Protokoll:
18196

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 196

  • date_rangeDatum: 20. Oktober 2016

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:26 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/196 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 196. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 20. Oktober 2016 Inhalt: Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Sibylle Pfeiffer und Willi Brase . . . . . 19415 A Begrüßung der neuen Abgeordneten Bettina Bähr-Losse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19415 B Wahl der Abgeordneten Bartholomäus Kalb, Eckhardt Rehberg und Carsten Schneider als Mitglieder des Verwaltungsrates der Kreditanstalt für Wiederaufbau . . . . . . . . . 19415 B Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19415 B Absetzung des Tagesordnungspunktes 18 . . . . 19417 A Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 19417 B Begrüßung einer Delegation des österreichi- schen Nationalrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19419 D Tagesordnungspunkt 3: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beteiligung des Bundes an den Kosten der Integration und zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommunen Drucksache 18/9980 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19417 D Dr . Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19418 A Dr . Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 19420 A Ulrike Gottschalck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 19420 D Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19421 D Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 19423 A Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 19424 D Bernhard Daldrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19426 A Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19427 C Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19428 D Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19430 C Alois Rainer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 19431 B Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19432 C Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Christian Kühn (Tü- bingen), Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gemeinsam für bezahlbares Wohnen – Lebenswert und klimafreundlich Drucksache 18/10027 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19433 B Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19433 C Dr . Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 19434 D Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 19437 B Florian Pronold, Parl . Staatssekretär BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19438 D Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19439 C Kai Wegner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 19440 D Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 19441 B Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 19443 A Kai Wegner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19443 C Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19444 C Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19445 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016II Sylvia Jörrißen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 19446 A Detlev Pilger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19448 C Claudia Tausend (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19449 D Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19450 C Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19451 B Klaus Mindrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19451 D Bernhard Daldrup (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19452 D Tagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung des Schutzes gegen Nachstel- lungen Drucksache 18/9946 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19453 C Christian Lange, Parl . Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19453 D Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 19454 D Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/ CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19456 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19457 D Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19458 D Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19459 C Dr . Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19460 B Dr . Fritz Felgentreu (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 19461 C Iris Ripsam (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19462 B Tagesordnungspunkt 33: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Einbeziehung der Bundespolizei in den Anwendungsbereich des Bundes- gebührengesetzes Drucksache 18/9759 . . . . . . . . . . . . . . . . . 19463 B b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Protokoll vom 27. Juni 1997 zur Neufassung des internationalen Übereinkommens vom 13. Dezember 1960 über Zusammenarbeit zur Siche- rung der Luftfahrt „EUROCONTROL“ Drucksache 18/9877 . . . . . . . . . . . . . . . . . 19463 B c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Protokoll vom 8. Oktober 2002 über den Beitritt der Europäi- schen Gemeinschaft zum Internationa- len Übereinkommen vom 13. Dezember 1960 über Zusammenarbeit zur Siche- rung der Luftfahrt „EUROCONTROL“ entsprechend den verschiedenen vorge- nommenen Änderungen in der Neufas- sung des Protokolls vom 27. Juni 1997 Drucksache 18/9878 . . . . . . . . . . . . . . . . . 19463 C d) Erste Beratung des von der Bundesre- gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtli- nie 2014/55/EU über die elektronische Rechnungsstellung im öffentlichen Auf- tragswesen Drucksache 18/9945 . . . . . . . . . . . . . . . . . 19463 C e) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung von Vorschriften zur Bevorratung von Erdöl, zur Erhebung von Mineralöldaten und zur Umstellung auf hochkalorisches Erdgas Drucksache 18/9950 . . . . . . . . . . . . . . . . . 19463 C f) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Telekommu- nikationsgesetzes Drucksache 18/9951 . . . . . . . . . . . . . . . . . 19463 D g) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Zollverwaltungs- gesetzes Drucksache 18/9987 . . . . . . . . . . . . . . . . . 19463 D h) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Protokoll vom 7. April 2016 zwischen der Regierung der Bundes- republik Deutschland und der Regie- rung der Französischen Republik über den grenzüberschreitenden Einsatz von Luftfahrzeugen zur Ergänzung des Ab- kommens vom 9. Oktober 1997 über die Zusammenarbeit der Polizei- und Zoll- behörden in den Grenzgebieten Drucksache 18/9988 . . . . . . . . . . . . . . . . . 19464 A i) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zu dem Protokoll vom 19. Mai 2016 zum Nordatlantikvertrag über den Beitritt Montenegros Drucksache 18/9989 . . . . . . . . . . . . . . . . . 19464 A j) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Ge- setzes zu den Vorschlägen der Europä- ischen Kommission vom 7. März 2016 für Beschlüsse des Rates zur Festlegung von Standpunkten der Union in den Sta- bilitäts- und Assoziierungsräten EU – Republik Albanien sowie EU – Republik Serbien im Hinblick auf die Beteiligung der Republik Albanien sowie der Repu- blik Serbien als Beobachter an den Arbei- ten der Agentur der Europäischen Union Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 III für Grundrechte und die entsprechenden Modalitäten im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 168/2007 des Rates Drucksache 18/9990 . . . . . . . . . . . . . . . . . 19464 B k) Antrag der Abgeordneten Katrin Werner, Sigrid Hupach, Matthias W . Birkwald, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Das Teilhaberecht menschen- rechtskonform gestalten Drucksache 18/10014 . . . . . . . . . . . . . . . . 19464 B Zusatztagesordnungspunkt 2: a) Antrag der Abgeordneten Beate Walter- Rosenheimer, Maria Klein-Schmeink, Dr . Franziska Brantner, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern Drucksache 18/9856 . . . . . . . . . . . . . . . . . 19464 C b) Antrag der Abgeordneten Matthias Gastel, Tabea Rößner, Oliver Krischer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Fahrverbot für laute Güterwagen Drucksache 18/10033 . . . . . . . . . . . . . . . . 19464 C Tagesordnungspunkt 34: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkom- men des Europarats vom 16. Mai 2005 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten und über die Finanzierung des Terrorismus Drucksachen 18/9235, 18/9800 . . . . . . . . 19464 D b) Zweite Beratung und Schlussabstim- mung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Strafrechtsübereinkommen des Europarats vom 27. Januar 1999 über Korruption und dem Zusatzprotokoll vom 15. Mai 2003 zum Strafrechts- übereinkommen des Europarats über Korruption Drucksachen 18/9234, 18/9850 . . . . . . . . 19465 A c) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Bundesbesoldungs- und versor- gungsanpassungsgesetzes 2016/2017 (BBVAnpG 2016/2017) Drucksachen 18/9533, 18/9865 . . . . . . . . 19465 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/9866 . . . . . . . . . . . . . . . . 19465 B d)–f) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelüber- sichten 364, 365 und 366 zu Petitionen Drucksachen 18/9828, 18/9829, 18/9830 19465 C Zusatztagesordnungspunkt 3: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Tabea Rößner, Katharina Dröge, Nicole Maisch, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Mindestqualitätsvorgaben für Internetzugänge einführen Drucksachen 18/8573, 18/10062 . . . . . . . . . . 19466 A Zusatztagesordnungspunkt 4: Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD und DIE LINKE: Wahl der Mitglieder des Stiftungsrates der Bundesstiftung Bau- kultur gemäß § 7 des Gesetzes zur Errich- tung einer „Bundesstiftung Baukultur“ Drucksache 18/10021 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19466 A Zusatztagesordnungspunkt 5: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Umsetzung der Auflagen des Bundesverfassungsgerichts zu CETA durch die Bundesregierung Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 19466 B Andreas G . Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 19467 C Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19468 C Bernd Westphal (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19470 A Dr . Matthias Heider (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 19471 A Dr . Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 19472 A Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi . . . . . 19473 A Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19475 C Barbara Lanzinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 19476 D Dr . Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19477 D Peter Beyer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19479 B Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19480 B Mark Hauptmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19481 C Tagesordnungspunkt 28: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der steuerlichen Ver- lustverrechnung bei Körperschaften Drucksache 18/9986 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19483 A Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016IV Dr . Michael Meister, Parl . Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19483 A Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . . 19484 A Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 19485 A Dr . Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19486 B Dr . Philipp Murmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 19487 B Dr . Jens Zimmermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . 19488 C Dr . h . c . Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . 19489 C Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke, Sigrid Hupach, Dr . Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: BAföG an die Lebenswirklichkeit anpassen – Keine weiteren Nullrunden für die Studie- renden Drucksache 18/10012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19490 C Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 19490 C Dr . Stefan Kaufmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 19492 A Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19494 C Oliver Kaczmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 19495 D Katrin Albsteiger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19497 B Dr . Daniela De Ridder (SPD) . . . . . . . . . . . . . 19499 A Dr . Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . 19500 A Dr . Daniela De Ridder (SPD) . . . . . . . . . . . . . 19500 B Tagesordnungspunkt 6: Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes bewaffne- ter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Hand- lungen durch die Terrororganisation IS auf Grundlage von Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen in Verbindung mit Artikel 42 Absatz 7 des Vertrages über die Europäische Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199 (2015), 2249 (2015) des Si- cherheitsrates der Vereinten Nationen sowie des Beschlusses der Staats- und Regierungs- chefs vom NATO-Gipfel am 8./9. Juli 2016 Drucksache 18/9960 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19500 D Dr . Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19500 D Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 19502 C Dr . Ralf Brauksiepe, Parl . Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19503 C Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19505 A Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 19506 A Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 19506 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19507 B Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 19507 D Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19508 A Tagesordnungspunkt 9: a) Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gentech- nikfreiheit Deutschlands sichern Drucksache 18/10028 . . . . . . . . . . . . . . . . 19509 A b) Erste Beratung des vom Bundesrat einge- brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Gentechnikgesetzes Drucksache 18/6664 . . . . . . . . . . . . . . . . . 19509 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: zu den Entwürfen für eine Durchführungsverordnung und zwei Durch- führungsbeschlüsse der Europäischen Kom- mission über das Inverkehrbringen von Saatgut zum Anbau der gentechnisch verän- derten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 (Dokumente SANTE/10702/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10704/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10703/2016 CIS Rev. 3) hier: Stellungnahme gegenüber der Bun- desregierung gemäß Artikel 23 Ab- satz 3 des Grundgesetzes Keine Zulassung der gentechnisch verän- derten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für den Anbau in der EU Drucksache 18/10029 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19509 C Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19509 C Kees de Vries (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19510 D Dr . Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . 19511 D Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . 19513 A Rita Stockhofe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 19514 B Carsten Träger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19516 A Artur Auernhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 19516 D Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Erklärung nach § 29 GO) . . . . . . . . . . . . . . 19517 D Dagmar Ziegler (SPD) (Erklärung nach § 29 GO) . . . . . . . . . . . . . . 19518 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 V Tagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Entlastung insbesondere der mit- telständischen Wirtschaft von Bürokratie (Zweites Bürokratieentlastungsgesetz) Drucksache 18/9949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19519 A Brigitte Zypries, Parl . Staatssekretärin BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19519 B Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 19520 A Helmut Nowak (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 19520 D Dr . Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19522 C Matthias Ilgen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19523 D Margaret Horb (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 19524 D Marcus Held (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19526 A Tagesordnungspunkt 11: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Gesundheit – zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Weinberg, Ulla Jelpke, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Medizinische Versorgung für Geflüchte- te und Asylsuchende diskriminierungs- frei sichern – zu dem Antrag der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Luise Amtsberg, Kordula Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Psychotherapeutische und psy- chosoziale Versorgung von Asylsuchen- den und Flüchtlingen verbessern Drucksachen 18/7413, 18/6067, 18/9933 . . . . 19527 A Reiner Meier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19527 A Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 19527 D Heike Baehrens (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19529 A Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19530 A Ute Bertram (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 19531 A Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19532 A Tagesordnungspunkt 10: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Mehr Bildungschancen für be- nachteiligte Kinder und Jugendliche schaffen – Bundesprogramm „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ nach 2017 weiterentwickeln und fortset- zen Drucksache 18/10016 . . . . . . . . . . . . . . . . 19533 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem An- trag der Abgeordneten Sigrid Hupach, Dr . Rosemarie Hein, Nicole Gohlke, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundesprogramm „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ weiterentwickeln und seine Fortführung jetzt vorbereiten Drucksachen 18/8181, 18/10063 . . . . . . . . 19533 C Dr . Claudia Lücking-Michel (CDU/CSU) . . . 19533 C Dr . Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . 19534 C Martin Rabanus (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19535 C Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19537 A Stefan Müller, Parl . Staatssekretär BMBF . . . 19537 D Dr . Karamba Diaby (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 19539 B Dr . Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19540 A Tagesordnungspunkt 13: a) Antrag der Abgeordneten Katja Keul, Dr . Franziska Brantner, Volker Beck (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht nicht ungesühnt lassen Drucksache 18/10031 . . . . . . . . . . . . . . . . 19541 B b) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und humani- täre Hilfe zu dem Antrag der Abgeordneten Omid Nouripour, Dr . Franziska Brantner, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Syrien – Luftbrücke einrichten, humanitäre Not lindern Drucksachen 18/9687, 18/9939 . . . . . . . . . 19541 B Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19541 C Erika Steinbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 19542 C Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 19543 B Dr . Ute Finckh-Krämer (SPD) . . . . . . . . . . . . 19544 A Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19544 C Tobias Zech (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 19545 C Dr . Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19546 D Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 19547 B Tobias Zech (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 19547 D Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016VI Tagesordnungspunkt 12: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Schutz vor Biowaffen ausbauen – Das Biowaffenübereinkommen stärken Drucksache 18/10017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19548 B Dr . Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 19548 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 19549 B Robert Hochbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 19550 A Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19550 D René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19551 D Julia Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 19552 C Tagesordnungspunkt 15: Antrag der Abgeordneten Roland Claus, Stefan Liebich, Dr . Gesine Lötzsch, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Been- digungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz Drucksache 18/8130 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19553 B Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . . 19553 C Christian Haase (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 19554 C Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19555 C Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . 19556 C Kai Wegner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 19557 B Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 19558 B Tagesordnungspunkt 14: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichter- stattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten (CSR-Richtli- nie-Umsetzungsgesetz) Drucksache 18/9982 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19559 A in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Renate Künast, Katja Keul, Uwe Kekeritz, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zukunftsfähige Unternehmens- verantwortung – Nachhaltigkeitsberichte wirksam und aussagekräftig ausgestalten – Umsetzung der CSR-Richtlinie Drucksache 18/10030 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19559 B Ulrich Kelber, Parl . Staatssekretär BMJV . . . 19559 C Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 19560 A Dr . Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19561 A Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19562 A Metin Hakverdi (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19563 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 19563 D Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19564 C Tagesordnungspunkt 17: Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Jan van Aken, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Frie- den, Demokratie und soziale Gerechtigkeit in Lateinamerika unterstützen – Absetzung der Präsidentin Brasiliens missbilligen Drucksache 18/10013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19565 B Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 19565 C Dr . Andreas Nick (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19566 B Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19567 D Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19568 C Tagesordnungspunkt 16: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/ CSU und SPD: Achtung der Menschenrech- te in Burundi einfordern – Friedensdialog fördern Drucksachen 18/8706, 18/9938 . . . . . . . . . . . 19570 C Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Schutz von Walen und Delfinen stär- ken Drucksache 18/10019 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19570 C in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Steffi Lemke, Nicole Maisch, Annalena Baerbock, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wirksamen Walschutz weltweit durchsetzen Drucksache 18/10032 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19570 D Tagesordnungspunkt 19: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 VII Gesetzes zur Durchführung unionsrechtli- cher Vorschriften über das Schulprogramm für Obst, Gemüse und Milch (Landwirt- schaftserzeugnisse-Schulprogrammgesetz – LwErzgSchulproG) Drucksachen 18/9519, 18/9760, 18/9879 Nr . 3, 18/10058 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19571 A Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/18/EU zur Beherrschung der Gefah- ren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stof- fen, zur Änderung und anschließenden Auf- hebung der Richtlinie 96/82/EG des Rates Drucksachen 18/9417, 18/10057 . . . . . . . . . . 19571 B Tagesordnungspunkt 21: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beendigung der Son- derzuständigkeit der Familienkassen des öffentlichen Dienstes im Bereich des Bundes Drucksachen 18/9441, 18/10045 . . . . . . . . 19571 C – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/10059 . . . . . . . . . . . . . . . . 19571 D Tagesordnungspunkt 22: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Mikrozensus und zur Änderung weiterer Statistikgesetze Drucksachen 18/9418, 18/10067 . . . . . . . . . . 19572 A Tagesordnungspunkt 23: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Geset- zes zur Änderung des Regionalisierungsge- setzes Drucksache 18/9981 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19572 B Tagesordnungspunkt 24: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzar- beit und illegalen Beschäftigung Drucksache 18/9958 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19572 C Tagesordnungspunkt 25: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Geset- zes zur Änderung der Insolvenzordnung Drucksache 18/9983 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19572 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19572 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 19573 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zu der Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Sigrid Hupach, Dr . Rosemarie Hein, Nicole Gohlke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bundesprogramm „Kultur macht stark . Bünd- nisse für Bildung“ weiterentwickeln und seine Fortführung jetzt vorbereiten (Tagesordnungspunkt 10 b) . . . . . . . . . . . . . . . 19573 C Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humani- täre Hilfe zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Achtung der Menschen- rechte in Burundi einfordern – Friedensdialog fördern (Tagesordnungspunkt 16) . . . . . . . . . . . . . . . . 19573 C Iris Eberl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19573 D Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) . . . . 19574 C Gabi Weber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19575 D Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 19577 B Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19578 A Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Schutz von Walen und Delfinen stärken – des Antrags der Abgeordneten Steffi Lemke, Nicole Maisch, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wirksamen Walschutz weltweit durchset- zen (Zusatztagesordnungspunkte 8 und 9) . . . . . . 19578 C Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016VIII Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19578 D Dr . Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU) . . . . . . . 19579 C Christina Jantz-Herrmann (SPD) . . . . . . . . . . 19580 D Birgit Menz (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 19581 C Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19582 B Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften über das Schul- programm für Obst, Gemüse und Milch (Land- wirtschaftserzeugnisse-Schulprogrammgesetz – LwErzgSchulproG) (Tagesordnungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . 19583 B Katharina Landgraf (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 19583 C Carola Stauche (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 19584 A Jeannine Pflugradt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 19584 D Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 19585 D Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19586 C Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/18/EU zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stoffen, zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinie 96/82/EG des Rates (Tagesordnungspunkt 20) . . . . . . . . . . . . . . . . 19587 C Karsten Möring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 19587 C Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 19588 D Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19589 C Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretä- rin BMUB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19590 B Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beendigung der Sonderzuständigkeit der Familienkassen des öffentlichen Dienstes im Bereich des Bundes (Tagesordnungspunkt 21) . . . . . . . . . . . . . . . . 19591 B Markus Koob (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 19591 B Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) . . . . . . 19592 A Frank Junge (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19592 D Susanna Karawanskij (DIE LINKE) . . . . . . . . 19593 B Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 19594 A Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Mikrozensus und zur Änderung weiterer Sta- tistikgesetze (Tagesordnungspunkt 22) . . . . . . . . . . . . . . . . 19594 D Dr . Tim Ostermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 19595 A Barbara Woltmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 19595 C Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . 19596 B Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19597 B Dr . Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19598 B Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 23) . . . . . . . . . . . . . . . . 19600 A Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . . . 19600 A Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 19600 D Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 19601 D Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19602 D Enak Ferlemann, Parl . Staatssekretär BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19603 C Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Be- kämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Be- schäftigung (Tagesordnungspunkt 24) . . . . . . . . . . . . . . . . 19604 B Uwe Feiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 19604 B Ingrid Arndt-Brauer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 19604 D Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 19605 D Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 19606 B Dr . Michael Meister, Parl . Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19607 A Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 IX Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung (Tagesordnungspunkt 25) . . . . . . . . . . . . . . . . 19608 A Dr . Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 19608 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 19609 A Dr . Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 19609 C Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 19609 D Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . 19610 C Christian Lange, Parl . Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19611 C (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19415 196. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 20. Oktober 2016 Beginn: 9 .00 Uhr
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    3) Anlage 10 4) Anlage 11 Vizepräsidentin Claudia Roth (A) (C) (B) (D) Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19573 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Blienert, Burkhard SPD 20 .10 .2016 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 20 .10 .2016 Brehmer, Heike CDU/CSU 20 .10 .2016 Dörflinger, Thomas CDU/CSU 20 .10 .2016 Fuchs, Dr . Michael CDU/CSU 20 .10 .2016 Hendricks, Dr . Barbara SPD 20 .10 .2016 Henke, Rudolf CDU/CSU 20 .10 .2016 Hintze, Peter CDU/CSU 20 .10 .2016 Kermer, Marina SPD 20 .10 .2016 Launert, Dr . Silke CDU/CSU 20 .10 .2016 Leidig, Sabine DIE LINKE 20 .10 .2016 Mast, Katja SPD 20 .10 .2016 Müller-Gemmeke, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 20 .10 .2016 Post (Minden), Achim SPD 20 .10 .2016 Radomski, Kerstin CDU/CSU 20 .10 .2016 Rix, Sönke SPD 20 .10 .2016 Rupprecht, Albert CDU/CSU 20 .10 .2016 Schlecht, Michael DIE LINKE 20 .10 .2016 Schröder, Dr . Ole CDU/CSU 20 .10 .2016 Schwartze, Stefan SPD 20 .10 .2016 Spahn, Jens CDU/CSU 20 .10 .2016 Steffel, Dr . Frank CDU/CSU 20 .10 .2016 Strothmann, Lena CDU/CSU 20 .10 .2016 Wagenknecht, Dr . Sahra DIE LINKE 20 .10 .2016 Weinberg, Harald DIE LINKE 20 .10 .2016 Weisgerber, Dr . Anja CDU/CSU 20 .10 .2016 Wicklein, Andrea SPD 20 .10 .2016 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Britta Haßelmann (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) zu der Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bil- dung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Abgeordneten Sigrid Hupach, Dr. Rosemarie Hein, Nicole Gohlke, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bun- desprogramm „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ weiterentwickeln und seine Fortführung jetzt vorbereiten (Tagesordnungspunkt 10 b) Ich erkläre im Namen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, dass unser Votum Ablehnung lautet . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Achtung der Menschen- rechte in Burundi einfordern – Friedensdialog för- dern (Tagesordnungspunkt 16) Iris Eberl (CDU/CSU): Lassen Sie mich mit einer kleinen Geschichte beginnen, auch wenn Sie sie schon kennen sollten . – In einem Land vor nicht allzu langer Zeit verunzieren Schüler ihre Schulbücher, indem sie das Konterfei des Präsidenten bekritzeln . Der Präsident erfährt davon und will, dass die Schüler für diese Herab- setzung seiner Person bestraft werden . – Sofern Sie die Geschichte nicht kennen, vermuten Sie sicher alle den gleichen Mann hinter dieser Aktion . Aber der ist es nicht . In diesem Land ist es gar nicht so leicht, die Missetäter festzustellen, weil sich bis zu 200 Schüler ein Schulbuch teilen müssen, so bitterarm ist dieses Land . Man schaltet also den Geheimdienst ein . Tatsächlich gelingt es, mehr als 300 Kinder dingfest zu machen, und wirft sie ins Ge- fängnis . Dort sitzen sie jetzt, zusammen mit Schwerver- brechern, unter unmenschlichen Bedingungen . Es wird Sie nicht überraschen, dass ich von Burun- di gesprochen habe und dessen Präsidenten Nkurunziza . Der Schuss ging aber nach hinten los: Was mit einer Handvoll Schülern begann, wurde zur nationalen Pro- testbewegung . Der „Kritzelaufstand“ hat inzwischen das ganze Land erfasst und über die sozialen Netzwerke in- ternationale Beachtung gefunden . Doch eigentlich klingt das alles noch wenig dramatisch . Die Lage ist jedoch dramatisch: Die UN spricht von 564 Exekutionen in Burundi seit dem Beginn der Protes- te im April 2015 gegen den Präsidenten Nkurunziza, der sich verfassungswidrig zu einer dritten Amtszeit wählen ließ . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 201619574 (A) (C) (B) (D) Dies ist jedoch nur die Spitze eines Eisbergs . Es lie- gen Beweise vor, für das unerklärliche Verschwinden von Menschen, für Masseninhaftierungen, Vergewalti- gungen, für Folter und Mord . Geschätzt sind es mehrere Tausend Opfer . Satellitenbilder deuten auf Massengrä- ber hin . Die Regierung Burundis bestreitet alles . Unsere Regierung hat innerhalb ihrer Möglichkeiten reagiert . Bereits im Juni 2015 hat das BMZ seine regierungsna- he Entwicklungszusammenarbeit eingestellt . Trotzdem führt es die unmittelbare Hilfe für Menschen fort . Mittlerweile sind 300 000 Menschen in die Nachbar- länder von Burundi geflohen, wohl vor allem Tutsi, da- runter die Hälfte aller Armeeoffiziere. Ruanda, das sich als Schutzmacht der Tutsi fühlt, trifft nun der Vorwurf des Hutu Nkurunziza, sie für einen Guerillakrieg aus- zubilden . Mit ihrem Beschluss zum Austritt aus der Zu- sammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zeigt die burundische Regierung, dass ihr Recht und Gesetz gleichgültig sind . Nach dem Völker- mord in Ruanda 1994 und dem Bürgerkrieg in Burun- di 2005, die mehr als 1 Million Opfer gekostet haben, könnte ein noch schlimmerer ethnischer Konflikt in die- ser Region bevorstehen, sollte Präsident Nkurunziza die ethnische Karte spielen . Niemand scheint diese Entwicklung verhindern zu wollen: Die UN konnte sich nicht einmal auf eine mit 3 000 Mann hoffnungslos unterdimensionierte Mission einigen . Die knapp 100 unbewaffneten Beobachter der Afrikanischen Union und der UN sind komplett macht- los . Schlimmer noch: Als Vorsitzender der Afrikanischen Union verkündet Präsident Déby aus dem Tschad nach seinem Besuch bei Bundeskanzlerin Merkel, ausländi- scher Einfluss sei die Ursache für die Unruhen in Bu- rundi, und verteidigt sophistisch die dritte Amtszeit des burundischen Präsidenten als rechtmäßig . Letzteres zeigt: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus . Es beweist, dass afrikanische Probleme – entgegen der An- sicht von Monsieur Déby – nur mit internationaler Hilfe gelöst werden können . Diese internationale Hilfe muss bald kommen . Christlich geprägte Demokraten dürfen niemals hin- nehmen, dass Menschen grausam hingemetzelt werden . Wir leben in Freiheit und Frieden . Wir müssen versu- chen, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen . Lernen am despotischen Modell erzeugt Despoten . Jeder kann heute in Syrien das zügellose Vernichten von Menschenleben en gros beobachten und die Reaktion der ohnmächtigen Weltgemeinschaft . Für kleine Despoten ist Syrien eine gute Gelegenheit, im Windschatten der großen Ausein- andersetzungen schnell einmal die eigenen Probleme mit Waffengewalt zu lösen . Denn der Rest der Welt wird sich zurückhalten . Lassen Sie uns beweisen, dass uns die Menschen von Burundi wichtig sind . Will man langfristig die Entwick- lung zum Frieden fördern, muss man bei denen begin- nen, die am wenigstens Einfluss in Burundi haben, die im menschenverachtenden Machtkarussel keinen akti- ven Part spielen, nämlich bei den Frauen . In den ärms- ten Ländern der Welt, dichtbesiedelt und mit den global höchsten Geburtenraten, sind sie der Schlüssel dafür, dass Hilfen, die das Land erhält, effektiv eingesetzt wer- den . Mit Hilfen für die Frauen in Burundi hat das BMZ bereits begonnen . Sorgen wir dafür, dass der gute Anfang nicht wieder zerstört wird . Stimmen Sie bitte für den vor- liegenden Antrag der Koalitionsfraktionen . Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Einen besonderen Gast möchte ich auch herzlich begrüßen: Jacques Nshimirimana ist aus Burundi für ein paar Tage in Berlin . Vorgestern wurde er für seinen herausragen- den Einsatz für Kinder in Not mit dem Child Protection Award von ora Kinderhilfe international e .V . ausgezeich- net . Schon seit 17 Jahren setzt er sich als Anwalt und vier- fache Familienvater für die Freiheit, die Sicherheit und die Bildung von Jungen und Mädchen in Burundi ein . Seine Organisation SOJPAE geht gegen Menschenhänd- ler, sexuelle Gewalt gegenüber Mädchen und willkürli- che Verhaftungen von Kindern vor . Er sagte mir diese Woche im Bundestag: Als Kinderrechtverteidiger begrü- ße ich die Freilassung durch die burundische Regierung der circa 500 Kinder, die im Laufe der politischen Krise festgenommen waren worden sowie das Engagement der burundischen Regierung, um die Kinderhändler festzu- nehmen . – Seit mehreren Jahren und verstärkt seit der Verschlechterung der politischen Lage werden in Burun- di Kinder und junge Frauen entführt oder unter falschen Versprechen rekrutiert und dann in andere Ländern wie Saudi-Arabien und Oman verschleppt und verkauft . Die tiefe Krise, in die das ostafrikanische Land ge- stürzt ist, entstand letztes Jahr durch die umstrittene Wiederwahl zu einer verfassungswidrigen dritten Amts- zeit von Präsident Pierre Nkurunziza . Seitdem wird jede Form von Protest unterdrückt . Hier sind die Fakten . Der Hochkommissar für Menschenrechte der Vereinten Na- tionen – Juni 2016 – sowie der Ausschuss gegen Folter der VN – September 2016 – berichteten über: 348 au- ßergerichtliche Hinrichtungen, 9 Massengräber um Bujumbura, die teilweise von den Behörden anerkannt worden sind, Verschwindenlassen von 36 Oppositions- politikern, 3 477 willkürliche Festnahmen, Angriffe und Einschüchterung von Menschenrechtsverteidigern, wie von Pierre Clavier Mbonimpa, dem Vorsitzenden des bu- rundischen Vereins für den Schutz der Menschenrechte und Mitglied der Plattform „Keine dritte Amtszeit“ . Seit einem Mordanschlag gegen ihn ist er in Belgien . Inzwi- schen wurde sein Schwager auf der Straße ermordet . Ei- ner seiner Söhne wurde von einem Polizisten bei einer Identitätskontrolle erschossen . Beide Mordfälle werden nicht untersucht . Diese Verbrechen gegen die burun- dische Zivilgesellschaft müssen aufhören . Die burun- dische Regierung muss dringend ihren internationalen Verpflichtungen nachkommen, zu denen insbesondere die Achtung der Grundfreiheiten und die Freiheit der Meinungsäußerung sowie die Pressefreiheit zählen . Die Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte und das huma- nitäre Völkerrecht müssen eingehalten und die Sicherheit der burundischen Bevölkerung gewährleistet werden . „Es war niemand mehr in Burundi, um die Menschen- rechte der Burundier zu verteidigen“, erklärte mir Jacques Nshimirimana . Mit der autokratischen Tendenz des Regi- mes ist das Engagement von Menschenrechtsverteidigern im Land mehr als je wichtig – und gefährlich . Die Leben Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19575 (A) (C) (B) (D) von Menschenrechtsverteidigern und Kinderrechtvertei- digern wie Jacques Nshimirimana werden bedroht . Ich rufe die burundische Regierung auf, die Menschenrecht- verteidiger und insbesondere die Kinderrechtverteidiger, die sich für die Vulnerabelsten starkmachen, zu schützen . Ich lade Sie ein, im Rahmen des Programms „Parlamen- tarier schützen Parlamentarier“, PsP, unseres Ausschus- ses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ebenfalls einen Beitrag zu leisten . Letzte Woche hat das burundische Parlament be- schlossen, die Statuten von Rom aufzukündigen . Bu- rundi ist damit das erste Land, das seine Mitgliedschaft beim Internationalen Strafgerichtshof formell beendet . In der Debatte war es die Frage einer „Verschwörung der internationalen Gemeinschaft“ . Die burundische Regie- rung warf den „großen Mächten“ vor, der Internationalen Strafgerichtshof als Druckmittel gegen die Regierungen von armen Ländern sowie ein Mittel, um sie zu destabi- lisieren, zu nutzen . Ob wir in Europa als Weltmacht die afrikanischen Länder daran zu hindern, sich selbst zu fin- den? Zwar können wir von unserem Nachbarkontinent nicht verlangen, dass er in ein paar Jahrzehnten die glei- chen sozialen Standards erreicht, für die wir als freie und unabhängige Staaten Jahrhunderte brauchten, aber Menschenrechte lassen sich nicht diskutieren . Jedem Menschen, egal woher er kommt und wo er lebt, hat ein Recht auf Freiheit und Würde . Laut Afrobarometer, ei- nem Netzwerk von unabhängigen Umfrageforschungsin- stitutionen, das unter anderem von der Mo Ibrahim Foun- dation, USAID und Transparency International finanziell unterstützt wird, waren 2012: 62 Prozent der Burundier zugunsten einer Beschränkung der präsidialen Amtszeit auf zwei Mandate . 70 Prozent der Burundier sagen, dass die Nachrichtenmedien frei sein sollten, jede Meinung zu veröffentlichen . 81 Prozent der Burundier wollen, dass die Presse die Fehler der Regierung und Korruption un- tersucht und darüber berichtet . Trotz der Diskussion über eine „afrikanische Form der Demokratie“, die etwa eine größere Rolle für traditionel- le Autoritäten vorsieht, unterstützt die Mehrheit der Bür- ger afrikanischer Staaten die universalen Menschenrech- te und die Verfahren der liberalen Demokratie . Daher ist die derzeitige Unterdrückung der Demonstrationen in Äthiopien keine gute Nachricht . Die Verzögerung der Präsidentschaftswahlen in der Demokratischen Repu- blik Kongo und die Diskussion über eine dritte präsidiale Amtszeit in Ruanda sind ebenfalls besorgniserregend . „Gibt es bald einen Ehrendoktor in Sachen Langzeit- herrschaft?“, fragte die Zeitschrift Africa Positive in ihrer letzten Ausgabe . Ich zitiere: „Existiert ein Handbuch mit Kapitelüberschriften wie ,Rücksichtlose Ausmerzung jeglicher Opposition leicht gemacht?‘ . . . ,Wie man sich sein eigenes Volk wählt‘, ,Demokratisierte Despotie‘, ,Die Menschenrechte – ein Auslaufmodell‘ oder Ähnli- ches?“ Es folgt die lange Liste der afrikanischen Anfüh- rer, die sich seit vielen Jahren an der Macht halten, sowie ein Zitat vom ugandischen Präsidenten Museveni: „Das Problem Afrikas sind nicht die Leute, sondern die An- führer, die viel zu lange an der Macht bleiben wollen .“ Macht korrumpiert, und absolute Macht korrumpiert ab- solut . Kaum jemand ist davor gefeit . Nach einigen Jahren absoluter Macht werden oft selbst integerste Menschen zu Tyrannen . Vor ein paar Wochen beim Gespräch im Bundestag il- lustrierte ein Vertreter der Afrikanischen Union das Pro- blem derart: „Wie kann man einen Betrunkenen aus dem chinesischen Porzellanladen bringen, ohne alle Teller zu zerbrechen?“ „Das Wohl Afrikas liegt im deutschen Interesse“, wie- derholt unsere Kanzlerin seit ihren offiziellen Besuchen auf dem afrikanischen Kontinent letzte Woche . Gern un- terstützen wir die Menschen unseres Nachbarkontinents dabei, bessere Lebensstandards zu erreichen . Dafür ist der Dialog aber unabdingbar . Daher können wir nur be- dauern, dass die burundische Regierung die drei einge- setzten Experten des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen vor zehn Tagen für Persona non grata erklärte und die Zusammenarbeit mit dem Büro des Hohen Kom- missars für Menschenrechte der Vereinten Nationen in Bujumbura einstellte . Als Deutscher Bundestagesabgeordneter engagie- re ich mich schon seit Jahren für stärkere Beziehungen mit den afrikanischen Ländern . Dabei bedanke ich mich bei den afrikanischen Botschaftern für die gute Zu- sammenarbeit . Meine Einladung zu runden Tischen zu Wasserthemen sowie nach Chemnitz zu „Business trifft Afrika“ wird gern gefolgt . Für mehr Zusammenarbeit oder einen Austausch stehe ich immer gern zur Verfü- gung . Denn ich bin der Überzeugung, dass wir viel von Afrika zu lernen haben . Ich schwärme oft von Afrika als unserem großen Bruder oder unserer großen Schwester . Übrigens, wie Lutz van Dijk in seiner unbefangenen Ge- schichte eines bunten Kontinents es darstellt: „Genetisch gesehen, sind wir Menschen nach wie vor alle Afrikaner, jedenfalls mehr Afrikaner als alles andere .“ Gabi Weber (SPD): Gestern Abend war Russlands Präsident Wladimir Putin erstmal seit Beginn der Krise in der Ukraine offiziell in Berlin. Die Bundeskanzlerin betonte im Anschluss an das Treffen mit ihm, wie wich- tig es gewesen sei, den direkten Gesprächskanal auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs wieder zu eröff- nen . Warum erwähne ich das zu Beginn meiner Rede zu Burundi? Weil ich ebenfalls der festen Überzeugung bin: Ohne Dialog keine Fortschritte, ohne diese Fortschritte kein Frieden . Heute Vormittag traf ich mich mit der neuen Botschafterin Burundis zu einem ersten Gespräch . Im Verlaufe unserer Unterredung wurde klar, wie wichtig es beiden Seiten trotz grundlegender Meinungsunterschiede ist, im Dialog zu bleiben und nach Wegen zu suchen, die Krise in Burundi beizulegen . Die Lage ist alles andere als stabil, und es geht nicht voran . Wir dürfen uns aber gera- de jetzt nicht abwenden und der langen Liste vergessener Konflikte einen weiteren hinzufügen. Zuletzt haben wir uns hier im Plenum am 9 . Juni mit Burundi befasst . Hat sich über den Sommer die Lage irgendwie verbessert? Ich muss das leider verneinen . Burundi macht auf den interessierten Beobachter den Eindruck, in einer politischen Sackgasse zu stecken . Der Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 201619576 (A) (C) (B) (D) Konflikt wirkt festgefahren, und es herrscht eine ange- spannte und instabile Lage, die mit dem Bild einer Ruhe unter vorgehaltener Waffe recht gut beschrieben ist . Ich bedauere sehr, dass Burundi in der hiesigen Be- richterstattung eher als Randnotiz oder nur in Spezial- medien auftaucht. So entstehen vergessene Konflikte, die dann irgendwann in wesentlich dramatischerer Weise wieder auf dem Radar der internationalen Aufmerksam- keit auftauchen . Das dürfen wir nicht zulassen, und dafür beraten wir heute auch abschließend diesen Antrag, da- mit die Bundesregierung alles ihr Mögliche unternimmt, um diesen Konflikt wenigstens zu beruhigen, denn von einer Lösung sind wir im Moment weit entfernt . Welche Entwicklung hat es seit Juni gegeben? Die Mehrzahl der Vertreter von Opposition und zi- vilgesellschaftlichen Organisationen befindet sich im Ausland, im Untergrund oder in Haft . Sowohl Regierung als auch Teile der Opposition setzen gezielt Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer Interessen ein . Zudem ist wegen der angespannten wirtschaftlichen Lage das Ni- veau der allgemeinen Kriminalität deutlich angestiegen . Mit circa 315 USD Pro-Kopf-Einkommen liegt Burundi aktuell weltweit an letzter Stelle . Die Flüchtlingssituation: Die Lebens- und insbeson- dere die Ernährungssituation der Menschen in Burundi verschlechtert sich zunehmend, die Flüchtlingszahlen steigen: Aktuell sprechen wir von fast 300 000 Menschen in den Nachbarstaaten Tansania, Ruanda, der DR Kongo, Uganda und Sambia sowie rund 100 000 Binnenflücht- lingen . Das BMZ unterstützt das tansanische Flüchtlings- lager über das Welternährungsprogramm mit 14 Millio- nen Euro, das Auswärtige Amt gibt 3,5 Millionen Euro für humanitäre Hilfe an das UNHCR . Dazu kommen weitere NGO-Projekte in Höhe von 650 000 Euro aus Mitteln für humanitäre Hilfe . Nicht allein die politische Situation ist ein Flucht- grund. Wie aus anderen Zusammenhängen finden wir auch hier den fast schon klassischen Katalog von Flucht- ursachen, zum Beispiel mangelnde persönliche und öf- fentliche Sicherheit sowie wirtschaftliche Perspektivlo- sigkeit . In den Straßen der Hauptstadt Bujumbura ist es zwar ruhiger geworden, aber bewaffnete Jugendmilizen sind in den Wohnvierteln der Regimegegner aktiv . Die Armee, die Polizei und der Geheimdienst wurden nach poli- tisch-ethnischen Gesichtspunkten umgebaut . Unterstützung der Bevölkerung: Es ist erfreulich und sehr hilfreich, dass wir trotz der Teileinstellung der bi- lateralen staatlichen Entwicklungskooperation des BMZ im Bereich der humanitären Hilfe und der Entwicklungs- zusammenarbeit weiterhin auf das Engagement vieler großer und kleiner Nichtregierungsorganisationen zählen können . Die Arbeit privater Träger und das anhaltende private Engagement sind sehr wichtig . Das anhaltende private Engagement ist ein starkes Zeichen internationa- ler Solidarität . Die bereits begonnen BMZ-Projekte auf lokaler und kommunaler Ebene laufen ebenfalls weiter . Allerdings müssen wir uns bereits jetzt Gedanken machen, wie es nach deren Auslaufen 2018 weitergehen soll . Ich bitte die Regierung, diesbezüglich ihren Ansatz der direkten Bevölkerungsunterstützung weiterzuverfolgen und ent- sprechende Anschlussplanungen vorzunehmen . All das zeigt, dass wir die Bevölkerung nicht vergessen und unabhängig von der angespannten politischen Lage ihre dringendsten Bedürfnisse im Blick behalten . Die EU hat ihre gezielten Sanktionen wegen der Kri- se in Burundi um ein Jahr verlängert . Drei Vertraute des umstrittenen Präsidenten Pierre Nkurunziza sowie ein Putschist bleiben bis Ende Oktober 2017 mit Einreise- und Vermögenssperren belegt . Am 27 . September 2016 legte eine Expertenkom- mission dem UN-Menschenrechtsrat ihrem Abschluss- bericht über die Menschrechtslage in Burundi vor . Sie wies darin auf die trügerische „Stabilität“ hin und pran- gerte insbesondere systematische Verfolgung, schwerste Folter, ungesetzliche Hinrichtungen durch burundische Sicherheitskräfte sowie sexuelle und geschlechtsspezi- fische Gewalt an. Dieser Bericht führte zum Beschluss der Entsendung einer Untersuchungskommission nach Burundi . Das wurde von der Regierung allerdings mit einer eindeutigen Ablehnung beantwortet, die beteiligten UNO-Menschenrechtsexperten wurden zu unerwünsch- ten Personen erklärt und die Zusammenarbeit mit dem UN-Hochkommissariat für Menschenrechte ausgesetzt . Die Nationalversammlung in Bujumbura stimmte zu- dem aufgrund des laufenden Verfahrens gegen das ostaf- rikanische Land wegen Verbrechen gegen die Mensch- lichkeit unlängst mit großer Mehrheit für den Austritt aus dem Internationalen Strafgerichtshof . Burundi wäre damit das erste Land, das die Zusammenarbeit mit dem Gericht in Den Haag aufkündigt . Beobachtern zufolge plant die Regierung zudem, die Amtszeitbeschränkungen der Verfassung und die Quoten zwischen Hutu und Tutsi aus dem Arusha-Abkommen in Kürze abzuschaffen . In einer solchen Situation ist die Äußerung des aktu- ellen Vorsitzenden der Afrikanischen Union, Idriss Déby, nicht hilfreich, wenn er feststellt, dass die Probleme Bu- rundis allein ausländischer Einmischung zuzuschreiben seien und Präsident Nkurunziza verfassungsgemäß sein drittes Mandat ausübt . Damit konterkariert Déby auch die eigenen Bemühungen der AU um eine Entspannung der Situation . Was können wir also überhaupt tun? Unser Antrag listet eine Reihe von diplomatischen, humanitären und entwicklungspolitischen Maßnahmen auf, die durch die Bundesregierung umgesetzt, fortge- führt und intensiviert werden müssen . Darüber hinaus sind folgende Punkte wichtig: Zulassung von UN- und AU-Beobachtern im Land, um die im September im Bericht des UNO-Menschen- rechtsrates zur Menschenrechtssituation in Burundi er- hobenen Vorwürfe unabhängig untersuchen zu können . Es ist im Interesse der burundischen Regierung, hier auf größtmögliche Transparenz zu setzen, wenn sie der Mei- nung ist, dass die Vorwürfe nicht zutreffen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19577 (A) (C) (B) (D) Die burundische Regierung sollte in diesem Zusam- menhang ihren Rückzug vom Internationalen Strafge- richtshof ernsthaft überdenken . Die Zustimmung zu der vom UN-Sicherheitsrat am 29 . Juli 2016 verabschiedeten Resolution 2303 ist im- mens wichtig. Sie sieht die Entsendung eines 228-köpfi- gen Polizeikontingents nach Burundi vor, das zur Verbes- serung der Sicherheitslage einen wesentlichen Beitrag leisten könnte . Die 2015 beschlossene Stationierung von Menschen- rechts- und Militärbeobachtern der Afrikanischen Union (AU) ist zügig zu ermöglichen, denn deren vollständige Entsendung scheitert bis heute an von der burundischen Regierung vorgeschobenen Formalien . Derzeit sind ge- rade mal 45 von 200 AU-Beobachtern vor Ort und ihre Arbeitsbedingungen sind schwierig . Die diplomatischen Bemühungen um einen echten innerburundischen Dialog müssen intensiviert werden . Es gibt noch immer enge Beziehungen zwischen Regie- rungs- und Oppositionskreisen, was aus dem besonderen Verständnis dieser beiden Pole im politischen System Burundis herrührt . Das muss zum Ausgangspunkt des Dialoges werden . Es ist mir noch wichtig, zu unterstreichen, dass wir es in Burundi bisher immer noch mit einer politischen und sozialen Krise zu tun haben, nicht mit einer ethnischen . Alle Versuche von verschiedener Seite, den Konflikt zu ethnisieren und Hutu gegen Tutsi aufzuhetzen, haben bis- her nicht verfangen . Die traumatischen Erfahrungen des langen Bürgerkrieges von 1993 bis 2005 entlang ethni- scher Linien haben die Bevölkerung Burundis nachhaltig geprägt und wachsam für die Gefahr ethnischer Ausein- andersetzungen gemacht . Das macht Hoffnung, dass sich eine Lösung des Konfliktes im Geist des Arusha-Abkom- mens finden lässt. Ich bin sehr froh, dass es in der Ausschussberatung des vorliegenden Antrages gelungen ist, zumindest die Frak- tion der Grünen von einer Zustimmung zu überzeugen . Dafür möchte ich meinen herzlichen Dank aussprechen . Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken, schlie- ßen Sie sich uns an! Es wäre ein gutes und wichtiges Zei- chen, dass es dem gesamten Hohen Hause wichtig ist, dass Deutschland sich weiterhin in der Region engagiert und Burundi und seine Menschen nicht vergisst . Inge Höger (DIE LINKE): Oberflächlich betrachtet sieht es so aus, als hätte sich die Lage in Burundi be- ruhigt . Es gibt keine großen Straßenschlachten und in- folgedessen auch weniger Opfer bewaffneter Auseinan- dersetzungen . Doch ein zweiter Blick macht klar, dass keineswegs alles gut ist in Burundi . Deshalb ist es auch verfrüht und wäre ein Fehler, wenn nun die ohnehin schwache internationale Aufmerksamkeit bezüglich der menschenrechtlichen Situation in Burundi nachlässt . Nach wie vor halten sich etwa 300 000 burundische Bürgerinnen und Bürger in den Nachbarländern auf . Zu- sätzlich gibt es ungefähr 100 000 Binnenflüchtlinge. Die Berichte über die Lage der Menschenrechte in Burundi sind besorgniserregend . Es gibt Belege für systematische Folter, für Verschleppung und politische Morde . Ich begrüße deswegen ausdrücklich die Arbeit der UN-Untersuchungskommission und bedaure, dass ein- zelne UN-Vertreter des Landes verwiesen wurden . Es ist zudem eine gefährliche Entwicklung, dass das burundi- sche Parlament mehrheitlich beschloss, die Zusammen- arbeit des Landes mit dem internationalen Strafgerichts- hof in Den Haag aufzukündigen . Diese Entscheidung kommt gleichwohl nicht völlig überraschend . Schon seit mehreren Jahren wird besonders in Afrika kritisiert, dass allein Bürger afrikanischer Staaten vor dem Internatio- nalen Strafgerichtshof angeklagt werden . Einmal mehr wird deutlich, dass die selektive Anwendung internatio- naler Rechtsnormen ein massives Glaubwürdigkeitspro- blem schafft . Es ist an der Zeit, auch die Kriegsverbre- chen westlicher Staaten juristisch aufzuarbeiten . Der einzige Lichtblick in Burundi ist die Tatsache, dass es bis jetzt – trotz staatlicher Hetze – nicht gelungen ist, den Konflikt zu ethnisieren, sondern es im Kern nach wie vor eine politische Auseinandersetzung ist . Wenn wirklich eine dauerhafte politische Lösung ge- funden werden soll, dann führt nichts an einem politi- schen Dialog zwischen Regierung und Opposition vorbei . Ohne kontinuierliche Unterstützung – und Druck – von außen wird dies wohl nicht zu bewerkstelligen sein . Die Linke spricht sich in der Regel nicht für Sanktio- nen aus, auch und gerade weil diese zumeist die Situati- on der Bevölkerung verschlechtern . Es gibt jedoch einen Bereich der Kooperation mit der burundischen Regie- rung, der dringend genauer betrachtet werden muss, und es ist mehr als bedauerlich, dass dazu im vorliegenden Antrag nichts zu finden ist. Die EU gibt jährlich mehr als 200 Millionen Dol- lar für die internationale Militär-Mission in Somalia (AMISOM) aus, mit der in diesem Bürgerkriegsland Frieden militärisch erzwungen werden soll . Burundi ist mit etwa 5 400 Soldaten einer der größten Truppenstel- ler innerhalb von AMISOM . Dies ist für das arme Land Burundi ein wichtiger Wirtschaftsfaktor . Der Staat Bu- rundi verdient daran jährlich etwa 13 Millionen Dollar, und zusätzlich erhalten die beteiligten burundischen Soldaten zusammen 52 Millionen Dollar als Sold . Diese Einnahmen sind eine Art Lebensader für die burundische Regierung . Ohne diese Zusatzeinnahmen für sogenann- tes „Peace-keeping“ hätte die burundische Armee mögli- cherweise Probleme, die Loyalität ihrer Angehörigen zu behalten . Die Soldaten der AMISOM sind immer wieder in Skandale wie Korruption und sexuellen Missbrauch ver- wickelt . Ob ihre Präsenz in Somalia wirklich zu einer sta- bilen Friedenslösung beitragen kann, ist zweifelhaft . Klar ist, dass neben der erwähnten Zahlung von Sold auch die Ausbildung für die AMISOM-Soldaten und deren Aus- rüstung mit Waffen und Munition Faktoren im fragilen Machtgefüge in der Region sind . Die Bundeswehr ist seit mehreren Jahren Teil dieser Ausbildungsmission . Es ist schon mehr als fragwürdig, wenn der Versuch, gewaltsam eine politische Lösung in Somalia durchzu- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 201619578 (A) (C) (B) (D) setzen, gleichzeitig bedeutet, dass die undemokratische und menschenrechtsfeindliche Politik in einem anderen Land gefördert wird . Es muss endlich Schluss sein mit einer Politik, die hofft, mit eigenen Soldaten und Waf- fen oder mit der Finanzierung von Soldaten und Waffen anderer Akteure Frieden zu schaffen . Es ist Zeit, diese Unlogik von Krieg, Intervention und Gewalt zu durch- brechen und die freiwerdenden finanziellen und perso- nellen Ressourcen für friedliche Konfliktbearbeitung und Entwicklungsinitiativen zu verwenden . Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Die Koalition hat wertvolle Zeit verschwendet . Die Grünen haben mit ihrem Antrag „Gewalt in Burundi stoppen – Weitere massive Menschenrechtsverletzun- gen verhindern“, Bundestagsdrucksache 18/6883, schon Ende 2015 die Bundesregierung aufgefordert, sich akti- ver für den Schutz der Menschenrechte in Burundi ein- zusetzen . Der Antrag wurde von der Koalition abgelehnt . Dabei sind die neusten Meldungen aus Burundi der beste Beweis dafür, dass viel früher viel mehr hätte passieren sollen . Inzwischen kündigte Burundi als erster Staat der Welt sogar die Zusammenarbeit mit Internationalem Strafgerichtshof und stellte die Zusammenarbeit mit dem Büro des Hohen Kommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen in Bujumbura ein . Das Land schot- tet sich vor unseren Augen ab und die Zivilbevölkerung lebt in Angst . Das tut sie schon, seitdem sich der burun- dische Präsident Nkurunziza 2015 trotz der Obergrenze von zwei Mandaten ein drittes Mal aufstellen ließ . Im Land führte dies einerseits zu Protesten und andererseits zu massiven Menschenrechtsverletzungen gegen die Re- gierungsgegner . Dennoch lehnte die Koalition unseren Antrag sowie die Erarbeitung einer interfraktionellen Initiative ab und brachte ein halbes Jahr später einen eigenen Antrag ein . Er enthält zwar wichtige Punkte, unsere Forderungen bleiben jedoch nach wie vor aktuell; denn die Weltge- meinschaft und gerade Deutschland müssen die vorhan- denen Instrumente der Früherkennung und der Verhin- derung von schwersten Menschenrechtsverletzungen im Sinne der Schutzverantwortung weiter schärfen . Hier gibt es noch große Defizite und der Antrag der Koalition geht nur sehr vorsichtig auf dieses Thema ein . Dabei hat sich die Weltgemeinschaft Jahrzehnte in Burundi engagiert . Die Nachbarländer, die Afrikanische Union, die Vereinten Nationen und die EU haben alle nach Jahren von Unruhen und Gewalt Burundi auf dem steinigen Weg zu einem Friedensabkommen im Jahr 2000 begleitet . Auch bei der Umsetzung standen diese Akteu- re dem Land zur Seite . Nun sind seit April 2015 laut UNHCR fast 300 000 Menschen aus Burundi geflohen und über 100 000 intern vertrieben worden . Wie kann das sein? Wieso hat man den Einfluss im Land nicht nüt- zen können, um diese Entwicklung zu verhindern? Diese Frage muss sich auch die Bundesregierung stellen . Der UN-Bericht vom 20 . September dieses Jahres weist darauf hin, dass in Anbetracht der Geschichte Bu- rundis die Gefahr eines Völkermords nicht auszuschlie- ßen sei . Manche der begangenen Verbrechen könnten womöglich als Verbrechen gegen die Menschlichkeit klassifiziert werden. Der Bericht empfiehlt die dringende Aufnahme eines unabhängigen gerichtlichen Verfahrens, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen . Nach den letzten Entscheidungen Burundis wird so ein Verfahren wohl noch schwieriger sein . Wir, die Welt- gemeinschaft, können es einfach nicht erlauben, dass schwerste Menschenrechtsverletzungen ohne Konse- quenzen bleiben . Deshalb muss auch die Bundesregie- rung endlich aktiver werden – nicht nur wegen der Si- tuation in Burundi, sondern auch wegen der Stabilität in der gesamten Region . In der Hoffnung, dass dieser An- trag zumindest eine kleine Verbesserung bewirken kann, stimmen wir ihm zu . Schade, dass die Koalition bei un- serem Antrag dazu nicht in der Lage war . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung: – des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Schutz von Walen und Delfinen stärken – des Antrags der Abgeordneten Steffi Lemke, Nicole Maisch, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Wirksamen Walschutz weltweit durchsetzen (Zusatztagesordnungspunkte 8 und 9) Gitta Connemann (CDU/CSU): Wer von uns kennt nicht Moby Dick? Die Geschichte des weißen Wals und seines Jägers Kapitän Ahab hat Generationen von Lesern gefesselt . Auf der einen Seite der Pottwal als Sinnbild der Natur, auf der anderen Seite der Mensch auf seinem Rachefeldzug . Kapitän Ahab jagt den Wal Moby Dick, der ihm ein Bein abgerissen hatte; Mensch gegen Wal – auf Augenhöhe . Diese Augenhöhe gibt es schon lange nicht mehr . Wale, auch die kleinen Zahnwale, die Delfine, werden verfolgt, mit modernster Technik gehetzt und gejagt . Im Mittelpunkt steht das Geschäft . Deshalb haben auch An- träge zur Verbesserung ihres Schutzes in diesem Haus traurige Tradition . Von Legislaturperiode zu Legislatur- periode fordern wir über die Parteigrenzen hinweg, dass der kommerzielle Walfang weltweit beendet wird . Diese Forderung ist unverändert nötig, bitter nötig; denn die für den Schutz der Wale notwendigen Fort- schritte konnten bis jetzt nicht erreicht werden – trotz al- len öffentlichen Drucks . Zwar verbietet seit 1986 ein Mo- ratorium der Internationalen Walfangkommission, IWC, die kommerzielle Jagd auf Wale . Dabei ist die IWC noch nicht einmal eine Walschutzorganisation . Ursprünglich sollte sie Fangquoten festlegen, die den Bestand der Großwale nicht gefährden und den Walfang damit lang- fristig sichern . Aber es wurde deutlich, dass ein Walbe- stand nach dem anderen am Rand der Ausrottung stand . Nur Fakt ist: Länder wie Island, Norwegen oder Japan erkennen das Moratorium entweder gar nicht – mehr – an http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/068/1806883.pdf Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19579 (A) (C) (B) (D) oder höhlen es aus . Um ein konkretes Beispiel zu nen- nen: Jedes Jahr aufs Neue wiederholen sich die Szenen vor dem japanischen Walfangort Taiji . Wenn Anfang September die Saison der Treibjagd auf Delfine beginnt, ist das jährliche Schlachten eröffnet . Bis März werden die Tiere gejagt und in einer Bucht zusammengetrieben . Dort werden die besten Tiere aussortiert . Der Rest wird abgeschlachtet, gesprengt oder erstickt . Diese Jagd ist nichts anderes als ein Blutbad, ein Blutbad unter dem Deckmantel der Walforschung . Den Rahmen dafür bildet das Walforschungsprogramm, NEWREP-A . Es erlaubt, über zwölf Jahre hinweg insge- samt knapp 4 000 Wale zu erlegen . 4 000 Wale in zwölf Jahren . Oder umgerechnet: 333 dieser einmaligen Mee- ressäuger dürfen getötet werden, Jahr um Jahr, im Na- men der Forschung . Aber es geht noch schlimmer . In der Fangsaison 2015/2016 waren von diesen 333 Walen sage und schreibe 200 Tiere trächtig . Es ist eine Schande . Dieses Schlupfloch nutzt Japan seit November 2014, um wieder Wale zu fangen . Kommerzieller Walfang wird kurzerhand als Walforschung deklariert . Forschungs- zwecke werden vorgeschoben . Das ist nichts anderes als eine Ausrede . Die Walforschung braucht keine Massaker . Diese hat im 21 . Jahrhundert ganz andere technologische Möglichkeiten . Das Verhalten Japans ist ein schwerer Schlag gegen den Schutz der Wale . Wir in der CDU/ CSU-Fraktion sind der Bundesregierung deshalb dank- bar . Diese hatte sich im Dezember letzten Jahres einem internationalen diplomatischen Einspruch gegenüber der japanischen Regierung angeschlossen und die Wieder- aufnahme des Walfangs deutlich kritisiert . Dieser Druck muss über Japan hinaus aufrechterhal- ten werden . Denn brutale Treibjagden, das Gemetzel von Delfinen und Walen beschränkt sich nicht allein auf Ja- pan . Auch in Norwegen und Island steht der kommerziel- le Walfang auf der Tagesordnung . Das muss endlich ein Ende haben . Die Welt muss handeln . Wir müssen Wale und Delfine noch besser schützen. Deshalb fordern wir die Bundesregierung auf, sich beim Treffen der IWC-Mit- gliedstaaten in Portoroz zum Anwalt der Meeres säuger zu machen . Die Konferenz der Internationalen Walfang- kommission beginnt heute in Slowenien . Dort muss ein starkes Zeichen gegen die Jagd und Tötung von Walen und Delfinen gesetzt werden. Dafür haben wir unseren Antrag vorgelegt . Darin fordern wir: Im Interesse des Walschutzes müssen der Erhalt, die Stärkung und vor al- lem eine bessere Durchsetzung des Moratoriums erreicht werden – ohne Wenn und Aber . Für die Tötung von Wa- len gibt es keinen Grund . Anträge, die auf eine Aushöh- lung des Walfangmoratoriums abzielen, sind abzulehnen . Wir fordern die Bundesregierung aber auch auf, sich gemeinsam mit anderen Vertragsstaaten auf der IWC-Ta- gung dafür einzusetzen, dass Norwegen und Island ihre Walfangaktivitäten einstellen . In Europa muss kommer- zieller Walfang der Geschichte angehören . Niemand braucht im 21 . Jahrhundert Nahrungsergänzungsmittel oder Kosmetik aus Walöl . Das Abschlachten der Tiere ist hiermit nicht zu rechtfertigen – im Gegenteil . Es gibt eine Ausnahme: Für indigene Völker mit Walfangtraditi- on wie Aleuten, Inuit oder Eskimos sind Wale Nahrung . Ihnen muss der Walfang zum Eigenverbrauch weiter er- laubt sein . Es ist unsere Pflicht, Wale und Delfine noch besser zu schützen, damit unsere Kinder und Enkel, wenn sie Moby Dick lesen, nicht fragen: Was ist eigentlich ein Wal? Dr. Klaus-Peter Schulze (CDU/CSU): Zur Ordnung der Wale zählt eine Vielzahl von Arten, die sich auf un- terschiedliche Weise an die Bedingungen in den Meeren dieser Welt angepasst haben . Wale werden in Barten- und Zahnwale unterteilt, die sich wiederum in verschiedene Familien untergliedern . So zählt der Südliche Zwergwal zur Familie der Furchenwale, die wiederum zur Unter- ordnung der Bartenwale gehört . Bereits im Mittelalter wurden in Europa Wale gejagt . Die Fischer hatten es dabei vor allem auf die großen Mengen an Fleisch sowie den als Brennstoff verwend- bare Waltran abgesehen . Die Jagd beschränkte sich zu dieser Zeit auf die Küstengebiete . Erst ab 1630 begannen Holländer mit der Waljagd auf offener See . Ein deutli- ches Wachstum erlebte die Walfangindustrie im 17 . und 18 . Jahrhundert . Vor allem Pottwale rückten in den Fokus der Parfüm- und Kerzenindustrie . Ein solcher Anstieg der Waljagd wiederholte sich in der zweiten Hälfte des 19 . Jahrhunderts . Grund waren dieses Mal technische Erfindungen. Mithilfe von neu entwickelten Sprenghar- punen konnten nun auch die schnellen Furchenwale, wie Blau- und Finnwale, gejagt werden . Zusätzlich ermög- lichte die Dampfschifffahrt eine enorme Ausdehnung der Fanggebiete . Nach der ersten erfolgreichen Ölbohrung im Jahr 1859 wurde Walöl als Lampenbrennstoff von Petroleum abge- löst . Dennoch blieb Waltran ein wichtiger Grundstoff vieler Produkte und wurde für Produktionsprozesse be- nötigt . Hinzu kam, dass die Wale ab Beginn des 20 . Jahr- hunderts zunehmend von Fabrikschiffen direkt auf dem Meer verarbeitet wurden . Mit dieser Industrialisierung der Waljagd steigerte sich in den 1930er-Jahren die Zahl der getöteten Wale auf weltweit jährlich über 30 000 . Aufgrund dieser Entwicklung wurde vor genau 70 Jahren die Internationale Walfangkommission, IWC, eingerichtet . Sie zielte zu dieser Zeit jedoch nicht auf den Schutz der Meeressäuger ab, sondern vielmehr da- rauf, die Bestände in einem für das weitere Bestehen der Walfangindustrie notwendigen Umfang zu erhalten . Die Konsequenz dieses fehlgeleiteten Ansatzes offenbarte sich spätestens in der Fangsaison 1961/1962, in der über 66 000 Wale getötet wurden . Dabei handelte es sich aller- dings nur um die offiziellen Zahlen, die eine systemati- sche Fälschung der Fangzahlen durch einzelne Nationen nicht berücksichtigten . So stellte sich nach dem Zusam- menbruch der Sowjetunion heraus, dass die Sowjets bis Ende der 1970er-Jahre fast 180 000 Pottwale illegal ge- fangen hatten . In den 1980er-Jahren generierten spektakuläre Aktio- nen der Umweltorganisation Greenpeace eine öffentliche Aufmerksamkeit für die prekäre Situation der Wale . Vor allem jedoch der massive Rückgang der Walpopulatio- nen sorgte schließlich für ein grundlegendes Umden- ken . In der Konsequenz trat im Jahr 1986 das durch die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 201619580 (A) (C) (B) (D) IWC vier Jahre zuvor beschlossene Walfangmoratrium in Kraft . Ab diesem Zeitpunkt war der kommerzielle Walfang verboten . Dennoch hat Japan seit dem Inkraft- treten des Moratoriums rund 18 000 Wale getötet . Als Begründung werden wissenschaftliche Untersuchungen angeführt, die gemäß Artikel 8 der IWC-Konvention den Fang von Walen erlauben . Faktisch handelt es sich aller- dings um kommerziellen Walfang . So hat ein IWC-Ex- pertengremium dem aktuellen japanischen Programm die wissenschaftliche Rechtfertigung abgesprochen, was von Japan ignoriert wird . Allein in den letzten zehn Jahren fielen den japanischen Explosivharpunen im Namen der Wissenschaft 10 712 Zwergwale zum Opfer . Angesichts der Zahlen müsste es sich bei dieser Walart um das am besten untersuchte Lebewesen der Welt handeln – leider weit gefehlt . Die massenhaften Tötungen mündeten in nur zwei Publikationen in Fachzeitschriften . Was japa- nische Wissenschaftlicher anhand von über 10 000 Wal- kadavern auch herausgefunden haben mögen, sie wollen dieses Wissen offensichtlich nicht mit der Menschheit teilen . Es darf an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass es neben Japan noch zwei weitere Staaten gibt, die kom- merziellen Walfang betreiben . Während die Japaner im Zeitraum von 2014 bis 2015 663 Großwale töteten, er- legte Island 345 Wale und Norwegen gar 1 396 . Zwar begründen Island und Norwegen ihre Jagd nach Wa- len nicht mit ominösen wissenschaftlichen Ansätzen, dennoch ist auch hier die Sinnhaftigkeit der Waltötun- gen äußerst fraglich . So wurden im Jahr 2014 mehr als 113 Tonnen Zwergwal auf norwegischen Pelztierfarmen an Zuchtnerze und -füchse verfüttert . Doch nicht nur der kommerzielle Walfang, mit wis- senschaftlichem Deckmantel oder ohne, bedroht die globalen Walpopulationen . Für die Schweinswale in der Nord- und Ostsee stellen darüber hinaus Fischereigeräte und Unterwasserlärm eine erhebliche Gefahr dar . Da sie ihre Nahrung am Meeresgrund suchen, verfangen sich Schweinswale häufig in Stellnetzen und ertrinken. Im Jahr 2014 wurden an der deutschen Ostseeküste 129 Tot- funde von Schweinswahlen gezählt . An der Nordseeküs- te Schleswig-Holsteins waren es im Sommer 2012 sogar 132 tote Tiere . Die exakte Benennung der Beifangquote erweist sich dabei als schwierig . Dennoch haben Unter- suchungen der Totfunde an der Küste Mecklenburg-Vor- pommerns ergeben, dass die Beifangquote zwischen 2003 und 2012 bei 7,9 Prozent und der Verdacht auf Bei- fang bei 3,6 Prozent lagen . Um den Beifang von Schweinswalen zu verhindern, werden von einigen Fischern sogenannte Pinger, akusti- sche Signalgeber, eingesetzt . Diese sind jedoch umstrit- ten, da sie im Verdacht stehen, die Meeressäuger groß- räumig aus ihren Nahrungsgründen zu vertreiben . Aus diesem Grund werden aktuell sogenannte PAL-Geräte getestet, die Schweinswal-Kommunikationslaute imitie- ren und so die Tiere vor unsichtbaren Stellnetzen war- nen . Allerdings dauert die, vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft unterstützte Forschung der PAL-Geräte noch an . Aufgrund ihrer hohen Geräuschempfindlichkeit wer- den Schweinswale von Unterwasserlärm stark beein- trächtigt . So kann bei ihnen ab 164 Dezibel eine temporä- re Schwerhörigkeit eintreten . Aus diesem Grund hat das Umweltbundesamt, UBA, einen Grenzwert für Unter- wasserlärm beim Bau von Offshorewindenergieanlagen eingeführt . Demnach darf außerhalb von 750 Metern um die Rammstelle ein Schallexpositionspegel von 160 De- zibel nicht überschritten werden . Allerdings werden die Fundamente der Windanlagen mittels Impulsrammung in den Meeresboden getrieben, die in der Spitze Lärmwer- te von bis zu 200 Dezibel erzeugt . Hinzu kommt, dass sich der Grenzwert des UBA auf einen einzelnen Ramm- schlag bezieht . Pro Anlage sind jedoch unter Umständen Tausende Schläge notwendig, wodurch kumulative Ef- fekte die schädliche Wirkung auf die Schweinswale noch erhöhen . Die immense Lärmbelästigung führt dazu, dass Schweinswale fliehen, langfristig große Gebiete meiden oder mangels Kommunikationsmöglichkeit die Orientie- rung verlieren, stranden und verenden . Es existieren bereits Methoden, die den Schalleintrag während der Errichtung von Offshorewindernergieanla- gen reduzieren können . Primäre Schallminderungsmaß- nahmen: Verminderung der Schlagenergie, Verlängerung der Kontaktzeit zwischen Hammer und Pfahl – „Impuls- dauerverlängerung“ . Sekundäre Schallminderungsmaß- nahmen: Blasenschleier, Hüllrohr, Hydroschalldämpfer, Kofferdamm . All diese Maßnahmen haben gemein, dass derzeit noch ein erheblicher Forschungsbedarf besteht . Hier müssen die Bemühungen intensiviert werden, damit der Einsatz von effektiven Schallminderungsmaßnahmen auch in größeren Wassertiefen realisiert werden kann . Doch nicht nur die Wissenschaft ist gefragt, wenn es um den Erhalt der Wale als Symbol biologischer Viel- falt geht . So können auch Touristen ihren kleinen Bei- trag zum Walschutz leisten . Im Rahmen von sogenannten Walbeobachtungstouren, die unter anderem in der Straße von Gibraltar und auf den Makaronesischen Inseln an- geboten werden, gilt es, darauf zu achten, ausschließlich auf nachhaltige Anbieter zurückzugreifen . Darüber hi- naus sollte darauf verzichtet werden, auf Märkten, wie es sie im norwegischen Bergen gibt, Walprodukte zu er- werben . Der vorliegende Antrag benennt die entscheidenden Maßnahmen, welche die Staatengemeinschaft zukünf- tig ergreifen muss, um den Schutz der Wale im Rahmen des IWC-Moratoriums und darüber hinaus zu gewähr- leisten und um damit den Erhalt dieser beeindruckenden Meeres säuger sicherzustellen . Christina Jantz-Herrmann (SPD): Wale nehmen nicht nur eine wichtige Rolle im marinen Ökosystem und Nahrungsnetz ein, sie sind darüber hinaus auch zu einem Symbol biologischer Vielfalt geworden . So ist es wichtig und richtig, dass sich auch der Deutsche Bundestag in dieser Woche mit dem Thema Walschutz befasst . Wenn heute in Slowenien die 66 . Internationale Walfangkon- ferenz beginnt, haben wir als nationales Parlament die Chance, ein Signal zum Tagungsort Portoroz zu sen- den, ein Signal, welches unmissverständlich deutlich macht, dass die Weltgemeinschaft in ihren Bemühun- gen für den Schutz von Walen, insbesondere auch von Delfinen, keinesfalls nachlassen darf. Auch stärken wir Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19581 (A) (C) (B) (D) damit die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 6 . Juli 2016 zum Beschluss Japans, in der Fangsai- son 2015/2016 den Walfang wiederaufzunehmen . Das EU-Parlament hat diese Entschließung übrigens mit gro- ßer Mehrheit beschlossen . Die Bedrohung von Walarten und -beständen durch wirtschaftliche Aktivitäten und andere anthropogene Be- einträchtigungen ist anhaltend hoch . Beifänge in der in- dustriellen Fischerei, der Eintrag von Umweltgiften und Plastikmüll in die Ozeane sowie der ständig zunehmende Unterwasserlärm stellen aktuell eine große Bedrohung für das Überleben der Wale dar . Nicht nur Umweltverän- derungen schränken den Lebensraum vieler Wale immer weiter ein . Eine weitere erhebliche Gefährdung bilden die anhaltenden kommerziellen Interessen einzelner Wal- fangstaaten . So steht es auch in unserem Antrag „Schutz von Wa- len und Delfinen stärken“. Mit diesem unterstützen wir die deutschen Anstrengungen zum Schutz der Wale nachdrücklich . Mit unserem Antrag fordern wir die Bun- desregierung auf, sich auch zukünftig zielstrebig und beständig für den umfassenden Schutz der Walbestän- de einzusetzen und die Einhaltung und Fortführung des Walfangverbotes von den IWC-Mitgliedstaaten einzufor- dern . Auch wird die Bundesregierung aufgerufen, darauf hinzuwirken, dass Island, Japan und Norwegen ihre Wal- fangaktivitäten aufgeben . So appellieren wir an die Bundesregierung, darauf hinzuwirken, dass Japan seinen als wissenschaftlich de- klarierten, aber offensichtlich kommerziellen Walfang beendet . Weiterhin wird die Bundesregierung dazu ange- halten, die Internationale Walfangkommission aufzufor- dern, keine Arbeiten zu finanzieren, die der Wiederauf- nahme des kommerziellen Walfangs dienen . Stattdessen sollen diese Mittel Walschutzprogrammen zur Verfügung gestellt werden . Im Antrag machen wir zudem deutlich, dass sich auch Deutschland weiterhin dafür einsetzen muss und wird, die heimisch vorkommenden Schweins- wale noch besser vor akustischer Beeinträchtigung und Umweltverschmutzung zu schützen sowie Beifänge zu minimieren . Walschutz ist mehr als nur der Kampf gegen Wal- fang . Wenn wir uns ernsthaft mit dem Thema Walschutz auseinandersetzen möchten, reicht es nicht aus, uns aus- schließlich gegen Walfang zu engagieren . Walfang hat ohne Frage eine besondere Qualität, wenn es um Proble- me für Wale geht . Doch wir müssen uns auch mit den Schwierigkeiten von Walen bei uns im Meer befassen . Für uns bedeutet dies, dass wir Schweinswale in unse- ren Gewässern ausreichend schützen müssen . Deshalb fordern wir die Bundesregierung in unserem Antrag auf, die Forschungsarbeiten zum akustischen Monitoring des gefährdeten Ostseeschweinswals, die mit Unterstützung aller an die Ostsee angrenzender EU-Staaten vom Deut- schen Meeresmuseum in Stralsund in Zusammenarbeit mit verschiedenen deutschen und anderen Universitäten begonnen wurden, weiter zu unterstützen . Auch fordern wir die Bundesregierung auf, darauf hinzuwirken, dass die zuständigen Naturschutzbehörden der Länder bei Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen im Rahmen der Intensivierung der Nutzung von Nord- und Ostsee von den jeweiligen Industrien Monitoring-Maß- nahmen und Beiträge zum Schutz der Meeresfauna ein- fordern . Dies sind Maßnahmen, die mir persönlich sehr am Herzen liegen . Es ist kein Geheimnis, dass wir als SPD-Bundestags- fraktion bei den Themen Tier- und Artenschutz oft und intensiv mit unserem Koalitionspartner um die Inhalte ringen müssen . Deshalb bin ich froh, dass es uns bei die- sem wichtigen Thema gelungen ist, einen Antrag zu for- mulieren, der wichtige Aspekte der Thematik abbildet: Wir adressieren sowohl die Durchsetzung des kommer- ziellen Walfangverbots als auch die Bedrohung der Wale durch Umweltbeeinträchtigungen . Auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat einen Antrag zum Thema Walschutz eingebracht . Inhaltlich ist dieser in vielem identisch mit unserem . Lassen Sie uns ein gemeinsames, starkes Signal nach Portoroz senden . Deshalb werbe ich um Zustimmung zum Koalitionsan- trag auch durch die Opposition . Birgit Menz (DIE LINKE): Auch 30 Jahre nach In- krafttreten des Moratoriums für kommerziellen Walfang besteht das Kernproblem darin, dass der Internationa- len Walfangkommission keine Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, um Verstöße zu ahnden oder den Missbrauch der Möglichkeit des wissenschaftlichen Wal- fangs zu verhindern . So ist es in der Saison 2015/16 wie- der möglich gewesen, dass japanische Walfänger unter dem angeblichen Vorwand wissenschaftlicher Walfang- programme 333 Zwergwale töteten . Mehr als die Hälfte davon waren schwangere Weibchen . Das sind die höchs- ten Fangzahlen in Japan seit der Saison 2010/2011 . Norwegische Fischer töteten 2016 bisher 591 Wale, um aus ihnen Tierfutter zu machen oder das Fleisch auf Fuchs- und Nerzfarmen zu verfüttern . Auch Island be- treibt weiterhin offenen kommerziellen Walfang . Trotz- dem wird dieses Kernproblem auch auf der diesjährigen Konferenz nicht gelöst werden . Mehr noch: Es wird im Rahmen der offiziellen Agenda nicht einmal zur Sprache kommen . 30 Jahre nach Inkrafttreten des Moratoriums für kom- merziellen Walfang wird die Walfangkommission zu diesem Thema schweigen, und das nicht zuletzt, weil die EU-Kommission und Dänemark das Einreichen ei- ner notwendigen deutlichen Resolution gegen kommer- ziellen Walfang verhindern . Umso mehr muss sich die Bundesregierung für die Aufrechterhaltung des kommer- ziellen Walfangmoratoriums starkmachen . Sie muss sich dafür einsetzen, die Internationale Walfangkommission zu modernisieren und Sanktionen zu ermöglichen, um die Durchsetzung des Moratoriums sicherzustellen, und sie muss sich für eine unabhängige Prüfung von „Wis- senschaftsprogrammen“ starkmachen . Die Linke stimmt beiden Anträge zu, weil die ge- machten Vorschläge den Schutz von Walen und Del- finen stärken. Dennoch möchte ich, auch mit Blick auf Punkt 13 des Koalitionsantrags, eines betonen: Wale und Delfine wirksam zu schützen, bedeutet mehr, als die Jagd auf sie zu reduzieren. Wale und Delfine zu schützen, be- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 201619582 (A) (C) (B) (D) deutet auch, die Meere zu schützen: vor dem Eintrag von Schadstoffen, vor Verschmutzungen, vor Lärm, vor zu- nehmenden Belastungen durch Industrie und Schifffahrt und vor Überfischung. Kurz gesagt: Wale und Delfine zu schützen, bedeutet eine konsequente nachhaltige Um- weltpolitik, der sich die gesamte Bundesregierung ver- pflichtet sieht, nicht nur einzelne Ministerien. Vor unserer eigenen Haustür können wir beobachten, wie der Mensch das Leben vieler Meerestiere und de- ren Lebensumwelt negativ beeinflusst. Wale und Delfine sind andauernden Umweltbeeinträchtigungen wie Unter- wasserlärm, der Vermüllung von Meeren durch Plastik oder einer immer intensiver werdenden Bewirtschaftung der Gewässer ausgesetzt . Dies gilt nicht nur für Nord- und Ostsee, sondern für fast alle maritimen Gebiete, in denen sich Wale und Delfine dauerhaft befinden oder zeitweise aufhalten . Durch zunehmenden Schiffsverkehr, intensive maritime Bewirtschaftung und die hohe Anzahl militärischer Manöver ist es unter Wasser so laut gewor- den wie selten zuvor . Der durch Explosionen, Sonar oder Unterwasserbohrungen verursachte Krach führt bei Wa- len, Delfinen und anderen Meerestieren zu gravierenden Schädigungen des Hörsystems . Für Meerestiere, die via Schall kommunizieren und sich orientieren, gleicht dies einem Todesurteil . Eine baldige Reduzierung der Lärm- verschmutzung ist im Sinne des Artenschutzes unbedingt erforderlich . Langfristig ist es zwingend notwendig, Maßnahmen zu ergreifen, die mit einem Verbot des Ein- satzes von Sonar sowohl zu militärischen Zwecken als auch für die Suche von Erdöl im Meeresboden einher- gehen . Ein weiteres menschengemachtes Problem, unter dem auch Wale und Delfine leiden, ist die Überfischung der Meere . Mit der weltweiten massenhaften Entnahme von Fisch entziehen großindustrielle Fangflotten nicht nur wichtige Nahrungsquellen, sondern bedrohen auch das Ökosystem und dessen Leistungen als Ganzes . Laut WWF sterben jährlich etwa 300 000 Wale und Delfine als Beifang in den Netzen der Fischerei. Dies macht mehr als deutlich, dass dringend alternative Fang- methoden gefördert werden müssen, die sogenannten Beifang vermeiden und die Meeresumwelt schonen . Konkret heißt das, zukünftig auf die Fischerei mit Grund- und Schleppnetzen gänzlich zu verzichten . Der Schutz von Walen und Delfinen muss deshalb von der Bundesre- gierung hier in Deutschland genauso konsequent gestärkt werden wie auf dem europäischen und internationalen Parkett . Die Linke fordert neben dem Haltungsverbot von Delfinen in Gefangenschaft auch ein Verbot, wildlebende Delfine zu fangen. Delfine aus kommerziellen oder an- geblich therapeutischen Zwecken in Gefangenschaft zu halten, lehnt Die Linke als Tierquälerei ab . Lassen Sie uns mit gutem Beispiel vorangehen, wenn es darum geht, Tiere vor Profitinteressen zu schützen. Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heu- te beginnt in Slowenien die Tagung der Internationalen Walfangkommission . Die Internationale Walfangkom- mission besteht 2016 seit 70 Jahren . Ihre größte Errun- genschaft ist das seit 1986 geltende weltweite Verbot des kommerziellen Walfangs . Eine Errungenschaft, die immer wieder verteidigt werden muss . Jährlich werden Tausende von Walen und Delfinen abgeschlachtet. Vor den Faröer–Inseln, Island und Grönland werden Finn- wale, Zwergwale, Grindwale und Delfine gejagt und das Fleisch – trotz Handelsverbot – vor allem nach Japan verkauft . Japan tötet nach wie vor Wale unter dem Deck- mantel der wissenschaftlichen Forschung und nutzt da- mit ein juristisches Schlupfloch. Trotz Urteils des Inter- nationalen Gerichtshofs, das Japan die Illegalität seines angeblich wissenschaftlichen Walfangs beschieden hat, steht aktuell ein Antrag Japans zur Bewilligung des wei- teren Walfangs auf der IWC-Tagesordnung . Ich setze da- rauf, dass dieser Antrag keine Unterstützung finden wird und die IWC Instrumente findet, die Tötung von Walen für angebliche wissenschaftliche Zwecke zu unterbin- den . Ich hoffe auch darauf, dass der diesjährigen Tagung der IWC ein Durchbruch für die Einrichtung eines Wal- schutzgebietes im Südatlantik gelingt – es hätte über das konkrete Schutzgebiet hinaus eine wegweisende Bedeu- tung für den zukünftigen Umgang mit unseren Ozeanen und der dort lebenden Fauna und Flora . Denn über das Verbot des Walfanges hinaus brauchen wir einen umfas- senden Meeresschutz, wenn unter der sich verschärfen- den Klimakrise im Meer die wichtigen Ökosystemfunk- tionen der Ozeane nicht kollabieren sollen . Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregie- rung Globale Umweltveränderungen (WBGU) kam im Jahr 2013 in seinem Gutachten „Welt im Wandel – Menschheitserbe Meer“ zu dem Ergebnis, dass ein fun- damentaler Perspektivenwechsel erforderlich ist, um die Meere zu schützen . Die Notwendigkeit einer Trendwen- de beim Umgang mit den Meeren ist längst bekannt . Die dringend benötigten Regelungen existieren nicht oder sind in der Praxis durch die Staaten nicht ausreichend umgesetzt . Zu diesen Staaten zählt auch die Bundes- republik Deutschland . Vor fast 10 Jahren 2007 wurden die von Deutschland gemeldeten Natura2000-Gebiete in der Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) von Nord- und Ostsee durch die Europäische Kommission bereits bestätigt . Die Bundesregierung hatte sechs Jahre Zeit (bis Ende 2013), Maßnahmen im Sinne einer Schutzge- bietsverordnung in nationalem Recht zu verankern . Was ist passiert? Nichts! Stattdessen ist ein EU-Vertragsver- letzungsverfahren anhängig . Und eine Klage von fünf Umweltverbänden gegen die Bundesregierung vor dem Verwaltungsgericht Köln wegen mangelhaften Meeres- schutzes . Die Bundesregierung betont ja gerne, dass ihr der Meeresschutz wichtig ist . Zum G7-Gipfel 2015 in El- mau wurde sogar ein Aktionsplan gegen Meeresver- müllung verabschiedet . Die Ozeane sind aber weltweit in einem gravierenden Ausmaß bedroht: Überfischung, Verschmutzung mit Plastik, Chemikalien, Radioaktivi- tät, Erhitzung, CO2-Eintrag, Versauerung, Raubbau an Bodenschätzen . Das bisherige Handeln der Bundesre- gierung steht in keinem Verhältnis zur Größe des Pro- blems . Ein Aktionsplan nur gegen Meeresmüll greift zu kurz . Unsere Meere sind in einer historischen Krise und zum Teil wohl schon unumkehrbar verändert . Leer- gefischt, vermüllt, übernutzt und als größtes Opfer der Klima krise sind die Meeresökosysteme bis zum Äußers- ten strapaziert . Vielfältige Hebel müssen in Bewegung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19583 (A) (C) (B) (D) gesetzt werden, um das Artensterben zu verhindern, die Vergiftung, Vermüllung und Überdüngung zu stoppen und um dem Meer wieder Raum zum Leben zu geben . Dazu bedarf es gemeinsamer Anstrengungen auf globaler und europäischer Ebene und auch auf nationaler Ebene . „Um den Verlust der Arten zu bekämpfen, müssen na- tional wie international alle Kräfte gebündelt werden .“ Dieser Satz stammt aus dem gemeinsamen Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen „Konsequenten Walschutz fortsetzen und ver- bessern“ aus der vergangen Wahlperiode . Das war eine gute Initiative und ein guter Antrag, und es ist ein guter parlamentarischer Brauch, gemeinsame Anträge zur Un- terstützung der Regierung bei internationalen Verhand- lungen zu verfassen, wenn die inhaltlichen Unterschiede überbrückbar sind . Und nun frage ich CDU und CSU, was in sie gefahren ist, dieses gemeinsame Bemühen und Ringen um Fort- schritt den Eskapaden eines einzelnen Abgeordneten zu opfern . Ein bereits zwischen den Fraktionen abgestimm- ter Antrag wird einfach mal so vom Tisch gewischt, ohne irgendeine inhaltliche Begründung, weil der Herr Stier mit dem falschen Fuß aufgestanden ist . Das ist zwar sein gutes Recht, aber eine Bundestagsfraktion sollte etwas mehr Überblick und politisches Verständnis haben . Das Parlament sollte doch dazu in der Lage sein, einen inter- fraktionellen Antrag zum Schutz der Wale auf den Weg zu bringen – wie es dies schon mehrfach getan hat –, statt sich in den ideologische Graben eines einzelnen Abge- ordneten zu schmeißen . Herr Stier, Sie verkennen schein- bar die Bedeutung internationaler Verhandlungen . Erst gestern hat ein Antrag der EU für internationale Schlagzeilen gesorgt: Das Weddellmeer in der Antarktis soll zum größten Meeresschutzgebiet der Welt werden . Ein Antrag, den Deutschland erarbeitet hat . Ein Antrag, über den der CSU-Minister Schmidt sagt, dass es eine historische Aufgabe ist, einzigartige Ökosysteme wie die Antarktis zu schützen . Und weiter, dass die kommerziel- le Fischerei eine extreme Gefahr sei für das Gebiet . Zum einen ist das eine großartige Initiative, der ich von gan- zem Herzen Erfolg wünsche und bei deren Durchsetzung ich auch Herrn Schmidt Erfolg wünsche und Unterstüt- zung zusichern kann – obwohl, Herr Stier, der Kolle- ge Schmidt kein Grüner ist . Und zum anderen will ich Herrn Schmidt auffordern, auch beim Meeresschutz vor der eigenen Haustür endlich Ernst zu machen und seine Blockade aufzugeben . Sehr geehrte Damen und Herren der Bundesregierung, sehr geehrter Herr Schmidt, nutzen Sie den nationalen Handlungsspielraum wie den internationalen auch und schützen Sie die Meere und die Meeresumwelt in ihrem direkten Zuständigkeitsbereich genauso wie die in der Antarktis . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Durch- führung unionsrechtlicher Vorschriften über das Schulprogramm für Obst, Gemüse und Milch (Landwirtschaftserzeugnisse-Schulprogramm- gesetz – LwErzgSchulproG) (Tagesordnungs- punkt 19) Katharina Landgraf (CDU/CSU): Heute schaffen wir die Voraussetzungen für das neue EU-Schulpro- gramm für Obst, Gemüse und Milch, welches ab dem Schuljahr 2017/2018 in den Schulen und vor allem bei den Schulkindern ankommen soll . Ich freue mich, dass durch die aktuellen Entwicklungen bei den Schulpro- grammen für Schulobst und Schulmilch die Ernährungs- bildung nunmehr auch verstärkt in den Schulen verankert wird, und ich möchte im Folgenden die wichtigsten Eck- punkte zusammenfassen . Die erste und wichtigste Botschaft ist, dass der Kofi- nanzierungsanteil der Länder komplett entfällt . Die zwei- te wichtige Botschaft ist, dass die Programme Schulobst und Schulmilch zusammengeführt werden . Dies wird zu einer deutlichen Vereinfachung führen . Die dritte gute Botschaft ist eine Erhöhung der Finanzmittel um 20 Mil- lionen Euro auf nunmehr insgesamt 250 Millionen Euro auf europäischer Ebene . Von dieser Summe werden nach dem neu festgelegten Verteilungsschlüssel auf Deutsch- land 19,7 Millionen Euro für Schulobst und -gemüse so- wie 9,4 Millionen Euro für Schulmilch entfallen . Mit all diesen Punkten bietet sich nun endlich die Chance, dass Kinder in allen Bundesländern von beiden Programmen profitieren. In Zukunft soll es kostenloses Obst, Gemüse und Milch für alle Kinder und Jugendlichen in Bildungs- einrichtungen geben . Positiv hervorzuheben ist zudem, dass sich die Mit- gliedstaaten und nach der Umsetzung der Vorgaben in Deutschland im Einzelnen die Länder auch zu pädago- gischen Begleitmaßnahmen verpflichten. So sollen die Kinder über gesunde Ernährung und einen gesunden Lebensstil aufgeklärt werden, über lokale Nahrungsmit- telketten, ökologischen Landbau, nachhaltige Erzeugung und die Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung . Kindern soll auch die Landwirtschaft wieder näherge- bracht werden, beispielsweise durch Besuche von Bau- ernhöfen . Aber die Politik und die Schulen stoßen auch an ihre Grenzen . Die Begeisterung der Kinder für die tägliche Portion Obst und Gemüse muss früh geweckt werden . Dies geschieht am besten und in erster Linie durch An- gebote der Eltern . Das tatsächliche Leben mit Obst und Gemüse findet vor allen in den Familien statt. Dass es da läuft, hängt einzig und allein vom Bewusstsein der Fami- lie ab . Der Idealfall wäre, wenn Vater und Mutter selbst mit dem Thema „gesunde Ernährung“ und vor allem mit viel Obst und Gemüse aufgewachsen sind . Ist das nicht gegeben, so braucht man eine entspre- chende pädagogische Begleitung . An dieser Stelle greift dann das Obst- und Gemüseprogramm in den Kitas und Schulen . Da wünsche ich mir, dass ein solches Angebot nicht als ein von oben verordnetes Übel angesehen wird, das nur mehr Arbeit macht . Das Programm sollte zum Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 201619584 (A) (C) (B) (D) ganz normalen Alltag in den Schulen und Einrichtungen gehören . Eine gute Nachricht zum Schluss: Die Evaluationen des Schulmilch- und des Schulobstprogramms haben eine deutliche Zunahme der Beliebtheit und Akzeptanz von Milch, Obst und Gemüse ergeben . Zudem stieg das Bewusstsein der Kinder um die Wichtigkeit von Milch, Obst und Gemüse als Bestandteil einer gesunden Ernäh- rung . Das zeigt mir, dass wir auf einem guten Weg sind Carola Stauche (CDU/CSU): Wir haben heute den nicht allzu häufigen Fall, dass wir einen Gesetzentwurf verhandeln, dem wohl alle Mitglieder des Hauses beden- kenlos zustimmen können . Das liegt zum einen daran, dass wir hier lediglich EU-Bestimmungen in nationales Recht umsetzen, zum anderen daran, dass es hierbei um die Versorgung mit frischem Obst und Gemüse und auch mit Milch für Schüler geht, die so zu einer gesunden Le- bensweise motiviert werden sollen . Wir werden heute das neue Schulprogramm für Obst, Gemüse und Milch umsetzen; künftig können die Länder kostenlos diese landwirtschaftlichen Erzeugnisse in Bil- dungseinrichtungen abgeben . Die bisherigen Programme für Schulobst und -gemüse einerseits und Schulmilch an- dererseits werden zusammengefasst; gleichzeitig sind die Mittel deutlich erhöht worden . Allein für Deutschland werden fast 30 Millionen Euro zur Verfügung gestellt . EU-weit sind es 250 Millionen Euro . Thüringen nimmt bereits seit 2010 am Schulobstpro- gramm teil . Ich habe mich vor Ort umgehört, um zu er- fahren, wie das Programm bisher angenommen wird . Der Eindruck ist an sich positiv, jedoch mit einem nicht zu unterschätzenden Wermutstropfen . Mir wurde mitgeteilt, das Thema „gesunde Ernährung“ sei in den teilnehmenden Schulen Schwerpunktthema im Heimat- und Sachkun- deunterricht, ebenso wie Nachhaltigkeit und auch Abfall- vermeidung . Obst und Gemüse wird nicht nur konsumiert; die Schülerinnen und Schüler halten Vorträge zur gesun- den Ernährung, und das Thema wird auch in die in den Schulen angebotenen Interessengemeinschaften integriert . Im Kunsterziehungsunterricht werden Obst und Gemüse künstlerisch eingebunden, im Englisch unterricht werden entsprechende Vokabeln vermittelt . Diese Umsetzung vor Ort finde ich sehr beeindru- ckend . Mit viel Einsatz und Kreativität wird das Pro- gramm nicht nur angenommen, sondern auch in ver- schiedene Bereiche des schulischen Alltags einbezogen . Über die reine Verteilung von Lebensmitteln hinaus wer- den gesunde Ernährung und die Wertschätzung von Le- bensmitteln vermittelt und als Querschnittsthema in viele Bereiche eingebunden . Doch wie bereits angemerkt, gibt es bei so viel Licht auch Schatten: Der bürokratische Aufwand ist sehr hoch . So musste in einem der vergangenen Jahre die Ausschrei- bung für die Lieferung von Obst und Gemüse dreimal wiederholt werden, bis sich Lieferanten fanden . Einige Schulen, die am Programm teilnehmen wollten, konnten das nicht, weil schlicht und ergreifend keine Lieferan- ten zu den vorgegebenen Bedingungen aufzutun waren . Nicht nur die Ausschreibung ist bürokratisch aufwendig, sondern auch das Abrechnungssystem . Vor allem die Mitteilungen der Änderungen der Schülerzahlen sind umständlich, gerade in Klassen, in denen zum Beispiel Flüchtlingskinder nur zeitweise unterrichtet werden . Bis die Änderungsmitteilungen dann bearbeitet und die Aus- zahlungsbeträge angepasst sind, vergehen ein bis zwei Monate, in denen sich die Teilnehmerzahlen schon wie- der verändert haben können . Zusammengefasst lautet das Fazit eines befragten Bildungsträgers: „… dass das EU-Schulobst- und Ge- müseprogramm durchaus in den teilnehmenden Schulen vor Ort eine gewisse Wirkung erzielt . Insbesondere die Einbeziehung in den Unterricht stellt neben der eigent- lichen Einnahme gesunder Erzeugnisse einen Mehrwert dar . Jedoch wird dies nur durch einen erheblichen Mehr- aufwand aller am Verfahren beteiligten Akteure erzielt . Der Aufwand für die Verwaltung für Ausschreibung, Ver- tragsgestaltung, Überwachung der Durchführung bis hin zur Abrechnung mit dem Fördermittelgeber ist enorm . Der Anteil der Arbeitszeit … ist schlichtweg inakzepta- bel .“ Was heißt das für uns als Abgeordnete des Deutschen Bundestages? Wir stehen hier wieder einmal vor einem altbekannten Problem: Der Bundestag beschließt etwas, aber die Umsetzung ist etwas anderes . Es ist sehr begrü- ßenswert, dass es von EU-Seite die Zusammenführung der Programme gegeben hat und die Mittel erhöht wer- den . Damit sie aber auch da ankommen, wo sie gebraucht und sinnvoll eingesetzt werden können, brauchen wir dringend Verwaltungsvereinfachungen, vor allem in den Ländern, die die Programme bzw . das Programm durch- führen . Mein Dank gilt allen, die sich bisher an den Schulpro- grammen beteiligt haben und vor Ort mit hohem Einsatz und viel Kreativität die Programme mit Leben gefüllt ha- ben und füllen . Hier wird wieder einmal deutlich: Was immer wir beschließen, ist nicht viel wert, wenn es nicht vor Ort aktiv umgesetzt wird . Engagierte Bürgerinnen und Bürger, in diesem Falle vor allem in den Schulen, zählen zum Wichtigsten und Wertvollsten, was unsere Gesellschaft ausmacht . Das können wir gar nicht stark genug honorieren . Jeannine Pflugradt (SPD): Wir beschließen heu- te die Zusammenführung der EU-Schulprogramme zur Verteilung von Obst, Gemüse und Milch an Kinder so- wie die damit einhergehende Verabschiedung des Land- wirtschaftserzeugnisse-Schulprogrammgesetzes, das die EU-Verordnung in deutsches Recht künftig verankern wird . Ich begrüße die Zusammenlegung der EU-Beihil- fen, und freue mich, dass der lange Abstimmungsprozess endlich zu einem guten Ende kommt . Weiterhin würde ich es begrüßen – hier appelliere ich einmal mehr –, wenn alle Bundesländer an dem Programm teilnehmen würden . In erster Linie meine ich an dieser Stelle mein eigenes Heimatbundesland: Mecklenburg-Vorpommern . Da sich am Inhalt des Gesetzes zwischen der ersten und der jetzigen Lesung nichts verändert hat, da statt- dessen nur protokolliert wurde, möchte ich die heutige Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19585 (A) (C) (B) (D) Debatte nutzen, um kurz grundlegend über Ernährung zu sprechen . Seit Jahren kursieren die alarmierenden Zahlen über Übergewicht und Fettleibigkeit in unserer Gesellschaft, und die daraus möglicherweise entstehenden Krankhei- ten wie zum Beispiel Diabetes II . Wir wissen alle, dass lebensstilbedingte Krankheiten zu hohen Kosten für un- ser Gesundheitssystem führen . Deshalb debattieren wir, leider viel zu selten und schon gar nicht in den Familien, über ungesunde, unausgewogene Ernährung . Deswe- gen rücken wir auch zu Recht Kinder und Jugendliche in den Fokus unserer Betrachtungen . Wir sind uns darü- ber bewusst, dass sich Ernährungsgewohnheiten im frü- hen Kindesalter festsetzen und im Laufe des Lebens nur schwer zu verändern sind . Ich persönlich halte ausgewogene Essgewohnheiten von klein auf für enorm wichtig und als eine Grundla- ge für einen gesunden Lebensstil . Obst, Gemüse sowie Milchprodukte, so wie die Produkte des EU-Schulpro- grammes es vorsehen, sind dabei unentbehrlich für eine vollwertige, ausgewogene Ernährung . Diese Lebensmit- tel enthalten neben Vitaminen, Mineralstoffen, Ballast- stoffen sowie Kohlenhydraten auch einen hohen Was- seranteil . Kinder und Jugendliche können mit diesem Schulprogramm erfahren, dass vermeintlich verpönte gesunde Lebensmittel auch gut schmecken . Ernährungsstile sind heutzutage zu Lebensstilen ge- worden . Wir ernähren uns so wie früher, wie wir es von unseren Eltern vermittelt bekamen, oder vegetarisch, vegan, nach einer Diät, schnell oder langsam, zwischen- durch, oder nachhaltig . Wir kaufen in Supermärkten, Dis- countern, Lebensmittelfachgeschäften, auf Märkten oder lassen uns Mahlzeiten fertig liefern . Natürlich umfasst unser Lebensstil mehr als die Ernährung . Er beinhaltet auch andere Faktoren, wie Bewegung, Stresspotential, soziale Kontakte usw . Dennoch ist unsere Ernährung der Spiegel unserer eigenen Wertevorstellungen und kann deshalb auch als Folie für politische Bewegungen gesehen werden . Mit Ernährungsstilen als Lebensstil ist nämlich eine zuneh- mende Auseinandersetzung mit dem eigenen Ernäh- rungsverhalten verknüpft . Der Konsum spielt eine wich- tige Rolle . Die Frage nach dem richtigen Essverhalten ist deshalb nicht nur eine Frage des eigenen Lebensstils, sondern ist zu einer politischen Frage geworden . Vor al- lem die Moralisierung des Essens führt zur Politisierung der heutigen Ernährung . Sie wird im Falle des Konsums tierischer Produkte, wie Fleisch, sehr offensichtlich . Ich möchte an dieser Stelle deutlich darauf hinweisen, dass es für jedes persönliche Ernährungsverhalten gute Gründe gibt . Warum wir dieses Stück Fleisch lieber ver- zehren als ein pflanzliches Ersatzprodukt oder warum wir heute eher Appetit auf diesen Schokoriegel als auf den Apfel haben, das muss jeder für sich selbst entscheiden; die Verantwortung für das Wohlempfinden liegt bei je- dem selbst. Ich finde es deshalb auch nicht gerecht, wenn wir uns für unsere Entscheidung rechtfertigen müssen . Stigmatisierungen eines Essverhaltens sind meiner Mei- nung nach kein gerechtes moralisches Mittel . Trotzdem ist vielen Menschen die reine Nahrungs- aufnahme als überlebenswichtiger Bestandteil nicht mehr genug . Sie verbinden mit Essen einen komplexen Sachverhalt . Die Sättigung, der Genuss oder Geschmack stehen heute nicht mehr allein . Ihr bewusster Konsum soll dazu beitragen, ihre Gesundheit zu erhalten und die Umwelt nicht zu belasten . Der Verzicht auf ein bestimm- tes Lebensmittel ist deshalb ein Teil ihrer moralischen Werte . Menschen, die Nahrungsmittel erzeugen, sollen gerecht entlohnt werden . Sie fordern einen respektvollen Umgang mit Tieren, die wir zu unserer Ernährung unter- halten . Wie wir also gemeinsam sehen können, ist unser Kon- sum ein komplexes Konstrukt geworden . Ich habe noch nicht einmal damit begonnen, die unterschiedlichen Ver- brauchertypen aufzuzählen, die unterschiedliche Infor- mationsmethoden benötigen . Um aus den individuellen Entscheidungen, die wir alltäglich im Supermarkt tref- fen, die also unseren Lebensstil bestimmen, unser eige- nes Ernährungsverhalten anzupassen, müssen wir gebil- det und recht gut aufgeklärt sein . Wo können Aufklärung und Bildung besser funktionieren als in allgemeinbilden- den Schulen . Genau dort – und spätestens dort – muss sie ansetzen. Die flankierenden pädagogischen Maßnah- men des EU-Schulprogramms sind enorm bedeutend und mindestens gleichwertig mit der Obst- und Gemüsever- teilung . Gerade in der heutigen Zeit von Ganztagsschulen ist die Schule auch ein Lernort für gesellschaftliche Auf- gaben geworden . Eltern möchten ihre Kinder während der Schulzeit gut behütet wissen . Dazu zählt auch eine gute Essensversorgung . Außerdem werden unsere Wer- tevorstellungen nicht nur von den Eltern weitergege- ben, sondern auch von Lehrern und Mitschülern . Wenn in der Familie nicht regelmäßig Obst und Gemüse auf dem Tisch stehen, können spezielle Schulprogramme während der Schulzeit neue Essgewohnheiten schaffen . Durch die Einführung von Schulprogrammen übernimmt die Bundesregierung demnach auch eine kleine Mitver- antwortung für eine ausgewogene Ernährung sowie die dazugehörende Ernährungsbildung von Schulkindern . Aber warum nur für die Kinder? Oft sind Eltern schuld an der ungesunden Ernährung ihrer Kinder . Sie gilt es ebenso, beispielsweise in Elternversammlungen, zu in- formieren und für dieses so lebenswichtige Thema zu sensibilisieren . Die bereitgestellten EU-Mittel sind sicherlich nicht ausreichend, um das Gesamtproblem von Übergewicht und Fettleibigkeit in den Griff zu bekommen . Program- me wie die Verteilung von Obst, Gemüse und Milch an Schulen bieten sicherlich nur einen Anstoß . Wenn sich die Bundesländer sowie die Bundesregierung noch in- tensiver um das Thema Schulverpflegung bemühen wür- den, würde ich mich noch mehr freuen . Wir sollten aber nichts unangestrengt lassen, unseren eigenen Kindern einen vernünftigen gesetzlichen Rahmen zu bieten, der es ihnen allen ermöglicht, einen gesunden Lebensstil zu führen . Karin Binder (DIE LINKE): Mit dem Schulpro- gramm der EU sollen Grundschulkinder kostenfrei in Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 201619586 (A) (C) (B) (D) den Genuss von Obst, Gemüse und Milch kommen . Dies war bisher in getrennten Programmen geregelt, die mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nun zusammengeführt werden . Es ist zu begrüßen, dass im Rahmen dieses Programms die kostenfreie Abgabe von Obst, Gemüse und Milch an Schulkinder ermöglicht wird . Die Kinder nehmen dieses frische und kostenfreie Angebot gerne an . Wir unterstüt- zen ausdrücklich, dass viele Kinder dadurch eine gesün- dere Ernährungsweise kennenlernen, und wir fördern damit eine gesunde Entwicklung der Kinder . Entgegen häufigen Behauptungen belegen Untersu- chungen, dass die Kinder gerne zugreifen und sich über die Äpfel, Karotten oder Radieschen freuen . Sie fragen nicht danach, wer das jetzt zahlt . Die beitragsfreie Ab- gabe dieser Lebensmittel an Kinder führt auf keinen Fall zu geringerer Wertschätzung oder gar zu Lebensmittel- verschwendung – im Gegenteil lernen sie gerade durch dieses Angebot diese Lebensmittel zu schätzen . Leider jedoch ist dieses Programm viel zu eng ange- legt, und grundlegende Fragen werden nur unzureichend geklärt . Erstens: Die EU-Mittel reichen nur für einen Teil der Grundschulkinder aus . Kindergärten oder Sekundar- schulen werden gar nicht einbezogen . Und da der Bund nicht bereit ist, die Mittel aufzustocken, wird es viele Schulen geben, die gar nichts abbekommen . Andere am Programm teilnehmende Schulen werden dieses Obst- oder Milchangebot nicht täglich, sondern nur ein- oder zweimal in der Woche machen können . Ein großer Teil der Kinder und die Jugendlichen geht also leer aus . Hier wäre der Bund gefordert, im Hinblick auf die Für- und Vorsorgepflicht des Staates die Mittel aufzustocken, um ein flächendeckendes Angebot an allen Schulen und Kitas zu ermöglichen . Zweitens: Obst, Gemüse und Milch spielen eine wich- tige Rolle für eine ausgewogene Ernährung . Es geht dabei um die ursprünglichen Erzeugnisse, die frischen Rohprodukte wie Äpfel, Frischmilch oder Naturjoghurt . Wir dürfen nicht zulassen, dass mit dem EU-Schulpro- gramm Süßigkeiten verteilt werden . Stark zuckerhaltige Jogurt- oder Milchgetränke, zusätzlich gesüßte Obstzu- bereitungen verfälschen das Geschmacksempfinden und verführen Kinder zu einem hohen Zuckerkonsum . Wenn 100 Gramm Joghurt 20 Gramm Zucker zuge- setzt werden, fördert das weniger die heimische Land- wirtschaft als viel mehr Diabetes und andere ernäh- rungsbedingte Krankheiten . Das hat nichts mit gesunder Ernährung zu tun . Und drittens bleibt auch dieses EU-Schulprogramm für Obst, Gemüse und Milch mit einem hohen bürokra- tischen Aufwand für die Schulen und Länder verbunden . Das wird nach wie vor viele Schulen davon abhalten, sich daran zu beteiligen . Darauf wies auch die Kollegin Katharina Landgraf von der CDU in unserer gestrigen Ausschussberatung hin . Dazu kommt, dass ein Pro- gramm, das dem Lehrer verbietet, ebenfalls in den ange- botenen Apfel zu beißen, den Bildungsauftrag nicht ver- standen hat . Die Vorbildfunktion von Lehrkräften gerade beim Essen in der Schule ist ein wesentlicher Bestandteil des Erziehungsauftrags, der damit verbunden ist . Es reicht also nicht aus, diese EU-Vorlage eins zu eins zu übernehmen . Wenn Bundesernährungsminister Christian Schmidt sich ernsthaft für eine ausgewogene Ernährung von Kindern und Jugendlichen stark machen will, muss er mehr tun: erstens die Mittel aufstocken, da- mit alle Kinder kostenfrei teilnehmen können, zweitens stark verarbeitete Produkte mit hohem Zuckeranteil vom Programm ausschließen, drittens die Bürokratie verein- fachen . Mit diesen drei Zutaten würden Obst, Gemüse und Milch nicht nur den Kindern, sondern auch den Lehre- rinnen und Erziehern, den Eltern und uns Linken schme- cken . Deshalb können wir uns beim Beschluss dieser Vorla- ge nur enthalten . Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei allem Streit um Fragen von gesunder Ernährung ist eines unumstritten: Reichlich Obst und Gemüse gehören zu einer ausgewogenen Ernährung in jedem Fall dazu . Wir haben das EU-Schulobstprogramm deshalb immer unter- stützt und freuen uns, dass neben den ganzen Milliarden, die europaweit an Agrarsubventionen ausgeschüttet wer- den, auch Geld für die direkte Förderung gesunder Er- nährung der europäischen Kinder ausgegeben wird . Das Programm trägt dazu bei, dass Kinder einen gesunden Lebensstil erlernen können; denn es verbindet sinnvoll die Ausgabe von leckerem Obst und Gemüse mit päda- gogischen Begleitmaßnahmen . Bei diesem Programm ist auch klar geregelt, dass den Kindern keine Produkte angeboten werden dürfen, die zugesetzten Zucker enthal- ten . Das ist sehr sinnvoll, denn die meisten Kinder essen ohnehin mehr Zucker als ihnen guttut . Leider verhält es sich beim EU-Schulmilchprogramm, an dem aktuell 3 Millionen Kinder in Deutschland teil- nehmen, anders . Aktuell trinken 90 Prozent der Schul- kinder ausschließlich Kakao und Milchmischgetränke und nehmen so mit der Schulmilch unnötigen Zucker zu sich . Einem Becher Schulmilchkakao sind im Schnitt 9 Gramm Zucker zugesetzt . Im Laufe von 40 Schulwo- chen nimmt ein Kind über das Schulmilchprogramm fast 2 Kilogramm Zucker zu sich . Das muss nicht sein . Absurd wird es nach Meinung von Ernährungsexper- ten, wenn man dann noch in der Gesetzesbegründung der Bundesregierung zum nationalen Umsetzungsgesetz lesen muss, dass beide Programme als Maßnahmen im Kampf gegen Adipositas und Fehlernährung gesehen werden . Statt eine ausgewogene Ernährung anzuregen und Übergewicht vorzubeugen, werden weiterhin Pro- dukte gefördert, die das Gegenteil bewirken können . Auch nach den Getränkeempfehlungen für Schulkinder der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sind Kakao und Milchmixgetränke in Schulen nicht vorgesehen . Wenn die Bundesländer ab August 2017 die neue EU-Förderung bei der Schulmilch in Höhe von 100 Pro- zent in Anspruch nehmen wollen, ist der Zusatz von Zucker, Frucht und Kakao verboten . Man kann aber Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19587 (A) (C) (B) (D) auch die alte Regelung weiterführen mit der geringeren EU-Förderung und einer dann notwendigen Kofinanzie- rung der Bundesländer . Dann sind Süßungen etc . erlaubt . Man wird beobachten müssen, wofür sich die Bundeslän- der entscheiden . Den Anreiz, pure Milch und pure Milch- produkte anzubieten, hat die EU gesetzt . In der Vergangenheit gab es immer wieder einmal Be- richte darüber, dass das Vorhaben an Schulen, die ver- sucht habe, nur noch die pure Milch anzubieten, geschei- tert ist . Die Milch wurde dort nicht mehr abgenommen, und das Vorhaben, gesündere Produkte zu verteilen, wur- de wieder eingestellt . Allerdings muss man sich bei die- sem Punkt fragen, ob hier wirklich Maßnahmen geprüft und ergriffen wurden, um Schülerinnen und Schüler auch für weniger süße Milchprodukte zu begeistern . Hier hat das Forschungsinstitut für Kinderernährung in Dortmund bereits Untersuchungen durchgeführt, wie gesundheits- fördernde Produkte aussehen und schmecken müssen, damit sie von Kindern und Jugendlichen angenommen werden . Auch das neu zu gründende Institut für Kinder- ernährung beim MRI sollte solche Fragestellungen be- rücksichtigen . Mit der oben bezeichneten Neuregelung der EU-Schul- programme fällt bei der Wahl einer Variante auch die Ko- finanzierung der Bundesländer weg. Auf der einen Seite ist zu hoffen, dass die Abschaffung der Kofinanzierung durch die Bundesländer dazu führen wird, dass nun noch mehr Bundesländer das Programm nutzen werden . Diese wird auf der anderen Seite dazu führen, dass eine höhere Beteiligung zu weniger Geld für die einzelnen Mitglied- staaten führt, weil die EU insgesamt nicht mehr Geld zu Verfügung stellt . Auch die Bundesländer, die bereits in den letzten Jahren an dem Programm teilgenommen ha- ben, werden dann weniger Geld bekommen als in den Jahren zuvor . Das könnte also dazu führen, dass in die- sen Bundesländern dann weniger Kinder von den Pro- grammen profitieren oder dass die Anzahl der Ausgabe- tage von Obst und Milch reduziert wird . Das sollte nicht passieren . Diese möglichen Auswirkungen werden wir in den nächsten Jahren beobachten, und wir werden gege- benenfalls dagegensteuern müssen . Ich werde nicht müde werden, zu betonen, dass das EU-Programm nur ein Baustein von vielen ist im Kampf gegen die Fehlernährung bei Kindern und Jugendlichen und in dem Bemühen, Kinder gesund aufwachsen zu lassen . Ein Apfel und ein Tetrapäckchen Milch reichen da nicht aus . Notwendig ist ein vollwertiges, köstliches Mittagessen . Der Ausbau einer gesunden Gemeinschafts- verpflegung, um Fehlernährung zu stoppen, Esskultur zu lehren und soziale Ungleichheiten aufzufangen, ist eine ganz wesentliche Aufgabe, der wir uns alle in den nächs- ten Jahren stellen müssen . Kinder und Jugendliche, die den ganzen Tag in der Kita und in der Schule verbringen, brauchen qualitativ hochwertiges und attraktives Schul- essen . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/18/EU zur Beherrschung der Gefahren schwerer Unfälle mit gefährlichen Stof- fen, zur Änderung und anschließenden Aufhebung der Richtlinie 96/82/EG des Rates (Tagesordnungs- punkt 20) Karsten Möring (CDU/CSU): Mit der sogenannten Seveso-III-Richtlinie wird das europäische Störfallrecht an ein neues, weltweit harmonisiertes System zur Ein- stufung von Chemikalien angepasst . Zudem wurde die behördliche Überwachung von Störfallbetrieben verbes- sert, die Beteiligung der Öffentlichkeit gestärkt und ein Gerichtszugang geschaffen . Die Seveso-III-Richtlinie der EU regelt Sicherheitsanforderungen für Betriebe, in denen gefährliche Stoffe vorhanden sind . Schwerpunk- te der Novelle bilden die Umsetzung der Vorgaben der EU-Verordnung zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Chemikalien und die Beteiligung der Öffentlichkeit in Verfahren zur Genehmigung von Stör- fallbetrieben, einschließlich der Möglichkeit zur gericht- lichen Anfechtung . Bestehende Seveso-Anlagen befinden sich ja häufig nicht auf der grünen Wiese oder in reinen Industriegebie- ten, sondern in gewachsenen Gebieten . In den Vorstel- lungen des Umweltressorts gab es für die Genehmigung von Betriebserweiterungen in Gemengelagen zunächst keine klaren Kriterien . Unklar blieb, ob und unter wel- chen Voraussetzungen eine Genehmigung für Ausbauten und Erweiterungen von Seveso-Betrieben in Gemengela- gen erteilt werden kann, wenn der angemessene Abstand zu Schutzobjekten wie Wohn- oder Gewerbegebieten oder Infrastruktureinrichtungen unterschritten wird . Be- fürchtet wurde ein Erweiterungsstopp, von dem sämt- liche Betriebe betroffen gewesen wären, die unter die Seveso-III-Richtlinie fallen und in deren näherer Um- gebung sich andere schutzwürdige Nutzungen befinden. Das betraf eine sehr hohe Zahl von Betrieben, die sich in historisch gewachsenen Gemengelagen befinden. In das Zentrum der Aufmerksamkeit rückte die The- matik insbesondere durch Entscheidungen des Europäi- schen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts in der Rechtssache „Mücksch“ . Dabei geht es um einen Streit um eine Baugenehmigung für ein Gartencenter in der Nachbarschaft zu einem Störfallbetrieb im Jahr 2011/2012 . In diesen Entscheidungen wurde ausgeführt, dass dem Abstandsgebot in erster Linie auf der Ebene der Planung Rechnung zu tragen ist . Ist die Planung diesem Gebot jedoch nicht nachgekommen, muss das Abstands- gebot auf der nachgelagerten Ebene der Einzelgeneh- migung eines konkreten Bau- oder Industrievorhabens abgearbeitet werden . Zu der Frage, wie das umzusetzen ist, legen die Entscheidungen des EuGH und des Bun- desverwaltungsgerichts Maßstäbe fest . Die konkrete Ausgestaltung des Abstandsgebotes entscheidet letztlich darüber, wem bei Flächennutzungskonflikten ein Nut- zungsvorrang gebührt . Diese Maßstäbe des EuGH und Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 201619588 (A) (C) (B) (D) des Bundesverwaltungsgerichts sollten anlässlich der Se- veso-III-Umsetzung aus Klarstellungsgründen in recht- liche Regelungen im Bundes-Immissionsschutzgesetz überführt werden . Das Thema Bürokratieabbau hat uns in diesem Zu- sammenhang sehr beschäftigt: Die Richtlinie schreibt umfangreiche Beteiligungsrechte der Öffentlichkeit vor, bis hin zu Klagerechten . Um diesen Anforderungen ge- recht zu werden, führt der Gesetzentwurf im § 23a ein Anzeigeverfahren ein . Wir wollten aber auf jeden Fall verhindern, dass der konkrete Zuschnitt dieses Ver- fahrens unnötige bürokratische Zusatzbelastungen mit sich bringt . Wie Ihnen bekannt ist, gab es sowohl in der Wirtschaft als auch bei den Länderwirtschaftsministern deutliche Vorbehalte gegen einige Vorschläge aus dem Umweltministerium . Man befürchtete einen Ausbau- und Erweiterungsstopp für Industriestandorte in Gemengela- gen . Um diesen Anliegen Rechnung zu tragen, hatten wir einige Verbesserungsvorschläge . Das heute nach einem konstruktiven Abstimmungs- prozess vorgelegte Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen . Lassen Sie mich die entscheidenden Stichworte in diesem Zusammenhang in der gebotenen Kürze an- sprechen . Zum Bestandsschutz . Wir haben uns darauf verstän- digt, und das ist ein schöner Erfolg, dass § 50 des Bun- des-Immissionsschutzgesetzes, der das Abstandsgebot für die Planung regelt, unverändert gilt . Der baurechtli- che Bereich wird also wie bisher im Bauplanungsrecht geregelt . Die Regelung durch ein neues störfallrecht- liches Genehmigungsverfahren hätte vor allem für die Betriebe in Gemengelagen bedeutet, dass eine Erwei- terung oder Änderung des Betriebsbereiches unter Um- ständen nicht mehr möglich gewesen wäre . In unserem Änderungsantrag schreiben wir jetzt fest, dass ein neu- es störfallrechtliches Genehmigungsverfahren nur dann notwendig ist, wenn der angemessene Sicherheitsabstand erstmalig unterschritten wird, der bereits unterschrittene Sicherheitsabstand räumlich noch weiter unterschritten wird oder eine erhebliche Gefahrenerhöhung ausgelöst wird . Diese Grundlage für die neue Anwendungspraxis ist von großer Bedeutung, um bis zum Erlass der TA Ab- stand Planungs- und Rechtssicherheit für die Gemenge- lagen zu schaffen . Mit der gefundenen Regelung ist de facto Bestandsschutz erreicht . Zum Sicherheitsabstand ist festzuhalten, dass der an- gemessene Abstand mit Rücksicht auf die Besonderheit der einzelnen Sachverhalte in einer eigenen Verwaltungs- verordnung geregelt werden soll . Damit soll eine hand- habbare Grundlage zur Abwägung des Gefährdungspo- tenzials und des Risikos aufseiten des Betriebs einerseits und mögliche Schädigungen im Einwirkungsbereich außerhalb des Betriebsgeländes andererseits miteinander abgewogen werden können . Mit dem neuen § 23a, mit dem wir über die EU-Rege- lungen national hinausgehen, schreiben wir bei bestimm- ten Veränderungen ein Anzeigeverfahren vor . Es leuchtet ein, dass die Betriebe bei der ihnen obliegenden Gefähr- dungsbeurteilung zwar die betriebliche Seite genau ken- nen, aber die Situation außerhalb ihres Betriebsgeländes nicht unbedingt beurteilen können . Um zu verhindern, dass hier eine Art vollständiges Genehmigungsverfah- ren durch die Hintertür eingeführt wird, fordern wir in unserem Entschließungsantrag die Regierung auf, im Rahmen einer Verwaltungsvorschrift „die Bereitstellung von Informationen und der Bürokratieaufwand für den Vorhabenträger auf das unbedingt erforderliche Maß“ zu begrenzen . Eine optimale Lösung wurde auch für die öffentliche Beteiligung gefunden, gewährleistet sie doch die Si- cherheit der Anwohner und die Sicherung des Betriebs- standortes oder seiner Entwicklungsmöglichkeiten . Die Öffentlichkeitsbeteiligung wird durch eine Änderung des Gesetzes über die Umweltverträglichkeitsprüfung sicher- gestellt . Bestehende materielle Genehmigungsanforde- rungen werden dadurch aber nicht verändert . Ich komme zum Schluss . Die heutige Einigung ist der Abschluss eines schwierigen Prozesses, da es nicht nur um die Öffentlichkeitsbeteiligung und die Umsetzung von Änderungen im Chemikalienrecht auf europäischer Ebene gegangen ist, sondern auch um die Frage, wie mit Abstandsregeln umgegangen werden soll . Es sind his- torisch entstandene Standorte und deren Entwicklungs- möglichkeiten ebenso zu berücksichtigen gewesen wie das berechtigte Schutzinteresse von Anwohnern . Mit un- serem Änderungsantrag und dem Entschließungsantrag werden diese Klarstellungen erreicht . Ich kann also für die CDU/CSU-Fraktion abschlie- ßend feststellen, dass sowohl dem wichtigen Schutz der Bevölkerung und der Umwelt vor schweren Unfällen als auch den berechtigten Anliegen der Wirtschaft durch das Gesetz in der nun vorliegenden Fassung gut Rechnung getragen werden . In diesem Sinne danke ich allen Be- teiligten, den Mitarbeitern der betroffenen Ressorts so- wie meiner geschätzten SPD-Berichterstatterkollegin im Ausschuss, Ulli Nissen, für die konstruktive und vertrau- ensvolle Zusammenarbeit . Ich lade alle Kolleginnen und Kollegen der Grünen und der Linken herzlich dazu ein, sich einen Ruck zu geben und sich dieser guten Lösung ebenfalls durch ihr Votum anzuschließen . Ralph Lenkert (DIE LINKE): Große Havarien und katastrophale Unfälle wird man trotz aller Achtsamkeit und aller Sicherheitsvorschriften niemals ausschließen können . Die Linke begrüßt daher das Engagement der Europäischen Union, die Vorsorge des Krisenmanage- ments für Unfälle mit gefährlichen Stoffen unionsweit einheitlich und ambitioniert zu gestalten . In Deutschland besteht ein Spannungsfeld zwischen dem Schutz der Bevölkerung und der Standorterhaltung bestimmter Industrieparks . Durch die konsequente Um- setzung der Seveso-III-Richtlinie und die Erwägungen, die ihr vorangehen, kommt es zu Interessenkonflikten zwischen dem Schutzbedürfnis der Bevölkerung und dem Investitions- und Profitinteresse der Industrie. An den heutigen Konflikten tragen jedoch neben der Indus- trie auch Regionalverwaltungen und Länder einen gro- ßen Anteil der Mitschuld . Vielerorts ist zu beobachten, dass einstmals außerhalb von Ortschaften errichtete Industrieparks schleichend, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19589 (A) (C) (B) (D) über Jahrzehnte erfolgend, heute von Wohnbebauung umgeben sind. Diese Konflikte zwischen Bedürfnissen der Industrie und Schutzbedürfnissen der Anwohner hät- te man sich ersparen können, wenn man von vornherein ein ausreichend straffes Regelwerk im Rahmen des Bun- des-Immissionsschutzgesetzes gehabt hätte und nicht erst auf entsprechende Vorgaben der EU gewartet hätte, man also Städtebauplanung mit etwas mehr Nachhaltig- keit und Weitsicht betrieben hätte . Nun wird die Bundes- regierung per Verordnung festlegen müssen, inwieweit heutige Abstandskonflikte zu neuen Genehmigungsver- fahren führen oder eben auch nicht . Die Linke warnt davor, die Interessen des Investiti- onsschutzes über das Sicherheitsbedürfnis der Bevöl- kerung zu stellen und sei es nur in Einzelfällen . Im Ka- tastrophenfall wäre eine zu lapidare Interpretation des Gesetzes fatal . Die Seveso-III-Richtlinie gibt den Mit- gliedstaaten vor, dass bei Verstößen gegen die Berichts- pflichten durch die Betreiber oder gar bei Betrieb trotz fehlender Genehmigung oder anderweitigen Verstößen gegen das Gesetzeswerk „Sanktionen wirksam, verhält- nismäßig und abschreckend sein müssen“ . Was fordert die Koalition in diesem Gesetzentwurf? Dass die Behörde die „Stilllegung der Anlage anordnen kann“ und die Beseitigung solcher, damit eigentlich ille- gal betriebener Anlagen nur anordnen „soll“, wenn „die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft zum Beispiel vor Chlorgas nicht ausreichend geschützt werden kann“ . Es geht um Gesundheit und Leben . Hier hätte sich die Lin- ke darum Konkretheit gewünscht, die den Behörden die strikte Anwendung des Gesetzes auch rechtssicher er- möglicht . Durch derartige Soll- und Kannphrasen baut die Koalition Hintertürchen in das Gesetz, die zu Miss- brauch führen können . Positiv ist jede Verbesserung der Öffentlichkeitsbetei- ligung und vor allem die Zulassung des Verbandsklage- rechts im Genehmigungsverfahren, wenn Betriebe ihre Anlagen erweitern oder neue bauen wollen . Leider – das ist symptomatisch für das deutsche Öffentlichkeitsbetei- ligungsrecht – werden die Sorgen und Nöte direkt Be- troffener erneut nicht rechtsverbindlich in den Genehmi- gungsverfahren berücksichtigt . Zwar dürfen Betroffene Stellungnahmen an die Behörden übermitteln . Inwieweit die Behörde diese Stellungnahmen aber berücksichtigt, bleibt ihr überlassen . Die Linke fordert deshalb bereits seit Jahren, das Recht der Öffentlichkeitsbeteiligung zu reformieren und der Öffentlichkeit verbindlich mehr Kompetenz zu übertragen . Wohin es führt, wenn man an der Öffentlichkeit vorbei agiert, können wir in Gorleben sehen, wo in einem Salzstock zwar kein Atommüll, dafür aber Milliarden Euro versenkt wurden . Die gesamte Katastrophenvorsorge versagt, wenn das Potenzial einer Katastrophe im Ereignisfall nicht bekannt ist . Die Vorsorge der Seveso-Richtlinien reicht richtiger- weise soweit, dass nicht nur Betriebe, die mit gefährli- chen Stoffen hantieren, reglementiert werden, sondern auch Betriebe mit Stoffen, die erst im Havariefall ge- fährlich werden . Damit geht die Richtlinie dem Risiko- management des europäischen Chemikalienrechts weit voraus, was ich sehr begrüße, und mir für eine Novelle der Chemikalienrichtlinie auch wünsche . Bisher kommt nämlich bei der Risikobewertung nach REACH-Chemi- kalienverordnung nur die Gefährlichkeit des Stoffes an sich zum Tragen . Die Gefährlichkeit seiner Reaktions- produkte wird nicht untersucht . Ein Beispiel, wo dies relevant werden kann, ist der Umgang mit dem neuen Kältemittel R1234yf in Pkw-Klimaanlagen . Im Brandfall entwickelt sich daraus unter anderem Carbonyldifluorid, ein dem Kampfgas Carbonyldichlorid, als Phosgen be- kannt, ähnlicher Stoff . Die Risikobewertung ist – abgesehen davon, dass sie für das Kältemittel noch gar nicht vorliegt – immer un- vollständig . Die Risikobewertung erfolgt nicht auf Ba- sis unabhängiger Forschungsergebnisse . Die Bewertung wird zu großen Teilen ausgerechnet von der Industrie er- bracht, die die Stoffe einsetzen will . Die Wirkung der Se- veso-III-Richtlinie wird also von einem unzureichenden Chemikalienrecht untergraben . Deshalb, zum Schutz vor den Auswirkungen von Katastrophen mit gefährlichen Chemikalien, fordert die Linke daher eine grundlegende Qualifizierung des europäischen Chemikalienrechts. Trotzdem lässt sich zusammenfassend sagen, dass mit der Seveso-III-Richtlinie von der EU ein richtiger Schritt gemacht wird . Aber dieser ist, auch wegen der Bundesre- gierung, leider unvollständig . Peter Meiwald (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der vorliegende Gesetzentwurf versucht, dem Spannungs- feld zwischen dem berechtigten Sicherheitsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger und dem Interesse der Industrie hinsichtlich des Bestandsschutzes Rechnung zu tragen . Die immer wiederkehrenden Unfälle in Industriean- lagen, wie zuletzt eine Verpuffung und eine Explosion an den Chemiestandorten Lampertheim und Ludwigsha- fen, zeigen, wie wichtig der Schutz der dort Arbeitenden und in der unmittelbaren Nachbarschaft zu einer solchen Anlage Wohnenden ist . Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen der drei tödlich am Standort Ludwigsha- fen Verunglückten, denen ich mein Beileid ausspreche . Das Chemieunternehmen an diesen Standorten hat dieses Jahr bereits 15 Störfälle mittels Pressemitteilung öffent- lich gemacht, 6 davon waren sogar meldepflichtige Er- eignisse, Hinzu kommt, dass von den Kommunen etwa Wohn- gebiete in der Nähe bestehender Chemie- oder anderer Industriestandorte ausgewiesen werden, dass also die Wohnbebauung zum Teil langjährig bestehende Anla- gen heranrückt . Infolgedessen kann es dann zu Interes- senkonflikten kommen, die Auswirkungen auf den Be- stand oder die Entwicklung der Industrieanlagen haben können . Die Notlage mancher Kommunen hinsichtlich des Neubaus von Wohnungen ist immens und macht dieses Vorgehen nachvollziehbar . Diese müssen selbst komplexe Abwägungsentscheidungen zwischen Lösung des Wohnungsproblems und der Auswirkung auf Indus- triestandorte und den damit verbundenen Arbeitsplätzen treffen, idealerweise im Rahmen einer im Vorfeld initiier- ten Öffentlichkeitsbeteiligung mit allen Betroffenen . Auch neue Nutzungen in der Nachbarschaft oder Nut- zungsänderungen können Folgen für bestehende Indus- trieanlagen haben, wie etwa ein Fall im südhessischen Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 201619590 (A) (C) (B) (D) Darmstadt zeigt . Hier wollte eine Eigentümerin eines Baugrundstückes in einem Gewerbegebiet ein Garten- center für den Einzelhandelsverkauf von Gartenbedarf errichten, direkt neben der Anlage eines großen Chemie- unternehmens . Dies führte zu einer langjährigen juristi- schen Auseinandersetzung und schlussendlich zum soge- nannten Mücksch-Urteil des Europäischen Gerichthofes vom 15 . September 2011, mit der Folge, dass über viele Jahre Planungsunsicherheit herrschte . Hier kann das neue Gesetz endlich einen Beitrag zur Rechtsklarheit leisten . Keine Lösung bietet es dagegen bezüglich potenziel- ler Gefahren infolge von Bohrungen zur Aufsuchung fos- siler Energieträger, wie etwa Gas- oder Erdölbohrungen, oder gar durch Fracking . So explodierte 2014 die Bohr- anlage in Geeste, und 2015 gab es einen unerwarteten Sauergasaustritt an einer Bohrung bei Siedenburg – um nur die Vorfälle in der näheren Vergangenheit zu nennen . Angesichts dieser Gefahren ist es nicht nachvollzieh- bar, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf bewusst die bestehenden Ausnahmen für Bergbauvorhaben nicht beseitigt werden, wie sie etwa hinsichtlich Immissions- schutz und Umweltverträglichkeitsprüfung bestehen . Denn das Gesetz nimmt störfallrelevante Anlagen, die nach Berggesetz betriebsplanpflichtig sind, von eben die- sen Pflichten aus. Die Bundesregierung hat zuletzt mit der vergangenen Novelle des Wasserhaushaltsgesetzes Fracking in Tight-Gas-Reservoirs ermöglicht und ver- sagt auch hier wieder beim Schutz der Umwelt vor den Gefahren, die von Fracking ausgehen . Diese Ausnahmen sollten aber gerade angesichts der Gefahren des Hydraulic Fracturing – Fracking – ersatzlos entfallen . Im Gegensatz zum Vorschlag der Bundesregie- rung, Anlagen, die nach den Vorschriften des Bundes- berggesetzes betriebsplanpflichtig sind, von den §§ 23a und 23b Bundes-Immissionsschutzgesetzes für störfall- relevante Anlagen auszunehmen, wäre eine Streichung des § 23c des Bundes-Immissionsschutzgesetzes aus un- serer Sicht die notwendige und angemessene Lösung ge- wesen . Stattdessen verheddert sich die Bundesregierung im Bergrecht und führt dort einen neuen § 57d ein . Kon- kret: Die fossile Fracking-Industrie bekommt mal wieder ihre Extrawurst . Aber im Bergrecht existieren keine spezifischen berg- rechtliche Regelungen für die Verhinderung schwerer Unfälle und ihrer Folgen . Auch wäre es an dieser Stelle sinnvoll gewesen, eine Konkretisierung und Klarstel- lung für die Voraussetzungen einer Genehmigung von betriebs planpflichtigen Bergbauvorhaben zu betreiben. Die Seveso-III-Richtlinie sollte unserer Auffassung nach also uneingeschränkt auch auf bergbauliche Vorhaben und in Verbindung stehende Anlagen angewendet wer- den . Dies leistet das heute hier zu beschließende Gesetz leider nicht . Schade! Rita Schwarzelühr-Sutter, Parl . Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit: In diesem Jahr jährt sich zum 40 . Mal der Chemieunfall von Seveso . In der Nähe der norditalienischen Gemeinde traten seinerzeit aus einer Chemiefabrik giftige Dioxingase aus und verbreiteten sich über ein dichtbesiedeltes Gebiet . Obwohl die Werks- leitung schon am ersten Tag nach dem Unfall um das Geschehene wusste, machte sie dies erst acht Tage spä- ter offiziell bekannt. Auch die Behörden reagierten nur zögerlich: Ganze zwei Wochen gingen ins Land, bis das Unglücksgebiet abgeriegelt wurde und rund 700 Famili- en die Region verlassen mussten . Der Unfall verursach- te bei etwa 200 Menschen, darunter bei vielen Kindern, schwere, teils langwierige Gesundheitsschäden . Auch Jahre später war in der Region Langzeitstudien zufolge die Zahl von Tumor- und Diabeteserkrankungen über- durchschnittlich hoch . Aus dem Seveso-Unglück sind viele Lehren zum in- dustriellen Umgang mit gefährlichen Stoffen gezogen worden . Diese haben auf europäischer Ebene Eingang in einen Gesetzgebungsprozess gefunden, der eng mit dem Namen des Unglücksortes verbunden ist . 1982 trat die sogenannte Seveso-Richtlinie über die Gefahren schwe- rer Unfälle bei bestimmten Industrietätigkeiten in Kraft . Heute bildet die Seveso-III-Richtlinie, genauer: der Ge- setzentwurf zu ihrer Umsetzung im Bundesrecht, den Gegenstand der Beratungen des Deutschen Bundestages . Das Ziel der Seveso-Richtlinien hat sich im Laufe der Zeit nicht verändert: Schwere Unfälle in Industriebetrie- ben sollen weitestmöglich vermieden und in ihren Aus- wirkungen begrenzt werden . Die Seveso-III-Richtlinie passt dazu ihren Geltungsbereich an neue EU-Vorgaben zur Einstufung sowie Kennzeichnung von Chemikalien an . Sie gibt eine strengere behördliche Überwachung vor und gebietet eine stärkere Beteiligung der Öffentlichkeit insbesondere an Verfahren zur Genehmigung von Stör- fallbetrieben . Wie der aktuelle Störfall in Ludwigshafen mit dem beklagenswerten Verlust von Menschenleben, den Schwerverletzten und den großen Sachschäden zeigt, muss und wird die Anlagensicherheit auch weiterhin ein Thema von hoher Bedeutung bleiben . Es mag wie eine Binsenweisheit klingen, die aktuellen Geschehnisse ma- chen es uns aber in schmerzlicher Weise erneut bewusst: Auch der hohe Stand der Sicherheitstechnik, den wir in- zwischen erreicht haben, kann schwere Unfälle niemals gänzlich ausschließen . Der Ihnen heute vorliegende Gesetzentwurf setzt als Bestandteil eines Gesamtkonzepts die europarechtlichen Vorgaben der Seveso-III-Richtlinie zur Öffentlichkeits- beteiligung eins zu eins in das deutsche Recht um . Eine Beteiligung der Öffentlichkeit ist danach erforderlich, wenn ein Vorhaben die Gefahr eines schweren Störfalls erheblich erhöht und sich im Umfeld des Vorhabens ge- schützte Objekte wie etwa Wohngebiete, Kindergärten oder Krankenhäuser befinden, die im Störfall zu Scha- den kommen können . Zur Schließung von Umsetzungs- lücken wird neben der Anpassung schon bestehender immissionsschutzrechtlicher Verfahren ein „kleines stör- fallrechtliches Anzeige- und Genehmigungsverfahren“ eingeführt . Es gewährleistet die europarechtlich erfor- derliche Öffentlichkeitsbeteiligung auch bei Vorhaben, die derzeit genehmigungsfrei gestellt sind . An bestehenden materiellen Genehmigungsstandards ändert der Gesetzentwurf nichts . Insbesondere führt er nicht – wie von einigen befürchtet – zu Verschärfungen beim europarechtlichen Abstandsgebot . Das Gebot zur Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19591 (A) (C) (B) (D) Wahrung angemessener Sicherheitsabstände zwischen Störfallbetrieben und geschützten Objekten wird nicht in eine immissionsschutzrechtliche Betreiberpflicht um- gewandelt . Ebenso wenig wird Behörden erlaubt, durch nachträgliche Anordnungen zulasten der Betreiber in historisch gewachsene Gemengelagen einzugreifen . Än- derungen bestehender Störfallanlagen bleiben auch in Gemengelagen nach wie vor möglich . Erhöhen sie indes die Gefahr eines Störfalls erheblich, muss dies wie bisher auch durch risikominimierende Maßnahmen kompen- siert werden . Der vorliegende Entwurf bringt einen tragfähigen Kompromiss zwischen den Interessen der Betreiber von Störfallanlagen und denen der Nachbarschaft so- wie der Allgemeinheit zum Ausdruck . Bei der Kom- promissfindung hat es sich die Bundesregierung nicht leicht gemacht: Die ersten Entwürfe zur Umsetzung der Richtlinie waren Gegenstand intensiver Diskussionen: zwischen den Ressorts, mit den Ländern und auch mit den Verbänden . Angesichts des inzwischen eingeleite- ten Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland wegen Spätumsetzung der Seveso-III-Richtlinie ist nun- mehr ein zeitnaher Abschluss des Gesetzgebungsverfah- rens erforderlich . Es ist richtig, dass der Gesetzentwurf nicht alle of- fenen Fragen beantwortet . Auch angesichts der techni- schen Komplexität der Materie lässt sich nicht alles in Gesetzestext gießen . Zur weiteren Konkretisierung der auslegungsbedürftigen Rechtsbegriffe wird die Bundes- regierung einen Weg beschreiten, der sich im Immissi- onsschutzrecht schon vielfach bewährt hat . Sie wird mit einer „Technischen Anleitung Sicherheitsabstand“ ein näheres Regelwerk vorgeben, das die Behörden und Be- treiber bei einer rechtssicheren Anwendung der Geneh- migungsvorgaben unterstützen kann . Die ersten Vorar- beiten für dieses Regelwerk haben bereits begonnen . Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beendigung der Sonderzuständigkeit der Familienkassen des öffentlichen Dienstes im Bereich des Bundes (Ta- gesordnungspunkt 21) Markus Koob (CDU/CSU): Gerne möchte ich zu Beginn die Fakten und Daten in Erinnerung rufen, deren Kenntnis zur fachlich korrekten Erfassung des Themas notwendig ist: Erstens . Wir haben 16 Millionen Kinder in Deutsch- land, die Kindergeld in Höhe von insgesamt 39 Milliar- den Euro beziehen . Zweitens . Wir haben für Beschäftigte der Privatwirt- schaft die Familienkasse der Bundesagentur für Arbeit, die für deren Kindergeldanträge zuständig ist . In diesem Bereich haben wir 14 Familienkassen, die 87 Prozent aller Kindergeldfälle bearbeiten . Mit dem dritten Punkt kommen wir zugleich zum zentralen Regelungsgegen- stand dieses Gesetzes: zu den Familienkassen des öffent- lichen Dienstes, die die Kindergeldanträge von Staatsbe- diensteten bearbeiten . Drittens . Wir haben für Staatsbedienstete etwa 8 000 zuständige Familienkassen des öffentlichen Dienstes, die allerdings nur 13 Prozent aller Kindergeldfälle bearbei- ten . Die Disproportionalität dieses Umstands wird sofort ersichtlich, wenn Sie alle drei Daten zusammenfüh- ren; dann ergibt sich nämlich das folgende Bild: Etwa 0,2 Prozent aller Familienkassen bearbeiten 87 Prozent aller Kindergeldfälle, wohingegen 99,8 Prozent lediglich mit 13 Prozent konfrontiert sind . Das ruft nach Reform und nach Steigerung der Verwaltungseffizienz. Die Be- endigung der Sonderzuständigkeiten wird nicht nur seit Jahren vom Bundesrechnungshof gefordert, sondern auch in den betroffenen Fachkreisen, damit hier eine gleichmäßige Rechtsanwendung und zugleich ein öko- nomischer Verwaltungsablauf gewährleistet sind . Die Zuständigkeit der Familienkassen des öffentlichen Dienstes im Bereich des Bundes wird auf die Bundes- agentur für Arbeit respektive das Bundesverwaltungsamt übergehen. Ich betone: Eine gesetzlich verpflichtende Zu- ständigkeitsübertragung erfolgt lediglich im Bereich des Bundes . Was also, wird sich der geneigte und informierte Zuhörer fragen, passiert mit den Familienkassen des öf- fentlichen Dienstes im Bereich der Länder und Kommu- nen? Für diese haben wir eine Option der Zuständigkeits- übertragung implementiert . Man könnte auch sagen: Wir haben einen Anreiz gesetzt; denn der Bund wird bei einer freiwilligen Zuständigkeitsübertragung durch die Länder und Kommunen die Sach- und Personalkosten überneh- men, ohne eine Gegenleistung zu verlangen . Dieses Ge- setz ist also auch für sie eine administrative Entlastung, wenn sich deren Familienkassen einer Zuständigkeits- übertragung auf freiwilliger Basis anschließen . Es gibt im Übrigen auch einen gewichtigen inhaltlichen Grund, von dieser freiwilligen Option Gebrauch zu machen: Die Familienkassen bei der Bundesagentur für Arbeit stehen für eine herausragende Arbeit sowie für qualitativen, bür- gerfreundlichen Service . Wir lösen mit dem Gesetz auch ein anderes Problem, das der Bundesrechnungshof seit langem moniert und das in der Bevölkerung zu Recht auf wenig Verständnis stößt: die Doppelzahlungen von Kindergeld . In der Ver- gangenheit hat sich diese Zersplitterung in der Famili- enkassenlandschaft als fehleranfällig erwiesen: Es fehlte bislang ein bundesweites, einheitliches Datennetzwerk, in dem Kindergelddaten zentral gespeichert werden . Doppelzahlungen beim Kindergeld konnten daher nicht vermieden werden . Die jetzt zu beschließende Zustän- digkeitszusammenführung enthält daher auch Maßnah- men der Datenkonvergenz, die in der Konsequenz die Gefahr der Doppelzahlungen von Kindergeld erheblich reduzieren . Die Rechtsgemeinschaft muss schließlich darauf vertrauen können, dass Personen, die berechtigt sind, Staatsleistungen in Anspruch zu nehmen, lediglich den ihnen zustehenden Anspruch erhalten und nicht etwa das Doppelte . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 201619592 (A) (C) (B) (D) So ist diese Reform im Ergebnis eine Win-win-Situa- tion für alle: Die Bürgerinnen und Bürger gewinnen als Steuerzahler, die Behörden gewinnen durch effizientere Verwaltungsabläufe, die Anspruchsberechtigten profitie- ren von der qualitativen Beratung und Bearbeitung ihrer Anliegen, und nach eigenem Ermessen können auch die Familienkassen des öffentlichen Dienstes in den Ländern und Kommunen gewinnen . Kein Wunder also, dass ein Gesetz, bei dem alle gewinnen und keiner verliert, auch großen Zuspruch hier im Hause findet. Ich bitte um Ihre Zustimmung . Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU): Mit dem Gesetz zur Beendigung der Sonderzuständigkeit der Fa- milienkassen des öffentlichen Dienstes wird eine vom Bundesrechnungshof seit langem angemahnte grundle- gende strukturelle Reform der Zuständigkeiten der Fa- milienkassen des öffentlichen Dienstes eingeleitet . Nach den Feststellungen des Bundesrechnungshofes kam es in diesen Bereichen zu zahlreichen Doppelzahlungen und zu Bearbeitungsfehlern, die sich bereits im Jahr 2009 auf über 9 Millionen Euro beliefen . Nun ist vorgesehen, dass die Kindergeldbearbeitung der Familienkassen des öffentlichen Dienstes im Be- reich des Bundes auf die Bundesagentur für Arbeit oder alternativ auf das Bundesverwaltungsamt übergeht . Für den Bereich von Ländern und Kommunen erhalten die öffentlichen Arbeitgeber ebenfalls die Möglichkeit, die Zuständigkeit und Fallbearbeitung an die Bundesagentur für Arbeit abzugeben . Sollten diese von der Möglichkeit keinen Gebrauch machen, verbleibt es bei der bestehen- den Zuständigkeit der Familienkassen der Länder und Kommunen . Bei den Kassen des Bundes ist ein Zustän- digkeitsübergang bis zum Jahr 2021 vorgesehen . Dabei ist von erheblichen Effizienzsteigerungen aus- zugehen . Der Normenkontrollrat beziffert die möglichen Effizienzgewinne durch die Konzentration auf mindes- tens 8,5 Millionen Euro jährlich . Allerdings wird der gesamte Umstellungsaufwand auf einmalig rund 25 Mil- lionen Euro geschätzt . Angesichts der möglichen Erspar- nisse in den Folgejahren hält sich dieser Aufwand jedoch in einem durchaus vertretbaren Rahmen . Gleichzeitig erfüllen wir mit diesem Gesetz eine Forderung aus unse- rem Koalitionsvertrag, in dem festgehalten wurde, dass wir die Familienkassen des Bundes bei der Bundesagen- tur für Arbeit konzentrieren wollen . Angesichts der zu erwartenden Einsparungen, die, wie oben bereits erwähnt, nach konservativen Schätzungen allein bei den Familienkassen des Bundes wenigstens bei rund 8,5 Millionen Euro jährlich liegen werden, ist dieses Gesetz sinnvoll und vernünftig . Den Ländern wird mit dem Gesetz die Möglichkeit eröffnet, sich an dieser Kon- zentration mit ihren entsprechenden Familienkassen zu beteiligen . Dies erscheint auch deshalb besonders sinn- voll, da noch ein erhebliches Potenzial an Einsparungen durch die Konzentration der anderen Familienkassen der öffentlichen Hand gegeben wäre . Durch die Reform wird zunächst die Anzahl der Familienkassen auf Bundesebe- ne bis zum Jahr 2021 um 100 reduziert . Auf Landes- und Kommunalebene verbleiben dann noch etwa 7 900 Fa- milienkassen . Wenn sich Länder und Kommunen in großem Umfang der Konzentration anschließen, dann ergibt sich ein wei- terer Einsparungserfolg, der nach Schätzungen des Bun- desrechnungshofes bis zu 170 Millionen Euro betragen könnte . Ziel dieser Strukturreform ist es, die Anzahl der Familienkassen der öffentlichen Hand längerfristig dras- tisch zu reduzieren und damit das vorhandene Einspa- rungspotenzial zu heben . Es ist zu hoffen, dass sich die Länder und Kommunen der Reform anschließen werden, zumal ja die Kosten dafür letztlich vom Bund getragen werden . Wichtig in diesem Zusammenhang erscheint mir aber auch, dass vorgesehen ist, eine Evaluierung des Vorha- bens durchzuführen, um festzustellen, inwieweit sich die Verwaltungskosten für die Bearbeitung einzelner fallgruppenspezifischer Kindergeldfälle in den verschie- denen Familienkassen des Bundes, der Länder und der Kommunen, aber auch die mittelfristigen Kosteneinspa- rungen durch die Konzentration der Familienkassen der öffentlichen Hand entwickelt haben . Gleichzeitig beschließen wir heute darüber, dass das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögens- fragen und das Bundesausgleichsamt ab dem Beginn des kommenden Jahres in den Geschäftsbereich des Bundes- innenministeriums übergehen . Mit dieser Umgliederung und der geplanten Fusionierung dieser Behörden mit dem Bundesverwaltungsamt wird eine weitere Effizienzstei- gerung erreicht werden können . Mit dem vorliegenden Gesetz wird eine Vereinfachung der Verwaltung ermög- licht, die erhebliche Einsparungen für die öffentliche Hand vorsieht und dabei hilft, Doppelzahlungen und Be- arbeitungsfehler in größerem Umfang zu vermeiden . Ich bitte daher, diesem vernünftigen strukturellen Reform- vorhaben zuzustimmen . Frank Junge (SPD): Das Gesetz zur Beendigung der Sonderzuständigkeit der Familienkassen des öffent- lichen Dienstes, das wir heute in abschließender Lesung behandeln, reiht sich nahtlos ein in das Arbeitsprogramm „Bessere Rechtssetzung“, welches das Bundeskabinett im Juni 2014 beschlossen hat . Ziel dieser Maßgaben ist, den Prozess hin zu einer effizienten, wirtschaftlichen und bürgerfreundlichen Verwaltung aktiv in Angriff zu neh- men und offensiv zu gestalten . Das vorliegende Gesetz, an dem Bund und Länder fast fünf Jahre gearbeitet haben, lässt sich unter diesen Ge- sichtspunkten nahtlos in dieses Programm einordnen und ist vor diesem Hintergrund nach meiner Auffassung ein ausgesprochen gutes Gesetz . Derzeit gibt es in der Bun- desrepublik Deutschland 14 Familienkassen der Bundes- agentur für Arbeit, die für circa 16 Millionen Kinder das Kindergeld ausbezahlen . Darüber hinaus verwalten cir- ca 8 000 weitere Familienkassen insgesamt 2 Millionen Kindergeldfälle von Angestellten des öffentlichen Diens- tes im Bereich des Bundes, der Länder und der Kommu- nen . Zum Teil bearbeiten einzelne dieser Familienkassen nur 20 bis 40 Kindergeldfälle . Diese Situation halte ich mit Blick darauf, dass es sich beim Kindergeld um eine steuerliche Leistung handelt, bei der es überhaupt kei- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19593 (A) (C) (B) (D) nen Gestaltungsspielraum gibt, grundsätzlich für einen untragbaren Missstand . Neben der Tatsache, dass eine solche aufgeblähte Struktur rein gar nichts mit einer ef- fizienten Verwaltung zu tun hat, erfüllen viele dieser Fa- milienkassen noch nicht einmal Mindeststandards in der Qualität der Arbeitsabläufe, weil es dort schlicht an Er- fahrung und Routine in der Fallbearbeitung fehlt . Das hat der Bundesrechnungshof vor Jahren bereits festgestellt . Unterschiedliche IT-Systeme und ein fehlender Daten- abgleich der Familienkassen untereinander sind darüber hinaus nicht nur ineffizient, sie führen auch zu einer er- höhten Fehler- und Betrugsanfälligkeit . So weiß die eine Familienkasse nämlich nicht, was die andere macht . Und das führt unter Umständen zu Missbräuchen oder unzu- lässigen Zahlungen von Kindergeld . Darum werden wir mit dem vorliegenden Gesetz die derzeit circa 100 Familienkassen, welche die Kinderzah- lungen für Angestellte des Bundes vornehmen, bis zum Jahr 2022 an zwei Stellen zusammenführen: bei der Bun- desagentur für Arbeit und beim Bundesverwaltungsamt . Darüber hinaus geben wir Ländern und Kommunen die Möglichkeit, ihre derzeit circa 7 900 Familienkassen für die öffentlich Bediensteten ebenfalls zentral beim Bund zusammenzufassen . Das bietet in meinen Augen nur Vorteile für die Län- der . Zum einen können sich die Landesbediensteten auf andere Aufgaben konzentrieren als auf die Auszahlung von Kindergeld . Andererseits sparen die Länder Geld, da der Bund zukünftig die Verwaltungskosten übernimmt . Hochgerechnet würden sich auf das gesamte Jahr gese- hen pro Kindergeldfall in der Bearbeitung bis zu 20 Euro einsparen lassen . Das sind Ressourcen, welche die Län- der und Kommunen an anderer Stelle sinnvoller einbrin- gen könnten . Meine Gespräche mit Vertretern der Länder haben zum Ausdruck gebracht, dass man dem vorliegenden Ge- setzentwurf dort positiv gegenübersteht und an der Zu- sammenlegung der Familienkassen teilnehmen möchte . Unabhängig davon will ich dennoch an Sie alle appel- lieren, in Ihren Bundesländern für eine möglichst umfas- sende Beteiligung zu werben . Denn je mehr Länder und Kommunen sich für eine Zentralisierung aussprechen und mitmachen, umso höher ist selbstverständlich auch der gesamte Nutzen . Ich habe eingangs bereits zum Aus- druck gebracht, dass ich das heute vorliegende Gesetz für ein ausgesprochen gutes halte . Wir entbürokratisieren da- mit unsere Verwaltung, gestalten sie bürgerfreundlicher und effizienter. In diesem Zusammenhang freue ich mich sehr da- rüber, dass auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, das offensichtlich so sehen . Jeden- falls haben Sie das im Rahmen unserer abschließenden Diskussion im Finanzausschuss uns gegenüber so zum Ausdruck gebracht . Konsequenterweise wäre daher eine breite und fraktionsübergreifende Zustimmung zum Ge- setzentwurf aus meiner Sicht nur folgerichtig . Genau da- rum bitte ich Sie . Susanna Karawanskij (DIE LINKE): Es ist ohne Zweifel höchste Eisenbahn, dass sich die Zahl fehler- hafter Kindergeldfestsetzungen verringert . Der Bundes- rechnungshof verwies auf über 1 300 Fälle, in denen das Kindergeld doppelt ausgezahlt wurde . Der Schaden für den Steuerzahler war beträchtlich: 9 Millionen Euro . Die hier angestrebte Struktur- und Verwaltungsreform bei den Familienkassen erscheint auf alle Fälle sinnvoll . Die Verwaltungsstruktur wird transparenter und effektiver durch bessere Vernetzung und Standardisierung, und sie wird hoffentlich weniger betrugsanfällig, wenn fortan ein besserer und schnellerer Datenabgleich möglich ist . Familienkassen der öffentlichen Arbeitgeber in Län- dern und Kommunen können zwar ihre Zuständigkeiten behalten, allerdings steht es den kleineren Familienkas- sen mit geringen Fallzahlen frei, die Zuständigkeit an die Bundesagentur für Arbeit oder das Bundesverwaltungs- amt zu übertragen . 100 Familienkassen des öffentlichen Dienstes Bund sind vom Gesetzentwurf primär betrof- fen und werden allesamt überführt . Das heißt dann aber auch, dass die restlichen 7 900 Familienkassen des öf- fentlichen Dienstes optieren können . In welche Richtung die Entscheidung gehen wird, ist aber unklar und trägt nicht gerade zur Rechts- und Planungssicherheit bei . Un- serer Meinung nach sollten die 8 000 Familienkassen des öffentlichen Dienstes, also die Kassen für Beamte und deren Kinder, überführt werden, und zwar auf absehba- re Zeit . Ob der ganze Übergangsprozess tatsächlich fünf Jahre in Anspruch nehmen muss, wie vorgesehen, er- scheint mir zweifelhaft . Die Umsetzung der geplanten Strukturreform zieht fi- nanziellen Aufwand, aber auch Einsparungen nach sich . So kommt es bei der Bundesagentur für Arbeit zu einem einmaligen Aufwand von circa 22,25 Millionen Euro . Beim Bundesverwaltungsamt werden die zusätzlichen Kosten 1,95 Millionen Euro betragen . Demgegenüber soll es mittelfristig zu Einsparungen von mindestens 8,5 Millionen Euro jährlich kommen . Rechnet man das gegen, spart der Staat bei jeder Überführung der Kinder- geldzuständigkeit 20 Euro . Das klingt erst einmal nicht nach so viel, aber die Masse machtʼs. Dennoch wird man erst hinterher schlauer sein, ob die gesamten Umstruktu- rierungsmaßnahmen wirklich so rasch zu den avisierten Einsparungen führen werden . Wir haben nun schon einiges zu Kostensenkungen und Bürokratieabbau gehört . Kommen wir also zur Kehrseite der Medaille: Im Gesetzentwurf ist zu lesen, dass „nicht in jedem Fall das für diese Aufgabe eingesetzte Perso- nal zeitgleich auf eine freie, für andere Aufgaben ausge- brachte Planstelle/Stelle geführt werden kann“ . Dadurch, dass die – Zitat – „Zahl der zuständigen Stellen reduziert“ werden soll, ist immer mit Arbeitsplatzabbau zu rechnen . Es gibt de facto keine Garantie, dass jeder Mitarbeiter, dessen Stelle wegfällt, wieder auf eine neue Planstelle gesetzt wird . Ob die Aussage des Staatssekretärs Meister aus dem Finanzausschuss, dass sich niemand Sorgen um seinen Job machen müsse, Bestand haben wird, steht leider in den Sternen . Die Linke fordert, dass Verwal- tungs- und Strukturreformen nicht mit Arbeitsplatzabbau einhergehen . „Rationalisierungen“ und „Umstrukturie- rungen“ dürfen kein Vorwand sein, um Jobs und Gehälter wegzurationalisieren . Dies alles bleibt im Gesetzentwurf Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 201619594 (A) (C) (B) (D) nebulös geregelt, weswegen wir uns alles in allem auch enthalten werden . Da es ja in diesem Zusammenhang auch um Kin- dergeld geht, das von Familienkassen ausgezahlt wird, möchte ich noch auf eines hinweisen: Wir als Linke haben einen Aktionsplan gegen Kinderarmut, Bundes- tagsdrucksache 18/9666, frisch in den Bundestag einge- bracht . Lesen Sie sich einfach diesen Aktionsplan durch; es lohnt sich . Wir fordern nicht nur eine eigenständige Kindergrundsicherung, sondern setzen uns für flankie- rende Maßnahmen ein, die Eltern aus der Armut führen: einen höheren Mindestlohn, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine sanktionsfreie Mindestsi- cherung und eine deutliche Erhöhung des Kindergeldes . Die geplante Erhöhung von 2 Euro ist doch ein schlech- ter Witz . Verschließen Sie nicht länger die Augen vor der Kinderarmut in Ost- wie Westdeutschland . Im Osten lebt gut jedes fünfte Kind in einem Hartz-IV-Haushalt . Fin- den Sie das gut? Es ist bitter nötig, neben den Familienkassen noch weitere „Strukturen“ zu reformieren, allen voran bei der Verteilung des Reichtums in dieser Gesellschaft, damit weder Jung noch Alt in Armut leben müssen . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das heu- te hier zu beschließende Gesetz über die Familienkassen des öffentlichen Dienstes ist in der Zielrichtung eine nachvollziehbare Angelegenheit . Es löst nur leider das Problem der Vielzahl von Familienkassen nicht . Zudem sollen wir heute noch einen kurzfristig eingegangenen – von uns in der Kürze der Zeit nicht ausreichend prüf- baren – Änderungsantrag zur Verlagerung des Bundes- amtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen und des Bundesausgleichsamtes weg vom Finanz- hin zum Innenministerium beschlossen werden . Aus diesem Grund werden wir uns enthalten . Bereits vor sieben Jahren machte das Thema Famili- enkassen Schlagzeilen in der Boulevardpresse . Worum ging es? Um Kindergeldbetrug . Ehepaare hatten sich das Kindergeld doppelt ausbezahlen lassen . Wie war das möglich? Weil für einen der Ehepartner als Beamter oder Beamtin eine Familienkasse des öffentlichen Dienstes zuständig war, für den anderen aber die Bundesagentur für Arbeit . Staatsdiener, die doppelt kassieren, das ist et- was, worüber sich Menschen verständlicherweise und zu Recht aufregen . Der Bundesrechnungshof hatte bereits im Jahr 2009 auf diese Betrugsfälle hingewiesen . Auf die Bürgerin- nen und Bürger muss es so wirken, als ob die Regierung Missbrauchsbekämpfung bei den eigenen Beamten nicht besonders wichtig findet. Erst durch ein Gesetz, das Jahre später zum 1 . Januar 2016 in Kraft trat, wurde der Miss- brauch auf dem Papier beendet . Von 2016 an müssen die Familienkassen einen Abgleich der Steueridentifikations- nummer der Kinder vornehmen, um eine Doppelauszah- lung zu vermeiden . Der tatsächliche Abgleich funktio- niert aufgrund der ausstehenden IT-Umstellung selbst bis heute immer noch nicht, und dieses Gesetz wurde damals mit dem angeblichen Betrug durch Ausländer begründet . Ich wiederhole: Es wurde begründet mit dem angebli- chen Betrug durch „Ausländer“ und gerade nicht mit den bekanntgewordenen Fällen bei den eigenen Beamten . Was ist das Grundproblem, das durch die vorliegende Gesetzesänderung behoben werden soll? Es ist der insti- tutionelle Wildwuchs bei den Familienkassen des öffent- lichen Dienstes, das heißt bei den Familienkassen, die vor allem für die Beamten zuständig sind . Während 14 Fami- lienkassen der Bundesagentur für Arbeit den Löwenan- teil aller Kindergeldfälle bearbeiten, sind für die Kinder von öffentlich Bediensteten tatsächlich 8 000 einzelne Familienkassen zuständig . Ich wiederhole: 8 000 Kas- sen . Sie bearbeiten gerade einmal 13 Prozent der Kinder- geldberechtigten im Land . Das steht in einem grotesken Missverhältnis. Auch solch eine von Ineffizienz geprägte Aufteilung bei der Auszahlung des Kindergeldes ist den Bürgerinnen und Bürgern nicht zu erklären . Ich halte das Ziel und die eingeschlagene Richtung des Gesetzentwurfes für richtig und unumgänglich . Die Vielzahl an Kassen ist nicht zu rechtfertigen, da sich die Auszahlung von Kindergeld nicht als besonders komple- xe Dienstleistung darstellt . Das Nebeneinander der Fami- lienkassen ist nicht nur bürokratisch und ineffizient, es ist eben auch missbrauchsanfällig . Aber wird das vorliegen- de Gesetz an diesem Zustand etwas ändern? Ich bin nicht dieser Auffassung . Der Haken an dem vorliegenden Gesetzentwurf ist, dass nur die Zuständigkeiten der Familienkassen im Be- reich des Bundes bis 2022 zur Bundesagentur für Arbeit oder zum Bundesverwaltungsamt übergehen sollen . Ge- nau das führt aber lediglich zu einer Reduzierung von 8 000 auf 7 900 Familienkassen des öffentlichen Diens- tes . Ganze 100 Familienkassen werden entfallen . Das ist selbstverständlich nicht der dringend benötigte System- wechsel, der zu strukturellen Verbesserungen, mehr Ef- fizienz und einer sinnvollen Verschlankung der Verwal- tung führt . Für die Familienkassen im Bereich der Länder und Kommunen gelten die vorliegenden Neureglungen hin- gegen nicht . Der Bund macht den Ländern lediglich das Angebot, gegen Kostenübernahme auf die Zuständigkeit freiwillig zu verzichten . Das Vorgehen halte ich für we- nig ambitioniert angesichts der verbleibenden 7 900 Fa- milienkassen . Die Koalition ist offensichtlich der Auffas- sung, dass den Ländern nicht mehr zuzumuten ist . Diese Haltung, allein auf die Einsicht der Länder zu warten, kann ich vor dem Hintergrund des eigentlichen Problems ganz und gar nicht teilen . Vielmehr sollten wir uns darü- ber Gedanken machen, ob nicht die alternative Lösung – eine Verlagerung der Kindergeldauszahlung auf die Fi- nanzämter – doch die geeignetere ist . Das Kindergeld ist schließlich im Einkommensteuergesetz verankert . Mir fällt kein plausibler Grund ein, warum wir mit den 7 900 Familienkassen wie bisher weitermachen sollten . Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19595 (A) (C) (B) (D) des Mikrozensus und zur Änderung weiterer Sta- tistikgesetze (Tagesordnungspunkt 22) Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU): Heute widmen wir uns zum zweiten Mal und damit abschließend dem Mikrozensusgesetz . Ich meine, dass wir im erweiterten Berichterstattergespräch, an dem auch die Grünenfrakti- on teilgenommen hat, die letzten Einwände und Unklar- heiten aus der Welt schaffen konnten und das Gesetz nun inhaltlich unverändert verabschieden können . In meiner letzten Rede hatte ich bereits angesprochen, dass das gegenwärtige Mikrozensusgesetz Ende 2016 ausläuft und dadurch nun der Handlungsbedarf besteht, die Weiterführung des Mikrozensus ab 2017 sicherzu- stellen . Auch wenn sich das parlamentarische Verfahren nun um rund zwei Wochen verlängert hat, meine ich, dass wir noch gut im Zeitplan liegen, um eine lückenlose Fortführung der Haushaltsstichproben zu ermöglichen . Der Mikrozensus wird damit dann zunächst bis 2020 weitestgehend in der gegenwärtigen Form fortgeführt . Ab 2020 wird dann das neue System gelten . Künftig werden damit die Gemeinschaftsstatistiken über Ein- kommen und Lebensbedingungen, EU-SILC, sowie zur Informationsgesellschaft, IKT, in den Mikrozensus inte- griert . Diese wurde bisher zusätzlich zum Mikrozensus erhoben . Wir versprechen uns davon Einsparungen hin- sichtlich der aufzuwendenden finanziellen Mittel, des or- ganisatorischen Aufwands und der Gesamtbelastung für die Bürgerinnen und Bürger . Weil einerseits diese Statistikanforderungen seitens der Europäischen Union auf unbestimmte Zeit gelten und andererseits der Mikrozensus nun seit mittlerweile 1957 existiert, werden wir den Mikrozensus mit diesem Gesetz nun entfristen . Es hat sich über die Jahrzehnte gezeigt, dass die Haushaltsstichproben unverzichtbar für Parlamente, Regierungen sowie die Verwaltungen in Bund und Ländern bei der Erfüllung ihrer verschiedenen Aufgaben sind . Der Mikrozensus ist für eine gute Politik nicht mehr wegzudenken . Anstatt nun den Mikrozensus alle paar Jahre wieder aufs Neue für einige Jahre einzu- setzen, ist es nun zu Recht an der Zeit, ihn als auf Dauer angelegten Bestandteil unserer Rechtsordnung anzuse- hen . Die Integration der EU-Erhebungen in den Mikro- zensus erfordert auch eine Erweiterung der Auskunfts- pflicht. Einerseits spart die Auskunftspflicht einen grö- ßeren Aufwand bei den Befragungen ein . Bei einer freiwilligen Befragung zeigen der Erfahrung nach maxi- mal 30 Prozent der zu befragenden Personen überhaupt die Bereitschaft einer Teilnahme . Tatsächlich nehmen letztlich im Regelfall höchstens 10 Prozent der Perso- nen auch an der Befragung teil . Um nun eine ausrei- chend hohe Datenzahl für aussagekräftige Statistiken zu erhalten, muss die Stichprobe um das Vierfache erhöht werden. Diese Kosten entfallen bei einer Pflicht zur Aus- kunft . Aber auch die Datenqualität verbessert sich; denn alle Bevölkerungsgruppen nehmen nun an der Befragung teil . Typischerweise verweigern bestimmte Bevölkerungs- gruppen eine freiwillige Teilnahme, sodass die Statisti- ken häufig verzerrt sind. Hochqualitative Statistiken sind jedoch sehr wichtig, nicht zuletzt auch, um Förderungen aus EU-Strukturfonds zu erhalten. Die Auskunftspflicht stellt hier die erforderliche Qualität der Daten sicher. Gleichwohl haben die Koalitionsfraktionen einen Ände- rungsantrag eingebracht . Dieser beschränkt sich jedoch auf Klarstellungen, etwa auf Konkretisierungen von Wortbedeutungen oder inhaltliche Präzisierungen von statistischen Merkmalen . Der Änderungsantrag kann so- mit aus inhaltlicher Perspektive nicht sehr strittig sein . Im Übrigen möchte ich erwähnen, dass auch die Bun- desbeauftragte für den Datenschutz und die Informati- onsfreiheit im Rahmen der Ressortabstimmung beteiligt worden ist . Ihre Anregungen sind aufgenommen worden . Sie hat daher keine Einwände geltend gemacht . Ich denke, dass wir mit diesem Gesetz die Durchfüh- rung des Mikrozensus in Zukunft deutlich verbessern werden . Ich möchte allen Beteiligten für die gute Zusam- menarbeit danken . Barbara Woltmann (CDU/CSU): In zweiter und dritter Lesung beschließen wir heute das Gesetz zur Neu- regelung des Mikrozensus und zur Änderung weiterer Statistikgesetze . Die Notwendigkeit einer Neuregelung bleibt weiterhin unbestritten: Das geltende Gesetz läuft zum Jahresende aus und muss erneuert werden . Außer- dem hat die Europäische Union einige Verordnungen beschlossen, die in das neue Gesetz integriert werden müssen . Jedoch wird dies nicht von jetzt auf gleich ge- schehen . Somit haben wir genügend Zeit, um die voll- ständige Neugestaltung der IT mit den notwendigen tiefgreifenden methodischen und organisatorischen Ver- änderungen aufzustellen . Es ist notwendig, den Mikrozensus um die auf euro- päischer Ebene geforderten Daten zu erweitern . Das Sta- tistische Bundesamt, das den Mikrozensus durchführt, besitzt mittlerweile nicht nur einen nationalen Auftrag, sondern ist auch dazu verpflichtet, europäisches Recht anzuwenden und der Europäischen Union entsprechende Daten zu liefern . Die Daten der Arbeitskräftestichprobe der Europäischen Union zum Beispiel sind wichtig für gemeinschaftliche EU-Programme zu mehr Beschäfti- gung, besserer Ausbildung und gegen Arbeitslosigkeit . In der heutigen Zeit wird es immer wichtiger, die rasanten Entwicklungen in Europa zu analysieren und in den oben genannten Bereichen die richtigen politischen Weichen- stellungen vorzunehmen . Dafür bedarf es einer guten Da- tenlage. Die Kohäsionspolitik in der EU profitiert davon. Aber nicht nur die Europäische Union, sondern auch Deutschland entwickelt sich mit hoher Geschwindigkeit . Vor allem im Bereich der Digitalisierung werden die Ver- änderungen in den kommenden Jahren enorm sein . Ich halte die Statistik zur Informationsgesellschaft, die durch Beschluss des Artikels 2 des vorliegenden Gesetzentwur- fes ab dem Jahr 2021 anhand von Merkmalen wie Inter- netzugang und Internetnutzung erhoben wird, für äußerst wichtig . Der Zustand und die Reichweite des Breitband- ausbaus können durch den Mikrozensus festgestellt wer- den . Dies sind auch für die Kommunen wichtige Infor- mationen . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 201619596 (A) (C) (B) (D) Die Kommunen profitieren ebenso von der Einführung einer Auskunftspflicht von Bürgern, die für den Mikro- zensus ausgewählt werden . Die bislang auf Freiwilligkeit angelegte Befragung barg die Gefahr, ein schiefes Bild der deutschen Gesellschaft zu zeichnen . Die statistischen Erhebungen aus dem Mikrozensus sind nämlich maßge- bend für die Ausgestaltung und die Vergabe unter ande- rem von Fördermitteln aus den EU-Strukturfonds und somit von erhöhter Wichtigkeit für unsere Kommunen . Kritisch könnte man allenfalls sehen, dass nur rund 1 Prozent aller Bundesbürger befragt wird . Dies hat beim letzten Mal dazu geführt, dass Kommunen Einwohner „verloren“ haben und damit auch entsprechende Finanz- mittel . Dies gilt es im Blick zu behalten, und es gilt, Lö- sungen dafür zu finden. Die Notwendigkeit des vorgelegten Gesetzentwurfes ergibt sich auch aus der Frage nach den Kosten, welche diese statistischen Erhebungen mit sich bringen . Durch die nun gesetzlich festgelegte Einbeziehung der EU-Sta- tistik über Einkommen und Lebensbedingungen sowie der Statistik zur Informationsgesellschaft vermeiden wir unnötige Mehrkosten, die bei einer separaten Durchfüh- rung der Befragung anfallen würden . Ein weiterer Plus- punkt der Integration der EU-Statistiken in den Mikro- zensus ist die Vermeidung von doppelt durchgeführten Erhebungen. Demografische und sozioökonomische Angaben, die bei separaten Befragungen zum festen Fra- genstamm gehören, werden mit dem neuen Gesetz nur einmal erhoben . Die Notwendigkeit der Neuregelung des Mikrozensus und zur Änderung weiterer Statistikgesetze ließe sich noch an weiteren Beispielen aufzählen . Festzuhalten ist, dass es aus der Sicht vieler Experten aus dem Bereich der Statistik und Datenerhebung keine inhaltlichen Be- anstandungen gibt . Ich bitte um Zustimmung zum vorliegenden Gesetz- entwurf . Matthias Schmidt (Berlin) (SPD): Lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede einen Blick auf Europa werfen . Was das Statistische Bundesamt für Deutschland ist, ist für die EU das Statistische Amt der Europäischen Union, kurz Eurostat, mit Sitz in Luxemburg . Hier laufen seit 1953 alle Daten zusammen, die von den Ländern an die EU geliefert werden . Eurostat selber erhebt keine Daten und ist somit auf die Erhebungen in den Mitgliedstaaten angewiesen . Ein Blick auf die Homepage von Eurostat zeigt eindrucksvoll, wie viele Daten hier zusammen- fließen. Jede Bürgerin und jeder Bürger kann sich hier ausgiebig über gesellschaftliche Daten der EU und ihre Mitgliedsländer informieren . Wie hoch ist die Lebens- erwartung in welchem Land, wie die Altersstruktur, die Sozialstruktur? Bis hin zu den Luftemissionswerten in jedem Land kann hier alles nachgelesen werden . Das ist eine exzellente Informationsplattform für Wissenschaft, Politik und Gesellschaft . Die Daten werden von den EU-Mitgliedstaaten gelie- fert, konsolidiert und harmonisiert, mit dem Ziel, sie ver- gleichbar zu machen . Und diese Harmonisierung ist in dieser Legislatur auch ein Aspekt verschiedener Geset- zesverfahren in diesem Hohen Hause gewesen, so zum Beispiel des Umweltstatistikgesetzes oder des Bundes- statistikgesetzes . Heute behandeln wir das Mikrozensus- gesetz, das eine überaus wichtige Funktion bei der Erhe- bung statistischer Daten einnimmt . Wie Sie alle wissen, haben wir dieses Gesetz bereits 2014 geändert . Anpassungen an EU-Vorgaben waren ein Anlass . Wir haben Optimierungen bei der Bevölkerungs- statistik vorgenommen und mithilfe einer Experimen- tierklausel ermöglicht, dass neue Erhebungsverfahren erprobt werden können . Die heute vorliegenden Ände- rungen gehen noch einen Schritt weiter . Mit der Aufhe- bung der Befristung als einer Kernänderung des Gesetzes legen wir die Grundlage für eine dauerhafte und zuver- lässige Datenerhebung . Die Befristungen wurden in der Vergangenheit immer wieder per Gesetz verlängert, so letztmalig 2012 um vier Jahre . Diese Kettenbefristungen sollen nun ein Ende haben, und das ist auch sinnvoll . Das Mikrozensusgesetz wird unbefristet gelten und damit den Vorgaben der EU folgen, denn auch die Pflicht zur Daten- lieferung gilt unbefristet . Nun wurden in der Diskussion Bedenken laut, dass wir mit diesem Schritt der Entfristung unsere Hoheit zur Evaluation und Veränderung des Mikrozensusgesetzes aus den Händen gäben . Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, es ist doch so, dass wir als Gesetzgeber im- mer die Möglichkeit haben, Gesetze zu verändern, und natürlich werden wir auch bei einem entfristeten Mikro- zensusgesetz sehr genau hinschauen, wie die Entwick- lung verläuft und ob sich hier Änderungsbedarfe erge- ben . Im Umkehrschluss hieße so eine Argumentation ja, dass wir alle Gesetze befristen müssten . Das kann doch nicht unser Wunsch sein . Die Entfristung schafft viel- mehr Planungssicherheit für das Statistische Bundesamt und verringert den bürokratischen Aufwand . Diese Ziele sollten uns hier einen . Kommen wir nun zu einem weiteren zentralen Punkt des Gesetzes, der die Perspektive der EU in den Blick nimmt, die ich zu Beginn meiner Rede ansprach . Viele Erhebungen finden bislang parallel statt, so der Mikro- zensus, die Statistik zur Informationsgesellschaft, kurz IKT, und auch die Erhebung über Arbeitskräfte, Ein- kommen und Lebensbedingungen für die EU, die soge- nannte SILC-Statistik . Diesen Einzelstatistiken liegen unterschiedliche Verfahrensregelungen zugrunde . So ist der Mikrozensus verpflichtend, während die IKT und auch SILC-Verfahren auf freiwilliger Basis erfolgen . Wir wollen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf beide Statistiken in den Mikrozensus integrieren . Das schafft Synergien und reduziert den Erhebungsaufwand . Dazu gehört auch, dass die Verfahren vereinheitlicht werden, und das heißt für die integrierten Statistiken, dass auch sie im Kern verpflichtend werden. Auch dagegen gibt es Bedenken . Zudem begleitet Kritik die Statistik schon seit Jahrzehnten . Im Kern geht es darum, ob durch die Auskunftspflicht Persönlichkeits- rechte verletzt werden . Was stimmt, ist, dass es für die Personen, die in der Stichprobe zu einer Auskunft ver- pflichtet werden, Aufwand bedeutet. Der Fragebogen ist sehr ausführlich, und die Befragten müssen einen tiefen Blick in ihre persönlichen Lebensverhältnisse Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19597 (A) (C) (B) (D) zulassen . Das kann auch Unmut erzeugen . Dafür habe ich Verständnis . Nun müssen wir uns als Gesetzgeber fragen, ob der Nutzen dieser Statistiken denn diesen tie- fen Blick rechtfertigt . Und hier kommen wir doch nicht umhin, den großen Nutzen zu betonen, den die Auswer- tung dieser Daten bedeutet . Die Statistiken, die aus dem Mikrozensus entwickelt werden, sind grundlegend für Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft . Und ohne sie wären wir in der Politik zwischen den Volkszählungen ohne empirischen Kompass . Zu fordern, diese grundlegenden Statistiken auf eine freiwillige Basis zu stellen, folgt sicher den Wünschen einiger Menschen, muss aber hinsichtlich der Folgen ge- nauer betrachtet werden . Bei einer freiwilligen Erhebung muss davon ausgegangen werden, dass sich ein Teil der Menschen in einer Stichprobe der Auskunft verweigert, sei es aus Überzeugung oder aus persönlicher Arbeits- entlastung . Damit muss die Stichprobe selber deutlich vergrößert werden, was einen deutlichen Mehraufwand bedeutet . Mehr Menschen müssen befragt werden, mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Statistischen Bun- desamt müssen sich mit der Auswertung der Daten be- schäftigen, und mehr Zeitaufwand ist damit ebenso ver- bunden wie deutlich höhere Kosten . Und diese Folgen müssen wir bei der Frage von Freiwilligkeit oder Pflicht auch beleuchten . In der Abwägung der Positionen und der Folgen kommen wir zu der Überzeugung, dass es verantwortbar und sinnvoll ist, die Verpflichtung auf die integrierten Statistiken auszudehnen . Bei anderen Fragen wurden im parlamentarischen Verfahren durchaus noch einige Änderungen vorgenom- men, denen wir zustimmen können . So wurden im Ge- setz neben redaktionellen Änderungen noch Präzisierun- gen vorgenommen, die wir mittragen werden . Es bleibt grundsätzlich unsere Verantwortung, bei je- dem Gesetz sehr sorgfältig zu prüfen, welche zusätzliche Belastung und welche Eingriffe in die Persönlichkeits- rechte für die Bürgerinnen und Bürger damit einherge- hen . Ich bin der festen Überzeugung, dass wir mit diesem Gesetzesvorhaben auch in dieser Hinsicht verantwortlich handeln und deutliche Verbesserungen vornehmen, die letztlich allen Menschen zugutekommen . Es ist eine Weichenstellung hin zu mehr Harmonisierung auf euro- päischer Ebene und hin zu mehr Effizienz bei der Daten- erhebung . Ich wünsche mir eine Zustimmung zu diesem wichtigen Vorhaben . Jan Korte (DIE LINKE): Wir reden heute wieder über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Mi- krozensusgesetz, der durch den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen leider nicht wesentlich besser ge- worden ist; das muss man zunächst einmal feststellen . Es ist schade, dass Sie dabei weder die Kritik aus dem Bun- destag noch die des Bundesrats wirklich berücksichtigt haben . Die Linke hat bereits gesagt, dass grundsätzlich nichts gegen bestimmte Datenerhebungen und Statistiken zur Bevölkerung in der Bundesrepublik einzuwenden ist, nicht zuletzt, weil sie auch ein Indikator für die Not- wendigkeit politischer Maßnahmen bzw . ein Kontrollin- strument für das Funktionieren oder Misslingen selbiger ist . In der Tat können wichtige Schlüsse aus dem Mikro- zensus und anderen Befragungen wie der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe gezogen werden: dass zum Beispiel das Armutsrisiko von Geringqualifizierten ge- stiegen ist, dass die Schere zwischen Arm und Reich im- mer weiter auseinandergeht oder dass immer mehr Leute so vermögend sind, dass sie für ihren Lebensunterhalt nicht mehr arbeiten gehen müssen, während gleichzeitig ein Fünftel der Kinder in unserem Land von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen sind . Das wissen wir alles dank solcher Erhebungen – so weit, so gut . Aber warum führt man diese Statistiken und sammelt dieses ganze Wissen, wenn keine Konsequen- zen daraus erwachsen? Welche konkrete politische Maß- nahme ist denn in den letzten Jahren ergriffen worden, um die ungleiche Vermögensverteilung in der Bundesre- publik anzugehen? Welche Konsequenzen hatten die Er- gebnisse auf die soziale Mischung in den Städten? Was konkret wird denn getan, um Geringqualifizierte weiter- zubilden oder dafür zu sorgen, dass mehr Schülerinnen und Schüler bessere Abschlüsse schaffen, erst recht, wenn sie von Armut betroffen sind? Die Bundesregie- rung hat es nicht einmal bei der vom Verfassungsgericht angemahnten gerechten Erbschaftsteuer gewagt, Reiche zur Finanzierung des Gemeinwohls heranzuziehen, von einer Vermögensteuer, wie es sie in etlichen anderen Län- dern gibt, ganz zu schweigen . Das massive Problem und Misstrauen von denen, die bei der Befragung für den Mi- krozensus Privates preisgeben müssen, liegt auch darin, dass der Sinn und die Verhältnismäßigkeit berechtigter- weise hinterfragt wird . Damit kommen wir zum zweiten Punkt, nämlich dazu, was den Befragten überhaupt zugemutet wird . Man muss sich einmal in die Lage hineinversetzen, wie es wohl ist, wenn man einer fremden Person und allen, die den Erfas- sungsbogen danach lesen, Auskunft darüber geben soll, ob man zwei Paar passende Schuhe hat oder nicht, ob man raucht oder meint, sich auf andere Art und Weise eventuell gesundheitsgefährdend zu verhalten, ob man genug Geld hat, um sich „mindestens einmal im Monat mit Freunden oder Freundinnen oder Familienmitglie- dern zum Essen oder Trinken zu treffen“, ob man in den letzten Tagen beim Arzt war und welche Ursache es viel- leicht dafür gibt, dass man nur einen befristeten Arbeits- vertrag hat . Zum Glück ist es nicht bei allen dieser Fragen ver- pflichtend, darauf zu antworten. Der grundsätzliche Auskunftszwang bleibt bestehen, auch in Bezug auf die EU-rechtlich vorgegebenen Erhebungsmerkma- le, in Bezug auf Einkommen und Lebensbedingungen, die laut EU-Verordnung freiwillig sind . Da Sie in dem Änderungsantrag nicht darauf eingegangen sind, zitiere ich hier noch einmal die Kritik des Bundesrats an Ihrem Gesetzentwurf . Der schreibt in seiner Stellungnahme: „Aufgrund der hohen Sensibilität der EU-rechtlich vor- gegebenen Erhebungsmerkmale in Bezug auf Einkom- men und Lebensbedingungen ist mit einer Zunahme von Auskunftsverweigerungen und erheblicher Verärgerung seitens auskunftspflichtiger Privatpersonen zu rechnen.“ Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 201619598 (A) (C) (B) (D) Im Gegensatz zur schwarz-roten Bundesregierung hat man es im Bundesrat offenbar geschafft, sich in die be- fragten Personen hineinzuversetzen, und macht sich Sor- gen um die Akzeptanz von Erhebungen allgemein: „Im Übrigen stellt eine auskunftspflichtige Erhebung sehr privater, sehr sensibler und vielfach subjektiv geprägter Fragen einen Paradigmenwechsel in der amtlichen Sta- tistik dar, infolgedessen im Ergebnis sogar ein über den in Rede stehenden Bereich hinausgehender Imagescha- den zu befürchten ist, der negative Auswirkungen für die Durchführung und den Zielverwirklichungsgrad auch anderer Statistiken haben und entsprechende Erhebun- gen erschweren könnte .“ Oder kurz gefasst und leichter verständlich: Das kleinliche Bestehen der Bundesregie- rung auf einer Auskunftspflicht gefährdet unnötigerweise nicht nur die Qualität und Akzeptanz des Mikrozensus, sondern auch die aller anderen Erhebungen . Wir meinen zudem, dass die mit Androhung von Zwangsgeldern und Beugehaft durchgesetzte Auskunftspflicht über privates- te Daten gegen das Recht auf informationelle Selbstbe- stimmung verstößt . Es gibt also eine Menge Gründe, von einer Auskunfts- pflicht nach § 13 des Zensustestgesetzes abzusehen und die Erhebung so grundrechtsschonend wie irgend mög- lich durchzuführen . Es gäbe eine Vielzahl von Mög- lichkeiten, Bürgerinnen und Bürger für ihre Beteiligung am Mikrozensus zu gewinnen . Die erste wäre, wenn die Erkenntnisse tatsächlich erfahrbare politische Konse- quenzen hätten, wie bereits gesagt . Möglich wäre etwa auch die Erfassung von Bedürfnissen, wie sie schon im Bereich Arbeitsmarkt abgefragt werden . Wenn neben der Arbeitsstundenzahl abgefragt wird, ob jemand länger ar- beiten will, könnte man ja auch neben der Frage nach der Kinderbetreuung fragen, ob die in der Kommune ange- botenen Betreuungszeiträume und -plätze reichen, oder, welche Probleme jemand mitzuteilen hat, der seinen Grad der Behinderung nennt, wo es Probleme mit dem Angebot öffentlicher Verkehrsmittel gibt, welche Er- leichterungen sich Alleinerziehende wünschen oder wie Menschen mit Migrationshintergrund ihre gesellschaft- lichen Teilhabemöglichkeiten bewerten . Eine Erhebung, die positive Konsequenzen und einen Mehrwert für die Bevölkerung hat, funktioniert auch auf freiwilliger Basis . Die Bundesregierung hat nicht nur zu wenig getan, um einen Mikrozensus auf freiwilliger Basis zu realisieren oder um dies wenigstens zu versuchen, sondern sie bleibt auch den Beweis schuldig, dass alle wichtigen Erkennt- nisse, die wir aus dem Mikrozensus ziehen, ohne eine strafbewehrte Auskunftspflicht nicht zustande kämen. Selbst die EU geht, wie gesagt, von freiwilligen Erhe- bungen aus . Deshalb können wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen und werden wir uns enthalten . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das Thema Datenschutz, das wird heute im Zuge dieser Debatte hoffentlich einmal mehr deutlich, umfasst weitaus mehr als nur die „Reißerthemen“ wie den Um- gang von Facebook und anderer Unternehmen mit unse- ren Daten, die internationale Telekommunikationsüber- wachung der Geheimdienste oder die Kreditbewertungen der Schufa . Diese Themen mit hoher Medienaufmerk- samkeit mögen auf die politische Wahrnehmung einiger so wirken, als seien andere Themen auch in der Sache weniger wichtig . Das ist aber nicht der Fall . Als Querschnittmaterie, bei der es im Kern um den Umgang mit Informationen zu Bürgerinnen und Bür- gern geht, betrifft sie inzwischen alle Lebensbereiche . Und Fragen des Statistikwesens standen von Beginn an sogar im Mittelpunkt der Schaffung der modernen Da- tenschutzgesetze und der Datenschutzbewegung . Sie führten zu den beiden berühmten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, dem Mikrozensus-Urteil von 1964 und dem Volkszählungsurteil von 1983 . Wenn wir heute über die erneute Erweiterung und Entfristung des Mikrozensus sprechen, sollten wir eine Bilanz wagen und fragen, wie wir den Mikrozensus heute einordnen . Das Ergebnis nehme ich gleich vorweg: Er ist wie alle Datenschutzthemen bereichsspezifisch, wie die Datenschützer sagen, einzuordnen und verlangt da- mit eine eigenständige und dem Kontext angemessene Bewertung . Das ist eine verfassungsrechtliche Vorgabe . Und dabei stellen wir fest, dass der Kernkonflikt zwi- schen staatlichem Wissensinteresse und den Persönlich- keitsinteressen der Betroffenen weiterhin bestehen bleibt . Der Mikrozensus ist keine Volkszählung in dem Sin- ne, dass die Bevölkerung, ähnlich etwa der Vorratsdaten- speicherung, in ihrer Gesamtheit erfasst würde . Doch sie betrifft alljährlich eine Million Mitbürgerinnen und Mit- bürger . Und die Betroffenen müssen wiederholte Nach- fragen über den Zeitraum von vier Jahren, bis zu zweimal pro Jahr, hinnehmen; das nervige Verfahren ist also kei- nesfalls mit der einmaligen Beantwortung beendet . Es fällt auf, dass das Wissensinteresse zur Erstellung einer Statistik sicherlich nicht die dieselbe Wertigkeit beanspruchen kann wie Informationserhebungen in Ver- bindung mit dem unmittelbaren Schutz der öffentlichen Sicherheit . Und auf der anderen Seite bleibt es bei einer Maßnahme, die annähernd eine Million Bürgerinnen und Bürger betrifft, Jahr für Jahr . Auf der rechtlichen Ebe- ne fällt zugunsten des Mikrozensus in die Waagschale, dass der Wahrung des Datenschutzes eine große Bedeu- tung kommt, und die Statistikbehörden umfänglichen Vorkehrungen unterliegen . Andererseits bleibt es für die Betroffenen bei der Umsetzung durch Auskunftszwang ein erheblicher staatlicher Eingriff, der keineswegs alle staatlichen Eingriffsinstrumente betrifft . Niemand bestreitet ernsthaft den Zweck des Statis- tikwesens . Gerade auch grüne Politik verlässt sich auf solide Informationen über die Entwicklung unserer Ge- sellschaft, komplexe Sachverhalte werden für die Politik darstellbar und verhandelbar, zum Beispiel die Frage ge- lingender Integration der zu uns gekommenen ausländi- schen Bürgerinnen und Bürger . Doch unsere Verantwor- tung liegt auch darin, in der Umsetzung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zum Maßstab zu nehmen und die Bürgerinnen und Bürger vor einer übermäßigen und sachlich nicht mehr vertretbaren Inanspruchnahme durch Befragungen zu bewahren . Durch die rein statistisch-wissenschaftliche Brille be- trachtet wird es immer gute Gründe geben, warum die- se oder jene bestehenden Statistiken inhaltlich erweitert Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19599 (A) (C) (B) (D) gehören, eine größere Gruppe betreffen sollten und/oder zwangsweise zu erfolgen haben . Wie weit wir dabei ge- hen sollten, ist unsere gemeinsame politische Entschei- dung . Statistiker können durchaus glaubhaft darlegen, dass der Unterschied zwischen erzwungenen und freiwil- ligen Haushaltsbefragungen deshalb erheblich ist, weil die Rücklaufquoten bei freiwilligen Befragungen oft auf gerade noch ein Viertel der Angeschriebenen fallen kön- nen, sodass im Ergebnis ein größerer Betroffenenkreis ausgewählt und angeschrieben werden muss . Doch wir müssen auch festhalten, dass die EU-Vorgaben für valide Daten zu unterschiedlichen Problemfeldern die Befra- gung per gesetzlichem Zwang gerade nicht vorsehen, auch wenn sich das im vorliegenden Gesetzentwurf an- ders liest . Hier sollte die Bundesregierung ehrlich offen- legen, wenn es letztlich vorrangig Effizienz- und Ratio- nalisierungsüberlegungen sind, die zum Auskunftszwang führen . Dieser Mikrozensus war von Beginn seiner Entste- hung an umstritten, er führte zu einem der ersten und bis heute bedeutsamen Urteil des Bundesverfassungsge- richts zu Umfang und Reichweite des Grundrechts auf Privatsphäre – Mikrozensus-Urteil von 1969 . Er ist bis heute umstritten, auch wenn nicht alle Betroffenen gleich vor das Verwaltungsgericht ziehen . Darüber könnte uns eine Umfrage unter den Datenschutzbehörden des Bun- des und der Länder sicherlich Auskunft geben . Doch die Akzeptanz in der Bevölkerung bleibt nicht der alleinige Prüfungspunkt, wenn wir uns als legislatives Kontroll- organ Gesetze des Bundesinnenministers mit Berührung zum Datenschutz anschauen . Es liegt vielmehr in un- serer Verantwortung, die Gewährleistung wesentlicher Gesichtspunkte der Verfassungsmäßigkeit wie auch der Wahrung der Bürgerrechte insgesamt kritisch zu prüfen . Bislang war der seit Jahrzehnten etablierte Mikro- zensus befristet geregelt . Er soll nun in eine unbefristete gesetzliche Regelung überführt werden . Integriert in den aus Sicht der Betroffenen ohnehin für die Betroffenen viel zu lang wirkenden Fragenkatalog werden die nach EU-Recht erforderlichen Statistiken zu Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) sowie zur Informations- gesellschaft (IKT) . Das informatorische Sonderopfer, das die vom Mikro- zensus Betroffenen zu erbringen haben, ist somit ganz erheblich . Wir begrüßen deshalb, dass die Bundesre- gierung sich offenbar darum bemüht hat, Belastungen der Betroffenen zum Teil zu vermeiden . Danach soll der Merkmalskatalog des Kernprogramms nur noch die Hälfte des heutigen Katalogs umfassen . Und thematisch abgrenzbare Erhebungsteile sollen auf die Betroffenen derart verteilt werden, dass nicht alle Ausgewählten alle, nunmehr aus anderen Haushaltsstatistiken integrierten Fragenteile zu beantworten haben . Hier erwarten wir für die Zukunft noch viele weitere innovative Ideen, wie die Belastung der Befragten weiter gesenkt werden kann . Gleichwohl bedeutet natürlich die Integration von vor- mals getrennt ablaufenden und damit andere Bürgerinnen und Bürger betreffenden Fragenkatalogen eine Erhöhung des Gesamtumfangs der Befragung, auch wenn nicht alle Ausgewählten im gleichen Maße davon betroffen sind . Noch gravierender erscheint, dass die nunmehr inte- grierten Teile EU-SILC und EI-IKT zukünftig ebenfalls unter die Auskunftspflicht fallen. Der Wechsel von Frei- willigkeit auf Zwang erfolgt, wenige Jahre nach der letz- ten Debatte zum Mikrozensus, doch überraschend . Das bloße Argument der Vermeidung inhaltlicher Unschärfen wirkt angesichts des damit verbundenen Grundrechtsein- griffes wenig überzeugend . Im Mittelpunkt unseres gemeinsamen Berichterstat- tergesprächs, für dessen Realisierung ich mich auch bei den Kolleginnen und Kollegen bedanken möchte, stand die beabsichtigte Entfristung des Mikrozensus, der ja oft auch die kleine Volkszählung genannt wird . Wir stehen dieser Entfristung weiterhin kritisch gegenüber . Wer die Begründung des Gesetzentwurfs liest, kann schon den Eindruck gewinnen, dass hier der Versuch unternommen wird, das Spannungsfeld zwischen den Persönlichkeits- rechten und dem Ziel der möglichst genauen Statistiker- fassung zu leugnen . Das Gegenteil ist der Fall: Wie die Bundesregierung selbst einräumt, werden die Fragelisten immer länger, die Themenkomplexe laufend ausgebaut, und sie erfolgen nahezu durchgängig unter Zwang . Pa- rallel ist die große Volkszählung zurück, sie wird inzwi- schen zehnjährig durchgeführt, 2021 steht die nächste an . Und einige der freiwillig zu beantwortenden Fragen des Mikrozensus beziehen sich auf so persönliche Bereiche, so etwa die Selbsteinschätzung der eigenen gesundheitli- chen Risiken, dass sie aus unserer Sicht überhaupt nicht Gegenstand einer Statistikerhebung sein dürften . Denn sie betreffen in der Tat den vom BVerfG schon im Mi- krozensus-Urteil angedeuteten höchstpersönlichen Le- bensbereich . Ich zitiere: „Eine statistische Befragung zur Person kann deshalb dort als entwürdigend und als Bedrohung des Selbstbestimmungsrechtes empfunden werden, wo sie den Bereich menschlichen Eigenlebens erfaßt, der von Natur aus Geheimnischarakter hat, und damit auch diesen inneren Bezirk zu statistisch erschließ- barem und erschließungsbedürftigem Material erklärt . Insoweit gibt es auch für den Staat der modernen Indus- triegesellschaft Sperren vor der verwaltungstechnischen ‚Entpersönlichung‘ .“ (BVerfGE 27, 1, Rdnr . 36) Man muss sich die Idee des Bereichs eines Eigenle- bens mit „von Natur aus Geheimnischarakter“ nicht zu eigen machen und gleichwohl im Hinblick auf die im Ge- setz vorgesehenen gesundheitlichen Fragen aufmerken . Allein diese Beispiele zeigen, dass es einer laufenden und gehörigen Aufmerksamkeit bedarf, um weiterhin die Anforderungen des Datenschutzes einzuhalten . Auch der Gesetzgeber muss hier wachsam bleiben . Und für uns sind einige, vor allem datenschutzrechtliche Fragen offengeblieben, die wir in unserem erweiterten Bericht- erstattergespräch aufgrund der fehlenden Teilnahme der BfDI auch nicht abschließend klären konnten . Wir wer- den deshalb diese Fragen in der nächsten Zeit noch vorle- gen und legen dieses Thema keinesfalls ad acta . Nach alledem werden Sie Verständnis haben, dass wir, insbesondere mit Blick auf die geplante vollständige Ent- fristung, dem Gesetzentwurf in dieser Form nicht zustim- men können und uns, mit Blick auf die hohe Bedeutung einer faktenbasierten Politik, enthalten werden . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 201619600 (A) (C) (B) (D) Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Än- derung des Regionalisierungsgesetzes (Tagesord- nungspunkt 23) Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU): Die Planung, Organisation und Finanzierung für den öffentlichen Per- sonennahverkehr, ÖPNV, und damit auch für den öffent- lichen Schienenpersonennahverkehr, SPNV, wurde im Zuge der Bahnreform 1996 per Gesetz auf die Länder übertragen . Gleichzeitig mit der Regelung der Verant- wortung für den ÖPNV wurde 1994 grundgesetzlich in Artikel 106a festgelegt, dass den Ländern unbefristet aus dem Steueraufkommen des Bundes ein Betrag für den öffentlichen Personennahverkehr zusteht . Einzelheiten wurden im „Gesetz zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs“, dem sogenannten Regionalisie- rungsgesetz, geregelt, welches am 1 . Januar 1996 unter Artikel 4 des Eisenbahnneuordnungsgesetzes in Kraft trat . Danach erhalten die Länder jährlich einen gesetzlich festgelegten Betrag aus dem Aufkommen der Mineralöl- steuer; dies sind die Regionalisierungsmittel . Diese Mit- tel werden den Ländern zweckgebunden für Bestellun- gen von Nahverkehrsleistungen zur Verfügung gestellt, die sie in erster Linie zur Finanzierung der Verkehrsleis- tungen des SPNV, aber auch investiv zur Verbesserung des übrigen ÖPNV, sprich: Bussen und Straßenbahnen, einsetzen können . Die Bundesregierung ist nicht an der Bestellung der Leistungen im ÖPNV beteiligt und hat weder Möglich- keiten, die betrieblichen Abläufe der öffentlichen Ver- kehrsmittel in der Region zu gestalten, noch, in Fragen der Ausschreibung und Vergabe von Verkehrsleistungen einzugreifen . Das Land bzw . die Zweckverbände legen die Verkehrslinien, den Umfang und weitere Kriterien wie Takte und Fahrzeuge selbst fest . Allein von 2008, dem Jahr der letzten Anpassung des Regionalisierungsgesetzes, bis 2012 förderte der Bund den ÖPNV in den Ländern mit insgesamt über 34,5 Mil- liarden Euro . 2014 stellte der Bund jährlich 7,3 Milli- arden Euro zur Verfügung, bevor sich 2015 Bund und Länder nach Verhandlungen im Vermittlungsausschuss auf eine Summe von 8 Milliarden Euro ab 2016 und eine Dynamisierung von 1,8 Prozent jährlich ab 2017 einigen konnten . Dies machte die dritte Änderung des Regionali- sierungsgesetzes notwendig . Am 16 . Juni 2016 haben sich die Bundesregierung und die Länder auf eine nochmalige Erhöhung der Regi- onalisierungsmittel geeinigt . Damit wird eine Benachtei- ligung der ostdeutschen Länder vermieden, da aufgrund eines bereits bestehenden Verteilungsschlüssels diese Länder in den kommenden Jahren sinkende Zuweisun- gen gehabt hätten . Mit der nun vorliegenden vierten Änderung des Ge- setzes werden die 8 Milliarden Euro noch einmal um 200 Millionen Euro aufgestockt. Davon profitieren die ostdeutschen Bundesländer und das Saarland, welches 1 Million Euro aus dem Aufstockungsbetrag zusätzlich erhält . Auch die Aufstockung wird ab 2017 um 1,8 Pro- zent jährlich dynamisiert . Der Bund ist den Ländern damit weit entgegengekommen . Er entlastet die Länderhaus- halte bis ins Jahr 2031 um insgesamt über 153,67 Mil- liarden Euro . Für die bestimmungsgemäße Verwendung der Mittel sind die Länder selbst verantwortlich . Ich begrüße die für günstige Fahrscheine unserer Bürgerinnen und Bürger im ÖPNV nun zur Verfügung stehenden Mittel ausdrücklich, die maßgeblich für den Schienenpersonennahverkehr eingesetzt werden kön- nen . Die von den Ländern benannten Aufgabenträger des Schienenpersonennahverkehrs haben nun Planungssi- cherheit für die kommenden Jahre und können weiterhin in die Schieneninfrastruktur und in moderne Fahrzeuge investieren. Davon profitieren die Bundesländer, die Kommunen, die Verkehrsunternehmen und nicht zuletzt Millionen von Berufspendlerinnen und -pendler . Die Regionalisierung des SPNV ist seit den 90er-Jah- ren ein Erfolgsmodell; die Nutzerzahlen bestätigen die- se Entwicklung . Der Schienenpersonennahverkehr, aber auch der übrige ÖPNV boomen und spielen in den Jah- ren seit der Bahnreform gerade in den Ballungsräumen und im Umland eine immer wichtigere Rolle . So stieg die Anzahl der jährlich beförderten Personen im Perso- nennahverkehr der Eisenbahnen laut Statistischem Bun- desamt von 2005 bis 2015 von 2,01 Milliarden auf über 2,5 Milliarden . Über 11 Milliarden Fahrgäste nutzten 2015 Busse und Bahnen im Liniennahverkehr, das sind rund 30 Millionen Fahrgäste täglich, die damit eine Au- tofahrt vermeiden . Der Verband der Aufgabenträger für den SPNV spricht von deutlich verbesserten und aus- geweiteten Bahn- und Busangeboten, vernetzten Takt- systemen, neuen Strecken und Stationen und modernen Fahrzeugen, die seit der Regionalisierung des SPNV zu verzeichnen seien . Mit der Erhöhung und jährlichen Dynamisierung der Regionalisierungsmittel stellen wir sicher, dass die Nut- zung des SPNV und des ÖPNV für die Kunden attraktiv bleibt und sich die Züge als sichere und umweltfreund- liche Verkehrsträger weiter etablieren können . Denn ein möglichst flächendeckendes Angebot im regionalen Schienenverkehr auf Grundlage eines funktionierenden Wettbewerbs für die Bürgerinnen und Bürger ist aus mei- ner Sicht ein wichtiger Beweis für eine funktionierende staatliche Daseinsvorsorge . Ich werde als zuständiger Berichterstatter für die CDU/CSU-Fraktion im Aus- schuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfehlen, den vorliegenden Gesetzentwurf anzunehmen . Sebastian Hartmann (SPD): Der Nahverkehr in Deutschland ist ein Erfolgsmodell . Jedes Jahr steigt die Anzahl der Nutzer von Verkehrsleistungen im öffentli- chen Personennahverkehr, aktuell sind es 10 Milliarden Passagiere und 93 Milliarden Personenkilometer jähr- lich . Mehr als die Hälfte der letzteren, 48 Milliarden Personenkilometer, fallen allein auf der Schiene an . Der Sektor beschäftigt bundesweit fast eine Viertelmillion Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter . Wer sich vor Augen hält, dass die Benutzung von Bussen und Bahnen jeden einzelnen Tag über 20 Millionen Autokilometer einspart, Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19601 (A) (C) (B) (D) ist sich der wichtigen Rolle für den Klima- und Umwelt- schutz ohnehin bewusst . Die gesamtstaatliche Aufgabe der Finanzierung des Nahverkehrs, der sich Bund und Länder gemeinsam wid- men, wird mit dem jetzt eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes sichergestellt . Mit 8,2 Milliarden Euro steht ein Betrag ab 2016 zur Verfügung, der ab dem nächsten Jahr mit 1,8 Prozent jährlicher Steigerung dynamisiert wird . Er setzt sich zusammen aus 8 Milliarden Euro, die alle Bun- desländer nach dem Kieler Schlüssel aufteilen, und wei- teren 200 Millionen mit eigenem Verteilschlüssel für die ostdeutschen Bundesländer inklusive Berlin . Der Bund kommt damit seinem grundgesetzlichen Auftrag im Rah- men der Daseinsvorsorge vorbildlich nach . Dieser großartige Erfolg ist ein echtes Glanzstück, auf das die SPD-Bundestagsfraktion sehr stolz ist . Die Mittelsicherheit und ihre zweckgerechte Verwendung sichern die benötigten Investitionen in die Infrastruk- tur ebenso wie das hohe Niveau von Bestellungen und Leistungen . Wir haben den Betrag, der den Bundeslän- dern für die Durchführung ihrer Nahverkehre zufließt, um 900 Millionen Euro angehoben . Das sind mehr als 12 Prozent Aufwuchs gegenüber der Summe von 2014, dem letzten regulär aus dem Regionalisierungsgesetz von 1993 hergeleiteten Betrag . Die Dynamisierung liegt ab nächstem Jahr mit 1,8 Prozent ebenfalls über den ehe- dem 1,5 Prozent jährlich, mit denen die Regionalisie- rungsmittel vorher wuchsen . Die Regionalisierungsmittel des Bundes kompensie- ren den größten Anteil der Gesamtkosten des öffentlichen Schienenpersonennahverkehrs . 2014 wurden unter dem Vorgängergesetz aus Regionalisierungsmitteln 7,3 Milli- arden der insgesamt mehr als 10 Milliarden Euro auf- gewandt . Mit der neuen Regelung wird ein wichtiger Schritt zu einer zukunftssicheren Lösung getan . Die Länder haben sich mit dem Kieler Schlüssel eine neue, gegenüber dem alten Verteilschlüssel sachgerechtere Verteilung der Mittel untereinander geschaffen . Sie ba- siert auf den beiden wesentlichen Parametern „Einwoh- nerzahlen“ und „Zugkilometern“ und bietet damit ein besseres Abbild der tatsächlichen Bedarfslage . Der Kie- ler Schlüssel berücksichtigt natürlich, dass der Übergang von der bisherigen Verteilung auf die verabredeten Pro- portionen schrittweise erfolgen muss . Bis 2030 werden die prozentualen Anteile der Bundesländer langsam an den endgültigen Verteilschlüssel entgegengeführt . Den ostdeutschen Bundesländern steht ein zusätzlicher Betrag deshalb zur Verfügung, weil sie aus der Verteilung nach dem Kieler Schlüssel allein Einbußen hinnehmen müssten, die durch die ebenfalls jährlich um 1,8 Prozent wachsenden 200 Millionen Euro ausgeglichen werden . Die SPD-Bundestagsfraktion ist sehr zufrieden, dass da- mit jeder Eindruck einer Benachteiligung, den eine starre Anwendung des Kieler Schlüssels vermittelt hätte, ganz und gar unbegründet ist . Der NRW-Verkehrsminister Michael Groschek hat an dieser Stelle in einer frühe- ren Debatte zum Thema gesagt: „Wer das Problem der Regionalisierungsmittel zu einem Ost-West-Gegensatz konstruiert, will mit dieser Konstruktion nicht Probleme lösen, sondern er will sie für andere politische Zwecke instrumentalisieren .“ Weder den Menschen noch den Verkehren in Ost und West wird ein solcher Gegensatz gerecht . Das tatsächli- che Problem – die 200 Millionen Euro zusätzlich mildern es ab, reichen aber nicht, um es zu lösen – ist strukturell: Während im Westen vorhandene Schienenwege für den Fernverkehr auch regional den Raum gut genug erschlie- ßen, damit der Nahverkehr darauf bewegt werden kann, muss für die Versorgung im Osten diese Erschließung erst erfolgen – mithilfe einer dem eigentlichen Zweck der Regionalisierungsmittel fremden Verwendung . Jetzt herrscht Klarheit für die Bundesländer, für die Verkehrsunternehmen, für die Kommunen und am Ende für die Nutznießer des Nahverkehrs, die vielen Millio- nen Pendler . Wir schließen damit ein weiteres Kapitel aus dem Koalitionsvertrag erfolgreich ab, der 2013 die Revi- sion der Regionalisierungsmittel gefordert hatte . Damit der jetzt erzielte Erfolg nicht kannibalisiert werden kann, müssen die Trassen- und Stationspreise kontrolliert werden . Immerhin 40 Prozent der Regiona- lisierungsmittel werden für die Kosten der Nutzung von Schienenwegen und Bahnhöfen verwendet, das ist der größte Einzelfaktor in der Gesamtrechnung . Wir haben im Eisenbahnregulierungsgesetz Vorkehrungen getrof- fen, um mit einer gedeckelten Teuerungsrate der Trassen- preise kurzfristig wirksam zu verhindern . Nur mit einem wirksamen Regime lässt sich dafür sorgen, dass das Geld aus dem Regionalisierungsgesetz seinem eigentlichen Zweck dienen kann . Das wird auch in den nächsten Jah- ren stets neu zu justieren sein; denn der Regulierungs- druck ist unverändert hoch . Über allem steht das Ziel: mehr Verkehr, mehr Nahverkehr auf der Schiene . Herbert Behrens (DIE LINKE): Natürlich geht das Gesetz, wie man so schön sagt, in die richtige Richtung . Natürlich können wir von der Bundestagsfraktion Die Linke es – wohl gemeinsam mit allen anderen Fraktionen in diesem Parlament – nur begrüßen, wenn die Mittel für den Schienenpersonennahverkehr, SPNV, endlich erhöht werden . Schließlich – bzw . ein letztes Mal: natürlich – ist es richtig, wenn es diese 200 Millionen Euro als Schippe obendrauf gibt und damit diejenigen Bundesländer, die es bitter nötig haben, so im Westen das Saarland, Berlin und alle östlichen Bundesländer, einen gewissen zusätz- lichen Betrag für den SPNV erhalten . Insofern sagen wir Ja zu den neu bestimmten 8,2 Milliarden Euro, die 2016 als Regionalisierungsmittel aus dem Bundeshaushalt den Bundesländern zufließen werden. Jedoch gibt es aus unserer Sicht dreimal ein Aber, und dies mit wachsendem Nachdruck . Das erste Aber betrifft die Dynamisierung um jähr- lich 1,8 Prozent, und dies von 2017 bis zum Jahr 2031 . Nun hatten wir in den vergangenen Monaten ja fast keine Inflation mehr. An dieser kurzen Zeitspanne mögen die 1,8 Prozent jährliche Dynamisierung sich ganz gut an- fühlen . Andererseits hatten wir mehr als 35 Jahre lang erheblich hohe und weiter über den 1,8 Prozent liegende Raten der allgemeinen Preissteigerung . Selbst in den ver- gangenen Wochen gab es europaweit Anzeichen für ein Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 201619602 (A) (C) (B) (D) neues Anziehen der Inflation. Eine wesentliche Ursache für die niedrige Inflation ist der absurd niedrige Rohöl- preis, der zeitweilig bei weniger als 40 US-Dollar je Fass lag . Aktuell liegt er wieder bei über 50 Dollar . Er lag vor fünf bis sechs Jahren noch deutlich über 100 US-Dollar . Da mutet es schlicht grotesk an, wenn sich man für die nächsten 15 Jahre auf eine fixe Dynamisierungsmarge festlegt . Wesentlich einleuchtender wäre es doch, wenn man sagen würde: Die Regionalisierungsmittel werden entsprechend in dem Maß jährlich erhöht, wie sich ers- tens die offizielle, vom Bundesamt für Statistik ermittel- te jährlichen Preissteigerung erhöht, wobei zweitens der Anstieg der Entgelte für die Nutzung der Trassen, der Bahnhöfe und der Energie zu berücksichtigen ist und im korrekten prozentualen Umfang in die Höhe der Regio- nalisierungsmittel einfließen muss. Womit ich beim zweiten Aber bin, bei der Entwicklung der Entgelte für die Nutzung von Bahnhöfen, Trassen und Energie . Im Gesetzestext dazu heißt es diesbezüg- lich: „Die Dynamik des Anstiegs der Infrastrukturent- gelte, insbesondere der Stations- und Trassenentgelte im Schienenpersonennahverkehr …, ist nach Maßgabe des Eisenbahnregulierungsrechts zu begrenzen . Diese Formulierung enthält zwei gefährliche Unge- nauigkeiten . Was, bitte schön, heißt das „nach Maßgabe des Eisenbahnregulierungsrechts“? Das wird nirgendwo, auch nicht in der Begründung, ausgeführt . Es liegt nahe, dass damit die Formulierung, die „Dynamik des Anstiegs der Infrastrukturentgelte“ sei zu begrenzen, bereits rela- tiviert wird . Sodann: Es heißt ja nur, dass dieser Anstieg „zu begrenzen“ sei . Es gibt keinerlei Hinweis darauf, wie genau und wie stark begrenzt werden soll . Das ist doch die Öffnung eines Scheunentors: für massive Erhöhun- gen dieser Entgelte . Ich darf Sie darauf hinweisen, dass sich die Infra- strukturnutzungsentgelte in den letzten eineinhalb Jahr- zehnten mehr als doppelt so stark erhöht haben wie die Inflationsrate. Es waren doch diese massiv angestiege- nen Trassen- und Bahnhofsnutzungsmautgebühren, die in vielen Ländern die Möglichkeiten zur Bestellung von Schienenpersonennahverkehr einengten und gleichzei- tig den Druck auf die weichen Faktoren im SPNV, nicht zuletzt auf die Arbeitseinkommen der Beschäftigten und auf die Sozialstandards im SPNF-Bereich krass erhöh- ten . Obgleich all dies bekannt ist und obgleich wir in der Praxis erlebt haben, wie negativ sich diese massiv an- steigenden Infrastrukturnutzungsentgelte auf den SPNV auswirkten, wird auch in diesem neuen Gesetz zur Än- derung des Regionalisierungsgesetzes dem kein Riegel vorgeschoben . Ja, man sagt sehenden Auges, dass das bis 2031 so weiterlaufen könne . Wenn man als Gesetzgeber so etwas zulässt, dann wird die Deutsche Bahn AG als die Muttergesellschaft von DB Netz, von DB Station und Service und von der DB Energie GmbH dieses großzügi- ge Angebot weidlich nutzen und erneut die Spirale deut- lich gesteigerter Mauten in diesen Bereichen betreiben . Mein drittes Aber bezieht sich auf die pauschale „Se- ligsprechung“, die man im Begründungsteil des Gesetz- entwurfs lesen kann . Dort heißt es: „Das Gesetzesvor- haben trägt zu einer nachhaltigen Entwicklung bei und ist umfassend mit der Nachhaltigkeitsstrategie der Bun- desregierung vereinbar .“ Es bewirke, „dass die Schiene insgesamt gestärkt … wird“ . Dazu sage ich klipp und klar: Herr Dobrindt, werte Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und SPD: Genau dies wird nicht eintre- ten . Es gibt, wie dargelegt, die Möglichkeit einer deutlich höher als 1,8 Prozent im Jahr liegenden Inflationsrate. Es gibt sodann, wie ebenfalls dargelegt, dieses von den An- tragstellern bewusst in den Gesetzestext hineingebaute Scheunentor, wonach sich insbesondere die Entgelte für die Nutzung der Infrastruktur so schnell und derart stark erhöhen können, dass sie das Wachstum der Regionali- sierungsmittel mehr als wegfressen . Schließlich heißt es im Gesetzentwurf ausdrücklich, dass der Anstieg der genannten Entgelte „insbesondere … im Schienenpersonennahverkehr“ begrenzt werden müsse . Das heißt, dass diese Entgelte im besonderen Maß in den Bereichen Schienenpersonenfernverkehr und möglicherweise auch im Segment des Schienengüterver- kehrs stärker als im Schienenpersonennahverkehr steigen können und wohl steigen werden . Bedenken wir hier, wie kritisch die Situation gerade in diesen beiden Bereichen ist . Gerade hat die Deutsche Bahn AG gegen die heftigen Proteste von sehr vielen beschlossen, den Nachtreisezugverkehr am 11 . Dezem- ber 2016 komplett einzustellen . Dabei spielte bereits eine große Rolle, dass die viel zu hohen Entgelte für die Trassennutzung dieses Schienenverkehrssegment enorm belastete . Der klassische Schienenpersonenfernverkehr befindet sich aufgrund der Erfolge der Fernbusverkehre generell in einer extrem kritischen Lage . Worauf beruht dieser Erfolg der Linienbusverkehre? Doch eben zu ei- nem erheblichen Teil auf der Tatsache, dass diese keiner- lei Maut für die Nutzung der Straßen zu entrichten haben . Im Schienengüterverkehr ist die Lage ebenfalls extrem kritisch; die Deutsche Bahn AG hat beschlossen, einen größeren Teil der Güterbahnhöfe nicht mehr anzufahren, was zu einer weiteren Einschränkung des Schienengüter- verkehrs führen wird . All das zusammen heißt ganz eindeutig: Die Schie- ne wird in Gänze durch dieses Gesetz nicht gestärkt . Die Bundesregierung verstreicht mit dem Gesetz etwas wei- ße Salbe . Insgesamt kann ich nicht erkennen, dass damit eine Politik der Nachhaltigkeit betrieben und damit end- lich eine Verkehrswende eingeleitet werden . Stephan Kühn (Dresden) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das zähe Ringen um die Finanzierung des Nah- verkehrs auf der Schiene findet mit dem vorliegenden Entwurf zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes ein Ende . Endlich, ist man geneigt zu sagen . Vorangegangen ist ein in Teilen unwürdiges Gezerre zwischen Bund und Ländern; man hat gestritten wie die Kesselflicker. Aber immerhin: Der Einsatz für einen besseren Nahverkehr hat sich gelohnt . Es ist vor allem der Hartnäckigkeit der Länder zu verdanken, dass der Nahverkehr auf der Schie- ne jetzt nicht nur im Status quo gesichert ist, sondern vor allem in den Ländern mit wachsenden Ballungsräumen auch weiter ausgebaut werden kann . Bei Bundesver- kehrsminister Dobrindt hatte man lange Zeit den Ein- druck, dass ihn das Thema nicht interessiert und er die Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19603 (A) (C) (B) (D) Bedeutung der Mittel für einen attraktiven Nahverkehr nicht richtig einschätzt . Nur zur Erinnerung: Wir reden über die dem Volumen nach wichtigste Säule der deut- schen Nahverkehrsfinanzierung. Ich will in diesem Zusammenhang auch betonen, dass die Regionalisierung des Nahverkehrs auf der Schiene zu einer verkehrspolitischen Erfolgsgeschichte unseres Landes zählt . Wir Grüne wollen, dass diese Geschichte fortgeführt werden kann . Dazu brauchen wir neben einer auskömmlichen Finanzierung in anderen Bereichen noch die richtigen Weichenstellungen . Wir alle wissen: Das System Eisenbahn wird vom Fahrgast als Gesamtsystem wahrgenommen . Nahverkehr und Fernverkehr müssen ein eng verzahntes und abgestimmtes attraktives Sys- tem bilden . Es interessiert den Fahrgast nicht, welcher Aufgabenträger oder welches Verkehrsunternehmen für einen Zug die Verantwortung trägt . Bahnreisende wollen schnell und bequem von A nach B, und das möglichst zu günstigen Preisen . Im Kontrast zu der Entwicklung des SPNV steht aber leider die Entwicklung des Fernverkehrs abseits der Bal- lungsgebiete und Fernverkehrsmagistralen . Wir erleben seit Ende der 90er-Jahre einen Rückzug des Fernverkehrs aus der Fläche . Ganze Regionen und zahlreiche Groß- städte hat die Deutsche Bahn vollständig abgehängt, oder sie hat das Angebot drastisch reduziert . Die dadurch gerissenen Lücken im Angebot haben die Ländern bzw . Aufgabenträger durch Bestellung von Nahverkehrszügen geschlossen, soweit dies finanziell zu stemmen war. Wir reden hier – vor allem in Ostdeutschland – also von Fern- verkehrsersatzleistungen . Im Sinne der Bahnreform von 1993 war die Verwen- dung von Regionalisierungsmitteln dafür eigentlich nicht vorgesehen . Fernverkehr sollte eigenwirtschaftlich or- ganisiert werden . Mehr als 20 Jahre später lehrt uns die Entwicklung etwas anderes: Wir brauchen einen neuen Rahmen, wie wir ein Zielnetz im Fernverkehr absichern, das die wichtigsten Großstädte und Regionen im Takt anbindet . Die sogenannte Fernverkehrsoffensive der Deutschen Bahn ist ein erster richtiger Schritt; aber bis- her ist zweifelhaft, ob diese Planungen am langen Ende wirklich umgesetzt werden . Der Bund nimmt bisher jedenfalls keinen Einfluss auf die Gestaltung des Fern- verkehrsnetzes . Das muss sich aus unserer Sicht ändern . Wir müssen über neue Lösungen reden . Die bisher nur in Fachkreisen diskutierte Senkung der Trassenpreise kann Teil einer möglichen Lösung sein . Denn dann würde die Wirtschaftlichkeit zahlreicher eingestellter Verbindun- gen und heutiger RE-Verkehre in einem anderen Licht erscheinen . Lassen Sie mich auch noch etwas zur Infrastruk- tur sagen . Gute Angebote auf der Schiene brauchen gut ausgebaute Strecken und Knoten . Der Ausbau der Infra- struktur ist ja derzeit durch die Beratungen zum Bundes- verkehrswegeplan 2030 in aller Munde . Was aus unserer Sicht bisher zu kurz kommt, ist die weitere Elektrifizie- rung des Eisenbahnnetzes . Sicher haben es auch einige Elektrifizierungsvorhaben in den Vordringlichen Bedarf geschafft . Wir müssen aber allein aus klima- und ener- giepolitischen Gründen den Elektrifizierungsgrad des Schienennetzes, der heute bei 60 Prozent liegt, erhöhen . So hat es die Verkehrsministerkonferenz Anfang des Mo- nats auch gefordert . Natürlich sind bei diesen in Rede stehenden Strecken auch die Länder gefordert, ihren Teil zu den Investitionen beizutragen . Die Regionalisierungs- mittel erlauben solche Investitionen in die Infrastruktur . Neben den positiven Umwelteffekten von elektrifizierten Strecken wird infrastrukturseitig so eine Voraussetzung für die Wiederanbindung im Fernverkehr geschaffen . Enak Ferlemann, Parl . Staatssekretär beim Bundes- minister für Verkehr und digitale Infrastruktur: Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Vierten Änderung des Regio- nalisierungsgesetzes wird nun der noch ausstehende Teil der Einigung zwischen Bund und Ländern vorgelegt . Ich darf an die Situation im Herbst des vergangenen Jahres erinnern: Fast ein Jahr hatten Bund und Länder um eine Einigung beim Thema Regionalisierung gerun- gen, bevor sich die Vertreter von Bundestag und Bundes- rat im Vermittlungsausschuss einigten: Für das Jahr 2015 stiegen die Regionalisierungsmittel um 1,5 Prozent auf dann rund 7,4 Milliarden Euro . Horizontal wurden diese Mittel nach dem bisher gültigen Verteilerschlüssel des alten Regionalisierungsgesetzes verteilt . Ab 2016 stellte der Bund den Ländern dann 8 Milliarden Euro zur Verfü- gung, die dann ab 2017 und bis einschließlich 2031 um jährlich um 1,8 Prozent dynamisiert werden . Keine Einigung gab es jedoch bezüglich der horizon- talen Verteilung der Mittel unter den Ländern ab 2016, da kein gemeinsames Verständnis über den von den Ländern entwickelten „Kieler Schlüssel“ erzielt werden konnte . Um das Vermittlungsverfahren mit seinen übrigen Bau- steinen dennoch abschließen zu können, wurde die Eini- gung über die horizontale Verteilung der Mittel vertagt, wobei der Bund gemeinsam mit den Ländern unverzüg- lich eine Rechtsverordnung erarbeiten sollte . Die Diskussion unter den Ländern wurde dadurch noch einmal befeuert . Es gelang erst am 16 . Juni 2016 in einer Besprechung der Bundeskanzlerin mit den Re- gierungschefinnen und Regierungschefs der Länder, eine Lösung zu finden: Dies geschah, indem der „Kieler Schlüssel“ als Maßstab der Verteilung für die 8,0 Milli- arden Euro akzeptiert und gleichzeitig die Mittel ab 2016 noch einmal um 200 Millionen Euro erhöht wurden, um damit die Nachteile der ostdeutschen Bundesländer und des Saarlandes auszugleichen . Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen und das Saarland hätten sonst gegenüber der ursprünglichen Verteilung unverhältnismäßig hohe Verluste hinnehmen müssen . Selbstverständlich werden auch die zusätzlichen Regionalisierungsmittel jährlich mit 1,8 Prozent dynamisiert . In Übereinstimmung mit dem Beschluss bei der Be- sprechung der Bundeskanzlerin mit den Regierungs- chefinnen und Regierungschefs der Länder haben die betroffenen Bundesländer dem BMVI dann den Vertei- lungsschlüssel für die zusätzliche Summe von 200 Milli- onen Euro mitgeteilt . Erst dann lagen in unserem Hause alle notwendigen Informationen vor, um einen neuen Ge- setzentwurf zu erarbeiten und im Ressortkreis abzustim- men . Mit dem Gesetzentwurf werden nun rückwirkend Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 201619604 (A) (C) (B) (D) zum 1 . Januar 2016 und bis einschließlich 2031 die Höhe und die horizontale Verteilung der Regionalisierungsmit- tel geregelt . Im Rahmen der Länder- und Verbändeanhörung zum Referentenentwurf haben uns verschiedene Stellung- nahmen der Länder erreicht, die auf eine Überarbeitung und Konkretisierung des Verwendungsnachweises – jetzt Anlage 3 des Gesetzentwurfes – zielten . Auch für mein Haus ist es von Bedeutung, dass der Nachweis über die Verwendung der Mittel transparent, aber gleichzeitig mit so geringem Aufwand wie möglich erfolgen kann . Wir haben daher diese Hinweise aufgenommen und den Ver- wendungsnachweis redaktionell angepasst . Es wurden mit diesem Gesetzentwurf jedoch keine inhaltlichen Anpassungen des Verwendungsnachweises vorgenommen . Im Gegenteil: Es sind nur die Daten und Informationen zu den Verkehrsverträgen angefordert, auf die sich der Vermittlungsausschuss geeinigt hatte und die bereits in der vorangegangenen Gesetzesnovelle von Bundestag und Bundesrat beschlossen wurden . Zum weiteren Verfahren möchte ich ergänzen: Wir haben diesen Gesetzentwurf als besonders eilbedürftig im Sinne von Artikel 76 Absatz 2 Satz 4 GG deklariert, um die Fristen im Gesetzgebungsverfahren verkürzen zu können . Dies ist entscheidend, damit wir noch in diesem Jahr das neue Regionalisierungsgesetz verkünden kön- nen . Erst dann ist die gesetzliche Grundlage vorhanden, um die entsprechenden Auszahlungen an die Länder vor- nehmen können, was bisher nur unter Vorbehalt gesche- hen ist . Auch diese Auszahlungen sollten noch im laufen- den Jahr 2016 zugunsten der Länder erfolgen . Ich hoffe daher auf Ihre Unterstützung und zähle auch auf die Unterstützung der Länderkollegen, damit wir die- ses Vorhaben nun zügig abschließen können . Es ist gutes Gesetz für den Nahverkehr in Deutschland . Anlage 10 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung (Tagesordnungspunkt 24) Uwe Feiler (CDU/CSU): Die Schwarzarbeit ist so alt wie die Steuer oder die Sozialversicherung selbst . Schon immer gab es neben den vielen ehrlichen Steuerzahlen vermeintlich Findige, die sich auf Kosten der Gemein- schaft bereichern wollten. Sei es aus finanzieller Not oder reinem Profitstreben – Schwarzarbeit ist keine Bagatelle, sondern schädigt uns alle, oft aber auch diejenigen, die in diesen illegalen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten . Sie sind nicht renten-, kranken- und unfallversichert und entziehen den öffentlichen Haushalten und Sozialversi- cherungsträgern wichtige Einnahmen . Weiterhin verzerrt Schwarzarbeit den Wettbewerb, indem durch den Betrug Vorteile gegenüber den rechtschaffenden Unternehmen erschlichen werden . Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwal- tung des Bundes hat in den vergangenen Jahren große Fortschritte bei der Bekämpfung der illegalen Beschäfti- gung erzielt . Dennoch sind weitere gesetzliche Regelun- gen notwendig, um der kriminellen Energie noch wirk- samer entgegentreten zu können, Schnittstellenprobleme zu minimieren und durch eine leistungsfähige IT-Infra- struktur die Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden bei ihrer wichtigen Arbeit zu unterstützen . Der vorliegen- de Gesetzentwurf knüpft dabei an drei Punkten an . Erstens . Durch die Novellierung des Schwarzarbeits- bekämpfungsgesetzes wollen wir ein neues IT-Verfahren einführen, das erstmals mit einer einheitlichen Datenbank ein zentrales Informationssystem darstellt . Außerdem wollen wir den Landesbehörden eigene Prüfungsbefug- nisse einräumen, damit sie ihre Aufgaben nach den hand- werks- und gewerberechtlichen Bestimmungen besser wahrnehmen können . Das beinhaltet auch, gemäß § 21 Absatz 1 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes, Be- triebe nicht mehr nur von der Vergabe öffentlicher Bau- aufträge auszuschließen, sondern auch von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen, da Schwarzarbeit zwar häufig im Baugewerbe anzutreffen ist, aber auch die Dienstleis- tungsbranche nicht frei davon ist . Zweitens . Wir stärken die Zollverwaltung, indem wir ihr über die Ahndung von Meldeverstößen hinaus auch die Verfolgung von Tatbeständen zuweisen, die bisher von der Einzugsstelle gemäß § 112 Absatz 1 Nummer 4 des SGB IV wahrgenommen wurden . Damit führen wir beim Zoll sowohl das Prüfungs- als auch das Ermitt- lungsverfahren zusammen . Drittens . Mit einer Änderung des Straßenverkehrs- gesetzes erhält auch die Finanzkontrolle Schwarzarbeit Zugriff auf den automatisierten Zugriff von Fahrzeug- und Halterdaten von Kraftfahrzeugen . Schon jetzt fragt der Zoll zum Abgleich von melde- und sozialversiche- rungsrechtlichen Angaben beim Kraftfahrt-Bundesamt Informationen ab . Bisher musste jede Anfrage manuell bearbeitet werden, was sich in der Praxis als langsam und fehleranfällig erwies . Der automatische Austausch wird die Arbeit für beide Seiten stark vereinfachen . Offen gezeigt hat sich die Bundesregierung unter an- derem auch für Anregungen des Bundesrats, auch das Personenbeförderungsgewerbe mit zu erfassen und die nach Landesrecht zuständigen Behörden in den Kreis der Kooperationsbehörden mit aufzunehmen . Diesen Vor- schlag unterstütze ich ausdrücklich . Mit diesem Gesetz stärken wir den Zoll in seinem Bemühen, Schwarzarbeit zu bekämpfen, Steuer- und Sozialversicherungsbetrug zu bekämpfen und den Infor- mationsaustausch zwischen den beteiligten Bundes- und Landesbehörden auszubauen . Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Schwarzarbeit ist un- sozial: Dem Staat werden Steuern und Sozialabgaben vorenthalten, und gesetzestreue Unternehmen können im Wettbewerb gegen die illegal handelnden Anbieter, die oft erheblich günstigere Angebote abgeben, nicht beste- hen und werden so in ihrer Existenz bedroht . Dies führt Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19605 (A) (C) (B) (D) zum Verlust von legalen Arbeitsplätzen und verhindert die Schaffung neuer legaler Arbeitsplätze . Zusätzlich schädigen illegale Beschäftigungsverhält- nisse rechtstreue Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die mit ihren Sozialversicherungsbeiträgen die entstehen- den Ausfälle ausgleichen müssen . Die Bekämpfung der Schwarzarbeit ist daher ein zentrales Anliegen der Bun- desregierung, das wir im Koalitionsvertrag festgelegt haben . Das jetzt vorgelegte Gesetz zur Stärkung der Bekämp- fung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung verbessert die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Prüfungs- und Ermittlungstätigkeiten der Finanzkontrol- le Schwarzarbeit und der zuständigen Landesbehörden und schafft die Voraussetzungen für die Optimierung der informationstechnologischen Ausstattung der Fi- nanzkontrolle . Es stellt somit einen weiteren Baustein des wichtigen Zieles dar, die Rahmenbedingungen zur Schwarzarbeitsbekämpfung zu verbessern . Eine wesentliche Neuregelung ist die Schaffung eines neuen zentralen Informationssystems, das die bislang verwendete Zentrale Datenbank ersetzen soll . Vorgangs- bearbeitung und -verwaltung durch die Zollverwaltung sollen sich dadurch effizienter gestalten, und Informati- onen sollen sich besser verknüpfen lassen können . Dem Zoll soll es künftig möglich sein, mithilfe der neuen Da- tenbank vor Ort rascher Abfragen und Analysen durch- zuführen . Die neue Datenbank ermöglicht zum Beispiel auch einen Zugriff auf Berichte und Statistiken zu Ver- stößen gegen das Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz . Der Zoll kann so effektiver reagieren . Die bessere Da- tenstruktur dient dem Ziel, die Erfolgsaussichten der Er- mittlungstätigkeiten der Finanzkontrolle Schwarzarbeit zu erhöhen . Der Gesetzentwurf weitet zudem die Verfolgungszu- ständigkeit der Zollverwaltungsbehörden aus, und zwar auf die Fälle, in denen die Zollbehörden bei einem Prü- fungs- und Ermittlungsverfahrens Ordnungswidrigkeiten festgestellt haben . Verstöße gegen das Schwarzarbeitsge- setz mit Bußgeldern können künftig durch die Behörden der Zollverwaltung im Ordnungswidrigkeitsverfahren selbst verfolgt werden . Das trägt wesentlich zur Verfah- rensvereinfachung bei, da auf diese Weise die von den Kontrolleuren der Finanzkontrolle Schwarzarbeit festge- stellten Meldeverstöße bei der Zollverwaltung gebündelt und der Verwaltungsaufwand damit reduziert werden kann . Der Bundesrat hat in seiner Stellungahme Ergänzun- gen vorgeschlagen . Die nach Landesrecht zuständigen Behörden sollen beim Personenbeförderungsgewerbe stärker in die Zusammenarbeit mit den Zollverwaltungen eingebunden werden . Das halte ich für absolut richtig, denn Taxi-, Miet- und Ausflugsverkehrsgewerbe sind be- sonders von Schwarzarbeit betroffen . Künftig soll es den zuständigen Landesbehörden zudem möglich sein, Ord- nungswidrigkeiten, die in ihren Geschäftsbereich fallen, also die Bekämpfung der Handwerks- und der gewerb- lichen Schwarzarbeit, zu ahnden . Die Bundesregierung stimmte den Anregungen der Länder zu . Ein weiteres Anliegen der Länderkammer, nämlich die Möglichkeit einer automatisierten Abrufmöglichkeit für Daten aus dem Zentralen Fahrzeugregister, wird derzeit noch ge- prüft . Der Zentralverband des Deutschen Handwerks, ZDH, der Zentralverband Deutsches Baugewerbe, ZDB, der Deutsche Gewerkschaftsbund, DGB, der Deutsche Be- amtenbund, dbb, der Bund der Deutschen Zollbeamten, BDZ, sowie der Deutsche Städtetag und der Deutsche Landkreistag haben die Regelungen des Gesetzesent- wurfs überwiegend begrüßt . Auf Wunsch des BMF soll zudem eine Befreiung bei der Kraftfahrzeugsteuer klarstellend in das Gesetz mit aufgenommen werden . Die Befreiung beruht auf einer EU-Richtlinie aus dem Jahr 1983 – 1983! –, die der Ver- meidung der Doppelbesteuerung in mehreren EU-Mit- gliedstaaten dient . Diese wurde bei uns bisher nur durch Verwaltungsvorschriften, etwa durch Erlasse, berück- sichtigt . Die Befreiung betrifft die vorübergehende Nutzung von Personenfahrzeugen im Inland durch Privatpersonen aus anderen EU-Mitgliedstaaten . Diese sind in bestimm- ten Fällen steuerbefreit, zum Beispiel bei befristeter be- ruflicher Nutzung oder durch Studenten und dauerhaft bei Berufspendlern . Die EU-Kommission hat deswegen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland an- gekündigt . Mit der rein technischen klarstellenden An- passung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes wird das Ver- tragsverletzungsverfahren verhindert werden . Insgesamt besteht in nahezu allen Regelungsbereichen des Gesetzentwurfes bereits Konsens zwischen Bund und Ländern . Daher bin ich optimistisch, dass wir die Beratungen des Gesetzentwurfes in den Parlamentsgre- mien in den nächsten Wochen ohne Verzögerung rasch abschließen können . Richard Pitterle (DIE LINKE): Für das Jahr 2016 gehen Schätzungen davon aus, dass Schwarzarbeit im Wert von 336 Milliarden Euro in Deutschland erbracht wird . Das entspricht ungefähr 70 Milliarden Euro Ein- nahmeausfällen des Staates bei Steuern und Sozialversi- cherung . Mit Fug und Recht muss man sagen: Schwarz- arbeit ist kein Kavaliersdelikt, sondern Kriminalität, die allen schadet . Nun ist das aber kein neues Phänomen . So beraten wir heute einen Gesetzentwurf mit dem ambi- tionierten Ziel, die Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung zu stärken . Zweifellos ist das dringend nötig . Vor 14 Jahren betrug das Volumen der Schwarzarbeit 350 Milliarden Euro . Das ist nur scheinbar mehr als heute . Aber Schwarzarbei- ter führen keine Bücher, sodass nur der Befund bleibt: Es hat sich nichts geändert . Schlimmer noch: Das derzeitige Vorgehen gegen Schwarzarbeit entpuppt sich als voll- kommen ineffektiv . Nach der amtlichen Statistik für das Jahr 2015 der Zollverwaltung, die für die Bekämpfung zuständig ist, wurden 130 000 Ermittlungsverfahren ein- geleitet, 43 000 Arbeitgeber geprüft, 360 000 Befragun- gen durchgeführt und eine Schadenssumme von knapp 1 Milliarden Euro aufgedeckt . Das klingt nach viel, ent- spricht aber nur einer Aufklärungsquote im unteren ein- stelligen Prozentbereich . Dieser Befund ist erschütternd . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 201619606 (A) (C) (B) (D) Das von SPD und Grünen 2004 vollmundig auf den Weg gebrachte reformierte Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung kann nur als gescheitert betrachtet werden . Der vorliegende Entwurf wird daran nichts ändern . Natürlich begrüßen wir, dass Sie das Gesetz um in der Praxis irrelevante Ordnungswidrigkeiten und Strafnor- men bereinigen . Aber das machen Sie nicht konsequent . Ob Gewerbeordnung, Handwerksordnung oder Mindest- lohngesetz, all diese Gesetze enthalten bereits Ordnungs- widrigkeiten und Strafnormen, die nicht wiederholt wer- den müssen . Natürlich beglückwünschen wir Sie auch zu der Er- kenntnis eines Jurastudenten im zweiten Semester, dass im Verwaltungsrecht Aufgabennorm nicht gleichbedeu- tend mit Befugnisnorm ist, wenn Sie mit dem vorliegen- den Entwurf nun nach zwölf Jahren endlich den adres- sierten Ordnungsbehörden auch Rechte zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben einräumen . Natürlich sind wir beeindruckt, dass Sie es nach mehr als einem halben Jahr schon schaffen, eine Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen auch in diesem Gesetz nachzuvollziehen . Den Rechtsanwender freut es; denn nun verweist § 21 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgeset- zes bald nicht mehr ins rechtliche Nirvana . Wie so oft in der Regierungszeit der großen Koalition aus SPD und CDU/CSU ist auch hier bereits der Titel nur eine Mogelpackung . Er soll darüber hinwegtäuschen, dass es sich nur um einen Minimalkonsens ohne ernst- haften Regelungsgehalt für einen weiteren Haken im Koalitionsvertrag handelt . Der weitaus größte Teil der Schwarzarbeit wird in Form organisierter Kriminalität und rund um das Baugewerbe geleistet . Vor diesem Hin- tergrund war schon der Ansatz des Gesetzgebers 2004 vollkommen falsch, mit „Öffentlichkeitsarbeit“ und der Schaffung eines „Unrechtsbewusstseins in der Bevölke- rung“ Schwarzarbeit bekämpfen zu wollen . Der organisierten Kriminalität sind Ihre Öffentlich- keitsarbeit und das Unrechtsbewusstsein der allgemeinen Bevölkerung völlig schnuppe, wie nicht zuletzt die Zah- len belegen. Solange Sie aber die hochqualifizierten Be- amten des Zolls vergessene Gewerbeanmeldungen und verpennte Reisegewerbekarten prüfen lassen, solange der Häuslebauer mit seinem Handwerker ohne Meisterbrief im Fokus der Ermittlungen steht und als „Schwarzarbei- ter“ genauso behandelt und kriminalisiert wird wie Men- schenhändler und Sklavenhalter auf Großbaustellen, ist der Kampf gegen Schwarzarbeit verloren . Nur wenn die begrenzten personellen und sachlichen Ressourcen mit Blick auf das organisierte Verbrechen gebündelt werden, wird sich auch ein Erfolg im Kampf gegen die Schwarz- arbeit einstellen . Dafür ist aber Ihr Gesetzentwurf völlig ungeeignet . Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Be- kämpfung der Schwarzarbeit ist ein besonders wichtiges Anliegen; denn Schwarzarbeit stellt in unserer Gesell- schaft ein großes Problem dar . Sie schadet der Volks- wirtschaft und der Allgemeinheit: unter anderem durch Steuerhinterziehung und Beitragsausfälle bei den So- zialversicherungen . Der Gesetzentwurf weist zu Recht auf die Wettbewerbsverzerrungen hin, die durch unred- liche Arbeitgeber ausgelöst werden, also durch Arbeit- geber, die keine Steuern und Sozialversicherungen auf den Lohn ihrer Mitarbeiter abführen . Mit den so entste- henden Dumping-Löhnen können ehrliche Arbeitgeber kaum mithalten . Schwarzarbeit vernichtet ehrliche Jobs bzw . lässt sie gar nicht erst entstehen . Das Ziel des vorlie- genden Gesetzentwurfs unterstützen wir daher uneinge- schränkt . Die wichtige Arbeit des Zolls, neben dem, dass er im Übrigen im Jahr 2015 mit fast 133 Milliarden Euro rund die Hälfte der Steuern des Bundes eingenommen hat, wird hoffentlich dadurch weiter verbessert . Bei meinem Besuch bei der Finanzkontrolle Schwarz- arbeit in Berlin im vergangenen Jahr konnte ich mir per- sönlich ein Bild von der Arbeit der Beamten machen . Ich konnte sie direkt vor Ort bei einem Einsatz auf einer Großbaustelle begleiten . Beeindruckt war ich von dem effektiven und organisierten Vorgehen . Was ich aber auch mitgenommen habe, ist, dass ein Abgleich von Daten in Verdachtsfällen derzeit noch Schwierigkeiten bereitet . Das Anliegen des Gesetzentwurfs, die IT-Ausstattung zu verbessern, um einen reibungslosen und vor allem zeitsparenden Einsatz zu ermöglichen, halte ich eben- falls für notwendig . Nach meinem Kenntnisstand erfolgt derzeit zum Beispiel eine Abfrage beim Kraftfahrt-Bun- desamt zu Autohaltern noch per Faxgerät . Zeitnahe Er- gebnisse sind so selbstverständlich nicht zu erwarten . Ein automatisiertes Abrufverfahren beim Kraftfahrt-Bundes- amt ist richtig . Es kann zu einer Zeitersparnis führen, die die Arbeit der Beamten entscheidend effektiviert . Im Zusammenhang mit dem angekündigten Aufbau eines einheitlichen Datenbanksystems und der Imple- mentierung eines neuen IT-Systems werden wir Grüne selbstverständlich besonderen Wert auf den Datenschutz legen . Auch bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit ist es wichtiger, die richtigen Daten zu sammeln und sinnvoll auszuwerten, als möglichst viele Daten zu erheben . Die Arbeit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit würde aber außer von diesem Gesetz auch entscheidend davon profitieren, wenn Bundesfinanzministerium und CDU/ CSU endlich ihren Widerstand gegen die technikneutrale Zulassung von manipulationssicheren Registrierkassen aufgeben würden . Das laufende Gesetzesverfahren dazu droht aus unserer Sicht zur Farce zu verkommen . Dabei ist klar: Viel Arbeit bliebe der Finanzkontrolle erspart, viel Unterstützung würden die neuen Belege bei der Ver- folgung von Schwarzarbeit bedeuten . Außerdem werden die vorhergesagten positiven Wir- kungen des vorliegenden Gesetzentwurfs sicher verpuf- fen, wenn die Personalausstattung der Finanzkontrolle Schwarzarbeit nicht angepasst wird . Wie wir wissen, ist zur Überwachung der branchenspezifischen Mindestlöh- ne ab 2015 die Überprüfung der flächendeckenden ge- setzlichen Mindestlöhne dazugekommen – eine giganti- sche Aufgabe . Aber die Personalbesetzung und -planung passt nicht dazu . Von 6 865 Planstellen sind 545 derzeit nicht be- setzt . Zählt man die Mitarbeiter hinzu, die an andere Be- hörden ausgeliehen waren, so fehlen heute schon über Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19607 (A) (C) (B) (D) 700 Beamte . Von den 1 600 neuen Stellen zur Überwa- chung der Mindestlöhne ist nach unserer Kenntnis bis heute keine einzige besetzt . Diese neuen Stellen sollen erst ab 2017 zur Verfügung gestellt werden . Realistisch geschätzt kann mit etwa 160 Neueinstellungen pro Jahr gerechnet werden . Das ist zu wenig, um die Überlastung der FKS abzumildern . Wenn der Gesetzentwurf jetzt noch behauptet, dass etwaiger Mehrbedarf an Perso- nalmitteln innerhalb der vorhandenen Kapazitäten auf- gefangen werden kann, dann sage ich Ihnen: Das kann und wird nicht funktionieren . Hier müssen Sie dringend nachbessern, und zwar sowohl bei den Stellen als auch bei den Ausbildungskapazitäten . Dr. Michael Meister, Parl . Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Die Bekämpfung der Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung war und ist eine wichtige gesamtgesellschaftliche Aufgabe . Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung vernichten dauerhaft legale Arbeitsplätze, erhöhen damit die Ar- beitslosigkeit und bringen den Staat um Steuern und die Sozialversicherungen um Beiträge . Für die Bekämpfung von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung ist in Deutschland im Wesentlichen – aber nicht nur – die Fi- nanzkontrolle Schwarzarbeit der Bundeszollverwaltung zuständig . Grundlage für ihre Tätigkeit ist das Schwarz- arbeitsbekämpfungsgesetz . Im Koalitionsvertrag für diese Legislaturperiode wurde vereinbart, zur Verbesserung der Bekämpfung des Sozialversicherungsbetrugs, der Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung die rechtlichen Rahmenbe- dingungen im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz und in der Gewerbeordnung sowie die personelle und in- formationstechnologische Ausstattung der Finanzkon- trolle Schwarzarbeit zu verbessern und wirkungsvoller auszugestalten . Als ein erster Baustein zur Umsetzung dieses Auftrages wurden im Jahr 2014 zum Beispiel die Gewerbeämter als Zusammenarbeitsbehörden der Fi- nanzkontrolle Schwarzarbeit in das Schwarzarbeitsbe- kämpfungsgesetz aufgenommen . Zeitgleich wurde in der Gewerbeanzeigeverordnung eine Regelung eingeführt, die eine effektivere Bekämpfung der Scheinselbststän- digkeit ermöglicht . Die Gewerbebehörden sind nun be- fugt, etwaige Anhaltspunkte auf Scheinselbstständigkeit oder sonstige Erkenntnisse auf Schwarzarbeit an den Zoll zu übermitteln . Seit dem 1 . Januar 2015 gilt der allgemeine gesetzli- che Mindestlohn . Die Überprüfung der Einhaltung dieser Pflicht ist der Finanzkontrolle Schwarzarbeit übertragen worden . Vor dem Hintergrund dieses Aufgabenzuwach- ses sind der Zollverwaltung in einem zweiten Baustein im Bundeshaushalt 2015 insgesamt 1 600 zusätzliche Planstellen zuerkannt worden, die in den Haushaltsjahren 2017 bis 2022 zur Verfügung gestellt werden . Die per- sonelle Ausstattung der Finanzkontrolle Schwarzarbeit wird damit an den Aufgabenzuwachs angepasst . Im Zusammenhang mit der Einführung des gesetzli- chen Mindestlohns hat die Finanzkontrolle Schwarzar- beit auch die Schwerpunkte ihrer Tätigkeit neu definiert. Im Fokus der Aufgabenwahrnehmung steht neben der Prüfung aller Mindestlohnpflichten die Verfolgung or- ganisierter Formen der Schwarzarbeit . Die oftmals kom- plexen Prüf- und Ermittlungsverfahren erfordern ebenso wie umfangreiche Mindestlohnprüfungen einen hohen zeitlichen Aufwand . Um diesen Weg jetzt konsequent weiterzuverfolgen, hat der Ihnen vorliegende Gesetzentwurf – nunmehr als dritter Baustein – mit Änderungen im Schwarzarbeitsbe- kämpfungsgesetz, aber auch im Vierten Buch Sozialge- setzbuch und im Straßenverkehrsgesetz die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Bekämpfung von Schwarzar- beit und illegaler Beschäftigung weiter zu verbessern . Im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz müssen vor allem die rechtlichen Grundlagen für eine zukunftsfähige informa- tionstechnologische Ausstattung der Zollverwaltung im Bereich Finanzkontrolle Schwarzarbeit geschaffen wer- den . Ein modernes IT-Verfahren, das bei der täglichen Aufgabenerfüllung den fachlichen und technischen An- sprüchen und Anforderungen gerecht wird, ist selbstver- ständlich auch für die Zöllnerinnen und Zöllner der FKS unerlässlich . Daneben ist es wichtig, auch anderen mit der Bekämpfung von Schwarzarbeit beauftragten Stellen wirkungsvollere Instrumente an die Hand zu geben . Ich sagte es eingangs: Nicht nur die Zollverwaltung ist bei der Bekämpfung der Schwarzarbeit aktiv . Durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit den in die Bekämpfung der Schwarzarbeit und illegalen Beschäfti- gung involvierten anderen Bundes- und vor allem Lan- des- und Kommunalbehörden erhöht die Finanzkontrolle Schwarzarbeit bereits seit Jahren den Verfolgungsdruck . Zudem haben die nach Landesrecht zuständigen Kom- munalbehörden eigene Aufgaben nach dem Schwarz- arbeitsbekämpfungsgesetz . Die Bekämpfung der hand- werks- und gewerberechtlichen Schwarzarbeit fällt in ihren Zuständigkeitsbereich . Wer Dienst- oder Werkleis- tungen erbringt und seiner Pflicht zur Anzeige seines Ge- werbes nicht nachkommt, verrichtet Schwarzarbeit . Wer ein Handwerk selbstständig betreibt, ohne in die Hand- werksrolle eingetragen zu sein, verrichtet Schwarzarbeit . Um auf diesem Gebiet wirkungsvoller agieren zu kön- nen, erhalten die nach Landesrecht zuständigen Behörden nunmehr passend zu ihren Aufgaben im Schwarzarbeits- bekämpfungsgesetz an dieser Stelle eigene Befugnisse . Zur Überprüfung Gewerbetreibender sind auch sie künf- tig befugt, Grundstücke zu betreten und dort tätige Perso- nen zu ihrer Tätigkeit zu befragen . Flankierend erfolgt eine Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch . Hier wurde ein Wunsch aus der Er- mittlungspraxis der Finanzkontrolle Schwarzarbeit auf- gegriffen . So sind die Zöllnerinnen und Zöllner künftig auch für die Ahndung von sozialversicherungspflichtigen Meldeverstößen zuständig, wenn die Verstöße erst in ei- nem bereits laufenden Ermittlungsverfahren aufgedeckt werden. Dies erhöht die Effizienz des Verwaltungshan- delns . Bislang mussten diese Verfahren an die Einzugs- stellen der Krankenkassen zur weiteren Bearbeitung ab- gegeben werden . Durch die Änderung des Straßenverkehrsgesetzes erhält die Finanzkontrolle Schwarzarbeit zudem einen automatisierten Zugriff auf das Zentrale Fahrzeugregis- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 201619608 (A) (C) (B) (D) ter des Kraftfahrt-Bundesamtes . Den Bediensteten der Finanzkontrolle Schwarzarbeit stehen wichtige Informa- tionen künftig unmittelbar zur Verfügung . Damit werden Prüfungen und Ermittlungen besonders in für Schwarz- arbeit und illegale Beschäftigung anfälligen Branchen schneller und vor allem zielgerichteter und wirkungsvol- ler . Sie sehen, wir haben die Bekämpfung von Schwarz- arbeit und illegaler Beschäftigung in Deutschland in den letzten Jahren erfolgreich intensiviert . Ich bin zuversicht- lich, dass uns dies mit dem vorliegenden Gesetzentwurf weiter gelingen wird . Ich freue mich daher auf die Beratungen in den Fach- ausschüssen . Anlage 11 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung (Tagesordnungs- punkt 25) Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU): Mit seinem Urteil vom 9 . Juni 2016, Aktenzeichen IX ZR 314/14, mag der Bundesgerichtshof ein rechtlich nicht zu beanstandendes Urteil gesprochen haben; ob die Lösung volkswirtschaft- lich und politisch richtig war, gilt es in diesem Haus zu entscheiden, und es gilt, diese dann gegebenenfalls zu korrigieren . Ich darf in Erinnerung rufen: Der BGH hat in sei- nem Urteil die Verwendung bestimmter sogenannter Close-out-Netting-Clauses, also insolvenzrechtlicher Lösungsklauseln mit Saldoausgleich, für unwirksam er- klärt . Damit hat der IX . Zivilsenat des BGH deutlich ei- nes der Grundprinzipien des deutschen Insolvenzrechts, nämlich die Entscheidung über die Betriebsfortführung in die Hände des Insolvenzverwalters zu legen, unter- strichen . § 103 der Insolvenzordnung, der dieses Prinzip postuliert, ist auch völlig richtig und wichtig: Es muss in der Hand des Insolvenzverwalters liegen, welche Verträ- ge eines insolventen Unternehmens fortgeführt werden und welche nicht . Würde man diese Entscheidung in die Hände der Gläubiger legen oder grundsätzlich eine auto- matische Vertragsbeendigung mit Eintritt der Insolvenz zulassen, dann hätte das insolvente Unternehmen weder Kunden noch Lieferanten und müsste mangels mögli- chen Geschäftsbetriebs in jedem Fall gleich abgewickelt, sprich: zerschlagen, werden . Die von § 1 Insolvenzord- nung deutlich intendierte Betriebsfortführung verbunden mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen wäre unmöglich . So richtig diese beiden Prinzipien wirken und auch sind, so wichtig sind an dieser Stelle jedoch die Ausnah- me des § 104 Insolvenzordnung und die Möglichkeit, in bestimmten Fällen gegenseitige Forderungen über die Möglichkeit der echten Aufrechnung hinaus, § 94 Insol- venzordnung, zu verrechnen und auch Verträge mit Ein- tritt der Insolvenz enden zu lassen . Lassen Sie mich mit dem letzten Punkt beginnen: Deutsches, europäisches und internationales Banken- aufsichtsrecht sehen vor, dass bei Verwendung von Ver- trägen, welche sogenannte Close-out-Netting-Clauses enthalten, nur eine geringere Höhe von Eigenkapital vor- gehalten werden muss . Das ist auch richtig: Weil im Fal- le einer Insolvenz nur ein negativer Saldo und nicht die Summe einzelner Forderungen abfließen kann, hält die Aufsicht solche Verträge für die entsprechenden Banken für weniger risikoreich als solche ohne diese Klauseln . Eine Fortführung der Geschäfte ohne Netting-Klauseln würde entsprechend als risikoreicher bewertet, ohne dass sich durch die Klausel am tatsächlichen Risiko des Ge- schäfts etwas ändert . Nachdem wir gerade erreicht haben, dass die Kapital- ausstattung deutscher Banken wieder ausreichend ist und weitere gesamtwirtschaftliche Krisen aktuell nicht zu er- warten sind, wäre es sicher unangemessen, nur im Hin- blick auf eine andere Beurteilung von Vertragsklauseln einen Zwang für Banken zu begründen, ihr Eigenkapital nun zu erhöhen, nur um ihre bisherigen Geschäfte fort- führen zu können; man rechnet mit 1 bis 2 Prozentpunk- ten . Die dadurch unnötig steigenden Finanzierungskos- ten für Kreditinstitute lassen sich auch mit Blick auf die mittelbaren Folgen für Bankkunden kaum rechtfertigen . Nun könnte man sagen: Dann passen Sie doch das Aufsichtsrecht der Realität der Verträge an . Allerdings: Eine solche deutsche Lösung wäre eine Insellösung und würde hier nicht helfen: Denn nach Artikel 9 der Euro- päischen Insolvenzverordnung bzw . § 340 Absatz 1 In- solvenzordnung könnten dann Banken über die Nutzung eines ausländischen Marktes ausländisches Recht wählen und somit dem Finanzplatz Deutschland faktisch den Rü- cken kehren . Dies wäre vor allem zum Nachteil der deut- schen Realwirtschaft mit schlechteren Finanzierungs- möglichkeiten, ganz zu schweigen davon, dass dann auch die entsprechenden Verträge nicht mehr in Deutschland gemacht würden . Ob sich jedoch auch Gründe finden, auch außerhalb des regulierten Finanzbereichs insolvenzrechtliche Lö- sungsklauseln mit Saldoausgleich zuzulassen, wird im Laufe dieses Gesetzgebungsverfahrens noch zu erörtern sein . Völlig nachvollziehbar ist dabei die Forderung der Energie-, aber auch der Realwirtschaft, die infolge des Urteils des BGH vom 15 . November 2012, Aktenzeichen IX ZR 169/11, entstandene Unsicherheit zu beheben . Hier stehen nicht aufsichtsrechtliche Fragen im Mittel- punkt, sondern die Frage, inwieweit Handelsgeschäfte in volatilen Märken sinnvoll abgesichert werden können . Hier ist es in Bezug auf ein mögliches Insolvenzver- fahren von großer Bedeutung, ob Einzelforderungen oder nur der Saldo aus diesen Forderungen besichert werden muss . Dabei stellt es auch nach meiner Ansicht keinen Eingriff in die Gläubigergleichbehandlung dar, wenn in Falle der Insolvenz als Folge einer Netting-Vereinba- rung lediglich die Salden Berücksichtigung finden und damit natürlich auch nur diese im Vorfeld abgesichert werden müssen . Ganz ähnlich geht die Rechtsprechung übrigens – zu Recht – auch jetzt schon im Bereich der Gesellschafterdarlehen vor . Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19609 (A) (C) (B) (D) Über dieses nachvollziehbare Netting-Interesse hi- naus gilt es deshalb zu erörtern, ob mit dem Insolvenz- verfahren auch ein Vertrag automatisch enden muss und damit möglicherweise auch für das insolvente Unter- nehmen vorteilhafte Lieferkonditionen, die für eine Re- strukturierung sehr hilfreich wären, jedenfalls deutlich hilfreicher, als zum Beispiel im Falle von Stromliefer- verträgen einen Neuvertrag zum teuren Grundtarif ab- schließen zu müssen . Auch wenn es verständlich ist, wie es ein Vertreter eines Dax-Unternehmens formuliert hat, dass „man“ nur mit solventen Partnern handeln möchte, so bedarf dies doch stets der Betrachtung beider Seiten . Denn das Ziel einer Unternehmenssanierung, das bei uns mehr noch als früher vorrangig ist vor dessen Zer- schlagung, lässt sich nicht mehr erreichen, wenn allein mit Eröffnung eines Insolvenzverfahrens sämtliche Ver- tragsbeziehungen automatisch wegbrechen . Allerdings kann es dann auch geboten sein, die Entscheidung über die Ausübung des Wahlrechts schneller als bislang üblich zu treffen . Dies näher zu erörtern, ist Aufgabe des nun folgenden parlamentarischen Verfahrens . Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Heute debat- tieren wir eine weitere Reform der Insolvenzordnung . Diese mutet zwar auf den ersten Blick sehr rechtstech- nisch an, aber jedenfalls auf den zweiten Blick offenbart sich, dass die hier zu treffenden Neuregelungen massive Auswirkungen auf die deutsche Unternehmenslandschaft haben könnten . Thematisch geht es um das sogenannte Liquidations- netting, das heißt um die vertragliche Vereinbarung ei- ner Aufrechnung . Nun sieht das BGB auch das Institut der Aufrechnung vor . Eine solche zu vereinbaren, bie- tet aber durchaus mehr Flexibilität und differenziertere Lösungen . Allerdings darf diese Flexibilität nicht der Zielsetzung und den Grundsätzen des Insolvenzrechts zuwiderlaufen . Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, genau abzubilden, wie eine solche Vereinbarung einzuordnen ist, im Bereich des Insolvenzrechts im Allgemeinen, ge- rade aber im Bereich der Anfechtung im Besonderen . In der Konsequenz ergibt sich deshalb im Insolvenzrecht die Anforderung, dass die Zulässigkeit einer solchen Aufrechnungsvereinbarung ebenso wie Trag- und Reich- weite mit der Zielsetzung des § 104 Insolvenzordnung in Einklang stehen . Damit reagieren wir als Gesetzgeber zudem unmittelbar auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. Juni 2016. Diese Entscheidung definiert eine Un- wirksamkeit von Finanzmarktkontrakten, soweit sie für den Fall der Insolvenz eine von § 104 Insolvenzordnung abweichende Rechtsfolge vorsehen . Grundsätzlich ergeben sich für die Frage der Reich- weite des Liquidationsnettings zwei Lösungsansätze: Man könnte zum einen nur den Saldo der Aufrech- nung der Anfechtung aussetzen . Alternativ wäre denkbar, jede einzelne aufgerechnete Leistung der Anfechtung zu unterwerfen . Was zunächst noch recht einfach klingt, er- weist sich bei genauerer Betrachtung als die Gegenüber- stellung zweier Möglichkeiten, die in ihren tatsächlichen Auswirkungen nicht unterschiedlicher sein könnten . Ge- rade die erste Variante, welche auch der BGH in seinem Urteil zugrunde legt, würde zu einer deutlichen Eigenka- pitalanforderung führen – deutlicher als heute zum Bei- spiel im Bankenbereich üblich und praktikabel ist . Daher ist es notwendig, die insolvenzrechtliche Zielsetzung insoweit zu präzisieren . Hierzu dient der vorliegende Gesetzentwurf . In diesem Sinne freue ich mich auf die weiteren Beratungen . Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Der Regierungsent- wurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung der Insolvenz- ordnung sieht eine Klarstellung des sogenannten Liqui- dationsnettings bei Finanztermingeschäften vor . Diese Änderung ist notwendig geworden durch ein Urteil des Bundesgerichtshofes vom 9 . Juni 2016, das die bisheri- gen Liquidationsnettingsklauseln für unwirksam erklärt hat . Es blieb nicht ohne Kritik seitens der deutsche Kre- ditwirtschaft, da diese befürchtet, dass das Urteil wegen der mit ihm verbundenen aufsichtsrechtlichen Folgen nicht nur auf einzelne Kreditinstitute, sondern auf die ge- samte Finanz- und Realwirtschaft dramatische Auswir- kungen haben kann . Ziel des Regierungsentwurfs ist es deshalb, die recht- lichen Grundlagen für das vertragliche Liquidations- netting präziser zu fassen und die durch das Urteil des Bundesgerichtshofes entstandenen Rechtsunsicherheiten zu beseitigen . Hierdurch soll sichergestellt werden, dass die auf den deutschen, europäischen und internationalen Finanzmärkten üblichen Rahmenverträge weiterhin im Einklang mit den an sie gestellten aufsichtsrechtlichen Anforderungen in insolvenzfester Weise vereinbart wer- den können, jedoch nicht – das möchte ich ausdrücklich betonen – sollen hier die Grundzüge des Insolvenzver- fahrens und der Schutz der Maße beeinträchtigt werden . Ob dies mit dem Regierungsentwurf gelungen ist, wird uns die öffentliche Anhörung sicherlich zeigen . Die vorgeschlagene Änderung des Liquidationsnet- tings begrüße ich ausdrücklich . Voraussichtlich müssen die Banken nach Abschluss der Beratungen des Basler Ausschusses in den kommenden Jahren ohnehin wei- tere Anstrengungen bezüglich der Eigenkapitalunterle- gung leisten . Diese Rechtsunsicherheit durch das Urteil des Bundesgerichtshofes zum Liquidationsnetting sollte nicht zusätzlich dazu führen, dass allein deutsche Kredit- institute noch weiter in dieser Hinsicht belastet werden . Von daher kann der Auffassung von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Bundesministerium der Justiz und Bundesfinanzministerium zugestimmt werden, dass diese Rechtsunsicherheit zügig beseitigt werden sollte . Der Vorschlag des Bundesministeriums der Justiz, der Grund, Trag- und Reichweite der Zulässig- keit des vertraglichen Liquidationsnettings im Einklang mit dem Zweck klarstellt, den bereits der Gesetzgeber der Insolvenzordnung bei der Schaffung von § 104 der Insolvenzordnung verfolgt hat, ist hierzu meines Erach- tens sehr gut geeignet . Richard Pitterle (DIE LINKE): Den heute zur ers- ten Beratung vorliegenden Entwurf einer Änderung der Insolvenzordnung wollten Sie, meine sehr verehrten Da- men und Herren der Regierungskoalition, kürzlich noch überhastet über den Rechtsausschuss in einem anderen Gesetzgebungsvorhaben unterbringen . Es hat uns als Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 201619610 (A) (C) (B) (D) Opposition viel Kraft gekostet, dieses Omnibusverfah- ren abzuwehren, aber anscheinend haben Sie inzwischen verstanden, wie der Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens im Grundgesetz geregelt ist . Nur zur Wiederholung für die Zukunft: Ausschüsse des Bundestages sind nach un- serer Verfassung nicht berechtigt, Gesetzgebungsvorha- ben einzubringen . Zur Sache . Vor wenigen Monaten gab es wieder mal ein kleines Beben in der Finanzwelt . Es braucht nicht viel Fantasie, um den Ursprung des Bebens zu lokalisieren: Termin- und Optionsgeschäfte, komplizierte Verträge, um Chancen sich verändernder Kurse wahrzunehmen oder Risiken sinkender Kurse zu minimieren . Mit ande- ren Worten: das übliche Finanzkasino, das die Welt schon häufiger an den Abgrund geführt hat. Auch diesmal war das Beben von einiger Stärke . Der Bundesgerichtshof urteilte, dass bestimmte, aber international übliche Ver- einbarungen zwischen Spielern im Finanzkasino, die im Falle der Pleite eines Spielers gelten sollen – es geht um das sogenannte Liquidationsnetting –, gegen deutsches Insolvenzrecht verstoßen . Was undramatisch klingt, hatte weitreichende Konsequenzen . Aus Sicht der Bundesan- stalt für Finanzdienstleistungen war mit dem Urteil nicht weniger als gleich die Stabilität der Finanzmärkte und das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Finanzmärk- te erschüttert, sodass sie per Dekret das Urteil befristet für unbeachtlich erklärte . Der Grund für diese Panik ist, dass die üblichen Verträge zwischen den Spielern im Fi- nanzkasino für beteiligte Banken recht vorteilhaft sind, falls ein Spieler pleite ist . Geringeres Risiko für Banken heißt auch, geringere Vorsorge für den Ausfall . Mit der Entscheidung des Bundesgerichtshofes war diese heile Welt erneut in Gefahr . Dafür wurde der BGH massiv angegriffen . Fachleute unterstellten dem für Insolvenzrecht zuständigen Senat sogar mangelnde Expertise . Es gehe schließlich um – Zi- tat – „knallhartes Bankrecht, eine Domäne, die dem 9 . Zi- vilsenat des BGH üblicherweise verschlossen bleibt“ . Der BGH habe die Praxis ignoriert und die Entscheidung hätte die Neuberechnung zahlloser Geschäftsvorfälle zur Folge, auch sei der Finanzstandort Deutschland in Ge- fahr . Diese Angriffe verkennen, dass die Rechtsprechung an geltende Gesetze gebunden ist und nicht an eine ge- wünschte Praxis . Die Vorschriften des Insolvenzordnung, namentlich §§ 104, 119 Insolvenzordnung, ließen keinen Raum für eine andere Entscheidung . Richtig an der Kritik ist allerdings, dass die europä- ische Finanzsicherheitenrichtlinie, die der BGH nicht einmal im Urteil erwähnt, geschweige denn geprüft hat, explizit den Schutz von derartigen Vereinbarungen im Insolvenzrecht fordert . Nur hat es der Gesetzgeber 2004 versäumt, das in der Insolvenzordnung richtig umzuset- zen . Der vorliegende Entwurf will das nachholen . Den An- spruch, die Rechtslage zu vereinfachen, erfüllt der Ge- setzentwurf aber nicht . Leersätze, die „den Grundgedan- ken einer gesetzlichen Regelung“ zum Maßstab machen, erzeugen genauso Rechtsunsicherheit wie die vielen Re- gelbeispiele . Systematisch sauberer wären Öffnungsklau- seln in § 19 Insolvenzordnung und ein breiterer Ansatz, mit dem die seit Jahren umstrittenen insolvenzbedingten Lösungsklauseln auf eine solide Grundlage gestellt wer- den können . Auch wenn das Unionsrecht eine solche Regelung fordert, möchte ich abschließend festhalten: Wir halten diese Regelung für eine ungerechtfertigte Privilegierung des Finanzsektors zulasten anderer Gläubiger und für ein abzuschaffendes Relikt aus Hoch-Zeiten der Finanz- marktderegulation . Wir sind erst recht dagegen, derartige Ausnahmen für weitere Branchen zu schaffen . Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei den vorgeschlagenen Änderungen des § 104 Insolvenzord- nung geht es um die Privilegierung der Finanzindustrie bei der Abrechnung eines durch Insolvenz beendeten Rahmenvertrages durch sogenanntes Liquidationsnet- ting . Das hört sich kompliziert an, wie immer, wenn es um viel Geld geht . Gerade deshalb lohnt es sich genau hinzusehen . Worum geht es? Bei dem Handel mit Finanzprodukten, die als Termin- geschäfte gehandelt werden, werden einzelne Transakti- onen in einen Rahmenvertrag eingebunden . Darin liegt eine Vereinfachung und Standardisierung des Vertrags- schlusses . Im Insolvenzfall stellt sich die Frage, wie sich viele, gegeneinander bestehende Erfüllungsansprüche zueinander verhalten . Zu diesem Zweck werden Auf- rechnungsvereinbarungen geschlossen . Beim Liquida- tionsnetting werden verschiedene Transaktionen, wie Kauf und Verkauf von Derivaten, zwischen zwei Partei- en in einem Rahmenvertrag zusammengefasst . Kommt es zur Insolvenz, werden die Transaktionen beendet, die Nichterfüllungsansprüche ermittelt und die positiven und negativen Werte gegeneinander aufgerechnet . Nur noch dieser Nettobetrag geht dann in die Insolvenzmasse ein . Bislang war es so, dass es für Finanzdienstleister durch diese Liquidationsnettingvereinbarungen möglich war, nur das Kreditrisiko des Nettobetrags der Forderun- gen mit Eigenkapital zu unterlegen . Dies führt zu erheb- lichen Einsparungen beim regulatorischen Eigenkapital . In einem Urteil vom Juni 2016 hat der Bundesgerichtshof nun entschieden, dass Vereinbarungen zur Abwicklung von Finanzmarktkontrakten unwirksam sind, soweit sie für den Fall der Insolvenz einer Vertragspartei Rechtsfol- gen vorsehen, die von § 104 der Insolvenzordnung ab- weichen . Konkret ging es in dem Fall um einen Rahmen- vertrag nach dem Muster des Bundesverbands deutscher Banken . Nach geltender Rechtslage ist nach § 104 der Insol- venzordnung für Fixgeschäfte und Finanzdienstleistun- gen, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, das Wahl- recht des Insolvenzverwalters eingeschränkt; siehe § 103 der Insolvenzordnung . Er kann nicht Erfüllung verlan- gen . Dies soll die Insolvenzmasse vor einer Spekulation durch den Insolvenzverwalter schützen und eine schnelle Klärung der Rechtslage herbeiführen . Die Regeln für eine Aufrechnung im Insolvenzfall sind in § 104 Absatz 2 und 3 der Insolvenzordnung fest- gelegt . In der Praxis wurde von diesen Regeln in Rah- menverträgen regelmäßig abgewichen . Nachdem der Bundesgerichtshof diese Abweichung für rechtswidrig und damit für unwirksam erklärt hat, hat die Bundes- Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 2016 19611 (A) (C) (B) (D) anstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht durch eine bis Ende 2016 geltende Allgemeinverfügung entschieden, diese rechtswidrige Praxis nicht zu sanktionieren . Mit der jetzt vorliegenden Gesetzesänderung will die Bun- desregierung die Abweichungen sogar explizit erlauben . Nun soll § 104 Absatz 4 des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungs- gesetz, InsO-E, den Parteien ermöglichen, durch ver- tragliche Vereinbarungen von den Regelungen des § 104 Absatz 1 und Absatz 2 InsO-E abzuweichen, damit unter anderem Großbanken wie die Deutsche Bank weiterhin in den Genuss geringerer Eigenkapitalanforderungen und geringerer Anrechnungsbeträge auf Großkreditgrenzen kommen . Grundsätzlich stellt sich die Frage, warum Finanzak- teure im Insolvenzverfahren gegenüber anderen Gläubi- gern überhaupt privilegiert werden . Bereits jetzt ist die Finanzindustrie durch die Regelung des § 104 InsO pri- vilegiert . Mit den nun vorgeschlagenen Änderungen soll diese Privilegierung noch ausgeweitet werden . Der Fi- nanzinstrumentenbegriff wird ausgeweitet und zur Wert- berechnung werden Risikomodelle zugelassen . Die Privilegierung einzelner Gläubigergruppen wurde mit der Konkursordnung abgeschafft, und das aus gutem Grund . Die Insolvenzmasse sollte nicht mehr durch ein- zelne, bevorzugte Gläubigergruppen aufgezehrt werden, sondern es sollte ausreichend Masse erhalten bleiben, mit dem Ziel, ein insolventes Unternehmen im besten Falle sanieren zu können . Daher gilt in der Insolvenzordnung als zentrales Prinzip der Grundsatz der Gläubigergleich- behandlung . Soll hier nun also ein weiteres Mal durch die Hintertür der Gläubigergleichbehandlungsgrundsatz ausgehebelt werden? Das erinnert doch alles sehr an die Debatten, die wir auch bei der Reform des Anfechtungs- rechts führen, die übrigens immer noch auf Eis liegt . Allerdings haben sich hier scheinbar die Vorzeichen verkehrt . Während beim Anfechtungsrecht die einhellige rechtpolitische Auffassung herrscht, dass der Gläubiger- gleichbehandlungsgrundsatz auf keinen Fall zugunsten einzelner Gläubiger wie dem Fiskus oder der Sozialver- sicherung aufgeweicht werden soll, scheint die Koalition bei der Privilegierung der Finanzindustrie weniger Skru- pel zu haben . Das Argument, Finanzstabilität sei höher zu bewerten als insolvenzrechtliche Grundsätze, verfängt nur auf den ersten Blick . Denn es ist zu bedenken, dass im Fall von Marktstörungen oder in anderen Fällen, in denen der Markt- oder Börsenpreis nicht bestimmt wer- den kann, für die Wertermittlung der Geschäfte auch Risikomodelle herangezogen werden können . Das sind hypothetische Modelle und finanzmathematische Gut- achten, die die Werte von bestimmten Geschäftstypen dann aus dem Markt- oder Börsenwert anderer Geschäfte ableiten . In der Krise hat sich jedoch gezeigt, dass Risi- komodelle fehleranfällig und leicht zu manipulieren sind . Wollen wir uns darauf wirklich verlassen? Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass in den Fällen, in denen die Berechnung durch den Gläubiger erfolgt, ein Interessenkonflikt besteht; denn er wird natürlich mög- lichst vorteilhaft für sich rechnen . Auch muss man sich fragen, wie groß die Bereitschaft ist, die Solvenz und Kreditwürdigkeit der Gläubiger zu prüfen, wenn nur die geringe Nettoforderung gefährdet ist . Wie ist es um die Finanzmarktstabilität bestellt, wenn der Zweck von Rah- menverträgen letztlich darin liegt, das regulatorische Ei- genkapital kleinzurechnen? Das ist weder aus insolvenz- rechtlicher Sicht noch mit Blick auf die Finanzstabilität vernünftig . Das Thema ist sicherlich komplex und für die Allge- meinheit schwer verständlich . Umso mehr werden wir darauf zu achten haben, dass sich hier nicht unbemerkt Sonderinteressen zulasten der Allgemeinheit im Gesetz- gebungsverfahren durchsetzen . Christian Lange, Parl . Staatssekretär beim Bundes- minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll Rechtssicherheit im Hinblick auf die Zulässigkeit und Insolvenzfestigkeit von vertraglichen Liquidationsnettingklauseln wiederherge- stellt werden . Hierbei handelt es sich um Klauseln, die im Finanzmarkt üblicherweise in Rahmenverträgen für die Zusammenfassung und Abwicklung von Finanzter- mingeschäften verwendet werden . Sie sehen vor, dass die in einen Rahmenvertrag einbezogenen Einzelgeschäfte im Insolvenzfall beendet, in Nichterfüllungsforderungen umgewandelt und zu einer einheitlichen Gesamtforde- rung verrechnet werden . Für die Bestimmung der Nicht- erfüllungsforderung legen die üblichen Vertragsmuster Verfahren und Methoden fest, die von § 104 Insolvenz- ordnung abweichen . Die Insolvenzfestigkeit dieser Klauseln ist durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs infrage gestellt worden . Denn dieser hat am 9 . Juni 2016 entschieden, dass Liqui- dationsnettingklauseln für den Fall der Insolvenz einer Vertragspartei unwirksam sind, soweit sie von § 104 In- solvenzordnung abweichen . Die Entscheidung hat erhebliche Rechtsunsicherheit hervorgerufen . Denn die Vertragsklauseln sind auf die bankenaufsichtsrechtlichen Anforderungen zugeschnit- ten, denen zur Abrechnung von Finanztermingeschäften genügt werden muss, damit die Banken in den Genuss geringerer Eigenkapitalanforderungen kommen . Erfüllen die Klauseln nicht die bankaufsichtsrechtlichen Anfor- derungen, können sich die Eigenkapitalanforderungen der Banken erhöhen . Dies kann für die Banken erheb- liche nachteilige Auswirkungen haben . Zudem bedeutet die Unwirksamkeit der Klauseln, dass der Zugang von Unternehmen zu Finanzdienstleistungen möglicherweise erschwert und verteuert wird, auf welche diese zur Absi- cherung von finanzwirtschaftlichen Risiken wie Zinsän- derungs- oder Wechselkursrisiken angewiesen sind . Der Gesetzentwurf der Bundesregierung stellt daher klar, unter welchen Voraussetzungen die Vertragspartei- en bei ihren Rahmenvereinbarungen von den Vorgaben in § 104 Insolvenzordnung abweichen können . Er be- stimmt, dass Abweichungen zulässig sind, solange sie mit dem Grundgedanken der gesetzlichen Regelung ver- einbar sind . Dieser Grundgedanke besagt, dass das In- teresse des Vertragsgegners des Schuldners an einer un- verzüglichen Klärung der Rechtslage schützenswert ist Deutscher Bundestag – 18 . Wahlperiode – 196 . Sitzung . Berlin, Donnerstag, den 20 . Oktober 201619612 (A) (C) (B) (D) Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de und dass deshalb die zwischen den Parteien bestehenden Geschäfte beendet, bewertet und miteinander verrechnet werden sollen . Mit diesem Grundgedanken sind auch vertragliche Regelungen vereinbar, welche den Beendi- gungszeitpunkt sowie die Modalitäten der Berechnung der Nichterfüllungsforderung betreffen . Der Entwurf ent- hält einen Beispielkatalog mit praxisrelevanten Klausel- gegenständen, die mit dem Grundgedanken des Gesetzes vereinbar sind . Um künftigen Rechtsunsicherheiten vorzubeugen, klärt der Gesetzentwurf der Bundesregierung darüber hi- naus weitere Zweifelsfragen zur Auslegung des § 104 In- solvenzordnung . Diese betreffen die Reichweite des An- wendungsbereichs der Vorschrift und die Anforderungen, die an Rahmenvereinbarungen zur Zusammenfassung einzelner Geschäfte zu stellen sind . Schließlich bezieht der Gesetzentwurf der Bundesregierung bislang nicht er- fasste Warentermingeschäfte in den Anwendungsbereich des § 104 Insolvenzordnung ein . Um die Gefahren für die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Institute und Marktteilnehmer und für die Stabilität des deutschen Finanzsystems abzuwehren, sollten die vorgeschlagenen Regelungen möglichst schnell verabschiedet werden . 196. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3 Bundesbeteiligung an den Kosten der Integration TOP 4 Bezahlbares Wohnen TOP 5 Verbesserung des Schutzes gegen Nachstellungen TOP 33, ZP 2 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 34, ZP 3 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 4 Wahl Bundesstiftung Baukultur ZP 5 Aktuelle Stunde zur Umsetzung der Auflagen zu CETA TOP 28 Steuerliche Verlustrechnung bei Körperschaften TOP 7 Berufsausbildungsförderung TOP 6 Bundeswehreinsatz in Syrien TOP 9, ZP 6 Novelle des Gentechnikgesetzes TOP 8 Entlastung der Wirtschaft von Bürokratie TOP 11 Medizinische Versorgung für Geflüchtete TOP 10 Bildungschancen für benachteiligte Kinder TOP 13 Völkerstrafrechtliche Sühnung von Verbrechen TOP 12 Biowaffenübereinkommen TOP 15 Berlin/Bonn-Gesetz TOP 14, ZP 7 Nichtfinanzielle Berichterstattung der Unternehmen TOP 17 Absetzung der Präsidentin in Brasilien Anlagen Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4 Anlage 5 Anlage 6 Anlage 7 Anlage 8 Anlage 9 Anlage 10 Anlage 11
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819600000

