie Toni Erdmann, wie Wild von Nicolette
Krebitz, müssen wir diese auch gezielt fördern . Meine
Anfragen bei der Bundesregierung haben ergeben, dass
die Frauenbeteiligung bei geförderten Projekten erschre-
ckend gering ist . Gerade einmal 18 Prozent der in den
Jahren 2004 bis 2013 – immerhin über zehn Jahre – von
der FFA geförderten Filme stammen von Regisseurinnen .
Noch schlimmer ist es bei der Produktion . Im vergan-
genen Jahr sind nur 16 Prozent der Filme unter Beteili-
gung von Frauen entstanden . Dabei machen fast genauso
viele Frauen wie Männer ihren Abschluss an den Film-
hochschulen . Es reicht eben nicht aus, lieber Kollege
Wanderwitz und lieber Kollege Blienert, nur die Förder-
gremien paritätisch zu besetzen . Das kennen wir auch aus
anderen Bereichen . Deshalb fordern wir klare Zielvorga-
ben zur Förderung von filmschaffenden Frauen. Aber das
war mit Ihnen leider nicht zu machen . Wirklich schade!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es gibt noch sehr viel mehr, was in der Referenzförde-
rung schiefläuft. Getreu dem Motto „Wer hat, dem wird
gegeben“ kommen eher die teuren und großen Produkti-
onen in den Genuss automatisierter Filmförderung . Wir
machen daher in unserem Entschließungsantrag eine
Reihe von Vorschlägen, wie eben auch kleinere Produk-
tionen besser gefördert werden können, was dann wieder
für mehr Vielfalt sorgen wird .

Auch in weiteren Punkten haben Sie mit Ihrem Ge-
setzentwurf statt vielversprechendem Heldenepos eher
einen Kassenflop produziert, zum Beispiel bei der öko-
logischen Filmproduktion . Zwar ist es in Zukunft auch
Aufgabe der FFA, die deutsche Filmwirtschaft in „ökolo-
gischen Belangen zu unterstützen“ . Aber was heißt denn
das genau? So ein kleiner Nebensatz ohne konkreten
Handlungsplan wird nicht ausreichen . Warum wird die
Expertise zum Thema „grünes Kino“, die es in Deutsch-
land inzwischen gibt, nicht genutzt? So ein Halbsatz ist
enttäuschend .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch die Vorgaben für die Barrierefreiheit sind nicht
der große Wurf, eher ein Würfchen . Es genügt nicht, nur
die Herstellung von barrierefreien Filmfassungen zu för-
dern . Sie müssen in den Kinos eben auch gezeigt wer-
den . Wir brauchen Qualitätsstandards und deren Durch-
setzung . Solange dies nicht geschieht, ist Barrierefreiheit
nur ein Feigenblatt .

Noch ein Gedanke zu meinem Lieblingsthema, dem
Filmerbe . Die Italiener haben vergangene Woche ein
neues Gesetz zur Filmförderung verabschiedet . Zukünf-
tig soll ein größerer Teil ihrer Filmabgabe für die Digi-
talisierung alter Filme verwendet werden . Während in
Rom gehandelt wird, warten wir hier in Berlin auf eine
Digitalisierungsstrategie, die uns schon seit Ewigkei-

Tabea Rößner






(A) (C)



(B) (D)


ten versprochen wurde . Dass die Rettung des Filmerbes
deutlich mehr Geld braucht, ist allen bekannt . Aber Wis-
sen ist nicht Handeln, und am Handeln fehlt es .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ein Satz noch zur Transparenz . Wir brauchen dringend
ein umfangreiches, öffentlich einsehbares Filmregister .
Wer die Antworten auf meine Anfragen zum Film kennt,
der weiß, wovon ich spreche . Nur mit einem Filmregister
kann die Förderung richtig evaluiert werden, zum Bei-
spiel zur Beteiligung von Frauen oder auch zu sozialen
Standards .

Der berühmte Filmkritiker Gene Siskel sagte einmal:

A film that aims low should not be praised for hit-
ting that target .

Das Gleiche gilt für diesen Gesetzentwurf . Wer keine
hohen Ziele verfolgt, der bekommt auch kein Lob und
leider auch nicht unsere Zustimmung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819900800

Astrid Freudenstein erhält nun das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Astrid Freudenstein (CSU):
Rede ID: ID1819900900

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Verehrte Kolle-

gen! Meine Damen! Meine Herren! Im kommenden Jahr
wird das Filmförderungsgesetz 50 Jahre und die Film-
förderung in Deutschland 100 Jahre . Selbstkritisch muss
man, wenn man sich diese 100 Jahre ansieht, feststellen:
Das waren nicht immer nur ruhmreiche Jahre .

Begonnen hat es während des Ersten Weltkrieges . Der
deutsche General und Hindenburg-Stellvertreter Erich
Ludendorff schrieb damals einen Brief an das Kriegsmi-
nisterium mit der Forderung, eine Vereinheitlichung der
deutschen Filmindustrie herbeizuführen, um eine plan-
mäßige und nachdrückliche Beeinflussung der großen
Massen im staatlichen Interesse zu erzielen .

Ende 1917 wurde dann die Universum-Film AG, die
UFA, gegründet, ausdrücklich auch mit dem Ziel der au-
ßen- und innenpolitischen Propaganda . Filmförderung
unter ideologischen Gesichtspunkten prägte die ersten
Jahrzehnte der Filmförderung und spielte eine wesentli-
che Rolle in den beiden Weltkriegen . Das wird uns heute
mit Sicherheit nicht mehr passieren . Filmförderung heute
bedeutet, dem kreativen Potenzial der Filmschaffenden
Raum zu geben


(Johannes Selle [CDU/CSU]: Genau!)


und die Freiheit der Kunst hochzuhalten . Das verträgt
sich nicht mit den Quotenfantasien der Opposition, mei-
ne Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


In den 60er-Jahren, als das erste Filmförderungsge-
setz in Deutschland verabschiedet wurde, wollte man den
Film vor allem gegenüber dem aufstrebenden Fernsehen
schützen . Der Film – das wissen wir heute – hat sich ne-
ben dem Fernsehen behaupten können, weil der Film auf
die Wucht von Ton und Bild, das spannende Erleben in
der Gemeinschaft, die guten Schauspieler und die aufre-
genden Ideen setzt .

Kino – das wissen wir aber auch – ist heute neben dem
Fernsehen nur noch dann interessant, wenn es wirklich
großes Kino ist . Andernfalls kann man sich auch daheim
eine DVD anschauen oder einen Film streamen . Das hat
zwar eine eigene Qualität, aber wir brauchen auch den
großen und schönen deutschen Film . Genau das muss
Filmförderung heute vorantreiben . Ich meine, wir sind
dabei auf einem guten Weg . Mit einem Marktanteil von
gut 27 Prozent hat der deutsche Film im vergangenen
Jahr einen neuen Rekord aufgestellt . 37 Millionen Besu-
cher in deutschen Filmen: Auch das ist ein Spitzenwert .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist nicht nur auf die Förderung durch die Filmför-
derungsanstalt zurückzuführen, sondern auch auf die Ge-
samtheit der Filmförderung in Deutschland, im Übrigen
auch auf die regionale Filmförderung . Die Kulturhoheit
der Länder wurde bereits angesprochen . Die Filmförde-
rung ist nicht überall gleich ausgeprägt . Sie werden ver-
stehen, dass ich an dieser Stelle Bayern als gutes Beispiel
anführe . Es gibt den FilmFernsehFonds Bayern, der auch
in diesem Jahr wieder mehr Geld aus dem bayerischen
Staatshaushalt erhält . Bayern ist das Bundesland mit den
meisten Kinos und Spielstätten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bei uns muss man, wenn man noch nicht 18 ist, das
nächste Kino mit dem Mofa erreichen können . Das ist
wahre Filmförderung .


(Johannes Selle [CDU/CSU]: Kriegen die ein Mofa?)


Bayern hat eine bedeutende Filmindustrie und ein
Filmfest . Im Süden hat der Film einen guten Boden . Al-
lein im vergangenen Jahr wurden in Bayern 45 Kinofil-
me produziert . So manches andere Bundesland könnte
sich bei der Förderung des Films an Bayern ein Beispiel
nehmen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ganz so schlecht kann unsere Filmförderlandschaft
also nicht sein . Gleichwohl ist es wichtig, dass es Förder-
modelle gibt, über die wir in den nächsten Jahren disku-
tieren können . Immer noch ist Luft nach oben .

Aber wir verharren nicht auf dem Status quo . Die No-
velle des Filmförderungsgesetzes bringt spürbare Verbes-
serungen. Wir wollen die Förderung der FFA effizienter
machen . Wir wollen die Drehbuchförderung ausbau-
en, und wir wollen das Abgabeaufkommen hochhalten .
Deshalb wird es künftig mehr Fördermittel für weniger
Projekte geben . Wir wollen mehr Klasse als Masse und
mehr Qualität als Quantität . Das ist ein guter und richti-
ger Schritt .

Tabea Rößner






(A) (C)



(B) (D)


Es gibt mehr Geld für die Drehbuchfortentwicklung,
damit wirklich gute Drehbücher auch verfilmt werden.
Das Abgabesystem wird an die wirtschaftlichen Ent-
wicklungen angepasst . So werden auch die Anbieter
werbefinanzierter Videoabrufdienste abgabepflichtig.
Auch bei der Flexibilisierung der Sperrfristen haben wir
die Interessen ausbalanciert .

Das Gesetz erfüllt damit noch mehr als bisher seinen
Zweck, den Film als Kultur- und Wirtschaftsgut zu för-
dern . Es ist kein Widerspruch, dass ein wirtschaftlich er-
folgreicher Film auch kulturell anspruchsvoll sein kann .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe nicht gesagt, dass es sich widerspricht! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Da müssen Sie schon zuhören!)


Gerade die deutsche Filmbranche liefert dafür viele, vie-
le gute Beispiele .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir reagieren mit der FFG-Novelle auch auf ein ver-
ändertes Publikum . Das freut mich als Sozialpolitikerin,
die ich auch bin, ganz besonders. Ich finde nämlich, dass
die Anforderungen an die Barrierefreiheit von Filmen
ein großer Schritt sind . Das war schon eine Forderung
meines Kollegen Hubert Hüppe aus seiner Zeit als Be-
hindertenbeauftragter der Bundesregierung, die wir jetzt
umsetzen . Künftig müssen geförderte Filme auch für
Seh- und Hörbehinderte in einer kinogeeigneten Qualität
zugänglich gemacht werden . Das ist ein Schritt, der mich
ganz besonders freut . So meine ich, dass wir mit dem
neuen Filmförderungsgesetz in ein gutes 50 . Lebensjahr
gehen können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819901000

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin

Hupach das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Sigrid Hupach (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819901100

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lie-

be Kolleginnen und Kollegen! Beim Film und Fernse-
hen sieht es mit der Geschlechtergerechtigkeit zwischen
Frauen und Männern im Jahr 2016 genauso schlecht und
defizitär aus wie in anderen Bereichen. Dank der Initia-
tive einzelner Regisseurinnen führte der Bundesverband
Regie nun zum dritten Mal ein Gendermonitoring durch .
Erst vor ein paar Tagen erschien der dritte Diversitäts-
bericht .

Auch diese aktuellen Zahlen sind mehr als ernüch-
ternd: Nur jeder sechste Film im Abendprogramm der
ARD wurde von Frauen inszeniert . Beim ZDF ist es so-
gar nur jeder achte Film, obwohl die Absolventen von

Filmhochschulen zu fast 50 Prozent weiblich sind . Das
muss sich dringend ändern .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dank des Engagements der Initiatorinnen von Pro Quote
Regie gelangte das Thema der eklatanten Ungerechtig-
keit in den letzten drei Jahren immer wieder an die Öf-
fentlichkeit . – Ich begrüße ebenfalls die Vertreterinnen
oben auf der Besuchertribüne .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Heute ist der Zeitpunkt so günstig wie nie, mit der
Filmförderungsgesetzesnovelle die Weichen endlich so
zu stellen, dass man der systemisch bedingten Unge-
rechtigkeit zwischen den Geschlechtern entgegenwir-
ken kann . Wir haben in unserem Antrag dazu detaillier-
te Vorschläge gemacht: eine paritätische Besetzung der
Gremien, eine klare Quote bei der Fördermittelvergabe,
weiterhin gesonderte Einreichtermine, Mentoringpro-
gramme oder Referenzmittel für Filme, bei denen Frauen
Schlüsselpositionen in den Bereichen Regie, Drehbuch
oder Produktion verantworten .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aber was machen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
der Koalition? Sie beschränken sich auf eine paritätische
Besetzung der Gremien .


(Zuruf von der SPD: Nur im ersten Schritt!)


Das ist zwar ein wichtiges Signal – dafür haben auch vie-
le Filmemacherinnen hart gekämpft –, aber allein reicht
das nicht aus .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Viele Filmprojekte von Frauen scheitern schon, bevor
sie die Jurys überhaupt zu Gesicht bekommen . Die Film-
förderung ist ein in sich kreisendes System . Damit es aus
den eingefahrenen Bahnen herauskommt, braucht es eine
Störung, einen exogenen Schock . Die Quote wäre ein
solcher notwendiger Impuls . Sie aber machen genau das
nicht . Vor kurzem hat das Weltwirtschaftsforum seinen
diesjährigen Global Gender Gap Report veröffentlicht,
welcher den Stand der Gleichstellung weltweit bewer-
tet . Zwei Zahlen darin sind besonders bezeichnend und
erschreckend . Wenn alles so bleibt, wie es ist – Stand
heute –, wird es noch 170 Jahre dauern, bis Frauen und
Männer die gleichen Chancen erhalten .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)


Die zweite Zahl, die ich nennen will, ist eigentlich noch
schlimmer . Im vergangenen Jahr waren es – in Anfüh-
rungsstrichen – nur 118 Jahre . Der Trend ist also rück-
läufig. Wir müssen jetzt etwas tun und nicht irgendwann.


(Beifall bei der LINKEN)


Mit dem vorliegenden Gesetz ziehen Sie sich zwar
die Schuhe an, laufen aber noch nicht los, sondern set-
zen sich erst mal noch aufs Sofa . Wie viele Berichte und

Dr. Astrid Freudenstein






(A) (C)



(B) (D)


Studien wollen Sie eigentlich noch abwarten? Vorschläge
für wirksame Instrumente liegen auf dem Tisch . Stim-
men Sie also unserem Antrag zu, und ändern Sie die un-
gerechten Strukturen – nicht irgendwann, sondern jetzt .
Dann stimmen wir vielleicht auch Ihrem Gesetzentwurf
zu .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819901200

Matthias Ilgen ist der nächste Redner für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Matthias Ilgen (SPD):
Rede ID: ID1819901300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute stel-

len wir nach mehrjährigen und langwierigen Verhandlun-
gen die Filmförderung weiterhin auf die solide Basis, die
sie braucht, und richten sie ein ganzes Stück gerechter
aus – entgegen dem, was die Opposition verkündet hat .
Mit dem neuen Filmförderungsgesetz machen wir deut-
lich, welche große Bedeutung die Filmschaffenden sowie
der komplette Sektor der Kunst- und Kreativwirtschaft in
unserem Land haben . Wie die Kollegen bereits deutlich
skizziert haben, ist die Finanzierung der Filmförderungs-
anstalt gesichert . Die Effektivität der Förderung wird
verbessert und wird zielgenauer . Und: Die Gleichstellung
in den Gremien wird gewährleistet . Meine Damen und
Herren der Opposition, das ist ein erster Schritt in die
richtige Richtung . Den sollten Sie auch einmal anerken-
nen .


(Beifall bei der SPD – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es reicht nicht!)


Aber Film ist nicht nur ein bedeutendes Kulturgut,
sondern auch ein nicht zu unterschätzendes Wirtschafts-
gut in Deutschland . Die Kinos hatten im letzten Jahr mit
gut 139 Millionen Besuchern so viele Gäste wie seit sechs
Jahren nicht . Entsprechend zufrieden waren die Betrei-
ber mit den Umsätzen . 1,17 Milliarden Euro nahmen sie
ein, ein Plus von mehr als 19 Prozent im Vergleich zum
Vorjahr . Ein deutscher Titel war der Publikumsrenner:
Den zweiten Teil der Komödie Fack ju Göhte sahen fast
7,7 Millionen Zuschauer . So muss es weitergehen mit der
deutschen Filmwirtschaft . Aber wir müssen auch mit der
Zeit gehen und andere Formate fördern, beispielsweise
Video-on-Demand-Formate . Deshalb begrüßen wir es
sehr, dass das Wirtschaftsministerium vor elf Monaten
den German Motion Picture Fund ins Leben gerufen hat .
Er fördert technisch anspruchsvolle und teure Produktio-
nen und soll dafür sorgen, dass deutsche Filmproduktio-
nen im Vergleich zu US-Erfolgsschlagern wie Homeland
wettbewerbsfähig werden . Ihm verdanken wir auch die
Serie You Are Wanted, die Anfang 2017 in sechs Episo-
den bei Amazone Prime ausgestrahlt werden wird . Das
Serienprojekt, an dem Matthias Schweighöfer als Regis-
seur und Hauptdarsteller mitwirkt, hat in diesem Jahr eine
Förderungsbewilligung durch diesen Fonds erhalten .

Das Bundeswirtschaftsministerium will durch dieses
innovative Förderinstrument einen Beitrag für einen wei-
teren Entwicklungsschub für das digitale Filmschaffen in
Deutschland leisten; das unterstützen wir .


(Beifall bei der SPD)


Nach den Serien Babylon Berlin und Berlin Station ist
es das dritte vom Bundeswirtschaftsministerium in die-
ser Form geförderte Serienprojekt, das hier in Berlin und
Umgebung produziert wird .

Abschließend möchte ich feststellen: Es freut mich,
dass die Filmschaffenden in Deutschland auch in Zukunft
künstlerisches und wirtschaftliches Wagnis gemeinsam
eingehen können; denn diese beiden Seiten einer Me-
daille – Kunst/Kreativität und auf der anderen Seite wirt-
schaftlicher Erfolg – gehören für uns Sozialdemokraten
immer zusammen . Deswegen danke ich auch dem Koali-
tionspartner dafür, dass wir diesen Schritt in die richtige
Richtung heute gemeinsam miteinander machen können .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819901400

Zum Schluss dieser Debatte erhält der Kollege

Johannes Selle für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Selle (CDU):
Rede ID: ID1819901500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir
haben in dieser Woche, in diesen Monaten sehr viele und
wichtige Themen zu diskutieren . Aber ich bin außeror-
dentlich dankbar, dass wir heute zur besten Sitzungs-
zeit einmal über den deutschen Film sprechen; denn
vom deutschen Film sind wahrscheinlich alle Bevölke-
rungsteile betroffen . Deshalb ist es wichtig und richtig,
dass wir darüber auch einmal zu dieser Zeit diskutieren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Der deutsche Film hat auch im letzten Jahr wieder
Rekorde eingefahren . Das gesamte Jahr war ein Rekord-
jahr: Über 136 Millionen Kinobesucher haben für einen
Umsatz von 1,2 Milliarden Euro gesorgt . Der deutsche
Film hat einen Anteil von 30 Prozent erobert, und das ist
aus unserer Sicht eine erfolgreiche Entwicklung . Mehr
als 92 Prozent der deutschen Filme wurden von den Ki-
nobesuchern mit „hervorragend“ und „gut“ bewertet .
Über diese Erfolge dürfen wir uns freuen . Ich darf daraus
folgern, dass die filmpolitischen Rahmenbedingungen
bisher gut gesetzt waren . Daran wollen wir mit dem neu-
en Gesetz anknüpfen .

In diese Novellierung haben wir den technischen
Wandel einzubeziehen, der selbstverständlich Einfluss
auf das Zuschauerverhalten hat und der auch die Branche
vor neue Herausforderungen stellt . Uns ist es ein Anlie-
gen, die Qualität zu fördern, etwa durch Förderung hoch-
wertiger deutscher Filme im Bereich des Kurzfilms, des
Kinderfilms – er liegt mir besonders am Herzen –, des
Dokumentarfilms und natürlich auch des Spielfilms. Das

Sigrid Hupach






(A) (C)



(B) (D)


vorliegende Filmförderungsgesetz ist aus meiner Sicht
geeignet, das zu unterstützen . Wie die Vorredner schon
betont haben, werden dabei alle Entwicklungsstufen in
den Blick genommen, vom Drehbuch über die Projekt-
förderung bis hin zur Vermarktung, der Kinoförderung .

Das Kino ist gesellschaftlicher Erlebnisort für eine
große Zahl von Besuchern und macht deshalb ein be-
sonderes Gemeinschaftserlebnis möglich . Es hat seinen
Platz im kulturellen Leben behauptet, und wir wollen es
auch in Zukunft stärken und schützen . Die Filmförde-
rung ist auf die Schaffung von erfolgreichen Kinofilmen
ausgerichtet . Daher bleibt auch im neuen FFG das Kino
die erste und wichtigste Auswertungsstufe .

Sperrfristen schützen die Auswertung im Kino . Des-
halb gehen wir damit ganz besonders behutsam um .
Allerdings wollen wir auch der Entwicklung besonders
bei crossmedialen Ansätzen Rechnung tragen, die die
gleichzeitige Auswertung in den verschiedenen Stufen
erforderlich machen . Da darf ein bisschen experimen-
tiert werden, auch im Hinblick auf das Ausprobieren
neuer Geschäftsmodelle . Wenn die Kinowirtschaft an der
Herstellung oder an nachgelagerten Verwertungsstufen
maßgeblich beteiligt ist, kann auf Antrag eine Sperrfrist-
verkürzung genehmigt werden . Damit stehen wir innova-
tiven Entwicklungen nicht im Wege, die in der schnellle-
bigen digitalen Welt ohnehin nicht vorherzusehen sind .

Wenn sich herausstellt, dass ein Filmwerk wahr-
scheinlich kein Kinoerfolg werden wird, dann soll darauf
in Zukunft flexibel reagiert werden können. Sind sich
Hersteller und Lizenznehmer einig, dass eine Kinoaus-
wertung keinen Sinn macht, kann auf die Anwendung
der Sperrfristregelung verzichtet werden . Das bleibt aber
eine Ausnahme und kann nicht einfach wiederholt wer-
den .

Von den Kinos wissen wir, wie wichtig ihnen die
Dokumentarfilme geworden sind. Es ist begrüßenswert,
dass sich dieses Segment zunehmenden Zuspruchs er-
freut . Sie stellen einen bedeutenden Anteil am Umsatz
der Kinowirtschaft dar . Auf der anderen Seite ist die Zahl
der Dokumentationen, die den Ansprüchen der Zuschau-
er nicht entsprechen, stark gestiegen .

Wir wollen durch die Mindestförderhöhe von
100 000 Euro erreichen, dass die Qualität des Dokumen-
tarfilms nicht an der mangelnden Finanzierung scheitert.

Auch bei den Dokumentarfilmen werden bei den
Sperrfristen die Möglichkeiten geschaffen, mit der Ver-
änderung der Verwertungsreihenfolge in besonderen
Fällen den Erfolg zu erhöhen – natürlich wieder nur mit
Antrag und Genehmigung durch die FFA . Das bedeutet,
dass ein Dokumentarfilm zeitgleich im Kino oder mit
geringem Abstand auf Bildträgern und auf entgeltlichen
Abrufdiensten zu sehen sein kann .

Das Gesetz will sich den neuen technischen Möglich-
keiten und dem veränderten Zuschauerverhalten nicht
verschließen . Wir wollen aber nicht ohne Weiteres die
bewährten Regelungen aufweichen . Deshalb ist in dem
Gesetz auch eine Evaluierung vorgesehen .

Besonders Kinos im ländlichen Raum haben es
schwer . Wir wollen auch die Attraktivität des ländlichen

Raumes stärken. Deshalb verpflichten wir Verleiher, Ki-
nos im ländlichen Raum angemessen mit Kopien zu ver-
sorgen .

Die Kinos werden entlastet . Deren Grundkosten für
den Betrieb einer Kinoleinwand sind deutlich gestiegen .
Wir haben die Umsatzschwellen für die Höhe der Abgabe
angepasst .

Auch bei den Kinoreferenzpunkten erkennen wir die
erfolgreiche Arbeit für den deutschen Film stärker an . So
wird es zwei Referenzpunkte pro Besucher geben, wenn
der Zuschauermarktanteil des entsprechenden Kinos be-
reits das 1,75-Fache erreicht hat .

Wir fördern nicht nur den Film, sondern auch die
Kinos, weil wir die wertvolle Symbiose von Film und
Abspielstätte als gemeinschaftlichen Erlebnisbereich er-
halten wollen .

Den Erfolg des deutschen Films verdanken wir im
Wesentlichen den Produzenten . Auf ihnen liegen die
Hauptlast und das Risiko, das mit jeder Produktion ver-
bunden ist . Deshalb war es bei jeder Novellierung ein
Anliegen, die Produzenten zu stärken . Das haben wir in
dem vorliegenden FFG wieder praktiziert . Wir haben die
Darstellung des Eigenkapitalanteils durch die sehr flexib-
le Anerkennung von Lizenzverkäufen erleichtert .

Darüber hinaus erlangen erfolgreiche Produzenten in
der Referenzförderung einen 25-Prozentpunkte-Bonus,
wenn der Nettoumsatz die anerkannten Herstellungskos-
ten übersteigt .

Sehr intensiv – die Kollegen haben dies schon ange-
sprochen – haben wir auch den Erlöskorridor für die Pro-
duzenten diskutiert .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber nicht aufgenommen!)


Die Beteiligung der Produzenten an den Erlösen vom ers-
ten Euro an konnte sich in der Abwägung der Interessen
aller, die an der Filmauswertung beteiligt sind, noch nicht
durchsetzen . Aber diese Thematik wird bei der nächsten
Novellierung auf jeden Fall wieder aufgegriffen .


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da nehme ich Sie beim Wort!)


Wie schon angedeutet, ist es uns ein besonderes Anlie-
gen, den Kinderfilm zu stärken. Das ist für uns ein wich-
tiger Aspekt . Wir wollen, dass nicht nur die Erwachsenen
aus einer Bandbreite von Themen wählen können . In der
FFA-Hitliste der 100 erfolgreichsten Filme der letzten
15 Jahre befinden sich 27 Kinderfilme. Das freut mich
besonders, weil ich aus dem Kindermedienland Thürin-
gen komme .

Die 10- bis 19-Jährigen waren am häufigsten im Kino
und mit 34 Prozent der Zuschauer überdurchschnittlich
vertreten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen die medienpädagogische Begleitung im
Kinderfilmprogramm verbessern und haben im par-
lamentarischen Verfahren den Zuschuss von 2 000 auf

Johannes Selle






(A) (C)



(B) (D)


5 000 Euro erhöht, damit eben nicht nur Kinderschmin-
ken möglich ist .

Zusätzlich haben wir uns dafür eingesetzt, dass in der
Kommission für Produktion und Drehbuchförderung
eine Erfahrung mit Kinderfilmproduktionen vorhanden
ist. Mindestens ein Mitglied muss schon Kinderfilme
produziert haben .

Wir haben ein neues Filmförderungsgesetz vorliegen,
das den deutschen Film ganzheitlich fördert . Ich darf
den hervorragenden Entwurf der Bundesregierung hier
loben, dafür danken . Ich darf mich auch für die gute Zu-
sammenarbeit mit der Branche und die Zusammenarbeit
unter den Kollegen bedanken . Ich glaube, dass man die-
sem Gesetz mit gutem Gewissen zustimmen kann .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819901600

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf über
Maßnahmen zur Förderung des deutschen Films . Der
Ausschuss für Kultur und Medien empfiehlt unter Buch-
stabe a seiner Beschlussempfehlung auf der Drucksa-
che 18/10218, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/8592 und 18/8627 in der Aus-
schussfassung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wol-
len, um ihr Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter
Beratung mit den Stimmen der Koalition bei Enthaltung
der Opposition angenommen .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich darf diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitten, sich von den
Plätzen zu erheben . – Wer stimmt dagegen? – Wer möch-
te sich der Stimme enthalten? – Dann ist der Gesetzent-
wurf mit dem gleichen Stimmenverhältnis angenommen .

Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der
Drucksache 18/10291 . Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich?
Damit ist der Entschließungsantrag mit den Stimmen der
Koalition gegen die Stimmen der Antragsteller und der
Fraktion Die Linke abgelehnt .

Unter dem Tagesordnungspunkt 4 b geht es um die
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kultur und
Medien zum Antrag der Fraktion Die Linke mit dem
Titel „Filmförderung – Impulse für mehr Innovation
statt Kommerz, für soziale und Gendergerechtigkeit
und kulturelle Vielfalt“. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf der Druck-
sache 18/10218, diesen Antrag der Fraktion Die Linke
abzulehnen . Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die
Beschlussempfehlung mit den Stimmen der Koalition
angenommen .

Ich rufe die Zusatzpunkte 1 bis 3 auf:

ZP 1 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Klimakonferenz von Marrakesch – Pariser
Klimaabkommen auf allen Ebenen vorantrei-
ben

Drucksache 18/10238

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Hubertus Zdebel, Caren Lay,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Pariser Weltklimavertrag auf der UN-Klima-
konferenz in Marrakesch in Gang bringen –
Dekarbonisierung in Deutschland beschleuni-
gen

Drucksache 18/10242

ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Bärbel
Höhn, Annalena Baerbock, Oliver Krischer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Klimaschutz entscheidend voranbringen

Drucksache 18/10249

Auch dazu soll eine Aussprache von 60 Minuten statt-
finden. – Einen Widerspruch dazu kann ich nicht erken-
nen . Also verfahren wir so .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
zuständigen Bundesministerin Frau Dr . Hendricks .


(Beifall der Abg . Dagmar Ziegler [SPD])


Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen! Ja, meine lieben Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition, mir ist schon klar: Da muss ich jetzt durch . –
Aber bevor Sie sagen, dass ich mit leeren Händen oder
leeren Taschen nach Marrakesch fahren müsse, will ich
eines vorwegnehmen: Ich fahre nicht mit leeren Taschen
nach Marrakesch . Im Gegenteil: Selten ist eine deutsche
Umweltministerin mit so gut gefüllten Taschen – wenn
ich im Bild bleiben darf – zu einer Klimakonferenz ge-
reist .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben die Ratifizierung des Pariser Klimaschutz-
abkommens im Gepäck, die wir in Deutschland im Re-
kordtempo und in der EU mit größtem diplomatischen
Geschick vorangetrieben haben .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Schönreden!)


Wir sind bei der Klimafinanzierung auf einem sehr gu-
ten Weg . Die von den Industrieländern versprochenen
100 Milliarden Dollar pro Jahr ab 2020 sind in Reichwei-
te – auch dank tatkräftiger deutscher Mithilfe . Wir sind

Johannes Selle






(A) (C)



(B) (D)


Schrittmacher bei der internationalen Zusammenarbeit,
wenn es darum geht, Entwicklungsländern bei der Erfül-
lung ihrer nationalen Klimabeiträge zu helfen – auch mit
unserer neuen Umsetzungspartnerschaft, die wir in Mar-
rakesch vorstellen werden .

Wir arbeiten mit Hochdruck daran, uns über den Kli-
maschutzplan als Fahrplan für eine weitgehende Treib-
hausgasneutralität bis 2050 zum Ende dieser Woche poli-
tisch zu einigen und ihn in der nächsten Woche förmlich
zu beschließen . Ich bin zuversichtlich, dass es gelingen
kann, die offenen Fragen in diesen Tagen zu klären, so-
dass ich mit dem Klimaschutzplan zur Klimakonferenz
nach Marrakesch reisen kann .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit welchem Klimaschutzplan?)


Von daher, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition: Machen Sie sich über uns keine Sorgen,


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir machen uns um das Klima sorgen!)


und lassen Sie uns über die bevorstehende Klimakonfe-
renz sprechen .

Meine Damen und Herren, wo stehen wir in der in-
ternationalen Klimapolitik? Wir haben ein globales Ab-
kommen. Seit dem 4. November ist es nun offiziell in
Kraft – und nicht erst 2020, wie ursprünglich geplant .
Noch nie zuvor ist ein globaler völkerrechtlicher Vertrag
von derart großer Bedeutung so schnell in Kraft getreten .
Damit sendet die Staatengemeinschaft ein starkes Signal:
Die Weltgemeinschaft ist sich einig, dass die globale
Transformation hin zu einer treibhausgasneutralen Welt-
wirtschaft unumkehrbar erfolgen muss .

Die schnelle Ratifikation war wichtig, aber die Umset-
zungsarbeit fängt jetzt erst an . Ich bin optimistisch, dass
wir den Schwung aus dem Ratifizierungsprozess mit in
die bevorstehenden Verhandlungen nehmen können . Alle
Staaten sind aufgefordert, ihre nationalen Klimaschutz-
beiträge möglichst schnell und ambitioniert umzusetzen .
Wir setzen uns deshalb dafür ein, dass die EU ihre Ge-
setzgebung zum EU-Klima- und Energierahmen für 2030
zügig abschließt .

Von Marrakesch erwarten wir klare Signale für eine
ambitionierte Umsetzung des Abkommens, gerade auch
schon vor 2020, um eben das politische Momentum zu
bewahren . Daher passt es gut, dass die marokkanische
Präsidentschaft das Motto „Action and Implementation“
für die Klimakonferenz ausgerufen hat . Marrakesch wird
also eine Umsetzungskonferenz und damit etwas anderes
als das, was wir bisher gewohnt waren . Eine Kernfrage
dabei lautet: Wie helfen wir anderen Ländern bei der Er-
füllung ihrer Klimaschutzziele?

Stichwort „Klimafinanzierung“. In Paris haben wir
uns darauf verständigt, dass Entwicklungsländer weiter-
hin Unterstützung erhalten . Vor einem Jahr wurden die
Industrieländer in Paris aufgefordert, einen konkreten
Fahrplan zur Erreichung des 100-Milliarden-Dollar-Ziels
vorzulegen . Diese Roadmap haben wir bereits vor Mar-

rakesch geliefert . Und ich bin mir sicher, dass dieses Si-
gnal gut für die Gespräche sein wird .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Roadmap stellt dar, dass sich die öffentliche Kli-
mafinanzierung mit den bekannten Ankündigungen der
Geber auf 67 Milliarden Dollar im Jahr 2020 erhöht .
Zudem hat die OECD errechnet, dass sich die öffentli-
che Anpassungsfinanzierung voraussichtlich bis 2020
verdoppelt . Das 100-Milliarden-Dollar-Ziel ist also in
Reichweite, wenn die private Finanzierung noch erhöht
werden kann . Wir dürfen nicht nachlassen, aber wir wer-
den auch nicht nachlassen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Bundeskanzle-
rin Merkel hat letztes Jahr angekündigt, dass Deutschland
seine Klimafinanzierung zwischen 2014 und 2020 ver-
doppeln wird . Im Jahr 2015 ist Deutschland bereits der
größte bilaterale Geber gewesen . Deutschlands öffentli-
che Klimafinanzierung aus Haushaltsmitteln betrug im
vergangenen Jahr 2,7 Milliarden Euro . Zusätzlich haben
KfW und DEG weitere 4,7 Milliarden Euro an öffentli-
cher Klimafinanzierung mobilisiert, sodass die gesamte
deutsche öffentliche Klimafinanzierung im Jahr 2015 bei
7,4 Milliarden Euro lag . Deutschland ist damit auf bes-
tem Wege, seine Zusagen einzuhalten und seinen fairen
Anteil zu den 100 Milliarden Dollar beizutragen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Aber es geht nicht nur um Geld, sondern es geht auch
um gute Zusammenarbeit . Deutschland wird gemeinsam
mit Marokko und anderen Partnern die globale Umset-
zungspartnerschaft formal gründen . Zusammen mit un-
seren Partnerländern und anderen Gebern wollen wir die
Klima- und Entwicklungsagenda so zusammenführen,
dass Entwicklungsländer die Hilfe bekommen, die sie für
ihre nationalen Klimaschutzbeiträge und für die notwen-
digen Anpassungen an den stattfindenden Klimawandel
benötigen . Kollege Müller und ich werden dies gemein-
sam in Marrakesch vorstellen . Wir sind optimistisch,
dass diese Initiative viele Länder erreichen wird, und
hoffen auf die weitreichende Beteiligung. Der offizielle
Startschuss für die Partnerschaft soll am 15 . November
in Marrakesch gegeben werden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt in Marra-
kesch natürlich auch Verhandlungen, aber sie sind deut-
lich technischer als in Paris . In Paris haben wir die großen
Linien für ein zukünftiges Klimaschutzregime festgelegt .
Viele Detailfragen zur Ausgestaltung des Abkommens
sind noch zu klären . Unser Ziel für die weiteren Verhand-
lungen ist es, die Strukturelemente und Mechanismen des
Paris-Abkommens so aufeinander abzustimmen, dass die
Langfristziele des Abkommens erreicht werden .

Stichwort auch „Ambitionssteigerung“ . Der in Paris
vereinbarte Transparenzrahmen muss so angelegt wer-
den, dass er Auskunft darüber geben kann, ob die Staaten
die von ihnen selbst bestimmten Ziele auch tatsächlich
erreichen . Diese Informationen sind entscheidend für die
globale Bestandsaufnahme, die zukünftig alle fünf Jahre
ermitteln soll, wie weit die Staatengemeinschaft insge-
samt gekommen ist . Im Lichte der globalen Bestandsauf-

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks






(A) (C)



(B) (D)


nahme werden die Staaten ihre nächsten Klimabeiträge
festlegen, die jeweils ambitionierter ausfallen müssen als
die vorherigen . An diejenigen, die nicht genau wissen,
worum es geht: Dies alles verpflichtet Deutschland als
Staat . Wir machen hier keine Alleingänge, sondern wir
sind ein Staat von 195 .


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Genau!)


Nur alle 195 Staaten zusammen können dieses Klima-
schutzabkommen erfüllen . Manchmal wird mir ja vor-
gehalten, ich würde Alleingänge machen . Nein, das Ge-
genteil ist der Fall . Das Klimaschutzabkommen ist die
Summe der einzelnen Beiträge aller Staaten, um das noch
einmal ganz deutlich zu machen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir werden uns in Marrakesch für einen ambitionier-
ten Fahrplan für die weiteren Verhandlungen einsetzen,
sodass alle noch offenen Detailfragen spätestens bis
2018, zum ersten Überprüfungsmechanismus, geklärt
werden können .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir
zum Schluss aus aktuellem Anlass noch einen Kommen-
tar: Die USA haben beim Zustandekommen des Pariser
Klimaschutzabkommens eine führende Rolle gespielt .
Wir gehen davon aus, dass völkerrechtliche Verpflichtun-
gen gelten und natürlich auch nach Regierungswechseln
eingehalten werden und fortgelten. Wir pflegen mit den
USA eine sehr gute Zusammenarbeit beim Klimaschutz,
und wir wünschen uns, dass dies so bleibt .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg . Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819901700

Das Wort erhält nun Eva Bulling-Schröter für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819901800

Herr Präsident! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Am letzten Freitag ist das Pariser Klima-
schutzabkommen in Kraft getreten, in Rekordtempo . Am
Montag hat in Marokko die UN-Klimakonferenz begon-
nen, um die Staatenwelt auf 2-Grad-Kurs zu bringen, um
die Länder des Südens mit ausreichenden Mitteln zur An-
passung an die Folgen des Klimawandels auszustatten,
damit sie die Kosten der Schäden begleichen können und
eine Energiewende hinbekommen .

Und trotzdem ist diese Woche keine gute Woche für
den Klimaschutz . Im Gegenteil: Die Große Koalition
hat es nicht geschafft, sich auf eine Strategie für mehr
Klimaschutz in Deutschland zu einigen . Der Klima-
schutzplan 2050 des Umweltministeriums ist im Ge-
triebe der Ministerien und des Kanzleramtes gnadenlos
zerschreddert worden . Zum klimapolitisch notwendigen
Kohleausstieg finden sich keine konkreten Termine und

Maßnahmen mehr . Statt endlich ein Ausstiegsdatum
zu nennen, wird mit einer Klimaschutzkommission ein
neuer Arbeitskreis gegründet . Statt die Energiewende zu
beschleunigen, einen Strukturwandel einzuleiten und mit
sozialen Maßnahmen abzufedern, wird ein Mindestpreis
für Emissionszertifikate des EU-CO2-Handels vorge-
schlagen. Der Zertifikathandel funktioniert doch seit Jah-
ren nicht, und auf EU-Ebene ist ein Mindestpreis leider
nicht durchsetzbar . Ich sage: Das ist alles ein Spielen auf
Zeit . Das ist Augenwischerei . Es ist keine Klimaschutz-
politik gemäß Pariser Abkommen .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Warum musste die Klimaschutzforderung zum Ende
von Neuzulassungen von Verbrennungsmotoren – darü-
ber muss man doch einmal diskutieren – oder zur Finan-
zierung einer Elektrifizierung des Verkehrs über – ich
zitiere – den „sukzessiven Abbau der bisherigen beste-
henden Steuerprivilegien bei Diesel-Pkw“ herausgenom-
men werden? Warum finden sich keine konkreten Termi-
ne mehr für eine Gebäude- und Wärmewende, die den
Namen auch verdient? Warum so wenig Substanzielles
zu ökologischer Landwirtschaft und zu weniger Fleisch-
konsum? Das alles in einem Klimaschutzplan, der – da-
ran möchte ich erinnern – ein Kuhhandel war, um ein
echtes Klimaschutzgesetz zu verhindern, wie es die SPD
im letzten Wahlkampf noch gefordert hat .

Ja, und dann am späten Dienstagabend das: Der zu
einer Absichtserklärung verkommene Fata-Morga-
na-Klimaplan schafft es nicht einmal ins Kabinett . Die
Klimakonferenz findet ohne deutschen Beitrag statt.
„Klimapolitisches Horrorkabinett“ könnte man das nen-
nen . Da fällt der Wirtschaftsminister Gabriel seiner eige-
nen Parteigenossin aus dem Umweltministerium in den
Rücken, was er jetzt natürlich wieder abstreitet, und setzt
den Klimaschutzplan endgültig in den Sand von Marra-
kesch .

Dass dann gestern auch noch der Klimawandelleugner
Trump die US-Präsidentschaftswahlen gewonnen hat,
hat mir als Klimapolitikerin, ehrlich gesagt, fast den Rest
gegeben. Wer den Klimawandel zu einer Erfindung der
Chinesen erklärt, eine Rettung der Kohle ankündigt und
das Pariser Klimaschutzabkommen aufkündigen will,
der muss sich in Zukunft einiges sagen lassen, und es ist
die Frage, ob er noch enger Partner sein kann .

Und so liest sich der heute vorliegende Antrag der
Koalition zur Klimakonferenz: Worthülsen, Wischiwa-
schi, keine konkreten Vorschläge . Ich sage es noch mal:
Es geht um das Ziel, die weltweite Klimaerwärmung auf
2 Grad zu begrenzen; aber momentan steuern wir auf
4 Grad zu . Das ist unerträglich, und da müssen wir etwas
tun .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir machen in unserem Antrag konkrete Vorschläge:
Bis 2050 brauchen wir mindestens 95 Prozent weniger
CO2-Emissionen . Dazu müssen alle Sektoren einen fai-
ren Beitrag leisten . Für Weggucken und Wegducken ist

Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks






(A) (C)



(B) (D)


keine Zeit mehr, liebe Kolleginnen und Kollegen . Wer es
mit den Beschäftigten in den Industrien der Braunkohle
und des Verkehrs ehrlich meint, der beginnt jetzt sofort,
den Wandel einzuleiten . Alles andere ist Augenwischerei .


(Beifall bei der LINKEN)


Es bedeutet, dass man ein Wahlversprechen nicht einlöst
und die Beschäftigten ins Messer laufen lässt . Sie warten
auf Zukunftspläne und brauchen Sicherheit .

Was wir jetzt brauchen, ist ein politischer Klimawan-
del . Diese Regierung ist zu echtem Klimaschutz anschei-
nend einfach nicht in der Lage . Das muss sich ändern,
spätestens ab nächstem Jahr .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819901900

Andreas Jung ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Andreas Jung (CDU):
Rede ID: ID1819902000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kollegin Bulling-Schröter, Sie sagen, es sei keine gute
Woche für den Klimaschutz . Ich möchte dem entgegen-
halten: Man soll den Tag natürlich nicht vor dem Abend
loben; aber man soll auch nicht vor ihrem Ende über die
Woche schimpfen .


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Dann macht!)


Wir setzen auf das, was die Ministerin gerade angekün-
digt hat, nämlich dass eine Einigung innerhalb der Bun-
desregierung über den Klimaschutzplan kurz bevorsteht .


(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange denn noch?)


Ich sage für unsere Fraktion: Wir wollen einen Kli-
maschutzplan, wir brauchen einen Klimaschutzplan . Wir
haben uns im Übrigen nicht nur im Koalitionsvertrag für
den Klimaschutzplan ausgesprochen, sondern bekennen
uns auch in dem Antrag, den wir heute gemeinsam be-
schließen, noch einmal ganz ausdrücklich zu dem Kli-
maschutzplan . Deshalb sage ich ganz ausdrücklich: Wir
setzen darauf, dass es jetzt kurzfristig, vor Marrakesch,
gelingt, eine Einigung beim Klimaschutzplan hinzube-
kommen . Ich halte das für wichtig, und das wäre auch für
Sie, Frau Ministerin, der richtige Rückenwind in Marra-
kesch .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Für diese Konferenz wünschen wir Ihnen alles Gute .

Sie haben gerade beschrieben, was die Aufgaben und
die Herausforderungen sind, dass es da um andere Dinge
geht als in Paris, aber eben auch wieder um wichtige Fort-
schritte, was die Umsetzung des Abkommens angeht . Sie
haben auch beschrieben, dass wir noch nicht wissen, in
welcher Situation wir nach den Präsidentschaftswahlen
in den USA sind. Umso wichtiger finde ich, dass wir aus

Deutschland und aus Europa das Signal senden, dass bei
uns Klarheit und Verlässlichkeit herrschen, dass wir die-
sen Pfad so gehen wollen . Insofern war es ein wichtiger
Beitrag dieses Hauses, des Deutschen Bundestages, dass
wir mit der schnellen Ratifizierung des Abkommens,
die uns vor wenigen Wochen gelungen ist, das geleistet
haben, was wir vor dieser Konferenz für das Klimaab-
kommen leisten konnten, nämlich die Herstellung des
höchstmöglichen Maßes an Verbindlichkeit . Mit der Ra-
tifizierung wurde das nun anstehende erste Vertragsstaa-
tentreffen ermöglicht .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich komme noch einmal zum Klimaschutzplan . Wa-
rum brauchen wir ihn? Die Ministerin hat dargestellt: Wir
sind auf einem guten Weg; das, was wir in Deutschland
leisten, lässt sich vorzeigen. Sie haben die Ratifizierung
genannt, die Finanzierung, unsere Rolle als Schrittma-
cher, auch das, was wir im eigenen Land leisten . Wir ha-
ben hier im Bundestag – nicht erst ganz aktuell, sondern
schon vor langem und immer wieder – ehrgeizige Ziele
formuliert, und wir beschließen heute mit unserem Ko-
alitionsantrag das Ziel, die Treibhausgasemissionen bis
2050 um 80 bis 95 Prozent zu reduzieren .

Ich denke, es ist ganz unbestritten, dass das ein ehrgeizi-
ges Ziel ist . Ich glaube, genauso unbestritten ist, dass es
auch eine Herausforderung ist .

Jetzt geht es nicht darum, mit diesem Klimaschutzplan
schon jede einzelne Frage zu beantworten . Ich glaube,
das kann bei einem Zeitraum von mehreren Jahrzehnten
niemand ernsthaft erwarten . Aber es geht darum, einen
Pfad zu beschreiben . Es geht darum, Verlässlichkeit zu
geben, und es geht darum, das klare Signal zu geben,
wohin die Reise geht . Sie geht eben nicht zurück in das
Zeitalter der Kernenergie, und es gibt auch keine Renais-
sance der Kohle, sondern sie geht hin zu Erneuerbaren,
zu Energieeffizienz und zu neuen Technologien. Das ist
unser Weg, und darauf können und sollen sich alle ein-
stellen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wenn es um einen solchen Umbruch geht, dann ist
richtig, was wir in unserem Klimaschutzantrag tun, näm-
lich zu sagen: Wir verstehen das auch als Chance für
Deutschland . Wir schreiben in unserem Koalitionsantrag
ganz ausdrücklich: Es ist auch eine Chance für unsere
Wirtschaft, mit neuen Technologien für mehr Wettbe-
werbsfähigkeit zu sorgen . Aber genauso richtig und auch
notwendig ist es – ich finde, es ist nicht nur legitim, son-
dern geradezu zwingend –, darauf hinzuweisen: Es ist
auch eine Herausforderung . Es ist eine gewaltige Aufga-
be, ein großer Umbau . Dass Menschen in Braunkohlege-
bieten bei dem Thema Klimaschutz nicht als Allererstes
daran denken, dass das eine Chance für sie sein könnte,
sondern dass es da auch die Frage gibt: „Was wird denn
aus uns? Was wird aus meinem Arbeitsplatz? Was wird
aus meiner Region?“, das ist doch logisch und liegt auf
der Hand . Das alles erklärt, glaube ich, auch ein Stück
weit dieses Ringen, das wir in der Koalition, in beiden
Koalitionsfraktionen, haben . Ich hätte mir gewünscht,
dass wir schon früher zu dem Klimaschutzplan gekom-

Eva Bulling-Schröter






(A) (C)



(B) (D)


men wären, selbstverständlich . Aber das ist auch Aus-
druck dessen – und das ist doch legitim –, was unsere
gemeinsame Aufgabe hier ist, nämlich gemeinsame Inte-
ressen so zusammenzuführen, dass wir es am Ende schaf-
fen, ambitioniert Klimaschutz zu machen, aber auch die
Wirtschaft mitzunehmen und insgesamt ein gutes Ergeb-
nis für unser Land und alle Regionen hinzubekommen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es ist doch immer der Wunsch vorhanden, dass wir im
Bundestag in und zwischen den Fraktionen diskutieren,
damit Dinge nicht alternativlos sind . Deshalb ist es auch
nachvollziehbar, dass wir nicht das grundsätzliche Ziel,
auf das wir uns immer wieder – auch heute – geeinigt und
das wir immer bekräftigt haben, infrage stellen, sondern
über Instrumente streiten . Das halte ich auch für notwen-
dig . Da gibt es eben unterschiedliche Wege und Möglich-
keiten . Ich will für unsere Fraktion sagen, dass wir nicht
glauben, dass der Weg von immer mehr Verboten der
richtige ist . Natürlich braucht es in gewissem Rahmen
Ordnungsrecht; das ist unbestritten . Aber der Weg von
immer neuen Verboten wäre bestimmt nicht der richtige .
Unser Weg ist auch nicht der, immer neue Steuern zu er-
finden, um diesen Weg beschreiten zu können, sondern
unser Weg ist, dass wir sagen: Wir wollen Vorreiter sein .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie?)


Diesen Anspruch haben wir, und das setzen wir um .

Wer Vorreiter sein will, der muss Nachahmer finden.
Wir sind der Überzeugung, dass wir Nachahmer nicht
finden werden, wenn wir die meisten Gesetze machen,
sondern nur dann, wenn wir die besten Technologien in
unserem Land haben und sie exportieren können .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb setzen wir auf Technologie . Deshalb setzen wir
auf Effizienz, und deshalb setzen wir auf Innovation, erst
einmal was die Grundsätze angeht . Dann können wir uns
über die einzelnen Bereiche unterhalten . Das müssen wir
auch tun . Das tun wir jetzt mit dem Klimaschutzplan . Wir
wissen alle, dass das nur der Auftakt ist; es wird weiter-
gehen . Was die Kohle angeht, so ist es selbstverständlich,
dass, wenn wir diese ehrgeizigen Ziele bis 2050 verfol-
gen, der Anteil der Kohle Schritt für Schritt runtergehen
muss; das muss jedem klar sein . Wir brauchen einen
Plan, wie wir in dieser Zeit den Ausstieg aus der Kohle
schaffen . Gleichzeitig brauchen wir dann aber auch Ant-
worten auf die Strukturfragen . In der Lausitz haben wir
in diesem Jahr entsprechende Programme beschlossen .
Wir müssen den Wandel in der Energie- und Klimapoli-
tik in Strukturprogramme und Maßnahmen einbetten, die
den sozialen Frieden in diesem Land garantieren . Das ist
der Weg, das ist die gemeinsame Aufgabe .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Selbstverständlich – das ist ja auch Aufgabe und An-
spruch dieses Klimaschutzplans – müssen dafür alle
Sektoren ihren Beitrag leisten: Verkehr und Landwirt-
schaft, Industrie und Gewerbe, der Gebäudebereich; über

den Energiebereich habe ich schon gesprochen . Das ist
selbstverständlich . Aber auch da müssen wir über den
richtigen Weg reden .

Was die Verkehrspolitik angeht, so ist unser Weg eben
nicht, dass ab dem Jahr 2030 alle Diesel- und Benzin-
fahrzeuge verboten werden sollen . Das halten wir für
den falschen Ansatz; wenn ich „wir“ sage, dann meine
ich unsere Fraktion . Ich als Baden-Württemberger kann
sagen: Das sieht auch mein Ministerpräsident so . Das
sieht sogar Ihr Vorgänger, Herr Hofreiter, als Vorsitzen-
der des Verkehrsausschusses, Winfried Hermann, so, der
im Bundesrat dagegen gestimmt hat . Wir wollen keine
Verbote, sondern Anreize .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch gar kein Verbot! Das ist ein klassischer Anreiz! Mehr Anreiz geht gar nicht!)


Wir wollen Anreize für mehr Effizienz. Wir setzen bei
der Elektromobilität auf Forschung und Entwicklung .
Wir setzen darauf, dass Technologien überzeugen . Na-
türlich müssen wir uns als Staat fragen: Wie schaffen wir
den Rahmen dafür? Was können wir im Rahmen der Na-
tionalen Plattform Elektromobilität tun, um das Ziel zu
erreichen, das wir in den Klimaschutzplan geschrieben
haben, nämlich dass bis zum Jahr 2050 der CO2-Ausstoß
im Verkehr fast auf null gesenkt wird? Diesen Weg wol-
len wir gehen; aber wir wollen ihn im Dialog gehen, mit
Anreizen, Förderung und dieser Rahmensetzung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dasselbe gilt für den Gebäudebereich . Auch im Ge-
bäudebereich verfolgen wir ehrgeizige Ziele . Wir sind
sehr dafür, im Bereich Neubau hohe Standards zu setzen .
Im Prinzip muss in Zukunft beim Neubau ein Null-Emis-
sions-Standard gelten . Wir müssen auch an den Bestand
heran; denn ohne Maßnahmen an Gebäuden im Bestand
werden wir es nicht schaffen . Aber auch hier gilt: Wir
wollen keine Zwangssanierungen . Wir haben es in Ba-
den-Württemberg einmal ausprobiert, Sanierungspflich-
ten beim Auswechseln der Heizung einzuführen . Die
Ergebnisse geben nicht gerade Anlass, Maßnahmen nach
diesem Vorbild zu ergreifen; denn manche haben einfach
gar nichts gemacht . Vielmehr müssen wir mit mehr Pro-
grammen mehr Anreize schaffen . Ich sage deshalb aus-
drücklich: Wenn wir die ehrgeizigen Ziele beschließen,
dann plädiere ich dafür, dass wir einen neuen Anlauf un-
ternehmen, die Gebäudesanierung steuerlich zu fördern,
um die Potenziale zu heben .

Ich möchte abschließend beschreiben, worum es uns
geht: Ehrgeizige Ziele ja; aber im Mittelpunkt sollen
Technologien stehen, im Mittelpunkt soll Effizienz ste-
hen, im Mittelpunkt sollen Anreize stehen . Mit diesen
Zielen in der Klimapolitik wollen wir in Deutschland
vorankommen und damit Beispiel geben für andere . Das
sollte nicht zuletzt auch ein Signal für die Klimakonfe-
renz in Marrakesch sein .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Andreas Jung






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819902100

Anton Hofreiter hat nun das Wort für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen .


Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819902200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Das letzte Jahr war das heißeste Jahr, seit es
Wetteraufzeichnungen gibt . Der Juli in diesem Jahr war
der heißeste Juli, seit es Wetteraufzeichnungen gibt . Am
Dienstag ist in den USA ein Präsident gewählt worden,
der behauptet, der Klimawandel existiere nicht . Aber die
Realität hält sich nicht an Ideologien; vielmehr müssen
wir lernen, mit der Realität umzugehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Was würde man jetzt von der Europäischen Union
und insbesondere von der Bundesregierung angesichts
der schwierigen Lage, die wir sowohl faktisch naturwis-
senschaftlich als auch politisch auf unserem Planeten ha-
ben, erwarten? Man würde erwarten, dass man die Rolle
Deutschlands nicht kleinredet, sondern erkennt, welche
Bedeutung die viertgrößte Industrienation der Welt, die
in der Vergangenheit einmal Vorreiter bei Technologie
und Klimaschutz war, zu spielen hat . Man würde versu-
chen, diese Rolle auszufüllen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was erleben wir stattdessen? Wir erleben ein Trauer-
spiel in dieser Bundesregierung . Die arme Umweltmi-
nisterin hat in einem ersten Entwurf einen ganz guten
Plan für 2050 vorgelegt; das erkennen wir an . Aber was
ist dann im Laufe der Beratung des Entwurfs passiert?
Als Erstes hat ihr der Parteikollege Gabriel die relevan-
ten Maßnahmen und Ziele im Bereich der Kohle, einem
der wichtigsten Bereiche, rausgestrichen . Als Nächstes
hat der Verteidiger der Massentierhaltung, der Landwirt-
schaftsminister, alles, was für den Bereich der Landwirt-
schaft relevant war, rausgestrichen .


(Dr . Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das stimmt gar nicht!)


Als Nächstes kam Herr Dobrindt, der Minister, der im-
mer noch glaubt, bei der Infrastruktur sei es wichtig, auf
Kupfer und Beton zu setzen – man muss dazu wissen: der
Minister ist eigentlich für Digitales und moderne Mobili-
tät zuständig –, und hat die entsprechenden Maßnahmen
für den Bereich der Mobilität rausgestrichen .


(Dr . Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Stimmt auch nicht!)


Als dieser Klimaschutzplan schon ziemlich entkernt
war, insbesondere bei den Maßnahmen, wurde am
Dienstagabend die Ministerin, die die Einigung schon
hat verkünden lassen, wiederum von Herrn Gabriel hart
gefoult – und die SPD-Fraktion schweigt dazu und lässt
ihre Ministerin im Regen stehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist eigentlich Herr Gabriel?)


Was wäre eigentlich notwendig? Herr Jung, Sie haben
davon gesprochen, dass man einen Plan bräuchte, um aus
der Kohle auszusteigen . Ja, da geben wir Ihnen recht .
Diesen Plan bräuchte man .


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die CDU/CSU gewandt: Wo ist denn der Plan?)


Aber entsteht dieser Plan dadurch, dass Sie das zum wie-
derholten Mal hier sagen? Wäre es nicht vielmehr ein
guter Plan, hier Gesetze zu verabschieden? Sie nennen
Gesetze gerne Verbote . Wissen Sie, Gesetze sind per De-
finition allgemeingültige Normen. Glauben Sie wirklich,
dass die Vertreter der Stromkonzerne, die mit den abge-
schriebenen Kohlekraftwerken mehr Geld verdienen als
mit den Erneuerbaren, weil sie dazu zu unbeweglich, zu
langsam und zu träge sind, wenn Sie sie ein bisschen tät-
scheln und lieb zu ihnen sind, sagen: „Herr Jung, wir ha-
ben es erkannt, Sie haben so recht . Sie haben im Plenum
ja auch immer wieder von einem Plan gesprochen . Wir
schalten die Kohlekraftwerke jetzt freiwillig ab“? Glau-
ben Sie wirklich, dass das Realität werden könnte? Hören
Sie auf, hier Jahr für Jahr de facto die gleiche Rede zu
halten . Machen Sie sich endlich an die Arbeit, und gießen
Sie Ihre Vorschläge in Gesetze, sodass sie Auswirkungen
auf die Wirklichkeit haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Was wäre notwendig? Was müsste man in Gesetze
gießen? Zum Beispiel müsste das, was Sie im Klima-
schutzplan ankündigen – eine Verdoppelung des Stroms
aus erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2030 –, in Ge-
setze gegossen werden . Es müsste festgeschrieben wer-
den: 65 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien bis
zum Jahr 2030 . Aber Sie haben ja schon ein Gesetz ge-
macht, ein Gesetz zum Ausbremsen der erneuerbaren
Energien . Schauen wir einmal, was da drinsteht: Bis
zum Jahr 2035, also fünf Jahre später, soll ihr Anteil
55 Prozent betragen . – Jetzt versteht man, warum Sie
kein Klimaschutzgesetz machen wollen . Sie erstellen
einen unverbindlichen Klimaschutzplan, den Sie noch
nicht einmal rechtzeitig zur Konferenz in Marrakesch
fertigbekommen, um auf der internationalen Bühne wie-
der einmal schön winken zu können; in Ihren Gesetzen
schreiben Sie aber das Gegenteil fest . In Ihre Gesetze
schreiben Sie etwas völlig anderes als in Ihren eh schon
abgeschwächten Klimaschutzplan .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wirklich notwendig wäre es, den Ordnungsrahmen so
zu gestalten, dass die Verkehrswende klappt, dass wir in
Richtung null Emissionen im Bereich Verkehr kommen
und dass die Energiewende wieder angeschoben wird .
Wir müssen aus der Kohle herauskommen . Wir brauchen
eine Bürgerenergiewende . Was wir auch brauchen, ist
eine Wende in der Landwirtschaftspolitik . Das wäre auch






(A) (C)



(B) (D)


im Interesse der Landwirte, denen es unter dem jetzigen
Regime nicht besonders gut geht .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819902300

Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege

Frank Schwabe .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Schwabe sagt uns jetzt, wo Herr Gabriel ist! – Gegenruf der Abg . Dagmar Ziegler [SPD]: Der arbeitet! – Gegenruf der Abg . Katrin GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der arbeitet an der Verhinderung von allem!)



Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1819902400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Verehrte Damen und Herren! Dies ist eine Debatte zur
Klimakonferenz in Marrakesch . Deswegen will ich zu-
mindest einen Satz zur Konferenz in Marrakesch sagen
und zu dem, was in unserem Antrag dazu steht . Wir ha-
ben nämlich einiges in den Antrag geschrieben, was in
Marrakesch zu leisten ist; ich finde, das muss man ein-
mal würdigen . Vor allen Dingen haben wir aber – wie ich
glaube, zum ersten Mal in dieser Ausführlichkeit – die
menschenrechtliche Dimension des Klimaschutzes in ei-
nen Antrag aufgenommen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf der Abg . Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Man könnte sagen: Na klar, Klimaschutz hat automa-
tisch mit Menschenrechten zu tun, weil, wenn es keinen
Klimaschutz gibt, der Meeresspiegel steigt und die Men-
schen ihre Häuser und ihre Heimat verlieren . Das Pro-
blem ist aber, dass auch gut gemeinte Klimaschutzmaß-
nahmen oft problematische Begleiterscheinungen haben,
zum Beispiel im Bereich des Waldschutzes, beim Stau-
dammbau, beim Bau von Kraftwerken, aber auch beim
Bau von Windparks . Ich glaube, es ist wichtig, dass das
auf die internationale Tagesordnung kommt . In diesem
Bereich sind viele NGOs unterwegs . Dieser Antrag soll
Ermunterung und Rückenwind für die Bundesregierung
sein, dies zu einem besonderen Thema in Marrakesch zu
machen .

Wir reden über den Klimaschutzplan . Natürlich ist das
hochspannend .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das stimmt! Das ist hochspannend, was Sie in dieser Koalition machen!)


Ich finde es ja immer interessant, die Szenerie zu be-
trachten . Wir messen jetzt daran, ob der Klimaschutzplan
kommt oder nicht, ob wir in Marrakesch erfolgreich sein
werden oder nicht . Wir müssen begreifen: Das Vorliegen
solch eines Klimaschutzplans – darüber reden wir gera-
de – ist international keine Anforderung an uns . Wenn

wir einen Plan hinbekommen – ich bin sehr optimistisch,
dass wir das in dieser Woche noch schaffen –, leisten wir
mehr als viele andere Länder auf der Welt . Das ist, glaube
ich, die Wahrheit in der Debatte .

Die Ministerin hat deutlich gemacht: Deutschland ist
beim Thema Finanzen wirklich gut aufgestellt . Wir sind
bezüglich nationaler Klimaschutzpläne gut aufgestellt .
Wir unterstützen die Länder der Welt über die IKI, die
Internationale Klimaschutzinitiative, und anderes, und
wir sind auch auf einem guten Weg, das, was wir leisten,
messbar und vergleichbar mit anderen auf der Welt zu
machen . Auch da sind wir viel weiter als viele andere
Länder . Da sind wir noch mitten im Prozess .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819902500


Herr Kollege Schwabe, darf die Kollegin Göring-
Eckardt Ihnen eine Zwischenfrage stellen?


Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1819902600


Ja .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Schwabe, Sie haben gerade davon gesprochen,
dass Sie auf einem Weg sind, dass bis zum Ende der Wo-
che noch dieses oder jenes passiert . Mich wundert sehr,
dass jemand, der sich sehr engagiert hat, um vieles im
Klimaschutzplan zu verhindern, nämlich der Bundesmi-
nister und Vizekanzler Sigmar Gabriel, hier nicht anwe-
send ist . Ich frage Sie: Wie kommt es dazu? Entschuldigt
ist er nicht; das haben wir gerade überprüft . Er ist einfach
nicht da bei dieser so wichtigen Debatte, die ja – daran
werden auch Sie keinen Zweifel haben – auch sein Res-
sort sehr stark betrifft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1819902700


Man kann sich immer fragen, wer alles da ist und wer
nicht .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jemand, der zuständig ist!)


Ich würde mir wünschen, dass ganz viele da wären . Bei
der Union äußert sich immer Herr Fuchs ganz viel; auch
ihn sehe ich nicht . Es gibt die Kanzlerin, es gibt Herrn
Gabriel – Herr Hofreiter hat sie gerade alle aufgezählt –,
es gibt den Verkehrsminister, den Landwirtschaftsminis-
ter . Sie alle haben etwas mit dem Thema Klimaschutz zu
tun . Ich würde das so interpretieren, dass sie akzeptieren,
dass die Federführung bei der Umweltministerin ist, und
das eher als Rückenwind für sie verstehen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen der Abg . Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dr. Anton Hofreiter






(A) (C)



(B) (D)


Wir reden über einen Klimaschutzplan . Ich will deut-
lich sagen: Mit der Sozialdemokratischen Partei Deutsch-
lands hätte es auch ein Klimaschutzgesetz geben können .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach? Auch mit Herrn Gabriel?)


– Das hätte es auch mit Herrn Gabriel geben können . –
Das steht im Wahlprogramm der Sozialdemokraten . Im
Übrigen steht dort auch ein Ziel von minus 95 Prozent bis
2050 und vieles andere .


(Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt: Vieles andere!)


Das ist gemeinschaftlich beschlossen worden und gilt
entsprechend auch . Ich will sagen: Wenn Herr Fuchs
und – das habe ich gelesen – auch Ministerpräsident
Tillich öffentlich eine Beratung im Bundestag und im
Bundesrat fordern, dann unterstütze ich das . Das geht mit
der Sozialdemokratie sehr schnell .

Wir werden einen Klimaschutzplan bekommen, der in
der Tat nicht, wie vorgeworfen wird, Planwirtschaft be-
deutet, sondern planvolle Politik vorsieht, der versucht,
Wegstrecken und Wegmarken bis zum Jahr 2050, so wie
es aus heutiger Sicht absehbar ist, zu entwickeln und ent-
sprechende Leitplanken zu setzen . Das ist vorgegeben –
die Ministerin hat es gesagt – durch das, was in Paris be-
schlossen worden ist . Das ist nicht auf unserem eigenen
Mist gewachsen .

Wir werden einen Plan bekommen; davon gehe ich
aus . Er darf allerdings nicht substanzlos sein, sondern
muss wichtige Dinge enthalten . Das eine ist die Frage,
wie wir mit fossilen Energieträgern umgehen; dies ist zu
Recht vielfach gesagt worden . Dabei geht es gar nicht um
den Kohleausstieg allein . Das ist immer eine Art Sym-
bolthema . Natürlich ist völlig klar, dass wir die Klima-
schutzziele nicht erreichen können, ohne eine Idee davon
zu entwickeln, wie wir mit diesem Thema in Zukunft
umgehen . Das ist für diesen Klimaschutzplan eine Min-
destanforderung . Eine weitere Mindestanforderung ist,
dass wir die Ziele, die in Paris beschlossen wurden, na-
türlich auf Deutschland herunterbrechen . Wir müssen sie
auch auf die einzelnen Bereiche, auf die einzelnen Sekto-
ren herunterbrechen . Das funktioniert nicht, wenn wir in
Deutschland nicht zu den wichtigen Beschlüssen, die wir
in Paris gefasst haben, stehen und sich die Ministerien
davor drücken. Ich habe das hier schon häufiger gesagt:
Das ist, glaube ich, im Interesse des gesamten Hauses, im
Interesse aller Minister . Herrn Gabriel, aber auch Herrn
Schmidt und vielen anderen sollten wir mit auf den Weg
geben: Auch ihr seid dafür zuständig, dass Klimaschutz
in diesem Land gelingen kann .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es geht nicht um Schnelligkeit, sondern um Qualität .
Das hat Frau Hendricks deutlich gemacht . Sie steht dafür .
Sie war eben nicht bereit, irgendeinen unverbindlichen
Klimaschutzplan durchzuwinken .


(Zuruf der Abg . Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Machen Sie sich keine Sorgen; denn bei all dem hat sie
die volle Unterstützung der sozialdemokratischen Bun-
destagsfraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819902800

Niema Movassat erhält nun das Wort für die Fraktion

Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819902900

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt lei-

der immer noch Menschen, die den Klimawandel leug-
nen . Zu diesen gehört der nächste Präsident der USA .
Das ist unfassbar . Aber unfassbar ist auch, wenn man
zwar, wie die Bundesregierung, die menschliche Ver-
antwortung für den Klimawandel anerkennt, aber nicht
danach handelt . Dass Herr Gabriel den Klimaschutzplan
von Frau Hendricks blockiert, zeigt doch: Diese Bundes-
regierung redet bei internationalen Konferenzen wie G 7
gerne über die Rettung der Welt; doch sie will möglichst
nichts dafür tun . Das ist verantwortungslos .


(Beifall bei der LINKEN)


Völlig inakzeptabel ist es zudem, wenn die Bundesregie-
rung Menschen, denen im wahrsten Sinne des Wortes das
Wasser bis zum Hals steht, das Recht abspricht, nach Eu-
ropa zu kommen . Das ist so, als ob man aus Versehen das
Nachbarhaus in Brand steckt und danach dem obdachlo-
sen Nachbarn die Türe vor der Nase zuschlägt . Das ist
verwerflich; denn wir tragen Mitschuld daran, dass vor
allem afrikanische Länder heute mit immer extremerem
Klima kämpfen müssen .

Das Wetterphänomen El Niño hat in diesem Jahr die
Existenz von 40 Millionen Menschen im südlichen Afri-
ka bedroht, weil Ernten ausfielen. Küstengebiete und In-
seln gehen weltweit unter . Die Vereinten Nationen schät-
zen, dass bis 2050 bis zu 350 Millionen Menschen wegen
des steigenden Meeresspiegels, wegen der zunehmenden
Wüstenbildung und wegen der Wetterextreme fliehen
werden . Das trifft vor allem Menschen, die schon in bit-
terster Armut leben .

Wer den Klimawandel nicht leugnet, muss anerken-
nen, dass auch Deutschlands Industrialisierung und unser
Lebensstil einen großen Anteil an dieser Entwicklung ha-
ben . Es ist unsere Autoindustrie, die seit Jahrzenten wi-
der besseres Wissen viel zu leistungsstarke Motoren ver-
baut und Abgaswerte manipuliert . Uns ist es wichtiger,
mit 220 Stundenkilometern über die Autobahn brettern
zu können, statt ernsthafte CO2-Grenzen zu setzen und
konsequent auf die Schiene umzusteigen .


(Beifall bei der LINKEN)


Uns ist es wichtig, möglichst viele möglichst billige
Konsumgüter verbrauchen zu können, obwohl der dafür
erforderliche Rohstoffabbau den Klimawandel befeuert
und die Lebensgrundlagen der Menschen in den Ent-
wicklungsländern ruiniert .

Frank Schwabe






(A) (C)



(B) (D)


Wer den Klimawandel verursacht, darf den Leidtra-
genden nicht die Türe vor der Nase zuschlagen . Deshalb
sagen wir Linke, dass wir endlich eine völkerrechtliche
Anerkennung von Klimaflüchtlingen brauchen. Wer we-
gen des Klimawandels fliehen muss, verdient Schutz.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Realität aber ist, dass die Bundesregierung nicht nur
nichts tut, um Klimaflüchtlinge anzuerkennen. Vielmehr
bezahlt sie im Rahmen der EU sogar afrikanische Dikta-
toren dafür, Flüchtende zu stoppen . Die Menschenrechte
sind da egal . Das ist eine moralische Bankrotterklärung .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesregierung muss endlich aufhören, sich
beim Klimaschutz selbst im Weg zu stehen und immer
wieder vor der Industrielobby einzuknicken . Verhindern
Sie, dass noch mehr Menschen wegen des Klimawandels
fliehen müssen, und helfen Sie denen, die ihre Lebens-
grundlagen deswegen schon verloren haben!

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819903000

Anja Weisgerber ist die nächste Rednerin für die Frak-

tion der CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1819903100

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Das Thema der heutigen Debatte lautet: „Kli-
makonferenz von Marrakesch“ . Deswegen möchte ich in
meiner Rede den Schwerpunkt genau darauf legen .

Am 4 . November dieses Jahres ist das Paris-Abkom-
men – rechtzeitig vor der Wahl in den Vereinigten Staa-
ten – in Kraft getreten . In der Woche darauf hat die erste
Vertragsstaatenkonferenz des Pariser Abkommens statt-
gefunden . Auch Deutschland hat mit seiner schnellen
Ratifizierung darauf hingewirkt, dass dies möglich ge-
worden ist . So schnell wurde ein multinationaler Vertrag
noch nie ratifiziert. Das ist der zweite wichtige Erfolg
nach Paris .


(Beifall bei der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So schnell, dass Sie gar nicht wissen, was drinsteht!)


Die Vertragsstaaten haben anerkannt: Die Bekämpfung
des Klimawandels ist eine globale Herausforderung, die
wir nur gemeinsam bewältigen können . Die Stimmung
in der Welt hat sich durch den Prozess bis zur Klimakon-
ferenz in Paris geändert . Jeder einzelne Staat der Welt ist
bereit, seinen eigenen Klimaschutzbeitrag zu leisten .

Erst diese Woche hatte ich ein Treffen mit dem chi-
lenischen Umweltminister . Auch sein Land hat verstan-
den, dass Chile einen Beitrag leisten muss, und wichtige
Weichenstellungen vorgenommen, um zum Beispiel den
Ausbau der erneuerbaren Energien zu schaffen und mehr
erneuerbare Energien einzusetzen . Das ist nur ein Bei-

spiel . Alle sind mit an Bord . Wir haben den Paradigmen-
wechsel geschafft, und das ist gut so, meine Damen und
Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich ist es immens wichtig, dass wir als Indust-
rienation einen ambitionierten Beitrag leisten . Da werden
wir auch liefern, und wir liefern bereits .

Bei all den Diskussionen über nationale Maßnahmen
müssen wir uns aber eines immer wieder vor Augen
führen: Deutschland ist nur für 2,4 Prozent der globalen
Treibhausgasemissionen verantwortlich, China zum Bei-
spiel für 28 Prozent und die USA für 16 Prozent .


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was heißt das jetzt?)


Deswegen sage ich: Wir alleine können das Klima nicht
retten . Wir sind Schrittmacher und müssen auch Schritt-
macher sein, aber wir brauchen auch die anderen Staaten
dieser Welt .

Deswegen haben die Regierungsfraktionen einen An-
trag vorgelegt, der sich auf alle Ebenen bezieht, auf die
internationale, auf die europäische und auf die nationale
Ebene . Wie jedes Jahr formulieren wir auch in diesem
Antrag unsere Forderungen in Bezug auf die Verhandlun-
gen der COP 22 . Wir im Bundestag haben unsere Haus-
aufgaben also gemacht, und das ist gut so .

Das Motto der Klimakonferenz in Marrakesch lautet
„Action and Implementation“, also „Handeln und Um-
setzen“ . Die Vertragsstaaten wollen dort einen konkre-
ten Fahrplan festlegen . In Paris hat man die nationalen
Klimabeiträge vorgelegt, jetzt geht es darum – auch das
ist immens wichtig –, wie diese gemessen, gemeldet und
überprüft werden . Wir haben uns immer für diesen Über-
prüfungsmechanismus starkgemacht .

Es geht aber in erster Linie um technische Details, und
das ist auch gut so; denn die Staaten, die noch nicht rati-
fiziert haben, können nicht mitbeschließen. Man will sie
nicht vor den Kopf stoßen und deshalb weiter gehende
Beschlüsse erst fassen, wenn alle an Bord sind . Das ist
der Geist, das Momentum von Paris . Dies nutzen wir .
Wir müssen diesen gemeinsamen Willen zum Kampf ge-
gen die Erderwärmung aufrechterhalten und alle Staaten
in diesem Prozess mitnehmen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg . Frank Schwabe [SPD])


Wir wollen, dass die Staaten, die das nicht aus eigener
Kraft schaffen, entsprechend unterstützt werden, Klima-
schutz zu betreiben und sich an den Klimawandel anzu-
passen .

In Paris haben die Industrieländer ihre Zusage be-
stätigt, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar aus
privaten und öffentlichen Quellen zu mobilisieren . Wir
fordern in unserem Antrag, dass die Industrieländer einen
genauen Aufwuchspfad zur Zielerreichung vorlegen und
dass auch – die Ministerin hat es erwähnt – private Mittel
mobilisiert werden, um dies am Ende auch zu schaffen .
Wir setzen darauf, dass es gelingt, diesen Topf zu füllen .
Hierzu haben wir mit 750 Millionen Euro zur Erstauffül-

Niema Movassat






(A) (C)



(B) (D)


lung des Grünen Klimafonds beigetragen . Damit waren
wir die Ersten, die die Zusage gemacht und Geld bereit-
gestellt haben .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deutschland beteiligt sich vor allem durch das BMZ,
das Entwicklungshilfeministerium, in hohem Maße an
der Klimafinanzierung. Mit der Initiative „Erneuerbare
Energien für Afrika“ stellen wir 3 Milliarden Euro für
weitere 10 Gigawatt an erneuerbaren Energien dort zur
Verfügung . 150 Millionen Euro investiert das BMZ in
die Klimarisikoversicherung . Das ist ein weiterer wichti-
ger Punkt . Das Ziel ist, weitere 180 Millionen Menschen
abzusichern und damit vor den Folgen des Klimawandels
zu schützen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist wahrlich kein Pappenstiel und zeigt, dass
Deutschland seine finanzielle Verantwortung für den in-
ternationalen Klimaschutz auch wahrnimmt .

Die finanzielle Unterstützung ist die eine Sache, die
andere Sache ist die Hilfe zur Selbsthilfe . Wir teilen un-
sere Erfahrungen mit anderen Ländern, insbesondere mit
den Ländern, die gerade erst mit dem Klimaschutz anfan-
gen . Ein Leuchtturmprojekt, das bereits von der Ministe-
rin genannt wurde, sind die sogenannten NDC-Partner-
schaften mit den Entwicklungsländern . Diese Initiative
des Entwicklungshilfeministeriums und des Umweltmi-
nisteriums hilft ärmeren Ländern dabei, Strategien zu
entwickeln, um ihre Klimaziele durch entsprechende
Maßnahmen zu erreichen und am Ende das zu schaffen,
was sie sich selbst vorgenommen haben . Dazu sollen zum
Beispiel Anlaufstellen aufgebaut werden, die Informatio-
nen zu Fragen der Landwirtschaft, des Verkehrs und der
erneuerbaren Energien bereithalten . Ich begrüße es sehr,
dass die Ministerin angekündigt hat, dass in Marrakesch
der offizielle Startschuss für diese NDC-Partnerschaften
gegeben wird . In unserem Antrag fordern wir zu diesem
Thema außerdem, dass in Marrakesch für diese Initiative
geworben wird, sodass auch andere Industrieländer dafür
gewonnen werden können und sich ihr anschließen .

Das war die internationale Ebene . Jetzt zur europäi-
schen Ebene . Herzstück ist der Emissionshandel . Dieser
Emissionshandel wird durch eine weitere Reform ge-
stärkt und verschärft . Er ist ein marktwirtschaftliches In-
strument, das kosteneffizient ist und Emissionen einspart.
Deshalb fordern wir auch in unserem Antrag, dass andere
Staaten beim Ausbau solcher Emissionsbepreisungssys-
teme unterstützt werden . Das Ziel muss die Vernetzung
der bestehenden und der geplanten Emissionshandels-
systeme sein, um damit dann langfristig einen globalen
Kohlenstoffmarkt zu errichten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nun zur nationalen Ebene – sicherlich haben Sie da-
rauf schon gewartet . Ja, auch da nimmt Deutschland
seine Verantwortung wahr . Wir machen uns nicht an die
Arbeit, sondern wir arbeiten, und dies schon seit Jahren .
Wir haben ein ambitioniertes Klimaziel von 40 Prozent
Treibhausgasreduktion bis 2020, und wir haben ein Ak-

tionsprogramm Klimaschutz – darüber wird überhaupt
nicht mehr geredet –,


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


mit dem wir die prognostizierte Lücke bis zur Erreichung
dieses Ziels schließen werden . Wir haben das Abkom-
men von Paris ratifiziert und durch diese schnelle Rati-
fizierung auch darauf hingewirkt, dass die Europäische
Union ebenso schnell ratifiziert hat.

Wir stellen – ich habe es erwähnt – umfangreiche Mit-
tel zur Klimafinanzierung zur Verfügung, national und
international . Allein das Entwicklungshilfeministerium
hat die Leistungen in den letzten zehn Jahren auf knapp
2 Milliarden Euro vervierfacht .

Außerdem, meine Damen und Herren, wollen wir eine
Klimaschutzpolitik, die sich ambitionierte Ziele setzt .
Diese Ziele müssen aber auch erreichbar sein . Bei allen
Maßnahmen müssen wir auch die Auswirkungen auf die
Wirtschaftskraft, auf die Wettbewerbsfähigkeit und da-
mit auch auf die Arbeitsplätze beachten .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!)


Ein Klimaschutzplan, der Festlegungen für die kommen-
den Jahrzehnte trifft, muss auch gut überlegt sein .

Als Klimapolitikerin begrüße auch ich ausdrücklich
die Ankündigung, dass bis Ende der Woche eine Eini-
gung zu diesem Klimaschutzplan vorliegen soll .


(Beifall bei der CDU/CSU)


An dieser Stelle möchte ich als CSU-Politikerin ebenfalls
erwähnen, dass auch die CSU-Ressorts kritisch-konst-
ruktiv mitgearbeitet haben und Minister Schmidt diese
Woche als Erster die Einigung der Ressorts verkündet
hat .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Konstruktiv, die CSU? Da müssen Sie ja selber lachen! Ja, ich sehe es!)


Meine Damen und Herren, alle Staaten um uns herum
haben sich kurz- und mittelfristige Ziele gesetzt . Kein
anderes Land in Europa geht derzeit so weit und setzt
Leitplanken bis zum Jahr 2050 . Nach dem Abkommen
von Paris haben sich die G-7-Staaten vorgenommen, bis
2018 solche langfristigen Ziele vorzulegen . Wir sind also
auch hier wieder Vorreiter, wenn diese Einigung kommt .
Auch das muss man an dieser Stelle einmal sagen .

Jetzt betone ich noch Folgendes: Wenn wir so weitge-
hende Pläne machen, dann muss dieser Plan technologie-
und innovationsoffen sein, auch im Bereich des Verkehrs,


(Beifall der Abg . Marie-Luise Dött [CDU/ CSU] dann müssen wir mit jedem Euro, den wir einsetzen, am Ende die maximale Klimaschutzleistung erreichen, und dann brauchen wir nicht zuletzt die Akzeptanz der Menschen . Deshalb müssen wir die Menschen mitnehmen, wir müssen Strukturbrüche verhindern und letztendlich den Strukturwandel als Chance gestalten . Wir brauchen außerdem mehr Anreize statt Verbote . Deshalb werde ich Dr. Anja Weisgerber nicht müde, zu fordern, dass wir uns wieder auf den Weg machen müssen, um die steuerliche Förderung der energetischen Gebäudesanierung zu erreichen . Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Ende . Alle Ebenen von der internationalen über die europäische bis zur nationalen Ebene müssen zum Klimaschutz beitragen . Unsere Forderungen haben wir in unserem Antrag klar formuliert . Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung sich neben dem Klimaaktionsprogramm, das wir schon umsetzen, auch auf einen ambitionierten, aber ausgewogenen Klimaschutzplan einigt . Lassen Sie uns gemeinsam beherzt und selbstbewusst nach Marrakesch fahren . Vielen Dank . Vielen Dank, Frau Kollegin Weisgerber . Einen schönen guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die nächste Rednerin: Annalena Baerbock für Bündnis 90/Die Grünen . Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)





(A) (C)


(B) (D)


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819903200

Schönen guten Morgen! Frau Präsidentin! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen!


(Zurufe: Guten Morgen!)


– Schönen guten Morgen! – Liebe Frau Hendricks, Sie
können einem schon ein bisschen leidtun, wenn Sie das
klimapolitische Desaster dieser Bundesregierung am
Anfang dieser Debatte auch noch schönreden . Es wäre
ja „noch schöner“ gewesen, wenn Sie nach Marrakesch
fahren und die Klimafinanzierung, für die Sie sich hier
so gepriesen haben, auch einstellen würden . Es ist doch
eine Selbstverständlichkeit, dass in Marrakesch die wei-
tere Klimafinanzierung zugesagt wird. Dafür brauchen
wir uns hier nicht auf die Schulter zu klopfen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


By the way, hier sitzen ja auch ein paar Leute, die tie-
fer in diesem Thema drin sind als diese Lautsprecher von
der Union .


(Dr . Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Sie sind der Lautsprecher!)


Ein Blick in den nationalen Haushalt zeigt, dass die Kli-
mafinanzierung nicht gesichert ist. Dann haben wir da
noch genauso Probleme, weil es eine Doppelanrechnung
zwischen der Entwicklungspolitik, der Flüchtlingspolitik
und der Klimaschutzpolitik gibt . Auch hier sollte man
einmal die Kirche im Dorf lassen, sehr verehrte Damen
und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine wichtige Sache haben Sie im zweiten Teil Ihrer
Rede sogar selber gesagt: Mit Geld allein werden wir das
Klima eben nicht retten können . – Für diejenigen, die

jetzt leider alle nicht da sind: Auch das ist das Traurige an
dieser Debatte, dass so viele von Ihnen nicht da sind, wie
Herr Fuchs, der groß tönt, er würde den Klimaschutz-
plan gerne im Parlament diskutieren . Wo war denn Herr
Fuchs bei den Anhörungen im Wirtschaftsausschuss? Wo
war denn Herr Fuchs bei den Anhörungen im Umwelt-
ausschuss? Wo ist denn Herr Fuchs jetzt, oder wo ist er in
den letzten drei Jahren gewesen?

In dem Klimaschutzvertrag, den wir in Paris ratifiziert
haben, steht eben nicht: Schaut mal, was ihr für die ärms-
ten der Länder weltweit machen könnt . – Nein, in diesem
Klimaschutzvertrag steht in Artikel 3 – ich lese das jetzt
hier einmal vor, weil offensichtlich fast niemand Ahnung
von diesem Vertrag hat –: Jedes Land muss „national
festgelegte Beiträge“ liefern . Diese werden im Laufe
der Zeit überprüft und müssen sich jährlich steigern, und
sie sollen übermittelt werden . Genau das ist der Klima-
schutzplan .

Jetzt sagen Sie: Ach Gott! Eigentlich steht ja in dem
Vertrag „bis 2018“ . – Ja, aber wir hören Ihnen sehr genau
zu . Auch wir wollen, dass Deutschland einen guten Ein-
druck macht . Sie haben in Paris versprochen: Deutsch-
land geht voran . Sie haben gesagt: Im Jahr 2016 werden
wir als Erste einen nationalen Klimaschutzplan vorlegen .
Wir werden ganz vorne mit dabei sein .


(Dr . Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Sind wir auch!)


Deswegen ist es ein absolutes Desaster, dass Sie das nicht
hinbekommen haben und uns in Marrakesch absolut bla-
mieren werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Da helfen Ihnen auch die 100 Milliarden US-Dollar für
die internationale Klimaschutzfinanzierung wenig weiter.

Kommen wir zum Inhalt . Ein Plan allein reicht eben
nicht, auch wenn Sie jetzt sagen: Wir schreiben jetzt
irgendetwas auf, sodass in Marrakesch gesagt werden
kann, wir haben etwas mitgebracht . – Nein . Schauen wir
uns das einmal an . Was richtig gut war, sind die Sek-
torziele . Deswegen ist Herr Gabriel jetzt auf den Bäu-
men . Aber außer den Sektorzielen ist doch nichts mehr .
Verbindlicher Klimaschutz bis 2050 – das stand einmal
drin –: gestrichen; Abbau umwelt- und klimaschädlicher
Subventionen: gestrichen; Reduzierung klimagefährli-
cher Massentierhaltung: gestrichen; Förderung klimaf-
reundlicher Mobilität – es geht hier nicht um Verbote,
liebe Kollegen von der Union, sondern um Förderung
klimafreundlicher Mobilität –: gestrichen . Meine sehr
verehrten Damen und Herren, ich kann Ihnen eins sagen:
Klimaschutz ohne einen verbindlichen Kohleausstieg,
das ist wie Blumengießen ohne Wasser . Das funktioniert
einfach nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Dann, Frau Weisgerber, sagen Sie: Warum redet ei-
gentlich niemand mehr über das Aktionsprogramm Kli-
maschutz 2020? Wir wollten Ihnen die Diskussion darü-

Dr. Anja Weisgerber






(A) (C)



(B) (D)


ber ersparen, weil Frau Hendricks selbst gesagt hat: Wir
werden die Ziele krachend verfehlen .


(Dr . Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht! Der Staatssekretär hat es bestätigt!)


Wenn Sie es in diesem Jahr nicht schaffen, den Kohleaus-
stieg zu beschließen, dann werden wir die Ziele krachend
verfehlen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Man kann die Schuld aber nicht allein bei der CDU/
CSU abladen . Ich meine, dazu, dass Herr Gabriel diesen
Plan am Ende abgeschossen hat und die Blinden in der
Union rechts überholt hat, kann man nur sagen: Armes
Deutschland! Arme SPD, meine sehr verehrten Kollegen
von der SPD!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819903300

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir hatten gehofft – ich komme zum Schluss –, dass
Herr Gabriel nach seiner Reise nach China verstanden
hat, dass andere Länder sonst an uns vorbeiziehen . Kli-
maschutz ist nichts anderes als ein Modernisierungs-
programm für Industrien, die von den fossilen Energien
schrittweise wegkommen müssen . Deswegen ist es nicht
nur im Sinne unserer Kinder und Kindeskinder, sondern
gerade auch im Sinne der deutschen Wirtschaft, endlich
zu begreifen, dass die Zukunft begonnen hat . In Marra-
kesch werden sich alle Staaten daranmachen, dies noch
einmal aufzuschreiben . Wir hoffen: Danach haben Sie es
endlich verstanden .

Herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819903400

Vielen Dank, Annalena Baerbock . – Wir hier oben ha-

ben uns gerade bildlich vorgestellt, wie der Baum wohl
aussieht, auf den Herr Gabriel steigt .

Nächste Rednerin in der Debatte: Dr . Nina Scheer für
die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Nina Scheer (SPD):
Rede ID: ID1819903500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Ich möchte mit einem ganz herzlichen
Dank an unsere Bundesumweltministerin beginnen, die,
wie ich finde, in der Bundesregierung hervorragende Ar-
beit macht .


(Beifall bei der SPD)


Ich kann verstehen, dass jetzt vonseiten der Opposi-
tion darauf abgestellt wird, was an den letzten Abenden
dieser Woche geschehen ist – das ist, glaube ich, auch
Ihre Aufgabe –, aber man muss auch akzeptieren, dass
die Verhandlungen noch nicht abgeschlossen sind und
dass es mit dem Klimaschutzplan sehr wohl weitergeht .
Deswegen finde ich es nicht fair und auch nicht reali-
tätsgetreu, Richtung Öffentlichkeit so zu tun, als ob die-
ser Klimaschutzplan inzwischen im Mülleimer gelandet
wäre . Das ist mitnichten der Fall, und das wissen Sie
auch .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben recht! Er ist im Ministerium von Herrn Gabriel gelandet!)


Ich möchte jetzt auf unseren Antrag zu Marrakesch
eingehen – er ist schon an einigen Stellen von meinen
Vorrednern erwähnt worden –, der heute auf der Tages-
ordnung steht . Auch wenn ich meinerseits ebenfalls nicht
den Druck vom Kessel nehmen möchte, dass wir den
Klimaschutzplan noch in trockene Tücher bekommen,
muss doch gesehen werden, dass unsere Bundesum-
weltministerin auch unseren Antrag, über den wir heute
entscheiden, im Gepäck haben wird . Dieser Antrag sagt
zwar nicht auf Heller und Pfennig genau, was von heu-
te auf morgen mit welchem politischen Hebel umgesetzt
werden soll; er zeigt aber ganz klare Wege auf, in wel-
cher Form wir politisch aufgefordert sind, auf allen Ebe-
nen – der internationalen, der europäischen, aber auch
der nationalen Ebene – tätig zu werden . Insofern ist darin
auch richtigerweise und schwarz auf weiß enthalten, dass
wir den Umstieg auf erneuerbare Energien brauchen . Das
ist ganz klar darin enthalten . Deswegen muss man den
Willen der Großen Koalition, die das mit diesem Antrag
verbrieft hat, auch nicht immer wieder infrage stellen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen natürlich darauf achten, dass das dann
entsprechend umgesetzt wird . Insofern muss man auch
erkennen, dass die Entwicklung sehr schnelllebig ist . Im
Kontext der derzeitigen Diskussion etwa über die Sek-
torenkopplung müssen wir, da es um die Energiewende
nicht nur bei Strom, sondern auch bei Wärme und Mobi-
lität geht, sehen, dass wir nicht allein über die Ausbau-
zahlen, die wir für den Stromsektor definiert haben und
die ich persönlich in der Obergrenze immer für kritisch
gehalten habe, ans Ziel kommen . Insofern gab es in die-
sem Bereich innerhalb von wenigen Monaten eine ent-
scheidende Weiterentwicklung in der öffentlichen Dis-
kussion .

Ich erwarte, dass wir das auch weiterhin zur politi-
schen Umsetzung bringen . Mit den genannten Schlag-
worten zur Sektorenkopplung möchte ich das an dieser
Stelle so stehen lassen .


(Beifall bei der SPD)


Ein weiterer Punkt, der in dem Antrag zu Marrakesch
enthalten ist, ist, finde ich, auch ein neuer Schritt in der
Diskussion . In dem Antrag ist nicht nur von Emissions-
handelssystemen die Rede, sondern auch von Emissions-

Annalena Baerbock






(A) (C)



(B) (D)


bepreisungssystemen . Das ist ein entscheidender Unter-
schied .

Ich finde, man muss es auch ernst nehmen, dass wir
uns in der Großen Koalition darauf geeinigt haben, dass
es jetzt um Energiebepreisungssysteme geht, für die wir
uns international einsetzen. Das findet sich unter den ge-
forderten Maßnahmen auf internationaler Ebene . Es ist
aber auch klar, dass wir uns nicht nur auf internationaler
Ebene, sondern auch auf europäischer Ebene wie auch
in Deutschland dafür einsetzen müssen, zu einer Beprei-
sungspolitik zu kommen; denn daraus ergeben sich ge-
nau die Anreize, von denen die Rede war . Natürlich steht
die SPD für genau diese Anreize . Ich sehe die Aussage,
eine Verbotspartei zu sein, auch nicht an uns gerichtet .
Wir sind nämlich auf Anreize angewiesen . Wir müssen
die Wirtschaft ankurbeln, die in diesem Sektor verwur-
zelt ist . Nicht von ungefähr wurde inzwischen – zum Bei-
spiel nach den neuesten Meldungen aus Frankfurt – im
Kontext von Green Finance – auch dies wird übrigens in
unserem Marrakesch-Antrag gefordert – eine erste Börse
für grüne Wertpapiere geschaffen .

Insofern müssen wir noch besser werden, und ich den-
ke, wir sind angesichts der beginnenden Energiewende
auf einem guten Weg . Wir müssen erkennen, welche
Chancen auch wirtschaftspolitischer Art wir in diesem
Bereich haben . Wir haben enorme Chancen . In diesem
Bereich sind über 400 000 Arbeitsplätze entstanden . Wir
müssen jetzt schauen, dass das in die anderen Bereiche
der Energiewirtschaft übertragen wird . Das ist der zen-
trale Bereich des Klimaschutzes .

Ich bin am Ende meiner Redezeit angelangt . Deshalb
verzichte ich darauf, die Zahlen anzuführen, welche
Weltmarktanteile Deutschland da im Einzelnen hat . Die
Zahlen zeigen ganz klar: Die Zukunft liegt in der nach-
haltigen Wirtschaft und in den entsprechenden Technolo-
gien, und da müssen wir hin .

Ich als Sozialdemokratin sehe das als eine Gerechtig-
keitsfrage an . Denn unseren Planeten gibt es nur einmal .
Klimaschutz ist Umweltgerechtigkeit, ist Lebensgrund-
lagengerechtigkeit . Insofern setze ich darauf, dass wir
mit diesen Vorgaben weiterhin die Energiewende als we-
sentlichen Bestandteil des Klimaschutzes voranbringen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819903600

Vielen Dank, Nina Scheer . – Der letzte Redner in der

Debatte: Peter Stein für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Stein (CDU):
Rede ID: ID1819903700

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Klimaab-
kommen von Paris war historisch . Ich glaube, dass sich
heute viele genauso wie ich mich fragen, wohin die Zeit
ist, wo das Jahr seit der Klimakonferenz von Paris ge-
blieben ist . Nun geht es schon um die COP 22 in Marra-

kesch . In diesem Jahr ist unglaublich viel passiert . Das
erklärt wahrscheinlich, warum uns dieser Zeitraum so
unglaublich kurz vorkommt . Es ist nicht so, dass nichts
passiert ist . Das Wichtigste, was von Paris ausgegangen
ist, sind die Regeln, die wir uns gegeben haben . Es geht
um Transparenz, An- und Abrechnung, Berichterstattung
und – ganz wichtig – Überprüfbarkeit der gemeinsam
vereinbarten Ziele . Bis 2018 soll überprüft werden . Es
ist vereinbart, das in Marrakesch noch einmal zu unter-
streichen .

Schauen wir auf Deutschland . Einiges wurde schon
gesagt . Der Koalition und der Regierung ist jedenfalls
klar, dass Klimaschutz und wirtschaftliche Entwicklung
weder in Deutschland noch in der Welt ein Gegensatz sein
dürfen . Beides muss Hand in Hand gehen . Klimaschutz
gegen die Wirtschaft schadet beiden und bringt uns im
Ergebnis nicht dorthin, wohin wir wollen . Der Staat – das
sind in diesem Fall wir – muss die Rahmenbedingungen
schaffen und klare Regeln aufstellen . Die Aufgabe, die
wir uns gestellt haben, ist ohne das Einbinden der Privat-
wirtschaft nicht zu lösen . Zu den Rahmenbedingungen
gehört beispielsweise der Klimaschutzplan, der vorgelegt
werden wird . Wir dürfen schon allein aus Gründen der
Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und des
Wirtschaftsstandorts Deutschland den Klimaschutz nicht
ausblenden . Er muss im Kontext betrachtet werden . Es
liegt im ureigenen Interesse der deutschen Wirtschaft,
dass wir den Klimaschutz vorrangig unterstützen und
entsprechende Rahmenbedingungen schaffen . Der Kli-
maschutz muss auch vonseiten der deutschen Wirtschaft
unterstützt werden . Entsprechende Signale sind deutlich
zu verspüren . Dass wir in der Ressortabstimmung an
einen Punkt gelangt sind, an dem es verschiedene Mei-
nungen über die Ausgestaltung und die Tiefe bestimmter
Aussagen gibt, ist besser zu verstehen, wenn man das in
diesen Kontext stellt . Ich bitte an dieser Stelle die Op-
position, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Ziele, die
wir uns gesetzt haben, nur zu erreichen sind, wenn ein
Klimaschutzplan aufgestellt wird, der auch umsetzbar
ist . Dazu gehört, alle gesellschaftlichen Gruppierungen
einschließlich der deutschen Wirtschaft mitzunehmen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Dass wir uns in unserem vorliegenden Antrag zur
Unterstützung des Prozesses nach Marrakesch nicht in
Details ergehen, hängt damit zusammen, dass bereits
ein unglaublich großes Maßnahmenbündel beschlossen
wurde . Es ist nicht nötig, erneut alle Maßnahmen einzeln
aufzuführen . Es ist wichtig, dass dieser Antrag nicht ein
schlichtes Auflisten von Maßnahmen, sondern eine Un-
terstützung für die beiden Vertreter der Bundesregierung,
Bundesminister Müller und Bundesministerin Hendricks,
auf ihrem Weg nach Marrakesch darstellt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich begrüße unter dem Aspekt der Entwicklungszusam-
menarbeit – ich bin Mitglied des AwZ –, dass in unserem
Antrag der globale Ansatz so deutlich hervorgehoben
wird . Ich bedanke mich bei Ministerin Hendricks, dass
sie den globalen partnerschaftlichen Ansatz ausdrücklich

Dr. Nina Scheer






(A) (C)



(B) (D)


erwähnt hat . Es ist gut, dass beide Ministerien in Marra-
kesch vertreten sind .