Nehmen Sie bitte Platz . Die Sitzung ist eröffnet .

Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
begrüße Sie alle herzlich und mache Sie darauf aufmerk-
sam, dass seit der letzten Sitzungswoche die Kollegin
Sibylle Pfeiffer und der Kollege Willi Brase jeweils ih-
ren 65 . Geburtstag gefeiert haben . Dazu gratulieren wir
herzlich .


(Beifall)


Alle guten Wünsche für das neue Lebensjahr!

Für den ausgeschiedenen Kollegen Peer Steinbrück ist
die Kollegin Bettina Bähr-Losse als Mitglied des Deut-
schen Bundestages nachgerückt, die ich auch im Namen
des ganzen Hauses herzlich begrüßen möchte .


(Beifall)


Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit .

Dann müssen wir noch die Wahl von Mitgliedern des
Verwaltungsrats der Kreditanstalt für Wiederaufbau
durchführen . Hierzu schlägt die CDU/CSU-Fraktion vor,
den Kollegen Bartholomäus Kalb sowie den Kollegen
Eckhardt Rehberg für eine weitere Amtszeit als Mit-
glieder des Verwaltungsrates zu berufen . – Das erzeugt
offenkundig keine größere Beunruhigung,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zustimmung! – Dr . Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Aber nur, wenn geteilt wird!)


sondern allgemeines Einvernehmen . Dann soll das so
sein .

Auf Vorschlag der SPD-Fraktion soll der Kollege
Carsten Schneider ebenfalls für eine weitere Amtszeit
als Mitglied des gleichen Gremiums gewählt werden,
was er durch Nicken bestätigt . – Niemand lässt erkennen,
dass er dagegen Einwände habe . Dann ist auch das so
beschlossen . Die drei genannten Kollegen sind für eine
weitere Amtszeit gewählt .

Schließlich gibt es eine interfraktionelle Vereinba-
rung, die Tagesordnung um die in der Zusatzpunkteliste
aufgeführten Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD:

Lage in Syrien und Irak und die internatio-
nalen Bemühungen um eine Stabilisierung der
Region


(siehe 195 . Sitzung)


ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren


(Ergänzung zu TOP 33)


a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate
Walter-Rosenheimer, Maria Klein-Schmeink,
Dr . Franziska Brantner, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Hilfen für Kinder psychisch kranker Eltern

Drucksache 18/9856
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Gesundheit

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
Gastel, Tabea Rößner, Oliver Krischer, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Fahrverbot für laute Güterwagen

Drucksache 18/10033

ZP 3 Weitere abschließende Beratung ohne Aus-
sprache


(Ergänzung zu TOP 34)


Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Tabea Rößner, Katharina Dröge, Nicole
Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Mindestqualitätsvorgaben für Internetzugän-
ge einführen

Drucksachen 18/8573, 18/10062






(A) (C)



(B) (D)


ZP 4 Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD
und DIE LINKE

Wahl der Mitglieder des Stiftungsrates der
Bundesstiftung Baukultur gemäß § 7 des Ge-
setzes zur Errichtung einer „Bundesstiftung
Baukultur“

Drucksache 18/10021

ZP 5 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:

Umsetzung der Auflagen des Bundesverfas-
sungsgerichts zu CETA durch die Bundesre-
gierung

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

zu den Entwürfen für eine Durchführungs-
verordnung und zwei Durchführungsbe-
schlüsse der Europäischen Kommission
über das Inverkehrbringen von Saat gut
zum Anbau der gentechnisch veränderten
Maislinien MON 810, 1507 und Bt11

(Dokumente SANTE/10702/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10704/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10703/2016 CIS Rev. 3)


hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes

Keine Zulassung der gentechnisch veränder-
ten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für
den Anbau in der EU

Drucksache 18/10029

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Künast, Katja Keul, Uwe Kekeritz, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Zukunftsfähige Unternehmensverantwor-
tung – Nachhaltigkeitsberichte wirksam und
aussagekräftig ausgestalten – Umsetzung der
CSR-Richtlinie

Drucksache 18/10030
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

ZP 8 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Schutz von Walen und Delfinen stärken

Drucksache 18/10019

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi
Lemke, Nicole Maisch, Annalena Baerbock,

weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Wirksamen Walschutz weltweit durchsetzen

Drucksache 18/10032

ZP 10 a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Flexibilisierung
des Übergangs vom Erwerbsleben in den
Ruhestand und zur Stärkung von Präven-
tion und Rehabilitation im Erwerbsleben

(Flexi-Rentengesetz)


Drucksache 18/9787

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-

(11 . Ausschuss)


Drucksache 18/10065


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/10066

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Matthias W .
Birkwald, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Statt Rente erst ab 67 – Altersgerechte
Übergänge in die Rente für alle Versicher-
ten erleichtern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Markus
Kurth, Brigitte Pothmer, Beate Müller-
Gemmeke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Flexible und sichere Rentenübergänge er-
möglichen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Markus
Kurth, Britta Haßelmann, Kordula Schulz-
Asche, weiterer Abgeordneter und der Frakti-
on BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kommunales Ehrenamt stärken – Anrech-
nung von Aufwandsentschädigungen auf
die Rente neu ordnen

Drucksachen 18/3312, 18/5212, 18/5213,
18/10065

ZP 11 a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlas-
sungsgesetzes und anderer Gesetze

Drucksache 18/9232

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Arbeit und Soziales (11 . Ausschuss)


Drucksache 18/10064

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst,
Jutta Krellmann, Matthias W . Birkwald, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LIN-
KE

Etablierung von Leiharbeit und Miss-
brauch von Werkverträgen verhindern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Beate
Müller-Gemmeke, Corinna Rüffer, Katja
Keul, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Missbrauch von Leiharbeit und Werkver-
trägen verhindern

Drucksachen 18/9664, 18/7370, 18/10064

ZP 12 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Aufklärung der Umstände der Verhaftung
und des Todes im Fall Jaber Albakr

Dabei soll wie üblich von der Frist für den Beginn der
Beratungen, soweit erforderlich, abgewichen werden .

Der Tagesordnungspunkt 18 – hier geht es um die ab-
schließende Beratung eines Gesetzentwurfs zur Neuord-
nung der Aufgaben der Bundesanstalt für Finanzmarkt-
stabilisierung – soll abgesetzt werden . Stattdessen sollen
unter Beibehaltung der Debattenzeit von 25 Minuten
der Antrag auf der Drucksache 18/10019 mit dem Titel
„Schutz von Walen und Delfinen stärken“ sowie der An-
trag auf Drucksache 18/10032 mit dem Titel „Wirksamen
Walschutz weltweit durchsetzen“ aufgerufen und sofort
über sie abgestimmt werden .

Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkte-
liste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs .

Ich mache Sie schließlich noch auf mehrere nach-
trägliche Ausschussüberweisungen im Anhang zur Zu-
satzpunkteliste aufmerksam:

Der am 22 . September 2016 (190 . Sitzung) überwie-
sene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem
Finanzausschuss (7 . Ausschuss) zur Mitberatung über-
wiesen werden:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung des Seefischereigesetzes

Drucksache 18/9466
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss

Der am 22 . September 2016 (190 . Sitzung) überwie-
sene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (9 . Ausschuss) zur
Mitberatung überwiesen werden:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Schutz

vor Manipulationen an digitalen Grundauf-
zeichnungen

Drucksache 18/9535
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss
Sportausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss Digitale Agenda

Der am 22 . September 2016 (190 . Sitzung) überwie-
sene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätzlich dem
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

(13 . Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen werden:


Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung der Änderungen der EU-Amtshilfericht-
linie und von weiteren Maßnahmen gegen
Gewinnkürzungen und -verlagerungen

Drucksache 18/9536
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss

Die am 30 . September 2016 gemäß § 80 Absatz 3 der
Geschäftsordnung überwiesene nachfolgende Unterrich-
tung soll zusätzlich dem Ausschuss für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend (13 . Ausschuss) zur Mitbera-
tung überwiesen werden:

Unterrichtung durch die Bundesregierung

Bericht über Maßnahmen auf dem Gebiet der
Unfallverhütung im Straßenverkehr 2014 und
2015


(Unfallverhütungsbericht Straßenverkehr 2014/15)


Drucksache 18/9640
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Ich frage auch hier vorsichtshalber, ob irgendjemand
Einwände hat . – Das ist nicht erkennbar . Also ist es so
beschlossen .

Nun sind wir bei unserem ersten Tagesordnungspunkt,
dem Tagesordnungspunkt 3:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beteili-
gung des Bundes an den Kosten der Integrati-
on und zur weiteren Entlastung von Ländern
und Kommunen

Drucksache 18/9980
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die
Debatte 77 Minuten dauern . – Das ist offenbar einver-
nehmlich . Also verfahren wir so .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
zen:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
ren! Man kann vermutlich darüber streiten, ob man die
große Zahl von Flüchtlingen, die im vergangenen Jahr in
Deutschland angekommen sind, so vorhersehen konnte .
Ich glaube, das Ausmaß hat uns alle überrascht . Die Bun-
desregierung jedenfalls hat vom ersten Moment an alles
getan, um die Herausforderungen zu meistern . Ich habe
schon bei der Einbringung des Bundeshaushalts 2016 im
September des vergangenen Jahres gesagt: Diese Aufga-
be hat oberste Priorität, und wir werden sie auch finanzie-
ren . – Das ist uns bisher auch gut gelungen .

Alle staatlichen Ebenen arbeiten eng zusammen . Wir
haben mit den beiden Asylpaketen eine gute gesamtstaat-
liche Lösung hinbekommen und passgenaue Antworten
gefunden, die allen Beteiligten gerecht werden . Am Geld
wird die Integration nicht scheitern; auch das hat die
Bundesregierung von Anfang an gesagt . Die Bundesre-
gierung wird ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung bei
der Aufnahme und Integration der zu uns Gekommenen
gerecht . Der Bund hat für die Bewältigung der Zuwande-
rung und zur Bekämpfung der Fluchtursachen in diesem
Jahr etwa 18,2 Milliarden Euro ausgegeben bzw . ein-
gestellt – ausgegeben ist noch nicht alles . 2017 werden
wir knapp 21 Milliarden Euro, 2018 sogar 22 Milliarden
Euro bereitstellen .

Es ist klar, dass wir die wirtschaftliche Entwicklung
im Nahen Osten und in Afrika fördern müssen, um, so-
weit es uns möglich ist, die Ursachen für die Flüchtlings-
ströme zu bekämpfen und sie damit zu verringern . Auch
deswegen bildet die Zusammenarbeit mit Afrika einen
Schwerpunkt europäischer Politik, aber auch unsere
G-20-Präsidentschaft, die im Dezember beginnt .

Der Bund hat aber auch die Länder und die Kommu-
nen in den letzten beiden Jahren deutlich entlastet . Ich
möchte die Zahlen einmal im Zusammenhang vortragen .

Im Jahre 2015 haben wir pauschal 2 Milliarden Euro
über den Länderanteil an der Umsatzsteuer zur Verfü-
gung gestellt . In diesem Jahr sind es rund 6,9 Milliarden
Euro .

Wir haben mit dem Asylverfahrensbeschleunigungs-
gesetz eine verfahrensabhängige Kostenbeteiligung des
Bundes sichergestellt – auch für die kommenden Jahre .
Vom ersten Tag der Registrierung bis einen halben Mo-
nat nach der Entscheidung des Bundesamts für Migra-
tion und Flüchtlinge erhalten die Länder pro Bewerber
670 Euro pro Monat. Im Augenblick findet die Spitzab-
rechnung für die Abschlagszahlung 2017 statt . Das wird
in diesem Jahr über die bereits eingestellten Gelder in
Höhe von knapp 3 Milliarden Euro hinaus einen erhebli-
chen zusätzlichen Betrag erfordern .

Darüber hinaus hat die Bundesanstalt für Immobili-
enaufgaben ihre Liegenschaften den Gebietskörperschaf-
ten zur Unterbringung von Flüchtlingen mietzinsfrei
zur Verfügung gestellt . Gegen Nachweis erstattet sie
auch die entstandenen notwendigen und angemessenen
Erstinstandsetzungs- und Erschließungskosten .

Diese bereits umfassenden Entlastungen von Ländern
und Kommunen durch den Bund haben mit dazu bei-
getragen, dass sich die Haushaltslage von Ländern und
Kommunen gegenwärtig sehr positiv entwickelt . Dies
muss man immer wieder ins Gedächtnis aller Beteiligten
rufen .

Mit dem Gesetz zur Beteiligung des Bundes an den
Kosten der Integration und zur weiteren Entlastung von
Ländern und Kommunen, das uns im Entwurf heute vor-
liegt, bringen wir die zwischen Bund und Ländern auf
Regierungschefebene am 16 . Juni und 7 . Juli dieses Jah-
res vereinbarten Entlastungen auf den Weg . Alleine diese
weiteren Entlastungen summieren sich bis zum Jahr 2019
auf knapp 20 Milliarden Euro . Im Einzelnen:

Der Bund wird in den Jahren 2016 bis 2018 die Kos-
ten der Unterkunft und Heizung für anerkannte Asyl-
und Schutzberechtigte vollständig übernehmen . Dadurch
werden die Kommunen voraussichtlich um etwa 2,6 Mil-
liarden Euro entlastet .

Die Länder erhalten vom Bund für die Jahre 2016 bis
2018 eine jährliche Integrationspauschale in Höhe von
2 Milliarden Euro .

Der Bund gewährt den Ländern für den im Integrati-
onskonzept enthaltenen Wohnungsbau zusätzlich jeweils
500 Millionen Euro als Kompensationsmittel für die Jah-
re 2017 und 2018 über die bereits in den Entflechtungs-
mitteln enthaltenen Mittel für den sozialen Wohnungsbau
hinaus .

Der Bund verbessert außerdem die Finanzausstattung
der Kommunen, wie schon im Koalitionsvertrag festge-
legt, ab dem Jahr 2018 um zusätzliche 5 Milliarden Euro
pro Jahr . Er verzichtet dazu auf Anteile am Aufkommen
der Umsatzsteuer und erhöht seine Beteiligung an den
Kosten der Unterkunft und Heizung in der Grundsiche-
rung für Arbeitsuchende . Die Länder haben sich in den
genannten Konferenzen auf einen Schlüssel der Vertei-
lung geeinigt, der allerdings, wie ich weiß, im parla-
mentarischen Verfahren, was ja auch die Aufgabe des
Bundestages ist, einer intensiven Prüfung und Beratung
unterzogen werden wird .

Das alles ist jedenfalls – das sage ich auch vor dem
Hintergrund der Verhandlungen in der vergangenen Wo-
che – doch wohl ein Beweis dafür, dass der Bund Länder
und Kommunen bei ihren Aufgaben nachhaltig unter-
stützt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es wird ja in der Öffentlichkeit auch angesichts der
Zahlen, die eine gute Haushaltslage der öffentlichen
Hand in Deutschland insgesamt belegen – damit ste-
hen wir im Gegensatz zu vielen unserer Nachbarländer
in Europa –, die Frage gestellt: Können wir nicht noch

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


mehr tun? – Hier ist zunächst einmal schon der Hinweis
notwendig, dass sich hier zunehmend ein gesamtstaat-
liches Problem verdichtet . Das haben wir gerade auch
im jüngsten Gutachten gelesen, das das ifo-Institut für
das Bundeswirtschaftsministerium erstellt hat . Es reicht
nämlich nicht aus, dass wir Geld bereitstellen, sondern
die Mittel müssen auch abfließen, die Vorhaben müssen
auch umgesetzt werden . Hier haben wir zunehmend ein
gesamtstaatliches Problem .

Ich nenne als Beispiel den Kindertagesstättenausbau .
Der Bund hat ihn in den vergangenen Jahren mit Mil-
liardenbeträgen gefördert . Anfang dieses Jahres haben
wir die Mittel dafür im Zusammenhang mit den Flücht-
lingsherausforderungen noch einmal deutlich erhöht . Ein
paar Wochen danach mussten wir aber zunächst einmal
das entsprechende Programm verlängern, weil die be-
reits etatisierten Mittel nicht schnell genug abgeflossen
sind . Sie werden nicht abgerufen . Das heißt, wir müssen
schneller werden; denn wir können natürlich die Kinder-
tagesstätten für Flüchtlinge nicht erst dann bauen, wenn
aus den Flüchtlingen schon Senioren geworden sind .
Dann müssten wir eher Betreuungsheime bauen .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das muss in Deutschland ein bisschen schneller gehen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das sehen wir zunehmend auch – das belegen entspre-
chende Gutachten – bei den Ausgaben für die öffentliche
Verkehrsinfrastruktur . Auch hier müssen wir besser wer-
den . Deswegen ist es ein wichtiger Schritt, dass wir in den
Vereinbarungen zwischen dem Bund und den Ländern in
der vergangenen Woche in diese Richtung Fortschritte
erzielt haben, die wir jetzt noch umsetzen müssen .

Ich lasse in meinem Haus auch prüfen – ich will damit
zeigen, dass wir alles tun, um irgendwie Lösungen zu fin-
den –, ob wir bei Projekten, durch die wir den Kommu-
nen Mittel zur Verfügung stellen, nicht möglicherweise
auch Kapazitäten für Planungsverfahren bei den Kom-
munen mit einbeziehen können . Das ist verfassungs-
rechtlich nicht ganz einfach, aber wir suchen jeden Weg,
um zu helfen .

Wir haben in der vergangenen Woche auch beschlos-
sen, die Mittel für den Fonds zur Förderung von Inves-
titionen finanzschwacher Kommunen aufzustocken und
zu verlängern . Diese Mittel verteilen wir nach einem
Schlüssel über die Länder, der auch nicht völlig ohne Pro-
bleme ist. Es ist aber besser, wir helfen finanzschwachen
Gemeinden über einen nicht hundertprozentig perfekten
Schlüssel, als gar nicht . Außerdem heben wir die Zweck-
setzung ein Stück weit auf, weil wir bei der Verwendung
dieser Mittel für Kommunen durch die Föderalismusre-
form außergewöhnlich beschränkt sind . Ich glaube, das
ist richtig; denn so können wir in den nächsten Jahren
auch in finanzschwachen Kommunen mehr für Schulen
tun . Deswegen begrüße ich die Absprachen, die wir in
der vergangenen Woche dazu getroffen haben .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Der Bund wird jedenfalls seine Bemühungen fortsetzen,
im Rahmen seiner Möglichkeiten finanzschwachen Ge-
meinden zu helfen .

Aber noch einmal: Wir müssen dafür werben, dass die
Weitergabe der Mittel in allen Ländern entsprechend der
Zielsetzung erfolgt . Deswegen ist es wichtig, dass wir
mit den Ländern vereinbart haben, dass der Bund und
auch der Bundesrechnungshof in Zukunft stärker darauf
achten können, dass die Mittel entsprechend der Zweck-
setzung bei den Ländern verwendet werden . Das ist kei-
neswegs irgendein Angriff auf die Länder oder Ausdruck
eines Misstrauens ihnen gegenüber, sondern es geht ein-
fach nur darum, unsere jeweiligen Aufgaben innerhalb
der föderalen Grundordnung optimal zu erfüllen .

Ich will zu den Vereinbarungen in der vergangenen
Woche gar nichts weiter sagen . Das war wie immer ein
langes Ringen . Noch manches Mal wird es angesichts
der Herausforderungen durch die rasanten, schnellen
Veränderungen in Zeiten der Globalisierung wichtig
sein, losgelöst vom aktuellen Streit gemeinsam darüber
nachzudenken, wie wir unser föderales System, das ja im
Prinzip gut und richtig ist, noch leistungsfähiger machen
können .

Die Länder, die Gemeinden und der Bund haben je-
denfalls die großen Herausforderungen durch die starke
Zuwanderung von Flüchtlingen bisher in einem außerge-
wöhnlich guten Maße gemeistert . Auch das ist ein Ruh-
mesblatt für die Bundesrepublik Deutschland .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Deswegen werden wir weiter daran arbeiten, dass die fö-
derale Ordnung diese Aufgaben meistern kann, dass sie
sich durch schnelle Entscheidungs- und Handlungsfähig-
keit bewährt . Der Bund ist sich seiner Verantwortung für
die Bewältigung dieser gesamtgesellschaftlichen Aufga-
be bewusst .

Wir alle miteinander, Länder, Gemeinden und der
Bund, haben im Großen und Ganzen alles getan, um die
starke Zuwanderung von Flüchtlingen zu meistern . Wir
haben das bisher ganz gut hinbekommen . Dass uns das
weiterhin gelingen kann, dazu soll der vorliegende Ge-
setzentwurf beitragen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819600100

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Besuchertri-

büne möchte ich eine Delegation des österreichischen
Nationalrates herzlich begrüßen, die in dieser Woche
mit vielen Mitgliedern des Bundestages aus verschiede-
nen Gremien zahlreiche Gespräche führt und damit unter-
streicht, dass wir viele gemeinsame Interessen und ganz
sicher eine gemeinsame Verantwortung haben . Herzlich
willkommen und weiterhin gute Zusammenarbeit!


(Beifall)


Ich erteile das Wort nun der Kollegin Gesine Lötzsch
für die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)


Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819600200

Vielen Dank . – Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Monatelang haben Bund und Län-
der laut und öffentlichkeitswirksam über die Verteilung
der Kosten gestritten . Man kann über diesen Streit vieles
sagen, aber eines, finde ich, muss man sagen: Er war vor
allen Dingen gefährlich, und zwar brandgefährlich im
wahrsten Sinne des Wortes . Das dürfen wir nicht zulas-
sen, meine Damen und Herren .

Wir haben gesehen, dass es in dem monatelangen
Streit zu Annäherungen kam . Aber ich will daran erin-
nern, dass wir auch schon Situationen hatten, in denen
wir schwierige Fragen in ganz kurzer Zeit gelöst haben .
Ich darf Sie daran erinnern, wie schnell wir die Banken-
rettung beschlossen haben . Da haben wir eine einzige
Woche gebraucht, um die entsprechenden Maßnahmen
umzusetzen. Ich finde, diesen Vergleichsmaßstab muss
man schon anlegen . Eine Lösung in der Frage der Kosten
war überfällig . Ob diese Lösung die richtige ist, müssen
wir noch kritisch diskutieren, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)


Diese Diskussion war doch Wasser auf die Mühlen
derjenigen in unserem Land, die für jedes der Probleme,
die wir haben und die wir auch schon hatten, bevor Men-
schen vor Krieg, Not und Hunger zu uns geflohen sind,
die Geflüchteten verantwortlich machen. Das zuzulassen,
das ist politische Verantwortungslosigkeit, meine Damen
und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)


Denn die Probleme waren doch schon vorher da: Woh-
nungsmangel, marode Schulen, marode Gebäude und
Brücken sowie Investitionsstau an allen Ecken und En-
den . Der IWF, der Internationale Währungsfonds, der
nun bestimmt keine Vorfeldorganisation der Linken ist,
hat die Bundesrepublik mehrmals deutlich aufgefordert,
mehr zu investieren . Das müssen wir endlich tun . Wir
brauchen in dieser Gesellschaft keine Sündenböcke . Es
geht nicht nur um die Geflüchteten, sondern es geht um
unsere Gesellschaft insgesamt . Es geht um uns alle . Das
müssen wir endlich begreifen, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Schäuble, Sie haben zu Recht gesagt: Man muss
jetzt dafür sorgen, dass das Geld in den Kommunen
ankommt, und es muss dafür gesorgt werden, dass das
Geld, was da ist, auch dafür verwendet wird, wofür es
bereitgestellt wurde . – Wenn jetzt aber mit einem kleinen
ironischen Unterton gesagt wird: „Die schaffen das nicht
in den Kommunen . Die Kommunen haben dafür nicht
das Personal . Warum haben sie nichts vorbereitet?“,
möchte ich und muss ich Sie alle daran erinnern, dass
systematisch mit den Schlagworten „schlanker Staat“,
„Privatisierung“, „die Privaten können alles besser“ die
kommunalen Verwaltungen und auch Landesverwaltun-
gen kaputtgespart wurden . Wir stehen jetzt vor einem
Trümmerhaufen . Dieser muss schnellstens aufgeräumt
werden, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben im Bundeshaushalt Geld für viele Baupro-
jekte zur Verfügung gestellt, die jetzt nicht umgesetzt
werden können . Gestern im Haushaltsausschuss sagte die
Bauministerin – ich sage es einmal höflich – ein bisschen
hilflos, es gebe auch bei Studiengängen einen Schwei-
nezyklus, es gebe halt nicht genug Bauingenieure und
Architekten und sie wisse nicht, was man da machen sol-
le . Was man da machen soll, kann ich Ihnen sagen: Wir
brauchen eine nachhaltige und vorausschauende Politik
und keine Politik, die von einem Monat zum anderen he-
chelt . Wir müssen unser Gemeinwesen so ausgestalten,
dass wir nicht in eine Situation kommen, dass der Staat
schwach ist . Wir brauchen einen starken Staat; denn nur
Reiche können sich einen schwachen Staat leisten – und
das wollen wir nicht, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN)


Natürlich wird viel über Ängste und Herausforderun-
gen gesprochen, und manchmal wird gesagt, dass die
Leute sich bestimmte Bedrohungen nur einbilden . Wir
müssen aber, wie ich glaube, die Menschen nicht mit
Worten, sondern mit Taten überzeugen . Wenn Menschen
vergeblich eine bezahlbare Wohnung suchen, dann sind
wir alle in der Verantwortung und können nicht einfach
sagen, sie bildeten sich das nur ein . Die Wohnungsfra-
ge ist eine ganz zentrale Frage bei der Bewältigung der
Probleme, vor denen wir stehen, und hier müssen wir
ansetzen und zu guten Entscheidungen kommen, meine
Damen und Herren .

Ich will Ihnen aber abschließend sagen, dass der
Schlüssel für die Bewältigung aller dieser Probleme in
der Lösung einer zentralen Frage, nämlich der Gerechtig-
keitsfrage, liegt . Vor knapp drei Wochen ist ein Erbenver-
schonungsgesetz beschlossen worden . Große Teile der
Gesellschaft finanzieren die gesamte Gesellschaft, und
es wird den Reichen erlaubt, sich aus der Verantwortung
zu stehlen . Das dürfen wir nicht länger mitmachen . Wir
brauchen eine gerechte Besteuerung, wir brauchen eine
Erbschaftsteuer, wir brauchen eine Vermögensbesteue-
rung . Es kann nicht sein, dass 1 Prozent der Bevölkerung
in unserem Land über ein Drittel des Eigentums verfügt .
So können wir unsere Gesellschaft nicht gerecht gestal-
ten . Gerechtigkeit ist die Schlüsselfrage, nicht nur für
die Geflüchteten, sondern für alle Menschen in unserem
Land .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819600300

Nächste Rednerin ist die Kollegin Ulrike Gottschalck

für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulrike Gottschalck (SPD):
Rede ID: ID1819600400

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Gäste! Anders als meine Vorrednerin würde
ich die Kommunalverwaltung nicht als Trümmerfeld
bezeichnen – im Gegenteil . Ich sage: Wir sind stolz auf
unsere Kommunen; denn wir haben starke Kommunen in






(A) (C)



(B) (D)


Deutschland, und die Städte, Gemeinden und Landkreise
sind die Kraftwerke unseres sozialen Miteinanders, weil
sie Kinderbetreuung, Nahversorgung, gute Mobilität, das
soziale Netz und alles Mögliche mehr vor Ort organisie-
ren. Und das muss auch finanziert werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Deutschland braucht deshalb starke Kommunen, in
denen die Menschen gern leben . Denn die Menschen er-
leben dort auch, ob die Daseinsvorsorge, ihr ganz nor-
males Leben, funktioniert oder eben nicht . Und damit
es funktioniert, müssen die Kommunen gut ausgestattet
sein .

Es gibt Kommunen, denen es gut geht, aber es gibt
leider auch Kommunen, die seit Jahren darum kämpfen,
finanziell handlungsfähig zu bleiben. Zusätzlich wächst
die Kluft zwischen armen und reichen Kommunen . Des-
halb hat sich die Regierungskoalition darauf verständigt,
dass die Entlastung der Kommunen absolute Priorität be-
kommt. Das finanzielle Engagement des Bundes zuguns-
ten von Ländern und Kommunen ist – das sollten wir
immer wieder betonen – in der Geschichte der Bundes-
republik einmalig . Bis zum heutigen Tag haben wir die
Kommunen bereits um viele Milliarden Euro entlastet .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da ist zunächst einmal die Übernahme der Kosten der
Grundsicherung zu nennen . Dann unterstützen wir den
Ausbau der Kinderbetreuung, obwohl dieser in die ver-
fassungsrechtliche Zuständigkeit der Länder fällt . Wir
geben sogar noch Geld für die Betriebskosten und die
Sprachförderung in den Kitas . Wir haben das Zukunfts-
investitionsprogramm aufgelegt, und die Mittel für die
Städtebauförderung werden von 54 Millionen Euro auf
1,3 Milliarden Euro im nächsten Jahr erhöht . Auch das
Programm „Soziale Stadt“ wird davon erheblich profi-
tieren . Hinzu kommen Denkmalschutzprogramme, die
Übernahme des BAföG sowie – ich kann das gerne fort-
setzen – die Breitbandversorgung, der Hochwasserschutz
und die Stärkung des Tourismus . Kommunalinteressen
sind bei der GroKo in guten Händen . „Versprochen, ge-
halten!“, meine sehr geehrten Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werden wir eine
weitere Entlastung von Ländern und Kommunen auf den
Weg bringen, die sich bis zum Jahr 2019 auf 20 Milliar-
den Euro summiert . Konkret sollen die Kosten der Un-
terkunft und Heizung für anerkannte Asyl- und Schutz-
berechtigte in der Grundsicherung vollständig erstattet
werden . So werden die Kommunen spürbar von zusätzli-
chen Ausgaben entlastet . Damit wird eine wichtige kom-
munale Forderung aufgegriffen .

Zusätzlich sollen die Länder für die Jahre 2016 bis
2018 eine Integrationspauschale in Höhe von 2 Milliar-
den Euro und 2017 und 2018 je 500 Millionen Euro für
den Wohnungsbau bekommen, was auch extrem wichtig
ist . Wenn dieses Geld auch noch von den Ländern ord-

nungsgemäß verwandt wird, kommt all dies ebenfalls
den Kommunen zugute .

Die Vertreter der Kommunen begrüßen deshalb auch
diesen Gesetzentwurf . Indem er die zugesagte Entlastung
der Kommunen um 5 Milliarden Euro regelt, bekommen
sie Planungssicherheit für ihre Haushalte . Sie kritisieren
jedoch, dass die Entlastung nicht vollständig über die
Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft reali-
siert wird . Insbesondere kritisieren sie, dass 1 Milliarde
Euro und damit ein Fünftel der Entlastung an die Länder
über deren Anteile an der Umsatzsteuer fließt. Sie be-
fürchten, dass dieses Geld nicht eins zu eins in den Kom-
munen ankommt .

Auch ich hege Zweifel, meine sehr geehrten Damen
und Herren . Aber wir müssen uns nicht wundern, wenn
am Verhandlungstisch nur der Bund und die Länderfürs-
ten sitzen, von denen sich zudem einige auch noch zu
modernen Raubrittern entwickeln .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Matthias W . Birkwald [DIE LINKE]: Ja, der schlimmste ist Horst Seehofer!)


Ich will dabei nicht parteipolitisch werden . Das betrifft
Politiker jeglicher Couleur – unsere wie eure . Und sie
passen erst einmal auf die Finanzen in ihren jeweiligen
Ländern auf . Wir brauchen zukünftig einen Dreieckstisch
von Bund, Ländern und Kommunen . Alle Beteiligten
und Verantwortlichen müssen sich auf gleicher Augen-
höhe begegnen und gemeinsam Handlungsmöglichkei-
ten sichern .

Wir alle sind nun gefordert, bei den Ländern genau
aufzupassen und dafür zu sorgen, dass die Mittel auch
bei den Kommunen ankommen . Das betrifft im Übri-
gen auch die aktuell vereinbarten Verhandlungen zu den
Bund-Länder-Finanzbeziehungen . Ich glaube, hier liegt
noch viel Arbeit vor uns . Denn wir müssen ja die Gesetze
in Papierform bringen und zusehen, dass sie verfassungs-
konform sind . Und der Teufel liegt bekanntlich im Detail .
Ich denke, nach den Haushaltsberatungen wird es munter
mit dieser Gesetzgebung losgehen .

Wir auf Bundesebene, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, haben auf jeden Fall unsere Hausaufgaben gemacht .
Erneut fließen Bundesmittel in Milliardenhöhe in die
Kommunen . Und das ist gut so . Wir wissen ja: Deutsch-
land braucht starke Kommunen; denn sie sind die Orte,
wo soziale Gesellschaft und lebendige Demokratie herr-
schen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819600500

Nächste Rednerin ist die Kollegin Britta Haßelmann

für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819600600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! In der Tat reden wir heute über einen Gesetz-
entwurf, bei dem es lange gedauert hat, bis er das Parla-

Ulrike Gottschalck






(A) (C)



(B) (D)


ment erreichte, und der schon lange Zeit überfällig war;
denn er bringt Entlastungen für die Kommunen und die
Länder bei der Integration und unterstützt sie bei der
Aufgabe der Eingliederung . Gerade die Kommunen leis-
ten sehr wichtige Aufgaben dabei und sind eigentlich die
Stütze des Ganzen . Denn ohne die Kommunen wären wir
bei der Integration und der Aufnahme von Menschen, die
auf der Flucht waren, nicht da, wo wir heute sind . Das
wissen wir alle .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist gut so, dass durch die Einbringung des Gesetz-
entwurfs klar wird, dass der Bund sich aus der Verant-
wortung, endlich die Kosten der Integration wenigstens
ansatzweise zu übernehmen, nicht länger wegdrückt .
Dazu haben die Länder und die kommunalen Spitzen-
verbände Sie, meine Damen und Herren von der Großen
Koalition, wirklich drängen müssen .


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der SPD)


– Das ist so, meine Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie viel Druck hat es vonseiten der Länder und der
Kommunen gebraucht und wie oft mussten sie immer
wieder betonen: „Wir nehmen die Menschen auf, die auf
der Flucht vor der Not aus den Kriegs- und Krisenregi-
onen zu uns kommen, und wir brauchen dabei auch die
Unterstützung des Bundes . Der Bund muss anerkennen,
dass es eine gesamtstaatliche Aufgabe ist, Integration zu
finanzieren, und muss deshalb auch einen finanziellen
Beitrag leisten“? Es ist gut, dass heute endlich klar ist,
dass auch in den Jahren 2016 bis 2018 die Kommunen
um 2,6 Milliarden Euro bei den Kosten der Unterkunft
für Flüchtlinge entlastet werden und dass eine Integrati-
onspauschale in Höhe von 2 Milliarden Euro jährlich an
die Länder fließt. Das ist notwendig im Hinblick auf die
Aufgaben, die Kommunen und Länder vor Ort zu bewäl-
tigen haben, wenn es um die Integrationsleistung geht .

Die folgende Frage wird aber nicht beantwortet und
bleibt offen: Warum gibt es statt der Festlegung auf jähr-
liche Zahlungen für einen bestimmten Zeitraum keine
strukturelle Entlastung im Bereich der Integration? Dass
eine solche strukturelle Entlastung wichtig ist, ist von
uns, den Kommunen und den Ländern immer wieder be-
tont worden . Aus der Integration und aus den Fluchtbe-
wegungen resultieren Aufgaben vor Ort, die nicht plan-
bar sind . Wenn es wieder so lange dauert, bis der Bund
Bereitschaft zeigt, hier etwas zu tun, dann ist das mangel-
haft . Man könnte durch eine klar vereinbarte strukturelle
Unterstützung viel besser ein Signal setzen als durch ein-
maliges Entgegenkommen bzw . durch Vereinbarungen,
wie sie nun getroffen wurden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist wichtig für die weiteren Debatten, die wir führen
werden . Das heißt nicht, dass wir nicht anerkennen, dass
es hier einen Einstieg bei der Beteiligung an den Integra-
tionskosten vonseiten des Bundes gibt . Das ist richtig,
notwendig und überfällig .

Frau Kollegin Gottschalck, Sie haben gerade gesagt:
Versprochen und gehalten . – Ich möchte auf einen Punkt
hinweisen, wo das nicht der Fall ist . Sie haben im Ko-
alitionsvertrag zugesagt, dass 5 Milliarden Euro an die
Kommunen gehen . Wenn man sich den Gesetzentwurf
genau anschaut, dann stellt man fest, dass dem nicht
so ist . 4 Milliarden Euro gehen an die Kommunen, und
1 Milliarde Euro geht an die Länder . Das heißt, aus dem
„Versprochen und gehalten“ ist nichts geworden . Die
5 Milliarden Euro gehen schließlich nicht in Gänze an
die Kommunen .

Sie haben darüber hinaus versprochen, dass 5 Milli-
arden Euro als Entlastung bei der Eingliederungshilfe an
die Kommunen gehen . Davon redet in diesem Haus nie-
mand mehr . Beim Bundesteilhabegesetz wird nun ganz
anders argumentiert . Wir müssen erst einmal sehen, wie
hier die Finanzierung laufen soll . All diejenigen, die sich
in dieser Hinsicht Hoffnungen gemacht haben, werden
enttäuscht, weil nun klar ist, dass es dafür keine Mittel
mehr geben wird . 4 Milliarden Euro sollen nun zum ei-
nen über den Umsatzsteueranteil und zum anderen über
die Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft an
die Kommunen gehen . Dabei haben Sie ein ganz großes
Problem. Selbst Herr Schäuble hat vorhin von den finanz-
schwachen Kommunen geredet . Aber Sie verfahren hier
wieder nach dem Gießkannenprinzip . Statt 5 Milliarden
Euro gehen über einen Verteilungsschlüssel nur 4 Mil-
liarden Euro an die Kommunen, 2,4 Milliarden Euro
davon über die Umsatzsteuer. Davon profitieren aber in
erster Linie nicht die finanzschwachen Kommunen, wie
wir alle hier im Saal wissen . Wichtig wäre doch, dass
finanzschwache Kommunen Priorität bei der Unterstüt-
zung bekommen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es darf nicht das Signal gesendet werden, dass vor allen
Dingen die Kommunen, denen es gut geht, Unterstützung
erhalten .

Schauen Sie sich einmal bei den Kommunen um .
Diese werden Ihnen sofort sagen, was das, was Sie
nun planen, bedeutet . Wenn der Verteilungsschlüssel so
bleibt, wie Sie ihn vorschlagen, dann wird beispielswei-
se Düsseldorf mehr Geld bekommen als Solingen oder
Mönchengladbach, obwohl es sich bei Letzteren um fi-
nanzschwache Kommunen handelt . Ich könnte ähnliche
Vergleiche zu Pirmasens, Duisburg und vielen anderen
Städten ziehen . Was Sie machen, ist nicht richtig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie dürfen nicht nach dem Gießkannenprinzip verfahren .
Der Ansatzpunkt muss vielmehr sein, die finanzschwa-
chen Kommunen durch den Bund zu entlasten .

Ich hoffe, dass wir in den anstehenden Beratungen den
Gesetzentwurf noch entsprechend ändern werden . Sie
sollten zugunsten der finanzschwachen Kommunen um-
denken . Das Gleiche gilt auch für die Länder . Ich weiß
nicht, warum diese hier Druck gemacht und dafür gesorgt
haben, dass dieser Schlüssel zustande kommt, und sich

Britta Haßelmann






(A) (C)



(B) (D)


gleichzeitig 1 Milliarde Euro nur für sich genommen ha-
ben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819600700

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Ralph

Brinkhaus das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1819600800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte

angesichts der Rede der Kollegin Haßelmann zwei Vor-
bemerkungen machen . Erstens . Der Verteilungsschlüs-
sel, den Sie beklagen, geht auf einen besonderen Wunsch
der Ministerpräsidenten zurück . Ich erinnere Sie daran,
dass Sie von den Grünen an zehn Landesregierungen be-
teiligt sind . Das heißt, Sie kritisieren Ihre Kollegen aus
den Ländern, insbesondere den Ministerpräsidenten von
Baden-Württemberg .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zweitens . Sie haben kritisiert, dass sich der Bund zu
spät um die Flüchtlinge in den Kommunen gekümmert
hat. Das ist mitnichten der Fall. Der Bundesfinanzminis-
ter hat bereits darauf hingewiesen, dass der Bund schon
im letzten Jahr 670 Euro pro Flüchtling und Monat pau-
schal bereitgestellt hat . Wenn sich jemand zu spät um
die Belastungen der Kommunen gekümmert hat, dann
war das in meinem Heimatland Nordrhein-Westfalen die
rot-grüne Landesregierung,


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Richtig!)


die die Kommunen bei den Migrations- und Flüchtlings-
kosten am langen Arm hat verhungern lassen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben heute drei Pakete, die wir beschließen . Das
ist zum einen das Integrationspaket, über das schon sehr
viel geredet worden ist . Es geht aber auch um 5 Milliar-
den Euro Entlastung für die Kommunen, und – darüber
ist noch gar nicht geredet worden – es gibt ein Paket zum
sozialen Wohnungsbau . Auch da geht es immerhin um
500 Millionen Euro . Ich kann der Kollegin Gottschalck
nur zustimmen: Der Bund hat seine Zusagen vollumfäng-
lich eingehalten, soweit es möglich war . Wir haben gelie-
fert . Wir haben Wort gehalten, und man muss sagen: wie-
der einmal Wort gehalten; denn wenn man sich anschaut,
in welcher Höhe seit 2009 die Länder und Kommunen
erst durch die schwarz-gelbe Koalition und dann durch
die Große Koalition entlastet worden sind, dann stellt
man fest, dass das schon eine ganze Menge ist .

Im Bereich der Bildung sind die Ausgaben des Bun-
des für die Länder und Kommunen nahezu verdoppelt
worden . Geld ist in Forschungseinrichtungen und Exzel-
lenzinitiativen gesteckt worden, weiterhin in den Hoch-
schulpakt und in die Förderung von Kitas .

Schauen wir uns den sozialen Bereich an . Im sozia-
len Bereich haben wir uns ganz stark bei der Übernahme

der Kosten für die Unterkunft engagiert, wir haben die
Kosten für die Grundsicherung im Alter und für Erwerbs-
minderung übernommen, wir haben die BAföG-Kosten
übernommen und viele andere Dinge mehr .

Nehmen wir den Bereich Infrastruktur. Der Bundesfi-
nanzminister hat es gerade erwähnt: Wir haben ein Paket
für finanzschwache Kommunen aufgelegt, damit diese
investieren können, und zwar in einer Höhe von 3,5 Mil-
liarden Euro . Diese Summe wird in den nächsten Jahren
noch weiter steigen . Wir beteiligen uns an den Betriebs-
kosten von Kitas, wir leisten direkte und indirekte Hilfe
im Bereich des Breitbandausbaus . Wir sind an ganz vie-
len Stellen aktiv geworden, um Länder und Kommunen
zu entlasten .

Der Höhepunkt war sicherlich die letzte Woche, als
eine Einigung über den Länderfinanzausgleich erzielt
worden ist . Da geht es um 9,5 Milliarden Euro, die wir
leisten, damit der Ausgleich zwischen den finanzschwa-
chen und den finanzstarken Ländern besser gelingen
kann .

Jetzt erwarte ich von den Ministerpräsidenten oder
den heute angesichts der Bedeutung der Debatte sehr
zahlreich anwesenden Vertretern des Bundesrates nicht
unbedingt, dass sie Danke schön sagen . Das sind wir
nicht gewohnt . Aber ich würde mir vielleicht wünschen,
dass eines passiert, nämlich dass man anerkennt, was der
Bund für die Länder und die Kommunen leistet . Die Er-
fahrung in der Vergangenheit war leider: Ehe die Tinte
unter dem Gesetz trocken ist, wird nicht Danke gesagt,
sondern: mehr, noch mehr . – Das geht so nicht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Jetzt könnte man fragen: Wieso denn? Der Bund
schreibt Überschüsse, er verzeichnet eine schwarze Null,
er kommt doch super klar mit seinem Geld und hat hohe
Steuereinnahmen . – Wer das sagt, der verschweigt, dass
von jedem Euro Einkommensteuer 57,50 Cent an die
Länder und Kommunen gehen, der verschweigt, dass
von jedem Euro Umsatzsteuer 48 Cent an die Länder und
Kommunen gehen, der verschweigt, dass die Einnahmen
der Länder und Kommunen in den vergangenen Jahren
stärker gestiegen sind als die Einnahmen des Bundes, der
verschweigt, dass die Pro-Kopf-Verschuldung auf Bun-
desticket größer ist als die konsolidierte Verschuldung
auf Landesebene, und der verschweigt, dass die Zinsaus-
gaben des Bundes im Vergleich zu denen der konsolidier-
ten Länderhaushalte viel höher sind .

Es ist wichtig, das hier zu sagen, weil wir nämlich an
der Grenze unserer Belastungsfähigkeit angekommen
sind . Unser Haushalt ist mittlerweile auf Kante genäht,
und zwar deswegen, weil wir so viel von den Mitteln, die
eigentlich für Bundesaufgaben vorgesehen waren, an die
Länder und Kommunen weiterleiten . Das geht so nicht
weiter, weil wir nämlich vor sehr großen Herausforde-
rungen stehen .

Ich möchte das an einigen Beispielen erläutern . Schau-
en wir uns die wirtschaftliche Entwicklung an . Momen-
tan läuft es gut . Aber was ist denn, wenn es schlechter
läuft? Dann sind wir gleich dreifach belastet: Wir haben
weniger Steuereinnahmen – das haben die Länder und

Britta Haßelmann






(A) (C)



(B) (D)


Kommunen auch –, aber wir werden die Sozialversiche-
rungssysteme stabilisieren müssen, und von uns wird er-
wartet werden, dass wir mit Steuergeldern die konjunk-
turellen Impulse setzen .

Wir haben ganz neue Herausforderungen, über die wir
vor drei oder vier Jahren noch gar nicht nachgedacht ha-
ben . Das betrifft die Integration, aber vor allen Dingen
die Vermeidung von Flucht- und Migrationsursachen .
Dafür werden wir sehr viel Geld ausgeben müssen: in
Afrika, in Nordafrika und woanders auf der Welt . Dann
haben wir den Punkt äußere Sicherheit . Wir haben Kon-
flikte, die mittlerweile vor unserer Haustür sind, zum
Beispiel in der Ukraine . Gestern war die Konferenz im
Bundeskanzleramt .

Wir haben komplett neue sicherheitspolitische He-
rausforderungen im Bereich der Cybersicherheit, für die
wir sehr viel Geld ausgeben müssen . Wir haben Heraus-
forderungen in der inneren Sicherheit, zum Beispiel bei
der Terrorismusbekämpfung . Wir müssen schauen, wie
wir mit dem demografischen Wandel umgehen. Das ist
eine Herausforderung für unsere Sozialsysteme . Wir ha-
ben natürlich auch die Kosten der Integration . Die 2 Mil-
liarden Euro, die wir momentan zusätzlich in den Pott
hineinwerfen, werden nicht das Ende der Fahnenstange
sein .

Und Folgendes ist schon fast vergessen: An Deutsch-
land hängt auch die Stabilisierung Europas . Auch das
ist nicht umsonst zu haben, meine Damen und Herren .
Deswegen müssen wir sagen: Der Rucksack des Bundes
ist mittlerweile voll . Und jeder, der da noch weitere Zie-
gelsteine hineinpackt, versündigt sich an denjenigen, die
hier in 20 Jahren sitzen werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Denn die würden nur noch damit beschäftigt sein, die
Steuergelder des Bundes an Länder und Kommunen wei-
terzuleiten, Belastungen aus der Vergangenheit abzutra-
gen und Sozialversicherungssysteme zu stabilisieren .

Lassen Sie mich – das gehört nicht ganz zur Debatte,
aber sicherlich zur politischen Großwetterlage – eines
dazu bemerken: Dieses Fairnessgebot im Hinblick auf
die kommende Generation gilt auch für die Menschen,
die im Augenblick, wahlkampfmotiviert, meinen, dass
sie durch eine Ausweitung des Rentensystems noch den
einen oder anderen Punkt sammeln können . Wer heute
Rentengeschenke und Zusagen auf Kosten der kommen-
den Generation macht, der nimmt unseren Kollegen, die
hier in 20 Jahren sitzen werden, Handlungsfreiheit . Und
das geht so nicht, meine Damen und Herren!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn ich jetzt einmal einen Strich unter diese ganze
Beratung ziehe, fallen mir dazu drei Punkte ein .

Erstens . Es ist richtig – auch die Kollegin Gottschalck
hat das gesagt –, dass wir die Kommunen unterstützen,
weil sie der Ort sind, wo die Bürgerinnen und Bürger
Politik unmittelbar wahrnehmen . Man kann niemandem
erklären, dass Politik in Deutschland funktioniert, wenn
die Schulen in einem schlechten Zustand sind, wenn die

Infrastruktur in einem schlechten Zustand ist . Deswegen
ist es richtig, dass jetzt Geld an die Kommunen fließt.

Zweitens . Wir erwarten aber auch von den Ländern,
dass die 5 Milliarden Euro, die jetzt in den Topf geworfen
werden, und somit auch die 1 Milliarde Euro – die Minis-
terpräsidenten haben sich im Übrigen ausbedungen, dass
sie nicht in den kommunalen Topf hineinkommen, Frau
Haßelmann – eins zu eins an die Kommunen weitergelei-
tet werden und dass dieses Geld auch bei den Kommunen
ankommt .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir erwarten weiter, dass die Integrationsmittel, die jetzt
von uns gezahlt werden, dazu benutzt werden, um insbe-
sondere die Kommunen von den zusätzlichen Integrati-
onskosten zu entlasten . Und wir erwarten, dass das Geld,
das wir für den sozialen Wohnungsbau bereitstellen,
zusätzlich vor Ort – in den sozialen Brennpunkten der
Kommunen – investiert wird, damit wir dort die Woh-
nungsnot mindern können .

Vor allen Dingen erwarten wir eines, meine Damen
und Herren: dass kein Land – das ist ein Appell an den
Bundesrat – jetzt auf die Idee kommt, zu sagen: Na ja,
die Kommunen haben jetzt mehr Geld vom Bund be-
kommen, das können wir an anderer Stelle einsparen und
einen kommunalen Finanzausgleich machen, im Zuge
dessen den Kommunen das Geld wieder weggenommen
wird, das der Bund ihnen jetzt gibt . – Das ist eine Sache,
meine Damen und Herren, die wir nicht dulden werden .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Drittens . Die Ministerpräsidenten stehen in der Ver-
antwortung für die Kommunen . Die Kommunen sind
Bestandteil der Länder, und dementsprechend ist es auch
deren Aufgabe, für eine auskömmliche und ordentliche
Finanzausstattung zu sorgen . Daran müssen sich die Mi-
nisterpräsidentinnen und Ministerpräsidenten messen
lassen; denn das ist föderale Verantwortung . Wer födera-
le Verantwortung darauf reduziert, immer nur nach dem
Geld des Bundes zu suchen, der höhlt dieses föderale
System aus . Das wollen wir nicht, und das werden wir
auch in den Beratungen berücksichtigen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819600900

Die Kollegin Dağdelen hat nun das Wort für die Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819601000

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Verehrter Herr Brinkhaus, ich finde es be-
merkenswert, dass Sie sich hier hinstellen und süffisant
sagen, dass sie von den Kommunen und Ländern zwar
kein Dankeschön erwarten, aber Anerkennung . Ich mei-
ne, es sind doch nicht die Länder und die Kommunen ge-
wesen, die die Entscheidungen in der Flüchtlingspolitik

Ralph Brinkhaus






(A) (C)



(B) (D)


getroffen haben . Es war die Bundesregierung, es war die
Bundeskanzlerin, die die Entscheidungen getroffen und
letztlich mit dazu beigetragen haben,


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


dass die Länder und die Kommunen vor vielen großen
Problemen standen, die sie erst einmal nicht bewältigen
konnten . Sie konnten sie letztendlich auch nur bewäl-
tigen, weil es Hunderttausende von freiwilligen Helfe-
rinnen und Helfern – aus Kirchen, Organisationen und
Verbänden – gegeben hat, die geholfen haben, die Ent-
scheidungen der Bundesregierung vor Ort abzufedern .

Das alles ist doch von der Bundesregierung zu ver-
antworten . Also erwarten und fordern Sie nicht Anerken-
nung . Es ist doch das Mindeste, dass der Bund den Kom-
munen und Ländern die finanziellen Mittel zur Verfügung
stellt, die erforderlich sind, um mit den Problemen fertig
zu werden, die die Entscheidungen der Bundesregierung
mit sich gebracht haben .


(Beifall bei der LINKEN)


Nach einer aktuellen Umfrage von Infratest dimap aus
diesem Monat halten 85 Prozent der Deutschen die Ver-
mittlung von Sprachkenntnissen für die zentrale Aufgabe
bei der Integration der Flüchtlinge in Deutschland . Auch
dem Schulbesuch wird eine hohe Bedeutung beigemes-
sen: 74 Prozent der Befragten halten die Integration von
Flüchtlingskindern in den Schulen für sehr wichtig . Die
Vermittlung deutscher Grundwerte erachten 62 Prozent
der Befragten als eine sehr wichtige Aufgabe und die In-
tegration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt 53 Pro-
zent . Die angemessene Unterbringung und Versorgung
von Flüchtlingen sehen 42 Prozent als eine sehr wichtige
Aufgabe .

Zur Erinnerung: 85 Prozent halten die Vermittlung
von Sprachkenntnissen bei der Integration der Flüchtlin-
ge für wichtig . Da muss ich schon sagen: Es ist wirklich
ein unglaublicher Skandal, dass die Bundesregierung
überhaupt nichts tut, um Geld für zusätzliche Integra-
tionskurse zur Verfügung zu stellen,


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist völlig falsch!)


obwohl sie weiß, dass der Bedarf an Integrationskursen
immer weiter steigt . Die Bundesregierung hat gerade
selbst festgestellt – vor zwei Tagen war das in der Rhei-
nischen Post zu lesen –, dass weniger als 40 Prozent der
Asylbewerber und Geduldeten mit einer Teilnahmebe-
rechtigung im laufenden Jahr einen Integrationskurs be-
suchen konnten .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Wie kann man so was behaupten? Völlig falsch!)


Dem großen Bedarf an Integrationskursen steht weiter-
hin nur ein unzureichendes Angebot gegenüber. Ich fin-
de, es muss endlich genügend Plätze geben .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Regierung, besonders der Innenminister, muss
auch aufhören, immer nur zu behaupten, die Flüchtlinge
würden nicht Deutsch lernen .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das tut er gar nicht!)


Nein, Sie sind in der Bringschuld! Sie geben nicht ge-
nügend Integrationskurse frei, und Sie setzen sich auch
nicht dafür ein, dass genügend Mittel zur Verfügung
stehen . Sie haben gesagt, dass Sie 2016 559 Millionen
Euro für Integrationskurse für 300 000 Personen zur Ver-
fügung stellen wollen . Vor kurzem hat die Bundesregie-
rung auf eine Anfrage von uns Linken geantwortet, dass
das Geld, das eigentlich für 300 000 Personen gedacht
war, für 550 000 Personen reichen soll . Wie machen Sie
das? Sie setzen die Kursgrößen höher an und versuchen,
sozusagen statistisch die Nachfrage zu verkleinern . Da-
bei wissen wir aber, dass wir 800 000 Plätze brauchen .

Daneben haben wir noch ein anderes Problem . Ganz
aktuell habe ich gehört, dass beispielsweise aus der Re-
gion Hannover Flüchtlinge ein bis anderthalb Jahre auf
einen Platz in einem Integrationskurs warten müssen,
um Deutsch zu lernen . Was ist der Grund? Die Volks-
hochschulen sagen: Es gibt nicht genügend Lehrkräf-
te . – Warum gibt es nicht genügend Lehrkräfte? Weil die
Arbeitsbedingungen miserabel sind und die Bezahlung
miserabel ist . Die Lehrkräfte, die diese Kurse geben, ar-
beiten auf Hartz-IV-Niveau .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Da sind Sie aber nicht auf aktuellem Stand! Das haben wir bereits deutlich verbessert!)


Wir Linke fordern seit Jahren: Verbessern Sie die Ar-
beitsbedingungen und die Löhne der Lehrkräfte .


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Alles passiert!)


Dann werden sich auch Lehrkräfte für so eine Mammut-
aufgabe zur Verfügung stellen, und dann wird es auch
gelingen, den Flüchtlingen genügend Plätze zur Verfü-
gung zu stellen .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie müssen sich doch einmal vorstellen: Wenn ein
Flüchtling subsidiären Schutz erhält, muss er im Vorfeld
eine Vereinbarung unterzeichnen, dass er diesen Kurs ab-
solviert . Bis dieser Fall eintritt, ist er theoretisch bei so
einer langen Wartezeit gar nicht mehr im Lande .

Meine Damen und Herren, ich finde, so schaffen wir
keine guten Rahmenbedingungen für Integration. Ich fin-
de es auch nicht angemessen, dass angesichts der Heraus-
forderungen, vor denen wir stehen, angesichts des Inves-
titionsstaus, den wir haben, und angesichts der sozialen
Spaltung, die wir haben und die es auch gab, bevor die
Flüchtlinge kamen, der Bundesfinanzminister – ich muss
es so sagen – so obsessiv an der schwarzen Null hängt .
Eins kann ich Ihnen sagen: Wer so an der schwarzen Null
hängt, statt zu investieren,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Alles klar! Sparen hat mit Ihnen nichts zu tun!)


Sevim Dağdelen






(A) (C)



(B) (D)


sowohl für Flüchtlinge als auch für Einheimische, der
darf sich nicht wundern, dass das dann zu vielen braunen
Nullen in unserer Gesellschaft führt .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819601100

Das Wort erhält nun der Kollege Bernhard Daldrup für

die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Bernhard Daldrup (SPD):
Rede ID: ID1819601200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kol-

leginnen und Kollegen! Ich will die richtige Bilanz, die
der Bundesfinanzminister eben vorgetragen hat, nicht
wiederholen, sondern noch einmal darauf aufmerksam
machen, dass das Wichtigste an diesem Gesetz zum ge-
genwärtigen Zeitpunkt die Tatsache ist, dass wir in den
nächsten drei Jahren ungefähr 20 Milliarden Euro zur
Verfügung stellen . Hier den Eindruck zu erwecken, als
wäre das nichts, ist schon eine ziemliche Dreistigkeit,
wie ich finde. Das ist eine wichtige, notwendige und gute
Entscheidung gewesen, die wir getroffen haben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Der zweite wichtige Punkt an diesem Gesetz ist –
ich unterstreiche ausdrücklich das, was die Kollegin
Gottschalck gesagt hat –, dass wir Wort gehalten ha-
ben – ich komme darauf zurück, Britta Haßelmann –,
das heißt mit anderen Worten: Wir haben uns in dieser
Großen Koalition als Anwalt der Kommunen verstanden,
und wir haben die Maßnahmen gemeinsam auf den Weg
gebracht . Das ist gut für die Kommunen und gut für die
Länder, gut für Deutschland insgesamt . Das ist ein Erfolg
unserer Arbeit, den wir uns nicht ohne Weiteres zerreden
lassen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will noch einmal auf folgende Frage aufmerksam
machen: Was war eigentlich unser Ausgangspunkt, und
weshalb wollten wir den Kommunen helfen? Der Aus-
gangspunkt war Bedürftigkeit . Wir haben gesagt: Wir
müssen Kommunen, die sich in einer finanziell prekären
Situation befinden, helfen. Das ist nicht bei allen Kom-
munen in Deutschland so, sondern nur bei einem be-
stimmten Teil . Wir haben mittlerweile – das ist relativ
unstreitig – in diesem Bereich eine Art Zweiklassenge-
sellschaft .

Wir haben weiterhin drei Probleme: Wir haben zu
hohe Sozialausgaben; meistens bundesgesetzlich verur-
sacht . Wir haben eine Investitionsschwäche, Infrastruk-
turdefizite in erheblichem Umfang. Und wir haben ein
Schuldenproblem bei den Kommunen mit gefährlich
hohen Kassenkrediten . Das alles zusammen führt dazu,
dass wir die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in
Deutschland insgesamt nicht so gewährleisten können,
wie wir das wollen . Deshalb war Bedürftigkeit unser
Ausgangspunkt, um Kommunen in prekären Finanzsitu-
ationen zu helfen . Das haben wir in der Vergangenheit

mit einer großen Zahl von Maßnahmen gemacht, wie das
eben vorgetragen worden ist . Es kann sein, dass Mittel
nicht schnell genug abfließen; darauf hat der Finanzmi-
nister hingewiesen . Wenn wir Hilfestellungen zum Bei-
spiel im Personalbereich geben können, dann ist das gut .

Ich will an dieser Stelle noch einmal auf den Kern-
punkt unserer Koalitionsvereinbarung eingehen, nämlich
die 5 Milliarden Euro Entlastung, und darauf aufmerk-
sam machen, dass wir zusätzlich eine Integrationspau-
schale in Höhe von dreimal 2 Milliarden Euro eingeführt
haben, die die Länder so verwenden können, wie sie es
für richtig halten . Es wäre besser, wenn in der Verein-
barung zwischen Ländern und Bundesregierung stehen
würde, dass daran auch die Kommunen beteiligt werden
müssen, Herr Brinkhaus, als wenn dort stehen würde,
es stünde den Länderhaushalten zur Verfügung . Das nur
einmal am Rande. Aber ich finde, diese pauschale Un-
terstützung, Britta, ist ein vernünftiger Ansatzpunkt, weil
die Kommunen selber immer nach einer solchen Integra-
tionspauschale gerufen haben .

Das, was Frau Dağdelen vorgetragen hat, finde ich,
ehrlich gesagt, völlig grotesk . Vor dem Hintergrund der
Kosten in Höhe von 18 Milliarden Euro für diesen ge-
samten Bereich in 2016, aufsteigend in den kommenden
Jahren, vor dem Hintergrund, dass die Mittel für die Inte-
grationskurse von 204 Millionen Euro auf über 500 Mil-
lionen Euro aufgestockt worden sind, zu sagen, man wür-
de in diesem Bereich nichts tun, ist einfach nicht richtig;
es ist einfach falsch .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Tatsache, dass wir 2,6 Milliarden Euro flüchtlingsbe-
dingte KdU übernehmen, die Tatsache, dass wir zweimal
500 Millionen Euro für den Wohnungsbau zur Verfügung
stellen, das alles macht in der Summe 20 Milliarden Euro
aus . Wir stehen zu unserem Wort .


(Zuruf der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE])


– Die Bundeswehr ist nicht Teil der Kommunalpolitik,
wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf . Nur weil
wir etwas für die Bundeswehr tun, soll das, was wir für
die Länder tun, nicht in Ordnung sein? Was ist das denn
für eine Auffassung? Das, was Sie sagen, ist doch absurd .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die haben keine anderen Argumente! Das ist das Problem!)


Ich will an dieser Stelle noch einmal auf den Vertei-
lungsmechanismus zu sprechen kommen . Es ist mir auch
wichtig, dass die 1 Milliarde Euro, die über die Länder-
haushalte verteilt werden soll, im weiteren Gesetzge-
bungsverfahren hinterfragt werden soll . Wir sollten nicht
eine Erwartung an die Länder formulieren, die nicht ein-
gelöst werden kann . Das sollten wir ändern . Ich glaube,
wir können das auch ändern . Das ist ein vernünftiger Ge-
sichtspunkt .

Wir sollten uns tatsächlich die Frage stellen: Warum
werden 2,4 Milliarden Euro über den Umsatzsteueranteil
und nur 1,6 Milliarden Euro über erhöhte KdU, also über
den Sozialindikator, verteilt? Die Wirkungen entspre-

Sevim Dağdelen






(A) (C)



(B) (D)


chen nämlich nicht unserem Ziel „Hilfe nach Bedürftig-
keit“ . Das kann ich Ihnen gerne nachweisen . Wir stärken
auf diese Art und Weise diejenigen mit hohen Gewerbe-
steuereinnahmen, die Schwächeren werden geschwächt .
Frankfurt beispielsweise bekommt auf der Grundlage
des derzeitigen Schlüssels von den 4 Milliarden Euro
127 Euro pro Einwohner, Oberhausen 64 Euro, Düssel-
dorf 102 Euro, Trier – eine der zehn höchstverschulde-
ten Städte in Deutschland – gerade einmal 48 Euro . Das
heißt mit anderen Worten: Das ist nicht in Ordnung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen hier nicht auf die Länder gucken, sondern
auf die Kommunen, und wir müssen diesen Sachverhalt
ändern . Einen wirklichen Nutzen erfahren die Menschen
erst, wenn sich die Situation bei den Kitas und der sons-
tigen Infrastruktur verändert .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hier stellt sich also die Frage, warum wir diesen Vertei-
lungsschlüssel eigentlich wählen .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819601300

Wollten Sie sich bei mir vergewissern, Herr Kollege,

ob ich bemerkt habe, dass Ihre Redezeit überschritten ist?


Bernhard Daldrup (SPD):
Rede ID: ID1819601400

Nein, ich wollte das selbstverständlich nicht, sondern

wollte vorbeugend darauf aufmerksam machen, dass ich
es schon selber wahrgenommen habe .


(Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819601500

Noch schöner wäre, wenn Sie es berücksichtigen

könnten .


(Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Bernhard Daldrup (SPD):
Rede ID: ID1819601600

Ich verfolge jetzt ganz zielgerichtet die Absicht, das

zu berücksichtigen,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


wenn Sie mir freundlicherweise gestatten, noch einen
Satz zu sagen, der bei der Angelegenheit, bei dem Thema
wichtig ist .

Diesen Verteilungsschlüssel gibt es deshalb, weil wir
bei einer stärkeren Entlastung der Kommunen bei den
Kosten der Langzeitarbeitslosigkeit in Konflikt mit einer
verfassungsrechtlich gebotenen Verwaltungszuständig-
keit kommen . Es darf eigentlich nicht sein, meine Damen
und Herren, dass die Hilfe für Kommunen in einer Not-

situation daran scheitert, dass wir eine Verfahrensgren-
ze – Bundesauftragsverwaltung – erreichen . Da muss der
Maßstab sein, die Hilfe für die Betroffenen zu stärken .
Leider kann ich das jetzt nicht mehr im Einzelnen aus-
führen, ohne mich der Gefahr auszusetzen, dass der Prä-
sident noch einmal eingreift .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819601700

Völlig richtig .


Bernhard Daldrup (SPD):
Rede ID: ID1819601800

Insofern bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit .

Ich will damit abschließen, zu sagen: Wir zeigen Ver-
antwortung, wir nehmen sie wahr, wir halten in dieser
Angelegenheit Wort, und ich glaube, wir haben genug
Selbstbewusstsein, sie auch im weiteren Gesetzgebungs-
verfahren zu zeigen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819601900

Anja Hajduk erhält nun das Wort für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen .


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819602000

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Wir sprechen hier in der Debatte über die Bundes-
beteiligung an den Kosten der Integration und über eine
Entlastung der Kommunen . Das erkennen wir an; das ist
wichtig, das ist richtig . Und wir erkennen auch an, dass
dort Summen zur Verfügung gestellt werden .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Unsere Kritik richtet sich aber gegen die Verteilung der
Mittel, und diese Kritik muss hier heute Raum haben;
denn die Verteilung muss dringend verändert werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Paul Lehrieder [CDU/CSU])


Die Verteilung der 5 Milliarden Euro zur Entlastung
der Kommunen muss man doch vor dem Hintergrund
des folgenden Befundes sehen: Die Finanzlage der Kom-
munen in Deutschland ist nicht per se schlecht, sondern
höchst unterschiedlich – sanierte Straßen und Schulen
dort, geschlossene Schwimmbäder und marode öffentli-
che Einrichtungen woanders . Viel zu oft sind Kommunen
entweder finanzschwach, weil sie geringe Einnahmen
haben, oder sie leiden unter extrem hohen Altschulden .
Wenn dann noch eine Strukturschwäche bedingt, dass es
hohe Sozialausgaben gibt, dann führt das bei zu vielen
Kommunen dazu, dass sie in einer totalen Abwärtsspirale
stecken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Oder politisch vielleicht schlecht geführt sind!)


– Es können auch mal politische Fehler dahinterstecken .
Aber ich glaube, es gibt keinen Zweifel, Herr Kollege,
dass es strukturell bedingt auch im Westen und nicht nur

Bernhard Daldrup






(A) (C)



(B) (D)


einnahmebedingt im Osten kommunale Probleme gibt,
um die wir uns hier im Bund auch kümmern sollten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Und ich akzeptiere nicht, dass Sie sich dahinter ver-
stecken, dass es einen grünen Ministerpräsidenten gibt,
der vielleicht mal im Bundesrat einen anderen Akzent
gesetzt hat . Sie haben selber auch Ministerpräsidenten,


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Einen zu wenig!)


und der Bundestag ist dazu da, auch mal den Minister-
präsidenten zu sagen, wo sie irren, wo man zielgenauer
finanzschwachen Kommunen helfen muss. Wir nehmen
diese Verantwortung ernst, und das sollten Sie auch tun .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Offensichtlich nicht! – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Immer dieses Kretschmann-Bashing der Grünen! Das geht doch gar nicht!)


Deswegen: Vor dem Hintergrund der großen Sprei-
zung bei den kommunalen Finanzen bleibt es falsch,
dass von dem Kuchen der 5 Milliarden Euro erst einmal
1 Milliarde Euro, sage und schreibe 20 Prozent, an die
Länder geht . Ich bin froh, dass Herr Daldrup hier gesagt
hat, er beabsichtige, dass wir diesen Schlüssel anpacken
und ihn noch verändern . Wir werden Sie dabei unterstüt-
zen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber, Herr Daldrup, es ist auch falsch, dass definiert
ist, dass ein Großteil der 4 Milliarden Euro nach dem
Umsatzsteueranteil der Gemeinden verteilt wird . Das
heißt, auch hier profitieren wieder die finanzstarken Ge-
meinden . Besser wäre es, zu sagen: Der Großteil der rest-
lichen 4 Milliarden Euro wird unter Berücksichtigung
der Anhebung der Bundesbeteiligung an den Kosten der
Unterkunft verteilt; denn dann wirkt es zielgenau in den
Gemeinden, die hohe Sozialausgaben haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hohe Sozialausgaben gleich strukturschwache, gleich fi-
nanzschwache Kommune – das ist doch nicht so schwer
zu verstehen . Wir fordern Sie auf, auch an dieser Stelle
den Schlüssel zu ändern . Wir werden einen entsprechen-
den Vorschlag vorlegen, und wir hoffen, dass Sie dabei
sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte das Thema in einen größeren Zusammen-
hang stellen . Ich bin Finanzminister Schäuble schon
dankbar für den Rahmen, den er gesetzt hat . Im Moment
haben wir die Situation, dass die öffentlichen Haushal-
te in Deutschland insgesamt gesehen gut dastehen: Die
kommunalen – in Gänze –, die der Länder und des Ge-
samtstaats verzeichnen ein Plus . In solchen Zeiten, in de-
nen der öffentliche Haushalt gut dasteht, werden es die
Bürgerinnen und Bürger nicht verstehen, wenn die Poli-
tik unfähig ist, zielgenau dort zu helfen, wo Mangel be-
steht . Deswegen: Wenn wir die Akzeptanz bei den Bür-
gerinnen und Bürgern in Bezug auf funktionierende und

gute Politik oder auch in Bezug auf hohe Ausgaben für
Zuwanderung und Integration insgesamt erhalten wollen,
dann müssen Investitionen in die Behebung mangelhaf-
ter Infrastruktur oder auch schlicht fehlender Infrastruk-
tur getätigt werden, vor allem in jenen Gebieten, die von
Wegzug betroffen sind, die darunter leiden, dass sie nicht
so attraktiv sind und daher nicht so viele Menschen an-
ziehen . Wir könnten mit vorhandenen Mitteln – ich beto-
ne: vorhandenen Mitteln – die Probleme beheben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss . Wir werden bei der jetzt
vorliegenden Einigung mit Blick auf die Bund-Län-
der-Finanzbeziehungen sehr genau darauf achten, wie
das jetzt ausgelegt wird, was neu verabredet ist, dass der
Bund mehr Steuerungsrechte bei Finanzhilfen erhält; es
ist nämlich eine grundgesetzliche Erweiterung der Mit-
finanzierungskompetenzen des Bundes im Bereich der
kommunalen Bildungsinfrastruktur für finanzschwache
Kommunen verabredet .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich freue mich über die Selbstkritik des Finanzmi-
nisters Schäuble an der fehlerhaften Beschränkung des
Bundes, den Ländern und Kommunen bei der Bildungs-
infrastruktur zu helfen . Diese Selbstkritik war überfällig .
Ich bin froh, dass sie auch zu einem Beschluss geführt
hat . Das Ganze geht aber nur richtig auf, wenn wir ge-
nau definieren: Was sind finanzschwache Kommunen?
Diesem Problem begegnet man nicht mit der Verteilung
von Umsatzsteuerpunkten nach dem Gießkannenprinzip;
vielmehr geht es um eine genaue Definition, was „fi-
nanzschwach“ bedeutet . Damit fangen wir am besten bei
dem vorliegenden Gesetzentwurf an . Dann haben Sie uns
auch auf Ihrer Seite . Ich glaube, das ist mit Blick auf die
Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger überfällig .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819602100

Ich erteile das Wort dem Kollegen Eckhardt Rehberg

für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Eckhardt Rehberg (CDU):
Rede ID: ID1819602200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und

Kollegen! Der Bund entlastet Länder und Kommunen in
einem historischen Ausmaß . All denjenigen, die heu-
te den Bund kritisiert haben, empfehle ich, den Bericht
des Bundesrechnungshofs zum Haushalt 2017, und zwar
die Seiten 24 und 25, zu lesen . Dort hat der Bundesrech-
nungshof unter der Überschrift „Entlastung von Ländern
und Kommunen“ aufgelistet, dass diese um 73 Milliarden
Euro entlastet werden, allein in diesem Jahr um zusätz-
lich über 10 Milliarden Euro . Frau Kollegin Haßelmann,
auch im Jahr 2015 gab es eine Soforthilfe des Bundes für
die Integration der Flüchtlinge in Höhe von 2 Milliarden

Anja Hajduk






(A) (C)



(B) (D)


Euro . Das heißt, der Bund hat an dieser Stelle sofort ge-
handelt . Ihren Vorwurf weise ich zurück .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Lassen Sie mich einen zweiten Punkt anspre-
chen. Bundesfinanzminister Schäuble und auch Ralph
Brinkhaus haben darauf hingewiesen – ich will das noch
einmal kontrastieren –: Aktuell sieht die gesamtstaatliche
Steuerverteilung beim Mischsteuersatz so aus: 44 Pro-
zent bekommt der Bund und 56 Prozent bekommen die
Länder und Gemeinden . Aufgrund der in den nächsten
vier Jahren zu erwartenden Steuermehreinnahmen ver-
schiebt sich die Verteilung hin zu 40 Prozent für den
Bund und 60 Prozent für die Länder und Gemeinden . Das
heißt, die Anteile an den Steuereinnahmen – ich war nie
ein großer Freund davon, das über Umsatzsteuerpunkte
zu regeln; darauf gehe ich noch ein – werden sich in den
nächsten Jahren massiv weiter zugunsten der Länder und
der Kommunen verschieben . Das muss auch bei diesem
5-Milliarden-Euro-Paket und bei den Integrationsleistun-
gen, die der Bund für die Länder und Kommunen bezah-
len will, berücksichtigt werden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden in dieser
Legislaturperiode – Herr Kollege Daldrup, 20 Milliarden
Euro sind es in diesem Paket; das ist richtig – den Län-
dern und Kommunen 80 bis 90 Milliarden Euro mehr zur
Verfügung stellen als in der letzten Legislaturperiode .
Insgesamt sind es in diesem Jahrzehnt fast 200 Milliar-
den Euro, wenn ich das Jahr 2010 zum Vergleich heran-
ziehe . Es gibt kein Jahrzehnt, in dem der Bund die Län-
der und Kommunen so stark entlastet hat wie in dieser
und der letzten Legislaturperiode . Wir stehen aber vor ei-
ner ganz gravierenden Herausforderung; mehrere Redner
haben darauf hingewiesen . Deshalb muss das Geld, das
politisch für Kindertagesstätten, den sozialen Wohnungs-
bau und für die Integration von Flüchtlingen vereinbart
worden ist, auch in den Kommunen ankommen . Das ist
sachlich geboten . Dort gehört es hin .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich bin mir mit meinen Vorrednern darüber einig, dass
für uns – ich meine damit den gesamten Bundestag – viel
Arbeit ansteht, wenn wir im Rahmen der Neugestaltung
der Bund-Länder-Finanzbeziehungen das vereinbaren –
ich nenne das einmal eine „Liste B“ –, worüber wir am
Donnerstag und Freitag der vergangenen Woche gespro-
chen haben . Ich glaube, wir müssen alle ein Interesse da-
ran haben, dass der Bundesrechnungshof wieder kontrol-
lieren kann . Frau Kollegin Hajduk, es war übrigens das
Bundesverfassungsgericht, das mit einem Beschluss aus
dem Jahr 2010 dem Bundesrechnungshof die Werkzeu-
ge aus der Hand geschlagen hat, nachdem fünf Länder
geklagt haben . Das heißt, wir müssen eine Grundgeset-
zänderung vornehmen, damit wieder kontrolliert werden
kann .


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Ich halte eine Steuerung und eine Kontrolle der Mittel,
die der Bund an die Länder durchreicht, für zwingend

geboten – die Länder haben bei den Finanzen die Verant-
wortung, die Zuständigkeit für die Kommunen –, damit
die Bund-Länder-Beziehungen wieder in die Waage ge-
bracht werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg . Ulrike Gottschalck [SPD] – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da unterstützen wir Sie!)


Man kann die Verteilung der 4 Milliarden Euro kri-
tisieren . Mecklenburg-Vorpommern ist bekanntlich
kein finanzstarkes Land, hat dennoch im Gegensatz zu
anderen im Koalitionsvertrag vereinbart, dass von den
Überschüssen drei Viertel zur Schuldentilgung genutzt
werden und ein Viertel für die Kommunen verwendet
werden . Mecklenburg-Vorpommern tilgt übrigens seit
zehn Jahren Schulden . Gelegentlich sollten sich andere
Länder ein Beispiel daran nehmen und das Geld nicht
für irgendwelche Dinge verpulvern, die nicht nachhaltig
und vernünftig sind . Wer hier sagt: „Ich will einen höhe-
ren Anteil an den Mitteln für die Kosten der Unterkunft
haben“, der muss auch sagen: Ich will eine Grundgesetz-
änderung . – Anders geht das nicht . Wer das will, muss an
dieser Stelle auch sagen, dass dieser Grundgesetzände-
rung auch zwei Drittel des Bundesrates zustimmen müs-
sen . – Das ist die Konsequenz . Dabei wünsche ich viel
Vergnügen . Ich bin da durchaus dabei .

Für mein Bundesland bedeutet die Verteilung von
1 Milliarde Euro nach KdU 30 Millionen Euro, von
1 Milliarde Euro nach Umsatzsteuer 14 Millionen Euro,
und nach dem Königsteiner Schlüssel – darauf will ich
noch einmal eingehen – heißt 1 Milliarde Euro 20 Mil-
lionen Euro . Auch der Königsteiner Schlüssel ist nicht
zwingend dazu geeignet, finanzschwache Kommunen
und finanzschwache Länder hinsichtlich des Ziels der
Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse ausglei-
chend zu behandeln, so sage ich es einmal .

Ich persönlich versperre mich da keiner Diskussion .
Im Zusammenhang mit dem Kommunalinvestitions-
programm ist mancher Kollege zu mir gekommen und
hat gefragt: Eckhardt, warum kriegen die Steuerstarken
mehr als die Steuerschwachen? – Für mich sind aber
Kassenkredite – ich wiederhole das, was ich gestern im
Haushaltsausschuss gesagt habe – kein Maßstab für die
Finanzschwäche von Kommunen .


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht alle!)


Sie können nämlich zwei wesentliche Gründe haben: Es
kann sein, dass die Rechtsaufsicht – sprich: das Innenmi-
nisterium – versagt hat und die Zügel zu locker gelassen
hat . Es kann aber auch anders sein . Das hat der Kollege
Mattfeldt in einem Zwischenruf deutlich gemacht: Nicht
immer liegt die Ursache für eine Finanzschwäche der
Kommunen in der Strukturschwäche, sondern manchmal
auch in falschem kommunalpolitischen Handeln .


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber das hilft doch nichts!)


Eckhardt Rehberg






(A) (C)



(B) (D)


Dafür kann, sollte und darf man den Bund nicht in Haf-
tung nehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist es aber nicht allein, und das wissen Sie auch!)


Das können wir aus meiner Sicht nicht machen .

Ich will noch auf einen weiteren Punkt eingehen, den
ich mit Blick auf die Anhörung zu diesem Gesetzespaket
für wichtig halte . Wir können uns im Bund so viel be-
mühen, wie wir wollen, möglicherweise auch die Rechte
des Bundesrechnungshofes stärken, aber es gibt einen
Punkt, bei dem wir alle in allen 16 Ländern gefordert
sind: Es gibt heute kommunale Finanzausgleichssyste-
me, bei denen per Gesetz die zusätzlichen Finanzmittel,
die die Kommunen erhalten, über Vorwegabzüge wieder
in die Landeskasse fließen. Ich habe dabei drei Länder im
Kopf – ich behalte sie einmal für mich –, von denen ich
es definitiv weiß, mit ganz unterschiedlichen parteipoli-
tischen Farben .


(Zuruf von der SPD: Nennen Sie sie!)


Deshalb ist es, Kollege Daldrup – auch Ingbert Liebing
spreche ich ganz direkt an –, auch eine Aufgabe der
Kommunalpolitik, dafür zu sorgen, dass diese Mechanis-
men aufgelöst werden .


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: So ist es!)


Denn wenn wir sie nicht auflösen, haben wir im Bund
nichts gewonnen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg . Sonja Steffen [SPD])


Eine letzte Bemerkung an dieser Stelle: Es geht mir
nicht darum, dass Bundestagsabgeordnete nicht zu Kita-
oder Schuleröffnungen nach erfolgter Sanierung ein-
geladen werden; das ist überhaupt nicht mein Thema .
Aber ich erlebe fast nie, egal ob das bei mir zu Hause
ein CDU- oder ein SPD-Minister ist, dass darauf hinge-
wiesen wird, dass der Bund zu 90 Prozent, zu 50 Prozent
oder zu 10 Prozent Geld dazugegeben hat .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Josip Juratovic [SPD]: Sehr richtig!)


Das Dreisteste, das ich erlebt habe – die Wahlen sind
bei uns vorbei –, war, dass der jetzige Finanzminister
des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Brodkorb, in
Rostock groß plakatiert hat, der Hochschulbau sei seine
ganz eigene Finanzierungssache gewesen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819602300

Für die SPD-Fraktion erhält der Kollege Martin

Gerster das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Martin Gerster (SPD):
Rede ID: ID1819602400

Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kolle-

gen! Wenn wir heute den Gesetzentwurf zur Beteiligung
des Bundes an den Kosten der Integration diskutieren,
dann geht es natürlich in erster Linie und vordergründig
um Geld . Ich möchte aber für die SPD-Fraktion noch
einmal betonen: Es geht um Menschen, um Menschen,
die auf der Flucht sind vor Krieg, Terror, Verfolgung
oder Armut oder sich aus anderen Gründen auf den Weg
gemacht haben, um woanders Obdach, Unterschlupf zu
finden.

Wir haben in Deutschland in der Tat viele Flüchtlinge
aufgenommen . Nicht alle können bleiben, viele wollen
und andere müssen zurück in ihre Heimatländer . Aber bei
jenen, die hier bleiben, ist es, finde ich, unsere Pflicht,
alle Hebel in Bewegung zu setzen, damit sie sich hier gut
integrieren und eine Perspektive für ihr weiteres Leben
aufbauen können . Ich denke, das ist gut für die Betroffe-
nen ganz individuell, aber auch für unsere Gesellschaft,
und es ist die beste Prävention gegen eine erfolgreiche
Ansprache von Terrororganisationen und ein Abdriften in
Bereiche von Kriminalität und Gewalt .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine ich,
dass Flüchtlingspolitik eine riesengroße Herausforderung
und eine gesamtstaatliche Aufgabe von Bund, Ländern
und Kommunen ist . Daher ist es nur folgerichtig, dass
sich die verschiedenen Ebenen gegenseitig unterstützen
und ergänzen . Wir dürfen das jedoch nicht auf eine gute
Verteilung der Aufgaben reduzieren, sondern wir müssen
klären, wer wie viel wofür bezahlt .

Es ist fast ein Jahr her, dass wir an dieser Stelle das
Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz beraten und be-
schlossen haben . Mit diesem Gesetz hat sich der Bund
bereits verpflichtet, die Kosten für Asylbewerberinnen
und Asylbewerber in Höhe einer Fallpauschale zu über-
nehmen . In diesem Jahr werden wir deshalb über 2 Mil-
liarden Euro an die Länder überweisen . Dazu kommen
in mehrfachen Tranchen 500 Millionen Euro für sozialen
Wohnungsbau und – nicht zu vergessen – die 350 Millio-
nen Euro jährlich für unbegleitete minderjährige Flücht-
linge .

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kommen noch-
mals jährlich drei Jahre lang 2 Milliarden Euro obendrauf
sowie die bereits mehrfach angesprochenen 5 Milliarden
Euro zur weiteren Entlastung von Kommunen . Der Kolle-
ge Bernhard Daldrup, die Kollegin Ulli Gottschalck, aber
auch Eckhardt Rehberg sind schon darauf eingegangen,
dass es durchaus kritisch gesehen wird, welche Regelung
aktuell im Gesetzentwurf hinsichtlich der Verteilung des
Geldes vorgeschlagen wird . Ich sage auch: Wir haben zu
Recht eine klare Erwartungshaltung, wofür dieses Geld
eingesetzt werden soll . Denn wir müssen dafür sorgen,
dass Integration vor Ort erfolgreich ist, dass sie gelingt .

Ich finde es nach wie vor beeindruckend, wie viele
Menschen sich, egal ob im Hauptamt, im Ehrenamt, in
Helferkreisen, in Behörden, in Kommunalverwaltungen,
unglaublich engagieren, damit Integration tatsächlich

Eckhardt Rehberg






(A) (C)



(B) (D)


auch erfolgreich ist und funktioniert . Deswegen will ich
an dieser Stelle all jenen meine Anerkennung und meinen
Dank aussprechen, die sich so unglaublich einbringen . Es
ist wirklich fantastisch, was man vor Ort zum Teil an En-
gagement sieht .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Ich will – aus Zeitgründen nenne ich nur wenige Bei-
spiele – an dieser Stelle noch einmal betonen, dass sich
das Engagement des Bundes ja nicht darin erschöpft,
ganz im Gegenteil. Ich finde es als Haushälter und Be-
richterstatter für den Einzelplan 06, Geschäftsbereich des
Bundesinnenministeriums, unglaublich, was wir in den
letzten Jahren im Haushalt auf die Beine gestellt haben .
Ich will an die Stellenaufwüchse beim Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge erinnern . Dort haben wir die
Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf jetzt über
7 000 verdreifacht, damit beim Thema Integration vie-
les besser läuft, aber natürlich auch weil wir ein großes
Interesse daran haben, dass die vielen Anträge auf Asyl
schneller entschieden werden können .

Ich will daran erinnern, dass wir die Mittel für Integra-
tionskurse innerhalb von wenigen Monaten verdreifacht
haben . Ich bekomme eher die Rückmeldung, dass viele
Plätze noch unbesetzt sind, als die Meldung, dass Leute
lange warten müssen, bis sie einen Platz bekommen . Die
Vergütung der Lehrkräfte haben wir deutlich verbessert .
Wir haben die Situation der Träger von Integrationskur-
sen deutlich verbessert . Ich denke im Übrigen auch an
die Migrationsberatung, an die Jugendmigrationsdienste
und an die Bundespolizei .

Ich finde, insgesamt leistet der Bund einen großen
Beitrag für eine Integration, die gelingt und erfolgreich
ist . Deswegen glaube ich, dass wir gut beraten sind, die-
sen Gesetzentwurf zu unterstützen . In der Anhörung wer-
den wir natürlich noch einmal darüber diskutieren, wie
wir mit den weiteren 5 Milliarden Euro umgehen, über
die so strittig diskutiert wird, zumindest darüber, wie sie
weitergeleitet werden .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819602500

Alois Rainer erhält nun das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alois Rainer (CSU):
Rede ID: ID1819602600

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch-
land hat der Bund die Länder und die Kommunen finan-
ziell so stark unterstützt wie in dieser Legislaturperiode .
Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Länder die Zu-
ständigkeit und die Verantwortung für eine den Aufgaben

angemessene und auskömmliche Finanzausstattung der
Kommunen haben .


(Ulrike Gottschalck [SPD]: So ist es!)


Viele Zahlen sind genannt worden . Einige würde ich ger-
ne wiederholen, damit sie bei uns im Gedächtnis bleiben .
Allein in dieser Legislaturperiode erhalten die Länder
und Kommunen eine Entlastung durch den Bund von
circa 80 bis 90 Milliarden Euro . Wenn wir den Finanz-
zeitraum von 2010 bis 2020 betrachten, dann reden wir
von circa 200 Milliarden Euro . Das sind fast zwei Drittel
eines jährlichen Bundeshaushalts .

Ich bin der festen Überzeugung: Das ist der richtige
Weg . Denn Bund, Länder und Kommunen haben die
Aufgabe, schutzsuchende Menschen zu versorgen und
Integration zu ermöglichen . Das kostet nicht nur Kraft,
sondern auch Geld . Es ist richtig, dass der Bund seine
Verantwortung gegenüber den Ländern und Kommunen
wahrnimmt und sie finanziell unterstützt.

Die Integration von Flüchtlingen in unsere Gesell-
schaft ist von zentraler Bedeutung . Nur eine gelungene
Integration gibt Sicherheit und Vertrauen . Aber in dem
vorliegenden Gesetzentwurf geht es nicht nur um Mittel
für Integration, sondern auch um weitere Unterstützung,
weitere Mittel für unsere Kommunen .

Meine Damen und Herren, wir sprechen im Wesentli-
chen von drei Punkten:

Erstens geht es um die Änderungen im Finanzaus-
gleichsgesetz . Hier wird der Länderanteil an der Umsatz-
steuer für die Jahre 2016 bis 2018 um jeweils 2 Milliar-
den Euro erhöht . Damit hält der Bund seine am 7 . Juli
dieses Jahres gemachte Zusage, sich an den Kosten der
Integration zu beteiligen, ein . Mit der jährlichen Integra-
tionspauschale in Höhe von 2 Milliarden Euro stehen den
Ländern über die Umsatzsteuerverteilung mehr Mittel
zur Verfügung .

An dieser Stelle spreche ich gerne die Forderung des
Deutschen Städtetages aus; denn sie ist auch meine For-
derung . Ich appelliere an die Länder, ihren Kommunen
zügig einen angemessenen Teil der 2 Milliarden Euro
wiederzugeben . Ich kann nur ein Beispiel nennen, und
zwar den Freistaat Bayern . Der Freistaat Bayern unter-
stützt seine Kommunen nämlich wie kein anderes Land
in unserer Republik .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer erhöht sich
ebenfalls, und zwar im Jahr 2018 um 2,76 Milliarden
Euro und ab dem Jahr 2019 um 2,4 Milliarden Euro . Wei-
ter erhalten die Länder für 2018 und 2019 jeweils 1 Mil-
liarde Euro zusätzlich . Allein diese Änderung im FAG
bedeutet für Länder und Kommunen eine Entlastung von
13 Milliarden Euro bis 2019 .

Zweitens geht es um die Änderungen im Entflech-
tungsgesetz. Mit den Änderungen im Entflechtungsgesetz
gewährt der Bund den Ländern die für den Wohnungsbau
in Aussicht gestellten Mittel in Höhe von 500 Millionen
Euro jährlich .

Martin Gerster






(A) (C)



(B) (D)


Drittens geht es um die Änderungen im SGB II . Mit
der vorgesehenen Entlastung der Kommunen in Höhe
von 5 Milliarden Euro halten wir ein weiteres Verspre-
chen aus dem Koalitionsvertrag ein . Die Erhöhung der
Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft
führt bei den Kommunen in den Jahren 2016 bis 2019 zu
Mehreinnahmen von rund 5,5 Milliarden Euro .

Meine Damen und Herren, damit zeigt der Bund, dass
er Länder und Kommunen bei der Erledigung ihrer Auf-
gaben nachhaltig unterstützt . Dies ist das richtige Signal .
Dieses Signal können wir aber nur aufgrund unserer gu-
ten und zukunftsorientierten Haushalts- und Wirtschafts-
politik setzen . Denn hätten wir das Geld nicht zur Verfü-
gung – wir sprechen, wenn es um die Steuereinnahmen
geht, nämlich nicht nur vom Geld des Bundes, sondern
vom Geld von Bund, Ländern und Kommunen –, könn-
ten wir den Kommunen diese Unterstützung nicht zu-
kommen lassen . Deshalb auch ein ganz herzlicher Dank
an unseren Finanzminister für die stabile und zukunfts-
orientierte Haushaltspolitik!


(Beifall bei der CDU/CSU)


Eine eventuell gerechtere Verteilung über die Um-
satzsteuer ist schon des Öfteren angesprochen worden .
Nur, hier wird es enorm schwierig werden . Denn klar ist:
Die Umsatzsteuerbeteiligung ist damals als Ersatz für
die Gewerbekapitalsteuer eingeführt worden . Man wuss-
te: Gewerbekapitalsteuer nehmen insbesondere solche
Kommunen ein, in denen es große Gewerbebetriebe gibt .
Darum ist die Systematik der Umsatzsteuerbeteiligung
so, wie sie ist . Es wird, wie es der Kollege Rehberg gera-
de gesagt hat, schwierig werden, hier eine Grundgesetz-
änderung zu erreichen .

Ich bin froh, dass wir die Kommunen in dieser Form
und in dieser Höhe unterstützen können . Das ist einmalig,
meine sehr verehrten Damen und Herren . Darüber dürfen
wir uns alle freuen, und wir dürfen das auch sagen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Vorhin hieß es, dass die Mittel für die Integrationskur-
se nicht reichen würden . Dazu gibt es nur eines zu sagen:
Die Mittel für die Integrationskurse sind auf 559 Milli-
onen Euro verdoppelt worden, und für 2017 planen wir
eine weitere Erhöhung . Auch der Stundenlohn für die
Lehrkräfte ist verdoppelt worden . Also von wegen, wir
würden nichts tun . Wir tun in diesem Bereich nämlich
viel .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ist es! Frau Dağdelen war mal wieder nicht informiert!)


Wir haben die Probleme erkannt, und wir packen sie an .
Meine sehr verehrten Damen und Herren, auf diesem
Weg machen wir weiter . Wir machen eine gute Politik .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819602700

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt er-

hält der Kollege Juratovic für die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Josip Juratovic (SPD):
Rede ID: ID1819602800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Gerade in diesen Tagen, wo deutschlandweit
der Tag des Ehrenamts gefeiert wird, möchte ich den stil-
len Helden in unserem Land, die selbstverständlich die
Willkommenskultur in den Ämtern, den Vereinen, aber
auch im Einzelnen millionenfach gelebt haben und leben,
meinen herzlichen Dank aussprechen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Sie haben im Zusammenhang mit den Flüchtlingen
Unvorstellbares geleistet, was an sich unbezahlbar ist .
Doch die Kosten der Kommunen für die Versorgung und
Unterbringung der Flüchtlinge lassen sich durchaus be-
nennen . Zwar gibt es noch keine verlässlichen Zahlen,
aber Schätzungen gehen von zweistelligen Milliardenbe-
trägen allein für 2015 aus .

Der Bund hat den Kraftakt der Kommunen bereits in
der Vergangenheit unterstützt . Nun entlastet er durch den
vorliegenden Gesetzentwurf die Kommunen um weitere
Milliarden .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir reden nicht nur
von trockenen Zahlen, wir reden hier von mehr . Wir spre-
chen von Obdach für Menschen, manchmal improvisiert,
aber letztlich von geheiztem Wohnraum für Alleinstehen-
de und Familien . Das ist genauso wichtig wie das, was
folgt, nämlich dafür Sorge zu tragen, dass diese Men-
schen an unserer Gesellschaft teilhaben können .

Liebe Haushälter, in der zweiten Novemberwoche fin-
det die Bereinigungssitzung für den Haushalt 2017 statt .
Ich bitte Sie ausdrücklich, die Posten für die Integrati-
on von Flüchtlingen, speziell die Mittel für die Migrati-
onsberatung für Erwachsene und die Jugendmigrations-
dienste, mindestens in der Höhe des vergangenen Jahres
aufrechtzuerhalten, wenn nicht gar zu erhöhen . Denn
momentan nimmt der Druck im Hinblick auf die Erst-
versorgung von Flüchtlingen zwar ab, da die Zahl der
Flüchtlinge derzeit sinkt, die wahre Herausforderung im
Hinblick auf die Integration derer, die bei uns Schutz su-
chen, beginnt jedoch erst . Und glauben Sie mir: Das wird
ein Langstreckenlauf . – Der darf nicht zum Hürdenlauf
werden, nur weil die Gelder fehlen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich ein
Weiteres hinzufügen, was mir als SPD-Integrationsbe-
auftragten wichtig ist . Wie gesagt, es klingt, als ginge
es bei der Entlastung der Kommunen durch den Bund
nur ums Geld . Tatsächlich sprechen wir von den Kosten
für die Versorgung von Menschen, die, bis sie bei uns
landeten, die Hölle durchquert haben . Unser politisches
Ansinnen muss es sein, unserer international verankerten
humanitären Verpflichtung gerecht zu werden und den
Menschen, die vor einem brutalen Bürgerkrieg geflohen
sind, einen sicheren Hafen zu gewähren .

Alois Rainer






(A) (C)



(B) (D)


Allerdings können wir die schönsten Maßnahmen-
und Kostenübernahmepakete schnüren, wir können uns
den Kopf über die besten Strategien zerbrechen und Mil-
lionen in Sprach- und Integrationskurse stecken, es blei-
ben wirkungslose Maßnahmen, wenn wir sie nicht mit
Leben erfüllen . Wir müssen das Ziel, dass die Menschen
an unserer Gesellschaft teilhaben können, verinnerlichen .
Das funktioniert nur, wenn die richtige Haltung und das
passende gesellschaftliche Klima dafür vorhanden sind .
Dafür brauchen wir einen wehrhaften, handlungsfähigen
Staat, der vor allem rechte Übergriffe ahndet und rechten
Propagandisten der Abschottung und Ausgrenzung deut-
lich die Stirn bietet .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Brandanschläge auf Asylbewerberheime oder Mo-
scheen machen alle Bemühungen in dieser Richtung zu-
nichte . Die Taten werden so gut wie nie aufgeklärt oder
werden gar verharmlost . Kolleginnen und Kollegen,
Brandstiftung ist ein Verbrechen und kein politisches Si-
gnal und muss entsprechend behandelt werden .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Menschen müssen sich sicher fühlen, um sich als Teil
der Gesellschaft zu fühlen . Wir brauchen eindeutige Ant-
worten auf rechte Umtriebe . Nur so wird erfolgreiche
Integration möglich . Dann und nur dann hat sich unser
finanzieller Einsatz egal ob vom Bund oder von Ländern
gelohnt .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819602900

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf der Drucksache 18/9980 an die in der Tages-
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt
es andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall . Dann ist
die Überweisung so beschlossen .

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 4:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Christian Kühn (Tübingen), Kerstin Andreae,
Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gemeinsam für bezahlbares Wohnen – Le-
benswert und klimafreundlich

Drucksache 18/10027
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss

Auch hier soll die Aussprache nach einer interfraktio-
nellen Vereinbarung 77 Minuten andauern .

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Katrin Göring-Eckardt für die antragstellende Fraktion
das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! In dieser Woche findet in Quito, der Haupt-
stadt Ecuadors, die dritte UN-Siedlungskonferenz, Hab-
itat III, statt . Dort treffen sich die Vertreter aus Megacitys
und anderen Städten, um nach Lösungen im Hinblick auf
die immensen sozialen Probleme in den Städten, den gi-
gantischen Ressourcenverbrauch und die Luftverschmut-
zung zu suchen . Auch der Oberbürgermeister Berlins hat
sich auf den Weg nach Quito gemacht.


(Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Er reist gerne!)


Die drängendste Frage, die sich für Berlin, München,
Stuttgart, Düsseldorf, Dresden und viele andere Städte
stellt, ist die Frage nach dem Wohnen . Wenn man über
das Wohnen redet, dann geht es nicht einfach nur um die
Wohnung oder die Miete, sondern das Wohnen ist inzwi-
schen zu der sozialen Frage unserer Zeit und unserer Ge-
sellschaft geworden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, wo jemand wohnt, ent-
scheidet heute über die Chancen beim Bewerbungsge-
spräch . Es entscheidet über die Schule oder die Kita, in
die Kinder gehen können . Es entscheidet bei den Alten
über die Nachbarschaft . Es entscheidet darüber, ob ich im
Alter dort gepflegt werden kann, wo ich möchte – ja oder
nein –, dort wo meine Community ist . Es entscheidet da-
rüber, ob Kinder drinnen und draußen Platz zum Spielen
haben . Es entscheidet darüber, ob die Wohnung sicher
ist oder im Keller eingebrochen wird . Sind die Bauma-
terialien okay? Sind sie gesund? Wie ist es mit der Wär-
medämmung? Kann man den Einkauf zu Fuß erledigen?
Bekomme ich Hilfe, wenn ich sie brauche – spätestens
im Fall der Pflege? All das hat mit dem Wohnen zu tun,
und deswegen ist und bleibt es eine so zentrale Frage .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die explodierenden Mieten sind inzwischen zu einer
Art Spaltpilz der Gesellschaft geworden . Besonders Fa-
milien mit kleinen Einkommen, Rentnerinnen und Rent-
ner, Alleinerziehende und Migrantinnen und Migranten
sind immer öfter wegen steigender Mieten gezwungen,
ihre Wohnungen zu verlassen und anderswo eine Bleibe
zu finden.

Ich habe neulich einen Brief von einem Menschen be-
kommen, der am Rand von Berlin wohnt . Ich glaube, es
war jemand, der am Rand von Zehlendorf wohnt und sich
über Wildschweine freut. Ich finde, das ist eine sehr her-
vorragende Wohnlage . – Das meine ich nicht, wenn ich
sage, dass Menschen an den Rand gedrängt werden . Ich
meine nicht Wohngebiete, in denen man sich noch wun-
derbar abschotten kann und es besonders gut hat, sondern
ich meine Wohngebiete, in denen man spürt, dass der so-
ziale Zusammenhalt infrage gestellt wird und dass dort

Josip Juratovic






(A) (C)



(B) (D)


diejenigen wohnen, die sich anderes Wohnen nicht mehr
leisten können. Ich finde, das ist etwas, was uns nicht
egal sein kann, auch wenn wir noch keine Situation wie
in den Vorstädten von Paris und Brüssel haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Menschen spüren inzwischen, dass da etwas ins
Rutschen geraten ist . Der Anteil der Miete am Netto
steigt – und die Löhne eben nicht mit . Die Minimiet-
preisbremse, die Sie eingeführt haben, ist jedenfalls kei-
ne Antwort darauf – weder, um jemanden zu beruhigen,
noch in der Sache selbst .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


264 deutsche Städte, in denen bezahlbarer Wohnraum
fehlt, haben es seit der Einführung der Mietpreisbremse
mit steigenden Mieten zu tun . Das ist ja wohl das Gegen-
teil dessen, was Sie versprochen haben . Dass Sie das jetzt
merken und nach dem Motto „Haltet den Dieb“ verfah-
ren, finde ich besonders unglaubwürdig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Ausnahmen öffnen Tür und Tor, und es gibt schon
möblierte Wohnungen von 10 Quadratmetern, für die
700 Euro Miete verlangt werden . Das ist nicht nur unzu-
mutbar, sondern auch unverantwortlich, und Sie sind die-
jenigen, die einen Teil der Verantwortung dafür tragen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, seitdem die schwarz-gelbe
Koalition 1989 – ja, das ist lange her – die alte Wohn-
gemeinnützigkeit abgeschafft hat, sind kontinuierlich
2 Millionen gemeinnützige, bezahlbare Wohnungen ver-
loren gegangen . Jedes Jahr fallen weitere 60 000 Woh-
nungen aus der Sozialbindung heraus . 60 000 Wohnun-
gen ohne Sozialbindung!

Und was tun Sie? Viel fordern, wenig durchsetzen!
Schlagzeilen produziert Frau Hendricks auch diesbe-
züglich sehr gerne, besonders dann, wenn es neue Ge-
sprächskreise gibt . Der Gesprächskreis „Bündnis für
bezahlbares Bauen“ jedenfalls ist eine schöne Aktion
gewesen . Passiert ist leider gar nichts . Sie müssen jetzt
Geld in die Hand nehmen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hören Sie auf, herumzudrucksen .

Wir schlagen Ihnen vor, ein Sofortprogramm auf-
zulegen: 1 Million Wohnungen in fünf Jahren, 1 Milli-
on sozialgebundene Wohnungen, 1 Million bezahlbare
Wohnungen . Nur derjenige, der tatsächlich bezahlbaren
Wohnraum schafft und erhält, bekommt Geld vom Staat .
Das ist die neue Wohngemeinnützigkeit, die wir Ihnen
vorschlagen . Damit kann die Struktur in unseren Städten
tatsächlich verbessert und es kann auch verhindert wer-
den, dass die Kluft noch größer wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sören Bartol [SPD]: In Ihrem Antrag stehen aber zehn Jahre drin!)


Man muss sich vorstellen, worum es geht . Ein Blick
auf den Wohnungsmarkt in Berlin zeigt, dass zwei Drittel
der Wohnungsangebote heute Wohneigentum betreffen .
Um das restliche Drittel Mietwohnungen streiten sich
dann Studierende, Niedrigverdiener und Alleinerziehen-
de . Dieser Zustand muss dringend und deutlich beendet
werden, meine Damen und Herren .

Packen Sie es endlich an! Tun Sie nicht mehr so, als
wäre Wohnen eine nette Nebensache . Wohnen ist das,
was wir alle tun und tun müssen . Beim Wohnen geht es
um den sozialen Zusammenhalt .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819603000

Frau Kollegin .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kümmern Sie sich darum! Machen Sie nicht nur An-
kündigungen, sondern sorgen Sie tatsächlich dafür, dass
hier etwas geschieht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819603100

Georg Nüßlein hat nun das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1819603200

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Frau

Katrin Göring-Eckardt, wenn man Ihren Antrag an dieser
Stelle bewerten soll, dann ist das Wort „würdigen“ dafür
ein zu positives Wort . Positiv fällt mir zu diesem Antrag
immerhin ein, dass uns alle hier im Haus die Sorge eint,
wie wir zu mehr, bezahlbarem und, wenn Sie so wollen,
gern auch zu klimafreundlichem Wohnraum kommen .
Das halte ich für einen ganz wichtigen und ganz brei-
ten Ansatz . Wenn nun der Regierende Bürgermeister
von Berlin meint, er müsse sich die Anregungen dazu in
Ecuador holen, dann ist das schön, und wir nehmen das
zur Kenntnis .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich hoffe aber, meine Damen und Herren, dass der Lö-
sungsansatz, den er mitbringt, ein bisschen breiter ist als
das, was Sie in Ihrem Antrag als Perspektive eröffnen .
Sie verengen nämlich die Sichtweise sehr stark . Das geht
los mit der Frage: Wo soll gebaut werden? Da beziehen
Sie sich ausschließlich auf die Metropolen, auf die Me-
gastädte, wie Sie sie vorhin genannt haben . Diese sind in
Deutschland nicht ganz so zahlreich . Tatsächlich haben
wir auch ein Wohnungsproblem in den kleineren Städten
und teilweise im ländlichen Raum . Auch das wollen wir
an dieser Stelle einmal direkt ansprechen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, so ist es! Aber Sie müssen ja was dagegen machen!)


Katrin Göring-Eckardt






(A) (C)



(B) (D)


Sie verengen Ihre Sichtweise auch in der Frage: Wer
soll bauen? In Ihrem Antrag gibt es zwei Akteure . Vor-
rangig ist das der Staat, und an zweiter Stelle sind das die
Genossenschaften .


(Klaus Mindrup [SPD]: Richtig!)


Nun muss ich Ihnen sagen: Was den Staat angeht, haben
wir bereits – Stichwort „sozialer Wohnungsbau“ – ein
massives Staatsversagen hinter uns . Wir haben gesehen,
was der Staat macht: Die Länder haben Geld für den
Wohnungsbau bekommen, dieses aber für etwas ganz
anderes eingesetzt als dafür, wofür wir es uns vorgestellt
haben .

Nun tragen Sie das Thema Gemeinnützigkeitsbindung
quasi als Monstranz vor sich her . Mir stellt sich die Fra-
ge, wer unter dieser Voraussetzung tatsächlich investie-
ren soll . Am Schluss braucht ein Bau Investoren; das ist
absolut klar . Da sind aus unserer Sicht gerade private In-
vestoren notwendig .


(Beifall bei der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit Jahren sagen Sie das!)


– Ich komme gleich darauf .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben ja zwölf Minuten!)


Selbst der altruistischste Investor wird am Schluss
von Zinsen und von einer Abschreibung profitieren wol-
len . Nun ist die Situation bei den Zinsen momentan ein
bisschen einfacher . Aber dieser Niedrigzins wird durch
steigende Baupreise überkompensiert . Auch das mit
der Abschreibung ist so eine Sache . Der tatsächliche
Abschreibungssatz müsste angesichts dessen, was wir
momentan an Technik verlangen – darauf komme ich
nachher beim Stichwort „Klimaschutz“ zu sprechen –,
erheblich höher als das sein, was man den Anlegern mit
2 Prozent momentan steuerlich zubilligt .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Welche Fraktion stellt denn den Finanzminister?)


Dann geht es mit der Frage weiter: Unter welchen Be-
dingungen soll investiert werden? Das ist gerade Ihr Ein-
wand gewesen . Da geht es mit dem Thema „teures Bau-
land“ los . Ich sage Ihnen ganz offen: Meine Erfahrung
ist, dass der Aufschrei vieler Beteiligten, insbesondere
auch von den Grünen, groß sein wird, sobald wir über
Arrondierungen im Innenbereich bzw . über die Frage re-
den, wie wir mehr Bauland ausweisen können .


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das Thema nicht verstanden!)


Da sind Sie nämlich in einem Konflikt, meine Damen
und Herren . Natürlich ist das letztlich auch Landschafts-
verbrauch . Das wird doch gar nicht anders gehen . Wenn
Sie mehr Bauland ausweisen, müssen Sie natürlich auch
in Teilen in den Außenbereich gehen . Wohlgemerkt: Wir
wollen das tun . Allerdings ist das angesichts derjenigen,

die uns aus Gründen des Umweltschutzes daran hindern
wollen, ein schwieriges Unterfangen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bauland ist auch deshalb teurer, weil die Grunder-
werbsteuern hoch sind . Auch da könnten Sie fragen, wer
daran schuld ist, in welchen Ländern sie besonders hoch
sind und ob Sie vielleicht in der jeweiligen Landesregie-
rung dieser Länder vertreten sind . Ich empfehle Ihnen
dringend, sich das einmal anzuschauen; dann können Sie
an der Stelle etwas ändern .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch mal zu den Vorschlägen in unserem Antrag! Zu den Einzelpunkten in unserem Antrag, zum Beispiel zur Wohnungsgemeinnützigkeit! Sagen Sie doch mal, wie die CDU dazu steht!)


– Ich sage etwas zu der nächsten Frage, nämlich wie man
weiteres Bauland gewinnen kann . – Wir haben derzeit die
Problematik, dass aufgrund von fehlenden Reinvestiti-
onsmöglichkeiten die Eigentümer von Bauland nicht ver-
kaufen . Denen muten wir zu, dass, wenn sie es tatsäch-
lich tun, erst einmal der Fiskus kassiert, und zum Schluss
haben sie das Geld, können es aber nicht reinvestieren .

Deshalb meinen wir, dass es eine intelligente Variante
wäre, darüber nachzudenken, ob man den Grundstücks-
besitzern nicht die Chance eröffnen sollte, steuerfrei in
Mietobjekte zu investieren, wenn sie Bauland verkaufen .
Das halte ich für einen zielführenden Ansatz .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Lassen Sie uns über solche Dinge reden statt über the-
oretische Gedankenspiele zur Gemeinnützigkeit . Es gab
schließlich einen Grund, warum man sie abgeschafft hat,
nämlich die Tatsache, dass die Fehlbelegung zum Schluss
ein hohes Ausmaß angenommen hatte und dass sie bei
weitem nicht den erwünschten Erfolg gebracht hat .

Es ist sinnvoller, zur Subjektförderung via Wohngeld
überzugehen und diejenigen, die Miete zahlen müssen,
so zu fördern, dass sie dies tun können, statt den von
Ihnen vorgeschlagenen Weg zu gehen, jetzt wieder ein
neues Etikett zu vergeben und Gemeinnützigkeit einzu-
führen, wenn am Ende ganz andere in diesen Wohnungen
wohnen, als eigentlich beabsichtigt war . Wem hilft denn
das, meine Damen und Herren? Ich kann das überhaupt
nicht nachvollziehen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Frau Katrin Göring-Eckardt hat vorhin die Baukos-
tensenkungskommission angesprochen . Sie haben recht:
Kommissionen sind das eine, und das, was wir dann in
der Politik diskutieren, ist das andere . Dabei spielt das
Thema Klimaschutz eine ganz hervorragende Rolle, al-
lerdings nicht im positiven Sinne .

Klimaschutz ist ein eminent wichtiges Thema . Aber
wir sind auf dem besten Wege, ihn zu nichts anderem als
zu einem Kostentreiber zu machen . Das ist mir zu wenig .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ Dr. Georg Nüßlein DIE GRÜNEN]: Ja! Weil diese Bundesregierung nichts dazu tut!)





(A) (C)


(B) (D)


– Hören Sie einmal zu! Das ist viel wichtiger; dann ler-
nen Sie etwas .

Nehmen wir die Zusammenführung von EnEV und
EE-Wärmegesetz .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja! Wann kommt denn das?)


– Hören Sie zu! Schauen Sie sich die derzeitige Realität
im Neubau an! Wir bauen massiv isolierte, faktisch luft-
dichte Gebäude . À la bonne heure: Dagegen ist nichts
einzuwenden . Dann sagt man aber: Du musst eine im-
mens teure aufwendige Heizung installieren, um an den
wenigen Tagen, an denen du sie wirklich brauchst, dieses
Gebäude heizen zu können . – Wie passt denn das zusam-
men?

Beim Thema Sanierung sind wir an demselben Punkt .
Auch dazu gibt es Forderungen, die Standards weiter
anzuheben . 120-Prozent-Sanierung sage ich dazu . Dem
Klima würde man mehr helfen, wenn viele Wohnungen
teilsaniert würden, statt nur einige wenige nach aller-
höchstem Standard sozusagen zu 120 Prozent zu sanie-
ren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diesen Weg muss man gehen, und so muss man aus
meiner Sicht den Klimaschutz sehen . Angesichts der
komischen Diskussion über das Thema „angemessene
Wirtschaftlichkeit“, die viele Ihrer grünen Länderminis-
ter an dieser Stelle beginnen, frage ich mich: Was soll
das? Wenn man erst einmal über die Frage diskutieren
muss, was „angemessen“ ist, muss man das Ganze letzt-
lich gar nicht diskutieren .

Das Allerschönste ist, dass Sie schreiben: Wenn es
nicht wirtschaftlich ist, soll der Staat einspringen und das
Ganze fördern . – Wer diskutiert denn dann? Wer denkt
denn an der Stelle überhaupt noch über die Frage der
Wirtschaftlichkeit nach?

Ich glaube, dass das ein falscher Ansatz ist, meine
Damen und Herren . So wird Klimaschutz nicht funktio-
nieren . Klimaschutz muss etwas sein, das wir mit Tech-
nologieoffenheit und Innovationsfreude angehen und bei
dem wir bereit sind, etwas zu bewegen, gerne auch im
Baubereich . Wir müssen aber aufhören, die Trauben im-
mer höher zu hängen, bis keiner mehr hochspringt . Das
ist doch der Weg, den wir zurzeit beschreiten . Bei jeder
Gelegenheit – bei der Zielsetzung angefangen bis hin
zu den Maßnahmen – hängen wir die Trauben ein Stück
höher und wundern uns, wenn sich zum Schluss keiner
mehr bemühen wird, überhaupt noch daranzukommen .
Investitionsattentismus werden Sie am Schluss mit sol-
chen Anträgen erreichen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wollen Sie die Sanierung?)


– Eng? Ich merke doch, dass sie eng sind . Sie hören nicht
zu .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das, was Sie erzählt haben, hat nichts mit der Realität zu tun!)


– Sie hören nicht zu . Wir diskutieren dann über die Fra-
ge: Was soll oder – ich sage das in Ihrem Jargon – was
darf denn gebaut werden?


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nennen Sie doch mal ein Beispiel!)


Auch da sind Sie eng . Sie sagen: nur der Niedrigstan-
dard im Mietwohnungsbau, allerdings bei hohem Klima-
schutzstandard – billig, billig, billig .

Ich sage Ihnen: Auch der Bezug einer besser ausge-
statteten Mietwohnung sorgt am Schluss dafür, dass eine
andere Mietwohnung frei wird . Die Leute haben doch
vorher auch irgendwo gewohnt .

Das Gleiche gilt für das Eigenheim . Kein einziger
Satz findet sich in Ihrem Antrag zum Thema Eigenheim,
obwohl Deutschland dabei einen immensen Nachholbe-
darf hat . Wir haben eine Eigenheimquote von 53 Prozent .
Frankreich liegt bei 65 Prozent, Italien bei 73 Prozent .
Wir täten gut daran, uns auch mit Blick auf das Thema
Alterssicherung darüber Gedanken zu machen, wie mehr
Menschen zu eigenen vier Wänden kommen . Das ist,
meine Damen und Herren, ein Grundbedürfnis der Men-
schen . Wir sollten etwas dafür tun, dass sie das befriedi-
gen können .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Stattdessen – da nehme ich die Schuld durchaus auf
uns – haben wir in der letzten Großen Koalition die Ei-
genheimzulage abgeschafft . Das war aus meiner Sicht ein
fataler Fehler . Wir müssen jetzt wenigstens darüber re-
den, wie man mit der Wohnungsbauprämie verfährt, die
auf Uraltdaten basiert . Wir sollten auch darüber reden, ob
man gezielt mit Baukindergeld einen Beitrag dazu leisten
kann, dass sich junge Familien wenigstens im ländlichen
Raum, wo es geht, ein eigenes Heim leisten können . Das
sollten wir tun .


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer stellt denn den Finanzminister? Machen Sie doch mal einen Vorschlag!)


– Jetzt brüllen Sie doch nicht die ganze Zeit . Wer die gan-
ze Zeit brüllt, hat Unrecht, Herr Kollege .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein, das ist ein Zwischenruf! Das ist parlamentarischer Brauch! – Gegenruf von der CDU/CSU: „Pöbeln“ heißt das!)


Fazit der Geschichte ist: Staatliche Regulierung gibt
es in Deutschland genug . Anträge, die nur staatliche Re-
gulierung fordern, sind überflüssig. Denn daran haben
wir, meine Damen und Herren, in diesem Land nun wirk-
lich keinerlei Mangel .

Dr. Georg Nüßlein






(A) (C)



(B) (D)


Auch Markteingriffe machen das nicht besser . Frau
Katrin Göring-Eckardt hat vorhin das Thema Mietpreis-
bremse angesprochen, die sich aus ihrer Sicht nicht ren-
tiert . Ich habe sie – das sage ich ganz offen – nicht ge-
wollt und nicht gebraucht .


(Sören Bartol [SPD]: Dass Sie das noch einmal sagen! Wer ist schuld an der Verzögerung?)


Ich bin eher in Sorge gewesen, dass aus der Mietpreis-
bremse eine Investitionsbremse wird . Das haben wir im-
merhin an der Stelle verhindern können .


(Sören Bartol [SPD]: Genau!)


Es wird tatsächlich gebaut – auch in den Metropolen .


(Sören Bartol [SPD]: Das wird im Protokoll so ausgedruckt!)


Wir brauchen – da werden wir in der Tat mit dem Fi-
nanzminister reden müssen – steuerliche Rahmenbedin-
gungen, wie ich sie angemahnt habe, beim Thema Bau-
land und bei den Abschreibungen . Dort sind 2 Prozent zu
wenig . Man braucht mindestens 3 Prozent, um die öko-
nomische Realität abbilden zu können .

Mir geht es darum, das Thema nicht auf Brennpunkte
zu verengen – auch nicht bei steuerlichen Förderungen .
Denn wäre dies der Fall, würden wir Feuer mit Öl be-
kämpfen . Das wäre falsch . Klimaschutz ist wichtig, lässt
sich aber nur mit guter Technik und mit dem Blick fürs
Ganze machen . Der fehlt Ihnen, meine Damen und Her-
ren . Deshalb wird uns dieser Antrag ebenso wenig wie
Sie weiterbringen .

In diesem Sinne sage ich vielen herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Rede hat uns auch nicht weitergebracht! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819603300

Für die Fraktion Die Linke hat die Kollegin Caren Lay

das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819603400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Nach drei Jahren Großer Koalition im Bund fällt
die wohnungspolitische Bilanz dieser Regierung, ehrlich
gesagt, bescheiden aus . Hier wurde viel geredet – fast
immer auf Antrag der Opposition . Von der Regierung
und insbesondere von der SPD wurde viel angekündigt,
aber durchgesetzt wurde kaum etwas . Auch wurden kei-
ne wirklich sinnvollen Regelungen in dieser Legislatur-
periode erlassen .

Ich beginne mit dem Lieblingsprojekt, der Mietpreis-
bremse . Wie sie sich jetzt darstellt, ist sie faktisch ein
Rohrkrepierer . Das belegen verschiedene unabhängige
Studien . Sie attestieren, dass die Mietpreisbremse in der
derzeitigen Form nicht wirkt . Selbst dort, wo sie einge-

führt wurde, steigen die Mieten weiter an . Das darf nicht
sein .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unsere Vorschläge, die Mietpreisbremse nachzuschär-
fen, haben wir in der letzten Sitzungswoche hier im Bun-
destag eingebracht . Die Grünen bringen ihre Vorschläge
heute ein . Wer noch nichts eingebracht hat, ist die Große
Koalition .


(Beifall des Abg . Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich bin Ihnen, Herr Dr . Nüßlein, fast dankbar, dass Sie
ehrlich gesagt haben, Sie wollten die Mietpreisbremse
nicht .


(Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)


Genau das ist auch das Problem . Die Große Koalition hat
letztlich ein Gesetz auf den Weg gebracht, das zwar eine
schöne Überschrift hat, das aber so viele Ausnahmen und
Lücken enthält – daran hat die CDU/CSU alles gesetzt –,
dass es das Papier nicht wert ist . Ihre Blockadehaltung
in diesem Punkt ist das eigentliche Problem . Sie wollen
nicht, dass die Mietpreisbremse wirkt . Das muss sich
endlich ändern .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch der soziale Wohnungsbau kommt nicht in
Schwung . Wir freuen uns, dass Geld draufgesattelt wur-
de und dass im vorletzten Jahr 12 000 Sozialwohnungen
und im letzten Jahr 15 000 Sozialwohnungen neu gebaut
wurden; das ist gut . Aber wir dürfen nicht vergessen, dass
Jahr für Jahr unglaublich viele Sozialwohnungen aus der
sogenannten Sozialbindung herausfallen . Wenn es sich
dabei im Schnitt um schätzungsweise 85 000 Wohnun-
gen im Jahr handelt, dann bleibt trotz der Neubauten Jahr
für Jahr ein Minus von rund 70 000 Sozialwohnungen,
die aus der Sozialbindung herausfallen . Wenn wir nicht
ein bisschen mehr Tempo machen, dann haben wir in
25 Jahren überhaupt keine Sozialwohnungen mehr . Das
darf nicht sein .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich appelliere an die Vertreter der Länder: Setzen Sie
das Geld, das Ihnen der Bund für den sozialen Wohnungs-
bau gibt, tatsächlich für den sozialen Wohnungsbau ein!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Viele Länder füllen mit diesem Geld die Lücke, die durch
die abgeschaffte Eigenheimförderung entstanden ist . Das
ist schlichtweg eine Zweckentfremdung von Geldern .
Das können wir nicht dulden .


(Beifall bei der LINKEN)


Nun habe ich Applaus von der CDU/CSU bekommen .
Das finde ich natürlich schön.


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Aber nur in diesem Punkt!)


Dr. Georg Nüßlein






(A) (C)



(B) (D)


Aber eines will ich deutlich sagen: Sich hinter dem Ver-
sagen der Länder bei der sozialen Wohnungspolitik zu
verstecken, geht nicht . Schauen wir uns einmal an, um
welche Bundesländer es sich handelt, die in den letzten
zwei Jahren trotz der Subventionen des Bundes gar keine
Sozialwohnungen gebaut haben . Wer war das denn? Das
waren Sachsen, das Saarland und Mecklenburg-Vorpom-
mern . Fällt Ihnen etwas auf? Wer regiert denn dort? Dort
regiert die CDU zusammen mit der SPD . Sich hier hinter
den Ländern zu verstecken, kann keine Lösung sein .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich appelliere an die Länder, die Geltungsdauer der
Sozialbindungen zu verlängern . Ansonsten fallen Hun-
derttausende Sozialwohnungen in den nächsten Jahren
weg . Das heißt konkret, dass Zehntausende, vielleicht
sogar Hunderttausende Menschen mit geringem Einkom-
men aus ihren Wohnungen fliegen werden. Deswegen
lautet mein Appell an die Vertreter der Länder: Verlän-
gern Sie die Geltungsdauer der Sozialbindungen! Kaufen
Sie die sogenannten Belegungsbindungen auf! Das ist
das Gebot der Stunde .

Auch der Bund muss seine Politik verändern . Erstens
reicht das Geld hinten und vorne nicht aus . Wir sagen:
5 Milliarden Euro für einen sozialen, gemeinnützigen
Wohnungsbau sind gut angelegtes Geld . Zweitens soll-
ten wir mit dem Geld, das der Bund nun einsetzt, nicht
auch noch die Fehler der Vergangenheit wiederholen .
15 Jahre lang werden die Wohnungen, die mit Geldern
der sozialen Wohnraumförderung subventioniert werden,
als Sozialwohnungen gebunden. Danach fliegen sie aus
der Sozialbindung wieder heraus. Das bedeutet häufig,
dass die Mieterinnen und Mieter ausziehen müssen . Das
ist, ehrlich gesagt, keine sinnvolle Förderung . Deswegen
sagen wir als Linke: Einmal Sozialwohnung, immer So-
zialwohnung! Das muss für die Zukunft gelten .


(Beifall bei der LINKEN)


Dass das gut funktioniert, kann man sich übrigens in
Wien ansehen . Das Wiener Modell der Gemeindewoh-
nung sollten wir uns als Vorbild nehmen .

Die Abschaffung der Wohngemeinnützigkeit im
Jahr 1990 war ein fataler Fehler, ein Jahrhundertfehler .
Deswegen gehört die Einführung einer neuen Wohn-
gemeinnützigkeit in das Zentrum einer neuen sozialen
Wohnungspolitik .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Grundproblem ist Folgendes: Fast alle Akteure auf
dem Markt wollen vor allen Dingen mit Wohnungen viel
Geld verdienen . Dem müssen wir etwas Neues entge-
gensetzen, einen neuen Sektor, der nicht für die Rendite
wirtschaftet, sondern der das Recht der Menschen auf be-
zahlbares Wohnen in den Mittelpunkt stellt . Das ist eine
neue Wohngemeinnützigkeit .


(Beifall bei der LINKEN)


Das Mantra der CDU „bauen, bauen, bauen“ ist übri-
gens keine Lösung . Ich meine, es herrscht regelrecht eine
Goldgräberstimmung auf dem Immobilienmarkt . Es gibt

ein Zehnjahreshoch bei den Baugenehmigungen . Aber
das Magazin Panorama hat herausgefunden, dass gera-
de einmal 5 Prozent der im Neubau befindlichen Woh-
nungen in den 20 größten deutschen Städten überhaupt
für Normalverdiener erschwinglich sind, in Berlin nur
2,5 Prozent . Wir reden hier nicht nur von Geringverdie-
nern und von Hartz-IV-Empfängern, sondern es wurde
der Durchschnittsverdienst zugrunde gelegt . Ich muss
einfach sagen: Wenn nur 5 Prozent aller Neubauten in
den Großstädten für den Durchschnittsverdiener als Mie-
ter erschwinglich sind, dann läuft etwas mit der Bau- und
Wohnungspolitik dieser Regierung falsch .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein letzter Punkt: Wir brauchen nicht nur eine wir-
kungsvolle Mietpreisbremse; was wir vor allen Dingen
noch brauchen, ist eine Spekulationsbremse . Wir müs-
sen verhindern, dass Firmen die Möglichkeit haben, die
Grunderwerbsteuer zu umgehen, und zwar nicht nur
durch miese Tricks, sondern indem sie ganz legale Steu-
ertricks – Share Deals – anwenden . Das dürfen wir nicht
länger dulden . Das müssen wir hier im Deutschen Bun-
destag verhindern .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819603500

Das wäre doch eigentlich ein schöner Schlusssatz ge-

wesen .


Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819603600

Herr Präsident, mein letzter Satz . – Es kann doch

nicht sein, dass der Bund weiter mitspekuliert . Wir müs-
sen endlich das Prinzip ändern, dass die bundeseigenen
Immobilien weiterhin im sogenannten Höchstgebotsver-
fahren abgegeben werden . Wir brauchen hier ein Vor-
kaufsrecht der Kommunen . Ein gutes Beispiel ist das
Dragoner-Areal hier in der Stadt Berlin. Ich finde, die-
ser Vertrag mit dem Großinvestor muss rückabgewickelt
werden . Dieses Areal muss zurück an das Land Berlin,
damit es gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern
sozial entwickelt werden kann .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819603700

Für die Bundesregierung erhält nun der Parlamentari-

sche Staatssekretär Florian Pronold das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Fl
Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1819603800


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
liebe Kollegen! Es ist Aufgabe der Opposition, das Haar
in der Suppe zu suchen. Aber wenn man kein Haar findet,

Caren Lay






(A) (C)



(B) (D)


gleich eine ganze Perücke hineinzuwerfen, wie man das
heute in der Debatte macht, übersteigt schon das Erträg-
liche .


(Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nehmen wir doch einmal die Fakten, von denen hier
viele reden, zur Kenntnis . Wir haben heute die aktuellen
Baugenehmigungszahlen bekommen . Im ersten Halbjahr
ist in Sachen Neubau so viel passiert wie seit 2002 nicht
mehr .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben eine Steigerung um 25 Prozent auf dem Woh-
nungsmarkt .

Der zweite Punkt: Wer spricht denn über die Makler-
regelung, die wir durchgesetzt haben? Eine halbe Milli-
arde Euro ersparen wir Mietsuchenden jedes Jahr . Wir
verhindern, dass sie ausgebeutet und über den Tisch ge-
zogen werden . Diese Regelung wirkt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Das ist völlig irrelevant aus Sicht der Opposition . Wir
haben zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesre-
publik Deutschland mit der Mietpreisbremse eine gesetz-
liche Regelung in einem Bereich geschaffen, in dem es
bisher überhaupt keine gab, nämlich bei der Wiederver-
mietung . Wir haben jetzt die erste Klage, die erfolgreich
war . Die wird auch Wirkung zeigen .

Es hat nie jemand behauptet, dass eine Mietpreisbrem-
se es schafft, die Mieten zu reduzieren .


(Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine Mietpreisbremse bremst die Entwicklung ab .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut sie nicht!)


Wir haben immer gesagt: Ohne dass wir zusätzliche An-
strengungen beim Bauen unternehmen, wird es keinen
bezahlbaren Wohnraum geben .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Man kann natürlich kurzfristig die eine oder ande-
re Umfrage machen . Die kann man auf der Basis der
Daten von Internetportalen machen – eine sehr seriöse
Geschichte . Ich bin dafür, dass man das wirklich seriös
macht . Dann wird man sehen, dass die Mietpreisbremse
ihre Wirkung entfaltet .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sagen schon die ganze Zeit, dass sie sie nicht hat!)


Wir sehen aber auch, dass es bestimmte Bereiche gibt,
bei denen man noch nachbessern muss . Der Bundesjus-
tizminister hat auch angekündigt, dass wir das so schnell
wie irgend möglich machen werden .


(Beifall bei der SPD – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, angekün digt! Das ist das, was Sie am besten können! Ankündigen, ankündigen, ankündigen!)


Dagegen spricht doch nichts . Deswegen macht man
doch das Instrument nicht madig, sondern man schaut,
was man noch verbessern kann .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819603900

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, darf ich Sie in

Ihrer Dynamik einmal ganz kurz unterbrechen? Die Kol-
legin Lisa Paus würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage
stellen .

Fl
Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1819604000


Na gerne .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819604100

Bitte schön .


Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819604200

Herr Pronold, Sie haben ja gerade gesagt, dass die

Mietpreisbremse wirkt . Insofern würde man normaler-
weise nicht unbedingt annehmen, dass die Preise sinken .
Man würde aber annehmen, dass sie nicht mehr so stark
steigen, wie sie es vorher getan haben . Das würde ich
klassischerweise unter einer wirksamen Mietpreisbrem-
se verstehen . Alle Menschen in diesem Land haben das,
glaube ich, so verstanden .

Wissen Sie, dass es eine Studie zum Beispiel für das
Land Berlin gibt – von Ihrem Haus gibt es, glaube ich,
noch keine entsprechende Studie –, in der genau dem
nachgegangen worden ist? Da wurde darauf untersucht,
inwieweit die Mietpreisbremse tatsächlich zu einem we-
niger großen Anstieg der Mieten geführt hat . Sie kam zu
dem Resultat, dass leider das Gegenteil der Fall ist, dass
die Mietpreise im Land Berlin weiter – und zwar stär-
ker – angestiegen sind . Wie würden Sie diesen Befund
jetzt vor dem Hintergrund erläutern, dass Sie gesagt ha-
ben, dass die Mietpreisbremse wirkt?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Fl
Florian Pronold (SPD):
Rede ID: ID1819604300


Ich glaube, wenn Sie zugehört hätten,


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich!)


dann wüssten Sie, dass ich bereits zum Beispiel auf diese
eine Studie eingegangen bin . Ich bin darauf eingegangen,
auf welcher Datenbasis sie erstellt worden ist . Man soll-
te sehr vorsichtig sein, bei unsicherer Datenbasis nach
relativ kurzer Zeit eine abschließende Bewertung vorzu-
nehmen .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die ganzen Ausnahmen! Das muss Ihnen doch zu denken geben, Herr Parl. Staatssekretär Florian Pronold Pronold! Sie wissen doch, dass sie nicht wirken kann!)





(A) (C)


(B) (D)


Vorher habe ich auch noch einmal deutlich gemacht,
dass wir eine enorm gute Regelung für einen Bereich ge-
troffen haben, wo es vorher noch überhaupt keine gab . Es
gab keine Regelung für die Frage der Wiedervermietung .
Das war der erste große Schritt .

Es ist doch kein Wunder, dass bei angespannten Woh-
nungsmärkten – dasselbe erleben wir übrigens auch in an-
deren Bereichen, etwa bei der Ausbildung, wo Menschen
dringend auf etwas angewiesen sind – viele die Rechte,
die sie haben, gar nicht wahrnehmen, weil sie froh sind,
dass sie endlich etwas gefunden haben . Deswegen reicht
es eben nicht, nur auf der rechtlichen Ebene etwas zu ma-
chen, sondern wir müssen auch das Marktversagen auf
dem Wohnungsmarkt beenden . Und das bedeutet, dass
es auch in ordentlichem Ausmaß Neubau und vor allen
Dingen bezahlbaren Wohnraum geben muss .

Damit bin ich beim nächsten Thema . Ich habe manch-
mal ein gutes Gedächtnis, was Oppositionsanträge und
die darin enthaltenen Forderungen angeht . Ich erinnere
mich, welche Forderungen es vor wenigen Jahren in Be-
zug auf die Steigerung bei der sozialen Wohnraumförde-
rung gab . Heute betreibt diese Bundesregierung bzw . die
Große Koalition eine soziale Wohnraumförderung – das
schlägt sich auch im Haushalt nieder –, die die meisten
Oppositionsanträge von vor wenigen Jahren übertrifft .
Und jetzt heißt es nach dem üblichen Motto: Das reicht
nicht .

Meine Bitte ist jetzt – ich werde gleich zur Baumi-
nisterkonferenz unterwegs sein –, dass alle, die sagen,
dass es nicht reicht, dort, wo sie in den Ländern Verant-
wortung tragen, dafür Sorge tragen, dass das Geld auch
wirklich entsprechend ausgegeben wird . Denn die Be-
richte, die wir aus den Ländern bekommen – darin geht
es darum, was mit dem Dreifachen des Geldes jetzt pas-
siert –, bringen mich schon zum Nachdenken darüber, ob
es richtig ist, dass wir das machen . Ich weiß jetzt schon,
dass Länder sagen: Da kommt das Dreifache vom Bund;
also geben wir weniger dazu . Warum sollen wir da etwas
machen? – Andere geben überhaupt keine vernünftigen
Berichte ab .

Ich finde, das Thema Wohnungsnot ist viel zu ernst,
als dass man es so abhandeln kann . Wir haben hier die
Gelder von 500 Millionen Euro auf 1,5 Milliarden Euro
verdreifacht . Das ist eine Riesenleistung, und das ist ein
Beitrag zu bezahlbarem Wohnen .


(Beifall bei der SPD)


Frau Göring-Eckardt, Sie haben heute, glaube ich, das
erste Mal zur Wohnungspolitik geredet .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Herr Pronold, nicht zum ersten Mal!)


Man muss auch wissen, dass es eine Föderalismusreform
gab, nach der seit 2008 die Alleinverantwortung für die

soziale Wohnraumförderung bei den Ländern angesiedelt
ist .


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie haben angekündigt, dass Sie jetzt investieren wollen!)


Und der Bund übernimmt jetzt eine Übergangsfinanzie-
rung .

Ich sage Ihnen: Wichtig ist, dass wir jetzt in der aktu-
ellen Situation die Gelder verdreifacht haben, und zwar
eben auch, um Fehler der Vergangenheit nicht zu wie-
derholen . Wir haben vorhin eine Debatte zum Thema
Integration gehabt . Für die SPD ist es wichtig, dass wir
die Menschen auf dem sozialen Wohnungsmarkt nicht
gegeneinander ausspielen . Deswegen haben wir gesagt:
Wir brauchen keinen Flüchtlingswohnungsneubau, son-
dern wir brauchen bezahlbaren Wohnraum für alle . Es
darf nicht sein, dass die alleinerziehende Mutter gegen
die syrische Familie ausgespielt wird .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dafür tragen wir mit diesem Geld Sorge; aber die Länder
müssen dort auch entsprechend mitziehen . Es gibt kaum
einen Bereich, wo die Große Koalition so erfolgreich
agiert hat wie im Wohnungsbau .

Meine Redezeit ist heute etwas kurz . Ich würde ger-
ne noch etwas zur Frage der Städtebauförderung sagen,
dazu, was wir dort machen, um zu verhindern, dass wie
in anderen europäischen Ländern Ghettos entstehen, was
wir insgesamt in vielen anderen Bereichen gemacht ha-
ben . Dem ging übrigens auch ein Beschluss des Haus-
haltsausschusses voraus, bei Bundesgrundstücken nicht
mehr das Höchstpreisverfahren anzuwenden . Auch da ist
noch zu wenig passiert; das stimmt . Wir haben lange ge-
kämpft . Jetzt haben wir da aber den ersten Schritt getan .

Schauen Sie sich auch einmal – bei all dem, was man
an der BImA kritisieren kann – an, was wir für die Flücht-
lingsunterbringung in diesem Bereich gemacht haben .
Da haben wir vielen Kommunen und Ländern wirklich
geholfen – auch weil der Bund mit gutem Beispiel voran-
ging . Und wenn es eine erfolgreiche Politik gibt, dann ist
es die beim sozialen Wohnungsbau, bei der Wohnungs-
politik des Bundes . Sie können da noch so viele Haare in
der Suppe suchen, Sie werden keine finden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819604400

Vielen Dank . – Nächster Redner ist der Kollege Kai

Wegner von der CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Kai Wegner (CDU):
Rede ID: ID1819604500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Staats-
sekretär hat zur Verantwortung von Bund und Ländern
bereits das Richtige gesagt . Liebe Kolleginnen und Kol-
legen von den Grünen, der Bund hat Verantwortung für

Parl. Staatssekretär Florian Pronold






(A) (C)



(B) (D)


die soziale Wohnraumförderung übernommen . Ich wür-
de mir wünschen, dass wir – auch Sie –, statt wohlfeile
Anträge an den Deutschen Bundestag zu formulieren,
gemeinsam dafür Sorge tragen, dass die Länder – auch
die Länder, in denen Sie Verantwortung tragen – dieses
Geld zielgerichtet für die soziale Wohnraumförderung
verwenden, statt es in Haushaltslöchern versickern zu
lassen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Lay, Sie sprachen von Jahrhundertfehlern . Ich
hätte mir gewünscht, dass Sie auch den Fehler als Jahr-
hundertfehler bezeichnet hätten, den Ihre Partei, als sie in
Berlin in Regierungsverantwortung war, zu verantworten
hat . Sie waren es nämlich, die die größte staatliche Woh-
nungsbaugesellschaft in Berlin privatisiert haben . Da das
noch nicht reichte, haben Sie sie gleich noch an die Bör-
se gebracht, Frau Lay . Das ist Praxispolitik der Linken
in den Ländern, und es ist unredlich, wenn Sie das hier
anders darstellen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819604600

Herr Kollege Wegner, darf ich Sie kurz unterbrechen?

Die Kollegin Lay hätte eine Zwischenfrage an Sie . Ge-
statten Sie diese?


Kai Wegner (CDU):
Rede ID: ID1819604700

Sehr gerne . Vielleicht bezeichnet sie das dann ja auch

als Fehler .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819604800

Bitte schön .


Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819604900

Herr Kollege, selbstverständlich . Das habe ich immer

gesagt . Das haben auch andere Rednerinnen und Red-
ner dieser Fraktion hier immer wieder gesagt . Dieser
Verkauf in Berlin war ein Riesenfehler . Das muss man
unumwunden zugeben . Da gibt es überhaupt nichts zu
diskutieren . Ich muss mich, ehrlich gesagt, aber etwas
wundern, warum Sie als Vertreter der Union das hier jetzt
so hochziehen . Geben Sie mir erstens darin recht, dass
die extreme Haushaltsnotlage des Landes Berlin damals
vorwiegend durch die Große Koalition, vor allen Dingen
durch das Agieren der Union, verschuldet war? Geben
Sie mir zweitens recht, dass es die Union war – damals
in der Opposition –, die die rot-rote Regierung wegen
des Haushalts verklagt hat? Geben Sie mir drittens recht,
dass es Ihre Partei war, die in Berlin gefordert hat, sämtli-
che staatlichen Wohnungsunternehmen zu privatisieren?
Finden Sie nicht auch, dass derjenige, der im Glashaus
sitzt, nicht Steine auf andere werfen sollte?


(Beifall bei der LINKEN)



Kai Wegner (CDU):
Rede ID: ID1819605000

Dann habe ich ja Glück, dass ich nicht im Glashaus

sitze . Glauben Sie es mir: Ich bin seit vielen Jahren Mit-
glied der Berliner CDU und war in unterschiedlichen
Funktionen tätig . Ich kann mich an keinen Tag erinnern,

an dem die Berliner CDU die komplette Privatisierung
aller staatlichen Wohnungsbaugesellschaften gefordert
hat, Frau Lay .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Dann kann ich Ihnen das noch mal vorlesen! Das war Ihre Position!)


Ganz im Gegenteil: Die Privatisierung der größten staat-
lichen Wohnungsbaugesellschaft in Berlin ist in Ihrer Re-
gierungszeit beschlossen und vollzogen worden .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Sie haben gesagt, dass es nicht reicht!)


Das haben wir als Union im Übrigen sogar kritisiert, Frau
Lay .


(Caren Lay [DIE LINKE]: Sie haben gesagt: Es reicht nicht aus!)


Das gehört zur Wahrheit, und es ist unredlich, etwas an-
deres zu behaupten .


(Caren Lay [DIE LINKE]: „Es reicht nicht aus“ war Ihre Position! Auch die der Grünen!)


– Man ist halt getroffen, wenn man den Spiegel vorge-
halten bekommt und der Wahrheit ins Auge sehen muss,
nämlich wie man in den Ländern Verantwortung trägt
und hier andere Anträge formuliert . Von daher, Frau Lay,
nehme ich das so zur Kenntnis .

Meine Damen und Herren, diese Große Koalition wird
sich mit Nachdruck weiter dafür einsetzen, dass für alle
Menschen Wohnraum in Deutschland zur Verfügung
steht – für alle Menschen, in allen Stadtvierteln, auch
bezahlbarer Wohnraum . Wir haben da einiges erreicht
und einiges erledigt . Ich sage nicht, dass wir schon fer-
tig sind . Wir haben noch vieles vor uns . Aber wir haben
die Mittel für die soziale Wohnraumförderung deutlich
erhöht und diskutieren, sie in den nächsten beiden Jahren
nochmals um 500 Millionen Euro zusätzlich zu erhöhen .
Das ist eine Kraftanstrengung . Diese Regierung, diese
Koalition sieht aber die Verantwortung, die wir haben .
Aber noch einmal: Ich erwarte von den Ländern, dass sie
nicht immer nur nach Geld rufen, sondern diese Mittel
dann auch passgenau einsetzen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben das Leistungsniveau des Wohngeldes deut-
lich angehoben, um einkommensschwache Haushalte bei
den Wohnkosten schnell, wirkungsvoll und treffsicher zu
entlasten .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Vollkommen verpufft!)


Ja, wir haben das Bündnis für bezahlbares Wohnen und
Bauen ins Leben gerufen und die Maßnahmen identifi-
ziert, die zu mehr Wohnungsbau führen sollen .

Ja, wir haben auch die Mietpreisbremse eingeführt,
damit Menschen nicht aus ihren angestammten Wohn-
vierteln verdrängt werden . Wir haben aber schon immer
gesagt – auch ich habe das schon immer gesagt –: Eine
Mietpreisbremse, so sinnvoll sie auch sein mag, schafft
keine einzige neue bezahlbare Wohnung, meine Damen
und Herren . Auch das gehört zur Wahrheit .

Kai Wegner






(A) (C)



(B) (D)


Wir werden einen Investitionspakt für die soziale Inte-
gration im Quartier auflegen und die Fördermittel für die
Stadtentwicklung noch einmal deutlich erhöhen .

All diese Maßnahmen, meine Damen und Herren, sind
richtig und wichtig; denn insbesondere in den Ballungs-
zentren steigen die Mieten weiter . Auch die Preise für
Wohneigentum schießen in die Höhe . Je größer die Stadt,
desto stärker die Preissteigerung . Die Gründe dafür sind
klar; sie liegen auf der Hand . Deutschlands Städte sind
attraktiv, sie ziehen viele Menschen an, und sie wach-
sen . Wo eine steigende Nachfrage auf ein nur gemäch-
lich wachsendes Angebot trifft, steigen die Preise . Des-
halb ist es auch so wichtig, dass die erste und wichtigste
Antwort auf die steigende Nachfrage ist, dass wir alle
Anstrengungen unternehmen müssen, um mehr, um neu-
en Wohnraum zu schaffen . Deshalb ist die Devise völlig
richtig, dass wir auf Bauen, Bauen und nochmals Bauen
setzen müssen, meine Damen und Herren .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist schon oft meine Heimatstadt Berlin erwähnt
worden . Wir haben in Berlin derzeit eine Leerstandsquo-
te von 1,7 Prozent . Wir alle wissen, wie die Stadt in den
nächsten Jahren wächst . Wer meint, bei einer Leerstands-
quote von 1,7 Prozent können wir weiter mit Regularien
vorgehen, weitere Gesetze schaffen und damit einen sta-
bilen Mietmarkt entstehen lassen, der irrt, meine Damen
und Herren . Auch in Berlin gilt es, mehr Wohnungen zu
bauen und auf die steigende Nachfrage zu reagieren .

Ja, zur Wahrheit gehört auch – es wird immer wie ein
Dogma hier vorgetragen, dass staatliche Gesellschaften
für alles zuständig sind –: Wir brauchen die staatlichen
Gesellschaften, um dieser Herausforderung gerecht zu
werden . Wir brauchen auch die Genossenschaften . Auch
das gehört zur Wahrheit . Wir werden dieser großen He-
rausforderung nur gerecht, wenn wir auch auf private
Investitionen, private Investoren setzen . Nur in diesem
Dreiklang – staatliche Gesellschaften, Genossenschaften
und private Bauherren – werden wir dieser Herausforde-
rung gerecht werden können .

Nach allen Schätzungen benötigen wir in Deutsch-
land jährlich mindestens 350 000 neue Wohnungen –
350 000 neue Wohnungen! Ja, ich bin sehr für eine
behutsame Nachverdichtung in bestehenden Stadtquar-
tieren . Aber zur Wahrheit gehört: Auch bei der Verdich-
tung gibt es Grenzen . Wer glaubt, dass wir diese große
Zahl von neuen Wohnungen allein durch Geschossauf-
stockung und das Schließen von Baulücken im Innen-
bereich schließen können, der, meine ich, irrt . Zwischen
Gründerzeithaus und Platte kann man nicht 350 000 neue
Wohnungen errichten, meine Damen und Herren .

Um den Menschen die Wohnungen bereitzustellen,
die sie benötigen, müssen wir auch neues Bauland am
Siedlungsrand erschließen . Wir brauchen im Baupla-
nungsrecht folglich mehr beschleunigtes Planen am Orts-
rand . Frau Ministerin Hendricks, lieber Herr Staatssekre-
tär Pronold, die Baurechtsnovelle hat leider immer noch
keine Kabinettsreife, weil dort das so dringend benötigte
Signal für den siedlungsnahen Außenbereich fehlt . Wir
haben inzwischen folgende absurde Situation: Bauland-
eigentümer lassen nicht bauen, sondern lehnen sich zu-

rück und erfreuen sich an den immer weiter steigenden
Preisen . Dieses spekulative Verhalten müssen wir end-
lich unterbinden, liebe Kolleginnen und Kollegen . Der
beste Weg, um den Baulandspekulanten den Garaus zu
machen, wäre die spürbare Ausweitung weiterer bebau-
barer Flächen; denn dann hätte das Spekulieren auf im-
mer weiter steigende Preise ganz schnell ein Ende .

Ja, liebe Frau Ministerin, lieber Herr Pronold, damit
wir die Kabinettsreife schnell erreichen: Machen Sie den
Weg frei, damit wir schnell zu mehr Bauland in unserem
Land kommen können . Wir brauchen dieses Instrument,
mit dem wir planungsrechtlich zügig auf den derzeitigen
Wohnungsmangel reagieren können . Keiner sollte sich
hinter diffusen europäischen Regelungen verstecken .
Das klärt sich . Beim Bauland entscheidet sich am Ende
des Tages, wer sich wirklich diesem Problem stellen und
es lösen will .

Meine Damen und Herren, ja, wir müssen bei der
Städtebaurechtsnovelle auch mit Blick auf die Innenent-
wicklung das eine oder andere verändern . Ich begrüße,
dass es einen neuen Baugebietstypus „Urbanes Gebiet“
geben wird . Wir wollen ein besseres Nebeneinander von
Wohnen und Gewerbe und damit auch den Bau zusätz-
licher Wohnungen in urbanen Zentren . Urbane Gebiete
sollen zudem die funktionale Durchmischung in unse-
ren Städten stärken; denn gemischte Quartiere sind ein
Garant für Lebensqualität, für Wohnzufriedenheit, für
Standortbindung und für Identitätsbildung . Auch das ist
ein wichtiger Baustein für lebenswerte Wohnverhältnisse
in starken Stadtteilen .

Meine Damen und Herren, das Thema Wohneigentum
wurde angesprochen . Ich glaube, auch hier brauchen wir
verstärkte Anstrengungen; das Thema Wohneigentum
braucht eine höhere Wertschätzung, auch vonseiten der
Bundesregierung und der Bundesministerin . Denn wer
den Mut und die Möglichkeit hat, sich letztlich für die
eigenen vier Wände zu entscheiden, der schafft am Ende
des Tages Freiräume bei den Mietwohnungen, und es ist
die beste Altersvorsorge für die Menschen . Von daher
müssen wir größere Kraftanstrengungen unternehmen,
um Wohneigentum weiter zu fördern .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir bei der
Frage des bezahlbaren Wohnraums in lebenswerten
Städten auch vor manchen Herausforderungen stehen,
stehen wir doch im europäischen und erst recht im glo-
balen Maßstab verhältnismäßig gut da . Urbanisierung
ist ein weltweites Phänomen . Beim UN-Weltsiedlungs-
gipfel diskutieren deshalb 40 000 Menschen, wie die
vielen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem
starken Zuzug in große Städte gemeistert werden kön-
nen . Es ist sicher kein Zufall, dass wir Deutschen bei der
Habitat-III-Konferenz ein gefragter Ratgeber sind, wenn
es darum geht, wie die großen Metropolen dieser Welt
nachhaltiger, sicherer und lebenswerter gemacht werden
können . Das deutsche Modell der Städtebauförderung
kann für andere Länder beispielgebend sein; denn die
Städtebauförderung hat sich bei uns in Deutschland in
viereinhalb Jahrzehnten außerordentlich bewährt .

Kai Wegner






(A) (C)



(B) (D)


Meine Damen und Herren, wir als Union glauben an
die Kraft des Marktes . Wir bekennen uns aber auch zur
staatlichen Verantwortung für alle, die auf den regulären
Wohnungsmärkten aus verschiedenen Gründen keine
Chance haben . Die soziale Balance ist ein hohes Gut .
Wir wollen nicht nebeneinander leben, sondern wir wol-
len miteinander leben – Geringverdiener und Menschen
mit höherem Einkommen, Ortsansässige und neu Hin-
zugezogene, Junge und Alte, Familien, Alleinlebende .
Wir als Koalition werden weiterhin alle Anstrengungen
unternehmen, damit alle Menschen in Deutschland eine
bezahlbare Wohnung finden und die soziale Balance er-
halten bleibt oder wiedergewonnen wird .


(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt mal konkret!)


Denn auch in den Wohnvierteln entscheidet sich am Ende
des Tages die Zukunft unseres Landes .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819605100

Vielen Dank . – Das Wort hat jetzt Klaus Ernst, Frak-

tion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819605200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Wegner, jetzt muss ich Sie schon mal was
fragen . Wo ist er denn? – Da ist er .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, ich doch nicht!)


– Ja, ich habe ihn schon gesehen . Ich schiele doch nicht . –
Sie haben gerade die Privatisierung von Wohnungen
durch das Land Berlin unter Regierungsbeteiligung der
Linken kritisiert . Frau Lay hat gerade erklärt, dass das
ein Fehler war . Jetzt wissen wir, dass von 1990 bis heute
über 350 000 Wohnungen des Bundes privatisiert wur-
den, oft unter Regierungsbeteiligung der CDU und der
CSU . Sind Sie bereit, auch das als Fehler bezeichnen,


(Beifall bei der LINKEN)


oder ist es bei Ihnen so: „Wenn die Linke dasselbe macht
wie Sie, dann ist es falsch, aber wenn Sie es machen, ist
es richtig“?


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)


Das wäre natürlich eine sehr bemerkenswerte Einstel-
lung . – Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen würden,
würde ich die Präsidentin bitten, sie zuzulassen .


(Heiterkeit bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819605300

Aber so soll es hier eigentlich nicht laufen,


(Heiterkeit)


dass wir hier die Debatten verlängern und der Kollege
Ernst noch etwas zusätzliche Redezeit bekommt . So war
das nicht gedacht .


(Kai Wegner [CDU/CSU]: Ich habe aber eine Zwischenfrage! – Heiterkeit)


– Sie haben eine Zwischenfrage . Herr Kollege Ernst, las-
sen Sie die Zwischenfrage zu?


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819605400

Ja, ich würde mich über die Zwischenfrage freuen .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819605500

Dann, Herr Kollege Wegner, bitte schön .


Kai Wegner (CDU):
Rede ID: ID1819605600

Lieber Herr Ernst, vielen Dank, dass Sie die Zwi-

schenfrage gestatten .


(Heiterkeit)


Ich habe folgende Frage an Sie: Teilen Sie die Auffas-
sung, dass Reden und Regierungshandeln in Einklang zu
bringen sind


(Caren Lay [DIE LINKE]: Vor allen Dingen bei Ihnen!)


und das insbesondere für die Linke gilt, wenn sie Verant-
wortung trägt, lieber Herr Ernst?


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Gute Frage!)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819605700

Ja, Herr Wegner, diese Auffassung teile ich .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819605800

Herr Wegner, bleiben Sie bitte stehen, bis die Antwort

zu Ende ist . Man muss schon alles durchziehen, wenn
man sich dazu bereit erklärt .


(Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819605900

Ja, ich teile diese Ansicht, Herr Wegner . Das muss

übereinstimmen . Genau deshalb ist die Frage an Sie ge-
richtet gewesen, ob Sie das unterschiedlich bewerten .
Wir bewerten es nicht unterschiedlich . Sie sagen also
tatsächlich, wenn ich Sie jetzt richtig verstehe: Es war
falsch, dass der Bund unter Regierungsbeteiligung der
CDU die Wohnungen privatisiert hat . – Wenn Sie das
täten, Herr Wegner, dann wären wir zumindest auf der
Ebene, dass wir Tatbestände gleich bewerten . Wenn Sie
das nicht tun, kann ich Ihre Aussage über das, was wir
in Berlin gemacht haben, überhaupt nicht ernst nehmen .
Dann ist es reine Polemik . So schaut’s aus .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich wollte eigentlich zu ganz anderen Themen etwas
sagen, nämlich zur Realität . Es ist noch früh am Morgen,

Kai Wegner






(A) (C)



(B) (D)


deshalb können Sie mir sicherlich folgen, wenn ich Sie
mit ein paar wenigen Zahlen belaste .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Vielleicht ist es für Sie früh! Für mich nicht!)


Nach den Regelungen im Hartz-System liegt der
durchschnittliche Bedarf alleinstehender Erwachsener
bei 1 053 Euro . Man geht dabei von Kosten für die Un-
terkunft von 349 Euro aus . 349 Euro sind das, was ihm
zugestanden wird . Wir wissen, dass ein vollzeitbeschäf-
tigter Arbeitnehmer, der den Mindestlohn erhält, ein Net-
togehalt von 1 040 Euro hat; er hat also 13 Euro weniger .
Wenn man die entsprechenden Realitäten zugrunde legt,
nämlich das, was nach SGB IV als Kosten der Unterkunft
für die Mieten in München angesetzt wird, dann stellt
man fest: In München sind es 492 Euro, also 156 Euro
mehr, in Frankfurt 132 Euro und in Stuttgart 87 Euro .
Wenn jemand Mindestlohn bekommt, dann hat er also
schlichtweg 156 Euro weniger Geld für Miete zur Ver-
fügung, als im Hartz-System zugrunde gelegt wird . Das
heißt aber nicht, dass man im Hartz-System zu viel be-
kommt . Das Problem ist, dass er zu wenig Mindestlohn
erhält . Diese Problematik könnte man einigermaßen in
den Griff bekommen, wenn man die Mieten begrenzen
würde . Aber Ihre Mietpreisbremse ist nur heiße Luft; da
passiert nichts . Es ist eben keine Mietpreisbremse .

Ich möchte meinen Punkt noch etwas deutlicher ma-
chen; denn es gibt nicht nur die Menschen im Mindest-
lohn . Ein Polizeimeister – nennen wir ihn Herrn Müller –
verdient in München mit Ballungsraumzulage usw . circa
2 600 Euro brutto . – Ich sehe gerade, meine drei Minuten
Redezeit sind schon vorbei . Oje, oje!


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Jetzt wird es aber Zeit!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819606000

Wenn Sie so lange andere Dinge ansprechen, dann ist

Ihre Zeit um . Bringen Sie noch zügig Ihr Beispiel und
kommen Sie dann zum Ende Ihrer Rede .


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Eine letzte Matheaufgabe, und dann ist Schluss!)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819606100

Danke schön, Frau Präsidentin . – Dann erzähle ich we-

nigstens das Beispiel vom Polizeimeister zu Ende . Wenn
man annimmt, dass dieser Polizeimeister ein Drittel sei-
nes Einkommens für Miete ausgibt und wenn man zu-
grunde legt, welche Mietpreise in München inzwischen
gezahlt werden müssen, dann stellt man fest: Er könnte
sich gerade noch eine Wohnung mit 33 Quadratmetern
leisten . – Das Ergebnis ist übrigens, dass die Polizisten,
die München und seine Bürger schützen, nicht mehr in
München wohnen können, weil sie es sich nicht mehr
leisten können . Wenn Sie meinen, das solle alles so blei-
ben, dann sagen Sie das dem Polizisten! Ich hoffe, dass er
sie trotzdem schützt, wenn bei Ihnen eingebrochen wird .

Herzlichen Dank fürs Zuhören .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819606200

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Michael Groß,

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . MarieLuise Dött [CDU/CSU] – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Keine Rechenaufgaben mehr, bitte!)



Michael Groß (SPD):
Rede ID: ID1819606300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ging eben
um die Arithmetik, die die Realität einiger Bürgerinnen
und Bürger in unserem Land darstellt . Es ist wichtig, zu
betonen, dass – anders als die Opposition das sieht – das
Glas nicht leer, sondern mehr als halb voll ist .


(Dr . Petra Sitte [DIE LINKE]: Ach ja?)


Wir haben in den letzten drei Jahren in dieser Regie-
rung viel erreicht . Es wurden mehr Baugenehmigungen
erteilt . In diesem Jahr werden weit mehr als 300 000 neue
Wohnungen gebaut . Wir haben das Wohngeld aufge-
stockt . Wir werden die Mittel für die soziale Wohnraum-
förderung auf 1,5 Milliarden Euro aufstocken . Wenn die
Rechnung stimmt, die die Linke aufmacht, werden wir
mindestens 45 000 bis 60 000 Wohnungen im sozialen
Wohnungsbau, also Wohnungen mit Mietbindung, schaf-
fen . Wenn die Länder sich noch einmal so engagieren,
werden wir weit mehr als 100 000 Wohnungen erreichen .
Das ist die Forderung, die wir alle haben, insbesondere
wir von der SPD .


(Beifall bei der SPD)


Wir haben zurzeit eine Situation, in der wir berechtig-
terweise darüber diskutieren, ob ein Weiter-so möglich
und notwendig ist . Wir haben aufgrund von Beobachtun-
gen im In- und Ausland Erfahrungswerte, und wir haben
die Konsequenzen zu ziehen . Man muss darauf achten:
Ist der private Markt, die Wirtschaft allein in der Lage,
den Wohnungsbedarf zu decken? Wir schließen uns na-
türlich der Forderung an, dass wir Genossenschaften
brauchen – starke Genossenschaften, die als Korrektiv
auf dem Wohnungsmarkt auftreten . Aber wir brauchen
auch kommunale Wohnungsunternehmen .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Und Private!)


Die kommunalen Wohnungsunternehmen sind übrigens
diejenigen, die nach den Untersuchungen, die Sie ständig
zitieren, zu fast 100 Prozent die Mietpreisbremse einhal-
ten .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum brauchen wir eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit!)


– Ich glaube, dass die neue Wohnungsgemeinnützigkeit
vielleicht langfristig ein Konzept sein kann . Wir prüfen
das ja gerade . Sie wissen selbst, dass wir als SPD ge-
meinsam mit dem Ministerium gesagt haben: Wir wollen
dieses Konzept prüfen . Wir glauben aber auch, dass der
Weg kürzer sein muss . Wir brauchen jetzt ein Korrektiv .
Wir brauchen jetzt starke Genossenschaften . Wir brau-

Klaus Ernst






(A) (C)



(B) (D)


chen jetzt starke Wohnungsbaugesellschaften, kommu-
nale Wohnungsbaugesellschaften, die vor Ort als Korrek-
tiv am Markt auftreten und für bezahlbaren Wohnraum
sorgen können .

Wir haben heute Morgen gehört, dass wir die Kom-
munen und die Länder in einem Maß entlastet haben, wie
es das in der Bundesrepublik bisher noch nicht gegeben
hat . Ich glaube, dass dieser Weg weiter beschritten wer-
den muss . Ich glaube auch, dass wir darüber nachden-
ken müssen, eine gemeinsame Verantwortung von Bund,
Ländern und Kommunen für den Wohnungsbau herzu-
stellen, weil nur in der gemeinsamen Verantwortung vor
Ort die regionalen Spezifika abgebildet werden können.
Die Kommunen sind in der Lage, die Frage zu beantwor-
ten: Brauchen wir Wohnungen, welche Art von Wohnun-
gen brauchen wir, und wo brauchen wir Wohnungen?
Das muss vor Ort geregelt werden .

Herzlichen Dank . Glück auf!


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819606400

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Christian Kühn,

Bündnis 90/Die Grünen .

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Ich möchte Sie in das Jahr 1988 ent-
führen . Am 23 . Juni 1988 wurde in Bonn, im Deutschen
Bundestag, die Abschaffung der Wohnungsgemeinnüt-
zigkeit debattiert und beschlossen . Schwarz-Gelb zer-
schlug damals das altbewährte System einer Wohnungs-
gemeinnützigkeit in Deutschland unter dem Vorwand des
Skandals der Neuen Heimat . Es gab damals heftige Pro-
teste von Sozialdemokraten und Grünen in dieser Plenar-
debatte . Ich verstehe nicht, warum die SPD an dieser
Stelle heute so zögerlich auftritt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ein Blick in die Protokolle kann uns vielleicht hel-
fen; ich will hier Herrn Lammert zitieren, der immer
sagt, man solle sich auch die Unterlagen anschauen, das,
was hier immer aufgeschrieben wird . Alle Befürchtun-
gen, die in dieser Debatte damals vorgetragen worden
sind, sind eingetreten: Mietsteigerungen, Verdrängung,
weniger Mieterschutz, Unterversorgung und steigende
Sozialtransfers beim Wohnen . Ich glaube, dieser Fehler,
der 1988 gemacht worden ist, muss dringend korrigiert
werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Seitdem haben wir über 2 Millionen Sozialwohnun-
gen in Deutschland verloren . Dieser Donnerstag 1988
war ein schwarzer Tag für Mieterinnen und Mieter in
Deutschland . Er ist der ursächliche Auslöser der Krise,
die wir heute auf unseren Wohnungsmärkten erleben .
Dieser Fehler muss dringend korrigiert werden . Wir brau-
chen wieder ein System der Wohnungsgemeinnützigkeit .

Wir brauchen wieder eine Orientierung, dass Wohnun-
gen nicht länger Spekulationsobjekt sind, sondern als
Daseinsvorsorge begriffen werden . Wir brauchen eine
Gemeinwohlorientierung in der Wohnungspolitik, damit
unsere Wohnungsmärkte wieder ins Gleichgewicht kom-
men .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es gibt einige Kritiker dieser Wohnungsgemeinnützig-
keit . Mittlerweile hat dazu auch die Wohnungswirtschaft
das eine oder andere Gutachten – mit wenigen Seiten –
verfasst und Stellung bezogen . Auch seitens der Union
werden immer wieder Argumente zur Frage der Woh-
nungsgemeinnützigkeit vorgetragen . Herr Nüßlein hat
zum Beispiel gesagt: Wir wollen keine neuen Wohnghet-
tos .


(Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt! Das ist richtig, aber ich habe es nicht gesagt!)


Schauen wir uns doch einmal in Europa um: In Frank-
reich gibt es die Banlieues mit massiven sozialen Span-
nungen . Großbritannien: London ist eine sozial wirklich
zerklüftete Stadt . Wien hingegen ist eine der lebenswer-
testen Städte Europas . Der Unterschied ist, dass es in
Wien eine Wohnungsgemeinnützigkeit gibt und in Groß-
britannien und Frankreich nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deswegen: Nicht die Wiedereinführung der Wohnungs-
gemeinnützigkeit fördert soziale Ghettos, sondern deren
Abwesenheit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es wird außerdem behauptet, dass die Wohnungs-
gemeinnützigkeit zu hohen Kosten für die Kommunen
führen würde . Aber wenn ich mir die Realität anschaue,
dann sehe ich doch, dass die Sozialtransfers beim Woh-
nen wegen der steigenden Mieten zunehmen . Was wir
mit diesem System wollen, ist, dass die Kommunen in
Wohnungen, in Vermögen investieren und damit die Kos-
ten der Unterkunft dauerhaft reduzieren . Mit der Woh-
nungsgemeinnützigkeit würden wir die Kommunen in
Deutschland in Sachen Wohnen deutlich entlasten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819606500

Sie kommen jetzt auch bitte zum Schluss, Herr Kol-

lege .

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Nun zu meinem letzten Punkt . Sie führen immer wie-
der die Länder an: Die Länder müssen machen, die Län-
der müssen machen . Ich sage Ihnen eines: Wir Grüne
werden nach 2019 nicht Däumchen drehend hier sitzen
und zusehen, wie unsere Wohnungsmärkte weiter aus

Michael Groß






(A) (C)



(B) (D)


dem Ruder laufen . Es ist Zeit für eine neue Wohnungsge-
meinnützigkeit . Jedes Jahr verlieren wir 60 000 Sozial-
wohnungen in Deutschland . Wir brauchen endlich wieder
ein System, das den Menschen in diesem Land eine sozi-
ale Antwort gibt . Wir brauchen diese neue Wohnungsge-
meinnützigkeit . Wir haben diese Debatte beantragt, da-
mit Sie endlich einmal Stellung in dieser Frage beziehen .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819606600

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt die Kollegin Sylvia Jörrißen .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sylvia Jörrißen (CDU):
Rede ID: ID1819606700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Wir alle hier wollen bezahlbares Wohnen, und im Gegen-
satz zu Ihnen, werte Kollegen der Grünen, arbeiten wir
an ganzheitlichen Lösungen . Wir haben bereits vieles im
Hinblick auf bezahlbares Wohnen auf den Weg gebracht
und sind noch lange nicht fertig damit .

Man kann die Sache natürlich schlechter reden, als sie
ist . Nur bringt uns das keinen Millimeter weiter .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das mal den Mietern!)


Das ist schade, weil das Thema viel zu wichtig ist: für
Familien, die eine stadtnahe Wohnung in der Nähe von
Versorgungs- und Bildungseinrichtungen oder in der
Nähe vom Arbeitsplatz brauchen, für Studierende und
Auszubildende, die mit wenig Geld zentral wohnen müs-
sen, für Senioren, die dort, wo sie schon immer leben,
altersgerechten Wohnraum suchen, und auch für Schutz-
suchende, für die Wohnen ein Schlüssel zur erfolgreichen
Integration ist . Deshalb setzt sich die Union weiterhin
dafür ein, bezahlbaren und zielgruppengerechten Wohn-
raum zu schaffen . Das gilt sowohl für den Neubau als
auch für die Modernisierung des vorhandenen Bestandes .
Wir brauchen beides .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Uns fehlen 350 000 bis 400 000 neue Wohnungen
jährlich . Das kann der Bund nicht allein anschieben . Hier
müssen alle an einem Strang ziehen, auch die Länder und
Kommunen . Es sind im Übrigen nicht nur Wohnungen
im sozialen Wohnungsbau, die wir brauchen, sondern
es sind Wohnungen für alle, die in unserem Land leben .
Es ist sowohl geförderter als auch frei finanzierter Woh-
nungsbau durch kommunale und private Investoren oder
auch durch Genossenschaften .

Die Große Koalition ist die Herausforderungen auf
dem Wohnungsmarkt längst angegangen . Es ist richtig,
dass in bestimmten Ballungsgebieten die Märkte über-
hitzt sind und wir dort zu wenig Wohnraum für jene ha-
ben, die über geringe und mittlere Einkommen verfügen .

Um die Symptome in den überhitzten Märkten ab-
zumildern, haben wir die Mietpreisbremse eingeführt .
Auch wir als Union wollen nicht, dass Menschen aus ih-
ren angestammten Quartieren verdrängt werden. Deshalb
haben wir den Mietern Rechte an die Hand gegeben, die
sie jetzt auch tatsächlich wahrnehmen müssen .

Aber die Mietpreisbremse allein löst das Problem des
Wohnungsmangels nicht . Deshalb war uns immer die
Verknüpfung mit Maßnahmen für den Wohnungsbau
wichtig . Aus diesem Grund haben wir die Mittel für die
soziale Wohnraumförderung bereits verdoppelt . Die bis
2019 vorgesehenen Kompensationsmittel in Höhe von
ursprünglich 518 Millionen Euro haben wir um 500 Mil-
lionen Euro jährlich aufgestockt, und der aktuelle Haus-
haltsentwurf sieht sogar eine weitere Erhöhung auf über
1,5 Milliarden Euro jährlich vor .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und was ist nach 2019?)


Mit diesen Mitteln ist es den Ländern möglich, be-
zahlbaren Wohnraum zu schaffen . Aber die Länder geben
das Geld anscheinend nach wie vor für anderes aus .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!)


Die Zahlen der neu geschaffenen Sozialwohnungen stei-
gen nicht in dem Maße, in dem es erforderlich und bei
ordnungsgemäßer Verwendung der Mittel auch möglich
wäre . Tatsächlich reicht in einigen Ländern der Neubau
nicht einmal, um die Anzahl der aus der Sozialbindung
fallenden Wohnungen auszugleichen . Deshalb lautet
mein erneuter Appell an die Länder, die üppigen Bundes-
mittel vollumfänglich einzusetzen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Hierfür müssen die Förderprogramme so attraktiv ausge-
stattet sein, dass die Fördermittel auch abgerufen werden .
Die Angebote großer Kredite sind langweilige Schau-
fensterdekorationen . Wir brauchen Kassenschlager, die
die Investoren den Ländern aus den Händen reißen .

Sie fragten gerade, was nach 2019 ist .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau!)


Aktuell liegen die Ergebnisse der Bund-Länder-Finanz-
verhandlungen vor . Die Ministerpräsidenten haben sich
mit der Bundeskanzlerin und dem Finanzminister da-
rauf geeinigt, dass ab 2020 eine Neuordnung in Kraft
tritt . 2020 werden damit die Kompensationsmittel enden .
Dann müssen die Länder ihre Verpflichtungen im sozia-
len Wohnungsbau aus einer höheren Beteiligung an der
Umsatzsteuer finanzieren. Ich bin gespannt, wie die Prio-
ritätendiskussion in den Ländern künftig verlaufen wird .


(Zuruf von der CDU/CSU: Ich auch!)


Liebe Kollegen der Grünen, in Ihrem Antrag erscheint
die Einführung der Wohnungsgemeinnützigkeit als All-
heilmittel der Probleme . Sie verkennen aber, dass diese
den Wohnungsmangel nicht lösen wird, und zwar aus
vielen Gründen nicht . In der Zeit nach den beiden Welt-
kriegen war die Wohnungsgemeinnützigkeit ein wichti-
ger Baustein der Wohnungspolitik . Schließlich fehlte es
damals an funktionsfähigen Kapitalmärkten und Investo-

Christian Kühn (Tübingen)







(A) (C)



(B) (D)


ren, die Wohnungen finanzieren konnten. Aber heute ha-
ben wir andere Rahmenbedingungen . Die Probleme ent-
stehen nicht durch eine mangelnde Zahl an Investoren,
sondern beispielsweise dadurch, dass zu wenig Bauland
zur Verfügung steht oder die Baukosten zu hoch sind .
Wie will Ihre Gemeinnützigkeitsidee das lösen?


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das wird schwierig!)


Es ist doch ein Irrglaube, wenn Sie annehmen, dass ge-
winnorientierte Unternehmen keine soziale Verantwor-
tung für ihre Mieter und ihre Quartiere wahrnehmen. Der
Erfolg eines Wohnungsunternehmens hängt doch maß-
geblich davon ab, dass ein Stadtviertel prosperiert . Kom-
munale Unternehmen leisten wichtige Beiträge durch die
Gewinnabführung zur Finanzierung der Kommunen .

Herr Kühn, Sie haben gerade das Stichwort „Neue
Heimat“ selbst ins Spiel gebracht . Vielleicht sollten
wir der Öffentlichkeit den gigantischen Skandal des
Gewerkschaftswohnungsbauunternehmens „Neue Hei-
mat“ wieder in Erinnerung rufen: Mehrere Vorstands-
mitglieder des gewerkschaftseigenen gemeinnützigen
Unternehmens hatten sich persönlich bereichert, und der
Gewerkschaftskonzern war erheblich verschuldet . Der
ehemalige Vorstandschef hatte dem Unternehmen durch
Privatgeschäfte einen Verlust in Höhe von 105 Millio-
nen D-Mark beschert . Die Verbindlichkeiten der über-
nommenen Neuen Heimat betrugen etwa 16 Milliarden
D-Mark . Der Verkauf platzte dann auch noch aufgrund
dieser Überschuldung . Am Ende musste alles aufgelöst
und verkauft werden . – Der Gemeinnützigkeitsstatus
hatte das Unternehmen der natürlichen Kontrolle aller
Geschäfte durch eine Gewinnorientierung entzogen . Die
Gemeinnützigkeit im Wohnungsbau war der fruchtbare
Boden für millionenschweren Betrug und milliarden-
schwere Verluste,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: In einem Unternehmen von über 3 000 in Deutschland!)


frei nach dem Motto: Gewinne darf ich nicht machen,
meinen Bonus organisiere ich mir trotzdem, und für Ver-
luste kommen die anderen auf .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Eine Generation weiter hoffen einige, dass sich die Öf-
fentlichkeit nicht mehr daran erinnert . Aber das werden
wir nicht zulassen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)


Lassen Sie mich zu einem wichtigen Förderprogramm
kommen: „Altersgerecht Umbauen“ . Aufgrund des de-
mografischen Wandels und höherer Lebenserwartung
ist es wichtig, dass wir in den kommenden Jahren aus-
reichend altersgerechten Wohnraum schaffen; denn die
Menschen wollen so lange wie möglich selbstbestimmt
in den eigenen vier Wänden leben . Hier muss ich meine
Verwunderung ausdrücken, dass der Haushaltsentwurf
für alle möglichen zusätzlichen Projekte Hunderte Mil-
lionen Euro vorsieht, aber bei diesem Programm offen-

sichtlich erst wir Parlamentarier das Eisen aus dem Feuer
holen sollen . Die Mittel für dieses Jahr sind bei der KfW
längst aufgebraucht .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!)


Da ich schon bei einem Appell an die Bauministerin
bin, werte Frau Hendricks, möchte ich auf eine weitere
Sache hinweisen, die mir sehr am Herzen liegt . Anfang
des Jahres wurden die Ergebnisse des Bündnisses für be-
zahlbares Wohnen und Bauen vorgelegt . Die Erhöhung
der Kompensationsmittel und die Erhöhung des Wohn-
geldes können ja nicht alles der Umsetzung gewesen
sein . Insbesondere bei den Ergebnissen der Baukosten-
senkungskommission und den zusätzlichen Investitions-
anreizen müssen nun Taten folgen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden unsere
Herausforderungen in der Baupolitik nur bewältigen,
wenn mehr gebaut wird . Wir können das Problem des
Wohnungsmangels nicht mit den Stellschrauben des
Mietrechts lösen, sondern müssen bauen, bauen und
nochmals bauen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Denn nur durch mehr Wohnungsneubau werden die Ur-
sachen steigender Mieten langfristig bekämpft .

Es ist nicht nur die Schaffung von Sozialwohnraum
nötig, sondern wir müssen auch den frei finanzierten pri-
vaten und den genossenschaftlichen Wohnraum fördern .
Das geht am besten durch eine steuerliche Förderung .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Ja!)


Diese kann, richtig eingesetzt, schnell und genau dort
wirken, wo der Druck auf die Wohnungsmärkte am größ-
ten ist . Insofern bin ich sehr enttäuscht, dass die steuerli-
che Förderung nun nicht realisiert werden soll .


(Beifall der Abg . Marie-Luise Dött [CDU/ CSU])


In meinen Augen ist sie bitter notwendig . Dieses Mittel
war auch eine Empfehlung des Bündnisses und ein Pro-
jekt des Bundesfinanzministers und der Bundesbaumi-
nisterin .

Doch was hilft die beste Baupolitik, wenn kein Raum
zum Bauen vorhanden ist? Das höre ich immer wieder
in Gesprächen im Wahlkreis . Ich erwarte daher von den
Kommunen, dass Bauland ausgewiesen wird und die
Genehmigungsverfahren beschleunigt werden . Um den
erhöhten Wohnraumbedarf zu decken, brauchen wir heu-
te zusätzliche, neue Siedlungsgebiete und schnell mehr
Bauland an den Ortsrändern . Um den Wohnraumbedarf
zu decken, liebe Kollegen, müssen wir auch mit Maß an
der baulichen Dichte ansetzen . Hierzu muss die Baunut-
zungsverordnung überarbeitet werden .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!)


Wir wollen einen neuen Baugebietstyp schaffen, der
mehr Nachverdichtung und eine flexiblere Nutzungsmi-
schung aus Wohnen und Gewerbe ermöglicht . Aber ge-
rade beim Bauen müssen wir auch für Innovation und
Kreativität offen sein und mit der Zeit gehen . Modulares

Sylvia Jörrißen






(A) (C)



(B) (D)


und serielles Bauen wird in Zukunft wichtiger werden .
Hier ist schon heute vieles möglich .

Meine Damen und Herren, wir dürfen uns nicht nur
um Mietwohnungen, sondern müssen uns darüber hinaus
auch um selbstgenutztes Wohneigentum kümmern . Das
ist uns als Union sehr wichtig . Der Bau von Eigentums-
wohnungen hat die gleiche Wirkung wie der Bau von
Mietwohnungen .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein!)


– Doch .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein, hat er nicht!)


Durch Umzugsketten und Sickereffekte wird am Ende
auch hierbei Mietwohnraum frei .


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Nein! Welche Studie belegt denn diese Sickerungseffekte? – Gegenruf des Abg . Christian Haase [CDU/CSU]: Der gesunde Menschenverstand!)


Als Nebeneffekt, Herr Kühn, hat dies auch eine soziale
Komponente . Wohneigentum ist nämlich die wichtigste
Form der privaten Altersvorsorge .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist die einzige Form der Altersvorsorge, von der man
sogar im jungen Alter schon etwas hat .

Konkret geht es mir um die Wohnungsbauprämie .
Junge Menschen und Familien müssen einen Anreiz
haben, schon frühzeitig für Wohneigentum zu sparen .
Hier müssen wir Anreize schaffen, die attraktiv sind . Die
Wohnungsbauprämie im jetzigen Zustand ist es nicht .
Wir müssen sie so verändern, dass sie wieder attraktiv
wird, gerade für die Bezieher kleiner und mittlerer Ein-
kommen . Wir müssen hier Anpassungen an die Einkom-
mens- und Preisentwicklung vornehmen; denn aufgrund
inflationsbedingter Lohnerhöhungen sind viele Arbeit-
nehmer aus der Förderung herausgefallen . Hier besteht
Handlungsbedarf .


(Beifall der Abg . Marie-Luise Dött [CDU/ CSU] – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wer stellt denn den Finanzminister?)


Ein Thema, das der Kollege Nüßlein schon angespro-
chen hat, unterstütze auch ich – die nordrhein-westfäli-
sche CDU hat hierzu noch weitergehende Ideen, für die
auch ich mich starkmache und die beim nächsten Bundes-
parteitag eingebracht werden –, nämlich die bundesweite
Einführung eines Baukindergeldes für alle Familien mit
Kindern, die selbstgenutztes Wohneigentum erwerben .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Eine gute Idee!)


Viele Familien fühlen sich heute mit den Kosten für die
Kinder alleingelassen . Das Baukindergeld würde hier die
notwendige Unterstützung bieten und für viele aus der

Mitte unserer Gesellschaft einen Anreiz schaffen, zu bau-
en oder eigenen Wohnraum zu kaufen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kollegen, Wohnungsbaupolitik erfordert ein
ganzheitliches Konzept . Nur durch die Schaffung von
bezahlbarem Wohnraum, die Sie in Ihrem Antrag for-
dern, liebe Grüne, sind die Herausforderungen nicht zu
bewältigen . Wir setzen auf nachhaltige Lösungskonzepte
und auf wirkliche Problemlösungen und sind hierbei auf
einem guten Weg .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819606800

Vielen Dank . – Nächster Redner ist Detlev Pilger,

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Detlev Pilger (SPD):
Rede ID: ID1819606900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Gäste! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Zunächst darf ich feststellen:
Die Überschrift, die die Grünen für ihren Antrag gewählt
haben – „Gemeinsam für bezahlbares Wohnen – Lebens-
wert und klimafreundlich“ –, beschreibt ein Anliegen,
das wir alle in diesem Haus vereint verfolgen sollten,
egal durch welche parteipolitische Brille wir sehen . Ich
finde diese Überschrift zutreffend.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg . Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU] und Klaus Ernst [DIE LINKE] – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir auch!)


– Das glaube ich. – Wir befinden uns da auch in guter Ge-
sellschaft, nämlich in der Gesellschaft des evangelischen
Bischofs Dröge, der aus meiner schönen Heimatstadt
Koblenz kommt und die Schaffung von bezahlbarem
Wohnraum als gesellschaftliche Aufgabe bezeichnet, die
besonders der einkommensschwachen und armen Bevöl-
kerung zugutekommt . Dahinter sollten wir uns, egal ob
wir christlich motiviert oder humanistisch orientiert sind,
vereinen können .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Machen wir ja auch!)


Wir haben viel gemacht – das wurde hier schon mehr-
fach betont –: Im letzten Jahr wurde mehr gebaut als in
den zehn Jahren zuvor . Unternehmen wurden gestärkt,
Frau Jörrißen; damit wurden wichtige Arbeitsplätze
gesichert . Wir haben die Mietpreisbremse eingeführt .
Wir haben das Maklerprinzip geändert . Wir haben das
Wohngeld erhöht . Allerdings haben wir – das muss man
an dieser Stelle auch sagen, lieber Kollege Nüßlein; da
sprechen die aktuellen Zahlen eine eindeutige Sprache –
den sozialen Wohnungsbau wenig belebt und das, was
wir durch den Wegfall der Sozialbindung an Wohnungen
verlieren, bei weitem nicht kompensiert .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Die Länder!)


Sylvia Jörrißen






(A) (C)



(B) (D)


– Nein, Frau Dött, das ist nicht nur Sache der Länder .
Das ist auch eine Frage der Förderung und der Gemein-
nützigkeit .


(Beifall der Abg . Caren Lay [DIE LINKE] und Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Das ist auch klar, liebe Frau Dött . Wissen Sie, warum
das anders nicht funktioniert? Private Bauherren haben
natürlich in erster Linie die Rendite vor Augen . Das ist
ja auch richtig; denn sie sichern das Unternehmen und
damit die Arbeitsplätze . Aber damit kann man keinen so-
zialen Wohnraum erwirtschaften . Das ist die Wahrheit .


(Beifall der Abg . Caren Lay [DIE LINKE] und Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Bei dem Anliegen, sozialen Wohnraum zu schaffen – da
gebe ich den Kollegen der Grünen vollkommen recht –,
sind unsere vordringlichen Ansprechpartner die kommu-
nalen Wohnungsbaugesellschaften und die Genossen-
schaften; denn die setzen zu 90 Prozent – die Zahl kann
man nachlesen – den sozialen Wohnungsbau um .

Leider hat unser – ich zähle mich dazu – bisheriges
Bauförderprogramm dies nicht voll und ganz kompen-
siert . Die gemeinnützigen Baugesellschaften wollen,
brauchen und dürfen keine Gewinnmaximierung auswei-
sen; sie wollen gute Wohnqualität zu bezahlbaren Mieten
anbieten . Hier ist eine gezieltere Förderung unbedingt
notwendig, zum Beispiel in Form konkreter Bauzuschüs-
se für einzelne Bereiche des sozialen Wohnungsbaus, da-
mit auch diese Baugesellschaften – das muss man denen
selbstverständlich zubilligen – eine schwarze Null bei
Bauvorhaben ausweisen können, was anders nicht mög-
lich ist .


(Beifall bei der SPD)


Nur so werden wir längerfristig – wir müssen ja auch
darüber nachdenken, wie lange eine Sozialbindung er-
folgen soll – mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen für
Familien, Menschen mit geringem Einkommen, Schutz-
suchende, Alleinerziehende, alte Menschen, Studenten
usw . Wer nicht glaubt, wie angespannt die Lage auf dem
Wohnungsmarkt ist – ich war viele Jahre Aufsichtsrats-
vorsitzender einer Genossenschaft –, den lade ich ein,
mich zu einem Wohnungsbesichtigungstermin zu beglei-
ten . Da stehen 50, 60 Menschen in einer Reihe, und die
gehen dann frustriert weg, weil ja nur einer die Wohnung
bekommen kann .

Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin . – Eines ist
mir besonders wichtig – ich bitte die Opposition, genau
zuzuhören –: Wir haben im Bereich „Soziale Stadt“ wirk-
lich viel gemacht .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Frau Lay, Sie haben das eben nicht genannt; aber
es gehört zur Realität, dass die vorhergehende Bundesre-
gierung hierfür 40 Millionen eingestellt hatte und wir das
dauerhaft auf 150 Millionen erhöht haben . Das kommt
den Quartieren und den Menschen, die in diesen Quartie-
ren leben, zugute . Die Verhältnisse in den Stadtteilen der
„Sozialen Stadt“, lieber Herr Nüßlein, sind eine Katastro-

phe . Ich habe über 20 Jahre an einer Schule in einem so-
zialen Brennpunkt gearbeitet . Wir müssen dort dringend
ansetzen, damit Kinder und Jugendliche eine Perspektive
bekommen . Das gelingt uns bisher nicht .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819607000

Herr Kollege Pilger, Sie hatten versprochen, zum

Schluss zu kommen .


Detlev Pilger (SPD):
Rede ID: ID1819607100

Ich weiß, ich bin über der Zeit . Ich komme zum

Schluss . – Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, muss
unser gemeinsames Ziel sein: die Aufwertung von sozi-
alen Brennpunkten . Damit ist verbunden, dass sich Le-
bensperspektiven für junge Leute entwickeln .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie der Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE] und Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Rede hat mir gut gefallen!)


– Ich danke dir .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819607200

Als Nächstes spricht für die SPD-Fraktion die Kolle-

gin Claudia Tausend .


(Beifall bei der SPD)



Claudia Tausend (SPD):
Rede ID: ID1819607300

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ge-

legentlich hört man in Gesprächen, dass vonseiten des
Bundes und der Länder schon alles getan wurde, um die
Wohnungsbautätigkeit anzukurbeln, nur die Träger der
Planungshoheit, nämlich die Kommunen, kämen nicht so
recht in Gang mit einer vernünftigen Bodenpolitik und
beschleunigten Baulandausweisungen, der Inanspruch-
nahme von Fördermitteln und dem zügigen und kosten-
günstigen Bauen insgesamt .

Da trifft es sich gut, dass der Stadtrat der Landes-
hauptstadt München jetzt, im Oktober, seine Beratun-
gen über die sechste Fortschreibung des kommunalpo-
litischen Handlungsprogramms für den Wohnungsbau
aufnimmt . München hatte ja bereits 1994 erstmals das
größte kommunalpolitische Handlungsprogramm für den
Wohnungsbau der Republik aufgelegt . In den letzten fünf
Jahren sind 800 Millionen städtische Euro in den Neubau
von bezahlbarem Wohnraum geflossen.

Jetzt steht, wie gesagt, die sechste Fortschreibung an .
Ich lese Ihnen einfach einmal ein paar Kernaussagen vor,
die für sich selber stehen und aussagekräftig genug sind:

Das jährliche Neubauvolumen soll von 7 000 auf
8 500 Wohneinheiten gesteigert werden . Dafür werden
im Fünfjahreszeitraum, von 2017 bis 2021, rein städ-
tische Mittel in Höhe von 1,25 Milliarden Euro einge-
setzt . Die beiden Wohnungsbaugesellschaften der Stadt
erhalten 250 Millionen Euro zusätzliches Eigenkapital

Detlev Pilger






(A) (C)



(B) (D)


für den Bau von geförderten Wohneinheiten . – Es wurde
mehrfach gesagt: Die Träger des sozialen Wohnungsbaus
sind fast ausschließlich öffentliche Wohnungsbauunter-
nehmen, kommunale Wohnungsbauunternehmen und
Genossenschaften . Deswegen müssen sie auch zusätzlich
unterstützt werden .


(Beifall bei der SPD)


Die Vergabe von Grundstücken erfolgt künftig
schwerpunktmäßig für Mietwohnungen – München ist
wie viele andere Großstädte, zum Beispiel Berlin, eine
Mieterstadt – und vorzugsweise in Erbpacht, um scho-
nend mit den städtischen Flächenressourcen umzugehen,
und in Form von Konzeptausschreibungen, damit man
sich die Wohnungen auch leisten kann .

Die stadteigene Förderung – das Programm heißt
„München Modell“ – für Durchschnittsverdiener wird
ausgeweitet, sodass künftig Familien mit einem Jahres-
bruttoeinkommen von bis zu 94 000 Euro unterstützt
werden können . Damit sollen 60 Prozent der Münchne-
rinnen und Münchner anspruchsberechtigt sein und von
dieser kommunalen Förderung profitieren können; denn
die Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau sind
viel zu niedrig .


(Beifall des Abg . Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das zu den Kernaussagen .

Kommen wir zu den neuesten Erhebungen des IVD
dazu, was Eigentumswohnungen in Deutschland kosten:
In München kostet eine Wohnung trotz aller Bemühun-
gen des Bundes, des Freistaats und auch der Kommune
4 200 Euro pro Quadratmeter; das ist eine Zunahme um
7,7 Prozent . Stuttgart folgt dahinter mit 2 950 Euro pro
Quadratmeter, was ein Plus von 11,3 Prozent bedeutet.
Hamburg liegt mit 2 500 Euro pro Quadratmeter an drit-
ter Stelle, was einem Plus von 8,7 Prozent entspricht . –
Diese Zahlen zeigen uns, dass wir mit unseren Bemü-
hungen nicht nachlassen dürfen . Die Herausforderungen
sind enorm .


(Beifall bei der SPD – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Bauen erleichtern!)


Ich nenne nur noch einige Stichpunkte, die mir ein
Anliegen sind: Ich denke, dass die Liegenschaftspolitik
des Bundes neue Impulse braucht . Die aktuelle Verbilli-
gungsrichtlinie ist ein Fortschritt, aber eben nur ein An-
fang .


(Beifall bei der SPD)


Die Bezuschussung von 25 000 Euro pro Wohnein-
heit ist nicht ausreichend . Noch einmal ein Münchner
Beispiel: Wir bezuschussen eine Wohnung für Durch-
schnittsverdiener im Rahmen des Programms „München
Modell“ mit bis zu 110 000 Euro . Hier ist also auch für
die BImA noch sehr viel Luft nach oben .

Letzter Gedanke: Wir brauchen – das ist von der
Kollegin Jörrißen angesprochen worden – eine zügige
Novellierung des Baugesetzbuches und der Baunut-
zungsverordnung, um in innerstädtisch verdichteten
Räumen Bauland mobilisieren zu können . Ich zitiere

Frau Dr . Merk, unsere Stadtbaurätin: Es wird jeder Zen-
timeter umgedreht . Trotzdem: Die Flächenreserven sind
begrenzt . Wir brauchen dringendst dieses urbane Gebiet
wie vorgesehen . – Ich appelliere an alle Kräfte hier im
Hause, zügig die Novellierung des Baugesetzbuches und
der Baunutzungsverordnung auf den Weg zu bringen .

Ich bedanke mich .


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819607400

Vielen Dank . – Als Nächstes hat jetzt für Bündnis 90/

Die Grünen die Kollegin Renate Künast das Wort .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819607500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe

hier ganz viele tolle Reden gehört, in denen manches,
wie ich finde, in den Himmel gelobt wurde. Herr Pronold
hat aufgeführt, was ganz toll ist, einschließlich der neu-
en Maklerregel . Herr Pronold, ich kann Ihnen nur sagen:
Am Ende zählt nicht, ob Sie hier und da eine nette Nuan-
ce gesetzt haben, sondern, ob sich auf dem Mietmarkt
tatsächlich etwas verändert . Das haben Sie nicht belegen
können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie haben gesagt, wir müssten doch einmal seriös reden .
Wir versuchen hier seit Jahren, seriös zu reden .


(Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Aber erfolglos!)


Herr Wegner von der CDU meinte, statt wohlfeiler
Anträge müssten wir bauen, bauen und nochmals bauen .


(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Ja, das stimmt!)


Ich kann nur sagen: Das hat in Berlin ja ganz toll funk-
tioniert . Als Sie noch Regierungsverantwortung hatten,
haben wir gesehen, wie das mit der Schaffung von be-
zahlbarem Wohnraum für die Menschen geklappt hat . Sie
haben gesagt, es werde einen Umbruch geben . Ich sage
nur: Mietwohnungen, Mietwohnungen, Mietwohnungen!


(Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sagen Sie doch mal was zu Tempelhof!)


– Weil Sie Tempelhof ansprechen: Das haben Sie von der
CDU in gemeinsamer Täterschaft mit der SPD versem-
melt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sagen Sie etwas zu Ihrer Haltung dazu!)


Wer 5 000 Wohnungen am Tempelhofer Feld bauen will
und dafür einen Gesetzentwurf vorlegt, der keine Sozi-
albindung, keine Vergabe an Baugenossenschaften und
keine Vorgabe, bezahlbare Mieten zu schaffen, beinhal-
tet, darf sich nicht wundern, wenn die Bevölkerung sagt:
Wir haben die Nase voll und stimmen mit Nein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Claudia Tausend






(A) (C)



(B) (D)


Es geht eben nicht nur um Bauen, Bauen, Bauen . Es geht
auch darum: Was wird gebaut? Für wen wird gebaut?
Wie ist der rechtliche Rahmen?

In diesem Zusammenhang muss ich etwas zu Frau
Jörrißen sagen . Sie haben angeführt, um das Symptom
der überhitzten Märkte zu mildern, hätten Sie die Miet-
preisbremse eingeführt . Wir wissen doch mittlerweile
alle, dass sie gar nichts bremst . Es gibt eine Untersu-
chung dazu: Eine Bremswirkung ist nicht vorhanden,
meine Damen und Herren . Die Mietpreisbremse hat
mehr Löcher als Käse . Deshalb gibt es keine Wirkung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Caren Lay [DIE LINKE])


Frau Jörrißen beklagte auch die fehlende steuerliche
Förderung. Ich lüfte ein Geheimnis: Der Bundesfinanz-
minister heißt Schäuble . Reden Sie mit ihm! Vielleicht
können Sie eine Bauprämie einführen . Die Menschen
würden sich bedanken .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In Richtung Justizministerium, das in unserem Antrag
erwähnt wird, und auch in Richtung CDU und SPD muss
ich sagen: Wir warten nicht nur auf die Reform des ers-
ten Mietrechtsnovellierungsgesetzes, sondern auch auf
die zweite Novelle, die als Vorlage schon vorhanden sein
soll .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819607600

Frau Kollegin Künast, darf ich Sie einmal unterbre-

chen? – Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen
Michael Groß?


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819607700

Ja .


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819607800

Das dachte ich mir .


Michael Groß (SPD):
Rede ID: ID1819607900

Danke, dass Sie meine Frage zulassen . Sie haben dann

etwas mehr Redezeit, Kollegin Künast . – Sie beziehen
sich auf die Mietpreissteigerung, die Sie, ähnlich wie wir,
zum Teil so darstellen, als handele es sich um Wucher .
Warum kommt in Ihrem Antrag nicht § 5 Wirtschafts-
strafgesetz vor, in dem es um Wucher geht und mit dem
die Mietpreissteigerung eingedämmt werden könnte?


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819608000

Danke für die Frage, Herr Kollege . Wir haben uns

in diesem Antrag sehr auf den Themenkomplex „Was
wird gebaut? Wie wird gebaut? Und wie wird das un-
terstützt?“ konzentriert und behandeln nur einen kleinen
Rechtsteil . Wir werden, wenn Sie keine Novelle vorle-
gen, einen weiteren Antrag mit einem größeren Rechts-
teil hinterherschieben . Ich will Ihnen aber sagen: Diese
Wuchervorschrift ist eine Generalklausel, die vielleicht
am Ende das eine oder andere auffangen kann . Ich per-
sönlich glaube aber – darin bin ich mir mit vielen meiner

Fraktion einig –, dass die stärkeren Werkzeuge im Miet-
recht andere wären .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Damit bin ich bei der Frage: Wo ist die nächste Miet-
rechtsnovelle? Sie soll fertig sein . Aber es gibt anschei-
nend keinen Termin zur Vorlage . Auf Nachfragen gestern
am Rande des Ausschusses habe ich gehört, dass die im
BMJV vorliegende nächste Novelle bei der CDU auf die
Reaktion trifft, in den nächsten vier Wochen habe man
keine Zeit, das zu behandeln . Da muss ich schon in Rich-
tung CDU sagen: Weniger Krokodilstränen und hin und
wieder einmal Hausaufgaben machen, wäre eine gute
Sache .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Caren Lay [DIE LINKE] – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir arbeiten Tag und Nacht!)


Ich werfe Ihnen vor, dass Sie viel reden und auf sozial
tun, aber in Wahrheit eine Verzögerungspolitik betreiben .
Wir müssen nicht nur bauen . Die Frage ist: Was bauen
wir?


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir können nicht alle Ihre Wünsche erfüllen! Das ist das Problem!)


Herr Grosse-Brömer, wir brauchen eine Mietpreisbremse
nicht mit einer Rügepflicht, sondern mit einer Auskunfts-
pflicht des Vermieters. Wir müssen die gesetzlichen
Schlupflöcher von „möblierter Wohnung“ bis „umfas-
sender Modernisierung“ schließen .

Meine Damen und Herren, die Mieterinnen und Mie-
ter haben übrigens langsam die Nase voll von Ihren Re-
den . Sie wollen endlich die Wohnungen, über die Sie
immer reden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819608100

Vielen Dank . – Jetzt hat Klaus Mindrup, SPD-Frakti-

on, das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Klaus Mindrup (SPD):
Rede ID: ID1819608200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Wir haben es in Deutschland in der Woh-
nungspolitik mit zwei großen Megatrends zu tun . Wir
haben einen enormen Zuzug aus dem ländlichen Raum
in die Großstädte, und wir haben einen enormen Zuzug
aus dem Ausland . Das hängt mit unserer wirtschaftlichen
Situation in Deutschland zusammen und hat nicht primär
etwas mit den Flüchtlingen zu tun .

Im Antrag der Grünen ist von 1 Million Sozialwoh-
nungen im Neubau in den nächsten zehn Jahren die Rede .
Diese Zahl halte ich vor dem Hintergrund dieser Mega-
trends durchaus für realistisch . Angesichts der Kosten

Renate Künast






(A) (C)



(B) (D)


eines Neubaus liegen wir bei den Mieten aber heute bei
Mietpreisen von deutlich über 10 Euro ohne Subventio-
nierung . In Berlin liegen die Bestandsmieten noch unter
5,90 Euro . Das heißt, die Sicherung von bezahlbarem
Wohnbau im Bestand ist viel billiger als der Neubau von
bezahlbarem Wohnraum und die entsprechende Subven-
tionierung .


(Beifall bei der SPD)


Deswegen brauchen wir das Mietrechtspaket II, und ich
bitte die Union, an dieser Stelle mitzugehen . Denn das ist
für den sozialen Frieden in unserem Land unerlässlich .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Was die von den Grünen prognostizierten Neubau-
zahlen angeht, die ich für realistisch halte, reden wir
über 140 Milliarden bis 200 Milliarden Euro, die in den
nächsten zehn Jahren investiert werden müssen . Das sind
14 Milliarden bis 20 Milliarden Euro pro Jahr . Wir ha-
ben zwar die Förderung verdreifacht – im sozialen Woh-
nungsbau sind es 1,5 Milliarden Euro –, aber wir werden
sie sicherlich weiter erhöhen müssen, wenn diese Trends
anhalten . Sie hängen, wie gesagt, mit der wirtschaftli-
chen Situation zusammen . Wenn wir bei 20 Milliarden
Euro pro Jahr ankommen, werden allein dafür 3,8 Milli-
arden Euro Umsatzsteuer bezahlt . Wenn sich der Bund,
wie Frau Jörrißen gesagt hat, ab 2020 aus der Verantwor-
tung für den sozialen Wohnungsbau stehlen will, dann
nimmt der Bund die Einnahmen aus der Umsatzsteuer,
tut aber nichts dafür. Ich finde das nicht in Ordnung. Des-
wegen muss man das Grundgesetz ändern . Bezahlbarer
Wohnraum ist eine Gemeinschaftsaufgabe .


(Beifall bei der SPD – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit einführen!)


Wir haben in der Vergangenheit schon einiges getan .
Was kaum erwähnt worden ist, ist die Änderung der Po-
litik der KfW . Im Wohnungsneubau sind die Zinsbin-
dungsfristen von 10 auf 20 Jahre verlängert worden . Das
heißt, wenn eine Genossenschaft neu baut, kann sie jetzt
20 Jahre sicher kalkulieren . Das hat dazu geführt, dass
die Möckernkietz-Genossenschaft in Berlin 470 neue
Wohnungen bauen kann . Das hat diese Bundesregierung
ermöglicht . Das ist hier noch nie gewürdigt worden . Ich
denke, man sollte das an dieser Stelle tun .


(Beifall bei der SPD)


Auch der Klimaschutz ist kräftig kritisiert worden .
Wir wollen Klimaschutz richtig machen, Klimaschutz
im Quartier betreiben und Strom und Wärme vor Ort er-
zeugen und speichern, Stichwort „Mieterstrom“ . Das ist
sozialverträglich, das schafft Arbeitsplätze, und das ist
auch sinnvoll .

Kommen wir zur Wohnungsgemeinnützigkeit, weil sie
angesprochen wurde . Die Abschaffung war ein schwerer
Fehler .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man wie ich durch Wien geht – ich bin oft in
Wien –, dann weiß man das . Aber das ist passiert, und
wir als SPD waren dafür nicht verantwortlich . Jetzt geht
es darum, gemeinsam mit der Wohnungswirtschaft neue
Wege zu finden. Es ist zu Recht gesagt worden: Zurzeit
will die Wohnungswirtschaft eine neue Gemeinnützig-
keit nicht . Auch die meisten Genossenschaften – auch die
städtischen – wollen das nicht . Deswegen sollten wir die
vorgesehenen Anhörungen durchführen und das Ganze
diskutieren, aber wir sollten den Beitrag der derzeitigen
gemeinwohlorientierten Wohnungswirtschaft nicht zu
gering schätzen .

Die Genossenschaften in Berlin vermieten im Schnitt
Wohnungen für dauerhaft 5,05 Euro, und die städti-
schen Wohnungsbaugesellschaften in Berlin sind jetzt
verpflichtet worden, 55 Prozent ihrer Wohnungen als
Sozialwohnungen anzugeben . 160 000 neue Sozialwoh-
nungen sind damit in Berlin mit einem Gesetz geschaffen
worden .

Es geht also auch, ohne dass wir den ganz großen Wurf
machen . Es sind kleine Schritte, die wir gehen müssen .
Wir müssen sie aber für die soziale Akzeptanz in diesem
Land gehen . Sonst wächst ein sozialer Sprengstoff heran,
mit dem wir alle nicht klarkommen können .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819608300

Vielen Dank . – Der letzte Redner zu diesem Tages-

ordnungspunkt ist jetzt der Kollege Bernhard Daldrup,
SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Bernhard Daldrup (SPD):
Rede ID: ID1819608400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das Meiste ist gesagt worden, nur nicht von jedem,
könnte man jetzt sagen . Deswegen erlauben Sie mir,
dass ich jetzt keine Bilanz vortrage, sondern mich auf
das beziehe, was Florian Pronold, Michael Groß und an-
dere bereits vorgetragen haben . Ich glaube, dass in der
Bilanz für Investoren, Mieter, Länder und übrigens auch
für Kommunen im Bereich des Wohnungsbaus durchaus
etwas getan worden ist .

Lassen Sie mich zwei andere Aspekte ansprechen .

Städte sind steingewordene Gesellschaftspolitik .
Aus ihren Grundrissen, aus ihren Strukturen kann
man Wertordnungen ablesen .

Vielleicht hat Frau Göring-Eckardt so etwas Ähnli-
ches gemeint, als sie ganz zu Anfang über Zentrum und
Peripherie gesprochen hat . Das Zitat stammt von einem
großen Oberbürgermeister und Städtebauminister, näm-
lich Hans-Jochen Vogel . Er wollte damit zum Ausdruck
bringen, dass die Wohnungsbaupolitik nicht eine Frage
des Geldes allein ist, sondern dass Wohnungsbaupolitik
immer auch Teil einer integrierten Stadtentwicklungspo-
litik und einer regional abgestimmten Raumordnungs-
und Regionalplanung sein muss . Das heißt mit anderen
Worten, dass beispielsweise auch das Verhältnis von

Klaus Mindrup






(A) (C)



(B) (D)


Suborganisierung und Quartiersentwicklung, dezentraler
Konzentration und Revitalisierung von Innenstädten da-
zugehört .

Detlev Pilger hat dankenswerterweise darauf hinge-
wiesen, was im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“
und der Städtebauförderung getan worden ist, dass es da-
bei auch um kleinere und mittlere Städte geht und dass es
nicht nur ein Problem von Ballungsräumen und Unistäd-
ten ist, über das wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt reden .
Wer also, bei allem Druck, den es in manchen Städten
gibt, Wohnungen zu bauen, nicht auch gleichzeitig auf
die Stabilisierung stagnierender oder schrumpfender
Teilregionen achtet, verschärft gesellschaftliche Segre-
gation durch Abwanderung . Darüber muss man sich im
Klaren sein .


(Beifall bei der SPD)


Ein zweiter Aspekt, den ich ansprechen will, bezieht
sich auf die Finanzen . Wir haben heute Morgen schon
darüber gesprochen: Finanzielle Stabilität gehört auch
zu Stadtentwicklungspolitik und zu kommunaler Woh-
nungsbaupolitik . Wir haben zum gegenwärtigen Zeit-
punkt einen ziemlich spannenden Aspekt, der nicht ganz
ungefährlich ist, weil er eine sehr wichtige Einnahme-
quelle der Städte darstellt, nämlich die Grundsteuer . Das
ist die dritthöchste Einnahmequelle der Kommunen in
der Bundesrepublik Deutschland; denn die Einnahmen
daraus betragen ungefähr 13 Milliarden Euro . Es ist
wichtig, dass diese Einnahmequelle für die Kommunen
erhalten bleibt .

Aber die Grundsteuer ist zum gegenwärtigen Zeit-
punkt aller Voraussicht nach verfassungswidrig . Sie ist
es deswegen, weil extrem unterschiedliche Einheitswer-
te zugrunde gelegt werden . Dieses Extrem kann man in
Berlin gut deutlich machen . Hier – in anderen Teilen des
Landes auch – haben wir Einheitswerte auf der Basis von
1964 im Westen und von 1935 im Osten . Das führt dazu,
dass für ein 1 500 Quadratmeter großes Grundstück eine
Grundsteuer in Höhe von 8 300 Euro im Westen und von
4 800 Euro im Osten gezahlt werden muss . Das ist ein
eindeutiger und klarer Verstoß gegen das Gleichheitsge-
bot des Grundgesetzes . Das muss geklärt werden .

Mieter in neuen Gebäuden zahlen deutlich mehr als
Eigentümer von Jugendstilvillen – so kann man das
auch thematisieren . Deswegen ist die Modernisierung
der Grundsteuer eine wirklich wichtige Frage gerechter
Politik – gerechter Kommunalpolitik und übrigens auch
gerechter Wohnungsbaupolitik . Deswegen hoffe ich sehr,
dass Sie das unterstützen .


(Beifall bei der SPD)


Sie alle haben die Gelegenheit, an einem fundamenta-
len Reformprojekt teilzunehmen . Nach ungefähr 30 Jah-
ren sind die Länder zielgerichtet dabei, sich auf einen
Gesetzentwurf zu verständigen . Alle machen mit, aber
Bayern natürlich nicht . Deswegen müssen wir uns darum
kümmern, dass diese Reform auf den Weg gebracht wird,
bevor die jetzige Regelung vom Bundesverfassungsge-
richt für verfassungswidrig erklärt wird und damit eine
wichtige Einnahmequelle der Kommunen entfällt .

Darum lautet meine Bitte: Wenn Sie etwas für inte-
grierte Stadtentwicklung und für Wohnungsbaupolitik
jenseits der Frage, woher man eigentlich zusätzliches
Geld bekommt, tun wollen, dann helfen Sie mit, dass
diese Reform der Grundsteuer zielgerichtet durchgeführt
wird . Das hilft den Menschen in den Städten und Ge-
meinden sowie den Kommunen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819608500

Vielen Dank . – Damit sind wir am Ende der Ausspra-

che .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10027 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch . Dann ist die
Überweisung so beschlossen .

Wir kommen dann zu Tagesordnungspunkt 5:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbes-
serung des Schutzes gegen Nachstellungen

Drucksache 18/9946
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen . – Auch hierzu
höre ich von Ihrer Seite keinen Widerspruch . Dann ist
auch das beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort erhält der Parla-
mentarische Staatssekretär Christian Lange für die Bun-
desregierung . – Bitte schön .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


C
Christian Lange (SPD):
Rede ID: ID1819608600


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Für einen Menschen, der gestalkt
wird, wird ein Alptraum Wirklichkeit . Diese Menschen
werden von ihren Peinigern angerufen, bedroht, verfolgt,
im Bekanntenkreis schlechtgemacht und bekommen
Mails, die sie nie lesen wollten, und das immer und im-
mer wieder . Dies hat für viele Opfer gravierende Folgen .
Diese Menschen, die Opfer von Stalking werden, emp-
finden oft ständige Unruhe, entwickeln Ängste, Schlaf-
störungen oder gar Depressionen .

Viel zu lange wurde das Leid dieser Menschen kaum
ernst genommen . Im Jahr 2007 wurde mit der Einfügung
des § 238 das beharrliche Nachstellen als Straftat gegen
die persönliche Freiheit in das Strafgesetzbuch aufge-
nommen und damit ein deutliches Zeichen gesetzt: Der
Staat steht diesen Menschen zur Seite . Das war und ist
eine gute und richtige Entscheidung . Wir wollen heute
diesen Weg fortsetzen .

Bernhard Daldrup






(A) (C)



(B) (D)


Heute beraten wir in erster Lesung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes,
das diesen staatlichen Schutz weiter ausbaut und vor al-
len Dingen effektiver gestaltet . Nach geltendem Recht
hängt die Frage, ob sich jemand der Nachstellung strafbar
macht oder nicht, davon ab, ob er das Opfer schwerwie-
gend beeinträchtigt und es zwingt, seine Lebensumstän-
de zu ändern . Entscheidend für die Strafbarkeit ist also
nicht allein das Handeln des Täters, sondern maßgeblich
auch, ob und wie das Opfer darauf reagiert . Stellen Sie
sich vor: Der Täter stellt seiner Expartnerin, einer Mut-
ter mit Kind, nach . Wenn die Mutter dem Druck stand-
hält, ist das Verhalten des Täters nicht strafbar . Wenn die
Mutter aber aufgrund des Drucks beispielsweise ihren
Arbeitsplatz wechselt oder umzieht, ist das Verhalten des
Täters strafbar . „Muss es aber erst so weit kommen?“,
frage ich . Wollen wir das zum Beispiel einer alleinerzie-
henden Mutter wirklich zumuten? Können und dürfen
wir davon ausgehen, dass sie einen neuen Job findet, in
dem Familie und Beruf vereinbar sind? Wie verhält es
sich mit dem Kind, das sich bei einem Umzug etwa auf
eine neue Kita oder eine neue Schule umstellen muss?
Wir jedenfalls sind der Auffassung: Das können wir dem
Opfer und seiner Familie nicht abverlangen .

Auch diejenigen verdienen den Schutz des Straf-
rechts, die sich nach außen hin vom Stalking unbeein-
druckt geben . Auch diese Menschen leiden oft unter
schweren psychischen Belastungen . Das eigene Leben in
diesem Moment nicht zusätzlich grundlegend umstellen
zu müssen, ist für diese Menschen dann besonders wich-
tig . Deshalb sage ich: Die Strafbarkeit davon abhängig zu
machen, wie das Opfer auf das Stalking reagiert, schützt
lediglich den Täter . Ob der Täter ein willensstarkes Opfer
vor sich hat, das sein gewohntes Leben trotz der massi-
ven Einwirkungen durch das Stalking tapfer fortzuführen
versucht, oder ein Opfer, das dem Druck nachgibt, ändert
nichts am strafrechtlichen Unwertgehalt seiner Tat .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Strafbarkeit sollte daher von der Qualität der Hand-
lung des Täters abhängen und nicht von der Tapferkeit
des Opfers .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Es gibt keine überzeugende Begründung, warum das tap-
fere Opfer weniger Schutz verdienen sollte .

Meine Damen und Herren, unser Gesetzentwurf ver-
bessert den Schutz vor Nachstellungen für die betroffe-
nen Menschen durch drei grundlegende Änderungen:

Erstens – das ist die entscheidende Änderung – wird
es künftig ausreichen, dass Stalking objektiv dazu geeig-
net ist, das Opfer in seiner Lebensgestaltung schwerwie-
gend zu beeinträchtigen . Es ist schlimm genug, wenn das
Opfer wegen der Nachstellung in Erwägung zieht, aus
seinem gewohnten Lebensumfeld wegzuziehen . Für die
Strafbarkeit verlangen wir nicht mehr, dass es dies auch
in die Tat umsetzt .

Zweitens wollen wir, dass Opfer nicht mehr auf den
Privatklageweg verwiesen werden können; denn die Ver-

weisung auf den Privatklageweg hat zur Folge, dass die
Opfer das Verfahren gegen den Stalker selbst betreiben
müssen . Zudem trägt dabei das Opfer das Kostenrisiko,
was zur Folge haben kann, dass die Opfer von der Mög-
lichkeit der Privatklage aus reiner Angst vor weiteren
Problemen letztlich keinen Gebrauch machen . Wir wol-
len daher das Stalking aus dem Katalog der Privatklage-
delikte streichen . Über eine Anklage gegen einen Stalker
zu entscheiden, wird in Zukunft wieder allein Sache der
Staatsanwaltschaft sein . Damit entlasten wir die Opfer
zusätzlich .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN)


Drittens stärken wir den Opferschutz in Gewaltschutz-
verfahren vor den Familiengerichten; denn dieses Verfah-
ren ist für viele Stalkingopfer und die Opfer häuslicher
Gewalt ein wesentlich wichtigerer Weg, um staatlichen
Schutz zu erlangen . Insbesondere wird die effektivere
Durchsetzung von Vergleichen in Gewaltschutzverfah-
ren neu geregelt . Derzeit ist nur der Verstoß gegen eine
gerichtliche Gewaltschutzanordnung strafbewehrt, nicht
aber der Verstoß gegen eine in einem gerichtlichen Ver-
gleich übernommene Verpflichtung. Künftig soll es in
Gewaltschutzverfahren den durch das Familiengericht
bestätigten Vergleich geben . Der Verstoß gegen eine Ver-
pflichtung aus einem solchen Vergleich soll zukünftig
ebenfalls strafbewehrt sein und damit ein Gleichlauf zu
einer gerichtlichen Gewaltschutzanordnung hergestellt
werden . Wenn sich der Täter in einem Gewaltschutzver-
fahren per Vergleich etwa dazu verpflichtet, vom Opfer
Abstand zu halten, und das Familiengericht diesen Ver-
gleich bestätigt, dann soll künftig ein Verstoß des Täters
gegen die übernommene Verpflichtung strafbar sein. Er-
gänzend dazu muss in Zukunft auch in den Fällen eines
gerichtlich bestätigten Vergleichs eine Mitteilung an die
zuständige Polizeibehörde oder andere öffentliche Stel-
len erfolgen .

Meine Damen und Herren, jedes Jahr zeigen etwa
20 000 Menschen, die Opfer von Stalking geworden sind,
diese Nachstellungen an . Mit diesem Gesetzentwurf kön-
nen wir heute etwas dafür tun, dass der Albtraum Stal-
king für möglichst viele von ihnen möglichst schnell
vorbei ist . Ich meine, das sind wir den Opfern schuldig .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819608700

Vielen Dank . – Nächste Rednerin ist die Kollegin

Halina Wawzyniak, Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819608800

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Wenn wir heute über das Gesetz zum besseren
Schutz vor Nachstellungen reden, dann eint uns etwas in
diesem Haus . Wir sind uns alle einig: Stalking ist eine

Parl. Staatssekretär Christian Lange






(A) (C)



(B) (D)


erhebliche Einschränkung der individuellen Freiheit und
nicht zu tolerieren .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb ist Stalking seit 2007 strafbar . Wir sind uns auch
fraktionsübergreifend einig, dass die Opfer von Stalking
geschützt werden müssen . Die Umwandlung des Straftat-
bestandes des Stalking von einem Erfolgsdelikt zu einem
Eignungs- oder potenziellen Gefährdungsdelikt betrach-
ten wir aus grundsätzlich rechtsstaatlichen Erwägungen
heraus allerdings kritisch .

Grundsätzlich bringt es das geschützte Rechtsgut –
das ist hier der individuelle Lebensbereich in Form der
Handlungs- und Entschließungsfreiheit des Opfers –
aus unserer Sicht mit sich, dass unter Beachtung des
Ultima-Ratio-Prinzips des Strafrechts eine tatsächliche
Beeinträchtigung dieser Handlungs- und Entschlie-
ßungsfreiheit vorliegen muss, um eine Strafbarkeit zu
begründen . Das kann aus unserer Sicht anders als durch
die Umwandlung in ein potenzielles Gefährdungsdelikt
herbeigeführt werden . Ich werde darauf noch hinweisen .

Bevor ich aber zum rein strafrechtlichen Aspekt kom-
me, lassen Sie mich noch etwas sagen . Wir brauchen
auch in diesem Bereich dringend Aufklärung und Prä-
vention . Dazu gehören eine Sensibilisierung von Gerich-
ten, Staatsanwaltschaften und Polizeibeamten und auch
eine gesellschaftliche Debatte zur Unzulässigkeit beharr-
licher Nachstellungen sowie ein ausfinanziertes und zu-
verlässiges Beratungs- und Hilfsangebot . Hinzukommen
muss eine unkomplizierte und für Betroffene möglichst
kostenfreie Unterstützung durch Rechtsanwältinnen und
Rechtsanwälte im Verfahren nach dem Gewaltschutzge-
setz und in eventuellen weiteren Rechtsauseinanderset-
zungen . Das Strafrecht allein löst keine Probleme .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der zentrale Punkt aus unserer Sicht muss sein, dass
der Stalker oder die Stalkerin an weiteren Handlungen
gehindert wird. Wir finden, dass dies mit dem Gewalt-
schutzgesetz im Grunde eine gute Möglichkeit ist . Ich
will hier einmal kurz erklären, was es mit dem Gewalt-
schutzgesetz auf sich hat; denn das kommt mir etwas zu
kurz .

Nach dem Gewaltschutzgesetz kann ein Gericht ge-
genüber einer Person, die vorsätzlich den Körper, die
Gesundheit und auch die Freiheit einer Person wider-
rechtlich verletzt, befristet anordnen, dass diese Person
es unterlässt, die Wohnung der verletzten Person zu be-
treten, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung
der verletzten Person aufzuhalten, bestimmte Orte auf-
zusuchen, an denen sich die verletzte Person regelmäßig
aufhält, Verbindungen zur verletzten Person aufzuneh-
men, auch unter Verwendung von Fernkommunikations-
mitteln, oder das Zusammentreffen mit der verletzten
Person herbeizuführen .

Diese Anordnungen sind möglich gegen den aus-
drücklich erklärten Willen der Person, die jemand ande-
rem nachstellt oder wiederholt nachstellt, und sie ist auch
ausdrücklich möglich, wenn diese Nachstellung nur mit

Fernkommunikationsmitteln stattfindet. Hinzu kommt:
Wer sich an dieses Betretungs-, Näherungs-, Aufenthalts-
und Kontaktverbot sowie an das Abstandsgebot im Ge-
waltschutzgesetz nicht hält, kann mit Freiheitsstrafe bis
zu einem Jahr bestraft werden, soweit die entsprechende
Anordnung und später der Vergleich vollstreckbar sind .
Diese Anordnungen werden auch an Polizeibehörden
und andere öffentliche Stellen übermittelt .

Wir sagen klar: Diese Regelungen im Gewaltschutz-
gesetz, konsequent angewendet, sind im Hinblick darauf,
dass dem Opfer so etwas nicht wieder passiert, eine gute
Lösung .


(Beifall bei der LINKEN)


Nun schlagen Sie vor, den Straftatbestand von einem
Erfolgsdelikt in ein potenzielles Gefährdungsdelikt um-
zuwandeln . Was meint das eigentlich? Das muss man
vielleicht noch einmal erklären . Bislang musste die Le-
bensgestaltung tatsächlich schwerwiegend beeinträchtigt
sein, um zu einer Strafe zu kommen . Zukünftig soll es
so sein, dass für die Verwirklichung des Straftatbestan-
des – ich zitiere aus dem Gesetzentwurf – ausreichend
ist, „dass die Handlung des Täters objektiv dazu geeignet
ist, beim Betroffenen eine gravierende Beeinträchtigung
der Lebensgestaltung herbeizuführen“ . Es kommt also
nicht mehr darauf an, ob die Lebensgestaltung tatsäch-
lich und konkret schwerwiegend beeinträchtigt ist, son-
dern ob dies objektiv der Fall sein kann . Jetzt wiederhole
ich noch einmal: Vor dem Hintergrund des Ultima-Ra-
tio-Prinzips des Strafrechts und der Existenz des Gewalt-
schutzgesetzes finden wir dies problematisch.

Nun wird zur Begründung immer auf ein Urteil des
BGH verwiesen. Ich finde, dieses Urteil wird häufig zu
kurz dargestellt . Der BGH hat im Jahre 2009 – ich zitiere
wieder – gesagt:

Die Lebensgestaltung des Opfers wird schwerwie-
gend beeinträchtigt, wenn es zu einem Verhalten
veranlasst wird, das es ohne das Zutun des Täters
nicht gezeigt hätte und das zu gravierenden, ernst
zu nehmenden Folgen führt, die über durchschnitt-
liche, regelmäßig hinzunehmende Beeinträchtigun-
gen der Lebensgestaltung erheblich und objektivier-
bar hinausgehen .

Das ist der Leitsatz . Wenn man dann noch einmal genau-
er hinschaut, heißt es:

Weitergehende Schutzvorkehrungen des Opfers,
wie etwa das Verlassen der Wohnung nur noch in
Begleitung Dritter, ein Wechsel des Arbeitsplatzes
oder der Wohnung und das Verdunkeln der Fenster
der Wohnung sind dagegen als schwerwiegend an-
zusehen .

Es ist eben explizit nicht gesagt worden, dass nur der Ar-
beitsplatzwechsel oder der Wohnortwechsel eine schwer-
wiegende Beeinträchtigung sind, sondern es handelt sich
um eine Aufzählung etwa auch anderer Gründe, und die-
se sind nicht abschließend .

Nun teilen wir das ursprüngliche Anliegen des Gesetz-
gebers, dass nämlich eine strafwürdige Handlung dann
vorliegen soll, „wenn das Verhalten des Täters einen so

Halina Wawzyniak






(A) (C)



(B) (D)


hohen Druck auf das Opfer erzeugt, dass ein objektivier-
barer Anlass für eine Verhaltensänderung besteht“ . Wir
finden, das kann man mit einer kleinen Änderung im
derzeit bestehenden Gesetzestext machen . Wenn näm-
lich das Argument ist, dass „schwerwiegend“ die große
Hürde ist, dann streicht man einfach aus dem Gesetz das
Wort „schwerwiegend“ . Das ist so naheliegend, dass es
mich wundert, dass Sie nicht selbst darauf gekommen
sind .


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn das Wort „schwerwiegend“ gestrichen wird, dann
reicht eine Beeinträchtigung der Lebensweise . Eine
solche Beeinträchtigung wäre beispielsweise gegeben,
wenn man ein ärztliches Attest oder das Attest einer Be-
ratungsstelle vorlegen kann . Uns scheint das ein besserer
Weg zu sein als die Umwandlung . Es sollte also einfach
das Wort „schwerwiegend“ gestrichen werden . Dann hät-
ten wir die Beeinträchtigung der Lebensweise .

Wir finden – das will ich hier auch einmal kurz erwäh-
nen – es richtig, dass der Vergleich mit den Anordnun-
gen gleichgestellt wird. Auch finden wir richtig, dass das
Privatklagedelikt gestrichen wird . Insofern kann ich Sie
einfach nur ermuntern: Ich glaube, wir liegen so weit gar
nicht auseinander .

Es gibt viele gute Sachen in diesem Gesetzentwurf .
Die vorgeschlagene Umwandlung in ein Gefährdungs-
delikt teilen wir ausdrücklich nicht . Vielleicht kann aber
durch eine kleine Streichung im bestehenden Gesetzes-
text hier auch noch erreicht werden, dass wir zustimmen
könnten .


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819608900

Vielen Dank . – Nächste Rednerin für die CDU/

CSU-Fraktion ist die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-
Becker .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU):
Rede ID: ID1819609000

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen und Zuhörer hier im Saal und zu Hause an den Fern-
sehern! Ich bin froh, dass wir jetzt endlich hier im par-
lamentarischen Rahmen die Debatte beginnen können;
denn die Verschärfung bei der Strafbarkeit des Stalkings
ist ein wichtiges Anliegen der Union, das wir auch schon
im Koalitionsvertrag untergebracht haben . Schon damals
haben wir festgehalten, dass es ein auffälliges Missver-
hältnis zwischen den vielen Anzeigen, die gestellt wer-
den – es sind etwa 20 000 im Jahr –, und den Verurteilun-
gen – das sind jährlich etwa 200 – gibt .

Das zeigt zum einen, dass hier schon ein großes emp-
fundenes Unrecht, eine Bedrohung im Raum steht . Auf
der anderen Seite zeigt das aber auch, dass die gesetz-
liche Regelung, die wir jetzt haben, dem nicht gerecht
wird . Das ist ein Indiz dafür, dass hier Handlungsbedarf
besteht . Dessen nehmen wir uns jetzt auch an . Wir haben
deshalb im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir im In-

teresse der Opfer die tatbestandlichen Hürden für eine
Verurteilung senken wollen .

Es hat dann aber noch ziemlich lange gedauert, bis
wir diesen Entwurf vorgelegt bekommen haben . Es wa-
ren die unionsgeführten Ministerien der Länder Bayern,
Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen, die ei-
nen Gesetzentwurf im Bundesrat eingebracht haben . Auf
ihrem Entwurf beruht im Wesentlichen auch der Entwurf
der Bundesregierung, den wir heute debattieren .

Wer auch zur Beschleunigung dieses Verfahrens bei-
getragen hat, ist Mary Scherpe, eine Autorin und Blog-
gerin aus Berlin . Sie ist selber Betroffene und hat eine
Onlinepetition zur Änderung des Stalkingparagrafen an-
gestoßen . Im Dezember 2014, also vor mittlerweile fast
zwei Jahren, hat sie dem Bundesministerium der Justiz
fast 90 000 Unterschriften übergeben . Damals hieß es:
Ja, das machen wir . Es geht nicht mehr um das Ob, son-
dern nur noch um das Wie . Das wollen wir beraten . – Es
hat dann leider noch ein bisschen gedauert, bis wir jetzt
endlich in die Beratungen einsteigen konnten . Aber es ist
ja noch nicht zu spät, und wir werden die Sache jetzt auch
beherzt angehen . Die allererste Priorität scheint das da-
mals noch nicht gehabt zu haben .

Worum geht es bei § 238 StGB? Die Regelung ist
noch gar nicht so alt . 2007 wurde sie in das Gesetzbuch
geschrieben, auch damals maßgeblich geprägt von der
Union . Vor allem die Kollegin Ute Granold darf ich in
diesem Zusammenhang hier noch einmal erwähnen, die
das Ganze damals als ihr Herzensanliegen betrieben hat .
Vorausgegangen waren Fälle, in denen zunächst ein be-
harrliches Nachstellen zu verzeichnen gewesen war und
dann auch massive Übergriffe, Angriffe auf die Person,
teilweise sogar mit tödlichem Ausgang, erfolgt sind . Ich
weiß als frühere Familienrichterin, dass diese Angriffe
und dieses Stalking oft aus dem privaten Umfeld erfol-
gen, von Exliebhabern, Expartnern oder eben auch de-
nen, die von vornherein abgewiesen worden sind . Bis zur
Einführung des § 238 StGB hatte man letztendlich keine
Handhabe gegen dieses beharrliche Nachstellen, weil die
Handlungen, um die es da im Einzelnen geht, für sich
genommen jeweils erlaubt sind, relativ unproblematisch
sind, als Belästigung abgetan werden können . Aber in
Summe sind sie eine ganz massive Beeinträchtigung der
Lebensqualität . Sie ängstigen, und im Extremfall mün-
den sie ja auch in massive Gefahren für Leib und Leben
des Opfers . Damals musste man die Frage beantworten:
Warum muss eigentlich immer erst etwas passieren, be-
vor man gegen den Täter vorgehen kann?