Klar ist, dass wir im Bereich der Entwicklungszu-
sammenarbeit in Solidarität mit den Menschen, die von
klimatischen Auswirkungen betroffen sind – das wurde
heute schon in einigen Reden deutlich gemacht –, über
die Bereiche Minderung, Anpassung und Resilienz re-
den und die Entwicklungsländer in ihren Anstrengungen
unterstützen . Wir wollen zusammen mit unseren Durch-
führungsorganisationen wie der GIZ, der KfW, der DEG
und den Entwicklungsbanken Projekte und Programme
entwickeln . Wir müssen auch die Entwicklungsbanken
unterstützen und ihnen weiterhin den Freiraum geben,
in der Entwicklungszusammenarbeit, bei der Finanzie-
rung klimapolitischer Maßnahmen, der Umsetzung von
Klimaprojekten sowie bei Minderung, Anpassung und
Resilienz zum Schutz der Bevölkerung aktiv zu sein,
damit nicht das passiert, was vielleicht schon in einigen
Regionen der Erde nicht mehr zu verhindern ist, näm-
lich dass zu viele Menschen aufgrund des Klimawandels
ihre Heimat verlieren oder dass die Ernährungssicherheit
nicht mehr gewährleistet ist . Gerade die Arbeit in einem
Bereich wie Ernährung macht einen erheblichen Anteil
der Entwicklungszusammenarbeit aus . Trinkwasser ist
ein Thema; Bewässerung ist ein Thema . Auch das The-
ma Gesundheit spielt dabei natürlich eine Rolle . All das
ist im Portfolio der EZ .

Ich freue mich darüber, dass an dieser Stelle klar-
gestellt werden kann, dass die Haushaltsmittel, die das
BMZ in den letzten Jahren an Aufwuchs bekommen hat,
zu einem erheblichen Teil gerade in diese Bereiche in-
vestiert werden . Das BMZ ist einer der größten Klima-
finanzierer innerhalb Europas. Ich glaube, es ist das am
besten ausgestattete Ressort der Bundesregierung, was
Klimafinanzierung angeht. Ich kann nur sagen: Wenn
ich mir Projekte in der Welt anschaue, ob es Bewässe-
rungsprojekte oder Resilienzprojekte sind, stelle ich fest:
Das sind alles gute Projekte, die in den letzten zwei, drei
Jahren noch einmal hervorgehoben und auch bearbeitet
worden sind . Daher richte ich an dieser Stelle einen recht
herzlichen Dank an das BMZ dafür, was in dieser Zeit
geleistet worden ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der letzte Bereich, den ich an dieser Stelle noch her-
vorheben möchte – auch der Kollege Schwabe hat ihn
schon hervorgehoben –, sind die Menschenrechte . Ich
glaube, es ist ein ganz wichtiger Aspekt, dass wir im
Zusammenhang mit Klimaveränderungen, aber auch im
Zusammenwirken mit partnerschaftlichen Projekten und
Programmen in der Welt gerade das Thema Menschen-
rechte immer mit im Gepäck haben . Ich glaube, die deut-
sche Bundeskanzlerin ist die Letzte, der man vorwerfen
kann, dieses Thema nicht immer wieder anzusprechen
und deutlich zu machen . Wir können froh sein, dass wir
in der Regierungsführung, angefangen bei der Kanzlerin
über die zuständigen Minister, gestandene Leute haben,
die dazu in der Welt immer wieder klar Position bezie-

hen . Das ist es allemal wert, hier im Parlament, auch mit
diesem Antrag, unterstützt zu werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Abschließend möchte ich sagen, dass ich natürlich um
Zustimmung für unseren Antrag bitte . Aber ich möchte,
um die Kritik, die hier zur Art und Weise der Erarbeitung
des Klimaschutzplanes vorgetragen worden ist, ein biss-
chen einzufangen, auch sagen: Der Klimaschutzplan ist
uns allen zu wichtig, um ihn von einem einzigen Termin
abhängig zu machen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geht auch gar nicht!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819903800

Vielen Dank, Peter Stein . – Damit schließe ich die

Aussprache .

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksa-
che 18/10238 mit dem Titel „Klimakonferenz von Mar-
rakesch – Pariser Klimaabkommen auf allen Ebenen vo-
rantreiben“ . Wer stimmt für den Antrag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthält sich jemand? – Nein . Der Antrag ist
angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD,
dagegen waren Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .

Abstimmung über den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/10242 mit dem Titel „Pariser Welt-
klimavertrag auf der UN-Klimakonferenz in Marrakesch
in Gang bringen – Dekarbonisierung in Deutschland
beschleunigen“ . Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist ab-
gelehnt . Zugestimmt hat die Linke, dagegen waren CDU/
CSU und SPD, und enthalten haben sich Bündnis 90/Die
Grünen .

Zusatzpunkt 3 . Abstimmung über den Antrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/10249
mit dem Titel „Klimaschutz entscheidend voranbringen“ .
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Antrag ist abgelehnt . Zugestimmt
haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke, dagegen
waren CDU/CSU und SPD .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a und 6 b auf:

a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Luise
Amtsberg, Volker Beck (Köln), Dr . Franziska
Brantner, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des

(Familiennachzug für subsidiär Geschützte)


Drucksache 18/10044
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Peter Stein






(A) (C)



(B) (D)


b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Jelpke, Sevim Dağdelen, Frank Tempel, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Familiennachzug zu anerkannten Flüchtlin-
gen uneingeschränkt gewährleisten

Drucksache 18/10243
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .


(Unruhe)


– Bevor ich der ersten Rednerin das Wort gebe, warte
ich, bis die Gespräche beendet werden und die Kollegen
sich hinsetzen .

Ich eröffne nun die Debatte und gebe das Wort Katrin
Göring-Eckardt für Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und liebe Kolle-
gen! Wahrscheinlich steckt uns allen noch der Schock der
Wahlnacht in den Vereinigten Staaten in den Gliedern .
Dazu gibt es viele Auswertungen, und daraus ziehen wir
viele Lehren . Eine Lehre ist: Es zahlt sich für Demokra-
ten nicht aus, den anderen Populismus vorzuwerfen und
selbst eine andere Politik zu machen, als man vorgibt .
Mehr noch als falsche Politik ärgert die Leute nämlich,
wenn man ihnen mit Werten kommt, die man in der Rhe-
torik hochhält, aber in der Praxis unterläuft .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage das an dieser Stelle, weil wir zum wieder-
holten Mal in diesem Parlament über Flüchtlingspolitik
reden, reden müssen, reden wollen und weil ich mehr
und mehr den Eindruck bekomme, dass Sie eine Flücht-
lingspolitik nach dem Motto machen: Wie weit können
wir eigentlich gehen, damit Herr Seehofer in München
nicht völlig ausrastet? Auf der anderen Seite versuchen
Sie immer, Ihre Werte in der Öffentlichkeit hochzuhalten .

Ein sehr gravierendes Beispiel dafür ist: Die Flücht-
linge mit subsidiärem Schutz müssen endlich wieder ihre
Familien nach Deutschland holen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie sind in der Koalition drei Parteien, die immer den
Schutz und den Wert der Familie hochhalten . Es tut mir
leid: Ich kann nicht verstehen, wieso das eigentlich nur
für manche Familien gelten soll . Ich kann nicht verste-
hen, wieso die Sicherheit und das Leben eines Kindes
aus Aleppo davon abhängt, dass die CSU im Jahr 2018
Landtagswahlen in Bayern hat .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Nach außen geben Sie sich das freundliche Gesicht .
Aber seit dem Herbst 2015 hat das Asylrecht in weiten
Teilen eine Aushöhlung nach der anderen erfahren . Nein,
Sie haben sich leider nicht für ordentliche und schnelle
Verfahren eingesetzt, wie wir das beispielsweise vorge-
schlagen haben . Stattdessen haben Sie eine Ausweitung
der vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten auf jede – in-
zwischen hat man dieses Gefühl – x-beliebige Diktatur
oder Autokratie vor .

Sie installieren ein von Ihnen selbst als gescheitert be-
trachtetes System neu, nämlich das Dublin-System . Die
Bundeskanzlerin hat gesagt, das Dublin-System sei nicht
geeignet . Jetzt haben Sie es rückinstalliert .

Sie haben eine Reihe von kleinen Gemeinheiten ini-
tiiert, zum Beispiel die Absenkung von Leistungen bei
angeblichem Nichtbetreiben des Verfahrens . Das ist des-
wegen so perfide, weil wir alle wissen, dass es im BAMF
nicht genügend Menschen gibt, die die Verfahren bear-
beiten können, und weil wir alle wissen, dass bei weitem
nicht genügend Deutschkurse angeboten werden etc . pp .

Sie teilen in gute und schlechte Flüchtlinge ein . Man
kann schon fast zynisch sagen: Sie sind selbst verant-
wortlich dafür, dass es Spannungen unter den Betroffe-
nen gibt . Ich sage Ihnen: So macht man weder Asylpoli-
tik noch eine vernünftige Integration .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Jetzt wollen Sie Flüchtlinge zusätzlich zu der Abschie-
behaft auch noch in einen 14-tägigen Ausreisegewahr-
sam nehmen, und zwar ohne richterliche Anweisung .
Ich weiß nicht, wann Sie zuletzt in einem Gefängnis
waren, das Abschiebehäftlinge beherbergt . Diese Leute
sagen einem: Das ist überhaupt nicht nötig . – Bei den
allerwenigsten besteht nämlich die Gefahr, dass sie un-
tertauchen .

Das einzige Problem, das besteht, ist, dass Menschen,
die weiß Gott genug hinter sich haben und in aller Re-
gel auch ausreisewillig sind, in den Knast kommen und
kriminalisiert werden . Das hat nichts mehr damit zu tun,
dass Sie die Verfahren ordentlich machen wollen . Das hat
nur noch mit Propaganda in Ihren eigenen Reihen zu tun .
Ich warne Sie davor; denn dies führt zu der Spaltung der
Gesellschaft, die Sie vorantreiben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber Sie sind ja noch nicht fertig . Jetzt gibt es den
Vorschlag von Herrn de Maizière: Wer auf dem Mittel-
meer gerettet worden ist, soll nach Afrika gebracht wer-
den und dort einen Asylantrag stellen. – Wie perfide ist
das eigentlich nach dem Türkei-Deal, zu dem ich nachher
noch komme?

In diesem Jahr sind 3 800 Menschen im Mittelmeer er-
trunken . Darunter waren sehr viele Frauen und sehr viele
Kinder . Das sind schon jetzt so viele wie im vergangenen
Jahr . Damit zeigt sich:

Erstens . Wir sind noch lange nicht bei einer vernünf-
tigen humanitären Asylpolitik und bei einer vernünftigen
humanitären Flüchtlingspolitik .

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


Zweitens . Was Sie immer behaupten, dass die Schleu-
serkriminalität sinkt und dass damit niemand mehr übers
Mittelmeer kommen muss, das stimmt einfach nicht . Da-
mit ist der Türkei-Deal doppelt gescheitert, und Sie sind
mitverantwortlich für die humanitäre Katastrophe, über
die im Moment leider so wenig geredet wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Flüchtlingszahlen sind zurückgegangen, aber
nicht etwa deshalb, weil es weniger Flüchtlinge gibt oder
weil weniger Menschen Heimat und Haus aufgeben, um
im kalten Deutschland Kleider von der Altkleidersamm-
lung zu bekommen . Mitnichten! Tatsache ist, dass es
wieder die EU-Staaten an den Außengrenzen sind, die
die Last tragen . Italien beispielsweise hat 170 000 Ge-
flüchtete aufgenommen und beherbergt. Sie sehen doch,
Sie wissen doch, dass Erdogan kein vernünftiger Part-
ner ist, um dieses schwierige Thema zu behandeln . Er
kann jeden Tag auf die Idee kommen, zu sagen: Jetzt ist
Schluss damit . – Ich bin die Letzte, die nicht sagt: Man
muss auch mit Erdogan reden . – Aber man kann sich
nicht auf ihn verlassen .

Was Sie jetzt tun, ist, zu riskieren, dass wir wieder in
eine Situation kommen wie im letzten Jahr . Im Moment
werden die Kapazitäten in den Kommunen abgebaut . Im
Moment haben wir die Situation, dass es Unruhe gibt,
weil sich niemand hier integrieren kann, dessen Familie,
dessen Frau und Kinder immer noch in Aleppo sitzen .
Was Sie riskieren, ist, dass wir keine vernünftige Flücht-
lings- und Integrationspolitik machen . Sie tragen weiter
dazu bei, dass die Gesellschaft sich spaltet .

Zu dem heute vorliegenden Gesetzentwurf . Ich bitte
Sie herzlich: Sorgen Sie dafür, dass die Kinder, die in
Aleppo sitzen, für die Menschen hier in Deutschland
schon Patenschaften übernommen haben, dass die Müt-
ter, die in Aleppo oder in anderen Gebieten sitzen, endlich
die Chance haben, wieder als Familie zusammenzuleben!
Das ist doch das Mindeste, das wir für diese Menschen in
dieser Situation tun können . Die Kapazitäten haben wir;
die Möglichkeiten haben wir . Bitte fassen Sie sich jetzt
ein Herz und sagen: Ja, selbstverständlich machen wir
das . Es geht um die Familien . Sie sind das Fundament . –
Das steht jedenfalls in Ihrem Grundsatzprogramm .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819903900

Vielen Dank, Katrin Göring-Eckardt . – Nächste Red-

nerin: Barbara Woltmann für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Barbara Woltmann (CDU):
Rede ID: ID1819904000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Die großen Herausforderungen auf-
grund des hohen Flüchtlingszuzugs, die uns seit Ende des
vergangenen Jahres zum Handeln zwingen, sind längst
noch nicht bewältigt . Obwohl es uns gelungen ist, durch
mehrere Gesetzespakete und Personalaufstockungen an

den richtigen Stellen wieder Ordnung in das überlastete
Asylsystem zu bringen, liegt noch viel Arbeit vor uns .

Schwierige Zeiten erfordern entschiedenes Handeln .
Die bislang getroffenen Maßnahmen belegen, dass der
Gesetzgeber handlungsfähig ist . Wir haben den ungere-
gelten Zuzug von Migranten weitgehend unterbunden
und sind zu einem geordneten Verfahren zurückgekehrt .

Im Februar dieses Jahres haben wir mit der Verab-
schiedung des Asylpakets II einen – zugegeben – schwie-
rigen, aber wichtigen Schritt getan . Dazu gehört, dass für
diejenigen Flüchtlinge, die subsidiären Schutz erhalten,
der Familiennachzug für zwei Jahre ausgesetzt wird .
Subsidiär Schutzberechtigte, also Menschen, die vor
Bürgerkrieg fliehen müssen, bleiben in der Regel nicht
auf Dauer in Deutschland . Das ist generell so . Auch die
GFK-Flüchtlinge bekommen nur ein Schutzrecht auf
Zeit . Ihr Status wird nach zwei Jahren überprüft und,
falls die Situation im Herkunftsland sich verbessert hat,
nicht verlängert . Ich halte es auch für gerechtfertigt, ei-
nen dauerhaften Bleibetitel abzuwarten, bevor die Fami-
lie nachkommt, um nicht ganze Familien zurückschicken
zu müssen .

Dabei ist wichtig: Die Aussetzung des Familiennach-
zugs betrifft diejenigen Menschen, die ihre Anerkennung
als subsidiär Schutzberechtigte nach dem 17 . März 2016
erhalten haben . Nur solche sind von dieser Regelung be-
troffen .

Wir erinnern uns: Im Jahr 2015 wurden die meisten
Asylverfahren von Antragstellern, vor allem aus Syri-
en, im schriftlichen Verfahren ohne persönliche Anhö-
rung bearbeitet . Die individuellen Fluchtgründe hat das
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in dieser Zeit
nicht erfasst . So konnte leider auch Missbrauch getrieben
werden . Das war ein unhaltbarer Zustand, der so nicht
bleiben konnte . Vor diesem Hintergrund haben wir mit
Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter
Asylverfahren am 17 . März 2016 beschlossen, alle Asyl-
antragsteller unabhängig vom Datum der Einreise wieder
persönlich anzuhören . Ich halte dies für eine richtige Ent-
scheidung; denn nur so können wir feststellen, welcher
Fluchtgrund den Einzelnen nach Deutschland geführt hat
und welcher Flüchtlingsstatus der richtige ist .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Seit Wiederaufnahme der persönlichen Anhörung er-
mittelte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
bei syrischen Antragstellern vermehrt, dass viele Men-
schen zwar vom Bürgerkrieg betroffen sind, jedoch nicht
individuell verfolgt werden . Und das führt nach der gel-
tenden Rechtslage zur Gewährung subsidiären Schutzes .

Ein Beispiel: In allen Landesteilen Syriens kann eine
individuelle Verfolgung im Sinne des § 3 Asylgesetz,
also wegen Rasse, Religion oder politischer Überzeu-
gung, stattfinden, und zwar sowohl durch die syrische
Regierung als auch durch den IS . Wenn eine solche in-
dividuelle Verfolgung festgestellt wird, dann erfolgt eine
Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft . Von Januar
bis September 2016 wurde diese Flüchtlingseigenschaft
bei 142 000 schutzberechtigten Syrern festgestellt . Liegt
aber eine individuelle Verfolgung nicht vor, weil sich die

Katrin Göring-Eckardt






(A) (C)



(B) (D)


Menschen schon in Einrichtungen in den Anrainerlän-
dern befinden, kann stattdessen eine, ich will es einmal so
beschreiben, allgemeine Gefährdungslage durch Bürger-
krieg bestehen . Dann kommt die Gewährung subsidiären
Schutzes in Betracht . Diesen Status haben im Zeitraum
von Januar bis September 2016 rund 75 000 Menschen
zugesprochen bekommen . Diese Gruppe ist nun von der
zweijährigen Aussetzung des Familiennachzugs betrof-
fen .

Eines muss ich aber auch noch klarstellen: Die Aus-
setzung des Familiennachzugs schließt die Aufnahme
von Familienmitgliedern aus humanitären Gründen nicht
völlig aus .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht völlig?)


In einzelnen Ausnahmefällen kann eine Aufnahme nach
§ 22 Aufenthaltsgesetz in Betracht kommen . Danach
kann einem Ausländer aus völkerrechtlichen oder drin-
genden humanitären Gründen oder auch zur Wahrung
politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland
ein Aufenthaltstitel nach § 22 Aufenthaltsgesetz erteilt
werden .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Finden Sie das gut? Und wenn ja, warum?)


Das Auswärtige Amt kann in eigener Zuständigkeit oder
auch in Zusammenarbeit mit den Ausländerbehörden auf
der Grundlage von § 22 Absatz 1 Aufenthaltsgesetz eine
Ausnahmegenehmigung erteilen, wenn eine besondere
Notsituation dies unausweichlich macht; aber es muss
sich dann um eine besondere Notlage handeln .

Ich möchte auch noch darauf hinweisen, dass bei der
Aufnahme von Flüchtlingen im Rahmen der EU-Kon-
tingente eine familiäre Bindung berücksichtigt werden
kann .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819904100

Frau Woltmann, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

-bemerkung des Kollegen Beck?


Barbara Woltmann (CDU):
Rede ID: ID1819904200

Ach, Herr Beck . – Ja, bitte schön .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819904300

Guten Morgen, Frau Woltmann .


Barbara Woltmann (CDU):
Rede ID: ID1819904400

Guten Morgen, Herr Beck .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819904500

Es freut mich, mit Ihnen zu sprechen . – Ich wollte Sie

etwas zu § 22 Aufenthaltsgesetz fragen . Dieser Paragraf
ist ja eigentlich eine prima Regelung, aber meines Erach-
tens leider der toteste Paragraf des Aufenthaltsgesetzes .
Wie viele Aufnahmeentscheidungen nach § 22 Aufent-
haltsgesetz hat es im letzten Jahr und wie viele in diesem
Jahr gegeben? Ich kenne einen Fall, um den ich mich

selbst gekümmert habe . Ansonsten kriegt man das in der
Regel nie hin .


Barbara Woltmann (CDU):
Rede ID: ID1819904600

Ich kann Ihnen die genauen Zahlen jetzt auch nicht

nennen . Aber es sind im letzten Jahr wenige gewesen .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tippen Sie auf einstellig, zweistellig oder dreistellig? – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Es gibt keinen einzigen Fall!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819904700

Jetzt antwortet Frau Woltmann .


Barbara Woltmann (CDU):
Rede ID: ID1819904800

Das kann ich jetzt nicht sagen, da ich die Zahlen hier

nicht parat habe . Ich will die Frage aber gerne später
noch beantworten .

Wir haben festgestellt, dass wir durch die hohe Anzahl
der Flüchtlinge, der Migranten, die im letzten Jahr zu uns
gekommen sind – über 1 Million; ich hatte das ja schon
zu Beginn gesagt –, sehr große Schwierigkeiten gehabt
haben, das Ganze wieder in ein geordnetes Verfahren zu
überführen . Wir tun das ja auch nicht, um irgendjeman-
den durch eine gesetzliche Regelung zu ärgern .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich wollte wissen, wie viele es nach § 22 sind!)


Vielmehr wollen wir einfach wieder zu einem geordneten
Verfahren kommen, sonst überfordern wir Deutschland,
sonst überfordern wir sehr viele . Aber ich komme in mei-
ner Rede auch noch darauf zurück .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sollten uns vielleicht als Innenausschuss gemeinsam über die Praxis bei diesem Paragrafen unterhalten!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819904900

Jetzt ist Frau Woltmann wieder dran .


Barbara Woltmann (CDU):
Rede ID: ID1819905000

Ich hatte bereits gesagt, dass es bei humanitären Grün-

den eine Härtefallregelung gibt und dass wir auf dieser
Basis Menschen in besonderen Notlagen helfen können .

Für anerkannte Asylberechtigte und Flüchtlinge ge-
mäß der Genfer Flüchtlingskonvention gilt weiterhin
der privilegierte Familiennachzug . Das heißt, es muss
nicht nachgewiesen werden, ob der Lebensunterhalt ge-
sichert ist oder ob Wohnraum zur Verfügung steht . Das
alles muss nicht gemacht werden . Wenn wir die subsidiär
schutzbedürftigen Menschen wieder gleichstellen wür-
den, hieße das, auch für diese Menschen muss das nicht
gegeben sein . Das ist eine schwierige Situation .

Wir müssen bei dieser Diskussion beachten, dass ge-
rade unsere Kommunen, aber auch viele Ehrenamtliche
mit der Integration von Schutzberechtigten vor einer im-
mensen Herausforderung stehen . Sie sind letzten Endes

Barbara Woltmann






(A) (C)



(B) (D)


dafür verantwortlich, dass die Unterbringung und die In-
tegration der Flüchtlinge so gut gelingt, wie wir es uns
vorstellen und wünschen . Das Fehlen von Wohnraum in
vielen Kommunen spielt dabei eine große und entschei-
dende Rolle . Deswegen halte ich es für richtig, diese
getroffenen Maßnahmen, die wir durch das Gesetz so
beschlossen haben, erst einmal wirken zu lassen . Wir leh-
nen es daher ab, die erst vor einem halben Jahr mit gutem
Grund eingeführte Wartefrist für den Familiennachzug
zurückzunehmen .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819905100

Frau Woltmann, sind Sie bereit, eine weitere Zwi-

schenfrage oder -bemerkung des Kollegen Meiwald zu
akzeptieren?


Barbara Woltmann (CDU):
Rede ID: ID1819905200

Nein . – Meine Damen und Herren von der Opposition,

Sie verweisen in Ihren Anträgen auf die Neubestimmung
des Bleiberechts und der vereinfachten Aufenthaltsbe-
endigung, die wir 2015 verabschiedet haben . Ja, das ist
so . Da haben wir diesen Personenkreis einbezogen . Aber
wir haben in der Zwischenzeit eine veränderte Situation,
nämlich die von mir schon erwähnten 1 Million Men-
schen, die nach Deutschland gekommen sind, was wir in
Deutschland erst einmal bewältigen und umsetzen müs-
sen . Als wir das Gesetz 2015 verabschiedet haben, ka-
men noch nicht täglich 6 000 bis 10 000 Menschen nach
Deutschland . All diese Menschen müssen untergebracht
werden . Sie müssen versorgt werden . Auch die Familien,
die dann nachziehen, müssen versorgt werden, brauchen
Wohnraum . Um eine Überforderung der Kommunen zu
verhindern, war und ist eine Aussetzung des Familien-
nachzugs für subsidiär Schutzbedürftige um zwei Jahre
erforderlich und gerechtfertigt .

Lassen Sie mich noch eines klarstellen . Wir haben
Regelungen für anerkennte Flüchtlinge, ihre Familien
nachzuholen . Dazu gehören Eltern und Kinder, also die
Kernfamilie . Wir müssen in der Abwägung aller Fakten
und Positionen darauf achten, dass weder die Menschen
noch die Kapazitäten in unserem Land überfordert wer-
den . Wir müssen erst einmal denen helfen, die hier sind .
Es ist eine verantwortungsvolle Abwägung,


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wenn die Kinder im Kriegsgebiet sind!)


der wir uns ständig stellen müssen . Die Bundesrepublik
Deutschland wird ihrer Verantwortung in der Flücht-
lingsfrage mehr als gerecht .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819905300

Vielen Dank, Barbara Woltmann . – Die nächste Red-

nerin: Ulla Jelpke für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819905400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Kollegin

Woltmann, die Bilder aus Syrien, aus Aleppo, aus den
Kriegsgebieten, die wir tagtäglich sehen, zeigen, dass die
Menschen, die dort fliehen, wahrscheinlich Jahre nicht
zurückkehren können, weil das Land dermaßen zerstört
ist . Schon deswegen ist der subsidiäre Schutz im Grunde
eine einzige Grundgesetzverletzung .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Barbara Woltmann [CDU/CSU]: Das ist es nicht!)


Es ist ein Grundrecht, das wir haben . Es ist eine schlim-
me Menschenrechtsverletzung, die Sie hier gerechtfertigt
haben . Deswegen möchte ich hier noch einmal deutlich
sagen: Der Gesetzentwurf der Grünen und der Antrag
der Linken, die heute hier vorliegen, wollen genau diese
Menschenrechtsverletzungen – den um zwei Jahre ver-
zögerten Familiennachzug oder lange Wartezeiten für
anerkannte Flüchtlinge – rückgängig machen und kor-
rigieren . Wir müssen wieder zu Grundrechten kommen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will das auch erklären . Es geht hier um Folgen-
des: Für Flüchtlinge, die nur einen subsidiären Schutz
haben – einen sogenannten vorübergehenden Schutz, auf
ein Jahr befristet –, wird gemäß Asylpaket II der Famili-
ennachzug für zwei Jahre ausgesetzt . Mit dem Paket ha-
ben die Bundesregierung und auch diejenigen, die es hier
im Bundestag beschlossen haben, bewirkt, dass Familien
auseinandergerissen werden und menschliche Tragödien
verschärft werden . Das ist aus unserer Sicht einfach un-
erträglich und Ausdruck einer verachtenden Menschen-
rechtspolitik .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich möchte Ihnen hier einen praktischen Fall vor-
stellen . Asma, eine Mutter von vier Kindern aus Syrien,
musste mit ansehen, wie ihr Mann vom sogenannten „Is-
lamischen Staat“ ermordet wurde . Auf ihrer Flucht nach
Deutschland wird ihre Familie zerrissen: Sie ist mit zwei
Kindern hier, und zwei ihrer Töchter sind in der Türkei
in einem Flüchtlingslager; sie sind 15 und 16 Jahre alt .
Asma hat hier in Deutschland nur den subsidiären Schutz
erhalten, muss also jedes Jahr erneut nachsuchen, und die
Familienzusammenführung ist für zwei Jahre ausgesetzt
worden . Ihre Töchter sind, wie gesagt, 16 und 15 Jahre
alt . In dem Moment, in dem das Recht auf Familienzu-
sammenführung eintreten würde, gilt es im Grunde ge-
nommen für diese Familie nicht mehr, weil die Töchter
ab einem Alter von 18 Jahren nicht mehr das Recht ha-
ben, nach Deutschland geholt zu werden . Hier muss man
festhalten: Eine Mutter, deren Familie zerrissen worden
ist, ist natürlich schwer traumatisiert . Und da fragt man
sich immer wieder: Wie soll eigentlich vor dem Hinter-
grund einer so menschenverachtenden Politik Integration
gelingen?


(Beifall bei der LINKEN)


Barbara Woltmann






(A) (C)



(B) (D)


Ich erinnere mich noch sehr genau, wie der Innen-
minister hier im Februar gesagt hat, wir müssten jetzt
notwendige Härten in Kauf nehmen . Aber man muss sie
eben nicht in Kauf nehmen . Tun Sie nicht immer so, als
wenn es nicht möglich wäre, die Familien hier wirklich
aufzunehmen!


(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Reden Sie auch mal mit Kommunalpolitikern? Nein!)


Wenn man den politischen Willen hat, dann ist es auch
möglich. Ich finde es einfach nur noch abscheulich, wie
hier immer wieder von Ihnen versucht wird, Menschen
voneinander zu trennen und Familien zu zerreißen . Da-
mit praktizieren Sie – insbesondere Sie auf der rechten
Seite – eine Integrationsverweigerungspolitik .


(Beifall bei der LINKEN – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: So ein Unsinn!)


Meine Damen und Herren, das Gesetz wurde damals
mit der Behauptung durchgeboxt – das richtet sich jetzt
insbesondere an meine Kollegen von der SPD –, der sub-
sidiäre Schutz würde ja nur Einzelne treffen . Doch muss
man ganz klar sagen: Kaum war das Gesetz da, hat sich
das geändert . Noch im Februar hatten wir einen sehr ho-
hen Anteil von Anerkennungen als Flüchtlinge nach der
Genfer Flüchtlingskonvention . Der Anteil der Anerken-
nungen als Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz lag bei
nur 1,2 Prozent; alle anderen syrischen Flüchtlinge – fast
99 Prozent – bekamen eine Anerkennung als Flüchtling
nach der Genfer Flüchtlingskonvention . Heute liegt der
Anteil der subsidiär Geschützten bei 73 Prozent . Man
muss hier festhalten: Mehrheitlich sind hiervon Familien
aus Syrien betroffen . Mit dieser Politik will die Koalition
offenbar abschrecken, aber eben auch rechte Ressenti-
ments bedienen; wir erleben es immer wieder, dass man
der AfD hinterherkriecht .


(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Frechheit, absolute Frechheit, Frau Kollegin!)


– Nein, es ist wirklich so, dass Sie sich im Grunde immer
wieder anbiedern . Ich halte es für einen Skandal, dass Sie
die Menschen dazu missbrauchen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: „Skandal“! Das Wort hat noch gefehlt! – Martin Patzelt [CDU/CSU]: „Skandal“? Das sind Unterstellungen! Ein Skandal sind die Unterstellungen!)


Ich habe es eben schon gesagt: Es ist nicht nur zynisch,
sondern meines Erachtens auch verfassungswidrig . Das
sieht man jetzt schon daran, dass etwa 25 000 Menschen
geklagt haben und bei 90 Prozent der Entscheidungen vor
Gericht recht bekommen haben . Es wurde entschieden,
dass der Status des subsidiären Schutzes nicht rechtens
ist und dass die Familien nachziehen können, sobald der
Status des Flüchtlings nach der Genfer Flüchtlingskon-
vention anerkannt wurde .

Generell muss man sich fragen: Wie kann man eigent-
lich den subsidiären Schutz für Flüchtlinge aus Kriegs-
ländern verhängen? Es geht um Länder wie Syrien,

Irak und Afghanistan . Wir wissen doch, dass dort eine
Rückkehr nicht möglich ist . Man verunsichert doch die
Flüchtlinge, wenn man ihnen für ein Jahr Schutz gewährt
und ihnen verdeutlicht, dass sie dann möglicherweise ins
Kriegsland zurückkehren müssen . Wer sind wir denn ei-
gentlich, dass wir diesen Menschen keine Sicherheit ge-
ben, auch mit Blick auf ihre Integration?


(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Asyl ist immer ein Anspruch auf Zeit!)


Kriegsflüchtlinge müssen im Regelfall wieder den
Flüchtlingsstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention
bekommen – das sieht der Gesetzentwurf der Grünen,
aber auch der Antrag der Linken vor . Wir wollen, dass
die Verfahren beschleunigt werden .

Sie haben hier dargelegt, Frau Woltmann, dass das
schriftliche Anerkennungsverfahren nicht tauglich ist,
weil möglicherweise Missbrauch stattgefunden hat .


(Barbara Woltmann [CDU/CSU]: „Möglicherweise“? Der hat stattgefunden!)


Gucken Sie sich einmal die Antworten der Bundesregie-
rung an . Da stellen Sie fest, dass wir so gut wie gar kei-
nen Missbrauch haben .


(Barbara Woltmann [CDU/CSU]: Ach was!)


Dann muss man auch einfach mal wieder zur Realität
übergehen und wirklich schnelle Verfahren durchführen .

Meiner Meinung nach muss man hier noch andere
Punkte ansprechen . 800 Kinder und Jugendliche, die
aus Syrien und anderen Krisengebieten geflohen sind,
haben in Deutschland auch nur den subsidiären Schutz .
Ein Jugendlicher hat neulich zu mir gesagt: Solange mei-
ne Familie im Krieg ist, ist ein Teil von mir auch noch
dort . – Da frage ich Sie: Wie nehmen Sie es eigentlich
mit der Kinderrechtskonvention? Ist es nicht im Interesse
des Kindeswohls, dass man alles tut, um so schnell wie
möglich die Eltern nachzuholen? Ich meine, ja, und es
muss unbedingt wieder eingeführt werden, dass wir Kin-
dern hier das Kindesrecht auch zukommen lassen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt noch einige Worte an die SPD . Über 50 Abge-
ordnete haben bei der Abstimmung über das Asylpaket II
hier ihre Bauchschmerzen beklagt, gerade was den Punkt
angeht, der hier verabschiedet wurde . Ich kann nur sa-
gen: Ich hoffe, Ihre Bauchschmerzen sind inzwischen so
schlimm, dass Sie nicht nur mal hier und dort ankündi-
gen, diese Praxis verändern zu wollen, sondern dass Sie
endlich den Mumm haben, wirklich etwas zu verändern
und entsprechende Initiativen vorlegen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich finde, es ist wirklich ein Skandal, dass die sozialde-
mokratische Partei so etwas durchgehen lässt .

Vielleicht ein Punkt noch . Man muss auch sagen,
selbst wenn die zweijährige Aussetzung von Familien-
nachzug abgewartet wird, aber auch für viele andere, die
das entsprechende Recht nach der Genfer Flüchtlings-

Ulla Jelpke






(A) (C)



(B) (D)


konvention haben: Wir haben auch ein Riesenproblem
bei den Botschaften . Es gibt Wartezeiten von mehr als
einem Jahr, bis überhaupt ein Termin für die Visabean-
tragung stattfinden kann. Meine Damen und Herren, es
dauert Jahre, bis überhaupt – egal ob nach der Genfer
Flüchtlingskonvention oder bei subsidiärem Schutz – die
Familien zusammengeführt werden . Auch hier muss end-
lich etwas geschehen . Wir brauchen mehr Personal in den
Botschaften und im Auswärtigen Amt, das das bearbeitet,
damit die Familien schneller zusammenkommen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819905500

Frau Jelpke, erlauben Sie eine Zwischenfrage eines

SPD-Kollegen, dessen Namen ich jetzt nicht unmittelbar
weiß? Er ist jedenfalls bei der SPD .


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819905600

Ja, gerne .


Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1819905700

Mein Name ist Christian Petry .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819905800

Das werde ich mir jetzt ewig merken .


Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1819905900

Ich komme aus dem Saarland, und deswegen frage

ich Sie auch: Ein weiterer Saarländer Ihrer Partei, Oskar
Lafontaine, hat eine Obergrenze von 200 000 Flücht-
lingen gefordert . Jeder, der darüber hinaus kommt, soll
keine Hilfeleistung des Staates mehr bekommen . Ange-
sichts Ihrer Kritik, die Sie eben an der Sozialdemokratie
geübt haben, frage ich Sie, ob Sie das etwas einordnen
können und ob Sie bereit sind, auch daran Kritik zu üben .


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819906000

Dafür habe ich eine klare und kurze Antwort: Das

Asylrecht kennt keine Obergrenze .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das sollten langsam auch Sie begreifen: Obergrenzen
hebeln das Grundrecht aus . Deswegen müssen wir gar
nicht weiter darüber diskutieren . Obergrenzen gibt es für
uns nicht .


(Dagmar Ziegler [SPD]: Für uns auch nicht!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819906100

Aber trotzdem an die Redezeit denken .


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819906200

Ja, ich komme zum Schluss . – Ich habe ganz kurz nur

noch einen Punkt; der betrifft im Grunde genommen die
Abschottungspolitik, die auf diesem Weg gemacht wird .
Das Schlimme ist für mich, dass viele Menschen, deren
Familien in Kriegsgebieten oder in elendigen Lagern sit-

zen, jetzt überlegen, ihr Asylrecht hier an den Nagel zu
hängen und zurückzukehren, oder aber dass sie wieder
die Schleuser in Anspruch nehmen und die Angehörigen
sich auf die gefährlichen Wege des Mittelmeers begeben .
Ich finde, es ist ein riesiger Skandal, dass Sie den einzi-
gen legalen Weg für Menschen, die hier sind, Asyl haben
und ihre Familien auf legalem Weg herbringen könnten,
zumachen . Das muss geändert werden . Ich fordere Sie
auf: Unterstützen Sie unsere Anträge . Dann kommen wir
der Menschenrechtspolitik wirklich ein ganzes Stück nä-
her .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819906300

Vielen Dank, Ulla Jelpke . – Nächster Redner für die

SPD: Rüdiger Veit .


(Beifall bei der SPD)



Rüdiger Veit (SPD):
Rede ID: ID1819906400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

waren nicht Bauchschmerzen, sondern schwerwiegende-
re Gründe, die mich daran gehindert haben, an der Be-
ratung des Asylpakets II teilzunehmen: Ich musste eine
gesundheitlich bedingte Auszeit nehmen . Das erleichtert
einerseits ein bisschen die Stellungnahme heute, auf der
anderen Seite musste ich, um zu erfahren, was damals
passiert ist und was der Hintergrund der Entscheidung
war, Protokolle lesen und mit Kolleginnen und Kollegen
reden . Das habe ich gemacht .

In der Tat hätte ich nicht jedes Wort bei den Beiträgen
eben von Frau Göring-Eckardt oder von dir, Ulla Jelpke,
mit Beifall bedenken können, aber ich will klar und deut-
lich sagen: Ich bin der Auffassung, dass die Grünen mit
ihrem Gesetzentwurf und auch die Linkspartei mit ihrem
Antrag in der Sache recht haben .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE])


Denn als das Asylpaket II mit der Beschränkung des Fa-
miliennachzugs verabschiedet worden ist, sind alle Be-
teiligten – ich betone: alle Beteiligten – davon ausgegan-
gen, dass davon nur ein kleiner Prozentsatz, eine geringe
Zahl derjenigen betroffen sein würde, die als Flüchtlinge
aus Syrien zu uns kommen . Das kann man in den Pro-
tokollen nachlesen, und die Kollegin Staatsministerin
Aydan Özoğuz hat das damals in ihrem Debattenbeitrag
genauso gesagt wie übrigens die Sachverständigen in der
Anhörung des Innenausschusses . Wenige Personen mehr
seien davon betroffen – so war damals die Erwartung .

Tatsächlich hat es sich so entwickelt: Es gab im
Jahr 2015, während der Zeit des schriftlichen Verfahrens,
61 Fälle von subsidiärem Schutz, im Jahr 2016, nach
Wiederaufnahme der individuellen Prüfung, gab es über
75 000 . Das betrifft, anders als noch im Oktober 2014,
wo es gerade einmal 17 Prozent waren, jetzt – das ist
richtigerweise gesagt worden – über 70 Prozent aller
Menschen, die auf der Suche nach Schutz aus Syrien

Ulla Jelpke






(A) (C)



(B) (D)


zu uns gekommen sind . Und das, meine sehr verehrten
Damen und Herren, war nicht die Geschäftsgrundlage
dessen, was damals die SPD-Kolleginnen und -Kollegen
trotz schwerer Bauchschmerzen bewogen hat, dem Ge-
setz zuzustimmen . Deswegen werde ich in meiner Frak-
tion dafür werben – darauf gehe ich am Schluss noch
einmal ein –, dem Gesetzentwurf der Grünen oder auch
dem Antrag der Linkspartei zuzustimmen . Es sei denn, es
gelingt uns – und darum wollen wir uns weiterhin in ers-
ter Linie bemühen –, mit unserem Koalitionspartner zu
Lösungen zu kommen, durch die wir dieses für uns nicht
akzeptable Ergebnis in der Zukunft vermeiden können .
Da sind wir übrigens schon seit einigen Wochen und Mo-
naten dran . Zu den Lösungsmöglichkeiten im Einzelnen,
auch unterhalb einer gesetzlichen Änderung, werde ich
noch kommen .

Ich möchte Ihnen aber auch klar und deutlich sagen:
Was uns bewegt – und mit Bewegung meine ich, dass
man das auch innerlich spürt –, ist doch folgende Situati-
on, in die ich Sie, gerade vonseiten der Union, bitte, sich
hineinzuversetzen: die Situation eines Familienvaters,
dessen Kinder und dessen Frau sich entweder im Bom-
benhagel von Aleppo oder an anderen Stellen in Syrien
in unmittelbarer Lebensgefahr befinden oder sich unter
menschenunwürdigen Bedingungen und ebenso unter
Gefährdung ihrer Gesundheit oder sogar ihres Lebens
in benachbarten Staaten aufhalten müssen, weil es eben
nicht möglich ist, dass sie zu ihrem Vater, zu ihrem Ehe-
mann nach Deutschland kommen können .

Da reden wir nicht von zwei Jahren, da reden wir auch
nicht von einer Verfahrensdauer von eineinhalb Jahren,
sondern Sie müssen die Dauer der Prozesse addiert se-
hen: Da haben wir zunächst ein Asylverfahren, das zehn,
zwölf Monate dauern mag . Dazu kommt sozusagen die
Sperrzeit in Form der Aussetzung des Familiennachzugs
für die lediglich subsidiär Geschützten . Dann kommt der
ganze Prozess der Beantragung – und das ist erst ab dem
März 2018 möglich – eines entsprechenden Nachzugsvi-
sums in den Botschaften und Konsulaten der Bundesre-
publik, namentlich in Beirut . Wir wissen heute, dass die
Bearbeitungszeiten dort allein bis zur Erlangung eines
Gesprächstermins bei mehr als einem Jahr liegen, näm-
lich mittlerweile bei 15 Monaten . Wenn sie all das zu-
sammenzählen, heißt das im Klartext: Derjenige, der in
Deutschland als Flüchtling lediglich subsidiären Schutz
bekommt, der muss mindestens vier, wenn nicht sogar
noch mehr Jahre darauf warten, bis seine unter gefährli-
chen Bedingungen lebenden Familienangehörigen end-
lich nach Deutschland kommen können . Das halte ich
nicht für akzeptabel . Das ist kein Punkt, den wir einfach
mal so beiläufig verhandeln können.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Welche Möglichkeiten gibt es nun, hier Abhilfe zu
schaffen – da appelliere ich in erster Linie an unseren
Koalitionspartner –, auch unterhalb einer Gesetzesände-
rung?

Eine Möglichkeit wäre es, zu sagen: Wir nehmen
wenigstens jetzt schon die Anträge auf Familienzusam-

menführung auch von denjenigen entgegen, die lediglich
einen subsidiären Schutz haben, und bearbeiten sie, da-
mit diese Personen nicht nach Ablauf der Sperrfrist auch
noch die Verfahrenszeit von 15 bis 24 Monaten abwarten
müssen . Das ist die eine Möglichkeit . Das setzt eine ent-
sprechende Kooperation zwischen Bundesinnenministe-
rium, nachgeordneten Behörden und Auswärtigem Amt
voraus . Ich füge aber hinzu: Das alleine hilft nur bedingt;
denn es gibt Kapazitätsprobleme .

Es ist ja kein böser Wille des Auswärtigen Amtes oder
der Mitarbeiter der Konsulate, dass die Wartezeiten und
die Verfahrensdauer so lang sind . Das Problem ist viel-
mehr, dass wir trotz einer Personalverstärkung um rund
100 Personen, trotz der Schaffung zusätzlicher räumli-
cher Kapazitäten, vor allen Dingen in Beirut, trotz der
Einschaltung der Mithilfe durch IOM ab 2017 diese
enorme Bearbeitungszeit haben . Sie zu verkürzen, muss
Aufgabe des Auswärtigen Amtes sein . Der gute Wille
dazu ist vorhanden .

Man könnte aber in der Tat durch entsprechende Er-
leichterungen in der Verwaltungspraxis vonseiten der
Ausländerbehörden dazu beitragen, dass die gesamte
Verfahrensdauer verkürzt wird, und man könnte – ich
wiederhole diese Anregung – die Verfahren beginnen
lassen, bevor die zweijährige Sperrfrist abgelaufen ist .

Es gibt noch einen anderen Punkt, auf den ich zu
sprechen kommen will . Es ist mehrfach behauptet und
unterstellt worden, von NGOs genauso wie von Politi-
kerinnen und Politikern, der Innenminister habe dafür
gesorgt, dass die Herkunftsländer-Leitsätze des BAMF
geändert wurden, er also durch eine ministerielle Anwei-
sung praktisch die Ursache dafür geschaffen habe, dass
überwiegend nur noch subsidiärer Schutz gewährt werde .
Das stimmt nicht . Ich habe die Leitsätze selber nachge-
lesen . Sie sind korrekt . Ich könnte das auch nicht anders
machen . Darin werden seitens des BAMF bzw . der Be-
hördenleitung auch die Risikoprofile benannt, bei deren
Vorliegen ein GFK-Schutz zu gewähren ist .

Aber es gibt einen Punkt, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, der neu ist . In den Leitsätzen steht nämlich – dem-
entsprechend ist auch die Praxis des BAMF gewesen –,
dass die Bedrohung in Syrien nach der bloßen Rückkehr
von einem längeren Auslandsaufenthalt alleine keinen
Grund mehr darstellt, die betreffenden Menschen als po-
litisch verfolgt anzusehen, und deswegen nur der subsi-
diäre Schutz infrage kommen kann . In mittlerweile nicht
nur 17 000, sondern 18 000 Fällen haben die Betroffe-
nen Verwaltungsgerichte angerufen . Die meisten haben
recht bekommen; denn die Verwaltungsgerichte haben
überwiegend gesagt: Nein, wir sind der Auffassung, dass
das, was den Rückkehrern in Syrien droht, jedenfalls das
Merkmal der Verfolgung im Sinne der Genfer Flücht-
lingskonvention erfüllt .

Es gibt allerdings ein Obergericht, nämlich das OVG
in Münster, das für Nordrhein-Westfalen zuständig ist,
das gesagt hat: Wir sind der Auffassung, das, was de-
nen in Syrien dann droht, erfüllt nur die Voraussetzun-
gen für die Anerkennung eines subsidiären Schutzes . –
Wenn man sich die Leitsätze der Entscheidung dieses
Gerichts einmal anschaut, dann stellt man fest, dass das

Rüdiger Veit






(A) (C)



(B) (D)


Gericht davon ausgeht – ich habe am Schluss eine an-
dere Bewertung –, dass denjenigen, die überhaupt als
Auskunftspersonen infrage kommen, bei ihrer Rückkehr
nach Syrien vonseiten des Regimes Assad Folter droht,
um Informationen aus ihnen über die Exilsituation und
die persönliche und politische Einstellung manch ande-
rer syrischer Flüchtlinge herauszupressen . Das, meine
sehr verehrten Damen und Herren, ist nicht das, was ich
mir als Rechtfertigung dafür vorstelle, lediglich subsidi-
ären Schutz zu gewähren . Ich bin der Auffassung: Wem
Folter bei der Rückkehr droht, weil man Informationen
aus ihm herauspressen will, den muss man als Flüchtling
im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkennen,
der ist politisch verfolgt, dem ist entsprechender Schutz
zu gewähren . In der Konsequenz wäre Familiennachzug
möglich . – Das ist das, wofür ich plädiere .

Zum Schluss sage ich noch einmal: Wenn wir mit dem
Koalitionspartner, worauf ich aber immer noch hoffe,
nicht zu Ergebnissen kommen, die das nicht akzeptable
bisherige Vorgehen vermeiden helfen, werde ich meiner
Fraktion nachhaltig empfehlen, dem Gesetzentwurf der
Grünen bzw . dem Antrag der Linkspartei zuzustimmen .

Danke für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819906500

Vielen Dank, Rüdiger Veit . – Nächster Redner: Martin

Patzelt für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Martin Patzelt (CDU):
Rede ID: ID1819906600

Frau Präsidentin! Liebe Gäste in unserem gemeinsa-

men Haus! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst
muss es ja befremdlich und unangemessen, ja vielleicht
sogar widersinnig wirken, dass vor sechs Monaten gera-
de Familienpolitiker der CDU/CSU gemeinsam mit dem
Koalitionspartner SPD den Familiennachzug für subsidi-
är geschützte Flüchtlinge für die Dauer von zwei Jahren
ausgesetzt haben . Herr Veit, nicht das, was Sie hier gesagt
haben, verwundert mich, sondern – da ist „verwundert“
noch ein gelinder Ausdruck – dass Ihre Fraktion Sie hier
zu dem Gesetzentwurf und dem Antrag der Opposition
sprechen lässt und dass Sie dabei unseren gemeinsamen
Beschluss,


(Rüdiger Veit [SPD]: Wir sind liberal!)


den Sie krankheitsbedingt nicht mitvollziehen konnten
und dann versucht haben, nachzuvollziehen, hier für die
SPD derart infrage stellen . Das verwundert mich sehr .


(Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist freier Abgeordneter! Dem Gewissen verpflichtet!)


Wir sind hinter die Maßstäbe zurückgefallen, die wir
uns selbst einmal – das ist gar nicht so lange her – im Zu-
sammenhang mit dem Schutz, den wir Asylberechtigten
und Flüchtlingen gesetzlich verbürgen wollten, gesetzt
haben; das ist wahr . Insofern verstehe ich den uns vorge-

legten Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen und den Antrag der Fraktion Die Linke als Anliegen,
nochmals öffentlich darauf aufmerksam zu machen, dass
die Regierungsfraktionen eine Beschneidung von Rech-
ten respektive allgemein anerkannten Menschenrechten
vorgenommen haben .

Als Opposition, die außerhalb jeglicher Regierungs-
verantwortung steht, können Sie locker eine angemesse-
ne und menschliche Aufnahme und Betreuung von nahe-
zu 1 Million Schutzsuchender in einem Jahr in unserem
Land fordern . Sie können das fordern, weil Sie ja nicht
die Verantwortung für diese vielen Menschen haben,
auch nicht für die vielen Menschen, die freiwillig noch
mehr Verantwortung übernehmen . Sie machen öffentlich
darauf aufmerksam, dass wir uns mit dem Aussetzen
des Familiennachzuges – dies bedeutet sozusagen eine
internationalem Recht widersprechende Trennung von
Kindern von ihren Eltern – sozusagen familienfeindlich
verhalten .

Als Erstes wäre dem entgegenzuhalten, dass nicht wir
die Kinder von ihren Eltern getrennt haben .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Sondern der Krieg und die Flucht!)


In den meisten Fällen haben sich wohl die Eltern selber
von ihren Kindern getrennt .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Väter haben vielfach – das beweist eine Vielzahl von An-
hörungen – ihre Angehörigen zurückgelassen,


(Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Das ist jetzt wirklich daneben!)


weil sie darauf vertrauten – das ist ihnen nicht vorzuwer-
fen; aber das wird auch durch ihre Argumentation bestä-
tigt –, dass sie nach unseren Gesetzen ihre Familien fol-
gen lassen können . Oder Sie haben ihre Kinder, wenn es
sich um unbegleitete Minderjährige handelt, auf höchst
ungewisse gefährliche Wege geschickt und in die Hän-
de fremder Menschen gegeben, nicht wissend, wie und
wann sie ankommen werden . Das gilt auch für die Väter .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819906700

Herr Patzelt, erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung

von Frau Brantner?


Martin Patzelt (CDU):
Rede ID: ID1819906800

Frau Brantner, bitte, aber – –


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819906900

So nicht, ja oder nein?


Martin Patzelt (CDU):
Rede ID: ID1819907000

Ja .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Patzelt, es tut mir leid, aber wir müssen hier
nachfassen. Sie stehen ja häufig auch auf der Seite der

Rüdiger Veit






(A) (C)



(B) (D)


Kinder und Jugendlichen . Deswegen wundert es mich,
dass Sie den Eltern vorwerfen, dass sie ihren Kindern
diese gefährliche Überfahrt nicht antun wollen . Da ist es
doch selbstverständlich, es zunächst alleine zu wagen,
wenn man die Hoffnung hat, dem eigenen Kind diese
gefährliche Überfahrt ersparen zu können . Schließlich
besteht die Gefahr, dass es dabei stirbt . Warum sollten
Eltern also dann dieses Risiko eingehen? Es ist somit
unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Kinder legal
hierherkommen können, ohne diesen gefährlichen Weg
auf sich nehmen zu müssen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Martin Patzelt (CDU):
Rede ID: ID1819907100

Danke für die Frage, Frau Dr . Brantner . – Das kann

man wahrscheinlich nur aus einer persönlichen Sicht be-
antworten . Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich meine
Familie und meine minderjährigen Kinder in dieser Situ-
ation zurückgelassen hätte . Das sage ich für mich .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon mal in Damaskus gelebt im Krieg? – Weitere Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819907200

Jetzt ist Herr Patzelt wieder dran .


Martin Patzelt (CDU):
Rede ID: ID1819907300

Stellen Sie eine Frage, wenn Sie etwas wissen möch-

ten . Ansonsten fahre ich fort .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pfui! Dann kann er ja mal in Damaskus leben! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Unglaublich!)


Unsere Erkenntnis ist also, dass vor allen Dingen die
unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in vielen be-
kannten Fällen als Wegbereiter für den Rest der Familie
hierhergeschickt wurden oder dass die Väter als Wegbe-
reiter für ihre Familien vorausgegangen sind . Ich habe
Ihnen gesagt, dass ich das verstehen kann und dass ich
das keinem zum Vorwurf mache; aber es ist so, dass man
diejenigen in die Gefahr, auf einen Weg mit einem unge-
wissen Ausgang – das muss man hervorheben – geschickt
hat, die für die Familie eine so große Bedeutung haben,


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, jetzt doch!)


dass man sie mit ihren Familien jetzt so schnell wie mög-
lich wieder zusammenführen will . Abgesehen von den
wenigen Fällen, in denen die Kriegsereignisse selber oder
die Fluchtwege die jungen Menschen von ihren Famili-
en trennten, haben wir es also mit einem absichtsvollen
und geplanten Verhalten der Eltern zu tun . Sie muten sich
selbst die Trennung und die Gefahren der Flucht zu – in
der ungewissen Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen .
Wir haben von Herrn Veit gehört, wie lange es dauert,

ehe ein solches Verfahren erfolgversprechend durchge-
setzt werden kann .

Wir in Deutschland haben all diese Menschen vor-
behaltlos aufgenommen . Wir haben ihnen den erforder-
lichen Schutz gewährt, und wir werden ihn weiterhin
gewähren . Wir haben ihnen Betreuung nach den glei-
chen Maßstäben wie einheimischen jungen Menschen
angedeihen lassen, insbesondere den unbegleiteten min-
derjährigen Flüchtlingen . Wir haben den gesetzlichen
Schutz und die Fürsorge nach dem KJHG den örtlichen
Jugendämtern anvertraut . Diese verfügen über die not-
wendigen Mittel und Erfahrungen, um gerade temporär
oder dauerhaft von ihren Familien getrennten Kindern
und Jugendlichen eine angemessene Hilfe zu geben .

Das ist eine außerordentliche Herausforderung an-
gesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen, der fremden
Kultur, die sie mitbringen, und der gegebenenfalls hinzu-
kommenden traumatischen Belastung . Es ist eine außer-
ordentlich große Leistung, die die Jugendhilfeträger hier
im Land erbringen . Wir leisten diese Hilfe unabhängig
vom tatsächlichen Status, also egal ob Flüchtlinge, Asyl-
berechtigte oder subsidiär Geschützte . Wir haben diese
Hilfe über das Volljährigkeitsalter hinaus verlängert,
wenn sie sich noch in Ausbildung befinden, und geben
ihnen unabhängig von ihrem gesetzlichen Status sogar
ein Bleiberecht für ein weiteres Jahr .

Auf der anderen Seite aber gibt es eine große Zahl
von in unser Land geflüchteten Menschen, die nicht Asyl
oder die Anerkennung als Flüchtlinge in Anspruch neh-
men können, sondern sich als Armutsmigranten auf die
Suche nach einer besseren persönlichen Zukunft bege-
ben haben und deshalb nicht zufällig in unserem Land
angekommen sind . Der zunächst unmittelbare Bedarf an
menschenwürdiger Unterbringung und Betreuung, eine
gewissenhafte Prüfung des gesetzlich verbürgten An-
spruchs auf Bleiberecht, eine sachdienliche und gerechte
Verteilung dieser Menschen im Lande, die Rückführung
der nicht unter diesem Schutz stehenden Flüchtlinge bzw .
die Fürsorge für mindestens ein Drittel der nicht Berech-
tigten, aber aus verschiedenen Gründen Geduldeten – das
waren und sind riesige Herausforderungen, die wir alle
miteinander bewältigen wollen und bewältigen müssen .

Unter enormer Kraftanstrengung des Bundes, der
Länder und der Kommunen in ihrer jeweils unterschied-
lichen Verantwortung sowie unserer Bürgergesellschaft,
die nach einem kaum fassbaren positiven Willkommen
unterdessen ihr Engagement verstetigt, organisiert und
vernetzt, kümmern wir uns um all diese vielen Men-
schen . Wir tun dies im Wissen um die Notwendigkeit
einer zeitnahen Integration, besonders in den Bereichen
Sprache und Arbeitsvermittlung . Wir tun dies, um die
Entwicklung von Parallelgesellschaften aufzuhalten –
wohl wissend, dass es in unserem Land viele Ängste vor
und Vorbehalte gegenüber den vielen Fremden gibt .

Wir werden konfrontiert mit ihrer manchmal befrem-
denden Kultur, ihrer anderen, unseren Werten und Ge-
setzen mitunter widersprechenden Lebensweise . Wir
müssen feststellen, dass sich in unserem Land auch Wi-
derstände und Gewalt gegen diese Menschen entwickeln;
das ist bedauerlich und verabscheuungswürdig . Wir wis-

Dr. Franziska Brantner






(A) (C)



(B) (D)


sen, dass in seltenen Fällen – sie werden dann aber zu-
mindest medial sehr verstärkt – sicher auch feindliche
terroristische Interessen unsere Bereitschaft zur Hilfe
ausnutzen wollen .

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, trotz all dieser Belastungen und Risiken ge-
ben wir Schutz . Wir geben Sicherheit und Kleidung . Wir
versuchen, nach und nach für all diese Menschen indi-
viduellen Wohnraum verfügbar zu machen . So handeln
wir, angefangen beim Gesetzgeber über die Regierung
und die Verwaltung bis hin zur Bürgergesellschaft . Wir
stellen uns diesen unerwarteten Herausforderungen und
erfahren dafür weltweit Ansehen und Dankbarkeit .

Wenn wir unter diesen Bedingungen die Zahl der bei
uns ankommenden Flüchtlinge spürbar vermindern –
nicht nur bei der Familienzusammenführung –, insbeson-
dere die Zahl derer, die ohne berechtigtes Asylbegehren
zu uns kommen, dann ist das nicht allein recht und billig,
sondern dann erweist sich dies – das sehe ich so; manche
werden das anders sehen – als ein sehr verantwortliches
Handeln . Wir haben nämlich die Verantwortung für unse-
re ganze Gesellschaft .

Verehrte Frau Göring-Eckardt, es ist – ja, wie soll ich
es sagen? – einfach Ihrer unwürdig,


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Jetzt nicht spalten!)


wenn Sie sagen, dass das Handeln der Regierung deshalb
so ist, weil Herr Seehofer im Wahlkampf steht . Dafür
gibt es wirklich andere Herausforderungen und Gründe;
das darf man nicht billig auf eine parteipolitische Schiene
schieben . Wir dürfen die Menschen im Lande auch nicht
mit einer solchen Aussage verwirren .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen das doch die ganze Zeit!)


Wenn Sie so etwas von diesem Pult aus sagen, dann er-
zeugen Sie den Eindruck, als gehe es nur um parteipoliti-
sche Auseinandersetzungen und einen Machtkampf .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist doch leider so! Ich sage so etwas ja nicht aus Spaß!)


Wir haben aber ganz andere Sorgen . Wir wollen den Frie-
den in unserem Land erhalten . Das wollen wir!


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Na, dann muss die Not ja schon sehr groß sein!)


Vor diesem Hintergrund ist es auch zumutbar, dass
Flüchtlinge eine temporäre Trennung hinnehmen . Sie
haben damit gerechnet, sie sind bewusst losgegangen .
Die zumeist erwachsenen Kinder und die Väter, die hier
leben, können auf ihre Art und Weise – und das tun sie
auch – für ihre Familien auch aus der Ferne sorgen . Sie
können auch – das will auch ich noch einmal betonen;
das wurde ja von meinen Vorrednern schon gesagt – in
den besonderen Einzelfällen einen schnellen Nachzug
beantragen . Ein solcher Antrag wird, immer gemessen an

den Gefahren, die sich tatsächlich stellen, geprüft wer-
den .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ach ja? Könnte ich Ihnen gleich einmal zehn Gegenbeispiele nennen!)


Nicht in ganz Syrien – das sage ich auch immer wieder
öffentlich – herrscht im Moment Krieg . Die schlimme
Situation, die es in einigen umkämpften Städten gibt,
ist nicht maßstabgebend für das ganze Land Syrien und
auch nicht für die Flüchtlingslage in den angrenzenden
Ländern . Wir möchten jedenfalls an die Möglichkeit er-
innern, in besonders belastenden Situationen ein solches
Verfahren auf den Weg zu bringen, und das wird auch
getan . Wir können das auch, wenn Sie wollen, in Zahlen
ausdrücken .

Ich bin Ihnen, Herr Veit, dankbar für die Vorschläge,
die Sie gemacht haben . Dort, wo es möglich ist, sollten
wir versuchen, eine Annäherung zu erreichen .


(Rüdiger Veit [SPD]: Ich bin schon seit Wochen dran!)


Das alles sollten wir ernsthaft prüfen und bereden – mit
all den Konsequenzen, die sich daraus ergeben . So müss-
te das Gespräch eigentlich erfolgen . Wir, die wir in der
Regierungsverantwortung stehen, sagen: Wir müssen
den Menschen in unserem Lande etwas zumuten, was
dann auch zu bewältigen ist, und zwar im Interesse der
Menschen, die als Flüchtlinge zu uns gekommen sind,
und in unserem eigenen Interesse . Das müssen wir ausba-
lancieren . Dazu hat die Opposition keine Veranlassung .
Sie kann hier sehr schön mit Forderungen auftreten .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819907400

Herr Patzelt, denken Sie trotzdem an Ihre Redezeit .


Martin Patzelt (CDU):
Rede ID: ID1819907500

Ja, das mache ich, danke schön . Ich bemühe mich,

zum Ende zu kommen .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819907600

Nein, Sie müssen zum Ende kommen .


Martin Patzelt (CDU):
Rede ID: ID1819907700

Dann lassen Sie mich noch ein Schlusszitat vortragen .

Es stammt von einem glaubwürdigen und überzeugen-
den Verfechter der Hilfen für Menschen, die in Not sind .
Papst Franziskus sagte:

Die Regierenden müssen sehr offen sein, sie

– die Flüchtlinge –

zu empfangen, aber auch kalkulieren, wie man sie
unterbringt . Denn einen Flüchtling muss man nicht
nur empfangen, sondern auch integrieren .

Und der Papst warnt,

wer die eigene Aufnahmefähigkeit ohne Augenmaß
berechne, ist am Ende nicht in der Lage, eine Ein-
gliederung

Martin Patzelt






(A) (C)



(B) (D)


– da sage ich, das gilt auch mental –

zu ermöglichen . Die Folge könne eine gefährliche
„Ghettoisierung“ sein …

Danke .


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Rede war mental unchristlich!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819907800

Nächste Rednerin in der Debatte: Luise Amtsberg von

Bündnis 90/Die Grünen .


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Hau rein!)



Luise Amtsberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819907900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Kollege Patzelt, ich maße mir nicht an, zu beur-
teilen, ob es richtig ist, als Familienvater alleine anstatt
mit der Familie den Weg über das Mittelmeer zu suchen,
und ich maße mir auch nicht an, zu beurteilen, ob man im
Bürgerkriegsland bleibt, weil einem vielleicht das Geld
fehlt, um die Flucht zu ermöglichen . All das zu beurtei-
len, maße ich mir schlichtweg deshalb nicht an, weil ich
mir überhaupt nicht vorstellen kann, wie es sein muss,
derzeit in Syrien zu leben, und was es alles braucht, um
dieser Hölle zu entfliehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg . Rüdiger Veit [SPD])


Wir Grünen haben den vorliegenden Gesetzentwurf
aus drei Gründen geschrieben:

Wir glauben, dass wir zumindest einen kleinen Beitrag
dazu leisten können, dem unsinnigen Sterben von Men-
schen – darunter vielen Kindern – auf dem Mittelmeer
zumindest ein Stück weit etwas entgegenzusetzen . Frau
Kollegin Woltmann, Sie haben gesagt, Sie wünschen sich
ein geordnetes Verfahren . Das wünschen wir uns auch .
Dem Familiennachzug in seiner Gesamtheit liegt ein
geordnetes Verfahren zugrunde . Wir wissen sehr genau,
wer kommt, wir wissen genau, wann jemand kommt, und
wir wissen, dass er sicher kommt . Diese Argumentation
müsste Ihnen eigentlich helfen, unserem Gesetzentwurf
zuzustimmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Der Familiennachzug ist einer der wenigen legalen
und vor allen Dingen ungefährlichen Möglichkeiten für
Schutzbedürftige, der Brutalität des Krieges zu entgehen .
Außerdem sind wir der festen Überzeugung, dass eine
dauerhafte Integration, also das wirkliche Ankommen in
Deutschland, nur gelingen kann, wenn Familien zusam-
menbleiben .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Jemand, der dem Krieg entkommen ist, hat viel zu ver-
arbeiten und wird viel Kraft aufbringen müssen, um hier

ein neues Leben aufzubauen . Es ist menschlich nicht zu-
mutbar, dass diese Menschen neben all dem materiellen
Verlust, den sie erlitten haben, auch noch das verlieren,
was sie am meisten lieben .

Familien sind ja – das ist das dritte Argument für unse-
ren Gesetzentwurf – durch unsere Verfassung geschützt .
Dieser Verfassungsrang, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, der dem Respekt vor und dem Schutz von Familien
zukommt, dieser Verfassungsrang bezieht sich eben nicht
nur auf Menschen mit einem deutschen Pass, sondern
ist grundsätzlich und muss deshalb auch für geflüchtete
Menschen in Deutschland gelten . Dem werden Sie mit
dieser Regelung zum Familiennachzug eben nicht ge-
recht . Sie schützen die Familien nicht, sondern Sie tren-
nen sie dauerhaft – und das sehr bewusst .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eines ist vollkommen klar – damit komme ich noch
einmal zu der Unterscheidung, ob nach Genfer Flücht-
lingskonvention anerkannt oder subsidiär schutzberech-
tigt –: Für Menschen beider Gruppen gilt gleichermaßen,
dass ein Leben mit der Familie im Heimatland unmög-
lich ist . Deshalb ist es absolut nicht zu rechtfertigen, eine
Unterscheidung zwischen diesen beiden Gruppen bei der
Form des Schutzes zu treffen, und entbehrt jeder Grund-
lage . Weil das so ist, wurden die Regelungen 2015 ja so-
zusagen angeglichen und beiden Gruppen der Nachzug
von Familien gestattet . Erst dann, als klar und deutlich
wurde, dass eine große Zahl von Menschen von diesem
Recht Gebrauch machen wird, haben Sie das Rad wieder
zurückgedreht, und zwar mit dem klaren Ziel, die Quote
derjenigen, die den subsidiären Schutz erhalten sollen,
zu erhöhen und damit den Nachzug von Familien eben
drastisch zu reduzieren .


(Barbara Woltmann [CDU/CSU]: Aus gutem Grund!)


– Ja, es ist aber ein Zahlenargument, Frau Woltmann,
und kein moralisches . Dies hier herauszuarbeiten ist auch
Aufgabe der Opposition, und das tun wir hiermit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg . Rüdiger Veit [SPD] – Barbara Woltmann [CDU/CSU]: Es ist auch ein moralisches, was Integration betrifft!)


Die SPD hat das damals im sogenannten Asylpaket II
so mitgetragen . Ich möchte gerne Rüdiger Veit für sei-
ne Rede ausdrücklich danken . Es ist überhaupt nicht
verwunderlich, dass er das hier so herausarbeitet, Herr
Patzelt; denn Abgeordnete sind frei und ihrem Gewissen
verpflichtet,


(Beifall der Abg . Ulla Jelpke [DIE LINKE])


und ich glaube, Ihre Rede hier war deutlich ein Appell
dafür, dass diese Entscheidung über den vorliegenden
Gesetzentwurf eben nicht nur eine Entscheidung ist, die
der Fraktionsdisziplin unterliegt, sondern auch eine, die
dem Gewissen Rechnung tragen muss .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN Martin Patzelt KEN – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das sollte bei jeder Entscheidung der Fall sein!)





(A) (C)


(B) (D)


– Ja, das wünschen wir uns auch, dass dies bei jeder Ent-
scheidung so gemacht wird . Bei dieser ist es aber sehr
offensichtlich, und davon hat Rüdiger Veit, wie ich finde,
sehr treffend Gebrauch gemacht .

Nun kann man der SPD unterstellen, dass es entweder
naiv oder aber knallhart kalkuliert war . Ich stelle mich
da auf keine Seite . Aber beides ist kein Ruhmeszeugnis;
denn es ist Fakt, dass die Annahme, es werde nur eine
kleine Gruppe von Menschen treffen, falsch war . Wir ha-
ben das damals schon kommen sehen – Sie nicht . Das ist
nicht weiter schlimm; denn wir geben Ihnen ja jetzt mit
dem vorliegenden Gesetzentwurf die Möglichkeit, da-
rauf zu reagieren und diese Entscheidung zu korrigieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Petra Sitte [DIE LINKE])


Sie haben eben nicht erkannt, dass es eine deutlich
größere Gruppe als angenommen treffen wird . Sie haben
auch nicht erkannt, dass die Dauer der Trennung bis zum
Familiennachzug deutlich länger sein wird, nämlich bis
zu fünf Jahre . Ich kann dazu nur sagen: Mein Sohn ist
anderthalb Jahre alt . Die Vorstellung, in dieser wichtigen
Zeit fünf Jahre von ihm getrennt zu sein, kann nicht mit
dem Hinweis auf eine Wartefrist beschönigt werden . Es
wäre eine dauerhafte Trennung, die ich persönlich kei-
nem einzigen Menschen zumuten möchte .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen uns auch klarmachen, was das für die
Strukturen in Deutschland bedeutet, beispielsweise für
die Beratungsverbände, die nicht wissen, wie sie erklä-
ren sollen, warum der eine Mensch aus demselben Dorf
in Syrien seine Familie sofort nachholen darf, der andere
aber erst in zwei Jahren . Das kann man nicht erklären .


(Barbara Woltmann [CDU/CSU]: Doch! Das kann man erklären, und ob man das kann!)


Man kann auch von den Menschen nicht erwarten, dass
sie das erklären; denn es ist unverhältnismäßig . Die ver-
änderte Entscheidungspraxis des Bundesamtes führt da-
rüber hinaus zu einer Reihe von Verwaltungsgerichtsent-
scheidungen, die unnötig wären und unsere Strukturen
massiv belasten .

Wir haben unbegleitete Minderjährige, die alleine
hierherkommen, 18 Jahre alt werden und dann kein Recht
mehr darauf haben, mit ihrer Familie zusammengeführt
zu werden, und deshalb dauerhaft, also lebenslang, von
ihrer Familie getrennt sein müssen, wenn sie diesen Zu-
stand nicht ändern und vielleicht nach Syrien oder in die
Türkei zurückgehen . Kurzum, es ist schlecht für alle Be-
teiligten: die Betroffenen, die Beratungsstellen, die Ge-
richte, aber auch für die Zivilgesellschaft .

Mein letzter Gedanke: Die Zivilgesellschaft, die sich
jetzt über ein Jahr lang mit Zeit, privatem Geld und
höchstem Engagement dafür eingesetzt hat, dass Men-
schen hier ankommen können und eine Perspektive be-
kommen, sieht jetzt reihenweise Gemüter zerbrechen,

weil Menschen hier leben und nicht wissen, wie sie zu
ihren Familien kommen können . Auch das demobilisiert
eine Gesellschaft, das frustriert eine Gesellschaft, ent-
täuscht sie von Politik . Auch das müssen wir uns auf die
Fahnen schreiben; denn wenn wir diese Leute verlieren,
dann verlieren wir deutlich mehr als nur das Engagement
für Flüchtlinge .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819908000

Vielen Dank, Luise Amtsberg . – Der nächste Redner

ist Dr . Lars Castellucci für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Lars Castellucci (SPD):
Rede ID: ID1819908100

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mein erstes
Plädoyer ist auch, sich hineinzuversetzen, nicht immer
nur von Zahlen und von Prozenten zu sprechen, sondern
die Menschen hinter diesen Zahlen zu sehen .


(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Wer hat denn nur von Zahlen gesprochen?)


Lieber Herr Patzelt, nach Ihrer Rede möchte ich auch
über die Grenzen dieses Sichhineinversetzens sprechen .
Das mache ich in dem Bewusstsein, dass ich Sie sehr
schätze .

Wir haben gestern den 9 . November gefeiert . Das ist
ein Tag, an dem wir in Deutschland immer an Erfahrun-
gen mit Diktaturen erinnern, die wir in unserem Land
hatten . Eine Erkenntnis, die ich aus diesen Gedenktagen
mitnehme, ist, dass es eben eine Grenze bezüglich des-
sen gibt, was wir wissen können, wie wir uns in dieser
Situation verhalten hätten . Wir wissen nicht, ob wir bei
den Widerstandskämpfern im Dritten Reich oder bei der
Opposition in der DDR gewesen wären


(Zuruf von der LINKEN: Kann man nicht vergleichen!)


oder ob wir andere Wege gefunden hätten .

Es gibt Grenzen des Sichhineinversetzens, und weil es
sie gibt, bitte ich darum, nicht zu urteilen, ob ein Famili-
envater, der in Syrien ist und sagt: „Ich bleibe bei meiner
Familie, weil ich mich nicht von ihr trennen kann und
weil ich hoffe, sie dort schützen zu können“, ein besserer
Familienvater sei als einer, der sagt: Ich mache mich auf
den Weg in der Hoffnung, meine Familie nachholen zu
können .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819908200

Erlauben Sie eine Bemerkung oder Frage von Herrn

Patzelt?

Luise Amtsberg






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Lars Castellucci (SPD):
Rede ID: ID1819908300

Ja, selbstverständlich .


Martin Patzelt (CDU):
Rede ID: ID1819908400

Danke . – Es ist nur eine Bemerkung . Ich habe mir

nicht anmaßen wollen, über die Menschen, insbesondere
über die Väter, in Syrien zu urteilen . Ich habe als Antwort
auf die Frage nur von mir persönlich gesprochen . Das
habe ich sehr bewusst getan . Diesen von Ihnen erweckten
Eindruck wollte ich hier nicht stehen lassen .

Danke schön .


Dr. Lars Castellucci (SPD):
Rede ID: ID1819908500

Ich danke Ihnen für Ihre Klarstellung, bleibe aber da-

bei, dass man nur bis zu einer bestimmten Grenze weiß,
wie man selber in dieser Situation entscheiden würde .
Wir können uns nicht wirklich in eine solche Situation
hineinversetzen, um zu wissen, wie wir handeln würden,
wenn wir tatsächlich von diesem Bürgerkrieg betroffen
wären . Das wird uns bei aller Anstrengung nicht gelin-
gen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hat-
te in meinem Büro einen jungen Syrer zu Besuch, von
dem ich jetzt erzählen möchte . Er ist 16 Jahre alt, sein
Betreuer vom Landkreis hat ihn begleitet . Dieser Syrer
wollte von mir wissen, warum denn sein Asylverfahren
noch nicht einmal eröffnet worden ist und wann er seine
Familie wiedersehen kann . Seine Familie in Syrien, die
ihren Sohn nach Deutschland geschickt hat, während der
jüngste Bruder dem Bombenhagel zum Opfer gefallen
ist, wird vom IS unter Druck gesetzt . – Was erzählt man
so jemandem? Frau Woltmann, Sie haben gesagt: Wir
sollen denen helfen, die hier sind . – Diesem Jungen wür-
den wir am meisten helfen, wenn wir es schaffen würden,
seine Familie hierherzuholen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte etwas über Werte sagen . Es ist in diesem
Zusammenhang von der Herausforderung Integration
gesprochen worden . Auch das, liebe Barbara Woltmann,
war deine Formulierung . Dazu brauchen wir Wohnraum,
Arbeit, Bildung und Sprachkurse . Aber es wird sich doch
niemand gut integrieren können, wenn er Angst um seine
Familie im Bürgerkrieg haben muss .

Der Junge, der bei mir im Büro gewesen ist, hat ge-
sagt: Wissen Sie, ich lerne Deutsch – er konnte schon
ziemlich gut Deutsch –, ich strenge mich auch an . Aber
mein Asylverfahren ist noch nicht einmal eröffnet wor-
den, obwohl die Menschen um mich herum schon als
Flüchtlinge anerkannt sind . Diese stellen sogar das eine
oder das andere an . Ist das gerecht? – Dieser Junge lernt
vielleicht in einem Integrationskurs oder irgendwo an-
ders, dass wir in Deutschland der Familie einen großen
Wert beimessen . Er hat vielleicht auch schon einmal et-

was aus dem Grundgesetz gelesen oder gehört, dass die
CDU die Familienpartei sein möchte .


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Sie ist es auch!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Inte-
gration in diesem Land gelingen soll, dann geht es da-
rum, unsere Werte zu vermitteln . Unsere Werte werden
wir nur dann gut vermitteln können, wenn wir sie vor-
leben . Wenn wir die Familie als Wert hochhalten, dann
gehört dazu, dass wir es den Menschen ermöglichen, ihre
Familie nachzuholen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Zusammenhang wird der Satz gesagt – man
möchte ihn nicht immer deutlich aussprechen, aber man
hört ihn auf den Gängen, und er ist auch schon angeklun-
gen –: Man kann nicht allen helfen .

Jetzt möchte ich eine Situation schildern, in die wir
uns hineinversetzen können . Stellen wir uns vor, wir
wären mit unserem schwerkranken Kind beim Arzt . Das
Wartezimmer ist rappelvoll . Die Sprechstundenzeit en-
det, aber drei Patienten sind noch nicht behandelt wor-
den . Dann sagt der Arzt: Ich kann nicht allen helfen . Jetzt
ist die Sprechstunde geschlossen . – Ich frage uns alle
hier: Wer von uns würde das akzeptieren?

Ja, es gibt kein ethisches Prinzip, nach dem wir uns
überfordern sollen . Das wird von niemandem verlangt .
Aber es gibt ein ethisches Prinzip, da zu helfen, wo wir in
der Lage sind, zu helfen . Das ist für meine Begriffe hier
eindeutig der Fall .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Das tun wir ja!)


Jetzt möchte ich zum Schluss etwas sagen, was mir
das Wichtigste ist . Wir müssen aufpassen, dass wir diese
Debatte um Flucht und Migration nicht immer kleinteilig
führen und immer nur von engen Grenzen und den He-
rausforderungen sprechen .


(Barbara Woltmann [CDU/CSU]: Man muss auch das Ganze im Auge behalten!)


Es heißt, dass 70 Prozent der Flüchtlinge nur subsidiären
Schutz zuerkannt bekommen .


(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Wo steht das denn?)


– Das sind die aktuellen Zahlen, Frau Lindholz .


(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Nein!)


70 Prozent der Flüchtlinge erhalten nur subsidiären
Schutz .


(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Falsch!)


– Sie können das gleich richtigstellen . – Wenn das so
ist, wovon ich jetzt erst einmal ausgehe, dann bedeutet
das, dass diejenigen, die etwa von Terror, von Folter und
von Vergewaltigung bedroht sind und die aus politischen
Gründen oder wegen ihrer Gruppenzugehörigkeit indivi-






(A) (C)



(B) (D)


duell verfolgt werden, gar keine Chance haben, aus dem
Bürgerkriegsland herauszukommen. Ich finde, das ist
doch das zentrale Thema, dem wir uns stellen müssen .
Wir müssen sagen: Als eine Wertegemeinschaft, die wir
sind, müssen wir den Menschen, die aufgrund eines Bür-
gerkrieges oder aufgrund einer Zugehörigkeit zu einer
bestimmten Gruppe an Leib und Leben bedroht sind, die
Chance geben, aus dieser Situation herauszukommen,
und sie hier aufnehmen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Dem Kollegen Veit bin ich für seine Rede ebenfalls
sehr dankbar . Auch wenn er in der betreffenden Debatte
nicht anwesend war, so zählt er doch zu den größten Ex-
perten in diesem Hause und hat es gar nicht nötig, an jeder
Debatte teilzunehmen . Ich glaube, er hat es sehr klarge-
macht: Wir haben damals in einer Situation entschieden,
in der der Innenminister nach einem Flug vor die Presse
getreten ist und gesagt hat, dass für Syrer künftig nur der
subsidiäre Schutz gelten soll . Damals gab es einen Auf-
schrei, und dann wurde das zurückgenommen .


(Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Wir leben immer noch in einem Rechtsstaat!)


Wenn es nur um subsidiären Schutz gehen soll und die
Anerkennungsquoten von Syrerinnen und Syrern nach
der Flüchtlingskonvention so rückläufig sind, wie es zur-
zeit der Fall ist, dann ist auch für mich die Geschäfts-
grundlage für unseren damaligen Kompromiss entfallen .

Deswegen bitte ich Sie, offen zu sein, damit wir bei
diesem Thema zueinanderfinden und Lösungen erarbei-
ten, damit wir den Menschen, die von der schlimmsten
Not betroffen sind, in diesem Land auch weiterhin helfen
können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819908600

Vielen Dank, Dr . Castellucci . – Ich bitte die Kollegin-

nen und Kollegen, auch der letzten Rednerin in der De-
batte Gehör zu schenken . Ich gebe ihr jetzt das Wort . Die
letzte Rednerin in dieser Debatte: Andrea Lindholz für
die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1819908700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worüber
diskutieren und debattieren wir heute eigentlich in die-
sem Haus? Eigentlich geht es um den Antrag der Linken
und den Gesetzentwurf der Grünen, in denen es darum
geht, den Familiennachzug für subsidiär Geschützte, den
wir für zwei Jahre ausgesetzt haben, wieder zu ermögli-
chen .

Auch ich, sehr geehrter Herr Castellucci, könnte jetzt
von Einzelschicksalen aus meinem Wahlkreis erzählen,
von schlimmen Einzelschicksalen, die wir uns selber

nicht wünschen . Aber wir haben in Deutschland auch
nach unseren Möglichkeiten und Grenzen zu suchen, und
wir haben in Deutschland aktuell 1,7 Millionen Auslän-
der mit Bezug zu Asylverfahren .

Um es noch einmal klar zu sagen: Es geht heute nicht
um den Familiennachzug von Flüchtlingen nach Arti-
kel 16a unseres Grundgesetzes . Es geht nicht um den
Familiennachzug von Flüchtlingen nach der Genfer
Flüchtlingskonvention . Es geht gerade nicht um diese
Flüchtlinge, sehr geehrter Herr Castellucci, die persön-
liche Verfolgungsgründe haben, sondern es geht um die
Flüchtlinge, die bei uns nur subsidiären Schutz genießen,
das heißt zunächst für ein Jahr, der dann gegebenenfalls
verlängert wird .

Asylrecht ist vom Grundsatz her immer nur ein An-
spruch auf Zeit; es ist kein Daueranspruch, in unserem
Land leben zu können .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Subsidiären Schutz haben im letzten Jahr 1,2 Pro-
zent aller anerkannten Flüchtlinge erhalten . Das waren
1 707 Personen . In diesem Jahr ist die Zahl auf 89 000
gestiegen . Das sind 31 Prozent . Der Rest fällt überwie-
gend unter die Genfer Flüchtlingskonvention . Das ist
so, nicht etwa, weil wir in einer Bananenrepublik leben,
sondern in einem Rechtsstaat, der dazu zurückgekehrt
ist, Einzelfallanhörungen durchzuführen und klar zu ent-
scheiden, ob jemand, egal aus welchem Land er kommt,
Anspruch nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder
auf subsidiären Schutz hat .

Es geht nicht an, dass wir einfach so, ohne Prüfung im
schriftlichen Verfahren, über den Flüchtlingsstatus ent-
scheiden . Insofern macht das Bundesamt nichts anderes,
als Recht und Gesetz anzuwenden . Es wurde auch ganz
klar gesagt, dass es keine Anweisung gibt, die im Übri-
gen auch rechtswidrig wäre .


(Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist ein Zufall, dass die Zahlen auch steigen, oder wie?)


– Mir ist schon klar, dass Sie nicht gerne Zahlen hören .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Ich kenne sie vor allen Dingen!)


Sie hören nicht gerne, dass wir in Bayern 134 000 Flücht-
linge aufgenommen haben, dass wir allein in Bayern
4,5 Milliarden Euro investieren und dass der Bund bis
2020 94 Milliarden Euro ausgibt . Sie hören auch nicht
gerne Zahlen,


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso soll ich das nicht gerne hören? Das ist richtig, dass das so ist!)


sondern Sie setzen sich mit Einzelschicksalen auseinan-
der . Aber wir müssen das Große und Ganze im Blick be-
halten .


(Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Platz für Flüchtlinge! Das ist die Devise!)


Dr. Lars Castellucci






(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819908800

Frau Lindholz, Moment bitte . – Liebe Kolleginnen

und Kollegen, Frau Lindholz redet gerade . Wir sind
gerade mitten in einer Debatte . Wir sind nicht auf dem
Pausenhof . Ich bitte alle, sich entweder zu setzen oder
die Gespräche draußen fortzuführen . Frau Lindholz hat
das Recht, dass man ihr zuhört, und ich bitte, dass dieses
Recht auch respektiert wird .


(Beifall des Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das gilt für alle; Herr Hüppe, auch für Sie . – Frau
Lindholz, bitte .


Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1819908900

Es gibt im Übrigen keine Möglichkeit, grenzenlose

Solidarität zu zeigen . Wenn ich mir die Reden der Kolle-
gen von den Grünen und der Linken sowie die des einen
oder anderen Kollegen von der SPD vor Augen führe,
frage ich mich allen Ernstes: Haben Sie mit Kommunal-
politikern vor Ort gesprochen?


(Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese können Ihnen erklären, wie schwierig die Situation
vor Ort ist, welche Probleme es bei der Unterbringung
und der Versorgung der Flüchtlinge gibt und dass der
Wohnungsmarkt angespannt ist .

Herr Kollege Veit, wir haben uns nicht aus Lust und
Laune für die begrenzte Aussetzung des Familiennach-
zugs beim subsidiären Schutz entschieden . Wir sind auch
nicht von falschen Zahlen ausgegangen . Die Union ist
von richtigen Zahlen ausgegangen . Wir haben zugleich
gesagt, dass die Betreffenden öfter subsidiären Schutz be-
kommen müssten, als dies aktuell der Fall ist . Wir haben
uns dennoch für eine begrenzte Aussetzung ausgespro-
chen, weil die Unterbringungs- und Versorgungsmög-
lichkeiten in den Kommunen aufgrund der Wohnraum-
knappheit beschränkt sind . Wir wollen die Zuwanderung
und die Integration steuern, ordnen und begrenzen . Sie
erwecken einen völlig falschen Eindruck, wenn Sie sa-
gen, dass diese Entscheidung aufgrund falscher Zahlen
zustande kam .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, mir ist
es nicht erklärlich, warum Sie heute die Regelung, die
Sie gemeinsam mit uns im Februar unter bestimmten
Voraussetzungen beschlossen haben, in Abrede stellen .
Aber von den beiden Rednern der SPD war wohl nichts
anderes zu erwarten .

Ich möchte mir nicht länger den Vorwurf gefallen las-
sen, wir betrieben eine unmenschliche Politik .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt aber!)


Die Schweden haben im letzten und auch in diesem
Jahr unter einer rot-grünen Regierung ihr Asylrecht
verschärft . Die Schweden haben ebenfalls den Famili-
ennachzug beschränkt . Warum haben sie das gemacht?

Weil auch die Schweden gemerkt haben, dass sie an ihre
Grenzen stoßen .

Frau Kollegin Jelpke, das Asylrecht ist kein schran-
kenloses Recht . Es stößt dann an seine Schranken, wenn
ein Staat nicht mehr in der Lage ist, seine Aufgaben zu er-
füllen . Auch ich möchte an dieser Stelle Papst Franziskus
zitieren . Er hat den Schweden gesagt: „Einen Flüchtling
muss man nicht nur empfangen, sondern auch integrie-
ren .“ Wenn Schweden keine Flüchtlinge mehr empfan-
gen könne, dann geschehe das nicht aus Egoismus, son-
dern, damit allen ein Zuhause und eine Arbeit gegeben
werden könne .

Wir sind davon noch immer weit entfernt .


(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das auch den Kindern und den Säuglingen?)


Wir nehmen noch immer in erheblichem Umfang Flücht-
linge auf . Allein im letzten Jahr ist die Zahl der Inobhut-
nahmen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
von 11 642 im vorletzten Jahr auf 42 309 angestiegen .
Die Zahl der Asylanträge von unbegleiteten Minderjähri-
gen hat sich dieses Jahr vervielfacht . Wollen wir weiter-
hin mit unserer Politik dafür sorgen, dass hauptsächlich
junge Männer und unbegleitete Minderjährige auf den
gefährlichen Fluchtweg geschickt werden? Schon lange
kommen die Familienangehörigen im Rahmen des heute
zur Diskussion stehenden Familiennachzugs nicht mehr
direkt aus Syrien, sondern aus den Anrainerstaaten; das
steht sogar in der Antwort auf Ihre Anfrage . Es muss also
in erster Linie darum gehen, dass wir Hilfe vor Ort und
in den Anrainerstaaten leisten und dass wir in Europa ein
gut funktionierendes Asylsystem aufbauen .

Wir müssen im Hinblick auf die Aufnahmekapazität
in Deutschland steuern, ordnen und begrenzen . Nur dann
können wir das schultern . Die Akzeptanz in unserem
Land geht nicht dadurch verloren, dass wir den Famili-
ennachzug für subsidiär Schutzberechtigte für zwei Jahre
aussetzen . Die Akzeptanz in unserem Land geht verlo-
ren, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass wir uns
nicht mehr um sie und ihre Probleme kümmern und dass
wir nicht mehr in der Lage sind, die Migration zu steu-
ern, zu ordnen und zu begrenzen . Dieser Schritt war Teil
unserer Maßnahmen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, den Vorla-
gen nicht zuzustimmen . Auch ich könnte Ihnen viele
Einzelfälle und Schicksale, die uns ans Herz gehen, als
humanitäre Beispiele nennen . Aber unsere Politik muss
sich daran orientieren, die Akzeptanz von Zuwanderung
und Migration in Deutschland zu erhalten . Aber Sie ha-
ben heute in keiner einzigen Rede von Deutschland, den
begrenzten Aufnahmemöglichkeiten der Kommunen und
den Problemen vor Ort gesprochen .


(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


So verlieren wir die Akzeptanz in unserem Land .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819909000

Vielen Dank, Kollegin Lindholz . – Es tut mir leid,

dass es so unruhig war im Saal . Sie sollten einmal in
Ihren Fraktionen ansprechen, wie man mit Rednerinnen
und Rednern aus den eigenen Fraktionen umgeht .

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/10044 und 18/10243 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 40 a bis 40 e sowie
die Zusatzpunkte 4 a bis 4 c auf:

40 . a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Auflösung der Bundesmonopolverwal-
tung für Branntwein und zur Änderung

(Branntweinmonopolverwaltung-Auflösungsgesetz – BfBAG)


Drucksache 18/10008
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Haushaltsausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten
Gesetzes zur Änderung des Kreislauf-
wirtschaftsgesetzes

Drucksache 18/10026
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

c) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zum Abbau verzichtbarer Anordnun-
gen der Schriftform im Verwaltungsrecht
des Bundes

Drucksache 18/10183
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss Digitale Agenda

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Abkommen vom 21. Dezember 2015
über eine verstärkte Partnerschaft und
Zusammenarbeit zwischen der Europä-
ischen Union und ihren Mitgliedstaaten
einerseits und der Republik Kasachstan
andererseits

Drucksache 18/10212
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Heidrun Bluhm, Norbert Müller (Potsdam),
Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Keine Beteiligung des Bundes am Wie-
deraufbau der Garnisonkirche Potsdam

Drucksache 18/10061
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Ausschuss für Kultur und Medien

ZP 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Harald
Ebner, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Reduzierung, Beschränkung und Verbesse-
rung von Tiertransporten

Drucksache 18/10251
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn, Kerstin
Andreae, Markus Kurth, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Existenzminimum verlässlich absichern,
gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen

Drucksache 18/10250
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

c) Beratung des Antrags der Abgeordne-
ten Maria Klein-Schmeink, Elisabeth
Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Fairen Wettbewerb in der solidarischen
Krankenversicherung ermöglichen – Wei-
terentwicklung des morbiditätsorientierten
Risikostrukturausgleiches vorantreiben

Drucksache 18/10252
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen . Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall . Dann sind die Überweisungen so beschlossen .






(A) (C)



(B) (D)


Ich rufe die Tagesordnungspunkte 41 b bis 41 j auf . Es
handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu
denen keine Aussprache vorgesehen ist .

Tagesordnungspunkt 41 b:

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Michael Schlecht, Klaus Ernst, Matthias
W . Birkwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Exportüberschüsse abbauen – Wende in der
Lohnpolitik einleiten

Drucksachen 18/4837, 18/6251


(Unruhe)


– Ich verstehe hier mein eigenes Wort nicht mehr . Ich
kann die Sitzung auch gerne unterbrechen; dann gehen
wir alle zum Mittagessen oder zum Kaffeetrinken . Aber
so macht es einfach keinen Sinn .

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/6251, den Antrag der Fraktion
Die Linke auf Drucksache 18/4837 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD . Dagegen war die Linke, und enthalten hat sich
Bündnis 90/Die Grünen .

Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
titionsausschusses, Tagesordnungspunkte 41 c bis 41 j .

Tagesordnungspunkt 41 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 367 zu Petitionen

Drucksache 18/10048

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 367 ist einstimmig ange-
nommen .

Tagesordnungspunkt 41 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 368 zu Petitionen

Drucksache 18/10049

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Damit ist die Sammelübersicht 368 ebenfalls
einstimmig angenommen .

Tagesordnungspunkt 41 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 369 zu Petitionen

Drucksache 18/10050

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Sammelübersicht 369 ist mit den Stim-

men von CDU/CSU und SPD angenommen . Dagegen-
gestimmt hat die Linke . Enthalten hat sich Bündnis 90/
Die Grünen .

Tagesordnungspunkt 41 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 370 zu Petitionen
Drucksache 18/10051

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 370 ist einstimmig ange-
nommen .

Tagesordnungspunkt 41 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 371 zu Petitionen
Drucksache 18/10052

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 371 ist einstimmig ange-
nommen .

Ich will an dieser Stelle den Mitgliedern des Petitions-
ausschusses einmal für ihre wichtige Arbeit danken, die
sie für unser Parlament leisten .


(Beifall im ganzen Hause)


Sie stehen nicht immer auf den Titelseiten der Zeitungen .
Ihre Arbeit ist praktisch nie Gegenstand der ersten Nach-
richt in der Tagesschau oder bei heute . Vielen herzlichen
Dank, liebe Kolleginnen und Kollegen, für das, was Sie
hier in diesem Parlament leisten .


(Beifall im ganzen Hause)


Tagesordnungspunkt 41 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 372 zu Petitionen
Drucksache 18/10053

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 372 ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und die Linke . Da-
gegen war Bündnis 90/Die Grünen .

Tagesordnungspunkt 41 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 373 zu Petitionen
Drucksache 18/10054

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 373 ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die
Grünen . Dagegen war die Linke .

Tagesordnungspunkt 41 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


Sammelübersicht 374 zu Petitionen

Drucksache 18/10055

Dazu gibt es drei Erklärungen nach § 31 der Ge-
schäftsordnung .1)

Wer stimmt für diese Sammelübersicht? – Wer stimmt
dagegen? – Die Sammelübersicht ist angenommen . Zu-
gestimmt haben CDU/CSU und SPD . Dagegen waren
Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .

Jetzt warten schon einige Kolleginnen und Kollegen
schön aufgereiht auf den nächsten Tagesordnungspunkt .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Wahlvorschlag der Fraktion der SPD

Wahl von Mitgliedern des Sondergremiums
gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungsmecha-
nismusgesetzes

Drucksache 18/10096

Die Fraktion der SPD schlägt auf Drucksache 18/10096
den Abgeordneten Johannes Kahrs als ordentliches Mit-
glied und den Abgeordneten Dennis Rohde als Stellver-
treter vor .

Bevor wir zur Wahl kommen, bitte ich – das ist wieder
eine Bitte; ich bin gespannt, ob mir diese Bitte irgendje-
mand erfüllt – für einige Hinweise zum Wahlverfahren
um Ihre Aufmerksamkeit .

Diese Wahl ist geheim . Zur Wahl sind die Stimmen
der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, das heißt
mindestens 316 Stimmen, erforderlich .

Für diese Wahl benötigen Sie Ihren gelben Wahlaus-
weis, den Sie, soweit noch nicht geschehen, den Stimm-
kartenfächern in der Lobby entnehmen können . Die
Wahlunterlagen erhalten Sie von den Schriftführerin-
nen und Schriftführern an den Ausgabetischen vor den
Wahlkabinen . Zeigen Sie dort bitte Ihren Wahlausweis
vor . Dort erhalten Sie die gelbe Stimmkarte für die Wahl
des ordentlichen Mitglieds und die blaue Stimmkarte
für die Wahl des stellvertretenden Mitglieds sowie einen
Wahlumschlag .

Auf jeder der beiden Stimmkarten können Sie jeweils
ein Kreuz machen . Sie können „ja“, „nein“ oder „ent-
halte mich“ ankreuzen . Ungültig sind Stimmkarten, die
kein Kreuz oder mehr als ein Kreuz, andere Namen oder
Zusätze enthalten . Das müsste Ihnen eigentlich bekannt
sein .

Die Wahl ist geheim . Das heißt, Sie dürfen Ihre beiden
Stimmkarten nur in der Wahlkabine ankreuzen und müs-
sen beide Stimmkarten ebenfalls noch in der Wahlkabine
in den Umschlag legen . Anderenfalls wäre die Stimmab-
gabe ungültig . Die Wahl kann in diesem Fall vorschrifts-
mäßig wiederholt werden . Das wollen Sie sicherlich ver-
meiden . Halten Sie sich deswegen bitte an die Regeln!
Die Schriftführerinnen und Schriftführer werden darauf
achten .

1) Anlage 2

Bevor Sie den Wahlumschlag in die Wahlurne werfen,
müssen Sie der Schriftführerin oder dem Schriftführer an
der Wahlurne Ihren gelben Wahlausweis übergeben . Die
Abgabe des Wahlausweises dient als Nachweis für die
Beteiligung an der Wahl . Kontrollieren Sie daher bitte,
ob der Wahlausweis Ihren Namen trägt .

Soll ich das jetzt wiederholen, oder ist das angekom-
men? Das kann ich gerne machen .


(Zurufe: Nein!)


– Gut, dann wiederhole ich das nicht mehr . Sie haben
alles zu hundert Prozent verstanden .

Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer,
die vorgesehenen Plätze einzunehmen . – Ich sehe, dass
die Tische besetzt sind . Damit eröffne ich die Wahl .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, haben Mitglieder
des Hauses ihre Stimme noch nicht abgegeben? – Dann
bitte ich, dies jetzt zu tun .

Gibt es noch eine Kollegin oder einen Kollegen, die
oder der die Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist
nicht der Fall . Dann schließe ich die Wahl und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung
zu beginnen . Das Ergebnis der Wahl wird Ihnen dann
später bekannt gegeben .2)

Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen, auch die-
jenigen auf der Regierungsbank, jetzt bitten, ihre Plätze
einzunehmen, damit wir in unserer Sitzung fortfahren
können .

Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:

Vereinbarte Debatte

zur aktuellen Lage in der Türkei
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für

die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . Gibt es dagegen
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner hat der
Außenminister Frank-Walter Steinmeier für die Bundes-
regierung das Wort .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Welt ist vorgestern Nacht nicht einfacher geworden .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Die Sorgen vieler Menschen sind eher größer geworden,
und das in einer Zeit, in der die Welt wahrlich genug An-
lass zur Sorge hat . Einer dieser Anlässe ist die sich seit
Monaten zuspitzende Lage in der Türkei, über die wir
heute sprechen und diskutieren können . Ich danke für
die Initiative aus den Fraktionen zu dieser Vereinbarten
Debatte, nicht nur, weil wir unsere Sorgen ausdrücken
wollen über Entlassungswellen, Inhaftierungen, Repres-

2) Ergebnis Seite 19815 B

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


salien, sondern weil wir auch über Konsequenzen in
unserem Handeln nachdenken müssen . Ich würde mich
freuen, wenn wir es uns dabei nicht zu einfach machen,
indem wir entweder diskutieren längs eigener Vorurtei-
le oder Feindbilder gegenüber der Türkei oder Erdogan
oder aber nach dem Grundsatz: Ich habe es schon immer
gewusst . – Die einfachen Lösungen, die ohnehin selten
sind, stehen uns im Falle der Türkei, liebe Kolleginnen
und Kollegen, erst recht nicht zur Verfügung .

Ich schlage vor, dass wir zunächst einmal anerkennen:
Die Türkei erlebt stürmische und bedrohliche Zeiten; und
das erleben nicht in erster Linie wir in Deutschland, son-
dern das erleben vor allen Dingen die Menschen in der
Türkei . Viele Menschen dort leiden unter den seit Wo-
chen wachsenden Spannungen, machen sich Sorgen um
die Richtung, die das Land einschlägt . In Deutschland
haben viele Mitbürger Verwandte, Familie, Freunde in
der Türkei . Natürlich geht ihnen allen die Unruhe in der
Türkei noch viel näher, und sie leiden mit .

Deshalb, Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns
zu Anfang gemeinsam Solidarität zeigen: Wir Deutschen
stehen an der Seite der Menschen in der Türkei, und wir
wollen alles tun und dazu beitragen, die türkische Demo-
kratie zu festigen .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es sind bedrohliche Zeiten für die Türkei in gleich
mehrerer Hinsicht: Direkt an den Außengrenzen der Tür-
kei toben die schwersten Konflikte unserer Zeit. Rund
3 Millionen Flüchtlinge aus Syrien hat die Türkei aufge-
nommen . Die inneren Spannungen des Landes sind wei-
ter ungelöst . Die Versöhnungsversuche der letzten Jahre
sind dahin . Der Brückenbau zum kurdischen Südosten
ist abgebrochen . Und dann im Juli der Putschversuch,
der die Türkei erschüttert hat, ein Angriff auf das Herz
der türkischen Demokratie . Es ist ein Glück, dass dieser
Versuch schnell gescheitert ist . Wir trauern um die Opfer
der Putschnacht, und wir bewundern die vielen, vielen
couragierten Menschen in der Türkei, die in dieser Nacht
die Verfassung und die demokratischen Institutionen ver-
teidigt haben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich wissen wir um die terroristische Bedrohung .
Der sogenannte „Islamische Staat“ hat in den letzten
Monaten mehrfach in der Türkei zugeschlagen und viel
zu viele Menschenleben gekostet, unter ihnen auch elf
Deutsche in Istanbul am Anfang dieses Jahres .

Noch viel mehr Menschen in der Türkei leben in der
ständigen Angst vor den perfiden Waffen des Terrors.
Unsere Haltung ist klar und unmissverständlich: Wir
verurteilen den Putschversuch . Was geschehen ist, muss
aufgearbeitet werden: politisch und auch strafrechtlich;
keine Frage . Wir verurteilen jede Form des Terrorismus
und gehen mit allen Mitteln des Rechtsstaates gegen ter-
roristische Strukturen vor, inklusive der PKK . Das ist
und das bleibt unsere Haltung . Deshalb kann ich die an-

derslautenden öffentlichen Vorwürfe meines türkischen
Kollegen nicht nachvollziehen . Ich weise sie entschieden
und mit Nachdruck zurück, liebe Kolleginnen und Kol-
legen .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber wenn wir die aktuellen Turbulenzen in der Tür-
kei analysieren, dann müssen wir eben auch fragen, ob
das, was wir jetzt beobachten, ob der Personenkreis
derjenigen, die jetzt verfolgt werden, wirklich noch im
Zusammenhang mit dem Putschversuch oder dem Terro-
rismus steht . Vor allem müssen wir fragen, ob das Vorge-
hen der türkischen Regierung mit den Mindeststandards
rechtsstaatlicher Verfahren vereinbar ist . Auch darüber
müssen wir heute debattieren und mit der Türkei notfalls
darüber streiten .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


All die Stürme, all die Turbulenzen, die die Türkei
erlebt, deuten in meinen Augen am Ende ganz klar auf
eines hin: Die Türkei steht an einer Wegscheide . Es geht
um die Richtung des Landes: entweder hin nach Europa
oder weg von Europa, hin zu einer verfassten Demokra-
tie, inklusive einer respektierten parlamentarischen Op-
position, oder weg von ihr .

Ich glaube, wir sollten an dieser Wegscheide ein deut-
liches Signal an die Türkei senden, und das Signal heißt:
Wir stehen für die europäische Bindung der Türkei . Wir
wollen die europäische Bindung der Türkei . Und wenn
ich mir die Krisen und Konflikte in der Nachbarschaft
der Türkei anschaue, dann sage ich als Außenminister
ganz offen: Wir brauchen die europäische Bindung der
Türkei .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg . Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn wir einen nüchternen Blick auf die Fakten wer-
fen, dann stellen wir fest: Die europäische Bindung liegt
auch im Interesse der Türkei, ob wir über die wirtschaft-
lichen Verbindungen nach Europa und Deutschland re-
den oder über Sicherheit . Aber, liebe Kolleginnen und
Kollegen, so klar diese Fakten, so klar unsere Signale
sein mögen: Die Verantwortung für die Richtung, die die
Türkei nimmt, liegt allein in der Türkei und nirgendwo
anders .

Die letzten Wochen haben uns leider gezeigt, dass die
Entscheidungen und Maßnahmen der türkischen Führung
und auch die rhetorische Eskalation gegenüber engsten
Partnern wohl in eine andere Richtung weisen . Ja, wir
wünschen uns gute Beziehungen zur Türkei, aber die Re-
alität hat sich verändert, und darauf müssen wir unsere
Politik ausrichten . Das hat aus meiner Sicht zwei Seiten:

Wir lassen die politische Führung dort nicht aus der
Verantwortung . Wir suchen weiterhin und gerade jetzt
noch intensiver das Gespräch mit der Regierung . Nächs-
ten Dienstag werde ich zu politischen Gesprächen nach
Ankara reisen . Die Sorgen über das, was in der Türkei
passiert, betreffen am Ende nicht nur unser bilaterales

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier






(A) (C)



(B) (D)


Verhältnis, sondern sie betreffen die vielen internationa-
len Institutionen, in denen wir mit der Türkei verbunden
sind . Auch da gehören die Themen hin; denn viele der
internationalen Bündnisse sind nicht einfach nur Zweck-
bündnisse, sondern sie sind auch Wertebündnisse . Das
ist natürlich der Europarat, das ist aber auch die NATO .
Wenn wir die politische Führung in der Türkei in Verant-
wortung einbinden wollen, dann müssen wir auch diese
Foren für kontroverse Debatten nutzen, um wenigstens
unseren Standpunkt gegenüber der Türkei klarzumachen .

Deshalb gehört in diesem Zusammenhang, meine Da-
men und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch
ein Wort zum Verhältnis der Türkei zur EU . Natürlich –
das haben Sie, ich, wir alle miteinander erlebt – kriegen
Sie als Politiker am leichtesten Beifall, wenn Sie in jedes
Mikrofon „Abbruch aller Gespräche“ sagen . Die Fra-
ge ist nur: Ist das klug? Sollten wirklich wir diejenigen
sein, die jetzt die Tür zuwerfen? Klar ist doch: Wenn die
Türkei die Todesstrafe wiedereinführen sollte, dann ist
das unmissverständlich das Ende der Beitrittsgespräche .
Aber zugleich weiß ich doch: Wenn wir jetzt die Tür zu-
schlagen, den Schlüssel wegwerfen, dann enttäuschen
wir viele Menschen in der Türkei, die gerade jetzt Hil-
fe suchend nach Europa schauen und auf Unterstützung
hoffen . Deshalb ist das meiner Meinung nach eben nicht
der klügste Weg .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Jürgen Hardt [CDU/CSU] und Dr . Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der Dialog mit der politischen Führung ist die eine
Seite . Die andere Seite ist die Zivilgesellschaft . Wenn die
Zivilgesellschaft in ihrer Existenz bedroht ist, dann ist
die Demokratie in ihrer Existenz bedroht . Das ist unsere
Erfahrung . Gerade wir Deutsche wissen, wie unendlich
wichtig die rechtsstaatlich garantierten Freiräume für
Journalismus, Kultur und Wissenschaft sind . Wir wissen
auch, wie gefährlich es ist, wenn diese Freiräume un-
ablässig beschnitten werden . Deshalb will ich heute ein
Bündel an Maßnahmen vorschlagen, um der türkischen
Zivilgesellschaft den Rücken zu stärken .

Erstens . Wir wollen versuchen, verfolgten Wissen-
schaftlern, Kulturschaffenden und Journalisten, die in der
Türkei nicht mehr arbeiten können, hier in Deutschland
die Weiterarbeit zu ermöglichen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Wir wollen die Stipendien der Philipp-Schwartz-Initia-
tive für türkische Forscher deutlich aufstocken, und wir
wollen gemeinsam mit der deutschen Kultur- und Me-
dienszene Möglichkeiten für türkische Journalisten und
Kulturschaffende schaffen .

Zweitens . Wir setzen auf den Austausch unter jungen
Menschen . Wir wollen die Deutsch-Türkische Jugend-
brücke auch finanziell stärken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Drittens . Wir wollen in der Türkei Freiräume für die
Zivilgesellschaft schaffen . Wir wollen die Ernst-Reu-
ter-Initiative neu beleben, und wir wollen beim Go-
ethe-Institut dafür werben, dass es einen Ort für die Zivil-
gesellschaft in Diyarbakir eröffnet, also gerade in einer
kurdisch geprägten Region, und das Modell auf Ismir
und Gaziantep erweitert .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Viertens . Wir wollen mithelfen, dass die unabhängige
und vielfältige Berichterstattung in der Türkei erhalten
bleibt . Wir fördern mittlerweile diverse Onlinemedien-
projekte, zum Beispiel das Nachrichtenportal eurotopics,
das über aktuelle europäische Debatten auf Türkisch be-
richtet .

Schließlich werden wir unsere Rolle als Gastland der
Istanbuler Buchmesse nutzen und uns gerade dort für
die Freiheit des Wortes, für den Schutz von Kunst und
Künstlern starkmachen .

Dieses Paket für die Zivilgesellschaft gehört jetzt ge-
nauso essenziell zu unseren Aufgaben wie der intensi-
vierte Dialog, möglicherweise auch die Kontroverse mit
der politischen Führung . Beides werde ich in der nächs-
ten Woche, am kommenden Dienstag, in Ankara weiter-
verfolgen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zum Schluss will ich den Blick etwas weiten: Wenn
wir auf die Türkei, aber auch auf die wachsenden Flieh-
kräfte bei uns in Europa und natürlich auf das Wahler-
gebnis sowie den Wahlkampf in den USA schauen, dann
begleiten uns dabei in der Tat viele Sorgen . Aber wir soll-
ten in unserer eigenen Haltung umso fester stehen . Wir
wissen, auf welchen Werten wir stehen, und vor allem,
welche politische Kultur wir uns erhalten wollen . Denn
wir wissen: Aus Polarisierung und grenzenloser Kon-
frontation ist noch nie Gutes erwachsen . Das sagen wir
auch unseren Freunden in der Türkei . Doch die Entschei-
dung über den Weg, die wird weiter in Ankara liegen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819909100

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Dietmar

Bartsch für die Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819909200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Vor eini-

gen Wochen war der Vorsitzende der HDP, Herr Demirtas,
bei uns zu Gast . Wir haben miteinander gesprochen . Zum
Abschluss sagte er zu mir: Den nächsten Kontakt werden
wir vermutlich über Briefe aus dem Gefängnis haben . –
Ich habe das, ehrlich gesagt, nicht für möglich gehalten
und eher für eine sarkastische Überspitzung – trotz der

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier






(A) (C)



(B) (D)


Kenntnis von den Entwicklungen in der Türkei in den
letzten Monaten . Aber, meine Damen und Herren, wir
alle wissen, genau das ist auf furchtbare Art und Weise
eingetreten .

Wir haben die Entwicklung gesehen: die gewaltsame
Niederschlagung der Proteste im Gezi-Park, die Nieder-
schlagung der Demonstrationen zum Weltfrauentag, die
Unterstützung der Türkei für den IS – die Türkei war und
ist Transitland des Terrorismus – und, und, und . Auch der
jetzt vorgelegte Bericht der EU-Kommission fällt ein ka-
tastrophales Urteil über die Türkei .

Lieber Frank-Walter Steinmeier, es geht auch uns nicht
um einfache Lösungen . Niemand hat einfache Lösungen .
Aber das Entscheidende ist: Die Bundesregierung hat in
all der Zeit ihre Politik gegenüber der Türkei faktisch
nicht verändert . Es gibt keine realen Konsequenzen . Sie
haben sogar das Gegenteil gemacht . Ich will einmal da-
ran erinnern: 14 Tage vor der Wahl ist Bundeskanzlerin
Angela Merkel zu Herrn Erdogan gefahren, um ihn de
facto zu unterstützen . Was ist denn das sonst?


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist de facto Wahlunterstützung . Damit haben Sie
Menschenrechte und Demokratie mit auf den Verhand-
lungstisch gelegt . Das ist die reale Situation .


(Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Der Außenminister hat mit der Opposition gesprochen!)


Aber Menschenrechte und Demokratie gehören niemals
und nirgendwo auf den Verhandlungstisch .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe die kritischen Worte eben zur Kenntnis ge-
nommen . Auch Ihre Maßnahmen können wir vermutlich
weitgehend mittragen . Aber real ist es so: Sie machen ge-
genüber der Türkei eine Appeasement-Politik und nichts
anderes .


(Beifall bei der LINKEN)


Im Übrigen ist das auch heute sichtbar . Wir hätten
überhaupt keine Debatte, wenn wir nicht eine Aktuelle
Stunde beantragt hätten . Jetzt ist es, Gott sei Dank, eine
vereinbarte Debatte . Ich hätte mir heute eine Regierungs-
erklärung der Bundeskanzlerin gewünscht . Das wäre an-
gemessen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hier ist nicht ein CDU/CSU-Minister anwesend, wäh-
rend Sie, Herr Steinmeier, hier eine Rede halten . Das ist
nicht akzeptabel .

Es ist gut, dass alle Parteien die Verhaftung von
HDP-Abgeordneten und kurdischen Bürgermeistern ver-
urteilen . Das ist auch wichtig . Aber wichtig sind nicht
nur deutliche Worte der Bundesregierung, sondern kon-
kretes Handeln ist notwendig . Wir alle kennen doch die
Zahlen: Unter dem Vorwand der Aufklärung des Putsches
sind 130 000 Beamte, Lehrer, Wissenschaftler, Journalis-
ten und Polizisten entlassen worden . Es gibt 30 000 In-
haftierte . Unabhängigkeit der Justiz? Fehlanzeige . Über
100 Medien, also Zeitungen, Fernseh- und Radiostatio-

nen, wurden verboten . Can Dündar ist verhaftet worden .
Da sagen Sie hier: Die Vielfalt soll erhalten bleiben . Das
ist doch wohl ein Witz . Meinungsfreiheit in der Türkei?
Fehlanzeige .


(Beifall bei der LINKEN)


Dass jetzt Abgeordnete der Opposition verhaftet wer-
den – im Übrigen auch die beiden Parteivorsitzenden der
HDP –, ist völlig inakzeptabel . Da sind wir doch alle ei-
ner Meinung .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das geht weiter . Auch alle Abgeordneten der CHP sind
von Erdogan angezeigt worden, weil sie sich dagegen-
gestellt haben . Wir lange wollen wir da noch weiter zu-
sehen? Ich kann Ihnen nur sagen: Wir werden dazu nicht
schweigen . Wir werden das immer wieder im Parlament
und in der Öffentlichkeit thematisieren . Da helfen keine
Worte . Frau Merkel muss bereit sein, ihre Politik gegen-
über Erdogan zu ändern .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe das Gefühl, dass ihr Verhalten irgendetwas mit
dem Flüchtlingsdeal zu tun hat .

Ich will eines sagen: Realität ist, dass die Zahl der
Waffenexporte in die Türkei in all den Monaten weiter
gestiegen ist . In den letzten zwei Jahren, seit Beginn der
Flüchtlingskrise, ist die Türkei im Ranking bei den Waf-
fenexporten von Platz 25 auf Platz 8 vorgerückt . Sie tra-
gen die Verantwortung für die Waffenexporte in dieses
Land .


(Beifall bei der LINKEN)


Der Umfang der Waffenlieferungen beträgt rund
200 Millionen Euro. Darunter befindet sich sogar Aus-
rüstung in Höhe von 420 000 Euro, die in der Anti-Fol-
ter-Verordnung aufgeführt ist . So etwas exportieren Sie .
Sie können nicht einmal sagen, wo diese Güter alle blei-
ben . Wir haben die Bundesregierung gefragt, und sie
konnte keine Antwort geben . Sie sollten sich teilweise
einmal selber zuhören . Gabriel sagt:

Wir prüfen bei den Genehmigungen stets im Ein-
zelfall nach Lage vor Ort, wobei gerade auch die
Menschenrechtslage eine wichtige Rolle spielt .

Gleichzeitig bietet Ihr Staatsminister Roth offensiv poli-
tisches Asyl für Verfolgte . Kann das vielleicht ein Wider-
spruch sein?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Obwohl die Repressionen gegen Oppositionelle, ge-
gen Journalisten und gegen Kurden weiter zunehmen,
setzen Sie auf militärische Zusammenarbeit mit der Tür-
kei . Heute wollen Sie das Mandat in Incirlik verlängern .
Dazu gibt es dann noch eine windelweiche Erklärung,
dass sich die Bundesregierung dafür einsetzen will, dass
Abgeordnete den Stützpunkt weiterhin besuchen dür-
fen . Das ist ein NATO-Partner . Wo leben wir denn? Sie
sagen im Kern: Erdogan, wir brauchen Sie, Sie können
sich daher alles erlauben . – Aber wir sagen: Beenden Sie

Dr. Dietmar Bartsch






(A) (C)



(B) (D)


den menschenunwürdigen Flüchtlingsdeal mit der Tür-
kei . Beenden Sie die Rüstungsexporte in die Türkei . Die
Beitrittsverhandlungen müssen gestoppt werden . Setzen
Sie sich unmissverständlich für die Freilassung aller Ab-
geordneten ein .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dies sollten wir möglichst alle gemeinsam tun . Aber die
Bundesregierung trägt hier nun einmal eine andere Ver-
antwortung .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819909300

Als nächster Redner hat Dr . Franz Jung von der CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1819909400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich denke schon, dass die aktuelle politische
Lage in der Türkei mehr als besorgniserregend ist, insbe-
sondere unter dem Aspekt der Demokratie, der Rechts-
staatlichkeit und der Meinungs- und Pressefreiheit . Wir
verkennen nicht, dass auch der Putschversuch in der
Türkei, durch den man mit Gewalt einen Umsturz her-
beiführen wollte, unter keinem demokratischen Aspekt
akzeptabel war; denn Bombenangriffe auf ein Parlament
sind nicht akzeptabel . Aber auch das Ausmaß der Säube-
rungen und der Repressalien nach dem Putsch hat nichts
mit Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Meinungs- und
Pressefreiheit zu tun .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb sind auch die Verhaftungen von und die Repres-
salien gegenüber frei gewählten Abgeordneten mit Nach-
druck zu verurteilen .

Ich will das aufnehmen, was der Außenminister hier
gesagt hat . Die Türkei steht erheblichen Herausforde-
rungen gegenüber, auch was beispielsweise Angriffe
und Terroranschläge anbetrifft, etwa durch ISIS oder die
PKK . Wenn ich es richtig gesehen habe, hat es heute wie-
der einen Anschlag gegeben . Die Türkei hatte in den letz-
ten Wochen mit die meisten Anschläge zu ertragen . Dass
deshalb aber Verhaftungen von frei gewählten Abgeord-
neten durchgeführt werden, kann unter keinem Gesichts-
punkt akzeptiert werden . Das hat mit Terrorbekämpfung
wahrlich nichts zu tun .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich stelle mir die Frage, ob der türkische Präsident –
auch im Hinblick auf die Sicherheit in seinem eigenen
Land – nicht klüger beraten wäre, wenn er zu dem Ver-
söhnungsprozess mit der PKK zurückkehren würde, um

dadurch gegebenenfalls Anschläge in der Zukunft zu ver-
hindern .


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Ich glaube, in diesem Zusammenhang ist die Aussage
von Präsident Erdogan, Deutschland sei ein sicherer
Hafen für Terroristen, nicht nur falsch, sondern solche
Unterstellungen sind – erst recht gegenüber einem Bünd-
nispartner – auch völlig inakzeptabel .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, denkt man an die Entwick-
lung in der Türkei, im Land Kemal Atatürks, muss man
leider feststellen, dass die Politik von Präsident Erdogan
mit der Politik von Kemal Atatürk nun wahrlich nichts
mehr zu tun hat . Er will das Land in einen autoritären,
islamisch und nationalistisch geprägten Staat umbauen .
Das hat mit den Wertgrundsätzen Europas und der NATO
nichts, aber auch überhaupt nichts zu tun .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen schon darüber nachdenken, welche Maß-
nahmen wir ergreifen . Der Außenminister hat gerade ein
paar Punkte angesprochen . Ich will etwas zu der Forde-
rung, die Beitrittsverhandlungen jetzt auszusetzen, sa-
gen . Unabhängig von der Tatsache, dass die Europäische
Kommission hier anders entschieden hat, glaube ich,
dass es nicht richtig wäre, den Dialog, der notwendiger
denn je ist, jetzt zu unterbrechen . Ich glaube, dass es not-
wendig ist, das aufzunehmen, was der türkische Außen-
minister gesagt hat . Er sagte: Wir sollten mit Europa wie-
der zu der positiven Agenda zurückkehren . – Vor diesem
Hintergrund müssen wir den türkischen Außenminister
natürlich auch daran erinnern, dass er zuerst zu den Wer-
ten Europas zurückkehren muss, bevor wir diese Agenda
wieder aufnehmen können .

Meine Damen und Herren, in der Türkei herrscht eine
Atmosphäre der Einschüchterung und der Gewalt . Die
Menschen leiden unter Existenzangst, und sie hoffen auf
Europa und die NATO . Gerade deshalb müssen wir jetzt
Solidarität mit den Menschen in der Türkei zeigen . Ich
finde, es war richtig, dass sich Staatsministerin Böhmer,
als sie mit Kolleginnen und Kollegen in der Türkei war,
im türkischen Parlament mit Abgeordneten der HDP
getroffen hat . Ebenso war es richtig, dass Botschafter
Erdmann die Redaktion von Cumhuriyet besucht hat .
Ich glaube, es war auch ein richtiges Zeichen, dass der
Bundespräsident den Journalisten Can Dündar zu einem
Gespräch eingeladen hat .


(Beifall des Abg . Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE])


Auch wenn wir aus all diesen Gründen zu dem Ergebnis
kommen, dass die Beitrittsverhandlungen nicht auszu-
setzen sind, so sehe ich angesichts der derzeitigen po-
litischen Situation aber keine Möglichkeit, weitere Ver-
handlungskapitel zu eröffnen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Dietmar Bartsch






(A) (C)



(B) (D)


Meine Damen und Herren, eines sollte aus meiner
Sicht allerdings auch klar sein: Wenn der türkische Präsi-
dent und das türkische Parlament die Wiedereinführung
der Todesstrafe beschließen sollten, dann bleibt uns keine
andere Wahl, als erstens die Beitrittsverhandlungen kom-
plett auszusetzen und zweitens die Mitgliedschaft der
Türkei im Europarat zu beenden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Kollege Bartsch, ich glaube, in Bezug auf das Flücht-
lingsabkommen wird eines oft vergessen: Dieses Ab-
kommen ist durchaus auch im Interesse der Flüchtlinge .
Seit dem Abschluss dieses Abkommens ist kein einziger
Flüchtling mehr in der Ägäis ertrunken .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Oh! Mehr als jemals zuvor, Herr Jung!)


– Seitdem das Abkommen funktioniert, ist diese Zahl
unbestritten erheblich zurückgegangen . Die Situation im
Mittelmeer sieht anders aus .

In diesem Abkommen geht es natürlich auch um die
Interessen der Türkei in Bezug auf finanzielle Aspekte.
Ich glaube aber, dieses Abkommen dient insbesondere
auch den Flüchtlingen . Deshalb darf man das in diesem
Zusammenhang nicht aus den Augen verlieren .

Ich füge aber auch hinzu: Gerade jetzt – wir haben
über Terrorismus gesprochen –, da der Kampf gegen
ISIS unmittelbar in Mosul und Rakka stattfindet – dort
wird der Terrorismus durch die internationale Allianz be-
kämpft –, wäre es ein völlig falsches Signal, wenn wir die
Solidarität mit der internationalen Allianz beenden und
aus Incirlik abziehen würden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich halte es aber schon für notwendig – um das klar
zu sagen –, dass auch die NATO deutlich macht, dass das
derzeitige politische Vorgehen in der Türkei nichts mehr
mit den Wertgrundsätzen der NATO zu tun hat . Auf-
grund der Flüchtlingssituation und angesichts der Tatsa-
che, dass die Türkei Nachbar von fragilen Staaten wie
Syrien und dem Irak ist und vom Terror durch ISIS und
die PKK bedroht wird, glaube ich aber, dass alles dafür
spricht, dass die Beziehungen zur NATO und zu Europa
auch vonseiten der Türkei aufrechterhalten werden und
sie wieder zu den Grundsätzen zurückkehrt, die Europa
und die NATO prägen .

Meine Damen und Herren, ein letzter Gedanke: Ich
glaube, in diesem Zusammenhang darf man auch den
Faktor Wirtschaft nicht ganz verkennen, der hier auch
eine Rolle spielt . Die Türkei hat schon einen erheblichen
Einbruch des Tourismus zu verzeichnen . Auch die wirt-
schaftlichen Investitionen sind zurückgegangen . 60 Pro-
zent der Investitionen in der Türkei stammen aus Europa .
Deshalb muss der Präsident auch wissen, dass er seinem
Land mit seiner Politik erheblichen wirtschaftlichen
Schaden zufügt .

Ich denke, aufgrund all dieser Aspekte muss sowohl
gegenüber dem türkischen Präsidenten als auch gegen-

über der türkischen Regierung die klare Aufforderung
bestehen: Kehren Sie zurück zu den Werten Europas und
der NATO, zur Demokratie, zur Rechtsstaatlichkeit und
zur Presse- und Meinungsfreiheit!

Besten Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819909500

Claudia Roth spricht als nächste Rednerin für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Was wir in dieser erschreckenden Zeit in der
Türkei erleben, ist nichts anderes als ein Gegenputsch
von oben . Tayyip Erdogan spaltet, polarisiert, eskaliert,
verbreitet Angst und Schrecken und beugt auch die türki-
sche Verfassung . Das macht ihn mehr und mehr zum To-
tengräber von Demokratie und Rechtsstaat in der Türkei .

Mit seiner Außenpolitik verfolgt er einen brandge-
fährlichen, aggressiven Expansionskurs, wie es ihn auch
im Irak gegen den Willen der irakischen Regierung und
gegen den Willen des irakischen Parlaments gibt . Mosul
wird mehr und mehr zum blutigen Schauplatz regionaler
Machtinteressen – auch der Interessen von Erdogan . Er
träumt von seinem osmanischen Reich, er stellt Landes-
grenzen infrage und ähnelt damit beängstigend Wladimir
Putin .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Stimmt!)


Mit der Verhaftung von Selahattin Demirtas und Figen
Yüksedag, praktisch der Parteispitze der HDP, und zahl-
reicher weiterer Abgeordneter, die der Massenverhaftung
von Bürgermeistern und Kommunalpolitikern, unter
anderem in Diyarbakir, folgte, höhlt Erdogan demokra-
tische Institutionen aus, greift er legitimierte Volksvertre-
ter und Volksvertreterinnen an und beraubt sie ihrer fun-
damentalen Rechte . Das fordert von uns allen – von uns
allen – unseren lauten Protest, unsere klare Solidarität
und die Forderung nach Freilassung unserer Kolleginnen
und Kollegen, so wie es Bundestagspräsident Lammert
heute Morgen getan hat .


(Beifall im ganzen Hause)


Erdogan macht mit seiner Politik klar: Er will keine
politische Lösung der kurdischen Frage, die längst über-
fällig ist . Er will nicht das Ende der Gewalt, das wir auch
von der PKK einfordern . Er ist nicht bereit, den blutigen
Krieg gegen die eigene Bevölkerung zu beenden, einen
Krieg, der so viele Opfer gefordert hat und der flächen-
deckend ganze Städte zerstört hat . Schauen Sie sich die
Bilder von Cizre an, schauen Sie sich die Bilder der In-
nenstadt von Diyarbakir an: Sie gibt es nicht mehr .

Erdogan grenzt darüber hinaus über 5 Millionen Wäh-
ler und Wählerinnen der HDP aus und macht so ihre
Wahlentscheidung zunichte, Menschen, die für die of-

Dr. Franz Josef Jung






(A) (C)



(B) (D)


fene, für die demokratische, für die europäische Türkei
stehen . Wir vergessen sie nicht;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


denn Vergessen tötet in der Türkei im Herbst 2016 .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir vergessen sie nicht, die verhafteten Redakteure und
Murat Sabuncu, den Chefredakteur der liberalen Cumhu-
riyet, die mitnichten Unterstützerin der PKK ist, sondern
immer schon Verfechterin der säkularen, der kemalisti-
schen Türkei war .

Ich bedanke mich ausdrücklich bei Joachim Gauck
dafür, dass er Can Dündar, den vorigen Chefredakteur,
offiziell empfangen hat – ein wichtiges Zeichen, ein
wichtiges Signal,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


genauso wichtig wie die Auszeichnung der Cumhuriyet
mit dem alternativen Nobelpreis . Das können wir hier
auch gemeinsam feiern .

Wir vergessen sie nicht, die Presse- und die Meinungs-
freiheit, die hinter Gittern ist, und nicht das Demonstra-
tionsrecht, das mit Wasserwerfern und Gummigeschos-
sen niedergemacht wird . Wir vergessen sie nicht, die
110 000 Richter und Richterinnen, Staatsanwälte, Poli-
zisten und Polizistinnen, Lehrer und Lehrerinnen, Beam-
te, die entlassen oder eingesperrt wurden . Wir vergessen
nicht über 5 000 Professoren, Dozenten, Dekane, Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter, die von den Universitäten
verwiesen wurden, übrigens auch von der Deutsch-Tür-
kischen Universität, weil manche von ihnen einen Aufruf
unterzeichnet haben, einen Aufruf, mit dem sie für den
Frieden in der Türkei eintreten . All das ist eine massive
Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit in der Türkei .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Wenn wir uns die 110 000 Menschen vor Augen füh-
ren, diese beispiellose Säuberungsaktion, dann ist das mit
überhaupt gar keinem Argument zu rechtfertigen, weil es
sich bei weitem nicht um die Gülen-Bewegung handelt .

Aber ich sage: Rechtsstaat und Demokratie in der Tür-
kei sind eben noch nicht vollständig verschwunden . Es
gibt sie noch, die Journalisten und Journalistinnen, die
Autoren und Autorinnen, die Künstler und die Künstle-
rinnen, die Intellektuellen, die mutigen Frauen und Män-
ner, all diejenigen, die Erdogan nicht unterstützt haben .
Das sind sehr viele, und auch sie dürfen wir nicht ver-
gessen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Doch nicht zuletzt mit der Ankündigung, im Parla-
ment über die Todesstrafe abstimmen zu lassen, wissend,

dass er dafür die Mehrheit von AKP und MHP hat, ver-
folgt Erdogan gnadenlos seinen Kurs in Richtung absolu-
tistischer Alleinherrschaft, und er führt die Türkei Schritt
für Schritt in eine Diktatur . Damit entfernt er die Türkei
sehr gewollt und sehr bewusst vom Europarat und von
der EU-Beitrittsperspektive . Das kann uns überhaupt
nicht egal und schon gar nicht recht sein; denn die Tür-
kei ist doch nicht nur ein Nachbarland der EU, ein stra-
tegischer Partner in der Region . Nein, es verbindet uns
so viel mehr, da in Deutschland fast 3 Millionen türkei-
stämmige Menschen leben und so viele Deutsche in die
Türkei reisen, dort arbeiten und dort ihren Lebensmittel-
punkt haben .

Durch die Zollunion sind die wirtschaftlichen Bezie-
hungen intensiv und tief wie auch die Beziehungen in
den Bereichen der Kultur, der Bildung, der Wissenschaft
und des Sports . Das ist doch der eigentliche Grund, wa-
rum wir alle so schockiert, so fassungslos und so tief
besorgt über die Entwicklungen in der Türkei sind . Sie
haben mit uns zu tun und wirken unmittelbar auch bei
uns – im Guten wie im Schlechten .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie ange-
sichts brutaler Gewalt, angesichts systematischer Ver-
folgung, angesichts gnadenloser Repression und Ent-
rechtung, angesichts eines Erdogans, der täglich neue
Fluchtgründe schafft – danke an Michael Roth dafür,
dass er sehr deutlich gemacht hat, dass wir in Deutsch-
land selbstverständlich Verfolgte aus der Türkei aufneh-
men –: Will hier in diesem Haus wirklich irgendjemand
ernsthaft behaupten, die Türkei sei ein sicherer Drittstaat
oder ein sicheres Herkunftsland?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wie verträgt sich dann die Realität, so wie sie ist und
nicht so, wie sie aus innenpolitischem Interesse beschrie-
ben wird, mit den notwendigen Voraussetzungen für den
EU-Flüchtlingsdeal, zu dem übrigens auch die Genfer
Flüchtlingskonvention gehört, deren Kriterien die Tür-
kei aber nicht erfüllt? Sie verträgt sich nicht . Dieser Deal
muss beendet werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Er muss auch beendet werden, weil Erdogan uns damit
vorführt, uns erpressbar macht und wir ihn damit auch
noch stärken . Wenn ich die Beendigung des Deals forde-
re, muss das aber auch heißen: Unterstützung für die Mil-
lionen Flüchtlinge in der Türkei und Unterstützung für
Griechenland, das mit der Herausforderung doch schon
heute völlig überfordert ist .

Es bleibt richtig, auch wenn die Widerstände groß
sind: Wir brauchen endlich eine solidarische EU-Flücht-
lingspolitik, die nicht auf Abschottung, sondern auf hu-
manitäre Schutzverantwortung setzt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch und gerade für
NATO-Mitglieder gelten doch die Regeln dieser Werte-
gemeinschaft . Das kann aber doch nicht heißen: Krieg im
eigenen Land . Das kann auch nicht heißen: militärische
Bekämpfung der kurdischen Einheiten in Syrien, die in
ihrem Kampf gegen den Daesh vom NATO-Partner USA

Claudia Roth (Augsburg)







(A) (C)



(B) (D)


unterstützt werden . Auch für ein NATO-Mitglied gibt es
keinen Blankoscheck und keinen Rabatt bei den Men-
schenrechten .


(Beifall der Abg . Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr . Ute FinckhKrämer [SPD])


Deswegen kann es auch ganz im Sinne unserer Rüstungs-
exportrichtlinien – da kenne ich mich ziemlich gut aus –


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ehrlich?)


keine Rüstungsexporte an die Türkei geben, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Lassen Sie uns bitte unsere Maßnahmen und unsere
Politik daran ausrichten, ob sie den Demokratinnen und
Demokraten in der Türkei nutzen oder ob sie ihnen sogar
schaden. Deswegen finde ich es etwas wohlfeil, wenn
jetzt ausgerechnet diejenigen, die schon immer gegen
den EU-Beitritt der Türkei waren, die sofortige Beerdi-
gung der Verhandlungen fordern . Auch wenn es derzeit
kaum vorstellbar ist, mit der türkischen Regierung weiter
zu verhandeln, mit einem Präsidenten Erdogan, der auf
allen Gebieten Rückschritte macht, auf denen es dringend
Fortschritte bräuchte, so dürfen wir doch nicht einfach
alle Türen zuschlagen und die Fehler der Vergangenheit
wiederholen . Die Zivilgesellschaft und die Opposition in
der Türkei brauchen uns jetzt mehr denn je .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für eine demokratische Türkei müssen die Türen
offen bleiben, die Erdogan zumauern will . Deswegen
unterstützen wir Maßnahmen im Rahmen der Auswär-
tigen Kultur- und Bildungspolitik . Wir sagen: Gerade
jetzt braucht es die Unterstützung durch Parteien, durch
Gewerkschaften, durch Verbände, durch Organisationen
für die Zivilgesellschaft . Wir brauchen die Unterstüt-
zung durch das, was die Reporter ohne Grenzen tun, was
Amnesty International, Human Rights Watch tun, was
das Goethe-Institut und der DAAD tun, und wir brau-
chen die Unterstützung durch Künstler, durch Sportler
und nicht zuletzt durch Fußballfans, die sich für Deniz
Naki eingesetzt haben, den Ex-St .-Pauli-Spieler .

Wir können mit über 80 Städtepartnerschaften zeigen,
dass gerade jetzt kommunale Menschenrechts- und De-
mokratiepolitik positiv wirken können, weil sie Brücken
bauen . Sprengmeister haben wir schon zu viele . Eine Po-
litik des lauten Schweigens aber lässt unsere Partner in
Not .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819909600

Als nächster Redner hat Gunther Krichbaum für die

CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gunther Krichbaum (CDU):
Rede ID: ID1819909700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eines ist doch klar: Wenn Präsident Erdogan so weiter-
macht, dann können wir auch nicht so weitermachen wie
bisher . Gestern hat die Europäische Kommission ihren
Fortschrittsbericht zur Türkei vorgelegt . Ein Fortschritts-
bericht über ein Kandidatenland könnte nicht desaströser
sein .

Die Türkei bewegt sich mehr auf die Ausgangstür der
Verhandlungen zum Beitritt zur Europäischen Union
hin als zur Eingangstür der EU . Das muss uns besorgt
machen; denn die Leidtragenden sind am Ende die Men-
schen: die Bürger und die Zivilgesellschaft; Frau Roth
hat es gerade beschrieben .

Doch bevor wir Schlüsse ziehen, müssen wir uns fra-
gen, wo wir stehen . Fakt ist, dass wir uns in der Euro-
papolitik und in der Außenpolitik alle gegenseitig brau-
chen . Das wird in der Tat bei dem Flüchtlingsabkommen
deutlich . Man kann viel darüber klagen und schimpfen;
Fakt ist aber auch, dass dieses Flüchtlingsabkommen
wirkt und die Flüchtlingszahlen massiv gesunken sind .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Die Schlepper- und Schleuserkriminalität wurde wirk-
sam bekämpft . Genau das war das Ziel dieses Abkom-
mens . Wir wollten nicht, dass sich diese Organisationen
eine goldene Nase an dem Leid der Menschen verdienen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir stehen – das wurde bislang noch nicht erwähnt –
aber auch in Verhandlungen über Zypern . Wir stehen vor
einer ganz entscheidenden Phase, die es immerhin er-
laubt, zu sagen, dass wir der Wiedervereinigung Zyperns
so nahe gekommen sind wie seit Jahren nicht mehr . Auch
dafür brauchen wir die Türkei . Wir brauchen die Türkei
auch in der NATO, wie schon angeklungen ist .

Das alles ist richtig . Aber wir können natürlich nicht
die Augen davor verschließen, was tatsächlich passiert .
Das Verhalten gegenüber oppositionellen Kräften, der
Zivilgesellschaft, Kurden, Minderheiten, Journalisten,
Parlamentariern und damit Kollegen kann so nicht ste-
hen bleiben . Es ist inakzeptabel . Wenn Parlamentarier
verhaftet und ihrer Stimme beraubt werden, dann ist es
unsere Aufgabe, ihnen eine Stimme zu geben .


(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Denn erst stirbt die Pressefreiheit, dann die Meinungs-
freiheit und somit am Ende die Demokratie . Die Demo-
kratie, verbunden mit Frieden, Freiheit und Rechtsstaat-
lichkeit, gehört aber zu den Kernwerten der Europäischen
Union .

Deswegen müssen wir schon allein im Interesse an-
derer Kandidatenländer hier Reaktionen zeigen . Was
sollen denn Länder wie Montenegro, Serbien und alle,
mit denen wir in Verhandlungen stehen, denken, wenn
wir auf diese Vorkommnisse in der Türkei nicht oder nur
schleppend reagieren, aber all den anderen Ländern, mit

Claudia Roth (Augsburg)







(A) (C)



(B) (D)


denen wir verhandeln, härteste Bedingungen stellen, was
auch richtig ist?

Deswegen kann ich eins zu eins unterschreiben, Herr
Außenminister, was Sie gerade an Maßnahmen beschrie-
ben haben, die wir umsetzen sollten . Für diese Signale
sind wir Ihnen als Parlamentarier dankbar .

Ich hätte mir in dem Fortschrittsbericht der Europä-
ischen Kommission, der gestern publiziert wurde, aber
noch etwas mehr gewünscht . Wir gewähren den Kan-
didaten Vorbeitrittshilfen . Diese dienen dazu, dass die-
se Länder sich Schritt für Schritt an die Standards der
Europäischen Union annähern können . Das ist in der
Förderperiode, wie man das etwas technisch nennt,
2014 bis 2020 für die Türkei immerhin ein stolzer Be-
trag von 4,4 Milliarden Euro . Ich wäre nicht dafür, diese
4,4 Milliarden Euro, zumal sie auch zum Teil schon ge-
flossen sind, in toto einzufrieren. Aber ein Drittel davon
ist für die Förderung der Justiz und Rechtsstaatlichkeit
reserviert . Mit diesem Geld werden junge Richter und
Staatsanwälte ausgebildet . Das sind genau jene, die Herr
Erdogan im Rahmen seiner Säuberungsaktion aus dem
Amt gehoben hat . Das ist schon eine politische Verun-
treuung von EU-Geldern . Deswegen muss man an dieser
Stelle reagieren und wenigstens diesen Teil der Mittel
einfrieren .


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Solche Signale brauchen wir .

Wir brauchen natürlich auch Signale an die Zivilge-
sellschaft . Hier können wir als Parlamentarier viel tun .
Wir sollten mehr denn je in die Türkei reisen, auch wenn
der Reiseetat des Deutschen Bundestages zurzeit etwas
unter Druck steht . Aber diese Reisen machen Sinn . Mehr
denn je sollten wir solche unternehmen .

Lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen – das
klang schon mehrfach an –: Wenn die Türkei und vor al-
lem Herr Erdogan jetzt noch weitergehen – wir müssen
zwischen dem Land bzw . den Menschen in der Türkei
und Herrn Erdogan differenzieren – und die Todesstrafe
im Rahmen einer Verfassungsreform einführen sollten,
dann macht es in der Tat keinen Sinn mehr – das sind wir
letztlich uns gegenüber schuldig, auch unseren Werten,
die wir zu verteidigen haben –:


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Richtig!)


Ein Land, das die Todesstrafe einführt und sich damit
offensichtlich von den Werten der Europäischen Union
abwenden möchte, hat in der Tat keinen Platz mehr in
Europa .


(Beifall des Abg . Dr . Diether Dehm [DIE LINKE])


Das sind wir uns, aber auch den anderen Ländern, die
Mitglied der Europäischen Union werden möchten,
schuldig .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Dr . Diether Dehm [DIE LINKE])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819909800

Sevim Dağdelen hat als nächste Rednerin für die Frak-

tion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819909900

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Gestern hat Bundeskanzlerin Merkel als Bedingung für
die Zusammenarbeit mit dem neu gewählten Präsiden-
ten der Vereinigten Staaten von Amerika die Werte De-
mokratie, Freiheit, Menschenrechte und Menschenwür-
de genannt . Während Frau Merkel also dem künftigen
US-Präsidenten Bedingungen für die Zusammenarbeit
stellt, gibt es beim türkischen Präsidenten Erdogan kei-
nerlei Bedingungen . Während Außenminister Steinmeier
den gewählten US-Präsidenten einen Hassprediger
nennt, ist Erdogan ein Premiumpartner der Bundesregie-
rung. Das finde ich schlicht verlogen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie Menschenrechte, Demokratie, Menschen-
würde und Freiheit als Bedingung für eine Kooperation
nennen, dann hören Sie doch endlich auf, der türkischen
Regierung und dem Präsidenten der Türkei bei ihrem
Amoklauf gegen Demokratie, Menschenrechte und
Rechtsstaatlichkeit zur Seite zu stehen . Das wäre konsis-
tent und auch konsequent .


(Beifall bei der LINKEN)


Während die Vorsitzenden und Abgeordneten der pro-
kurdischen Oppositionspartei HDP eingekerkert werden
und der Krieg Erdogans gegen die Kurden im Land und in
der Region auf Hochtouren läuft, liefert die Bundesregie-
rung immer mehr Waffen in die Türkei . Allein im ersten
Halbjahr 2016 hat die Bundesregierung Einzelausfuhrge-
nehmigungen für Rüstungsexporte in die Türkei im Wert
von über 76 Millionen Euro erteilt und damit die Türkei
von Platz 25 auf Platz 8 der wichtigsten Bestimmungs-
länder deutscher Waffen gehievt . Der SPD-Vorsitzende
Gabriel ist als Minister für Rüstungsexporte zuständig .
Wir von der Linken finden das unerträglich.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Hören Sie mit diesem Wahnsinn auf! Machen Sie sich
nicht mit Ihren Waffenlieferungen mitschuldig an den
Verbrechen und den Massakern, die die türkische Re-
gierung im Südosten des Landes an den Kurden begeht .
Während Erdogan nun auch noch Verfahren gegen die
gesamte sozialdemokratische Fraktion in der Türkei er-
öffnet – es ist absehbar, was daraus folgen wird –, wollen
Sie den Bundeswehreinsatz in der Türkei noch ausweiten .
Vorgestern hat die Bundesregierung dem entsprechenden
Entsendebeschluss eine Protokollerklärung beigegeben .
Diese Protokollerklärung ist nichts anderes als ein neu-
erlicher Kniefall vor Erdogan . Statt klarzustellen, dass es
bei Besuchsverboten für deutsche Abgeordnete keinen
Einsatz geben wird, stellen Sie Erdogan in Aussicht, dass
die Bundeswehrsoldaten, egal was passiert, weiterhin in
der Türkei bleiben werden . Sie servieren dem Despo-
ten in der Türkei auf dem Silbertablett nichts weiter als
die Bundeswehr, eine Parlamentsarmee . Ich sage es Ih-
nen laut und deutlich: Diese Unterwerfungshaltung der

Gunther Krichbaum






(A) (C)



(B) (D)


Bundesregierung gefährdet nicht nur die Menschenrech-
te in der Türkei, sondern auch die Grundrechte hier in
Deutschland .

Schauen wir uns das doch einmal an . Was wollen Sie
dem Despoten am Bosporus eigentlich noch zu Füßen
legen? Herr Jan Böhmermann wurde von der Bundes-
kanzlerin vorauseilend verurteilt . Die Armenien-Resolu-
tion des Bundestages wurde relativiert . Die Rechte der
Bundestagsabgeordneten werden jetzt in das Belieben
Erdogans gelegt . Da müssen Sie sich doch wirklich nicht
mehr wundern, dass dieser Mann immer brutaler gegen
Andersdenkende vorgeht . Sie sagen zwar, Sie seien soli-
darisch mit den Menschen, mit den Verfolgten, mit den
Verhafteten, mit den Kurden in der Türkei, aber setzen
Ihren bisherigen Kurs in der Türkei-Politik fort . Deshalb
sind 90 Prozent der Bevölkerung in Deutschland von
dieser Willfährigkeit gegenüber Erdogan regelrecht ab-
gestoßen . Insofern fordern wir Sie auf: Beenden Sie diese
Kumpanei mit der türkischen Regierung .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich muss wirklich sagen: Der Kurs, den Sie in den
letzten Jahren gefahren haben, nämlich immer weitere
Kapitel in den Beitrittsverhandlungen zu eröffnen, im-
mer in der Hoffnung, dass es besser wird, war falsch . Die
Bilanz liegt doch vor Ihnen . Sie stehen vor einem Scher-
benhaufen der deutschen Türkei-Politik . Sie war falsch
und hat zu verheerenden Ergebnissen geführt . Deshalb
ist es wahnsinnig, genau so weiter verfahren zu wollen .

Wenn Sie Solidarität mit den politischen Gefangenen,
mit den Journalisten, mit den kurdischen Abgeordneten
tatsächlich ernst meinen, dann müssen Sie aufhören, hier
nur Worte zu sprechen, dann müssen Sie tatsächlich Ta-
ten folgen lassen . Wer immer nur besorgt und alarmiert
ist, aber gleichzeitig weiterhin Vorbeitrittshilfen leistet,
wer gleichzeitig Bundeswehrsoldaten entsendet, wer
gleichzeitig Rüstungsgüter in die Türkei exportiert und
in den Beitrittsverhandlungen immer weitere Kapitel er-
öffnet, dem glaubt keiner mehr, dass er sich für die Men-
schenrechte in der Türkei wirklich einsetzt . Die Bundes-
regierung muss jetzt handeln . Die Zeit des Redens ist
vorbei . Wir sagen: Keinen Cent, keine Waffe und keine
deutschen Soldaten für Erdogan .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819910000

Als nächste Rednerin hat Michelle Müntefering für

die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Michelle Müntefering (SPD):
Rede ID: ID1819910100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin
davon überzeugt, dass nicht der, der am lautesten schreit,
in dieser ernsten Situation der Linkeste, der Sauberste
oder der Moralischste ist . Ich bin aber überzeugt, dass
die Debatte, die wir hier heute führen, zu der wir uns ge-

meinsam entschlossen haben, ein richtiger und ein guter
Weg ist, darüber zu sprechen, was jetzt eigentlich pas-
siert und was die Konsequenzen sein sollen .

Was mir in letzter Zeit durch den Kopf gegangen ist,
ist ein Zitat von Winston Churchill:

Wenn es morgens um 6 Uhr an meiner Tür läutet
und ich kann sicher sein, dass es der Milchmann ist,
dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe .

Dieses Zitat habe ich in der Kolumne von Can Dündar
gelesen – er ist hier schon angesprochen worden –, der
entsetzt über die Verhaftungen der türkischen Oppositi-
onellen berichtete . Am Abend bevor ich das las, war ich
von einer Reise mit Kolleginnen und Kollegen nach An-
kara nach Hause zurückgekommen . Ich habe den Schlüs-
sel in der Haustür herumgedreht, das Licht angeschaltet,
und plötzlich war mir klar, was Churchill gemeint hat .

Sie müssen sich vorstellen: Wir wollten uns mit Abge-
ordneten des türkischen Parlamentes treffen, etwa mit der
stellvertretenden HDP-Vorsitzenden, Frau Yüksekdag .
Aber sie war in der Nacht zuvor verhaftet worden . Es
herrscht Ausnahmezustand in der Türkei . Sie wird wohl
so bald nicht freikommen . Selahattin Demirtas, der Vor-
sitzende der HDP, ist weit weggebracht worden, in ein
Gefängnis an die bulgarische Grenze; so hört man . Die
Berichte von Menschenrechtsorganisationen sind er-
schreckend .

Wir haben uns nicht davon abhalten lassen, dennoch
Gespräche mit der Opposition zu führen, und wir ha-
ben auch ganz offiziell die Zeitung Cumhuriyet besucht .
Selbstverständlich haben wir noch am selben Tag türki-
sche Regierungsvertreter mit diesen Vorgängen konfron-
tiert .

Die türkische Regierung begründet alle diese Maß-
nahmen, die wir erlebt haben, die wir sehen und über
die wir heute hier sprechen, damit, den Terrorismus zu
bekämpfen und den Putschversuch aufklären zu wollen .
Uns wird vorgeworfen, dass wir das nicht verstehen kön-
nen .

Ich will nicht verschweigen: Ich kann mir in der Tat
kaum vorstellen, wie das Militär eines Landes das Par-
lament des eigenen Landes bombardiert . Ich habe die
Einschüsse dort gesehen, die Trümmer, die in den deut-
schen Medien nicht zu sehen waren . Ich bin mir traurig
bewusst, wie die Türkei immer wieder Opfer von Ter-
roranschlägen geworden ist – ob durch den IS oder die
PKK . Es besteht keinerlei Zweifel daran, dass wir hier im
Hause jeden Terror auf das Schärfste verurteilen .


(Beifall im ganzen Hause)


Mehr noch: Wir kämpfen sogar in gemeinsamer, ja,
auch in schwieriger Allianz gegen den „Islamischen
Staat“; denn die Türkei und Deutschland waren und sind
Verbündete in der NATO . Die Türkei ist EU-Beitrittskan-
didat .

Kolleginnen und Kollegen, wir verstehen hier in
Deutschland sehr genau, was es heißt, wenn Demokratie
und Meinungsfreiheit eingeschränkt werden, wenn Op-
positionelle verfolgt und Kritiker mundtot gemacht wer-
den; denn wir haben unsere ganz eigenen und leidvollen

Sevim Dağdelen






(A) (C)



(B) (D)


Erfahrungen gemacht . Ungefährdet ist Demokratie nie .
Das hat sich in mein Bewusstsein, das hat sich in das Be-
wusstsein der deutschen Parlamentarier tief eingebrannt .

Die Türkei ist nicht Deutschland, und Deutschland ist
nicht die Türkei . Aber schweigen und wegschauen kön-
nen wir nicht . Wir dürfen es nicht . Unrecht muss Unrecht
genannt werden .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Vorgehen der türkischen Regierung hat mit De-
mokratie und Meinungsfreiheit nichts mehr zu tun .
Wenn 130 000 Staatsbedienstete aus dem Amt entlassen,
Zeitungen sowie Medienhäuser geschlossen und Parla-
mentarier verhaftet werden, dann delegitimiert das den
Kampf gegen den Terror mehr, als es ihm nützt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Türkei scheint sich mehr und mehr abzuwenden
von ihrer Orientierung gen Westen, ebenso von ihrem
Kurs der modernen Zivilisation . Das ist eine Entwick-
lung, die von dem nicht unumstrittenen Staatsgründer
Mustafa Kemal Atatürk einst begründet wurde und an
den übrigens heute in der ganzen Türkei im Rahmen ei-
nes Gedenktages erinnert wird .

Mit Blick auf die jahrhundertealte Geschichte mit
allen ihren Höhen und Tiefen ist das eine Entwicklung,
die mich als Vorsitzende der Freundschaftsgruppe hier
im Bundestag und als Sozialdemokratin zutiefst betrübt,
weil ich weiß, wie viele Menschen in beiden Ländern
Herzblut in das deutsch-türkische Verhältnis investieren,
zu Recht .

Es gäbe so viele gemeinsame Aufgaben in dieser Welt
zu meistern . Die nächste Generation, viele junge Men-
schen, die beide Sprachen sprechen und beide Kulturen
kennen – sie hätten das Zeug dazu . Eine Tür aber kann
man immer von zwei Seiten zumachen . Die veränderte
Politik der Türkei und die Veränderungen des Staatsprä-
sidenten Erdogan selbst ziehen diese Tür nach Europa
nun zu .

Wir werden weiter kooperieren . Nachbarn bleiben
wir weiterhin . Aber es wird sich etwas zwischen unseren
Ländern ändern; denn durch geschlossene Türen kann
man einander noch weniger hören und noch weniger ver-
stehen . Um ein türkisches Sprichwort zu zitieren: Nur
gute Freunde sagen sich bittere Wahrheiten .

Meine Hoffnung sind die Menschen, eine starke Zivil-
gesellschaft und eine junge Generation . Sie müssen wir
unterstützen . Wir müssen aufeinander zugehen und Frie-
den schaffen . Ich bin froh, dass wir einen Außenminister
haben, der deutlich gemacht hat, dass wir uns dieser Ver-
antwortung stellen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg . Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819910200

Dr . Andreas Nick hat für die CDU/CSU-Fraktion als

nächster Redner das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Andreas Nick (CDU):
Rede ID: ID1819910300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Kollegin Müntefering und ich waren in der vergange-
nen Woche zusammen mit Staatsministerin Böhmer zu
Gesprächen in Ankara . Wir wollten den Gesprächsfaden
wiederaufnehmen und auch den Boden bereiten für einen
offiziellen Besuch unserer deutsch-türkischen Parlamen-
tariergruppe Anfang nächsten Jahres . Doch leider sind
wir mit mehr als besorgniserregenden Eindrücken und
einer mehr als ernüchternden Bilanz von dieser Reise zu-
rückgekommen .

Bereits im Vorfeld kam es zu Verhaftungen von Re-
dakteuren der Zeitung Cumhuriyet . Wir haben uns daher
spontan entschieden, auch die Redaktion in Ankara zu
besuchen . Dann mussten wir erleben, dass eine vorgese-
hene Gesprächspartnerin, die Co-Vorsitzende der HDP,
Figen Yüksekdag, in der Nacht vor unserem Termin ver-
haftet wurde . Nicht zuletzt hatten wir mehr als schwie-
rige Diskussionen mit Regierungs- und Parlamentsver-
tretern zur Frage der Wiedereinführung der Todesstrafe .

Wir sagen in aller Deutlichkeit: Bei Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit gibt es für uns
keinen Rabatt und keine Kompromisse .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Rolf Mützenich [SPD])


Wir erkennen ausdrücklich an, dass die Türkei erheb-
lichen Bedrohungen von innen und von außen ausgesetzt
war und ist. Ich nenne den aufgeflammten Terrorismus
der PKK, den islamistischen Terror aus den Nachbarstaa-
ten Irak und Syrien und nicht zuletzt den Putschversuch
vom Juli 2016 . Wir haben am Donnerstag die Bombe-
neinschläge im Parlamentsgebäude selbst in Augen-
schein nehmen können . Die Verletzungen und die Trau-
matisierungen, die da entstanden sind, sollten wir etwas
deutlicher zur Kenntnis nehmen, als es in den deutschen
Medien vielleicht teilweise geschehen ist .

Niemand wird das Recht der Türkei bestreiten, sich in
angemessener Weise gegen terroristische Bedrohungen
zu wehren oder mit rechtsstaatlichen Mitteln den Putsch-
versuch vom Juli aufzuarbeiten . Aber all das kann na-
türlich niemals Rechtfertigung dafür sein, jede kritische
Stimme in Politik und Presse zu verfolgen, Abgeordnete
und Journalisten zu kriminalisieren und in die Nähe des
Terrorismus zu rücken .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Michelle Müntefering [SPD] und Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es ist schon gesagt worden: Allein die Zahl von
130 000 Mitarbeitern, die aus Verwaltung, Justiz, Militär,
Schulen und Hochschulen entfernt worden sind, verdeut-
licht die Unverhältnismäßigkeit der Reaktion . All das
verdichtet sich zu einem Bild, wonach in der türkischen

Michelle Müntefering






(A) (C)



(B) (D)


Regierung inzwischen offenbar diejenigen Kräfte die
Oberhand gewonnen haben, die einen Bruch mit Euro-
pa und dem Westen nicht nur billigend in Kauf nehmen,
sondern möglicherweise auch ganz bewusst herbeifüh-
ren wollen . Mit der Einführung der Todesstrafe wäre der
EU-Beitrittsprozess auf unabsehbare Zeit beendet, wäre
auch die bereits bestehende Mitgliedschaft im Europarat
infrage gestellt .

Jetzt werden von türkischer Seite zunehmend auch die
im Vertrag von Lausanne 1923 geregelten Außengrenzen
der Türkei infrage gestellt . Das betrifft im Übrigen nicht
nur die Gebiete nach Süden und Osten, die Regionen um
Aleppo in Syrien und Mosul im Irak, sondern explizit
auch die im Westen: die griechischen Dodekanesinseln
in der Ägäis ebenso wie die Teile Thrakiens auf dem eu-
ropäischen Festland, die zu Griechenland und Bulgarien
gehören .

Erst Anfang dieses Jahres ist es mit großem Engage-
ment der Bundeskanzlerin und der Verteidigungsministe-
rin gelungen, gemeinsame NATO-Patrouillen auf See in
der Ägäis zu vereinbaren . Wenn jetzt Gebietsansprüche
gegen NATO-Partner in den Raum gestellt werden, ist
dies für uns völlig inakzeptabel . Die NATO ist Verteidi-
gungsbündnis und Wertegemeinschaft, und daran müssen
wir unsere Gesprächspartner in der Türkei nachdrücklich
erinnern .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kollegen, die Beziehungen zwischen unseren
beiden Ländern sind vielfältig . Über 3 Millionen Men-
schen mit türkischen Wurzeln sind in unserem Land zu
Hause . Unser Land ist in der Spitzengruppe der Handels-
partner der Türkei und der ausländischen Investoren in
der Türkei . Die Türkei ist bei vielen unserer Bürger ein
beliebtes Reiseziel, teilweise auch Altersruhesitz . Es soll
niemand glauben, dass eine Abkehr von Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit ohne Folgen für Wirtschaft und Tou-
rismus bleiben wird . Dafür bedarf es keiner – übrigens
wenig hilfreichen, wie ich finde – Debatte über wirt-
schaftliche Sanktionen .

Ein ganz anschauliches, vielleicht auch triviales Bei-
spiel: Seit vielen Jahren ist Belek in der Nähe von Anta-
lya ein bevorzugter Ort für die Wintertrainingslager der
Bundesligavereine . Noch 2016 haben 16 Teams der ers-
ten und zweiten Liga ihr Wintertrainingslager dort durch-
geführt . Im Januar 2017 wird dies kein einziger Verein
mehr tun .

Die Vorwürfe vonseiten der Türkei, Türken hätten in
Deutschland keine Rechte oder Deutschland sei Gastge-
ber des Terrorismus, sind absurd und drohen das politi-
sche Klima zwischen beiden Ländern zu vergiften . Wir
weisen sie in aller Deutlichkeit zurück .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber eines muss hier auch gesagt werden: Wenn aus
dem Kreis dieses Parlaments, aus der Linksfraktion, Herr
van Aken die Aufhebung des Verbots der PKK fordert,


(Zuruf des Abg . Andrej Hunko [DIE LINKE])


dann macht er sich zu einem Stichwortgeber für solche
absurden Vorwürfe .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Nein! – Dr . André Hahn [DIE LINKE]: Das ist doch Quatsch!)


Die Begründung, die PKK begehe ja keine Anschläge auf
Zivilisten in Europa, sondern nur auf türkische Soldaten
und Polizisten, ist völlig unerträglich .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Lassen Sie mich hinzufügen: Wir legen Wert darauf,
dass innenpolitische Konflikte in der Türkei nicht ge-
walttätig ausgetragen werden, auch nicht hier bei uns in
Deutschland .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir haben ein vitales Interesse an einer prosperie-
renden Türkei mit einer stabilen Demokratie und einer
lebendigen Zivilgesellschaft . Wir werden uns deshalb
auch nicht von der Türkei abwenden . Aber unsere Auf-
merksamkeit und unsere Solidarität gelten denen, die für
einen pluralistischen und demokratischen Staat eintreten
und deren Blick nach Europa gerichtet bleibt .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819910400

Herr Dehm hat das Wort zu einer Kurzintervention .


Dr. Jörg-Diether Dehm-Desoi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819910500

Ich war bei Teilen Ihrer Rede versucht, zu klatschen,

und habe sogar auch geklatscht . Wenn es stimmt, was Ihr
Parteikollege Jung vorhin empfohlen hat, dass nämlich
Herr Erdogan die Beziehungen und die Gespräche mit
der PKK wieder aufnimmt – das ist von ihm ja ausdrück-
lich so gesagt worden –, könnte es dann sein, dass die
Zunahme von bestimmten Aktionen der PKK vielleicht
nicht nur damit zusammenhängt, dass Herr Erdogan
diese Gespräche abgebrochen hat, sondern auch damit,
dass er aus rein wahlkampftaktischen Gründen diese Ge-
spräche durch wirkliche terroristische Maßnahmen und
das Massakrieren unschuldiger Kurdinnen und Kurden
ersetzt hat?


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819910600

Herr Nick, Sie haben die Möglichkeit zur Gegenrede .


Dr. Andreas Nick (CDU):
Rede ID: ID1819910700

Versöhnungsprozesse bei bewaffneten Konflikten sind

ein komplexes Thema . Wir haben ja gerade den schwie-
rigen Prozess in Kolumbien sehr konstruktiv begleitet .
Dass wir für eine Wiederaufnahme dieses Versöhnungs-

Dr. Andreas Nick






(A) (C)



(B) (D)


prozesses sind, ist ja keine Frage, aber sich mit gewalttä-
tigem Terrorismus zu solidarisieren und zu erklären,


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Macht doch keiner!)


dass gewalttätige Attacken und terroristische Angriffe
auf Polizisten und Soldaten in der Türkei in Ordnung
sind, das ist völlig inakzeptabel .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819910800

Als letzter Redner in dieser Debatte hat Hans-Peter

Uhl für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hans-Peter Uhl (CSU):
Rede ID: ID1819910900

Frau Präsidentin! Meine verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Nach all dem, was wir heute über die dramati-
schen Ereignisse im Sommer dieses Jahres in der Türkei
wissen, waren die Dinge in der Abfolge doch so, dass
Recep Erdogan von langer Hand eine Säuberungsaktion
im gesamten türkischen Staatsapparat plante . Tausende
zu entlassende Staatsbedienstete wurden listenmäßig von
ihm erfasst . Mit diesen Entlassungen wollte er beim Mi-
litär Anfang August beginnen . Dieser Entwicklung woll-
te das Militär – was wir ohne Zweifel verurteilen – durch
seinen Putsch am 15 . und 16 . Juli zuvorkommen . In die-
ser Reihenfolge haben sich die Dinge entwickelt .

Dieser Putsch war formale Legitimation, aber auch
willkommener Anlass für Präsident Erdogan, den Not-
stand auszurufen und als Alleinherrscher zu regieren .


(Zustimmung der Abg . Dr . Diether Dehm [DIE LINKE] und Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Schlag auf Schlag wurden in allen staatlichen Bereichen
längst vorbereitete Personallisten herausgezogen und zu
Säuberungen benutzt . 34 000 Menschen – so viele, wie
in einer mittleren Stadt leben – sind seither inhaftiert . Die
Gefängnisse sind überfüllt, Straftäter müssen entlassen
werden, um diese Menschen, die zum größten Teil zu
Unrecht inhaftiert sind, dort unterzubringen . Ein Drittel
der Generäle ist inhaftiert . 72 000 Staatsdiener wurden
ohne jedes Urteil unter Fortfall aller Bezüge entlassen .
Stiftungen, soweit sie nicht islamische Stiftungen sind,
wurden enteignet . 4,6 Milliarden Euro sind auf diese
Weise enteignet worden .

Recep Erdogan, der eigentlich repräsentativer Staats-
präsident der Türkei ist, hat per Notstand die Gewalten-
teilung aufgehoben, führt die Regierungsgeschäfte,
indem er die Kabinettssitzungen persönlich leitet, und
inszeniert sich als Parteivorsitzender der AKP, obwohl
er eigentlich neutraler Präsident sein sollte . Und wir, der
Westen, die USA und auch die Europäische Union, sind
sprachlos . Fast ohnmächtig stehen wir dieser Entwick-
lung gegenüber . Die Türkei verstößt ganz unzweifelhaft
mit ihren Fehlentwicklungen gegen alle Grundprinzipien
unserer europäischen Werteordnung .

Dem von der EU vielbeschworenen Raum der Frei-
heit, der Sicherheit und des Rechts hat Sultan Erdogan
demonstrativ den Rücken gekehrt .

Die NATO ist ja nicht nur ein Verteidigungsbündnis,
die NATO ist auch eine Wertegemeinschaft . Deswegen
heißt es in der Präambel der NATO: Die Mitglieder

sind entschlossen, die Freiheit, das gemeinsame
Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den
Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Per-
son und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu ge-
währleisten .

So steht es in der Präambel der NATO, die wir uns immer
wieder vor Augen führen müssen . Auch diese Grundpfei-
ler des Atlantikvertrages werden von Erdogan ignoriert .

Ist es nun klug, diese Türkei aus der NATO auszu-
schließen? Ist es klug, jegliche Beziehung zwischen der
Europäischen Union und der Türkei abzubrechen? Ist es
klug, diese Türkei aus dem Europarat zu werfen? Nein,
der FAZ-Journalist hat Recht, wenn er sagt: Herrscher
kommen und gehen – die Geografie aber bleibt beste-
hen. – Die Türkei ist nun mal das geografische Scharnier
zwischen uns, Europa, und dem Nahen Osten . Und so
wird es auch bleiben . Das heißt, die Türkei hat für uns
strategische Bedeutung – jetzt und auch in der Zukunft .
Auch deshalb ist ein vollständiger Bruch mit der Türkei
niemals in unserem eigenen Interesse . Kraftmeierei und
Belehrungen von außen bereiten nur den Nährboden für
Erdogans Rhetorik gegen den Westen, gegen die Europä-
ische Union . So werden wir unfreiwillig zum Gehilfen
von Erdogans nationalistischer Propaganda .

Was sind die sinnvollen Handlungsoptionen für uns?
Letztlich – darauf ist bei solchen Entwicklungen immer
wieder hinzuweisen, in welchem Land auch immer – sind
es schon die Türken selbst, die sich von diesem selbster-
nannten Sultan und Herrscher befreien müssen . Wir kön-
nen den Türken diese Aufgabe nicht abnehmen .

Wenn die Dinge sich so entwickeln, wie sie hier be-
schrieben wurden, dass die Tourismusbranche, die für die
Türkei so wichtig ist, auf ein Viertel reduziert wurde – da
hilft auch Putin mit seinen zu Erdogan zwangsverschick-
ten russischen Touristen nicht weiter –, dass die Arbeits-
losigkeit dramatisch zunimmt, dass die Geldentwertung
schlimme Folgen annimmt, dass die Staatsverschuldung
enorm zugenommen hat und ausländische Investitionen,
von denen die Türkei abhängig ist, nicht mehr erfolgen,
wenn man berücksichtigt, dass 60 Prozent des türki-
schen Exportes in die EU gehen, dann weiß man: Dieser
Erdogan wird sein eigenes Land ruinieren . Er wird seiner
Türkei schwersten Schaden zufügen . Deswegen müssen
sich die Türken von ihm befreien .

Mit anderen Worten: Ein Ausschluss aus der NATO
wäre eine Fehlentscheidung . Die Beitrittsverhandlungen
zur Europäischen Union allerdings haben wir von An-
fang an als einen Irrweg gesehen . Dabei bleiben wir –
nicht besserwisserisch .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben immer gesagt: Wir brauchen wegen der
Scharnierfunktion eine Heranführung der Türkei an die

Dr. Andreas Nick






(A) (C)



(B) (D)


Europäische Union . Das heißt, die privilegierte Part-
nerschaft, die wir entwickelt haben, war von Anfang an
der richtigere Weg . Dafür auch Geld auszugeben – hier
nenne ich die Hilfen der EU zur Heranführung an unse-
re Wertegemeinschaft, zur Ausbildung von Juristen und
zur Umsetzung anderer Dinge –, war richtig . 6 Milliar-
den Euro wurden für diesen Zweck ausgegeben . Das war
richtig . Mit diesen Heranführungshilfen sollten wir nach
Erdogan wieder weitermachen . Aber jetzt, in einer Zeit,
in der Erdogan seine Türkei, die er sich unterjocht hat,
von der EU wegführen will, gibt es keinen Grund mehr,
Geld für eine Heranführung auszugeben .

Ich komme zum Schluss . Angesichts der Entwicklun-
gen erwartet man von uns klare Kante; denn die Türkei
ist wohl auf dem Weg, nicht mehr nur Transitland für
Flüchtlinge zu sein, sondern wird leider Gottes auch Her-
kunftsland kurdischer Flüchtlinge . In einer solchen Zeit
wäre es unverantwortlich, der Türkei eine Visaliberali-
sierung zu gewähren . Wir sind strikt gegen die Visalibe-
ralisierung .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Sie waren doch schon immer dagegen!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819911000

Damit schließe ich die Aussprache .

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe,
gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rern ermittelte Ergebnis der Wahl von Mitgliedern des
Sondergremiums gemäß § 3 Absatz 3 des Stabilisierungs-
mechanismusgesetzes bekannt: Abgegeben wurden hier
590 Stimmen, gültig waren 590 Stimmen . Mit Ja haben
465 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, mit Nein haben
94 gestimmt, enthalten haben sich 31 Kolleginnen und
Kollegen . Damit hat der Abgeordnete Johannes Kahrs
die erforderliche Mehrheit erreicht und ist mit 465 Stim-
men gewählt .

Wir haben gleichzeitig ein stellvertretendes Mitglied
des gleichen Gremiums gewählt . Hier wurden eben-
falls 590 Stimmen abgegeben, gültig waren ebenfalls
590 Stimmen . Mit Ja haben 514, mit Nein 47 Kollegin-
nen und Kollegen gestimmt, enthalten haben sich 29 Kol-
leginnen und Kollegen . Damit hat auch der Abgeordnete
Dennis Rohde die erforderliche Mehrheit erreicht und ist
mit 514 Stimmen gewählt .1)

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zum Erlass und zur Änderung markt-
ordnungsrechtlicher Vorschriften sowie zur
Änderung des Einkommensteuergesetzes

Drucksache 18/10237
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Finanzausschuss
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 3

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . Gibt es dazu
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall . Dann ist das so
beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in der
Aussprache hat der Bundesminister Christian Schmidt
für die Bundesregierung das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung
und Landwirtschaft:

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Was hat Donald Trump mit der Milchwirt-
schaft in Deutschland zu tun?


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Das ist die Frage, ja!)


Er hat gewonnen . – Nein, seine Wahl hat darüber hinaus
gezeigt – wir in Europa sind bei der Brexit-Entscheidung
auch darauf gestoßen –: Wenn Teile der Bevölkerung den
Eindruck bekommen, die Politik kümmere sich nicht um
ihre Probleme, sie lasse die Probleme, die die Menschen
im Alltag belasten, links liegen, dann schauen sie sich
nach anderen Angeboten und einfachen Antworten um .
Ich weiß noch nicht genau, was das Konzept von Donald
Trump zur Stärkung des ländlichen Raums in den USA
ist . Vielleicht gibt es da etwas, was wir ihm empfehlen
können . Wir arbeiten ja kräftig daran, gerade diesen Be-
reich sehr attraktiv zu halten im Sinne der Gleichwertig-
keit der Lebensverhältnisse .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eines ist ganz wichtig – ich will das heute bei die-
ser Gelegenheit erwähnen; man soll dem Haushaltsaus-
schuss des Deutschen Bundestages ja nie in irgendeiner
Weise vorgreifen, sondern ihm nur Respekt zollen –:
Wenn nicht alle Eindrücke trügen, ist das Engagement
des Haushaltsausschusses und des ganzen Hauses für
die Stärkung des ländlichen Raums außerordentlich groß
und bemerkenswert . Herzlichen Dank dafür!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Gesetzentwurf, der dankenswerterweise von den
Koalitionsfraktionen eingebracht worden ist, handelt aber
nicht vom Bundesprogramm „Ländliche Entwicklung“,
sondern von einem anderen Herzstück, nämlich von
Maßnahmen für unsere Familien in der Landwirtschaft
und für die Produzenten . Zur Erinnerung: Das Milchan-
gebot auf dem Weltmarkt war übermäßig angestiegen aus
verschiedenen Gründen, die sowohl auf der Nachfrage-
als auch auf der Angebotsseite zu finden waren. Auch
in der Europäischen Union und in Deutschland ist – wie
übrigens schon vor dem Auslaufen der Milchquotenre-
gelung – sehr viel produziert worden, so viel, dass die
Preise nachgegeben haben und die Nachfrageseite des
Marktes sie nicht mehr aufnehmen konnte . Die euro-
päische Politik hat 30 Jahre lang, eine Generation lang,
eine Politik der staatlichen Mengensteuerung betrieben .
Deswegen besteht heute die Notwendigkeit, den Über-
gang zu unterstützen, abzufedern, aber auch auf das hin-

Dr. Hans-Peter Uhl






(A) (C)



(B) (D)


zuweisen, was wir strukturell noch verbessern müssen .
Dabei können wir die Milchbauern nicht alleine lassen .
Wir müssen auch diejenigen benennen, die im Hinblick
auf eine Verbesserung, vor allem im Hinblick auf eine
gerechte Risikoverteilung, in der Verantwortung sind .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen kommt man in dieser Situation nicht daran
vorbei, einen Blick auf die Wertschöpfungskette von den
Molkereien bis zum Lebensmitteleinzelhandel zu wer-
fen . Für die Liquidität und als unmittelbare Unterstüt-
zung ist aber auch europäische Hilfe erforderlich, damit
man für die nächsten Jahre Orientierung bekommt, wo-
hin die Produktion gehen soll .

Was den deutschen Markt angeht, so sagte mir jemand:
Heute ist so viel Milch getrunken und Käse gegessen
worden wie wohl nie mehr in Zukunft . – Na, das weiß
ich nicht ganz. Aber dass bei unserer demografischen
Ausrichtung der Milchmarkt kein Wachstumsmarkt ist,
sondern ein Qualitätsmarkt werden muss, um so Wert-
schöpfung zu erreichen, das ist doch ein entscheidender
Punkt .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön, dass Sie das jetzt auch erkannt haben!)


Deshalb geht an die, die am Markt sind, der Appell, zu
überlegen, mit welchen Mitteln und mit welchen Zielen
sie sich dort aufstellen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schön! Klasse statt Masse! Das sagen wir schon lange!)


Wir wollen mit dem Milchmarktsondermaßnahmen-
gesetz und der Änderung des Marktorganisationsgeset-
zes nur Grundlagen schaffen, Grundlagen allerdings auch
für ein Finanzvolumen, das sich durchaus sehen lassen
kann . Ich habe auf dem Deutschen Bauerntag in Hanno-
ver von 100 Millionen plus X gesprochen, die wir in den
Bereich Landwirtschaft geben wollen, damit es voran-
geht . Ich kann heute mit Freude feststellen – vorbehalt-
lich der Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs –: Wir
werden auf knapp 600 Millionen kommen, die in diesem
und im kommenden Jahr der Landwirtschaft zur Verfü-
gung stehen .


(Beifall der Abg . Gitta Connemann [CDU/ CSU])


– Herzlichen Dank . – Das ist, glaube ich, schon bemer-
kenswert .

Herzlichen Dank dafür, dass wir das mit Ihrer Unter-
stützung erreicht haben . Das kann aber nicht die ganze
Antwort sein . Ich bedanke mich für die intensive Bera-
tung und die Einbringung des Entwurfs eines Milchmarkt-
sondermaßnahmengesetztes durch den im Fall der Ver-
abschiedung 116 Millionen Euro zur Verfügung gestellt
werden . Wir kommen hier auf 58 Millionen Euro aus der
Europäischen Union und setzen das uns Mögliche von
Bundesseite drauf, nämlich noch einmal 58 Millionen
Euro . Damit wird der Betrag auf 116 Millionen Euro ver-
doppelt . 40 Millionen Euro zusätzlich hat die deutsche

Milchwirtschaft – für die Molkereien war das ein wich-
tiges Signal – durch das Mengenreduzierungsprogramm
der EU abgegriffen . Das heißt, derjenige, der die Produk-
tion nicht ausdehnt, sondern reduziert oder im Rahmen
unseres Programms Mengendisziplin übt, bekommt Li-
quiditätshilfe . Wir müssen in Zukunft deutlich machen,
dass das Risiko verteilt werden muss . Wenn jemand ein
Risiko in Kenntnis des Risikos eingeht, dann ist das eine
Angelegenheit des Wirtschaftenden . Dann muss er das
selbst regeln; das kann nicht der Staat tun . Aber so weit
sind wir leider nicht . Deswegen sage ich vielen Dank .

Vielen Dank auch dafür, dass wir im steuerlichen
Bereich noch die eine oder andere Regelung erreichen
konnten, auch wenn Kollege Priesmeier darauf hinwei-
sen wird, dass der Bundesminister in diesem Punkt ei-
gentlich noch mehr vorhatte . Vielen Dank für die gute
Zusammenarbeit im Bereich der Gewinn- und Tarifglät-
tung . Wenn in einem Jahr gut verdient worden ist, aber
die nächsten zwei Jahre katastrophal verlaufen sind, dann
muss der Betrieb die Möglichkeit haben, zu überleben .
Unser Ziel ist doch nicht, Steuern einzukassieren . Viel-
mehr ist unser Ziel, dafür zu sorgen, dass der Betrieb
mittel- und langfristig seine Existenzgrundlage sichern
kann . Planungssicherheit ist hier das Stichwort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Wilhelm Priesmeier [SPD])


Ich bedanke mich sehr herzlich dafür, dass die beiden
Koalitionsfraktionen mit dem vorliegenden Gesetzent-
wurf die Grundlagen dafür geschaffen haben, dass wir,
wenn alles gut geht, im nächsten Vierteljahr Geld dort
zur Verfügung stellen, wo es benötigt wird, nämlich in
den Betrieben .

Dass noch andere Themen besprochen werden müs-
sen, und zwar auch deutlich, das versteht sich von selbst .
Es geht nicht allein um Geld . Es stellt sich auch die Fra-
ge: Wer trägt welches Risiko? Ich bin seitens der Bundes-
regierung bereit, mitzuhelfen, die Kutsche zu bauen; fah-
ren muss die Molkereiwirtschaft allerdings schon selbst .
Ich habe den Eindruck: Da bedarf es ab und zu noch einer
kleinen Fahrausbildung .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Bärbel Bas [SPD])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819911100

Karin Binder hat für die Fraktion Die Linke als nächs-

te Rednerin das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819911200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute
den Entwurf eines Gesetzes zum Erlass und zur Ände-
rung marktordnungsrechtlicher Vorschriften sowie zur
Änderung des Einkommensteuergesetzes, in Klammern:
Milchmarktgesetz .


(Alois Gerig [CDU/CSU]: Stimmt!)


Bundesminister Christian Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Jetzt wird für Sie vielleicht etwas klarer, worum es ei-
gentlich geht .

Der Gesetzentwurf ist nach meinem Dafürhalten ein
unausgegorener Schnellschuss . Seit gestern liegt er bei
uns Oppositionsfraktionen auf dem Tisch, und schon
jetzt zeigt sich, dass es noch erheblichen Beratungsbe-
darf gibt . Diese Vorlage wirft viel mehr Fragen auf, als
sie zur Klärung beiträgt .

Es geht um das Thema Gewinnglättung à la Bundes-
minister Schmidt . Die Regelungen beziehen sich allein
auf die Einkommensteuer . Ich frage Sie: Welcher Bauer
löst seine Probleme, die durch die derzeitige Milchmarkt-
krise ausgelöst worden sind, mit der Einkommensteuer?
Ganz ehrlich: Das wird keiner als die Lösung betrachten .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/ CSU: Nichts kapiert!)


Das vorgeschlagene Verfahren nutzt nur Einzelbetrie-
ben und Personengesellschaften, die ihren betrieblichen
Gewinn als Einkommen versteuern müssen . Mit der
Verrechnung der Gewinne über mehrere Jahre sollen sie
Steuern sparen . Die Steuereinsparung ist aber nur eine
vorübergehende Einkommenshilfe, eine Überbrückung –
mehr nicht .

Das tatsächliche Problem ist doch, wie die Landwirt-
schaft in Deutschland insgesamt aufgestellt ist . Durch die
Exportförderung wird die Landwirtschaft dazu getrieben,
in die Weltmärkte zu exportieren, wo Dumpingpreise
gezahlt werden, mit denen unsere heimische Landwirt-
schaft gar nicht mithalten kann . Die fairen Preise, die
die Erzeuger in Deutschland bräuchten, werden durch
die Dumpingpreise auf dem Weltmarkt kaputtgemacht .
Anstatt hier für eine Förderung regionaler Kreisläufe,
regionaler Vermarktung und regionalen Wirtschaftens
einzutreten, wird der Export gefördert, und das auf die
Gefahr hin, dass, wenn China vorübergehend kein Geld
für Milchimporte oder den Import von Schweinehälften
mehr hat – auch andere Länder könnten es sich vielleicht
vorübergehend nicht mehr leisten, deutsche landwirt-
schaftliche Produkte zu importieren –, die Bauern auf ih-
ren Produkten sitzen . Die weggefallene Milchquote ver-
stärkt das Problem . Aber das lösen wir doch nicht durch
eine Gewinnglättung im Rahmen der Einkommensteuer .

Ich sage: Wir brauchen eine verlässliche Versorgung
statt Exportrisiko .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen starke ländliche Räume mit starken Be-
trieben, die Umweltschutz, Tierschutz und Verbraucher-
schutz ernst nehmen und in der Lage sind, all dies um-
zusetzen . Deshalb fordert die Linke schon seit langem,
stabile Rahmenbedingungen für die Milchviehbetriebe
zu schaffen . Das bedeutet, wir brauchen eine nachfrage-
orientierte Milchmengensteuerung statt einer Exportför-
derung .

Die Linke sagt: Die Tierhaltung muss tierschutzge-
recht sein . Das bedeutet eine klare Kennzeichnung für
Verbraucherinnen und Verbraucher, die sehr wohl ein
Auge auf die Haltungsform haben . Dabei brauchen die

Landwirte Unterstützung. Wir brauchen eine flächenge-
bundene Bewirtschaftung, das heißt eine bestimmte An-
zahl von Tieren in einer bestimmten Region . Das müssen
wir als Politiker definieren.

Wir brauchen ein starkes Kartellrecht . Molkereiver-
träge müssen unter die Lupe genommen werden, und
die Benachteiligung vieler kleiner Milchbauern muss
endlich beendet werden . Die Oligopole der Supermarkt-
ketten müssen aufgebrochen werden . Nur so können Er-
zeuger künftig auf Augenhöhe mit Molkereien und Ein-
zelhändlern über ihre Preise verhandeln .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen auch viel mehr regionale Molkereien .
Wir brauchen mehr regionale Lebensmittel im Handel .
Wir brauchen die Kennzeichnung als regionales Lebens-
mittel, damit Verbraucherinnen und Verbraucher beim
Einkauf nicht getäuscht werden .

Dumping- und Lockangebote bei Lebensmitteln ge-
hören endlich verboten . Wir brauchen ein dauerhaftes
Verbot des Verkaufs unter Einstandspreis . – Das wären
wichtige Punkte .

Ich frage Sie, Herr Minister: Warum wehren Sie sich
mit Händen und Füßen dagegen, dass von den Betrieben
endlich eine steuerfreie Risikoausgleichsrücklage gebil-
det werden darf? Das wäre eine langfristige Lösung für
viele landwirtschaftliche Betriebe .


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Das ist die Gewinnglättung! Das müssen Sie verstehen, begreifen!)


Dann könnten sie sich in schlechten Zeiten selber mit
dem über Wasser halten, was sie in guten Zeiten steu-
erfrei zurücklegen durften . Dann stünde das Geld zur
Verfügung, wenn es eng wird . Davon hätten die Bauern
etwas . Der Bauernverband unterstützt diese Forderung .
Ich verstehe nicht, warum unser Minister das nicht end-
lich umsetzt .


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Er setzt es um! Sie verstehen es nur nicht!)


Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche eine
gute Beratung .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819911300

Der nächste Redner ist Wilhelm Priesmeier für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1819911400

Frau Präsidentin! Verehrte Kollegin, wie Sie vielleicht

mitbekommen haben, haben die Länderfinanzminister
diesen Vorschlag schon vor längerer Zeit im Bundesrat
unisono abgelehnt . Fragen Sie doch einmal nach, ob
eine Gestaltungsmasse vorhanden ist, das entsprechend

Karin Binder






(A) (C)



(B) (D)


umzusetzen . Ich dachte, Sie seien da auf dem neuesten
Stand .

Wenn wir uns die Situation auf dem Milchmarkt an-
schauen, müssen wir registrieren, dass wir in den letzten
zwei Jahren herbe Verluste hinnehmen mussten . Die Be-
triebe haben 7 bis 8 Milliarden Euro weniger eingenom-
men . Das entspricht ungefähr 112 000 Euro pro Betrieb .
Das macht deutlich, wie ernst die Situation ist .

Ich habe dabei in gewisser Hinsicht ein schlechtes Ge-
wissen; denn wir haben – das müssen wir zugeben, wenn
wir uns die Entwicklung und die Situation anschauen –
recht zögerlich gehandelt . Wir haben an sich nur weiße
Salbe angerührt und den Kern des Problems in vielen Be-
reichen nicht rechtzeitig wahrgenommen, oder wir woll-
ten ihn nicht erkennen . Deshalb freue ich mich besonders
über die heutige Äußerung des Bundesministers, dass er
gerade die strukturellen Probleme lösen möchte . Dabei
kann er sich auf meine Unterstützung verlassen .

Vielleicht hätten wir einige Betriebe retten, also von
der Aufgabe abbringen können, wenn wir umgesetzt hät-
ten, was die SPD schon im vergangenen Herbst gefordert
hatte, und rechtzeitig ein Wirtschaftsprogramm aufgelegt
hätten, um Betriebe der Bonitätsklassen 1 bis 4 mit zu-
sätzlicher Liquidität zu versorgen . Dieser Vorschlag ist
aber leider nicht aufgegriffen worden . Wir greifen ihn
jetzt auf, wo das Ende der Krise erkennbar ist, weil die
Preise am Spotmarkt schon wieder 40 Cent erreicht ha-
ben . Das ist ein bisschen spät .

Auch die Erkenntnis, auf einen Qualitätsmarkt zu set-
zen, ist im Kern richtig . Ich glaube, auch diesen Weg soll-
ten wir unterstützen . Dazu passen die vielen Vorschläge,
die die Kollegin eben gemacht hat . Das kann man ge-
meinsam mit den Ländern organisieren . Dafür muss man
natürlich etwas in die Hand nehmen . Auch dazu wären
wir von der SPD bereit .

Wenn ich mir nicht nur die Artikel 1 und 2 dieses Ge-
setzentwurfs anschaue, sondern auch den Artikel 3, dann
stelle ich mir die Frage, wie das Ganze entstanden ist . Ich
habe gehört, dass der Herr Minister auf dem Deutschen
Bauerntag gesagt hat – ich zitiere –:

Wir greifen Ihre Ideen zur Steuererleichterung durch
Gewinnglättung auf . Auch das entlastet alle Betrie-
be und hilft in Zeiten stark schwankender Gewinne .

Es ging um die Vorschläge des Deutschen Bauernverban-
des . Da frage ich mich: Wer macht in diesem Parlament
das Gesetz, und wer schlägt die Lösungswege vor? Ich
bin da recht nachdenklich geworden .

Aus dem Grunde, glaube ich, muss man verschiedene
Punkte in diesem Gesetzentwurf kritisch sehen . Wir ha-
ben es nicht zugelassen, dass Grund und Boden, so wie es
ursprünglich vorgeschlagen worden war, veräußert wer-
den, wenn Betriebe in Schwierigkeiten sind . Das brau-
chen sie hinterher, wenn sie die Krise überstanden haben .
Es ist nach unserer Einschätzung auch nicht gewünscht,
dass man den Bodenmarkt, der in vielen Bereichen so-
wieso schon Überhitzungserscheinungen zeigt, was land-
wirtschaftliche Flächen angeht, noch zusätzlich befeuert .
Daher, glaube ich, war es richtig, dass dies keinen Nie-
derschlag im Gesetzentwurf gefunden hat .

Wir stehen natürlich an der Seite der Betriebe und
auch an der Seite derer, die Hilfe brauchen . Wir hoffen,
dass wir mit dem Gesetzesvorschlag jetzt zumindest ei-
nen Teil dazu beitragen können . Eine Gewinnglättung
sollte es unserer Meinung nach nur vorübergehend ge-
ben . Wir haben uns dagegen gewehrt, dieses System
dauerhaft zu implementieren . Warum? Wir haben es für
falsch gehalten, weil wir dadurch verfassungsrechtliche
Probleme bekommen . Wir würden dann eine Lex Land-
wirtschaft machen, die dauerhaft gültig ist, und müssten
uns fragen, warum solche Regelungen nicht auch für
andere Wirtschaftsbereiche gelten . Was ist mit demjeni-
gen, der einen Gastronomiebetrieb hat und im Sommer
geringe Einnahmen durch schlechtes Wetter hatte, oder
demjenigen mit einem Beherbergungsgewerbe an der
Küste, der eine schlechte Saison hatte? Hat er den glei-
chen Anspruch? Diese Fragen muss man dabei im Auge
behalten . Aus diesem Grunde, glaube ich, ist es richtig,
den Zeitraum zu begrenzen, und zwar beginnend mit dem
Bezug 2014 bis 2022 .

Wir müssen überlegen, ob wir bei dieser gesetzli-
chen Regelung Gestaltungsspielräume für die Betriebe
eröffnet haben, die über erhebliche Einkommen verfü-
gen . 10 Prozent haben auch in der jetzigen Situation im-
mer noch ein Einkommen von mehr als 100 000 Euro .
Der normale Nebenerwerbsbetrieb hat weniger als
1 000 Euro Einkommen . Das macht deutlich, dass man
mit dieser Vorschrift Ungerechtigkeiten in Kauf nehmen
muss und in Kauf nimmt . Wir haben erhebliche Zweifel,
ob das dauerhaft und zielgerichtet so sein muss .


(Beifall bei der SPD)


Die jetzt angedachte Regelung ist vielleicht gerade
noch verfassungstauglich . Die Bundesländer haben schon
signalisiert, dass sie damit erhebliche Probleme haben .
Sie beklagen sich auch darüber, dass sie nicht rechtzei-
tig informiert wurden . Ich habe 30 Fragen an das BMF
gestellt; der Vertreter des BMF sitzt auf der Regierungs-
bank . Diese 30 Fragen habe ich Anfang August gestellt .
Seitens des BMF gab es offensichtlich nicht genügend
Zeit, sie ausreichend zu beantworten . Die Antworten ha-
ben mich nicht zufriedengestellt . Hier, glaube ich, ist das
Auskunftsrecht, das Abgeordnete haben, wenn es um Ge-
setzgebung geht, mit Füßen getreten worden, und zwar
ganz bewusst, um hinterher in der Situation zu sein, die
wir jetzt haben, nämlich dass wir diesen Gesetzentwurf
über die Fraktionen einbringen müssen, damit wir ihn
fristgerecht zum Jahresende über die Bühne bekommen .
Das ist ein Versäumnis . Über die Ursachen des Versäum-
nisses sollte man einmal nachdenken . Sie liegen jeden-
falls nicht bei der SPD-Bundestagsfraktion .


(Beifall bei der SPD)


Die beste Risikovorsorge für die Betriebe ist immer
noch eine gute Eigenkapitalausstattung . Unsere Betrie-
be haben das . Sie liegt zwischen 77 und 80 Prozent . Ich
glaube, das ist auch ein Ansatz, den man fördern kann,
wenn es um Risikovorsorge geht .

Noch ein Hinweis eines Länderfinanzstaatssekretärs:
Aus steuertechnischer Sicht geht die Vorschrift ins Lee-
re, wenn im letzten Jahr des Betrachtungszeitraums keine
oder eine nur geringe Einkommensteuer festgesetzt wur-

Dr. Wilhelm Priesmeier






(A) (C)



(B) (D)


de, weil das Einkommensteuerrecht keine negative Steu-
erfestsetzung erlaubt . Das ist schon der erste Punkt, an
dem wir nachbessern müssen .

Zur Qualität dieses Entwurfes muss ich sagen: Hät-
te man sich mehr Zeit genommen und hätte man vor al-
len Dingen auch meine Fragen rechtzeitig beantwortet,
wären diese Dinge vielleicht schon früher aufgefallen .
Jetzt müssen wir es über kurz oder lang in der nächsten
Beratungsrunde im Ausschuss regeln . Wir werden wahr-
scheinlich zu einem Ergebnis kommen; aber in Gänze,
glaube ich, ist dieses Gesetz mit der heißen Nadel ge-
strickt .

Aus meiner Sicht gibt es immer noch Probleme bei
diesem Gesetz; das bereitet mir Kopfschmerzen . Ich hof-
fe, dass im nächsten Jahr, wenn wir bewerten können, ob
das Gesetz wirkt und ob die Folgen, die gewünscht sind,
in den nächsten Jahren eintreten, meine Kopfschmerzen
vielleicht verschwinden .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819911500

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen .


Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1819911600

Ich halte es für bedenklich, Betriebe, die Einkommen

jenseits von 100 000 Euro haben, in größerem Umfang
steuerlich zu bevorteilen als all die anderen Betriebe, die
betroffen sind . Ich als Sozialdemokrat habe damit ein Ge-
rechtigkeitsproblem . Tut mir leid .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819911700

Als nächster Redner hat Friedrich Ostendorff für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Der Wahlkampf lässt scheinbar grüßen .
Urplötzlich sehen wir Engagement und Bewegung bei
Minister Schmidt . Er habe sich ganz mächtig ins Zeug
gelegt, um den Milchbauern aus der Krise zu helfen;
116 Millionen Euro würden jetzt bereitgestellt, erzählt er
uns . Dabei handelt es sich doch, wenn wir ehrlich sind,
im Wesentlichen um die von Europa bereitgestellten Mit-
tel und die vom Minister schon im Sommer angekündigte
nationale Aufstockung . Das ist also alter Wein in neuen
Schläuchen .

Natürlich ist es schon ein Erfolg, wenn der Minister
nach wortreichen Ankündigungen auch einmal gewillt
ist, etwas umzusetzen . Reicht es Ihnen eigentlich aus,
Kolleginnen und Kollegen, wenn über diesen Minister in
der Zukunft vielleicht geurteilt wird: „Er bemühte sich
stets, die ihm übertragenen Aufgaben zu erledigen“?


(Heiterkeit des Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE] – Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Langsam wird es peinlich!)


Dafür müssten wir ihn angesichts des täglichen Chaos,
das uns aus seinem Hause erreicht, vielleicht noch loben .
Das ist aber keine verantwortungsvolle, entschlossene
Politik, Herr Minister .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bekanntermaßen sind wir Grüne sehr gnädig und sagen:
Besser spät als nie . – Immerhin wird die Beihilfe ja nun
an eine sogenannte Mengendisziplin gebunden . Mengen-
disziplin – ist das nicht das, was die Grünen immer ge-
fordert haben? Ich kann mich entsinnen, dass wir in jeder
Rede genau das gefordert haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Minister, Ihren Vorschlägen fehlt jegliche sub-
stanzielle Stringenz, die angesichts der Situation bei der
Milcherzeugung notwendig wäre . Vorredner Priesmeier
hat auf die Verluste hingewiesen . Sie liegen im Milliar-
denbereich . Was sind da 116 Millionen Euro? Ihr Han-
deln, Herr Minister Schmidt, kommt viel zu spät . Wir
Grüne haben immer wieder vehement auf die erwartbare
Dramatik am Markt nach dem Fall der Milchquote am
1 . April 2015 hingewiesen . Sie von der CDU/CSU haben
das als Panikmache abgetan; das ist die Realität . Wer hat
recht behalten? Leider war unsere Einschätzung richtig .

Herr Minister, schauen wir uns Ihre Vorschläge etwas
genauer an . Bezeichnend ist doch schon der Titel der vor-
gelegten Verordnung: „Milchsteigerungsvermeidungs-
beihilfeverordnung“ .


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich muss ihn noch einmal sagen: „Milchsteigerungsver-
meidungsbeihilfeverordnung“ .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo!)


Welch ein Wortungetüm! Das ist vielleicht das Unwort
des Jahres – wer weiß?


(Heiterkeit der Abg . Karin Binder [DIE LINKE])


Welch ein Irrsinn aber auch! Es geht allein um Men-
genreduzierung, Herr Minister, doch nicht um Steige-
rungs-irgendetwas . Wir Grüne wollen einen Abbau von
steuerlichen Sondertatbeständen; aber Sie schaffen mit
der Gewinnglättung neue .

Wieder einmal wird mit der Gießkanne Geld über die
gesamte Landwirtschaft gegossen . Warum zum Beispiel
gibt es keine Glättung in anderen Bereichen, wie der
Kollege Priesmeier gefragt hat? Diese Frage geht auch
mir durch den Kopf . Warum gibt es keine Glättung für
Tourismusbetriebe? Auch bei diesen Betrieben schwan-
ken die Jahresergebnisse stark, je nach Witterung und
Einkommenslage der Kunden . Warum nicht hier? Warum
ein Sonderrecht für die gesamte Landwirtschaft, wenn es
doch eigentlich um die Milch geht?

Auch Ihre Finanzexperten schlagen vor Entsetzen die
Hände über dem Kopf zusammen . Aber Sie von der Uni-
on streuen, wie so oft, den Bauern und Bäuerinnen, um
über die nächste Wahl zu kommen, Sand in die Augen .

Dr. Wilhelm Priesmeier






(A) (C)



(B) (D)


Sie verteilen wieder einmal Drops zur Beruhigung des
aufgebrachten Landvolks . Wahrscheinlich versuchen Sie
morgen auch noch, sich vor dem notleidenden Landvolk
als Sankt Martin zu inszenieren .