Solche Nachstellungen, um die es jetzt geht, sind nicht
immer so dramatisch . Trotzdem: Auch unterhalb dieser
Schwelle sind sie sehr lästig und nicht zu verharmlosen .
Nicht untypisch ist, dass die Situation von den beiden be-
teiligten Personen völlig unterschiedlich wahrgenommen
wird . Ich möchte das hier anhand eines Beispiels darle-
gen, das sicher für sich genommen ganz klar unterhalb
der strafbewehrten Schwelle bleibt, das aber das Problem
schön wiedergibt . Sie kennen wahrscheinlich das Lied –
ich will es hier jetzt nicht singen; dafür bräuchte ich im
Übrigen auch einen männlichen Kollegen, da es nämlich
ein Wechselgesang ist – Im Wagen vor mir fährt ein jun-
ges Mädchen, das eigentlich von einer positiven Grund-

Halina Wawzyniak






(A) (C)



(B) (D)


stimmung getragen ist . Man kann sich so richtig in die
Situation hineinversetzen: Ein Mann fährt mit seinem ei-
gentlich schnellen Wagen auf der Autobahn und klemmt
sich hinter die Ente, an deren Steuer ein junges Mädchen
sitzt . Er schildert das in der Art eines Ohrwurms mit ei-
ner hörbaren Selbstgefälligkeit und macht sich Gedanken
darüber, was denn dieses Mädchen da jetzt wohl zu tun
hat . Am Ende wird sie dann schon sein Mädchen . Aus
ihrem Blickwinkel hört sich das Ganze völlig anders an:
Sie macht sich Gedanken darüber, was dieser blöde Kerl
da hinter ihr will . Sie ist genervt, sie ist verunsichert, sie
fühlt sich bedrängt, und sie nimmt das zum Anlass, von
der Autobahn runterzufahren, obwohl sie dadurch zu spät
kommt .

Es handelt sich eigentlich um eine banale Situation,
aber sie zeigt, wie das wirkt, über das wir heute hier de-
battieren . Es geht um das Recht, sich unbehelligt, unbe-
hindert, unbefangen, frei und ohne Rechtfertigungsdruck
und ohne aufgezwungenen Kontakt bewegen zu können,
leben zu können, entscheiden zu können . Dieses Recht ist
durch beharrliche Nachstellungen massiv beeinträchtigt .

Aus der Perspektive des Täters geht es um das Bestre-
ben, Kontrolle zu gewinnen, Macht über jemand anderes
auszuüben, das Opfer zu belästigen, es zu verängstigen,
sich selbst immer wieder in Erinnerung zu bringen, und
das mit all den Möglichkeiten, die man im digitalen Zeit-
alter hat, also per Telefon, per SMS, über Facebook, über
Pakete, die man nicht selber bestellt hat, per Brief oder
ganz real, indem man dem Opfer schon morgens auf der
gegenüberliegenden Straßenseite auflauert.

Für das Tatopfer hat das über viele Jahre hinweg weit-
reichende psychische oder soziale Folgen: Misstrauen,
Angst, Schreckhaftigkeit, Schlafstörungen . Das zeigt
auch, dass es hier um eine Facette eines Themas geht, mit
dem wir uns hier schon häufig beschäftigt haben. Es geht
immer wieder um den Schutz des Opfers vor Verletzung
seines Rechts auf Selbstbestimmung seines Privatlebens
und seiner sexuellen Selbstbestimmung . Es geht um
Freiheit, die Entfaltung der Persönlichkeit, den Schutz
vor Übergriffen der unterschiedlichsten Art, angefangen
bei dem Thema Kinderpornografie, wo es um sexuelle
Übergriffe und voyeuristische Bloßstellung geht, Straf-
barkeit des Menschenhandels, wo es um Einschränkun-
gen der Freiheit geht, um sexuelle Selbstbestimmung .
Den Vergewaltigungsparagrafen haben wir gerade unter
dem Stichwort „Nein heißt nein“ reformiert . In all diesen
Fällen geht es jetzt letztendlich darum, dass die Freiheit,
Nein zu sagen, respektiert werden muss, auch im Fall des
Stalking .

Es wäre schön, wenn dies jetzt der Schlussstein im
Ausbau dieses Schutzes wäre . Das ist er noch nicht . Es
bleiben noch andere Dinge übrig, die zu tun wären . Ich
nenne hier kurz, dass wir Verbesserungen beim Cyber
Grooming wollen – das ist eine Handlung zur Vorbe-
reitung von Übergriffen –, bei der Strafbarkeit bei Kin-
derpornografie, bei Zuhälterei und sexueller Ausbeutung.
Blicken wir über das Strafrecht hinaus, dann gehört auch
die Bekämpfung von Kinderehen in den weiten Kontext
dieses Themas .

Meine Vorredner haben schon vorgetragen, was sich
ändert . Ich möchte noch einmal auf den Fall der Blogge-
rin Mary Scherpe zurückkommen . Sie wurde jahrelang
gestalkt . Sie hat dann alle Unterlagen gesammelt – alle
Mails, alle SMS und dergleichen – und ist mit diesen Be-
legen zur Staatsanwaltschaft gegangen . Es wurde damit
abgetan, es seien nur Belästigungen . Sie fand dann den
Knackpunkt heraus, nämlich dass es an ihr selber lag, sie
war zu taff, zu stark und hat sich davon nicht beeinträch-
tigen lassen . Sie sagt selber: Ich war kein gutes Opfer .
Das darf natürlich nicht stehen bleiben . Das wäre die
völlig falsche Zielrichtung; denn es darf nicht das Opfer
gezwungen werden, sein Verhalten zu ändern, sondern es
geht darum, auf den Stalker einzuwirken und ihm klar-
zumachen, dass er sich strafbar und übergriffig verhält.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das ist der Grund, weshalb wir diese Änderung im
Tatbestand vollziehen . Die Tat des Täters muss nur noch
objektiv geeignet sein, das Leben des Opfers schwerwie-
gend zu beeinträchtigen .

Es wurde schon angesprochen, dass wir das Delikt aus
dem Katalog der Privatklagedelikte herausnehmen, um
auch dort das Opfer zu stärken . Parallel dazu wollen wir
im Zivilrecht das Gewaltschutzgesetz anpacken, um auch
hier zu einer besseren Durchsetzbarkeit der Vereinbarun-
gen zu kommen . Ich denke, dass wir hier auf einem sehr
guten Weg sind, und freue mich auf die Beratungen im
Detail .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819609100

Vielen Dank . – Nächste Rednerin für Bündnis 90/Die

Grünen ist Katja Keul .


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819609200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Aufgrund meiner kürzeren Redezeit werde ich
mich auf diesen Gesetzentwurf beschränken . Damit will
die Bundesregierung den Schutz gegen Nachstellungen
verbessern . Das ist ein lobenswertes Anliegen . Darin sind
wir uns alle einig . Es hat sich gezeigt, dass es nach der
geltenden Gesetzeslage für Opfer von Nachstellungen oft
schwierig ist, wirkungsvollen gerichtlichen Schutz zu er-
langen . Allerdings ist nicht jede Verschärfung von Straf-
recht gleichzusetzen mit einem besseren Opferschutz .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Hier gilt es, zu differenzieren .

Ich will mit dem Positiven beginnen: die Änderung in
§ 4 des Gewaltschutzgesetzes . Bislang war nur die Zu-
widerhandlung gegen gerichtliche Anordnungen strafbar .
Die meisten Gewaltschutzverfahren werden allerdings
in der Praxis durch Vergleich beendet . Verstößt dann der
Antragsgegner gegen diesen Vergleich, war eine Straf-
verfolgung bislang nicht möglich . Das soll nun anders
werden . Wenn der Vergleich gerichtlich bestätigt worden

Elisabeth Winkelmeier-Becker






(A) (C)



(B) (D)


ist, wird der Verstoß dagegen künftig strafbar, und das ist
auch richtig so .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch die Streichung des Auffangtatbestandes der Vor-
nahme einer vergleichbaren Handlung ist zu begrüßen .
So ein schwammiges Tatbestandsmerkmal hat im Straf-
recht nichts zu suchen und ist mit dem Bestimmtheits-
grundsatz kaum zu vereinbaren . Die Streichung haben
wir daher bereits 2006 gefordert .

Kommen wir aber nun zum kritischen Punkt . Die Um-
gestaltung des Tatbestandes des § 238 StGB von einem
Erfolgs- in ein abstraktes Gefährdungsdelikt halte ich
nicht für geeignet, um einen besseren Schutz vor Nach-
stellungen zu bewirken . Bisher ist der Tatbestand des
§ 238 StGB nur erfüllt, wenn das Opfer durch die Nach-
stellungshandlungen in seiner Lebensgestaltung schwer-
wiegend beeinträchtigt wird . Eine solche schwerwiegen-
de Beeinträchtigung wird von der Rechtsprechung unter
anderem dann angenommen, wenn das Opfer weitgehen-
de Schutzvorkehrungen wie etwa den Wechsel des Ar-
beitsplatzes oder der Wohnung veranlasst .

Nach dem neuen Gesetzentwurf soll es künftig ausrei-
chen, wenn das Täterverhalten potenziell dazu geeignet
ist, eine gravierende Beeinträchtigung herbeizuführen .
Ein tatsächlicher Erfolg soll nicht mehr notwendig sein .
Damit wird der Anwendungsbereich des Stalkingpara-
grafen bedenklich weit gefasst und die Strafbarkeit er-
heblich vorverlagert . Das wirft im konkreten Fall mehr
Fragen auf, als es Probleme löst . Soll die Eignung nur
dann nachweisbar sein, wenn das Opfer über konkrete
Reaktionen nachgedacht hat, und ist der Umstand, dass
das Opfer die Reaktion verworfen hat, ein Indiz dafür,
dass die Beeinträchtigung ungeeignet war?

Die Bandbreite möglicher Reaktionen des Opfers auf
eine Nachstellung ist vielfältig und nicht wissenschaft-
lich bestimmbar . Psychische Belastungen sind in jedem
Fall individuell unterschiedlich . Jegliche Verobjektivie-
rung der Geeignetheit als Tatbestandsmerkmal ist daher
schwierig . Deshalb würde die Geeignetheit einer Hand-
lung voraussichtlich weiterhin anhand derselben Anfor-
derungen gemessen wie bisher . Das Opfer müsste dann
eine nach außen wahrnehmbare Reaktion in irgendeiner
Weise gezeigt haben . Die Probleme bleiben dieselben .
Auch der Nachweis des Tatvorsatzes ist schwierig . Die
Eignung zur Beeinträchtigung der Lebensgestaltung
müsste vom Vorsatz des Täters umfasst sein .

Die weite Fassung des Tatbestandes kann außerdem
Verhaltensweisen erfassen, die gar nicht erfasst werden
sollen . Beispielsweise könnten Journalisten, die sich zu
Recherchezwecken in die Nähe von anderen Personen
begeben, in die Gefahr geraten, wegen Nachstellung an-
gezeigt zu werden .

Dabei ist die Umgestaltung des Tatbestandes des
§ 238 StGB zum Eignungsdelikt keineswegs alternativ-
los . Schwerwiegende Beeinträchtigungen können näm-
lich auch erhebliche psychische Belastungen sein, die
sich nicht äußerlich niedergeschlagen haben . Die Recht-

sprechung hat dies allerdings dem bisherigen Wortlaut
des Paragrafen bislang nicht entnehmen wollen . Warum
setzen Sie also nicht beispielsweise beim Merkmal der
schwerwiegenden Beeinträchtigung an und stellen aus-
drücklich klar, dass psychische Belastungen dazugehö-
ren?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Im Gegensatz zur Eignung können psychische Belastun-
gen eher, zum Beispiel durch psychologische Gutachten
oder Krankschreibungen, belegt werden . Nachweispro-
bleme würden so vermindert werden .

Auch innerhalb des Gewaltschutzgesetzes sind weite-
re Änderungen möglich . Der § 1 könnte erweitert wer-
den, um weitere Erscheinungsformen des Stalkings zu
erfassen. Denn das Gewaltschutzgesetz kann oft flexi-
blere, effektivere und schnellere Abhilfe schaffen als ein
Strafverfahren .

Nicht geeignet ist hingegen die Umwandlung des Tat-
bestandes des § 238 StGB in ein Eignungsdelikt . Von
diesem rechtsstaatlich problematischen Vorhaben sollten
Sie Abstand nehmen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819609300

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kol-

lege Dirk Wiese das Wort .


(Beifall bei der SPD)



Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1819609400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Die Einführung des Stalkingparagrafen
unter der sozialdemokratischen Justizministerin Brigitte
Zypries im Jahr 2006 war aus meiner Sicht ein bedeuten-
der Schritt für den Opferschutz und ein wichtiges Signal
des Gesetzgebers . Denn – Sie gestatten mir, dass ich aus
der damaligen Debatte zitiere –:

Stalking ist keine Privatsache, keine Sache von ver-
schmähten Liebhabern, sondern strafwürdiges Un-
recht .

Dieser Satz, liebe Kolleginnen und Kollegen, hat leider
an Aktualität nichts verloren .

Über die vergangenen Jahre haben sich in der Praxis
Anwendungsdefizite gezeigt, die nun eine Nachbesse-
rung erforderlich machen . Denn auch bei Gesetzen, die
bei der Verabschiedung richtig waren, muss man nach
einem gewissen Zeitablauf und einer gewissen Beobach-
tung manchmal nachjustieren .

Wie wichtig dieser Schritt ist, den wir hier heute an-
gehen, belegt übrigens auch ein Blick in die Polizeiliche
Kriminalstatistik: 2014 wurden bundesweit noch rund
21 000 Fälle erfasst, 2015 waren es nur 19 000 . Aller-
dings geben Experten, die in den Beratungsstellen tätig
sind, für den gleichen Zeitraum an, dass sie mit immer

Katja Keul






(A) (C)



(B) (D)


mehr Fällen zu tun bekommen . Wir sehen also, dass trotz
steigender Fallzahlen immer weniger Fälle zur Anzeige
gebracht werden . Einer der Gründe liegt leider auf der
Hand: Die Opfer gehen nicht mehr zur Polizei; denn sie
haben das Gefühl, dass das nichts bringt und ihnen dort
nicht geholfen werden kann .

Wenn Bürgerinnen und Bürger Straftaten erst gar
nicht zur Anzeige bringen, weil sie kein Vertrauen in die
Bestrafung der Täter haben, dann muss das für uns alle
ein Weckruf sein, der deutlicher nicht sein kann .


(Beifall bei der SPD)


Deshalb haben wir von der SPD dafür Sorge getragen,
dass die Verbesserung des Schutzes vor Stalking, Nach-
stellung, in dieser Wahlperiode angegangen wird . Ich
danke Herrn Bundesjustizminister Heiko Maas und
Herrn Staatssekretär Christian Lange für die Vorlage des
Gesetzentwurfs . Frau Winkelmeier-Becker, Sie haben
gerade in einem Nebensatz erwähnt, dass es etwas ge-
dauert hat, bis der Gesetzentwurf vorlag . Leider wurden
unter Schwarz-Gelb keine Verbesserungen in Angriff ge-
nommen . Es zeigt sich an dieser Stelle: Es bedarf eines
sozialdemokratischen Justizministers, damit dieses Pro-
blem wieder angegangen wird .


(Beifall bei der SPD)


Ich gebe auch zu bedenken – da möchte ich meiner
Kollegin Wawzyniak recht geben –, dass es mehr bedarf .
Es bedarf einer Sensibilisierung der Gesellschaft im prä-
ventiven Bereich . Aber so wichtig der präventive Bereich
auch ist: Wir müssen im Strafrecht Tatbestände reaktiv
erfassen . Darum ist es richtig, dass es den § 238 im Straf-
gesetzbuch gibt und dass wir ihn an dieser Stelle noch
einmal anpassen .

Lassen Sie mich auf zwei Kernpunkte eingehen, die
aus meiner Sicht die Verurteilung von Stalkern bisher
erschwert haben . Erstens – Staatssekretär Lange hat es
angesprochen –: Die Strafbarkeit von Stalking war bis-
her als Erfolgsdelikt ausgestaltet . Nehmen wir folgendes
Beispiel: Ein Stalker, der jahrelang seine Exfreundin
verfolgt, ihr womöglich ständig auflauert, ihr Umfeld
kontaktiert und sie mit Geschenken und Bestellungen
bombardiert, kurzum: ihr gesamtes privates Leben, ih-
ren Alltag zur Hölle macht, konnte nicht verurteilt wer-
den, wenn das Opfer standhaft blieb, nicht dem enormen
Druck nachgegeben hat, nicht wegzog oder möglicher-
weise nicht den Arbeitsplatz gewechselt hat . Solche Kon-
stellationen sind keine Seltenheit .

In meinem Wahlkreis im Sauerland gibt es einen Fall,
wo ein Pfarrer seit 15 Jahren gestalkt wird, aber die Be-
strafung der Stalkerin mangels schwerwiegender Be-
einträchtigungen bis zum heutigen Tage nicht möglich
gewesen ist . Das kann aus meiner Sicht nicht sein . Da-
rum ist es richtig, dass wir hier nachjustieren . Die Aus-
gestaltung als Eignungsdelikt ist daher ein richtiger Weg,
um Opfer besser zu schützen . Es ist gut, dass wir das an
dieser Stelle auf den Weg bringen .

Der zweite wichtige Punkt ist, dass der Straftatbestand
der Nachstellung aus dem Katalog der Privatklagedelikte
gestrichen wird . Wir haben heute fraktionsübergreifend
Zustimmung dazu vernommen . Ich denke, es ist wichtig,

dass wir die entsprechenden Regelungen auf den Weg
bringen .

Abschließend möchte ich sagen: Ich halte den vor-
liegenden Gesetzentwurf für wichtig, um Stalkingopfer
besser zu schützen und eine Verurteilung der Täter zu er-
leichtern . Ich bin gespannt auf die Fachanhörung . Falls
es an der einen oder anderen Stelle notwendig ist – der
ein oder andere Kollege hat darauf hingewiesen, Frau
Wawzyniak auch –, dann kann durchaus das Struck’sche
Gesetz noch zur Anwendung kommen; denn wir wollen
die Opfer wirklich schützen . Das soll mit diesem Gesetz-
entwurf auf den Weg gebracht werden .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819609500

Vielen Dank . – Jetzt hat Ulle Schauws, Bündnis 90/

Die Grünen, das Wort .


Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819609600

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Kolleginnen und

Kollegen! Ständiges Auflauern, Telefonterror, permanen-
te E-Mails – wie in einem schlechten Film, und der will
nicht enden: Die Fantasie von Stalkern und Stalkerinnen
ist nahezu unbegrenzt, um ihren Opfern oft jahrelang
nachzustellen . Rund 20 000 Anzeigen gab es laut Kri-
minalstatistik aus dem Jahr 2015, die Dunkelziffer liegt
viel höher .

Die meisten Opfer von Stalking sind in ihrer Lebens-
führung stark eingeschränkt und nicht selbstbestimmt .
Ihr Alltag wird dominiert vom Gefühl der Bedrohung
und der Angst . Viele erleiden schwerwiegende körper-
liche und seelische Schäden . Traumatisierungen sind
oft die Folge . Insoweit war es gut, dass der sogenannte
Nachstellungsparagraf, § 238, 2007 endlich in das Straf-
gesetzbuch aufgenommen wurde . Aber für die meisten
Stalkingopfer blieb dieser Paragraf bis heute eine Ent-
täuschung . Die Verurteilungsrate lag nach der Krimi-
nalstatistik von 2014 nur bei etwa 20 Prozent . Das ist
alarmierend . So geht es nicht weiter, liebe Kolleginnen
und Kollegen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die meisten Täter kommen davon, weil die rechtlichen
Hürden für eine Verurteilung zu hoch sind, eben weil die
Opfer eine schwerwiegende Beeinträchtigung ihrer Le-
bensgestaltung nachweisen müssen, und das kann nicht
sein . Den Opfern darf nicht länger zugemutet werden,
letztlich ihr ganzes Leben umkrempeln zu müssen, bevor
Täter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden
können .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das widerspricht auch dem Opferschutz .

Insofern begrüße ich grundsätzlich den Vorstoß aus
dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucher-
schutz . Das war überfällig . Es muss alles getan werden,
damit Opfer von Stalking wieder selbstbestimmt leben

Dirk Wiese






(A) (C)



(B) (D)


können . Ihr Gesetzentwurf enthält durchaus Verbesse-
rungen, zum Beispiel die Umwandlung des Privatkla-
gedelikts in ein Antragsdelikt . Doch insgesamt greift er
noch zu kurz, um tatsächlich und konsequent helfen zu
können . Meine Kollegin Katja Keul hat das eben bereits
ausführlich dargestellt .

Wir schlagen deshalb Ergänzungen und eine Erweite-
rung im Gewaltschutzgesetz vor . Es muss umfassender
Schutz ermöglicht werden . Darum muss es gehen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist eine Tatsache, dass Frauen sehr viel häufiger
von Stalking betroffen sind . 80 Prozent der Opfer sind
weiblich, 86 Prozent der Täter sind männlich . Meist trifft
es Frauen, die sich von ihren Partnern getrennt haben .
Dass Expartner die Trennung nicht akzeptieren können
und versuchen, weiter Kontrolle über die Frau auszu-
üben, macht deutlich: Es geht um das Thema Macht und
Besitztum . Bei Stalking handelt es sich auch um eine ge-
schlechtsspezifische Problematik.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein besserer Rechts-
schutz für Opfer ist unabdingbar . Darüber hinaus bedarf
es eines funktionierenden Hilfenetzes . Es müssen weitere
Fachberatungsstellen auf- und ausgebaut werden, in de-
nen Betroffene Unterstützung und Hilfe im Umgang mit
Stalking erhalten können, ebenso Beratung und Hilfe bei
rechtlichen Schritten . Auch die wichtigen Schulungen
von Justiz und Polizei sollten weiter intensiviert werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Nur mit effektivem Rechtsschutz und guten Beratungs-
strukturen kann ein wirksamer Opferschutz erreicht wer-
den . Dafür müssen Sie alles tun . Dafür müssen wir alle
gemeinsam auch die gesellschaftliche Sensibilisierung
voranbringen .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819609700

Vielen Dank . – Für die CDU/CSU-Fraktion spricht

jetzt Dr . Volker Ullrich .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1819609800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir sprechen heute über viele Zehntausende
Menschen in diesem Land, die albtraumhafte Begeben-
heiten erleiden müssen . Wir reden über den alltäglich
bangen Blick aufs Mobiltelefon, über den verängstigten
Blick über die Schulter, über die Angst, ans Telefon zu
gehen, weil er doch wieder anrufen könnte, derjenige,
der einer Person nachstellt, der ihr das Leben zur Höl-
le macht . Wir sprechen über Zehntausende Fälle, über
Zehntausende Menschen, die sich in ihrer eigenen Haut
nicht mehr wohlfühlen, die sich kaum aus dem Haus trau-
en oder Schwierigkeiten haben, soziale Kontakte zu pfle-

gen, weil ein anderer nicht akzeptiert, wie dieser Mensch
leben will oder welche Entscheidung er getroffen hat .

Das allein ist es aber noch nicht . Die Nachstellungen
tragen ein Eskalationspotenzial in sich . Das kann sogar
so weit gehen, dass es zu ganz schweren Rechtsverlet-
zungen kommt, zu tatsächlichen Körperverletzungen, ja
sogar von Todesfällen ist auch in jüngster Zeit die Rede
gewesen . Deswegen ist der Schutz vor Nachstellungen
ein wichtiges strafrechtliches Anliegen . Er liegt im Kern-
bereich dessen, wozu Strafrecht gemacht ist: den Schutz
der Opfer sicherzustellen .

Wir haben hier erst eine sehr kurze, aber, wie ich meine,
doch bemerkenswerte rechtspolitische Geschichte vorzu-
weisen . Bis vor zehn Jahren kannte das Strafrecht gar
keinen Schutz vor Nachstellungen, sondern es mussten
zusätzlich Straftatbestände verwirklicht werden: Haus-
friedensbruch, sexuelle Nötigung, Beleidigung, schwere
Körperverletzung . Es war auch eine Große Koalition, die
im Jahr 2006 den § 238 StGB normiert hat . Heute ist es
Zeit – das ist auch unsere Pflicht –, Bilanz zu ziehen. Wir
haben nach zehn Jahren § 238 StGB festzustellen, dass
er ein guter erster Schritt war, um vor Nachstellungen
zu schützen . Aber er ist in seiner derzeitigen Form noch
nicht ausreichend . Deswegen werden wir nachlegen und
ein gutes Gesetz noch besser machen .

Die Fallzahlen sprechen dafür, dass wir diesen Para-
grafen ändern müssen . Wenn von etwa 20 000 Anzei-
gen im Jahr nur etwa 1 bis 2 Prozent zur Verurteilung
kommen und man auch noch einpreisen muss, dass viele
Menschen aus Angst und Scham gar nicht erst Anzeige
erstatten, dann zeigt das, dass dieser Paragraf in seiner
Konstruktion gut gemeint war, aber nicht in jeder Form
auch hundertprozentig gut gemacht . Deshalb haben wir
auch den Mut, zu sagen: Wir verbessern diesen Paragra-
fen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist den Menschen schwer zu vermitteln, dass der-
jenige, der Opfer einer Straftat wird, sein Verhalten erst
ändern muss und damit genau den Erfolg eigentlich
herbeiführen muss, den sich der Täter von seinem Op-
fer wünscht . Für uns ist klar: Nicht das Opfer muss sein
Verhalten ändern, sondern der Täter muss seiner Rechen-
schaft zugeführt werden . Das ist der Kern eines verant-
wortungsvollen Strafrechts .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Deswegen, denke ich, ist es richtig, zu sagen, dass die
Deliktform, die sich jetzt von einem Erfolgs- zu einem
Eignungsdelikt ändert, die richtige Form ist, weil auch
bei einem Eignungsdelikt natürlich schon eine Rechts-
verletzung vorliegt . Sie liegt bereits darin, dass der Täter
eine Handlung vollzieht, die geeignet ist, eine schwer-
wiegende Folge herbeizuführen, dass er ein Verhalten
an den Tag legt, welches typischerweise zu schweren
psychischen Belastungen führt: zu den eben von mir be-
schriebenen Angstzuständen, zu dem Umstand, dass sich
jemand nicht mehr traut, auf die Straße zu gehen, und zu
vielen Hunderten oder Tausenden Anrufen . Allein dieser
Umstand hat doch bereits einen Unrechtsgehalt an sich .

Ulle Schauws






(A) (C)



(B) (D)


Deswegen ist es richtig, dass dieser Paragraf zukünftig
ein Eignungsdelikt ist; denn durch den Charakter des
Eignungsdeliktes kann er den Opferschutz viel stärker
verwirklichen .

Vor diesem Hintergrund ist es ebenso richtig, dass wir
dem Privatklageweg im Bereich von Nachstellungen ein
Ende bereiten . Es war vielleicht gut gedacht, dass jeder,
wenn die Schwelle noch nicht vorhanden war, dass der
Staatsanwalt tätig wird, sein Recht selbst in die Hand
nehmen sollte . Aber gerade im Fall von Nachstellungen
haben wir die Konstellation, dass das Opfer seinem Pei-
niger, demjenigen, der nachstellt, gerade nicht begegnen
möchte .

Wenn Sie das Opfer nun auf den Privatklageweg ver-
weisen, ist es ja gerade in der Situation, dass es seinem
Täter vor Gericht begegnen muss, dass es selbst einen
Prozess gegen den Täter anstrengen muss, wodurch es
vor Gericht möglicherweise sogar zu einer Konfronta-
tionssituation Täter/Opfer kommt – was der Täter viel-
leicht sogar herbeiführen möchte . Deswegen war der
Privatklageweg aus Gründen eines objektiven Opfer-
schutzes der falsche, und daher ist es richtig, wenn wir
ihn streichen und sagen: Stalking, Nachstellungen, ist ein
schwerwiegendes Delikt, das in die Lebenssphäre ein-
greift . Hier müssen die Staatsanwaltschaften selbst tätig
werden . Sie müssen es unterbinden, und der Rechtsstaat
muss hierbei zur Geltung kommen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, die Botschaft der heuti-
gen Debatte muss auch sein, dass die Opfer von Nach-
stellungen nicht allein sind, weil ihnen dieser Rechts-
staat zukünftig noch mehr Schutz gewährleistet . Aber
sie sind auch nicht allein, weil durch diese Debatte die
Botschaft ausgesendet wird, dass wir eine Sensibilisie-
rung für die Opfer brauchen, dass sie nicht alleingelassen
werden, dass Menschen, die Opfer von Nachstellungen
werden, auch Verständnis in ihrem Freundes- und Ver-
wandtenkreis bekommen, dass auch die Kollegen am
Arbeitsplatz, die mitbekommen, dass eine Kollegin oder
ein Kollege gestalkt, dass sie oder er Opfer von Nach-
stellungen wird, ihr bzw . ihm schützend zur Seite stehen,
dass diese Gesellschaft insgesamt nicht akzeptiert, wenn
Menschen Opfer von Nachstellung, von Bestellungen,
von Anrufen, von SMS werden, dass jeder die Verpflich-
tung wahrnimmt, Menschen zu schützen und zu einem
gedeihlichen und guten Miteinander beizutragen .

In diesem Sinne freue ich mich auf gute Beratungen .
Ich hoffe, dass wir aus einem guten Gesetzentwurf ein
Gesetz machen, welches die Opfer schützt und damit
stärker dazu beiträgt, dass viele Menschen weniger stark
mit Angst konfrontiert sein müssen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819609900

Vielen Dank . – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kol-

lege Fritz Felgentreu das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Fritz Felgentreu (SPD):
Rede ID: ID1819610000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine

Frau wird verfolgt . In diesem Fall erleidet sie Stalking
durch eine andere Frau . Die Täterin bedient sich einer
breiten Palette von Belästigungen: beleidigende Anrufe
und SMS, Anspucken auf der Straße, Verfolgung bis vor
die eigene Haustür, Belagerung der Wohnung . Die Be-
troffene muss sich in psychiatrische Behandlung bege-
ben . Sie kann nicht mehr schlafen . Sie lässt die Rollläden
herunter . Sie geht nur noch vor die Tür, wenn es nicht
anders geht . Schließlich lässt sie sich vom Weißen Ring
beraten und entscheidet sich, das Stalking zu ignorieren .
Diese Strategie ist irgendwann erfolgreich . Nach ein paar
Monaten lässt die Täterin von ihr ab . Dies ist ein Fall aus
der Praxis, berichtet im Februar dieses Jahres in der Zeit .

Lieber Kollege Ullrich, die Geschichte dieser Frau ist
ein Beispiel dafür, warum wir den Stalkingparagrafen im
Strafgesetzbuch ändern wollen, und zwar nicht nur aus
der Sicht der Rechtspolitik, sondern auch aus der Sicht
der Familien- und Frauenpolitik . Ich spreche hier heute
als Mitglied des Familienausschusses . Uns geht es natür-
lich besonders darum, häuslicher Gewalt und der Gewalt
gegen Frauen vorzubeugen . Prävention ist aus diesem
Blickwinkel fast noch wichtiger als Strafverfolgung .
Strafverfolgung muss immer auch der Prävention dienen .
Deshalb war es ein dringend gebotenes und ein richtiges
Signal, das der Bundestag 2007 Tätern wie Opfern gege-
ben hat . Damals wurde ganz klar: Stalking ist Unrecht .
Stalking ist Gewalt . Der Rechtsstaat stellt Stalking unter
Strafe .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen uns aber darüber im Klaren sein, dass
die präventive Wirkung von Strafgesetzen begrenzt ist,
gerade auch in Stalkingfällen . Denn Stalker haben nur
selten ein Unrechtsbewusstsein . Im Gegenteil: Meistens
fühlen sie sich von der Person ungerecht behandelt, der
sie nachstellen . Dennoch hat die gesellschaftliche und
strafrechtliche Ächtung der Tat einen hohen Wert . Sie
wirkt langfristig . Denn wenn wir in allen Köpfen veran-
kert haben, dass Stalking Unrecht ist, dann wächst all-
mählich auch die Fähigkeit zur Selbstkontrolle . Stalking
ist auch immer ein Kontrollverlust des Täters . Wer merkt,
dass er dabei ist, zum Stalker zu werden, der kann im
selben Moment damit aufhören . Tut er es dennoch nicht,
dann entscheidet er sich bewusst dafür, ein Verbrechen
zu begehen .

Um aber das Unrecht zu bestrafen, das der Frau ange-
tan wurde, von der ich eben erzählt habe, ist der Stalking-
paragraf in seiner jetzigen Form nicht geeignet; denn sie
hat sich letztlich durchgesetzt . Mit einer großen Kraftan-
strengung hat sie die Nerven behalten und ihr Leben
weitergelebt . Unser Recht bestraft aber bisher, wie wir
gehört haben, nicht die Tat, sondern deren Auswirkun-

Dr. Volker Ullrich






(A) (C)



(B) (D)


gen . Nur wenn das Opfer sein Leben nicht so weiterle-
ben kann wie bisher, dann muss der Täter mit Strafe und
sogar mit Gefängnisstrafe rechnen . Im Umkehrschluss
bedeutet das: Wenn ein Fall wie dieser angezeigt wird,
dann wird das Ermittlungsverfahren wahrscheinlich ein-
gestellt mit dem völlig inakzeptablen Ergebnis, dass der
Täter oder hier die Täterin sich auch noch bestätigt füh-
len kann . Denn nach geltendem Recht hat sie scheinbar
nichts Verbotenes getan .

Die SPD-Fraktion begrüßt deshalb die vorgeschlagene
Neufassung. Auch die Geeignetheit zur Bestrafung fin-
den wir richtig . Diese juristische Formulierung bedeutet
aus unserer Sicht: Die Tat soll bestraft werden und nicht
ihre Wirkung .


(Beifall bei der SPD)


Wir schärfen damit auch das Bewusstsein dafür, dass
Stalking Unrecht ist . Dieses Bewusstsein ist der best-
mögliche Schutz für die meistens weiblichen potenziel-
len Opfer eines Delikts mit hoher Dunkelziffer .

Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ist eine
Herausforderung für die ganze Gesellschaft . Die geplan-
ten Gesetzesänderungen werden dafür sorgen, dass das
Strafrecht in Zukunft in einem Punkt wirkungsvoller zum
Schutz gegen Gewalt beitragen kann. Das finden wir gut,
das finden wir richtig. Wir freuen uns auf die Debatte, die
vor uns liegt .

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819610100

Vielen Dank, Herr Kollege . – Ich wünsche Ihnen einen

schönen Tag und begrüße Sie von meiner Seite . Erlauben
Sie mir bitte, die Elisabethschule aus Aichach recht herz-
lich zu begrüßen .

Das ist bei uns ums Eck; manche werden es wissen .


(Dr . Volker Ullrich [CDU/CSU]: Ja!)


– Kollege Ullrich weiß das .

Nächste und letzte Rednerin in dieser Debatte ist Frau
Iris Ripsam für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Iris Ripsam (CDU):
Rede ID: ID1819610200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Liebe kennt keine Grenzen – das klingt
romantisch . Wenn aber aus Liebe grenzenlose Belästi-
gung wird, dann, meine Damen und Herren, hat das mit
Liebe nichts mehr zu tun . Bei dem strafrechtlich relevan-
ten Nachstellen, dem sogenannten Stalking, sind Täter
und Opfer sehr häufig, aber nicht ausschließlich ehemali-
ge Beziehungspartner . Nach einer Studie des Zentralins-
tituts für Seelische Gesundheit in Mannheim werden fast
12 Prozent aller Menschen in Deutschland im Laufe ih-
res Lebens mindestens einmal gestalkt . Wir sprechen hier
also nicht von einer verschwindend geringen Minderheit .

Meine Damen und Herren, wenn von der Liebe nichts
mehr bleibt als Angst, dann müssen wir den Opfern zur
Seite stehen .


(Beifall des Abg . Dr . Jan-Marco Luczak [CDU/CSU])


Das bedeutet aber auch, dass wir die Opfer von Nach-
stellungen ausreichend schützen müssen, also mit den
Mitteln des Strafrechts . Seit neun Jahren ist Stalking ein
Straftatbestand . Dennoch kommt es auffallend selten zu
einer Verurteilung . Was sind die Gründe dafür?

Das Nachstellen ist nach geltender Rechtslage ein Er-
folgsdelikt . Dies bedeutet, dass Stalking erst dann straf-
bar ist, wenn das Opfer dem Druck des Täters nachgibt
und beispielsweise aus Furcht vor diesem den Wohnort
oder den Arbeitgeber wechselt; erst dann kann es zu einer
Verurteilung kommen . Dabei muss dem Täter nicht nur
eine Belästigung über einen längeren Zeitraum nachge-
wiesen werden . Vielmehr muss auch bewiesen werden,
dass die Nachstellung zu schwerwiegenden Beeinträchti-
gungen der Lebensumstände geführt hat .

In einem jüngst bekannt gewordenen Fall hatte eine
Münchnerin den Täter mehrfach angezeigt und war aus
Furcht mehrmals umgezogen . Dennoch wurde sie zwei
Tage vor Prozessbeginn von besagtem Täter mit einem
25 Zentimeter langen Messer erstochen . Meine Damen
und Herren, dieser Fall ist nicht nur einer von vielen, in
denen jede Hilfe für die Opfer zu spät kommt . Der Fall
weist gravierende Lücken des geltenden Straftatbestan-
des des § 238 des Strafgesetzbuches beim Opferschutz
auf . Das Opfer hat alles getan, um den Nachstellungen
des Täters zu entkommen . Mehr konnte es nicht tun .
Dennoch wurde es vom Täter erstochen . Der Opfer-
schutz war somit zu Recht ein großes Thema der Union
und des Koalitionsvertrages, dessen Auftrag wir mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf umsetzen .

Beim Stalking stehen vielen Strafanzeigen auffällig
wenige Verurteilungen gegenüber . Das, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, ist alles andere als ein Aushängeschild
für unseren Rechtsstaat . Daher war und ist es ein großes
Anliegen der Union, die strafrechtlichen Hürden für eine
Verurteilung zu senken .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die vorgesehene Änderung der Rechtslage ist im In-
teresse der Opfer notwendig . Künftig soll nicht mehr das
Opfer seine Lebensumstände ändern müssen, sondern
der Täter . Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine Be-
strafung muss möglich sein, ohne dass das Opfer sich
selbst helfen muss, beispielsweise durch einen Umzug .
Die gegenwärtige Regelung benachteiligt vor allen Din-
gen Opfer, die sich etwa einen Umzug aus finanziellen
Gründen nicht leisten können. Häufig betrifft dies allein-
erziehende Mütter . Für die Strafbarkeit muss es daher
ausreichen, dass aus einem verfolgenden und belästi-
genden Nachstellen eine Gefahr für das Opfer resultiert;
denn nur dann besteht noch die Möglichkeit, Schlimme-
res zu verhindern .

Meine Damen und Herren, ich begrüße auch aus-
drücklich die weitere in diesem Gesetzentwurf vorgese-
hene Änderung, mit der der Straftatbestand der Nachstel-

Dr. Fritz Felgentreu






(A) (C)



(B) (D)


lung aus dem Katalog der Privatklagen gestrichen wird .
Wir reduzieren damit die Belastung der Opfer, die bis-
her selbst ein Verfahren anstrengen mussten, wenn die
Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt und auf den
Privatklageweg verwiesen hat . Dies war im Einzelfall
mit erheblichen finanziellen Aufwendungen verbunden –
ein aus Sicht der Opfer unhaltbarer Zustand .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende
Gesetzentwurf ist ein großer Schritt in Richtung Opfer-
schutz . Und ich füge hinzu: Im Interesse der Opfer müs-
sen wir schnell handeln . – Deshalb bitte ich Sie um Zu-
stimmung zu dem vorliegenden Gesetzentwurf .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819610300

Vielen Dank, Frau Kollegin Ripsam . Ich gratuliere

Ihnen auch – da können die Kolleginnen und Kollegen
gleich noch einmal losklatschen – herzlich zu Ihrer ersten
Rede, und das tue ich im Namen des ganzen Hauses .


(Beifall)


Ich wünsche Ihnen noch viele streitbare und gute Reden
in diesem Haus . Und grüßen Sie den Kollegen Strobl!

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/9946 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Es gibt
keine anderen Vorschläge . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 k sowie
die Zusatzpunkte 2 a und 2 b auf:

33 a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Einbeziehung der Bundespolizei
in den Anwendungsbereich des Bundes-
gebührengesetzes

Drucksache 18/9759
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

b) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Protokoll vom 27. Juni 1997 zur
Neufassung des internationalen Überein-
kommens vom 13. Dezember 1960 über
Zusammenarbeit zur Sicherung der Luft-
fahrt „EUROCONTROL“

Drucksache 18/9877
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

c) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zu dem Protokoll vom 8. Oktober
2002 über den Beitritt der Europäischen

Gemeinschaft zum Internationalen Über-
einkommen vom 13. Dezember 1960 über
Zusammenarbeit zur Sicherung der Luft-
fahrt „EUROCONTROL“ entsprechend
den verschiedenen vorgenommenen Än-
derungen in der Neufassung des Proto-
kolls vom 27. Juni 1997

Drucksache 18/9878
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Umsetzung der Richtlinie 2014/55/EU
über die elektronische Rechnungsstellung
im öffentlichen Auftragswesen

Drucksache 18/9945
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss Digitale Agenda

e) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Änderung von Vorschriften zur
Bevorratung von Erdöl, zur Erhebung
von Mineralöldaten und zur Umstellung
auf hochkalorisches Erdgas

Drucksache 18/9950
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

f) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Telekommu-
nikationsgesetzes

Drucksache 18/9951
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur

g) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Änderung des Zollverwaltungsgesetzes

Drucksache 18/9987
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

h) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Protokoll vom 7. April 2016
zwischen der Regierung der Bundesrepu-
blik Deutschland und der Regierung der
Französischen Republik über den grenz-
überschreitenden Einsatz von Luftfahr-
zeugen zur Ergänzung des Abkommens
vom 9. Oktober 1997 über die Zusam-

Iris Ripsam






(A) (C)



(B) (D)


menarbeit der Polizei- und Zollbehörden
in den Grenzgebieten

Drucksache 18/9988
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur

i) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Protokoll vom 19. Mai 2016 zum
Nordatlantikvertrag über den Beitritt
Montenegros

Drucksache 18/9989
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

j) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu den Vorschlägen der Europäischen
Kommission vom 7. März 2016 für Be-
schlüsse des Rates zur Festlegung von
Standpunkten der Union in den Stabili-
täts- und Assoziierungsräten EU – Repu-
blik Albanien sowie EU – Republik Ser-
bien im Hinblick auf die Beteiligung der
Republik Albanien sowie der Republik
Serbien als Beobachter an den Arbeiten
der Agentur der Europäischen Union für
Grundrechte und die entsprechenden
Modalitäten im Rahmen der Verordnung

(EG) Nr. 168/2007 des Rates


Drucksache 18/9990
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

k) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Katrin Werner, Sigrid Hupach, Matthias W .
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Das Teilhaberecht menschenrechtskon-
form gestalten

Drucksache 18/10014
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
fahren


(Ergänzung zu TOP 33)


a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Beate Walter-Rosenheimer, Maria Klein-
Schmeink, Dr . Franziska Brantner, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Hilfen für Kinder psychisch kranker El-
tern
Drucksache 18/9856
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Gesundheit

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Matthias Gastel, Tabea Rößner, Oliver
Krischer, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Fahrverbot für laute Güterwagen
Drucksache 18/10033

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei-
sungen: Tagesordnungspunkte 33 a bis 33 k sowie Zu-
satzpunkt 2 a . Interfraktionell wird vorgeschlagen, die
Vorlagen an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse zu überweisen . – Niemand zeigt mir körper-
sprachlich etwas anderes an . Dann ist die Überweisung
so beschlossen .

Zusatzpunkt 2 b, Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/10033 . Die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache .
Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Über-
weisung, und zwar zur federführenden Beratung an den
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur und zur
Mitberatung an den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit .

Wir stimmen jetzt nach ständiger Übung zuerst über
den Antrag auf Ausschussüberweisung ab . Ich frage des-
halb: Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer
stimmt dagegen? – Dann gibt es keine Enthaltungen .
Damit ist die Überweisung so beschlossen . Zugestimmt
haben CDU/CSU und SPD, dagegen waren Linke und
Bündnis 90/Die Grünen .

Damit stimmen wir heute über den Antrag auf Druck-
sache 18/10033 nicht in der Sache ab .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 34 a bis 34 f sowie
Zusatzpunkt 3 auf . Es handelt sich um die Beschlussfas-
sung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorge-
sehen ist . Das heißt, ich werde Ihnen jetzt länger etwas
vorlesen .

Tagesordnungspunkt 34 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Übereinkommen des Europarats
vom 16. Mai 2005 über Geldwäsche sowie Er-
mittlung, Beschlagnahme und Einziehung von
Erträgen aus Straftaten und über die Finan-
zierung des Terrorismus
Drucksache 18/9235
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)

Drucksache 18/9800

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/9800, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf
Drucksache 18/9235 anzunehmen . Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung ange-
nommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, Bündnis 90/Die
Grünen, SPD, dagegengestimmt hat die Linke .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe-
ben . – Wer stimmt dagegen? – Dann gibt es niemanden
mehr, der sich enthalten könnte . Damit ist der Gesetzent-
wurf angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, die
SPD und die Grünen, und dagegen war die Linke .

Tagesordnungspunkt 34 b:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Strafrechtsüber-
einkommen des Europarats vom 27. Januar
1999 über Korruption und dem Zusatzproto-
koll vom 15. Mai 2003 zum Strafrechtsüber-
einkommen des Europarats über Korruption

Drucksache 18/9234

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(6 . Ausschuss)


Drucksache 18/9850

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/9850, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/9234 anzunehmen .

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der
Gesetzentwurf einstimmig angenommen . Das passiert
auch nicht so oft . Vielen herzlichen Dank .

Tagesordnungspunkt 34 c:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Bundesbesoldungs- und -versorgungsan-

(BBVAnpG 2016/2017)


Drucksache 18/9533

Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-
ausschusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/9865


(8 . Ausschuss)


Drucksache 18/9866

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/9865, den Gesetzentwurf

der Bundesregierung auf Drucksache 18/9533 anzuneh-
men . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, um das Handzeichen . – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU, SPD und Linke, dagegen war niemand, und
enthalten hat sich Bündnis 90/Die Grünen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte jetzt diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erhe-
ben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist mit Zustimmung von CDU/CSU, SPD
und Linke bei Enthaltung von Bündnis 90/Die Grünen
angenommen .

Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten 34 d
bis 34 f und damit zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses .

Tagesordnungspunkt 34 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 364 zu Petitionen

Drucksache 18/9828

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 364 ist einstimmig an-
genommen .

Tagesordnungspunkt 34 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 Ausschuss)


Sammelübersicht 365 zu Petitionen

Drucksache 18/9829

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Niemand . Die Sammelübersicht 365 ist ange-
nommen . Zustimmt haben CDU/CSU, SPD und Linke,
dagegengestimmt haben die Grünen .

Tagesordnungspunkt 34 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petiti-
onsausschusses (2 . Ausschuss)


Sammelübersicht 366 zu Petitionen

Drucksache 18/9830

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 366 ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD, dagegenge-
stimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und die Linke .
Damit gibt es keine Enthaltungen .

Zusatzpunkt 3:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9 . Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Tabea Rößner, Katharina Dröge, Nicole
Maisch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


Mindestqualitätsvorgaben für Internetzugän-
ge einführen

Drucksachen 18/8573, 18/10062

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 18/10062, den Antrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/8573 abzu-
lehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschluss-
empfehlung ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/
CSU und SPD, dagegengestimmt haben Bündnis 90/Die
Grünen und die Linke .

Ich rufe den Zusatzpunkt 4 auf:

Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/CSU, SPD
und DIE LINKE

Wahl der Mitglieder des Stiftungsrates der
Bundesstiftung Baukultur gemäß § 7 des Ge-
setzes zur Errichtung einer „Bundesstiftung
Baukultur“

Drucksache 18/10021

Wer stimmt für den Wahlvorschlag der Fraktio-
nen von CDU/CSU, SPD und die Linke auf Drucksa-
che 18/10021? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun-
gen? – Der Wahlvorschlag ist einstimmig angenommen .

So, jetzt sind Sie wieder dran .

Ich rufe den Zusatzpunkt 5 auf:

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE

Umsetzung der Auflagen des Bundesverfas-
sungsgerichts zu CETA durch die Bundesre-
gierung

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort Klaus
Ernst für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819610400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, um über die
Umsetzung der Auflagen des Bundesverfassungsgerichts
hinsichtlich der vorläufigen Anwendung von CETA zu
beraten . Ich sage es Ihnen gleich an dieser Stelle: Es ist
aus meiner Sicht wirklich unverantwortlich, wie Sie ei-
nen Vertrag ohne Wenn und Aber vorläufig anwenden
wollten,


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


für dessen Anwendung Sie jetzt vom Bundesverfas-
sungsgericht hohe Auflagen erteilt bekommen haben. Da
haben wir Sie geschützt . Dafür können Sie uns dankbar
sein .


(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Dirk Wiese [SPD]: Ach, Quatsch! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Klaus, das glaubst du doch selber nicht! – Dr . Matthias Heider [CDU/CSU]: Da habt ihr doch verloren!)


Das Bundeswirtschaftsministerium behauptet in einer
Pressemitteilung:

. . . die Vorgaben aus dem Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts vom 13 .10 .2016 konnten . . . im Rat
einvernehmlich durchgesetzt werden .

Ist das wirklich so? Ich habe den Eindruck, dass die
Trickserei bei diesem Abkommen mit Geheimhaltung –
das galt ja sogar für das Mandat –, fehlender parlamen-
tarischer Mitsprache, vom Minister ausgemalte Katastro-
phenszenarien, wenn CETA nicht zustande käme, jetzt
beim Umgang mit dem Urteil des Bundesverfassungsge-
richts seine Fortsetzung findet.

Schauen wir uns im Detail an, was geregelt wurde .


(Dr . Matthias Heider [CDU/CSU]: Das ist eine Richterschelte!)


– Im Gegenteil . – Das Bundesverfassungsgericht hat ers-
tens entschieden: Die Bundesregierung muss entschei-
dende Bereiche von der vorläufigen Anwendung ausneh-
men – ich zitiere wörtlich aus dem Beschluss –:

… insbesondere Regelungen zum Investitions-
schutz, einschließlich des Gerichtssystems . . ., zu
Portfolioinvestitionen . . ., zum internationalen See-
verkehr . . ., zur gegenseitigen Anerkennung von Be-
rufsqualifikationen ... sowie zum Arbeitsschutz ...
nicht von der vorläufigen Anwendung erfasst wer-
den .


(Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Das ist nichts Neues!)


Ausgenommen werden sollen auch alle Bereiche, wel-
che nach Auffassung der Bundesregierung – ich zitiere
wieder – „in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten ver-
blieben sind“ . Dies sind, wie aus der Stellungnahme der
Bundesregierung in dem Gutachterverfahren von 2015
zur Kompetenzverteilung im Freihandelsabkommen mit
Singapur hervorgeht, zusätzlich zu den oben genann-
ten Bereichen die Bereiche „nachhaltige Entwicklung“,
„Arbeit und Umwelt“, „Streitbeilegung“, „Herstellungs-
praxis für pharmazeutische Produkte“ und „Geistiges Ei-
gentum“ gemäß Kapitel 20 CETA-Vertrag . So weit die
Vorgaben des Verfassungsgerichts .

Wie sieht die Umsetzung aus? Im Ratsdokument, das
uns seit gestern Abend mit den im Handelsministerrat
abgegebenen Protokollerklärungen zu CETA vorliegt,
wird zu einigen dieser Bereiche erklärt, dass mit deren
vorläufiger Anwendung keine Kompetenzübertragung
auf die EU stattfindet. Das hat das Bundesverfassungs-
gericht gar nicht gesagt . Das Bundesverfassungsgericht
hat gefordert: Diese Bereiche sollen ausgenommen wer-
den . – Aber ausgenommen werden diese Bereiche gerade
nicht . Das, was Sie machen, ist etwas ganz anderes als
die Ausnahme der vorläufigen Anwendung.


(Matthias Ilgen [SPD]: Unfug!)


Sie haben das Bundesverfassungsgericht in dieser Fra-
ge nicht ernst genommen, meine Damen und Herren . In
keiner Weise!

Zum Bereich Streitbeilegung nach Kapitel 29
CETA-Vertrag und Herstellungspraxis für pharmazeu-

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


tische Produkte nach Annex 7 CETA-Vertrag haben Sie
überhaupt nichts gesagt . Das beinhaltet aber der Be-
schluss des Bundesverfassungsgerichts . Dazu haben Sie
gar nichts erklärt .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Das steht so im Gesetz bei uns!)


Auch die zweite Auflage wird nicht umgesetzt. Re-
gelungen zum Gemischten CETA-Ausschuss, also eines
Gremiums, das CETA verbindlich interpretieren und
manche Bereiche ändern könnte, dürfen nur dann vorläu-
fig angewendet werden, wenn rechtsverbindlich eine hin-
reichende demokratische Rückbindung vereinbart wird,
so das Bundesverfassungsgericht .


(Dr . Matthias Heider [CDU/CSU]: Einstimmigkeit erforderlich!)


Die Kommission erklärt nur, dass in diesem Zeitraum bis
zum Hauptverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
keine Erweiterung oder bindende Interpretationen zu
CETA zu erwarten sind . Das ist etwas ganz anderes als
das, was das Bundesverfassungsgericht entschieden hat,
meine Damen und Herren .


(Beifall bei der LINKEN – Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: So ist das! – Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Weil das so im Gesetz steht!)


Der Rat und die Mitgliedstaaten sagen im Übrigen,
dass Entscheidungen des Ausschusses, die mitgliedstaat-
liche Kompetenzen betreffen, einstimmig angenommen
werden sollen . Im Beschluss des Bundesverfassungsge-
richts geht es aber um alle Beschlüsse, nicht nur um die-
jenigen, die als gemischt zu betrachten sind . Also auch
hier gibt es keine Umsetzung des Bundesverfassungsge-
richtsurteils .

Auch die Umsetzung der dritten Auflage, nach der
eine einseitige Beendigung der vorläufigen Anwendung
durch Deutschland möglich sein muss, ist uneindeutig .
Hier wird auf EU-Verfahren abgestellt . Wie diese aus-
sehen, wird nicht aufgeführt . Die Bundesregierung legt
den entsprechenden Artikel in CETA – anders als vom
höchsten Gericht gefordert – einfach so aus, dass man
einseitig aussteigen kann . Ob die anderen Länder und die
EU-Kommission das genauso sehen, ist vollkommen of-
fen . Es heißt nur, man erkläre, dass man als Vertragspar-
tei seine Rechte nach diesem Artikel wahrnehmen könne .
Wenn der Artikel aber anders ausgelegt wird, haben Sie
auch hier die Vorgaben des Verfassungsgerichts nicht er-
füllt .

Wir sehen: Wieder einmal haben die vollmundigen Er-
klärungen des Bundeswirtschaftsministers wenig mit der
Realität zu tun . Sollte es bei dieser Erklärung bleiben,
behalten wir uns neuerliche rechtliche Schritte vor, mei-
ne Damen und Herren, um das in aller Klarheit zu sagen .


(Beifall bei der LINKEN – Matthias Ilgen [SPD]: Ihr seid doch gescheitert!)


Wären Sie doch ähnlich standhaft wie Paul Magnette,
der Ministerpräsident der Wallonischen Region .


(Zurufe von der CDU/CSU)


Er lässt sich nicht einschüchtern und kämpft für einen de-
mokratischen Prozess, für ein gutes Abkommen statt für
ein Abkommen, das nur weniger schlecht ist als andere .
Respekt vor diesem Mann!

Ich danke fürs Zuhören .


(Beifall bei der LINKEN – Matthias Ilgen [SPD]: Ogottogott!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819610500

Vielen Dank, Klaus Ernst . – Nächster Redner: Andreas

Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1819610600

Frau Präsidentin, schön, dass Sie da sind .


(Heiterkeit)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819610700

Danke schön .


Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1819610800

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ende gut, alles gut?

Ja, vielleicht . Vielleicht klappt es doch, dass am 27 . Ok-
tober auf dem EU-Kanada-Gipfel das Freihandelsabkom-
men zwischen der Europäischen Union und Kanada un-
terschrieben wird und endlich ein Schlusspunkt gesetzt
wird, also dieses unwürdige Gerangel um dieses Freihan-
delsabkommen ein gutes Ende findet.

Was neben den ganzen juristischen Finessen wirklich
auf dem Spiel steht, hat der kanadische Premierminister
mit klaren Worten benannt . Er hat gesagt – ich zitiere –:

Wenn sich zeigt, dass Europa unfähig ist, einen fort-
schrittlichen Handelspakt mit einem Land wie Ka-
nada abzuschließen, mit wem glaubt Europa dann
eigentlich noch in den kommenden Jahren Geschäf-
te machen zu können?


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, diesem Satz ist nichts hinzu-
zufügen .

Um es noch klarer zu machen: Nicht die Mehrheit
der Mitgliedstaaten in Europa, sondern Deutschland, das
Land mit der größten Volkswirtschaft in Europa, Export-
weltmeister seit vielen Jahren und die wirtschaftliche Lo-
komotive in Europa, kämpft gegen den Freihandel .


(Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Europäische Union! Das ist nur ein Teil von Europa!)


Da muss man sich doch die Frage stellen, ob wir hier in
einer verkehrten Welt leben .

Meine Damen und Herren, die Gefahr, die von einem
Scheitern von CETA für die Reputation unseres Landes
und natürlich für Europa ausgeht, hat das Bundesverfas-
sungsgericht in seinen Folgeabwägungen ganz klar er-
kannt . Denn der Senat schreibt darin unter anderem:

Klaus Ernst






(A) (C)



(B) (D)


Ein – auch nur vorläufiges – Scheitern von CETA
dürfte über eine Beeinträchtigung der Außenhan-
delsbeziehungen … hinaus weit reichende Auswir-
kungen auf die Verhandlungen und den Abschluss
künftiger Außenhandelsabkommen haben .

Also auch hier gilt: Das Bundesverfassungsgericht hat
genau den Kern der Sache erkannt .

Herr Ernst, Sie haben ja bis heute nicht verstanden,
um was es eigentlich geht . Das, was Sie heute hier wieder
vorgetragen haben, kann ich gar nicht nachvollziehen;
denn all das ist Bestandteil des CETA-Abkommens und
ist Bestandteil der europäischen Gesetzgebung . Nach Ih-
rer Niederlage versuchen Sie jetzt natürlich, nach jedem
Strohhalm zu greifen, den Sie der Öffentlichkeit über-
haupt noch hinhalten können .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Von welcher Niederlage reden Sie eigentlich? Bei dem Bundesverfassungsgericht ist das natürlich ein Riesenerfolg!)


– Herr Dehm, beruhigen Sie sich!


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Die Auflagen erfüllen Sie mal!)


– Natürlich .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Selbstverständlich ist es ein Erfolg!)


– Vielleicht in Ihren Augen . Wenn das ein Erfolg ist, Herr
Dehm, dann sind Ihre Erfolgsmaßstäbe, die Sie sich sel-
ber noch setzen, wirklich sehr niedrig .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Seit 2009 wird über CETA verhandelt, und die letzten
sieben Jahre der Verhandlungen haben sich für beide Sei-
ten ausgezahlt . CETA ist das modernste Freihandelsab-
kommen, das zurzeit überhaupt existiert . CETA setzt die
Maßstäbe für die Gestaltung des Handels in der Zukunft .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Thema verfehlt! Setzen!)


Genau an dieser Stelle, meine Damen und Herren, wer-
den ja auch die Unterschiede in diesem Hohen Haus sehr
deutlich . Während die Linken und auch die Grünen wei-
terhin versuchen, das Handelsabkommen zu torpedieren
und zu blockieren sowie mit halbwahren Elementen den
Menschen in der Öffentlichkeit Angst zu machen, haben
die Koalitionsfraktionen immer zu den Verhandlungen
über CETA gestanden und sie zu einem guten Abschluss
gebracht . Gerade die Verhandlungen in den letzten Wo-
chen haben doch gezeigt, dass beide Seiten, Kanada und
die Europäische Union, auf einem guten Weg sind .

Dass Freihandel nicht wirklich die Aufmerksamkeit in
der Öffentlichkeit hat, wie Linke und Grüne immer wie-
der darzustellen versuchen, zeigt Folgendes: Wir haben
ein Abkommen mit Südkorea geschlossen . Wir haben
ein Abkommen mit Singapur geschlossen . Wir haben ein
Abkommen mit Vietnam ausgehandelt, das sich gerade
in der Rechtsprüfung befindet. Ich habe von beiden Op-
positionsfraktionen nie einen Antrag in diesem Hohen

Haus gelesen, in dem sie sich mit diesen Abkommen be-
fassen . Und die Europäische Union verhandelt mit Japan,
mit Tunesien, mit den Mercosur-Staaten und mit Mexiko
weitere Abkommen . Wir brauchen diese Freihandelsab-
kommen, weil der Doha-Prozess innerhalb der Welthan-
delsorganisation nicht mehr vorangekommen ist .

Ich sage es noch einmal: Deutschland als Exportwelt-
meister ist auf freien Handel angewiesen . Wir als CDU/
CSU-Fraktion stehen hinter CETA und hoffen, dass am
27 . Oktober die Unterschrift unter das Abkommen ge-
setzt wird .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819610900

Vielen Dank, verehrter Andreas Lämmel . – Nächste

Rednerin: Katharina Dröge für Bündnis 90/Die Grünen .


Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819611000

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen von Union und SPD! Wieder einmal
wurde Ihnen bescheinigt, dass Sie in Sachen CETA nicht
einhalten können, was Sie versprechen .


(Matthias Ilgen [SPD]: Unsinn! – Bernd Westphal [SPD]: Sie haben das Urteil nicht gelesen!)


Diesmal haben Ihnen die Richter in Karlsruhe eine Reihe
zusätzlicher Maßnahmen und Nachbesserungen mit auf
den Weg gegeben, die Sie in hektischer Weise bis zur
Ratssitzung am vergangenen Dienstag zu erfüllen ver-
sucht haben .


(Bernd Westphal [SPD]: Das ist eine Leistung! – Zuruf von der CDU/CSU: Welche denn?)


Ich kann sie noch einmal nennen: Zusätzliche Aus-
nahmen von der vorläufigen Anwendung von CETA
mussten Sie bis gestern nachverhandeln genauso wie
die Herstellung einer Einstimmigkeit im Rat, bevor die
CETA-Ausschüsse Entscheidungen treffen können, weil
deren demokratische Rückbindung alles andere als klar
ist . Weiterhin wurde nachverhandelt, dass die Bundesre-
publik die vorläufige Anwendung einseitig beenden kann.
All das hat Ihnen Karlsruhe mit auf den Weg gegeben,
weil nicht alles so eindeutig, so klar und so verfassungs-
mäßig war, wie Sie es dargestellt haben . Das Einziehen
all dieser Sicherheitslinien hat Ihnen Karlsruhe mit auf
den Weg gegeben; und diese mussten Sie sehr hektisch
nachverhandeln .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias Ilgen [SPD]: Aber wir haben es geschafft!)


Man hätte meinen können: Nach dieser Klatsche in
Karlsruhe


(Lachen bei der CDU/CSU und der SPD)


Andreas G. Lämmel






(A) (C)



(B) (D)


hätten Sie wenigstens etwas im Umgang mit Gesetzen
gelernt .


(Matthias Ilgen [SPD]: Sie leben auf einem anderen Stern!)


Aber das Ganze setzt sich im Wirtschaftsausschuss fort .


(Zurufe von der CDU/CSU: Antrag abgewiesen! Alle Anträge abgewiesen!)


Beispielsweise gibt es ein Beteiligungsrecht des Deut-
schen Bundestages, demzufolge er Dokumente zugeleitet
bekommen muss, die Sie im Europäischen Rat einbrin-
gen . Dies gilt auch für Entwürfe, die Sie vorhaben ein-
zubringen, sowie vor allen Dingen für die Dokumente,
die Sie von der Europäischen Union bekommen . Nichts
davon ist passiert . Alle Dokumente über die Vereinba-
rungen, die am vergangenen Dienstag getroffen worden
sind, hat der Wirtschaftsausschuss erst gestern bekom-
men – gestern Abend .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: So ist es! Schlag ins Gesicht des Parlaments!)


Wir haben Staatssekretär Machnig im Wirtschafts-
ausschuss gefragt, wieso er die Beteiligungsrechte des
Deutschen Bundestags ignoriere . Darauf hörten wir nur:
Wissen Sie, Frau Dröge, in der Praxis sieht das alles an-
ders aus . Das war so hektisch nach dem Gerichtsurteil .
Wir mussten das jetzt irgendwie machen . Das müssen Sie
verstehen . Das können wir irgendwie auch nicht anders
machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Das war wortwörtlich so . Ihre Kollegen waren auch da-
bei und können das bestätigen .

Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Diese Arroganz der
Macht,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD)


die Sie gestern im Wirtschaftsausschuss gezeigt haben,
ist Teil Ihres Problems beim Umgang mit CETA . Sie
zeigt sich darin, dass Sie berechtigte Kritik nicht ernst
nehmen, dass Sie Beteiligungsrechte und Verfahren nicht
ernst nehmen, dass Sie die Kontrollmöglichkeiten des
Deutschen Bundestags nicht ernst nehmen


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Richtig!)


und dass Sie das Urteil der Öffentlichkeit nicht ernst neh-
men . Denn was wir in den letzten drei Jahren mit CETA
erlebt haben, war eine beispiellose Illusionsshow . Drei
Jahre lang erzählen Sie uns, dass Sie genau hinschau-
en, dass Sie zusehen würden, dass im Vertrag noch et-
was nachgebessert werde, dass ein SPD-Konvent im
Jahr 2014 rote Linien eingezogen habe . Dann gab es
im Jahr 2015 noch das Versprechen: Wir werfen die
Schiedsgerichte aus CETA heraus . Im Jahr 2016 gab es
einen weiteren Beschluss des SPD-Konvents, der besagt,
dass das Abkommen noch einmal nachverhandelt werden
soll . Sogar in Ihrer Stellungnahme gemäß Artikel 23 des

Grundgesetzes haben Sie eine Nachbesserung verspro-
chen .

Das Blöde all dieser Versprechen ist, dass sie über-
prüft werden können . Aber Ihre Erklärungen – auch die-
jenige, die Sie gestern Abend dem Bundestag zugeleitet
haben – halten einer Überprüfung nicht stand .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Nichts von dem, was Sie versprochen haben, haben Sie
durchsetzen können . Mithilfe einer sechsseitigen Tabelle
in kleiner Schrift habe ich die Beschlüsse des SPD-Kon-
vents, das Freeland-Papier und Ihre Artikel-23-Stel-
lungnahme mit dem verglichen, was Sie erreicht haben .
Ich habe festgestellt: Nichts! Das ist eine beschämende
Bilanz dessen, was Sie in den letzten Wochen gemacht
haben .

Aus der Wissenschaft hagelt es zu Recht Kritik . Hun-
dert Juraprofessoren haben Ihnen einen Brief geschrieben
und gesagt, dass die im Rahmen von CETA vereinbarten
Schiedsgerichte weiterhin eine große Gefahr darstellen .
Selbst Gutachter, die die Bundesregierung beauftragt hat,
teilen Ihnen mit, wie schlecht die Verbesserungen sind,
die Sie in nachträglichen Protokollerklärungen erreichen
wollen . Ich zitiere:

Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Gemein-
same Auslegungserklärung die bisherige Kritik am
CETA-Kapitel zum Investitionsschutz nicht relati-
viert, da für keinen der umstrittenen und kritischen
Punkte rechtssichere Verbesserungen oder Lösun-
gen angeboten werden .

Das ist das vernichtende Urteil, das ein Gutachter, den
Sie selbst beauftragt haben, über die Protokollerklärun-
gen, die Sie von SPD und Union in Teilen so hochhalten,
fällt .

Nun müssen Sie den Menschen erklären, was Sie von
dem, was Sie versprochen haben, tatsächlich halten . Es
ist gerade ein, zwei Wochen her, dass wir im Bundes-
tag über Nachbesserungen und Protokollerklärungen
gesprochen haben . Sie haben als Bundesregierung noch
eine kleine Bedenkzeit . Durch das Nein der wallonischen
Regionalregierung haben Sie noch einmal Zeit, nachzu-
denken, ob Sie nicht wenigstens das, was Sie selbst im
Bundestag sagen, ernst nehmen und die Nachbesserun-
gen, die Sie hier im Bundestag versprochen haben, noch
durchsetzen sollten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Herr Gabriel, da Sie mittlerweile auch anwesend sind:
Sie haben noch eine große Chance, den Menschen in die-
sem Land zu erklären, was Sie noch herausholen werden
oder warum Sie das nicht halten, was Sie gesagt haben .

Ich danke Ihnen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Katharina Dröge






(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819611100

Vielen Dank, Katharina Dröge . – Nächster Redner:

Bernd Westphal für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Bernd Westphal (SPD):
Rede ID: ID1819611200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin froh,
dass wir heute im Bundestag noch einmal Gelegenheit
haben, über CETA, das Freihandelsabkommen zwischen
der EU und Kanada, zu diskutieren . Über Freihandelsab-
kommen ist in den letzten drei Jahren im Hohen Haus,
in den Ausschüssen und den Fraktionen intensiv disku-
tiert worden . Ich sehe das keineswegs als Problem, son-
dern als Zeichen einer lebendigen, diskussionsfreudigen
Demokratie . Wir kommen damit übrigens der Integrati-
onsverpflichtung gegenüber dem Parlament nach. Diese
müssen wir auch in dieser Frage erfüllen .

Es ist nun einmal Fakt, dass in der Öffentlichkeit über
Freihandelsabkommen aufmerksamer und kritischer dis-
kutiert wird . Aber warum ist das so? Weil es nicht nur um
den Abbau von Zöllen geht, sondern weil wir mit Frei-
handelsabkommen auch ein Instrument haben, mit dem
wir im sozialen Bereich, beim Verbraucherschutz, beim
Umweltschutz und auch beim Investitionsschutz andere
Standards etablieren können . Wir wollen dieses Instru-
ment nutzen, um den globalen Handel zu gestalten .

Die gesellschaftlichen Initiativen und Gruppen stel-
len berechtigte Fragen . Sie sollten bei ihren Entschei-
dungsprozessen ernst genommen werden . Wenn ich die
verschiedenen Parteien und Fraktionen miteinander ver-
gleiche, um herauszufinden, wer sich mit den entspre-
chenden Inhalten und kritischen Fragen am intensivsten
auseinandergesetzt hat, dann stelle ich fest, dass das die
SPD ist . Sie hat als Partei und Fraktion darüber inter-
fraktionell, aber auch mit verschiedenen Akteuren sehr
ausführlich gesprochen . Einen so intensiven Dialog hat
keine andere Partei geführt .


(Beifall bei der SPD – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben aber nichts erreicht!)


Der Deutsche Bundestag hat im letzten Monat eine
Stellungnahme zum CETA-Abkommen abgegeben . Da-
mit ist eine konstruktive Mitarbeit an diesem Abkommen
von der Koalition geleistet worden . Das kann sich sehen
lassen .


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist wirkungslos geblieben!)


Seit Montag liegt der Beschluss des Bundesverfassungs-
gerichts vor . Die Anrufung des höchsten deutschen Ge-
richts vor einer Ratsbefassung zur vorläufigen Anwen-
dung eines Handelsabkommens ist ungewöhnlich, aber
legitim . Wenn Bürger Ängste und Sorgen haben, dann
ist es möglich, dass Bürgerinitiativen eine Verfassungs-
beschwerde erheben . So hat es auch die Linkspartei ge-
macht .

Das Bundesverfassungsgericht hat sich letzte Woche
sehr ausführlich sowohl mit den verschiedenen Aspekten
der demokratischen Rückbindung der CETA-Ausschüsse
als auch mit der vorläufigen Anwendung, aber auch mit
der Aufkündigung des Abkommens beschäftigt . Klar ist
auch, dass alle Anträge – das muss man einmal, glaube
ich, wahrnehmen; auch Kollege Ernst war dabei – vom
Bundesverfassungsgericht abgelehnt worden sind .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist etwas, was man doch nicht einfach so wegwi-
schen kann . Sie haben vor dem Bundesverfassungsge-
richt eben kein Recht bekommen .


(Zuruf des Abg . Dr . Diether Dehm [DIE LINKE])


Ich will hier ausdrücklich unseren Bundeswirtschafts-
minister loben, der es nicht nur national, in der Bundes-
regierung, sondern auch mit den anderen Mitgliedstaaten
in Europa und mit der Europäischen Kommission hinbe-
kommen hat, diese Auflagen für den Vertrag rechtskon-
form zu erfüllen und durchzusetzen . Das ist eine Leis-
tung in dieser kurzen Zeit, die beachtlich ist . Herzlichen
Dank dafür .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Es ist doch gar nichts passiert!)


Die Verfahren mögen in den letzten Tagen und Wo-
chen manchmal mühsam gewesen sein, aber am Ende
hat es sich doch gelohnt . Die Bürger Deutschlands und
Europas haben durch diese zusätzlichen Erklärungen
und Beschlüsse auf jeden Fall mehr Transparenz und die
Möglichkeit, die Auswirkungen dieser Bedingungen zu
erfahren .

Damit hat die Bundesregierung, die in Europa trei-
bende Kraft war, diese Dinge mit nach vorne gebracht .
Ich kann Ihnen ganz ehrlich sagen, dass wir mit diesen
Vorbereitungen den Weg frei gemacht haben, damit unser
Minister im Ministerrat diese Zustimmung hätte geben
können . Nun ist ein kleiner Bereich in Europa anderer
Meinung . Ich denke, dass wir morgen im Rat sicherlich
die Chance haben, dieses wichtige Abkommen noch zu
entscheiden .

Was hätte es für handelsrechtliche und politische
Folgen, wenn Deutschland es nicht schaffen würde, ei-
nen Beitrag dazu zu leisten, dass die europäischen Mit-
gliedstaaten dieses Abkommen ratifizieren? Das würde,
was die Glaubwürdigkeit, die Handelspartnerschaft und
was zukünftige Abkommen angeht, sicherlich einen po-
litischen Schaden hinterlassen . Die Frage ist doch: Mit
welchen Ländern wollen wir denn noch Abkommen
schließen, wenn wir es mit Kanada nicht hinbekommen?
Deshalb ist es wichtig, dass dieses Abkommen nächste
Woche auf dem Europa-Kanada-Gipfel zur Unterzeich-
nung vorliegt .

Bis zur Unterzeichnung in der nächsten Woche sollten
nun noch abschließende Gespräche geführt und weitere
Begleittexte erarbeitet werden . Ich bin hoffnungsvoll,
dass es in der nächsten Woche gelingen wird, entspre-






(A) (C)



(B) (D)


chende Rahmenbedingungen für die Unterzeichnung zu
schaffen . Wir als Sozialdemokraten haben den politi-
schen Anspruch, den globalen Handel nicht nur frei, son-
dern auch fair zu gestalten .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819611300

Vielen Dank, Bernd Westphal . – Nächster in der De-

batte: Dr . Matthias Heider für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Matthias Heider (CDU):
Rede ID: ID1819611400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen von den Linken, Sie könnten
jetzt eigentlich ganz entspannt mit dem Thema umge-
hen, da Ihre Anträge vollumfänglich vom Bundesverfas-
sungsgericht abgewiesen worden sind . Aber wir sprechen
wieder einmal über das Thema heute . Sicherlich ist es
angezeigt, dass man immer wieder auf die Sorgen der
Menschen eingeht .

Aber ich sehe, dass der Umgang bei Ihnen mit dem
Thema nicht so entspannt ist; denn an Ihrem Fraktionssit-
zungssaal prangt ein Schild: „Ceta und mordio!“ . Da ma-
che ich mir doch schon ein bisschen Sorgen . „Zeter und
Mordio“ ist ein Ausspruch gewesen, mit dem im Mittel-
alter der Ankläger das Gerichtsverfahren wegen Mord,
Totschlag, Raub und anderer Dinge eingeläutet hat . Wie
unpassend, dass Sie sich diesen Satz ausgesucht haben,
um für Ihre Kampagne Werbung zu machen .


(Zuruf von der CDU/CSU: Unanständig!)


„Ceta und mordio!“ passt an dieser Stelle überhaupt
nicht . Das muss ich Ihnen sagen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich bin froh, dass die Bundesregierung nun dem
CETA-Abkommen nach dem Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts zustimmen darf und diese Zustimmung
auch gestern im Kabinett beschlossen hat .

Wissen Sie eigentlich, warum das Bundesverfas-
sungsgericht so entschieden hat? Das Gericht musste
eine Abwägung treffen, ob es für Deutschland Nachtei-
le hat, wenn die Bundesregierung nicht zustimmt . Das
Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass es für
Deutschland schlechter wäre, wenn die Bundesregierung
dem Abkommen nicht zustimmt . Für mich hat das wenig
Überraschendes . Seit drei Jahren teilen wir Ihnen näm-
lich diese jetzt vom Bundesverfassungsgericht bestätigte
Meinung mit: Für Deutschland ist es besser, wenn wir
da mitmachen . Es ist besser, sich für Freihandel statt für
Protektionismus einzusetzen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich zitiere aus dem Urteil des Bundesverfassungsge-
richts:

Ein – auch nur vorläufiges – Scheitern von CETA
dürfte über eine Beeinträchtigung der Außenhan-
delsbeziehungen zwischen der Europäischen Union
und Kanada hinaus weitreichende Auswirkungen
auf die Verhandlungen und den Abschluss künftiger
Außenhandelsabkommen haben . Insofern erscheint
naheliegend, dass sich der Erlass einer einstweiligen
Anordnung negativ auf die europäische Außenhan-
delspolitik und die internationale Stellung der Euro-
päischen Union insgesamt auswirken würde .

Wollen Sie das? Wollen Sie, dass Deutschland und
Europa bei den internationalen Handelsbeziehungen ins
Hintertreffen geraten? Wollen Sie, dass andere Staaten
auf der Welt die Standards setzen? Wollen Sie mehr Pro-
tektionismus? Ich will das nicht .


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Die Linke will das!)


Protektionismus bietet keine Perspektive im interna-
tionalen Bereich . Auch für die Verbraucher und die Un-
ternehmen bedeutet das Nachteile . Für die Arbeitnehmer
in Deutschland würde ein Verzicht auf Freihandel den
Verlust von Arbeitsplätzen bedeuten; denn jeder vierte
Arbeitsplatz in Deutschland hängt, meine Damen und
Herren, vom Export ab . Und viele Unternehmen gäbe es
erst gar nicht, wenn Deutschland und die EU nicht im
Rahmen einer Vielzahl von Freihandelsabkommen tätig
geworden wären .

Ich komme zurück zum Urteil des Gerichts . Es gibt
einige Vorgaben . Auch die sind schon zum großen Teil
berücksichtigt . Laut Bundesverfassungsgericht darf die
Bundesregierung einem Ratsbeschluss zustimmen, wenn
diese Maßgaben angewendet werden . Das ist auch in
Ordnung .

Sie haben sich über das Konstrukt der vorläufigen An-
wendbarkeit insgesamt aufgeregt .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Nein! Das Gericht hat sich aufgeregt!)


Sie wissen aber wohl nicht, dass das Instrument der
vorläufigen Anwendbarkeit sogar im Arbeitsvertrag der
Europäischen Union verankert ist und es gängiger euro-
päischer und internationaler Rechtsprechung entspricht .
Auch beim Wiener Vertragsrechtsübereinkommen – da
sind wir seit 1987 Mitglied, Herr Dehm – gibt es eine
Regelung zur vorläufigen Anwendung von internationa-
len Verträgen . Dagegen haben Sie an dieser Stelle noch
nie gesprochen . Das wundert uns schon ein bisschen . Die
vorläufige Anwendbarkeit gibt es auch im GATT-Ab-
kommen . Das ist 47 Jahre lang provisorisch so gehand-
habt worden . Darüber hat sich auch noch nie jemand be-
schwert . Sie tun das jetzt .

Meine Damen und Herren, es würde ein etwas
schlechtes Licht auf die Rechtsprechung werfen, wenn
sie so wäre, wie Sie es dargestellt haben . Aber sie besteht
so nicht . Das würden Sie feststellen, wenn Sie es genau
beleuchten würden .

Ich meine, wir sollten an der Stelle jetzt einen Gang
zurückschalten . Wir haben einen Richterspruch des Bun-
desverfassungsgerichts . Es ist überhaupt keine Rich-

Bernd Westphal






(A) (C)



(B) (D)


terschelte geboten . Und ein Hineindeklinieren von po-
litischen Meinungen, die Sie gerne hätten, ist an dieser
Stelle nicht mehr erforderlich . Ich sehe gute Chancen
dafür, meine Damen und Herren, dass das Bundesver-
fassungsgericht in der Hauptsache genauso entscheiden
wird wie bei der vorläufigen Entscheidung.

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819611500

Vielen Dank, Dr . Heider . – Nächster Redner ist

Dr . Diether Dehm .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Jörg-Diether Dehm-Desoi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819611600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Herr Lämmel und Herr Westphal, hören Sie auf
mit der Panikmache,


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Max Straubinger [CDU/CSU]: Wer macht hier Panik?)


dass, wenn es zu CETA nicht käme, die Welt und die
Wirtschaft zusammenbrächen . Seit 2005 – führen Sie
sich das einmal zu Gemüte – sind die Importe – Quelle
ist die EU-Kommission – um 64 Prozent und die Expor-
te nach Kanada um 50 Prozent gestiegen . Sie sind ohne
CETA seit 2005 bis heute kontinuierlich gestiegen . Sie
meinen vielleicht, mit CETA hätten wir 100 Prozent . Was
träumen Sie nachts?

Der Brexit hat die Krise der EU weiter verschärft . Der
Nobelpreisträger Joseph Stiglitz sieht den Euro geschei-
tert . Auch unter den Deutschen hat die EU kein sonder-
lich großes Vertrauen .


(Dr . Matthias Bartke [SPD]: Panikmache!)


Und so ziemlich die Einzigen, die sich – neben der Deut-
schen Bank und RWE – bei Ihnen für dieses Geschäfts-
modell EU bedanken können, sind AfD und Le Pen .

Die Linke hat stets vor den Mängeln an Demokratie,
an sozialstaatlicher Bodenhaftung im EU-Recht und vor
Konzernradikalismus und Verarmung gewarnt . Sie aber
sind selbstgefällig wie die Großjunker darüber hinweg-
getrampelt . Wir lehnen diese EU ab, weil wir um die
Friedensidee Europa ringen, damit Erwerbstätige wie Er-
werbslose, Handwerker und Landwirte Europa als Hei-
mat ihrer sozialen Sicherheit erfahren .


(Beifall bei der LINKEN)


Darum hat unsere Fraktion damals auch den Lissa-
bon-Vertrag in Karlsruhe überprüfen lassen . Beim Bun-
desverfassungsgericht müssen Sie immer auf 100 Pro-
zent klagen; denn Sie wissen, dass man am Ende nur 60
oder 70 Prozent erreicht . Da sitzen ja auch Leute, die
nicht ganz unabhängig von Parteien da reingekommen
sind . Immerhin haben wir damals bei der Klage um den
Lissabon-Vertrag erreicht, dass die Mitwirkungsrechte
des Parlaments ausgeweitet wurden und dass – ich zitiere

jetzt einmal aus § 1 EUZBBG – die Bundesregierung den
Bundestag „umfassend und zum frühestmöglichen Zeit-
punkt zu unterrichten“ hat . Die Rechte des Bundestags
sind hier vom Bundesverfassungsgericht klar definiert
worden . „Umfassend und zum frühestmöglichen Zeit-
punkt!“

Bundesregierung und Presse haben weithin versäumt,
auf die strikten Auflagen, die Sie auch wieder beiseite-
wischen, Herr Westphal, des Verfassungsgerichts vom
13 . Oktober aufmerksam zu machen – Klaus Ernst hat
das alles schon erwähnt –: dass sich erstens Regelungen
nur auf EU-Kompetenzen beziehen dürfen, dass zweitens
die gemischten Ausschüsse nicht selbstständig Änderun-
gen vornehmen dürfen und dass drittens die vorläufige
Anwendbarkeit sofort beendet werden muss, wenn es zu
Zweideutigkeiten kommt .

Aber was tut die Bundesregierung? Sie übermittelt
für den Rat der Handelsminister am 18 . Oktober 2016
dem Bundestag lediglich einen undatierten Vorbericht .
Dann folgt ein neuer Vermerk, wieder undatiert, nicht ge-
zeichnet, juristisch hoch verschlüsselt und in englischer
Sprache . Am gestrigen Abend gab es schließlich einen
längeren Text, wieder nur in englischer Sprache und wie-
der, ohne direkt auf die Einwände des Gerichtsurteils ein-
zugehen . Das Handelsblatt wusste hingegen schon vor
dem Bundestag, dass der Rat „diesen Ergänzungen zu-
gestimmt hatte“, und degradierte das Ganze zu einem –
ich zitiere wieder – Absegnenlassen . Diese Ergänzungen
waren dem Bundestag also nicht zum frühestmöglichen
Zeitpunkt bekannt . In der liederlichen Form und der Zeit-
knappheit eine Zumutung für das deutsche Parlament,
Herr Gabriel!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kauder ließ zwar alle europäischen Demokraten
zusammenzucken, als er triumphierte, in Europa würde
endlich wieder deutsch gesprochen . Aber gegenüber der
deutschen Öffentlichkeit sprechen Sie englisch und in
Rätseln .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ob in diesem Konvolut auch nur irgendetwas den Anfor-
derungen des Bundesverfassungsgerichts gerecht wird,
kann seriös so gar nicht geprüft werden, zumal völlig
unklar ist, welche rechtliche Bedeutung diese Zettel-
sammlung für den CETA-Vertrag wirklich hat, beson-
ders für Arbeitnehmerrechte und beim Investitionsschutz
für Konzerne . Angesichts dieser Situation – Klaus Ernst
hat das schon gesagt – wird es kaum einen anderen Weg
geben, als beim Bundesverfassungsgericht erneut eine
einstweilige Anordnung zu beantragen .


(Beifall bei der LINKEN – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das gibt es doch gar nicht!)


Was Glyphosat für die Gesundheit ist, sind CETA und
TTIP für die europäische Idee: Reines Gift! Darum danke
ich den Wallonen . Bleibt stark und standhaft!


(Beifall bei der LINKEN)


Dr. Matthias Heider






(A) (C)



(B) (D)


Darum danke ich vor allen Dingen den vielen Hundert-
tausend Demonstranten gegen TTIP und CETA: Wir
schaffen das!


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Wovon träumen Sie nachts? Von der Weltherrschaft?)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819611700

Vielen Dank, Diether Dehm . – Nächster Redner ist der

Bundesminister Sigmar Gabriel .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das, was
der Kollege Dehm eben als „Zettelsammlung“ bezeich-
net hat, sind die Beschlüsse des Europäischen Rates .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Ja, ja! Absichtlich!)


Diese Beschlüsse haben wir herbeigeführt. Dort finden
Sie die drei Auflagen des Bundesverfassungsgerichtes
wieder. Erstens die Klärung, wie die vorläufige Anwen-
dung zu Ende gebracht wird, wenn ein Mitgliedstaat sich
gegen CETA entscheidet . Zweitens die Abgrenzung, was
europäisches Recht und was nationales Recht ist . Und
drittens die Feststellung, dass die gemischten Ausschüsse
selbstverständlich kein Recht haben, etwas zu beschlie-
ßen, sondern dass sie beratend tätig sind und ansonsten
der Ministerrat diese Beschlüsse erst fassen muss . Das
kann man auf Deutsch lesen . Das kann man auf Englisch
lesen . Vor allen Dingen aber ist es erst vor zwei Tagen
verabschiedet worden . Deshalb ist es auch noch nicht bei
Ihnen gelandet . Ich weiß, Sie sind schnell . Gelegentlich
ist es aber auch gut, wenn man etwas langsam liest . Dann
versteht man es besser .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich habe zum Beispiel Jürgen Trittins Rede hier zu
CETA in guter Erinnerung, weil ich mir die damals ange-
hört habe . Ich habe immer versucht, die Dinge, die hier
im Parlament als Frage oder als Kritik genannt worden
sind – Jürgen Trittins Rede war ganz wesentlich auf das
Thema Vorsorgeprinzip ausgerichtet –, ernst zu nehmen
und dann auch zu klären . Deswegen gibt es jetzt eine Er-
klärung, die gemäß Artikel 31 des Wiener Vertragsstaa-
tenübereinkommens rechtsverbindlich ist, zum Beispiel
zum Thema Vorsorge . Dort steht unter anderem: CETA
wird unsere jeweiligen Standards und Vorschriften im
Zusammenhang mit Lebensmittelsicherheit, Produktsi-
cherheit, Verbraucherschutz, Gesundheitsschutz, Um-
weltschutz und Arbeitsschutz nicht absenken . Einge-
führte Waren, Dienstleistungserbringer und Investoren
müssen weiterhin den innerstaatlichen Anforderungen
einschließlich der Vorschriften und Regelungen genü-
gen . Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union und
Kanada bekräftigen ihre Verpflichtung im Hinblick auf
die Vorsorge .

Das ist rechtsverbindlich nach Artikel 31 des Wiener
Vertragsstaatenübereinkommens . Ich frage mich: Warum
sind Sie nicht einmal zufrieden, wenn die Dinge, die Sie
hier öffentlich vortragen, von uns umgesetzt werden?


(Zuruf des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE])


– Sie finden im Internet zu jeder Frage einen Gutachter.
Das ist die Voraussetzung dafür, um Anwälte zu beauf-
tragen . Das ist ein in Deutschland übliches und erlaubtes
Geschäftsmodell . Aber im Parlament muss man doch froh
sein, wenn die Sorgen der Bevölkerung durch rechtsver-
bindliche Klarstellung, was in CETA nicht passiert und
was in CETA passiert, berücksichtigt werden . Wenn Sie
aber von „selbstgefällig wie die Großjunker“ sprechen,
dann frage ich mich: Haben Sie eigentlich ein einziges
Mal mit der Regierung Griechenlands gesprochen, die
CETA unbedingt will? Haben Sie das einmal getan?


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Das haben wir!)


– Ich weiß nicht, ob Sie sich hier dazu äußern wollen .
Das können Sie gerne machen .

Eines muss jeden, der kritisch auf CETA blickt, trotz-
dem einen Moment nachdenklich machen – das gilt auch
für die Grünen –, nämlich dass im Handelsministerrat
von 28 Mitgliedstaaten 28 erklären, sie wollen das Ab-
kommen . Zwei Staaten, nämlich Rumänien und Bulga-
rien, haben noch nicht zugestimmt, weil sie noch eine
Visafrage geklärt haben wollen . Belgien kann noch nicht
zustimmen, weil Wallonien – ein Land wie bei uns die
Bundesländer – seine Zustimmung bislang verweigert .
Derzeit ist die Abstimmung über CETA angehalten, weil
ein Regionalparlament sagt: Wir wollen es nicht .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie gegen Regionalparlamente?)


– Ich habe überhaupt nichts gegen Regionalparlamente .
Ich schildere einen Sachverhalt. Ich finde, hier muss man
sich wenigstens eine Sache fragen: Könnte es sein, dass
der hohe Ton der Kritik und die Selbstgefälligkeit bei ei-
nem selber stattfinden und dass nicht alle anderen blöd
sind?


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Alle anderen sollen blöd sein? Ich fand die Debatten
deshalb hilfreich, weil sie dazu geführt haben, Dinge zu
klären .

Aber es muss doch auch irgendwie nachdenklich ma-
chen, wenn unter den 28 Staaten, die das wollen, Staaten
sind, in denen die Linke die Regierung stellt . Sie kämp-
fen immer für Griechenland . Davor habe ich großen Res-
pekt . Warum sind Sie eigentlich da der Meinung, dass
das, was die Griechen wollen, und dass deren Erwartun-
gen an CETA Junkertum sei? In Schweden sind die Grü-
nen in der Regierung, in einigen anderen Ländern auch .
Die wollen von mir, dass ich TTIP realisiere . Natürlich
sind sie sowieso für CETA .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. Diether Dehm






(A) (C)



(B) (D)


Mir geht es gar nicht darum, dass ich Ihre Kritik vom
Tisch wischen will. Aber ich finde, der Ton der Debatte
erinnert sehr daran, dass am eigenen Wesen Europa ge-
nesen soll .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist jetzt ein bisschen heftig!)


– Nein, das ist überhaupt nicht heftig, weil der Rest der
europäischen Mitgliedstaaten das genau so versteht .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Dann würde ich es nicht sagen!)


– Ich weiß schon, was ich gesagt habe . Bei solchen Zita-
ten kenne ich mich ganz gut aus .

Aber, wenn man schon über Selbstgefälligkeit im Jun-
ker- oder Großjunkertum spricht, dann muss man beach-
ten, dass der berühmte Satz „Wenn man mit dem Finger
auf andere zeigt, dann zeigen mindestens drei Finger auf
einen zurück“ sehr wahrscheinlich zutrifft . Deswegen
bitte ich darum, dass wir trotz aller unterschiedlichen
Beurteilungen abwarten, was dort drinsteht oder nicht
drinsteht .

Ich sehe einer weiteren Klage vor dem Bundesverfas-
sungsgericht als Eilantrag gelassen entgegen . Wie das
Verfassungsgericht in der Hauptsache urteilen wird, wis-
sen wir alle noch nicht . Ich bin relativ sicher, dass das
Abkommen in der Hauptsache auch akzeptiert wird, und
zwar gerade wegen der Klarstellungen nach Artikel 31
des Wiener Vertragsstaatenübereinkommens, aber übri-
gens auch, weil nicht Sie über die Frage entscheiden, ob
die Auflagen des Verfassungsgerichts eingehalten wor-
den sind – ich übrigens auch nicht –, sondern das Verfas-
sungsgericht selbst . Ja, hier bin ich ganz gelassen, weil
wir diese Auflagen am letzten Dienstag hineinverhandelt
haben .

Die Bundesregierung hat dort gesagt: Wir können dem
nicht zustimmen, wenn die Auflagen des Bundesverfas-
sungsgerichts heute in der Sitzung des Rates nicht als
Ratsstandpunkt angenommen werden . – Wir haben uns
nicht damit zufriedengegeben, dort nur eine rechtsver-
bindliche Erklärung der Bundesregierung abzugeben –
nur das war übrigens die Auflage des Verfassungsge-
richts; es hat gar nicht von uns verlangt, dass wir einen
Ratsstandpunkt herbeiführen –, sondern haben diesen
Ratsstandpunkt herbeigeführt .


(Zuruf des Abg . Alexander Ulrich [DIE LINKE])


Die anderen 27 Mitgliedstaaten haben zugestimmt .

Ich finde, Sie sollten, ehrlich gesagt, froh darüber
sein, dass die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen
Union jetzt seit geraumer Zeit ertragen und sogar mitma-
chen, wenn die Bundesrepublik Deutschland plus Öster-
reich und wenige andere dort Nachforderungen stellen .
Es sollte ein bisschen zur Nachdenklichkeit beitragen,
dass da ganz viele Länder sitzen, die folgenden Eindruck
haben: Na ja, den Deutschen geht es gut, deren Handel
wächst, deswegen können die sich leisten, uns Vorschrif-
ten zu machen, sodass wir im Handel nicht weiterkom-

men . – Das ist die Interpretation, zu der inzwischen viele
kommen .


(Beifall des Abg . Ingbert Liebing [CDU/ CSU])


Ich teile sie nicht; ich finde, dass man über all die Kri-
tikpunkte reden muss . Aber es kann nicht sein, dass Sie
einerseits immer davon reden, wie wichtig es ist, dass wir
in Europa zusammenhalten, und dass Sie – gelegentlich
tue ich das ja auch – Teile der Politik, auch der Bundes-
regierung, dafür kritisieren, dass sie in Europa zu forsch
führen, aber andererseits nicht einmal darüber nachden-
ken, wie diese Art der Debatte – „Großjunkertum“ und
anderes – auf andere Mitgliedstaaten wirkt .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich finde, wir haben ungeheuer viel erreicht. Sie erin-
nern sich vielleicht daran, dass die Grünen immer gesagt
haben – sie haben oft versucht, mich da festzunageln,
und ich habe versucht, dem aus dem Weg zu gehen –:
Du musst den Investitionsschutz da herausbekommen . –


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haste nicht!)


Dann habe ich gesagt: Hm, das ist schwierig; das Ab-
kommen ist ausverhandelt . – Jetzt haben wir in Kanada
eine Regierung, die mit den privaten Schiedsgerichten
Schluss macht . Das war der Kern der Debatte hier: Priva-
te Schiedsgerichte soll es nicht mehr geben .


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts verstanden!)


– Doch! Lesen Sie es doch einfach in Ihren eigenen Re-
den nach! –


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es nicht geschafft!)


Ich habe immer gesagt, ich bin sehr skeptisch, ob das ge-
lingt; aber die Kanadier haben die Verhandlungen über
das Abkommen erneut eröffnet .

Ich habe dann übrigens hier auch mal gesagt, dass ich
eine Zeit lang die Vorstellung hatte – so ist damals die
Bundesregierung von CDU, CSU und FDP noch ange-
treten –, dass man bei solchen Abkommen eigentlich gar
keinen Investitionsschutz braucht, weil wir in Rechts-
staaten leben . Aber die Erfahrungen im Umgang mit ei-
nigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union als deut-
scher Wirtschaftsminister haben mich eines Besseren
belehrt, nämlich, dass es ganz gut ist, wenn man ein paar
Absicherungen hat, und das sogar innerhalb Europas . –
Das haben wir geschafft .

Dann haben wir all die Fragen aufgenommen . Jetzt hat
Kanada gegenüber der EU eine rechtsverbindliche Erklä-
rung abgegeben, die zum Beispiel die Geltung des Vor-
sorgeprinzips und den Schutz der Arbeitnehmerrechte
umfasst, aber auch die Festlegung, dass es keine Einfüh-
rung von Gentechnik gegen europäisches Recht geben
kann . Das steht da jetzt alles drin .

Jetzt schaffen wir es auch noch, die rechtsstaatlichen
und verfassungsrechtlichen Fragen zu klären . Es ist na-
türlich eine berechtigte Frage: Wie sind eigentlich Ent-

Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


scheidungen im Rahmen von CETA an die nationalen
Parlamente rückgebunden? Jetzt schaffen wir das auch
noch . Und jetzt kommen Sie mit dieser Debatte . Ich per-
sönlich kann das nicht verstehen .

Ich habe eine große Sorge – das will ich Ihnen zum
Abschluss mal sagen; es ist Ihnen vielleicht egal, mir
aber nicht –: Dass es überhaupt ein solches Abkommen
mit Sozialstandards, ILO-Kernarbeitsnormen und vielem
anderen mehr gibt – –


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist auch nicht drin!)


– Doch, das steht da drin . Die Kanadier werden die acht
Kernarbeitsnormen akzeptieren . Kein anderer hat das
bisher gemacht . Sie haben hier nie ein Abkommen dafür
kritisiert, dass es das nicht gab .


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: So ist es!)


Ausgerechnet bei einem Abkommen mit dem Land, das
uns am nächsten steht – Kanada –, tun Sie es . Es ist doch
albern, was da passiert . Entschuldigung, das ist albern!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Jetzt sage ich Ihnen mal etwas voraus .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819611800

Aber bitte kurz, Herr Minister .

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Entschuldigung, ja .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819611900

Sie haben das Recht, zu reden, aber wenn Sie als Ab-

geordneter sprächen, hätte ich Sie schon lange unterbro-
chen . Also letzter Gedanke, allerletzter Gedanke!

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Ich will nur einen Satz hinzufügen .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819612000

Ja, einen Satz .


(Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Dann soll die Frau Höhn verzichten, weil da kommt eh nichts bei rum! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Gegenruf der Abg . Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein schöner Beitrag! Den greife ich gleich mal auf!)


Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Vor zehn Jahren haben die Umweltverbände, die Ge-
werkschaften und die Zivilgesellschaftsorganisationen
die Europäische Union aufgefordert, keine reinen Frei-
handelsabkommen mehr abzuschließen, sondern Ab-
kommen, in denen all das drinsteht, was hier jetzt drin-
steht . Nach dem, was die Europäische Union jetzt dabei

erlebt, besteht die große Gefahr, dass alle kommenden
Abkommen wieder nur ganz normale Freihandelsabkom-
men sind, ohne jede Regelung für die Globalisierung . Ich
finde, diejenigen, die das, was hier drinsteht, so heftig
kritisieren, sollten eine Sekunde überlegen, ob das nicht
eine viel größere Gefahr ist . CETA ist ein exzellentes Ab-
kommen . Und deswegen habe ich aus großer Überzeu-
gung zugestimmt .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819612100

Vielen Dank, Sigmar Gabriel . – Nächste Rednerin:

Bärbel Höhn, Bündnis 90/Die Grünen .


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819612200

Danke schön . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ich greife gerne die Argumente des Mi-
nisters Gabriel auf . Zunächst aber zum Zwischenruf von
Herrn Pfeiffer, der gesagt hat: Reden Sie ruhig weiter,
Herr Gabriel, auf Frau Höhn können wir verzichten . –
Das ist genau die Argumentation, die Herr Gabriel ei-
gentlich angegriffen hat . Er hat gesagt: Lasst uns sachlich
miteinander diskutieren, ohne Panikmache, ohne Angst-
mache – das haben Sie uns immer vorgeworfen –, und
das sollte auch für die CDU gelten .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Seit Jahren machen Sie Panik! – Peter Beyer [CDU/CSU]: Überraschen Sie uns mal!)


Ich will auf die Beiträge der Redner der CDU, von
Herrn Lämmel und Herrn Heider, eingehen . Was sagte
Herr Lämmel? Er hat von einem „unwürdigen Gerangel
um dieses Freihandelsabkommen“ gesprochen . Ich sage:
Daran wird deutlich, wie wichtig die Vorsorge ist . Sie
sind nämlich verantwortlich für den Vertrag, der zwi-
schen 2009 und 2013 verhandelt worden ist . Damals war
eine schwarz-gelbe Koalition an der Regierung . Sie ha-
ben das Mandat an die EU-Kommission gegeben nach
dem Motto: Verhandelt den Freihandelsvertrag, verhan-
delt neoliberal, und kümmert euch nicht um Umwelt-
und Verbraucherschutz und soziale Aspekte .


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Dadurch ist das Problem entstanden, das wir mittlerweile
mit diesen Verträgen haben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Was hat das mit seriöser Argumentation zu tun?)


– Das war überhaupt nicht seriös von Ihnen .

Sie sollten sich an diesem Punkt einmal überlegen, ob
es nicht sehr viel sinnvoller gewesen wäre, zu sagen: Bei
Freihandelsabkommen gibt es auch Verlierer, übrigens

Bundesminister Sigmar Gabriel






(A) (C)



(B) (D)


auch Verlierer in Ihren Reihen . Das sind zum Beispiel
die Bauern,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie waren Verlierer, als Sie regiert haben!)


und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks . Kanada hat das
sehr deutlich gemacht; die sind sehr viel klüger als Sie .
Sie haben bei TPP gesagt: Wir sorgen für einen Ausgleich
für die Bauern, weil sie die Opfer sein werden . Auch die
Handelskommissarin Freeland sagt: Ja, natürlich, bei
CETA werden die Bauern die Verlierer sein . Deshalb sor-
gen wir für einen Ausgleich . – Sie selber reden nicht über
die Verlierer dieses Freihandelsabkommens, und das ist
ein schwerer Fehler, den Sie da machen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Minister Gabriel hat eben gesagt, er habe alles durch-
gesetzt, was es an Auflagen gab. Schauen wir uns das
doch einmal an . Kann ein Mann wie Minister Gabriel
eigentlich ein guter Sachverwalter zum Beispiel der Auf-
lagen des SPD-Konvents sein? Als Parteivorsitzender
muss er die Auflagen umsetzen, aber gleichzeitig ist er
Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler in einer Ko-
alition, die dieses Freihandelsabkommen unbedingt will .
Deswegen muss man sagen: Er ist nicht wirklich vertrau-
enswürdig, um das umzusetzen .


(Beifall des Abg . Klaus Ernst [DIE LINKE] – Widerspruch bei der SPD – Dr . Matthias Bartke [SPD]: Was ist das denn? Ich fasse es nicht! – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Er kriegt es trotzdem hin!)


Gucken wir uns die einzelnen Punkte an . Was ist auf
dem SPD-Konvent beschlossen worden? Es wurde ein-
deutig beschlossen, dass es im Europäischen Parlament
einen sehr weitgehenden Diskussionsprozess über diese
Verträge geben soll, auch inhaltlich . Was ist passiert?
Kurze Zeit nach dem SPD-Konvent beschließt der Han-
delsausschuss des Europäischen Parlaments den restrikti-
ven Zeitplan für die Verabschiedung von CETA, und das
so eng, dass eine intensive Befassung nicht möglich ist .
Welche Abgeordneten haben das beschlossen? Liberale,
konservative und Sozialdemokraten . Das ist das Gegen-
teil von dem, was der Konvent beschlossen hat, meine
Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Schauen wir uns das EU-Vorsorgeprinzip an; Minister
Gabriel hat es eben noch einmal sehr deutlich dargelegt .
Wo steht das? Das steht in der gemeinsamen Auslegungs-
erklärung . Und wie steht es darin? Die Formulierung lau-
tet:

Die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten
und Kanada bekräftigen ihre Verpflichtungen im
Hinblick auf die Vorsorge, die sie im Rahmen inter-
nationaler Übereinkommen eingegangen sind .

Das ist das Gegenteil davon, die Vorsorge zu vertei-
digen . Das sind genau die Formulierungen, die wir im
CETA-Vertrag immer wieder kritisieren; denn die inter-
nationalen Abkommen, auf die hingewiesen wird, haben

eben nicht das Vorsorgeprinzip der EU zum Gegenstand,
sondern dahinter steckt ein wissenschaftsbasiertes Risi-
koprinzip, das uns genau die Probleme macht, die dazu
führen, dass Gentechnikprodukte zunehmend unkontrol-
liert importiert werden müssen . Das wird hier sogar noch
bestätigt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr . Matthias Heider [CDU/CSU]: Stimmt doch gar nicht! Darüber entscheiden die Mitgliedstaaten!)


Es hat eine Verschlechterung der Vereinbarungen ge-
geben durch das, was Herr Gabriel versucht hat zu ver-
handeln .


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Postfaktisch argumentieren Sie! Kontrafaktisch!)


Von daher sage ich sehr klar und deutlich: Wir reden über
eine vorläufige Anwendung. Aber, wie Herr Heider so
schön gesagt hat: Ja, in anderen Fällen wird eben 47 Jah-
re lang vorläufig angewendet. – Das heißt doch: Sie ha-
ben offensichtlich jetzt schon den Plan, das nicht im Bun-
destag verabschieden zu lassen .


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das ist doch wilde Spekulation, was Sie hier vortragen! Ihnen schwimmt gerade der letzte Strohhalm weg!)


So können Sie das Abkommen mit Kanada 47 Jahre lang
vorläufig anwenden, und der Bundestag würde darüber
nicht entscheiden . – Das geht nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was Sie hier machen, bedeutet eine vorläufige Anwen-
dung, ein Living Agreement am Bundestag vorbei . Des-
halb lehnen wir diese vorläufige Anwendung ab, ebenso
wie den CETA-Vertrag . Wenn Sie wirklich Veränderun-
gen am Vertrag erreicht hätten, wenn Sie wirklich all die-
se Punkte in den Vertrag hineingeschrieben hätten, dann
wäre das ein verbessertes Abkommen;


(Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Wir sind aber zufrieden! Wir wollen es so!)


aber so ist es weiterhin ein schlechtes Abkommen, meine
Damen und Herren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das einzig Schlechte war Ihre Rede!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819612300

Vielen Dank, Bärbel Höhn . – Nächste Rednerin:

Barbara Lanzinger für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Barbara Lanzinger (CSU):
Rede ID: ID1819612400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger!
Wir bereden CETA momentan in nahezu jeder Sitzungs-
woche im Bundestag . Heute reden wir über die Umset-

Bärbel Höhn






(A) (C)



(B) (D)


zung der Auflagen des Bundesverfassungsgerichts, über
Verfahrensfragen, über Detailfragen .

Den Menschen CETA zu erklären – das habe ich beim
letzten Mal schon gesagt –, halte ich grundsätzlich für
richtig und wichtig . Ich stelle aber infrage, dass Sie das
wirklich wollen . In der Diskussion mit Ihnen drehen wir
uns ständig im Kreis . Sie sind dagegen, um dagegen zu
sein – fernab von der Realität, fernab von dem, was aus-
verhandelt worden ist .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich habe bei Twitter gelesen, dass die Linken-Chefin,
Katja Kipping, davon spricht, dass sich das Bundesver-
fassungsgericht mit seinem Urteil zum „Handlanger“
von Großkonzernen mache . Dazu muss ich sagen: Das
zeugt von einem sehr gefährlichen Verständnis von der
Bedeutung unseres Rechtsstaates . Sie spricht von „Klas-
senjustiz“ . Dazu sage ich: Das ist Parteikaderschulungs-
sprache pur . – Das geht so nicht!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dass Sie mit Ihrer Fundamentalopposition Schaden
anrichten, hat das Bundesverfassungsgericht eigentlich
bestätigt . Die Ablehnung der Eilanträge begründet das
Bundesverfassungsgericht folgendermaßen: Ein Schei-
tern von CETA hätte weitreichende negative Auswirkun-
gen auf die Verhandlungen und den Abschluss künftiger
Außenhandelsabkommen und insgesamt auf die Stellung
der EU und somit auf die Stellung Deutschlands in der
Welt . – Kurz gesagt: Wenn CETA scheitert, lacht die gan-
ze Welt über uns . Wenn wir nicht einmal in der Lage sind,
mit Kanada ein Freihandelsabkommen abzuschließen –
das wurde heute schon ausgeführt –, isolieren wir uns po-
litisch und wirtschaftlich . Das Vertrauen in Deutschland
und Europa als Handels-, als Vertrags- und als politischer
Partner wäre erschüttert, und das, obwohl CETA eines
der ausgewogensten und modernsten Handelsabkommen
ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Langsam sollte die Linke wissen, wie gefährlich eine
derartige Fundamentalopposition ist . Es geht doch nicht
darum, dass Sie Kritik üben . Es geht auch nicht darum,
dass Sie das Ganze vor dem Bundesverfassungsgericht
vorbringen – das ist demokratisch und legitim . Es geht
um die Art und Weise, wie Sie Kritik üben und aufwie-
geln .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Das sprechen wir aber nicht mit Ihnen ab!)


Das schadet – das habe ich beim letzten Mal ganz deut-
lich gesagt – unserer Demokratie und dem Zusammen-
halt in unserer Gesellschaft .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie sind dagegen, um dagegen zu sein – fernab von Fak-
ten . Das schürt Misstrauen . Dieses Misstrauen ist unbe-
gründet .

Unser Ziel war es nie, ein Freihandelsabkommen auf
Biegen und Brechen umzusetzen . Frau Höhn, Sie haben
vorhin die Einführung der Gentechnik angesprochen .

Das ist gesetzlich geregelt, und es steht ganz klar drin,
dass alles, was gesetzlich geregelt ist, nicht angetastet
wird . Sie können das hier nicht einfach so sagen . Das
kann man nicht so stehen lassen .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie doch einfach mal den Vertrag! – Gegenruf des Abg . Mark Hauptmann [CDU/ CSU]: Lesen Sie doch mal die Gesetze!)


Bereits seit 2009 laufen im Auftrag der EU-Mitglied-
staaten die Verhandlungen zwischen der Kommission
und Kanada . Das sind intensive Auseinandersetzungen .
Ich denke, es liegt – ich sage es noch einmal – eines der
modernsten und zukunftsfähigsten Freihandelsabkom-
men vor .

CETA ist mehr als ein Wirtschaftsabkommen zum Ab-
bau von Zöllen; Kollege Westphal hat es gesagt . Durch
CETA haben wir die Chance, die Globalisierung in un-
serem Sinn ausgewogen zu gestalten, unsere Standards
zu setzen . CETA ist die Grundlage für einen Welthandel
mit nachhaltigen, fairen Regeln und hohen Sozial- und
Umweltstandards . Das positive Urteil des Bundesver-
fassungsgerichts stärkt das Vertrauen der Bevölkerung
in unseren deutschen Rechtsstaat, in seine demokratisch
gewählten Repräsentanten, in den Bundestag sowie in
die Europäische Union .

Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht eigent-
lich das bestätigt, was schon Fakt ist: Die demokratische
Beteiligung von Bundesregierung und Bundestag, auch
an der Arbeit der CETA-Ausschüsse, ist jetzt schon nach
dem EUZBBG gegeben, wir hätten eine entsprechende
Regelung also überhaupt nicht mehr gebraucht . Weltweit
wird momentan eine Vielzahl solcher Abkommen ver-
handelt .

Zum Schluss: Die Welt wartet nicht auf uns . Wir müs-
sen der Taktgeber sein .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Der Welt? Toll!)


Wir müssen der Taktgeber in der Globalisierung sein und
einen gesunden, lebbaren Rahmen vorgeben . Wir kön-
nen nicht abwarten, dass andere über uns entscheiden,
sondern wir sollten selbst entscheiden und gestalten . Ich
entscheide gerne selbst und lasse ungern über mich ent-
scheiden . In diesem Sinne hoffe ich, dass am 27 . Oktober
dieses Abkommen zur Unterschrift kommt und in Kraft
gesetzt wird .

Danke schön fürs Zuhören .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819612500

Vielen Dank, Barbara Lanzinger . – Nächste Rednerin:

Dr . Nina Scheer für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Nina Scheer (SPD):
Rede ID: ID1819612600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Ich möchte zunächst eine Feststellung
treffen: Ich registriere, dass die Opposition versucht, eine

Barbara Lanzinger






(A) (C)



(B) (D)


Geschichte der Blamage zu schreiben, allerdings leider
auch, dass unser Koalitionspartner eine Geschichte der
Gleichgültigkeit schreibt, einer Gleichgültigkeit gegen-
über dem, was wir in der Gesellschaft und im Parlament
verändern können und müssen .


(Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Abwegig!)


Ich möchte Frau Lanzinger gern hiervon ausnehmen .
Wir haben in vielerlei Hinsicht gut zusammengearbeitet,
aber das, was ich ansonsten bisher parlamentarisch von
unserem Koalitionspartner an Änderungswünschen er-
fahren habe, das finde ich besorgniserregend;


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


denn damit werden viele Chancen in der Demokratie ver-
tan .

Die SPD hingegen schreibt seit nunmehr über zwei
Jahren im Fall von TTIP und CETA – auch vorher gab
es schon kritische Auseinandersetzungen – ganz konkret
eine Geschichte der System- und Prozessverantwortung .


(Beifall bei der SPD – Dr . Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Worauf will sie hinaus?)


Meine Partei hat schon mit dem Konventbeschluss 2014
rote Linien aufgezeigt .


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht eingehalten!)


Danach kam im letzten Dezember der Bundesparteitags-
beschluss, und jetzt wurde erneut mit einem Konventbe-
schluss ganz klar aufgezeigt, wie der Prozess bei Frei-
handelsabkommen zu gestalten ist .


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieder nicht eingehalten!)


Dadurch ist ganz klar erkennbar geworden, dass man –
auch in Reaktion auf die öffentliche Diskussion – wahr-
genommen hat, dass die Zeit des Liberalismus in der
Handelspolitik vorbei ist und man sich vom reinen
Freihandel zu einem verantwortungsbewussten Handel,
einem Fairhandel bewegt .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Genau das hat auch der SPD-Konventbeschluss an-
hand von Kriterien klar formuliert, und siehe da: Auch
die Stellungnahme des Deutschen Bundestages hat das
in wichtigen Punkten mit aufgenommen, und ich bin er-
staunt, dass so etwas dann teilweise hier von unserem
Koalitionspartner unterschlagen wird .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie halten ihn nicht ein! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was landet denn im Vertrag?)


– Was landet nun im Vertrag? Frau Höhn, Sie haben es
ganz richtig angesprochen . Insofern muss man auch hier
sagen: Prozessverantwortung heißt, dass man tatsächlich
wahrnimmt und aufnimmt, was in der Diskussion ist, und
in der kurzen Zeit, die zwischen dem Urteil des Bundes-

verfassungsgerichts und den angesetzten Entscheidun-
gen verbleibt, das Beste daraus macht .

Aber auch darüber hinaus kann man noch etwas tun .
Wenn man auf die Auslegungserklärung blickt, so muss
man zum Beispiel konstatieren, dass darin ein Satz steht,
dass CETA nicht dazu führen werde, dass ausländische
gegenüber einheimischen Investoren begünstigt werden .
Das ist zum Beispiel eine Sache, die vom Bundesverfas-
sungsgericht in der jetzigen Entscheidung nicht vorge-
geben worden ist . Es ging dabei ja um eine einstweili-
ge Anordnung und nicht um eine Entscheidung in der
Hauptsache .


(Zuruf der Abg . Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Das ist ganz klar ein Zeichen dessen, dass wir uns hier
fortbewegen und uns kritisch mit den betreffenden Fra-
gen auseinandersetzen, die wir auch schon vielfach dis-
kutiert haben, und dass sie Stück für Stück, sukzessive
Einzug in das Vertragswerk halten . Diese Auslegungser-
klärung ist Bestandteil des Vertrages . Sie ist gemäß der
Wiener Vertragsrechtkonvention gleichwertig bindend
wie der Vertragstext . Auch wenn der Vertragstext selber
hierdurch nicht geändert wird, ist die Verbindlichkeit
gleichwertig. Insofern, finde ich, ist das hier nicht zu un-
terschätzen .

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ganz deut-
lich sagen – und das gehört zur Prozessverantwortung,
die die SPD mit ihrem Konventbeschluss ganz deutlich
unterstrichen hat; dieser ragt auch über den heutigen
Zeitpunkt hinaus –: Wir sehen eben jetzt die Stunde der
Parlamente . Das haben wir so formuliert . Ich zitiere aus
dem Konventbeschluss:

Jetzt muss die Stunde der Parlamente kommen . Sie
müssen ausführlich beraten und umfassend prüfen,
inwieweit CETA die Ansprüche an eine fortschrittli-
che Handelspolitik erfüllt .

Wenn wir jetzt aber einfach behaupten, das alles sei
nicht hinreichend, dann geben wir auch ein Stück weit
Deutungshoheit ab . Aber warum?


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum stimmen Sie denn im Europäischen Parlament dem Zeitplan zu? Das ist das Gegenteil des Konventbeschlusses!)


Wir müssen die Forderungen, die wir im Gepäck haben,
den Auftrag der Gesellschaft an uns Parlamentarier ernst
nehmen und in die nächsten Prozesse einbringen,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


das heißt für mich auch in die Ratifikationsprozesse.
Teilweise wird unterstellt, dass das nicht ginge, dass es
ausverhandelt sei . Das Europaparlament könne nur noch
mit dem Daumen nach oben oder nach unten zeigen . Es
gibt völkerrechtliche Ausführungen zu diesem Thema –
diese finde ich sehr glaubhaft –, zum Beispiel von Herrn
Professor Stoll, der ausdrücklich darauf verweist, dass im
Zusammenhang mit NAFTA im Rahmen von Zusatzpro-
tokollen und Zusatzerklärungen – das ist damals unter
Clinton passiert – auch im Nachhinein Vereinbarungen
getroffen wurden . Solche Vereinbarungen müssen dann

Dr. Nina Scheer






(A) (C)



(B) (D)


natürlich durch die Vertragspartner abgesegnet werden .
Somit können sehr wohl auch nach den ersten formalen
Schritten im Ratifikationsprozess noch Änderungen vor-
genommen werden .

Insofern sollten wir uns an dieser Stelle nicht unsere
Möglichkeiten nehmen, indem wir ständig behaupten,
das sei jetzt alles abgeschlossen, sondern wir sollten die
nächsten Schritte, die bevorstehen, tatsächlich nutzen,
um das veränderte Verständnis in der Bevölkerung über
das, was in Handelsverträgen stehen muss, aufzunehmen
und in CETA zu übertragen .


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819612700

Denken Sie bitte an Ihre Redezeit .


Dr. Nina Scheer (SPD):
Rede ID: ID1819612800

Ich bin beim letzten Satz . – Wir werden danach sehen,

zu was das geführt hat . Ich hoffe und bin fest davon über-
zeugt, dass die Parlamente da gute Arbeit leisten werden
und verantwortlich mit den Fragen der Zeit umgehen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819612900

Vielen Dank, Nina Scheer . – Nächster Redner: Peter

Beyer für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Beyer (CDU):
Rede ID: ID1819613000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Vorab: CETA ist technisch
bereits vor zwei Jahren zu Ende verhandelt worden . Das
kann man einmal sacken lassen .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Exakt! Darum sind Sie auch dafür verantwortlich in Ihrer Koalition!)


Es ist gut, dass jetzt Zusatzvereinbarungen, Zusatz-
erklärungen bezüglich der Bereiche Investitionsschutz,
Arbeitnehmerrechte, öffentliche Dienstleistungen usw .
den Vertragstext begleitend hinzugekommen sind, die
klarstellende Funktion haben und gleichwohl rechtsver-
bindlich sind . Das ist gut so .

Gut ist aber auch, dass das Bundesverfassungsgericht
ganz klar gesprochen hat . Sämtliche Eilanträge in Sachen
CETA sind am 13 . Oktober erfolglos geblieben . Das ist
eine krachende Niederlage vor dem Bundesverfassungs-
gericht, unter anderem auch für die Linksfraktion, die in
Prozessstandschaft dort agiert hat .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Bundesverfassungsgericht hat damit auch ganz
klar der Chance den Weg bereitet, die Globalisierung
endlich mit Regeln zu bedenken bzw . entsprechende Re-
geln zu setzen .

Die Bedingungen, die Auflagen des Bundesverfas-
sungsgerichts sind folgende:

Erstens . Es ist sicherzustellen, dass ein Ratsbeschluss
über die vorläufige Anwendung nur Bereiche umfassen
wird, die in die Zuständigkeit der EU fallen .

Zweitens . Bis zu einer Entscheidung des Bundesver-
fassungsgerichts in der Hauptsache sollen die EU-Mit-
gliedstaaten ausreichenden Einfluss auf die Beschlüsse
des CETA-Ausschusses bekommen .

Drittens . Die Bundesregierung erklärt, dass sie die
vorläufige Anwendung beenden kann, wenn die Ratifi-
zierung hier bei uns in Deutschland – das mögen Gott
und wir alle verhindern – scheitern sollte .

Diese Vorgaben, insbesondere die ersten beiden, sind
wenig überraschend und ohnehin bereits vereinbart oder
auch in Gesetzeswerken geregelt . Hinsichtlich der dritten
Auflage des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die
Möglichkeit einer einseitigen Beendigung der vorläufi-
gen Anwendbarkeit ist zu sagen, dass diese ohnehin erst
nach Zustimmung des Europäischen Parlaments zu CETA
eintreten wird . Es entspricht doch gängiger Praxis, die
Zustimmung des Europäischen Parlaments erst abzuwar-
ten, bevor politisch bedeutsame Freihandelsabkommen
wie CETA vorläufig angewendet werden. Dies verschafft
den Abkommen die erforderliche demokratische Legiti-
mation auf EU-Ebene . Mit Blick auf die Linksfraktion
muss man sich wirklich die Frage stellen, wie sie sich
zu dem europäischen Projekt, zu Europa insgesamt stellt .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das habe ich aber deutlich gesagt!)


Sprechen Sie den Kolleginnen und Kollegen im Euro-
päischen Parlament allen Ernstes die demokratische Le-
gitimation und auch die demokratische Kompetenz und
Fähigkeit ab, Entscheidungen zu treffen? Ich hoffe, dass
das nicht so ist, meine Damen und Herren .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Dann sprechen wir doch dem Europäischen Parlament ein Initiativrecht zu! Sie schaffen es doch nicht, dem Europäischen Parlament ein Initiativrecht zu geben!)


Die vorläufige Anwendung könnte somit – das ist
meine Hoffnung und auch meine Zuversicht – in der
ersten Hälfte des Jahres 2017 wirksam werden . Ich bin
zuversichtlich, dass das bis Ende dieses Monats, bis zum
EU-Kanada-Gipfel am 27./28. Oktober, stattfinden wird
und es dann eine Unterschriftsleistung geben kann .

Was die Obstruktionshaltung im Regionalparlament
der Wallonie in Belgien anbelangt, glaube ich schon, dass
gute Argumente auch die Kolleginnen und Kollegen dort
von CETA überzeugen werden, sodass man die Haltung,
die man im Moment noch hat, aufgibt und diesem Ab-
kommen dann nicht mehr im Wege stehen wird .

In den Erwägungsgründen des Bundesverfassungs-
gerichts heißt es, es sei naheliegend – naheliegend! –,
dass sich ein Verbot der Unterzeichnung von CETA
durch die Bundesregierung negativ auf die europäische
Außenhandelspolitik und die internationale Stellung der
Europäischen Union insgesamt auswirken würde . Das

Dr. Nina Scheer






(A) (C)



(B) (D)


Bundesverfassungsgericht führt dann weiter aus, die zu
erwartende Einbuße an Verlässlichkeit sowohl der Bun-
desrepublik Deutschland als auch der EU insgesamt kön-
ne sich dauerhaft negativ auf den Handlungs- und Ent-
scheidungsspielraum aller europäischen Akteure bei der
Gestaltung der globalen Handelsbeziehungen auswirken .

Meine Damen und Herren, wir sollten uns klarma-
chen, dass es längst nicht mehr um einen Streit über völ-
kerrechtliche Abkommen zwischen zwei Staatengebilden
geht, sondern es geht um die Glaubwürdigkeit der EU
insgesamt . Kommt zu der Euro-Krise und zu der Migrati-
onskrise auch noch eine veritable Handelskrise hinzu, die
letztlich den Wohlstand, den wir hier in Deutschland und
in anderen Teilen Europas genießen können, leichtfertig
und völlig unnötig aufs Spiel setzt? Das kann nicht im
Interesse der europäischen Bürgerinnen und Bürger sein,
meine Damen und Herren .

Ich schließe mit einer Bemerkung der EU-Handels-
kommissarin Cecilia Malmström, die zu Recht gesagt
hat: Wenn es uns nicht gelingt, mit dem proeuropäischs-
ten Land der Welt, mit dem wir auch in anderen Berei-
chen wie beim Klimaschutz oder bei der Bewältigung
der Flüchtlingskrise sehr eng zusammenarbeiten, ein
Freihandelsabkommen abzuschließen, werden sich die
anderen Staaten auf der Welt fragen, ob die EU überhaupt
noch ein verlässlicher Partner für uns ist . – In so einer
Welt, in so einem Europa und auch in so einem Deutsch-
land möchte ich nicht leben und dort Abgeordneter sein .
Deswegen halte ich es für unsere Aufgabe als verantwor-
tungsbewusste Politiker, den Weg freizumachen und die
Freihandelsabkommen zu unterstützen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819613100

Vielen Dank, Peter Beyer . – Nächster Redner: Dirk

Wiese für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1819613200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Nach drei Jahren Debatte – wir haben hier
im Plenum des Deutschen Bundestages und in den Aus-
schüssen sehr oft über dieses Thema diskutiert – muss
man feststellen: Die SPD hat in diesem Prozess gestaltet,
mitgewirkt und viel erreicht . Darauf können wir bis zum
heutigen Tage stolz sein .


(Beifall bei der SPD)


Meine Kollegin Nina Scheer hat gerade deutlich ge-
macht: Es geht weder heute noch morgen um den Ab-
schluss dieses Abkommens, sondern wir befinden uns in
einem Prozess . Dieser Prozess dauert noch an . Wir als
Deutscher Bundestag – auch daran will ich erinnern, weil
ich mir nicht ganz sicher bin, dass der Kollege Pfeiffer
das gelesen hat – haben eine gemeinsame Stellungnahme
auf den Weg gebracht . In dieser Stellungnahme heißt es:

Der Deutsche Bundestag wird im Lichte des weite-
ren Prozesses im Ratifizierungsverfahren abschlie-
ßend über seine Zustimmung zu CETA entscheiden .

Das passiert hier und heute noch nicht; darauf will ich
hinweisen .

Ich will auch deutlich machen, dass eine Unterzeich-
nung am 27 . Oktober dieses Jahres nicht dazu führt, dass
das Abkommen vorläufig in Kraft tritt, sondern dafür be-
darf es der Zustimmung des Europäischen Parlaments .
Das heißt, der Prozess ist noch in vollem Gange . Daran
werden wir als SPD nach wie vor aktiv mitwirken und
uns einbringen .

Zum zweiten wichtigen Punkt, den ich anmerken
möchte; da bin ich Frau Lanzinger dankbar, dass sie ihn
angesprochen hat . Lieber Kollege Klaus Ernst, wir sind
in dieser Angelegenheit ja durchaus unterschiedlicher
Auffassung, und wir diskutieren auch des Öfteren darü-
ber . Natürlich sind am Ende immer alle Gewinner; das ist
in Debatten nun einmal so, und das kennt man ja . Aber
man kann sich nicht hier hinstellen und das Bundesver-
fassungsgericht loben, wenn man eine Parteichefin hat,
die am Tag der Urteilsverkündung davon gesprochen
hat, hier handele es sich um „Klassenjustiz“ . Das geht
nicht . Das ist eine Missachtung des Bundesverfassungs-
gerichts, die man nicht hinnehmen kann .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich muss auch sagen – das gilt jetzt nicht für die Frak-
tion der Linkspartei, sondern für den Kollegen Diether
Dehm –: Wenn man in einem Nebensatz die richterliche
Unabhängigkeit der Richter des Bundesverfassungsge-
richts hier infrage stellt, dann zeigt das, welch merkwür-
diges Verständnis man hat .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Das habe ich so nicht gemacht! Ich habe nur Tatsachen erwähnt!)


Ich muss Ihnen auch deutlich sagen: Zu Teilen Ihrer
Rede, die Sie hier heute gehalten haben, hätte Ihnen die
FPÖ im österreichischen Parlament applaudiert .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: So ist es! Ganz eng beieinander!)


Ich komme zu dem nächsten Punkt, der angesprochen
worden ist . Wir hören momentan viele Stimmen, die sa-
gen, der Ratifizierungsprozess, den wir jetzt im Rahmen
eines gemischten Abkommens haben, wäre nicht richtig .
Möglicherweise werde die Handlungsfähigkeit der Eu-
ropäischen Union infrage gestellt . – Ich will deutlich sa-
gen – denn wir werden auch zukünftig an vielen Stellen
über Freihandelsabkommen sprechen; Handlungsmanda-
te sind in anderen Bereichen schon auf den Weg gebracht
worden –: Wenn juristisch ein gemischtes Abkommen
vorliegt – und das ist bei CETA der Fall; der Kollege
Pfeiffer hat das lange abgelehnt und wollte nicht, dass
sich der Deutsche Bundestag damit beschäftigt –, dann
haben wir als nationales Parlament das Recht und die
Pflicht, uns mit diesem Abkommen auseinanderzusetzen
und letztendlich darüber zu entscheiden, ob es in Kraft
tritt .

Peter Beyer






(A) (C)



(B) (D)


Frau Künast, Sie haben vorhin den Zwischenruf ge-
macht, wenn ich es richtig gehört habe, dass Herr Mi-
nister Gabriel die Bedeutung eines Regionalparlaments
infrage stellen würde . So habe ich Sie vernommen . Jetzt
zitiere ich mal den grünen Europaabgeordneten Sven
Giegold, der getwittert hat:

[…] unerfreuliche Hürde für Europas Handlungs-
fähigkeit . Regionalparlamente dürfen den Rat nicht
blockieren!

Wenn es zukünftig die Position der Grünen im Euro-
paparlament ist,


(Zuruf der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


dass der Ratifizierungsprozess im Rahmen eines ge-
mischten Abkommens infrage gestellt wird, dann kann
ich nur sagen, dass der Kollege Giegold hier falschliegt .
Das ist nämlich schädlich für die Demokratie, wenn man
das an diesem Punkt missachtet .


(Beifall bei der SPD)


Lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Die Vorga-
ben, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil
gegeben hat und die uns jetzt vorliegen, sind durch die
Maßnahmen, die die Bundesregierung an diesen Punkten
ergriffen hat, eingehalten .

Lieber Kollege Klaus Ernst, ich räume ja gerne an ei-
nigen Punkten ein: zwei Juristen, drei Meinungen . Das
sind manchmal Punkte, die man nicht lösen kann . Ich
räume auch gerne ein: Man holt immer das Gutachten
ein, in dem letztendlich seine Meinung vertreten wird .
Aber man muss ganz deutlich sagen: Das, was das Bun-
desverfassungsgericht auf den Weg gebracht hat, ist
durch das, was die Bundesregierung und Sigmar Gabriel
jetzt vorangebracht haben, abgesichert . Da kann ich nur
sagen: Die Hausaufgaben sind erledigt worden .

Frau Höhn hat das Vorsorgeprinzip angesprochen .
Dazu gibt es auch zwei Juristen, drei Meinungen und eine
Vielzahl von Gutachten . Aber Sie können nicht verheh-
len, dass es eine Vielzahl von Stimmen gibt, die eindeutig
sagen, dass das Vorsorgeprinzip in CETA abgesichert ist,
dass es nicht infrage gestellt wird .


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: So ist es!)


Es ist zwar nicht Ihre Meinung, aber Sie müssen re-
spektieren, dass es Stimmen gibt, die eindeutig sagen,
dass es abgesichert ist .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gibt es immer!)


Wenn Sie hier sagen, die Grünen werden diesem Ab-
kommen nicht zustimmen, dann bin ich gespannt, was
Winfried Kretschmann macht . Aus sozialdemokratischer
Sicht ist Handelspolitik insbesondere mit Blick auf die
Arbeitsplätze in einer exportorientierten Wirtschaft wich-
tig . Dass den Grünen Arbeitsplätze nicht so wichtig sind,
das hat man ja an den Ausführungen von Frau Dröge zu
Kaiser’s Tengelmann gesehen .


(Beifall bei der SPD)


Uns Sozialdemokraten sind Arbeitsplätze wichtig .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf der Abg . Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819613300

Vielen Dank, Herr Wiese . – Der letzte Redner in der

Aktuellen Stunde ist Mark Hauptmann für die CDU/
CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Mark Hauptmann (CDU):
Rede ID: ID1819613400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mir obliegt
jetzt die Aufgabe, das zusammenzufassen, was zwölf
Kollegen vor mir in diese Debatte eingeworfen haben .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Nein!)


Man ist ja mittlerweile schon daran gewöhnt, dass wir
CETA in diesem Hohen Hause diskutieren, im Regelfall
alle zwei Wochen . Man vermisst es geradezu, wenn es
mal nicht auf der Tagesordnung steht . Aber wir dürfen
doch jetzt festhalten, dass wir nach dieser Entscheidung
des Bundesverfassungsgerichts die Situation haben, dass
sich auf EU-Ebene die Handelsminister einig sind, dass
CETA in Zukunft den Handel zwischen Europa und Ka-
nada regeln soll . Auf Bundesebene hat Sigmar Gabriel
die Vorbehalte auch der SPD entkräften können . Die Uni-
on hat hier nie gezweifelt .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Das stimmt, dass die Union nie zweifelt!)


Jetzt haben wir die Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts, sodass auch die Bundesregierung bei
CETA zustimmen darf .

Herr Dehm, Sie haben ja gesagt, Sie hätten sich dieses
Urteil angeschaut . Die zwei entscheidenden Worte dieses
Urteils haben Sie aber nicht verstanden, nämlich: „An-
trag abgewiesen“ .

Wir können hier jetzt festhalten, dass die Judikative,
die Exekutive und große Teile der Legislative an diesem
Abkommen nicht nur festhalten, sondern damit auch die
Globalisierung gestalten wollen .

Ich möchte hier explizit noch einmal auf die Argu-
mente unserer Kollegen der Grünen und der Linken ein-
gehen:

Zum Ersten . Das Duo Infernale der deutschen Empö-
rungsindustrie, die Kollegen Ernst und Dehm, sprechen
von Klassenjustiz und davon, dass sie die Klagen so lan-
ge weiter fortführen werden, bis sie ein ihnen genehmes
Urteil erreicht haben . Das zeigt mir erstens, dass sie kei-
ne Achtung vor den deutschen Gerichten haben – noch
nicht einmal vor dem höchsten deutschen Gericht –,


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Wie Sie mit diesen Dokumenten umgehen, zeigt, dass Sie keine Achtung haben – auch nicht vor dem Parlament!)


Dirk Wiese






(A) (C)



(B) (D)


und zweitens, dass sie den wirtschaftspolitischen Sach-
verstand einer Schnecke in einem Formel-1-Rennen ha-
ben; denn Sie; Herr Dehm, haben hier gesagt, dass die
Exporte und das Handelsvolumen doch anwachsen . Sie
haben sich aber immer wieder in Ihr Schneckenhäuschen
zurückgezogen .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sehr komisch!)


Was Sie nicht verstehen, ist, dass sich die Dinge in
einer globalisierten Welt ändern, dass asiatische Länder
untereinander Freihandelsabkommen schließen, dass die
Amerikaner mit Asien Freihandelsabkommen geschlos-
sen haben, dass wir aktuell in einer Situation sind, in der
wir die zukünftigen Regeln des Freihandels auf dieser
Welt gestalten und die Standards für diese Regelungen
setzen .


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Hauptmann für alles!)


Sie verschließen sich diesen Tatsachen hier einfach und
träumen letztendlich vor sich hin .

Zum Zweiten, zu meinen Kolleginnen Höhn und
Dröge . Frau Dröge, Sie haben zunächst gesagt, die Be-
teiligungsrechte würden hier nicht gewahrt . – Wir wa-
ren gestern im Ausschuss, und der Staatssekretär hat das
Verfahren erläutert . Was bedeutet es, wenn wir aktuell
verhandeln und gleichzeitig die Auflagen des Bundesver-
fassungsgerichts umsetzen, das Parlament informieren,
darüber debattieren und im Ausschuss Auskünfte geben?


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie mal das Gesetz! – Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt!)


Hier sind wir also doch gut informiert .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Konsensbeschluss!)


Das zweite Argument von Ihnen war, dass wir eine Ar-
roganz der Macht hätten,


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


es werde supernational verhandelt . Wir verhandeln gar
nicht . Die Bundesregierung verhandelt gar nicht . Kom-
missarin Malmström und die EU-Kommission verhan-
deln .


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht um den Umgang mit uns!)


Diese Prozesse und die Tatsache, wer dafür zuständig ist
und wer nicht, müssen Sie hier doch einfach einmal ak-
zeptieren .


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen doch die Vorgaben! Bei den CO2-Emissionen war das anders! Da hat Merkel sich eingemischt!)


Der dritte Punkt, den Sie angesprochen haben, war,
wir hätten in dieser Debatte nichts erreicht . Machen Sie
hier doch nicht den Fehler der Linken! Kriechen Sie doch

nicht auch noch in Ihr Schneckenhäuschen hinein, und
verzwergen Sie sich nicht selbst!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie haben in dieser Debatte doch einiges erreicht . Es
wurde doch erreicht, dass das Verfahren, das seit über
zwei Jahren formell technisch abgeschlossen ist – der
Kollege Beyer hat es erwähnt –, in den letzten Wochen
noch einmal angepasst wurde, sodass wir das, was uns
Karlsruhe mit auf den Weg gegeben hat, auch umsetzen .
Das haben wir doch erreicht!

Von daher glaube ich – auch aufgrund des grünen
Lichts aus Karlsruhe –, dass wir jetzt einen guten Weg
gefunden haben, um dieses Freihandelsabkommen abzu-
schließen .

In der Begründung dafür, warum Ihre Anträge abge-
lehnt wurden, heißt es, es „drohten der Allgemeinheit mit
hoher Wahrscheinlich schwere Nachteile“ . Man könnte
das auch anders ausdrücken: Wer sich gegen freien und
fairen Handel verwehrt, wie Sie es hier in diesem Haus
tun, der schadet auch der Allgemeinheit .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist jetzt Gauland!)


Für uns in der Unionsfraktion ist es nichts Neues, dass
Sie auch der Allgemeinheit schaden, aber das ist hiermit
von höchster juristischer Stelle letztendlich auch noch
einmal bestätigt worden .

Ich glaube, wir sollten uns darauf konzentrieren, was
CETA durch neue Maßstäbe in dieser Globalisierung be-
wirken wird:

Erstens . Wir werden neue Märkte öffnen und beste-
hende Märkte vertiefen .

Zweitens . Wir werden die Handelsbarrieren abbau-
en . Ab dem Tag, an dem CETA in Kraft tritt, werden
500 Millionen Euro an Exportkosten für die europäi-
schen Exporteure wegfallen .

Drittens . Das ist ein Konjunkturpaket für unseren Mit-
telstand und für Deutschland als Exportnation insgesamt,
wo jeder vierte Arbeitsplatz vom Export abhängt . Das
wird uns in diesem Zusammenhang sehr nützen .

Wir halten die internationalen Standards – die Sozial-
standards, das Vorsorgeprinzip – ein und sorgen für eine
Reform der Schiedsgerichtbarkeit . Von daher bin ich der
Meinung: Karlsruhe hat recht . Wir haben hier grünes
Licht und können mit Stolz darauf blicken, dass wir mit
CETA die Globalisierung frei und fair gestalten werden .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Matthias Ilgen [SPD])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819613500

Vielen Dank, Mark Hauptmann . – Damit ist die Aktu-

elle Stunde beendet .

Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe,
möchte ich meinem Schriftführer Thomas Hitschler ei-
nen Gefallen tun . Wir achten ja darauf, dass wir hier eine

Mark Hauptmann






(A) (C)



(B) (D)


gute Stimmung haben . Deswegen begrüße ich in seinem
Namen recht herzlich eine Besuchergruppe aus der –
das hat er mir extra aufgeschrieben – schönen Südpfalz .
Herzlich willkommen .


(Beifall)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Weiter-
entwicklung der steuerlichen Verlustverrech-
nung bei Körperschaften

Drucksache 18/9986
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Kein Wider-
spruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort
Dr . Michael Meister für die Bundesregierung .

D
Dr. Michael Meister (CDU):
Rede ID: ID1819613600


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Vielen Dank für die Worterteilung . – Wir wollen heute die
Weiterentwicklung der Verlustnutzung für Unternehmen
diskutieren . Was ist an dieser Stelle unser Problem? Wir
leben in einer globalisierten Welt . Wir leben in einer di-
gitalen Welt mit einer ungeheuren Innovationsgeschwin-
digkeit . Wir müssen dafür sorgen, dass Unternehmen
am Standort Deutschland in der Lage sind, international
wettbewerbsfähig zu bleiben, aber auch Innovationen zu
entwickeln, diese zur Marktreife zu bringen und dafür die
notwendige Finanzierung zu haben .

Man kann dafür – das ist in Deutschland möglich –
eine Fremdfinanzierung nutzen. Aber wir benötigen für
diese Unternehmen natürlich nicht nur Fremdfinanzie-
rungen, sondern auch Eigenkapitalfinanzierungen. An
dieser Stelle haben wir in unserem heutigen Rechtssys-
tem eine Konfliktlage. Wer seine Eigenkapitalfinanzie-
rung stärken will, der hat nach dem bestehenden § 8c
Körperschaftsteuergesetz ein Problem: Wenn die Stär-
kung des Eigenkapitals, etwa durch eine Kapitalaufsto-
ckung, zu einem Anteilseignerwechsel oder zu Anteils-
veränderungen führt, dann fallen die Verlustvorträge bei
über 25 Prozent Anteilseignerwechsel anteilig und bei
über 50 Prozent Anteilseignerwechsel vollständig weg .
Das macht die Beteiligung für Investoren schwierig . Ge-
nau an dieser Stelle wollen wir ansetzen, um sinnvolle
Investitionen in die Zukunft des Standorts und unserer
Unternehmen möglich zu machen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Deshalb sagen wir, dass wir den § 8c KStG so bestehen
lassen, wie er heute ist . Er bietet auch heute schon eine
gewisse Flexibilität, etwa innerhalb von Konzernen, in
denen das, was ich eben gesagt habe, bei Kapitalgabe in
einen einzelnen Unternehmensteil nicht gilt, etwa im Be-

reich der stillen Reserven . Also, bis zur Höhe der stillen
Reserven kann man heute schon Verluste weiter nutzen .
Aber gerade bei jungen und neugegründeten Unterneh-
men ist es so, dass die stillen Reserven in diesem Umfang
nicht vorhanden sind, stattdessen aber möglicherweise
Verlustvorträge . Deshalb besteht an dieser Stelle die Not-
wendigkeit, zu einer Erweiterung zu kommen .

Wir wollen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf ei-
nen § 8d im Körperschaftsteuerrecht anbieten . Dieser
Paragraf legt den Schwerpunkt nicht mehr auf die Zu-
sammensetzung der Anteilseigner, sondern darauf, dass
der Geschäftsbetrieb weitergeführt wird .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich glaube, er ist eine sinnvolle Weiterentwicklung .
Wir werden auf der einen Seite dafür sorgen, Innovati-
on und Investition am Standort Deutschland zu ermög-
lichen, damit es auch in neuen Technologiebereichen zu
Wachstumsentwicklungen kommt, auf der anderen Seite
aber den Missbrauch, den wir vor zehn Jahren mit der
Schaffung des § 8c KStG bekämpfen wollten, nicht er-
neut zulassen, also keinen Handel mit Verlustvorträgen .
Das wollen wir eindeutig nicht .

Deshalb gibt es für ein einzelnes Unternehmen die
Möglichkeit, sich auf Antrag auf § 8d KStG zu berufen .
Dann muss man in dem Geschäft, das man bisher betrie-
ben hat, bleiben . Das ist im Unterschied zu § 8c KStG kein
quantitatives Kriterium, sondern ein qualitatives Kriteri-
um . Das heißt, wir schauen genau hin: Wird das Geschäft
weiterbetrieben? Es kann gerne wachsen . Es kann gerne
ausgedehnt werden . Aber der Geschäftszweck kann nicht
verändert werden . Wir glauben, dass man damit die bei-
den Anforderungen zusammenbekommt, nämlich weiter
Wachstum in Deutschland zu ermöglichen, aber Han-
del mit Verlustvorträgen weiterhin zu unterbinden . Wir
wollen kein Steuergestaltungsmodell, sondern wir wol-
len eine vernünftige Entwicklung unserer Wirtschaft in
Deutschland . Das ist unser Ziel .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich glaube, dass wir einen Vorschlag vorgelegt ha-
ben, der diese beiden Zielsetzungen gut miteinander in
Einklang bringt . Ich glaube, dass die damit verbundenen
Steuerausfälle gut investiertes Geld sind, weil wir natür-
lich die Hoffnung haben dürfen, dass vorhandene Unter-
nehmen stärker wachsen und dass es zu Neugründungen
kommt statt zum Ausverkauf guter Ideen über die Gren-
zen hinweg . Wenn die Ideen am Standort Deutschland
realisiert werden, dann wird das auch zu zusätzlicher
wirtschaftlicher Aktivität und zu neuen Steuereinnahmen
führen . Deshalb ist, glaube ich, dieses Geld eine gut getä-
tigte Investition in den Standort Deutschland .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Da wir ein Angebot für alle Körperschaften unterbrei-
ten, glauben wir, dass wir auch kein Problem mit dem
europäischen Recht haben . In der Vergangenheit haben
wir an dieser Stelle immer wieder Ideen vorgetragen, die
auf spezielle Ausschnitte unserer Wirtschaft ausgerichtet
waren . Diesmal wählen wir einen breiten allgemeinen
Ansatz für all diejenigen, die die genannten Vorausset-

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


zungen erfüllen . Deshalb glaube ich, dass das ein guter
Vorschlag ist, und ich würde mich freuen, wenn er in der
Beratung breite Unterstützung bekommt .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819613700

Vielen herzlichen Dank, Dr . Meister . – Nächste Red-

nerin: Susanna Karawanskij für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Susanna Karawanskij (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819613800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Finanzminister Schäuble hat in den Haushalts-
beratungen angekündigt, bis 2020 die schwarze Null
zu halten . Obwohl an dieser Staatsdoktrin krampfhaft
festgehalten wird, werden auf einmal für 2017 Steuer-
senkungen versprochen . Der Finanzminister hatte zwar
recht, als er sagte, dass wir in widersprüchlichen Zeiten
leben, aber wir als Linke würden es gut finden, wenn das
Gesagte belastbar wäre und sich nicht fünf Wochen spä-
ter neue Widersprüche auftun .


(Beifall bei der LINKEN)


Denn nun sind Steuersenkungen geplant, und zwar
nicht etwa für Privatleute – für den kleinen Mann oder
die Alleinerziehende –, sondern für Unternehmen, ge-
nauer gesagt für private Investoren in sogenannte Start-
ups . Das klingt erst einmal positiv und innovativ – das
haben wir auch gerade von Herrn Dr . Meister gehört –,
und man denkt dabei an Unternehmensgründungen: von
einer Idee zur Umsetzung, wo Geldgeber entsprechend
einsteigen können . Das ist auch in einigen Fällen so .

Aber schauen wir uns das einmal genauer an: Start-
ups machen gerade in den ersten Jahren große Verluste,
und der Großteil der Start-ups überlebt die ersten Jah-
re gar nicht . Ein beträchtlicher Teil dieser Start-ups soll
nämlich möglichst schnell hohe Profite erwirtschaften
und dann, wenn die Profitaussichten gut sind – was erst
einmal Spekulation ist –, an große Unternehmen weiter-
verkauft werden . Damit sind Start-ups eben keine gute
Adresse für nachhaltiges Wirtschaften, sondern sie sind
vor allen Dingen für Investoren und Wagniskapitalgeber
interessant . „Venture Capital“ und „Business Angels“
sind entsprechende Stichworte in diesem Zusammen-
hang .

Die Investoren und Wagniskapitalgeber sollen vor al-
len Dingen dadurch angelockt werden – neben den Pro-
fitaussichten –, dass sie ihre Verluste mit späteren Ge-
winnen verrechnen können . Damit müssen sie weniger
Gewinne versteuern, und damit fällt auch die Körper-
schaftsteuer geringer aus .

Nach derzeitigem Rechtsstand können noch nicht
steuerlich genutzte Verluste rasch verfallen . Das wurde
gerade schon gesagt . Bei einer Übertragung von 25 Pro-
zent der Anteile geht der Verlust anteilig unter . Bei über
50 Prozent der Anteile kommt es dann zum vollständi-
gen Untergang der vorhandenen Verluste . Diese können
dem Finanzamt gegenüber nicht mehr geltend gemacht

werden, wenn sich die Anteilseignerstruktur verändert .
Das geschieht häufiger, weil man frisches Kapital für ein
Start-up anlocken und anwerben möchte . Diese Rege-
lung macht Sinn . Es sollen nämlich genau solche Spe-
kulationen mit Unternehmen, die aufgrund ihrer Verluste
für Investoren attraktiv werden, verhindert werden .

Bei den Start-ups ist es so, dass Verluste aus den Vor-
jahren nicht berücksichtigt werden können, wenn ein
Wagniskapitalgeber in einem bestimmten Umfang ein-
steigt und sich damit die Anteilseignerstruktur bedeut-
sam ändert . Damit sind die Start-ups uninteressanter für
solche Kapitalgeber .

Zukünftig sollen unabhängig von dieser Anteilseig-
nerstruktur Verluste fortgeschrieben werden können,
wenn ein – das ist die Einschränkung – seit mindestens
drei Jahren bestehender Geschäftsbetrieb erhalten bleibt
und eine anderweitige Nutzung ausgeschlossen ist .

Der Wermutstropfen dabei ist nämlich, dass die Klau-
seln „bestehender Geschäftsbetrieb“ und „Ausschluss
der anderweitigen Nutzung“ kaum werden verhindern
können, dass Betriebe allein wegen ihrer steuerlichen
Verlustverrechnung ausgeschlachtet werden .

Aus meiner Sicht gestaltet sich genau diese Abgren-
zung, was ein bestehender Geschäftsbetrieb ist, sehr
schwierig . Aus linker Sicht muss hierbei gründlich nach-
gebessert werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben es nicht mit einer zielgenauen Förderung
von Start-ups zu tun . Denn diese neuen Regelungen gel-
ten auch für Investitionen in bereits etablierte Unterneh-
men, die jetzt von der Verlustverrechnung und dem Steu-
ersparmodell profitieren. Das hat das Finanzministerium
unumwunden in der Antwort auf eine Frage zugegeben,
die ich vor einer Woche erhalten habe . Es gibt eine ge-
gen Missbrauch gerichtete Beschränkung der Verlustver-
rechnung bei Unternehmenserwerben gegen sogenannte
Mantelverkäufe . Diese untergraben Sie mit diesem Ge-
setzesvorhaben selbst . Das ist im Prinzip ein Care-Paket
für Geldhaie und Zocker .


(Widerspruch bei der CDU/CSU)


Ich will ganz klar sagen: Es sind Steuerminderein-
nahmen oder -verluste in Höhe von 600 Millionen Euro
jährlich . Allein der kommunalen Familie werden damit
235 Millionen Euro aus dem Säckel gezogen . Das ma-
chen wir von der Linken nicht mit .


(Beifall bei der LINKEN – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Eine Unverschämtheit!)


Meine Damen und Herren, Sie wollen mit diesem
Gesetzentwurf die Start-up- und Wagniskapitalszene för-
dern . Aber ebenso fördern Sie damit größere Unterneh-
men . Das ist tatsächlich mal wieder ein Kniefall vor der
Lobby .

Das Tragische ist, dass Sie eigentlich jahrelang bei den
wichtigsten Start-ups in der Bundesrepublik versagen,
nämlich bei den Kindern . Gerade einmal schlappe 2 Euro

Parl. Staatssekretär Dr. Michael Meister






(A) (C)



(B) (D)


mehr Kindergeld soll es geben . Wagniskapitalgeber wer-
den gleichzeitig mit Millionenbeträgen gepampert .


(Zuruf von der CDU/CSU: Ei, ei, ei!)


Das ist die falsche Prioritätensetzung . Wir Linke haben
einen umfassenden Aktionsplan gegen Kinderarmut ein-
gebracht, um Steuereinnahmen sozial gerechter zu ver-
teilen . Das wäre der richtige Ansatzpunkt, anstatt weiter-
hin Lobbyismuspolitik zu betreiben .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819613900

Vielen Dank, Susanna Karawanskij . – Nächster Red-

ner ist Lothar Binding für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1819614000

Schönen Dank . – Frau Präsidentin! Sehr verehrte Da-

men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zum
Stichwort „Kinder“ ist mir eingefallen, dass es heute ir-
gendwie auch um Kinder geht . Denn die Bedeutung neu-
er erfindungsreicher Unternehmen, Start-Ups und Grün-
dungen sind eigentlich die Kinder der Unternehmen, die
unsere Wirtschaft und unser Land zukunftsfähig machen .
Sie haben eine ganz wichtige Bedeutung .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Sigmar Gabriel wird nicht müde, allen zu erklären,
welche Bedeutung diese Unternehmen haben . Trotzdem
haben wir ein Problem: Wie wollen wir diese von uns
allen gewünschten Firmen fördern, ohne in wettbewerbs-
rechtliche Probleme in Europa zu geraten?

Fördere ich ein innovatives Unternehmen, sagt jedes
andere: Ich bin auch innovativ . – Schon handele ich wett-
bewerbsverletzend und europarechtswidrig . Deshalb war
der Gesetzentwurf relativ kompliziert zu machen . An ei-
nigen Stellen müssen sicherlich Nachsteuerungen vorge-
nommen werden .

Nun steht da: Wir wollen die steuerliche Verlustver-
rechnungsbeschränkung bei Körperschaften neu regeln .
Ich frage mich, ob irgendein Bürger weiß, was „Verlust-
verrechnungsbeschränkung bei Körperschaften“ bedeu-
tet .


(Heiterkeit bei der SPD)


Ich erkläre das an einem einfachen Bespiel . Ein Unter-
nehmen, das 10 Millionen Euro Gewinn macht, müsste
3 Millionen Euro bezahlen. Davon fließen 1,5 Millionen
Euro an die Gemeinde und 1,5 Millionen Euro an den
Bund . Aber bei diesem Unternehmen gab es möglicher-
weise schon längst vergessene Verluste . Wenn es diese
Verluste in Höhe von vielleicht 5 Millionen Euro entspre-
chend geltend macht, sagt das Unternehmen: Ich habe
10 Millionen Euro Gewinn, kann aber 5 Millionen Euro
Verlust geltend machen . Dann habe ich nur 5 Millionen
Euro Gewinn, auf den ich nur 1,5 Millionen Euro Steu-
ern bezahlen muss . – So sieht man: Alte Verluste sparen

Steuern in der Zukunft . Das wollen wir nicht . Deshalb
brauchen wir ein Gesetz, das diesen Effekt verhindert .

Wir reden jetzt über § 8d im Körperschaftsteuerge-
setz, was bedeutet, dass es auch einen § 8c gibt . Die gute
Sache bei diesem Gesetzentwurf ist, dass § 8c erhalten
bleibt .


(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja super!)


– Ganz super ist er nicht . Der Zwischenruf war nur be-
dingt richtig .


(Heiterkeit bei der SPD)


Denn wir haben einen guten § 8c im Jahr 2008 ge-
macht . Jedoch gibt es dabei einen Wermutstropfen:
Schwarz-Gelb hat diesen guten § 8c aus dem Jahr 2008
dummerweise abgemildert, abgeschwächt und verwäs-
sert. Da wurde ein Schlupfloch aufgemacht, indem der
Verlustvortrag in Höhe der stillen Reserven erhalten blei-
ben konnte . Das war schlecht .

Der Gesetzentwurf, den wir heute beraten, ist gut .
Man muss sagen: Wir haben lange danach gesucht, eine
Förderung einzurichten, die europarechtstauglich und
trotzdem einigermaßen zielgenau ist .

Wie funktioniert das nun eigentlich? Eigentlich soll
nicht der Staat, sondern es sollen Business Angels die
Unternehmen fördern . Was macht ein Business Angel?
Er gibt Geld und seinen guten Namen und trägt das Risi-
ko . Das alles macht er total selbstlos . Aber ein Business
Angel will auch Business machen; das ist klar . Er schätzt
also das Risiko ab . Bei Verkauf von Beteiligungen oder
Aufnahme neuer Gesellschafter sind bisher alle Verluste
quotal bzw . total untergegangen . Es ist klar, dass das eine
Investitionsbremse für jeden ist, der darüber nachdenkt,
einem Unternehmen Geld zu geben, obwohl er nicht
genau weiß, ob die Innovation, über die das Unterneh-
men verfügt, funktioniert, ob das ein tolles Unternehmen
wird oder ob das Unternehmen in Konkurs geht, weil die
Geschäftsidee nicht funktioniert . Deshalb ist es gut, im
Körperschaftsteuergesetz den neuen § 8d hinzuzufügen .
Er erlaubt teilweise, Verluste mit zukünftigen Gewinnen
zu verrechnen, um Business Angels und ihr Geld anzulo-
cken . Aber im Gegensatz zu § 8c wird nicht jedem diese
Möglichkeit eröffnet . Eine ganz wichtige Voraussetzung
ist, dass der Betrieb fortgeführt wird .

Nun gibt es noch ein paar andere harte Bedingungen,
die nicht jedes Unternehmen so einfach erfüllt . Der be-
treffende Betrieb muss schon drei Jahre vor dem Antrag
existiert haben . Er darf keine weiteren Geschäftsbetriebe
aufnehmen . Er darf keine Beteiligungen an Mitunterneh-
merschaften haben . Er darf kein Organträger sein . Or-
ganschaften haben in der Vergangenheit immer zur Ver-
rechnung von Verlusten mit Gewinnen gedient . Zudem
darf der Betrieb keine Wirtschaftsgüter unter dem Markt-
wert aufnehmen . Das sind vier oder fünf relativ klare Be-
dingungen, unter denen überhaupt ein Antrag, wie Herr
Dr . Meister ausgeführt hat, gestellt werden kann, wenn
der Betrieb unter § 8d fallen soll . Wie man sieht, bleibt
§ 8c erhalten . Mit § 8d sind wir auf einem guten Weg,
unser Ziel zu erreichen . Es stimmt, dass es auch einen
Wermutstropfen gibt . Schließlich können alle Unterneh-

Susanna Karawanskij






(A) (C)



(B) (D)


men, nicht nur die innovativen, einen entsprechenden
Antrag stellen . Das schwächt die Zielgenauigkeit; das
ist ein Nachteil . Ich hoffe, dass die Start-ups, die diese
Neuerung gefordert haben, wissen, dass von 100 Euro
Förderung möglicherweise nur 10 bis 15 Euro bei ihnen
ankommen . Aber das lässt sich aus europarechtlichen
Gründen nicht anders machen .

Es gibt allerdings einen Fall, auf den wir achtgeben
müssen . Ich nenne als Beispiel einen Betrieb, der bis
vor fünf Jahren Röhren produziert hat . Der Unternehmer
hat mit seinem Röhrenunternehmen einige Millionen
Euro Verluste gemacht . Wenn dieses Unternehmen unter
Bezugnahme auf § 8d drei Jahre lang – so lange dauert
gewissermaßen die Wohlverhaltensphase – Schrauben-
zieher produziert – wie wir alle wissen, werden Schrau-
benzieher überall gebraucht –, kann dieses Unternehmen
seine Altschulden in beliebiger Höhe mit zukünftigen
Gewinnen verrechnen . Das ist der alte Mantelkauf, den
wir mit dem § 8c verhindern wollten . Die Brücke in
die Welt vor dem alten § 8c müssen wir zerstören . Wir
werden sicherlich einen entsprechenden Antrag stellen
müssen, um nicht eine ganz gefährliche Verlustverrech-
nungskarawane im Land auszulösen, die in fiskalischer
Hinsicht gravierende Folgen hat .


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Schönen Dank für die Aufmerksamkeit und Gratulati-
on zu diesem Gesetz .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819614100

Vielen Dank, Kollege Binding, auch vielen Dank von

uns für die erklärenden Beispiele . Manchmal ist es gar
nicht so einfach, Ihren klugen Ausführungen zu lauschen
und sie nachzuvollziehen . Das liegt aber am Metier .


(Zuruf von der SPD: Auch am Redner! Aber das freut uns!)


Nächster Redner: Dr . Thomas Gambke für Bünd-
nis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin, ich hoffe, dass auch ich ein paar an-
schauliche Beispiele nennen kann . Die Messlatte wurde
ja hoch gelegt .

Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Die Zielsetzung des vorliegenden Gesetz-
entwurfs steht bei uns im Wahlprogramm . Wir haben das
oft gefordert . Es ist absolut richtig, darüber nachzuden-
ken, wie wir gerade innovativen, jungen Unternehmen
über eine längere Strecke, und zwar auch über die Stre-
cke, auf der sie Verluste machen, weiterhelfen können .
Frau Karawanskij, die Verluste treten nicht deshalb auf,
weil der Investor, der dahinter steht, hohe Gewinne ma-
chen will . Vielmehr treten viele Verluste bei Unterneh-
men auf, die sich mit nachhaltiger Technologie befassen .

Da spreche ich fast pro domo; denn ich habe selbst ein
Unternehmen, das in dem Bereich tätig ist . Solche Fir-
men müssen über einen langen Zeitraum entwickeln und

produzieren, ohne dass sie Gewinne machen können . Sie
fahren vielmehr Verluste ein . Es ist natürlich richtig, sich
darüber Gedanken zu machen, wie diese Verluste geltend
gemacht werden können . Diese langen Zeiträume betref-
fen gerade Hochtechnologieunternehmen zum Beispiel
im Bereich der Biochemie oder etwa der Elektronik .

Wir haben leider einen Rückgang von Unterneh-
mensneugründungen . Der ist wirklich erheblich . Ich
habe nachgeschaut: Von 2001 bis 2016 ging die Zahl
der Unternehmensneugründungen von 1,5 Millionen auf
0,76 Millionen – das ist die Hälfte – zurück . Das heißt,
wir reden hier vor dem Hintergrund, dass die Innovati-
onsfreudigkeit von Unternehmen, wenn man den Zahlen
glauben kann, eher abnimmt .

Aber wir müssen prüfen, welche Möglichkeiten – die
Konzernklausel und die Stille-Reserven-Klausel sind
angesprochen worden – bestehen . Wir müssen uns aber
auch fragen – da ist die Kritik berechtigt –: Wie breit darf
der Spielraum sein? Kollege Binding hat darauf hinge-
wiesen . Wir dürfen nicht zu dem sehr schlechten Verhält-
nis, das Sie genannt haben, kommen, nämlich dass von
100 Euro Förderung nur 10 Euro im Sinne der Zielset-
zung, die wir haben, wirksam werden .

Dann kommt man sehr schnell darauf, dass neben den
innovativen Unternehmen auch andere davon profitie-
ren – da müssen wir genau hinschauen, ob wir uns diese
Breite erlauben wollen – und dann das Instrument auch
noch nicht einmal sinnvoll greift . Denn es entsteht dabei
so etwas wie ein Lock-in-Effekt, wenn wir sagen, dass
die Geschäftstätigkeit weiter fortgesetzt werden müsse .
Gerade bei alteingesessenen Unternehmen, die Proble-
me bekommen – wir haben das übrigens im Rahmen der
Erbschaftsteuer im Zusammenhang mit der Lohnsum-
menregelung diskutiert –, erleben wir oft die Notwen-
digkeit einer Neuausrichtung hinsichtlich der Kunden,
des Produktportfolios; möglicherweise ist sogar die Auf-
spaltung des Unternehmens sinnvoll . Wenn wir das mit
dem Hinweis blockieren, dass nur dann Verluste weiter
fortgeschrieben werden könnten, wenn diese Maßnah-
men nicht umgesetzt werden können, dann machen wir
eigentlich genau das Falsche .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Insofern glaube ich, dass wir uns die Zieldefinition
noch einmal genauer anschauen und scharf prüfen müs-
sen, in welchem Umfang wir den jetzt vorgeschlagenen
Regierungsentwurf unterstützen können . Ich bin da ein
bisschen skeptisch . Wir müssen genau darüber nachden-
ken, wie wir junge und innovative Unternehmen wirk-
lich stützen wollen . Wir haben über die steuerliche For-
schungsförderung diskutiert . Das würde bedeuten, einen
aktiven Beitrag zu leisten . Das wäre ein Vorschlag .

Die zweite Möglichkeit: Wir haben immer wieder
gesagt, dass wir bessere Rahmenbedingungen schaffen
müssen, ob das im Bereich der erneuerbaren Energien
oder im Bereich der Digitalisierung ist . Das heißt, wir
müssen aktiv einen Rahmen setzen, in dem innovative
Unternehmen tätig sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Lothar Binding (Heidelberg)







(A) (C)



(B) (D)


Etwas hat mich an dem Prozedere gewundert . Wenn
ich es richtig gehört habe, dann sind bisher die Länder
und auch Europa gerade nicht eingebunden worden . Herr
Kollege Binding hat darauf hingewiesen . Das Thema hat
uns schon zwei, drei Jahre beschäftigt . Immer wenn ich
die Regierung gefragt habe, was sie diesbezüglich ma-
che, wurde mir geantwortet: Wir arbeiten daran . – Die
Regierung hat es aber nie verstanden, unserer Fraktion
oder den Ländern ein Feedback darüber zu geben, wor-
an sie denkt . Jetzt kommt die Bundesregierung mit dem
§ 8d, der, soviel ich weiß, zumindest bei den Ländern,
und zwar wegen der Zielungenauigkeit, durchaus Beden-
ken auslöst .

Insofern hoffe ich, dass wir das Thema sehr konstruk-
tiv angehen und wir uns noch einmal anschauen, welche
anderen Möglichkeiten es gibt, um die Zielsetzung, die
wir haben, zu erfüllen . Die Zielsetzung ist, junge und in-
novative Unternehmen zu fördern . Wir sollten Unterneh-
men, die ein Risiko eingehen, belohnen oder zumindest
nicht dadurch bestrafen, dass mit dem Risiko verbundene
Verluste das Unternehmen beeinträchtigen . Wenn wir in
dem Sinne das ganze Thema verhandeln können, dann
kommen wir zu einem gemeinsam getragenen Ergebnis,
wenn nicht, müssen wir uns andere Möglichkeiten ge-
nauer anschauen .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819614200

Vielen Dank, Dr . Thomas Gambke . – Der nächste

Redner: Dr . Philipp Murmann für die CDU/CSU-Frak-
tion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Philipp Murmann (CDU):
Rede ID: ID1819614300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Die Geschichte dieses Ge-
setzes ist lang . Schon 2007 haben Kollegen, die jetzt
auch noch hier sitzen, darauf hingearbeitet, Wachstums-
finanzierung möglich zu machen. Damals waren Klaus-
Peter Flosbach und Heinz Riesenhuber mit dabei . Es
ging dabei um das sogenannte MoRaKG, das Gesetz zur
Modernisierung der Rahmenbedingungen für Kapitalbe-
teiligungen . Das ging sogar durch Bundestag und Bun-
desrat, wurde dann aber von der EU gekippt – mit der
wesentlichen Begründung, es sei zu schmal, es werde da-
mit Beihilfe geleistet, die Wettbewerbsverzerrung durch
die Beihilfe würde die positiven Aspekte dieses Gesetzes
überlagern, insofern sei es nicht EU-konform . Das war
das große Problem .

Seitdem haben viele Gehirne daran gearbeitet, um
eine Lösung zu finden. Nun haben wir diese Lösung. Alle
Bedenkenträger, die unterwegs sind bzw . waren, sind,
denke ich, mit eingebunden worden . Insofern ist aus mei-
ner Sicht mit diesem Gesetz jetzt schon ein Durchbruch
geschafft worden . Insofern würde ich mich auch freuen,
wenn wir das möglichst breit tragen würden . Für unseren

Standort ist das – um das gleich einmal vorneweg zu sa-
gen – wirklich ein super Gesetz .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Wir sollten auch denen Dank sagen, die daran mitge-
wirkt haben: Staatssekretär Meister für das BMF, Frau
Zypries, denke ich, für das BMWi . Sie haben mit Helge
Braun aus dem Bundeskanzleramt zusammengesessen,
um das sozusagen von allen Seiten zu beleuchten . Natür-
lich gab es auch sanften Druck des Parlaments, aber nicht
nur der Opposition . Auch die Regierungsfraktionen ha-
ben immer wieder gefragt: Wie weit seid ihr denn? Jetzt
muss doch mal etwas kommen .

Jetzt aber haben wir etwas . Darüber diskutieren wir
in der ersten Lesung . Wir haben den § 8c – er wurde
schon beschrieben; insofern will ich nicht zu sehr darauf
eingehen – mit zwei Ausnahmen, die nur für bestimmte
Unternehmen gelten; nur dann können Verluste weiter
vorgetragen werden .

Jetzt gibt es den neuen § 8d. Ich finde die Idee groß-
artig . Zum § 8c hat man gesagt, es werde immer nur auf
den Anteilseigner geschaut . Bei einem neuen Anteilseig-
ner sind die nicht genutzten Verluste jeweils weg; der
Geschäftsbetrieb ist völlig außen vor . Jetzt sagt man: Ihr
müsst euch mit Antrag entscheiden, ob ihr nicht in ein
anderes Regime wechseln wollt, und dann wird auf den
Geschäftsbetrieb und nicht mehr darauf geguckt, ob es
einen Anteilseignerwechsel gibt oder nicht . Das inter-
essiert dann im Grunde nicht, sondern solange der Ge-
schäftsbetrieb fortgeführt wird, bleiben die nicht genutz-
ten Verluste erhalten .

Jetzt komme ich – das klang auch schon in einigen
Reden an – zu der Frage, über die wir noch diskutieren
werden: Was ist ein Geschäftsbetrieb? Da hat das Minis-
terium erst einmal in den Gesetzentwurf hineingeschrie-
ben – ich möchte das kurz zitieren –:

Ein Geschäftsbetrieb umfasst die von einer einheit-
lichen Gewinnerzielungsabsicht getragenen, nach-
haltigen, sich gegenseitig ergänzenden und fördern-
den Betätigungen der Körperschaft und bestimmt
sich nach qualitativen Merkmalen einer Gesamtbe-
trachtung .

Ich denke, das wird nachher das Thema sein, um das es
gehen wird .

Qualitative Merkmale sind insbesondere die ange-
botenen Dienstleistungen oder Produkte, der Kun-
den- und Lieferantenkreis, die bedienten Märkte
und die Qualifikation der Arbeitnehmer.

Das ist – ich sage das einmal so – eine Definition, die den
Rahmen sicherlich schon ganz gut absteckt .

Es gibt aber, wie gesagt, einige Eingrenzungen, was
so ein Geschäftsbetrieb nicht machen darf . Ich denke, da
sind wir auch in vielen Fragen einig . Er darf nicht ein-
fach ruhend gestellt werden . Die Körperschaft darf sich
nicht an einer Mitunternehmerschaft beteiligen und nicht
Organträger werden . Es dürfen nicht unter gemeinem
Wert angesetzte Wirtschaftsgüter übertragen werden . Ich

Dr. Thomas Gambke






(A) (C)



(B) (D)


denke, diese Themen sind wahrscheinlich konsensfähig,
oder es besteht bei ihnen sowieso Konsens .

Dann gibt es noch zwei Themen, über die wir si-
cherlich noch diskutieren müssen . Einmal geht es um
den Fall, dass ein Geschäftsbetrieb einer andersartigen
Zweckbestimmung zugeführt wird . Dabei geht es so ein
bisschen um das Beispiel, das Lothar Binding angeführt
hat: von Röhren auf Schraubenzieher umgestellt . Die
Frage ist aber natürlich auch, wie weit das geht .

Zum anderen gibt es den Fall, dass ein zusätzlicher
Geschäftsbetrieb aufgenommen wird . Das ist natürlich
gerade bei Start-up-Unternehmen häufig das Problem.
Sie fangen meinetwegen an, mit einem Wirkstoff zu ar-
beiten, weil sie Schnupfen bekämpfen wollen . Im Laufe
der Zeit stellt sich dann aber heraus, dass der Wirkstoff
nicht bei Schnupfen wirkt, dafür aber beispielsweise für
die Haut gut ist . Damit ändert sich natürlich etwas . Das
kann natürlich auch der Auslöser dafür sein, dass ein neu-
er Anteilseigner sagt: Jetzt ist das für mich interessant .
Ich gehe da hinein und gebe auch Kapital dazu .

Wenn wir das zu eng fassen, sind bestimmte Verän-
derungen, die bei wachsenden Unternehmen natürlich
immer vorhanden sind, gar nicht mehr möglich . Dann
kommen wir wieder auf das alte Verlustthema zurück .

Also, an der Stelle müssen wir, denke ich, schon noch
ein bisschen darüber diskutieren, wie wir das so ausge-
stalten, dass wir nachher auch wirklich die Wirkung ha-
ben, die wir haben wollen . Es ist ja schon klar geworden:
Es gilt grundsätzlich für alle Unternehmen . Denn sonst
kriegen wir das mit der EU auch gar nicht übereinander .
Insofern ist der Ansatz aus meiner Sicht auch ganz genau
richtig .

Ich würde zum Schluss gern noch drei Punkte anspre-
chen .

Der erste Punkt – es wurde schon angesprochen – ist
der Name . Der Name „Gesetz zur Weiterentwicklung der
steuerlichen Verlustverrechnung bei Körperschaften“ ist
natürlich etwas für Technikfreaks . Wir sollten noch ein-
mal darüber nachdenken, ob wir nicht einen etwas schö-
neren Namen finden, der das Ziel besser beschreibt und
trotzdem EU-konform ist, ich sage jetzt mal: „Gesetz zur
Verbesserung der Wachstumsfinanzierung von Körper-
schaften“ oder „ . . . von Geschäftsbetrieben“, wenn man
das nun unbedingt noch haben will, oder so ähnlich . Das
wäre, glaube ich, schon der Mühe wert, um auch nach
außen zu zeigen, dass es ein gutes Gesetz ist .

Der zweite Punkt . Es gibt eine Rückwirkung zum
1 . Januar 2016 . Das heißt: Auch Anteilsübertragungen,
die in diesem Jahr erfolgt sind, wären noch durch das Ge-
setz abgedeckt . Das ist natürlich positiv .

Der dritte Punkt, der auch schon angesprochen wur-
de, sind die finanziellen Auswirkungen. Ich denke, wir
sollten noch einmal genau hinterfragen, wo eigentlich
diese 600 Millionen Euro Steuermindereinnahmen her-
kommen . Das kann ja nur ein Drittel sein, weil es um
die steuerlichen Wirkungen geht . Das heißt, es müssten
1,8 Milliarden Euro Verluste innerhalb von einem Jahr
plötzlich durch dieses Gesetz Wirkung entfalten und die-
se 600 Millionen Euro auslösen . Das scheint aus meiner

Sicht doch sehr hoch gegriffen zu sein . Natürlich müssen
sich Bund, Länder und Gemeinden, die über die Gewer-
besteuer in der Tat am meisten betroffen sind, wenn man
so sagen will, daran auch beteiligen . Aber ich denke, für
jede Kommune ist es natürlich auch eine Investition in
den Standort, wenn man ein Unternehmen hat, das mit
neuem Anteilseigner wachsen kann, Arbeitsplätze schaf-
fen kann und dann vor Ort weiterhin bleibt und eben
nicht in die USA oder in andere Länder abwandert, wo
die Verluste sowieso verrechnet werden können . Insofern
ist das ein sehr guter Ansatz .

Ich freue mich auf die weiteren Beratungen und danke
noch einmal für diesen guten Entwurf .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819614400

Für die SPD spricht jetzt der Kollege Dr . Jens

Zimmermann .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Jens Zimmermann (SPD):
Rede ID: ID1819614500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem

vorliegenden Gesetzentwurf will die Bundesregierung
die Rahmenbedingungen für die Kapitalausstattung von
Unternehmen verbessern, auch wenn das aus dem Titel
des Gesetzes zunächst einmal nicht unbedingt hervor-
geht . Doch wir haben uns seit vielen Jahren in der Ko-
alition Gedanken darüber gemacht: Wie können wir die
Rahmenbedingungen, gerade für junge Unternehmen,
die berühmten Start-ups, die in aller Munde sind, verbes-
sern? Dazu gehört eben auch das Thema Kapitalausstat-
tung . Wir haben im Koalitionsvertrag damals verabredet,
ein Wagniskapitalgesetz zu machen . Das haben wir jetzt
nicht . Aber die Bausteine dazu schaffen wir jetzt an vie-
len anderen Stellen . Wir als SPD-Bundestagsfraktion be-
grüßen das ausdrücklich .

Sowohl als Digitalpolitiker als auch als Finanzpoliti-
ker habe ich mich selbst intensiv mit diesen Problemen
beschäftigt . Wir sind viel unterwegs gewesen, und wir
machen uns ja immer wieder Gedanken: Was sind denn
die Standortfaktoren, die die Gründung von Unterneh-
men beeinflussen? Wir haben festgestellt, dass das aktu-
ell in Deutschland eigentlich nicht das zentrale Problem
ist . Es wird so viel gegründet wie seit vielen Jahren nicht
mehr . Aber dann geht es ja weiter . Das Problem, das wir
sehen und über das uns häufig berichtet wird, ist, dass
dann in der Wachstumsphase in Deutschland kein ausrei-
chender Zugang zu Kapital vorhanden ist . Es gibt die un-
terschiedlichsten Strategien, die die Unternehmen dann
wählen . Es ist eben schon angesprochen worden: Häu-
fig ist die Strategie dann der Weggang ins Ausland. Das
kann nicht in unserem Interesse sein, und das kann auch
nicht im Interesse der deutschen Wirtschaft sein, meine
Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir brauchen in unseren Start-up-Städten in Deutsch-
land – Berlin ist da wirklich europa- und weltweit in aller
Munde; aber es betrifft auch andere Städte, ich denke da

Dr. Philipp Murmann






(A) (C)



(B) (D)


nur an Frankfurt als eines der neuen Center für das ganze
Thema FinTech –, um erfolgreich zu sein, eben nicht nur
gute Ideen und kluge Köpfe, sondern auf der langen Stre-
cke auch eine ausreichende Kapitalausstattung . Ich will
an dieser Stelle einmal den Bogen spannen . Wir haben
ja über diesen Gesetzentwurf, den wir heute diskutieren,
hinaus schon einige andere Maßnahmen ergriffen . Das
Ganze läuft unter dem Titel „Die Neue Gründerzeit“ .
Wenn ich da zum Beispiel an die steuerliche Freistellung
des INVEST-Zuschusses denke, wenn ich an das Klein-
anlegerschutzgesetz und die Diskussion über das Thema
Crowd-Investment denke, wenn wir uns anschauen, dass
das Wirtschaftsministerium in Zusammenarbeit mit der
KfW 400 Millionen Euro für die entsprechenden Fonds
zur Verfügung gestellt hat, dann muss man sagen: Da ist
viel getan worden . Dieses Gesetz, das wir heute in erster
Lesung beraten, ist ein weiterer Baustein dieser Strategie .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist von den Vorrednern schon angesprochen wor-
den: Wir haben eine nicht unerhebliche Aufgabe ange-
nommen . Wir wissen genau, was wir fördern wollen .
Jeder kann sich unter „Start-up“ etwas vorstellen . Wir
wissen ziemlich genau, wen wir fördern wollen . Aber bei
diesem Gesetz müssen wir sehr allgemein formulieren,
damit wir am Ende nicht in europäische Wettbewerbs-
probleme kommen . Deswegen haben wir als Deutscher
Bundestag und hat auch der Finanzausschuss die Aufga-
be, sehr genau hinzuschauen und mit Expertinnen und
Experten darüber zu diskutieren: Wie zielgenau funk-
tioniert dieses Gesetz, und wie hoch sind am Ende die
Streuverluste? Denn die gilt es zu minimieren .

Ich bin gespannt, welche Rückmeldungen wir aus der
Praxis bekommen werden . Bei der Kritik, die ich teilwei-
se vonseiten der kommunalen Ebene gehört habe, muss
man auch ein wenig aufpassen . Wir haben gerade eine
Einigung über die Bund-Länder-Finanzbeziehungen er-
zielt . Wenn ich es richtig sehe, werden wir als Bund in
den kommenden Jahren sehr hohe Milliardenbeträge in
die Hand nehmen . Deswegen müssen wir an dieser Stel-
le ein bisschen Maß und Mitte walten lassen; denn am
Ende des Tages ist das Gesetz, das wir hier beraten, im
Interesse der Kommunen genauso wie im Interesse des
ganzen Landes . Wenn wir es schaffen wollen, die The-
men, die uns die Digitalisierung momentan stellt, rich-
tig zu bearbeiten und daraus erfolgreich hervorzugehen,
dann müssen wir jetzt die richtigen Weichen stellen . Es
wäre Augenwischerei, zu glauben, man könne jetzt den
einen oder anderen Euro Gewerbesteuer sichern, ohne
gleichzeitig in neue Technologien, in neue Unternehmen
zu investieren . Deswegen bin ich mir auch sicher, dass
wir diese Diskussion am Ende zu aller Zufriedenheit lö-
sen können .

In diesem Sinne herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819614600

Abschließender Redner in dieser Aussprache ist der

Kollege Dr . Hans Michelbach für die CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1819614700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist eine Binsenweisheit: Die Erhaltung unserer wirt-
schaftlichen Leistungsfähigkeit ist kein Selbstläufer .
Dieser Gesetzentwurf sichert, dass Deutschland als Wirt-
schafts- und Investitionsstandort weiterhin hochattraktiv
bleibt und attraktiver wird . In Zukunft erhalten unsere
Unternehmen neue Impulse, um in Wachstumsmärkte zu
investieren . Das dient den Investoren, das dient aber auch
den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutsch-
land .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zur Chancengerechtigkeit gehört, dass risikobedingte
Verluste auch eine Verlustverrechnung erhalten . Wenn
wir darüber diskutieren, dass Apple durch Steuervermei-
dung eine Steuerlast in Höhe von nur noch 1 Prozent hat,
dann müssen wir doch gerade für die kleinen, mittleren
und jungen Unternehmen ein Gerechtigkeitsangebot ma-
chen, indem wir ihnen Chancen vermitteln und ihnen
Chancen geben .

Für mich ist dieses Gesetz ein Unternehmensmoder-
nisierungsgesetz, ein Unternehmensfördergesetz . Wir
werden Wachstum und Investitionen nur schaffen, wenn
wir den Zugang zu privatem Beteiligungskapital ver-
einfachen und vor allem auch breit ermöglichen . Neue
Arbeitsplätze benötigen neues Kapital . Es geht nicht an-
ders . Der Wettbewerbsdruck in der globalisierten Welt
verlangt geradezu neue Investitionen, um die Zukunft zu
gewinnen . Mit dem heute zu beratenden Gesetzentwurf
wird die steuerliche Verlustverrechnung bei Körperschaf-
ten und Unternehmen neu ausgerichtet . Dadurch werden
steuerliche Hemmnisse bei der Kapitalausstattung von
Unternehmen vermieden . Steuerlich nicht genutzte Ver-
luste gehen dann auch bei einem Anteilseignerwechsel
nicht verloren . Sie gehen bisher nur dann nicht verloren,
wenn die Körperschaft die Stille-Reserven-Klausel oder
die Konzernklausel erfüllt . So regelt es bisher § 8c Kör-
perschaftsteuergesetz . Die Praxis hat aber gezeigt, dass
diese Ausnahmen sehr eng gefasst sind – natürlich, weil
man Missbrauch vermeiden wollte . Aber wir können die
kleinen und mittleren jungen Unternehmen nicht dadurch
bestrafen, dass über § 8c Missbrauch eingeschränkt wer-
den muss .


(Beifall des Abg . Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Jetzt geben wir den kleinen und mittleren jungen Unter-
nehmen mit dem neuen § 8d eine neue Chance, eine neue
Unterstützung .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ich glaube, dass wir eine gute Kapitalausstattung be-
nötigen, um Liquiditätsengpässe, Finanzierungsengpäs-
se und finanzielle Schwierigkeiten bei Unternehmen zu

Dr. Jens Zimmermann






(A) (C)



(B) (D)


verringern – durch bessere Möglichkeiten, in den Wett-
bewerb einzusteigen und die Wettbewerbsfähigkeit für
die Zukunft zu sichern . Oftmals sind Investitionen zum
Überleben notwendig, und Voraussetzung ist häufig, dass
der Einstieg eines Gesellschafters möglich ist, dass es
einen Anreiz für den Einstieg gibt . Rückwirkend zum
1 . Januar 2016 können nun nicht genutzte Verluste trotz
eines Anteilseignerwechsels weiterhin genutzt werden .
Das, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, stärkt unseren Wirtschaftsstandort, gerade die
kleinen und mittleren Unternehmen, die nach wie vor
über 70 Prozent aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer in Deutschland beschäftigen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die großen Konzerne brauchen es nicht; gerade die klei-
nen und mittleren jungen Unternehmen sind es, die die
Beschäftigung fördern . Deshalb benötigen wir sie drin-
gend .

Es ist richtig, dass es für den Erhalt des Verlustvor-
trags nach einem Anteilseignerwechsel keine Rolle spie-
len darf, ob und in welchem Umfang Betriebsvermögen
zugeführt wird . Das zeigt auch, dass der Gesetzentwurf
nicht nur ausgewogen und wirtschaftlich sinnvoll ist,
sondern auch den bürokratischen Aufwand begrenzt .

Entscheidend ist, dass wir die Rahmenbedingungen
für die Kapitalausstattung insgesamt erheblich verbes-
sern . Denn viele Unternehmen sind auf eine Finanzierung
und die Neuaufnahme von Anteilseignern angewiesen .
Wir stärken deshalb die Eigenkapitalbasis der deutschen
Betriebe, der kleinen und mittleren jungen Unternehmen .
Das ist ein besonderer Vorteil . Das ist gut; denn Deutsch-
land braucht Modernisierung, braucht Wettbewerbsfä-
higkeit, braucht eine neue Gründerzeit . Wir können nur
alle jungen Leute bitten, dass sie die Chance ergreifen,
ein Unternehmen zu gründen . Wir geben hier eine klare
Unterstützung .

Eine Abgrenzung, die dafür sorgt, dass die Regelung
nur für Start-ups gilt, halte ich für falsch . Das würde
zu Ausweichmanövern führen . Wir müssen alle gleich
behandeln; es darf keine Diskriminierung von Unter-
nehmen geben . Wir brauchen natürlich vor allem junge
Unternehmen; wir brauchen aber immer auch innovative
Unternehmen, die sich aus den normalen Betrieben he-
raus entwickeln, damit Deutschland seine ökonomischen
Chancen im Zuge des internationalen Wettbewerbs und
vor allem auch der Digitalisierung nutzen kann . Dabei
ist es essenziell, den Wagniskapitalmarkt und die Grün-
derszene zu stärken . Das tun wir heute . Das ist ein guter
Anfang . Ich glaube, dass wir damit einen richtig guten
Weg für die Zukunft unseres Wirtschaftsstandorts begin-
nen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819614800

Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/9986 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall .
Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Wir kommen jetzt zum Tagesordnungspunkt 7:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Gohlke, Sigrid Hupach, Dr . Rosemarie Hein,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

BAföG an die Lebenswirklichkeit anpassen –
Keine weiteren Nullrunden für die Studieren-
den

Drucksache 18/10012
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung (f)

Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Widerspruch
höre ich keinen . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile zu Beginn die-
ser Aussprache das Wort der Kollegin Nicole Gohlke für
die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Nicole Gohlke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819614900

Herzlichen Dank . – Herr Präsident! Liebe Kollegin-

nen und Kollegen! Wir haben heute zwei gute Gründe,
über das BAföG und vor allem über seine Weiterentwick-
lung zu diskutieren .

Zum einen feiert das BAföG in diesem Jahr seinen
45 . Geburtstag – 1971 wurde es von der Regierung
Brandt auf den Weg gebracht –, und das sollte für uns
alle Anlass sein, um über dieses sehr gute Instrument für
Bildungsgerechtigkeit und sozialen Ausgleich nachzu-
denken .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Genau, da kann man klatschen; Sie von der CDU/CSU
eigentlich auch .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Aber der Antrag ist kein Grund zum Klatschen!)


Der zweite Grund, warum die Linke heute diesen An-
trag in den Bundestag einbringt, ist, dass wir leider ganz
und gar nicht zufrieden sein können mit dem aktuellen
Zustand des BAföG


(Beifall bei der LINKEN)


und schon gar nicht damit, wie die Große Koalition das
Thema BAföG abhandelt; sie meint, es jetzt für den Rest
der Wahlperiode außen vor lassen zu können .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Zu früh geklatscht!)


Dr. h. c. Hans Michelbach






(A) (C)



(B) (D)


Das wird weder den Studierenden heute noch dem ur-
sprünglichen Anspruch des BAföG gerecht . Das muss
dringend korrigiert werden .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Linke fordert, das BAföG endlich an die Le-
bensrealität anzupassen . Wir möchten eine substanzielle
BAföG-Erhöhung, eine Erhöhung der Bedarfssätze und
Freibeträge um 10 Prozent anstelle der 7 Prozent, um so
mehr junge Menschen zu erreichen,


(Martin Rabanus [SPD]: Irgendwas ist mir entgangen!)


um mehr Menschen aus finanziell schwachen Familien
an die Hochschule zu bringen und um das BAföG vor
allem so auszugestalten, dass man davon wirklich leben
und studieren kann .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Wie viel wollen Sie den haben? – Gegenruf des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat sie doch gerade gesagt!)


Stattdessen erleben wir aber seit einigen Jahren – das
muss man tatsächlich so dramatisch ausdrücken – das
langsame Verkümmernlassen des BAföG;


(Martin Rabanus [SPD]: Ach du liebe Güte!)


denn zum Ersten erreicht das BAföG heute zu wenige –
legt man den Monatsdurchschnitt zugrunde, dann stellt
man fest, dass im letzten Jahr gerade noch 15 Prozent
der Studierenden überhaupt durch das BAföG gefördert
wurden –, und zum Zweiten ist das BAföG heute weit
davon entfernt, bedarfsdeckend zu sein . Wenn man alle
Leistungen zusammenrechnet, liegt es deutlich unter den
aktuellen Hartz-IV-Bezügen . Angesichts solcher Zahlen
ist es ziemlich unangebracht, wenn die Union die letzte
BAföG-Reform als – ich glaube, ich zitiere den Kolle-
gen Rupprecht – „größte BAföG-Reform aller Zeiten“
bezeichnet . Das ist nicht nur eine ziemliche sprachliche
Verirrung, wenn ich Sie darauf hinweisen darf, sondern
zeigt auch eine gehörige Portion Realitätsverweigerung .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das, wofür Sie sich hier selbst loben, das, was Sie als
großen Wurf bezeichnen, basiert auf dem jahrelangen
Unterlassen von Reformen . Es basiert darauf, dass das
BAföG seit Jahren entsetzlich unterdimensioniert ist, und
dafür sind Sie verantwortlich . Über Jahre hinweg haben
die BAföG-Erhöhungen noch nicht einmal die inflati-
onsbedingte Preisentwicklung ausgeglichen . Über Jahre
hinweg sind über die nicht erfolgte Anpassung der Frei-
beträge Zehntausende aus der Förderung herausgefallen .
Angesichts dieser Situation bleibt von Ihrem Eigenlob
nicht sehr viel mehr übrig als Augenwischerei .


(Beifall bei der LINKEN)


Fakt ist auch: Die Große Koalition hat viele der struk-
turellen Fragen im BAföG wieder nicht angefasst:

Wieder ist Ihnen nicht eingefallen, endlich das Ver-
schuldungsrisiko für junge Menschen, also den Darle-
hensteil, abzuschaffen, obwohl Sie selber ganz genau
wissen, dass sehr viele der Hochschulabsolventinnen und
-absolventen mit Schulden aus der Studienfinanzierung
ins Berufsleben starten müssen .

Wieder haben Sie es versäumt, die Altersgrenzen im
BAföG aufzuheben und es endlich an die Realität der
Bildungsbiografien von heute anzupassen.


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Genau! Für Oma und Opa! BAföG für Rentner!)


– Ja, heutzutage ist es eben so, dass ein Masterstudium
auch mit über 35 Jahren begonnen wird .

Wieder haben Sie es unterlassen, das BAföG mit ei-
ner automatischen Anpassung an die Entwicklung der
Lebenshaltungs- und Ausbildungskosten zu versehen,
um den Studierenden endlich die jahrelangen Hängepar-
tien um BAföG-Erhöhungen zu ersparen, und das beim
BAföG fairerweise so zu gestalten wie bei den Diäten
von uns Bundestagsabgeordneten . Die steigen nämlich
schon automatisch .

Immer noch müssen Menschen mit einer Aufenthalts-
erlaubnis und geduldete Geflüchtete über ein Jahr, näm-
lich ganze 15 Monate, warten, bis sie überhaupt BAföG
beziehen können .

Wieder haben Sie die Wohnkostenpauschale nicht
so gestaltet, dass man als Student oder Studentin davon
tatsächlich ein WG-Zimmer bezahlen kann . Erst Ende
September wurden die neuen Zahlen veröffentlicht . Mitt-
lerweile kostet ein WG-Zimmer im Schnitt 349 Euro .
Das sind 100 Euro mehr als die Wohnkostenpauschale,
die das BAföG vorsieht, und zwar nach der letzten Erhö-
hung; da rede ich noch gar nicht von der Miete in Städten
wie in meiner Heimatstadt München .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Kommen Sie mal in den Osten! Da ist es günstiger! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hilft auch die Mietpreisbremse nicht!)


Ich muss auch kein Rechenkünstler sein, um zu sehen,
dass diese Regierung hier zu wenig tut .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das, was Sie mit Ihrer Reform wirklich machen – Er-
höhung der Sätze um 7 Prozent –, das verzögern Sie auch
noch um zwei Jahre . Mit dem verzögerten Inkrafttreten
nehmen Sie in Kauf, dass Zehntausende junge Menschen
erst einmal aus der Förderung herausfallen, und Sie neh-
men in Kauf, dass die Erhöhung mit den gestiegenen Le-
benshaltungskosten wieder nicht Schritt hält . Deswegen
sagen wir als Linke: Das hier ist nicht die größte Reform
aller Zeiten; das hier ist vor allem eine ziemlich große
Verschleppung .

Tun Sie den Studierenden und der Idee des BAföG et-
was Gutes, erhöhen Sie jetzt die Bedarfssätze und Freibe-
träge um 10 Prozent, und passen Sie die Wohnkostenpau-
schale an die tatsächlichen Mietpreise an . Das ist dann
zwar noch nicht die Strukturreform, die wir brauchen,

Nicole Gohlke






(A) (C)



(B) (D)


aber das wäre ein erster Schritt und ein Zeichen, dass Sie
das BAföG wirklich wieder zu einem Instrument der Bil-
dungsgerechtigkeit machen wollen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819615000

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr . Stefan

Kaufmann .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Stefan Kaufmann (CDU):
Rede ID: ID1819615100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vor-
liegenden Antrag sagt die Linke – wir haben es gehört –,
dass das BAföG an die Lebenswirklichkeit angepasst
werden muss . Wenn ich mir Ihren Antrag durchlese, Frau
Kollegin Gohlke, dann fällt mir als Reaktion eigentlich
nur eines ein: Wir müssen verstärkt den Versuch unter-
nehmen, die Linken an die Lebenswirklichkeit heranzu-
führen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Das ist hoffnungslos! Hoffnungslos!)


Das hat Ihre Rede heute wieder gezeigt . Auch wenn das
erfahrungsgemäß eine Sisyphusarbeit ist, stelle ich mich
dieser Aufgabe heute einmal mehr .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Arroganz der Macht!)


Auch die zweite Forderung in Ihrem Antrag – auch
das ist Teil der Überschrift –, „Keine weiteren Nullrun-
den für die Studierenden“, legt den Verdacht nahe, dass
Sie, die Kolleginnen und Kollegen von den Linken, die
letzten Jahre schlicht verschlafen haben; das haben Sie
gerade gezeigt .


(Zuruf der Abg . Nicole Gohlke [DIE LINKE])


Die größte BAföG-Reform aller Zeiten – die lassen wir
uns nicht schlechtreden –, die diese Koalition zusammen
mit Ministerin Wanka gestemmt hat, ist an Ihnen offen-
bar komplett vorbeigegangen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Inhaltlich kann man zu Ihrem Antrag eigentlich gar
nicht viel sagen, Frau Kollegin . Sie versuchen erneut, al-
ten Wein in vermeintlich neue Schläuche zu bringen . Sie
haben Ihre altbekannten Ladenhüter mit ein paar neuen
Daten und Informationen versehen . Ansonsten verfahren
Sie wie immer: Copy and paste . Meine Damen und Her-
ren, Sie ermüden damit nicht nur die Bildungspolitiker in
diesem Hohen Hause, sondern langsam, aber sicher auch
die Bürgerinnen und Bürger draußen im ganzen Land .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das glauben Sie ja selber nicht!)


Angesichts der jüngsten BAföG-Reform, dritte Stufe –
plus 7 Prozent bei den Bedarfssätzen und plus 7 Prozent
bei den Einkommensfreibeträgen –, die in diesen Tagen
gestartet ist – wir geben jährlich zusätzlich 825 Millio-
nen Euro aus –, müssen Sie sich schon den Vorwurf ge-
fallen lassen, dass Sie offensichtlich nicht genug bekom-
men können .

Bei einigen Ländern scheint ein ähnliches Anspruchs-
denken zu herrschen – so mein Eindruck –, Stichwort
„BAföG-Entlastung“ . Zwar haben die Länder die freige-
wordenen Mittel fast ausnahmslos im Schul- und Hoch-
schulbereich verwendet, allerdings – das ärgert mich
wirklich maßlos – haben sie diese Mittel teilweise nicht
zusätzlich in diesem Bereich investiert, sondern zur Ko-
finanzierung des Hochschulpaktes verwendet, wie ein
Bericht in der Tageszeitung in dieser Woche gezeigt hat,


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sieht Ihr Finanzministerium aber anders!)


und damit – ich sage es ganz deutlich – zweckentfremdet .
In Nordrhein-Westfalen sprechen wir immerhin von ei-
ner Summe von 200 Millionen Euro, lieber Kai Gehring .
Das ist eine Unverschämtheit, um das hier einmal ganz
deutlich zu sagen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Vorwurf ist eine Unverschämtheit! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Getroffene Hunde bellen!)


Wenn wir so weitermachen – der Bund investiert im-
mer mehr und mehr in Bildung und Forschung und ent-
lastet damit die Länder bei ihren ureigenen Aufgaben,
und die Länder machen sich dann unter anderem auf
Kosten der Studierenden einen schlanken Fuß –, dann
kriegen wir das mit der Bildungsrepublik nicht hin . Das
sind nicht nur politische Spielchen, meine Damen und
Herren . Sie verspielen damit ein Stück weit auch die Zu-
kunft unseres Landes .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wenn Sie, meine Damen und Herren von den Linken
und den Grünen, sich jetzt empören, dann zeige ich Ih-
nen gerne auf, wie sich Ihre Leistungen im Bereich der
Hochschulpolitik darstellen . Schauen wir uns einmal das
aktuelle Hochschul-Barometer des Stifterverbandes an .
Da gibt es eine wunderbare Grafik zu den Einschätzun-
gen der Rahmenbedingungen für Hochschulen .


(Der Redner hält ein Schaubild hoch)


Sie sehen eine Deutschlandkarte, auf der das farblich
dargestellt ist . Es gibt Länder, die sich verbessert haben –
das sind die dunklen Stellen –, es gibt Länder, bei de-
nen es gleich geblieben ist, und es gibt Länder, die sich
verschlechtert haben; das sind die rot markierten . Welche
Länder sind das? Brandenburg, Thüringen, Berlin und
Nordrhein-Westfalen . Das ist das Resultat linker und
grüner Hochschulpolitik .


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ob das Berlin-Beispiel passt? Herr Henkel?)


Nicole Gohlke






(A) (C)



(B) (D)


Deshalb – das möchte ich hier auch ganz deutlich sa-
gen – bin ich nicht glücklich über den jüngsten Beschluss
von Bund und Ländern zur Neuregelung des bundesstaat-
lichen Finanzausgleichssystems aus der letzten Woche .
Mit Blick auf Bildung und Forschung sendet dieser Be-
schluss aus meiner, aus unserer Sicht falsche Signale .
Insbesondere die Einführung der Bundesergänzungs-
zuweisung für Forschungsförderung halte ich für einen
Fehler, um das hier ganz offen und deutlich zu sagen;
denn diese „entschädigt“ nur diejenigen Länder mit Al-
mosen, die im wettbewerblichen Verfahren weniger Er-
folg hatten als andere . Sie widerspricht damit klar dem
Wettbewerbsgedanken unseres Föderalismus, und gera-
de dieser kluge Wettbewerb in Forschung und Innovation
hat Deutschland in den letzten elf Jahren seit 2005 stark-
gemacht . Am meisten werden übrigens die SPD-regier-
ten Länder Niedersachsen und Rheinland-Pfalz von der
Ergänzungszuweisung profitieren. Damit wird – das sage
ich ganz deutlich – die rote Laterne der Erfolglosen zum
goldenen Label der Lahmen . Das kann nicht sein, meine
Damen und Herren .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Können wir mal wieder zum BAföG reden?)


Eines ist mir noch wichtig zum Beschluss vom ver-
gangenen Freitag – Kollegin Albsteiger wird noch etwas
dazu sagen –: Die Bund-Länder-Vereinbarung ist keine
Abschaffung und auch keine Aushebelung des Koope-
rationsverbotes . Auch wenn viele das fälschlicherwei-
se hoffen oder jetzt noch herbeireden wollen: Der Be-
schluss ist eindeutig. Es geht hier nur um finanzschwache
Kommunen und nur um deren Bildungsinfrastruktur .
Übrigens hat auch Baden-Württemberg in seiner Proto-
kollerklärung richtigerweise darauf hingewiesen, dass
das Kooperationsverbot nicht zur Debatte steht . Die Sa-
nierung der maroden Schulgebäude ist und bleibt damit
auch weiterhin ganz überwiegend Aufgabe der Länder
und Kommunen . Deshalb rate ich allen, auch hier im
Hause, liebe Kolleginnen und Kollegen, den Ball flach
zu halten . Wir werden nämlich sehr genau darauf achten,
dass die Anpassung des Grundgesetzes genau dem Be-
schluss von Bund und Ländern folgt .

Mir ist in diesem Zusammenhang als Forschungspo-
litiker besonders wichtig, dass wir unsere Bemühungen
in den Bereichen Wissenschaft, Forschung, Entwick-
lung und Innovation in gleichem Maße fortsetzen wer-
den; denn das sind die Zukunftsbereiche, die uns Wett-
bewerbsfähigkeit und Wachstum bringen . Das dürfen
wir jetzt nicht aus den Augen verlieren; wir werden hier
auch in Zukunft starke Signale setzen . Wir dürfen bei
Forschung und Innovation in unseren Anstrengungen
nicht nachlassen, um unseren Wohlstand zu erwirtschaf-
ten . Dies zeigt erfreulicherweise auch der Bundeshaus-
halt 2017 sehr eindrucksvoll .

Ich darf an dieser Stelle Frau Ministerin Johanna
Wanka für ihre Bildungsoffensive für die digitale Wis-
sensgesellschaft ausdrücklich loben . Das Beherrschen
digitaler Techniken ist das Zukunftsthema und die Stell-
schraube für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit unse-
res Landes .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: BAföG!)


Deshalb ist es richtig, dass hier Prioritäten gesetzt wer-
den .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Es geht ums BAföG! Ich glaube, Sie haben den Antrag gar nicht gelesen!)


Wir dürfen die digitale Zukunft nicht verschlafen und
müssen die jungen Menschen fit machen für die künf-
tigen Herausforderungen . Diese Offensive leistet dazu
einen wichtigen Beitrag und gibt einen wichtigen Impuls .

Frau Kollegin Gohlke, Ihr Antrag ist wirklich müh-
sam und wie alter Wein in neuen Schläuchen; darüber
brauchen wir gar nicht zu reden . Meine Kollegin wird
etwas dazu sagen . Ich wende mich den wirklich wichti-
gen Themen zu .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die digitale Bildung ist ein zentrales Thema dieser
Koalition und prominent im Koalitionsvertrag verankert .
Wir flankieren dies mit unserem Koalitionsantrag zur di-
gitalen Bildung und haben auch einen Entschließungsan-
trag zum Thema eingebracht . Die wichtigen Initiativen
der Bundesregierung wie die Berufsbildung 4 .0 oder die
digitale Ausstattung der überbetrieblichen Bildungsstät-
ten zeigen, dass es der Bundesregierung mit diesem The-
ma wirklich ernst ist .

Ein zentrales Vorhaben der Bildungsoffensive ist der
Digitalpakt für die Schulen . Mit ihm wird ein wichtiger
Startschuss für die Verhandlungen gegeben, wie ein Zu-
kunftspaket für die digitale Ausstattung der Schulen und
die Qualifizierung von Lehrerinnen und Lehrern verbind-
lich und nachprüfbar ausgestaltet werden kann .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht ums BAföG! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Schule würde der Lehrer sagen: Setzen! Sechs! Thema verfehlt!)


Das ist wiederum eine Nagelprobe für die Länder, die
nun gefordert sind, Konzepte für die Lehrerbildung vor-
zulegen, um die erforderliche Infrastruktur mit zu finan-
zieren .

Lassen Sie mich sagen: Die Kritik einzelner Lehrer-
verbände, der Digitalpakt sei eine Einmischung in Bil-
dungsinhalte, ist nun wirklich lächerlich .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht ums BAföG! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie den falschen Redezettel, oder was?)


Die Verbände sollten sich vielmehr Gedanken darüber
machen, wie sie die Lehrerinnen und Lehrer auf das Le-
ben 4 .0 und die digitale Welt vorbereiten . Dazu reicht
es nicht aus, wenn ein Lehrer weiß, wie ein Whiteboard
funktioniert . Das sollte man in Richtung der Verbände
deutlich sagen .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt zum Thema, bitte!)