Sie von der Union möchten die Menschen glauben
machen, das sei der ganz große Wurf . Dabei ist das
Glätten für alle in höchstem Maße ungerecht . Mit der
Aufhebung der Veräußerungsgewinnbesteuerung – auch
hierauf hob Kollege Priesmeier ab –, die von Ihnen ja
ganz groß angekündigt worden ist, sind Sie doch schon
krachend gescheitert . Hier wird keine gezielte Hilfe an
Betriebe in Not verteilt, sondern Geld nach dem Prinzip
„Wer hat, dem wird gegeben“ . Betriebe in Not machen
keine Gewinne, meine Damen und Herren . Was soll denn
da eine Gewinnglättung bringen?


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Rechnen können Sie nicht!)


Wie bei der Unfallversicherungsbeihilfe wird hier al-
len und nicht nur den notleidenden Milchbauern gege-
ben . Selbst 22 Prozent der Landwirte sagen bei der „top
agrar“-Umfrage – Kollegin Connemann, hören Sie zu –,


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ja, das tut aber weh!)


diese Maßnahme sei absoluter Quatsch . Wer hätte das
gedacht!

Wir Grüne können dem vorliegenden Gesetzentwurf
in dieser Form nicht zustimmen . Die Milchbetriebe brau-
chen endlich eine wirksame, gezielte Hilfe . Dafür treten
wir ein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, aus der letzten Krise lernen
heißt doch: Statt weißer Salbe und kleiner Weihnachts-
geschenke brauchen wir für die Zukunft endlich wirk-
same Krisenmanagementinstrumente, um den Zusam-
menbruch der bäuerlichen Milchviehhaltung zu stoppen .
Dafür kämpfen Grüne .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819911800

Als nächster Redner spricht Franz-Josef Holzenkamp

für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Franz-Josef Holzenkamp (CDU):
Rede ID: ID1819911900

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Ich habe den Eindruck, hier tun manche so, als ob wir
jemanden zu Grabe tragen wollten . Wir wollen Hilfen für
die Landwirte . Wilhelm, du hast gesagt, die Situation sei
ernst . Ja, aufgrund der dramatischen Marktsituation ist
sie ernst . Wir wissen, dass wir die Märkte politisch nicht
ersetzen oder absolut steuern können . Deshalb bringen
wir flankierende Maßnahmen auf den Weg. Das ist erst
einmal ein Grund zur Freude . Wir tragen hier niemanden
zu Grabe .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir wollen Strukturbrüche vermeiden . Deshalb wol-
len wir unserer Verantwortung gerade für den ländlichen
Raum und für Bauernfamilien gerecht werden und küm-
mern wir uns, weil wir wissen, dass der ländliche Raum
ohne Bauernfamilien sein Gesicht und letztendlich auch
sein Herz verliert .


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ja!)


Deshalb tun wir etwas .

Natürlich kann man immer sagen, das sei zu spät . Ich
nehme für uns, die Union, in Anspruch, dass wir den Pakt
für die Landwirtschaft mit einem großen Maßnahmenpa-
ket fraktionsintern bereits wesentlich vor der Sommer-
pause auf den Weg gebracht haben . Heute sprechen wir
über zwei Maßnahmen daraus, während es im Gesamten
um viel mehr Maßnahmen geht .

Wir sprechen zum einen über die europäischen Hilfen,
die wir immerhin verdoppeln . Herr Kollege Ostendorff,
diese verbinden wir mit einer Mengendisziplin,


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tja!)


die von der Wirtschaft gelebt und nicht staatlich hinein-
gesteuert wird . Das haben wir letztlich auch immer ge-
sagt, und auch die Grünen haben das immer gefordert .
Das ist richtig, und dem widerspreche ich auch gar nicht .
Hier haben wir aber etwas getan, und das hat Wirkun-
gen im Land entfaltet . Darüber sollten wir uns freuen .
Ich persönlich – das gilt auch für meine Fraktion – bin
froh, dass das Bundesfinanzministerium bereit war, die
58 Millionen Euro auf 116 Millionen Euro zu erhöhen .
Das ist eine große Leistung . Herzlichen Dank dafür auch
an die AG Finanzen!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dr . Wilhelm Priesmeier [SPD])


Zum anderen reden wir über das Thema Gewinnglät-
tung . Wenn man das infrage stellt – das ist eine Art Ri-
sikoausgleichsrücklage –, dann sollte man sich einmal
damit beschäftigen .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja!)


Auch weil unser Koalitionspartner das wollte, haben wir
das bewusst auf Personengesellschaften begrenzt . Wa-
rum? Weil Kapitalgesellschaften einem konstanten Kör-
perschaftsteuersatz von 15 Prozent und eben nicht einer
Steuerprogression unterliegen . So entsteht daraus letzt-
endlich auch eine gewisse Logik .

Herr Ostendorff, wenn Sie sagen, nur der Milchwirt-
schaft müssten wir helfen: Nein, das stimmt nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch Schweinebetriebe und Sonderkulturbetriebe haben
Probleme, und in diesem Jahr haben auch Ackerbaube-
triebe Probleme . Wir fühlen uns für den gesamten ländli-
chen Raum verantwortlich . Das ist bei Ihnen offensicht-
lich nicht unbedingt so .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Friedrich Ostendorff






(A) (C)



(B) (D)


Wir hätten gerne noch mehr erreicht . Wir wollten zum
Beispiel die Freibeträge nicht nur auf Basis des Landver-
kaufs gestalten, sondern steuerliche Freibeträge generell
zur Schuldentilgung, aber nur für die Betriebe, die tat-
sächlich auf Liquiditätshilfedarlehen angewiesen sind .
Auch das wäre zielgerichtet gewesen . Auch wenn das
nicht gelungen ist, sind die vorgeschlagenen Maßnah-
men, finde ich, ein großer Erfolg.

Man muss dies auch im Zusammenhang mit den an-
deren Maßnahmen sehen, nämlich mit den 70 Millionen
Euro des ersten europäischen Hilfspaketes im letzten
Jahr, mit den 150 Millionen Euro für eine freiwillige
europäische Mengenreduzierung, mit dem Agrarmarkt-
strukturgesetz, bei dem die Branche bislang natürlich
viel zu wenig getan hat, und mit dem Bundeszuschuss
zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung, den wir um
immerhin 78 Millionen Euro erhöht haben . Wir haben er-
reicht, dass dies auch noch auf das nächste Jahr verstetigt
wird .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Außerdem starten wir noch ein Bürgschaftsprogramm,
vorgesehen im Haushalt 2017 . Das ist ein Gesamtpaket,
von dem letztendlich alle Betriebsstrukturen profitieren.
Wir wollen keine Partikularinteressen vertreten, sondern
den gesamten ländlichen Raum, und das leisten wir da-
mit, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Somit sind die Maßnahmen ein Erfolg und stellen eine
echte Hilfe für unsere Landwirtschaft dar .

Wir müssen es schnell machen . Ich hätte auch gerne
mehr Zeit, lieber Kollege Priesmeier, aber wir wollen,
dass der Entwurf noch den Bundesrat erreicht, damit die
Mittel im nächsten Jahr auch tatsächlich wirksam wer-
den . Also lasst uns einmal uns nicht so anstellen, sondern
die Dinge dann auch zügig umsetzen . Ich bin jedenfalls
allen Beteiligten sehr dankbar, dass wir letztendlich in
der Koalition diesen Weg miteinander gehen wollen .

An dieser Stelle möchte ich auch einmal die Bundes-
länder auffordern, dabei zügig mitzugehen .


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ja!)


Wir haben über ein Jahr lang nur Forderungen gehört;
aber es wurde nichts geliefert .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im Übrigen wurde diese Gewinnglättung massiv von der
AMK eingefordert . Ich bin sehr gespannt, ob der Bun-
desrat dann zügig mit uns mitgeht, damit wir den Bauern
in Deutschland zügig helfen können .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Maß-
nahmenpaket zeigt – es ist nie genug, Herr Kollege
Ostendorff, meinetwegen –, dass wir Landwirtschaft und
Lebensmittelerzeugung in Deutschland in den Mittel-
punkt unseres politischen Handelns stellen und wir uns
ausdrücklich zur Lebensmittelerzeugung in Deutsch-
land bekennen . In einer Zeit, in der viele Landwirte im-
mer stärkeren Anfeindungen unterliegen, unterstreiche
ich dies ganz besonders, weil ich meine, die Bauern in
Deutschland haben Unterstützung und Anerkennung für

ihre tagtägliche Arbeit verdient – bei allen Veränderungs-
notwendigkeiten, die in naher Zukunft auch auf uns zu-
kommen werden . Sie haben Unterstützung und Anerken-
nung verdient . Dafür werben wir als Unionsfraktion . Ich
bitte um Ihre Zustimmung .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819912000

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kol-

lege Lothar Binding das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1819912100

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Da-

men und Herren! Der Begeisterung vom Kollegen
Holzenkamp für die Landwirtschaft schließen wir uns an,


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


seiner Begeisterung für die jetzt vorgeschlagenen Maß-
nahmen natürlich nicht . Das können Sie von einem Fi-
nanzer auch nicht erwarten .


(Zuruf von der CDU/CSU: Sind wir Koalition oder nicht?)


Wir sind dabei, eine Notoperation vorzunehmen .
Deshalb lassen wir uns auf bestimmte Dinge ein; denn
eines ist klar: Steuerliche Sondertatbestände, Schedu-
lenbesteuerung, steuerliche Bevorzugung bestimmter
Branchen oder bestimmter Bevölkerungsgruppen sind
für uns ein Gräuel . Das sind Dinge, die man eigentlich
nicht machen darf, es sei denn, man lässt sich darauf ein,
zu erkennen, dass eine Notlage besteht . Dann muss man
vielleicht auch von solchen Grundsätzen abweichen . Ich
meine, Kollege Priesmeier hat die kritischen Punkte im
vorliegenden Gesetzentwurf genannt . Insofern ist die Sa-
che etwas komplizierter, und auch der Name „Milchstei-
gerungsvermeidungsverordnung“ deutet eine Zielgenau-
igkeit an, die wir mit dem Gesetz nicht erreichen . Auch
das ist schon angesprochen worden, und das sehen wir in
der Finanzarbeitsgruppe natürlich ebenfalls .

Die Bauern mit Milchkühen haben schon länger Pro-
bleme; sie sind schon lange in einer schwierigen Lage .
Überhaupt ist die Landwirtschaft schon lange in einer
schwierigen Lage – wenn ich mich richtig erinnern kann,
eigentlich seit der Nachkriegszeit . Seit der Nachkriegs-
zeit gab es immer wieder große Verwerfungen in diesem
Markt, und im Grunde haben wir heute mit Spätfolgen,
wenn man so will, fehlgelenkter Marktbeeinflussung der
50er-, 60er- und 70er-Jahre zu tun . Der Markt war an-
fangs schlecht reguliert, dann schaffte die Kommission
noch die Quote ab . Was ist passiert? Überproduktion und
Preisverfall in hochvolatilen Märkten, und das war eine
Ursache für die aktuellen Probleme .

Jetzt habe ich irgendwie 50 Jahre übersprungen, und
wir sind heute in einer aktuellen Problemlage und wollen
darauf aktuell reagieren . Man erkennt daran aber auch,
dass die Lobby, die in diesem Markt agiert, offensicht-

Franz-Josef Holzenkamp






(A) (C)



(B) (D)


lich verlernt hat, was normales Marktgeschehen ist . Ein
normaler Markt verfügt über eine automatische Stabili-
sierung . Das gibt es nicht mehr . Es ist alles so verworfen,
dass man ohne künstliche Maßnahmen gar nicht mehr
zurechtkommt .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das begründet heute befristete Maßnahmen, weil wir
sagen: Wir sind in einer Art Übergangsmarkt hin zu einer
dann hoffentlich von allen mitgetragenen Normalität, in
der es dann solche Maßnahmen nicht mehr braucht . In
dieser Übergangsphase wollen wir den Bauern befris-
tet helfen, natürlich im Wesentlichen mit Liquidität, ein
bisschen Steuernachlass und einer Absenkung der Pro-
gression .

Dabei muss man auf der Gegenseite fragen: Ist das mit
Blick auf die wirklich exorbitant gute Eigenkapitalaus-
stattung der meisten Betriebe das richtige Instrument?
Denn die haben eine Eigenkapitalausstattung, von der
alle anderen in der Welt nur träumen können: von über
70 Prozent . So könnte man sich möglicherweise auch
andere Transfers vorstellen . Gleichwohl: Wir haben jetzt
einen Kompromiss gefunden und wollen eine gewisse
Gewinnglättung und damit die hoch schwankende Ein-
kommensteuer als Folge von hoch schwankenden Ge-
winnen moderieren .

Man muss sagen, dass die CDU-Kollegen diese Maß-
nahmen unbefristet haben wollten und damit den fal-
schen Reflex für die Hoffnung entwickeln, dass sich der
Markt ordentlich stabilisiert und wie ein normaler Markt
funktioniert . Sie hätten damit im Grunde unterschrieben,
dass der Markt nie mehr normal funktionieren wird . Die-
se Hoffnung wollen wir natürlich nicht aufgeben .


(Beifall bei der SPD)


Ich glaube, man muss sich immer das Gefühl für ein sub-
ventionsfreies Marktgeschehen erhalten, sonst hat man
dauerhaft ein Problem . Es ist natürlich klar: Ich denke,
Spezial- und Fachausschüsse dürfen sich nicht im Lob-
byismus verlieren . Wir alle sind in jedem Fachausschuss
dem gesamten Volk verpflichtet.

Jetzt komme ich kurz zur Definition: Wie sieht die
Hilfe eigentlich aus? An der Gewinnermittlung an sich
ändert sich gar nichts . Er wird in drei Jahren jahresbe-
zogen ermittelt . Daraus ergeben sich die genannten
Schwankungen . Was passiert dann tatsächlich? Wir wol-
len alle Gewinne und Verluste über die drei Jahre ver-
teilen, dann gibt es eine Günstigerprüfung . Bei diesem
Ergebnis schauen wir: Steigert sich die Progression?
Dann passiert den Landwirten nichts, denn die Progres-
sion wird abgeschwächt . Dadurch helfen wir natürlich
den Landwirten, die Belastungen aus der Volatilität der
Einkünfte zu überwinden .

Ich will noch eine Bemerkung machen, weil wir das für
eine verträgliche Hilfe halten . Der Minister hat sehr stark
von Risikoverteilung und Subventionen gesprochen . Ich
glaube, das ist der falsche Blick auf Lösungsmomente .
Wir müssen vielmehr fragen: Gibt es faire Preise im
Markt? Gibt es faire Löhne? Gibt es gute Produktionsbe-
dingungen und gute Vermarktungsbedingungen? Erst in

zweiter, dritter oder vierter Linie sollten wir überlegen:
Wie verteilen wir Risiken künstlich per Parlament? Wie
wollen wir die Subventionen künstlich per Parlament so
verteilen, dass es den Betrieben gut geht? Ich glaube, wir
sollten uns in diesem Falle viel mehr dem Naturgesche-
hen des Marktes anvertrauen . Das könnte langfristig die
beste Politik sein .

Mit diesem Verständnis und sogar Vertrauen in einen
Markt, der gegenwärtig unter großen Verwerfungen lei-
det, schauen wir positiv in die Zukunft .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819912200

Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Olav Gutting,

CDU/CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Olav Gutting (CDU):
Rede ID: ID1819912300

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Bauer sucht Geld – die wirtschaftliche Situation vieler
landwirtschaftlicher Betriebe ist mehr als angespannt .
Viele unserer Bauernfamilien kämpfen in diesen Mo-
naten um ihre Existenz . Es braucht deshalb in der Krise
Hilfsmaßnahmen für Höfe und für den ländlichen Raum .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Diese Hilfsmaßnahmen hatte die CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion bereits im frühen Sommer mit ihrem Pakt
für die Landwirtschaft gefordert . Das ist nichts Neues .
Dafür kämpfen wir schon seit vielen Monaten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben es eben schon gehört: Es geht hier vor
allem um direkte Hilfen, aber auch um steuerliche Er-
leichterungen . Mit der in diesem Entwurf vorgesehenen
Änderung des Einkommensteuergesetzes verbessern wir
die Möglichkeit zur Gewinnglättung für Einkünfte aus
der Land- und Forstwirtschaft . Konkret: Der Gewinner-
mittlungszeitraum bei Landwirten soll von derzeit zwei
Jahren auf drei Jahre verlängert werden . Hierzu werden
dann die steuerpflichtigen Einkünfte von drei Jahren
summiert – Kollege Binding hat es schon erklärt, aber
ich will es noch einmal sagen; Redundanz hilft hier, weil
es nicht ganz unkomplex ist – und gleichmäßig verteilt .

Liegt dann die tatsächlich gezahlte Einkommensteuer
höher als die fiktiv berechnete, dann wird es am Ende des
letzten Veranlagungszeitraums eine entsprechende Steu-
erermäßigung oder -erstattung geben .

Damit unseren Landwirten auch schnell geholfen
wird, soll diese Gewinnglättung rückwirkend erstmals
für die Jahre 2014 bis 2016 möglich sein . Das heißt, es
kann sofort ab dem nächsten Jahr mit dieser zusätzli-
chen Liquiditätshilfe gerechnet werden . Möglich ist die-
se Glättung bis zum Veranlagungszeitraum 2022 . Man
kann in der Tat über diese Begrenzung unterschiedlicher
Meinung sein . Aber ich glaube, sie macht am Ende doch
Sinn; denn wir wollen natürlich keine Dauersubvention,


(Beifall des Abg . Dr . Wilhelm Priesmeier [SPD])


Lothar Binding (Heidelberg)







(A) (C)



(B) (D)


sondern wir wollen eine Soforthilfe für den vielfach an-
stehenden Transformationsprozess .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Zur Wahrheit gehört auch, dass wir von der Union uns
noch mehr hätten vorstellen können .


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ja!)


Wir wollten eigentlich unseren Landwirten in dieser kri-
tischen Situation noch mehr helfen . Zur Wahrheit gehört
aber auch: Mehr war mit dem Koalitionspartner nicht zu
machen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Man kann trotz dieser Einschränkung sagen: Der steuer-
liche Teil der Hilfsmaßnahmen ist eine spürbare Verbes-
serung insbesondere für unsere gebeutelten Milchbauern .

Vorhin haben Sie, Herr Kollege Ostendorff, aus einer
Umfrage zitiert . Sie haben irgendwas von 20 Prozent er-
zählt . Sie sollten die Umfrage schon richtig zitieren . Sie
kommt nämlich zu dem Ergebnis, dass über 70 Prozent
der Befragten diese Maßnahmen als gut und enorm hilf-
reich empfinden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Als Finanzer will ich nicht verhehlen, dass wir uns
bei den Beratungen zu dem Gesetzentwurf schwergetan
haben . Ausnahmen bei der Besteuerung sind immer pro-
blematisch, und es bleibt am Ende doch in steuersyste-
matischer Hinsicht bei gewissen Bauchschmerzen . Auch
andere Branchen – das wurde schon gesagt – leiden un-
ter Marktschwankungen und sind witterungsabhängig .
Trotzdem haben wir in der Landwirtschaft eine Sonder-
situation: Viele Bauern und ihre Familien in Deutschland
leiden unter den Preiseinbrüchen bei ihren Erzeugnissen
und befinden sich in einer außerordentlich schwierigen
Lage . Für sie geht es schlichtweg um die Existenz . Sie
befinden sich in einer akuten Notlage. Deswegen wer-
den wir unseren Bauern, dem Herzstück und Gesicht des
ländlichen Raumes, mit diesem Gesetz helfen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns mit
diesem Gesetz sputen . Ich freue mich auf die weiteren
parlamentarischen Beratungen, und ich hoffe, dass wir
angesichts der prekären Lage vieler Landwirte auf ei-
nen raschen Abschluss dieses Gesetzgebungsverfahrens
zählen können, damit wir dann schnell dem ländlichen
Raum in der Krise helfen können .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819912400

Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende der Ausspra-

che .

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/10237 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht
der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 c sowie
Zusatzpunkt 6 auf:

9 a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Neun-
ten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes
gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Drucksache 18/10207
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss Digitale Agenda

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bun-
desregierung

Sondergutachten der Monopolkommissi-
on gemäß § 44 Absatz 1 Satz 4 des Geset-
zes gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Strafrechtliche Sanktionen bei Kartell-
verstößen

Drucksache 18/7508
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

c) Beratung des Antrags der Abgeordne-
ten Michael Schlecht, Klaus Ernst, Karin
Binder, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Parlaments- statt Ministererlaubnis im
Kartellrecht

Drucksache 18/10240
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie

ZP 6 Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie (9 . Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin
Andreae, Dr . Thomas Gambke, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Für mehr Transparenz und demokrati-
sche Kontrolle bei der Ministererlaubnis

Drucksachen 18/8078, 18/10279

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich sehe kei-
ne anderen Vorschläge . Dann ist so beschlossen .

Dann eröffne ich die Aussprache . Das Wort hat für
die Bundesregierung der Parlamentarische Staatssekretär
Uwe Beckmeyer .


(Beifall bei der SPD)


U
Uwe Beckmeyer (SPD):
Rede ID: ID1819912500


Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Wir beraten heute in erster Lesung eine weit-
reichende Modernisierung des Gesetzes gegen Wettbe-
werbsbeschränkungen . Das ist eine vermeintlich trockene

Olav Gutting






(A) (C)



(B) (D)


Materie . Aber diese hat es in sich, weil in einigen Be-
reichen Handlungsbedarf besteht . Die 9 . GWB-Novelle
bringt das Wettbewerbsrecht auf den Stand des digitalen
Zeitalters . Gerade die vergangenen Jahre haben gezeigt,
dass das althergebrachte Instrumentarium des Wettbe-
werbsrechtes nur zum Teil auf die neuen Geschäftsmo-
delle einer digitalisierten Welt passt . Mit der Novelle
schaffen wir nun ein – ich nenne es einmal so – Wett-
bewerbsrecht 4 .0 . Das Bundeskartellamt hat sich bereits
intensiv mit der Rolle von Facebook, Amazon und Co .
befasst . Wir geben mit diesem Wettbewerbsrecht dem
Kartellamt nun neue Beurteilungskriterien an die Hand .
Hierzu zählen zum Beispiel Netzwerk- und Skaleneffek-
te sowie der Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten .

Der Bedeutung von Daten als neuer Währung unserer
Zeit tragen wir auch bei der Fusionskontrolle Rechnung .
Sie wird auf Fälle erweitert, die bislang außerhalb unse-
res Radars geblieben sind . Die Übernahme von Whats-
App durch Facebook hat gezeigt, dass auch Unternehmen
ohne nennenswerte Umsätze erhebliche wettbewerbliche
Bedeutung haben können und entsprechend teuer sind .
Bislang war die Voraussetzung für die deutsche Fusions-
kontrolle aber nur, dass bestimmte Umsatzschwellen er-
reicht werden . Der Kaufpreis spielte dabei keine Rolle .
Das ändern wir jetzt . Wichtige Impulse dafür hat uns die
Monopolkommission in ihrem Sondergutachten zur Di-
gitalisierung gegeben . Die Erweiterung der Fusionskont-
rolle ist so gestaltet, dass sie die deutsche Start-up-Szene
nicht beeinträchtigt . Sie greift erst ab einem Kaufpreis
von mehr als 400 Millionen Euro . In den vergangenen
Jahren gab es in Deutschland maximal eine einzige Über-
nahme pro Jahr . Hier geht es also nur um die Spitze des
Eisbergs . Im Übrigen bedeutet eine Prüfung der wett-
bewerblichen Auswirkungen natürlich nicht per se ein
Verbot von Fusionen . Das Kartellamt soll sich jedoch die
Fälle genau ansehen können .

Bei den Bußgeldern schließen wir nach der Aufde-
ckung eines Kartells in der Fleischwarenindustrie mit
der Novelle die sogenannte Wurstlücke . Die beteilig-
ten Unternehmen haben sich den Bußgeldern durch ge-
sellschaftsrechtliche Tricks entzogen . Zwar ist es nicht
möglich, hier rückwirkend etwas zu unternehmen . Aber
so etwas wird es in Zukunft nicht mehr geben können .
Wir schließen diese Lücke, indem wir eine umfassende
Verantwortlichkeit der Unternehmen einführen . Künftig
werden sowohl die Muttergesellschaft für ihre Tochter
als auch der Nachfolger für ein gekauftes Unternehmen
die Bußgelder für frühere Kartelle zahlen müssen . Das
schließt zugleich eine Gerechtigkeitslücke; denn der-
artige Tricks können sich nur Konzerne erlauben . Der
Mittelständler mit einer einfachen Unternehmensstruktur
musste hier bisher zuschauen, wie große Kartellanten da-
vonkommen .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir setzen
darüber hinaus ein wichtiges Signal gegen einen zum Teil
ruinösen Preiskampf im Lebensmitteleinzelhandel; die
Debatte über den Milchpreis zeigte, dass dort einiges los
ist . Dazu entfristen wir das Verbot, Lebensmittel unter
Einstandspreis zu verkaufen . Solche Lockangebote sol-
len nicht zu unfairem Wettbewerb führen . Dies ist nicht

nur für uns, sondern auch für die Landwirtschaft und die
Lebensmittelhersteller ein Anliegen .

Schließlich erleichtern wir mit der Novelle die Koope-
ration von Presseverlagen; das hatten wir uns schon im
Koalitionsvertrag vorgenommen . Künftig können Verla-
ge jenseits der Redaktionen etwa den Anzeigenvertrieb
gemeinsam organisieren . Das wird gerade kleinen Verla-
gen und Lokalzeitungen helfen, sich wichtigen Aufgaben
im digitalen Zeitalter zu stellen .

Wie Sie sehen, ist die 9 . GWB-Novelle ein umfassen-
des Projekt, das deutsche Wettbewerbsrecht zeitgemäß
zu gestalten und den Kartellbehörden die notwendigen
Instrumente zu geben und Durchsetzungskraft zu verlei-
hen . Diese Novelle ist aber nicht das Ende der Geschich-
te . Vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die wir im
letzten Verfahren der Ministererlaubnis gemacht haben,
evaluieren wir gerade, ob und wie wir zu weiteren Ver-
besserungen und Klarstellungen im Rahmen dieser No-
velle kommen können .

Meine Damen und Herren, hier ist Klarstellungsbe-
darf nötig . Den leisten wir . Bitte stimmen Sie unseren
Wünschen und unseren Vorschlägen zu .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819912600

Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt

der Kollege Michael Schlecht .


(Beifall bei der LINKEN)



Michael Schlecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819912700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Wenn man in diesen Gesetzentwurf
hineinschaut, stellt man fest: Es geht um die Verhinde-
rung von Wettbewerbsbeschränkungen . – Dabei fällt
eine Sache sofort auf, dass durch einen Punkt in dieser
Novelle, den Sie, Herr Beckmeyer, zum Schluss Ihrer
Rede merkwürdigerweise auch noch lobend erwähnt ha-
ben, die Bildung von Kartellen erleichtert, ja geradezu
provoziert wird . Sie selbst haben eben den Pressebereich
angesprochen: Es soll geregelt werden, dass Pressever-
lage, also Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, in allen
Bereichen unterhalb der Schwelle der Redaktion Koope-
rationen und Zusammenschlüsse mit anderen Unterneh-
men eingehen können, also quasi auch Kartelle bilden
können. Ich finde, es ist schon ein Schildbürgerstreich
hoch drei, wenn so etwas in so einem Gesetz steht . Un-
ter der Überschrift „Verhinderung von Wettbewerbsbe-
schränkungen“ werden Marktteilnehmer hier sozusagen
zur Kartellbildung aufgefordert . Ich meine, das kann man
nur ablehnen .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Folgen einer solchen Regelung sind vollkommen
klar: Presseunternehmen – es sind im Regelfall die mehr
oder minder großen Pressekonzerne – transferieren mit
weiteren Auslagerungen Tätigkeiten in tariflose Tochter-
unternehmen hinein . Was das für die Kolleginnen und
Kollegen, die dort arbeiten, bedeutet, das haben sie schon

Parl. Staatssekretär Uwe Beckmeyer






(A) (C)



(B) (D)


längst verstanden . Deswegen opponiert Verdi gegen die-
se Regelung in diesem Gesetzentwurf heftig .

Ich will jetzt auf einen weiteren Punkt zu sprechen
kommen . Sie haben selbst darauf hingewiesen, dass Sie
jetzt im Lichte der Erfahrungen gerade mit der jüngsten
Ministererlaubnis überprüfen, ob man dort etwas ver-
bessern wird . In der Tat – wir haben dazu einen Entwurf
vorgelegt – sind wir der Auffassung, dass man es ver-
bessern muss, konkret: dass man die Last einer Minis-
tererlaubnis, im Notfall einer Erlaubnis für eine Fusion,
wenn sie aus Gründen des Gemeinwohls notwendig ist,
im Grunde genommen ein Stück weit von der Schulter
eines einzelnen Ministers herunternehmen sollte . Wir
sind dafür, dass der Minister eine solche Entscheidung
dem Parlament unterbreiten soll und sich das Parlament
bitte schön mit solchen gravierenden Fällen beschäftigt .

Ich finde, auch in dem jüngsten Fall hätte es uns gut
angestanden, wenn wir hier im Parlament über den Über-
gang von Kaiser’s Tengelmann zu Edeka debattiert und
entschieden hätten . Dann wäre von Anfang deutlich ge-
worden, worum es geht, nämlich auch darum, 16 000 Ar-
beitsplätze zu retten . Deswegen lautet unser Vorschlag,
dass man dies in Zukunft verändert und dass man diese
Möglichkeit herbeiführt .

Ein wichtiger Punkt, der dabei mit geregelt wäre, wenn
es eine derartige Parlamentsentscheidung gäbe, ist, dass
wir als Kontrollinstanz über uns nur noch das Bundesver-
fassungsgericht hätten . Ich fand es wirklich unerträglich,
mit anzusehen, wie die Ministererlaubnis von den Herr-
schaften an einem Oberlandesgericht zerpflückt wurde.


(Dr . Matthias Heider [CDU/CSU]: Zu Recht!)


Ich finde, dies geschah mit zum Teil ziemlich abenteu-
erlichen Argumentationen . Diese Ministererlaubnis ist
dann erst einmal auf Eis gelegt worden, sodass in den
Filialen von Kaiser’s Tengelmann dann doch wieder die
Angst eingezogen ist, weswegen die Kolleginnen und
Kollegen aufs Neue gezittert haben, ob ihre Arbeitsplätze
gerettet werden können .

Ich halte es für eine völlig unangemessene Vorge-
hensweise, solch einen Fall einem Oberlandesgericht zur
Entscheidung vorzulegen . Es ist eine politische Entschei-
dung, ob man so etwas macht, ob man 16 000 Arbeits-
plätze rettet und ob man dabei bestimmten Gemeinwohl-
prinzipien folgt . Das muss aus unserer Sicht politisch
entschieden werden, und zwar hier im Parlament . Denn
nur so ist es angemessen . Es darf nicht von irgendwelchen
Herrschaften in dunklen Talaren entschieden werden, die
zur Arbeitswelt vielleicht eine gewisse Fremdheit haben .
Jedenfalls ich habe in meinem langen Berufsleben erlebt,
dass man bei Gericht eine gewisse Fremdheit gegenüber
den Bedingungen in der Arbeitswelt hat .

Deswegen bitten wir um Unterstützung unseres An-
trags . Wir wollen, dass so etwas in Zukunft im Parlament
behandelt wird . Unterstützen Sie diese Initiative!

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819912800

Vielen Dank . – Der Kollege Dr . Matthias Heider

spricht jetzt für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Matthias Heider (CDU):
Rede ID: ID1819912900

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Meine Damen und Herren! Das Wettbewerbsrecht
ist die Straßenverkehrsordnung, die wir auf dem Markt
haben . Die Unternehmen in Deutschland fahren gut da-
mit . Wir haben in den allermeisten Branchen einen ge-
sunden Wettbewerb .

Trotzdem müssen wir als Parlament alle paar Jah-
re danach schauen, ob die Regeln noch den wirklichen
wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechen . Da gibt es
Vorfahrtsregeln, und es gibt Stoppschilder . Manche Ver-
kehrsteilnehmer schlagen über die Stränge . Da wird ge-
rempelt, und andere werden sogar ausgebremst .

Deshalb haben wir heute den Gesetzentwurf zur neun-
ten Novelle des Wettbewerbsrechts vorliegen . Wir wol-
len, dass der Wettbewerb offen bleibt, bei Verletzung der
Spielregeln Bußgelder eingetrieben und Schadensersatz-
ansprüche leichter durchgesetzt werden können .

Insgesamt umfasst die neunte GWB-Novelle fünf gro-
ße Bereiche .

Als Erstes ergänzen wir die Kriterien, mit denen wir
im Kartellrecht einen Markt bestimmen . Die Digitali-
sierung verändert alle unsere Lebensbereiche . Es entwi-
ckeln sich neue Geschäftsmodelle, bei denen oft keine
unmittelbare Gegenleistung für die Inanspruchnahme
von Dienstleistungen gefordert wird .

Ein Beispiel, das wir alle kennen, ist die Google-Su-
che, die wir als Nutzer ohne Gegenleistung in Anspruch
nehmen . Solche Märkte können wir bisher mit den Re-
geln des Kartellrechts nicht in den Griff bekommen . Un-
sere Gesetze sind darauf angelegt, dass wir einen Markt
haben, bei dem letztendlich auch eine Gegenleistung
fließt. Das müssen wir ändern. Wir werden die Kriterien
an die Marktbetrachtung anpassen . Wir wollen uns auf
das Zeitalter der Digitalisierung besser einstellen .

Das gilt auch für die Fusionskontrolle . Der Fall „Face-
book/WhatsApp“ ist schon angesprochen worden . So
war es möglich, dass ein Unternehmen für fast 20 Mil-
liarden Dollar übernommen werden konnte . Aber das
Kartellrecht in Deutschland gab dem Bundeskartellamt
keine Möglichkeit, einen solchen Vorgang zu prüfen . Das
müssen wir ändern .

Die Digitalisierung spiegelt sich auch in anderen
Branchen wider, aber nicht nur mit Vorteilen . Besonders
betroffen von der Digitalisierung sind die Pressebranche,
die Presseverlage . Einerseits gehen die Umsätze bei Zei-
tungen und Zeitschriften zurück . Andererseits stehen die
Presseverlage in erheblicher Konkurrenz zu den großen
Onlineanbietern . Deshalb haben wir im Koalitionsver-
trag vereinbart, dass wir Kooperationen von Pressever-
lagen unterhalb der redaktionellen Ebene für zehn Jahre
vom Kartellverbot ausnehmen wollen . Pressevielfalt,
meine Damen und Herren, ist in einem demokratischen

Michael Schlecht






(A) (C)



(B) (D)


Rechtsstaat wichtig, und den wollen wir an dieser Stelle
fördern .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819913000

Herr Kollege Heider, ich darf Sie kurz unterbrechen .

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schlecht?


Dr. Matthias Heider (CDU):
Rede ID: ID1819913100

Ja, bitte .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819913200

Bitte schön .


(Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Aber keine schlichte Zwischenfrage!)



Michael Schlecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819913300

Herr Kollege, Sie führten gerade an, dass die Presse-

verlage vor den Internetunternehmen geschützt werden
sollten . So ungefähr kann man das übersetzen . Aber ist
Ihnen denn nicht bewusst, dass mittlerweile zu einem
erheblichen Teil gerade Presseverlage selbst im Inter-
netgeschäft unterwegs sind und von daher eine Schutz-
bedürftigkeit in dem Sinne nun wirklich nicht besteht?
Vielmehr wäre es nach wie vor wichtig, die Pressekon-
zentration zu bekämpfen und nicht die Regelungen, wie
ich in meiner Rede schon ausgeführt habe, in diese No-
velle einzubauen, die faktisch dazu führen, dass geradezu
ein Aufruf dazu besteht, zusätzliche Kartelle zu bilden .

So weit .


Dr. Matthias Heider (CDU):
Rede ID: ID1819913400

Vielen Dank, Herr Kollege . – Es ist natürlich immer

so: Gerade da, wo Märkte im Umbruch sind, ist der Ge-
setzgeber gefordert, jedenfalls für eine kurze Zeit zu hel-
fen und die Wettbewerbsstrukturen etwas mitzugestalten .
Genau das machen wir im Pressebereich . Ich wüsste kei-
ne Regelung, die angemessener wäre, als für eine Zeit
lang in einem so wichtigen Bereich wie der Meinungs-
vielfalt die Regeln etwas anzupassen . Wir werden zum
Normalbetrieb zurückkehren müssen .

Meine Damen und Herren, es gibt einige Tatbestän-
de im Bereich der Missbrauchsaufsicht, die schon an-
gesprochen worden sind: Vorschriften zu Verboten und
Verhaltensweisen, das Anzapfverbot, der Verkauf unter
Einstandspreis . Wir haben vorhin über den Milchsektor
gesprochen; der Kollege Knoerig wird sich damit gleich
noch intensiv beschäftigen .

Lassen Sie mich noch zu einer Folge von Kartellver-
stößen kommen, die Ihnen vorhin schon als sogenannte
Wurstlücke vorgestellt worden sind . Im Bußgeldrecht
schließen wir die sogenannte Wurstlücke . Das Kartellamt
konnte aufgrund der Lücke einen festgesetzten Bußgeld-
betrag bei einem großen Wursthersteller nicht eintreiben .
130 Millionen Euro sind dem Kartellamt durch die Lap-
pen gegangen . Das liegt an einer Lücke im deutschen
Kartellrecht . Unternehmen können sich umstrukturieren,
und dann kann der Bußgeldbescheid bei ihnen nicht mehr

vollstreckt werden . Das ist ungerecht . Vor allen Dingen
müssen wir befürchten, dass, wenn das so bleibt, Einzel-
kaufleute sowie mittlere und kleinere Unternehmen im-
mer diejenigen sind, die das Nachsehen haben, weil sie
nicht in dieser Weise umstrukturieren können .

Wir wollen diese Lücke schließen . Deshalb ist es er-
forderlich, dass wir in diesem Bereich an den einheitli-
chen europäischen Unternehmensbegriff anschließen,
das deutsche Recht in diesem einen Fall wirklich voll-
ständig an das europäische Recht anschließen . Das Kar-
tellrecht ist ein Bereich, der im Wesentlichen von Euro-
parecht geprägt ist .

Auch im Bereich des Schadensersatzes werden wir
tätig . Das hilft den durch Kartelle Geschädigten, Scha-
densersatzansprüche besser durchzusetzen .

Meine Damen und Herren, was wir noch nicht in der
Kartellrechtsnovelle vorgesehen haben, ist eine Ände-
rung des Ministererlaubnisverfahrens . Die Union setzt
sich dafür ein, dass wir den Erkenntnissen aus dem Ver-
fahren um Edeka/Kaiser’s Tengelmann Rechnung tragen .
Sie sind durchaus schwerwiegend . Der unerfreulich lan-
ge Verlauf dieses Verfahrens bringt uns dazu, Änderungs-
bedarf an dieser Stelle anzumelden .

Zunächst einmal ist das große Engagement des Mi-
nisters zu loben, der versucht hat, die Arbeitsplätze zu
schützen . Ich glaube, es gibt niemanden in diesem Haus,
der nicht unterstreichen würde, dass Arbeitnehmer und
die Unternehmen in einer solchen Größenordnung ge-
schützt werden sollten . Das ist lobenswert und nicht zu
beanstanden .

Ich erinnere aber daran, dass nach der Versagung der
Übernahme durch das Kartellamt im April 2015 die Mi-
nistererlaubnis von Edeka/Kaiser’s Tengelmann bean-
tragt wurde, aber erst elf Monate später, im März 2016,
eine Entscheidung des Bundeswirtschaftsministers er-
ging . Diese Entscheidung wurde von Wettbewerbern
beklagt . Die Klage ist bis heute nicht vom Tisch, weil
Rechte der Beteiligten nicht genügend beachtet worden
sind und weil das Argument „Gemeinwohl liegt vor“ auf
verfassungswidrige Gründe gestützt worden ist; so sagt
es das Oberlandesgericht Düsseldorf .

Die Gewerkschaften sollten bei der Übernahme das
Feintuning durch Tarifverträge sicherstellen; so die Auf-
lage des Ministers . Das hat sich als harte Nuss erwiesen,
meine Damen und Herren . Fünf Monate hat Edeka ge-
braucht, um einen neuen Tarifvertrag auszuhandeln . Die
Zeit rannte den Beteiligten davon . Die Klage des Wett-
bewerbers Rewe ist immer noch anhängig, und ein Alt-
bundeskanzler musste bemüht werden, um zwischen den
Beteiligten zu vermitteln .

Was jetzt kommt, ist schon etwas für exekutive Fein-
schmecker, meine Damen und Herren . Herausgekommen
ist beim Einsatz des Altkanzlers offenbar eine Empfeh-
lung, die Edeka und Kaiser’s Tengelmann auch schon
damals aus der Entscheidung des Bundeskartellamtes im
Jahr 2015 unschwer hätten ablesen können . Eine Eini-
gung zwischen Edeka und Rewe auf Weiterverkauf von
Filialen von Edeka an Rewe muss sich jetzt nicht nur im
Rahmen der Ministererlaubnis bewegen, also sämtliche

Dr. Matthias Heider






(A) (C)



(B) (D)


Punkte einhalten, auch die des Tarifvertrages mit den Ge-
werkschaften – tut sie das nämlich nicht, brauchen wir
eine völlig neue Ministererlaubnis –; das Bundeskartell-
amt muss jetzt auch erneut entscheiden, nämlich darüber,
ob Rewe möglicherweise Filialen aus diesem Paket der
Edeka übernehmen darf . Welche Maßstäbe wird es da
wohl anwenden? Hatte das Bundeskartellamt nicht schon
im Jahr 2015 klar und deutlich gesagt, dass die Konzen-
tration im Lebensmitteleinzelhandel hoch ist? Meine
Damen und Herren, wir drehen uns an dieser Stelle im
Kreis . Um die Bilanz ist es nicht gut bestellt: zwei ver-
lorene Jahre für die Sicherheit der Arbeitnehmer und der
Unternehmer, zwei Jahre Wertverlust, enttäuschtes Ver-
trauen in ein rechtsstaatliches Verfahren, fehlender Zu-
gang zu Information, mangelndes rechtliches Gehör für
die Beteiligten . Auch das Amt des Bundeswirtschaftsmi-
nisters, meine Damen und Herren, ist dabei ein bisschen
beschädigt worden .

Zum Glück scheint der Fall Edeka/Kaiser’s Tengel-
mann noch ein gutes Ende nehmen zu können . Wir als
Union sind der Überzeugung: Eine solche Hängepartie
darf sich nicht wiederholen . Der Gesetzgeber muss des-
halb die Konsequenzen aus diesem Verfahren ziehen,
sonst wird kein Unternehmen in Deutschland jemals
wieder versuchen, eine Ministererlaubnis in einer beson-
deren Lage zu beantragen . Wir als Union möchten die
Ministererlaubnis stärken . Wir möchten die Entschei-
dungsfindung des Ministers klarer und effektiver gestal-
ten . Wir möchten die Rechte der Beteiligten schützen .
Dazu gehören die folgenden Eckpunkte .

Die Verfahrensdauer der Ministererlaubnis von vier
Monaten ist im geltenden Recht eine Sollvorschrift, also
eine eher freundliche Empfehlung . Wir glauben, dass ein
solches Verfahren in spätestens sechs Monaten beendet
sein muss . Wir sind deshalb der Auffassung: Wenn inner-
halb von sechs Monaten keine Entscheidung gefällt wird,
dann muss dieses Verfahren beendet sein, weil der Antrag
damit abgelehnt ist . Wir möchten einen festen Zeitpunkt
für die öffentliche mündliche Verhandlung haben .

Außerdem soll der Entscheidungsentwurf des Minis-
ters zwingend öffentlich konsultiert werden . Die Betei-
ligten und die Beigeladenen sollen Gelegenheit haben,
die Akten in einem Aktenraum in Echtzeit einsehen zu
können . Wenn der Minister die Sollvorgabe von vier Mo-
naten, wie sie im Moment im Gesetz steht, für eine Ent-
scheidung nicht einhält, dann wollen wir Parlamentarier
aus erster Hand informiert werden . Die Verfahrensvor-
schriften, die es dazu braucht, sollen transparent sein . Sie
sollen in einer Verordnung gebündelt werden . Wir wollen
daher, dass es eine Verordnungsermächtigung mit Parla-
mentsvorbehalt im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschrän-
kungen gibt, damit eindeutig klar ist, wie die Spielregeln
für den Wettbewerb in solch einer besonderen Situation
sind .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein von den Grünen und Linken gefordertes Vetorecht
oder sogar einen Parlamentserlaubnistatbestand lehnen
wir ab . Meine Damen und Herren, das zu entscheiden,
ist eine Aufgabe der Exekutive, nicht des Parlamentes .
Herr Schlecht, dass Sie ein Problem mit Gewaltenteilung

haben, habe ich gerade erst wieder bei Ihrer Kritik am
Oberlandesgericht wahrgenommen .

Insgesamt: Der Gesetzentwurf der 9 . GWB-Novelle
ist gut gelungen . Es gibt noch einige Stellschrauben, an
denen wir arbeiten müssen, und einige Dinge, die ver-
bessert werden können . Dazu wollen wir die nächsten
Wochen und Monate nutzen .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie stimmen unserem Antrag zu?)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819913500

Vielen Dank . – Katharina Dröge, Bündnis 90/Die

Grünen, hat jetzt das Wort .


Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819913600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Der Gesetzentwurf, den die Bundesregierung
heute einbringt, stellt die Novellierung des Gesetzes ge-
gen Wettbewerbsbeschränkungen für den Bereich der
digitalen Märkte in den Mittelpunkt . Das ist richtig, das
ist notwendig . Allein: Es kommt ungefähr zehn Jahre zu
spät; denn das, was wir uns im Bereich der Digitalwirt-
schaft angucken müssen, ist eine erhebliche Konzentra-
tion von Marktmacht . Bei Unternehmen wie Facebook
und Google müssen wir feststellen, dass diese mittler-
weile Wettbewerbspositionen haben, die für andere Un-
ternehmen kaum noch angreifbar sind, und dass sie den
Kunden ein Angebot bieten, zu dem es kaum noch Al-
ternativen gibt . Diese Dominanz, diese Marktmacht ist
schlecht – nicht nur für den Wettbewerb, sondern auch
für die Verbraucherinnen und Verbraucher und für den
Datenschutz .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein Beispiel ist die Fusion von Facebook und Whats-
App, über die wir heute schon gesprochen haben . Wenn
man sich anguckt, was nach dieser Fusion, die das Bun-
deskartellamt genehmigt hat, passiert ist, dann muss man
sagen: Es gab eine massive Verschlechterung für die
Verbraucher und Verbraucherinnen, weil die AGBs und
damit die Datenschutzbestimmungen geändert wurden,
die für die Verbraucher und Verbraucherinnen relevant
sind . Da es keine Alternative mehr zu diesen Netzwer-
ken gibt, waren die Verbraucher und Verbraucherinnen
dieser Verschlechterung willkürlich ausgeliefert . Das ist
ein Missbrauch von Marktmacht, gegen den das Wettbe-
werbsrecht vorgehen muss .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aus diesem Grund ist es richtig, dass Sie mittlerweile
endlich sagen: Auch die Zahl der Nutzer und Nutzerin-
nen, auch die Datenkonzentration müssen bei der Fu-
sionskontrolle und bei der Bewertung von Marktmacht
eine Rolle spielen . Allerdings hätten Sie durchaus noch
weitergehen können . Auch den Zugang zu Analyseme-
thoden, also Algorithmen, dem Gold, das die Unterneh-
men eigentlich haben, hätten Sie bei der Bewertung von
Marktmacht in den Blick nehmen müssen .

Dr. Matthias Heider






(A) (C)



(B) (D)


Oder das Thema Marktabgrenzung . Auch hier – das
hätte der Fall Facebook/WhatsApp auch hergegeben –
hätten Sie schauen müssen, welche Marktmacht aus der
Zusammenführung von Daten entsteht, welche neuen
Geschäftsfelder aus der Zusammenführung von Daten
erwachsen können .

Es geht nicht nur darum, die Fusionskontrolle zu
verschärfen, sondern es geht ganz grundsätzlich um die
Frage, wie man in Zukunft in solchen Märkten, die so
hochkonzentriert sind, Wettbewerb überhaupt noch er-
möglichen kann . Wie kann es in Zukunft möglich sein,
dass neue, dass kleine Unternehmen noch eine relevan-
te Konkurrenz für solche Giganten wie Facebook oder
WhatsApp darstellen?

Das Thema Interoperabilität wäre hier ein wichtiges
Thema gewesen, also zum Beispiel der Zugang zum
Messenger . Bei jeder E-Mail ist es möglich, dass ich
von Gmail zu GMX oder Web .de meine E-Mails schi-
cke, mich über die Grenze von Anbietern hinweg mitei-
nander austausche . Aber bei den Messengerdiensten von
Facebook, WhatsApp und Co . ist das nicht möglich . Man
muss in einem geschlossenen System bleiben . Sie blei-
ben die Antwort auf die Frage, warum Sie zum Beispiel
dieses Thema nicht angehen und einen ersten Schritt für
mehr Wettbewerb in diesem hochkonzentrierten Markt
schaffen, schuldig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir über das Thema Marktmacht im Bereich der
Digitalwirtschaft reden, dann ist das nicht nur ein techni-
sches Thema, ein Wettbewerbsthema, sondern es hat ganz
persönlich für uns und für unser gesellschaftliches Leben
Auswirkungen . Denn das, was ganz oben bei Facebook
oder Google angezeigt wird, hat Einfluss darauf, welches
Buch Sie lesen, weil Sie es bei Ihrer Kaufentscheidung
berücksichtigen, welchen Artikel Sie in der Zeitung lesen
und damit, welche politische Einflussnahme und politi-
sche Meinung Sie bekommen, welches Auto Sie kaufen,
welche Versicherung Sie abschließen . Das, was Sie su-
chen, gibt auch Informationen über Sie selbst preis, wie
gesund Sie sind oder wie ihre finanzielle Ausstattung ist.
All das sind hochsensible Informationen, mit denen die
Konzerne umgehen . Über all das müssen wir als Gesetz-
geber entscheiden . Hier liegen riesige Zukunftsaufgaben
vor uns . Mit diesem Entwurf eines Gesetzes gegen Wett-
bewerbsbeschränkungen fangen wir heute ein kleines
bisschen an . Das sind aber Debatten, die noch lange nicht
abgeschlossen sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im GWB regeln Sie eine ganze Reihe anderer Themen,
die die Kollegen teilweise schon angesprochen haben .
Auf ein Thema möchte ich ganz besonders zu sprechen
kommen . Das ist die Reform der Ministererlaubnis . Wir
Grüne haben schon im April dieses Jahres einen Antrag
eingebracht und haben gesagt: Angesichts dessen, was
wir mit der Fusion von Kaiser’s Tengelmann und Edeka
erleben, angesichts des Umgangs von Wirtschaftsminis-
ter Gabriel mit diesem Verfahren – schlecht gemanagtes
Verfahren; das Gericht hat das Ganze gestoppt, weil es
teilweise den Vorwurf der Befangenheit festgestellt hat –,
angesichts des elf Monate dauernden Entscheidungspro-

zesses des Ministers, in denen es dem Unternehmen im-
mer schlechter ging, angesichts der Argumente, die vom
Minister nicht geprüft wurden – beispielsweise wie ge-
fährdet die Arbeitsplätze bei den Wettbewerbern oder bei
den Zulieferern sind –, ist die Ministererlaubnis reform-
bedürftig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Gabriele Katzmarek [SPD]: Absoluter Quatsch!)


Wir haben bereits im April einen Vorschlag gemacht .
Wir stellen ihn heute zur Abstimmung und hoffen auf
Ihre Unterstützung . Wir sagen: Die Ministererlaubnis
muss raus aus dem Hinterzimmer . Wir brauchen mehr de-
mokratische Kontrolle und mehr Transparenz . Deswegen
schlagen wir ein zweistufiges Verfahren vor. Als Erstes
prüft und entscheidet der Minister, informiert den Bun-
destag, und dann haben wir die Möglichkeit, falls wir es
anders sehen, ein suspensives Veto gegen diese Entschei-
dung einzulegen . Wir schlagen vor, dass dies schnell und
zügig geht, damit die Verfahren nicht unnötig verlängert
werden . Aber der große Vorteil ist: Nicht ein Mensch al-
lein entscheidet über das Wohl und Wehe von 16 000 Ar-
beitsplätzen, sondern das ist eine Entscheidung, die wir
als Haus gemeinsam treffen . Es ist eine politische Ent-
scheidung, die wir gemeinsam tragen müssen . Es würde
das Verfahren transparenter machen, es würde das Ver-
fahren besser machen, es würde es auch nicht langsamer
machen . Deshalb bitte ich Sie heute um Zustimmung zu
unserem Antrag .

Herzlichen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819913700

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der

Kollege Marcus Held .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Marcus Held (SPD):
Rede ID: ID1819913800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir befassen uns heute mit dem Gesetz gegen
Wettbewerbsbeschränkungen, insbesondere auf Basis ei-
ner EU-Richtlinie aus dem Jahre 2014, die wir entspre-
chend in deutsches Recht umsetzen . Wir befassen uns
auch deshalb damit, weil wir der Digitalisierung in der
Wirtschaft Rechnung tragen wollen und entsprechende
Anpassungen im GWB brauchen . Wir haben aber auch
vor allem in den zurückliegenden Jahren in der Praxis
Erfahrungen in Bezug auf die Rechtsdurchsetzung ge-
macht . Auch deshalb brauchen wir einige Neuregelungen
in diesem Gesetzentwurf .

Dies bezieht sich vor allem auf Probleme mit beste-
henden Rechtsnachfolgen, aber auch mit bestimmten
Konzernstrukturen, wie wir ja in den letzten Jahren fest-
stellen mussten . Es war zum Beispiel festzustellen, dass
Unternehmen versucht haben, kartellrechtliche Geldbu-
ßen in Millionenhöhe durch Vermögensverschiebungen
und durch Umstrukturierungen zu vermeiden . Dem Staat
sind somit rund 130 Millionen Euro entgangen . Der pro-

Katharina Dröge






(A) (C)



(B) (D)


minenteste Fall, der eben schon angesprochen wurde, ist
uns allen als Tönnies-Fall oder als Wurstkartell bekannt .

Um das künftig zu verhindern, haben wir nun die Lü-
cke in § 81 GWB geschlossen und dafür gesorgt, dass
Rechtsfolgen und Rechtsnachfolgen gewährleistet sind .
Künftig ist es so, dass im Zweifel nicht mehr nur die
handelnde Tochtergesellschaft für das Bußgeld heran-
gezogen werden kann, sondern darüber hinaus auch die
Konzernmuttergesellschaft, damit hier keine umgehende
Lösung möglich ist . Gerade schwerwiegende Kartell-
rechtsdelikte mit besonders hoher Sozialschädlichkeit,
meine Damen und Herren, können wir so in Zukunft ahn-
den . Dies war uns Sozialdemokraten besonders wichtig,
denn das ist für uns eine Frage der Gerechtigkeit .

Wir haben in § 33 des Gesetzes gegen Wettbewerbs-
beschränkungen die Möglichkeit eingeführt, Schadens-
ersatzklagen wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbe-
werbsrechtliche Bestimmungen zu erheben . Es ist jetzt
im Gesetz klar definiert, was ein Kartell ist, und es ist
auch klar definiert, wann wir von einem Zuwiderhandeln
gegen das Kartellrecht sprechen können .

Mir persönlich war bei den Beratungen im Vorfeld,
in den letzten eineinhalb Jahren, die Frage der Presse-
kooperationen wichtig . Lieber Herr Schlecht, Sie haben
es angesprochen . Wir haben uns als SPD-Fraktion sehr
intensiv mit den Playern auf dem Markt auseinanderge-
setzt und uns inhaltlich auf diese Neuregelungen ver-
ständigt . Hintergrund ist, dass immer mehr Verlage – vor
allem kleine und mittelgroße – Probleme haben, auf dem
Markt zu bestehen . Dies gilt vor allem in Bezug auf die
Marktanteile, die sich auf Facebook und das Internet be-
ziehen und Jahr für Jahr größer werden . Wir müssen zur
Kenntnis nehmen, dass die Gesamtumsätze der Zeitungs-
verlage in Deutschland von 10,8 Milliarden Euro im
Jahr 2000 mittlerweile auf 7,6 Milliarden Euro in 2015
zurückgegangen sind . Dies ist ein deutlicher Rückgang .
Er manifestiert sich durch den Rückgang der Zeitungs-
auflagen und drohende Insolvenzen etwa bei der Frank-
furter Rundschau oder der Münchener Abendzeitung .

Diese Entwicklung offenbart die Dramatik der Situ-
ation in diesem Bereich . Deshalb müssen wir für kleine
und mittlere Redaktionen gleiche Rechte und Möglich-
keiten schaffen . Wir haben uns dafür starkgemacht, hier
weiterhin einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen . Wir
wollen, dass in Deutschland ein flächendeckendes redak-
tionelles Angebot gerade auch im Printbereich gegeben
ist, und dafür sorgen, dass der Wettbewerb nicht immer
weiter zulasten der Vielfalt der Printprodukte geht, damit
wir auch in einigen Jahren noch flächendeckend Tages-
zeitungen in Deutschland haben .

Als SPD ist uns wichtig, nach dieser ersten Lesung
dafür zu sorgen, dass noch ein Punkt in das Gesetz auf-
genommen wird, nämlich der Punkt des kollektiven
Verbraucherschutzes . Das Bundeskartellamt soll nach
unserer Vorstellung künftig den Verbraucherschutz im In-
teresse des kollektiven Verbraucherschutzes durchsetzen
können, gerade im Internet, wo eine Vielzahl von Fällen
zu Beschwerden führt und der einzelne Nutzer am Ende
Probleme hat, seine Rechte juristisch oder zivilrechtlich
durchzusetzen . Wir sind der Meinung: Wenn eine Viel-

zahl von Fällen eine Vielzahl von Menschen betrifft, weil
diese Fälle wiederholt auftreten, also auch wirtschaftlich
bedeutsam sind, dann sollen sie künftig vom Kartellamt
entsprechend verfolgt werden können, wenn ein Nutzer
oder ein Bürger dem Kartellamt entsprechende Hinweise
gibt .

Last, but not least möchte ich natürlich gerne auf die
Anträge der Grünen zur Ministererlaubnis eingehen . Ich
habe es in dieser Woche schon im Ausschuss gesagt: Mir
fehlt an dieser Stelle der deutliche Hinweis, dass wir
durch die Ministererlaubnis von Sigmar Gabriel und den
Kompromiss, der am Ende gefunden werden konnte, bei
der Fusion von Kaiser’s Tengelmann 16 000 Menschen
in Deutschland den Arbeitsplatz gesichert haben .


(Beifall bei der SPD)


Das sagt hier komischerweise bei allen formalen Diskus-
sionen keiner .


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist ja auch nicht so!)


Ich finde es, ehrlich gesagt, sehr verletzend gegenüber
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Unterneh-
mung Kaiser’s Tengelmann, dass niemand diese Debatte
zum Anlass nimmt, hierüber zu sprechen .

Wir haben in Deutschland seit 1972 insgesamt nur
22 Fälle gehabt, in denen es, nachdem das Kartellamt
eine Fusion abgelehnt hatte, tatsächlich zu einer Minis-
tererlaubnis gekommen ist . Das ist so selten der Fall,
meine Damen und Herren, dass wir hier wirklich nicht
übertreiben sollten . Ich glaube, wir können dieses Ver-
fahren weiterhin anwenden . Wir sollten es auch nicht
von der politischen Mehrheit im Parlament abhängig ma-
chen, Herr Schlecht, wie hier entschieden wird; denn das
kann sich auch in einer Form ändern, wie wir beide es
vielleicht am Ende nicht haben wollen . Insofern sollten
wir bei der Ministererlaubnis bleiben, meine Damen und
Herren . Wir können sie sicherlich an der einen oder an-
deren Stelle ein bisschen modifizieren. Aber das können
wir im Laufe des Verfahrens diskutieren .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819913900

Danke schön . – Jetzt hat für die CDU/CSU der Kolle-

ge Axel Knoerig das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Axel Knoerig (CDU):
Rede ID: ID1819914000

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Währung
des 21 . Jahrhunderts sind bekanntermaßen die Daten .
Frau Dröge, Sie haben es gerade sehr schön formuliert,
als Sie gesagt haben, die Algorithmen seien das Gold der
Unternehmen . Das sehen wir bei Google, Facebook und
YouTube . Das sind die Beispiele dafür, welchen Wert da-
tenbasierte Unternehmen mittlerweile erzielt haben .

Marcus Held






(A) (C)



(B) (D)


Diese neuen Geschäftsmodelle konkurrieren mit unse-
ren traditionellen Branchen . Dieser Entwicklung tragen
wir Rechnung, und wir passen das Gesetz gegen Wett-
bewerbsbeschränkungen dem digitalen Zeitalter an . Wir
brauchen neue kartellrechtliche Rahmenbedingungen für
die digitale Wirtschaft, und das wird hier entsprechend
eingebracht .

Da ist natürlich auch die Frage zu stellen: Wie mes-
sen wir die Marktmacht von Internetplattformen? Das
ist, denke ich, sehr viel schwieriger als in der klassischen
Wirtschaft; denn bei solchen Portalen wird für Suchan-
fragen oder Nachrichten ja kein Preis berechnet . Insofern
sind die finanziellen Einnahmen eher gering.

Dennoch kann selbst ein kleines Start-up mit wenig
Umsatz sehr viel Marktmacht erreichen . Das hat – das
Beispiel ist heute schon häufig gebraucht worden – der
Kauf von WhatsApp bewiesen . Facebook zahlte ja so-
gar 19 Milliarden Euro für ein Unternehmen mit gerade
einmal 50 Mitarbeitern . Dieses neue Phänomen von ho-
hem Marktwert bei niedrigen Umsätzen müssen wir im
Kartellrecht entsprechend aufnehmen . Neue Regelungen
bei der Fusionskontrolle für digitale Geschäftsmodelle
haben wir entsprechend eingeführt . Wir geben also bei
der Fusion von Internetplattformen Schwellenwerte vor,
damit das Bundeskartellamt auch hier Marktmissbrauch
nachweisen kann .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mein Kolle-
ge Heider hat es vorhin angesprochen, sodass ich jetzt im
Grunde genommen einen Sprung machen möchte in ein
anderes Segment, nämlich in das Segment der Milchwirt-
schaft; denn wir haben ja hier beim GWB, bei dieser
Kartellrechtsnovelle, zwei Punkte hinzugefügt . Das ist
einmal das Anzapfverbot, zum anderen der Verkauf unter
Einstandspreis . Das haben wir ja inzwischen in das Ge-
setz aufgenommen . Das ist in Bezug auf die Milchwirt-
schaft außerordentlich wichtig .

Ich möchte das jetzt aber nicht weiter ausführen,
sondern setze mich dafür ein, dass noch folgende Punk-
te berücksichtigt werden: Das Kartellamt hat 2012 die
Sektoruntersuchung Milch durchgeführt . Die ist auch
heute noch gültig . Dabei wurden Preisabsprachen in der
Milchwirtschaft festgestellt . So erfolgen die Verhandlun-
gen zwischen den Genossenschaften und dem Lebens-
mittelhandel viel zu transparent . Der Auszahlungspreis
für die Landwirte kommt erst dann zustande, wenn die
Genossenschaftsmolkereien ihre Produkte an den Handel
verkauft haben, das heißt, ganz am Ende der Wertschöp-
fungskette . Das, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren, hat nichts mit Wettbewerb zu tun . Das ist vielmehr
Preisdumping auf Kosten der Milchbauern, die nicht
mehr auskömmlich wirtschaften können .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bereits seit drei Jahren leidet die deutsche Milchwirt-
schaft unter diesem enormen Preisverfall . Es sind große
Mengen Rohmilch auf dem Markt, und der Milchaus-
zahlungspreis lag im Sommer dieses Jahres bei lediglich
20 Cent pro Liter . Wir spüren inzwischen eine Erholung .
In Europa ist die Milchmenge um 4 Prozent reduziert
worden . Das wirkt sich entsprechend aus . Dieses europä-
ische Milchmengenreduzierungsprogramm hat auch dazu

beigetragen . Unsere Landwirte haben es intensiv genutzt .
Wir erwarten nun einen Preisanstieg auf 30 Cent zum
Ende dieses Jahres . Aber um Gewinn machen zu können,
muss der Preis noch weiter ansteigen . Er darf nicht bei
30 Cent stehen bleiben, sondern muss bei 40 Cent liegen .
Das kann gegebenenfalls bis 2017 gelingen .

Wir sollten diese positive Phase nutzen, um uns mit
folgenden Fragen zu beschäftigen:

Erstens. Kann die Pflicht der Landwirte zur hundert-
prozentigen Andienung an die Molkereien wegfallen?

Zweitens . Können die Vertragslaufzeiten zwischen
Milchbauern und Genossenschaften flexibler ausgestaltet
werden?

Drittens . Kann der Milchauszahlungspreis insgesamt
anders gestaltet werden?

Darauf gibt es auch klare Antworten . Und diese ge-
ben die Landwirte in meinem Landkreis selber; denn sie
wollen eins – und das ist ganz wichtig –: Sie wollen die
Verträge im Vorfeld abschließen und nicht das Restgeld
am Ende der Wertschöpfungskette erhalten .

Das Bundeskartellamt hat im April dieses Jahres eine
Überprüfung der Lieferbedingungen und der Preisbil-
dung in Norddeutschland veranlasst . Die Auswertung
dauert noch an . Ich erwarte vom Kartellamtschef Mundt,
dass er uns hierzu auch Empfehlungen gibt; denn wir
haben mit unserem Koalitionspartner SPD vereinbart,
dass die Ergebnisse dieser Untersuchung als Entschlie-
ßungsantrag in die letzte Lesung der Novelle eingebracht
werden .

Wir haben eben schon über das Thema Ministererlaub-
nis diskutiert . Minister Gabriel hat ja im Zusammenhang
mit dem Fusionsverfahren Edeka/Tengelmann davon
gesprochen, dass der Schutz von 16 000 Arbeitsplätzen
dem Gemeinwohl dient .


(Zuruf von der SPD: Ja!)


Dieses Argument kann ich als stellvertretender Vorsit-
zender der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Bundes-
tagsfraktion sehr wohl sozialpolitisch nachvollziehen .
Aber ich bin auch der Meinung, dass die Marktmacht des
Lebensmitteleinzelhandels kartellrechtlich betrachtet zu
groß geworden ist und nicht weiter konzentriert werden
darf . Die damalige Entscheidung wurde zu einem fal-
schen Zeitpunkt getroffen: Sie hat ein falsches Signal im
Markt ausgelöst und im Grunde genommen die Preisspi-
rale nach unten befördert .

Die Preispolitik des Lebensmitteleinzelhandels ge-
fährdet auch die 85 000 Betriebe in der Milchwirtschaft
und deren Fachkräfte . Von ihnen steht ein Drittel wegen
des Dumpings beim Milchpreis betriebswirtschaftlich
auf der Kippe . Die Milchproduzenten stehen ja am An-
fang der Wertschöpfungskette, wie ich ausgeführt habe,
und dürfen das ganze Marktrisiko alleine tragen . Das,
meine Damen und Herren, ist mit uns als Union nicht
zu machen . Hier müssen Veränderungen herbeigeführt
werden .

Ich sage aber auch: Wir haben nicht nur Veränderun-
gen für die Milchwirtschaft, sondern auch für alle land-

Axel Knoerig






(A) (C)



(B) (D)


wirtschaftlichen Betriebe herbeigeführt: Wir haben den
Pakt für die Landwirtschaft auf den Weg gebracht, das
EU-Hilfspaket mit 58 Millionen Euro aus dem Bundes-
haushalt verdoppelt, steuerliche Verbesserungen umge-
setzt und die Zuschüsse zur Unfallversicherung erhöht .
Damit stärken wir die mittelständischen Familienbetrie-
be gerade in den ländlichen Regionen . Denn es gilt der
Satz: Einen ländlichen Raum ohne Landwirte, den gibt
es nicht .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819914100

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Wir kommen zur Abstimmung über die Tagesord-
nungspunkte 9 a bis 9 c . Interfraktionell wird die Über-
weisung der Vorlagen auf den Drucksachen 18/10207,
18/7508 und 18/10240 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei interfrakti-
onell noch vereinbart wurde, dass die Vorlage 18/10240
auch mitberatend an den Ausschuss für Recht und Ver-
braucherschutz überwiesen wird . – Ich sehe, Sie sind
damit einverstanden . Dann sind die Überweisungen so
beschlossen .

Wir kommen zur Abstimmung über Zusatzpunkt 6,
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft
und Energie zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen mit dem Titel „Für mehr Transparenz und
demokratische Kontrolle bei der Ministererlaubnis“ . Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10279, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8078 abzuleh-
nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7 . Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel,
Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Keine Steuerbefreiung für Atomkraftwerke –
Die Brennelementesteuer muss bleiben

Drucksachen 18/9124, 18/10094

Über die Beschlussempfehlung werden wir nachher
namentlich abstimmen .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist es so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Norbert Schindler, CDU/CSU-Fraktion . – Bitte schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1819914200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte

Gäste auf den Tribünen! Verlängerung der Erhebungs-
dauer der Kernbrennstoffsteuer – das ist ein schönes poli-
tisches Thema, das in der Öffentlichkeit natürlich positiv
besetzt ist . Doch worum geht es? 2010, in Zeiten nackter
Haushaltsnot, kam man auf die Idee, die Atomkraftwerke
zur Finanzierung der späteren Entsorgungskosten heran-
zuziehen .


(Christian Petry [SPD]: Nicht nur aus nackter Haushaltsnot!)


Als Zielvorgabe wurde beschlossen, der jährliche Steuer-
ertrag solle 2,5 Milliarden Euro betragen . In den letzten
Jahren war der Steuerertrag aber deutlich geringer . Auf
den Grund dafür komme ich noch zu sprechen .

Drei, vier Stromkonzerne sind jedenfalls von der Be-
steuerung der Brennstoffe Plutonium 241 und 239 sowie
Uran 233 und 235 betroffen . Das sind die Tabletten, die
in den Kernreaktor eingeführt werden . Als Steuer – da
gab es ja verschiedene Vorschläge – wurde zum Schluss
pro Gramm Kernbrennstoff eine Steuer von 145 Euro
festgesetzt. Damit sollten die Kernkraftwerke auch finan-
ziell zur Verantwortung gezogen werden .


(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das war günstig!)


In der damaligen Debatte ging es aber nicht um das
Verursacherprinzip oder die Langzeitwirkung, sondern
es ging bei der Gesetzesvorlage des Haushaltsausschus-
ses allein darum, für den Staat bis Ende 2016 höhere
Einnahmen zu generieren . Heute stehen wir in der Ver-
antwortung, zu entscheiden, ob wir die Erhebungsdauer
verlängern . Ja, es wird ja über eine Verlängerung auf-
grund der Verpflichtungen im finanziellen Bereich in-
tensiv nachgedacht . Auch darauf komme ich später noch
einmal zu sprechen .

In der heutigen Debatte geht es auch um Begehr-
lichkeiten unseres Koalitionspartners . Frau Ministerin
Hendricks hat ja darauf hingewiesen, dass man, nachdem
Gerichte diese Steuer gebilligt haben, diese Steuer wei-
terhin erheben will .


(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Das wäre eine gute Idee! – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das wäre gut!)


Es gibt aber auch eine Koalitionsvereinbarung, liebe
Freunde von der anderen Feldpostnummer .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Man kann also darüber streiten, ob man eine Steuererhö-
hung quasi in Form einer Verlängerung der Erhebungs-
dauer vornimmt oder nicht . Wir als CDU/CSU sagen
dazu: Im Koalitionsvertrag wurde die Erfüllung dieses
Wunsches eindeutig ausgeschlossen .


(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Nächstes Mal gewinnen wir die Wahl!)


Dass man diese Aspekte auch im Zusammenhang
mit dem Sondervermögen und der Abschöpfung aus der
Brennelementesteuer betrachtet, kann ich schon verste-

Axel Knoerig






(A) (C)



(B) (D)


hen . In dem anderen Gesetzeswerk, das vorher beschlos-
sen wurde – Gesetz zur Errichtung eines Sondervermö-
gens „Energie- und Klimafonds“ –, war aber nur eine
einmalige Zahlung vorgesehen . Deswegen stimmen die
Zahlen, die 2010 berechnet wurden, nicht in Gänze mit
den tatsächlichen Einnahmen überein . Wir haben ja Ge-
samteinnahmen nur in Höhe von ungefähr 5 bis 6 Mil-
liarden Euro . Jetzt geht es darum, ob wir die Kernkraft-
werke, deren Laufzeit ja im Jahr 2012 gesetzlich verkürzt
wurde – alle kennen die Debatte, deren Ausgangspunkt
Fukushima war –, weiter belasten und den Beschluss
aus dem Jahr 2010 neu überdenken . In diesem Zusam-
menhang muss man natürlich darauf hinweisen, dass
alles, was wir als Kostenbelastung der besonderen Art
beschließen, letztendlich auf die Verbraucher umgelegt
wird . Das wird durchgereicht . Machen wir uns da nichts
vor .

Eine Verlängerung der Erhebungsdauer der Brennele-
mentesteuer muss auch vor dem Hintergrund betrach-
tet werden, dass wir in diesen Tagen mit Blick auf die
zukünftige Verantwortlichkeit für die Entsorgung der
Altlasten eine Gesetzesnovelle in den Bundestag ein-
bringen . Dabei ist eine Zielvorgabe zwischen 24 und 28
bzw . 29 Milliarden Euro als Gesamtbetrag für acht oder
elf Kernkraftwerke vorgesehen . Darüber werden wir in
den nächsten Wochen mit Sicherheit beraten . Seitens der
Bundesregierung wurde ja 2015 eine Kommission einge-
setzt . Über deren Ergebnisse werden wir dann beraten .

Es geht darum, wie wir die Betreiber von Atomkraft-
werken in Zukunft im Zuge des Ausstiegs hinsichtlich
der Nachfolgekosten zur Verantwortung ziehen . Aus
Sicht der Union sollte es da keine doppelte finanzielle
Belastung geben . Wir wollen die Energielieferanten im
Kernkraftbereich im Rahmen eines Sonderprogramms
nochmals gesondert mit 25 bis 30 Milliarden Euro belas-
ten . Sie wollen jetzt gleichzeitig eine Steuer fortführen .
Das wäre eine Doppelbelastung . Unter dem Strich – ich
sage es noch einmal – würde letzten Endes der deutsche
Stromverbraucher dafür zahlen . In der Debatte über die
Einzahlungen in den genannten Fonds, der dann errichtet
werden soll, werden wir uns in den nächsten Wochen mit
Sicherheit intensiver darüber unterhalten .

Deswegen: Der Antrag der Linken


(Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Guter Antrag, Norbert!)


ist schön populistisch formuliert, aber geht an der Reali-
tät vorbei und beachtet nicht, was wir 2010 beschlossen
haben und was wir übrigens auch im Koalitionsvertrag
festgelegt haben . Daran sollten wir uns halten . Mehr
brauche ich dazu nicht zu sagen .

Nur noch eine kleine amüsante Anmerkung: Als wir
dies damals mit der FDP als Koalitionspartner beschlos-
sen haben, gab es heftige Auseinandersetzungen im
Bundestag . Sie können das im Protokoll nachlesen . Alle
SPD-geführten Landesregierungen hatten sich vehement
gegen die Einführung dieser Steuer ausgesprochen . Es ist

interessant, dass jetzt auch Teile der SPD eine Fortfüh-
rung dieser Steuer wollen .


(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Wir lernen eben dazu! – Weiterer Zuruf von der SPD: Wollten wir schon immer, mein Lieber!)


Wie gesagt, ein Nachfolgeprogramm für die Ausgestal-
tung der Finanzierung durch diejenigen, die die Verant-
wortung tragen, wird derzeit erarbeitet . Dabei sollte man
das Kernproblem angehen und keine doppelte Besteue-
rung vornehmen . Deswegen wird die Union dies ableh-
nen .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819914300

Vielen Dank . – Der Kollege Hubertus Zdebel, Frakti-

on Die Linke, hat jetzt das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Hubertus Zdebel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819914400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Im Jahr 2010 beschloss die damalige Bun-
desregierung, den Brennstoff der Atomkraftwerke, also
Uran oder Plutonium, bis zum Ablauf des Jahres 2016
zu besteuern . Wenn jetzt also nichts passiert, läuft diese
Brennelementesteuer in einigen Wochen aus . Wir Linken
wollen, dass diese sinnvolle Steuer bleibt . Mit unserem
Antrag wollen wir erreichen, dass die Brennelemente-
steuer bis zum Ende der Laufzeit sämtlicher Atomkraft-
werke, also bis 2022, weitergeführt wird .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Christian Petry [SPD] und Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Gründe, warum die Erhebung dieser sinnvollen Steu-
er damals auf 2016 befristet wurde, wurden nie genannt .
Ich habe auch in dem jetzigen Redebeitrag des Kollegen
Schindler kein wirklich ernsthaftes Argument gehört,
warum diese Befristung in irgendeiner Form sinnvoll
wäre .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf des Abg . Norbert Schindler [CDU/ CSU])


Auch der Redner der CDU/CSU-Fraktion sprach da-
mals, im Jahre 2010, davon, dass diese Steuer – ich zitie-
re jetzt wörtlich – „aus ökologischen und ökonomischen
Gründen . . . richtig und zielführend“ sei . Daran hat sich
absolut nichts geändert, und genau deswegen muss die
Erhebung der Brennelementesteuer jetzt auch verlängert
werden .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg . Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Der Verzicht auf die weitere Erhebung dieser Steuer
bedeutet für die Atomkonzerne eine Entlastung in Höhe

Norbert Schindler






(A) (C)



(B) (D)


von rund 5 Milliarden Euro auf die Gesamtzeit bis 2022
gerechnet . Ferner würde der Verzicht eine Verbilligung
des Atomstroms mit sich bringen . Wir halten das für
ein völlig falsches Signal für den Atomausstieg und die
Energiewende .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hinzu kommt: Das Auslaufen der Brennelementesteu-
er wirkt schon . Eigentlich waren für das Jahr 2016 aus
der Brennelementesteuer Einnahmen in Höhe von rund
1,1 Milliarden Euro eingeplant; aber die Atomkonzerne
haben bereits in diesem Jahr trickreich die Schlupflöcher
genutzt, immer in der Erwartung, dass die Steuer 2016
ausläuft . Soweit bekannt, haben wohl alle AKW-Betrei-
ber im laufenden Jahr den Einsatz neuer Brennelemente
unterlassen und auf das Frühjahr 2017 verschoben, um
so die Steuerzahlungen für das Jahr 2016 vermeiden zu
können .

Die Befristung der Brennelementesteuer reiht sich
außerdem in eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Not-
beatmung der großen Energiekonzerne ein . Über das
Desaster von Gabriel, was den Klimaschutzplan angeht,
ist heute Morgen in der Debatte über die Klimakonfe-
renz in Marrakesch schon genügend diskutiert worden .
Sie alle wissen aber auch – Kollege Schindler hat es ge-
rade angesprochen –, dass der Bundestag in den nächs-
ten Wochen eine weitere und noch viel größere Entlas-
tung für die Atomkonzerne beschließen soll . Da geht es
darum, das jahrzehntelang hochgehaltene Versprechen
gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern zu brechen,
dass die Atomkonzerne die volle Verantwortung und vor
allem die vollen Kosten für den Atommüll übernehmen
müssen, wie es auch im Atomgesetz festgeschrieben
worden ist .

Für eine billige Einmalzahlung sollen sich diese Kon-
zerne von der Haftung und von der Nachschusspflicht
für die Kosten der Atommülllagerung befreien können;
so hat es die Bundesregierung bereits beschlossen . Da-
mit wird das Verursacherprinzip außer Kraft gesetzt . Das
vielgepriesene Unternehmerrisiko gilt bei der Atomener-
gie offenbar nur, wenn es den Konzernen sichere Gewin-
ne bringt. Für die Verluste und die finanziellen Risiken
für den Atommüll sollen am Ende wieder einmal die Bür-
gerinnen und Bürger einstehen .

Faktisch ist die Befristung der Brennelementesteuer
eine Subventionierung der Atomunternehmen im ganz
großen Stil . Dass die CDU/CSU einen solchen Kurs zu-
gunsten der Atomwirtschaft fährt, verwundert sicher nie-
manden . Aber wir haben ja auch noch die SPD im Bun-
destag . Die Umweltministerin Barbara Hendricks und
auch Kolleginnen und Kollegen aus der SPD haben sich
in den letzten Monaten wiederholt für eine Fortsetzung
der Erhebung dieser Brennelementesteuer ausgespro-
chen . Und der Berichterstatter der SPD, Christian Petry,
der gleich im Anschluss an mich reden wird, merkte im
Finanzausschuss zu unserem Antrag an, darin seien „vie-

le richtige Dinge“ enthalten . Dann sagte er wörtlich – Zi-
tat –:

Man könnte dem vorliegenden Antrag der Fraktion
DIE LINKE . zustimmen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg . Ingrid Arndt-Brauer [SPD])


Ja, liebe Genossinnen und Genossen von der SPD, dann
tut das doch einfach! Stimmt unserem Antrag zu! Gleich
bei der namentlichen Abstimmung habt ihr die Chance
dazu .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Zum Schluss noch: Es wäre wünschenswert, wenn bei
der Abstimmung über unseren Antrag nicht der Koaliti-
onszwang, sondern Vernunft und Gerechtigkeit zum Tra-
gen kommen würden . Die Zeit für Steuergeschenke für
den Betrieb von Atomkraftwerken muss endlich vorbei
sein .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819914500


Vielen Dank . – Jetzt hat der Kollege Christian Petry,
SPD-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1819914600


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gerade
schon gesagt worden: An dem Antrag ist wirklich viel
Gutes dran . Er deckt sich auch mit dem, was wir Sozial-
demokraten gefordert haben . Insofern ist von dem, was
im Ausschuss gesagt wurde, nichts zurückzunehmen .

Atomkraft ist natürlich ein politisches Reizthema .
Das hat sich über die Jahrzehnte auch in Bewegungen,
die heute noch, was ich positiv sehe, existieren, nieder-
geschlagen . Der Ausstieg aus der Atomkraft ist durch
dramatische Ereignisse beschleunigt worden . Es gab auf
diesem Weg zwar ein paar Pirouetten; aber letztlich war
dies ein Grund dafür, dass diese Steuer im Jahre 2010
eingeführt wurde .

Herr Kollege Schindler, an der nackten Haushaltsnot
lag es leider nicht; das kann man im Protokoll nachlesen .
Auf Seite 5 des Gesetzentwurfes heißt es:

Die Kosten für den Weiterbetrieb und die Stilllegung
der Schachtanlage Asse II trägt . . . ausschließlich der
Bund . Die Erträge aus der Steuer sollen vor dem
Hintergrund der notwendigen Haushaltskonsolidie-
rung auch dazu beitragen, die hieraus entstehende
Haushaltsbelastung des Bundes zu verringern .

Hubertus Zdebel






(A) (C)



(B) (D)


Es hat also auch einen Betrieb gegeben; ja, selbstver-
ständlich .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Das kostet 5 bis 7 Milliarden, und die sind schon gekommen!)


– Herr Kollege Schindler, ich komme darauf noch zu-
rück . Was Sie vorhin ausgeführt haben, ist nämlich in
Teilen nicht richtig gewesen .

Schon damals haben wir gesagt: Die Bemessungs-
grundlage muss angehoben werden, und die Steuer muss
unbefristet eingeführt werden . – Die Befristung ergibt
sich aus dem Auslaufen des Betriebs der Atomkraftwer-
ke von selbst; deswegen muss man sie nicht ausdrück-
lich nennen . Es ist natürlich so, dass dies dort seinen
Niederschlag findet. Im Rahmen der parlamentarischen
Beratungen wurde der Gesetzentwurf damals stark auf-
geweicht, sodass die Sozialdemokraten schlussendlich
nicht zustimmen konnten .

Die Atomkraftwerke, über die wir sprechen, sind im
Übrigen keine neuen Atomkraftwerke, sondern es sind
eigentlich alles Oldtimer . Im Autobereich bekommen
Oldtimer eine besondere Plakette . Wir fahren auch hier
auf Oldtimern; so ist das . Auch technisch gesehen gibt es
immer wieder zumindest bestimmte Teile, die Schwierig-
keiten bereiten . Selbstverständlich werden die Anlagen
gewartet und auch modernisiert . Auch das sollte man im
Hinterkopf behalten .

Ich bin davon überzeugt, dass die Auffassung, die
Kosten hierfür auf die Energieversorger umzulegen, ei-
nen breiten Konsens in diesem Hause finden kann. Es
darf natürlich nicht sein, dass der Bund schlussendlich
alleine auf den Kosten der Endlagerung des Atommülls
sitzen bleibt .


(Beifall bei der SPD)


Aus diesem Grund ist Ihre Argumentation für mich nicht
ganz nachvollziehbar . Schließlich ist die Situation heute
eine andere als im Jahr 2010 . Es gibt neue Beschlüsse –
auch über das Auslaufen und den Ausstieg . Daher gibt es
durchaus positive Argumente dafür, die Kernbrennstoff-
steuer Ende dieses Jahres nicht auslaufen, sondern auch
2017 und darüber hinaus weiterlaufen zu lassen . Es geht
immerhin um 5 Milliarden Euro, die durch diese Maß-
nahme dem Bereich, für den die Atomlobby eintritt, zu-
gewiesen werden sollen .

Eben wurde ja auch schon gesagt, dass es im Endeffekt
wohl so sein wird, dass die Brennstäbe erst im Jahr 2017
ausgetauscht werden . Das würde den Zahlen, die wir in
den Haushalt eingestellt haben, entgegenlaufen . Auch
hier kann ich mir vorstellen, dass wir in weiteren parla-
mentarischen Beratungen versuchen, dem bis Ende des
Jahres einen Riegel vorzuschieben . Möglicherweise gibt
es durch Sicherungsregelungen die Möglichkeit, diese
Umgehung zu verhindern, sodass auch in diesem Fall
Steuern gezahlt werden müssen . Auch das müssen wir
ernsthaft diskutieren .


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte an dieser Stelle noch einen weiteren Punkt
ansprechen, der eben auch schon genannt wurde: Die

Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des
Atomausstiegs hat ja im April dieses Jahres ihre Emp-
fehlungen vorgelegt . Über die Höhe des Betrages kann
man sich jetzt streiten . Nach meinen Informationen über-
tragen die Energieunternehmen 23,3 Milliarden Euro auf
den Bund . Ich hoffe, damit liege ich in etwa richtig; eben
ist ein noch höherer Betrag genannt worden .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schön!)


Es geht jedenfalls darum, dass die finanzielle Verantwor-
tung für die Endlagerung auf den Staat übergehen soll .
Man muss ernsthaft darüber diskutieren, ob dies in dieser
Form, so apodiktisch und endgültig, tatsächlich geht . Es
liegt jetzt aber nun einmal ein Vorschlag vor, über den
man reden muss . Es geht hier letztlich um ein Problem in
einem Industriezweig, das zu lösen ist .

Für mich persönlich ist hier im ersten Schritt noch
kein zufriedenstellendes Ergebnis erreicht . Wir werden
das im Parlament diskutieren und sehen, ob es am Ende
bei diesem Ergebnis bleibt oder ob man auch hier noch
über Korrekturen nachdenkt . Man könnte zum Beispiel in
dem Sinne darüber nachdenken, die Energieunternehmen
in diesem Bereich nicht einfach aus der Verantwortung
für die Ewigkeitskosten auf einen Schlag zu entlassen,
sondern weitere Regelungen zu finden, die eine dauer-
hafte Verantwortung zumindest nicht ausschließen . Das
gibt es in anderer Form im Übrigen auch beim Bergbau .
Die Ewigkeitskosten fallen dort nicht einfach weg, son-
dern werden auf Dauer von Stiftungen getragen .

Ich finde, in diesem Zusammenhang wäre es das völ-
lig falsche Signal, die Brennelementesteuer ohne Weite-
res auslaufen zu lassen . Ich glaube, ich habe gute Argu-
mente dafür genannt .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist letztlich auch gerichtlich festgestellt worden,
dass die EU-Rechtskonformität dieser Steuer gegeben
ist . Herr Kollege Schindler hat das schon gesagt . Es lau-
fen allerdings weitere Verfahren, durch die noch gewisse
Feststellungen zu treffen sind . Trotzdem ist es notwen-
dig, jetzt darüber zu entscheiden, weil das Ende des Jah-
res nicht mehr weit entfernt ist . Ich habe in meiner Rede
bereits gesagt, dass ich hier gemeinsam mit meiner Frak-
tion unterstützend für die Fortführung stehe und kämpfe .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Es sind aber nur noch sechs Wochen Zeit!)


Jetzt kommt aber das große Aber!


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Habe ich die ganze Zeit drauf gewartet!)


Letztendlich war es bisher – Herr Kollege Schindler hat
das schon in einer sehr großen Eindeutigkeit mit Verweis
auf den Koalitionsvertrag gesagt – nicht möglich, dies in
den Gesprächen und Verhandlungen mit der CDU in der
Form zu vereinbaren . Deshalb werden wir uns in diesem
Fall vertragstreu verhalten und den vorliegenden Antrag
gemeinsam mit unserem Koalitionspartner ablehnen .

Christian Petry






(A) (C)



(B) (D)


Es gibt aber noch einen weiteren Antrag von Bünd-
nis 90/Die Grünen, der im Prinzip etwas konkreter ist
und insoweit auch einen Vorteil bietet, weil die Grünen
genau sagen, was sie wollen .

Dort wird einmal ein Endzeitpunkt genannt . Ich habe
ja schon gesagt, dass man ihn eigentlich nicht benennen
muss; denn wenn die Laufzeiten aller Atomkraftwerke
ausgelaufen sind, dann spielt auch die Brennelemente-
steuer keine Rolle mehr . Von daher müsste man das gar
nicht befristen . Man könnte dort also auch von „unbefris-
tet“ sprechen; denn wenn nichts mehr da ist, kann auch
nichts erhoben werden .

Zum anderen wird im genannten Antrag auch gefor-
dert, die Brennelementesteuer anzuheben .

Bei diesem Antrag, der in Kürze auf uns zukommen
wird, werden wir in den parlamentarischen Beratungen
versuchen, darauf hinzuwirken – ob das gelingt, weiß ich
nicht; ich habe gewisse Zweifel –, noch ein Umdenken
herbeizuführen . Klar ist, dass die SPD-Fraktion für die-
sen Fall bereitstünde, die Erhebungsdauer der Brennele-
mentesteuer zu verlängern .

In diesem Sinne freue ich mich auf muntere Debatten
in der Kürze der Zeit bis Ende des Jahres .

Glück auf!


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819914700

Danke schön . – Die Kollegin Sylvia Kotting-Uhl,

Bündnis 90/Die Grünen, hat jetzt das Wort .


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819914800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das sind ja ganz hoffnungsvolle Aussichten, Herr Petry .
Ich freue mich auf die weiteren Beratungen der Anträge
im Ausschuss .

Herr Schindler, jetzt müssen wir erst einmal ein paar
Sachen sortieren . Von einer doppelten Besteuerung kann
man ja nun im Moment wirklich überhaupt nicht spre-
chen . Wir haben auf der einen Seite eine Brennelemen-
testeuer, die auslaufen soll – genau darüber, ob das Sinn
macht, diskutieren wir –, und wir haben auf der anderen
Seite die Vereinbarung in der Koalition, die Ergebnisse
der KFK-Kommission jetzt auch umzusetzen .

Ich will ganz ehrlich sagen: Wir sind auch dafür, dass
die Ergebnisse dieser Kommission umgesetzt werden .
Man muss das eine oder andere noch einmal zurechtrü-
cken . Aber im Grunde genommen sind wir – anders,
Hubertus Zdebel, als die Linke – durchaus der Meinung,
dass wir, was die Rückstellungen betrifft, retten müssen,
was zu retten ist . Wir sind nicht mehr in der Situation,
in der wir die optimale Lösung für Rückstellungen ge-
mäß dem Verursacherprinzip finden können, sondern wir
müssen jetzt die bestmögliche Lösung entwickeln . Ich
glaube, da sind diese Ergebnisse relativ nah dran .

Aber etwas anderes geht überhaupt nicht, und das will
ich hier auch gleich noch einmal sagen: Es geht nicht an,

dass die gleichen Konzerne, denen man ja in der Tat dann
ein Risiko abnimmt – das ist so; da bin ich völlig bei dir,
Hubertus; das Risiko wird ihnen abgenommen, es über-
nimmt der Staat mit einem Risikoaufschlag –, gleichzei-
tig über 30 Klagen gegen den Staat, gegen die öffentli-
che Hand betreiben . Darüber, liebe Koalition, muss noch
einmal ausführlich geredet werden; denn das geht in der
Tat nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Wovon reden wir heute? Wir sprechen von der Brenn-
elementesteuer . Es ist ja schon klargestellt worden, dass
sie aus ganz bestimmten Gründen eingeführt wurde, und
zwar nicht etwa, wie man ja auch oft hört, als Ausgleich
für die Laufzeitverlängerung, so nach dem Motto: Wir
schenken euch etwas, und dafür nehmen wir jetzt ein
bisschen . – Nein, sie hatte einen ganz klaren ökonomi-
schen Grund, nämlich den, dass die Gesellschaft seit
Beginn der Geschichte der Atomkraft unglaublich viele
Kosten für die Atomindustrie übernommen hat .

Es gibt keinen Wirtschaftszweig, der mit so vielen Pri-
vilegien ausgestattet ist wie die Atomwirtschaft . Denken
wir nur einmal an die Versicherungspflicht; da muss nicht
annähernd das abgedeckt werden, was im Schadensfall
tatsächlich an Kosten auf die Gesellschaft zukommen
kann . Denken wir an Rückbau und Entsorgung der For-
schungsanlagen . Denken wir an die Sanierung von End-
lagern . Allein Asse und Morsleben werden über 7 Milli-
arden Euro – mindestens! – ausmachen . Insgesamt reden
wir von Beträgen im zweistelligen Milliardenbereich, die
in der Zukunft aufgrund dieser alten Aufgaben noch auf
uns zukommen . Zugleich belief sich nach unabhängigen
Schätzungen die staatliche Beihilfe für die Atomkraft in
den letzten Jahrzehnten bereits auf einen dreistelligen
Milliardenbetrag .

Also unglaublich viele Vergünstigungen, unglaublich
viele Privilegien, unglaublich viel, was die Gesellschaft
übernimmt . Diese gesellschaftliche Schuld muss bezahlt
werden . Am Ende muss die Rechnung doch irgendwann
stimmen, wenigstens einigermaßen . Ein Faktor dabei ist
die Brennelementesteuer .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Christian Petry [SPD] und Hubertus Zdebel [DIE LINKE])


Es gibt keinen Grund dafür, gab nie einen Grund und gibt
auch weiterhin keinen, diese Steuer zu befristen . Jeder
Kfz-Halter würde sich unglaublich freuen, wenn man
ihm sagte: Eine Zeitlang besteuern wir Kraftfahrzeuge;
aber für die letzten Jahre, wenn sie da noch laufen und
man weiß, dass sie eh bald abgeschaltet werden, erlassen
wir die Steuer . Dann dürft ihr so damit fahren . – So funk-
tioniert Steuer prinzipiell nicht .

Ich will auch noch ein Wort zu Herrn Schindler sagen .
Er sagte, die zu erwartenden Einnahmen hätten sich redu-
ziert . Sie haben sich auch deshalb reduziert, weil unsere
Freunde in den Konzernen, wie sie es immer gerne tun,
natürlich von vorneherein geschaut haben, wie sie diese
Kosten reduzieren können . Sie haben den Wechsel der

Christian Petry






(A) (C)



(B) (D)


Brennelemente erst vorgezogen, als es die Steuer noch
nicht gab . Jetzt, da in Aussicht steht, dass die Erhebung
der Brennelementesteuer beendet werden wird, wird wie-
der verzögert und aufs nächste Jahr verschoben . So geht
das nicht .

Indem man zum Beispiel sagt, wir beenden die Steu-
ererhebung ab einem gewissen Zeitpunkt, eröffnet man
nur wieder neue Schlupflöcher. Es wird nicht nur ab dann
die Steuer nicht mehr bezahlt; vielmehr wird ebenso das,
was selbst nach Ihrer Absicht noch bezahlt werden soll-
te, auch noch gespart, indem der Wechsel der Brennele-
mente verschoben wird . Auch das ist ein Grund dafür,
dass diese Steuer bleiben muss . Man darf diesen Konzer-
nen – es tut mir leid – diese Schlupflochmöglichkeiten
überhaupt nicht bieten, weil alles sofort ausgenutzt wird,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg . Hubertus Zdebel [DIE LINKE])


weil sie so etwas trotz guter Vereinbarungen immer wie-
der ausnutzen . Auch das Ergebnis der KFK ist eine gute
Vereinbarung für die Konzerne . Trotz all dieses Entge-
genkommens des Staates wird immer wieder geschaut:
Wo können wir noch irgendetwas abgreifen? Wo können
wir noch etwas herausholen? Das muss aufhören . Des-
wegen muss bei der Brennelementesteuer eine ganz klare
Linie vorgegeben sein: Die Brennelementesteuer wird
erhoben, solange ein Atomkraftwerk läuft, und zwar bis
zum letzten Gramm Spaltstoff .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Milligramm!)


Das ist Gerechtigkeit . Das ist eine geringe Teilabzahlung
der gesellschaftlichen Schuld, die die Atomkonzerne
nicht nur finanziell, aber auch finanziell tragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Insofern schließe ich mich dem Antrag an . In unserem
eigenen Antrag steht außerdem, die Brennelementesteu-
er auf das Niveau anzuheben, das ursprünglich gedacht
war; denn der Betrag, der jetzt erhoben wird, 145 Euro
pro Gramm, war schon ein nicht nachvollziehbares Zu-
geständnis in Richtung Atomkonzerne . Auch das kann
man zurücknehmen . Ich bin dafür, dass wir hier eine kla-
re Linie fahren .

Ich hoffe, in den nächsten Wochen der Beratung,
nachdem ich schon höre, dass man in Teilen nicht so ganz
abgeneigt ist, zieht hier im Hause noch Vernunft ein .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819914900

Danke schön . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt der Kollege Philipp von und zu Lerchenfeld .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Graf Philipp Lerchenfeld (CSU):
Rede ID: ID1819915000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass heute

extra eine namentliche Abstimmung angesetzt worden
ist, weil dadurch sehr viele Leute kommen werden, die
meine erste Rede nach meiner Krankheit hören . Dafür
bin ich sehr dankbar und bin darüber hocherfreut .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das gibt mir die Gelegenheit, mich gleichzeitig bei allen
zu bedanken, die mir Genesungswünsche geschickt ha-
ben . Ihnen allen gilt dafür mein herzlicher Dank .

Aber lassen Sie mich jetzt zum Thema kommen . Las-
sen Sie mich zunächst mein Erstaunen darüber ausdrü-
cken, dass hier mehrfach Vergleiche herangezogen wur-
den . Kernkraftwerke wurden mit Oldtimern verglichen,
also mit Autos. Ich finde diesen Vergleich ein bisschen
gewagt, muss ich sagen .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 30 Jahre alte Autos finden Sie selten auf der Straße!)


– Sie hatten das Auto angesprochen .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, die sind jünger als 30 Jahre!)


Ich muss Ihnen sagen: Natürlich kommen Sie in den
Genuss von Steuerermäßigungen, wenn Sie mit einem
H-Kennzeichen fahren . Gerade für einen Oldtimer gibt
es eine entsprechende Ermäßigung bei der Steuer . Also
ist dieser Vergleich, den Sie angestellt haben, vielleicht
ein bisschen schief . Ich möchte ihn gern korrigieren .


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie damit darauf hinweisen, dass die Kernkraftwerke Oldtimer sind, ist mir das auch recht!)


Die Kosten, die durch die Entsorgung auf die Kern-
kraftwerksbetreiber zukommen – das wurde vorhin
schon angedeutet –, werden in einem ganz anderen Zu-
sammenhang geregelt werden . Ich erinnere daran, dass
die Brenn elementesteuer, die 2011 eingeführt wurde,
nie die erwarteten hohen Steuereinnahmen brachte: Im
Jahr 2011 waren es 922 Millionen Euro statt 2,3 Milliar-
den Euro, im Jahr 2012 1,6 Milliarden Euro statt 2,3 Mil-
liarden Euro . Dazu kann ich nur sagen: Ihre Schätzung,
dass in den nächsten Jahren mit Einnahmen von 5 Milli-
arden Euro zu rechnen sei, kann ich nur anzweifeln .

Die Mindereinnahmen lassen sich sicherlich dadurch
begründen, dass ein Teil der Kernkraftwerke mittlerweile
aufgrund der Katastrophe von Fukushima abgeschaltet
wurde . Die Klagen der Unternehmen gegen diese Steuer
wurden vom Europäischen Gerichtshof abgewiesen; das
wurde schon angesprochen . Auch die entsprechenden Fi-
nanzgerichte in Deutschland haben mittlerweile erkannt,
dass dem Bund damals die Steuergesetzgebung für diese
Steuer zustand .

Zum Zeitpunkt der Einführung der Steuer war noch
überhaupt keine Rede davon, dass es eine Laufzeitbe-
grenzung der Kernkraftwerke geben würde . Es war noch
keine Rede davon, dass man dafür 2022 als Datum fest-
setzen würde . Vielmehr war zum damaligen Zeitpunkt

Sylvia Kotting-Uhl






(A) (C)



(B) (D)


der wesentliche Grund für die Einführung dieser Steuer,
dass man einfach Haushaltslöcher stopfen wollte .

Natürlich fällt es einem immer schwer, Steuern nicht
mehr weiter zu erheben . Aber ich glaube, eine ganz we-
sentliche Frage ist auch: Wie zuverlässig sind wir bei
unserer Steuergesetzgebung? Das hat etwas mit Glaub-
würdigkeit zu tun . Das hat etwas mit Planungssicherheit
für die Unternehmen zu tun .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn wir in einem Gesetz festlegen, dass wir diese Steu-
ern nur für einen gewissen Zeitraum erheben wollen,
dann können wir nicht nachher sagen: Jetzt könnt ihr uns
alle gernhaben; wir machen das Ganze doch anders .

Wir müssen auch im Bereich der Steuer- und Finanz-
politik glaubwürdig bleiben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen muss die Erhebung dieser Steuer dem Gesetz
entsprechend ausgeführt werden . Damit läuft sie gegen
Ende dieses Jahres aus .

Die Fortsetzung der Erhebung der Steuer über das
Jahr 2016 hinaus wäre auch eine indirekte Steuererhö-
hung, die wir im Koalitionsvertrag ausgeschlossen ha-
ben .


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen keine indirekten Steuererhöhungen, und wir
wollen keine direkten Steuererhöhungen . Im Gegenteil:
Wir müssen sehen, dass wir für den Wirtschaftsstandort
Deutschland Steuerentlastungen herbeiführen . Nur auf
diese Art und Weise wird unser Standort entsprechend
gewürdigt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lassen Sie mich noch einmal auf das Thema Glaub-
würdigkeit zurückkommen . Ich glaube, gerade in diesen
Zeiten, die wir erleben – das zeigt ein Blick nach Ame-
rika, aber auch zu unseren Nachbarn –, ist es von ganz
essenzieller Bedeutung, dass wir mit dem, was wir als
Gesetzgeber beschließen, glaubwürdig bleiben . Glaub-
würdigkeit heißt: Wir müssen uns an die Gesetze halten,
die wir selber in Kraft setzen . Deswegen sollte die Steu-
er Ende dieses Jahres aufgehoben werden . Wir haben
keinen Grund, diese Steuer zu entfristen, und wir haben
keinen Grund, die Unternehmen mit einer zusätzlichen
Steuer zu belasten .

Wir wollen keine Steuererhöhungen . Deswegen leh-
nen wir den Antrag ab .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819915100

Vielen Dank . – Letzter Redner zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist der Kollege Lothar Binding, SPD-Frak-
tion .


(Beifall bei der SPD)



Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1819915200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr verehrte Damen und Herren! Christian Petry hat
schon begründet, warum wir den Antrag für einen sehr
guten Sachantrag halten . Die Brennelementesteuer sollte
bis zum Ende der Laufzeit aller Atomkraftwerke erhoben
werden . Das wäre ohnehin ein relativ geringer Beitrag
im Vergleich zu den Ewigkeitskosten, mit denen wir zu
rechnen haben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg . Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Für mich wäre es schon deshalb wichtig, die Erhebung
der Steuer zu verlängern, weil sie einen Konstruktions-
fehler hat . Denn die Befristung lädt doch geradezu dazu
ein, sie zu umgehen und den Austausch der Brennstäbe
zu verzögern . Offen gestanden würde ich das auch so ma-
chen . Wenn ich Konzernchef wäre, würde ich auch nicht
sagen: Jetzt tauschen wir die Brennstäbe aus, damit wir
schön viel Steuern bezahlen . – Im Gegenteil, ich wür-
de sagen: Das halten wir noch ein bisschen zurück, und
wenn dann die steuerfreie Zeit beginnt, dann tauschen
wir sie aus . – Alles andere wäre doch verrückt . Man ist
schließlich für sein Unternehmen verantwortlich .

Insofern wäre es wichtig gewesen, die Befristung gar
nicht erst einzuführen . Das war ein Konstruktionsfehler .
Es war in gewisser Weise ein Politikversagen gegenüber
den Konzernen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dazu findet sich sehr viel mehr in den persönlichen Er-
klärungen nach § 31 der Geschäftsordnung, die viele
Kolleginnen und Kollegen heute abgegeben haben .

Ich will aber auch etwas Kritisches zu dem Verfah-
ren anmerken, weil Herr Zdebel vorhin ein bisschen vor-
wurfsvoll argumentiert hat . Denn so gut der Sachantrag
ist, so schlecht ist das gewählte Verfahren . Normalerwei-
se wird eine namentliche Abstimmung beantragt, damit
die Bürgerinnen und Bürger später sehen können, wel-
cher Kollege oder welche Kollegin für oder gegen etwas
war . Das kann man zu Hause nachlesen .

Mit einer namentlichen Abstimmung werden norma-
lerweise Transparenz und Offenheit hergestellt, weil da-
durch deutlich wird, wie man sich in der Abstimmung
verhält . Es gibt aber auch namentliche Abstimmungen,
die beantragt werden, um die Menschen hinter die Fichte
zu führen und etwas zu zeigen, was eben nicht der Wahr-
heit entspricht .

Warum das hier der Fall ist, kann ich relativ leicht er-
klären . Natürlich halten wir uns an den Koalitionsvertrag .
Denken wir einmal zurück: Ich musste hier einer Maut
zustimmen . Das fand ich ganz schrecklich . Die Kollegen
von der CDU/CSU mussten einem Mindestlohn zustim-
men . Das fanden sie ganz schrecklich . Wir haben das
aber jeweils gemacht . Denn ohne Vertragstreue ist man

Philipp Graf Lerchenfeld






(A) (C)



(B) (D)


nicht regierungsfähig, und wenn man nicht regierungsfä-
hig ist, dann braucht man keine Koalition zu bilden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Insofern versucht man mit der Beantragung einer na-
mentlichen Abstimmung, die Menschen hinters Licht zu
führen, die unsere Abläufe nicht kennen . Und es ist gut,
dass sie sie nicht alle kennen . Denn sie haben vielleicht
einen eigenen Beruf und müssen sich um ihre Arbeit
kümmern . Aber dieses Missverhältnis der Erkenntnis
wird von der Linken schamlos ausgenutzt . Das halte ich
für sehr fragwürdig .


(Beifall bei der SPD)


Stellen wir uns einmal vor, dass die SPD-Fraktion ei-
nen Koalitionsvertrag mit der Linken und vielleicht auch
mit den Grünen schließt .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Unglaublich! – Heiterkeit bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Ich habe nur eine Hypothese aufgestellt . – Nehmen wir
einfach an, dass dem so wäre .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Unwahrscheinlich!)


Dann würde jemand in diesem Haus – ich wage mir
nicht vorzustellen, wer das sein könnte – den schön for-
mulierten Antrag „Raus aus der NATO“ stellen . Aber in
unserem Koalitionsvertrag würde stehen, dass wir in der
NATO verbleiben . Schließlich würde die SPD-Fraktion
keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, wenn in ihm
nicht steht, dass Deutschland Mitglied der NATO bleibt .
Würde die Linke nun diesen Koalitionsvertrag brechen
und dem Antrag einer anderen Fraktion auf Austritt aus
der NATO zustimmen? Wärt ihr so unehrlich und ver-
tragsuntreu?


(Zurufe von der CDU/CSU: Ja!)


Dann würde ich euch vorwerfen, dass ihr eure Grundsät-
ze verratet .


(Beifall bei der SPD)


Das wäre bestimmt durch eine namentliche Abstimmung
zu dokumentieren, um zu zeigen, dass ihr tatsächlich das
Gegenteil macht .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819915300

Vielen Dank . – Wir kommen jetzt zur Beschlussemp-

fehlung des Finanzausschusses zu dem Antrag der Frak-
tion Die Linke mit dem Titel „Keine Steuerbefreiung für
Atomkraftwerke – Die Brennelementesteuer muss blei-
ben“ .

Zu dieser Abstimmung liegt eine Reihe von Erklärun-
gen nach § 31 der Geschäftsordnung vor .1)

1) Anlagen 4 bis 6

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/10094, den Antrag der Frakti-
on Die Linke auf Drucksache 18/9124 abzulehnen . Wir
stimmen nun über die Beschlussempfehlung namentlich
ab . Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen . – Sind alle Plätze an
den Urnen besetzt? – Das ist der Fall . Dann eröffne ich
die Abstimmung .

Gibt es jetzt noch Mitglieder des Hauses, die ihre
Stimmkarte noch nicht abgegeben haben? – Ich sehe, das
ist nicht der Fall . Dann schließe ich die Abstimmung . Ich
bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der
Auszählung zu beginnen . Das Ergebnis wird Ihnen später
bekannt gegeben .2)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und
des Berichts des Auswärtigen Ausschusses

(3 . Ausschuss) zu dem Antrag der Bundesre-

gierung

Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes
bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Ver-
hütung und Unterbindung terroristischer
Handlungen durch die Terrororganisati-
on IS auf Grundlage von Artikel 51 der
Charta der Vereinten Nationen in Verbin-
dung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages
über die Europäische Union und den Re-
solutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249

(2015) des Sicherheitsrates der Vereinten

Nationen sowie des Beschlusses der Staats-
und Regierungschefs vom NATO-Gipfel
am 8./9. Juli 2016

Drucksachen 18/9960, 18/10244


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/10275

Hierzu liegen zwei Entschließungsanträge der Frak-
tion Die Linke vor . Über diese Entschließungsanträge
werden wir später namentlich abstimmen .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Ich höre kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat der Kollege
Niels Annen, SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1819915400

Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen

und Herren! Lassen Sie mich diese Aussprache mit einer
Vorbemerkung beginnen . Das Mandat, über das wir heu-
te entscheiden, ist kein Einsatz für die Türkei und erst

2) Ergebnis Seite 19841 C

Lothar Binding (Heidelberg)







(A) (C)



(B) (D)


recht nicht für die türkische Regierung oder ihren Präsi-
denten, Herrn Erdogan .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Das glaubt ihr doch selber nicht!)


Dieses Mandat dient der Bekämpfung des internationa-
len Terrorismus, nämlich der Terrormiliz IS . Es dient da-
mit auch unserer eigenen Sicherheit .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ich glaube, dass diese Vorbemerkung angesichts der
manchmal ja auch etwas hitzigen Debatte in Deutschland
notwendig ist . Ich will deswegen auch daran erinnern,
dass wir in diesem Hause vor wenigen Stunden die in der
Tat notwendige Debatte über die innenpolitische Situa-
tion in der Türkei geführt haben . Ich glaube, dass es die
richtige Entscheidung ist, beides getrennt zu diskutieren .

Zur Sache: Wir alle kennen die Bilder und Nachrich-
ten von der aktuellen Situation vor allem im Irak und von
der großen Offensive zur Befreiung der Stadt Mosul, die
im Moment noch von der Terrormiliz IS gehalten wird .
Diese Offensive, aber auch die militärische Entwicklung
in den letzten Wochen und Monaten zeigen – das ist vor
dem Hintergrund der ganzen Debatte, die uns bedrückt,
und in Anbetracht der Bilder, mit denen wir uns auseinan-
dersetzen müssen, eine gute Nachricht –: Die Terrormiliz
IS ist in der Defensive . Aber der Kampf ist noch lange
nicht vorbei . Ich glaube, wir alle müssen uns darauf ein-
stellen, dass es eine lange Auseinandersetzung wird, in
der es naturgegeben auch Rückschläge geben kann .

Dennoch: Die internationale Koalition, die sich ver-
sammelt hat und die heute aus 67 Staaten besteht, hat den
richtigen Weg eingeschlagen . Ich hoffe, dass der Bun-
destag deutlich machen wird, dass sich unser Land, die
Bundesrepublik Deutschland, mit den Soldatinnen und
Soldaten, die wir entsendet haben, und mit den Fähig-
keiten, die wir bereitstellen wollen – die Luftaufklärung,
die Luftbetankung, zukünftig ergänzt um das Mandat
AWACS –, als Teil dieser Koalition empfindet, dass wir
Verantwortung übernehmen und dass wir uns – gerade
angesichts der Wahl in den Vereinigten Staaten und der
Verunsicherung, die dieses Wahlergebnis ausgelöst hat –
als verlässlicher Partner präsentieren wollen . Das ist
wichtiger denn je .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen in der Tat über Mosul reden . Es gibt in
diesem Krieg bedauerlicherweise viele Auseinanderset-
zungen, es gibt viele Fronten . Aber Mosul ist eine ent-
scheidende Etappe . Warum? Weil wir, die internationale
Staatengemeinschaft, in Mosul aufgrund der Verantwor-
tung, die wir tragen, nicht zulassen würden, dass die ira-
kischen Kräfte dieselben Fehler wiederholen, die sie zum
Beispiel in Falludscha gemacht haben . Unser Ziel muss
sein, in dem manchmal schwierigen Dialog mit der iraki-
schen Regierung und den Verbündeten dafür zu sorgen,
dass es nicht zu einer weiteren Zuspitzung der konfessi-
onellen Konflikte im Irak kommt und dass der Ethnisie-
rung des Konflikts, wenn dies schon nicht ganz gestoppt
werden kann, zumindest entgegengewirkt wird .

Die Befreiung Mosuls ist ein wichtiges Ziel . Aber sie
darf nicht dazu führen, dass sich die Auseinandersetzung
zwischen Sunniten und Schiiten weiter zuspitzt . Deswe-
gen geht es im Moment nicht nur um das Schicksal einer
Millionenstadt; es geht möglicherweise um die Zukunft
des Irak als souveränen Staat . Deswegen ist es ganz
wichtig, dass wir klarmachen: Die Unterstützung dieses
Hauses für die Kräfte in der Region, gerade im Irak, die
sich dafür einsetzen, dass dieses Land in Zukunft Heimat
bietet für alle ethnischen Gruppen, für alle Minderheiten,
für alle religiösen Gruppen – das muss die Grundlage un-
seres Handelns sein .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen, meine sehr verehrten Damen und Herren,
möchte ich mich bei Außenminister Steinmeier für seine
Initiative bedanken, die er mit der Unterstützung dieses
Hauses auf den Weg gebracht hat . Ich kenne kein anderes
europäisches Land, das sich in den letzten Wochen und
Monaten so dafür eingesetzt hat, dass die Abfederung der
schon heute sichtbaren Konsequenzen dieser Offensive –
steigende Flüchtlingszahlen und menschliche Dramen,
die sich dort abspielen – gelingt . Wir leisten dort einen
humanitären Beitrag . Schon bei der Vorbereitung dieser
Operation haben wir mitgeholfen, dass Flüchtlingsein-
richtungen aufgebaut wurden und dass Mittel dafür be-
reitstehen, dass die befreiten Gebiete Wasser haben, dass
es eine Gesundheitsversorgung gibt und dass die Infra-
struktur wiederaufgebaut wird .

Ich weiß natürlich: Die Voraussetzung dafür ist, dass
zum Beispiel die mit der irakischen Armee verbündeten
schiitischen Milizen, die sich in den letzten Jahren auch
schwerer Verbrechen schuldig gemacht haben, eben nicht
sunnitisches Gebiet dominieren und besetzen . Aber in
dem Augenblick, in dem das gelingt, müssen wir als in-
ternationale Gemeinschaft da sein und einspringen . Des-
wegen ist diese Initiative wirklich ein wichtiger Schritt in
die richtige Richtung .

Ich glaube, er zeigt auch, dass das, was wir hier vor
uns haben, weit mehr ist als eine rein militärische Ope-
ration . Es ist ein Beitrag zur Stabilisierung einer Regi-
on, deren Kernkonflikt wir hier in Europa nicht lösen
können. Es ist ein Konflikt, zu dessen Lösung wir aber
beitragen können . Und wir tragen zu einer Verbesserung
der humanitären Situation und zur Bekämpfung des in-
ternationalen Terrorismus bei, aber – ich will das am
Ende noch einmal sagen, weil wir die Anschläge in Eu-
ropa erlebt haben – wir tragen auch zu unserer eigenen
Sicherheit bei .

Deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, können
Sie, glaube ich, mit gutem Gewissen zustimmen . Ich bit-
te jedenfalls um die Mandatierung .

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819915500

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt der Kollege

Dr . Alexander Neu .


(Beifall bei der LINKEN)


Niels Annen






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819915600

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau

Präsidentin! Heute stimmen wir über einen Auslands-
einsatz ab, der eine besondere Aufmerksamkeit verdient,
besonders weil Ihr Gewissen in außerordentlichem Maße
gefragt ist und Sie sich nicht auf die Fraktionsdisziplin
zurückziehen sollten .

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie müssen
Ihrem Gewissen folgen und dabei folgende Fragen be-
antworten können:

Erstens . Können Sie wirklich mit gutem Gewissen ei-
nem Einsatz zustimmen, der nicht verfassungs- und völ-
kerrechtskonform ist?


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Na, na, na!)


Zweitens . Können Sie es mit Ihrem Gewissen verein-
baren, einen Bundeswehreinsatz zu befürworten, ohne
dass die faktischen Unterstützerstaaten des IS und ande-
rer Dschihadisten, namentlich die Türkei und Saudi-Ara-
bien, zur Rechenschaft gezogen werden?

Die Bundesregierung kann sich in diesem Fall nicht
auf Unkenntnis berufen . Die Bundesregierung hat in
der Antwort auf eine Kleine Anfrage, wie die Medien
abgedruckt haben, zugegeben: Die Türkei hat sich „zur
zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppierun-
gen der Region des Nahen und Mittleren Ostens“ entwi-
ckelt . – Das war die Antwort der Bundesregierung . Sie
wissen also, mit wem Sie es zu tun haben .


(Beifall bei der LINKEN)


Anstatt daraus die Konsequenzen zu ziehen, verkaufen
Sie weiter Waffen und Rüstungsgüter in die Türkei und
Saudi-Arabien .

Drittens . Können Sie die Stationierung der Bundes-
wehr in der Türkei mit einem guten Gewissen bejahen?
Ich glaube, nicht .


(Henning Otte [CDU/CSU]: Doch!)


Und warum nicht? Die Türkei rutscht unter dem Sultan
Erdogan in die Despotie ab . Er bombardiert die Kurden,
es findet eine massive Verfolgung linker und liberaler
Medien und Parteien statt, und es findet eine massive
Säuberung des Staatsapparats ohne rechtsstaatliche Ver-
fahren statt . Und was macht die Bundesregierung? Was
macht Frau Merkel? Sie ist lediglich besorgt .

Hinzu kommt: Erdogan führt die Bundesrepublik
Deutschland am Nasenring durch die internationale Are-
na . Der Deutsche Bundestag kann seine Kontrollaufga-
ben gegenüber der Bundeswehr in der Türkei nicht kon-
tinuierlich und nicht vollumfänglich wahrnehmen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Erdogan verlangte von der Bundesregierung die Distan-
zierung von der Armenien-Resolution des Deutschen
Bundestages als Vorleistung für den Besuch in der Tür-
kei, in Incirlik .


(Niels Annen [SPD]: Sind Sie da gewesen oder nicht?)


– Ich bin da gewesen, ja . Genau . Die Vorleistung wurde
erbracht . Die Merkel/Steinmeier-Regierung ist einge-
knickt . Sie hat geliefert, wie von Erdogan gewünscht .

Aber es war ein Ausnahmefall . Es war kein kontinu-
ierliches Besuchsrecht, was wir dort erlebt haben . Diese
Befürchtung habe ich seinerzeit geäußert . Diese Befürch-
tung hat sich bewahrheitet . Jan van Aken wartet bis heute
auf die Zustimmung zur Einreise nach Incirlik . Die Ab-
geordneten der CDU/CSU von Stetten und Brand durften
ebenfalls nicht nach Incirlik . Ich bin mal gespannt, wie
die beiden gleich abstimmen werden .

Die Bundesregierung bestätigt in einer extrem peinli-
chen Protokollerklärung selber – ich zitiere –:

Im Lichte der aktuellen Entwicklungen in der Tür-
kei erklärt die Bundesregierung . . ., dass sie sich
weiterhin mit Nachdruck gegenüber der türkischen
Regierung für die Ermöglichung von Besuchen der
Abgeordneten des Deutschen Bundestages einset-
zen wird .

Das ist niedlich, meine Damen und Herren, wirklich
niedlich .


(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Wenigstens richtig vorgelesen!)


Was hier als niedliche Anstrengung der Bundesregie-
rung verkauft wird, ist nichts anderes als das, dass einige
Fraktionsgrößen der SPD versuchen, den Abgeordneten
der SPD Sand in die Augen zu streuen . Das Besuchsrecht
der Abgeordneten für die im Ausland stationierten Sol-
daten der Bundeswehr ist eine Voraussetzung und keine
Verhandlungsmasse, meine Damen und Herren!


(Beifall bei der LINKEN)


Mit dieser Protokollerklärung versucht die Bundesregie-
rung nur, die Abgeordneten der SPD zu besänftigen, um
die Stationierung der Bundeswehr im Erdogan-Reich si-
chern zu können .

Aber noch kein Ende der Realsatire . Man setzt noch
einen drauf . Man hält bis heute daran fest, den Bundes-
wehrstandort in Incirlik für 60 Millionen Euro auszubau-
en . Während in deutschen Schulen der Putz von der De-
cke fällt, weil angeblich kein Geld da ist,


(Ulli Nissen [SPD]: Es reicht!)


schiebt die Bundesregierung dem Erdogan-Regime
60 Millionen Euro Steuergelder in den Arsch .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt ist aber Schluss!)


– Da sind Sie empört . Sie sollten über Ihr Verhalten em-
pört sein .


(Ulli Nissen [SPD]: Das ist überhaupt nicht witzig!)







(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819915700

Herr Kollege Dr . Neu, ich glaube, dass wir uns durch-

aus um eine parlamentarische Ausdrucksweise bemühen
sollten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Der weiß nicht, wie das geht!)



Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819915800

Ich glaube, diese Formulierung ist mittlerweile Usus . –

Sehr geehrte MdBs, insbesondere der SPD, folgen Sie
endlich Ihrem Gewissen! Die SPD hat doch angekündigt,
dass sie dem Mandat nicht zustimmen wird, wenn es kein
Besuchsrecht in Incirlik gibt . Wir haben kein Besuchs-
recht! Stehen Sie also zu Ihrem Wort, und lehnen Sie den
Antrag gemeinsam mit der Linken ab .


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg . Ulli Nissen [SPD])


Haben Sie endlich das Rückgrat, wie es damals Bun-
deskanzler Gerhard Schröder im Vorfeld des Krieges mit
dem Irak hatte . Er hat Nein gesagt . Sagen Sie jetzt auch
einmal Nein . Zeigen Sie dem Erdogan-Regime die Rote
Karte .


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Die zeigen wir Ihnen! – Ulli Nissen [SPD]: Was ist das für ein Vergleich? Mann!)


Eines muss immer wieder gesagt werden: Es darf
keine Beteiligung der Bundeswehr an Konflikten im
Nahen Osten geben, auch nicht in Syrien und im Irak .

Das verbietet sich schon allein aufgrund der deutschen
Geschichte, zumal das Sterben in Syrien und im Irak da-
durch nicht beendet wird .


(Henning Otte [CDU/CSU]: Sagen Sie mal was zu den IS-Opfern! – Ulli Nissen [SPD]: Was machen Sie denn gegen den IS?)


Die Mitglieder der SPD und die Wähler der SPD würden
sich wirklich freuen, wenn die SPD Rückgrat beweisen
würde . Sie würden Ihnen danken .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Vergessen Sie nicht, sehr geehrte Damen und Herren
von der SPD: In weniger als einem Jahr haben wir Bun-
destagswahl . Dann wird sich entscheiden – auch anhand
dieser Abstimmung –, wie Sie abschneiden werden .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Da haben wir jetzt aber Angst!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819915900

Bevor als nächste Rednerin die Kollegin Manderla

das Wort hat, darf ich das von den Schriftführerinnen und
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
Abstimmung zur Beschlussempfehlung des Finanzaus-
schusses zum Antrag „Keine Steuerbefreiung für Atom-
kraftwerke – Die Brennelementesteuer muss bleiben“ be-
kannt geben: abgegebene Stimmen 583 . Mit Ja, also für
die Empfehlung des Finanzausschusses, haben gestimmt
472, mit Nein haben gestimmt 109, Enthaltungen 2 . Die
Beschlussempfehlung ist damit angenommen .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 583;
davon

ja: 472
nein: 109
enthalten: 2

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram

Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius

Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E . Fischer


(Karlsruhe-Land)

Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler

Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke






(A) (C)



(B) (D)


Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert

Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Dr . Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr . Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann
Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer

Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Lena Strothmann

Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Klaus Barthel
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)







(A) (C)



(B) (D)


Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Martin Dörmann
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr . Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann

(Wa ckernheim)

Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk

Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr . Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix

Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
René Röspel
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr . Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese

(Wol mirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann

Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Nein

DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Harald Weinberg






(A) (C)



(B) (D)


Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Volker Beck (Köln)

Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge

Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast

Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws

Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms

Enthalten

SPD

Ingrid Arndt-Brauer
Sabine Dittmar

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt .

Jetzt darf ich der Kollegin Gisela Manderla für die
CDU/CSU das Wort geben .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Gisela Manderla (CDU):
Rede ID: ID1819916000

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Ministerin!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Dr . Neu,
wir diskutieren und beschließen auch hoffentlich einen
Bundeswehreinsatz gegen eine Terrororganisation . Wir
reden hier nicht über Wahlkampf, und wir reden hier
nicht über einen Besuch in Incirlik . Nutzen Sie doch
nicht diese Debatte über ein solch schwerwiegendes The-
ma, um Parteipolitik für die Linken zu machen. Ich finde
das schändlich .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, angesichts der undurch-
sichtigen Lage in Syrien und im Irak empfiehlt es sich,
nochmals in aller Klarheit auf diejenigen zu schauen, ge-
gen welche die internationale Koalition in diesen Ländern
antritt, und vor allen Dingen zu fragen, warum sie das tut .
Zentraler Gegner ist die Terrororganisation Daesh . Die
Formulierung IS oder „Islamischer Staat“ wird diesen
Verbrechern nicht gerecht; denn diese Terrorformation ist
weder islamisch noch ist sie ein Staat . Diese skrupellose
Mörderbande hat sich weit über ihre Ausdehnungsgebie-
te in Syrien und im Irak hinaus zu einer Bedrohung für
Frieden und Sicherheit entwickelt .

Zahlreiche Anschläge in der Türkei, in Tunesien,
im Libanon – zuletzt auch in Frankreich, Belgien und
Deutschland – belegen die Bedrohung für den Weltfrie-
den, die von Daesh ausgeht . Daesh will, glaubt man sei-
ner Propaganda, im Vorderen Orient ein Regime nach
dem Vorbild des Kalifats aus dem 7 . Jahrhundert er-
richten . Hierbei bedient er sich einer kaum für möglich

gehaltenen Brutalität . Er mordet, er vergewaltigt und er
versklavt all jene, die nicht seiner engen Auslegung des
Islam folgen . Er hat den Bürgerkrieg in Syrien und die
wachsende Unzufriedenheit der sunnitischen Bevölke-
rung im Irak schamlos und grausam für seine Zwecke
ausgenutzt . Seine verführerische Strategie besteht darin,
den vielen Herausforderungen der Neuzeit in der musli-
mischen Welt mit nur scheinbar leichten und einfachen
Antworten zu begegnen . Diese Strategie stützt sich auf
eine ausgefeilte Propaganda, der nicht zuletzt auch in Eu-
ropa manche orientierungslose und haltlose junge Men-
schen verfallen . Die Realität in den von Daesh besetzten
Gebieten besteht jedoch aus nichts anderem als Terror,
Unterdrückung und Gewalt . Zugang zu Bildung und me-
dizinischer Versorgung, vor allem für Frauen, wird ver-
wehrt . Und: Ein klarer Gesellschaftsentwurf ist nicht im
Ansatz zu erkennen .

Nicht ohne Grund hat das Wüten von Daesh daher
Hunderttausende Menschen in die Flucht getrieben . Ich
darf an dieser Stelle an den Versuch erinnern, die Min-
derheit der Jesiden aus dem Nordirak nicht nur zu vertrei-
ben, sondern förmlich auszuradieren . Dafür, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, gibt es nach meinem Verständnis
nur einen Begriff, und der lautet: versuchter Genozid .

Folgerichtig hat der Sicherheitsrat der Vereinten Na-
tionen in diversen Resolutionen die Bedrohung durch
Daesh ausdrücklich betont . Der Sicherheitsrat hat dazu
aufgerufen, im Kampf gegen Daesh alle notwendi-
gen Maßnahmen zu ergreifen, um seine terroristischen
Handlungen zu verhüten und zu unterbinden . Zudem ist
es erklärtes Ziel, Daesh seine Rückzugsorte zu nehmen,
die er sich in weiten Teilen Syriens und Iraks schaffen
konnte . Diesem Ziel, meine Damen und Herren, sind wir
näher gekommen, wie die jüngsten Erfolge rund um die
Offensiven in Mosul und Rakka zeigen . Aber von einem
Ende der Bedrohung durch Daesh kann noch keineswegs
die Rede sein . Es gilt, den eingeschlagenen Weg mit al-






(A) (C)



(B) (D)


ler Entschlossenheit fortzusetzen . Die Notwendigkeit,
diesen Weg entschlossen fortzusetzen, wird besonders
deutlich, wenn man sich die aktuellen Berichte aus den
befreiten Gebieten rund um Mosul oder Nordsyrien an-
sieht: Massengräber, Tausende Zivilisten verschleppt und
als Schutzschilder missbraucht – die eigenen Landsleute!

Ich komme zu dem Schluss: Wir müssen diesen Ver-
brechern konsequent das Handwerk legen . Entgegen an-
derslautender Einschätzungen will ich für uns als Union
klarstellen: Die deutschen Einsatzkräfte haben sich im
vergangenen Jahr an der Operation Counter Daesh mit
sehr sinnvollen und von den Partnern in der internationa-
len Koalition auch ausdrücklich erwünschten Beiträgen
beteiligt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Diese Beiträge sind: Geleitschutz, Luftbetankung, Auf-
klärung und Führungsunterstützung . Wir haben einen
klar erkennbaren Mehrwert und sind dem Bündnis eine
wertvolle Hilfe . In diesem Kontext ist auch der zusätz-
lich geplante Einsatz deutscher Besatzungsanteile für die
AWACS-Aufklärer zu sehen, um den wir das Mandat
künftig erweitern wollen . Das sind alles Fähigkeiten, die
unsere Soldatinnen und Soldaten hochprofessionell und
mit einem tollen Einsatzwillen gewährleisten . Dafür, lie-
be Kolleginnen und Kollegen, sollten wir ihnen an dieser
Stelle ausdrücklich danken . Sie machen alle einen tollen
Job . Das will ich noch einmal deutlich zum Ausdruck
bringen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Gestatten Sie mir noch eine letzte Bemerkung . Der
internationalen Koalition gegen Daesh gehören mittler-
weile mehr als 60 Nationen an . 60! Und ich glaube nicht,
dass all diese Staaten mit ihrer Bewertung der Situation
danebenliegen, liebe Kolleginnen und Kollegen . Deshalb
sollte für uns heute vor allem eine Frage handlungslei-
tend sein: Wofür oder wogegen hat Deutschland Grund
aufzustehen, wenn nicht gegen versuchten Genozid und
die Missachtung sämtlicher Menschenrechte? Deshalb
bitte ich Sie nachdrücklich um die Zustimmung zur Man-
datsverlängerung .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819916100

Nächster Redner für Bündnis 90/Die Grünen ist der

Kollege Omid Nouripour .


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819916200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ISIS ist

eine grauenvolle Terrororganisation, die barbarische Ver-
brechen begeht . Das ist überhaupt keine Frage . Und es ist
völlig richtig: ISIS kann man nicht militärisch besiegen,
aber man muss ihn militärisch stoppen . In diesem Zu-
sammenhang bin ich ausgesprochen verstört von einem
Entschließungsantrag der Linken, in dem der IS tatsäch-
lich durch den Begriff „gleichermaßen“ mit der NATO
gleichgesetzt wird . Ich glaube, Sie tun damit niemandem

einen Gefallen, sondern verharmlosen einfach nur die
Verbrecherbanden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Unterirdisch!)


Noch einmal: Es ist in bestimmten Situationen not-
wendig, militärisch gegen ISIS vorzugehen; auch in die-
sem Fall ist es notwendig . Aber nichtsdestotrotz kann
man ISIS nur politisch besiegen . Das vorliegende Man-
dat ist kein Beitrag dazu .

Meine Fraktion hat letztes Jahr mehrheitlich zu die-
sem Mandat Nein gesagt, und die Gründe dafür haben
sich seitdem eher verstärkt . Es gibt massive militärische
Veränderungen, gerade am Boden, zum Beispiel in Sy-
rien . Letztes Jahr war Russland noch Unterstützer von
Assad, jetzt ist es ein eigenständiger militärischer Akteur
am Boden .

Am deutlichsten sieht man das an der aggressiven
Regionalpolitik der Türkei, die jenseits des Völkerrechts
im Norden Iraks und auch in Syrien betrieben wird . Dort
bombardiert die türkische Luftwaffe zurzeit fast täglich
Stellungen von Milizen, allerdings nicht die von Daesh/
ISIS, sondern die Stellungen von für sie unliebsamen
kurdischen Milizen, die noch vor zwei Jahren von uns
allen gefeiert wurden, weil sie den Kampf um Kobane
geführt haben . Das ist, was die Gefährlichkeit der Situ-
ation, über die wir uns unterhalten, im Kern ausmacht .
Aber die Bundesregierung beschäftigt sich nicht damit,
sondern mit Protokollnotizen .

Ja, ich bin als ehemaliges Mitglied des Verteidigungs-
ausschusses sehr froh, dass es die Möglichkeit eines
Besuchs gibt. Ja, ich finde auch, dass es unser Anrecht
als Parlamentarierinnen und Parlamentarier ist, unsere
Soldatinnen und Soldaten, die im Ausland einen guten
Job machen, zu besuchen . Ja, natürlich muss man sich
darüber echauffieren, wenn ein Staat wie die Türkei das
nicht erlaubt . Ich glaube aber, dass hier der falsche Fo-
kus gewählt wird . Die Protokollnotiz besagt, dass sich
die Bundesregierung weiterhin dafür einsetze – ich zi-
tiere es nicht; Kollege Neu hat es gerade vorgelesen –,
dass die Türkei den Besuch der deutschen Soldatinnen
und Soldaten durch Bundestagsabgeordnete ermöglicht .
Ich dachte, ehrlich gesagt, das wäre selbstverständlich .


(Beifall der Abg . Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE] – Rainer Arnold [SPD]: Da fehlt aber ein Satz!)


Ich habe gehört, bei den Sozialdemokraten habe es
große Vorbehalte gegeben, und nach Abgabe dieser Pro-
tokollerklärung durch die Bundesregierung gebe es diese
Vorbehalte nicht mehr . Das ist aber ein günstiger Preis,
den Sie da akzeptieren . Ich bin schon beeindruckt und
freue mich auf Koalitionsverhandlungen mit Ihnen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Der Kern der Auseinandersetzung ist die Frage des
Umgangs der Türkei mit der kurdischen Bevölkerung .

Gisela Manderla






(A) (C)



(B) (D)


Deshalb sollten wir uns davon um Gottes Willen nicht
ablenken lassen .


(Beifall des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Wer wird denn da bombardiert? Da werden kurdische
Kräfte bombardiert, die Teil der Syrian Democratic
Forces sind und von den Amerikanern unterstützt wer-
den . Die Türkei, ein NATO-Staat, bombardiert gerade die
Kräfte, die die Amerikaner aufrüsten. Ich finde, das hat
eine deutlich größere Dimension als die Protokollnotiz
der Bundesregierung, und darüber muss man reden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Über die innere Situation der Türkei, über den massi-
ven Rutsch in Richtung Autokratie und Diktatur, haben
wir heute Vormittag bereits gesprochen . Insofern entfällt
ein Argument der Bundesregierung aus dem letzten Jahr .
Auf die Frage, wie es denn mit den geteilten Daten aus-
sehe und ob die türkischen Streitkräfte das verwenden
könnten, was unsere Tornados aufklären, hat die Bun-
desregierung letztes Jahr gesagt, sie habe Vertrauen zur
türkischen Regierung . Ich glaube nicht, dass die Bundes-
regierung das in diesen Tagen noch sagen würde bzw .
sagen kann .

Es ist vor allem so, dass sich am Boden etwas ver-
ändert hat . Man hat uns letztes Jahr gesagt: Wir klären
nur Fazilitäten von ISIS im Landesinneren auf . – Aber
mittlerweile gibt es zum Beispiel im Norden der Regi-
on Rakka Frontstellungen, an denen es fast täglich zu
Gefechten zwischen den Syrian Democratic Forces und
ISIS kommt . Wie wollen Sie diese Aufklärung denn tren-
nen? Die Bilder, die dort im Rahmen der Aufklärung ge-
macht werden, landen automatisch bei der Türkei – das
ist NATO-Usus –; damit aber auch die Bilder von Stel-
lungen der kurdischen Milizen, die dort von der Türkei
bekämpft werden .


(Henning Otte [CDU/CSU]: Na, na, na!)


Insofern kriegen Sie das gar nicht mehr getrennt .


(Henning Otte [CDU/CSU]: Na, na, na!)


Deshalb müssen Sie einfach verstehen, dass wir nicht im-
stande sind, einem Mandat zuzustimmen, bei dem Daten
geliefert werden, die türkische Streitkräfte


(Henning Otte [CDU/CSU]: Na, na, na!)


derzeit für einen völkerrechtswidrigen Einsatz vor allem
in Syrien, aber auch im Norden Iraks nutzen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deshalb werden wir die Verlängerung des Mandats ab-
lehnen .

Ich finde, es war sehr gut, was der Kollege Annen ge-
sagt hat .


(Thomas Oppermann [SPD]: Es ist meistens gut, was er sagt!)


Er hat nämlich in seiner Rede den Schwerpunkt darauf
gelegt, dass das Zentrale ist, zu schauen, wie es denjeni-

gen geht, die befreit werden . Sie haben große Ängste: In
Mosul haben viele Menschen mehr Angst vor den Befrei-
ern als vor ISIS, weil sie ganz schlechte Erfahrungen mit
schiitischen Milizen gemacht haben . Das ist der Fokus,
den wir jetzt tatsächlich wählen müssen – das sind die
zentralen Fragen, nicht das Thema Protokollnotiz –, nicht
den Fokus, den das Mandat vorsieht . Es geht zentral um
politische Fragen, etwa darum, wie wir die irakische Re-
gierung dazu befähigen können, die Herzen und Köpfe
der sunnitischen Minderheit im Land zurückzugewinnen .
Das ist zentral, aber damit beschäftigen Sie sich leider
nicht . Diesem Ablenkungsmandat werden wir nicht zu-
stimmen können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819916300

Der Kollege Rainer Arnold spricht als Nächster für die

SPD .


(Beifall bei der SPD)



Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1819916400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

glaube, wir sind uns einig: Es wäre immer schöner und
besser, wenn wir Konflikte zivil und diplomatisch über-
winden könnten . Aber der brutalen Gewalt des IS muss
man sich militärisch entgegenstellen . Sonst werden die
Brutalsten am Ende obsiegen . Die Linken sind ja nicht
naiv . Sie wissen ganz genau, dass dies so ist . Sie täuschen
ihre eigene Klientel und die Wähler, indem sie so tun, als
ob es klügere und bessere Alternativen gäbe .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Karin Binder [DIE LINKE]: Gibt es!)


Wir halten an diesem Mandant, gemeinsam mit über
60 Nationen den Terror zu bekämpfen, fest .

Als Verteidigungspolitiker schauen wir natürlich be-
sonders auf die Rahmenbedingungen, unter denen das
stattfindet. Da ist ganz eindeutig: Besuche von deutschen
Parlamentariern sind notwendig . Wir wollen nicht nur
hören, was uns die Ministerin erzählt, sondern wir wol-
len uns auch selbst ungefiltert ein eigenes Bild machen
können . Deshalb ist es wichtig, dass insbesondere Dele-
gationen der Fachausschüsse dorthin reisen können .

Wir schauen als Zweites besonders auf die Arbeitsbe-
dingungen der Soldaten . Wenn ein seit dem 1 . September
zeichnungsreifes Abkommen von der türkischen Seite
immer noch nicht unterzeichnet ist, macht uns das Sor-
gen, und wir werden nicht zuschauen, dass Soldaten auf
Dauer 500 Meter von einer Piste entfernt in nicht schall-
gedämpften Containern leben müssen . Die Bauten sind
marode . Ich erspare dem Hohen Haus die Erzählung, wie
es dort wirklich ausschaut . Aber eines ist eindeutig: Die-
se Dinge muss man ändern .

Der parlamentarische Vorbehalt ist ein hohes Gut . Er
ist nicht nur ein demokratisches Prinzip, sondern es ist
auch ein besonderes Verfahren . Wir können nämlich nur
Ja oder Nein sagen und nicht wie bei Gesetzen etwas än-

Omid Nouripour






(A) (C)



(B) (D)


dern . Deshalb ist eine Protokollerklärung eine Möglich-
keit, bestimmte Dinge noch zu verstärken .

Wir haben es uns in der SPD-Fraktion nicht einfach
gemacht . Ich bin stolz darauf, dass wir nicht einfach
durchwinken, sondern am Montag und Dienstag eine
sorgfältige und gründliche Debatte hatten und auch dafür
gesorgt haben, dass Regierung, SPD-Fraktion und Koa-
litionspartner über die Formulierungen diskutieren und
darum ringen . Das Ergebnis ist vernünftig . Die Bundes-
regierung sagt zu, dass Alternativen untersucht werden;
denn es ging nie darum, den Einsatz zu beenden .


(Zurufe von der LINKEN und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es kann immer nur um die Frage gehen: Wo ist es
vernünftig, dass die Flugzeuge starten und landen? Der
Kampf gegen den Terror wird so oder so fortgeführt wer-
den müssen .


(Beifall bei der SPD)


Was ich von der Opposition erlebt habe, die hier Halb-
wahrheiten vorgelesen hat, finde ich nicht in Ordnung.
Die Erklärung geht nämlich weiter, liebe Kolleginnen
und Kollegen . Dort heißt es:

Die Bundesregierung ist sich bewusst, dass der
Bundestag erwartet, dass diese Möglichkeit – wie
auch bei anderen Einsätzen – gewährleistet bleibt .

Das ist schon eine deutliche Erklärung .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von der LINKEN)


– Jetzt regen Sie sich mal nicht auf .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt noch einen dritten Satz! Lesen Sie den auch noch vor!)


Ich sage Ihnen ganz offen: Meine Fraktion ist in der
Koalition . Unserem Koalitionspartner war das Besuchs-
recht in der Vergangenheit nicht ganz so wichtig, wie es
uns Sozialdemokraten war . Ich sage, ich bin eigentlich
froh, in einem Parlament zu sitzen, wo statt Streit und
Spaltung am Ende vertretbare Kompromisse stehen . Ich
sage Ihnen, wir können mit dieser Formulierung gut le-
ben .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das der Maßstab für „vertretbar“? – Dr . Alexander S . Neu [DIE LINKE]: Wieder umgefallen! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und von der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819916500

Herr Kollege Arnold, gestatten Sie eine Zwischenfra-

ge des Kollegen Ströbele?


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1819916600

Gerne .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Arnold, auch ich bin froh, in einem Par-
lament zu sitzen und über Bundeswehreinsätze nicht al-
lein die Regierung entscheiden zu lassen . Aber ich habe
insgesamt, glaube ich, fünf Anfragen an die Bundesre-
gierung gerichtet und gefragt, was denn mit Unterstüt-
zung der Bundeswehr-Tornados in den letzten Jahren für
Angriffe von der Militärkoalition, der auch die Bundes-
wehr bzw. Deutschland angehört, geflogen worden sind.
Wie viele Angriffe waren es? Gegen welche Ziele haben
sie sich gerichtet? Haben sie getroffen? Wie viele Men-
schen sind dabei getötet worden? Wie viele Zivilisten
sind dabei getötet worden? Was hat man getan, um Opfer
unter den Zivilisten zu verhindern? Die Bundesregie-
rung hat mir auf alle Anfragen – die letzte ist, glaube ich,
acht Tage alt – immer wieder geantwortet: Wir wissen
das nicht . Wir wissen nicht, welche Ziele getroffen wer-
den . Wir wissen nicht, was mit unseren Informationen,
die von der Bundeswehr zur Verfügung gestellt werden,
gemacht wird .

Ich frage Sie, Herr Kollege Arnold: Was ist das für
eine Bundesregierung, die die Bundeswehr in einen An-
griff schickt, bei dem sie nicht weiß, was mit den Unter-
stützungsleistungen der Bundeswehr tatsächlich passiert
und angerichtet wird? Und was soll das für ein Parlament
sein, das von der Bundesregierung keine Informationen
darüber bekommt oder vielleicht auch nicht bekommen
kann, was mithilfe der Bundeswehr im Iran, in Syrien
und auch im Irak verursacht wird? Können Sie verant-
wortlich eine Entscheidung über den Einsatz der Bundes-
wehr treffen, ohne diese Informationen zu haben? Oder
halten Sie es für richtig, dass sich die Bundesregierung
die Informationen bei ihren Alliierten beschafft und diese
Informationen dann dem Parlament zur Verfügung stellt?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1819916700

Herr Kollege Ströbele, ich fühle mich geehrt, dass Sie

erwarten, dass der bescheidene Abgeordnete Arnold an-
stelle der Bundesregierung die Antworten geben kann .


(Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht wegtauchen!)


Aber ich kann als Fachpolitiker vielleicht trotzdem ein
bisschen weiterhelfen .

Wir haben das Operationszentrum besucht, von dem
aus die Lufteinsätze geführt werden . Wir haben uns, üb-
rigens auch die Kollegen der Opposition, die Abläufe
genau angeschaut . Wir haben überprüft: Wie sorgen die
deutschen Soldaten dafür, dass Informationen nur man-
datsgerecht erfasst und mandatsgerecht weitergegeben
werden, dass eben nicht über kurdischem Gebiet geflo-
gen und aufgezeichnet wird? All das haben wir uns an-
geschaut . Die sogenannten Red Card Holders haben uns
relativ präzise erklärt, wie dies funktioniert . Das ist die
eine Seite .


(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt einfach nicht! – Omid Rainer Arnold Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kurdischen Milizen sind in Rakka!)





(A) (C)


(B) (D)


Die zweite Seite ist: Wir liefern hochauflösende Bilder
von den Tornadofliegern in die Einsatzzentrale, in der die
Einsatzentscheidungen aufgrund vieler Informationen
getroffen werden . Die Bilder, die die Tornados liefern,
sind nur ein kleines Mosaiksteinchen, das erst zusammen
mit vielen unterschiedlichen Mosaiksteinchen ein Ge-
samtbild ergibt . Auf deren Grundlage werden dann Ein-
satzentscheidungen getroffen, und die Einsatzentschei-
dungen trifft die Allianz .


(Zuruf des Abg . Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Langsam, Herr Ströbele . – Und weil es sich um eine
Fülle von Informationen handelt, kann doch niemand di-
rekt ableiten,


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber indirekt!)


wo die deutschen Bilder bei den Einsätzen hinführen .
Diese Ableitung ist schlichtweg nicht machbar .


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist keine Antwort!)


Das sind die Abläufe, und ich rate den Kollegen von der
Opposition, einmal dorthin zu fliegen und sich die Situa-
tion vor Ort selbst anzuschauen, bevor Unfug und Halb-
wahrheiten in die Welt gesetzt werden .


(Dr . Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das mal Herrn van Aken! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr van Aken darf da nicht hin!)


Die deutschen Soldaten im Einsatz arbeiten außeror-
dentlich sorgfältig, rechtlich sauber, militärisch operativ,
sehr nachdenklich und im Rahmen dessen, was der Deut-
sche Bundestag genehmigt hat . Das machen sie sehr gut .
Für dieses Engagement sage ich Danke schön .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein schlechtes Mandat, aber gute Arbeit der Soldaten!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819916800

Herr Kollege Arnold . Drei weitere Kollegen haben

den Wunsch, Fragen zu stellen .


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1819916900

Ich beantworte gerne alle Fragen, aber wir müssen

auch ein bisschen an die Zeit denken .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819917000

Das wollte ich gerade sagen .


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1819917100

Vielleicht können Sie als Präsident das ein bisschen

steuern .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819917200

Das ist ein sehr guter Hinweis an den Präsidenten,

den ich gerne aufnehme . Deshalb schlage ich erstens
vor, dass wir bei den Fragen oder Bemerkungen das Zeit-
kontingent beachten – die zur Verfügung stehende Zeit
beträgt nicht drei Minuten wie bei der Kurzintervention,
sondern sie ist deutlich kürzer –, und zum Zweiten meine
ich, dass wir zwei Fragen zulassen sollten, und zwar die
von Kollegin Brugger von den Grünen und anschließend
die von Dr . Neu von der Fraktion Die Linke . – Frau Kol-
legin Brugger, Sie haben das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielen Dank, Herr Präsident . – Vielen Dank, lieber
Kollege Arnold . Weil Sie explizit die Oppositionsabge-
ordneten, die auf der Reise dabei waren, mit ins Boot
geholt haben, möchte ich betonen, dass uns auf der Rei-
se sehr klar geworden ist, dass die Bundeswehr zwar
prüft, ob die Aufträge, die sie annimmt, mandatskonform
sind – das bestreiten wir nicht; das war ja auch nicht die
Kritik, die der Kollege Ströbele vorgetragen hat –, dass
aber niemand nachvollziehen kann, was genau mit den
Daten passiert, nachdem sie der internationalen Koalition
gegen den Daesh zur Verfügung gestellt worden sind . Sie
haben sehr geschickt den Punkt umschifft, den der Kol-
lege Ströbele angesprochen hat . Nicht nur die Bundes-
regierung hat auf die wiederholten Fragen des Kollegen
Ströbele entsprechend geantwortet, sondern uns wurde
auch vor Ort mitgeteilt, dass natürlich niemand nachvoll-
ziehen kann, was genau mit den Daten passiert . Es wäre
ja naiv, zu glauben, dass beispielsweise der Frontverlauf
zwischen den Kurden und Daesh nicht überflogen wird
und keine diesbezüglichen Informationen eingespeist
werden . Die Türkei hat auf diese Informationen Zugriff,
und wir wissen nicht, was damit passiert . Das möchte ich
an dieser Stelle einfach zur Klarstellung sagen, weil Sie
uns mit ins Boot geholt haben .


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Nein! In den Flieger! Wir sind gar nicht mit dem Boot gefahren!)


Wir haben uns davon vor Ort ein klares Bild gemacht,
haben aber auch sehr viele entsprechende Antworten der
Bundesregierung schwarz auf weiß .

Eine letzte Bemerkung: Sie haben, glaube ich, mit Ih-
rer Rede sehr deutlich gemacht, warum das Besuchsrecht
der Abgeordneten in diesem Zusammenhang wirklich
ganz zentral ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1819917300

Ich habe versucht, zu erklären, dass die Bilder, die die

Tornados liefern, einen kleinen Beitrag zum Gesamtla-
gebild liefern . Die Bundeswehr entscheidet nicht, was
mit diesem Gesamtlagebild gemacht wird und welche
Einsätze geflogen werden. Dieses Gesamtlagebild speist
sich aus vielen Elementen . Die Einsatzführungszentrale
bestimmt dann, wo Kampfflugzeuge eingesetzt werden.
Deshalb kann man keinen direkten, kausalen Zusammen-

Rainer Arnold






(A) (C)



(B) (D)


hang herstellen . Sie als Fachpolitikerin wissen, dass die
Bilder, die von deutschen Tornados am Tag Y gemacht
werden, nicht am Tag X zu einem Einsatz geführt haben .
Dies ist schlechterdings nicht möglich . Sie sollten die
Bundesregierung vielleicht ein bisschen anders fragen,
würde ich Ihnen raten .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819917400

Jetzt kommt der Kollege Dr . Neu zu seiner Frage oder

Bemerkung .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das muss ja nicht sein! Der hat doch gesprochen!)



Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819917500

Kollege Arnold, meine Frage zu Ihren Ausführungen:

Sie können also nicht ausschließen, dass die Bilder, die
von Recce-Tornados gemacht werden, von der Türkei
missbräuchlich genutzt werden, um kurdische Stellun-
gen in Syrien zu bombardieren . Habe ich Sie da recht
verstanden?


(Beifall des Abg . Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1819917600

Sie haben mich überhaupt nicht verstanden, Herr Kol-

lege .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Das liegt aber nicht an mangelnden intellektuellen Fä-
higkeiten, sondern daran, dass Sie mich nicht verstehen
wollen . Das ist der entscheidende Punkt . Das kennen wir
ja schon .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Herr Kollege, die Deutschen prüfen dreimal: Einmal,
wenn der Auftrag erteilt wird, dann, wenn die Tornados
zurück sind und in Incirlik die Bilder von hochspeziali-
sierten Auswertern ausgewertet werden – davon gibt es
in der NATO nicht so viele; die Deutschen haben da eine
besondere Fähigkeit –, und zum dritten Mal, wenn die
Bilder in das Operationszentrum nach Katar gehen . Dann
wird noch einmal rechtlich und politisch geprüft, dass
keine Bilder dabei sind, die die Türken im Kampf gegen
die Terroristen oder die Kurden missbräuchlich benutzen
könnten .


(Jan van Aken [DIE LINKE]: Stimmt gar nicht!)


Wir haben also drei Stufen . Das ist für mich eine sorgfäl-
tige und angemessene Vorgehensweise .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ich glaube, jetzt hat er es verstanden!)


Unsere Antwort kann doch nicht sein, dass wir uns,
weil Erdogan gegenüber den Kurden eine Politik be-
treibt, bei der aus unserer Sicht die Verhältnismäßigkeit
der Mittel in keiner Art und Weise mehr gewahrt ist, aus
einer Allianz der Solidarität und der Verlässlichkeit he-

rausnehmen und das Geschäft andere machen lassen .
Dann hätten wir übrigens überhaupt keinen Einblick
mehr in die Dinge, die dort passieren .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Das wäre eine unpolitische, unverantwortliche und am
Ende, wie ich finde, auch unethische Antwort.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Deshalb muss man mit schwierigen Situationen – das
ist ein Luftkrieg, und dabei gibt es nicht immer nur schö-
ne und einfache Situationen – verantwortlich umgehen .


(Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Der Kollege Neu war doch mit!)


Es ist Ausdruck verantwortlicher Politik, in einer schwie-
rigen Gemengelage verantwortungsvoll zu entscheiden
und seine Beiträge abzuliefern . Das tun wir Deutsche,
das tut das deutsche Parlament .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zu AWACS sa-
gen . Es ist leider so, dass die türkischen Partner nicht ver-
stehen, was NATO bedeutet . In der NATO ist man nicht
Mitglied . Die NATO ist eine Allianz von Partnern . Das
heißt, dass sich alle Partner an die Spielregeln, Automa-
tismen und Vorgehensweisen dieser Allianz halten und
sich einordnen . Dies vermissen wir – ich sage das aus-
drücklich – bei den Türken im Augenblick .

Ich wünsche mir ausdrücklich, dass die NATO nicht
nur diplomatisch – das tut sie –, sondern auch öffent-
lich – der Zeitpunkt ist jetzt da – deutlich macht, wie die
Vorstellungen in solch einer Wertegemeinschaft sind . Ich
glaube, die NATO ist sich das selbst schuldig, damit in
der Öffentlichkeit kein falsches Bild über die für uns so
wichtige Allianz entsteht . Unter diesem Vorbehalt hal-
ten wir aber den Einsatz der AWACS-Flieger für richtig;
denn sie können den Luftraum dort besser kontrollieren
und damit auch für mehr Sicherheit in dem Luftraum
sorgen, in dem die Allianz fliegt, in dem die Russen flie-
gen und in dem die Türken ohne Anmeldung fliegen.
AWACS-Flieger sind ein gutes Instrument, um dort mehr
Sicherheit im Luftraum herzustellen . Deshalb halten wir
diese Mandatserweiterung tatsächlich für notwendig und
verantwortbar .

Um es noch einmal klar zu sagen: Die Bundesregie-
rung wird meiner Einschätzung nach am Ende der Prüf-
phase feststellen, dass es auch andere Optionen gibt . Sie
wird gut daran tun, das zu tun, was Militärs immer tun,
nämlich bei Einsätzen immer Optionen für alle Fälle in
der Schublade zu haben . Das ist vernünftig . Das ist vor-
ausschauend .

Ich sage hier noch einmal: Wir werden so oder so an
diesem Einsatz im Kampf gegen den fundamentalisti-
schen IS-Terror festhalten . Die Frage, von wo aus man
dies verantwortungsvoll tun kann, wo man startet und
landet, wird man angesichts der Entwicklungen immer
wieder neu bewerten müssen . Das ist ein völlig normaler

Rainer Arnold






(A) (C)



(B) (D)


Vorgang . Im Augenblick halten wir es für richtig, es so
zu tun wie im vergangenen Jahr . Deshalb bitten wir um
Zustimmung zu diesem Mandat .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819917700

Es gab noch einige Wünsche nach Zwischenfragen .

Ich hatte ja angekündigt, dass wir jetzt keine Zwischen-
fragen mehr zulassen . – Es gibt abschließend eine Kurz-
intervention der Kollegin Keul .


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819917800

Vielen Dank, Herr Präsident, dass Sie diese Kurzinter-

vention zulassen . – Ich möchte noch einmal an die Frage
anknüpfen . Wir haben ja, wie gesagt, seit Monaten auf
die Frage, was am Boden passiert, nur gehört: Die Bun-
desregierung weiß es nicht . Jetzt hat das US-Zentralkom-
mando unsere Frage beantwortet . Der Sprecher Thomas
sagte:

Zwischen November 2015 und September 2016
wurden demnach bei 24 Luftangriffen der An-
ti-IS-Koalition 64 Zivilisten getötet .

8 weitere seien verletzt worden; damit sei die Zahl der
zivilen Todesopfer durch Luftangriffe im Kampf gegen
die Terrormiliz auf 119 gestiegen, so teilte der Sprecher
weiter mit .

Wir freuen uns ja, dass wir die Antwort überhaupt
bekommen haben . Meine Frage ist jetzt: Werden Sie in
Zukunft sicherstellen, dass die Bundesregierung diese
Zahlen nicht aus der Presse bekommt, sondern direkt von
unseren Bündnispartnern über diese Zahlen informiert
wird und sie dann auch an uns weitergibt?


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819917900

Der Kollege Arnold hat jetzt, wenn er es möchte, die

Gelegenheit, darauf zu erwidern .


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1819918000

Frau Kollegin Keul, ich bekomme wie Sie Abgeord-

netendiäten und bin nicht der Sprecher der Bundesregie-
rung . Deshalb bin ich die falsche Adresse .

Ich glaube, es ist immer noch nicht klar geworden, um
was es tatsächlich geht . Ich habe gehofft, dass ich mich
so ausdrücke, dass es richtig verstanden wird . Natürlich
weiß eine Einsatzführungszentrale sehr genau, was sie
beschließt, was sie tut und wie die Ergebnisse sind . Die
Frage, die Sie gestellt haben, war: Welche Auswirkungen
haben die Bilder, die die Deutschen zur Unterstützung
geliefert haben, auf die Entscheidungen und die Ergeb-
nisse? Dies kann kein Mensch beantworten, auch die
Einsatzführungszentrale nicht . So einfach ist das .

Ein Headquarter weiß natürlich, was passiert ist . Wenn
ein Angriff stattgefunden hatte, gehen sofort Aufklärer
dorthin und werten aus . Da sind Menschen am Boden .
Es gibt auch Nichtregierungsorganisationen, die Meldun-

gen machen . Das alles ist nicht neu . Man kann aber kei-
nen kausalen Zusammenhang zwischen der Aufklärung
durch deutsche Tornados und der operativen Führung des
Einsatzes im Detail herstellen . Darum geht es . Alles an-
dere ist eine andere Frage . Solche Fragen kann und soll
man – da sind wir uns übrigens einig – auch beantworten .

Vielen Dank .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819918100

Danke schön . – Jetzt hat das Wort der Kollege Thorsten

Frei für die CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thorsten Frei (CDU):
Rede ID: ID1819918200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

beraten heute über den Antrag der Bundesregierung über
die Verlängerung des Anti-IS-Mandates . Ich will an die-
ser Stelle noch einmal verdeutlichen: Für uns als CDU/
CSU ist dieser Antrag mit oder ohne Protokollerklärung
zustimmungsfähig . Wir stehen zu diesem Einsatz – in
einer Phalanx mit 64 anderen Ländern und drei interna-
tionalen Organisationen –, weil wir glauben, dass es po-
litisch notwendig und humanitär geradezu verpflichtend
ist, sich dort zu engagieren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren,
finde ich es nicht okay, wenn so getan wird, als sei die
Basis, von der aus wir operieren, völlig disponibel . Na-
türlich kann man über Alternativen nachdenken . Aller-
dings sind wir gerade dabei, den IS insbesondere im Irak
massiv zurückzudrängen, und die Dinge laufen immer
mehr auf Mosul zu . In einer solchen Situation darüber
zu sprechen, die Basis für unsere Soldaten und unsere
Aufklärungstornados zu verlegen, ist geradezu unverant-
wortlich .

Der nächste Punkt . Ich will hier feststellen, dass auch
für unsere Fraktion das Besuchsrecht bei den Soldaten
absolut konstitutiv und wichtig ist; daran besteht über-
haupt kein Zweifel . Das weiß aber auch die Bundesregie-
rung . Deswegen hätten wir auf eine solche Klarstellung
verzichten können .

Wer, wie heute Mittag Frau Dağdelen, sagt, dass die-
ses Mandat eine Unterwerfungshandlung der Bundes-
regierung gegenüber der Türkei und Erdogan sei, der
verkennt Ursache und Wirkung und muss zur Kenntnis
nehmen, dass wir uns in diesem Fall nicht für die Türkei
und nicht für Erdogan engagieren, sondern in unserem
eigenen Sicherheitsinteresse und in Solidarität mit der
internationalen Staatengemeinschaft; das ist der Punkt .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ein Ultimatum zu stellen, das sich am Ende nicht gegen
Erdogan, sondern – umgekehrt – gegen uns richtet, wäre
geradezu töricht . Deswegen, glaube ich, sind wir hier auf
dem richtigen Weg .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Rainer Arnold






(A) (C)



(B) (D)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist eine
humanitäre Verpflichtung, dass wir uns hier engagieren.
Allein in den letzten drei Wochen gab es 42 000 Flücht-
linge aus Mosul . Von einigen haben wir inzwischen Au-
genzeugenberichte erhalten . Sie haben die barbarischen
Gräueltaten und die Verbrechen gegen Menschlichkeit,
Andersgläubige, Andersdenkende, Frauen und Kinder
deutlich zum Ausdruck gebracht .

In einer solchen Situation gibt es zum einen eine hu-
manitäre Verpflichtung. Zum anderen besteht aber auch
eine politische Notwendigkeit zum Handeln, die sich da-
raus ergibt, dass wir den IS bekämpfen müssen, um zu
verhindern, dass auch in Zukunft eine Terrororganisation
über territoriale Machtmöglichkeiten verfügt . Deswegen
muss der IS auch militärisch bekämpft werden . Es darf
nicht sein, dass es dort Rückzugsgebiete für Terroris-
ten, Ausbildungsmöglichkeiten für Terroristen und Aus-
gangspunkte für die Ideenwelten von Terroristen gibt .
Das muss verhindert werden . Deswegen brauchen wir
auch einen militärischen Einsatz .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein weiterer Punkt . Es ist natürlich vollkommen klar,
dass, wenn der IS militärisch besiegt ist, die Ideologie
bzw . die Gedankenwelt dieser islamistischen Terroristen
nicht verschwunden sein wird . Deswegen werden wir bei
diesem Einsatz einen langen Atem brauchen . Wir wissen,
dass der IS, indem er Steuern eingezogen und Öl gefördert
und verkauft hat, allein zwischen dem Sommer 2014 und
dem Sommer 2015 jeden Monat mindestens 250 Millio-
nen Euro eingenommen hat . Das macht ihn zur reichsten
Terrororganisation der Menschheitsgeschichte . Dies ist
natürlich eine Ausgangsbasis, um diese Ideologie, diese
Verblendung und diesen mörderischen Terrorismus auch
ohne territoriale Möglichkeiten weiter zu praktizieren .
Das ist exakt der Grund, lieber Herr Nouripour, warum
wir heute nur über einen Teil dieses Einsatzes sprechen,
nämlich über den militärischen; seine Notwendigkeit
habe ich erläutert . 133 Millionen Euro wird er kosten .
Auf humanitärem Gebiet, bei der zivilen Krisenpräventi-
on, bei der Konfliktnachsorge und zur Stabilisierung vor
Ort tun wir ein Vielfaches, auch in finanzieller Hinsicht.

Ich will an dieser Stelle das Lob an die Bundesre-
gierung, das heute schon ausgesprochen worden ist,
wiederholen . Es ist tatsächlich so, dass wir an der Spit-
ze der Entwicklung stehen . Wir haben uns schon im
Frühjahr 2015 innerhalb der internationalen Allianz für
Konfliktnachsorge, insbesondere im Irak, engagiert. Wir
haben die Federführung innerhalb der internationalen
Allianz übernommen. Wir betreiben Konfliktnachsorge,
und zwar ganz unmittelbar bei den Menschen: mit Was-
ser, mit Nahrungsmitteln, mit Elektrizität, mit Gesund-
heitsleistungen, mit Bildung und allem, was Menschen
benötigen, um auch in einer solchen Situation Zukunfts-
zuversicht haben zu können . Allein das Deutsche Rote
Kreuz hat für die Flüchtlinge aus Mosul Kapazitäten für
50 000 Personen geschaffen . All das sind Dinge, die wir
tun, die wichtig sind und die in dieses Gesamtbild gehö-
ren .

Wir engagieren uns dort, um Strukturen zu stabili-
sieren, Vertrauen zu gewinnen, zurückzugewinnen und
Ownership zu ermöglichen . Bei all diesen Dingen sind
wir letztlich auch erfolgreich . In der Hochphase gab es
im Irak 3,2 Millionen Binnenflüchtlinge, von denen etwa
1 Million schon wieder in ihre Herkunftsorte zurück-
gefunden haben . Allein nach Tikrit sind 90 Prozent der
Flüchtlinge wieder zurückgekehrt, nachdem die Stadt
von ISIS befreit war . Das sind Fakten, die man einfach
zur Kenntnis nehmen muss und die man nicht ignorieren
darf, nur weil es einem politisch in den Kram passt .


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Das ist das Gesamtbild, für das wir uns einsetzen .
Deshalb ist dieser Einsatz richtig und notwendig, und
deswegen stimmen wir ihm zu .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit der Faktenlage in der Türkei? Kein Wort zur Türkei gesagt!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819918300

Die Kollegin Dağdelen hat gebeten, in einer Kurzin-

tervention Stellung nehmen zu dürfen, weil sie nament-
lich angesprochen worden ist . Diese Kurzintervention
lasse ich zu . – Sie haben das Wort .


Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819918400

Verehrter Herr Kollege Frei, Sie haben mich ja na-

mentlich genannt und angesprochen . Ich bezeichnete die
Protokollerklärung der Bundesregierung zum Mandat,
die die unverbindliche Aussage enthält, dass sich die
Bundesregierung bemühen würde, dass Bundestagsab-
geordnete auch ihr Besuchsrecht in Incirlik wahrneh-
men können – das halte ich für eine Selbstverständlich-
keit –, als einen Kniefall vor dem türkischen Präsidenten
Erdogan, weil Sie unsere Parlamentsarmee diesem Des-
poten damit auf einem Silbertablett servieren .

Eine Parlamentsarmee ohne parlamentarische Kon-
trolle kann und darf es nicht geben . Es gibt kein Be-
suchsrecht für uns Bundestagsabgeordnete, die wir heute
hier – alle und nicht nur wir, die Mitglieder des federfüh-
renden Ausschusses – namentlich über diesen Bundes-
wehreinsatz abstimmen müssen. Das finde ich einfach fa-
tal, und ich finde es angesichts der aktuellen Situation in
der Türkei auch ein falsches Signal, dass man an diesem
Bundeswehreinsatz in der Türkei mit der Stationierung
in Incirlik festhält und dem Despoten damit den Rücken
stärkt .

Ich komme nun zu Ihrem eigentlichen Argument,
Sie würden das nur wegen der internationalen Koaliti-
on gegen den Terrorismus des „Islamischen Staates“
machen . – Ich muss Sie wirklich fragen, warum Sie das
falsche Spiel Ihres türkischen Partners Erdogan nicht be-
enden, der bis heute die Grenze zum „Islamischen Staat“
offenhält, der laut französischem Geheimdienst jede
Woche über 100 Kämpfer über die türkische Grenze als
Nachschub zum „Islamischen Staat“ gehen lässt und der
bis heute die Nachschubwege für die Waffen offenhält .

Thorsten Frei






(A) (C)



(B) (D)


Bis heute findet durch den „Islamischen Staat“ noch Öl-
schmuggel über die türkische Grenze statt .

Ihr Partner Erdogan ist kein Partner im Kampf gegen
die Terrororganisation IS . Er ist selbst ein Terrorpate; das
hat auch die Bundesregierung gesagt . Die Bundesregie-
rung hat gesagt, die Türkei sei zu einer zentralen Akti-
onsplattform für islamistischen Terrorismus im ganzen
Nahen und Mittleren Osten geworden .

Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr .
Deshalb sollten Sie, wenn Sie aufrichtig gegen den IS
kämpfen wollen, aufhören, den Despoten Erdogan zu un-
terstützen, und Sie sollten uns auch keinen Sand in die
Augen streuen, wonach Erdogan mit Ihnen gemeinsam
gegen den IS kämpfen würde . Das Gegenteil ist der Fall:
Er unterstützt die islamistischen Terror- und Mörderban-
den in Syrien . Deshalb sagen wir Nein zu diesem Bun-
deswehreinsatz .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819918500

Herr Kollege Frei, wenn Sie wünschen, dann können

Sie darauf antworten .


Thorsten Frei (CDU):
Rede ID: ID1819918600

Liebe Frau Kollegin Dağdelen, zunächst einmal ist es

unbestritten, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee
ist und dass dazu auch Besuchsrechte von Bundestags-
abgeordneten gehören . Ich bin davon überzeugt, dass
die Bundesregierung dies nicht nur weiß, sondern auch
dafür sorgen wird, dass diesem Recht zum Durchbruch
verholfen wird . Aber eine Frage, die sich daraus auch er-
gibt, ist, wie man so etwas organisiert . Ich glaube nicht,
dass es für unsere deutschen Soldaten sinnvoll ist, wenn
630 Bundestagsabgeordnete, die alle über diesen Einsatz
entscheiden, einzeln nach Incirlik pilgern . Sicherlich
wird man dafür pragmatischere Lösungen finden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zum Zweiten: Selbst wenn ein Teil dessen, was Sie
zur Analyse der Situation und zur Rolle der Türkei im
Nordirak und in Syrien gesagt haben, stimmen würde,
rechtfertigte es nicht die Schlussfolgerung, die Sie da-
raus ziehen . Sie zeigt eigentlich, dass Sie eher türkische
Innenpolitik betreiben, als dass Sie im Interesse der Men-
schen vor Ort, aber auch im Interesse unserer Sicherheit
die richtigen Schlussfolgerungen ziehen . Dass es dort
Probleme und Schwierigkeiten gibt, ist doch unbestrit-
ten . Aber dieser Einsatz hilft, die Probleme zu lösen, und
trägt nicht dazu bei, sie zu verschärfen, wie Sie glauben
machen wollen . Deshalb ist der Einsatz richtig .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819918700

Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die

Kollegin Julia Obermeier für die CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Julia Bartz (CSU):
Rede ID: ID1819918800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Heute Nachmittag haben wir in der Vereinbar-
ten Debatte bereits ausführlich über die aktuelle Lage in
der Türkei gesprochen . Kommende Woche reise ich zur
NATO-Parlamentstagung nach Istanbul . Dort werde ich,
dort werden wir die Missstände offen ansprechen, und
wir werden die Türkei an die Werte erinnern, auf denen
die NATO aufbaut .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Als Mitglied der CSU, die sich schon immer klar ge-
gen einen Beitritt der Türkei zur EU ausgesprochen hat,
bin ich sicherlich nicht verdächtig, der Türkei unkritisch
gegenüberzustehen . Aber ich stelle fest: Der NATO-Luft-
waffenstützpunkt in Incirlik ist heute der strategisch
wichtigste Ausgangspunkt im Kampf gegen den IS . Die
Kollegen aus dem Verteidigungsausschuss haben Anfang
Oktober unsere 250 Bundeswehrsoldatinnen und -solda-
ten in Incirlik besucht, und solche Besuche müssen auch
zukünftig möglich sein .

Natürlich wollen wir vorbereitet sein . Die Bundes-
regierung wird deshalb andere Luftwaffenstützpunkte
zum Beispiel in Jordanien oder in Zypern als mögliche
Alternativen prüfen . Aber ich erinnere noch einmal da-
ran: Unsere Soldatinnen und Soldaten sind nicht wegen
der Türkei in Incirlik, sondern um den IS zu bekämpfen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Unser stellvertretender Fraktionsvorsitzender Franz
Josef Jung hat es heute in der Debatte treffend formuliert:
Gerade jetzt, im entscheidenden Kampf um die IS-Hoch-
burgen Mosul und Rakka, dürfen wir die internationale
Allianz nicht im Stich lassen . Unsere Männer und Frauen
in Uniform werden dringend gebraucht . Beispielsweise
stellen sie die Luft-Luft-Betankung, und sie tragen zu
einem umfassenden Lagebild bei . Die Tornado-Aufklä-
rungsflugzeuge liefern gestochen scharfe Bodenaufnah-
men des Gebiets, in dem der IS sein Unwesen treibt .
Zukünftig werden wir uns an AWACS-Aufklärungsflü-
gen der NATO beteiligen und die besten Bilder für die
Luftraumüberwachung bereitstellen .

Doch Deutschland engagiert sich in Syrien nicht nur
sicherheitspolitisch; vielmehr verfolgen wir einen um-
fassenden, vernetzten Ansatz . Deutschland ist einer der
größten Geldgeber in der Region . Wir leisten humanitäre
Hilfe . Wir unterstützen die vom IS befreiten Städte beim
Wiederaufbau, und wir helfen den Nachbarstaaten Sy-
riens, die großen Flüchtlingsströme zu bewältigen . Die
Menschen dort brauchen Nahrung, Wasser, Krankenhäu-
ser und Schulen; sie brauchen Arbeit und eine Perspek-
tive . Dafür nehmen wir Geld in die Hand . Deshalb ist es
wichtig, dass wir den Etat unseres Entwicklungsminis-
ters, lieber Gerd Müller, für das kommende Jahr erhöhen
wollen .

Auch gehen wir den mühsamen und langwierigen
Weg der Diplomatie . Deutschland unterstützt die interna-
tionalen Bemühungen unter Leitung der Vereinten Nati-
onen intensiv . Wir wollen Sicherheit für die notleidende
Bevölkerung in Syrien und insbesondere auch in Aleppo
erreichen .

Sevim Dağdelen






(A) (C)



(B) (D)


Es ist ein sehr langer und steiniger Weg, bis Syrien
vom Terror des IS befreit sein wird . Für ihren großartigen
Einsatz zur Erreichung dieses Ziels möchte ich unseren
Soldatinnen und Soldaten meinen herzlichen Dank und
den Dank meiner CDU/CSU-Fraktion aussprechen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen ihnen heute ein starkes Signal des Rück-
halts aus dem Deutschen Bundestag senden . Daher bitte
ich Sie um Ihre Zustimmung zum Antrag der Bundesre-
gierung .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819918900

Damit schließe ich die Aussprache .

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu
dem Antrag der Bundesregierung zur Fortsetzung und
Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streit-
kräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer
Handlungen durch die Terrororganisation IS .

Dazu liegt mir eine Reihe von schriftlichen Erklärun-
gen nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor .1)

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/10244, den Antrag der Bundes-
regierung auf Drucksache 18/9960 anzunehmen . Wir
stimmen über diese Beschlussempfehlung namentlich ab .

Ich darf einmal fragen, ob alle Plätze an den Abstim-
mungsurnen mit Schriftführern besetzt sind . – Ich sehe,
dass das überall der Fall ist . Damit haben wir alle forma-
len Voraussetzungen erfüllt . Ich kann die Abstimmung
jetzt eröffnen .

Gibt es noch ein Mitglied des Hohen Hauses, das sei-
ne Stimme abgeben möchte, aber dazu bisher noch nicht
in der Lage war? Dann bitte ich, das schnell nachzuho-
len . – Ich sehe, dass jetzt alle ihre Stimme abgegeben
haben . Jedenfalls gibt es keinerlei andere Bekundungen .
Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu be-
ginnen . Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben .2)

Ich bitte jetzt alle, Platz zu nehmen, weil wir noch
über die Entschließungsanträge abstimmen werden .

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Ent-
schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/10293 . Wer für diesen Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke stimmt, den bitte ich um ein Hand-
zeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Damit ist dieser Entschließungsantrag mit den Stimmen
von CDU/CSU und SPD sowie Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt .

1) Anlagen 7 bis 9
2) Ergebnis Seite 19854 D

Wir kommen jetzt zum Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/10294 . Wer für
diesen Entschließungsantrag stimmt, den bitte ich um ein
Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Damit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt mit den
Stimmen von CDU/CSU und SPD sowie Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke .

Damit verlassen wir jetzt den Tagesordnungspunkt 11 .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 12 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Kurth, Maria Klein-Schmeink, Kerstin Andreae,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Mit Sicherheit in die Selbständigkeit – Für
eine bessere Absicherung von Selbständigen

Drucksache 18/10035
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Widerspruch
dagegen erhebt sich nicht . Dann ist das somit beschlos-
sen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Markus Kurth für Bündnis 90/Die
Grünen das Wort .


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819919000

Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Wir behandeln heute ein Thema, das uns
als Parlamentarierinnen und Parlamentarier schon seit
einigen Jahren beschäftigt: die soziale Absicherung von
Selbstständigen . Ich möchte zunächst daran erinnern,
wie hochsensibel dieses Thema ist . In der letzten Legis-
laturperiode hat die schwarz-gelbe Regierungskoalition
schon einmal einen Versuch unternommen, Selbstständi-
ge in die Rentenversicherung bzw . in die Vorsorge mit
einzubeziehen . Da war eine Menge los: Es war die Rede
von einer „Zwangsrente“ und einer „Zwangskollektivie-
rung“, die die CDU/CSU versuchen würde . Es gab eine
öffentliche Petition mit 80 000 Unterschriften, und der
Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland
wurde gegründet; ich glaube, er hat mittlerweile über
2 000 Mitglieder .

Da war wirklich was los . Auch die Vorschläge hatten
es aus Sicht gerade der kleinen Solo-Selbstständigen in
sich . Jeder und jede Selbstständige unter 30 Jahren sollte
bis zu 400 Euro pro Monat in eine Vorsorge einzahlen .
Das ist gründlich schiefgegangen . Dieses Vorhaben ist
schließlich sang- und klanglos zurückgezogen worden .
Wir, Bündnis 90/Die Grünen, haben uns das Ergebnis
dieser Auseinandersetzung angesehen und sind zu dem
Schluss gekommen, dass die Notwendigkeit einer sozi-
alen Absicherung gerade von Solo-Selbstständigen und
allen anderweitig nicht abgesicherten Selbstständigen
besteht . Wir stellen nun einen komplett neuen Ansatz vor,
der nicht nur die einzelnen Sozialversicherungszweige

Julia Obermeier






(A) (C)



(B) (D)


einbezieht, sondern eine Gesamtschau vornimmt . Wir
machen Selbstständigen mit unserem Antrag ein attrak-
tives All-inclusive-Angebot .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir machen ein Angebot, das Selbstständige nicht stran-
gulieren wird, sondern ihnen Flexibilität und Sicherheit
im Bereich der Gesundheitsversorgung sowie eine Ba-
sissicherung im Renten- und Pflegebereich gibt. Wir
haben im Blick, dass Selbstständige nicht nur in einem
Versicherungszweig versichert sein müssen, sondern in
mehreren und dass das alles vernünftig aufeinander ab-
gestimmt sein muss .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Darüber hinaus haben wir uns genau angehört, was
Selbstständige zu den sozialrechtlichen Begutachtungs-
verfahren sagen, zu den Prüfungen, mit denen ermittelt
werden soll, ob man abhängig beschäftigt oder selbststän-
dig ist . Das führt zu viel Rechtsunsicherheit gerade bei
Solo-Selbstständigen . Wir haben auch mit Menschen aus
Kreativberufen gesprochen . Wir unternehmen nun – auch
in Abstimmung mit gewerkschaftlichen Positionen – den
Versuch, das trennscharf, unbürokratisch und gut abzusi-
chern . Wir machen heute nicht nur den Selbstständigen
ein Angebot, sondern sprechen allen hier im Haus ver-
tretenen Fraktionen auch die Einladung aus, sich dieser
Gesamtschau zu öffnen und gemeinsame Lösungen im
Sinne dieses Schutzbedürfnisses zu finden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir machen folgende Vorschläge: Gerade Selbststän-
dige mit kleinen Einkommen sollen bei ihrer sozialen
Absicherung nicht überfordert werden . Darum wollen
wir die Mindestbeiträge für die gesetzliche Kranken-
und Pflegeversicherung sowie zur freiwilligen Arbeits-
losenversicherung absenken und – ab einem niedrigen,
angemessenen Mindestbeitrag – einkommensabhängig
gestalten . Wir wollen die nicht anderweitig abgesicherten
Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung
einbeziehen – auch hier soll es einkommensabhängige
Beiträge geben – und vor allen Dingen für mehr Flexi-
bilität sorgen . Selbstständige sollen in guten Zeiten mehr
Beiträge zahlen, um schlechte Zeiten auszugleichen oder
für zu erwartende Auftragsflauten vorzusorgen. Wir wol-
len auch für mehr Flexibilität gerade in der Gründungs-
phase eines Unternehmens sorgen, wenn es noch nicht so
richtig läuft . Wir wollen die Start-ups nicht in der Grün-
dungsphase strangulieren, sondern ihnen Raum zum
Atmen lassen und den Selbstständigen, wenn die Sache
läuft, ermöglichen, nachzuzahlen und den vollen Versi-
cherungsschutz wiederherzustellen . Zu so viel Flexibili-
tät und Anpassung sind unsere über 100 Jahre alten Sozi-
alversicherungssysteme fähig . Das haben mir erst gestern

wieder Vertreter der gesetzlichen Rentenversicherung
gesagt . Sie haben gesagt: „Das schaffen wir auch noch“,
und waren ganz optimistisch, dass das klappen wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich wollen wir auch nach Möglichkeiten suchen,
Auftraggeberinnen und Auftraggeber an den Sozialver-
sicherungsbeiträgen zu beteiligen . Das ist keine triviale
Aufgabe; das ist uns völlig klar . Aber wir wissen, dass
Auftraggeberinnen und Auftraggeber in manchen Fällen
Selbstständige beauftragen, um Sozialversicherungsbei-
träge zu sparen . Modelle dieses Unterlaufens wollen wir
beseitigen . Deshalb müssen wir nach alternativen Mög-
lichkeiten suchen .

Ein gutes Beispiel ist die Künstlersozialkasse, an deren
Finanzierung die Auftraggeber durch eine Verwerterab-
gabe beteiligt sind . Das funktioniert in dieser Sparte ganz
gut . Aber natürlich kann man das Prinzip der Künstlerso-
zialkasse nicht umstandslos auf alle Selbstständigen aus-
dehnen . Ich gebe offen zu, dass wir da kein Patentrezept
haben . Wir suchen nach an den jeweiligen Auftraggebern
angepassten Lösungen . Aber gerade mit Blick auf Ver-
mittlungsplattformen wie Crowdworker, die in Zukunft
immer wichtiger werden, ist es Aufgabe für vorausschau-
ende Politik in diesem Hause, Beteiligungsmöglichkei-
ten von Auftraggebern zu finden und so die Einnahme-
basis der Sozialversicherung zu stärken sowie vor allen
Dingen – das ist das Wichtigste – die soziale Sicherung
in der Selbstständigkeit zu ermöglichen; denn nur soziale
Sicherheit gibt Selbstständigen Freiraum, Entspannung
und Kraft für mehr Kreativität, und das wollen wir .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819919100

Bevor jetzt gleich der Kollege Peter Weiß das Wort

erhält, darf ich bekannt geben das von den Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der
namentlichen Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung zu dem Antrag „Fortsetzung und Ergänzung des
Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhü-
tung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch
die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51
der Charta der Vereinten Nationen in Verbindung mit
Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische
Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015),
2249 (2015) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
sowie des Beschlusses der Staats- und Regierungschefs
vom NATO-Gipfel am 8 ./9 . Juli 2016“: abgegebene
Stimmen 586 . Mit Ja haben gestimmt 445, mit Nein ha-
ben gestimmt 139, Enthaltungen 2 . Die Beschlussemp-
fehlung ist damit angenommen .

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 586;
davon

ja: 445
nein: 139
enthalten: 2

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Artur Auernhammer

Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)


Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr . André Berghegger
Dr . Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer

Markus Kurth






(A) (C)



(B) (D)


Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Dr . Maria Böhmer
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr . Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr . Ralf Brauksiepe
Dr . Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Iris Eberl
Jutta Eckenbach
Dr . Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr . Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)

Axel E . Fischer


(Karlsruhe-Land)

Dr . Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Thorsten Frei
Dr . Astrid Freudenstein
Dr . Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr . Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters

Dr . Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Rainer Hajek
Dr . Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr . Stefan Heck
Dr . Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Dr . Heribert Hirte
Christian Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr . Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M . Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Dr . Franz Josef Jung
Andreas Jung
Xaver Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr . Stefan Kaufmann
Ronja Kemmer
Roderich Kiesewetter
Dr . Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig

Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr . Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr . Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr . Dr . h .c . Karl A . Lamers
Andreas G . Lämmel
Dr . Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr . Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr . Katja Leikert
Dr . Philipp Lengsfeld
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr . Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr . Claudia Lücking-Michel
Dr . Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr . Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr . Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr . h .c . Hans Michelbach
Dr . Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Volker Mosblech
Elisabeth Motschmann
Dr . Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr . Philipp Murmann

Dr . Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr . Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr . Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Dr . Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr . Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr . Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Johannes Röring
Kathrin Rösel
Dr . Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr . Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St . Wendel)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr . Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr . Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Carola Stauche






(A) (C)



(B) (D)


Dr . Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Frhr . von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr . Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr . Hans-Peter Uhl
Dr . Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr . Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Karl-Heinz Wange
Nina Warken
Kai Wegner
Dr . h .c . Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr . Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Oliver Wittke
Dagmar G . Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Dr . Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Bettina Bähr-Losse
Heinz-Joachim Barchmann
Dr . Katarina Barley
Doris Barnett
Dr . Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr . Karl-Heinz Brunner
Dr . h .c . Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr . Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr . Daniela De Ridder
Dr . Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr . Johannes Fechner
Dr . Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr . Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Ulrike Gottschalck
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Bettina Hagedorn
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held

Dr . Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Thomas Hitschler
Dr . Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz-Herrmann
Josip Juratovic
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Dr . Hans-Ulrich Krüger
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr . Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Dr . Matthias Miersch
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr . Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr . Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr . Sascha Raabe
Dr . Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr . Carola Reimann

Sönke Rix
Petra Rode-Bosse
Dennis Rohde
Dr . Martin Rosemann
Dr . Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Annette Sawade
Dr . Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr . Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Elfi Scho-Antwerpes
Ursula Schulte
Frank Schwabe
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Dr . Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Dr . Karin Thissen
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Dirk Wiese
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr . Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Nein

CDU/CSU

Hans-Georg von der Marwitz
Martin Patzelt






(A) (C)



(B) (D)


SPD

Ulrike Bahr
Klaus Barthel
Dr . Ute Finckh-Krämer
Michael Gerdes
Wolfgang Gunkel
Rita Hagl-Kehl
Dirk Heidenblut
Gabriele Hiller-Ohm
Frank Junge
Thomas Jurk
Ralf Kapschack
Cansel Kiziltepe
Hilde Mattheis
Klaus Mindrup
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Andreas Rimkus
René Röspel
Sarah Ryglewski
Johann Saathoff
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Stefan Schwartze
Sonja Steffen
Andrea Wicklein

(Wol mirstedt)


DIE LINKE

Jan van Aken
Dr . Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W . Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz

Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr . Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Dr . André Hahn
Heike Hänsel
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Jan Korte
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr . Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr . Alexander S . Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr . Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr . Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Alexander Ulrich

Kathrin Vogler
Dr . Sahra Wagenknecht
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Kerstin Andreae
Volker Beck (Köln)

Dr . Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr . Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Dr . Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth

Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr . Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr . Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr . Gerhard Schick
Dr . Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr . Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr . Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr . Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr . Valerie Wilms

Enthalten

CDU/CSU

Dr . Andreas Lenz

SPD

Dr . Nina Scheer

Abgeordnete, die sich wegen gesetzlichen Mutterschutzes für ihre Abwesenheit entschuldigt haben, sind in der Liste der
entschuldigten Abgeordneten (Anlage 1) aufgeführt .

Jetzt hat der Kollege Peter Weiß für die CDU/CSU das
Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1819919200

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Bevor man möglicherweise falsch zielt, möchte ich ein-
fach eine kurze Zusammenstellung von Daten, was das
Thema Selbstständige in Deutschland anbelangt, vortra-
gen . Wenn man sich anschaut, wie viele Personen, die
im Rentenalter sind, zuletzt als Selbstständige berufstätig
waren, dann stellt man fest: Das sind etwa 10 Prozent .
Übrigens, die allermeisten von ihnen, nämlich drei Vier-

tel, haben irgendwann einmal in die gesetzliche Renten-
versicherung einbezahlt . Es sind also durchaus Personen,
die einen Anspruch an die gesetzliche Rentenversiche-
rung haben . Möglicherweise sind sie als Selbstständige
aus der gesetzlichen Rentenversicherung herausgegan-
gen, das heißt, sie haben die restlichen Jahre irgendetwas
anderes gemacht .

Unter den Selbstständigen im Rentenalter sind sehr
viele mit einem sehr guten Alterseinkommen . Das heißt,
sie haben rechtzeitig vorgesorgt und haben zum Teil ein
besseres Alterseinkommen als manche gesetzlich Versi-
cherten . Aber es fehlt sozusagen die Mittelschicht, und
wir haben eine relativ große Zahl von Selbstständigen,






(A) (C)



(B) (D)


vor allen Dingen von sogenannten Solo-Selbstständigen,
die kaum bis gar nicht für das Alter vorgesorgt haben .
Deshalb findet man im Altersvorsorgebericht der Bun-
desregierung, der demnächst verabschiedet werden soll,
folgende interessante Zahl: Während wir unter den Se-
nioren in Deutschland 10 Prozent Selbstständige haben,
haben wir 17 Prozent ehemalige Selbstständige bei den
Beziehern von Grundsicherung im Alter . Die Armutsge-
fährdung bei ehemaligen Selbstständigen ist also doppelt
so hoch wie bei Personen, die ihr Leben lang in die ge-
setzliche Rentenversicherung eingezahlt haben .

Daran sieht man: Die generelle Frage ist nicht, ob wir
etwas für die Altersversorgung für die Selbstständigen
machen, sondern: Es gibt einen dringenden sozialpo-
litischen Handlungsbedarf, um zu verhindern, dass im-
mer mehr Selbstständige im Alter nichts haben und auf
Grundsicherung angewiesen sind .


(Beifall bei der CDU/CSU – Beate MüllerGemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was macht die Union? – Sabine Zimmermann [Zwickau] [DIE LINKE]: Da sind wir uns einig!)


Weil der Kollege Kurth schon erwähnt hat, dass es ge-
gen die Pläne, die wir schon in der letzten Legislaturpe-
riode erarbeitet haben, sehr viel Widerstand gab, will ich
einfach hinzufügen: Wenn ein Sozialstaat wie die Bun-
desrepublik Deutschland allen ihren Bürgerinnen und
Bürgern unabhängig davon, was und wie sie gearbeitet
haben, zusagt: „Wenn es im Alter zum Leben nicht reicht,
gibt es eine konkrete staatliche Hilfe, nämlich die Grund-
sicherung“,


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Die auch nicht zum Leben reicht!)


dann, finde ich, hat dieser Staat auch das Recht, ja, sogar
die Pflicht, von jedem von uns zu verlangen, dass er in
den Zeiten, in denen es ihm gut geht, in denen er gut ver-
dient, irgendetwas für das Alter zurücklegt und anspart,
damit er später möglichst nicht auf Grundsicherung an-
gewiesen ist .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist derzeit ein bisschen schwer! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rentenversicherungsbeitrag zahlen!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Problem
ist – Herr Kurth, das haben wir in der letzten Legisla-
turperiode sehr ausführlich diskutiert –, dass sich die
Einkommenssituation von Selbstständigen von der des
Festangestellten, der einen Arbeitsvertrag mit einem
konkreten monatlichen Gehalt, das auszubezahlen ist,
unterscheidet .

Das Erste ist: Wenn ich eine selbstständige Existenz
gründen will, muss ich in der Regel erst einmal ordent-
lich Geld ausgeben, möglicherweise noch einen Kredit
aufnehmen . In den ersten Jahren verdiene ich vielleicht
gar nichts. Deswegen muss es bei einer verpflichtenden
Altersvorsorge für Selbstständige freie Jahre für die

Existenzgründungsphase geben; sonst kann Existenz-
gründung nicht funktionieren .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Zweite ist – das haben Sie zu Recht dargestellt –:
Der Selbstständige weiß nicht unbedingt, ob er im nächs-
ten Monat mit dem, was er unternimmt, einen sagenhaf-
ten Gewinn oder einen dicken Verlust macht, also ob
überhaupt ein Einkommen erwirtschaftet wird . Deswe-
gen braucht man eine ganz andere Beitragsgestaltung,
eine Beitragsgestaltung, die sich an die unterschiedlichen
Phasen von Verdienstmöglichkeiten, die sehr schnell
wechseln können, anpasst . Das war übrigens der Inhalt
des Vorschlags, den wir in der letzten Legislaturperiode
erarbeitet haben .

Nicht der von Ihnen genannte Betrag war der Topbe-
trag, sondern das war der Betrag, der dazu ausreicht, eine
Altersversorgung aufzubauen, die auf jeden Fall ober-
halb der Grundsicherung liegt . Für jeden, der nicht die-
sen Verdienst hat, sollte es selbstverständlich abgesenkte
Beiträge geben, die sich an seiner Einkommenssituation
ausrichten . Es muss also eine Beitragsgestaltung sein, die
auf die speziellen Bedingungen von Selbstständigen mit
unterschiedlichen Erwerbs- und Einkommensverläufen
Rücksicht nimmt .


(Beifall bei der CDU/CSU – Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist ein guter Vorschlag jetzt auf dem Tisch! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht in unserem Antrag!)


Das Dritte ist – das ist das Entscheidende –: Unabhän-
gig davon, welche Form von Altersvorsorge der Selbst-
ständige gewählt hat, sollten wir, der Staat, die Altersvor-
sorge des Selbstständigen bei einer Insolvenz schützen .
Sprich: Wenn der Betrieb aus irgendeinem Grund in die
Insolvenz geht, dann sollte das, was für die Altersvor-
sorge auf die Seite gelegt worden ist, nicht angegriffen
werden, sondern tatsächlich auch in Zukunft für die Al-
tersversorgung zur Verfügung stehen .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Rentenversicherung!)


Ich – sicherlich auch viele Kolleginnen und Kolle-
gen – kenne den traurigen Fall: Da war ein Handwerks-
meister wirklich erfolgreich . Dann kommt die Situation,
dass zwei große Kunden die Rechnungen nicht bezahlen,
die Bank den Kredit kündigt und er Insolvenz anmelden
muss . Eigentlich hat er gedacht, dass sein schönes Unter-
nehmen, das er sich aufgebaut hat, eines Tages auch seine
Altersversorgung ist . Aber mit einem Tag ist alles futsch,
und er steht mit nichts da .


(Zuruf von der LINKEN: Ja, aber seine Beschäftigten auch!)


Deswegen ist die Pflicht zur Altersvorsorge für Selbst-
ständige in unseren Augen zunächst einmal ein Angebot
an den Selbstständigen, ihn aus einer solchen wirklich
misslichen und katastrophalen Situation zu befreien und
ihm zu garantieren: Was du für das Alter ansparst, das
steht dir auch tatsächlich im Alter zur Verfügung . Das

Peter Weiß (Emmendingen)







(A) (C)



(B) (D)


wird nicht irgendeiner Insolvenzmasse, falls es zu einer
Insolvenz kommen sollte, zugeschlagen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie könnte man das besser machen als in der Rentenversicherung!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819919300

Herr Kollege Weiß, es gibt gleich zwei Wünsche nach

Zwischenfragen . Wollen Sie diese zulassen?


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1819919400

Ja, dann machen wir das .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819919500

Dann darf ich mit dem Kollegen Kurth beginnen .


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819919600

Herr Präsident, danke, dass Sie das zulassen, und dan-

ke auch an Sie, Herr Weiß . Ich mache es auch ganz kurz .

Das mit dem Schutz der Alterssicherung im Falle ei-
ner Insolvenz finde ich ein richtiges und zutreffendes Ar-
gument, wie auch die Argumente, die Sie zuvor genannt
haben, sehr gut mit unserem Antrag übereinstimmen .

Aber stimmen Sie mir zu, dass der so wichtige Insol-
venzschutz doch am besten im Rahmen der gesetzlichen
Rentenversicherung gewährleistet ist, in der die gezahl-
ten Beiträge laut Bundesverfassungsgericht quasi eigen-
tumsrechtlich geschützt sind und in der sie pfändungs-
sicher sind? Ist das nicht genau das Argument, das das
unterstützt, was in dem vorliegenden Antrag steht?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1819919700

Herr Kollege Kurth, ich will Ihnen gerne zugestehen,

dass Sie die Vorzüge der gesetzlichen Rentenversiche-
rung richtig geschildert haben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Aber zu Ihrer eigentlichen Frage . Sie haben zu Recht
erwähnt, dass in der letzten Legislaturperiode die von
der damaligen Koalition und den Fachpolitikern im Aus-
schuss für Arbeit und Soziales mit dem Ministerium er-
arbeiteten Vorschläge zu einer verpflichtenden Altersvor-
sorge für Selbstständige eine riesige Diskussion und auch
eine große Onlinepetition ausgelöst haben . Daran konnte
man erkennen, dass sich Selbstständige, die bislang nicht
verpflichtend in ein System einbezahlen mussten, eine
Wahlmöglichkeit wünschen .

Ich muss sagen: Für mich ist das Erste nicht, wo etwas
einbezahlt worden ist, sondern für mich ist das Allererste,
dass überhaupt etwas für die Altersvorsorge von Selbst-
ständigen einbezahlt wird .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819919800

Die zweite Zwischenfrage hat sich erledigt, weil sie

sich auf den nämlichen Gegenstand bezog .


Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1819919900

Ich füge eine persönliche Einschätzung hinzu . Wenn

wir eine verpflichtende Altersvorsorge für Selbstständige
einführen, werden sich die Selbstständigen sehr genau
angucken: Wo habe ich die besten Bedingungen? Wenn
sie dann einen fairen und gründlichen Vergleich anstel-
len, werden sie feststellen, dass die gesetzliche Renten-
versicherung nicht die schlechteste Lösung für sie ist .


(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es!)


Aber lassen Sie sie das doch selber erkennen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


So viel als meine Anregung .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt einen
weiteren Punkt . Von den Selbstständigen, die in Deutsch-
land arbeiten und zum Gesamteinkommen unserer
Volkswirtschaft maßgeblich beitragen, sind ein Drittel in
Berufen tätig, in denen sie qua Berufsrecht oder eigene
Regelung bereits heute verpflichtend in ein Altersvorsor-
gesystem einbezahlen müssen . Es ist also nicht so, dass
alle Selbstständigen sozusagen die große Freiheit haben,
etwas zu machen oder auch nichts zu machen . Ein Drittel
arbeiten in Berufen, in denen sie verpflichtet sind, in die
gesetzliche Rentenversicherung oder in ein berufsspezifi-
sches Altersvorsorgesystem einzubezahlen . Zwei Drittel
der Selbstständigen arbeiten in Berufen, die eine solche
Pflicht nicht kennen.

Da kann man meines Erachtens mit Fug und Recht
die Frage stellen: Ist es okay, dass wir zwei Sorten von
Selbstständigen haben? Diese Unterscheidung ist nicht
die zwischen Selbstständigen, die gut verdienen, und
solchen, die schlecht verdienen, sondern das geht quer
durch die Berufspalette .

Das ist ein weiterer Grund, glaube ich, zu sagen: Wir
achten in einem hohen Maße das, was Selbstständige für
uns, für den gesamtwirtschaftlichen Erfolg Deutschlands
leisten . Aber dass es ein Drittel gibt, die sich selber schon
die Pflicht zur Altersvorsorge auferlegt haben, und dass
es zwei Drittel gibt, die sich eine solche Pflicht nicht auf-
erlegt haben, ist ein wichtiges Indiz dafür, dass man diese
Unterscheidung aufheben sollte . Selbstständige sollten
Selbstständige sein, aber es sollte für alle das gleiche
Recht gelten, egal in welchem Beruf sie arbeiten .

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue
mich, dass viele Verbände, in denen Selbstständige orga-
nisiert sind, an der Spitze der Zentralverband des Deut-
schen Handwerks, in dem unter anderem unsere Hand-
werkskammern organisiert sind, es mittlerweile so sehen:
Ja, es ist gerade für den sozialen Schutz unserer Mitglie-
der, unserer Unternehmerinnen und Unternehmer, unse-
rer Selbstständigen, wichtig, dass wir diese Frage einer
ausreichenden Alterssicherung in Deutschland regeln . –
Deswegen bin ich sehr zuversichtlich, dass es gerade mit
der Unterstützung aus dem Handwerk und aus vielen
selbstständigen Berufen gelingen kann, eine vernünftige,

Peter Weiß (Emmendingen)







(A) (C)



(B) (D)


der spezifischen Einkommens- und Arbeitssituation der
Selbstständigen gerecht werdende allgemeine Altersvor-
sorgepflicht in Deutschland einzuführen. Das wäre sozi-
alpolitisch ein großer Fortschritt . Ich freue mich, wenn
wir auch unter Mitberatung des Antrags der Grünen zu
einer solchen Lösung finden.

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819920000

Die Kollegin Sabine Zimmermann spricht jetzt für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Zimmermann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819920100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Bundesregierung ist der Meinung, dass
Deutschland mehr Selbstständige braucht . Das Bundes-
wirtschaftsministerium verkündet im Rahmen einer Ini-
tiative – zu lesen auf der Internetseite; ich zitiere –:

Hier besteht noch viel Potential für mehr Auf-
bruchsstimmung, Wagemut und Lust auf unterneh-
merische Selbständigkeit .

Das ist doch wieder typisch für diese Bundesregierung .
Von anderer Seite fordert sie Bewegung, aber bei ihrer
eigenen Politik sehen wir nur Stillstand, und das sorgt
natürlich auch für Resignation, besonders bei unseren
Selbstständigen. Das, finde ich, muss hier einfach mal
gesagt werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Bei den großen Risiken des Lebens wie Krankheit und
Altersarmut lassen Sie die Selbstständigen im Stich; denn
diese können sich nur sehr schwer dagegen absichern .
Aber anstatt hier zu handeln, schicken Sie immer noch
mehr Menschen sehenden Auges in prekäre Verhältnisse .
Das ist unsozial, und das wissen Sie auch ganz genau .

Viele Selbstständige, insbesondere Solo-Selbstständi-
ge, berichten mir regelmäßig – ich gehe davon aus, dass
auch Sie diese Situation aus Ihren Wahlkreisbüros ken-
nen –, dass sie Sorgen und Ängste haben, die Kranken-
versicherung nicht mehr bezahlen zu können oder aber
auch in Altersarmut abzurutschen .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Viele Selbstständige verdienen so wenig, dass sie Proble-
me haben, ihre Krankenversicherung selbst zu bezahlen .
Ein Grund dafür ist die zu hohe, nicht den tatsächlichen
Einkommen entsprechende Mindestbemessung .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Ich will es Ihnen erklären: Ein Mindestbeitrag von rund
400 Euro ist für viele Menschen kaum zu leisten, gera-
de bei Solo-Selbstständigen . Sie nicken, liebe Kollegin
Klein-Schmeink . Angesichts von Solo-Selbstständigen,
die im Durchschnitt mit 1 500 Euro brutto nach Hause
gehen, frage ich Sie von der Koalition: Wie sollen die

noch 400 Euro als Mindestbeitrag für ihre Versicherung
bezahlen? Das geht einfach gar nicht . Das ist unsozial,
meine Damen und Herren, und das wissen Sie auch ganz
genau .


(Beifall bei der LINKEN)


Mehr als die Hälfte aller Solo-Selbstständigen ist nicht
für das Alter abgesichert, weder durch die gesetzliche
Rentenversicherung noch über eine Lebensversicherung .
Sie können es sich einfach nicht leisten . Da sagen wir:
Das ist unsozial, und das muss sich verändern .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Regelungen zur Arbeitslosenversicherung für
Selbstständige schließen viele Betroffene aus, da der Zu-
gang zu restriktiv ist und die Beiträge oft nicht aufge-
bracht werden können . Viele Selbstständige fühlen sich
mit ihren Problemen völlig alleingelassen . Nicht weni-
ge – wir haben es heute schon gehört – schuften am Ran-
de der Selbstausbeutung zu niedrigem oder niedrigstem
Einkommen, muss man sagen . Über 100 000 Selbststän-
dige stocken zusätzlich mit Hartz-IV-Leistungen auf . Das
kann es doch wohl nicht sein . Das ist doch nicht das, was
wir wollen . Wir haben ja mittlerweile für abhängig Be-
schäftigte, wenn auch viel zu spät und aus unserer Sicht
viel zu niedrig, einen Mindestlohn eingeführt . Ebenso
haben wir auch für Selbstständige eine Verantwortung
und müssen eine Haltelinie nach unten einziehen . Das
erwarten wir auch von dieser Bundesregierung .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke möchte einen realistischen und fairen Bei-
trag zur Krankenversicherung für alle Selbstständigen,
der vor allen Dingen auch bezahlbar ist . Wir fordern,
dass sich der Mindestbeitrag an der Geringfügigkeits-
grenze von 450 Euro orientiert . Das wäre ein Beitrag
von rund 70 Euro im Monat für die Krankenversiche-
rung und von rund 12 Euro im Monat für die Pflegever-
sicherung .


(Beifall bei der LINKEN)


Oberhalb davon soll natürlich entsprechend dem Ein-
kommen gezahlt werden wie bei Angestellten auch .

Außerdem brauchen wir eine Einbeziehung der Selbst-
ständigen in die gesetzliche Rentenversicherung,


(Beifall bei der LINKEN)


um sie vor allen Dingen vor Altersarmut zu schützen .
Altersarmut ist das große Thema, das wir dringend für
die Zukunft bearbeiten müssen . Die Linke fordert eine
Orientierung am tatsächlichen Einkommen . Die gesetz-
liche Rente muss wieder ein höheres Leistungsniveau
haben . Die gesetzliche Rentenversicherung muss für
einen sozialen Ausgleich sorgen und wieder für alle at-
traktiv sein .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, Sie sehen also: Es gibt viel
zu tun, gerade zur Verbesserung der Situation von Selbst-
ständigen . Doch das, meine Damen und Herren der Bun-
desregierung, wird natürlich mit Ihrer unsozialen Politik

Peter Weiß (Emmendingen)







(A) (C)



(B) (D)


nicht gelingen . Dafür bedarf es eines Politikwechsels,
und der geht nur mit der Linken .

Danke schön .


(Beifall bei der LINKEN – Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den letzten Satz hätten Sie sich sparen können!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819920200

Als Nächster spricht der Kollege Michael Gerdes für

die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Gerdes (SPD):
Rede ID: ID1819920300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Die Altersvorsorge ist die-
ser Tage allgegenwärtig . Ob medial, hier im Hause oder
bei sozialpolitischen Tagungen: Wir sorgen uns um die
Leistungsfähigkeit von Rentenmodellen, ob gesetzlich,
betrieblich oder privat . Für mich zählt die Gesamtschau,
auch wenn wir heute auf Initiative der Grünen insbeson-
dere die Selbstständigen und ihre soziale Absicherung
auf der Tagesordnung haben . Über allem schwebt die
Warnung und Sorge vor zunehmender Altersarmut, ohne
Frage ein Zustand, den wir als Gesellschaft verhindern
müssen . Auf Analyse und Prognose müssen aber irgend-
wann gute Änderungsideen folgen, sonst sinkt das Ren-
tenniveau tatsächlich eines Tages – nach aktuellen Be-
rechnungen nach 2030 – auf ein Level, das zum Leben
nicht mehr auskömmlich ist .

Unsere Ministerin Andrea Nahles ist auf einem guten
Weg . Der von ihr geführte Rentendialog will eben nicht
nur in der Analyse verharren, sondern Lösungen aufzei-
gen . Andrea Nahles wird noch in dieser Wahlperiode ei-
nen Gesetzesentwurf zur Rente vorlegen . Aus Sicht der
SPD muss das Grundprinzip die Stärkung der gesetzli-
chen Rentenversicherung sein .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das auch abgestimmt? – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht da auch etwas für die Selbstständigen drin?)


– Ich komme noch dazu . Geben Sie mir doch die Gele-
genheit . Ich bin erst am Anfang meiner Rede .

Kein anderes System existiert so lange Zeit, kein an-
deres System hat so ein umfangreiches Leistungspaket .
Allerdings gibt es, Herr Kurth, kein All-inclusive-Ange-
bot . Dazu sind die Lebensmodelle einfach zu verschie-
den .

Mein persönliches Vertrauen in das Umlageverfahren
ist groß . Je mehr Menschen bzw . Erwerbstätige in dieses
System integriert werden, desto besser ist es. Ich finde
es absolut bedauerlich, dass viele junge Menschen dieses
Vertrauen in die gesetzliche Rente verloren haben . Wir
dürfen an dieser Stelle nicht müde werden und müssen

deutlich zeigen, dass das gesetzliche System besser ist
als sein Ruf .


(Beifall bei der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann müssen Sie es attraktiv machen! Herr Weiß hat ja einiges zur Flexibilität gesagt!)


Selbstverständlich müssen wir dafür sorgen, dass der
Ausgleich zwischen Rentnern und Erwerbstätigen auch
mittel- und langfristig funktioniert .

Mein Kollege Martin Rosemann wird sicherlich gleich
im Detail auf den grünen Forderungskatalog zur besseren
Absicherung von Selbstständigen eingehen . Unter sei-
ner Leitung haben wir als SPD-Fraktion sehr konkrete
Vorschläge zum Schutz von Selbstständigen vorgelegt –
nicht nur in Bezug auf den Rentenversicherungszweig,
sondern auch bei den Kranken- und Arbeitslosenversi-
cherungen .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das haben wir ja auch! Genau! Aber wir haben es im Parlament! Wo ist denn Ihres?)


– Die Sozialabgaben müssen eben im Zusammenhang
gesehen werden, Herr Kurth; das haben Sie erkannt .

Momentan gibt es bei der staatlich organisierten Ab-
sicherung von Solo-Selbstständigen gegen Arbeitslo-
sigkeit aber noch sehr viel Luft nach oben . Wir sehen,
wie sehr sich unsere Sozialversicherungen am Modell
abhängig Beschäftigter orientieren. Spannend finde ich
übrigens das Beispiel Österreich . Unsere Nachbarn sind
schon einen Schritt weiter . Dort wurden die Selbstständi-
gen bereits in die Rentenversicherung einbezogen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Übrigens die Beamten und Politiker auch!)


– Richtig .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vieles von dem, was
die Grünen im vorliegenden Antrag zu Papier gebracht
haben, geht in die richtige Richtung . Wir teilen die Auf-
fassung, dass uns die Umbrüche am Arbeitsmarkt und die
immer bunter werdenden Erwerbsbiografien dazu zwin-
gen, die soziale Absicherung neu zu überdenken . Die
Sozialversicherungen müssen zukunftsfest gestaltet wer-
den . Armut im Alter muss verhindert werden . Allerdings
müssen wir dann vernünftig vorsorgen . Eine auskömm-
liche Rente beginnt im Erwerbsleben . Das hat Kollege
Weiß gerade dargestellt .

Im Rahmen der Debatte um Arbeit 4 .0 haben wir viel
von Solo-Selbstständigen gesprochen, die das digitale
Zeitalter mit sich bringt, neudeutsch heißen diese Er-
werbstätigen „Clickworker“ oder „Crowdworker“ . Hier
ist vieles noch im Ungewissen, nicht zuletzt deshalb,
weil diese Gruppe mit Blick auf Berufsbilder, Ausbil-
dung und Einkommen sehr heterogen ist . Ich bin froh,
dass die SPD-Fraktion an dieser Stelle eine verpflicht-
ende Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversiche-
rung vorsieht . Allerdings müssen die Beiträge auch be-
zahlbar gestaltet sein . Viele Solo-Selbstständige stehen
am Rande des Existenzminimums . Ein guter Bekannter

Sabine Zimmermann (Zwickau)







(A) (C)



(B) (D)


von mir, Trinkhallenbesitzer im Ruhrgebiet, schildert mir
sehr glaubwürdig


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– ich hätte auch sagen können: „Büdchen-Guido“ –, dass
er nach Abzug aller Steuern und Sozialabgaben nicht
einmal auf den Mindestlohn kommt . Selbstständig ist für
ihn nicht gleich wohlhabend .

Die Zeichen der Zeit sind erkannt: Wir wissen, dass
wir auch denen ein Angebot machen müssen, die im Lau-
fe ihres Erwerbslebens zwischen Selbstständigkeit, mög-
licherweise auch Scheinselbstständigkeit und abhängiger
Beschäftigung wechseln . Unser Blick muss weitreichend
sein .

Ich freue mich schon jetzt auf eine gute inhaltliche
Diskussion zum Gesamtpaket . Denn es wird eben keine
Patentlösung geben, und es kann sie auch nicht geben .
Anscheinend sind wir – diesen Eindruck habe ich nach
der bisherigen Diskussion – nicht allzu weit auseinan-
der . Ich freue mich, wie gesagt, auf die weiter gehenden
Diskussionen .

Herzlichen Dank und Glückauf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819920400

Als Nächster spricht der Kollege Tobias Zech für die

CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Tobias Zech (CSU):
Rede ID: ID1819920500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

Kurth, der Antrag, den Sie geschrieben haben, trifft die
Aufgabe, die wir haben: nämlich den Veränderungen am
Arbeitsmarkt aufgrund der Technologie Rechnung zu tra-
gen, indem wir auch auf die soziale Sicherung schauen .
Ich will Ihnen nur nicht zugestehen, dass Sie der Erste
sind, der das aufgezeigt hat . Wir haben das schon eini-
ge Male diskutiert . Aber Ihr Antrag geht in die richtige
Richtung . Sie treffen den Nerv der Zeit . Sie sprechen von
Flexibilität, Sie sprechen darüber, dass wir mit Blick auf
den Arbeitsmarkt Anpassungen vornehmen müssen . Das
ist alles gut . Aber dann kommen Sie relativ schnell in
eine für mich etwas wilde Regelungswut . Deshalb kann
ich Ihrem Antrag nicht zustimmen . Ich will Ihnen auch
erklären, warum . Ich denke, wir müssen eine gemeinsa-
me Lösung finden, wie wir die Rentenversicherung wei-
terentwickeln . Ich bin mir sicher: Wir können die Ren-
tenversicherung weiterentwickeln; sie hält es auch aus .
Nur sollten wir allzu rigorose Spielereien weglassen .

Ich habe Ihren Antrag mehrmals gelesen . Ich bitte, das
zur Kenntnis zu nehmen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir nicht immer hier!)


– Dass es für Sie so schön ist, dass ich ihn gelesen habe,
kann ich Ihnen nicht versprechen . Aber ich kann Ihnen
zusichern: Ich habe ihn gelesen . – Sie fordern, klarere
Abgrenzungskriterien anzuwenden . Aber ich muss Ihnen
sagen, dass ich das für unnötig halte . Erstens haben wir in
den letzten Wochen und Monaten hier in diesem Haus die
ganze Zeit über die Abgrenzung zwischen selbstständi-
ger und abhängiger Beschäftigung gesprochen . Ich denke
also, das ist etwas veraltet .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut durchlesen!)


Zweitens ist mir persönlich kein einziger aktenkundiger
Fall vor Gericht bekannt, in dem es Zuordnungsschwie-
rigkeiten gab .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, massenhaft! – Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kennen Sie sich aber schlecht aus!)


– Wenn Sie einen Fall kennen, der die Abgrenzung be-
trifft, dann lassen Sie ihn mir bitte zukommen . Ich kenne
keinen; aber ich lerne ja immer gern dazu . Ich habe echt
gesucht und nichts gefunden . Vielleicht können Sie mir
das zukommen lassen . – Ich halte diese Forderung für ab-
solut sinnlos, weil klarere Kriterien nicht notwendig sind .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der nächste Punkt . Es gibt natürlich schon heute – das
wissen Sie auch – das Statusfeststellungsverfahren nach
§ 7a SGB IV . Das funktioniert auch . Die Notwendigkeit,
hier etwas zu ändern, sehe ich nicht .

Jetzt kommen wir zu den qualitativen Forderungen in
Ihrem Antrag . Wissen Sie, es geht Ihnen bei Ihrem An-
trag gar nicht so richtig um das Wohl der Selbstständi-
gen und der Solo-Selbstständigen, und vor allen Dingen
geht es Ihnen überhaupt nicht um Flexibilität . Was Sie
vorsehen, ist eigentlich auch eine tiefgreifende Reform
der Pflege- und der Krankenversicherung. Es geht ja gar
nicht nur um die Rente .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Das ist ja der Witz! Wir verzahnen das! Richtig!)


Sie schreiben im Text, Sie wollten eine Bürgerversiche-
rung . Aber die Bürgerversicherung passt nicht zur Ar-
beit 4 .0; sie passt auch nicht mehr ins Jahr 2016 . Das ist
der Griff in die verstaubte, alte sozialpolitische Kiste; wir
brauchen heute Flexibilität .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht nur um die Selbstständigen erst mal!)


– Ich komme gleich darauf zurück . – Es ist klar, dass wir
keine Bürgerversicherung haben wollen, weil sie über-
haupt nicht flexibel ist.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wie bitte? – Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben den Antrag doch nicht gründlich Michael Gerdes gelesen! Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte!)





(A) (C)


(B) (D)


Was Sie vorhaben, ist, den Selbstständigen genau eine
Möglichkeit zu lassen, nämlich in die gesetzliche Ren-
tenkasse einzuzahlen .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die abhängig Beschäftigten haben die Wahl auch nicht!)


Wir haben aber nicht nur die gesetzliche Rente . Ich kann
den Selbstständigen doch nicht die Möglichkeit nehmen,
zu entscheiden, wie sie vorsorgen . Es gibt die Möglich-
keit der privaten Vorsorge, man kann über Immobilien
vorsorgen . Man muss nicht jeden in die gesetzliche Ren-
tenversicherung zwingen .

Eines muss man sehr wohl – da sind wir einer Mei-
nung –: Man muss für die Selbstständigen in diesem
Land – dafür tragen wir hier im Haus die Verantwor-
tung – eine Vorsorgeverpflichtung einführen. Aber muss
man, wenn man schon die Verpflichtung einführt, dann
auch gleich die Methode festlegen? Können wir den
Menschen in diesem Land nicht wenigstens insoweit ver-
trauen, als sie selber für sich entscheiden, welche Form
der Vorsorge für sie die beste ist?


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben ihn ja leider doch nicht sorgfältig gelesen!)


Ich finde, Kollege Weiß hat eindrucksvoll dargestellt,
welche Möglichkeiten es gibt . Die gesetzliche Renten-
versicherung ist vernünftig; aber sie stellt bei weitem
nicht die einzige Form der Altersvorsorge dar .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Also: Vorsorgepflicht ja – da kann ich mitgehen –; aber
ich lehne es entschieden ab, die Menschen durch die
Hintertür in die gesetzliche Rentenversicherung hinein-
zuzwingen und keine Wahlmöglichkeit zu schaffen .


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen doch alle die gesetzliche Rente stärken! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gesetzliche Rente ist besser als alle Fonds im Kapitalbereich!)


Jetzt komme ich zu einem Punkt, der ganz spannend
ist . Da bin ich bei einem Aspekt bei Ihnen, Herr Kurth .
Lassen wir die Rente beiseite, und gehen wir zur Ar-
beitslosenversicherung . Da haben Sie aus meiner Sicht
hinsichtlich der weiteren Öffnung recht . Ich möchte aber
noch etwas hinzufügen: Wenn wir die Arbeitslosenver-
sicherung für alle Selbstständigen öffnen, wie Sie es
fordern, dann müssen wir auch sehr restriktive Regeln
anwenden, um dem Versicherungs- und dem Solidarge-
danken Rechnung zu tragen . Man muss dann auch si-
cherstellen, dass jemand, der sich für die Arbeitslosen-
versicherung entscheidet, auch dauerhaft darin bleibt und
nicht nach zwei Jahren raus- und dann wieder reingeht .
Das geht nicht . Das müssten Sie noch hinzufügen .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt also doch verpflichtend!)


Wir brauchen eine Sperrfrist, damit nicht jede selbstver-
schuldete Aufgabe eines Unternehmens dazu führt, dass
Mittel aus der Arbeitslosenversicherung bezogen wer-
den . Zudem brauchen wir Anwartschaftszeiten, um ein
Vermögen aufzubauen und dem Gedanken der Solidar-
gemeinschaft Rechnung zu tragen . – Ich glaube, die Öff-
nung der Arbeitslosenversicherung ist sinnvoll, aber nur
unter diesen Bedingungen .

Ich komme zum Schluss . Wir haben heute schon oft
gehört, wie stark unser Sozialversicherungssystem ist .
Wir müssen es weiterentwickeln, aber nicht revolutionär,
sondern evolutionär .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Das steht da auch!)


Wir erwarten am 28 . Dezember die Vorstellung des Weiß-
buchs Arbeiten 4 .0 . Danach wird es sicherlich Gelegen-
heit geben, das Thema – hoffentlich auch mit Anträgen
der Koalition – weiter zu bearbeiten . Notwendig ist es,
aber nicht so .

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Dagmar Ziegler [SPD] – Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie lassen die Selbstständigen in dieser Wahlperiode im Regen stehen! Das ist Ihre Aussage!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819920600

Vielen Dank . – Zum Abschluss dieser Aussprache hat

der Kollege Dr . Martin Rosemann für die SPD das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Martin Rosemann (SPD):
Rede ID: ID1819920700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-

leginnen und Kollegen von den Grünen, ich will Ihnen
zuerst einmal sagen: Ich finde, Ihr Antrag beschreibt ein
wichtiges und relevantes Handlungsfeld . Ich glaube, wir
müssen die soziale Sicherung von Selbstständigen in
Deutschland verbessern . Das gilt insbesondere für die so-
ziale Sicherung im Alter; denn Selbstständigkeit bedeutet
heutzutage eben nicht mehr unbedingt hohe Einkommen
oder große Vermögen . Die Grenzen zwischen abhängi-
ger Beschäftigung und Selbstständigkeit sind fließender
geworden .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Die Übergänge zwischen abhängiger Beschäftigung und
Selbstständigkeit und auch umgekehrt sind häufiger ge-
worden . Sie werden angesichts von Arbeit 4 .0 in Zukunft
noch weiter zunehmen .

Ich finde auch, dass Ihr Antrag durchaus einige wert-
volle Elemente enthält .


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wow!)


Tobias Zech






(A) (C)



(B) (D)


Beispielsweise wollen Sie – das will ich ausdrücklich un-
terstützen – keine neue Trennlinie zwischen Solo-Selbst-
ständigen und anderen Selbstständigen einziehen; denn
das wäre praktisch nicht umsetzbar und würde zu neuen
Wettbewerbsverzerrungen zwischen unterschiedlichen
Formen der Selbstständigkeit führen .

Positiv finde ich auch die vorgeschlagenen Entlas-
tungen, insbesondere im Bereich der Krankenversiche-
rungsbeiträge . Insoweit entspricht Ihr Antrag auch dem
Konzeptpapier „Neue Zeiten in der Arbeitswelt – soziale

(Solodie SPD-Bundestagsfraktion vor zwei Wochen beschlossen hat . Michael Gerdes hat darauf hingewiesen . Aber ich will Ihnen auch sagen: Ihr Antrag bleibt hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung weit hinter dem Konzeptpapier zurück; (Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo?)


(Beifall bei der SPD)


denn die Beschreibung von Handlungsnotwendigkeiten
löst noch keine Probleme . Die spannende Frage ist doch:
Mit welchen praktischen Schritten


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir doch vorgeschlagen!)


kommen wir denn von der heutigen Situation zu den be-
schriebenen Zielen? Da, muss ich sagen, ist Ihr Antrag
doch ein bisschen schwach .

Ich möchte das ein bisschen exemplarisch machen
und nehme als Erstes das Stichwort „Auftraggeberbei-
trag“ . Das ist ja ein Element, das wir aus der Künstlerso-
zialkasse kennen. Ich finde, da muss man sich jetzt schon
entscheiden und konkret werden: Will man dieses Sys-
tem wirklich auf alle Selbstständigen ausdehnen?


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Will ich nicht! Das habe ich doch gesagt! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht doch drin!)


Falls ja, wie soll das praktisch gehen, vor allem dann,
wenn es eben keine Solo-Selbstständigen sind, sondern
Beschäftigte da sind? Da bleiben Sie in Ihrem Antrag
doch sehr schwach bei der lauen Aufforderung, man solle
mal nach Möglichkeiten suchen .


(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, weil das nicht so einfach ist!)


Das ist aber viel zu wenig . Zeigen Sie doch bitte entweder
konkrete Möglichkeiten auf, oder stellen Sie fest, dass es
eben nicht funktioniert, meine Damen und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen Sie uns das doch zusammen machen! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Aufgabe der Regierung!)


– Das ist Aufgabe aller, der Parlamentarierinnen und Par-
lamentarier genauso .

Das Zweite ist: Manche praktischen Fragen ignorie-
ren Sie einfach . Welches Einkommen der Selbstständi-
gen soll denn genau die Bemessungsgrundlage für die
Beiträge sein, um tatsächlich eine Gleichstellung von
abhängig Beschäftigten und Selbstständigen zu gewähr-
leisten? Und wie trägt man bei der Beitragserhebung tat-
sächlich den ständigen Schwankungen der Einkommen
von Selbstständigen Rechnung? Für die Selbstständigen
ist eine ganz wichtige Frage: Wie sieht es denn mit den
Übergangsregelungen aus? Welche Alternativen werden
im Übergang anerkannt, welche gegebenenfalls dauer-
haft?

Meine Damen und Herren, ich will vielleicht noch ein
Beispiel geben, um deutlich zu machen, dass Sie, wie ich
finde, einfach nicht den Mut haben, etwas konkret zu be-
nennen . Was heißt es denn, wenn Sie in Ziffer 2 sagen:
„Die nicht anderweitig abgesicherten Selbstständigen
sollen in die gesetzliche Rentenversicherung einbezo-
gen werden“? Was meinen Sie mit „anderweitig abge-
sichert“?


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Versorgungslage!)


Reichen 100 Euro an privater Rentenversicherung? Das
ist doch sicherlich kein Schutz vor Altersarmut .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein! Das steht alles in der Begründung! Versorgungswerke sind ausgenommen!)


Meine Damen und Herren, wir haben uns in unserem
Konzeptpapier genau mit diesen schwierigen Fragen be-
schäftigt und zeigen einen wirklich realisierbaren Weg
auf . Wir tragen damit den Veränderungen in den Er-
werbsbiografien vieler Menschen Rechnung


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum diskutieren wir das nicht hier im Bundestag, Ihr Konzept?)


und dem Bedürfnis, Solo-Selbstständige endlich besser
abzusichern . Dieses Konzept ist im Übrigen in einem
breiten Beteiligungsprozess entstanden,


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unseres auch!)


mit betroffenen Selbstständigen, mit der Wissenschaft,
mit der Rentenversicherung, mit Verbänden und Gewerk-
schaften .


(Dr . Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wir waren nicht beteiligt!)


– Ja, zu Ihnen komme ich gleich . Fortschritte gab es in
der Vergangenheit nämlich deswegen nicht – so ehrlich
muss man sein –, weil bestimmte konkrete Fragen unge-
löst waren, aber auch – zumindest ist das meine Wahr-
nehmung –, weil Ihre Vorstellungen, die Vorstellungen
unseres Koalitionspartners, andere waren als unsere .

Ich habe Ihnen heute zugehört, Peter Weiß . Ich muss
sagen, Sie haben in der Frage, ob Sie eine Einbeziehung
in die Rentenversicherung wollen und für wen, stark he-
rumlaviert . Ich nehme dann doch erfreut zur Kenntnis,
dass ein Kollege – Carsten Linnemann, er ist jetzt nicht

Dr. Martin Rosemann






(A) (C)



(B) (D)


anwesend – sich in einem Interview in einer westfäli-
schen Zeitung im April dieses Jahres dafür ausgespro-
chen hat, dass es diesbezüglich keine Denkverbote ge-
ben darf und auch die Einbeziehung von Selbstständigen
und Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung kein
Tabu sein dürfe .

Meine Damen und Herren, wir als SPD-Bundestags-
fraktion haben die Erwartung, dass die Einbeziehung von
Selbstständigen, die bisher nicht in einem berufsständi-
schen Versorgungswerk pflichtversichert waren, in die
gesetzliche Rentenversicherung Teil des Gesamtkon-
zepts zur Rente wird und dass die Arbeitsministerin noch
in diesem Herbst ein entsprechendes Konzept vorlegen
wird . Unsere Fraktion wird sich auf Basis des beschlos-
senen Konzeptpapiers in die Debatte über die konkrete
Ausgestaltung einbringen . Ich lade Sie alle ein, diesen
Weg mitzugehen .


(Beifall bei der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819920800

Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 18/10035 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Widerspruch
dagegen erhebt sich nicht . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-
kung der Arzneimittelversorgung in der GKV

(GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz – AMVSG)


Drucksache 18/10208
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Auch dagegen
erhebt sich keinerlei Widerspruch . Dann ist das so be-
schlossen .

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die jetzt fe-
derführend die Debatte bestreiten werden, ihre Plätze
einzunehmen . – Das ist der Fall .

Dann kann ich die Aussprache eröffnen . Ich erteile als
erstem Redner für die Bundesregierung das Wort dem
Bundesminister Hermann Gröhe .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Hermann Gröhe (CDU):
Rede ID: ID1819920900

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ein immer leis-
tungsfähigeres Gesundheitswesen, das zu den besten der
Welt gehört, steigende Lebenserwartung – all das scheint
selbstverständlich zu sein, bis wir an die Grenzen solcher
Entwicklungen stoßen . Wenn wir eine neue Therapie her-
beisehnen für einen Angehörigen, der an Krebs erkrankt
ist, fragen wir uns: Wo kommt eigentlich der Fortschritt

her? Wir fragen uns: Wer entwickelt und produziert einen
Impfstoff gegen einen neuartigen Virus? Und schließlich:
Was kann man gegen Infektionen mit multiresistenten
Keimen tun?

Wir alle kennen den alten Spruch von Deutschland
als Apotheke der Welt . Wir wissen zugleich, dass wir
diesen selbstbewussten Anspruch längst mit anderen,
zum Teil auch stärkeren Standorten für Forschung und
Produktion im Arzneimittelbereich teilen müssen . Aber
gerade deswegen haben wir ein gesundheitspolitisches,
ein forschungspolitisches und ein wirtschaftspolitisches
Interesse daran, Deutschland als Entwicklungs-, als For-
schungs-, aber auch als Produktionsstandort forschender
Arzneimittelindustrie zu stärken . Die Voraussetzungen
dafür sind nach wie vor gut, haben wir doch in diesem
Bereich eine Branche, die in Deutschland Tag für Tag
16 Millionen Euro in die Entwicklung und Erforschung
neuer Wirkstoffe und neuer Darreichungsformen inves-
tiert . Jahr für Jahr steigt auch die Zahl der Beschäftigten
in dieser Industrie überdurchschnittlich an .

Die Überzeugung, dass wir unser Land als For-
schungs- und Produktionsstandort im Pharmabereich
stärken wollen, hat die Bundesregierung geleitet, als
das Wirtschafts-, das Forschungs- und das Gesund-
heitsressort gemeinsam Vertreter der Wissenschaft, der
Pharmaunternehmen und der Gewerkschaft Bergbau,
Chemie, Energie zu einem Pharmadialog eingeladen ha-
ben . Wir haben intensiv diskutiert, wie wir die Stärken
Deutschlands in diesem Bereich stärken können, auch in
einem härter werdenden globalen Wettbewerb .

Wir haben eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet,
bei denen wir uns von einem Gedanken haben leiten
lassen: Wie sichern wir einen guten Zugang zu Innova-
tionen, und wie fördern wir Innovationen in den Berei-
chen, in denen wir sie besonders dringend herbeisehnen?
Ich denke dabei an Diabetes, Alzheimer und bestimmte
Krebserkrankungen . Hier wollen wir Innovationen er-
reichen und dafür sorgen, dass der Fortschritt möglichst
schnell bei den Patientinnen und Patienten ankommt . Zu-
gleich müssen wir stets im Blick haben, dass ein solida-
risches Gesundheitswesen auf Dauer nur existieren kann,
wenn es die langfristige Finanzierbarkeit des medizini-
schen Fortschritts sichert . Bei der Überführung der im
Pharmadialog erarbeiteten Vorschläge in den vorgelegten
Gesetzentwurf ging es daher um die Balance zwischen
langfristiger Finanzierbarkeit und Innovationsfreund-
lichkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dabei knüpfen wir an die Grundprinzipien des
AMNOG an, fragen also nach dem Patientennutzen . Das
hat sich bewährt, das ist sinnvoll . Wir wollen den Fort-
schritt, der wirklich zu einer Verbesserung der Situation
der Patientinnen und Patienten führt .

Gleichzeitig wollen wir, dass diese Nutzenbewertung
treffsicher dazu beiträgt, dort einen Fortschritt zu ermög-
lichen, wo wir ihn besonders dringend brauchen, etwa
indem wir den Mehrnutzen von neu entwickelten Anti-
biotika bezüglich der Resistenzentwicklung gegenüber
bereits etablierten Produkten gewichten . Wir wollen also

Dr. Martin Rosemann






(A) (C)



(B) (D)


Anreize schaffen, damit man sich nicht mit Produkten ab-
findet, von denen wir wissen, dass sie nach und nach an
Wirkung verlieren .

Innovationsfreundlichkeit und Finanzierbarkeit – das
hat zu Diskussionen geführt – Sie kennen sie –, beispiels-
weise über die Preisgestaltung im ersten Jahr . Wir haben
uns mit diesem Gesetzentwurf gegen eine neue Schwelle
entschieden, um den Marktzugang zu erschweren . Wir
sagen: Wir brauchen eine Preisbremse gerade für beson-
ders hochpreisige Arzneimittel, die sich an eine große
Zahl von Patientinnen und Patienten richten . Bei einem
Überschreiten der Umsatzschwelle von 250 Millionen
Euro soll umgehend der zwischen den Verhandlungspart-
nern ausgehandelte Erstattungspreis gelten . Das ist eine
wirksame Maßnahme, gerade mit Blick auf hochpreisige
Produkte .

Die Frage: „Wollen wir, dass bei Rabattverträgen zwi-
schen dem Spitzenverband der Krankenkassen und phar-
mazeutischen Unternehmen ebenso wie bei Verträgen
zwischen einzelnen Versorgerkassen und pharmazeu-
tischen Unternehmen auf eine öffentliche Listung ver-
zichtet wird, um die Verhandlungen über eine Erstattung
für die Kassen zu erleichtern?“, führte zu Diskussionen,
auch gestern im Gesundheitsausschuss des Bundesrates .
Wir sind davon überzeugt und unterbreiten mit diesem
Gesetzentwurf einen entsprechenden Vorschlag .

Wichtig ist uns, dass wir diese Maßnahmen verbinden
mit Maßnahmen zur dauerhaften Preisdämpfung . Des-
wegen wird das Preismoratorium, das bis Ende 2017 für
Arzneimittel ohne weitere Preisregulierung vorgesehen
war, bis 2022 verlängert, ab 2018 mit der Möglichkeit ei-
ner Anpassung an die Inflationsrate. Allein das vermeidet
Mehrausgaben in Höhe von jährlich 1,5 bis 2 Milliarden
Euro .

Lassen Sie mich abschließend darauf hinweisen, dass
wir die Regelung hinsichtlich der Zytostatika – ich habe
das Thema in der Haushaltsdebatte angesprochen – in
einer Art und Weise weiterentwickeln wollen, die die
Ortsnähe und die gute Zusammenarbeit sichert, etwa
zwischen verschreibenden Onkologen und der selbstge-
wählten Apotheke, und gleichzeitig Wirtschaftlichkeits-
reserven hebt . Ich glaube, wir zeigen an diesem Beispiel,
dass Ausschreibungsnotwendigkeit, Wirtschaftlichkeit
und Qualitätssicherung in guter Weise zusammengehö-
ren .

Ich freue mich auf die parlamentarischen Beratungen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819921000

Die Kollegin Kathrin Vogler spricht jetzt für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819921100

Vielen Dank . – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Herr Minister, in der Arzneimittelpolitik ist es
immer ein bisschen wie bei dem Wettlauf zwischen Hase

und Igel: Der Hase ist die Gesundheitspolitik, und der
Igel ist die Pharmaindustrie . Der politische Hase läuft und
läuft und läuft, um die Bevölkerung mit wirksamen, si-
cheren und bezahlbaren Arzneimitteln zu versorgen . Im-
mer, wenn er glaubt, er wäre jetzt am Ziel, ist der Igel von
der Pharmaindustrie schon da – mit Scheininnovationen,
mit massivem Marketing, mit monopolartigen Strukturen
und mit Medikamentenpreisen, die in überhaupt keinem
Verhältnis zu den eigentlichen Aufwendungen für For-
schung, Entwicklung und Produktion stehen .

Von 2011 bis 2015, also in nur vier Jahren, sind die
Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Medika-
mente um nahezu 20 Prozent gestiegen . Im ersten Halb-
jahr dieses Jahres sind sie noch einmal um fast 4 Prozent
explodiert . Noch stärker explodieren nur die Aktienkurse
der großen Pharmakonzerne . Allein die Aktie der US-Fir-
ma Gilead hat ihren Wert seit 2012 mehr als verdreifacht .
Das Gesetz, welches uns die Bundesregierung heute im
Entwurf vorlegt, ändert daran leider nichts . Sie wollen
die Fehler vergangener Gesetze ausbessern und neue
Maßnahmen zur Kostenbegrenzung einführen . Einige
davon sind sogar sinnvoll . Aber insgesamt bleiben Sie
eher der samtpfötige Hase .


(Beifall bei der LINKEN)


Worum geht es? Seit 2011 müssen die Hersteller neu
zugelassene Präparate einer Nutzenbewertung unterzie-
hen . Dabei wird das neue Mittel mit den bisherigen Stan-
dardtherapien verglichen . Auf dieser Grundlage verhan-
deln dann die Krankenkassen mit den Herstellern über
den Preis . Der Gedanke dahinter: Ist ein Mittel wirklich
innovativ und gut für die Patientinnen und Patienten,
dann darf es auch mal teurer sein . Ist es nicht besser als
ein altes Medikament, dann soll es auch nicht mehr kos-
ten . Aber es gibt eine Hintertür: Im ersten Jahr dürfen die
Unternehmen den Preis frei bestimmen .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist schon immer so!)


Den setzen sie natürlich so hoch wie möglich an .

Daran wollen Sie im Prinzip nichts ändern . Man könn-
te dem Einhalt gebieten, wenn der auf Basis der Nutzen-
bewertung ausgehandelte Preis rückwirkend ab dem Tag
der Zulassung gelten würde . Das wäre im Übrigen auch
ein wirklicher Anreiz, nur echte Innovationen auf den
Markt zu bringen . Ich weiß, dass es auch in den Koali-
tionsparteien durchaus Sympathien für diesen Vorschlag
gibt;


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Mit wem haben Sie denn da geredet? Bestimmt nicht mit Koalitionskollegen! – Maria Michalk [CDU/CSU]: Was Sie da erzählen, stimmt nicht!)


aber Minister Gröhe hat mit den Unternehmen hinter
verschlossener Tür etwas anderes ausgehandelt, und
zwar zum Schaden der Allgemeinheit . Sie wollen jetzt
eine Umsatzschwelle für das erste Jahr einführen . Erst
dann, wenn ein Medikament im Jahr mehr als 250 Milli-
onen Euro Umsatz erwirtschaftet, soll eine Kostenbremse

Bundesminister Hermann Gröhe






(A) (C)



(B) (D)


greifen . Das halten wir nicht nur für willkürlich, sondern
auch für absolut nicht ausreichend .


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Gröhe, was gar nicht geht, ist Ihr Vorschlag, die
ausgehandelten Erstattungspreise geheim zu halten . Da-
mit wollen Sie Preisvergleiche unmöglich machen . Sie
wollen die Listenpreise in Deutschland künstlich hoch-
halten und damit eben auch die Arzneimittelpreise in an-
deren Ländern, die sich am deutschen Preis orientieren .
Das ist unsolidarisch, und es ist auch zutiefst antieuro-
päisch . Wir fordern Transparenz und Solidarität im Ge-
sundheitswesen .


(Beifall bei der LINKEN)


Es geht aber nicht nur um den Preis . Inzwischen ha-
ben wir ernsthafte Versorgungsprobleme . Immer wieder
kommt es zu Lieferengpässen und Ausfällen bei wich-
tigen Medikamenten, zum Beispiel bei Antibiotika und
Impfstoffen . Die Bundesregierung aber folgt auch hier
dem Motto: Bloß keinen Ärger mit den Unternehmen .
Ich sage Ihnen: Mit völlig unverbindlichen Selbstver-
pflichtungen und freundlichen Gesprächen werden Sie
das Problem nicht lösen . Hier müssen klare gesetzliche
Regelungen her wie eine verbindliche Meldepflicht bei
drohenden Lieferausfällen und eine gesetzliche Pflicht
zur Lagerhaltung . Das Ganze muss mit spürbaren Sankti-
onen bei Verstößen verbunden sein .

Zum Schluss will ich noch auf das Thema Versand-
handel zu sprechen kommen . Nach einem Urteil des Eu-
ropäischen Gerichtshofs können ausländische Versand-
apotheken jetzt mit Dumpingpreisen auf den deutschen
Markt drängen . Die Linke fordert schon seit Jahren, den
Versandhandel mit rezeptpflichtigen Medikamenten zu
verbieten . Wir sagen: Medikamente gehören in die fach-
kundige Hand des Apothekers oder der Apothekerin und
nicht in den Hermestransporter .


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn noch mehr Apotheken im ländlichen Raum von
kapitalgetriebenen internationalen Konzernen in Grund
und Boden konkurriert werden, dann steht man nämlich
demnächst in der Uckermark oder in der Eifel am Sonn-
tag oder in der Nacht mit einer Krankheit ganz alleine
ohne Medikamente da . Deshalb habe ich mich sehr ge-
freut, Herr Gröhe, dass Sie sofort angekündigt haben,
einen entsprechenden Gesetzentwurf auf den Weg zu
bringen . Auch die Bayerische Landesregierung hat unse-
re Forderung aufgegriffen und eine Bundesratsinitiative
gestartet,


(Reiner Meier [CDU/CSU]: Ja, genau! Na, sehen Sie mal!)


der sich inzwischen auch Brandenburg und Thüringen
angeschlossen haben .

Leider ist dieses Thema vor allem in der SPD noch
umstritten . Aber ich hoffe, dass wir gemeinsam erfolgrei-
che Überzeugungsarbeit leisten können, sodass es viel-
leicht noch möglich ist, diese Änderungen mit diesem
Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen .


(Beifall der Abg . Karin Maag [CDU/CSU])


In diesem Sinne freue auch ich mich auf die Beratungen .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN – Tino Sorge [CDU/ CSU]: So viel Vorfreude!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819921200

Der Kollege Dr . Edgar Franke spricht jetzt für die

SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Edgar Franke (SPD):
Rede ID: ID1819921300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Der Minister hat es eben gesagt: Seit zwei Jahren
wird im Rahmen des Pharmadialogs zwischen Bundesre-
gierung und Industrie verhandelt .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Hinter verschlossenen Türen! Unter Ausschluss des Parlaments!)


Zum einen geht es darum, den Pharmastandort Deutsch-
land zu stärken, zum anderen darum, eine wirtschaftliche
und innovative Arzneimittelversorgung für die Patientin-
nen und Patienten zu sichern .

Frau Vogler, Sie haben ja recht: Das Parlament war bei
den Verhandlungen nicht dabei . Insofern ist die heutige
Beratung im Bundestag natürlich umso wichtiger . Wir
diskutieren ja auch über dieses Thema, liebe Kolleginnen
und Kollegen .


(Beifall der Abg . Karin Maag [CDU/CSU])


Sechs Anmerkungen dazu:

Erstens . Positiv ist zunächst das seit 2009 geltende
Preismoratorium; auch das hat der Minister gesagt . Es
wird um fünf Jahre, also bis 2022, verlängert . Das wird
1,5 oder 2 Milliarden Euro einbringen . Dies ist eine gute
Regelung, weil sich auch die Pharmaindustrie daran be-
teiligt und letztlich einen wichtigen Beitrag zur Entlas-
tung der Versicherten leistet . Ab 2018 gibt es übrigens
einen Inflationsausgleich. Es ist also eine gute Regelung,
die wir hier getroffen haben, Herr Minister .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens . Wir alle wissen: Ein Jahr nach Markt-
zulassung können die Pharmaunternehmen die Preise
vollkommen frei bestimmen, unabhängig davon, ob ein
Zusatznutzen für den Patienten vorliegt . Die freie Preis-
bildung soll jetzt durch eine sogenannte Umsatzschwel-
le eingeschränkt werden . 250 Millionen Euro Umsatz
sind der Maßstab . Man muss sagen, dass diese Umsatz-
schwelle aufgrund ihrer Höhe in der Praxis weitgehend
ins Leere läuft .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Viel zu hoch!)


Kathrin Vogler






(A) (C)



(B) (D)


Wenn man die Kosten dämpfen wollte, müsste man eine
wesentlich niedrigere Umsatzschwelle einführen; das
muss man schon sagen .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Harald Weinberg [DIE LINKE])


Bei 100 Millionen Euro wären im Jahr 2015 sieben Arz-
neimittel betroffen gewesen .

Besser wäre aus unserer und meiner Sicht eine rück-
wirkende Erstattung nach sechs Monaten, also nicht ab
Marktzulassung . Warum, Frau Vogler? Nach sechs Mo-
naten, nach der frühen Nutzenbewertung, weiß man, ob
ein Zusatznutzen gegeben ist, ja oder nein .


(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das weiß man manchmal schon eher!)


Dann kann sich jedes Unternehmen darauf einstellen .
Das ist eine faire Regelung, mit der jeder Hersteller leben
kann, meine sehr verehrten Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD)


Zumindest sollte man im parlamentarischen Verfahren
noch einmal darüber nachdenken, ob das eine vernünf-
tige Regelung ist .

Drittens . Über die Vertraulichkeit der ausgehandelten
Erstattungsbeträge ist auf allen Ebenen öffentlich disku-
tiert worden . Künftig soll der rabattierte Preis nicht mehr
öffentlich gelistet werden; auch das steht in unserem Ge-
setzentwurf . Die Industrie sagt: Falls die rabattierten Be-
träge öffentlich wären, würde die Preisgestaltung schwie-
riger, und zwar gerade im Ausland, weil nicht mehr der
Listenpreis Maßstab für die Preisgestaltung wäre . – Inso-
fern habe dies eine industriepolitische Bedeutung für die
deutschen Pharmaunternehmen . Allerdings muss man
auch sagen: Es ist problematisch, wenn wir mit den Bei-
tragsgeldern der Versicherten Industriepolitik machen .


(Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Jetzt bringen Sie es mal auf den Punkt! Der Seeheimer wird noch zum Linken! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Na, das solltest du als Ausschussvorsitzender aber besser wissen!)


Deutschland ist natürlich Referenzmarkt, aber nicht
mehr allein . Neben Deutschland bezieht man sich bei
Preisvergleichen auch auf andere Länder . Die deutschen
Preise gehen vielmehr in eine Durchschnittsberechnung
ein . Sie haben deshalb zumindest ein bisschen an Bedeu-
tung verloren; das ist der eine Punkt .

Der andere Punkt ist: Wenn ein Arzt verordnet, dann
muss er das natürlich nach wissenschaftlichen und medi-
zinischen Erkenntnissen tun . Er unterliegt aber auch dem
Wirtschaftlichkeitsgebot . Wir würden schon einen Irr-
weg beschreiten, wenn wir die Ärzte vollständig aus dem
Wirtschaftlichkeitsgebot in der Gesundheitsversorgung
entlassen würden . Auch das muss man einmal sagen .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Karin Maag [CDU/CSU] und Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Die Details werden ja in einer Rechtsverordnung der
Bundesregierung geregelt . Das Parlament ist daran nicht
ausdrücklich beteiligt . Es ist aber ein normales Vorgehen,
dass die Bundesregierung Rechtsverordnungen erlässt,
und ich bin mir sicher, dass die Bundesregierung – ich
bin sicher, auch der Minister – hier eine gute Regelung
schaffen wird .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Wahrscheinlich nicht mehr vor den Bundestagswahlen!)


Viertens . Die Vergütung für Apotheker soll um insge-
samt 100 Millionen Euro angehoben werden . Das hal-
te ich für vertretbar . Schließlich brauchen wir gerade in
der Fläche eine hochwertige Arzneimittelversorgung und
Apotheken, die wirtschaftlich arbeiten können müssen .
Ich komme aus dem ländlichen Raum und weiß, wovon
ich rede .

Im Übrigen ist es so: Wenn das EuGH-Urteil rechts-
kräftig ist, dann ist es rein faktisch nicht ausgeschlossen,
dass stationäre Apotheken zukünftig verstärkt mit dem
Versandhandel konkurrieren müssen . Insofern ist die Er-
höhung der Vergütung sachgerecht und in Ordnung .

Fünftens . Ein besonderes Anliegen ist mir die Verbes-
serung der Impfquoten . Das haben wir ja auch im Koali-
tionsvertrag vereinbart . Noch immer sind die Impfquoten
in Deutschland viel zu niedrig . Das gilt insbesondere bei
der Grippeimpfung . Ich konnte es kaum glauben: Die
Impfquote beträgt dort nur circa 35 Prozent, womit wir
weit entfernt von dem Ziel sind, insbesondere mehr ältere
Menschen zu impfen und die Impfquote auch bei ande-
ren Bevölkerungsgruppen zu erhöhen . Lieferengpässe
und die vermeintliche Unwirksamkeit von Impfstoffen
schmälern das Vertrauen und die Akzeptanz der Bürge-
rinnen und Bürger .

Insofern ist es, glaube ich, wichtig, dass wir auch einen
Zugang der GKV-Patienten zu passgenauen Impfstoffen
gewährleisten . Deswegen hielte ich es für vernünftig, der
Abschaffung der Ausschreibung näherzutreten, zumal
die Ausschreibungsvorteile eher gering sind und auch
die jetzige Regelung mit zwei Losen wirklich nichts ge-
bracht hat . Es wäre eine enorme Verbesserung für die
Versorgung der Patientinnen und Patienten, wenn wir
die Ausschreibung im Bereich der Impfstoffe abschaffen
würden .

Sechstens . In Ausnahmefällen muss es aus meiner
Sicht möglich sein, dass Medikamente, die keinen ausge-
wiesenen Zusatznutzen haben, auf dem Markt gehalten
werden können und damit den Patienten zur Verfügung
stehen . Ich denke zum Beispiel an chronische Erkran-
kungen wie die Epilepsie . Hier ist der evidenzbasierte
Nachweis eines Zusatznutzens nur schwer möglich .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie viele Minuten haben Sie denn jetzt schon geredet?)


Gleichwohl können neue Arzneimittel für Patienten, bei
denen die bisherigen Kombinationsmöglichkeiten ver-
sagt haben, eine zusätzliche Therapieoption darstellen .
Deswegen ist es auch vernünftig, dass wir die Öffnung
des § 130b Absatz 3 Satz 2 SGB V vorsehen und eine

Dr. Edgar Franke






(A) (C)



(B) (D)


Sollvorschrift in das Gesetz aufnehmen . Mit einer sol-
chen Sollvorschrift erreicht man, dass in begründeten
Ausnahmefällen – und nur dann – von der wirtschaft-
lichsten zweckmäßigen Vergleichstherapie abgewichen
werden kann . Insofern ist hier auch kein Dammbruch zu
befürchten .

Liebe Kolleginnen und Kollegen – –


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819921400

Aber Sie kommen jetzt bitte zum Schluss .


Dr. Edgar Franke (SPD):
Rede ID: ID1819921500

Ja .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819921600

Ohne Dammbruch! Es ist schon fast ein kleiner .


Dr. Edgar Franke (SPD):
Rede ID: ID1819921700

Ja, ich komme wirklich zum Schluss . Vor Ulla Schmidt

habe ich doch ganz großen Respekt . Insofern nur noch
einen Satz .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, um eine gute
Arzneimittelversorgung zu sichern, hat die Bundesregie-
rung ein insgesamt ausgewogenes Maßnahmenpaket auf
den Weg gebracht . Auch wenn ich die eine oder andere
kritische Anmerkung gemacht habe, ist es ein guter Ge-
setzentwurf . Man wird sicherlich den Pharmadialog und
in den parlamentarischen Beratungen das eine oder ande-
re in diesem Gesetzentwurf hinterfragen müssen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819921800

Herr Kollege Franke!


Dr. Edgar Franke (SPD):
Rede ID: ID1819921900

Dafür haben wir Anhörungen und einen guten Ge-

sundheitsausschuss . In diesem Sinne sehen wir uns dort
wieder .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819922000

Jetzt hat Kordula Schulz-Asche, Bündnis 90/Die Grü-

nen, das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe
nicht genau gezählt, das wievielte Arzneimittelversor-
gungsstärkungsgesetz wir hier heute besprechen, das uns
die Bundesregierung vorgelegt hat . GKV-Arzneimittel-
versorgungsstärkungsgesetz heißt es diesmal; aber ich
sage Ihnen ganz ehrlich, ich halte es eher für ein Phar-
maindustrieversorgungsstärkungsgesetz, und das sollte
man auch so benennen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zwei Jahre lang hat die Bundesregierung hinter ver-
schlossener Tür einen Pharmadialog durchgeführt . Ich
habe gar nichts gegen Dialog, aber etwas gegen Dialoge
hinter verschlossener Tür mit der pharmazeutischen In-
dustrie unter Ausschluss des Parlaments und der Öffent-
lichkeit . Man hat sich auf Maßnahmen geeinigt .

Ich bedanke mich ausdrücklich bei der Kollegin
Michalk und dem Kollegen Hennrich, dass sie am Tag
der Vorstellung dieser Ergebnisse als Parlamentarier auf-
gestanden sind und gesagt haben: Diese Forderungen
fehlen uns als Parlamentarier, sie sind im Pharmadialog
nicht besprochen worden . Ich muss sagen: Hochachtung
vor dieser Aktion . Sie haben, glaube ich, für uns Parla-
mentarier allesamt gesprochen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Nun wurden die Ergebnisse, die die Bundesregierung mit
der Pharmaindustrie ausgehandelt hat, in dieses Gesetz
gegossen, das uns jetzt vorliegt, und jetzt dürfen wir als
Parlament auch endlich mitreden .

In der Einleitung zum Gesetzentwurf heißt es zwar
noch großspurig, dass die Gesundheitsversorgung flä-
chendeckend, innovativ, sicher und bezahlbar gestaltet
werden soll; aber in dem Entwurf selber ist dazu leider
nur wenig zu finden, und die Ziele sind auch kaum nach-
zuvollziehen. Stattdessen finden sich in vielen Punkten
bestenfalls kosmetische Korrekturen und im schlimms-
ten Fall so unausgegorene und undurchdachte Regelun-
gen, dass sie das Potenzial haben, das System der Arznei-
mittelversorgung eher auf den Kopf zu stellen .

Ich möchte mich auf zwei Maßnahmen konzentrie-
ren . Wir haben im Bereich der vielen neuen, innovati-
ven Medikamente, die im Moment auf den Markt kom-
men, tatsächlich – wie die gesetzlichen Krankenkassen
sie bezeichnen – Mondpreise, das heißt die freie Preis-
gestaltung im ersten Jahr . Anstatt die Kosten der Kran-
kenkassen für patentgeschützte Arzneimittel wirksam
einzudämmen, setzen Sie jetzt eine 250-Millionen-Eu-
ro-Umsatzgrenze, die viel zu hoch ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Die werden alle versuchen, bis 240 Millionen zu kommen!)


Bei genauer Betrachtung, welche dieser Medikamente
im letzten Jahr davon betroffen wären, sind es ganze drei .
Das heißt, dass diese Umsatzschwelle viel zu hoch ist .
Ich bin der Meinung, dass es nach wie vor richtig ist,
dass dann, wenn die Krankenkassen mit den Herstellern
einen Preis verhandelt haben, dieser auch rückwirkend
ab dem ersten Tag der Markteinführung gilt . Das nutzt
den gesetzlich Versicherten, und das nutzt den Patienten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das zweite Beispiel: Die Höhe der zwischen den
Krankenkassen und den Arzneimittelherstellern verhan-
delten Erstattungsbeträge soll in Zukunft – das ist bisher
ja nicht so – vertraulich behandelt werden . Nicht nur die
Kassen, meine Damen und Herren, die nach Ihrem Ge-
setzentwurf eigentlich die Profiteure davon sein sollten,

Dr. Edgar Franke






(A) (C)



(B) (D)


bezweifeln, dass auf diese Weise tatsächlich günstigere
Preise erzielt werden. Ich bezweifle das auch. Die Kassen
raten sogar vehement davon ab, in das Abrechnungssys-
tem zwischen Ärzten, Apothekern und Krankenkassen
derart weitgehend einzugreifen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, wir reden über einen Markt
von 39 Milliarden Euro jährlich . Da sollen verschrei-
bungspflichtige Medikamente und das Zustandekommen
ihrer Preise geheim bleiben? Welchen Preis sollen dann
zum Beispiel Apotheken den Krankenkassen künftig in
Rechnung stellen, wenn Patienten bei ihnen ein Rezept
einreichen? Wie sollen Ärzte wirtschaftlich verschrei-
ben können, wenn ihnen die Preise nicht bekannt sind?
Angesichts so vieler Beteiligter frage ich Sie: Wie sollen
dann die Preise überhaupt geheim bleiben, zumal wir in
unserem ganzen System andauernd darauf rekurrieren
müssen, welche Preise tatsächlich gezahlt werden?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


All diese Antworten bleibt der vorliegende Gesetzent-
wurf schuldig . Details dazu sollen in einer Rechtsverord-
nung geklärt werden . Meine Damen und Herren, auch
Rechtsverordnungen sind Verordnungen, die am Parla-
ment vorbeigehen . Wenn man schon ein Gesetz macht,
das man mit der Pharmaindustrie ausgehandelt hat, ist es
meines Erachtens erneut nicht okay, jetzt auch noch mit-
hilfe von Verordnungen die Details zu klären .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE] Das zeugt nicht davon, dass die Bundesregierung tatsächlich an einer zukunftssicheren Gesundheitspolitik oder überhaupt an einem Konzept orientiert ist, wie die Krankenversorgung und ihre Finanzierbarkeit in Zukunft sichergestellt werden können . Meine Damen und Herren, wir können uns sicher sein und sehen es ja auch, dass die Zahl innovativer Medikamente in den nächsten Jahren sehr stark zunehmen wird . (Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Manche sind auch nicht so innovativ!)


Wir haben da eine ganz starke Bewegung . Deswegen ist
es so notwendig, dass wir dafür sorgen, dass nicht nur
das Geld für diese Innovationen bei den Herstellern an-
kommt, sondern dass diese Innovationen auch beim Pati-
enten landen . Dazu ist dieser Gesetzentwurf leider über-
haupt nicht geeignet .

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819922100

Vielen Dank . – Jetzt spricht der Kollege Michael

Hennrich, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Hennrich (CDU):
Rede ID: ID1819922200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir diskutieren nach drei Jahren hier im Parla-

ment das erste Mal Arzneimittelthemen im größeren Um-
fang . Ich glaube, es war eine gute Entscheidung, dass wir
den Pharmadialog der Bundesregierung gestartet haben
und damit einfach ein Bewusstsein für die unterschiedli-
chen Herangehensweisen und Themen geschaffen haben,
die die Versicherten, die Patienten, die Krankenkassen
und natürlich auch die Pharmaindustrie betreffen . Es
geht uns auch darum, mit unserer Politik eine gute und
vernünftige Balance zwischen den unterschiedlichen In-
teressen herzustellen .

Liebe Frau Schulz-Asche, ich möchte mich ganz
ausdrücklich für das Lob bedanken . Ich darf Ihnen aber
gleichzeitig sagen, dass ich mich damals bestens infor-
miert fühlte .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir uns schon gedacht!)


Wenn es ein Problem gab, habe ich zum Telefonhörer
gegriffen und nachgefragt: Was diskutiert ihr denn im
Pharmadialog?


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie waren der Einzige hier im Haus!)


Dann habe ich meine Information bekommen . Deswegen
haben wir unser Papier letztendlich so gesehen, dass wir
das, was im Pharmadialog besprochen wurde, von Parla-
mentsseite her nachdrücklich verstärken .

Wir haben seit drei Jahren eine Debatte über Arznei-
mittelthemen . Ich nenne hier das Thema Hepatitis C, bei
dem wir große Sorgen und Befürchtungen wegen des
Ausgabenanstiegs bei den Krankenkassen hatten .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ja absehbar!)


Dabei ist aber in Vergessenheit geraten, dass wir bei den
Medikamenten gegen Hepatitis C erstmals einen Wirk-
stoff hatten, bei dem man sehen konnte, wie das AMNOG
sich auszahlt und wirkt, dass ein Zusatznutzen attestiert
wurde . Wir haben gesagt: Dafür wollen wir einen höhe-
ren Preis zahlen .


(Beifall der Abg . Karin Maag [CDU/CSU])


Wir haben Diskussionen über chronische Erkrankungen
gehabt . Es ging um Diabetes und Epilepsie . Man hatte
oft den Eindruck: Die Versorgung bricht zusammen . Wir
haben abgewartet und sehen heute, dass sich einiges gut
und vernünftig selbst regelt .

Ich glaube, die heutige Debatte zeigt, dass der Phar-
madialog zu einer hohen Akzeptanz der Arzneimittel-
regulierung beigetragen hat, sowohl hier im Parlament,
selbst wenn jetzt Unterschiede deutlich werden, als auch
in der Gesellschaft und bei den Beteiligten .

Wir haben eine gut funktionierende Versorgung in der
Fläche durch Großhandel und Apotheken vor Ort . Wir
haben mit den Instrumenten Festbetragssystem, Rabatt-
verträge und frühe Nutzenbewertung sichergestellt, dass

Kordula Schulz-Asche






(A) (C)



(B) (D)


wir eine qualitativ hochwertige Versorgung zu bezahlba-
ren Preisen haben .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir müssen jetzt diese Themen auf den Prüfstand stel-
len . Deswegen haben wir drei Themenkomplexe identi-
fiziert, mit denen wir uns auseinandersetzen wollen. Es
geht erstens um das Thema Apotheken, es geht zweitens
um das Thema Rabattverträge, und es geht drittens um
das AMNOG als solches .

Ich möchte mit dem Thema Apotheken beginnen . Da
hinter mir Frau Ulla Schmidt als Präsidentin sitzt, denke
ich an den Sündenfall im Jahr 2003, als wir im voraus-
eilenden Gehorsam unter einer grün-roten Bundesregie-
rung das Versandhandelsverbot beschlossen haben .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819922300

Mit der CDU .


Michael Hennrich (CDU):
Rede ID: ID1819922400

Ja, aber das war Ihre Initiative . Denn Sie haben uns

falsch informiert .


(Beifall des Abg . Erich Irlstorfer [CDU/ CSU] – Widerspruch bei der SPD)


Sie haben nämlich gesagt, wenn das Verbot des Versand-
handels nicht umgesetzt würde, würde uns der EuGH zu-
rechtweisen . Der EuGH hat anders entschieden . Das war
eine Fehleinschätzung Ihres Hauses . Deswegen müssen
wir uns heute damit auseinandersetzen . Ich möchte ein
ausdrückliches Dankeschön an Hermann Gröhe richten,
der sich dafür einsetzt, dass dieses Versandhandelsverbot
kommt, um die Präsenzapotheken vor Ort zu stärken .


(Beifall bei der CDU/CSU – Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schade, dass dieses Urteil nicht besser begründet war!)


Wir werden uns zweitens um das Thema Rabattverträ-
ge kümmern müssen . Da haben wir einen guten Ansatz,
indem wir eine Frist von sechs Monaten zur Umsetzung
von Rabattverträgen einführen .

Wir haben darüber hinaus drei Spezialthemen, um die
wir uns kümmern, und zwar um Biosimilars, Zytostati-
ka und Impfstoffe . Gerade der Bereich Biosimilars zeigt,
dass es gut ist, wenn man abwartet . Es gab in der Ver-
gangenheit Diskussionen und Forderungen . Es um die
gesetzliche Quote, um zwei Jahre vertragsfreie Zeit,
Open-House-Verträge und Ähnliches . Heute erleben wir,
dass die Selbstverwaltung das gut geregelt hat, sodass
wir keinen zwingenden Handlungsbedarf sehen .

Handlungsbedarf sehen wir beim Thema Zytostatika-
versorgung . Ich glaube, dass wir da die richtige Entschei-
dung getroffen haben .

Der dritte Punkt, um den wir uns kümmern müssen, ist
der Bereich Impfstoffe . Das AMNOG hat gezeigt, dass
wir gut und klug beraten sind, abzuwarten . Was gab es
für Aufregung, Debatten und Diskussionen . Heute se-
hen wir, dass wir uns auf einen Bereich konzentrieren,
und zwar auf die Preisfindung bzw. Preisbildung. Lieber

Kollege Franke, ich darf Sie daran erinnern, dass die
Umsatzschwelle eine Idee aus dem Bundeswirtschafts-
ministerium war und dort durchaus eine höhere Summe
gefordert wurde . Insofern kommen wir darüber sicher-
lich in einen guten und vernünftigen Dialog .

Ich möchte zum Schluss aber noch ein Thema anspre-
chen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819922500

Kein neues Thema mehr . Sie haben Ihre Redezeit

schon überschritten .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist fast unsere gesamte Zeit! Das kann doch nicht sein! Ihr habt doch viel zu viele Redner!)



Michael Hennrich (CDU):
Rede ID: ID1819922600

Der Kollege Franke hat auch drei Minuten überzogen .

Dann darf ich auch eine Minute überziehen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819922700

Er hat nicht drei Minuten überzogen .


Michael Hennrich (CDU):
Rede ID: ID1819922800

Es geht um das Arztinformationssystem, das ein we-

sentlicher Baustein für den Erfolg des AMNOG ist . Denn
wir erleben, dass viele bewertete gute Produkte nicht im
Versorgungsalltag ankommen . Deswegen glaube ich,
dass, wenn es uns gelingt, das Arztinformationssystem
vernünftig auf den Weg zu bringen, dies ein wesentlicher
Baustein dafür sein kann, dass wir eine qualitativ hoch-
wertige Versorgung in der Fläche bekommen, was inno-
vative Produkte angeht .

Wir haben das Thema Arzneimittelversorgung in der
Vergangenheit nur unter dem Aspekt der Wirtschaftlich-
keit diskutiert .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich muss mal sagen: Ich werde mich auch nicht mehr an Redezeiten halten!)


Ich glaube, dass es wichtig und richtig ist, dass wir das
Thema auch unter Qualitätsaspekten diskutieren .

Das, glaube ich, sind die spannenden Punkte .

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit und freue
mich auf die Beratungen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819922900

Die Frage, ob der eine oder andere auch einmal etwas

länger spricht, ist immer noch die Entscheidung des Prä-
sidiums, und es wird unter allen Fraktionen sehr gleich-
mäßig verteilt . Es ist nicht Aufgabe des Redners, selber
zu sagen, wie lange er reden darf . Im Normalfall ginge

Michael Hennrich






(A) (C)



(B) (D)


das jetzt zulasten Ihrer Fraktionskollegen . Darauf will
ich jetzt einmal verzichten .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aber verwunderlich! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Das war eine Ausnahme!)


– Er war keine Ausnahme . Aber verzichten wir einmal
darauf . Ich wollte auch nicht in die Debatte einsteigen;
sonst hätte ich einiges zu sagen . Aber das passt nicht .


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt hat die Kollegin Martina Stamm-Fibich,
SPD-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Martina Stamm-Fibich (SPD):
Rede ID: ID1819923000

Verehrte Frau Präsidentin! Lieber Kollege Hennrich,

zu Anfang sei aber schon der Hinweis gestattet, dass es
damals eine Bundesratsmehrheit der CDU/CSU gab und
dass wir ganz sicher über andere Zeiten sprechen als
heute, was die GKV-Ausstattung angeht . Zur Wahrheit
gehört auch, dass man damals Dinge tun musste, die man
sicherlich nicht gern getan hat .


(Beifall bei der SPD)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, verehrte Besu-
cher auf den Tribünen, es wurde schon mehrfach ange-
sprochen: Zwei Jahre hat man mit der Pharmaindustrie
verhandelt . Die Bundesregierung hat darüber verhandelt,
medizinische Innovationen fördern zu wollen, und das,
ohne die Ausgaben der Krankenkassen und damit die
Beiträge der Versicherten stark steigen zu lassen . Das
Ergebnis des Dialogs liegt nun in Form des GKV-Arz-
neimittelversorgungsstärkungsgesetzes vor . Der Gesetz-
entwurf kommt meiner Meinung nach sowohl der Phar-
maindustrie als auch den Krankenkassen entgegen .

So sollen Ärzte in Zukunft über den Zusatznutzen
neuer Arzneimittel für einzelne Patientengruppen besser
informiert werden . Für die Übermittlung der Informati-
onen soll die Praxissoftware der Ärzte genutzt werden .
Das ist meiner Meinung nach grundsätzlich zu begrüßen .


(Beifall bei der SPD)


Aber ich warne davor, dass es sich dabei nicht um einsei-
tige Informationen der Krankenkassen an die Ärzte han-
deln soll . Eine Vermischung von Arzneimittelinformati-
on und Verordnungssteuerung müssen wir vermeiden .


(Beifall bei der SPD)


Denn die Therapiefreiheit darf unter keinen Umständen
durch das Arztinformationssystem eingeschränkt wer-
den . Wir brauchen Informationen, die beim Verordnen
helfen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Ärzte müssen wissen, dass ein Erstattungsbetrag ver-
einbart ist und somit GKV und Hersteller die Preisver-
antwortung übernehmen . Aber um das Arztinformations-

system überhaupt umsetzen zu können, müssen wir erst
die entsprechende Telematikinfrastruktur aufbauen . Wir
müssen hier einen Schritt nach dem anderen machen .
Sonst werden wir ins Stolpern kommen . Im weiteren
parlamentarischen Verfahren werde ich mich für eine
entsprechende Änderung einsetzen . Anderenfalls ver-
schenken wir mit dem Arztinformationssystem die große
Chance hin zu mehr Qualität und Transparenz in unserem
Gesundheitssystem .

Neben dem Arztinformationssystem besteht im Be-
reich der chronischen Erkrankungen dringender Hand-
lungsbedarf . Als Beispiel nenne ich die Versorgung
von Epilepsiepatienten . Seit Einführung des AMNOG
im Jahr 2011 sind alle neuen Epilepsiemedikamente
an der frühen Nutzenbewertung gescheitert . Es handelt
sich dabei um drei verschiedene Wirkstoffe . Zwei die-
ser Medikamente sind bereits vom deutschen Markt
verschwunden . Der Epilepsie Bundes-Elternverband hat
sich deshalb Mitte des Jahres 2015 mit einer Petition an
den Deutschen Bundestag gewandt . In der Petition wurde
eine Reform des AMNOG gefordert, damit die Versor-
gung aller therapieresistenten Menschen mit Epilepsie
mit neuen Medikamenten sichergestellt wird . Je größer
die Bandbreite der auf dem Markt existierenden Arznei-
mittel ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass
Patienten das für sie individuell richtige Medikament
finden und anfallsfrei und selbstbestimmt leben können.
Wir sprechen hier über 800 000 Menschen in diesem
Land . Darunter sind etwa 200 000 Menschen, die the-
rapieresistent sind und keine Anfallsfreiheit erlangen .
Diese Patienten benötigen dringend neue Medikamente .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit dem GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungs-
gesetz haben wir nun die Chance, die Rahmenbedin-
gungen des AMNOG so zu ändern, dass Menschen mit
chronischen Erkrankungen besser versorgt werden . Die-
se Chance müssen wir nutzen . Seit 20 Jahren verweisen
Experten aber auch auf das Problem der unzureichenden
Arzneimittelversorgung für Kinder und Jugendliche . So
sind etwa 20 Prozent der Arzneimittelverordnungen im
ambulanten und beinahe 70 Prozent der Verordnungen
im stationären Bereich außerhalb einer Zulassung oder
ohne eine formale Zulassung . Bei einem sogenannten
Off-Label-Use treten häufiger unerwünschte Nebenwir-
kungen auf, die die Gesundheit der Kinder und Jugend-
lichen gefährden . Die Arzneimittelsicherheit für Kinder
und Jugendliche muss gestärkt werden .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb begrüße ich ausdrücklich den im Gesetz vorge-
sehenen Evidenztransfer bei Kinderarzneimitteln .

Außerdem begrüße ich die vorgesehene Regelung zu
den Zytostatikaausschreibungen . In vielen Bereichen ha-
ben sich Ausschreibungen bewährt . Aber im sensiblen
Bereich der Onkologie sind sie fehl am Platz . Es geht
hier nicht nur um längere Transportwege für die Medi-
kamente . Es geht vor allem um den Patienten und sein

Vizepräsidentin Ulla Schmidt






(A) (C)



(B) (D)


Vertrauen in eine gute Zusammenarbeit mit seinem Arzt
und seinem Apotheker .


(Beifall bei der SPD und beim BÜNDNIS90/ DIE GRÜNEN)


Versorgung muss wirtschaftlich sein, aber nicht billig .
Wohin Ausschreibungen führen können, ist bei der In-
kontinenzversorgung deutlich geworden . Liebe Kollegen
von der Union, auch bei Impfstoffen könnten wir über
Ausschreibungen nachdenken .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Neben dem GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsge-
setz beraten wir heute in erster Lesung über das Heil- und
Hilfsmittelgesetz . Als Politiker ist es unsere Aufgabe, die
richtigen Rahmenbedingungen zum Wohle der Patienten
zu setzen . Sowohl mit dem Arzneimittel- als auch mit
dem Hilfsmittelgesetz ist uns hier ein erster guter Auf-
schlag gelungen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819923100

Vielen Dank . – Der Kollege Tino Sorge, CDU/

CSU-Fraktion, hat jetzt das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Tino Sorge (CDU):
Rede ID: ID1819923200

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Vogler,
mir ist aufgefallen, dass die Fabel, die Sie erzählt haben,
völlig fehl am Platz war . Sie kamen mir vor wie die Prin-
zessin auf der Erbse,


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist ein Märchen!)


– das ist keine Fabel, sondern ein Märchen; da haben Sie
recht –, die immer sagt: Egal was passiert, passiert . –
Das, was Sie hier gesagt haben, war in vielen Punkten
nichts anderes als ein Märchen . Das ist wirklich schade .

Anlässlich des erst vor kurzem begangenen 27-jähri-
gen Jubiläums des Mauerfalls hätte ich mir gewünscht,
dass Sie auf ein paar positive Aspekte hingewiesen hät-
ten . Gerade im Bereich der Gesundheitswirtschaft sieht
man, wie positiv sich die Entwicklung darstellt . Die Le-
benserwartung in den neuen Bundesländern ist durch-
schnittlich um neun Jahre gestiegen . Bundesweit haben
Männer inzwischen eine durchschnittliche Lebenserwar-
tung von 80 Jahren und Frauen eine von fast 85 Jahren .
Das heißt natürlich auch, dass diese Erfolge aufgrund des
medizinischen Fortschritts vonstattengingen . Insofern
können wir sagen: Das ist ein Erfolg, und da müssen wir
nicht immer alles schlechtreden .


(Beifall bei der CDU/CSU – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Die tiefe Kiste!)


Wir wissen doch alle, dass damit eine Steigerung der
Anzahl an chronischen Erkrankungen in den Bereichen
Diabetes, Adipositas, Herz-Kreislauf-Beschwerden und

Krebs einhergeht . Der Minister hat es angesprochen: Ge-
rade im Krebsbereich haben wir wirklich hoffnungsvolle
Entwicklungen . Wenn man sich anschaut, wie noch vor
einigen Jahren die Prognose bei vielen Krebsarten war,
stellt man fest: Man hat von kurzzeitigem Überleben ge-
sprochen, wenn überhaupt von Überleben die Rede war .
Heute sind viele Krebsarten heilbar . Es gibt viele Krebs-
arten, die chronifiziert sind. Aber es gibt natürlich auch
viele Krebsarten, bei deren Behandlung wir noch besser
werden müssen .

Hören Sie doch auf, den Gesundheitsbereich immer
nur als Kostenblock zu sehen, sondern sagen Sie auch
einmal: Das ist ein Bereich, in dem volkswirtschaftliche
Wertschöpfung passiert . Wir reden über 12 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts . Im Automobilbereich kommen
wir nicht annähernd in diese Größenordnung . Dennoch
sagt keiner, der sich dazu äußert: Ein Auto, das angebo-
ten wird, ist zu teuer, und deshalb wollen wir das nicht .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: Richtig! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Es sind interessante Vergleiche, die Sie hier ziehen!)


Wir müssen aufhören, unseren Standort unter For-
schungsaspekten schlechtzureden . Wir müssen auch ein-
mal sagen: Gerade das, was wir mit dem AMVSG, dem
Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz, machen, zeigt,
dass wir gute Punkte in Angriff nehmen . Das Beispiel
„Ausschreibung von Zytostatika“ ist angesprochen wor-
den . Gerade im Bereich der Krebsversorgung hat man er-
kannt, dass es nicht wirklich sinnvoll ist, Ausschreibun-
gen vorzunehmen . Daher hat man die Ausschreibungen
dort ad acta gelegt . Das heißt, wir legen die Verantwor-
tung denjenigen in die Hände – Ärzten, Apothekern –,
die im besten Kontakt mit den Patienten entscheiden
können, was sinnvoll ist .

Vielleicht noch ein Wort zur Thematik Impfen; sie ist
hier ja angesprochen worden . Frau Stamm-Fibich hat
jetzt den Eindruck erweckt, als seien wir von der Union
da völlig anderer Meinung als Sie . Im Gegenteil: Da ha-
ben Sie uns an Ihrer Seite . Wir sind doch völlig beieinan-
der, wenn es darum geht, dass wir darüber reden müssen,
ob wir da gegebenenfalls nachsteuern . Auch Sie kennen
den Grundsatz: Kein Gesetz geht so aus dem Bundestag
heraus, wie er hereingegangen ist . Insofern werden wir
das im Ausschuss noch beraten . Wir werden schauen, ob
es durchaus sinnvoll ist, die Ausschreibungen auf diesem
Gebiet abzuschaffen . Insofern sind wir da doch beiein-
ander .

Liebe Kollegin Kordula Schulz-Asche, ich finde es
immer sehr interessant, wenn Sie auf einige Punkte ein-
gehen und dann hier den Eindruck erwecken, als würde
da überhaupt nichts gemacht, Beispiel Vertraulichkeit des
Preises . Wir haben gesagt: Die Vertraulichkeit des Prei-
ses ist wichtig, weil sie Unternehmen im europaweiten
und im internationalen Kontext die Möglichkeit eröffnet,
Spielraum bei den Preisverhandlungen zu haben .


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe gesagt, Transparenz ist notwendig!)


Martina Stamm-Fibich






(A) (C)



(B) (D)


Das heißt, dass der entsprechende Preis nicht als Refe-
renzpreis herangezogen wird . Daher wundert mich, dass
gerade im Pharmadialog die Landesregierung in Rhein-
land-Pfalz, an der Rot-Grün beteiligt ist, sagt: „Die Ver-
traulichkeit des Preises ist wichtig“, während sich die
Grünen hierhinstellen und sagen: Das ist eine Sache, die
wollen wir überhaupt nicht . Das ist eine ganz schlimme
Sache . –


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, die einen haben Wirtschaftsförderung im Kopf, und wir haben Gesundheitsförderung im Kopf!)


Insofern sollten wir da ein bisschen ehrlicher werden .

Das Thema Umsatzschwelle ist hier angesprochen
worden . Wir müssen da die Kirche im Dorf lassen . Es ist
immer sehr interessant, zu sagen: Na ja, die Pharmaun-
ternehmen sollen zwar forschen; aber sie sollen kein
Geld verdienen . – Es ist hier ja schon mehrfach ange-
klungen, als es um die Einigung über die Höhe der Um-
satzschwelle ging: Darüber werden wir im Ausschuss si-
cherlich noch miteinander reden . Wenn man sich konkret
anschaut, welche Fälle das betrifft, dann stellt man fest,
dass die Prognosen und die Befürchtungen, die geäußert
worden sind, sich nicht bewahrheitet haben . Wir sollten
uns da ein bisschen ehrlicher machen .

Vielleicht noch etwas zu dem Punkt Transparenz .
Wir alle haben gesagt: Transparenz ist wichtig . – Auch
wir wollen Transparenz . Deshalb schaffen wir mit dem
AMVSG ein Arztinformationssystem, das ermöglicht,
dass jeder Arzt auf digitalem Weg genauer über Zusatz-
nutzen im Rahmen des Nutzenbewertungsverfahrens für
neue, innovative Produkte informiert wird . Das ist doch
ein Punkt, den auch Sie einmal positiv ansprechen kön-
nen . Die Frage der konkreten Ausgestaltung müssen wir
gegebenenfalls noch diskutieren; aber an sich ist das ein
guter Punkt .

Insofern schaffen wir mit dem AMVSG den Spagat
zwischen einer höheren Lebenserwartung, innovativen
Produkten, die schnell in die Regelversorgung eingehen
sollen, und dem Im-Auge-Behalten von Kosten auf der
anderen Seite . Lassen Sie uns im Ausschuss darüber dis-
kutieren . Unser Ausschussvorsitzender wird das in die
richtigen Bahnen leiten . Ich bin da guter Hoffnung .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819923300

Vielen Dank . – Interfraktionell wird Überweisung des

Gesetzentwurfs auf Drucksache 18/10208 an den Aus-
schuss für Gesundheit vorgeschlagen . Sind Sie damit
einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für die Angelegenheiten
der Europäischen Union (21 . Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Andrej Hunko, Azize

Tank, Katja Kipping, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion DIE LINKE

50 Jahre Europäische Sozialcharta – Deutsch-
lands Verpflichtungen einhalten und die Sozi-
alcharta weiterentwickeln

Drucksachen 18/4092, 18/10175

Für die Aussprache sind nach einer interfraktionellen
Vereinbarung 25 Minuten vorgesehen . – Ich sehe, Sie
sind damit einverstanden . Dann ist so beschlossen .

Ich darf Sie bitten, die Plätze zügig einzunehmen .

Dann gebe ich jetzt das Wort dem Kollegen Dr . Martin
Pätzold . – Sie sind jetzt dran .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Martin Pätzold (CDU):
Rede ID: ID1819923400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Es ist gut, dass wir heute noch einmal ab-
schließend über die Europäische Sozialcharta debattieren
und dass wir das Ganze mit dieser Lesung abschließen
können .

Die Diskussion hat gezeigt, dass die Europäische
Sozialcharta ein historischer Meilenstein war und dass
50 Jahre Europäische Sozialcharta ein guter Anlass war,
auf Wunsch der Linken darüber zu debattieren .

Wir haben uns das erste Mal am 26 . Februar 2015 hier
darüber ausgetauscht . Meine Kollegin Katrin Albsteiger
und ich haben in unseren Reden für die CDU/CSU-Frak-
tion deutlich gemacht, dass wir selbstverständlich offen
sind, darüber zu diskutieren, bei welcher Möglichkeit es
gegeben ist, die revidierte Fassung zu ratifizieren.

Wir hatten dann am 10 . Juli 2015 eine Anhörung im
Ausschuss für europäische Angelegenheiten . Dort haben
sich unterschiedliche Experten geäußert . Der DGB hat
die Hoffnung zum Ausdruck gebracht, zu einer Ratifizie-
rung zu kommen . Er hat aber in einzelnen Punkten un-
sere Kritik, auf die ich nachher noch inhaltlich eingehen
werde, auch bestätigt .

Herr Professor Michael Eilfort von der Stiftung
Marktwirtschaft hat herausgestellt, dass es bei der jetzi-
gen Ratifizierung nicht darum geht, ob man die sozialen
Errungenschaften akzeptiert oder nicht, sondern dass es
dabei wichtig ist, zu schauen, ob wir das auch in nationa-
les Recht übertragen können .

Am 28 . September 2016 haben wir im Ausschuss er-
neut darüber gesprochen, uns ausgetauscht und das ab-
gelehnt . Wir werden heute diese Entscheidung hier im
Deutschen Bundestag mit den Stimmen der Großen Ko-
alition treffen .

Gucken wir einmal in die Geschichte: 1964 hat die
Bundesrepublik Deutschland die Sozialcharta ratifiziert.
Das war damals ein wichtiger Schritt, weil man auf der
einen Seite wichtige Rechte definiert und festgehalten
hat, zum Beispiel das Recht auf Arbeit, das Streikrecht
und das Recht auf Gesundheit am Arbeitsplatz . Auf der
anderen Seite war das aber nicht nur für die Bundesrepu-
blik Deutschland, sondern auch für die Staaten des Eu-

Tino Sorge






(A) (C)



(B) (D)


roparates ein wichtiger Punkt für die Entwicklung einer
einheitlichen Sozialpolitik . Das muss man an dieser Stel-
le deutlich sehen .

1996 war es so weit, dass die Europäische Sozialchar-
ta revidiert wurde . Deutschland hat sie 2007 unterzeich-
net, aber bis heute noch nicht ratifiziert.


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Das ist der Punkt!)


33 von 45 Mitgliedstaaten haben das getan und 12 eben
nicht . Die Gründe dafür sind höchst unterschiedlich .
Dazu gehören Staaten wie Spanien, Griechenland und
Großbritannien . Die Gründe sind sehr individuell und,
wie gesagt, sehr unterschiedlich .

Wir haben nun einmal das Credo in der Bundesrepu-
blik Deutschland, dass wir internationale Abkommen nur
dann umsetzen, wenn wir sie glaubwürdig implementie-
ren und das, was dort vereinbart wurde, auch in das deut-
sche Recht übertragen können .

So haben die Debatten, die wir im Ausschuss geführt
haben – es gab auch eine Anhörung –, die wir hier im
Deutschen Bundestag geführt haben, deutlich gemacht –
das wird sich auch heute zeigen –, dass wir für die Fra-
ge des Diskriminierungsverbots, dafür, wie wir mit dem
Querschnittscharakter umgehen, noch keine vernünftige
Lösung haben .

Der zweite wichtige inhaltliche Punkt – da haben wir
inhaltlich eine andere Auffassung, ganz deutlich, als die,
die beispielsweise von Ihnen in der Debatte vertreten
wurde – ist die Frage: Wie gehen wir mit einem allgemei-
nen Streikrecht um? Wir haben in der Bundesrepublik
Deutschland kein Streikrecht für Beamte . Das wollen wir
auch nicht; da haben wir eine ganz klare Überzeugung .

So zeigt sich mit dem heutigen Tag, dass es, glaube
ich, wichtig und richtig war, diese Debatte zu führen .
Aber wir müssen schon feststellen, dass wir an dieser
Stelle noch nicht so weit sind, dass wir die Ratifizierung
vornehmen können . Deswegen werden wir als Unions-
fraktion den Antrag der Linken auch ablehnen .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819923500

Vielen Dank . – Jetzt darf die Linke mit Andrej Hunko

darauf antworten .


(Beifall bei der LINKEN)



Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819923600

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Es gab mal eine Zeit, in der Deutschland – der
Bundestag, die Bundesregierung – bei der Ratifizierung
internationaler Sozialverträge Vorreiter war, zum Beispiel
bei der Europäischen Sozialcharta in den 1960er-Jah-
ren – 1965 ist sie in Kraft getreten – oder auch bei den
ILO-Kernarbeitsnormen; damals war Deutschland Vor-
reiter . Mittlerweile ist die Bundesrepublik Bremser und

Schlusslicht . Das ist eine sehr traurige Entwicklung, die
wir deutlich kritisieren müssen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Europäische Sozialcharta und ihre Weiterentwick-
lung in der revidierten Fassung ist die wichtigste Veranke-
rung sozialer Rechte in einer internationalen Konvention .
1965 ist die Europäische Sozialcharta in Kraft getreten,
nachdem Deutschland sie als fünftes Land ratifiziert hat-
te . Wir hatten vor anderthalb Jahren eine Debatte zum
50 . Jahrestag . 1996 ist die revidierte Sozialcharta entwi-
ckelt worden, und 1999 ist sie in Kraft getreten . Das ist
jetzt fast 20 Jahre her . 2007, 8 Jahre nach Inkrafttreten,
hat die Große Koalition von SPD, CDU und CSU diese
revidierte Sozialcharta unterzeichnet . Jetzt, wiederum
fast 10 Jahre später, ist sie immer noch nicht ratifiziert.
Ich finde, das ist ein Armutszeugnis und das falsche Si-
gnal in die Welt .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn ich mir die Begründung anschaue, sehe ich: Es
kommt immer das Argument: Wir wollen nicht so wie
andere Staaten die Sozialcharta einfach nur ratifizieren –
Russland oder Aserbaidschan werden dann als Beispiel
erwähnt –, sondern wir wollen sie auch wirklich um-
setzen . – Aber der Grundgedanke dieser Konvention ist
nicht nur die Ratifizierung, sondern auch die Schaffung
von Umsetzungsinstrumenten . Dazu gibt es zum Beispiel
Zusatzprotokolle wie das Zusatzprotokoll über Kollek-
tivbeschwerden. Ich finde, hier sollten wir Vorreiter sein
und nicht hinterherhinken, uns nicht hinter anderen Staa-
ten verstecken, in denen zugegebenermaßen die soziale
Entwicklung schlechter ist, obwohl sie ratifiziert haben.

Ein weiteres Argument – Sie haben es gebracht, Herr
Pätzold – ist das mit dem Beamtenstreikrecht . Auch das
kam in der Anhörung zur Sprache . Das Beamtenstreik-
recht leitet sich – jedenfalls nach Ansicht des Experten,
der da geredet hat – schon aus der ursprünglichen Sozi-
alcharta ab . Es gibt im Augenblick auch entsprechende
Prozesse von der GEW, die in diese Richtung gehen . Das
hat mit der revidierten Fassung erst einmal nichts zu tun .

Dann kommt als Argument das sogenannte Diskrimi-
nierungsverbot . Da frage ich mich, wie man es in 20 Jah-
ren nicht schaffen kann, eine entsprechende Umsetzung
in die nationale Gesetzgebung zustande zu bringen . Mir
ist das völlig unverständlich . Das ist eine Argumentation,
die sowohl von der CDU/CSU als auch von der SPD an
den Tag gelegt wurde .

Sie haben vorhin gesagt, Herr Pätzold: Wir können
das Kapitel jetzt abschließen . – Das werden wir nicht
abschließen können . Wenn in dieser Legislaturperiode
nicht ratifiziert wird, bleibt die Situation, dass Deutsch-
land unterschrieben hat und irgendwann ratifizieren wird.

Wir werden weiter nerven . Ich denke, es ist gerade in
der gegenwärtigen Zeit angesichts der Desintegrations-
tendenzen, die es gibt und die zum Teil politische Gründe
haben, wichtig, dass die sozialen Rechte auf europäischer
Ebene gestärkt werden . Die Sozialcharta, ihre revidierte
Form und die Zusatzprotokolle sind das wichtigste Inst-

Dr. Martin Pätzold






(A) (C)



(B) (D)


rument . Ich denke, wir sollten sie stärken und hier nicht
weiter hinterherhinken .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819923700

Vielen Dank . – Nächste Rednerin für die SPD-Frakti-

on ist die Kollegin Angelika Glöckner .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Angelika Glöckner (SPD):
Rede ID: ID1819923800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Ich nehme es gleich vorweg: Ich bin sehr
froh, nach einem Tag wie gestern in diesem Hause über
die Europäische Sozialcharta zu debattieren; denn wir
reden heute hier über ein verbindliches Abkommen, das
der Bevölkerung umfassende soziale Rechte garantiert .
Das ist sehr wichtig; denn je mehr Menschen sich in ei-
ner Gesellschaft aufgenommen, wertgeschätzt und inte-
griert fühlen, desto größer ist ihr Zusammenhalt . Wenn
Menschen sich abgehängt fühlen oder perspektivlos sind,
dann kann dies dazu führen, dass sie ihr Vertrauen je-
nen schenken, die mit großen, vollmundigen Sprüchen
schnelle Lösungen propagieren . Ich glaube schon, dass
dies auch in Amerika ein wesentlicher Punkt dafür war,
der letztlich zum Wahlsieg Donald Trumps geführt hat –
und das, obwohl er einen sehr aggressiven und populisti-
schen Wahlkampf geführt hat .

Mit Blick auf unser Land ist es mir wichtig, diese De-
batte heute zum Anlass zu nehmen, den Menschen hier
aufzuzeigen, dass zur Stärkung ihrer sozialen Rechte in
dieser Legislatur, in dieser Koalition und unter maßgeb-
licher Beteiligung meiner Fraktion, der SPD, bereits eini-
ges auf den Weg gebracht wurde . Beispielhaft möchte ich
aufführen die Rente mit 63, verbesserte Pflegeleistungen
für Betroffene und ihre Angehörigen oder auch die Frau-
enquote . Es werden weitere Schritte folgen . Ich denke da
etwa an das Lohngerechtigkeitsgesetz oder Regelungen
zur Stärkung Alleinerziehender .

Jede dieser Maßnahmen unterstützt den wirtschaftli-
chen und sozialen Fortschritt in unserem Land. Ich finde
schon, dass es angebracht ist, darauf hinzuweisen, dass
sich die Ergebnisse sehen lassen können: niedrigste Ar-
beitslosenquote seit der Wiedervereinigung, die Renten
sind kräftig gestiegen, wir haben gute und stabile Wirt-
schaftszahlen . Mit Blick auf die Zukunft kann das nur be-
deuten, dass wir genau diesen Weg der Stärkung der so-
zialen Menschenrechte konsequent weitergehen müssen .


(Beifall bei der SPD)


Genauso konsequent ist es natürlich auch, die Eu-
ropäische Sozialcharta als umfassendes Regelwerk an
gesellschaftliche Entwicklungen anzupassen . Der An-
trag der Linken zielt darauf ab, die Bundesregierung
aufzufordern, einen Gesetzentwurf zur Ratifizierung der
überarbeiteten Form der Europäischen Sozialcharta vor-
zulegen . Ich sage ganz deutlich: Die Tatsache, dass die

Bundesregierung die erneuerte Fassung – Sie haben das
erwähnt – schon 2007 unterschrieben und damit natürlich
auch akzeptiert hat, und auch die Tatsache, dass damit
eine Stärkung der sozialen Menschenrechte einhergeht,
lassen gar nichts anderes als eine Ratifizierung zu.

Ich sage aber auch, dass ich Ihren Antrag für nicht
zustimmungsfähig halte, weil er in der Sache nicht
schlüssig ist . Beispielsweise wird darauf verwiesen, dass
Deutschland seinen Verpflichtungen nicht nachkomme,
etwa weil das Streikrecht nach wie vor nur auf das Errei-
chen eines Tarifabschlusses ausgelegt sei oder, wie Sie es
auch angeführt haben, nicht für Beamtinnen und Beamte
geöffnet sei .

Kolleginnen und Kollegen, ich kann nur sagen: Ich
war an unzähligen Streiks zur Durchsetzung von Arbeit-
nehmerrechten beteiligt und habe immer wieder die Er-
fahrung gemacht, dass wir gerade in Deutschland eine
sehr gute Streikkultur haben, nämlich Einsatz für Ar-
beitnehmerrechte, ohne dadurch gleich den ganzen Staat
durch Generalstreik – nichts anderes steckt dahinter –
lahmzulegen .

Das gilt auch für das Beamtenrecht bzw . für das
Streikrecht für Beamtinnen und Beamte . Hier sind un-
terschiedliche Maßstäbe anzulegen; denn was würden
Sie den Leuten auf der Straße erzählen, wenn bei einem
Amoklauf, einem Anschlag oder auch bei einem Ver-
kehrsunfall nicht ganz schnell genügend Einsatzpersonal
verfügbar wäre, weil ein Teil der Beamtenschaft gerade
im Streik ist?

Genauso wichtig finde ich auch, dass beitragsfinan-
zierte Sozialsysteme breit aufgestellt und abgesichert
sind, bevor man aus einem generellen Gleichbehand-
lungsgebot heraus einem nicht abschätzbaren Personen-
kreis uneingeschränkt Zugriffe gewährt, die zur Über-
lastung unserer Beitragssysteme führen würden . Das,
verehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken, kann
doch nicht in Ihrem Sinne sein, und schon gar nicht kann
es im Interesse unserer Bevölkerung sein .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde es daher auch sehr wichtig und richtig, dass die
Bundesregierung an solch wichtigen Punkten noch ein-
mal genauer hinschaut .

In Ihrem Antrag wird auch der Umstand nicht deutlich,
dass wir trotz des noch andauernden Prüfungsprozesses
fortwährend überall da, wo soziale Rechte umgesetzt
werden können, bereits vieles tun . Ich denke etwa an den
Mindestlohn, das Elterngeld Plus oder das Bundesteil-
habegesetz, das die Rechte vieler behinderter Menschen
stärken wird. Wenn Sie heute Ratifizierung einfordern,
dann frage ich mich schon: Wer oder was hindert Sie da-
ran, all diese Gesetzentwürfe ganz selbstverständlich zu
unterstützen, die doch die sozialen Rechte von Menschen
in unserem Land sehr deutlich stärken?

Ebenso halte ich es für sehr schwierig, dass Sie in
Ihrem Antrag Deutschland und Länder wie die Türkei,
Russland, Ungarn oder Aserbaidschan in einem Atem-
zug nennen . Sie verweisen darauf, dass all diese Länder
die überarbeitete Sozialcharta bereits ratifiziert haben,

Andrej Hunko






(A) (C)



(B) (D)


Deutschland hingegen nicht . So weit, so richtig . Was Sie
aber nicht sagen, ist, dass bei all diesen Ländern die Lis-
ten der Rechtsverletzungen immer länger werden .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das zeigt doch, dass allein eine Ratifikation nichts
nützt, wenn es am Ende bei bloßen Lippenbekenntnissen
bleibt . Gute Sozialpolitik äußert sich darin, dass bei der
Bevölkerung etwas ankommt, und nicht, dass auf einem
Stück Papier etwas steht, was am Ende nicht umgesetzt
werden kann . Bloße Versprechungen, die am Ende un-
erfüllt bleiben – das wissen Sie genauso gut –, erzeugen
nur Frust . Das ist mit der SPD nicht zu machen .


(Beifall bei der SPD)


Auch wenn ich heute empfehle, den Antrag der Lin-
ken abzulehnen, so freut es mich dennoch, dass Sie mit
Ihrem Antrag heute die Gelegenheit eröffnet haben, in
diesem Hohen Haus über den hohen Wert der sozialen
Menschenrechte zu debattieren . Ich verbinde es, wie
beim letzten Mal, einmal mehr mit der Empfehlung an
die Bundesregierung, dem Bundestag zeitnah einen Ge-
setzentwurf zur Ratifizierung vorzulegen.

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Also doch!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819923900

Vielen Dank . – Nächster Redner für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen ist der Kollege Dr . Wolfgang
Strengmann-Kuhn . Bitte schön .


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben diesen Antrag bereits am 26 . Februar 2015
hier im Plenum diskutiert . Das ist deutlich über andert-
halb Jahre her . Ich habe mir noch einmal das Protokoll
vorgenommen . Frau Glöckner, Sie haben es damals
schon ähnlich gesagt . Sie haben Ihre Rede damit been-
det, nachdem Sie gesagt haben, dass noch Dinge geprüft
werden müssen:

Diese Zeit möchte ich der Regierung und vor allem
auch dem Bundesministerium für Arbeit und Sozi-
ales unter Führung meiner Kollegin Andrea Nahles
zugestehen .

Dann kommt der letzte Satz:

Am Ende dieser Prüfung muss aber noch in dieser
Legislaturperiode ein Ergebnis stehen .

„Muss“ – die Legislaturperiode geht langsam zu Ende,
es wird allmählich Zeit, dass Sie diesem Parlament etwas
vorlegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es reicht nicht, es bei Lippenbekenntnissen zu belassen .
Zur sozialen Situation in Deutschland reicht es nicht, auf-
zuzählen, was man gemacht hat, sondern wichtig ist, was
am Ende herauskommt . Im nächsten Armuts- und Reich-

tumsbericht wird wahrscheinlich sehr deutlich, dass in
Deutschland die Schere zwischen Arm und Reich wei-
terhin auseinanderklafft, dass in Deutschland weiterhin
Millionen Kinder in Armut leben, dass die Altersarmut in
Deutschland steigt . Es gibt noch wahnsinnig viel zu tun .
Da darf man sich nicht rausreden und es nicht schönre-
den . Das reicht an dieser Stelle nicht, sondern man muss
etwas tun .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das gilt auch für die sozialen Menschenrechte und ein
soziales Europa . Wir müssen als Deutschland eigentlich
Vorreiter sein und nicht Schlusslicht . Es reicht nicht aus,
wenn man, wie es die Bundesministerin macht, in Sonn-
tagsreden oder in einem Gastbeitrag über das soziale
Europa redet, sondern man muss Butter bei die Fische
geben und tatsächlich voranschreiten . Das fängt bei uns
zu Hause an . Wir behandeln morgen zum Beispiel einen
Gesetzentwurf, mit dem der Zugang zu Sozialleistungen
für Unionsbürgerinnen und -bürger wiederum drastisch
eingeschränkt wird . Das geht genau in die falsche Rich-
tung; das ist das falsche Signal .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir müssen da in die andere Richtung gehen . Wir brau-
chen eine bessere Sicherung, wir brauchen mehr soziales
Europa .

Ich komme zu Vereinbarungen in der EU und erinne-
re an den EU-2020-Prozess, in dem ein Armutsbekämp-
fungsziel vereinbart worden ist . Die Bundesregierung
stellt sich einfach hin und sagt: Die dort festgelegten Ar-
mutsindikatoren kümmern uns nicht; wir wählen einen
eigenen Indikator . – Wir müssen uns auch an die Ver-
einbarungen in der Europäischen Union halten . Auch da
wünschte ich mir, dass Deutschland Vorreiter und nicht
Schlusslicht wäre –


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Andrej Hunko [DIE LINKE])


ganz abgesehen von vielen anderen Maßnahmen auf
europäischer Ebene, beispielsweise endlich dafür zu
sorgen, dass es eine Mindesteinkommensrichtlinie oder
Mindeststandards in den sozialen Sicherungssystemen
gibt . All das taucht in Reden immer mal wieder auf – in
der praktischen Politik fehlt es .

Die Probleme sind natürlich nicht allein durch die Ra-
tifizierung der Europäischen Sozialcharta zu lösen; da
haben Sie völlig recht . Aber was ist das für ein Signal,
dass wir die revidierte Fassung nach 20 Jahren immer
noch nicht ratifiziert haben? Was sagen wir der Türkei
und Russland, die sie ratifiziert haben, aber die Rechte
nicht umsetzen? Wir haben doch überhaupt kein Ar-
gument, wenn wir sagen: Ihr setzt das nicht um . – Die
können dann doch sagen: Ja, ihr ratifiziert das noch nicht
mal . – Es würde doch eine Stärkung unserer Position be-
deuten, wenn wir das endlich machten – deswegen noch
einmal der Appell . Es wäre ein starkes Symbol, wenn wir
das noch in dieser Legislaturperiode hinbekämen . Ich
richte die dringende Aufforderung an die Bundesregie-
rung, an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales,

Angelika Glöckner






(A) (C)



(B) (D)


etwas vorzulegen, damit wir die revidierte Europäische
Sozialcharta endlich ratifizieren können.

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819924000

Vielen Dank . – Die Debatte schließt jetzt Katrin

Albsteiger, CDU/CSU-Fraktion, ab . Bitte schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Katrin Albsteiger (CSU):
Rede ID: ID1819924100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Wir schauen in den Kalen-
der und sehen, es ist November . Und wie es so ist: Wenn
die kalte und dunkle Jahreszeit kommt, dann wirft das
Weihnachtsfest seinen Schatten voraus, dann erblickt
man in den Fenstern vielleicht wieder Lichtlein, die da
leuchten, dann sieht man in Geschäften, in Supermärk-
ten möglicherweise wieder Spekulatius oder auch Domi-
nosteine – die sind übrigens sehr lecker . Bald läuft auch
in den Geschäften wahrscheinlich wieder diese Musik,
die Weihnachtshits, die wir alle kennen . Wie komme ich
jetzt darauf? Weil ich beim Durchlesen dieses Antrags ir-
gendwie an den Weihnachtshit Alle Jahre wieder denken
musste .

Und so finden wir uns heute hier ein und behandeln
einen Antrag, den wir in genau dieser Fassung, mit exakt
diesem Wortlaut, vor über einem Jahr schon einmal hier
diskutiert haben .


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Erste, zweite und dritte Lesung!)


Auch damals hatte ich schon die Möglichkeit, im Plenum
darüber zu sprechen, und ich habe mir, ehrlich gesagt,
bei der Vorbereitung dieser Rede durchaus Gedanken da-
rüber gemacht, ob ich es nicht einfach der Fraktion Die
Linke gleichtue – im Übrigen liegt mir das ansonsten
sehr fern –, meine Rede aus der Mottenkiste hole und
exakt dieselbe Rede noch einmal halte; denn irgendwie
hat sich ja nicht allzu viel verändert, seitdem wir das letz-
te Mal darüber diskutiert haben .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das liegt an der Bundesregierung! – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Aber das liegt doch an eurer Regierung! – Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nehmen Sie sich ein Beispiel an Ihren beiden Kollegen! Die haben das mitgekriegt! – Zuruf von der CDU/CSU: Das hätte nicht mal ein Abgeordneter Mierscheid gewagt!)


Insofern könnte man sagen: Wir machen daraus eine
schöne Tradition und reden jedes Jahr wieder darüber,
so wie wir es auch mit dem alljährlichen Schauen der
Feuerzangenbowle machen . Aber ich will kein Spielver-
derber sein . Zumindest gibt es uns die Gelegenheit, heute
über dieses wichtige Thema durchaus ganz ernsthaft zu
diskutieren .

Als Ergänzung zur Europäischen Menschenrechtskon-
vention wurde die Europäische Sozialcharta als völker-
rechtlicher Vertrag im Jahr 1965 ratifiziert und ergänzt
seitdem die Europäische Menschenrechtskonvention . Sie
ist ein ganz wichtiges Dokument, um die sozialen Grund-
rechte zu garantieren .

Was sind die sozialen Grundrechte? Da gibt es viele
Dinge, bei denen wir uns in diesem Haus wahrscheinlich
relativ schnell darüber einig sind, dass sie wichtig sind,
sei es zum Beispiel das Recht auf Gesundheitsschutz für
Arbeitnehmer, sei es die berufliche Ausbildung für Be-
hinderte, oder seien es beispielsweise auch gerechte, si-
chere und gesunde Arbeitsbedingungen .

Genauso verhält es sich natürlich mit dem, was neu
vorgelegt worden ist: Die revidierte Fassung, die wir, wie
wir alle wissen – denn darüber diskutieren wir heute –,
noch nicht ratifiziert haben, ergänzt die Charta durchaus
auch um wichtige Rechte – da sind wir wahrscheinlich
einer Meinung –, beispielsweise um das Recht auf Ar-
beitslosenunterstützung oder auch den Schutz vor sexu-
eller Belästigung am Arbeitsplatz .

Aber es ist nun mal so – Frau Kollegin Glöckner hat
es ausgeführt –: Der Antrag als solcher – Sie haben die
Argumente genannt – ist auf der einen Seite nicht zu-
stimmungsfähig . Auf der anderen Seite ist es auch so,
dass wir vielleicht an der einen oder anderen Stelle – sei
es das Streikrecht, sei es das Diskriminierungsverbot –
schon Bedenken haben, dass es in der Fassung, in der es
da steht, ratifizierbar ist. Wir wollen ja auch glaubwürdig
sein . Wenn das Ministerium an dieser Stelle prüft und ir-
gendwie eine Lösung zu finden versucht, dann sollte das
doch in unser aller Interesse sein . Ob am Ende eine Rati-
fizierung in dieser Legislaturperiode steht, ganz ehrlich,
das kann ich Ihnen nicht sagen . Dafür ist dann die Bun-
desregierung zuständig . Aber wir können kein Interesse
an einer voreiligen Umsetzung haben,


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: 20 Jahre!)


daran, so halbwegs zu sagen: Im Großen und Ganzen
stimmen wir dem zu . Das haben wir im Übrigen mit der
Unterschrift getan. Aber wenn es um die Ratifizierung
geht, dann darf man schon mal ganz genau hinschauen .


(Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ladies Night kommt im Fernsehen, nicht im Bundestag!)


Wir hatten im Übrigen in den letzten Jahren auch
schon so ein Thema, beispielsweise das Antidiskrimi-
nierungsgesetz . Bei diesem Antidiskriminierungsgesetz
ist uns ein Fehler unterlaufen . Das muss an dieser Stelle
nicht wieder passieren . Da musste nachgebessert werden,
weil im Eifer des Gefechts und des guten Gedankens hin-
sichtlich dessen, was hier ratifiziert werden sollte, viel-
leicht nicht so ganz genau hingeschaut werden konnte .

Bei der Frage des Diskriminierungsbegriffs und des
Streikrechts – mein Kollege hat die Argumente bereits
ausgeführt – geht es letzten Endes wirklich darum, eine
echte Lösung für das Problem zu finden, das hier auf dem
Tisch liegt . Da sind wir Deutschen vielleicht etwas über-
korrekt . Da kann man uns nicht einfach mit Ländern in
einen Topf werfen wie die Türkei – darüber haben wir

Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn






(A) (C)



(B) (D)


heute schon ausgiebig diskutiert – oder Aserbaidschan
oder Russland . Wir sind halt anders . Man kann nicht alle
Länder über einen Kamm scheren . So kann man auch
nicht einfach sagen, jedes Land geht mit so einer Rati-
fizierung oder so einer Charta gleich um. Genau deshalb
ist ja die Liste der Rechtsverletzungen und der Kritik bei
anderen Ländern so lang und bei uns so kurz .

Wenn man Ihren Antrag anschaut, dann bekommt man
so ein bisschen den Eindruck, wir wären in Deutschland
ganz fürchterlich, was das Thema Sozialschutz angeht .
Dabei sind wir ein gutes Vorbild . Wir in Deutschland
sind international ein Synonym für gute soziale Rechte
und für ein gutes soziales Klima . Wir sind Vorreiter .

Was Sie wollen, wollen Sie nur mit einem Symbol
einer Ratifizierung und offensichtlich nicht durch echte
Politik .


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Das ist nicht bloß ein Symbol!)


Da haben wir Themen wie beispielsweise das Mutter-
schutzrecht . Da haben wir Themen wie den Kündigungs-
schutz . Wir haben das Thema Arbeitsschutzrecht . Das
sind alles wichtige Themen . Da sind wir ganz weit vorne
in Europa . Deswegen glaube ich, dass wir an dieser Stelle
vielleicht eher auf dem Weg nach praktikablen Lösungen
sein sollten. Wie gesagt, ob zum Schluss die Ratifizie-
rung steht, kann ich Ihnen nicht sagen . Möglicherweise
treffen wir uns in der nächsten Legislaturperiode wieder
hier und singen dann gemein das Lied Alle Jahre wieder .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Mit Mierscheid! – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Wir werden weiter nerven!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819924200

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für die Angelegenheiten der Europäischen Uni-
on zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Ti-
tel „50 Jahre Europäische Sozialcharta – Deutschlands
Verpflichtung einhalten und die Sozialcharta weiterent-
wickeln“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/10175, den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/4092 abzuleh-
nen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Opposition angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der von den Ver-
einten Nationen geführten Friedensmission
in Südsudan (UNMISS) auf Grundlage der
Resolution 1996 (2011) des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und
Folgeresolutionen, zuletzt 2304 (2016) vom
12. August 2016

Drucksache 18/10188
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich sehe kei-
nen Widerspruch . Dann ist so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort für die Bundes-
regierung hat der Staatsminister Michael Roth .


(Beifall bei der SPD)



Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1819924300

Guten Abend . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Die Menschen unseres Nachbarkontinents
Afrika sehnen sich nach Frieden und nach Stabilität . Wir,
liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten ihnen dabei, so
gut es geht, helfen; denn schließlich profitieren auch wir
in Europa davon. Jeder Konflikt in Afrika treibt mehr
Menschen in die Flucht und verstärkt damit auch die
Fluchtbewegung nach Europa über das Mittelmeer, und
was das für viel zu viele Menschen bedeutet, das wissen
wir leider nur allzu gut .

Einer dieser Brennpunkte in Afrika bleibt Südsudan .
Dort haben sich die Hoffnungen leider nicht erfüllt, die
wir vor einem Jahr in das Friedensabkommen gesetzt
haben . Ganz im Gegenteil: Im Juli mussten wir hefti-
ge Kämpfe in der Hauptstadt Juba beobachten, die mit
massiven Verletzungen der Menschenrechte und des hu-
manitären Völkerrechts einhergingen . Dabei kam es zu
zahlreichen Verbrechen und zu sexueller Gewalt gegen
Zivilisten – und das mitten im Zentrum der Hauptstadt .

Die neuerliche Eskalation der Gewalt hat einmal mehr
ins öffentliche Bewusstsein gerückt, wie sehr die Men-
schen im Südsudan seit langem unter diesem furchtbaren
Konflikt leiden. Die Zahlen sprechen für sich: Bei rund
12,5 Millionen Einwohnern gibt es 1,6 Millionen Bin-
nenvertriebene und mehr als 1 Million Flüchtlinge in den
Nachbarstaaten . 6 Millionen Menschen sind auf huma-
nitäre Hilfe angewiesen, davon 4,8 Millionen Menschen
auf Nahrungsmittelhilfe . Und auch die politische Lage
gibt keinerlei Anlass zur Hoffnung .

Von einer wirksamen Umsetzung des Friedensabkom-
mens von 2015 sind wir weit entfernt . Wir sehen bisher
zwar keine Rückkehr zu einem Bürgerkrieg – den hatten
wir schon, und das Land wurde furchtbar erschüttert –,
wir beobachten aber eine schleichende Zunahme lokal
begrenzter Kämpfe .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, genau in diesem
schwierigen Umfeld ist die Friedensmission der Ver-
einten Nationen UNMISS tätig, an der sich derzeit auch
15 deutsche Soldatinnen und Soldaten beteiligen . Ich
will Ihnen und der deutschen Öffentlichkeit gegenüber
nichts beschönigen: Es hat in den vergangenen Mona-
ten aus guten Gründen eine sehr kritische Debatte über
UNMISS gegeben; denn es hat bei der Mission Fehler

Katrin Albsteiger






(A) (C)



(B) (D)


und schwere Versäumnisse gegeben, die umfassend auf-
geklärt werden müssen .

Eine unabhängige Untersuchungskommission hat
UNMISS in ihrem jüngsten Bericht harsch kritisiert .
Demnach war die Mission auf die Krise im Juli nicht aus-
reichend vorbereitet, sodass in der Stunde der Not kein
Blauhelmsoldat zur Stelle war . Die Vorwürfe – und viele
von ihnen werden sich damit intensiv beschäftigt haben –
sind gravierend und erschütternd . Generalsekretär Ban
Ki-moon hat das genau so ausgedrückt und umgehend
den militärischen Leiter der Mission seines Amtes ent-
bunden . Aber das, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird
alleine nicht genügen .

Der Untersuchungsbericht enthält eine Vielzahl kon-
kreter Vorschläge, wie die Mission künftig besser aufge-
stellt werden kann . Der Generalsekretär Ban Ki-moon
hat selbst zugesagt, diese Pläne entschieden voranzutrei-
ben . Klar ist: Das oberste Ziel der Mission muss stets
der Schutz der Zivilisten sein . Das hat auch der UN-Si-
cherheitsrat bei der letzten Verlängerung des Mandats
am 12 . August 2016 verlangt, und das erwarten auch wir,
wenn wir unsere Beteiligung an UNMISS fortsetzen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es verdient Res-
pekt, mit welcher Transparenz und Schonungslosigkeit
die Vereinten Nationen eigene Defizite offengelegt und
die notwendigen Konsequenzen gezogen haben . Klar
ist aber auch: Wenn die Hilfeleistenden Fehler machen,
dann mindert das in keinster Weise die Verantwortung
der Täter . Verantwortlich für die Kampfhandlungen und
Gräueltaten sind die Konfliktparteien, und damit auch die
südsudanesische Regierung .

Nach wie vor legt Südsudan UNMISS viele Steine in
den Weg . Immer wieder wird die Mission in ihrer Be-
wegungsfreiheit unzulässig eingeschränkt, immer wieder
werden humanitäre Helfer und Nichtregierungsorganisa-
tionen in ihrer Arbeit behindert . Das ist nicht akzeptabel
und muss beendet werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist genauso inakzeptabel, dass, während der Si-
cherheitsrat am 12 . August 2016 die Verstärkung von
UNMISS um eine regionale Schutztruppe mit bis zu
4 000 Mann beschließt, die Regierung des Südsudan
eine unverantwortliche Hinhaltetaktik verfolgt – und das
wieder einmal auf Kosten der Zivilbevölkerung . Wir un-
terstützen die Vereinten Nationen in ihrer Aufforderung
an die Regierung in Juba: Die Regierung muss jetzt ihr
Einverständnis geben, dass die Sicherheitsratsresolu-
tion 2304 vollständig umgesetzt werden kann, damit
UNMISS endlich effektiv arbeiten und auch verstärkt
werden kann .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt fragen Sie sich
vielleicht, welche Rolle UNMISS und unsere Soldatin-
nen und Soldaten in dieser Lage spielen können . Die
Antwort gibt die notleidende Zivilbevölkerung im Süd-
sudan selbst . Immer mehr Menschen – mittlerweile sind

es über 200 000 – sind in die Schutzzonen der Vereinten
Nationen geflüchtet. Allein seit dem Sommer dieses Jah-
res ist die Zahl nochmals um 30 000 gestiegen . Diese
Menschen setzen ihre ganze Hoffnung darauf, dass wir
UNMISS gemeinsam stärken, damit die Mission ihre
Aufgaben künftig besser erfüllen kann . Sie setzen ihre
Hoffnung darauf, dass die internationale Gemeinschaft
den Druck auf Südsudan und alle Konfliktparteien, zu
einem politischen Friedensprozess zurückzukehren, auf-
rechterhält .

Es geht darum, dass wir Südsudan nicht schon fünf
Jahre nach seiner Unabhängigkeit aufgeben und im
Stich lassen . Dass wir das nicht tun, dafür stehen auch
die 35 Millionen Euro, die Deutschland in diesem und
im vergangenen Jahr für humanitäre Hilfsprojekte zur
Verfügung gestellt hat . Dafür steht unsere Entwicklungs-
zusammenarbeit, die wir, soweit das überhaupt möglich
ist, fortsetzen . Mit insgesamt 84 Millionen Euro sorgen
wir dafür, die unmittelbaren Folgen des Bürgerkriegs zu
lindern .

Mein Dank gilt den Soldatinnen und Soldaten, die im
Südsudan unter wahrlich schwierigen Bedingungen im
Einsatz sind .

Mit der Mandatsverlängerung setzen wir aber auch ein
politisches Signal . Wir stärken UNMISS in schwierigen
Zeiten den Rücken und unterstützen damit die weitere
Stabilisierung des Südsudan . Deshalb meine Bitte an Sie:
Machen Sie mit! Ich weiß, es ist nicht ganz einfach, aber
Sie können es aus guter Überzeugung tun .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819924400

Vielen Dank . – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der

Kollege Niema Movassat das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819924500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als ich

den Südsudan kurz vor seiner Unabhängigkeit 2011 be-
suchte, war im Land die Hoffnung auf eine friedliche und
bessere Zukunft groß . Doch schon damals haben viele
Experten gewarnt: Falle erst einmal der Sudan als Feind
weg, würden im Südsudan heftige interne Konflikte aus-
brechen . Die internationale Gemeinschaft hat damals
diese Warnungen ignoriert . Das war ein schwerer Fehler .
Seit drei Jahren tobt ein brutaler Machtkampf im Süd-
sudan zwischen dem Präsidenten und seinem früheren

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1819924600
50 000 Tote,
2 Millionen Flüchtlinge, fast die Hälfte der Bevölkerung
des Südsudan ist von Hunger bedroht .

Die Antwort der internationalen Gemeinschaft auf
diese schreckliche Lage ist der UNMISS-Einsatz . Aber
UNMISS versagt bei einer seiner zentralen Aufgaben,
dem Schutz der Zivilbevölkerung . Deshalb war und ist
UNMISS das falsche Instrument, um die Krise im Süd-
sudan zu bewältigen .


(Beifall bei der LINKEN)


Staatsminister Michael Roth






(A) (C)



(B) (D)


Ein Beispiel: Im Februar dieses Jahres eskalierte in
einem Lager für Binnenflüchtlinge in Malakal die Ge-
walt zwischen Mitgliedern verschiedener ethnischer
Gruppen . Regierungssoldaten beteiligten sich an den
Gewaltexzessen . Bis zu 65 Menschen wurden getötet .
29 000 Menschen flohen. Ein Bericht von Ärzte ohne
Grenzen stellt fest: UNMISS hat völlig versagt . Weder
gab es präventive Sicherheitsmaßnahmen noch eine Not-
fallreaktion auf den Gewaltausbruch .

Und vor wenigen Tagen sorgte ein UN-Bericht für neue
Negativschlagzeilen . Demnach sahen UNMISS-Soldaten
oft tatenlos zu, während vor ihren Augen Frauen verge-
waltigt, Menschen gefoltert und Kinder ermordet wur-
den . UN-Generalsekretär Ban Ki-moon zeigte sich an-
gesichts des Berichts tief erschüttert über das Verhalten
seiner eigenen Leute .

Fakt ist: Die Präsenz von 12 000 UN-Blauhelmsol-
daten konnte die Gewalt im Südsudan nicht stoppen .
Gleichzeitig verschlang sie ungeheure Finanzmittel .
Allein zwischen Juli 2013 und Juni 2014 kostete der
UNMISS-Einsatz circa 1 Milliarde US-Dollar .

Wir als Linke werden deshalb die Verlängerung und
die Ausweitung des UNMISS-Mandates ablehnen . Es ist
absurd und verantwortungslos, einen Militäreinsatz, der
versagt hat und extrem kostspielig ist, fortzuführen .


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt bin ich auf die Vorschläge gespannt!)


Stattdessen brauchen wir eine Stärkung ziviler Friedens-
maßnahmen . Sie sind wirkungsvoller und kosten nur
einen Bruchteil dessen, was der Einsatz von Soldaten
kostet .

Bereits 2014 haben wir beantragt, die nicht verbrauch-
ten Mittel für UNMISS im Bundeshaushalt – immerhin
waren das damals 1 Million Euro – für den unbewaffne-
ten Schutz von Zivilisten und für präventive Friedens-
arbeit einzusetzen . Sie, die Regierungsfraktionen, haben
damals diesen Antrag abgelehnt . Sie waren der Ansicht,
dass zivile Maßnahmen die Bevölkerung nicht schützen
würden . Doch die Realität ist eine andere: Es gibt be-
eindruckende zivile Projekte von Nichtregierungsorgani-
sationen im Südsudan, denen es immer wieder gelingt,
bewaffnete Angriffe auf Zivilisten zu stoppen – und das
ohne Waffengewalt .


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb ist unsere erste Kernforderung: Ziehen Sie die
Konsequenzen aus dem Versagen des Blauhelmeinsatzes,
beenden Sie die deutsche Beteiligung an UNMISS, und
fördern Sie stattdessen zivile Friedensmissionen und die
Flüchtlingshilfe!


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens . Setzen Sie die bilaterale Entwicklungszu-
sammenarbeit mit dem Südsudan aus! Das Regime von
Präsident Kiir überzieht das Land mit Blut und Gewalt
und bereichert sich gleichzeitig skrupellos . Während er
und seine Gegner oft im Ausland im Luxus leben, leidet

die eigene Bevölkerung . So ein Regime darf kein Partner
der Bundesregierung sein .


(Beifall bei der LINKEN)


Das gilt auch – damit bin ich bei meiner dritten Forde-
rung – für die Zusammenarbeit in Migrationsfragen . Ich
finde es ungeheuerlich, dass der Südsudan immer noch
Teil des GIZ-Vorhabens „Better Migration Management“
ist . Man macht sich mitschuldig an den Verbrechen eines
Regimes, wenn man mit diesem im Bereich der Migrati-
onsabwehr und der Grenzsicherung kooperiert . Beenden
Sie das!

Danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819924700

Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege

Michael Vietz, CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Vietz (CDU):
Rede ID: ID1819924800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir alle kennen Sisyphos . Der ewige Versuch, einen
Felsen auf einen Hügel hochzuwuchten, könnte im Süd-
sudan geradezu Pate gestanden haben, vor allem, wenn
man den hoffnungsvollen Beginn von vor fünf Jahren
noch im Hinterkopf hat . Aber wegzuschauen, wegzublei-
ben, Südsudan seinem Schicksal zu überlassen, ist keine
Option . Gerade jetzt ist unsere Beteiligung an der von
der UNO geführten Friedensmission notwendiger denn
je . Es geht um den Kernauftrag der Mission: den Schutz
der Zivilbevölkerung und die Wiederbelebung des Frie-
densprozesses .

Die schweren Unruhen und gewaltsamen Auseinan-
dersetzungen zwischen Regierungs- und Oppositions-
gruppen im Juli haben vor allem die Hauptstadtregion
um Juba erschüttert . Die eskalierende Gewalt richtete
sich gegen Zivilsten, auch gezielt gegen Mitarbeiter von
Hilfsorganisationen . Der Friedensprozess bleibt brüchig .
Zugleich ist aber das internationale Engagement, unser
Engagement, weiterhin notwendig .

Die humanitäre Situation im Südsudan ist dramatisch;
wir haben es gehört: Rund 5 Millionen Menschen, etwa
die Hälfte der Bevölkerung, sind auf Nahrungsmittelhil-
fen angewiesen . Im Land selbst sind etwa 1,6 Millionen
Binnenflüchtlinge unterwegs. 1 Million sind in die Nach-
barländer geflüchtet. Schätzungen der Kinderhilfswerke
gehen davon aus, dass nur etwa die Hälfte der Neugebo-
renen den ersten Monat überlebt . Auch die Müttersterb-
lichkeitsrate ist weltweit die höchste . So, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, sehen Fluchtursachen aus .

Kann sich wirklich jemand die Beilegung des Kon-
flikts mit all seinen Auswirkungen auf die Zivilbevölke-
rung ohne ein intensives Engagement der internationalen
Gemeinschaft auf vielfältige Art und Weise vorstellen?
Ich nicht . Das mühsam zustande gekommene Friedens-
abkommen vom August 2015 braucht zur Umsetzung
und Einhaltung internationale Unterstützung . Auch in
Zukunft werden wir hier mit Rat und Tat zur Seite stehen .

Niema Movassat






(A) (C)



(B) (D)


Hinzu kommen die internen Vorwürfe – Staatsminis-
ter Roth hat es ausführlich ausgeführt – von Führungs-
mängeln und Versäumnissen gegen den größten Trup-
pensteller von UNMISS . Gerade deshalb bleibt es aber
richtig und wichtig, dass wir die Mission im Südsudan
auch weiterhin begleiten .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Seit ihrem Beginn hat Deutschland die Mission mit Stab-
spersonal unterstützt, das Führungs-, Beratungs- und Be-
obachtungsaufgaben wahrnimmt .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819924900

Herr Kollege Vietz, ich muss Sie unterbrechen . Ge-

statten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Vogler?


Michael Vietz (CDU):
Rede ID: ID1819925000

Ich finde, sie kann nachher eine Kurzintervention ma-

chen; es gibt da ja viele Möglichkeiten .


(Peter Beyer [CDU/CSU]: Also nein!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819925100

Okay .


Michael Vietz (CDU):
Rede ID: ID1819925200

Hinzu kommen Hilfen für die truppenstellenden Nati-

onen bei technischer Ausrüstung und Ausbildung .

Die Herausforderungen sind weiter gewachsen . Der
Konflikt flammt in Wellen der Gewalt immer wieder auf
und wirft die Friedensbemühungen zurück . Unsere Poli-
zeiausbilder mussten im Juli evakuiert werden . Erst vor
kurzem konnte die deutsche Botschaft in Juba wieder be-
setzt werden . Das zeigt, wie fordernd dieser Einsatz, für
den ich all unseren beteiligten Soldatinnen und Soldaten
von ganzem Herzen danke, ist .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Niels Annen [SPD])


Sie dienen dort auch in unserem Interesse . Im Rahmen
von UNMISS leisten wir mit den Vereinten Nationen und
der Afrikanischen Union einen substanziellen Beitrag
zur Bewältigung des Konflikts. Kernaufgaben bleiben
der Schutz der Zivilbevölkerung und die Einhaltung der
Menschenrechte .

Es ist unglaublich mühsam, den Friedensprozess im
Südsudan voranzubringen . Der Beitrag Deutschlands ori-
entiert sich daher an den kontinuierlichen Bemühungen
der Bundesregierung um eine dauerhafte Konfliktbeile-
gung in der Region . Und UNMISS bietet die Chance, die
Gewaltspirale zu durchbrechen . Wir sind bereit, diese
Chance zu ergreifen, damit die Republik Südsudan ih-
rer Bevölkerung am Ende eine Perspektive in Sicherheit,
Frieden und Freiheit bieten kann . Deshalb wird die Koa-
lition dem Antrag der Bundesregierung zustimmen . Der
Südsudan braucht unsere Unterstützung, und Wegschau-
en ist keine Option .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819925300

Vielen Dank . – Die Kollegin Vogler hat um eine Kurz-

intervention gebeten . Bitte schön .


Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819925400

Vielen Dank . – Lieber Kollege Vietz, es ist klar, dass

wir in der Frage des Militäreinsatzes im Südsudan grund-
sätzlich nicht einer Auffassung sind . Trotzdem war ich
sehr entsetzt . Wir waren ja gemeinsam in New York bei
der UNO . Wir haben auch mit Verantwortlichen für den
UNMISS-Einsatz gesprochen, die sehr klare Worte ge-
funden haben . Dass Sie die Vergewaltigung einheimi-
scher Frauen durch UNO-Soldaten mit den Begriffen
„Führungsversagen“ und „Organisationsprobleme“ be-
schreiben, finde ich einfach nur unterirdisch. So kann
man damit nicht umgehen .


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist beschönigend, das ist verharmlosend, und das ist
ein Schlag ins Gesicht der Frauen, die da Opfer gewor-
den sind .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819925500

Herr Kollege Vietz, möchten Sie darauf antworten? –

Nein . Dann hat jetzt die Kollegin Agnieszka Brugger,
Bündnis 90/Die Grünen, das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vier Länder haben aktuell die höchste Krisenstufe bei
den Vereinten Nationen . Der Südsudan gehört schon seit
Jahren dazu . Die Menschen dort leiden unter brutaler Ge-
walt und Menschenrechtsverletzungen . 2 Millionen sind
auf der Flucht; täglich kommen Tausende hinzu . 5 Mil-
lionen Menschen haben keinen oder kaum Zugang zu
Nahrung .

Die Hauptschuldigen an dieser Gewalt sind die – man
kann es nicht anders sagen – Verbrecher Präsident Kirr
und sein früherer Stellvertreter, die ihren persönlichen
Machtkampf austragen und dabei skrupellos über Lei-
chen gehen . Ihnen fehlt jedes Verantwortungsgefühl für
die Menschen im Südsudan . Sie haben auch keine poli-
tische Idee im Hinblick auf eine friedliche Zukunft des
Landes . Man kann dem Generalsekretär der Vereinten
Nationen nur beipflichten, wenn er sagt, sie verhöhnen
jedes Versprechen auf Frieden . Seit 2013 gab es sieben –
sieben! – Friedensabkommen . Jedes wurde kurz nach der
Verabschiedung gebrochen, jede Einheitsregierung platz-
te in Rekordzeit, und die Gewaltspirale beginnt immer
wieder aufs Neue .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, daran konnte leider
auch die seit der Unabhängigkeit des Südsudan 2011 ent-
sandte Friedensmission UNMISS nicht viel ändern . Man
muss aber schon auch berücksichtigen: Die Vereinten

Michael Vietz






(A) (C)



(B) (D)


Nationen sind immer nur so stark wie sie von den Mit-
gliedstaaten unterstützt werden . Und die müssen auch an
dieser Stelle endlich mehr Druck ausüben . Die Sanktio-
nen sollten verschärft werden, und nicht nur die Europäi-
sche Union, sondern alle Staaten sollten endlich ein Waf-
fenembargo verhängen und nicht weiter dabei zuschauen,
wie sich diese Gewaltspirale immer weiter dreht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, nachdem immer
wieder Kritik an dieser Mission laut geworden ist, ist
eben die bereits erwähnte unabhängige Untersuchungs-
kommission durch den Generalsekretär der Vereinten
Nationen initiiert worden . Ja, die Ergebnisse waren er-
schütternd, die Zustände waren chaotisch, Zivilisten und
UN-Mitarbeiter wurden nicht ausreichend geschützt .
Man ist eben untätig geblieben, obwohl man die Hilferu-
fe bei einer Vergewaltigung gehört hat . Das ist natürlich
völlig inakzeptabel . Aber nun zu der Schlussfolgerung
zu kommen: „Das war es dann, die Mission funktioniert
nicht, wir beenden sie jetzt einfach“ das halten wir für
falsch; denn das hieße auch, die Menschen der brutalen
Gewalt zu überlassen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es liegt mir wirklich
völlig fern, diesen Bericht in irgendeiner Form zu relati-
vieren . Er muss auch gravierende Konsequenzen haben .
Die Entlassung des kenianischen Kommandeurs war ja
eine erste Konsequenz mit Signalwirkung . Es braucht
aber auch strukturelle und personelle Reformen, auch bei
anderen Friedensmissionen .

Dass UNMISS aber auch das leisten kann, was man
von einer Friedensmission erwartet, hat auf der anderen
Seite eine mutige Entscheidung vor fast drei Jahren ge-
zeigt: Wieder einmal war Gewalt im Land ausgebrochen,
einige sprachen von einem drohenden Völkermord, und
die damalige Leiterin der Mission Hilde Johnson ließ
in einer mutigen Entscheidung die Tore der Camps öff-
nen und hat damit wahrscheinlich hunderttausend Men-
schen das Leben gerettet. Auch heute befinden sich in
diesen Schutzzonen der Vereinten Nationen immer noch
200 000 Menschen . Meine Damen und Herren, die Mis-
sion zu beenden, hieße, diese 200 000 Menschen ohne
Schutz zu lassen . Auch aus diesem Grund, so meine
ich, geht es darum, an der Mission festzuhalten und die
schwerwiegenden Fehler dringend zu korrigieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Aber diese beiden Bewertungen zeigen auch: Der
Erfolg einer Mission hängt auch immer ein Stück weit
davon ab, welches Personal in sie entsandt wird und wie
man dann auch mit der Verantwortung umgeht . Es kann
nicht sein, dass Staaten über ihre Kontingente eigene In-
teressen verfolgen und den Auftrag der Friedensmission
der Vereinten Nationen ignorieren oder gar untergraben .

Aber auch die europäischen Staaten oder die USA müs-
sen sich durchaus kritisch fragen lassen, ob es ausreicht,
Schecks auszustellen, oder ob man zum Gelingen der
VN-Friedensmission vielleicht besser beitragen würde,
wenn man bereit wäre, selbst mehr qualifiziertes Perso-
nal zu stellen . Hier darf man sich nicht weiter so einen
schlanken Fuß machen .

Meine Damen und Herren, auch das passt ins Bild:
Die Bundesregierung schöpft die ohnehin sehr niedrige
Mandatsobergrenze von 50 Soldatinnen und Soldaten
nicht aus . Aktuell sind 14 in den Südsudan entsandt .

Herr Staatsminister Roth, Sie haben am Anfang Ihrer
Rede gesagt, wir sollten so viel helfen, wie wir können .
Da ist meine Rückfrage an die deutsche Bundesregierung
dann auch: Tun wir das? Ich glaube nicht, dass wir das
tun .


(Beifall des Abg . Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir könnten die Vereinten Nationen bei dieser schwieri-
gen Mission und die Menschen im Südsudan viel stärker
unterstützen . Damit meine ich nicht nur die Entsendung
von Soldatinnen und Soldaten, sondern angesichts der
humanitären Katastrophe auch noch mehr entwicklungs-
politische und zivile Anstrengungen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819925600

Vielen Dank . – Florian Hahn hat jetzt für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1819925700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Neben Syrien gibt es wohl derzeit kaum ein
deprimierenderes Thema, über das man sprechen kann,
als den Südsudan . Die Kollegen haben das ja allesamt
bereits dargelegt .

Viele große – man muss fast sagen: utopische – Hoff-
nungen waren mit der Unabhängigkeit 2011 verbunden .
Der jüngsten Nation der Welt in einem an sich nicht
armen Land sollte es auch an der Unterstützung durch
die internationale Gemeinschaft nicht fehlen . Milliarden
wurden investiert . Viele Unterstützer aus dem Ausland
kamen; auch gut ausgebildete Südsudanesen kehrten
zurück, um ein neues Land praktisch aus dem Nichts
aufzubauen . All diese Hoffnungen haben sich, wie wir
jetzt wissen, zerschlagen . Die Menschen sind statt im
Paradies zum Teil in der Hölle gelandet. Die Inflation
übersteigt 600 Prozent . Die verbreiteten Geißeln Kor-
ruption und Vetternwirtschaft verblassen hier gegenüber
dem tagtäglichen Leiden an Krieg, Entführungen, Ver-
gewaltigungen, Plünderungen, Zwangsrekrutierungen .
Kritische Journalisten werden gefoltert und ermordet .
Kinder fürchten, auf dem Weg zur Schule umgebracht zu
werden . Zurückkehrende sind völlig desillusioniert . Es
herrscht teilweise regelrechte Anarchie .

Agnieszka Brugger






(A) (C)



(B) (D)


Aber warum ist das Projekt Südsudan gescheitert?
Sicherlich vor allem anderen an der Unfähigkeit der po-
litischen Führung . Der wahrhaft wahnwitzige Egoismus
und die mörderischen Rivalitäten der ehemaligen Re-
bellenchefs haben das Land zugrunde gerichtet, bevor
es überhaupt das Kindesalter erreichen konnte . Ihnen
persönlich sind das Chaos und die Flucht von Millionen
Menschen anzulasten . Zahlreiche auf internationalen
Druck beschlossene Waffenstillstands- und Friedensab-
kommen haben sie gebrochen . Der Bürgerkrieg kostete
Zehntausenden Zivilisten das Leben .

Aber da wir heute über die Beteiligung an der
UNMISS-Truppe beraten, müssen auch die Verfehlungen
der Vereinten Nationen offen angesprochen werden . Ne-
ben dem fatalen Handeln der südsudanesischen Führung
haben sich auch die VN schuldig gemacht, im Wesentli-
chen durch Unterlassen . Aber im Allgemeinen steht auch
ein Unterlassen dem Tun gleich, wenn eine Pflicht zum
Handeln besteht .

Unvorstellbar auch die Vergewaltigungen von Ent-
wicklungshelferinnen im Juli dieses Jahres . An dieser
Stelle möchte ich einfach sagen: Ich glaube, dass nie-
mand in diesem Hohen Hause diese schrecklichen Vor-
fälle in irgendeiner Weise relativieren will . Deswegen
finde ich es, ehrlich gesagt, etwas unanständig, Frau Kol-
legin, wenn Sie das einem anderen Kollegen hier unter-
stellen . Ich glaube, das hat hier nichts zu suchen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Niema Movassat [DIE LINKE]: Dann muss er andere Worte wählen, die klar sind!)


Angesichts dieses Versagens ist man versucht, einen
Abbruch der Mission zu fordern . Aber was wäre die Fol-
ge? Wir würden die Menschen vollends im Stich lassen .
Ohne internationale Unterstützung können weder der
Konflikt beigelegt, noch die Zivilbevölkerung geschützt,
noch das Land wieder aufgebaut werden . Die VN-Missi-
on muss also bleiben . Sie muss aber auch stark verbessert
werden . Vorfälle wie im Juli dieses Jahres dürfen sich
nicht wiederholen . Welche ausländischen Mitarbeiter der
Entwicklungszusammenarbeit werden sich noch über-
zeugen lassen, in den Südsudan zu gehen, wenn es nicht
massive Fortschritte bei der Sicherheit gibt?

Wenn wir die Mission verbessern wollen, müssen wir
uns auch personell stärker beteiligen, oder wir müssen
uns an Ausbildungshilfe für VN-Truppen oder für regio-
nale Eingreiftruppen beteiligen, um das Niveau der Ein-
heiten entsprechend zu heben .

Was tut Deutschland bislang? Wir haben uns von An-
fang an am UNMISS-Einsatz beteiligt . 15 Soldaten sind
im Moment eingesetzt, überwiegend im Stabspersonal .
Unsere Beteiligung soll jetzt bis zum 31 . Dezember 2017
mit einer unveränderten Personalobergrenze von 50 Sol-
datinnen und Soldaten fortgesetzt werden . Das halte ich
auch für richtig . Wir dürfen in dieser kritischen Situation
nicht unsere Experten aus der Missionsführung abziehen .
Das würde eine Reform des Einsatzes noch schwieriger
machen . Unsere derzeit eingesetzten Kräfte werden die
Situation vor Ort nicht entscheidend verbessern; das ist
klar . Deutschland kann aber als Beteiligter an der Missi-

on seinen Einfluss besser geltend machen, um die Missi-
on umfassend zu reformieren .

Unsere militärische Beteiligung ist nur ein kleiner
Teil des deutschen Einsatzes für den Südsudan . Um das
Flüchtlingsleid zu lindern, hat Deutschland in den Haus-
haltsjahren 2015 und 2016 humanitäre Hilfsmaßnahmen
mit mehr als 35 Millionen Euro gefördert . Der Südsudan
ist auch Partnerland der deutschen Entwicklungszusam-
menarbeit . Seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges wurden
bislang 84 Millionen Euro für Hilfe bereitgestellt . Ange-
sichts der neuen Gewaltausbrüche in 2016 mussten al-
lerdings die entsandten Mitarbeiter der staatlichen deut-
schen Durchführungsorganisationen evakuiert werden .
Auch das zeigt die unbedingte Notwendigkeit einer ro-
busten Mission, die Sicherheit schafft und den Menschen
eine Atempause gibt, um einen Dialog zu beginnen und
dann ihr Land mit unserer Hilfe aufzubauen .

Wir sollten nicht alle Hoffnung fahren lassen, sondern
engagiert daran arbeiten, dass der Südsudan Schritt für
Schritt aus der Hölle wieder herausfinden kann.

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819925800

Vielen Dank . – Damit ist die Aussprache beendet .

Wir kommen zur Abstimmung . Zwischen den Frakti-
onen wurde vereinbart, dass die Drucksache 18/10188 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse über-
wiesen wird . Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe,
das ist der Fall . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Tressel, Nicole Maisch, Harald Ebner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Eine transparente Regionalkennzeichnung
einführen – Regionale Produktion, Verarbei-
tung und Vermarktung von Lebensmitteln
stärken

Drucksache 18/9544
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Auch hier sehe
ich bei Ihnen keinen Widerspruch . Dann ist so beschlos-
sen .

Ich bitte die Verbraucherschützer, jetzt ihre Plätze ein-
zunehmen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort hat Markus
Tressel, Bündnis 90/Die Grünen . – Bitte schön .


Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819925900

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Immer mehr Menschen kaufen Lebens-

Florian Hahn






(A) (C)



(B) (D)


mittel aus der Region . Sie wollen damit auch Verantwor-
tung für ihre Regionen übernehmen .

Regionale Produkte stehen für Geschmack und Qua-
lität, für Vielfalt und Auswahl . Sie schonen natürliche
Ressourcen und das Klima durch kurze Wege . Wer regi-
onal einkauft, unterstützt aber vor allem Unternehmen,
Arbeitsplätze und Wertschöpfung vor Ort: von den Be-
trieben der bäuerlichen Landwirtschaft über das Lebens-
mittelhandwerk bis zum regionalen Handel .

So entsteht eine geschlossene Wertschöpfungsket-
te, die Arbeitsplätze erhält und wirtschaftlich neuen
Schwung in ländliche Räume bringen kann . Wir müssen
deshalb Verbraucherinnen und Verbrauchern und den Re-
gionen gerecht werden . Deshalb ist unser Anspruch klar,
liebe Kolleginnen und Kollegen: Wo regional draufsteht,
muss auch ein regionales Produkt drin sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Längst sind regionale Lebensmittel keine Nischen-
produkte mehr . Damit wird Geld verdient, und so wächst
auch die Anzahl unterschiedlicher Siegel und Marken,
die mit Regionalität werben . Die Verbraucherzentralen
haben das im April dieses Jahres mit einer Studie gezeigt .
Viele dieser Siegel entsprechen nicht unserem Anspruch
an Regionalität . Was eine Region umfasst, ist subjektiv .
Deswegen halten viele Regionalangaben auf Etiket-
ten der genauen Prüfung nicht stand . Sie sind oft leere
Worthülsen .

Wann eine Bezeichnung wie „regional“ oder „von
hier“ zur Täuschung oder gar zum Betrug wird, bleibt
bisher immer eine Einzelfallentscheidung . Genau das ist
das Problem . Unser Ziel muss deshalb eine aussagekräf-
tige und transparente Regionalkennzeichnung sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Regionalfenster, 2012 eingeführt, verfolgt da-
her einen richtigen Ansatz, nämlich auf dem jeweiligen
Produkt anzugeben, woher die verwendeten Rohstoffe
stammen . Allerdings – auch das hat die Studie der Ver-
braucherzentralen gezeigt – gibt es weiter große Unter-
schiede, sowohl was den Anteil regionaler Rohstoffe als
auch was die tatsächlich zurückgelegten Kilometer der
Produkte – auch bei Produkten mit dem Regionalfens-
ter – angeht .

Kurzum, liebe Kolleginnen und Kollegen: Die Krite-
rien sind zu weich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Deswegen schlagen wir vor, hier nachzubessern . Wir
wollen beispielsweise die Großregion als mögliche Her-
kunftsangabe abschaffen . Das ist zu unbestimmt . Wir
wollen landwirtschaftliche Vorstufen mit einbeziehen,
den Mindestanteil regionaler Zutaten bei den verarbeite-
ten Produkten erhöhen und den Ort der Verarbeitung mit
aufnehmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber das löst am Ende noch nicht das Problem, dass es
Leute gibt, die mit Regionalität werben, ohne dass diese

tatsächlich beim Produkt gegeben ist . Dazu haben wir in
unserem Antrag vorgeschlagen, mit einer verpflichtenden
Positivkennzeichnung Transparenz im Siegel-Dschungel
herzustellen, ohne – das ist wichtig – ein weiteres Sie-
gel einzuführen und ohne zusätzliche Belastung kleiner
Betriebe .

Das bedeutet: Wer Angaben wie „aus der Region“
oder „von hier“ auf seinem Produkt verwenden will, der
wird dazu verpflichtet, anzugeben, was damit gemeint
ist . So kann der Verbraucher selbst entscheiden, ob diese
Angabe der eigenen Erwartung an ein regionales Produkt
entspricht, und so wird missbräuchlicher Nutzung des
Regionalbegriffs ein Riegel vorgeschoben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


So stärken wir die regionale ländliche Wirtschaft, schaf-
fen Perspektiven für den ländlichen Raum und schonen
die Umwelt .

Der vorliegende Antrag ist ein erster Schritt in diese
Richtung . Deswegen hoffe ich auf Ihre Unterstützung,
damit wir endlich vorankommen: im Interesse der Re-
gionen, der Betriebe und auch der Verbraucher dort . Ich
hoffe auf Ihre Unterstützung für diesen Antrag .

Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819926000

Vielen Dank . – Jetzt hat Marlene Mortler für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1819926100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenn es um
regionale Erzeugung, Verarbeitung und Vermarktung
geht, dann haben Sie mich sicherlich auf Ihrer Seite,
insbesondere heute, wenn es um transparente regionale
Kennzeichnung geht . Ich sage aber Ihnen, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, gleich
vorweg: Wer so respektlos über Landwirtschaft redet wie
Sie in den letzten Wochen und Monaten, hat es nicht ver-
dient, dass wir seinem Antrag zustimmen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo steht das denn im Antrag? – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut dem Markus Tressel jetzt aber weh!)


– Ihr wisst genau, was ich meine . Die Botschaft ist an-
gekommen .

Wo stehen wir in Sachen Regionalvermarktung? In
Bayern gibt es 175 Bauernmärkte . Die Hälfte aller Bau-
ernmärkte befindet sich also in Bayern. In Bayern gibt es
zudem über 50 zentrale Bauernladengeschäfte, 4 000 Di-
rektvermarkterinnen und Direktvermarkter sowie viele
Regionalinitiativen, die bei den Verbrauchern hohes Ver-
trauen genießen . Der Verbraucher hat also schon heute
die Wahl bzw . die Chance, dieses Angebot zu nutzen und
kleine Strukturen zu unterstützen . Bayern unterstützt

Markus Tressel






(A) (C)



(B) (D)


außerdem mit einem breiten Maßnahmenpaket ein kos-
tenloses Internetportal, das über Bauernmärkte, Regio-
nalinitiativen und Gastroportale, also über die Zusam-
menarbeit von Gastronomen und Anbietern regionaler
Produkte, informiert .


(Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat mit dem Antrag gar nichts zu tun!)


Damit bin ich bei Ihrem Antrag .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wie wir wissen, ist das Regionalfenster damals von Ilse
Aigner eingeführt worden . Das war ein guter Ansatz und
ein wichtiger Schritt in Richtung Kennzeichnung .


(Beifall bei der CDU/CSU – Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich gesagt!)


Ich gebe gerne zu, dass es sich um ein reines Herkunfts-
kennzeichen handelt . Es macht keinerlei Aussagen zur
Qualität; auch das gehört zur Wahrheit .

Ich gebe Ihnen recht, wenn Sie darauf hinweisen, dass
der Anteil regionaler Rohstoffe bislang zu niedrig ist . Im
Moment beträgt er 51 Prozent . Sie fordern 70 Prozent .
Da haben Sie mich durchaus auf Ihrer Seite . Das Insti-
tut für Demoskopie in Allensbach hat kürzlich veröffent-
licht, dass der Anteil der Verbraucherinnen und Verbrau-
cher, die sich für nachhaltige Produktion aussprechen
und der Regionalität eine große Bedeutung beimessen,
im Vergleichszeitraum von 2009 bis 2015 von 42 auf
51 Prozent gestiegen ist . Zu ähnlichen Erkenntnissen
kommt der Ernährungsreport des BMEL . Danach legen
76 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher Wert
auf regionale Lebensmittel .

Wir haben die Vorteile gehört: kurze Wege, mehr Fri-
sche und Vielfalt sowie Transparenz . Aber Hand aufs
Herz: Wer von uns kauft denn regelmäßig regionale Pro-
dukte ein? Bin ich die Einzige?


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich auch!)


Es gibt noch immer eine große Kluft zwischen Reden
und Handeln . Deshalb sind wir in Bayern einen eigenen
Weg gegangen . Es gibt in Bayern ein umfassendes Sys-
tem mit zwei Siegeln, die aussagekräftig und transparent
sind . Sie sind transparent, weil die Qualitäts- und Her-
kunftssicherungssysteme sichtbar sind . Das Siegel „Ge-
prüfte Qualität – Bayern“ und das bayerische Biosiegel
ermöglichen es dem Verbraucher, zu beweisen, dass er es
mit regionalen Produkten ernst meint; das ist überfällig .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es wird vom LEH stark nachgefragt . Es wird auch vom
Verbraucher stark nachgefragt . Das ist zwar eine Mo-
mentaufnahme . Aber für mich ist wichtig: Es ist klar
definiert, objektiv neutral, es ist kontrolliert, und die
Herkunft und die Verarbeitung der Rohstoffe müssen
durchgängig und zu 100 Prozent aus Bayern kommen .

Ich weiß, dass es das auch in anderen Bundesländern
gibt, allerdings längst nicht flächendeckend. Deshalb ist
meine Forderung: Erstens . Jedes Bundesland soll erst
einmal seine Hausaufgaben machen . Zweitens . Es ist si-
cherlich an der Zeit, dass das BMEL die Weiterentwick-
lung des Regionalfensters wissenschaftlich überprüft


(Lachen der Abg . Petra Crone [SPD])


– nicht mit Gelächter; da kommt man zu keinem guten
Ergebnis –, und zwar seriös . Auf dieser Basis werden wir
entscheiden, inwieweit wir dieses Regionalfenster ver-
bessern . Aber das muss dann mit Respekt und nicht mit
Klamauk geschehen .


(Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Frage ist, wer hier den größeren Klamauk gemacht hat!)


Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819926200

Danke schön . – Jetzt hat für die Fraktion Die Linke

Karin Binder das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819926300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Frau Mortler, hinter Ihren Hinweis, wer diese Debatte
mit Klamauk begleitet, setze ich ein großes Fragezei-
chen. Ich finde, der Antrag der Grünen ist sehr ernst zu
nehmen, und ich finde auch richtig gut, dass man sich
darüber qualifiziert unterhält, und zwar ohne eine solche
Polemik, wie Sie sie hier gezeigt haben .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher
legen Wert darauf, beim Lebensmittel-Einkauf die
Landwirtschaft in ihrer Region zu unterstützen


(Marlene Mortler [CDU/CSU]: Ach!)


und regionale Arbeitsplätze zu sichern . Für viele
Käufer spielen auch kurze Transportwege und da-
mit mehr Klimaschutz eine Rolle bei der Kaufent-
scheidung .

Besser könnte ich es nicht sagen . Das steht so auf der
Seite des Bundesministeriums für Ernährung und Land-
wirtschaft .


(Zuruf der Abg . Marlene Mortler [CDU/ CSU])


– Sie haben recht: Da steht vieles, was richtig ist . – Das
Problem ist nur: In der Konsequenz fehlt leider die Si-
cherheit für Verbraucherinnen und Verbraucher, dass
überall da, wo „regional“ draufsteht, auch wirklich re-
gional drin ist .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Marlene Mortler






(A) (C)



(B) (D)


Es geht damit los, dass mindestens 51 Prozent eines
Produktes aus regionalen Rohstoffen bestehen müssen .
Bitte schön, warum nur 51 Prozent? Ich kapiere das gar
nicht . „Regional“ heißt für mich: Das kommt aus der
Region. Daher finde ich es notwendig, dass mindestens
70 Prozent, wenn nicht sogar 100 Prozent des Produktes
aus regionalen Rohstoffen bestehen . Ich gebe zu: Manche
Gewürze und andere Zutaten dürfen auch woanders her-
kommen . Das ist aber nichts, was die Umwelt nachhaltig
schädigen könnte . Kurze Transportwege, damit regionale
Kreisläufe, regionale Landwirtschaft, regionaler Handel
und regionale Vermarktung stattfinden können, wodurch
Nachhaltigkeit gewährleistet wird – ich glaube, das sollte
unser aller Anliegen sein .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ganz nebenbei erreichen wir damit faire Preise . Ich
behaupte eins: Mit Regionalität wird das Geld tatsächlich
bei denen ankommen, die für die Erzeugung zuständig
sind . Das steht im Gegensatz zu Produkten, die weltweit
gehandelt werden . Wenn etwas dreimal um den Globus
transportiert wird, dann kommt das Geld nicht beim Er-
zeuger an – das wissen wir alle –, egal ob etwas in Bang-
ladesch, in Indien oder hier vor Ort erzeugt wird, sondern
das Geld landet irgendwo im Bereich Speditionen, Mar-
keting oder sonst wo . Das kann uns doch nicht egal sein .
Deshalb finde ich es richtig, dass der Antrag der Grünen
heute hier diskutiert wird, und zwar ernsthaft .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kurze Wege zwischen Acker und Verkaufsregal be-
deuten Umweltschutz, bedeuten Klimaschutz, bedeuten
Verbraucherschutz und bedeuten Tierschutz . Das ist doch
ein ganz wesentlicher Aspekt . Deshalb muss auch dieses
Regionalsiegel verbindlich sein, und es darf nicht eine
Fülle von Siegeln geben, die einmal geprüft, einmal nicht
geprüft werden und ein anderes Mal einfach ein Marke-
ting-Gag sind . Wir brauchen hier eine ernsthafte Behand-
lung . Wir brauchen eine Vorgabe . Als „regional“ darf
wirklich nur das bezeichnet werden, was auch dement-
sprechend geprüft wurde; denn alles andere ist Beschiss
am Verbraucher und pure Geldmacherei. Ich finde, das
sollte man hier im Hohen Hause nicht unterstützen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte jetzt ungern wieder den Schwarzwälder
Schinken bemühen; aber man muss sich trotzdem einmal
vergegenwärtigen, dass all die Leute, die Schwarzwäl-
der Schinken kaufen und glauben, er komme tatsächlich
aus dem Schwarzwald, schlichtweg enttäuscht sein müs-
sen, weil die verarbeiteten Schweinekeulen eine weite
Reise hinter sich haben, zumindest in 90 Prozent aller
Fälle. Ich finde, dann darf das maximal „Schinken nach
Schwarzwälder Art“ heißen, aber nicht „Schwarzwälder
Schinken“ .

Es gibt ganz viele andere Beispiele, die zeigen, wie
getrickst und getäuscht wird . Ich meine, wir sollten
dem endlich einen Riegel vorschieben, indem man die

Kennzeichnung „Regionalität“ auch wirklich gesetzlich
schützt .

Vielen Dank, meine Damen und Herren . Wir werden
uns weiter beraten .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819926400

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt

Dr . Karin Thissen .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Karin Thissen (SPD):
Rede ID: ID1819926500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Regional ist
das neue Bio . Aus Umfragen und Studien zum Ernäh-
rungsverhalten wissen wir, dass die Mehrheit der Ver-
braucherinnen und Verbraucher möglichst Lebensmittel
aus der Region kaufen möchte . Das gilt vor allen Dingen
für frische Produkte wie Fleisch, Milch, Eier, Obst und
Gemüse .

Viele Menschen verbinden mit regionalen Lebensmit-
teln höhere Qualität und nachhaltige Erzeugung . Außer-
dem – das wird immer wichtiger – wollen viele mit ih-
rem Kaufverhalten die regionale Wirtschaft stärken und
gerade die kleinen Betriebe aus der Gegend, in der sie
leben, unterstützen; denn der große Vorteil von regiona-
ler Lebensmittelproduktion und -vermarktung ist, dass
sie die Anonymität zwischen Produzenten und Verbrau-
chern auflöst. Durch den unmittelbaren Kontakt entsteht
Verständnis für die Bedürfnisse des jeweils anderen .
Regionale Verbundenheit führt zu mehr Solidarität in-
nerhalb und mit der Region und damit zu einer Stärkung
des ländlichen Raumes, die man nicht gering einschätzen
sollte .

Was ebenfalls wichtig ist: Verbraucherinnen und Ver-
braucher, die ihre Kaufentscheidung auf solche Überle-
gungen stützen, sind immer auch bereit, für gute Lebens-
mittel aus der Region gute Preise zu bezahlen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist die gute Nachricht für all diejenigen, die mit viel
Leidenschaft und Engagement ebendiese Lebensmittel
erzeugen .

Die nicht so gute Nachricht ist, dass regional erzeugte
Lebensmittel für den Verbraucher nur schwer zu erken-
nen sind . Das unter Ministerin Aigner entwickelte Regi-
onalfenster hat daran nichts geändert . Wir von der SPD
haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass wir dieses
Siegel wenig hilfreich finden.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Karin Binder [DIE LINKE])


Deswegen finden wir Forderungen, die da lauten „Besse-
res, verlässlicheres Regionalsiegel“ oder „Irreführender
Werbung einen Riegel vorschieben“ immer gut .

Karin Binder






(A) (C)



(B) (D)


Allerdings bin ich der Meinung, dass sich Regionalität
nicht allein durch ein bundesweites Label auszeichnet,
sondern durch klare, eindeutige und transparente Kenn-
zeichnung, und zwar für alle Lebensmittel .


(Beifall bei der SPD)


Wie wir dahin kommen und wie das aussehen könnte,
das loten wir gerade mit unserem Koalitionspartner aus .


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, da sind wir ja gespannt!)


Dazu haben wir von der SPD zum Beispiel eine For-
derung im aktuellen Haushalt für den Bundesverband
der Regionalbewegung. Außerdem, finde ich, brauchen
wir alle noch ein paar Erkenntnisse aus der Verbraucher-
forschung, nämlich: Wie lassen sich Verbrauchererwar-
tungen und die Definition von Regionalität in Einklang
bringen?

Ich glaube, beim Thema transparente Regionalkenn-
zeichnung sind wir alle gar nicht so weit voneinander
entfernt . Allerdings: Der Teufel steckt im Detail . Wir
von der SPD sind der Meinung, dass ein Regionalfenster,
auch ein reformiertes, nicht die Lösung in Sachen Kenn-
zeichnung ist .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Aber wir begrüßen grundsätzlich die Diskussion darüber
und sind gerne bereit, uns notfalls auch bis spät in die
Nacht diesbezüglich mit Ihnen auszutauschen .

Vielen Dank fürs Zuhören .


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819926600

Vielen Dank . – Jetzt hat Katharina Landgraf, CDU/

CSU-Fraktion, das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Katharina Landgraf (CDU):
Rede ID: ID1819926700

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Regional-
kennzeichnung – ja. Auch wir sind dafür, auch ich finde
das gut . Ich möchte jetzt aber die Begeisterung für regio-
nale Produkte nicht wiederholen, sondern zusammenfas-
sen und mich dabei kurzfassen .

Wichtig ist: Wir brauchen erst einmal eine Definition:
Was ist eigentlich „regional“? Wir brauchen, klar geord-
net, ein Siegel oder ein Label . Da muss zu erkennen sein:
Was sind die Hauptzutaten? Woher kommen diese? Wo
wurde abgepackt?

Das Regionalfenster finde ich gut, aber es muss wei-
terentwickelt werden; das wissen wir auch . Ich weiß,
dass schon eine wissenschaftliche Überprüfung angelei-
ert wurde . Wir sind gespannt auf die Resultate; denn wir
erarbeiten gemeinsam einen Koalitionsantrag . Auch wir
freuen uns schon auf die Zusammenarbeit mit den Kol-
leginnen und Kollegen; ich denke, das wird gar nicht so
schwer .

Wichtig ist mir jetzt, dass es zu einer freiwilligen
Kennzeichnung kommt, dass wir nicht so viel gesetzlich
verpflichtend und damit bürokratisch gestalten. Es muss
gut machbar sein, sowohl bei der Zertifizierung wie auch
bei der Kontrolle . Es muss übersichtlich sein, lesbar für
die Kunden, wobei Verbrauchertäuschung ausgeschlos-
sen werden muss; das ist schwierig genug . Ein Blick in
die Zukunft: Schön wäre auch ein Code, aus dem ich mit
meinem Handy und einer entsprechenden App erkennen
kann, woher das Produkt tatsächlich kommt . Das ist si-
cher denkbar und in der Zukunft möglich .

Ich fasse zusammen: Für die Verbraucher soll es bes-
ser und leichter werden, und damit können wir Produzen-
ten und Verarbeiter in den Regionen stärken . Das, denke
ich, ist unser aller Ziel .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819926800

Vielen Dank . – Dann hat jetzt Willi Brase, SPD-Frak-

tion, die Gelegenheit, die Aussprache zu beenden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1819926900

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Ich freue mich, dass ich schon zu Beginn der Rede
so viel Beifall erhalte . – Da alle gesagt haben, dass es
eine tolle Sache ist, was wir mit Regionalität und regio-
nalen Produkten machen, will ich das gar nicht wiederho-
len . Ich habe nur ein bisschen Sorge, dass wir an der ei-
nen oder anderen Stelle zu viel regeln . Vielleicht sollten
wir den Menschen und den Erzeugern in den Regionen
zutrauen, dass sie das eine oder andere vernünftig und
sachlich regeln . Ich halte das schon für sehr geboten .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Im Antrag der Grünen wird nicht nur, wie eben darge-
stellt, die Frage der Regionalität angesprochen; es geht
auch um regionale Vermarktungsstrategien . Wenn wir
einmal das betrachten, was die Bundesregierung schon
macht, dann erkennen wir: Wir können einiges umsetzen .

Wir können über die GAK Erzeugerstrategien, Re-
gionalität, Regionalfenster und Ähnliches fördern . Wir
können das auch über das BULE, das Bundesprogramm
„Ländliche Entwicklung“, machen . Ich habe gehört:
BULE wird heute Nacht wahrscheinlich noch einen
Zuwachs erfahren; das finde ich ganz toll. Sie wissen,
dass so etwas in den Haushaltsrunden zum Schluss im
Rahmen der Bereinigungssitzung erfolgt . Vom Bundes-
ministerium für Umwelt und Bau, vom Haus Hendricks,
gibt es die Initiative Ländliche Infrastruktur . Auch da-
rüber kann man etwas auf den Weg bringen . Wir haben
die Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe GRW . Damit
können wir Länderprogramme zur Markteinführung von
innovativen regionalen Produkten unterstützen und so
etwas auf den Weg bringen . Das heißt: Wir haben genü-
gend Instrumente, und es wäre schön, wenn diese Instru-
mente in den Regionen genutzt würden .

Dr. Karin Thissen






(A) (C)



(B) (D)


In meiner Heimat gibt es ein schönes Beispiel – das
darf ich heute Abend nicht vergessen –: das Regionalre-
gal . Im Rahmen dieser Initiative werden Kaffeeröstun-
gen, Schokolade, Pestos, Gewürze, Marmelade aus regi-
onalen Früchten in speziellen Regalen angeboten .


(Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Typisch regional!)


So etwas habe ich selbst in einem Möbelladen gesehen .
Ich habe mich gewundert, aber dann überlegt: Es ist doch
toll, wenn Menschen von sich aus sagen: Wir erzeugen
etwas Schönes in der Region, und das wollen wir auf den
Markt bringen .


(Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Regionalkaffee!)


Die Konsumenten und die Menschen freuen sich auch .
Ich finde, das ist ein guter Weg, liebe Kolleginnen und
Kollegen .


(Beifall bei der SPD)


Lassen Sie mich noch einen Punkt nennen . Für uns
bedeutet regionale Wertschöpfung natürlich auch Weiter-
entwicklung unserer Region . Die Regionen sind, gerade
was die landwirtschaftlichen Erzeugnisse angeht, viel-
fach Zulieferer für die Städte, für die Urbanität . Wenn
wir da noch ein paar Wege verbessern, wenn wir da noch
ein paar mehr Chancen eröffnen, mehr Möglichkeiten ge-
ben, machen wir es richtig .

Ich freue mich auch auf die Diskussion . Ich werde ein
bisschen schauen, dass wir nicht zu viel regeln; denn das
haben wir in diesem Land schon reichlich gemacht .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Katharina Landgraf [CDU/CSU]: Das finde ich auch!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819927000

Vielen Dank, Herr Brase . Das war eine Punktlan-

dung . – Auch hier wurde zwischen den Fraktionen ver-
einbart, die Vorlage auf Drucksache 18/9544 an den
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft zu über-
weisen . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden . Dann
ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Ope-
ration in Darfur (UNAMID) auf Grundlage
der Resolution 1769 (2007) des Sicherheits-
rates der Vereinten Nationen vom 31. Juli
2007 und folgender Resolutionen, zuletzt 2296

(2016) vom 29. Juni 2016


Drucksache 18/10189
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Auch dazu
höre ich hier keinen Widerspruch . Dann ist so beschlos-
sen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort für die Bun-
desregierung hat der Parlamentarische Staatssekretär
Dr . Ralf Brauksiepe .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


D
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU):
Rede ID: ID1819927100


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Missionen in Afrika, unserem Nachbarkontinent, sind
besonders herausfordernd; da gibt es nichts schönzure-
den . Aber sie sind eben auch wichtig . Das hat die Debatte
über das UNMISS-Mandat im Südsudan deutlich heraus-
gestellt . Das gilt auch für das UNAMID-Mandat, über
das wir jetzt debattieren .

Die humanitäre Lage im Sudan ist aufgrund des an-
dauernden Konfliktes unverändert prekär. Ich konnte
bzw . musste mich vor einigen Monaten dort bei meinen
Gesprächen mit der politischen und militärischen Missi-
onsleitung vor Ort selbst davon überzeugen .

Die Zahl der Menschen, die in der Region Darfur auf
humanitäre Hilfe angewiesen sind, bleibt mit mehr als
5 Millionen besorgniserregend hoch . Mehr als 2 Millio-
nen Kinder sind akut unterernährt . Die hohe Anzahl von
Binnenvertriebenen in Darfur sowie die rund 370 000
Flüchtlinge aus Nachbarstaaten, die sich aktuell im Su-
dan aufhalten, verschärfen die humanitäre Lage zusätz-
lich . Der Sudan fungiert zudem weiterhin als Haupt-
transitland für Migrationsströme aus Äthiopien, Eritrea
und Somalia, die über Libyen und Ägypten nach Europa
kommen .

Auch die Menschenrechtslage bleibt unverändert kri-
tisch . Massive Gewaltanwendung gegen Zivilpersonen,
Entführungen, sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kin-
der, willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen sind
leider immer noch an der Tagesordnung . Darüber hinaus
kommt es immer wieder zu Kampfhandlungen zwischen
der regulären Armee und Rebellen sowie zu gewaltsa-
men Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen
Milizgruppierungen .

Das im Jahr 2011 geschlossene Friedensabkommen
von Doha hatte leider immer wieder Rückschläge zu ver-
kraften . Aber dennoch gilt es, dies weiter unter der Be-
gleitung der internationalen Gemeinschaft umzusetzen,
wobei wir um die Herausforderung der Mission wissen,
die selbst Ziel von Angriffen war und immer noch ist .
Seit ihrer Einrichtung haben über 70 Peacekeeper ge-
waltsam ihr Leben gelassen . Das in diesem Jahr unter
Vermittlungsbemühungen der Afrikanischen Union zwi-
schen der sudanesischen Regierung und Teilen der Oppo-
sition unterzeichnete Abkommen „Roadmap Agreement

Willi Brase






(A) (C)



(B) (D)


for Peace and Dialogue“ kann aber immerhin als ein ers-
tes positives Signal gewertet werden .

In Anbetracht dieser bedrückenden Gesamtsituation
bleibt UNAMID ein unverzichtbarer Faktor in der Re-
gion . Diese Mission wird weiterhin gebraucht . Nur dank
UNAMID war es zivilgesellschaftlichen Gruppen über-
haupt erst möglich, im Rahmen des Darfur-internen Di-
alogs Gehör zu erhalten . Hinzu kommt, dass UNAMID
durch die Schaffung von Schutzzonen einen zentralen
Beitrag für die ansonsten schutzlose Zivilbevölkerung
leistet, und um die geht es . Es geht darum, diejenigen zu
schützen, die sonst schutzlos wären . Das ist auch unsere
Aufgabe in diesem Konflikt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte in diesem Zusammenhang die besondere
Funktion UNAMIDs auch bei der Lagebeobachtung und
bei der Menschenrechtsberichterstattung betonen, auf
die die internationale Gemeinschaft angewiesen ist . Wir
hätten sonst überhaupt keine Ahnung, was dort in der Re-
gion auch im Hinblick auf die Menschenrechte wirklich
passiert .

Zur Wahrheit gehört – auch das hat Parallelen zum
Südsudan –, dass für eine erfolgreiche Auftragserfül-
lung die effektive und vertrauensvolle Zusammenarbeit
mit der jeweiligen Gastregierung eine wichtige Bedin-
gung ist . Leider ist das Verhältnis zwischen UNAMID
und der sudanesischen Regierung weiterhin angespannt .
Umso notwendiger ist es, dass die erforderliche Koope-
rationsbereitschaft von der sudanesischen Seite weiterhin
eingefordert und auch geleistet wird . Ich betone hier aus-
drücklich, dass wir uns seitens der sudanesischen Regie-
rungsvertreter mehr Entgegenkommen wünschen . Verbal
gibt und gab es dafür Signale, aber es ist wichtig, dass
ihnen auch Taten folgen .

Wir dürfen uns keine Illusionen machen: Eine Verbes-
serung der Lage in Darfur wird nur dann möglich sein,
wenn eine umfassende politische Lösung für diese Kon-
fliktregion gefunden werden kann. Dafür wiederum ist
es umso wichtiger, dass die internationale Gemeinschaft
die VN-Mission UNAMID weiter unterstützt . Deswe-
gen ist die Bundesregierung bereit, sich auf gleichblei-
bendem Niveau mit Soldatinnen und Soldaten dort zu
engagieren, wie wir uns auch sonst engagieren . Ich bin
dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung dankbar, dass er im Oktober dieses Jahres
mit einer Delegation vor Ort war und damit unterstreicht,
dass der Sudan auch innerhalb dieses Hohen Hauses wei-
terhin von hoher Bedeutung ist, nicht nur in militärischer
Hinsicht, sondern auch in Bezug auf die Entwicklungs-
zusammenarbeit .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will zusam-
menfassen und deutlich machen: Die Lage ist schwierig .
Aber klar ist: Kein Problem ist von der internationalen
Staatengemeinschaft verursacht, sondern es ist verur-
sacht von den Akteuren vor Ort . Hier ist besonders die
sudanesische Regierung in der Pflicht. Ohne die inter-
nationale Staatengemeinschaft, ohne uns würde nichts
besser, wäre kein Problem gelöst, kämen viele neue Pro-
bleme hinzu, wäre im Sudan vieles schlechter . Wir sind

nicht diejenigen, die verantwortlich sind . Wir haben nicht
für jedes Problem eine Lösung . Das ist wahr . Das kann
auch ein solcher Einsatz nicht leisten . Aber wir leisten
in einer schwierigen humanitären Lage wichtige Beiträ-
ge zur Lösung von humanitären Problemen, die dort vor-
handen sind . Das sollten wir weiter tun . Dafür bitte ich
Sie namens der Bundesregierung um Ihre Unterstützung .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819927200

Vielen Dank . – Jetzt hat Kathrin Vogler für die Frakti-

on Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819927300

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! In der sudanesischen Provinz Darfur
kämpfen seit 2003 Milizen und Regierungstruppen um
die Macht in einem blutigen Bürgerkrieg . Ein Frieden ist
nicht in Sicht .

Die Bundesregierung will nun den Einsatz der Bun-
deswehr im Rahmen der Militärmission UNAMID zum
fünften Mal verlängern . Konkret geht es um den Einsatz
von bis zu 50 Soldatinnen und Soldaten. Derzeit befinden
sich im Hauptquartier von UNAMID in al-Faschir vier
deutsche Soldaten, fünf Polizisten und zwei zivile Ex-
perten . Dieser Einsatz hat bisher schon über 2 Millionen
Euro gekostet . Und ein Ende ist nicht in Sicht .


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Wir haben es doch!)


Das Militär unter dem gemeinsamen Kommando von
UN und Afrikanischer Union sollte laut der UN-Reso-
lution die humanitäre Hilfe absichern, die Zivilbevöl-
kerung schützen, Waffenstillstände überwachen, ein si-
cheres Umfeld für den Wirtschaftsaufbau schaffen und
Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit fördern . Wir
müssen uns fragen: Was wurde davon bisher erreicht?
Bei keinem dieser Ziele gibt es substanzielle Fortschritte,
und zum Teil widersprechen sie sich sogar . Zum Beispiel
die humanitäre Hilfe: Jeder siebte Mensch in Darfur hat
nicht genug zu essen . 2 Millionen Kinder sind unterer-
nährt . Der Hunger ist zur Waffe geworden; denn Waffen-
stillstände kommen nicht zustande, weil man sich nicht
über die gerechte Verteilung der Hilfslieferungen einigen
kann . Und so werden auch die humanitären Helfer regel-
mäßig selbst zum Ziel von Übergriffen . Verhandlungen
zwischen Regierung und dem Oppositionsbündnis Sudan
Call wurden im August wegen zweier Streitpunkte abge-
brochen . Es ging um die Freilassung von Kriegsgefange-
nen und den Überwachungsmechanismus für humanitäre
Hilfe .

Auch die Zivilbevölkerung wird immer wieder brutal
angegriffen . Amnesty International berichtet von mindes-
tens 32 Angriffen der sudanesischen Regierungsarmee
gegen die Zivilbevölkerung in diesem Jahr . Dabei kamen
wahrscheinlich auch Chemiewaffen zum Einsatz – zu-
letzt am 9 . September . Dabei starben 200 bis 250 Men-
schen . Hunderte litten danach an Erbrechen, Durchfall
und Hautausschlägen .

Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe






(A) (C)



(B) (D)


Aber UNAMID kann die Zivilbevölkerung nicht vor
solchen Verbrechen schützen; denn UNAMID muss mit
der Regierungsarmee kooperieren . Unter solchen Um-
ständen von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu
reden, verbietet sich .

Was mich besonders aufregt, ist, dass die Bundesre-
gierung nun auch noch mit dem verbrecherischen Re-
gime im Sudan bei der Flüchtlingsabwehr kooperiert .
Unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für In-
ternationale Zusammenarbeit will die Europäische Uni-
on jetzt Kameras, Scanner und Server zur Erfassung von
Flüchtlingen und Migranten an die sudanesische Regie-
rung liefern . Sie will Grenzschützer ausbilden und zwei
Flüchtlingslager mit Hafträumen errichten . Sie statten
also den Diktator Umar al-Baschir und ähnliche Sympa-
thieträger mit Repressionsmitteln aus, die sie problemlos
auch gegen die eigene Bevölkerung verwenden können .
Für diese Aggression gegen Flüchtlinge aus Afrika gibt
Deutschland fast 16 Millionen Euro aus . Das ist ein skan-
dalöser Angriff auf die Menschenrechte, die Grundfrei-
heiten und die Rechtsstaatlichkeit .


(Beifall bei der LINKEN)


Da zeigt sich, dass dieser Einsatz ein weiteres Beispiel
für eine verfehlte Außenpolitik ist . Sie benutzen das Mi-
litär, um das Scheitern Ihrer Politik zu überdecken .

Wenn man dann vom Schutz der Zivilbevölkerung,
von Menschenrechten, von Rechtsstaatlichkeit spricht,
dann ist das einfach Heuchelei .


(Beifall bei der LINKEN)


Denn dieser Konflikt ist, wie viele andere, mit militäri-
schen Mitteln nicht beizulegen . Militäreinsätze wie die-
ser schaffen keinen Frieden . Sie führen in eine Sackgas-
se . Deswegen sagt die Linke Ihnen: Kehren Sie um!


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819927400

Für die SPD spricht der Kollege Dirk Vöpel .


(Beifall bei der SPD)



Dirk Vöpel (SPD):
Rede ID: ID1819927500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Der Konflikt, der seit 2003 in der westsuda-
nesischen Region Darfur tobt und der bisher weit über
300 000 Menschenleben gekostet und zu millionenfa-
chem Flüchtlingselend geführt hat, beschäftigt uns seit
der erstmaligen Entsendung deutscher Soldatinnen und
Soldaten durch das Mandat im Jahre 2012 jährlich im
Plenum .

Wenn wir über Darfur reden, dann reden wir über
viele Konfliktherde, Konfliktlinien, Konfliktanlässe und
Konfliktparteien. Wir haben es unter anderem mit dem
Kampf der sudanesischen Zentralregierung gegen die
Autonomie- und Separationsbestrebungen verschie-
dener Rebellengruppen, Konflikten entlang der ethni-
schen Spaltung zwischen arabischen und afrikanischen
Bevölkerungsgruppen, lokalen Auseinandersetzungen
über konkurrierende Formen der Landnutzung zwischen

sesshaften Ackerbauern und viehweidenden Nomaden-
stämmen, Konflikten um die Kontrolle von Bodenschät-
zen, Kleinkriegen zwischen kriminellen Banden und
vor allem immer wieder neu aufbrechenden Konflikten
zwischen den Rebellengruppen, aber auch zwischen ver-
schiedenen Fraktionen und Abspaltungen von Abspal-
tungen innerhalb der Rebellengruppen zu tun .

Wir sehen uns also mit einem extrem zersplitterten
Konflikt konfrontiert. Dieser ist, wie die letzten Jahre
gezeigt haben, nur sehr schwer aufzulösen . Der Sicher-
heitsrat der Vereinten Nationen hat als Reaktion auf die
geringen Fortschritte bei der Umsetzung des Doha-Frie-
densabkommens und angesichts der nach wie vor kata-
strophalen humanitären Lage in Darfur im Jahre 2014
eine Neuausrichtung der Aufgaben von UNAMID be-
schlossen .

Priorität haben der Schutz von Zivilpersonen und
humanitärem Personal sowie die Sicherung der Nah-
rungsmittellieferungen, von denen das Leben von fast
6 Millionen Menschen abhängt; der Herr Staatssekretär
hat vorhin bereits darauf hingewiesen . Die Patrouillen-
fahrten wurden verstärkt, Schutzzonen für die Zivilbe-
völkerung geschaffen, und es wird mehr Präsenz in den
Flüchtlingslagern gezeigt . Weitere zentrale Elemente
sind die Vermittlung zwischen der sudanesischen Regie-
rung und den bewaffneten Gruppen, die das Doha-Doku-
ment nicht unterschrieben haben, und die Unterstützung
von Vermittlungsbemühungen in Konflikten zwischen
Bevölkerungsgruppen, einschließlich Maßnahmen zur
Ursachenbekämpfung .

Zaghafte Hoffnung darf man in die aktuellen Versu-
che setzen, den Friedenprozess wiederzubeleben . Die
unter dem Mandat der Afrikanischen Union laufenden
Friedensverhandlungen haben im Jahr 2016, mit deut-
scher Unterstützung, zur Unterzeichnung eines Roadmap
Agreement durch die sudanesische Regierung und die
Oppositionsallianz Sudan Call geführt .

Anfang August nahmen Regierung und Rebellengrup-
pen Verhandlungen über einen Waffenstillstand und hu-
manitären Zugang auf, die aber erneut ins Stocken geraten
sind . Die politische Opposition und die Rebellengruppen
haben wenig Zuversicht, dass in diesem Prozess tatsäch-
lich Fortschritte erzielt werden können, und sehen sich in
ihrem Misstrauen durch das teilweise widersprüchliche,
anhaltend repressive Verhalten der Regierung bestätigt .

Seitens der sudanesischen Regierung glaubt man of-
fenbar immer noch, dieser Konflikt könnte militärisch
gelöst werden . Die Offensive der Regierungstruppen in
den Marra-Bergen Darfurs zu Beginn des Jahres bestätigt
diese Sorge . Durch die Kampfhandlungen und Luftschlä-
ge wurden nach Schätzungen der UN bis Ende August
erneut mehr als 160 000 Menschen vertrieben .

Auch die ständigen Versuche der sudanesischen Re-
gierung, die Arbeit von UNAMID durch bürokratische
Hindernisse zu behindern, müssen endlich aufhören . Es
braucht mehr Zeit, um eine umfassende politische Lö-
sung zu finden; denn nur eine solche politische Lösung
kann zu einer nachhaltigen Verbesserung der Lage füh-
ren . Solange die Schritte der Friedenskonsolidierung

Kathrin Vogler






(A) (C)



(B) (D)


nicht gefestigt sind, leistet UNAMID einen unverzicht-
baren Beitrag für die zukünftige Entwicklung .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne Einsätze
wie diesen, ohne das Engagement der internationalen
Gemeinschaft würden sich die Verhältnisse drastisch
verschlechtern . Die traurige Wahrheit ist: Die Lage in
Darfur bleibt angespannt und instabil . Zwischen einem
erneuten Abdriften Darfurs in das totale Chaos stehen
nur diese knapp 17 000 Frauen und Männer der UNA-
MID-Mission . Sie haben unsere Unterstützung und un-
seren Dank verdient . Auch wenn der deutsche Anteil an
der UNAMID-Mission mit zurzeit vier Soldaten, fünf
Polizisten, zwei zivilen Experten und einer Mandatsober-
grenze von bis zu 50 Soldatinnen und Soldaten nicht be-
sonders groß ist, ist es umso wichtiger, dass wir als die
einzigen europäischen Vertreter diese Mission zunächst
für ein weiteres Jahr unterstützen .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819927600

Nächster Redner ist der Kollege Uwe Kekeritz für

Bündnis 90/Die Grünen .


Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819927700

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das

Bundeswehrmandat für die Operation in Darfur ist sicher
nicht als unproblematisch einzustufen . Seine Umsetzung
hat enorme Schwächen . Es bietet aber auch Chancen .
Noch immer ist der Einsatz schlecht organisiert . Die Mo-
tivation vieler Soldaten ist eine geringe, und die Opera-
tion wird von der Regierung al-Baschir massivst torpe-
diert .

Es wurde gesagt, es sind vier Soldaten und fünf Poli-
zisten dort . Ihre Aufgabe ist die Beobachtung, die Bera-
tung . Beides ist ja eigentlich auch wichtig . Vorhin sagte
jemand, wenn wir die nicht hätten, hätten wir ganz weni-
ge Informationen, und das wäre nicht gut .

Wir müssen eingestehen, dass sich die Situation seit
2007/2008 nicht wirklich verbessert hat . Die Gräuelta-
ten, die seit Jahrzehnten in dieser Region verübt werden,
entziehen sich unserer Vorstellungskraft . Menschen-
rechtsverletzungen, Morde, Vergewaltigungen sind an
der Tagesordnung . Momentan scheint es leider so zu
sein, dass es eher schlechter als besser wird . Genau das
müsste UNAMID eigentlich verhindern .

Offensichtlich haben wir die höchste Gewaltstufe
noch nicht erreicht . Präsident al-Baschir hat nach An-
gaben von Amnesty International Giftgas gegen die
Menschen in Darfur eingesetzt – Kollegin Vogler hat es
gesagt –, genau 32-mal . Diesbezüglich habe ich die Bun-
desregierung um Auskunft gebeten, was sie denn darüber
wisse . Die Antwort war für mich etwas merkwürdig . Die
Regierung sagte nämlich, der Einsatz von Giftgas oder
Chemie sei wenig plausibel, und begründete das wie
folgt: Zumindest sei der Einsatz von Chemiewaffen von
keiner der beteiligten Seiten angesprochen worden . Mit
Verlaub, das halte ich für ein merkwürdiges Argument .
Immerhin handelt es sich hier um den dringenden Ver-

dacht auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit . Aber
weil niemand das Thema angesprochen hat, hält es die
Bundesregierung für nicht plausibel . Es gibt Bombar-
dements, die auch Giftgasangriffe beinhalten könnten,
aber UNAMID steht nur achselzuckend da und sagt, sie
wissen nichts . 32 solcher Einsätze gab es seit Januar bis
heute . Das ist unerträglich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich frage die Regierung: Worin ist Ihr lautes Schwei-
gen eigentlich begründet? Ich kann Ihnen sagen, worin
es begründet ist: Die Mörder- und Folterknechte der su-
danesischen Regierung sind nicht mehr die geächteten
Kriegsverbrecher, sondern inzwischen zu strategischen
Partnern in den deutschen und europäischen Außenbe-
ziehungen geworden . Es geht um Grenzmanagement und
um die Abwehr von illegaler Migration . 12 Millionen
Euro erhält die Regierung dafür von Deutschland . Die
Bundespolizei war mit einem großen Tross in Khartoum
und hat Verhandlungen mit dem Innenministerium ge-
führt .

Bereits vor einem Jahr habe ich von diesem Pult aus
den Paradigmenwechsel angesprochen, der mit den Be-
schlüssen von Valletta droht . Dass die Folgen derart
dramatisch sein werden, hätte ich mir aber nie träumen
lassen . Wir sehen inzwischen weg, und nicht nur das:
Deutschland und Europa machen die Zusammenarbeit
mit Diktatoren salonfähig . Das ist auch etwas, das wir
nicht verstehen können .


(Beifall der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Wir sehen weg, wenn Zivilisten mit Chemiewaffen ge-
tötet oder verstümmelt werden. Ich finde, unter diesen
Umständen ist es gerechtfertigt, nach der Sinnhaftigkeit
des Mandats zu fragen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


– Abwarten!

Allerdings muss man auch anerkennen, dass UNAMID
für die humanitäre Versorgung der Menschen da ist . Es
werden Schutzzonen geschaffen und Transporte beglei-
tet . Außerdem – wir haben es schon gehört – kann man
nicht davon ausgehen, dass die Situation besser wäre,
wenn es UNAMID nicht gäbe . Das ist eine naive Ein-
schätzung . Es ist auch naiv, zu sagen: Wir schicken zivile
Friedensdienste hin . Denn es stellt sich die Frage, ob die
überhaupt überleben würden . Da muss man schon sehr
vorsichtig sein .

Die Ausführung des Mandats lässt extrem zu wün-
schen übrig . Aus der UNMISS-Diskussion von vorhin
wissen wir, dass Herr Staatsminister Roth gesagt hat,
dass das alles nicht zu akzeptieren ist . Allerdings erwarte
ich von einer Regierung, dass sie nicht nur sagt: Das ist
inakzeptabel . Vielmehr muss sie uns auch erklären, wie
sie dazu beitragen wird, dass sich die Verhältnisse vor
Ort bessern . Daran sollte die Bundesregierung arbeiten .
Sie sollte wirklich zusehen, dass sie auf internationaler
Ebene einen Hebel findet, um die Situation zu verbes-
sern .

Dirk Vöpel






(A) (C)



(B) (D)


Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819927800

Zum Abschluss dieser Aussprache hat die Kollegin

Elisabeth Motschmann für die CDU/CSU das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1819927900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir sprechen in diesen Stunden sehr häufig
von Verlässlichkeit und Berechenbarkeit . Wir befürch-
ten, dass aufgrund der Wahl in Amerika diese Verläss-
lichkeit und diese Berechenbarkeit gefährdet sein könn-
ten . Umso mehr müssen wir selber zeigen, dass man sich
auf uns verlassen kann, dass wir berechenbar sind . An-
gesichts der vielen Krisen in der Welt – über eine reden
wir hier – gilt dies ganz besonders für Außenpolitik und
Verteidigungspolitik . Von uns und auch von der Europä-
ischen Union erwartet die internationale Gemeinschaft,
dass wir hierin Vorbild sind . Ich glaube, das ist die richti-
ge Botschaft nach Washington: Verlässlichkeit und Bere-
chenbarkeit . Auch aus diesem Grunde, aber nicht nur, be-
schließen wir die Verlängerung des Mandats UNAMID .

Seit 2003 zählt die Region Darfur zu den schlimms-
ten Krisenherden der Welt. Der Konflikt im Sudan kos-
tete seither etwa 300 000 Menschen das Leben . Etwa
2,6 Millionen Menschen sind innerhalb des Landes auf
der Flucht . Tagtägliche Kampfhandlungen und bewaffne-
te Auseinandersetzungen verursachen Chaos . Jeden Tag
kommt es zu Menschenrechtsverletzungen, massiver Ge-
waltanwendung, Rechtsverletzungen und zu Missbrauch
von Frauen und Kindern .

Wir haben heute Nachmittag in einer Anhörung von
einer Frau aus Afghanistan einen Erlebnisbericht be-
kommen und gehört, was das, worüber wir hier immer
so schlank diskutieren, bedeutet . Man muss einmal an
sich heranlassen, was es für eine Frau bedeutet, verkauft
zu werden von dem eigenen Mann, vergewaltigt zu wer-
den, missbraucht zu werden von zehn Männern in einer
Nacht . Das hat diese Frau unter Tränen geschildert . Das
passiert genauso auch im Sudan .

Es kommt zu willkürlichen Festnahmen und Inhaf-
tierungen, 3 Millionen Menschen in der Region Darfur
sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, und – das ist an-
geklungen – 2 Millionen Kinder sind unterernährt . Das
ist Grund genug, hier Hilfe zu leisten . Doch der Zugang
für humanitäre Hilfe ist erschwert . Überfälle auf Hilfsor-
ganisationen nehmen zu, auch Entführungen humanitärer
Helfer gehören längst zur grausamen Realität .

Leider ist die Umsetzung des Doha-Friedensabkom-
mens und des nationalen Dialogs nicht so recht vorange-
kommen . Dennoch ist es wichtig, weiterhin an unserem
Ziel festzuhalten und bei den Konfliktlösungen im Land
mitzuhelfen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Von diesem Ziel sind wir ziemlich weit entfernt; auch
das ist ja angeklungen . Deshalb bleibt das internationale
Engagement unverzichtbar . Um es mit Immanuel Kant
zu sagen:

Wenn wir die Ziele wollen, wollen wir auch die Mit-
tel .

Im Rahmen von UNAMID leisten wir Hilfe zur Beile-
gung der Konflikte. Ich verstehe nach wie vor nicht, dass
die Linken ein solches Land und die Menschen in diesem
Land in die Hilflosigkeit entlassen wollen.


(Zuruf des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


– Herr Gehrcke, das müssen Sie ertragen . – Das kann
doch nicht der richtige Weg sein . Sie lassen diese Men-
schen fallen . Sie sagen, wir sollen umkehren . Ich weiß
nicht, wohin .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Hin zu einem gerechten Frieden!)


Jedenfalls den Menschen im Land hilft das ganz sicher
nicht . Unsere Mission dient dem Schutz der Zivilbevöl-
kerung . Wir leisten Unterstützung bei der Gewährung
der Sicherheit der humanitären Helfer und fördern die
Vermittlung zwischen den Konfliktpartnern. Was daran
falsch sein soll, möchte ich wirklich einmal wissen . Das
habe ich nicht verstanden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es kommt auch nicht darauf an, ob wir über 4 Sol-
datinnen und Soldaten reden oder über 400 . Unsere Ge-
wissensentscheidung ist jedes Mal gleich schwer, weil es
von uns gut überlegt sein muss, wenn wir Soldatinnen
und Soldaten in den Einsatz schicken .

Sicherheit ist – das wird gerade im Sudan ganz deut-
lich – die Grundvoraussetzung für die humanitäre Hilfe .
UNAMID bildet somit eine wichtige Säule .

Lassen Sie uns zeigen, dass wir die Hoffnung auf eine
langfristige Lösung nicht aufgeben . Wenn wir die Hoff-
nung verlieren, dann verlieren die Menschen im Sudan
erst recht ihre Hoffnung . Dann entlassen wir sie in die
Hoffnungslosigkeit . Das kann ganz sicher nicht unser
Wunsch und Ziel sein . Ich bitte also um Zustimmung zu
dem Antrag zur Fortsetzung des Mandats UNAMID .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819928000

Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage
auf Drucksache 18/10189 an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Widerspruch
dagegen erhebt sich nicht . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 18 sowie die
Zusatzpunkte 7 und 8 auf:

Uwe Kekeritz






(A) (C)



(B) (D)


18 . Beratung des Berichts des Ausschusses für Recht
und Verbraucherschutz (6 . Ausschuss) gemäß
§ 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu dem von
den Abgeordneten Diana Golze, Agnes Alpers,
Nicole Gohlke, weiteren Abgeordneten und der
Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf
eines Gesetzes zur Einführung des Rechts
auf Eheschließung für Personen gleichen Ge-
schlechts

Drucksachen 18/8, 18/9914

ZP 7 Beratung des Berichts des Ausschusses für
Recht und Verbraucherschutz (6 . Ausschuss)

gemäß § 62 Absatz 2 der Geschäftsordnung zu
dem von den Abgeordneten Volker Beck (Köln),
Ulle Schauws, Katja Keul, weiteren Abgeordne-
ten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Abschaffung des Eheverbots für gleichge-
schlechtliche Paare

Drucksachen 18/5098, 18/10227

ZP 8 Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung des
Rechts auf Eheschließung für Personen glei-
chen Geschlechts

Drucksache 18/6665
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich sehe all-
gemeines Einverständnis . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile zu Beginn das
Wort dem Kollegen Dr . Karl-Heinz Brunner für die SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):
Rede ID: ID1819928100

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank an die Zuhöre-
rinnen und Zuhörer, die heute zu dieser späten Stunde zu
diesem Tagesordnungspunkt noch anwesend sind,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte!)


der mir wichtig ist und den hier Anwesenden sicherlich
ebenso . Als ich mich auf die heutige Rede vorbereitete,
fragte ich mich: Was soll ich sagen? Wir haben ja die Ge-
setzentwürfe von Bündnis 90/Die Grünen und den Lin-
ken im Ausschuss immer wieder abgesetzt . Wir haben sie
vertagt, obwohl das Thema für uns, für die SPD und für
mich im Besonderen eine Herzensangelegenheit ist .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das hat man gemerkt!)


Ich erinnere mich noch sehr genau – die Kolleginnen
und Kollegen, die dabei waren, auch –, wie Abgeordnete
und Vertreterinnen und Vertreter des LSVD am 25 . Sep-

tember vergangenen Jahres vor dem Bundesrat standen,
um den Beschluss zur Ehe für alle zu unterstützen . Ich
war mir damals nicht sicher, jedoch hoffte ich, dass der
Entwurf, den ich im vollen Umfang für gut erachte,
schnell in die parlamentarischen Beratungen einfließt
und im Ergebnis umgesetzt wird . Doch seither diskutie-
ren wir nur . Wir sind zwar bei der Rehabilitation der nach
§ 175 StGB verurteilten Männer, einem Schandparagra-
fen dieses Landes, nunmehr auf einem guten Weg, doch
bei der Ehe für alle sind wir noch keinen Schritt weiter-
gekommen .

Es hilft auch nicht, immer wieder mit neuen Anträgen
oder Gesetzentwürfen der Oppositionsparteien konfron-
tiert zu werden .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn das für ein Demokratieverständnis? Wir werden doch wohl Anträge stellen können!)


Denn der Bundesratsentwurf ist gut . Es ist ein guter Ent-
wurf – eigentlich ein guter Wurf –, weil er die Realität in
Deutschland widerspiegelt . Er rückt den Menschen ins
Zentrum, keine Gruppe, keine Minderheit, keine Mehr-
heit, sondern Menschen . Der Entwurf erneuert Grund-
prinzipien unserer Solidargemeinschaft, nämlich fürein-
ander einzustehen, einander zu respektieren, einfach da
zu sein . Das ist toll und muss für uns alle gelten .

Doch leider gibt es immer noch Strömungen in unse-
rer Gesellschaft, die diese Grundprinzipien nur für eine
Gruppe reklamieren wollen: nur für die Heteros . Dadurch
kommt es dann zu so etwas wie dem, was am 4 . Novem-
ber auf dem CSU-Parteitag passiert ist . Das Grundsatz-
programm der CSU ist ein Scherz, oder? Wäre es nicht
November, hätte ich es als Aprilscherz durchgehen las-
sen . Die Ehe von Mann und Frau wollen Sie vor Rela-
tivierungsversuchen schützen . Niemand relativiert hier
etwas . Aber eine eingetragene Lebenspartnerschaft wird
durch Ihren Vorschlag dauerhaft diskriminiert . Dann
die Härte in dem Programm: Es ist von Ideologie, Gen-
der-Ideologie die Rede . Wo ist sie denn im Umgang mit
der deutschen Sprache gelandet? Das Wort „Ideologie“
benutzen meines Wissens nur diejenigen, die selbst Ideo-
logen sind . Ich traue Ihnen ja vieles zu, aber das dachte
ich eigentlich nicht von Ihnen .


(Beifall bei der SPD)


Sie verteidigen Geschlechterrollen, nicht moralische
Prinzipien . Sie verteidigen nicht das, was zusammenhält,
also Liebe und Fürsorge . Sie lassen sich nicht an die Be-
ziehung von Mann und Frau binden . Sie sind ein hohes
Gut in unserer Gesellschaft, nämlich das Gut, dass Men-
schen füreinander sorgen . Kapieren Sie doch endlich,
dass Sie die Ehe für alle nicht aufhalten können, dass Sie
zu einem Lager der Scheinheiligen gehören, wenn Sie die
Ehe weiterhin nur für Mann und Frau vorsehen .

Ich möchte, dass das natürliche Recht des Menschen
auf gleiche Würde und gleiche Behandlung endlich
gleichrangig für alle in Deutschland gilt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


Ich möchte ein Gesetz, das Rechte nicht nach Gruppen
unterscheidet, das nicht separiert . Ich möchte ein Gesetz,
das die Gesellschaft draußen schon lange formuliert hat .
Wir müssten es eigentlich nur noch abtippen und ver-
öffentlichen: Gleiches Recht, gleiche Pflichten, Ehe für
alle. Ich finde, dass der Bundesrat mit seinem Entwurf
genau ins Schwarze getroffen hat .

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, wir
sollten uns endlich zusammenraufen, das Thema abräu-
men und nicht über Wochen, Monate und Jahre zetern .
Lassen Sie uns dieses Kapitel mit Würde beenden, und
zwar mit der Ehe für alle!

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und einen
schönen Abend .


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819928200

Der Kollege Harald Petzold spricht jetzt für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Sag mal was zur Herzensangelegenheit der SPD!)



Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819928300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher auf
den Besuchertribünen! Die Bundeskanzlerin hat gestern
dem neu gewählten amerikanischen Präsidenten Donald
Trump gratuliert . Sie hat dabei auf gemeinsame Werte
hingewiesen, die Deutschland und die USA verbinden .
Sie nannte Demokratie, Freiheit, Respekt vor dem Recht
und der Würde des Menschen, unabhängig von Herkunft,
Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung
oder politischer Einstellung, und sagte: Dafür stehen
wir in Deutschland . – Angesichts der Äußerungen, die
Donald Trump im Wahlkampf unter anderem in Bezug
auf Homosexuelle gemacht hat, ist das richtig. Ich fin-
de es sehr in Ordnung, dass sie das so betont hat . Ich
würde mir allerdings wünschen, dass diese Werte auch
in Deutschland gelebt werden, und zwar ohne Einschrän-
kungen, so wie die Bundeskanzlerin es fordert .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Realität ist nach wie vor eine andere . Lesben,
Schwule, trans- und intergeschlechtliche Menschen wer-
den in Deutschland immer noch nicht gleichbehandelt .
Sie haben mit Ungleichbehandlung und Vorurteilen zu
kämpfen, und sie sind Anfeindungen ausgesetzt, und das
nicht zuletzt auch aufgrund des Bauchgefühls der Kanz-
lerin und der Blockadehaltung ihrer eigenen Partei, der
Union .

Meine Fraktion hat heute diese Debatte verlangt,
damit die Vorsitzende des Ausschusses für Recht und
Verbraucherschutz zum zweiten Mal darüber berichten
muss, wie in diesem Ausschuss mit Gesetzentwürfen, die
zur Behandlung überwiesen worden sind, umgegangen
wurde . Aufgrund dieser Umgehensweise im Ausschuss

führen wir heute die mindestens 14 . Debatte zu diesem
Thema . Auch wenn der Kollege Brunner meint, es lohne
nicht, dass wir als Opposition immer wieder neue An-
träge einbringen: Wir werden Sie so lange mit Anträgen
konfrontieren, bis Sie endlich dafür gesorgt haben, dass
Lesben und Schwule in der Gesellschaft gleichbehandelt
werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben in diesen mindestens 14 Debatten immer
wieder eines erlebt: dass auf der einen Seite die Oppositi-
on für gleiche Rechte gekämpft und auf der anderen Seite
die Koalition verhindert hat . Sie hat verhindert, dass über
den Gesetzentwurf der Linken im Ausschuss überhaupt
diskutiert worden ist . Sie hat verhindert, dass über den
Gesetzentwurf der Grünen zur Öffnung der Ehe im Aus-
schuss überhaupt diskutiert worden ist . Sie hat verhin-
dert, dass über den Antrag der Linken zur Annahme der
Entschließung des Bundesrates im Ausschuss diskutiert
worden ist . Sie hat verhindert, dass es mehr Schutz für
Menschen mit HIV und Aids vor Diskriminierung gibt .
Sie hat verhindert, dass es gleiche Rechte für Regenbo-
genfamilien gibt . Sie hat verhindert, dass es das volle
Adoptionsrecht für Menschen in einer eingetragenen Le-
benspartnerschaft gibt .

Der absolute Treppenwitz der Geschichte ist, lieber
Kollege Brunner, dass ihr es gewesen seid, die ihr euch
im Ausschuss für diese Verhinderung hergegeben habt .
Mindestens 15 von 17 Mal ist in den Ausschusssitzun-
gen von dir der Antrag gestellt worden, Beratungsgegen-
stände von der Tagesordnung zu nehmen, sie zu vertagen
oder aber gar nicht erst mit der Diskussion anzufangen .

Euer Fraktionskollege Johannes Kahrs kneift heute ja
ganz . Bei der letzten Beratung dieses Gegenstands hat er
hier vollmundig erklärt:

Es reicht . Ich habe einfach keine Lust mehr . Ich ver-
spreche Ihnen eines: Wenn das Thema hier im Deut-
schen Bundestag noch einmal aufkommt, dann wer-
den wir in der SPD-Fraktion darüber abstimmen,
wie wir hier abstimmen . . . . Entweder Sie raffen sich
jetzt mal auf

– das hat er in Ihre Richtung gesagt, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Union –

und kriegen es hin, dass die Abstimmung geöffnet
wird, oder Sie werden hier im Deutschen Bundestag
eine Abstimmungsniederlage erleiden!


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819928400

Kollege Petzold, gestatten Sie eine Zwischenfrage

oder -bemerkung des Kollegen Dr . Brunner?


Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819928500

Natürlich . Da ich nur noch vier Sekunden Rede-

zeit habe, ist es mir sogar sehr recht, dass der Kollege
Brunner noch eine Frage stellt . – Bitte schön .


Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):
Rede ID: ID1819928600

Das Folgende habe ich mir eigentlich erst für eine

Kurzintervention gedacht, aber ich kann es auch als Zwi-

Dr. Karl-Heinz Brunner






(A) (C)



(B) (D)


schenfrage stellen . Verehrter Kollege Petzold, Sie haben
angesprochen, dass wir uns dafür hergegeben haben, die
Beratung zu verhindern . Sie wissen aber durchaus und
werden mit Sicherheit bestätigen, dass wir, wenn wir
das Verfahren im Ausschuss, so wie es Grüne und Linke
gern gewollt hätten, umgesetzt hätten, letztendlich nur zu
dem Ergebnis gekommen wären, das Sie nicht wollten,
nämlich zu einer Ablehnung der entsprechenden Anträ-
ge und damit zu einem Scherbenhaufen für diejenigen
Menschen, für die wir da sein wollen, für die wir nämlich
die Ehe für alle schaffen wollen . Deshalb haben wir die
Anträge abgesetzt, zur weiteren Verhandlung mit dem
Koalitionspartner, um den Menschen auch weiterhin die
Chance zu geben, in dieser Legislaturperiode eine Ent-
scheidung zu bekommen .


(Beifall bei der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819928700

Es ist nach unserer Geschäftsordnung möglich, eine

Frage an den Redner zu richten oder eine Zwischenbe-
merkung zu machen . Entsprechend können Sie darauf
reagieren .


Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819928800

Lieber Kollege Brunner, ich nehme Ihnen persönlich

ja durchaus ab, dass Sie mit Herzblut für die Angele-
genheit kämpfen, und Sie machten uns dies ja auch mit
entsprechender Emotionalität in jeder der von mir ge-
nannten mindestens 14 Debatten deutlich. Ich finde das
in Ordnung; das Anliegen hat diese Emotionalität auch
verdient .

Ich sage Ihnen zu Ihrer Bemerkung aber: Sie haben
die Absetzungsanträge jedes Mal verbunden mit der Zu-
sage gestellt, dass es eine Lösung vonseiten der Koalition
geben werde und dass Sie darüber verhandeln würden .
Nur wurde diese Lösung nicht vorgelegt .

Wenn Sie wenigstens 10 Prozent der Energie, die Sie
hier für die Verhinderung aufgebracht haben, einmal da-
für aufbrächten, dass wir endlich zu einer Lösung kom-
men,


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann er doch gar nicht!)


dann können Sie doch von mir aus auch unseren Gesetz-
entwurf ablehnen . Aber dann nehmen Sie wenigstens den
Gesetzentwurf des Bundesrates an . Dann hätten wir das
Problem erledigt .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder den von den Grünen!)


– Dafür könnt ihr selber werben, liebe Kollegen von den
Grünen .

Wenn wir zumindest den Gesetzentwurf des Bundes-
rates annehmen würden, dann hätten wir das Problem
vom Tisch . Sie wissen genau, wie der Weg geht . Dazu
bedarf es etwas Mutes seitens Ihrer Fraktion und nicht
nur der Ankündigungen des Kollegen Kahrs – das kön-
nen Sie ihm auch ausrichten –; dass er heute hier bei die-

ser Sitzung kneift, finde ich oberdaneben, aber das muss
er mit sich selber ausmachen .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Eva Högl [SPD]: Er ist in der Bereinigungssitzung!)


– Schade .


(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt ist leider die Redezeit vorbei! – Katja Keul [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wie geht es jetzt weiter?)


Ich will zusammenfassen: Geben Sie endlich Ihre
Blockadehaltung auf! Dann werden wir auch keine
weiteren Anträge dazu einbringen müssen . Sorgen Sie
endlich dafür, dass Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans-
sexuelle, Intersexuelle in diesem Land gleichbehandelt
werden . – Das sage ich auch in Richtung Union . Denn
die Kollegen von der SPD sind dafür nicht alleine zustän-
dig; das wissen wir auch .


(Dr . Karl-Heinz Brunner [SPD]: Eben darum geht es!)


Nehmen Sie ernst, was Ihre Bundeskanzlerin gesagt
hat . Es geht um den Respekt, um die Freiheit und um das
Recht und die Würde der Menschen, unabhängig von der
sexuellen Identität .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819928900

Ich darf darauf hinweisen – es ist hier auch schon mit

Zwischenrufen bekannt gemacht worden –, dass zeit-
gleich die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschus-
ses stattfindet. Jeder von uns kennt die Bedeutung dieser
Ausschusssitzung .

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr . Sabine Sütterlin-
Waack für die CDU/CSU .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Sabine Sütterlin-Waack (CDU):
Rede ID: ID1819929000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

verrate kein Geheimnis: In der Großen Koalition gibt
es derzeit keinen Konsens in der Frage der Eheöffnung
für gleichgeschlechtliche Partner; wir haben es gehört .
Selbstverständlich entziehen wir uns aber nicht der par-
lamentarischen Diskussion, wie Sie heute hier sehen . Die
Opposition hat das Recht, über die Geschäftsordnung
das Thema auf die Tagesordnung zu setzen; das hat sie
ja auch getan .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Mindeste!)


Wir haben die erste Lesung abgehalten, wir haben un-
sere Bedenken geäußert, wir haben eine Anhörung durch-
geführt . Das Meinungsbild in der öffentlichen Anhörung
war gespalten, aber unsere Bedenken wurden auch ge-
stützt . Wir debattieren heute zum zweiten Mal vor dem
Hintergrund eines Berichts des Rechtsausschusses über
das Thema und haben den Gesetzentwurf des Bundes-

Dr. Karl-Heinz Brunner






(A) (C)



(B) (D)


rates als Beratungsgegenstand in der ersten Lesung . Sie
können uns also nicht vorwerfen, wir würden uns vor der
parlamentarischen Beratung drücken .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollten den Bundesratsentwurf gar nicht auf die Tagesordnung lassen!)


Liebe Berichterstatter der Opposition, ich lasse mir
auch nicht den Vorwurf gefallen, alle Diskussionen neben
den Debatten im Plenum vermeiden zu wollen . In unse-
ren interfraktionellen Runden sind wir regelmäßig über
Gleichstellungsthemen im Gespräch . Unsere Meinung
hinsichtlich des Inhaltes der Gesetzentwürfe war und ist
gefestigt . Wir sind der Auffassung – ich wiederhole mich
an dieser Stelle –, dass die Öffnung der Ehe für gleichge-
schlechtliche Partnerschaften der Wertentscheidung des
Verfassungsgesetzgebers vorbehalten ist .

Mit der ablehnenden Haltung gegenüber dem Ge-
setzentwurf möchte ich aber keinesfalls missverstanden
werden . Alle Menschen, die sich lieben und die dauerhaft
Verantwortung füreinander übernehmen, die sich Halt
und Stabilität geben wollen, verdienen gleichermaßen
Anerkennung und Wertschätzung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg . Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Egal ob verschieden- oder gleichgeschlechtlich: Sie ver-
dienen die absolute Zustimmung und Unterstützung des
Staates .

Der erste Schritt als Ausdruck dieser staatlichen An-
erkennung und Unterstützung war die Einführung des
Instituts der eingetragenen Lebenspartnerschaft, dessen
Rechte und Pflichten das Parlament, aber auch das Bun-
desverfassungsgericht in den letzten 15 Jahren immer
weiter konkretisiert haben . Der Vorwurf, ohne Öffnung
der Ehe würde weiter staatliche Diskriminierung gegen
Homosexuelle betrieben, ist schlichtweg falsch .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Eheöffnung ist eine vertretbare politische Forde-
rung, aber eben keine zwingende grundgesetzliche Not-
wendigkeit .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber vielen Dank, dass wir nicht gleich verhaftet werden!)


– Herr Beck, hören Sie einmal zu .


(Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Das fällt ihm immer schwer!)


Ich setze mich in meiner Fraktion für eine vollständige
rechtliche Gleichstellung ein und versuche, einen tragba-
ren, gesamtgesellschaftlichen Konsens zu finden.


(Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Deswegen ist es für mich nicht nachvollziehbar, warum
es, wie es www .queer .de formuliert, eine „perfide Idee“
sein soll, die eingetragene Lebenspartnerschaft im Grund-
gesetz zu verankern . Der Artikel 6 des Grundgesetzes
könnte dann heißen: Ehe, eingetragene Lebenspartner-
schaft und Familie stehen unter dem besonderen Schutz

der staatlichen Ordnung . – Man würde die Ehe damit als
Verbindung zwischen Mann und Frau beibehalten, aber
die eingetragene Lebenspartnerschaft als gleichberech-
tigtes rechtliches Konstrukt daneben statuieren . Das hätte
doch mit Diskriminierung gar nichts zu tun .

Zusätzlich wäre eine Änderung des Personenstands-
gesetzes vorstellbar, um den gleichgeschlechtlichen Paa-
ren in administrativen Vorgängen die Offenlegung ihrer
sexuellen Identität zu ersparen . Diesen Vorschlag, der
auch der Idee unseres verehrten Bundestagspräsidenten
entspricht, habe ich mit den relevanten Akteuren unseres
Koalitionspartners und der Opposition erörtert – bislang
ohne Erfolg . Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen,
eine fehlende Kompromissbereitschaft, zumindest in der
jüngsten Zeit, können Sie uns wirklich nicht vorwerfen .

Ich möchte jetzt keine inhaltliche Verbindung her-
stellen, aber auch die Opposition muss doch erkennen,
dass unsere Herangehensweise an eine Thematik wie
die der Rehabilitierung der Opfer des § 175 Strafgesetz-
buch in der alten Fassung eine veränderte Geisteshaltung
zum Ausdruck bringt . Wir erkennen an, dass die Reha-
bilitierung der Betroffenen ein wichtiges moralisches,
politisches und gesellschaftliches Anliegen ist . Da die
verurteilten Personen vielfach sehr alt sind, setzen wir
uns dafür ein, das Gesetzgebungsverfahren zügig voran-
zubringen, um es noch in dieser Legislaturperiode zum
Abschluss zu bringen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir wollen, dass die Betroffenen ihre Rehabilitierung
noch erleben, und hoffen, dass sie dadurch mit unserem
Rechtsstaat versöhnt werden .

Ich schließe mit dem Gedanken, mit dem der Kollege
Petzold begonnen hat, und erinnere daran, dass unsere
Kanzlerin im Rahmen der gestrigen Gratulation an den
frisch gewählten Präsidenten der Vereinigten Staaten
von Amerika ausdrücklich den Respekt vor der Würde
des Menschen unabhängig von Geschlecht und sexueller
Orientierung als gemeinsame Wertebasis betonte .

In diesem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerk-
samkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819929100

Nächster Redner ist der Kollege Volker Beck, Bünd-

nis 90/Die Grünen .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819929200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der All-

gemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es:

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und
Rechten geboren . Sie sind mit Vernunft und Gewis-
sen begabt und sollen einander im Geiste der Brü-
derlichkeit begegnen .

„Frei und gleich an Würde und Rechten geboren“:
Wenn man ernst nimmt, was die Bundeskanzlerin gestern
gesagt hat, dass alle Menschen unabhängig von Herkunft,
Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung

Dr. Sabine Sütterlin-Waack

http://www.queer.de





(A) (C)



(B) (D)


oder politischer Einstellung die gleiche Würde haben,
dann können Sie ihnen nicht die gleichen Rechte verwei-
gern und homosexuelle Paare beliebig von einem Rechts-
institut, nämlich der Ehe, ausschließen . Dann müssen Sie
konsequent sein und sich endlich zur Öffnung der Ehe
bereit erklären .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Es ist doch eigentlich absurd, dass Sie sagen, Sie seien
bereit, die Verfassung zu ändern, weil Sie wissen, dass
da nicht drinsteht, dass sich die Verschiedenheit von
homosexuellen und heterosexuellen Paaren in Ehe und
Lebenspartnerschaft dauerhaft ausdrücken kann . Nein,
diese Verschiedenheit werden wir verfassungsrechtlich
nicht festschreiben . Als in der Clinton-Ära die republi-
kanische Mehrheit im US-Kongress mit dem Defense of
Marriage Act versucht hat, in die Verfassung zu schrei-
ben, dass die Ehe eine Verbindung von Mann und Frau
ist, hat der Supreme Court der USA gesagt: Das ist ver-
fassungswidrig, weil es dem Gleichheitsgrundsatz wi-
derspricht und damit eines der zentralen Prinzipien der
amerikanischen Verfassung und jeder Verfassung eines
zivilisierten Landes verletzt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Besonders originell war das nicht . Die Verfassungsge-
richte Brasiliens, Mexikos, Südafrikas und vieler anderer
Staaten haben immer wieder genau das Gleiche gesagt:
Es widerspricht dem Grundsatz der Gleichheit, homose-
xuellen Paaren nicht das gleiche Eheschließungsrecht zu
gewähren wie heterosexuellen Paaren .

Die Große Koalition wollte ja übrigens den vorliegen-
den Gesetzentwurf des Bundesrates heute nicht diskutie-
ren, obwohl es in Artikel 76 der Verfassung heißt, dass
Bundesratsinitiativen zeitnah zu beraten sind und darüber
Beschluss zu fassen ist . Merken Sie sich für den nächs-
ten Bericht nach § 62 der Geschäftsordnung, dass auch
Sie hier eine verfassungsrechtliche Pflicht haben, den
Bundesratsentwurf mit einem Beschluss zu bescheiden .
Ansonsten kann der Bundesrat Ihre Gesetze auch einfach
liegen lassen . Dann verhungern Sie hier am laufenden
Meter . In der Begründung des Bundesratsentwurfs wird
dargelegt, dass in drei Punkten ein gesellschaftlicher
Wandel des Ehebegriffs stattgefunden hat .

Der erste Punkt ist die internationale Rechtsentwick-
lung, die ich Ihnen gerade geschildert habe . Es gibt im-
mer mehr Länder, die die Ehe für gleichgeschlechtliche
Paare geöffnet haben, entweder durch gesetzgeberischen
Akt oder durch Entscheidung der höchsten Gerichte .

Der zweite Punkt ist: Es gibt einen Wandel in der
Bevölkerung . Die Bevölkerung unterscheidet in ihrem
Sprachgebrauch, in ihrem Verständnis nicht mehr zwi-
schen Ehe und Lebenspartnerschaft . Das tut Ihr Perso-
nenstandsgesetz . Das tut das Visum des Auswärtigen
Amtes, wenn jemand aus einem Verfolgerstaat einreist
und in seinem Pass steht: Einreisevisum für die Herstel-
lung einer Lebenspartnerschaft statt einer Eheschließung .

Damit weiß jeder im Sudan, im Iran oder in Ägypten,
dass es sich um einen homosexuellen Bürger handelt, der
das Land verlässt, um eine homosexuelle Partnerschaft
einzugehen . Mit Ihrer Rechtspraxis gefährden Sie sogar
die Sicherheit von Menschenleben .

Den dritten Punkt hat das Bundesverfassungsgericht
selbst gesetzt mit seiner Entscheidung zum Fortbestand
der Ehe bei Transsexuellen . Das Bundesverfassungsge-
richt war der Auffassung, dass hier der Schutz der Ehe
vorgeht und dass man sich nicht vorher scheiden lassen
muss, wenn man verheiratet ist und einer der beiden Ehe-
gatten eine Geschlechtsumwandlung vornehmen lassen
will, weil er in seinem gefühlten Geschlecht auch tat-
sächlich zu Hause sein will . Durch sein Urteil hat das
Bundesverfassungsgericht die ersten transsexuellen Ehen
und damit auch die ersten gleichgeschlechtlichen Ehen
geschaffen . Sie hätten übrigens damals die Möglichkeit
gehabt, zu reagieren und zu sagen: Wir machen eine Le-
benspartnerschaft mit den identischen Rechtsfolgen der
Ehe . Damit hätten Sie dieser Entwicklung ausweichen
können .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819929300

Herr Kollege Beck, Sie denken an die vereinbarte Re-

dezeit?


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819929400

Ja, ein letzter Satz . – Offensichtlich war es weder für

das Bundesverfassungsgericht noch für den Deutschen
Bundestag noch für den Bundesrat so entscheidend, an
der Geschlechtsverschiedenheit der Ehe begrifflich fest-
zuhalten und da gesetzgeberisch initiativ zu werden .
Meine Güte! Nehmen Sie sich an Ihrer Kanzlerin ein
Beispiel – gleiche Würde unabhängig von der sexuellen
Orientierung –, und gießen Sie das in einen Gesetzesbe-
schluss . Öffnen Sie die Ehe . Ich sage Ihnen: Wir müssen
vor Ende der Legislaturperiode über den Bundesratsent-
wurf abstimmen . Vielleicht hat die SPD dann noch ein-
mal Mut .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819929500

Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Bettina

Bähr-Losse .


(Beifall bei der SPD)



Bettina Bähr-Losse (SPD):
Rede ID: ID1819929600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren auf den Rängen!
Die Einführung des Rechts auf Eheschließung für Per-
sonen gleichen Geschlechts war bereits im Februar die-
ses Jahres Thema hier im Plenum, sodass vermutlich alle
außer mir das Gefühl haben, ein Déjà-vu zu erleben . Im
Februar dieses Jahres ist der Bundestag unter gleichen
Vorzeichen zusammengekommen . Auf der Website des
Bundestages hieß es damals dazu: Eine parlamentarische
Besonderheit kann am Donnerstag, den 18 . Februar, be-

Volker Beck (Köln)







(A) (C)



(B) (D)


obachtet werden, nämlich eine Debatte nach § 62 Ab-
satz 2 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags .

Es mag Beobachter geben, die deshalb den Umgang
mit diesem Thema als respektlos bezeichnen . Das ist je-
doch gerade nicht der Fall . Ich respektiere, dass die Frak-
tion Die Linke und die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
von dieser Möglichkeit, die ihnen die Geschäftsordnung
einräumt, Gebrauch machen, um dieses für viele Men-
schen so wichtige Thema weiter zu verfolgen . Ich forde-
re aber Respekt auch für die SPD ein; denn Ihnen, liebe
Kolleginnen und Kollegen, ist auch klar, dass Teil einer
Großen Koalition zu sein auch bedeutet, Kompromisse
eingehen zu müssen . Die SPD hat in der vergangenen Le-
gislaturperiode einen fast gleichlautenden Gesetzentwurf
eingebracht . Gleichwohl werbe ich jetzt als Teil einer
Großen Koalition auch um Respekt für die von unserem
Koalitionspartner vielleicht noch immer mehrheitlich
vertretene Position .

Ich verstehe die Kolleginnen und Kollegen der CDU/
CSU-Fraktion . Konservative Parteien mit einem C in ih-
rem Namen haben bei diesem Thema andere innerpar-
teiliche Auseinandersetzungen auszutragen als säkulare
Parteien .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das C haben die nicht verdient!)


Wir stehen im dauernden Dialog, um Überzeugungsar-
beit zu leisten und Ihnen und Ihrer Partei auf dem Weg
der Entscheidungsfindung zu helfen.


(Beifall bei der SPD)


Dies tun wir auch dann, wenn Sie dafür deutlich länger
brauchen als andere; denn auch das gebietet der respekt-
volle Umgang miteinander .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir als SPD wollen die CDU/CSU einbinden auf dem
Weg hin zu einem Gesetz, das es allen Paaren, egal ob
hetero- oder homosexuell, ohne Wenn und Aber erlaubt,
den Bund der Ehe miteinander einzugehen . Ich bin zu-
versichtlich, dass sich auch die CDU/CSU nicht dauer-
haft davor verschließen kann, worum es hier eigentlich
geht . Es geht um den Respekt vor zwei Menschen, die
aus vollem Herzen Ja zueinander sagen wollen . Es geht
um zwei Menschen, die damit Werte und Traditionen
hochhalten und achten wollen . Die Ehe steht für diese
Entscheidung, und wir sollten sie jedem Paar in vollem
Umfang zugestehen . Dies ist die Position der SPD .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Es geht um zwei Menschen, die füreinander einstehen
wollen . Dagegen kann niemand ernsthaft und dauerhaft
etwas einzuwenden haben . Ich respektiere aber auch die
Einstellung und die Arbeit eines jeden Abgeordneten,
egal welcher Fraktion er oder sie angehört; denn niemand
in diesem Plenum macht sich die Meinungsbildung zu
der hier anstehenden Frage leicht . Ich fordere deshalb,
die Abstimmung zu diesem Thema freizugeben, sodass
jede Abgeordnete und jeder Abgeordnete frei und nach
bestem Wissen und Gewissen abstimmen kann und wir
ein Gesetz mit einer breiten Mehrheit über alle Fraktions-

grenzen hinweg auf den Weg bringen und den Menschen,
die ihr Leben als Ehepaar in guten wie in schlechten Zei-
ten teilen wollen, unseren Respekt zollen können; denn
auch diesen Respekt schulden wir einander .

Ich danke Ihnen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819929700

Frau Kollegin Bähr-Losse, Sie gehören dem Hohen

Haus seit dem vergangenen Monat an . Das war Ihre erste
Rede . Ich gratuliere Ihnen dazu .


(Beifall)


Zum Abschluss dieser Aussprache erteile ich jetzt das
Wort dem Kollegen Alexander Hoffmann für die CDU/
CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . René Röspel [SPD])



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1819929800

Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Liebe Frau Kollegin, auch von mir einen herzlichen
Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede, zu einer Rede zu ei-
nem schwierigen Thema, zu einem Thema, das mit Emo-
tionen behaftet ist .

Wir haben dieses Thema schon mehrmals besprochen .
Kollege Petzold, ich will mich bei Ihnen ausdrücklich da-
für bedanken, dass es heute gelungen ist, dass wir dieses
Thema sehr sachlich ansprechen . Ich will schon in Er-
innerung rufen, wie dieses Thema in der Vergangenheit
diskutiert worden ist: oftmals mit sehr vielen Emotionen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht ja auch um die Ehe! Da muss ja Emotion dabei sein!)


Am Ende ging es oftmals um Toleranz, um das Grund-
gesetz . An mancher Stelle zeichneten sich diese Diskus-
sionen gerade durch sehr wenig Toleranz gegenüber der
Meinung des anderen aus . Es wurden von Ihnen, Frau
Künast, und auch von Herrn Beck immer wieder zwei
Lager gebildet: Das eine, das sind die, die für die Ehe für
alle stehen, und die anderen sind einfach nur die Homo-
phoben .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe Sie in diesem Zusammenhang nie als homophob bezeichnet! Zeigen Sie mir die Rede, wo ich das gesagt habe! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wann habe ich das gesagt?)


– Weil Sie gerade hereinrufen, Kollege Beck: Ich wollte
es gar nicht vertiefen; aber Sie haben im Zusammenhang
mit dieser Debatte schon den Begriff der Volksverhet-
zung verwendet . Der Kollege Kahrs benutzte einmal
den Begriff „Vollpfosten“ . Nur deswegen habe ich mich
bemüßigt gefühlt, das anzusprechen . Lassen Sie es doch
einfach einmal so stehen .

Bettina Bähr-Losse






(A) (C)



(B) (D)


Die Debatte leidet vor allem immer wieder darunter –
das ist der zweite Punkt, den ich heute ansprechen möch-
te –, dass der Eindruck erweckt wird, Deutschland sei in
Sachen Gleichstellung Schlusslicht .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, in Russland ist es schlechter! Im Iran auch!)


Kollege Beck, Sie haben jetzt Mexiko genannt . Sie haben
Brasilien genannt . Sie haben die USA genannt . Es wird
der Eindruck erweckt, Deutschland sei ein Hinterwälder-
land in Sachen Gleichstellung .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, sind wir auch! Im westeuropäischen Vergleich ist es so!)


– Jetzt haben Sie gerade den Zuruf gemacht: „Ja, sind
wir auch .“ – Bei genauer Betrachtung wird klar, dass Sie
sich letztendlich eigentlich nur um eine oberflächliche
Betrachtung kümmern . Es geht Ihnen schlussendlich nur
um ein Etikett .

Zu den Ländern, die Sie genannt haben – USA, Me-
xiko, Brasilien –, muss ich Ihnen Folgendes mitteilen: In
den USA hat der Supreme Court 2015 die Ehe für alle
eingeführt . Das ist das Etikett . Was dahintersteht, ist die
Realität, dass heute noch mehr als die Hälfte aller Bundes-
staaten keine arbeitsrechtlichen Vorschriften zum Schutz
Homosexueller vor Diskriminierung hat . In Mexiko gibt
es die Ehe für alle seit 2006 . Nach Umfragen lehnen dort
63 Prozent der Bevölkerung homosexuelle Partnerschaf-
ten ab . In Brasilien ist die Entwicklung ganz schlimm .
Auch dort stimmt nur das Etikett . Dort gibt es die Ehe
für alle seit 2013 . Im Jahr 2003 gab es dort 126 Morde an
homosexuellen Menschen und im Jahr 2013 schreckliche
260 Morde . In den letzten fünf Jahren ist dort die Rate
um 113 Prozent gestiegen . Deswegen traue ich mich,
mich hierhinzustellen und zu sagen: Liebe Kolleginnen
und Kollegen, lassen Sie uns uns doch nicht nur um die
Oberfläche kümmern, nicht nur um das Etikett; denn ent-
scheidend ist das, was drin ist .

Ich sage Ihnen ganz ehrlich, Kollege Beck: Immer
wenn Sie das sagen, was Sie gerade gesagt haben, ärgere
ich mich, weil dabei vollkommen unter den Tisch gekehrt
wird, was politische Parteien in Deutschland, was Bun-
desregierungen und was auch die deutsche Gesellschaft
für die Gleichstellung in diesem Land schon getan haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben am 28 . September 2015 eine Anhörung
gehabt – es ist schon angeklungen –, bei der sehr gut
herausgearbeitet worden ist, dass es zur Vermeidung ei-
ner Diskriminierung eben nicht erforderlich ist, hier den
Ehebegriff zu verwenden . Das sollten Sie, lieber Kolle-
ge Brunner, auch nicht mit dem Beschluss des Parteitags
der CSU verwechseln . Da ging es vor allem darum, mit
dem Begriff „verheiratet“ die personenstandsrechtliche
Diskriminierung zu beseitigen . Das festzustellen, ist mir
wichtig . Sie sehen: Auch bei der CSU gibt es einen sehr
sachlichen und gewissenhaften Umgang mit diesem The-
ma . Da ist einfach meine Bitte, das nicht unter den Tisch
fallen zu lassen .

Auch Sie haben immer von „Gleichstellung“ gespro-
chen . Da ging es ja nie um die Einführung desselben Be-
griffs, vielmehr haben Sie mit dem Begriff der Gleich-
stellung immer schon zu verstehen gegeben: Es sind zwei
unterschiedliche Paar Schuhe, die letztendlich gleichbe-
handelt werden sollten .

Kollege Beck, ich muss Ihnen widersprechen: Das ge-
sellschaftliche Verständnis der Ehe hat sich doch nicht
gewandelt . Die Ehe ist heute noch mit Abstand die Form
für das persönliche Zusammenleben von Menschen, die
am meisten gewählt wird .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwei Drittel sind für die Öffnung der Ehe!)


70 Prozent aller Kinder werden in Ehen groß .

Zu diesem Thema hat kürzlich ein sehr kluger Mann
etwas geschrieben . Kollege Beck, hören Sie zu! Es
ging um die moderne Lebensgestaltung . Diese Person
schreibt – ich werde den Namen gleich nennen –:

Es geht darum, dass jeder nach seiner Fasson leben
kann, und nicht darum, traditionelle Lebensformen
abzuwerten oder die Individualisierung ins Extrem
zu treiben . Individualismus darf nicht zum Egois-
mus werden, sonst wird gesellschaftlicher Zusam-
menhalt unmöglich . So ist und bleibt die klassische
Ehe die bevorzugte Lebensform der meisten Men-
schen – und das ist auch gut so .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat das gesagt, das Zitat?)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819929900

Herr Kollege Hoffmann, gestatten Sie noch eine Zwi-

schenfrage, was Ihre Redezeit verlängern könnte?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür hat er das ja auch zitiert! – Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Erst den Namen!)



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1819930000

Mit großem Vergnügen, Herr Präsident . Unbedingt .


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819930100

Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass der Autor die-

ser Zeilen der Initiator des vorliegenden Bundesratsge-
setzentwurfs ist?


Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1819930200

Ja, natürlich, sehr gerne . Genau deswegen habe ich

diese Zeilen vorgelesen . Ich bin damit noch gar nicht am
Ende . – Es ist der baden-württembergische Ministerprä-
sident Winfried Kretschmann .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Alexander Hoffmann






(A) (C)



(B) (D)


Aber ich sage Ihnen, dass genau dieses Zitat von ihm
letztendlich die Botschaft transportiert, die auch uns als
Union beschäftigt .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann können Sie ja wohl im Bundesrat sehr wohl zustimmen!)


Deswegen ist es zu kurz gesprungen, wenn Sie das in
zwei Lager einteilen .

Ich möchte zum Schluss kommen . Das ist der fünfte
Punkt, den ich ansprechen möchte . In meinen Augen –
diese Meinung werden Sie mir nicht nehmen – sollten
wir jetzt nicht darüber diskutieren, dass wir unterschied-
liche Dinge am Schluss gleich bezeichnen . Es gibt einen
Unterschied zwischen der Ehe und der gleichgeschlecht-
lichen Partnerschaft .


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Worin besteht der?)


Das ist nicht die Verbindlichkeit, das ist nicht die Fähig-
keit, zum Beispiel einem Kind eine Heimat, ein gutes
Zuhause zu geben, sondern der Unterschied ist, dass aus
einer Ehe Kinder hervorgehen können .

Ich bitte dafür um Verständnis und bedanke mich für
Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie aber die älteren Herrschaften in Zukunft verpartnern, wenn Sie dieser Logik folgen!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819930300

Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf der Drucksache 18/6665 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – An-
derweitige Vorschläge gibt es erkennbar nicht . Dann ist
die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Sechzehnten Geset-
zes zur Änderung des Soldatengesetzes

Drucksache 18/10009
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Innenausschuss
A . f . Recht und Verbraucherschutz
Haushaltsausschuss

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe niemanden, der nicht damit einverstanden wäre .1)

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz-
entwurfs auf Drucksache 18/10009 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . –
Anderweitige Vorschläge gibt es nicht . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .

1) Anlage 10

Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 9 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

zu den Entwürfen für eine Durchfüh-
rungsverordnung und zwei Durchfüh-
rungsbeschlüsse der Europäischen Kom-
mission über das Inverkehrbringen von
Saatgut zum Anbau der gentechnisch verän-
derten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11

(Dokumente SANTE/10702/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10704/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10703/2016 CIS Rev. 3)


hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes

Keine Zulassung der gentechnisch veränder-
ten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für
den Anbau in der EU

Drucksache 18/10246

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich sehe, dass
Sie alle mit dieser Redezeit einverstanden sind . Dann ist
diese auch so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Harald Ebner, Bündnis 90/
Die Grünen .


Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819930400

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Und täglich grüßt das Murmeltier .


(Ute Vogt [SPD]: Genau, weil ihr immer die gleichen Anträge stellt!)


Warum befinden wir uns beim Gentechnikanbau eigent-
lich noch immer in diesem Film? Hat nicht Schwarz-Rot
im Koalitionsvertrag und in zahlreichen Debatten hier im
Hohen Haus mehrfach versprochen, dieses Thema end-
lich abzuhaken? Aber das ist wie beim Klimaschutzplan
heute früh: Versprechen alleine nutzen nichts; man muss
die Versprechen auch halten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dazu gehören eine klare Regelung, dass auch neue
Gentechnik Gentechnik ist, ein klares Gesetz für siche-
re, verlässliche, bundesweit einheitliche und dauerhaf-
te Anbauverbote und – darum geht es heute – die klare
Ablehnung neuer Zulassungen von Gentech-Pflanzen in
Europa .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Weil Sie alle drei Punkte nicht hinbekommen wollen,
versuchen Sie jetzt, sich herauszumogeln .

Die Bundesregierung verspricht auf Facebook mit
einem grün angehauchten Posting: „Gentechnik kommt
nicht auf den Acker“ . – Das sieht schick aus . Sie brüs-
tet sich als Widerstandskämpferin gegen die EU, die den

Alexander Hoffmann






(A) (C)



(B) (D)


Anbau in Deutschland verbietet – ich zitiere –, „sogar
wenn die Pflanzen sonst in der EU zugelassen sind“.

Wer sorgt denn dafür, dass genau diese Pflanzen
„sonst in der EU zugelassen sind“? Das ist doch diese
Bundesregierung, weil sie in Brüssel nicht gegen deren
Zulassung stimmt,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


und das sind Sie alle von der Koalition, die heute zum
wiederholten Male eine Abstimmung darüber verhin-
dern .

Sie schieben den Schwarzen Peter nach Brüssel und
glauben, Sie könnten die Menschen da draußen ver-
schaukeln . Das ist dreist und leistet weiterer Politik- und
EU-Verdrossenheit Vorschub . Das ist gerade in diesen
Tagen erschreckend .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das zeigt weiter, dass die Rechnung der Gentechnik-
konzerne aufgeht: Wer bei sich zu Hause verbieten darf,
der stemmt sich nicht mehr gegen EU-Anbauzulassun-
gen . – Genau das sind Ihre Argumente: Mit einem natio-
nalen Anbauverbot sei es doch egal, ob in Europa zuge-
lassen wird . – Nein, das ist es eben nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Zu Hause verbieten, aber woanders zulassen, ist armselig
und falsch .

Schlimm genug, dass Sie dazu hier und heute nicht
einmal offen stehen; aber dass Sie nicht einmal ein Ge-
setz für verlässliche Anbauverbote hinbekommen, son-
dern ein Gentechnik-Comeback-Gesetz vorlegen, das
ist noch viel schlimmer. Das findet sogar der Deutsche
Bauernverband . Klammheimlich wollten Sie darin gleich
noch dafür sorgen, dass die neue Gentechnik künftig gar
nicht mehr als Gentechnik gilt . Das ist ja praktisch: Da-
mit schaffen Sie sich auch gleich noch diese peinliche
Abstimmerei vom Hals .


(Rainer Spiering [SPD]: Ich weiß nicht, wovon Harald redet!)


Dieses Gesetz sollten Sie schnell in die Tonne treten .

Es kommt jetzt in Brüssel bei den Anbauzulassungen
auf die Stimme Deutschlands an, und zwar in allernächs-
ter Zeit . Das erfordert auch, dass wir uns hier im Bun-
destag vorher dazu positionieren und nicht irgendwann .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Vor drei Wochen haben Sie uns die Abstimmung ver-
weigert; es sei ja noch Zeit, den Antrag nach Beratung in
den Ausschüssen wieder ins Plenum zu bringen . Stattdes-
sen haben Sie gestern im Ausschuss die Abstimmung da-
rüber verhindert . Das ist unehrlich und unglaubwürdig .
Den Kopf in den Sand stecken, schafft doch die Fakten
nicht aus der Welt, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es bleibt dabei: Es geht darum, dass in den Folgewo-
chen in Brüssel die Tür zum Gentechnikanbau in Euro-
pa weiter aufgestoßen werden soll . Das dürfen wir nicht
dulden – schon gar nicht durch eine meinungslose Ent-
haltung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie wirklich ver-
hindern wollen, dass Genmais auf den Äckern wächst,
dann müssen Sie in Brüssel mit Nein stimmen, und zwar
umso mehr, als diese Maislinien durch ihre dauerhaft ein-
gepflanzte Insektizidproduktion und teilweise Resistenz
gegen ohnehin verbotene Herbizide auch noch besonders
problematisch sind . Pollen und Bienen, aber auch Saat-
und Erntegut machen nach wie vor nicht an Staatsgren-
zen halt .

Es gibt ein Problem beim Saatgut . Da gibt es Verunrei-
nigungen . Da gilt die Schwelle von 0,1 Prozent . Es gibt
ein Problem mit der invasiven Teosinte, der Urmaissorte
in Spanien . Da besteht die Gefahr der Auskreuzung . Wer
diese Zulassungen nicht ablehnt, der ermöglicht sie . Wer
hier nicht mal darüber abstimmen will, der hat Angst vor
den Wählern .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819930500

Für die CDU/CSU hat jetzt der Kollege Kees de Vries

das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Kees de Vries (CDU):
Rede ID: ID1819930600

Mein sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kol-

leginnen und Kollegen! Ich denke, Sie kennen mich in-
zwischen und wissen, dass ich immer darauf bedacht bin,
sachlich zu bleiben,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habe ich bislang noch nicht gemerkt!)


ganz einfach, weil ich davon ausgehe, dass jeder hier
in diesem Hohen Hause – trotz manchmal sehr unter-
schiedlicher Meinungen oder Sichtweisen – das Ziel hat,
Deutschland nach vorn zu bringen .

Meine sehr verehrten Damen und Herren, heute tue
ich mich sehr schwer damit, sachlich zu bleiben; denn in
dieser Sache ist alles, was wir hier zu diskutieren haben,
klar . Das haben wir auch schon gestern im Ausschuss
festgestellt . Die drei zur Diskussion stehenden Maissor-
ten MON 810, MON 1507 und Bt 11 werden in Deutsch-
land nicht angebaut werden . Das ist eindeutig gesetzlich
geklärt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . René Röspel [SPD])


Unser Minister Christian Schmidt hat die Antragstel-
ler aufgefordert, das deutsche Bundesgebiet vom Anbau

Harald Ebner






(A) (C)



(B) (D)


ihrer Produkte auszuschließen . Diesem Wunsch wurde
nachgekommen . Damit ist klar: Deutschland bleibt gen-
technikfrei .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann wollen Sie zustimmen in Brüssel, oder was?)


Das dürfte sogar Ihnen seit 2015 bekannt sein .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum treffen wir
uns dann hier zu so später Stunde?


(Beifall bei der CDU/CSU – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das liegt nicht an uns!)


Als tierhaltender Landwirt habe ich überhaupt kein Pro-
blem mit dem Einsatz um diese Uhrzeit .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitte keine Arbeitsverweigerung hier!)


Wenn eine Kuh kalbt, Harald, krank oder ausgebrochen
ist, weiß ich, weshalb ich ran muss, obwohl ich mir nicht
sicher bin, ob ich dann etwas verdiene . Hier haben wir
unser nicht geringes Einkommen sicher . Trotzdem bin
ich empört, dass die Abgeordneten der Grünen ihre Kol-
legen zu einer so späten Stunde herbeizitieren, nur um
politisch zu punkten .


(Beifall bei der CDU/CSU – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir hätten letzte Woche abstimmen können!)


Der Bundesparteitag steht vor der Tür .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der letzten Woche hatten wir eine bessere Debattenzeit! Da hätten wir abstimmen können! Dann hätten wir heute nicht mehr antreten müssen!)


– Hast du Zeit? – Gut .

Ich kann das leider nicht anders als einen erneuten
Versuch sehen, den Wählern Angst vor etwas Unbekann-
tem zu machen, um sich nachher als Retter der Mensch-
heit darzustellen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat die Abstimmung verhindert?)


Lieber Kollege Ebner, du hast in diesem Zusammen-
hang gestern die Begriffe „irreführend“ und „populis-
tisch“ gebraucht . Eben habe ich die Worte „verschau-
keln“ und „dreist“ verstanden . Ich könnte diese Worte
jetzt postwendend in einem anderen Kontext zurückge-
ben . Aber ich denke, ich sollte das besser lassen . Auch so
wird mich jeder verstanden haben . Bei jedem Wort, das
ich in dieser Sache weiter verschwende, ist es nur schade
um die Zeit .

Deshalb danke ich für die Aufmerksamkeit .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war die beste Zehnminutenrede in diesem Hause!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819930700

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr . Kirsten

Tackmann, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Du hast jetzt sechs Minuten mehr!)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819930800

Das grenzt eher an Arbeitsverweigerung .


(Zuruf von der CDU/CSU: Das mag bei den Linken so sein!)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Liebe Gäste! Mit ihrem Antrag wollen
die Grünen heute erneut erreichen, dass die Bundesre-
gierung die Anbauzulassung für drei gentechnisch ver-
änderte Maislinien in Brüssel ablehnt, darunter das be-
rühmt-berüchtigte MON 810, das tatsächlich einige Jahre
in Deutschland angebaut wurde, bis Ilse Aigner – von der
CSU übrigens – als Bundesagrarministerin diese Linie
bundesweit verbot,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


weil es neue Hinweise darauf gab, dass die einheimische
Insektenwelt eben doch gefährdet ist . Unterdessen sagen
übrigens selbst Landwirtinnen und Landwirte, dass sie
die Pflanzen überhaupt nicht brauchen.

Alle drei Maislinien stammen aus den einschlägig be-
kannten Häusern: Monsanto, DowDupont und Syngenta .
Allein diese Namen lassen bei mir zumindest die Alarm-
glocken schrillen .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aber leider verhindert das EU-Zulassungsverfahren
keine riskanten Pflanzen. Das ist das eigentliche Pro-
blem. Es hat zu viele Schlupflöcher. Zum Beispiel unter-
sucht die zuständige Europäische Behörde für Lebens-
mittelsicherheit, EFSA, potenzielle Risiken eben nicht
selbst, sondern prüft nur auf Grundlage der Unterlagen
der Hersteller . Das ist weder ein unabhängiges noch ein
transparentes Verfahren . Andere Risiken werden erst gar
nicht geprüft, zum Beispiel Langzeitwirkungen; ethische
Bedenken oder Verdrängungseffekte für konventionelle
Pflanzenzüchter werden nicht berücksichtigt. Deshalb
bleibt die Linke bei ihrer Hauptforderung: Das Zulas-
sungsverfahren muss endlich fit gemacht werden, damit
Risikopflanzen gar nicht erst zugelassen werden.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Dr . Wilhelm Priesmeier [SPD])


Aber es geht eben um viel Macht, und es geht um viel
Geld . Deshalb ist der Widerstand sehr hartnäckig . Aber
ich sage auch: Auch wir sind hartnäckig .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der kritische Geist in den Mitgliedstaaten ist längst
geweckt . Es ist gut, dass in Brüssel eben nicht die EFSA

Kees de Vries






(A) (C)



(B) (D)


entscheidet, sondern politische Gremien . Allerdings ist
in den politischen Gremien seit Jahren Blockade ange-
sagt, leider mit konzernfreundlicher Unterstützung der
Bundesregierung . Sie stimmt einer Zulassung zwar nicht
zu, aber weil die Union dafür, die SPD aber dagegen ist,
enthält sich die Bundesregierung regelmäßig . Aber da-
mit kommt keine qualifizierte Mehrheit – weder dafür
noch dagegen – zustande . Und deshalb kann ebenso re-
gelmäßig die EU-Kommission ersatzweise entscheiden .
Diese Ausnahme ist längst zur Regel geworden . Und am
Ende – oh Wunder – wird immer zugunsten der Konzer-
ne entschieden . Deswegen ist die Enthaltung der Bundes-
regierung in Brüssel eine politische Farce .

Aber es geht noch absurder . Dass die Bundesregierung
bei diesen drei Maislinien längst weiß, dass die Herstel-
ler die Anbauzulassung gar nicht beantragen werden, ist
gerade genannt worden . Das geht über die sogenannte
Ausstiegsklausel, das Opt-out . Damit können die Mit-
gliedstaaten auch nach der EU-Zulassung gentechnisch
veränderter Pflanzen den Anbau auf ihrem Territorium
verhindern . Dass eine Regierung überhaupt – sei es di-
rekt oder indirekt – Konzerne bitten soll, auf den Antrag
für die Anbauzulassung einer Risikopflanze im eigenen
Land zu verzichten, ist für mich als Linke, ehrlich gesagt,
schon ein ziemlich absurder Vorgang .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber wenn die Bundesregierung schon den Anbau im ei-
genen Land verhindern will: Wieso hält sie die Risiken
dann in anderen Ländern für unproblematisch? Mal ab-
gesehen davon, dass länderübergreifende Handelsströme
einen Flickenteppich von Regeln ad absurdum führen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Nein, das ist allzu durchsichtig . Legen wir doch die Kar-
ten auf den Tisch: Die SPD kann sich in der Koalition
nicht durchsetzen . Die Schlussfolgerung daraus muss sie
selbst ziehen . Was aber überhaupt nicht geht, ist, dass
heute erneut dem gesamten Parlament die Abstimmung
verweigert wird .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie lange will denn die SPD die Illusion verbreiten,
dass die Union irgendwann mal ihre Blockade aufgeben
wird? Außerdem haben wir hier doch eine gentechnik-
kritische Mehrheit . Grüne, Linke, SPD und sogar einige
Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU könnten
heute hier ein sehr starkes Zeichen setzen . Ich sage ganz
ehrlich: Ein selbstbewusstes Parlament muss dieses Zei-
chen setzen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819930900

Zum Abschluss dieser Aussprache spricht die Kolle-

gin Rita Hagl-Kehl für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Rita Hagl-Kehl (SPD):
Rede ID: ID1819931000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Grünen, ich möchte Sie explizit einmal ansprechen: Das
ist derselbe Antrag, über den wir bereits in der letzten
Debatte gesprochen haben . Die Situation ist auch noch
dieselbe .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Deswegen werde ich jetzt in Vertretung meiner Kollegin
Elvira Drobinski-Weiß, die erkrankt ist, noch einmal so
ungefähr dasselbe sagen .


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ute Vogt [SPD]: Das ist das pädagogische Prinzip: Durch Wiederholen lernt man! – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In Artikel 20a des Grundgesetzes steht:

Der Staat schützt auch in Verantwortung für die
künftigen Generationen die natürlichen Lebens-
grundlagen und die Tiere im Rahmen der verfas-
sungsmäßigen Ordnung . . .

Ich hoffe, Sie alle kennen diesen Artikel . Das ist genau
der Artikel, der für meine Fraktion zutrifft, wenn es um
Gentechnik geht . Wir Sozialdemokratinnen und Sozial-
demokraten lehnen Gentechnik auf dem Acker ab .


(Beifall bei der SPD – Kees de Vries [CDU/ CSU]: Wir auch!)


Wir wollen die natürlichen Lebensgrundlagen für die
zukünftigen Generationen schützen . Vorteile für den
Verbraucher gibt es kaum, aber die langfristigen Risiken
für die Ökosysteme, für die Umwelt, für die Nahrungs-
grundlagen sind kaum erforscht und ungewiss . Es wird
behauptet, dass Gentechnik wissenschaftlich erforscht
sei . Aber woher wollen wir wissen, welche Folgen es in
den nächsten hundert Jahren gibt? So lange existiert Gen-
technik ja noch nicht .


(Beifall bei der SPD)


Deshalb wollen wir – da sind wir uns durchaus mit den
Grünen und den Linken einig – in Deutschland den An-
bau von gentechnisch veränderten Pflanzen untersagen.
Wir wollen in Deutschland nur Forschungsvorhaben, wie
sie die EU erlaubt, und keinen Flickenteppich von Rege-
lungen . Wir brauchen endlich einen Gesetzentwurf . Er ist
am 2 . November im Kabinett beschlossen worden . Laut
diesem Gesetzentwurf soll die Bundesregierung ein An-
bauverbot erlassen . Das ist ein klarer Auftrag . Uns hätte
die Vorlage des Bundesrates zwar besser gefallen, und
die Länder kritisieren einiges an dem Gesetzentwurf,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht ja nachher zur Abstimmung!)


zum Beispiel, dass das Einvernehmen zwischen sechs
Ministerien hergestellt werden muss, bevor ein Erlass
zustande kommt, dass die Zustimmung der Mehrheit der
zuständigen obersten Landesbehörden nötig ist oder dass
die Länder selbst tätig werden müssen, wenn der Bund

Dr. Kirsten Tackmann






(A) (C)



(B) (D)


es nicht tut, wobei dann immer die Frage ist, ab wann die
Länder selbst tätig werden müssen . Den Prozess haben
Sie – Herr Schmidt ist leider nicht da; ich muss mich an
die Staatssekretärin wenden – mit diesem Gesetzentwurf
leider verkompliziert .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ja warum wohl? – Gegenruf des Abg . Kees de Vries [CDU/CSU]: Wegen der Rechtssicherheit! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie haben es in der Hand!)


Minister Schmidt hat im Oktober laut Reuters ge-
sagt – ich zitiere –: „Mein Ziel ist ein flächendeckendes
Anbauverbot …“ Wir fordern ihn als SPD-Fraktion und
als Koalitionspartner auf: Handeln Sie danach!


(Beifall bei der SPD – Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das Parlament ist der Gesetzgeber! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es geht heute um etwas anderes! Es geht um die Zulassung von drei Maissorten!)


Beim Antrag der Grünen – dazu komme ich jetzt,
lieber Harald Ebner – geht es um die Zulassung von
gentechnisch veränderten Pflanzen auf EU-Ebene. Die
sozialdemokratisch geführten Ministerien stimmen re-
gelmäßig dagegen – das ist von Frau Dr . Tackmann schon
festgestellt worden –, die unionsgeführten stimmen da-
für . Damit kommen wir in der EU zu einer Enthaltung .
Insofern ist die Schlussfolgerung: Leider ist das keine
konsequente Haltung .


(Beifall der Abg . Harald Weinberg [DIE LINKE] und Harald Ebner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Wir wünschen uns vom Koalitionspartner, dass er end-
lich geschlossen den Wunsch der Bürger respektiert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Menschen wollen keine Gentechnik auf den Feldern,


(Alois Gerig [CDU/CSU]: Es gibt keine in Deutschland!)


und wir wollen auch, dass es keine geben wird . Dann
können wir es ja per Gesetz regeln .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auf den Feldern gibt es keine Gentechnik, in der Tier-
nahrung haben wir sie . Das wäre vielleicht auch mal ein
Thema, das aufgegriffen werden müsste; denn ich bin mir
nicht sicher, ob der deutsche Verbraucher immer weiß,
dass er die ganze Zeit schon Gentechnik mitisst –


(Kees de Vries [CDU/CSU]: Genau! Kennzeichnung! Transparenz!)


über die Tiernahrung, die in den guten deutschen Ställen
überall brav verteilt wird .

Das Anbauverbot, das wir wollen, liegt auf dem Tisch
und nimmt jetzt den gesetzgeberischen Weg . Da sind wir
als Gesetzgeber, als Parlament gefragt . Wir wollen, dass

das gemeinsame Ziel festgelegt wird . Mit dem Antrag,
der jetzt vorliegt, können und werden wir arbeiten .

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819931100

Damit schließe ich die Aussprache .

Wir kommen zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf der Drucksache 18/10246 . Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen beantragt die Abstimmung über
ihren Antrag in der Sache . Die Fraktionen von CDU/
CSU und SPD wünschen Überweisung .

Mir ist mitgeteilt worden, dass dazu das Wort zur Ge-
schäftsordnung gewünscht wird . Ich glaube, dass die
Kollegin Lemke als Erste reden möchte . Ich erteile ihr
hiermit das Wort .


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819931200

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Im Namen der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen beantrage ich die Sofortabstimmung über unseren
Antrag, der sich auf die Zulassung dreier gentechnisch
veränderter Maissorten in Brüssel bezieht . Ja, es ist rich-
tig, dass wir diese Debatte in der letzten Sitzungswoche
hier bereits geführt haben,


(Kees de Vries [CDU/CSU]: Auch sinnlos!)


und ich bedauere mit Ihnen, Herr de Vries, dass wir diese
Debatte in dieser Woche noch mal führen müssen . Wir
sitzen wegen Ihnen hier, weil Sie in der letzten Sitzungs-
woche verhindert haben, dass unser Antrag hier zur So-
fortabstimmung kommt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Unsere Idee war, sich in dieser Woche nicht noch mal
zu treffen und diese Debatte nicht noch mal zu führen .
Wir waren bereits in der letzten Woche der Meinung,
dass dieser Antrag abstimmungsreif war . Die Debatten-
beiträge haben auch gezeigt, dass alle im Thema sind und
wissen, worum es geht . Das Argument, das uns in der
letzten Woche entgegengehalten worden ist, namentlich
seitens der Kollegin Ziegler von der SPD-Fraktion, war,
dass eine Ausschussberatung unseres Antrages notwen-
dig sei, diese durchgeführt werden solle und man ja da-
nach über unseren Antrag abstimmen könne .

So weit, so gut . Das Problem ist, dass die Ausschuss-
beratung inzwischen stattgefunden hat, Sie aber immer
noch nicht bereit sind, über unseren Antrag abzustim-
men . Deshalb stehen wir jetzt wieder hier und beantra-
gen erneut, dass er zur Sofortabstimmung kommt; denn
wir gehen davon aus, dass in Brüssel noch im November
oder im Dezember abgestimmt werden kann . Ein Antrag
dazu kann dort jederzeit auf die Tagesordnung gesetzt
werden, und wir finden, dass der Deutsche Bundestag in
einer so wichtigen Angelegenheit wie der Zulassung von
gentechnisch veränderten Maissorten auf europäischer
Ebene vorher klar Position beziehen und dem Minister

Rita Hagl-Kehl






(A) (C)



(B) (D)


eine klare Position mit auf den Weg geben sollte . Deshalb
wollen wir, dass das Parlament sich positioniert .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Herr de Vries, ich finde, es ist schon starker Tobak, uns
hier Populismus vorzuwerfen, wenn Sie hier zum zwei-
ten Mal eine Abstimmung über einen klaren Sachverhalt
verhindern, und zwar ausschließlich deshalb, weil Sie
nicht wollen, dass klar und transparent nach außen trans-
portiert wird, dass Sie diese Zulassung eigentlich wollen,
aber den Schwarzen Peter in Brüssel hinterlassen möch-
ten . Sie wollen, dass die Zulassung in Brüssel passiert,
aber Sie wollen hier gerne weiter gegen die Grüne Gen-
technik reden und damit den Verbrauchern Sand in die
Augen streuen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/ CSU: Scheinheilig!)


– Das ist nicht scheinheilig, sondern es ist Sinn und Zweck
Ihrer Operation, damit den Zwiespalt in der Großen Ko-
alition zu überdecken . Das ist ein Problem, für das ich
Verständnis habe . Aber ich habe kein Verständnis dafür,
dass Sie die Verhinderung der Abstimmung über unseren
Antrag hier zum zweiten Mal zelebrieren . Dann stimmen
Sie gegen unseren Antrag . Haben Sie den Mumm in den
Knochen, zu sagen, Sie wollen diesen Antrag nicht; Sie
lehnen ihn ab . Heben Sie dann einfach beim Nein die
Hand, statt dass wir uns in der nächsten Sitzungswoche
wieder um 22 Uhr hier versammeln müssen .

Danke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/ CSU: Dann haben wir Haushaltswoche!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819931300

Als zweite Rednerin zur Geschäftsordnung erteile ich

der Kollegin Ute Vogt für die SPD das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1819931400

Danke schön . – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ich spreche im Namen der Koalition, und
ich muss sagen: Natürlich hat der Herr Ebner recht: Es
ist hier Murmeltiertag . Die Grünen schaffen es Woche
für Woche, diese Empörungsmaschinerie anzuknipsen
und uns jedes Mal mit dem gleichen Antrag zu befassen,
der aber, wie Sie wissen, auch noch im Zusammenhang
mit der Beratung des Opt-out-Gesetzes steht . Das ist jetzt
gerade im Kabinett gewesen . Es wird uns demnächst er-
reichen . Da haben wir alle Zeit der Welt, eine gute und
ausführliche Debatte zu führen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat damit gar nichts zu tun!)


Ich will Ihnen eines sagen: Es gibt überhaupt keinen
Eilbedarf für den Antrag, den Sie heute hier vorlegen;
denn das Bundesministerium hat Ihnen gestern im Aus-

schuss schon erklärt, dass die EU-Kommission noch
nicht einmal den Termin für die anstehende Abstimmung
über die Zulassung dieser Maissorten festgelegt hat . Also
gibt es kein Eilbedürfnis, wie Sie es hier geltend machen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Zum Zweiten ist Deutschland – auch das haben Ihnen
mehrere Kolleginnen und Kollegen bereits erklärt – von
den Anbauzulassungsvorschlägen, wie sie im Moment
vorliegen, nicht betroffen, weil wir bereits das Opt-out
erklärt haben und deshalb das gesamte Hoheitsgebiet
Deutschlands von dieser Zulassung ausgenommen ist .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann mutet ihr es den anderen Ländern zu, oder was?)


Das Dritte haben Sie ja selbst eigentlich schon fest-
gestellt . Die Bundesregierung wird dem jedenfalls nicht
zustimmen; denn die SPD-Seite hat schon erklärt, dass
Sie bei einem Nein zu diesem Thema bleibt . Insofern
brauchen Sie auch keine Sorge haben, dass eine Zustim-
mung erfolgen wird .


(Beifall bei der SPD)


Schließlich muss ich Ihnen sagen: Was Sie hier betrei-
ben, ist wirklich überflüssiger Alarmismus.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es geht Ihnen doch überhaupt nicht um die Sache .
Es geht Ihnen wieder einmal um die typische Oppositi-
onsnummer, eben mal was vorzuführen . Ich sage Ihnen:
Sie haben doch jedes Recht der Welt, Presseerklärungen
noch und nöcher zu machen . Da brauchen Sie doch nicht
jedes Mal unsere Zeit hier in Anspruch zu nehmen mit
Plenardebatten zu Dingen, bei denen im Grunde klar ist,
dass wir diese Debatte letzte Woche geführt haben und
dass wir sie in Kürze wieder führen werden .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das ist wirklich übel! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Angesichts dieser ganzen schrillen Töne sage ich ganz
ehrlich: Ich wünsche es mir ja nicht, aber manchmal
denke ich schon: Ich würde Ihnen auch hier das gön-
nen, was Sie in Ländern zu ertragen haben, nämlich eine
schwarz-grüne Regierung . Dann wollte ich mal sehen,
wie Sie Ihre Klappe wieder aufreißen .


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir sind jedenfalls der Meinung: Wir sollten anstän-
dig über den anstehenden Opt-out-Antrag diskutieren . Er
verdient es, ausführlich beraten zu werden . Die Showan-
träge, die Sie Woche für Woche vorlegen, lehnen wir ab .


(Lebhafter Beifall bei der SPD und der CDU/ CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlich! Sehr, sehr peinlich!)


Steffi Lemke






(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819931500

Nach diesem Austausch von guten Wünschen


(Heiterkeit)


habe ich den Eindruck, dass die Wortmeldungen zur Ge-
schäftsordnungsdebatte erledigt sind . Wir kommen dann
zu den Abstimmungen .

Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den
Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Die Fraktionen
von CDU/CSU und SPD – das haben wir schon geklärt –
wünschen die Überweisung der Vorlage auf Drucksa-
che 18/10246, und zwar zur federführenden Beratung an
den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft und
zur Mitberatung an den Ausschuss für Gesundheit, an
den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-
torsicherheit, an den Ausschuss für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung sowie an den Ausschuss
für die Angelegenheiten der Europäischen Union . Wer
für diese beantragte Überweisung stimmt, den bitte ich
um ein Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen sehe ich keine . Damit ist die Überweisung
beschlossen mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke . – Damit stimmen wir heute über den
Antrag auf Drucksache 18/10246 in der Sache nicht ab .

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten
Gesetzes zur Änderung des Saatgutverkehrs-
gesetzes

Drucksachen 18/9531, 18/9907, 18/10102 Nr. 7

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(10 . Ausschuss)


Drucksache 18/10278

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . –
Dagegen erhebt sich kein Widerspruch . Dann machen
wir das so .1)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/10278, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den Drucksa-
chen 18/9531 und 18/9907 anzunehmen . Ich bitte jetzt
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
um das Handzeichen . – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen des gesamten Hohen Hauses angenom-
men .

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte jetzt diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe-
ben . – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Keine . Der
Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen des gesamten
Hohen Hauses angenommen .

1) Anlage 11

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Norbert
Müller (Potsdam), Katrin Kunert, Wolfgang
Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on DIE LINKE

Rekrutierung von Minderjährigen für die
Bundeswehr sofort beenden und keine Ausbil-
dung von Jugendlichen an Waffen

Drucksache 18/10241
Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Federführung strittig

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . –
Widerspruch erhebt sich nicht . Dann machen wir das so .2)

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10241 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Die Federführung
ist jedoch strittig . Die Fraktionen von CDU/CSU und
SPD wünschen die Federführung beim Verteidigungs-
ausschuss; die Fraktion Die Linke wünscht die Federfüh-
rung beim Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend .

Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Die Linke abstimmen . Der Antrag der Fraktion
Die Linke sieht vor, dass die Federführung beim Aus-
schuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend liegt .


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Da, wo Kinder hingehören! Kinder gehören nicht ins Militär!)


Wer für diesen Überweisungsvorschlag stimmt, den bitte
ich um ein Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Gibt
es Enthaltungen? – Nein . Der Überweisungsvorschlag ist
damit mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD gegen
die Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/
Die Grünen abgelehnt .

Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen von CDU/CSU und SPD – Federführung
beim Verteidigungsausschuss – abstimmen . Wer für die-
sen Überweisungsvorschlag stimmt, den bitte ich um ein
Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Der Überwei-
sungsvorschlag ist mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Fraktionen Bündnis 90/Die
Grünen und Die Linke angenommen .

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 23 a und 23 b
auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Weiterentwicklung der Versorgung
und der Vergütung für psychiatrische und
psychosomatische Leistungen (PsychVVG)


Drucksachen 18/9528, 18/9837, 18/10102 Nr. 2

2) Anlage 12






(A) (C)



(B) (D)


Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Gesundheit (14 . Ausschuss)


Drucksache 18/10289

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14 . Ausschuss)

Klein-Schmeink, Dr . Harald Terpe, Elisabeth
Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Psychisch erkrankte Menschen besser versor-
gen – Jetzt Hilfenetz weiterentwickeln

Drucksachen 18/9671, 18/10289

Zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt ein
Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor .

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Gegenstim-
men und andere Anträge sehe ich nicht . Dann ist das so
beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Ute Bertram für die CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Dirk Heidenblut [SPD])



Ute Bertram (CDU):
Rede ID: ID1819931600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir beschließen heute zu später Stunde den
Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Ver-
sorgung und der Vergütung für psychiatrische und psy-
chosomatische Leistungen, das wir auch unter dem Kür-
zel PsychVVG kennen . Wie so viele Gesetze hat auch
dieses Gesetz einen reichlich sperrigen Titel . Jedenfalls
ist er nicht so peppig wie PEPP .

Dieser Gesetzentwurf ist aber sehr ambitioniert und
hat eine lange Entstehungsgeschichte . Während PEPP
das alte Vergütungssystem mit seinen intransparenten
Budgets zugunsten eines durchgängigen, leistungsorien-
tierten und pauschalierenden Vergütungssystems auf der
Grundlage von tagesbezogenen Entgelten ablösen sollte,
kommt mit dem PsychVVG nun eine Regelung, die bei-
de Systeme kombiniert. Man könnte, wie ich finde, auch
sagen: Es kommt einer Quadratur des Kreises gleich .

Zur Geschichte dieses Gesetzentwurfs gehört auch das
Eckpunktepapier aus dem sogenannten strukturierten Di-
alog, den die Bundesregierung und die Regierungskoali-
tion mit den Berufsverbänden und den Partnern des Ge-
sundheitswesens 2015 und Anfang dieses Jahres geführt
haben . Es hat sich gelohnt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Gesetzentwurf findet die weit überwiegende Zustim-
mung der Beteiligten und der Betroffenen . Das hat Sel-
tenheitswert, gerade im Gesundheitswesen . Dieser Kon-
sens mit denjenigen, die das Gesetz betrifft, ist politisch
ein Wert an sich .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich möchte es deshalb nicht versäumen, den ganz per-
sönlichen Einsatz von Bundesminister Hermann Gröhe
hervorzuheben und ihm und seinem Haus sehr herzlich
zu danken .


(Beifall bei der CDU/CSU)


An dem mit PEPP verfolgten Ziel, die Vergütung für
psychiatrische und psychosomatische Krankenhäuser
leistungsorientiert und mit der verbesserten Transpa-
renz über das Leistungsgeschehen in diesen Einrichtun-
gen auszugestalten, halten wir mit dem PsychVVG fest .
Doch die bislang vorgesehene schematische Konvergenz
zu landeseinheitlichen Preisen entfällt . Stattdessen stär-
ken wir die Verhandlungskompetenz der Vertragspartei-
en vor Ort .

In Abkehr von PEPP wird das Entgeltsystem, das die
Vertragsparteien auf Bundesebene ausgehandelt haben,
nun als Budgetsystem ausgestaltet . Die bislang vorgese-
hene Anwendung als Preissystem wird aufgegeben . Wir
erwarten von diesem Entgeltsystem, dass es leistungso-
rientierte Budgetvereinbarungen ermöglicht . Zusätzlich
erwarten wir mehr Transparenz über das Leistungsge-
schehen . Die Kalkulation des Entgeltsystems und sei-
ner bundeseinheitlichen Entgelte erfolgt weiterhin auf
der Grundlage empirischer Daten unter Verwendung der
Kostendaten der Kalkulationshäuser . Deren bisherige Ar-
beit war somit nicht umsonst .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit Unterstützung dieses bundesweit und empirisch kal-
kulierten Entgeltsystems wird das Budget der einzelnen
Einrichtung vereinbart . Hierbei werden regionale und
strukturelle Besonderheiten in der Leistungserbringung
berücksichtigt .

Einen besonders hervorzuhebenden Baustein für die
Budgetfestsetzung bilden die Personalkosten, was bei der
Psychotherapie als der „sprechenden Medizin“ allerdings
auch naheliegt . Von 2017 bis Ende 2019 wird die Psy-
chiatrie-Personalverordnung scharf gestellt und ab 2020
durch verbindliche Mindestvorgaben abgelöst, die der
G-BA im Rahmen der Richtlinien zur Qualitätssicherung
festlegt . In Verbindung damit ist zu sehen, dass die Ein-
richtungen gegenüber den Kassen und auch gegenüber
dem Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus, dem
InEK, die tatsächlich entstandenen Personalkosten und
die besetzten Stellen nachzuweisen haben .

Im Koalitionsvertrag ist vereinbart worden, dass das
Entgeltsystem auch die sektorenübergreifende Behand-
lung fördern muss . Mit dem PsychVVG wird nun die
Möglichkeit eröffnet, dass psychiatrische Krankenhäuser
mit regionaler Versorgungsverpflichtung und Allgemein-
krankenhäuser mit selbstständigen psychiatrischen Ab-
teilungen unter bestimmten Voraussetzungen eine, wie
es im Gesetzestext heißt, „stationsäquivalente psychia-
trische Behandlung“ durchführen können . In Fachkrei-
sen ist dies besser unter dem Begriff „Home Treatment“
bekannt . Eine sektorenübergreifende Behandlung im ei-
gentlichen Sinne ist das Home Treatment nicht . Es ist ein
Einstieg der vorsichtigen Art .

Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen haben
wir immerhin zwei Bremsklötze gelöst, indem wir die

Vizepräsident Johannes Singhammer






(A) (C)



(B) (D)


Erfordernisse einer akuten Krankheitsphase und eines
kompensatorischen Bettenabbaus gestrichen haben .

Das PsychVVG hat sich im Laufe der Beratungen au-
ßerdem zu einem Omnibusgesetz entwickelt . Dazu wird
es noch weitere Ausführungen meines Kollegen Reiner
Meier geben . Ich empfehle, diesem Gesetzentwurf zuzu-
stimmen .

Nur ganz kurz zum Entschließungsantrag der Grünen:
Ich glaube, wir haben einige der Forderungen, die in Ih-
rem Antrag enthalten sind, umgesetzt . Die Schiedsstelle
für Soziotherapie und auch der Nachweis der Personal-
standards seien angeführt . Insofern ist es aus meiner Sicht
unberechtigt, diesem Gesetzentwurf jetzt Unzulänglich-
keit zu bescheinigen . Daher lehnen wir Ihren Antrag ab .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819931700

Das Wort hat der Kollege Harald Weinberg für die

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Weinberg (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819931800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zu später Stunde sprechen wir über dieses Thema . Die
Historie ist dabei nicht ganz unwichtig . Kaum jemand
erinnert sich noch an Herrn Bahr, der als FDP-Gesund-
heitsminister das pauschale Entgeltsystem für Psych-
iatrie und Psychosomatik einführen wollte, eine Art
Fallpauschalen, die wir mit allen problematischen Wir-
kungen bereits in den normalen Krankenhäusern kennen .
Das war natürlich hochgradiger Unsinn; denn es ist klar,
dass dies gerade bei den psychischen Erkrankungen nicht
funktionieren kann .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Bei einer gleichen Diagnose, zum Beispiel Depression,
kann es extrem unterschiedliche Behandlungsverläufe
geben, die sich einer Pauschalisierung völlig entziehen .
Es funktioniert ja eigentlich auch schon jetzt nicht in den
somatischen Krankenhäusern .


(Beifall bei der LINKEN)


Es gab daher erheblichen Widerstand von Fachge-
sellschaften, Patientenorganisationen, Gewerkschaften,
Klinikleitungen usw . Das führte zunächst zu einer Aus-
setzung des Vollzugs, zu einem Moratorium, und an-
schließend zu diesem Entwurf eines Gesetzes zur Wei-
terentwicklung der Versorgung und der Vergütung für
psychiatrische und psychosomatische Leistungen . Dies
ist ein wunderbarer Titel . Die Tatsache, dass uns das
sozusagen aufgegeben werden musste, war und ist ein

großer Erfolg dieses Widerstands . Es zeigt sich einmal
mehr: Widerstand lohnt sich .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Allerdings folgte der Freude über diesen Erfolg eine
gewisse Ernüchterung . Von vielen Akteuren war die Ein-
schätzung zu hören, dass sie zwar die krankenhausindi-
viduellen Entgeltverhandlungen begrüßen würden, dass
aber der leistungsgerechte Vergleich der Einrichtungen,
bei dem nach wie vor die durch PEPP ermittelten Daten
verwendet werden, zu einer Art PEPP durch die Hintertür
führe . Diese Einschätzung teilen wir .

Trotz Verbesserungen in Einzelheiten – nicht zuletzt
durch die Anhörung – bleibt also die Grundausrichtung
dieser Finanzierungsreform aus unserer Sicht falsch . Sie
setzt nicht auf eine Finanzierung, die sich am notwendi-
gen Behandlungsbedarf orientiert, sondern setzt ähnliche
Fehlanreize, wie sie durch PEPP zu befürchten waren
und wie wir sie aus den normalen Krankenhäusern schon
kennen . Frühe Entlassungen, Drehtüreffekte und Ähnli-
ches sind hier zu nennen .

Die Personalregelungen, die als Vorgaben immerhin
im Gesetzentwurf enthalten sind, sind aus unserer Sicht
unzureichend . Zusätzliche Mittel dafür – so geht es aus
einer Antwort der Bundesregierung auf eine Frage von
mir hervor – werden nicht eingestellt, und die Entwick-
lung der Personalvorgaben alleine in die Hände von Kas-
sen und Krankenhäusern zu legen, ist nicht zielführend .


(Beifall bei der LINKEN)


Wichtige Gruppen wie Patientenorganisationen, Fachge-
sellschaften und die Wissenschaften sind außen vor .

Eine Behandlung von psychisch erkrankten Menschen
im häuslichen Umfeld statt auf Station zu ermöglichen,
ist grundsätzlich positiv, und immerhin haben Sie gere-
gelt, dass kein Zwang mehr besteht, im gleichen Umfang
Stationsbetten abzubauen . Es bleibt allerdings das Pro-
blem einer sinnvollen Verzahnung mit bereits bestehen-
den ambulanten Versorgungsstrukturen, also von mögli-
chen Doppelungen, von möglicher Konkurrenz und des
Abbaus von Versorgungsnetzen .

Die Schlussfolgerung für uns lautet: Der Gesetzent-
wurf enthält einige gute Ansätze . Er ist letztendlich aber
nicht nur unzureichend geblieben – dann würden wir uns
enthalten –, sondern hält auch noch an der falschen Lo-
gik eines pauschalierten Entgeltsystems fest . Deswegen
werden wir ihn ablehnen, und deshalb haben wir einen
Entschließungsantrag eingebracht,


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Einen guten!)


mit dem das eigentlich gute Projekt wieder auf ein ver-
nünftiges Gleis gesetzt werden soll .


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Schluss möchte ich noch zum Thema Omnibus
kommen . Der Gesetzentwurf ist ein Transportmittel für
ganz andere Dinge . Besonders hervorzuheben ist der Griff
in die Rücklagen des Gesundheitsfonds von 1,5 Milliar-

Ute Bertram






(A) (C)



(B) (D)


den Euro . Es handelt sich dabei um ein klassisches Wahl-
kampfgeschenk, das dazu dienen soll, im Wahljahr 2017
einen weiteren Anstieg der Zusatzbeiträge, die die Versi-
cherten ja alleine tragen müssen, zu vermeiden . Das ist
allerdings ein Einmaleffekt . Der Zusatzbeitrag wird in
2018 umso stärker ansteigen müssen . Aber das ist dann
ja nach der Wahl . Insofern ist das der jetzigen Regierung
offensichtlich egal .

Ein richtiger politischer Skandal ist die Begründung
für diesen Griff in den Gesundheitsfonds . Sie lautet näm-
lich, dass durch die Zusatzkosten das Nachrücken von
Flüchtlingen in die GKV abgedeckt werden müsse . Das
ist meines Erachtens relativ problematisch und ein echter
Skandal .


(Beifall bei der LINKEN)


Später ist Minister Gröhe von dieser Begründung teil-
weise wieder abgerückt, vor allen Dingen deswegen,
weil mehrere Kassen öffentlich erklärt haben, dass sie
das Geld zwar nehmen, für diesen Zweck aber eigentlich
nicht benötigen würden .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819931900

Herr Kollege Weinberg, achten Sie bitte auf die Zeit .


Harald Weinberg (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819932000

Ich komme zum Schluss . – Dieser falsche Zusammen-

hang, der hier hergestellt wurde, ist im Raum und wirkt
in einer Zeit, in der wir gemeinsam Verantwortung dafür
haben, dass der Rechtspopulismus nicht weiter bedient
wird, schlecht, und ich meine, hier müssen wir alle mit-
einander aufpassen .


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819932100

Der Kollege Dirk Heidenblut hat für die SPD-Fraktion

das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Dirk Heidenblut (SPD):
Rede ID: ID1819932200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Endlich ist es geschafft – es war ein lan-
ger Weg –: Wir haben ein gutes Gesetz auf den Weg ge-
bracht . Lieber Herr Kollege Weinberg, nicht nur der Titel
ist gut, sondern der gesamte Gesetzentwurf, und darauf
können wir stolz sein .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Gestatten Sie mir als jemand, der wirklich seit Beginn
dieser Legislaturperiode dafür gekämpft hat, dass wir
PEPP in den Griff kriegen, zu sagen, dass ich sehr froh
bin, dass wir es geschafft haben und ihm zumindest die
wesentlichen problematischen Reißzähne, die gerade den
Schwerstkranken schwer zu stehen gekommen wären,
gezogen haben . PEPP ist nicht weg; das will ich gerne
einräumen . Es ist nun aber Teil eines Gesamtsystems, ei-
nes Budgetsystems, in dem es auf jeden Fall nicht mehr

als Preisfindungsmechanismus dient. Das war einer der
zentralen Problempunkte .


(Beifall bei der SPD)


Wir haben diesen guten Gesetzentwurf – das will ich
ausdrücklich sagen – einem strukturierten Dialog zu
verdanken, den wir dank unserer relativ schnellen Ver-
längerung der Optionsphase ermöglicht und bewusst auf
den Weg gebracht haben . Ich bin allen Beteiligten, den
Verbänden und den Ministerien, sehr dankbar dafür, dass
man das aufgegriffen hat . Ich bin an dieser Stelle vor al-
lem den Verbänden dafür dankbar, dass sie gemeinsam,
vernünftig und strukturiert an einer Lösung mitgearbei-
tet haben . Deshalb sage ich, Herr Weinberg: Zumindest
nach dem, was ich höre, wird der Gesetzentwurf unisono
als durchaus gut und passfähig bezeichnet, und das ist er
eben auch .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ja, wir haben den parlamentarischen Prozess genutzt –
die Kollegin hat das schon klargemacht –, um einen gu-
ten Entwurf noch ein bisschen besser zu machen; denn
nichts, was gut ist, könnte nicht noch besser werden . Das
haben wir mit 29 Änderungsanträgen auf den Weg ge-
bracht .

Ich kann nur wenige Punkte aufgreifen; aber das will
ich gerne tun . Wir haben etwas mehr präzisiert, wie die
strukturellen und regionalen Besonderheiten in die Bud-
getfindung einfließen sollen, damit gerade hier das, was
für die Patienten wichtig ist, auch Berücksichtigung fin-
det . Wir haben aber vor allen Dingen die Kritik in der
Anhörung aufgegriffen, dass der Bereich Kinder- und
Jugendpsychiatrie, der allerdings einer besonderen Be-
trachtung bedarf, im Entwurf vielleicht nicht ganz opti-
mal abgebildet war, und haben dafür gesorgt, dass hierbei
der Fokus stärker auf die Besonderheiten von Kinder-
und Jugendpsychiatrie ausgerichtet wird .


(Beifall bei der SPD)


Wir haben das neue Instrument Home Treatment, sta-
tionsäquivalente Versorgung, eingeführt und dieses In-
strument jetzt noch einmal geschärft; denn wir haben die
im Gesetz vorgesehene unsinnige Verknüpfung mit dem
Bettenabbau eliminiert . Das hat – lassen Sie mich das
sagen – nicht nur die Frage aufgeworfen, ob das mög-
licherweise als Finanzanreiz ein Problem wäre . Meines
Erachtens hat es auch eine inhaltliche Bedeutung . Ich
habe die Umstellung der Eingliederungshilfe vom statio-
nären auf den ambulanten Bereich selbst mitgemacht . Da
war es für viele Menschen wichtig, zu wissen, dass das
Bett noch nicht weg ist, es sozusagen eine Rückkehrsi-
cherheit gibt . Ich glaube, das ist auch für die Akzeptanz
dieser Regelung ein durchaus nicht unwichtiger Aspekt .

Zudem haben wir dafür gesorgt, dass die Akutversor-
gung nicht zu eng geführt wird und wir am Ende womög-
lich gar keinen Personenkreis haben, der von dieser Lö-
sung Gebrauch machen kann . Jetzt ist es an den Kliniken
und natürlich an den Patientinnen und Patienten – denn
es geht nur mit deren Wunsch und Willen –, diese durch-
aus gute Möglichkeit zu nutzen .

Harald Weinberg






(A) (C)



(B) (D)


Ich sage ganz selbstkritisch – das zielt auch auf Ihren
Antrag –: Ja, wir müssen bei der Frage der Vernetzung,
bei der Frage des sektorübergreifenden Arbeitens noch
viel weiter kommen . Dazu steht durchaus viel Gutes in
Ihrem Antrag . Es ist aber auch vieles enthalten, was wir
aufgegriffen haben .

Wir haben dafür gesorgt – das war uns von Anfang an
wichtig, und das war einer der größten Knackpunkte am
PEPP –, dass es wieder und weiterhin eine verbindliche
Richtlinie für den Personalbereich gibt .


(Beifall bei der SPD)


Darauf bin ich besonders stolz . Diese verbindliche Re-
gelung wird jetzt dadurch in ihrer Verbindlichkeit ge-
schärft, dass ein Nachweis dafür erbracht werden muss,
und zwar – das haben wir nachgebessert – ab 2017 und
nicht erst ab 2020, wenn die ganz neue Regelung in Kraft
tritt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir finden es richtig, dass der Kostenträger bereits ab
diesem Zeitpunkt einen Blick darauf hat .

Wir haben auch geregelt, dass es möglicherweise
zu Ausnahmebestimmungen kommen muss, damit der
Übergang so gestaltet werden kann, dass es durch die
Umstellung von der Psych-PV auf die neue Personal-
richtlinie nicht zu Versorgungsbrüchen kommt . Aber ich
sage für meine Fraktion ganz klar: Das muss, wie die
Worte es ausdrücken, eine Übergangs- und Ausnahmebe-
stimmung sein . Es ist nicht dazu gedacht, die eigentliche
Personalrichtlinie zu unterlaufen . Sie muss verbindlich
und für alle geltend entsprechend realisiert werden .


(Beifall bei der SPD)


Lassen Sie mich noch etwas zu einem Punkt sagen,
der mir ebenfalls extrem am Herzen lag und der sich auch
in Ihrem Antrag findet, nämlich zur Soziotherapie. Das
ist ein wirklich ganz wichtiges Angebot für Menschen
mit psychischen Erkrankungen . Dieses Angebot gibt es
schon lange; aber es kommt nicht in Gang . Warum nicht?
Weil man sich über die Finanzierung schlichtweg nicht
einigen kann . Wir haben endlich die dringend nötige
Schiedsstelle eingeführt . Somit bin ich guter Hoffnung,
dass dieses wichtige Angebot jetzt auf den Weg kommt
und wir die Soziotherapie endlich flächendeckend be-
kommen . Das ist aus meiner Sicht im Übrigen auch eine
durchaus wichtige Brücke im Hinblick auf das BTHG
und die Teilhabemöglichkeiten . Insofern gibt es sehr vie-
le Schnittstellen, die wir hiermit in den Griff bekommen .

Ich bin mir ganz sicher, dass wir damit den immer
wieder auftretenden Drehtüreffekt „rein in die Klinik,
raus aus der Klinik“ vermeiden . Wenn Fachkräfte bei der
Therapiebegleitung vor Ort und bei den Möglichkeiten,
die man überhaupt in Anspruch nehmen kann, helfen,
dann kann das ein wichtiger Akzent sein, um ambulant
vernünftig versorgt zu werden .

Am Schluss noch etwas zu dem, was Sie, Herr
Weinberg, angesprochen haben . Ich gebe gerne zu, dass
uns die Begründung für die 1,5 Milliarden Euro aus dem
Gesundheitsfonds, die den Krankenkassen zusätzlich zu-
fließen werden, nicht nur große Bauchschmerzen macht,

sondern dass wir Ihnen an dieser Stelle klar zustimmen
müssen . Es ist schlicht falsch gewesen, das so zu begrün-
den .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg . Harald Weinberg [DIE LINKE] und Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich will hier nicht diskutieren, wie sinnvoll diese 1,5 Mil-
liarden Euro sind – das lässt meine Redezeit auch nicht
mehr zu –; aber eines will ich in aller Deutlichkeit sagen:
Dies mit der Flüchtlingslage zu verknüpfen, ist schlicht
falsch und instinktlos. Das findet überhaupt nicht unsere
Zustimmung .


(Beifall der Abg . Hilde Mattheis [SPD])


Mit diesen Worten bitte ich Sie dennoch, diesem Ge-
setz zuzustimmen; denn es ist ein gutes, ein vernünftiges
und für die Weiterentwicklung der Psychiatrie unver-
zichtbares Gesetz .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819932300

Das Wort hat die Kollegin Maria Klein-Schmeink für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
In der Tat, dieses PsychVVG ist eines der besseren Ge-
setze der Koalition .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Dietrich Monstadt [CDU/CSU]: Weiter so! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Ich danke dir!)


Das liegt nicht nur daran, dass bereits im Gesetzentwurf
angedeutet wird, dass man eine Fehlentscheidung der
letzten Wahlperiode korrigieren will; das ist ein Punkt .
Es hat auch Nachbesserungen gegeben . So wurden vie-
le Vorschläge und Forderungen aufgenommen, die die
Verbände erhoben haben, die sich aber auch in unseren
Anträgen – hören Sie zu! – aus der letzten und aus dieser
Wahlperiode wiederfinden, allerdings nur teilweise.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Tatsache ist: Wir haben Schlimmeres verhindert . Sie
haben mit den stationsersetzenden Leistungen kleine
Schritte für die Verbesserung der Versorgung im statio-
nären Bereich möglich gemacht . Aber eines haben Sie
nicht geschafft: Sie haben nicht die Versorgung insge-
samt anders aufgestellt . Sie sind nicht die große Aufgabe,
die wir längst hätten erledigen müssen, angegangen, eine
sektorübergreifende, durchgängig am Bedarf der Person
orientierte Versorgung zu ermöglichen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Da haben wir noch viel vor uns . Es fehlt die Leitidee –
auch das ist ein Manko dieses Gesetzentwurfs –, wie wir

Dirk Heidenblut






(A) (C)



(B) (D)


in Zukunft die Versorgung im Bereich der seelischen
Erkrankung organisieren wollen . Das wird dazu führen,
dass es Unklarheit darüber gibt: Wann und in welchem
Umfang werden die stationsersetzenden Leistungen in
Anspruch genommen? Wie verhalten sich die Kranken-
kassen zu den Verträgen, die es für die integrierte Versor-
gung aus dem ambulanten Bereich gibt? Wie folgen Sie
den Modellvorhaben, von denen es bundesweit bisher
klägliche 17 gibt, die einen viel größeren Versorgungs-
anspruch einlösen und das Suchfeld sein sollen, um eine
bessere Versorgung vor Ort zu gestalten?

All das ist bedauerlich und führt dazu, dass wir dem
Gesetzentwurf in dieser Form nicht zustimmen können .
Wir werden uns enthalten, weil wir wichtige Schritte in
die richtige Richtung sehen . Aber die eigentliche Aufga-
be gehen Sie nicht an .

Ich bin mir ganz sicher: In der nächsten Wahlperiode
werden wir diesen Themenkomplex ganz schnell ange-
hen müssen. Wir müssen nicht nur flexiblere Behand-
lungsmöglichkeiten für diejenigen finden, die bereits
stationär versorgt werden, sondern auch im Vorfeld einer
chronischen Erkrankung dafür sorgen, dass Menschen
sehr frühzeitig die Hilfe bekommen, die sie brauchen,
und zwar inklusive akuter Krisenversorgung . Heute geht
das nur stationär, nicht ambulant . Es wären aber stati-
onsvermeidende Maßnahmen möglich . Das müssen wir
angehen . Ein Blick auf die Zahl der Erkrankungen zeigt,
dass wir hier große Verantwortung tragen .

Wenn Sie sich die Steigerungsraten anschauen, wenn
Sie sich anschauen, wie viele Erwerbsminderungsrenten-
anträge auf diesen Bereich zurückzuführen sind, wenn
Sie sich anschauen, wie lang die Wartezeiten auf allen
Feldern der Versorgung im ambulanten Bereich sind –
nicht nur bei der Psychotherapie, sondern auch bei den
psychiatrischen Praxen –, dann stellen Sie fest: Wir ha-
ben da noch einiges zu tun . Wir stehen auch in der Ver-
antwortung, genau dies zu tun .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Trotzdem muss ich sagen: Es ist ein guter und richti-
ger Schritt gewesen, dass wir nicht in dieses Preissystem
eingestiegen sind, sondern dass wir es tatsächlich dahin
gebracht haben, und zwar weiter gehend, als Sie das im
Koalitionsvertrag stehen haben, dass wir auf ein neues
System umsteigen, wenngleich ich sagen muss, dass wir
natürlich nicht wissen, ob dieser Umstieg auch wirklich
gelingt . Die Linke hat recht: Es ist durchaus möglich, auf
der Grundlage des Gesetzes PEPP durch die Hintertür
einzuführen, wenn die Selbstverwaltung nicht zu ande-
ren Lösungen findet. Auch da werden wir sehr genau hin-
schauen müssen, was möglich ist .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819932400

Kollegin .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Einen Wunsch habe ich noch, den ich am Ende noch
gerne loswerden würde . Was spricht dagegen, dass wir
tatsächlich einen Expertenrat einberufen und schauen,

wie eigentlich die Versorgung im Bereich der psychi-
schen Erkrankungen in Deutschland aussehen muss und
wie wir dieses Versorgungssystem gestalten müssen, um
tatsächlich adäquate Antworten für die Erkrankten zu
haben? Ich kann nicht nachvollziehen, warum Sie einen
solchen Expertenbeirat nicht möglich machen .


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819932500

Kollegin Klein-Schmeink, bitte .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir wissen, wie weit wir damals bei der Psychiatriere-
form gekommen sind und dass wir damals wirklich einen
Quantensprung hingelegt haben . Warum soll das heute
nicht möglich sein? Ich bitte Sie, in sich zu gehen, ob das
nicht bei nächsten Entscheidungen noch möglich wäre .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Weinberg [DIE LINKE])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819932600

Das Wort hat der Kollege Reiner Meier für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Reiner Meier (CSU):
Rede ID: ID1819932700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Was lange währt, wird endlich gut . Wenn wir heute die
Strukturen im Bereich psychiatrischer und psychosoma-
tischer Leistungen neu regeln, dann tun wir das in der
Überzeugung, dass wir gute und ausgewogene Lösungen
für die Patienten und die Leistungserbringer gefunden ha-
ben . Mit dem PsychVVG schaffen wir in Verbindung mit
den heute zu beschließenden Änderungsanträgen nicht
nur gerechtere und transparentere Vergütungsstrukturen,
sondern auch bessere Leistungen für unsere Versicherten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Kollegin Bertram hat es schon angesprochen: Mit
dem Home Treatment führen wir eine neue Behandlungs-
form ein . Patienten werden statt im Krankenhaus daheim,
in ihrer gewohnten Umgebung, versorgt . Damit bieten
wir den Patienten ein neues Behandlungsangebot, das
Ängste vor der Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus abbaut . Mit diesem Angebot schwächen
wir aber nicht etwa den ambulanten Bereich . Im Gegen-
teil: Es bleibt eine stationäre Leistung, in die der ambu-
lante Bereich sogar jederzeit einbezogen werden kann .

Bei der Finanzierung der Einrichtungen schaffen wir
einerseits transparente und leistungsorientierte Struktu-
ren, bewahren aber andererseits die notwendige Flexibi-
lität .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Insbesondere können regionale oder hausindividuelle
Besonderheiten bei den Budgets künftig berücksichtigt

Maria Klein-Schmeink






(A) (C)



(B) (D)


werden. Das ist gerade auf dem flachen Land besonders
wichtig, wo oft wenige Einrichtungen den Großteil der
Versorgung leisten müssen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im Bereich der verbindlichen Personalvorgaben unter-
stützen wir die Einrichtungen in den nächsten Jahren da-
bei, die Standards der Psych-PV zu erreichen . Dazu wird
es bis einschließlich 2019 einen Zuschlag auf die Bud-
gets geben, wenn die Personalausstattung im Jahr 2016
noch unter diesen Anforderungen liegen sollte . Uns ist
klar, dass das notwendige Fachpersonal nicht immer und
überall gewonnen werden kann . Deshalb schließen wir
die Rückforderung dieser Zuschläge so lange aus, wie sie
für allgemeine Personalkosten genutzt werden können .
Auch das kommt letztendlich den Patienten zugute .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das zeigt: Die Versorgungsqualität für Patientinnen und
Patienten stand bei diesem Gesetz immer im Vorder-
grund, und nicht die reine Fixierung auf ökonomische
Größen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das vorliegende Gesetz mit seinen Auswirkungen
weist aber auch weit über den Psych-Bereich hinaus .
So legen wir den im Krankenhausstrukturgesetz ein-
geführten Fixkostendegressionsabschlag für die Jahre
2017 und 2018 bundeseinheitlich auf 35 Prozent fest .
Auf Krankenhausebene kann in besonderen Fällen ein
erhöhter Abschlag von maximal 50 Prozent verhandelt
werden . Damit schaffen wir gleiche Startbedingungen
für alle und vermeiden einen Flickenteppich mit regio-
nal unterschiedlichen Abschlägen . Als zuständiger Be-
richterstatter für die Selbstverwaltung bedauere ich, dass
die Verhandlungspositionen für eine Einigung offenbar
zu weit auseinanderlagen . Deshalb gestatten Sie mir an
dieser Stelle den Hinweis: Die heutige Festlegung kön-
nen die Verhandlungspartner durchaus als Starthilfe des
Gesetzgebers für Verhandlungen des Abschlags ab 2019
verstehen .

Meine Damen und Herren, die psychische Gesundheit
von Patienten mit vielschichtigen Krankheitsverläufen
ist ein sensibles Thema, für das wir uns viel Zeit genom-
men haben . Zahlreiche Anregungen und Stellungnahmen
aus der Praxis sind in diesen Gesetzestext eingeflossen.
Heute kann ich deshalb sagen: Das PsychVVG ist ein
großer Wurf .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Es genießt völlig zu Recht breiten Rückhalt bei den Pa-
tienten und den Fachverbänden . Ich hoffe, dass Sie diese
Auffassung teilen, und darf Sie deshalb um Ihre Zustim-
mung bitten .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819932800

Ich schließe die Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Weiterentwicklung der Versorgung und der Vergütung
für psychiatrische und psychosomatische Leistungen .
Der Ausschuss für Gesundheit empfiehlt unter Buchstabe
a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10289

(neu), den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf den

Drucksachen 18/9528 und 18/9837 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
che 18/10295 . Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Fraktion Die Linke bei Enthal-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt .

Tagesordnungspunkt 23 b . Der Ausschuss emp-
fiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung
auf Drucksache 18/10289 (neu), den Antrag der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/9671
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfrakti-
onen angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Vierten Gesetzes zur Änderung des Regio-
nalisierungsgesetzes

Drucksachen 18/9981, 18/10225

– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Regionalisierungsgesetzes

Drucksache 18/3563

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15 . Ausschuss)


Drucksache 18/10284


(8 . Ausschuss)


Drucksachen 18/10285, 18/10286

Reiner Meier






(A) (C)



(B) (D)


Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden . 1)

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Regionalisierungsgesetzes . Der Ausschuss
für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/10284, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf den Drucksachen 18/9981 und 18/10225 anzuneh-
men . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, um ihr Handzeichen . – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung einstimmig angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen .

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur zu dem
vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes . Der Aus-
schuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt
unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10284, den Gesetzentwurf des Bundesra-
tes auf Drucksache 18/3563 für erledigt zu erklären . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist einstimmig angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines … Ge-
setzes zur Änderung des Gesetzes über die in-
ternationale Rechtshilfe in Strafsachen

Drucksache 18/9757

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/10074

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind auch hier einverstanden .2)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/10074, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/9757 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Handzei-
chen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen .

1) Anlage 13
2) Anlage 14

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Änderung von Vorschriften zur
Bevorratung von Erdöl, zur Erhebung von
Mineralöldaten und zur Umstellung auf hoch-
kalorisches Erdgas

Drucksache 18/9950

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss)


Drucksache 18/10274

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Sie
sind damit einverstanden .3)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/10274, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9950 an-
zunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koaliti-
onsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktionen
angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe (17 . Ausschuss) zu der Unter-
richtung durch die Nationale Stelle zur Verhü-
tung von Folter

Jahresbericht 2015 der Bundesstelle und der
Länderkommission

Drucksachen 18/8966, 18/9129 Nr. 1.2,
18/10217

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .4)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/10217, in Kenntnis der Unterrichtung auf Druck-
sache 18/8966 eine Entschließung anzunehmen . Wer

3) Anlage 15
4) Anlage 16

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Fraktion Die Linke bei Ent-
haltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenom-
men .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19 . Ausschuss)

zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
SPD

Fluchtursachen bekämpfen – Aufnahmestaa-
ten um Syrien sowie Libyen entwicklungspo-
litisch stärken

Drucksachen 18/8393, 18/9658

Auch hier gehen die Reden zu Protokoll. – Sie sind
damit einverstanden .1)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/9658, den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD auf Drucksache 18/8393 anzunehmen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes über die Feststellung des Wirtschaftsplans
des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2017

(ERP-Wirtschaftsplangesetz 2017)


Drucksache 18/9753

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss)


Drucksache 18/10290

Auch hier gehen die Reden zu Protokoll. – Sie sind
damit einverstanden .2)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Wirtschaft und Energie empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/10290, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/9753 an-
zunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung einstimmig angenommen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen .

1) Anlage 17
2) Anlage 18

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 30 a bis 30 c auf:

a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
22. März 2016 zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und der Regie-
rung der Republik Serbien über die Zusam-
menarbeit im Sicherheitsbereich

Drucksache 18/9754

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/10090

b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
31. Mai 2013 zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und dem Minis-
terrat der Republik Albanien über die Zusam-
menarbeit im Sicherheitsbereich

Drucksache 18/9755

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/10092

c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
9. Juli 2014 zwischen der Regierung der Bun-
desrepublik Deutschland und der Regierung
von Georgien über die Zusammenarbeit bei
der Bekämpfung der Organisierten Krimina-
lität, des Terrorismus und anderer Straftaten
von erheblicher Bedeutung

Drucksache 18/9756

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/10091

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll gegeben
werden . – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden .3)

Tagesordnungspunkt 30 a .

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung über den von der Bundesregie-
rung eingebrachten Gesetzentwurf zum Abkommen mit
der Regierung der Republik Serbien über die Zusam-
menarbeit im Sicherheitsbereich . Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/10090, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/9754 anzunehmen . Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu
erheben . – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei

3) Anlage 19

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen .

Tagesordnungspunkt 30 b .

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung über den von der Bundesre-
gierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Abkom-
men mit dem Ministerrat der Republik Albanien über
die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich . Der Innen-
ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10092, den Gesetzentwurf der Bundesre-
gierung auf Drucksache 18/9755 anzunehmen . Ich bitte
diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
sich zu erheben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen der Ko-
alitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen angenommen .

Tagesordnungspunkt 30 c .

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung über den von der Bundesre-
gierung eingebrachten Gesetzentwurf zum Abkommen
mit der Regierung von Georgien über die Zusammen-
arbeit bei der Bekämpfung der Organisierten Krimi-
nalität, des Terrorismus und anderer Straftaten von er-
heblicher Bedeutung. Der Innenausschuss empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10091,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
che 18/9756 anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen
die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 32 sowie den Zu-
satzpunkt 10 auf:

32 . Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einfüh-
rung einer Berufszulassungsregelung für ge-
werbliche Immobilienmakler und Verwalter
von Wohnungseigentum

Drucksache 18/10190
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Christian
Kühn (Tübingen), Renate Künast, Nicole Maisch,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Wohneigentumsrecht umfassend reformieren
und modernisieren

Drucksache 18/8084
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Sie
sind damit einverstanden .1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/10190 und 18/8084 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a und 33 b auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-
kung der Heil- und Hilfsmittelversorgung

(Heilund Hilfsmittelversorgungsgesetz – HHVG)


Drucksache 18/10186

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Elisabeth Scharfenberg, Kordula Schulz-Asche,
Maria Klein-Schmeink, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Versorgung verbessern – Kompetenzen von
Heilmittelerbringern ausbauen

Drucksache 18/10247

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Sie
sind damit einverstanden .2)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/10186 und 18/10247 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen .
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall . Dann
sind die Überweisungen so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 34 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Dem Frieden verpflichtet – Friedens- und
Konfliktforschung stärken

Drucksache 18/10239

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss

1) Anlage 20
2) Anlage 21

Vizepräsidentin Petra Pau






(A) (C)



(B) (D)


Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Da
sich niemand zu Wort meldet, sind Sie offensichtlich da-
mit einverstanden .1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10239 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 35 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung der Bestimmungen zur Stromerzeugung
aus Kraft-Wärme-Kopplung und zur Eigen-
versorgung
Drucksache 18/10209
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

1) Anlage 22

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind auch damit einverstanden .2)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/10209 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich bedanke mich für die gute Zusammenarbeit .


(Beifall im ganzen Hause)


Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung .

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 11 . November 2016,
9 Uhr, ein . Ich wünsche Ihnen bis dahin alles Gute .

Die Sitzung ist geschlossen .