Wie die Ministerin schon öffentlich sagte, ist die Bil-
dungsoffensive ein Vorhaben für die nächste Legislatur-

Dr. Stefan Kaufmann






(A) (C)



(B) (D)


periode . So sehen wir das auch . Wir müssen erst einmal
beobachten, was die KMK zu diesem Thema beschließt .
Wir werden die Bund-Länder-Gespräche im weiteren
Verlauf aufmerksam begleiten und dann entscheiden,
wenn aus unserer Sicht der richtige Zeitpunkt erreicht ist .
Das bedeutet im Übrigen auch, dass wir nicht über Ein-
zelmaßnahmen entscheiden, sondern über ein Gesamtpa-
ket .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Gesamtpaket muss stimmen . Bundesgeld gibt es
nicht geschenkt; es muss einen Mehrwert schaffen . Des-
halb muss es klare, nachprüfbare Kriterien, transparente
Verfahren sowie Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten
geben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ganz zum Schluss möchte ich noch etwas in Richtung
Herrn Heil sagen – er weilt heute leider nicht unter uns –,


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ja, was auch ein anderes Thema ist! Ich will nur noch einmal darauf hinweisen! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ministerin und Staatssekretäre fehlen auch!)


der einen neuen Bildungsgipfel einberufen möchte, um
eine neue Bildungsallianz zu schmieden . Wir brauchen
keinen hektisch aufgesetzten neuen Bildungsgipfel . Wir
brauchen auch keine neue Gesamtstrategie für die Bil-
dung . Den Investitionsstau in den Schulen haben die
Länder zu verantworten. Sie sind finanziell im Übrigen
auch in der Lage, ihrer Verantwortung nachzukommen .
Wir haben vonseiten des Bundes wirklich ausreichend
Unterstützung dafür geleistet . Wenn ihnen die 1,2 Milli-
arden Euro jährlich aus der BAföG-Entlastung oder die
Übernahme der Aufwüchse aus dem Pakt für Forschung
und Innovation oder die insgesamt 20,2 Milliarden Euro
aus dem Hochschulpakt nicht ausreichend Entlastung
gebracht haben, um die Schulgebäude zu sanieren, dann
haben sie einfach, um es salopp zu sagen, Mist gebaut .
Dafür werden sie den Bund nicht weiter in Haftung neh-
men können . Deshalb ist dieser Bildungsgipfel nicht not-
wendig . Wir können und werden – das ist mein letzter
Satz – die Länder auch in diesem Punkt nicht aus ihrer
Verantwortung entlassen .

Herzlichen Dank, meine Damen und Herren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die eigene Ministerin auch nicht! Sie glänzt wieder mit Abwesenheit! – Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Merkwürdige Rede!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819615200


Nächster Redner ist der Kollege Kai Gehring für
Bündnis 90/Die Grünen .


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819615300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geht hier um
das BAföG,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


um eines der größten Sozialgesetze dieser Republik .
Mein Vorredner, Herr Kaufmann, hat sich in der Debatte
offensichtlich zum Teil verlaufen bzw . vergaloppiert .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Schade!)


Ich möchte Sie als Koalition daran erinnern, dass
durch Ihre BAföG-Novelle der Bund seit zwei Jahren für
die Berufsausbildungsförderung allein zuständig ist . Das
heißt, man braucht hier auch keine Bund-Länder-Debatte
oder Bildungsfinanzierungsdebatte zu führen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Vielmehr geht es um die Zukunft des BAföG in dieser
Republik . Das BAföG ist das Bildungsgerechtigkeitsge-
setz Nummer eins, und es ist das Finanzierungsinstru-
ment für Bildungsaufstieg und Zugangschancen . Es ist
ein Rechtsanspruch, kein Almosen . Es geht nicht um
Bund-Länder-Debatten, sondern um die Frage, wie die
Zukunft der jungen Generation gestaltet wird . Wir wol-
len das BAföG beherzt ausbauen, damit es nichts an At-
traktivität einbüßt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Dem BAföG durch sechs Nullrunden eine Schrumpf-
kur zu verpassen, war eine eklatante Fehlentscheidung
von Union und SPD . Diese wollen wir Grüne gemeinsam
mit der Linksfraktion korrigieren . Unsere Alternative ist
klar: Auch 2017 muss es mehr BAföG für Schüler, Schü-
lerinnen und Studierende geben .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die sechs Jahre ohne BAföG-Erhöhung haben die Bil-
dungsfinanzierung geschwächt. Ganze zwei Studieren-
dengenerationen mussten zuschauen, wie ihre finanzielle
Situation von Semester zu Semester immer schlechter
geworden ist . Ungefähr 130 000 Schüler und Studieren-
de sind seit 2011 aus dem Kreis der Berechtigten her-
ausgerutscht . Das ist die traurige Bilanz unionsgeführ-
ter BAföG-Politik . Das ist nicht gut für unser Land der
Dichter und Denker .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg . Nicole Gohlke [DIE LINKE])


Zwar bekommen Studierende und Schüler ab diesem
Semester mehr Geld; aber die Anpassung hielt mit der
Preis- und Einkommensentwicklung nicht Schritt . Trotz
Anpassung ist das BAföG 2016 weniger wert als das
2010 . Das ist schlechte Politik .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Dr. Stefan Kaufmann






(A) (C)



(B) (D)


Diese schlechte Politik hat konkrete Folgen . Nehmen
wir eine Familie mit Vater, Mutter und zwei Kindern .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Ganz konservativ gedacht! Gefällt mir gut!)


Gerade gab es glücklicherweise eine Lohnerhöhung . Auf
die Freude folgt schnell der Kater: höhere Steuern . Dann
fällt wegen der Freibetragsgrenzen auch noch das BAföG
für die Kids weg . Aber gerade mit der Aussicht auf eine
verlässliche Studienfinanzierung steht oder fällt die Ent-
scheidung für oder gegen ein Studium .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Es sind immer mehr junge Leute, die studieren! Das ist doch völliger Quatsch, was Sie hier sagen!)


Wir sagen: Gerecht geht es in Deutschland erst dann zu,
wenn Zugangs- und Bildungschancen nicht vom Geld-
beutel der Eltern abhängen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Auch hier im Bundestag gibt es viele Arbeiterkin-
der; ich gehöre dazu . Es ist für unsereins nicht völlig
selbstverständlich, sich für ein Studium zu entscheiden .
Die soziale Öffnung der Hochschulen für Kinder von
Nichtakademikern muss endlich bundesweit selbstver-
ständlich werden .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU: Ist es doch!)


Deshalb ist es so wichtig, zum Studium zu motivieren
und für eine Studienfinanzierung zu sorgen, die zum Le-
ben ausreicht . Das BAföG muss substanziell verbessert
werden . Deshalb fordern wir unter anderem:

Erstens . Die Fördersätze und die Freibeträge vom Ein-
kommen der Eltern müssen um jeweils 10 Prozent stei-
gen .


(Beifall der Abg . Nicole Gohlke [DIE LINKE])


Damit würden endlich mehr Schüler und mehr Studieren-
de BAföG-berechtigt .

Zweitens . Wir wollen, dass Wohnkosten angemessen
erstattet werden . Wir wollen die Mietkostenpauschale
staffeln und sie an regionale Durchschnitte anpassen;
denn Wohnen ist in München, Köln und Chemnitz unter-
schiedlich teuer .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Drittens . Statt jahrelanger Hängepartien und Regie-
rungswillkür in Serie


(Lachen des Abg . Dr . Thomas Feist [CDU/ CSU])


wollen wir im BAföG-Gesetz Indizes für eine dynami-
sche, regelmäßige und automatische Erhöhung von För-

dersätzen und Freibeträgen einführen . Das ist doch nicht
so schwer .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das geht beim Arbeitslosengeld, bei der Rente und auch
bei den Abgeordnetendiäten . Warum also nicht bei den
Studierenden? Die automatische Anpassung bringt Bere-
chenbarkeit ins BAföG . Das ist uns wichtig .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Der Bund finanziert das BAföG nun zu 100 Prozent.
Darum hat der Bundestag die Freiheit, jede künftige
BAföG-Reform alleine auf den Weg zu bringen . Lie-
be Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, diese
Wahlperiode ist weiß Gott noch nicht zu Ende – man
muss fast sagen: leider –; Sie haben noch ein Jahr Zeit .
Dieses Jahr sollten Sie für ein weiteres BAföG-Plus nut-
zen . Wir wollen mehr derjenigen zum Studium ermun-
tern, deren Eltern wenig verdienen, deren Eltern nicht
studiert haben oder die eingewandert sind . All das könn-
ten wir zügig beschließen . Union und SPD müssten sich
nur einen Ruck geben .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819615400

Nächster Redner ist der Kollege Oliver Kaczmarek,

SPD .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Oliver Kaczmarek (SPD):
Rede ID: ID1819615500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin

für den Antrag fast dankbar, weil er mir die Möglichkeit
gibt, über das zu sprechen, was wir tatsächlich erreicht
haben, also nicht über Hoffnungen und Versprechungen,
sondern über das, was in diesen Tagen, in denen das Win-
tersemester beginnt, bei den Studierenden seine volle
Wirkung entfaltet .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sage selbstbewusst: Diese 25 . BAföG-Novelle ist
ein großer Schritt nach vorne . Wir als SPD haben uns
dabei zwei Ziele vorgenommen, die wir gemeinsam in
der Koalition miteinander vereinbart haben .

Erstes Ziel . Wir wollten das BAföG substanziell er-
höhen . Auch wenn das hier gerade anders dargestellt
worden ist, bin ich der Meinung, dass eine Erhöhung der
Bedarfssätze und Freibeträge um 7 Prozent eine substan-
zielle Erhöhung ist . Sie wirkt bis tief in die Gesellschaft
hinein und bringt 110 000 Menschen zusätzlich einen
Anspruch auf BAföG . Das ist tatsächlich etwas Substan-
zielles .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Kai Gehring






(A) (C)



(B) (D)


Ich will es kurz aufzählen: Wir haben die Wohnpauscha-
le auf 250 Euro erhöht . Wir haben die Hinzuverdienst-
grenze erhöht . Man darf ein Auto bis zu einem Wert von
7 500 Euro besitzen . Wir haben den Kinderzuschlag
vereinheitlicht und ihn auf 130 Euro pro Kind erhöht .
All das sind Maßnahmen, die das BAföG einen großen
Schritt nach vorne gebracht haben .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweites Ziel . Wir wollten, dass das BAföG struktu-
rell modernisiert wird . Sie haben den Anspruch, es an die
Lebenswirklichkeit der Studierenden anzupassen . Wir
sind froh, dass wir es mit diesem Schritt schon einmal
an die Lebenswirklichkeit der Studierenden angenähert
haben . Die Förderlücke zwischen Bachelor und Master
ist geschlossen . Zum Teil ist diese Regelung sogar schon
vorzeitig in Kraft getreten .


(Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Wir erleichtern die Ausbildung im Ausland und im Üb-
rigen auch den Zugang ausländischer Studierender zum
BAföG .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist, Herr Gehring und Herr Kaufmann, das Ge-
genteil von dem, was gerade in Baden-Württemberg ge-
schieht .


(Beifall bei der SPD)


Durch die Ankündigung von Studiengebühren für aus-
ländische Studierende werden dieser Gruppe dort zusätz-
liche Knüppel zwischen die Beine geworfen. Ich finde,
das ist ein interessantes Beispiel . Es gibt Bundesländer,
die ihre Haushalte unter Nichteinbeziehung der Bil-
dungsressorts konsolidieren . Baden-Württemberg geht
einen anderen Weg . Deswegen bin ich für dieses Beispiel
dankbar; denn es macht ziemlich gut den Unterschied
zwischen Zukunftsinvestitionen und Bildungsbremse
und zwischen Rot-Grün und Schwarz-Grün deutlich .


(Beifall bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, diese BAföG-No-
velle ist eine große Zukunftsinvestition . Durch den Bun-
desanteil, der den Ländern jetzt erstattet wird, haben wir
es ermöglicht, sinnvolle Investitionen insbesondere in
Schulen und Hochschulen zu ermöglichen . Die Bundes-
regierung hat in ihrer Unterrichtung am 22 . Juni dieses
Jahres dankenswerterweise bestätigt, dass die Mittel von
den Ländern vereinbarungsgemäß verwendet werden .
Herzlichen Dank dafür! Vielleicht können wir sie ja auch
noch etwas breiter verteilen .

Wir nehmen für diese Novelle 800 Millionen Euro
zusätzlich in die Hand . Das heißt, in diesem Haushalts-
jahr und im nächsten Haushaltsjahr – dann mit der vollen
Wirkung – werden jedes Jahr 2 Milliarden Euro mehr
fürs BAföG bereitgestellt .


(Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Wenn Sie, liebe Frau Gohlke, in Anbetracht dessen von
Verkümmern und Verschleppen sprechen, muss ich ehr-
lich sagen: Es fehlt mir doch ein bisschen der Bezug zur
politischen Realität, wenn wir jedes Jahr 2 Milliarden
Euro in die Hand nehmen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ja, die 25 . BAföG-Novelle ist ein großer Schritt nach
vorne; aber damit sind wir noch nicht am Ende . Natürlich
gibt es Dinge, die wir uns noch vornehmen müssen, die
wir vielleicht auch noch ausführlicher diskutieren müs-
sen . Ich möchte drei Punkte nennen:

Erstens . Die Diskussion über den Anpassungsmecha-
nismus bzw . über regelmäßige Anpassungen ist ja rich-
tig; denn der Zeitraum von 2010 bis 2016 ohne Erhöhung
beim BAföG ist zu lang . Ich will es mir aber nicht so
einfach machen und sagen: Die SPD war vier Jahre nicht
in der Regierung; deswegen hat das nicht geklappt . – Wir
haben in dieser Zeit den Versuch erlebt, einen Paradig-
menwechsel einzuleiten . Die schwarz-gelbe Bundes-
regierung hat den Versuch unternommen, eine öffent-
lich-privat finanzierte Stipendienkultur aufzubauen und
so zu dimensionieren, dass sie das BAföG schrittweise
ersetzt . Frau Schavan hat uns das 2005 ebenfalls angebo-
ten . Darauf ist die SPD nicht eingegangen . Ich will darauf
hinweisen, dass wir in dieser Wahlperiode gemeinsam
als Große Koalition diesen Fehler korrigiert haben . Wir
haben das Deutschlandstipendium auf ein realistisches
Ausmaß begrenzt, die Begabtenförderung gestärkt und
das BAföG massiv erhöht . Das ist der richtige Mix und
die richtige Gewichtung für eine Studienfinanzierung der
Zukunft, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der SPD)


Ja, wir brauchen zukünftig eine Verpflichtung, in re-
gelmäßigen Abständen auf die Entwicklung des BAföG
zu schauen und es realistisch anzupassen . Ich bin aber
nicht der Meinung, dass dies automatisch und jährlich
geschehen soll . Durch die Bundeszuständigkeit haben
wir die Möglichkeit, das BAföG zu repolitisieren . Ich
möchte uns nicht ersparen, im Bundestag regelmäßig da-
rüber zu diskutieren, welche Erhöhung angemessen ist .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun wir doch gerade!)


Zweitens . Wir haben es in dieser Wahlperiode noch
nicht geschafft, dass das ehrenamtliche Engagement be-
sonders berücksichtigt und wertgeschätzt wird . Diese
Diskussion haben wir im Laufe der Wahlperiode geführt .
Es wäre eine Anerkennung, wenn der BAföG-Bezug für
Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren, verlängert
würde, so wie es heute schon für diejenigen möglich ist,
die sich in den Hochschulgremien engagieren . Dabei
sind mir nicht nur die Hochschulgremien oder die Par-
teijugenden wichtig, sondern insbesondere auch die Feu-
erwehren, die Kirchen, die Wohlfahrtsverbände, die Um-
weltorganisationen und was es da sonst alles so gibt . Ich
würde mich freuen, wenn wir mit dem Bundesjugend-
ring und den Jugendverbänden über die Frage diskutie-
ren würden, wie man realistisch, pragmatisch umsetzbar
und vertretbar das ehrenamtliche Engagement im BAföG
fördern kann . Ich glaube, eine Gesellschaft, die so sehr

Oliver Kaczmarek






(A) (C)



(B) (D)


auf das Ehrenamt angewiesen ist, sollte sich vornehmen,
für ein bisschen Anerkennung im Rahmen des BAföG zu
sorgen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Letzter Punkt . Die elektronische Antragstellung ist
vereinbart worden und im Prinzip auch möglich, aber
nicht in der Weise, wie wir uns das wünschen, nämlich
medienbruchfrei . Teilweise muss zu den elektronischen
Anträgen noch Papier hinterhergeschickt werden . Wir
müssen an diesem Thema weiter arbeiten und mit den
Ländern im Gespräch bleiben, um einen medienbruch-
freien BAföG-Antrag hinzubekommen . Der elektro-
nische BAföG-Antrag muss so etwas wie ein Prunkstück
der digitalen Verwaltung werden . Ich bin immer ganz
verzweifelt, wenn ich feststelle, dass die elektronischen
Verfahren im Wissenschaftsbereich überhaupt nicht
funktionieren . Deswegen brauchen wir eine Fortentwick-
lung beim elektronischen Antragsverfahren .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, in dieser Debatte ist
einmal mehr deutlich geworden: Das BAföG war Teil ei-
ner Erfolgsgeschichte von mehr Chancengleichheit und
mehr Aufstieg durch Bildung . Sie soll fortgeschrieben
werden . Mit dieser Novelle sind die Weichen so gestellt,
dass das erfolgen kann . In dieser Debatte ist auch deut-
lich geworden, wo große Hoffnungen, überbordende
Versprechungen gemacht werden und wo Verlässlichkeit
hergestellt wird durch eine Politik, auf die sich die Men-
schen verlassen können. Das BAföG ist erhöht. Ich finde,
das ist ein guter Erfolg, den wir erreicht haben .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819615600

Für die CDU/CSU spricht jetzt die Kollegin Katrin

Albsteiger .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Katrin Albsteiger (CSU):
Rede ID: ID1819615700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Ob Sie es glauben oder nicht:
Es gibt Oppositionsanträge, die für das Parlament eine
echte Bereicherung sind, Anträge, die sinnvolle Denkan-
stöße geben und uns als Regierungsfraktionen die Mög-
lichkeit eröffnen, sich zu dem einen oder anderen Thema
ganz neu, frisch, offen und transparent zu positionieren .
Das sind Anträge, von denen wir alle etwas haben, die
wir gerne miteinander debattieren .

Dann gibt es Oppositionsanträge, die alle Jubeljahre
kommen, die aus der Mottenkiste geholt werden nach
dem Motto: Darüber hätten wir schon lange mal wieder
reden müssen .


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Ja, wenn die Regierung nichts macht!)


Das sind meistens alte Hüte, die mit aktueller und moder-
ner Politik schon lange nichts mehr zu tun haben .

Dann wiederum gibt es Anträge von der Oppositi-
on, die im Wechsel, mal von den Linken, mal von den
Grünen, immer wieder innerhalb einer Legislaturperio-
de gestellt werden . Wir debattieren zigmal darüber – ob
hier im Plenum oder im Ausschuss – und tauschen die
Argumente aus . Alle Argumente sind wirklich in Gänze
auf den Tisch gelegt; es ist immer und immer wieder das
gleiche Spiel .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr lernt ja nie! Das ist ja das Problem!)


Der Erkenntnisgewinn ist begrenzt . – Um genau so einen
Antrag handelt es sich heute hier .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren von den Linken, diesen
Antrag mit dem Titel – das muss man sich auf der Zun-
ge zergehen lassen – „BAföG an die Lebenswirklichkeit
anpassen – Keine weiteren Nullrunden für die Studieren-
den“ –


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tolle Überschrift!)


gut drei Monate nach der größten BAföG-Reform aller
Zeiten vorzulegen, ist schon eine ganz besondere Ka-
tegorie . Dass Sie uns das hier auch noch auf nur zwei
Seiten präsentieren, erweckt bei mir den Eindruck von
Lieblosigkeit und Leidenschaftslosigkeit . Sie haben sich
offensichtlich nicht so viel Mühe gemacht, und ich finde
ihn, ehrlich gesagt, auch relativ unverschämt . Aus mei-
ner Sicht hat das schlichtweg nichts mit konstruktiver,
reflektierter und auch anerkennender Oppositionspolitik
zu tun .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb würdigen Sie ja jetzt den Oppositionsantrag!)


Sie fordern keine weiteren Nullrunden und verdrehen
damit an dieser Stelle die Tatsachen .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein einziges Fachargument bisher!)


Das wird der Sache nicht gerecht . Es gibt einen kleinen,
aber feinen Unterschied zwischen Politik auf der einen
Seite und Polemik auf der anderen Seite:


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist gerade eine polemische Rede par excellence!)


Während wir Bildungspolitik machen, beschränkt sich
die Linke auf Bildungspolemik .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gerade wenn in diesen Tagen in diesem Hause rot-rot-
grüne Gespräche geführt werden, sollten sich die Betei-
ligten ganz genau überlegen, ob sie in diesem Stil mit
den anderen überhaupt Bildungspolitik machen wollen .
Sehen wir es aber einmal positiv: Das gibt uns zumindest
die Gelegenheit, über das zu sprechen, was wir alles ge-
macht haben .

Um es noch einmal deutlich zu machen: Zu den we-
sentlichen Veränderungen durch die letzte BAföG-Re-

Oliver Kaczmarek






(A) (C)



(B) (D)


form, die erst kürzlich in Kraft getreten ist, passt der Vor-
wurf von Nullrunden überhaupt nicht .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Union scheint zu viel Redezeit zu haben, dass man sie mit solchen Plattitüden füllt! – Gegenruf des Abg . Manfred Grund [CDU/ CSU]: Das Leben ist manchmal hart!)


Lassen Sie sich das einmal auf der Zunge zergehen: Ers-
tens . Zum Wintersemester 2016 steigen die BAföG-Sät-
ze um 7 Prozent . Zweitens . Studierende mit einer eige-
nen Wohnung erhalten bis zu 735 Euro monatlich . Das
ist nicht nichts; damit kann man durchaus leben, wenn
man sparsam ist . Drittens . Auch die Freibeträge bei
den Elterneinkommen steigen, sodass insgesamt circa
110 000 Studenten und Schüler mehr in den Genuss des
BAföG kommen .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die vorher herausgefallen sind!)


Das alles hat seinen Preis . Die Leistungsverbesserungen
haben insgesamt ein Volumen von jährlich 825 Millionen
Euro .


(Beifall des Abg . Dr . Thomas Feist [CDU/ CSU])


Ich möchte noch etwas zum Antrag selber sagen:

Erstens . Es wird gefordert, dass die Bedarfssätze und
die Freibeträge künftig dynamisch anzupassen sind . Hier
haben wir ein unterschiedliches Verständnis von Politik .
Wir haben es im letzten Jahr geschafft, den Weg aus der
unproduktiven Mischfinanzierung zu finden. Seit dem
1 . Januar 2015 hat der Bund die vollständige Finanzie-
rungshoheit . Die Länder werden jährlich um 1,2 Milliar-
den Euro entlastet . Das ist ein ganz schöner Batzen Geld,
und das muss im Bundeshaushalt erst einmal finanziert
werden . Man kann nicht immer, nachdem man Geld in-
vestiert hat, schon über die nächste Erhöhung sprechen .
Man muss die Dinge auch einmal wirken lassen .


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Wie lange?)


Damit haben wir die Zeit der Schwarze-Peter-Spiele
beendet . Sie sind jetzt Geschichte . Der Bund hat die Ver-
antwortung und wird sie auch wahrnehmen . Wir haben
das Heft des Handelns in der Hand, und das wollen wir
auch behalten . Die Forderung nach einer dynamischen
Anpassung des BAföG ist daher nicht mehr notwendig .
Wir müssen uns nicht mehr die ganze Zeit mit den Län-
dern zu Verhandlungen darüber an den Tisch setzen . Sie
waren natürlich müßig und haben auch dazu beigetragen,
dass nicht arg viel passiert ist . Das ist jetzt Gott sei Dank
erledigt . Den Gestaltungsspielraum wollen wir uns je-
denfalls nicht nehmen lassen .

Verantwortung heißt, dass man Veränderungen, die es
in der Realpolitik nun einmal gibt, auch berücksichtigt .
Eine Dynamik passt einfach nicht dazu . Wir wollen ana-
lysieren, reflektieren, alles im Lichte der Zeit bemessen
und im Gesamtkontext sehen und die entsprechenden
Schritte gehen, wenn wir sie für geboten und richtig er-
achten . Die junge Generation hat auf lange Sicht nichts
davon, wenn wir das nicht auch haushalterisch in den

Griff bekommen und die Sache finanziell nicht austariert
ist . So ist es nun einmal in der Politik: Es ist immer auch
ein Kampf ums Geld . Den führen wir gerne, wir führen
auch gerne die Debatten . Genau deshalb aber sage ich:
Wir brauchen die dynamische Anpassung nicht .

Zweitens . Sie schreiben in Ihrem Antrag, die Beiträge
sollten statt um 7 Prozent, um die wir sie erhöht haben,
noch schnell um mindestens 10 Prozent steigen . So funk-
tioniert Politik halt nicht . Die aktuelle BAföG-Reform ist
seriös durchgerechnet . Hinzu kommt, dass wir ein aus-
führliches parlamentarisches Verfahren hatten, in dem
wir uns mit diesem Thema beschäftigt und Argumente
ausgetauscht haben . Jetzt noch einmal 3 Prozentpunkte
mehr zu fordern, ist so ein bisschen Fundamentalop-
position, immer nach dem Motto: Das, was die Regie-
rung macht, ist immer zu wenig; wir wollen mehr, mehr,
mehr –


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


wie auch immer das Ganze am Schluss finanziert werden
soll, ob durch die Aufnahme neuer Schulden oder durch
Steuererhöhungen oder dadurch, dass man Geld aus
anderen wichtigen Bildungsprojekten zieht . Das wäre
das Prinzip „linke Tasche, rechte Tasche“ . Das ist eine
Milchmädchenrechnung; aber offensichtlich kennen Sie
sich damit aus . Mit uns jedenfalls ist das nicht zu ma-
chen; denn generationengerecht ist das nicht .

Drittens . Sie fordern, den nächsten BAföG-Bericht
noch in diesem Jahr vorzulegen . Zugegeben: Berichte
sind für uns wichtig . Sie sind aber kein Selbstzweck .
Sie müssen dann vorgelegt werden, wenn es etwas zu
berichten gibt . Die Reform ist gerade erst in Kraft getre-
ten . Nun muss es die Möglichkeit geben, sie eine Weile
wirken zu lassen . Wir freuen uns alle gemeinsam auf den
BAföG-Bericht im Jahr 2017, in dem die Auswirkungen
der aktuellen Reform beschrieben sein werden . In dem
Bericht kann auch berücksichtigt werden, welche aktu-
ellen Entwicklungen noch einbezogen werden müssen .
Auch das Thema „elektronische Beantragung“ und die
Frage, ob dies reibungslos funktioniert, kann darin aufge-
arbeitet werden . Das ist für uns wichtig . Danach werden
wir selbstverständlich das BAföG weiterentwickeln .

Wir haben das BAföG in dieser Legislaturperiode zu-
kunftsfähig gemacht . Wir haben mit der Übernahme der
gesamten BAföG-Finanzierung von 1,2 Milliarden Euro
in dieser Legislatur durchaus einen schönen Batzen ge-
stemmt . Wir stehen zum BAföG und werden es mithilfe
der BAföG-Berichte weiterentwickeln, und irgendwann
fließt natürlich auch wieder mehr Geld.

Herr Präsident, ich muss zum Schluss noch einen
Punkt nennen .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt haben Sie schon eine so lange Redezeit und kommen noch nicht einmal hin!)


Der Kollege Kaczmarek hat vorhin gesagt, wir hätten
das Deutschlandstipendium einführen wollen, um das
BAföG Schritt für Schritt zu ersetzen . Das ist komplett
falsch . Das Deutschlandstipendium und alle anderen
Stipendiensysteme sind enorm wichtige Finanzierungs-
instrumente . Sie sind aber nicht eingeführt worden, um

Katrin Albsteiger






(A) (C)



(B) (D)


das BAföG ganz oder teilweise zu ersetzen, sondern als
Ergänzung . Das ist auch gut so .

Es ist natürlich völlig klar: Wir lehnen Ihren Antrag
ab . Ich hoffe, dass Sie bis zum nächsten Recycling Ihres
Antrags ein bisschen Zeit vergehen lassen, es also noch
ein wenig dauern wird, bis er wieder auf die Tagesord-
nung kommt .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819615800

Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die

Kollegin Dr . Daniela De Ridder für die SPD .


(Beifall bei der SPD)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1819615900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Vor allem: Liebe Studierende! Der Antrag zum BAföG,
den wir heute behandeln, ist ein Oppositionsantrag . Lie-
be Studierende, Opposition kennt ihr nicht? Das macht
nichts . Ich erkläre es euch . Opposition bezeichnet eine
Partei oder Gruppe, die der herrschenden Politik Wider-
stand und Ablehnung entgegenbringt .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das jetzt Politik für Dummies, oder was?)


Opposition ist aber schlecht beraten, wenn sie durch
Auslassung und Schlechtreden geschlossene Weltbil-
der produziert . Das, liebe Studierende, liebe Kollegin-
nen und Kollegen, liebe Gäste, ist hier am Beispiel der
BAföG-Debatte leider der Fall . Ziel des BAföG – das
wissen hoffentlich alle – ist es, allen jungen Menschen
die Möglichkeit zu geben, unabhängig von ihrer sozialen
und wirtschaftlichen Situation eine Ausbildung zu ma-
chen, die ihren Fähigkeiten und Interessen entspricht .

Liebe Frau Gohlke, ich finde es ganz interessant, dass
Sie den Regierungsparteien Realitätsverweigerung vor-
werfen . Ich frage mich, warum Sie in Ihrem Antrag nicht
erwähnt haben, dass man 735 Euro als Höchstsatz bezie-
hen kann .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau De Ridder, wie viele kriegen den denn?)


Diese Zahl fehlt völlig . Dann haben Sie darauf verwiesen,
dass die Preissteigerungen in den Blick genommen wer-
den müssen . Wenn es um die Lebensrealität geht, kann
man sich zum Beispiel den Verbraucherindex ansehen .
Ich stelle fest, dass der von einem Jahr zum anderen um
nicht einmal 1 Prozent gestiegen ist . Das ist interessant .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


In einem Punkt will ich Ihnen recht geben, liebe Frau
Gohlke, und zwar bei den Mietpreisen . Wir können in der
Tat konstatieren, dass die Mietpreise im Schnitt um mehr
als 1 Prozent – aber auch nicht 2 Prozent – gestiegen
sind . Aber hier konkurrieren doch Studierende mit vielen
anderen auf dem Wohnungsmarkt, liebe Frau Gohlke . Es
würde mich freuen, an dieser Stelle Ihre Aufmerksamkeit

zu gewinnen, wenn es beispielsweise darum geht, mit an-
deren Instrumenten den Wohnungsmarkt aufzubrechen,
beispielsweise mit der Mietpreisbremse oder dem sozia-
len Wohnungsbau .


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen wir doch schon, dass die Mietpreisbremse nicht funktioniert! Sie bremst nicht!)


Schauen wir uns doch an, wie sich das entwickelt . Dann
können wir vielleicht zu einem konstruktiven Gespräch
kommen und uns mit den Nutzergruppen befassen .

Was auch zu den Ausblendungen gehört – lassen Sie
mich das sagen –, ist das Thema Meister-BAföG . Auf
welche Gruppe kaprizieren Sie sich denn, wenn Sie über
das BAföG reden? Und warum ignorieren Sie, dass wir
die Zuschüsse für das Meister-BAföG deutlich erhöht
haben, nämlich auf 50 Prozent, und beispielsweise auf
Maßnahmen rekurrieren, die diejenigen in Anspruch neh-
men können, die Meister werden wollen? 40 Prozent des
Restdarlehens muss man nicht zurückzahlen . Für Lehr-
gangs- und Prüfungskosten kann man 15 000 Euro be-
antragen, und man kann sein Meisterstück zu 40 Prozent
finanziert bekommen. All dies haben Sie völlig ausge-
blendet .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819616000


Frau Kollegin De Ridder, gestatten Sie noch eine Zwi-
schenfrage der Kollegin Hein?


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1819616100


Nein, ich möchte im Zusammenhang vortragen . Wir
werden das sicher im Ausschuss noch vertiefen können .
Da bin ich sicher . Ich treffe die Kollegin ohnehin am Wo-
chenende .


(Zurufe von der SPD: Oh! – Dr . Karamba Diaby [SPD]: Was haben Sie da vor? Da sind wir neugierig!)


– Ich mache das gerne, mit der Kollegin zu sprechen .

Lassen Sie mich noch einen Tipp loswerden, liebe Kol-
leginnen und Kollegen von den Linken . Warum schauen
Sie nicht nach Baden-Württemberg? Wenn Frau Theresia
Bauer meint, sie könne dort Studiengebühren für Auslän-
der und Ausländerinnen einführen, dann besteht doch das
Risiko, dass sich die Situation für Studierende erheblich
verteuert . Wir sollten gemeinsam Sorge tragen, dass das
nicht passiert und Schule macht und zum Einstieg in eine
deutliche Verschlechterung für Studierende, egal welcher
Herkunft, wird .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Katrin Albsteiger






(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819616200

Die Kollegin Dr . Hein hat jetzt die Gelegenheit zu ei-

ner Kurzintervention .


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh nein!)



Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819616300

Vielen Dank . – Es tut mir leid, ich mache das wirklich

nicht oft . Aber wenn ich das am Sonntag mit Frau De
Ridder ausmache, dann hilft das nicht viel .


(Zuruf von der CDU/CSU: Was machen Sie da zusammen?)


– Wir sitzen auf einem Podium, aber das geht Sie nichts
an .


(Heiterkeit bei der SPD)


Weil die Koalition so stolz auf das Meister-BAföG ist,
würde ich Frau De Ridder gerne fragen, ob sie erklären
kann, warum zum Beispiel ein Kind einer Meisterschüle-
rin mehr wert ist als das Kind einer Studierenden .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das sind doch zwei völlig unterschiedliche Systeme!)


Hier gibt es nämlich sehr unterschiedliche Bedarfssätze .
Das ist nur ein sehr gravierendes Beispiel für die Unter-
schiede zwischen den Fördersystemen, und ich glaube,
dass es mehr als einer Reform bedarf, um das zu verän-
dern .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819616400

Frau Kollegin De Ridder, wollen Sie darauf antwor-

ten?


(Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Wir wollen wissen, was das für ein Podium ist! Geheimpodien!)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1819616500

Ich antworte gerne darauf . Bevor hier der Eindruck

entsteht, wir würden Geheimveranstaltungen abhalten,
kläre ich gerne das Plenum auf . Es geht um eine öffent-
liche Veranstaltung, bei der wir das sicher noch einmal
vertiefen können . Ich lade gerne in meinen Wahlkreis
ein . Dann haben alle Gelegenheit, daran teilzunehmen .

Wie aber Frau Hein zu dem Schluss kommt, es gebe
ganz unterschiedliche Messlatten, wird sie erklären müs-
sen . Dafür ist der Ausschuss der richtige Ort . Wir müssen
uns in der Tat damit befassen, wie wir mit dem Thema
soziale Gerechtigkeit in der Bildungspolitik umgehen
und welche Effekte die Politik, die wir erzeugen, erzielt .
Deshalb bin ich eine Vertreterin von Evaluation . Wir ha-
ben dies auch schon bei anderen Themen diskutiert .

Wir müssen uns in der Tat damit beschäftigen – die
Kollegin Albsteiger hat es erwähnt –, wie die Effekte
beim BAföG sind und wie sie beim Meister-BAföG sein
werden . Das muss man sich genau anschauen . Aber das
braucht Zeit . Man braucht ein entsprechendes Zeitfens-
ter, um sich all das anzusehen, liebe Frau Kollegin . Ich
denke, das müssen Sie uns schon zugestehen, damit das

Wirkung entfaltet . Sonst haben wir überhaupt keinen
Orientierungsrahmen . Dann werden wir sehen, an wel-
cher Stelle wir noch einmal nachlegen .

Ich bin sicher: Wir beide werden das noch einmal
ausfechten, diskutieren und auch gemeinsam zu guten
Ergebnissen kommen . Ich bin da optimistisch . Denn das
gehört – bevor auch das missverstanden wird – ebenfalls
zur politischen Debatte dieses Hauses .

Vielen Dank .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819616600

Mit dieser Antwort auf die Kurzintervention haben

wir zugleich das Ende der Rednerliste erreicht . Deshalb
schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10012 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen . Ich nehme an, Sie
alle sind damit einverstanden . – Widerspruch erhebt sich
nicht . Dann ist diese Überweisung so beschlossen .

Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf:

Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung und Ergänzung des Einsatzes be-
waffneter deutscher Streitkräfte zur Verhü-
tung und Unterbindung terroristischer Hand-
lungen durch die Terrororganisation IS auf
Grundlage von Artikel 51 der Charta der Ver-
einten Nationen in Verbindung mit Artikel 42
Absatz 7 des Vertrages über die Europäische
Union und den Resolutionen 2170 (2014), 2199

(2015), 2249 (2015) des Sicherheitsrates der

Vereinten Nationen sowie des Beschlusses der
Staats- und Regierungschefs vom NATO-Gip-
fel am 8./9. Juli 2016

Drucksache 18/9960
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen . – Widerspruch
erhebt sich nicht . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner Herrn Bundesminister Dr . Frank-Walter Steinmeier
das Wort .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:

Danke . – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Die Bilder und Nachrichten aus Aleppo sind an






(A) (C)



(B) (D)


Grausamkeit nicht zu übertreffen: eine Trümmerwüste,
wo früher das Leben blühte, traumatisierte Menschen,
Kinder, die ihr Zuhause und ihre Familien verloren ha-
ben . Ich sage – so haben wir es auch gestern in einem
wahrhaft nicht einfachen Gespräch Präsident Putin ge-
genüber deutlich gemacht –: Dieser Wahnsinn kann und
darf nicht weitergehen . Er muss ein Ende haben, meine
Damen und Herren .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unsere Priorität muss jetzt sein, die Frauen, Männer
und Kinder in Aleppo jedenfalls mit dem Nötigsten zu
versorgen . Die Menschen hungern, sie verdursten . Wir
brauchen jetzt geschützte Zugangsmöglichkeiten, um
diesen Menschen zu helfen . Daran arbeiten wir zurzeit
intensiv mit den Vereinten Nationen, mit dem Internatio-
nalen Roten Kreuz und den Partnerorganisationen – auch
heute schon wieder den ganzen Tag . Heute Abend werde
ich noch Kontakt zum saudischen und zum katarischen
Außenminister haben, um dafür zu sorgen, dass auch die
Oppositionsgruppierungen Sicherheitsgarantien für die
Hilfsorganisationen abgeben .

Meine Damen und Herren, Moskaus Ankündigung ei-
ner kurzen Einstellung der Kampfhandlung kann nur ein
Anfang sein . Acht Stunden – oder wie jetzt erneuert: elf
Stunden –, das drei- oder viermal, ist ein Anfang . Aber
das reicht bei Weitem nicht, um die belagerten Menschen
in der Stadt mit Hilfsgütern zu versorgen . Aber das reicht
erst recht nicht – darum sage ich es –, um eine Entflech-
tung der Opposition von den radikalen und terroristi-
schen Gruppierungen durchzusetzen . Es mag sein, dass
terroristische Gruppierungen wie al-Nusra Menschen in
Ost-Aleppo als Schutzschild missbrauchen, um sich ge-
zielt in Hospitälern und Schulen zu verbergen . Aber auch
1 000 oder möglicherweise 1 500 al-Nusra-Kämpfer sind
keine Rechtfertigung, um Aleppo in Schutt und Asche zu
verwandeln .


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb setzen wir uns mit aller Kraft für einen Waf-
fenstillstand ein . Es stimmt: Bisher war unsere Arbeit für
eine politische Lösung in der Tat nicht von Erfolg ge-
krönt . Aber das darf kein Grund sein, aufzugeben . Ich
bleibe dabei: Es wird in diesem Konflikt keine militäri-
sche Lösung geben . Die, die jetzt noch daran glauben,
werden erleben: So wird es nicht eintreten .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen:
Aleppo ist nur ein Ausschnitt eines wesentlich größeren
Krisenbogens – geprägt von aufbrechenden autoritären
Strukturen, konfessionellen Gräben, sozialen Verwer-
fungen und staatlicher Fragilität . Von dieser Gemenge-
lage hat in den letzten Jahren vor allem die Terrormiliz
IS profitiert. Der Kampf um Mosul führt uns dies gerade
deutlich vor Augen .

Aber die barbarische Herrschaft, die der IS errichtet
hat, greift weit über die Region hinaus . Der IS bedroht
auch unsere Sicherheit hier im Herzen Europas . Dafür
stehen die Anschläge von Paris, Brüssel, Nizza, Rouen
und anderswo . Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns

diesem Terror geschlossen und entschlossen entgegen-
stellen, natürlich nicht nur mit militärischen Mitteln, aber
es geht auch nicht ohne sie .

Mittlerweile haben sich 67 Länder und drei internati-
onale Organisationen in der internationalen Anti-IS-Ko-
alition zusammengeschlossen . Wir haben uns daran
beteiligt mit Maßnahmen zur Luftaufklärung, mit Luftbe-
tankung sowie mit Begleitschutz für einen französischen
Flugzeugträger . Das wollen wir fortsetzen, ergänzt durch
Aufklärungselemente von AWACS, die wir gemeinsam
mit anderen in die Anti-IS-Koalition einbringen werden .
Zur Vermeidung von Missverständnissen: Das geschieht
ausschließlich vom türkischen und vom internationalen
Luftraum aus und ohne dass damit die NATO formelles
Mitglied der Anti-IS-Koalition wird . Darauf haben wir
bei dem Einsatz von AWACS in den Beratungen im Vor-
feld großen Wert gelegt . Ich denke, das entspricht auch
der Interessenlage in diesem Haus .

Daneben wissen wir, dass die Auseinandersetzung am
Boden von regionalen und lokalen Kräften zu leisten ist .
Auch deshalb ist unsere Ausbildungs- und Ausrüstungs-
unterstützung für die Peschmerga im Irak von so zentraler
Bedeutung . Wir haben damals – ich erinnere mich noch
gut daran – hier im Hause über die Risiken einer solchen
Unterstützung offen und fair diskutiert . Ich glaube den-
noch gerade heute: Die damalige Entscheidung war rich-
tig . Der damals scheinbar unaufhaltsame Vormarsch des
IS im Nordirak konnte jedenfalls gestoppt werden .

Dennoch besteht kein Anlass zur Euphorie . Die Lage
im Mittleren Osten, die Erosion staatlicher Ordnung, die
ethnisch oder religiös motivierten Machtauseinanderset-
zungen dort, das alles wird uns noch sehr lange beschäf-
tigen . Auch wenn es uns lange beschäftigen wird, sollten
wir die Veränderungen, die es im letzten Jahr gegeben
hat, durchaus registrieren .

Die Lage im Kampf gegen den IS hat sich verändert .
Das zeigt auch der Blick auf Syrien, wo der IS ein Fünftel
seines Gebietes an die Opposition und die Kurden verlo-
ren hat, darunter so strategisch wichtige Städte wie Man-
bij, Dscharabulus und Dabiq . Das zeigt aber erst recht der
Blick in den Irak, wo der IS seit dem Sommer 2014 mehr
als die Hälfte seines Gebietes verloren hat . Nicht zuletzt
zeigt das der nun beginnende Kampf um Mosul, wo die
irakische Armee und Peschmerga jetzt mit Unterstützung
der Anti-IS-Koalition auf die letzte IS-Hochburg im Lan-
de vorrücken . Wenn Mosul fällt, dann hat der IS im Irak
kein nennenswert zusammenhängendes Gebiet mehr .

Niemand macht sich hoffentlich Illusionen . Der
Kampf, der dort geführt wird, wird nicht leicht sein . Nie-
mand kann im Augenblick sagen, wie lange es dauern
wird . Aber eines können wir mit Gewissheit sagen: dass
wir uns auf den Tag danach tunlichst jetzt vorbereiten
sollten . Deshalb beschränkt sich unser Engagement im
Irak und in der Region nicht auf unsere Unterstützung der
Anti-IS-Koalition, zu der wir heute um Ihre Zustimmung
bitten . Weil wir für die Menschen langfristig eine bessere
Perspektive schaffen wollen, betten wir diesen Einsatz
ein in einen umfassenden Ansatz, von der humanitären
Hilfe über unsere politischen Bemühungen bis hin zu
dem immer zentraler werdenden Thema der Stabilisie-

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier






(A) (C)



(B) (D)


rung . Mit Blick auf Mosul heißt das, dass es uns jetzt da-
rum gehen muss, die Not zu lindern und jenen Menschen
zu helfen, die aus der umkämpften Stadt in die in der
Gegend vorbereiteten Auffanglager fliehen. Deutschland
ist bereits einer der größten humanitären Geber im Irak .
Speziell für Mosul haben wir noch einmal 35 Millionen
Euro zur Verfügung gestellt .

Wir müssen uns bereits jetzt damit beschäftigen, wie
es in Mosul weitergehen soll, wenn die Stadt vom IS be-
freit sein wird . Wir treffen uns dazu bereits heute in einer
größeren Gruppe von Staaten in Paris – im November
dann wieder in Berlin –, um uns und die Stadt Mosul auf
„the day after“ vorzubereiten . Das macht Sinn, weil wir
schon vor der Befreiung von Mosul, die hoffentlich statt-
finden wird, Erfahrungen haben sammeln können, zum
Beispiel nach der Befreiung von Tikrit . Dort haben wir
sehr schnell gemeinsam mit den Vereinten Nationen und
mit Mitteln aus Deutschland Strom- und Wasserleitungen
wiederhergestellt und dafür gesorgt, dass eine Gesund-
heitsversorgung wenigstens auf einem Mindeststandard
wieder stattfindet. Immerhin hat das dazu geführt, dass
90 Prozent der vertriebenen Bevölkerung in die Stadt zu-
rückgekehrt sind . Deshalb, glaube ich, ist das der richtige
Weg .

Wasser, Schulen, Krankenhäuser – alles das benötigen
die Menschen für ihre Rückkehr, aber eben auch Sicher-
heit spielt eine entscheidende Rolle . Deshalb reden wir
auch mit unseren Partnern in der irakischen Regierung
und sagen, dass es nach der Befreiung von Mosul auch
darum gehen muss, einen Rückfall in die alten ethnisch
oder religiös begründeten Konflikte zu verhindern.


(Zuruf der Abg . Heike Hänsel [DIE LINKE])


– Das tun wir auch . – Wenn nach der Befreiung der Stadt
die Geißel des IS nur durch einen Machtkampf zwischen
Kurden, Sunniten und Schiiten abgelöst wird, dann ist
jedenfalls für die Menschen in Mosul nichts gewonnen .
Deshalb haben wir der irakischen Regierung einen soge-
nannten Mosul-Stabilisierungsrat vorgeschlagen, in dem
sich die wichtigen lokalen Kräfte zusammensetzen, um
den Wiederaufbau schon jetzt gemeinsam zu planen und
zu gestalten . Ein erstes Treffen zu dem Thema humanitä-
re Hilfe hat jetzt stattgefunden . Das ist ein erstes Treffen,
ein erster Schritt, aber immerhin waren der Auftakt und
das Gespräch der Beteiligten untereinander aus meiner
Sicht ganz ermutigend .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zum Abschluss:
Aleppo, Mosul, Falludscha, Tikrit, Ramadi, wir brau-
chen – das zeigt uns all das – einen umfassenden Ansatz,
um unserer Verantwortung in dieser wirklich geschunde-
nen Region gerecht zu werden . Die Beteiligung an der
Anti-IS-Koalition ist ein Teil davon . Deshalb bitte ich Sie
um die Unterstützung für das vorliegende Mandat .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819616700

Nächste Rednerin ist die Kollegin Sevim Dağdelen,

Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819616800

Verehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und

Kollegen! Verehrter Herr Außenminister Steinmeier,
auch wir als Linke fordern einen sofortigen Waffenstill-
stand für Aleppo . Was wir allerdings vermissen, ist, dass
die Bundesregierung gerade auf die Verbündeten Druck
macht, die die islamistischen Terrorbanden in der Region
unterstützen .

Ich muss Ihnen eines sagen: Heute Morgen hat die tür-
kische Luftwaffe die syrischen Kurden angegriffen . Der
Premiumpartner der Bundesregierung, das verbrecheri-
sche Erdogan-Regime, hat fast 200 Kurdinnen und Kur-
den in Syrien einfach so massakriert. Ich finde, das ist
ein Kriegsverbrechen Ihres engen Partners gerade gegen
diejenigen – die Frauenbataillone und die Männerbatail-
lone –, die sich dem barbarischen „Islamischen Staat“ am
tapfersten entgegenstellen .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich finde, es ist ein schwarzer Tag für die deutsche Au-
ßenpolitik, dass Sie nicht ein kritisches Wort hier zu die-
sem türkischen Luftkrieg gegen die Kurdinnen und Kur-
den im Norden Syriens verlieren .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Kriegsverbrechen werden nicht von Ihnen verurteilt .
Durch Ihre Unterstützung Erdogans machen Sie, meine
Damen und Herren, sich auch noch mitschuldig an die-
sem Verbrechen gegenüber den Kurdinnen und Kurden .
Das finde ich unerträglich.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie ein Ende des Bombardements in Aleppo for-
dern, die türkischen Angriffe für Sie aber offenbar okay
sind, weil es bis jetzt keine offizielle Verurteilung dieses
Kriegsverbrechens gibt, dann nenne ich das nichts wei-
ter als heuchlerisch . Ihre Politik der doppelten Standards
stinkt wirklich bis zum Himmel .


(Beifall bei der LINKEN)


Es soll hier ein Antrag von Ihnen beraten werden, die
Bundeswehr in die Türkei zu entsenden . Ich frage Sie:
Wollen Sie angesichts der Kriegsverbrechen Ihres Part-
ners Erdogan wirklich eine weitere Unterstützung dieses
Mannes und seiner mörderischen Syrien-Politik auf den
Weg bringen? Das ist unserer Meinung nach in hohem
Maße verantwortungslos .

Sie argumentieren hier, dass mit den Bundeswehrein-
sätzen von der Türkei aus der Terror des „Islamischen
Staats“ bekämpft werden soll . Man weiß angesichts
dieser Legenden, die gebildet werden, gar nicht mehr
wirklich, ob man lachen oder weinen soll . Sie können
doch nicht einmal ausschließen, dass die Tornadoaufklä-
rungsdaten für die verbrecherischen Angriffe Erdogans
auf die Kurden verwandt werden. Dies finde ich wirk-

Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier






(A) (C)



(B) (D)


lich ungeheuerlich . Sind die Kurden heute auch mit Ihrer
Hilfe ermordet worden, meine Damen und Herren? Bis
jetzt sind Sie nicht imstande, uns auf diese Frage ein kla-
res Nein zu sagen . Das, was hier passiert, ist einfach nur
noch skandalös .


(Beifall bei der LINKEN)


Im Sommer hatte die Bundesregierung die Türkei als
die zentrale Aktionsplattform für islamistischen Terro-
rismus im ganzen Nahen und Mittleren Osten bezeich-
net . Und jetzt machen Sie mit Ihrer Bundeswehrmission
gemeinsame Sache mit dieser Aktionsplattform für isla-
mistischen Terror in der Region . Sie nutzen Ihre Mili-
tärstützpunkte, und Sie tauschen Ihre Zieldaten in einem
gemeinsamen Kommando aus . Weiterhin sehen Sie dabei
zu, wie die Türkei eben genau diejenigen bekämpft und
ermordet, die sich dem IS tapfer und entschieden entge-
genstellen . Sie sehen dabei zu, wie die Türkei islamis-
tische Terrorbanden wie die Ahrar al-Scham bewaffnet,
für die ja auch der mutmaßliche Terrorist Albakr, der in
einem sächsischen Gefängnis erhängt aufgefunden wor-
den ist, tätig geworden sein soll .

Es ist deshalb nichts als ein furchtbarer, menschen-
verachtender Zynismus, zu behaupten, dass diese Bun-
deswehreinsätze an der Seite der Türkei der Bekämpfung
des Terrorismus dienen würden, meine Damen und Her-
ren . Hören Sie auf, den Menschen Sand in die Augen zu
streuen! Das stimmt einfach nicht .


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt sagen Sie auch noch, dass Sie die AWACS-Flug-
zeuge brauchen, um der Türkei unter die Arme zu greifen .
Der Luftraum in Syrien und im Irak soll von der Türkei
aus überwacht werden, um den IS zu bekämpfen . Man
fragt sich wirklich: Für wie dumm halten Sie eigentlich
die Leute? Der „Islamische Staat“ hat keine Luftwaffe .
Also bleibt doch als einziger Schluss, wem und wogegen
dieser Einsatz dienen soll, dass dieser Einsatz gegen die
russische Luftwaffe gerichtet ist. Ich finde das brandge-
fährlich .


(Zuruf von der SPD)


– Ja, die haben die Luftwaffe dort .

Sie zündeln hier . Deshalb möchte ich sagen, dass die-
ser Einsatz und das, was Sie da treiben, mit dem, was
im Grundgesetz für die Bundeswehr als Verteidigungs-
auftrag beschrieben worden ist, wirklich nichts mehr zu
tun hat . Im Grundgesetz steht, dass die Bundeswehr eine
Parlamentsarmee ist .

Ich erwarte, dass Sie Ihren Ankündigungen Taten
folgen lassen . Wenn Erdogan und seine Regierung der
AKP einem einzigen Bundestagsabgeordneten, der die
Bundeswehrsoldaten dort besuchen will, die Einreise in
den Stützpunkt Incirlik verweigert, dann dürfen Sie diese
Bundeswehrangehörigen nicht mehr in der Türkei lassen .
Es darf keine Parlamentsarmee ohne parlamentarische
Kontrolle geben .


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Kollegen haben jetzt einen Antrag auf Einrei-
se vor der abschließenden Beratung gestellt . Wir werden

sehen, wie Sie sich verhalten werden . Spätestens dann,
wenn die Einreise verweigert wird, muss die Bundes-
wehr dort abgezogen werden . Unsere Forderung hierzu
ist klar: Sagen Sie Nein zu den Bundeswehreinsätzen!
Sie bekämpfen damit nämlich keinen Terror, sondern
unterstützen lediglich diejenigen, die den Terror in der
Region fördern . Sie deeskalieren nicht, –


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819616900

Frau Kollegin, Sie denken an die vereinbarte Rede-

zeit?


Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819617000

– ja – sondern beschwören neue Bedrohungen für den

Weltfrieden .

Vielen Dank . – Herzlichen Dank, Herr Präsident .


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819617100

Für die Bundesregierung hat der Parlamentarische

Staatssekretär Dr . Ralf Brauksiepe das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)


D
Dr. Ralf Brauksiepe (CDU):
Rede ID: ID1819617200


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
beraten einen Antrag der Bundesregierung zur Fortset-
zung und Ergänzung des Einsatzes bewaffneter deutscher
Streitkräfte gegen die Terrororganisation „Islamischer
Staat“ . Wes Geistes Kind diejenigen sind, gegen die wir
uns hier stellen, konnten und mussten wir vor nicht allzu
langer Zeit sehen – auch im Internet –, als ein abgestürz-
ter jordanischer Pilot von den IS-Terroristen auf barba-
rische Weise ermordet wurde . 22 Minuten dauerte sein
Todeskampf in einem brennenden Käfig. Es ist schwer
vorstellbar, dass Menschen sich überhaupt so etwas aus-
denken können . Das, liebe Kolleginnen und Kollegen,
ist der Gegner, um den es hier geht – ein Gegner, der
mit dem gleichen barbarischen Ansatz unter anderem
auch die kurdische Bevölkerung in der Region bekämpft,
von der Sie eben gesagt haben, dass es Ihnen um ihren
Schutz geht . Der IS bekämpft die Kurden . Der IS ist eine
barbarische Organisation . Der Vorwurf des menschen-
verachtenden Zynismus fällt auf Sie selbst zurück . Zum
wiederholten Mal und in einer selten erlebten Deutlich-
keit fällt dieser Vorwurf auf Sie zurück, Kolleginnen und
Kollegen von den Linken .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Heuchler!)


Um auch das deutlich zu sagen: Es gibt keinen Zielda-
tenaustausch, der geeignet ist, gegen die kurdische Be-
völkerung vorzugehen . Wir sind in einer Allianz, in der
Allianz Inherent Resolve, gegen den islamistischen Ter-
rorismus . Dort helfen wir mit . Dieses Engagement wol-
len wir fortsetzen . Dieses Engagement wollen wir aus-
bauen . Es dient einzig und allein der Bekämpfung des
islamistischen Terrorismus und damit auch der Bekämp-
fung derer, die die kurdische Bevölkerung im irakischen

Sevim Dağdelen






(A) (C)



(B) (D)


Norden wie auch in Syrien drangsalieren . Dagegen gilt es
vorzugehen . Sie sind diejenigen, die die Kurden im Stich
lassen . Wir sind diejenigen, die sich an ihre Seite stellen
als den Unterdrückten in der Region, als den Opfern des
islamistischen Terrorismus .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Widerspruch bei der LINKEN)


Die schrecklichen Bilder vom 13 . November des letz-
ten Jahres in Paris, von den Attentaten in Tunis, Istan-
bul, Brüssel, Orlando, Nizza und anderswo haben uns
gezeigt, dass die terroristischen Gräueltaten des IS sich
nicht nur gegen die Menschen in Syrien und im Irak rich-
ten, sondern dass sie auch uns alle bedrohen . Dort, wo
der IS seine vermeintliche Stärke noch besitzt – in Syrien
und im Irak –, müssen wir gemeinsam mit der großen
Zahl der Nationen der Anti-IS-Koalition entschlossen,
verantwortungsvoll und gemeinsam handeln und so der
Bedrohung weiter entgegentreten und sie bekämpfen .
Es ist gut, dass es erkennbare Erfolge in diesem Kampf
gegen den barbarischen Terrorismus in der Region gibt .
Das ermutigt uns, diesen Weg weiterzugehen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Seit Beginn des Einsatzes leisten wir Schutz, gewin-
nen wir Informationen zur Lage vor Ort durch Aufklä-
rung und unterstützen wir mit Fähigkeiten zur Betankung
in der Luft sowie mit Personal in den Stäben . Die durch
uns bereitgestellten Informationen haben niemandem
außer den IS-Terroristen in der Vergangenheit Schaden
zugefügt. Sie dienen dazu, den IS empfindlich zu treffen
und damit den Einflussbereich dieser Terrororganisation
deutlich zu beschränken . Das ist das erklärte Ziel, und
das ist in den vergangenen Monaten zum Glück auch ge-
lungen, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zukünftig wird die Fähigkeit der Luftraumüberwa-
chung, wie auf dem NATO-Gipfel im Juli dieses Jah-
res in Warschau beschlossen, durch den Einsatz von
AWACS-Flugzeugen erweitert werden . Damit wird
schon in Kürze eine weitere wichtige Komponente dem
Kampf gegen den IS zur Seite gestellt . Um Schulter an
Schulter mit unseren NATO-Partnern die erforderlichen
AWACS-Einsätze bereits ab November leisten zu kön-
nen, befassen wir uns mit diesem Mandat, bevor das ge-
genwärtige Mandatsende am 31 . Dezember 2016 erreicht
ist . Das Nordatlantische Bündnis wird einen Beitrag leis-
ten, der auf die deutschen Besatzungsangehörigen in den
AWACS-Maschinen angewiesen ist. Die Einsatzflüge
werden im türkischen und internationalen Luftraum er-
folgen und dienen auch der Sicherheit unserer Tornados
in ihrer Aufklärungsrolle sowie der Flugzeuge unserer
Freunde und Partner in der Anti-IS-Koalition .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Hilfe und
Unterstützung für die Menschen in Syrien und im Irak
sowie für die Nationen, die sich dem Terror des IS ent-
gegenstellen, wollen, werden und müssen wir fortsetzen .
Der Appell des Sicherheitsrates der Vereinten Natio-
nen – nicht irgendeiner Organisation, sondern der Ver-
einten Nationen! –, alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen
und die Anstrengungen zu verstärken, um terroristische

Handlungen des IS in Syrien und im Irak zu unterbinden,
hat immer noch Bestand, und er richtet sich weiterhin
auch an uns . Das ist auch unsere Verantwortung, diesem
Appell nachzukommen .

Um die Gefahr durch den IS nachhaltig zu begren-
zen, wollen wir unsere Beiträge zu den militärischen
Maßnahmen weiterhin aufrechterhalten . Hierzu sollen
unverändert bis zu 1 200 Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr eingesetzt werden können . Der Einsatz von
Streitkräften ist ein Teil der erforderlichen Schritte, die
wir ergreifen müssen . Aber klar ist auch: Der langfristige
Erfolg unserer Beiträge zum militärischen Vorgehen ge-
gen den IS hängt maßgeblich auch von unserem zivilen
Engagement in der Region ab, das ein großartiges En-
gagement ist . Aber, Kolleginnen und Kollegen, wir dür-
fen uns dabei auch nicht selbst täuschen . Ob wir das wol-
len oder nicht, unser ziviles Engagement und die Erfolge
unserer politischen Verhandlungen werden ihre Wirkung
erst vollumfänglich entfalten können, wenn wir den IS
mit den zurzeit notwendigen militärischen Mitteln wei-
ter nachhaltig schwächen und zurückdrängen können . Es
geht hier nicht darum, mit Stuhlkreisen oder zynischen
Reden vorzugehen . Hier geht es nur darum, dass wir
auch die notwendigen militärischen Maßnahmen ergrei-
fen, den notwendigen militärischen Druck entwickeln,
um den IS zurückzudrängen . Mit schönen Worten wird
er sich nicht zurückdrängen lassen, liebe Kolleginnen
und Kollegen .


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Terrorpaten!)


Barbaren müssen auch mit militärischen Mitteln be-
kämpft werden . Diese Auseinandersetzung ist unver-
meidlich und muss fortgesetzt werden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sagen Sie etwas zur Aktionsplattform!)


Deshalb bedeutete eben ein Nein zu einem deutschen
militärischen Beitrag im Kampf gegen den IS ein Nein
zu den angestrebten Entwicklungen, die Gegenstand un-
serer bisherigen politischen Bemühungen um eine siche-
re, stabile und friedliche Zukunft Syriens und des Iraks
sind und waren . Darum geht es auch in den anstehenden
Beratungen . Darum geht es auch in Zukunft . Für diesen
Weg bittet die Bundesregierung weiterhin um Ihre Un-
terstützung .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das war eine barbarische Rede! Eine barbarische Rede ist das!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819617300


Nächste Rednerin ist die Kollegin Agnieszka Brugger
für Bündnis 90/Die Grünen .

Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe






(A) (C)



(B) (D)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir er-
innern uns alle an die schrecklichen Anschläge vor fast
einem Jahr in Paris . Damals hat die deutsche Bundes-
regierung auch als Antwort darauf dieses Mandat zur
Bekämpfung des selbsternannten „Islamischen Staates“
durch den Bundestag gejagt .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir Grüne haben
uns vor einem Jahr diese Entscheidung nicht einfach
gemacht . Wir haben sehr ernsthaft und sehr sorgfältig
abgewogen . Wir blicken natürlich alle nach Mosul . Wir
wünschen uns alle eine Stadt, die endlich befreit ist vom
Terrorregime des sogenannten „Islamischen Staates“ .
Aber wir schauen auch mit sehr viel Sorge darauf, was
danach kommt . Die Entscheidung aus Solidarität und
Betroffenheit gegenüber den Menschen, die unter Terror
leiden, reicht als Grundlage für einen militärischen Ein-
satz noch nicht aus . Eines muss uns auch klar sein: Im al-
lerbesten Fall können militärische und polizeiliche Mit-
tel dazu beitragen, Terror einzudämmen . Besiegen kann
man Terrorismus aber am Ende des Tages nur politisch .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hier sind wir bei der Frage, was an diesem Einsatz
die Grundproblematik ist . Es fehlt dieser Allianz ein
politischer Fahrplan, der von allen getragen wird, eine
umfassende Strategie, die mehr ist als nur militärisches
Vorgehen und Luftschläge . Es ist doch nach wie vor ein
zentrales und ungelöstes Riesenproblem, dass nicht nur
die Staaten in der Region, sondern auch die Staaten in
dieser Allianz so unterschiedliche, teilweise hochwider-
sprüchliche Eigeninteressen verfolgen, auch auf Kosten
der Menschen in Syrien und im Irak . Das muss endlich
aufhören .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Kampf gegen die Kurden seitens der Türkei ist
schon angesprochen worden . Da fragt man sich schon:
Wo ist die deutsche Rolle? Wo ist das Engagement, um
diese gefährliche Planlosigkeit und diese Gewalt zu be-
enden und zu thematisieren?


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Ja, ein Plan! Kein Plan!)


Diese Fragen stellen sich auch praktisch im Rahmen
dieses Einsatzes . Die Bundesregierung weiß nicht – Herr
Brauksiepe, das haben wir aus Ihrem Haus schwarz auf
weiß –, wofür die deutschen Aufklärungsdaten im An-
schluss im Einzelnen verwendet werden . Meine Damen
und Herren, wer Aufklärungsdaten liefert, muss doch
den Anspruch haben, mitzureden und zu wissen, was im
Anschluss damit passiert . Aber auch die rechtliche Kon-
struktion dieses Einsatzes ist hochproblematisch; denn
sie steht im Widerspruch zu der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichtes . Die Bundeswehr darf im
Ausland militärische Gewalt nur im Rahmen von Sys-
temen kollektiver Sicherheit ausüben . Da geht es um die
Europäische Union, um die NATO oder – daran denken
wir Grüne immer als Erstes – um die Vereinten Natio-
nen . Die Bundesregierung versucht bei diesem Mandat
in einer abenteuerlichen Argumentation über zwei Seiten

zu behaupten, dass das hier der Fall sei . Das ist es aber
nicht . Fakt ist: Die Bundeswehr wird im Rahmen einer
Koalition der Willigen eingesetzt .


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Richtig!)


Meine Damen und Herren, Sie hatten jetzt ein Jahr
Zeit, diesen fundamentalen Fehler zu heilen . Es ist nichts
passiert . Warum nicht? Weil die Bundesregierung das
nämlich gar nicht will . Nachzulesen ist das im neuen
Weißbuch: Diese Konstruktion soll es nicht nur in die-
sem Einzelfall geben, in dem sie aus der Not geboren
wurde, sondern es ist Ihr erklärter Wille, das Modell der
Koalition der Willigen in Zukunft bei Bundeswehreinsät-
zen anzuwenden . Das halten wir für grundfalsch,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


nicht nur, weil Sie damit gegen die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichtes verstoßen, sondern auch,
weil Sie damit effektiv dazu beitragen, dass internatio-
nale Organisationen, vor allem die Vereinten Nationen,
geschwächt werden . Das, meine Damen und Herren, ist
doch genau das Gegenteil von dem, was wir gerade nicht
nur angesichts der schrecklichen Lage in Syrien und im
Irak, sondern auch an vielen anderen Orten der Welt
brauchen, nämlich handlungsfähige und starke internati-
onale Organisationen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will mich gar
nicht hierhinstellen und von der Bundesregierung die
Patentlösung, den Masterplan fordern, wie endlich die
schreckliche Gewalt in Syrien und im Irak aufhören
kann . Aber ich frage Sie auf der Regierungsbank, auch
Sie, Herr Außenminister Steinmeier: Sind wir nicht ver-
pflichtet, alles zu tun, was wir können, um das unermess-
liche Leid der Menschen in Syrien und im Irak wenigs-
tens ein bisschen zu lindern?

Ja, man kann noch mehr tun, als derzeit getan wird . Es
gibt Gebiete in Syrien, die seit ewiger Zeit eingekesselt
sind . Es gibt über Land keinen Zugang mehr für humani-
täre Güter . Die Vereinten Nationen haben in der Vergan-
genheit in solchen Fällen punktuell eine Versorgung aus
der Luft durchgeführt. Sie flehen seit Monaten ihre Mit-
gliedstaaten an, sie dabei dringend zu unterstützen . Da
geht es um die Frage des diplomatischen Drucks gegen
die Staaten, die im syrischen Luftraum sind, genauso wie
um die Frage der technischen Kapazitäten .

Wir Grüne bringen heute Abend hierzu einen Antrag
in den Bundestag ein, und ich bin sehr gespannt, wie
Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Ko-
alition, dazu verhalten werden . Das, meine Damen und
Herren, verstehe ich wirklich nicht: Warum braucht die
Bundesregierung nicht einmal einen Monat, um militäri-
sche Flugzeuge auf den Weg zu bringen, während sie seit
Monaten nach Ausflüchten sucht, wenn wir sie immer
wieder nach der Luftbrücke fragen? Ich finde, wir müs-
sen alles tun, was wir tun können, um das unermessliche
Leid wenigstens ein bisschen zu lindern .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(B) (D)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819617400

Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Hardt für die

CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1819617500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

glaube, wir können heute hier nicht über dieses Thema
diskutieren, ohne wenigstens einen oder zwei Sätze da-
rüber zu verlieren, was gestern Abend hier in Berlin pas-
siert ist . Ich beziehe mich auf den Teil der Gespräche,
der sich auf Syrien bezog. Ich finde, es war eine tolle
und auch sehr erfolgreiche Initiative der Bundeskanzle-
rin und des Bundesaußenministers, die Gelegenheit des
N-4-Formats zu nutzen, um anschließend gemeinsam
mit dem russischen Präsidenten und dem französischen
Präsidenten die Lage in Syrien zu diskutieren . Die Dau-
er und die Intensität der Gespräche zeigen, dass es Sinn
macht, miteinander zu reden, selbst wenn man unver-
söhnliche und unvereinbare Positionen hat .

Es wäre eine große Chance für den russischen Präsi-
denten Putin gewesen, im Vorfeld des EU-Gipfels, der
auch das Thema Russland behandeln wird, ein Zeichen
des guten Willens zu zeigen und die Unterbindung von
Luftschlägen gegen Aleppo für einen längeren Zeitraum
zu veranlassen und damit humanitäre Hilfe möglich zu
machen . Denn das sind die beiden zentralen und ganz
oben stehenden Forderungen, die wir im Augenblick ha-
ben: keine Luftschläge gegen Aleppo und Ermöglichung
des Zugangs für Hilfskonvois . Das könnte Putin offen-
sichtlich durch ein Telefonat mit Damaskus in die Wege
leiten . Es ist schade, dass er diese Gelegenheit nicht er-
griffen hat . Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass
er möglicherweise doch aus dem Gespräch hier in Berlin
mitnimmt, dass dies nicht nur eine Forderung der deut-
schen Bundeskanzlerin und des französischen Staatsprä-
sidenten, sondern eines weit überwiegenden Teils der
Weltbevölkerung ist und es dafür eine breite Unterstüt-
zung bei den Vereinten Nationen gibt .

Zu dem heute zur Verhandlung stehenden Mandat:
Wir sind beim Kampf gegen den IS ein sehr gutes Stück
vorangekommen, sowohl, was die Unterstützung der
Peschmerga im Norden Iraks angeht – das betrifft unser
laufendes Irak-Mandat –, als auch, was in Syrien selbst
passiert . Es gibt jetzt Befürchtungen und Sorgen bei den
Menschen in Europa und in Deutschland, dass der IS,
wenn zum Beispiel Mosul fällt oder der IS in Syrien wei-
ter zurückgedrängt wird, Ausweichbewegungen machen
und Aggressionen gegen Deutschland und Europa starten
könnte . Ich glaube das in dieser Form nicht . Ich glaube,
dass es in erster Linie ganz wichtig ist, dass die vermeint-
liche Faszination, die für irregeleitete junge Menschen
vom IS ausgegangen ist, rapide abnimmt, dass der IS als
das enttarnt wird, was er wirklich ist, nämlich eine ver-
brecherische Organisation, die an Brutalität mit nichts
anderem in der heutigen Zeit zu messen ist, und dass
deswegen die Gefahr, dass junge Menschen in Deutsch-
land und Europa Anschläge verüben, die gegen unsere
Freiheit gerichtet sind, trotz Kampf gegen den IS, eher
abnimmt, als dass sie zunimmt .

Ich würde mir wünschen, dass wir unsere Möglich-
keiten an unseren Grenzen, aber eben auch die Möglich-
keiten unserer Dienste nutzen, um sicherzustellen, dass
diejenigen, die aus den Kampfgebieten nach Europa
kommen oder nach Europa zurückkehren, identifiziert
und zur Rechenschaft gezogen werden, und dass auf die-
se Weise sichergestellt wird, dass die Bedrohung in Euro-
pa tatsächlich nicht zunimmt, sondern abnimmt .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819617600

Herr Kollege Hardt, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Liebich?


Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1819617700

Ja .


Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819617800

Vielen Dank, Herr Hardt, dass Sie die Zwischenfrage

zulassen . – Nachdem der Herr Außenminister Steinmeier
nichts dazu gesagt hat, frage ich Sie als Vertreter der
Koalition: Wie bewerten Sie das Agieren der türkischen
Streitkräfte, die im Norden Aleppos nach eigenen Anga-
ben 160 bis 200 Kämpferinnen und Kämpfer der Kurden
getötet haben, die sich im Kampf gegen den „Islamischen
Staat“ befinden?


Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1819617900

Wir weisen in den Gesprächen mit der Türkei stets da-

rauf hin, dass die Türkei das Recht hat, Terrorismus zu
bekämpfen und ihre staatliche Ordnung zu verteidigen,
dass sie dabei aber die Regeln der Verhältnismäßigkeit
und die Regeln des Völkerrechtes beachten muss .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Hat sie es jetzt, oder hat sie es nicht?)


In der Form – wie von Frau Dağdelen vorgetragen –,
wie ein überschäumender geradezu Hass gegenüber der
türkischen Regierung und eine Undifferenziertheit in der
Betrachtung vorhanden sind, sehen wir auch in der tür-
kischen Regierung eine übermäßige Fixierung auf terro-
ristische Elemente unter den Kurden und zu wenig Be-
rücksichtigung und Beachtung derer, die eine friedliche
Veränderung im Namen der Kurden wollen . Wir stehen
für Maß und Mitte in diesem Punkt und nicht dafür, die
Türkei in Bausch und Bogen zu verurteilen oder gar die
Kurden, so wie die Türkei es tut .


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sind sie Terroristen für Sie? Sagen Sie was dazu!)


Was die konkreten Ereignisse angeht, die wir uns jetzt
zu vergegenwärtigen haben: Ich bin fest davon über-
zeugt, dass die türkische Regierung gute Gründe haben
wird, die terroristischen Kräfte im Norden Syriens zu
bekämpfen .


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sind die YPG Terroristen?)


Dort gibt es Terrorismus, der auch von Kurden mitgetra-
gen wird, und der ist genauso verantwortlich für die Situ-






(A) (C)



(B) (D)


ation in Syrien wie für die anderen schrecklichen Dinge,
die dort passieren .


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das ist ja interessant! Interessante Einstufung! Das hat die Bundesregierung bisher nicht gemacht!)


Ich möchte kurz auf den Einsatz selbst eingehen . Ich
finde, dass Deutschland mit dem, was wir bisher bereits
getan haben – Luftbetankungsunterstützung, Fotogra-
fieren und Aufklärung am Boden, aber eben auch der
Einsatz der Fregatte „Augsburg“ an der Seite des Flug-
zeugträgers der Franzosen –, einen erheblichen Beitrag
zum Erfolg der Koalition leisten, die den IS in Syrien
bekämpft. Ich finde, es ist selbstverständlich, dass wir
weitere geeignete Mittel nutzen, um das zu tun . Ich mei-
ne ganz konkret, dass wir AWACS-Flugzeuge als Instru-
ment einsetzen sollten, um den Luftraum zu überwachen .
Ich bin der Auffassung, dass das Mandat unsere Unter-
stützung finden kann. Wir werden in den Ausschüssen
ausgiebig darüber beraten . Deutsche Soldaten sollten in
den AWACS-Flugzeugen selbstverständlich Dienst tun
dürfen .

Ich würde mir darüber hinaus wünschen, dass die Ko-
alition bei ihrem Kampf gegen den IS nicht nur im Irak,
sondern auch auf syrischem Boden weiterhin großen Er-
folg hat und dass wir unsererseits die Soldatinnen und
Soldaten, die in verschiedenen Funktionen im Einsatz
sind, gesund und wohlbehalten wieder nach Hause brin-
gen . Wir wünschen ihnen für diesen Einsatz alles Solda-
tenglück .

Herzlichen Dank .


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819618000

Herr Kollege Hardt, gestatten Sie noch, auch wenn Sie

fast schon am Schluss Ihrer Rede sind, eine Zwischenfra-
ge der Kollegin Keul?


Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1819618100

Ja .


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819618200

Vielen Dank . – Herr Kollege Hardt, Sie haben zum

Schluss dankenswerterweise über das konkrete Mandat
gesprochen . Wir Parlamentarier würden gerne bewerten,
welche Auswirkungen unsere Beteiligung im Rahmen
dieser Allianz auch am Boden tatsächlich hat, aber – die
Kollegin Brugger hat es vorhin schon angesprochen – auf
unsere Fragen, was denn am Boden tatsächlich passiert,
auf welche Ziele eingewirkt wird, bekommen wir von
der Bundesregierung nur die Antwort: Darüber haben
wir keine Kenntnisse, wir geben unsere Daten, aber was
unsere Bündnispartner damit machen, das entzieht sich
unserer Kenntnis . Das erstaunt mich doch sehr; denn
wenn ich als Parlamentarierin diesen Einsatz bewerten
soll und sagen soll, ob ich ihn unterstütze, dann muss ich
doch wissen, was am Ende mit diesen Daten passiert und
wo sie eingesetzt werden. Ich finde auch, dass der Grund-
satz der Verantwortung an dieser Stelle nicht eingehalten
wird, wenn die Bundesregierung Daten weggibt und uns
erzählt – ich muss ja erst einmal davon ausgehen, dass

das, was die Bundesregierung uns sagt, stimmt –, dass
sie gar nicht weiß, was am Ende damit an Wirkung erzielt
wird .


(Beifall des Abg . Dr . Diether Dehm [DIE LINKE])


Sie haben jetzt gesagt, es hätte Fortschritte gegeben,
unsere Handlungen hätten eine Wirkung . Ich bitte Sie,
uns zu erläutern, was konkret am Boden bei diesem Luft-
krieg herausgekommen ist .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1819618300

Ich interpretiere die Information der Bundesregierung

komplett anders als Sie . Wir werten diese Daten aus, wir
geben diese Daten insofern weiter, als dass sie zur Be-
kämpfung des IS in Syrien genutzt werden können, und
es liegen keinerlei Erkenntnisse vor, dass irgendeiner,
der am Kampf gegen den IS in Syrien beteiligt ist, die-
se Daten in einer Art und Weise verwendet, die wir als
Deutscher Bundestag oder als deutsche Bundesregierung
nicht akzeptieren können .


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie denn?)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819618400

Vielen Dank . – Damit wären Sie auch am Ende Ihrer

Redezeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich darf jetzt dem Kollegen Gehrcke die Möglichkeit
zu einer Kurzintervention geben .


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819618500

Herzlichen Dank, Herr Präsident . – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Es gibt ja immer Anlass, selbstkritisch mit
sich umzugehen .


(Niels Annen [SPD]: Ach was? Das ist ja ganz was Neues!)


– Ja, es gibt immer Anlass .

Ich schätze den Kollegen Hardt aus dem Auswärtigen
Ausschuss . Ich habe Ihnen sehr interessiert zugehört . Wir
Linke sagen: Der Krieg in der Luft und am Boden muss
eingestellt werden . Das betrifft die russischen Bomben-
abwürfe, die Sie immer wortreich kritisieren, das betrifft
aber auch die türkischen Bombenangriffe . Das ist eine
Doppelbödigkeit, eine Rückkehr zu einer Politik, in der
man sagt: Der Feind meines Feindes muss mein Freund
sein . Warum bringen Sie nicht die Courage und den Mut
auf, zu sagen – der Außenminister hat das nicht gesagt,
von Herrn Brauksiepe habe ich das sowieso nicht erwar-
tet, von Ihnen aber hätte ich das erwartet –: „Wir kriti-
sieren diese türkischen Bombenabwürfe; wir sind damit
nicht einverstanden; wir verlangen als Bundesregierung
und als CDU/CSU-Fraktion, dass sie in dieser Art und

Jürgen Hardt






(A) (C)



(B) (D)


Weise eingestellt werden“? Diese Doppelbödigkeit ent-
larvt Sie und ist eigentlich furchtbar peinlich .


(Beifall bei der LINKEN – Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Ich habe dazu alles gesagt!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819618600

Kollege Hardt verzichtet auf eine Erwiderung .


(Dr . Diether Dehm [DIE LINKE]: Ist auch besser so!)


Dann erteile ich das Wort dem Kollegen Florian Hahn
für die CDU/CSU als abschließendem Redner in dieser
Aussprache .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1819618700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

gibt schon ein paar Dinge, die wir zu den Einwendungen,
die hier vorgebracht worden sind, sagen müssen . Lieber
Herr Gehrcke und vor allem Frau Dağdelen, ich sage Ih-
nen ganz ehrlich: Es ist doch überhaupt gar keine Frage,
dass wir von unseren türkischen Partnern erwarten, dass
sie Maß halten und die Verhältnismäßigkeit wahren .


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Tun sie aber nicht!)


– Warten Sie . – Und es ist auch überhaupt keine Frage,
dass wir, wenn sich herausstellt, dass es sich hier um 200
oder mehr Zivilisten handelt, das nicht einfach so unan-
gesprochen hinnehmen können . Das ist doch gar keine
Frage . Aber es muss den Türken auch erlaubt sein, den
Terror zu bekämpfen .

Sie werfen uns „Doppelbödigkeit“ vor, sagen, wir
würden mit zweierlei Maß messen. Frau Dağdelen, ich
hätte mir gewünscht, dass Sie mit Blick darauf, dass
Assad mithilfe Putins Aleppo in Schutt und Asche legt
und Tausende von Zivilisten sterben, in Ihrer Rede nur
halbwegs dieselbe Empörung für das Vorgehen der Rus-
sen aufgebracht hätten wie für das Vorgehen der Türken .


(Beifall bei der CDU/CSU – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Haben Sie das denn gemacht?)


Sie, Frau Keul, und Sie, Frau Dağdelen, haben den
Eindruck erweckt, Deutschland bzw . die Bundeswehr
könnte möglicherweise Daten zur Verfügung stellen, die
beispielsweise den Türken dazu dienen, die Kurden zu
bekämpfen .


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Die Bundesregierung schließt es nicht aus!)


– Frau Dağdelen, vielleicht unterhalten Sie sich einmal
mit Ihrem Kollegen Herrn Neu, und Sie, Frau Keul, mit
Ihrer Kollegin Frau Brugger . Wir haben doch gesehen –
nicht nur einmal, sondern schon mehrfach –, welche Da-
ten dort erhoben werden und wie sie kontrolliert werden .
Sie werden fünffach kontrolliert, sodass eines definitiv
ausgeschlossen ist: dass falsche Daten tatsächlich bei-
spielsweise an die Türken geliefert werden. Wir fliegen
in dieser Region gar nicht und erheben diese Daten gar

nicht . Insofern: Malen Sie nicht Dinge an die Wand, die
so einfach nicht stimmen!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Sind die syrischen Kurden für Sie Terroristen, ja oder nein?)


Ein dritter Punkt ist die Frage der Stationierung deut-
scher Soldaten in der Türkei . Wir hatten die Diskussion,
und ich war einer derjenigen, die gesagt haben: Wenn
es dem Parlament nicht möglich ist, diesen Standort zu
besuchen, dann müssen wir uns darüber Gedanken ma-
chen, ob eine Stationierung dort weiterhin möglich ist .
Wir haben diesen Standort jetzt besuchen können . Alle
Fraktionen waren beteiligt . Ich weiß nicht, ob das gesam-
te Reisekarussell Bundestag, jeder einzelne Abgeordnete
noch hinfahren soll . Auch hier bitte Maß und Mitte .


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Jeder einzelne muss abstimmen!)


Natürlich muss es auch weiterhin möglich sein, dass
unsere Kolleginnen und Kollegen dorthin fahren . Wir ha-
ben, als wir zusammen mit dem Delegationsleiter Karl
Lamers in der Türkei waren, ganz klar und deutlich ge-
sagt: Wir erwarten, dass das jetzt die Regel ist und keine
Ausnahme .


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Wir werden sehen!)


Ich kann nur sagen: Wir haben den Eindruck mitgenom-
men, dass es die türkische Seite genauso sieht .

Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal
den Blick auf die Mission Inherent Resolve lenken . Die
Luftschläge der Anti-IS-Koalition haben deutlich dazu
beigetragen, den IS massiv zurückzudrängen . Hierfür
danke ich den deutschen Soldatinnen und Soldaten, die
in Incirlik auf der Fregatte „Augsburg“ und in den Stäben
der Mission ihren Beitrag dazu leisten .

Wir dürfen der Terrormiliz nicht tatenlos gegenüber-
stehen, davon bin ich, nicht zuletzt mit Blick auf ein
UN-Papier dieses Jahres, überzeugt . Darin benennen die
Vereinten Nationen die zahllosen brutalen Menschen-
rechtsverletzungen und Kriegsverbrechen, die der soge-
nannte „Islamische Staat“ beispielsweise gegen die Jesi-
den verübte . Der Bericht verurteilt die Taten für das, was
sie sind: ein immer noch andauernder Genozid mit dem
Ziel, die Identität einer Minderheit auszulöschen . Dane-
ben sind auch die Anschläge in Paris, Brüssel, Nizza oder
Ansbach traurige Beispiele dieser menschenverachten-
den Ideologie . Allein durch seine Existenz entwickelt
das Kalifat eine gefährliche Strahlkraft, die ausländische
Kämpfer, Dschihadistentourismus und Einzeltäter an-
zieht und die Terrorgefahr in Europa erhöht .

Der physischen Zerschlagung des Schreckensstaates
kommt daher eine immense Bedeutung zu . „Sie kamen,
um zu zerstören“, so lautet der Titel des UN-Berichts .
Noch ist das Morden des IS nicht vorbei, daher müssen
wir die Terrormiliz auch weiterhin militärisch bekämp-
fen . Deswegen bitte ich, diesen Einsatz entsprechend zu
verlängern .

Wolfgang Gehrcke






(A) (C)



(B) (D)


Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819618800

Damit schließe ich die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/9960 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . – Widerspruch erhebt
sich nicht, dann gehe ich davon aus, dass Sie alle einver-
standen sind und die Überweisung so beschlossen ist .

Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten 9 a
und 9 b sowie dem Zusatzpunkt 6:

9 . a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Harald Ebner, Nicole Maisch, Friedrich
Ostendorff, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gentechnikfreiheit Deutschlands sichern

Drucksache 18/10028

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

b) Erste Beratung des vom Bundesrat einge-
brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Gentechnikgesetzes

Drucksache 18/6664

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgen-
abschätzung

ZP 6 Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald
Ebner, Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

zu den Entwürfen für eine Durchfüh-
rungsverordnung und zwei Durchfüh-
rungsbeschlüsse der Europäischen Kom-
mission über das Inverkehrbringen von
Saatgut zum Anbau der gentechnisch verän-
derten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11

(Dokumente SANTE/10702/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10704/2016 CIS Rev. 3, SANTE/10703/2016 CIS Rev. 3)


hier: Stellungnahme gegenüber der Bundes-
regierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des
Grundgesetzes

Keine Zulassung der gentechnisch veränder-
ten Maislinien MON 810, 1507 und Bt11 für
den Anbau in der EU

Drucksache 18/10029

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache ebenfalls 38 Minuten vorgesehen . –
Widerspruch erhebt sich nicht . Dann ist das so beschlos-
sen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Harald Ebner für Bündnis 90/Die Grü-
nen das Wort .


Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819618900

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Schmidt, „ja was
denn nun?“, haben Sie uns Grüne kürzlich mal wieder
nach Tipps gefragt, was Sie denn jetzt endlich mal mit Ih-
rem Amt anfangen sollen . Nett, dass Sie fragen! Ich hätte
da etwas: die Änderung des Gentechnikgesetzes .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Schließlich versprechen Sie das schon seit Jahren und
kommen damit kein Stück voran, genau wie auf den an-
deren Baustellen .

Schon in zwei Wochen stimmen die EU-Staaten wie-
der einmal über die Zulassungen für den Anbau von Gen-
mais ab, genau wie vor fast drei Jahren, als das ganze
Genmaisdebakel begann . Sie haben auf meine Nachfrage
jetzt doch tatsächlich geantwortet, Sie wissen noch gar
nicht, wie Sie dieses Mal abstimmen werden . Ganz ein-
fach: Wenn Sie den Genmais auf unseren Äckern wirk-
lich verhindern wollen, machen Sie es wie das Europäi-
sche Parlament, und stimmen Sie in Brüssel endlich mit
Nein . Nur das hilft wirklich .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das fordern wir auch in unserem Antrag, dem Sie
zustimmen können müssten . Denn wir wollen in Euro-
pa keinen Flickenteppich aus Ländern mit und Ländern
ohne Gentechnikanbau . Wir alle wissen: Pollen und
Bienen, aber auch Saat- und Erntegut machen nicht an
Staatsgrenzen halt . Wenn Sie nicht mit Nein stimmen,
hängt unsere Gentechnikfreiheit allein von der Gnade
der Konzerne ab, die ganz generös auf den Anbau in
Deutschland verzichten können, falls ihnen danach zu-
mute ist und wenn wir sie darum bitten . Wer die Zulas-
sung nicht ablehnt, der ermöglicht sie und spielt mit beim
Plan der Agrarkonzerne, die so mit ein paar gönnerhaften
Anbauausnahmen ihre lange gewünschten Zulassungen
für Gentechnikpflanzen erreichen wollen.

Vor zwei Jahren haben Sie hier hoch und heilig ver-
sprochen, dass es mit der Großen Koalition künftig keine
Anbauzulassungen mehr geben würde . Heute trauen Sie
sich noch nicht einmal, darüber abzustimmen . Haben Sie
Angst, dass man merkt, dass Sie nicht Wort halten? Da-
mals haben Sie die Aussage, dass wir den Verzicht auf
Gentechnikanbau nur von Gnaden der Konzerne bekom-
men würden, weit von sich gewiesen . Wer bei Anbauver-
boten Koch ist und wer Kellner – Herr Minister Schmidt,

Florian Hahn






(A) (C)



(B) (D)


das haben Sie gesagt –, sei völlig klar . Dann sind Sie aber
doch zum Kellner geworden . Sie haben vor einem Jahr
Bittbriefe an die Konzerne geschrieben, Herr Minister,
Deutschland von ihren Zulassungsanträgen auszuneh-
men . Das ist doch kein souveränes Staatshandeln .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Unsere Gentechnikfreiheit kann doch nicht von Verspre-
chungen privater Unternehmen abhängen, die ihre Ge-
schäftsstrategie schon morgen ändern können, je nach-
dem, von wem sie gerade gekauft werden .

Deshalb brauchen wir jetzt dringend ein Gesetz, lieber
Herr Minister Schmidt, werte Kolleginnen und Kolle-
gen, und zwar ein funktionsfähiges, ein taugliches und
rechtssicheres Gesetz . Weil Sie kein praktikables Gesetz
hinbekommen haben, haben die Bundesländer über den
Bundesrat einen eigenen vernünftigen und tauglichen
Gesetzentwurf eingebracht . Den hätte die Beauftragte
des Bundesrates, Ulrike Höfken, gerne vorgestellt . Sie
ist aber terminlich leider verhindert . Sie haben sich al-
lerdings hartnäckig geweigert, diesen Beschluss des
Bundesrates voranzubringen . Stattdessen haben Sie die
Länder ein weiteres Jahr mit Verhandlungen hingehalten,
angeblich zur Kompromissfindung. Aber der Gegenent-
wurf, den Sie jetzt vorgelegt haben, zeigt: Sie wollen gar
keine Lösung mit den Ländern .


(Beifall der Abg . Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Sie haben gar kein Interesse daran, die Position des Bun-
desrates auch nur im Ansatz ernst zu nehmen . Sie wollen
den Ausstieg aus dem Gentechnikanbau partout vorsätz-
lich unterlaufen und aufweichen .

Die Minimalanforderungen an ein funktionierendes
Gesetz liegen doch auf der Hand . Es braucht zwingend
ein bundesweit einheitliches Verfahren . Dazu muss klar
sein: Die Bundesregierung soll handeln, und zwar die ge-
samte Bundesregierung . Es darf nicht vom Veto einzel-
ner Ministerien abhängen . Das sehen Sie aber in Ihrem
Gesetz so vor . Das EU-Recht fordert für die Phase 1 der
Verbote keine Begründung ein . Wieso wollen Sie dann
diese zusätzliche Bürokratiehürde einführen? Das verste-
he ich beim besten Willen nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Bundesweite Anbauverbote müssen auch halten . Es
kann doch nicht sein, dass ein einziges Bundesland aus-
reicht, um das gesamte Verbot einfach mir nichts, dir
nichts wieder zu kippen . In Ihrem Entwurf ist damit eine
Unwirksamkeitsklausel eingebaut . Sie wollen keine nati-
onalen, bundeseinheitlichen Anbauverbote . Damit schaf-
fen Sie den Flickenteppich, den wir immer befürchtet
haben . Das darf nicht sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Den Weg zum sicheren Ausstieg aus der Gentechnik
im Anbau hat der vom Bundesrat verabschiedete Gesetz-
entwurf geliefert . Diesen bringen wir heute ein; denn er
ist gut und solide gemacht .

Und wir müssen das auch zukunftsfest machen . Sor-
gen Sie dafür, dass nicht durch die Hintertür Ausnahmen
geschaffen werden für neue Gentechnikverfahren wie
CRISPR/Cas und wir es nicht plötzlich mit unkontrol-
lierter Gentechnik auf unseren Äckern und Tellern zu tun
bekommen . Denn auch die neue Gentechnik ist Gentech-
nik . Das besagen auch die vorliegenden Rechtsgutach-
ten . Das müssen wir in Deutschland und auf EU-Ebene
klarstellen; sonst geht es uns wie im letzten Jahr, als eine
deutsche Behörde gegen geltendes Recht ohne jede Ri-
sikoprüfung Ausnahmegenehmigungen für genau solch
einen neuen Gentechnikraps erteilt hat . Da geht es nicht
darum, zu entscheiden, ob und wo man diese Technologie
anwendet, sondern es geht grundlegend um die Handha-
bung mit Risikoprüfung, Kennzeichnung und Rückver-
folgbarkeit, wie sie bei Gentechnik immer notwendig ist .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie tatsäch-
lich keine Gentechnik auf dem Acker wollen, dann sor-
gen Sie für eine klare Regelung zum Ausstieg aus der
Gentechnik, indem Sie die anstehenden Genmaiszulas-
sungen in Brüssel klar ablehnen, den Gentechnik-Gesetz-
entwurf des Bundesrates in Kraft setzen, Ihren eigenen in
den Schredder werfen und keine Ausnahmen für die neue
Gentechnik zulassen .

Danke schön .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819619000

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt der Kollege

Kees de Vries .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Kees de Vries (CDU):
Rede ID: ID1819619100

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und

Herren auf den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Landwirtschaft betrifft jeden Menschen auf dieser
Welt . Und deshalb betrifft die Diskussion über die Grüne
Gentechnik nicht nur die deutsche Landwirtschaft, uns
Parlamentarier oder unsere mit qualitativ hochwertigen
und preiswerten Lebensmitteln versorgte – um nicht zu
sagen: verwöhnte – Bevölkerung, nein, sie betrifft auch
die Hungernden oder falsch Ernährten auf unserer Erde .

Als Mitglieder des Deutschen Bundestages ist es un-
sere Pflicht, die Sorgen und Wünsche des deutschen Vol-
kes ernst zu nehmen. Aber es ist auch unsere Pflicht, in
Übereinstimmung mit unserer Überzeugung, resultierend
aus unserem Wissen und Gewissen, darauf zu reagieren .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich persönlich – und
ich bin wirklich nicht der Einzige in diesem Bundestag –
bin nach wie vor der Meinung, dass es nicht im Sinne
eines so innovativen Landes wie dem unseren und seiner
Bevölkerung ist, uns so radikal von weltweiten Entwick-
lungen abzukoppeln . Ich fühle mich in dieser Haltung
auch bestärkt durch einen Aufruf von 107 – ich wieder-
hole: 107 – Nobelpreisträgern,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, jetzt kommt diese Geschichte!)


Harald Ebner






(A) (C)



(B) (D)


die verlangt haben, dass die Kampagne gegen GVOs
aufgrund der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse
aufgegeben werden sollte .


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, dann gucken Sie mal hin, was das für welche sind! Die forschen alle in der Gentechnik!)


Trotzdem kann auch ich mit der Opt-out-Regelung le-
ben . Um diese EU-Regelung in nationales Recht umzu-
setzen, liegt uns jetzt, nach der Ressortabstimmung, der
Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Gen-
technikgesetzes vor .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit eingebauter Nichtigkeitsklausel!)


– Er liegt vor, Herr Ebner . – Das Ziel dieses Gesetzent-
wurfes hat Landwirtschaftsminister Christian Schmidt
klar und deutlich beschrieben, nämlich das flächende-
ckende Anbauverbot von Grüner Gentechnik in ganz
Deutschland .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das können Sie damit nicht erreichen!)


Seit 2015 kann der Anbau von GVOs außer aus ge-
sundheitlichen und ökologischen Gründen – für die
meistens handfeste wissenschaftliche Beweise nicht zu
liefern sind –, auch aus agrarpolitischen oder sozioöko-
nomischen Gründen unterbunden werden . Es geht hier
also nicht um die Frage: Genpflanze, ja oder nein? Es
geht hier um die Verbotspraxis und um die Frage der Zu-
ständigkeit .

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Anträge
und Gesetzentwürfe, die Sie als grüne Opposition hier
vorlegen, helfen in keiner Weise, tragfähige Lösungen
für die Gestaltung eines Anbauverbots für gentechnisch
veränderte Organismen zu formulieren .


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Gesetzentwurf des Bundesrates! Der ist handwerklich top gemacht!)


Sie kommen nicht nur mit einem veralteten – er ist über
ein Jahr alt –, einfach wieder aufgewärmten Gesetzent-
wurf, sondern auch mit zum Teil schon überholten An-
trägen, die außer Schwarzmalerei und meisterhafter Ver-
einfachung nichts zu bieten haben . Ich frage mich: Geht
es hier um die Sache oder um parteipolitisches Kalkül?


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Bundesrat hat den Gesetzentwurf gemacht! Die Länderkammer, Kollege!)


Fest steht für mich: Diese Anträge sind einfach abzuleh-
nen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, meines Erachtens
haben die Bundesressorts mit dem vorgelegten Gesetz-
entwurf, der die Brüsseler Opt-out-Regelung in nationa-
les Recht umsetzt, einen vernünftigen Kompromiss zwi-

schen Bund und Ländern zustande gebracht . So werden
Unternehmen, die eine Anbauzulassung für gentechnisch
veränderte Pflanzen stellen, vom Bundesministerium für
Landwirtschaft und Ernährung dazu aufgefordert, das
deutsche Bundesgebiet vom Anbau auszuschließen . Ja,
dazu braucht die Regierung das Einvernehmen von sechs
Ministerien, nämlich Forschung, Wirtschaft, Arbeit, So-
ziales, Gesundheit und Umwelt, und auch eine Mehrheit
im Bundesrat . Aber solange sich die öffentliche Meinung
und die korrespondierende Position der Bundesregierung
und der Landesregierungen zum Thema GVO nicht än-
dert, kann das doch kein Problem sein .

Selbst wenn sich ein Unternehmen darüber hin-
wegsetzt, das Bundesgebiet vom Anbau auszunehmen,
verfügt die Bundesregierung gemäß dem neuen Gesetz-
entwurf immer noch über ausreichend Mittel, einen Aus-
bau in Deutschland zu verhindern . In diesem Falle sollte
die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates
eine Rechtsverordnung zum bundesweiten Anbauverbot
erlassen, die sich auf zwingende Gründe stützt, darunter
solche, die bereits seit 2015 die Anwendung der Grünen
Gentechnik erfolgreich unterbinden .

Neben den agrarpolitischen und sozioökonomischen
Argumenten können sich zwingende Gründe aus um-
weltpolitischen Zielen oder der Gefahr von Verunreini-
gungen ergeben . Dabei soll sich die Begründung an den
jeweiligen regionalen Bedingungen orientieren . Zusätz-
lich wird es den Ländern per Verordnung möglich sein,
den GVO-Anbau in ihrem Hoheitsgebiet eigenständig zu
verbieten . Hierdurch und durch die bestehende Haftungs-
regelung wird nicht nur die Rechtssicherheit der zukünf-
tigen Verbote gestärkt, sondern dem Gentechnikgesetz
auch ein föderaler Charakter zugestanden . Im Hinblick
auf die Diversität der landwirtschaftlichen Ökosysteme
und Arbeitsbedingungen in Deutschland ist dies von
nicht zu unterschätzender Bedeutung .

Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren, hat
unser vielgescholtener Minister Christian Schmidt einen
Gesetzentwurf vorgelegt, den nicht einmal unsere Kolle-
gen der Grünenfraktion guten Gewissens ablehnen kön-
nen .

Danke für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1819619200

Die Kollegin Dr . Kirsten Tackmann spricht jetzt für

die Fraktion Die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819619300

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Liebe Gäste! Für uns Linke ist die Agrogentechnik
eine Risikotechnologie, weil sie eben doch eine Gefahr
für Mensch und Natur ist . Die Selbsttötung verarmter in-
discher Baumwollbauern oder auch Superunkräuter, die
die Ernte vernichten, weil eben kein Pflanzenschutzmit-
tel mehr wirkt, bezeugen das . Das sind nur zwei Beispie-
le und ist auch nur ein Teil des Problems .

Kees de Vries






(A) (C)



(B) (D)


Als Linke sehe ich die Gefahr vor allem in dem Sys-
tem, das dahintersteckt und mit dem Konzerne sehr viel
Geld verdienen, und zwar auf unser aller Kosten; denn
die von ihnen verursachten Schäden zahlen wir als Ge-
sellschaft. Ich finde das inakzeptabel.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb brauchen wir den Widerstand gegen die Über-
macht transnationaler Saatgut- und Pflanzenschutzkon-
zerne . Bayer/Monsanto und anderen geht es vor allen
Dingen um Maximierung ihres Profits. Die Gefahr für
unsere natürlichen Lebensbedingungen sind für sie nur
Kollateralschäden . Außerdem gefährden sie universelle
Menschenrechte wie das Recht auf Nahrung oder auf
Wasser . Das wird Gott sei Dank das gerade laufende In-
ternationale Monsanto-Tribunal in Den Haag nachwei-
sen . Davon bin ich jedenfalls überzeugt . Deswegen darf
sich Politik gerade an dieser Stelle nicht erpressbar ma-
chen .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Als Linke will ich verhindern, dass Saatgutmultis und
Chemieriesen bestimmen, was auf unseren Tellern, im
Trog oder im Tank landet . Landwirtschaft muss unabhän-
gig von solchen Konzernen bleiben . Ich bin froh, dass
der Widerstand weltweit wächst und auch in unserem
Land unterdessen breit verankert ist . Viele sehr engagier-
te, unerschrockene Aufklärerinnen und Aufklärer haben
dazu beigetragen . Ihnen gilt heute mein großer Dank .


(Beifall bei der LINKEN)


Aus Sicht der Linken gibt es längst genügend Erfah-
rungen zu Risiken und Nebenwirkungen der Agrogen-
technik, um diese Risikotechnologie zu ächten, und zwar
weltweit . Leider ist das aktuell nicht durchsetzbar . Aber
dann sollte uns doch wenigstens das EU-Zulassungsver-
fahren vor gefährlichen Pflanzen auf unseren Äckern
schützen . Schließlich gilt ja in der EU das Vorsorgeprin-
zip . Aber leider wird auch das untergraben . Denn die Prü-
fung erfolgt weder wirklich unabhängig noch transpa-
rent . Und wichtige Risiken werden erst gar nicht geprüft,
wie zum Beispiel Langzeitwirkungen, wie zum Beispiel
ethische oder soziale Bedenken . Wir wie auch andere for-
dern schon seit langem Korrekturen. Ich finde, hier muss
endlich gehandelt werden!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber auch mit einer qualifizierten Mehrheit der Mit-
gliedstaaten in den EU-Entscheidungsgremien könnte
eine Zulassung verhindert werden . Sie kommt aber re-
gelmäßig nicht zustande, auch weil die Bundesregierung
sich in diesen Gremien bestenfalls der Stimme enthält .
Damit macht sie aber quasi den Weg für die Zulassung
frei; denn die EU-Kommission kann den Anbau dann
ersatzweise tatsächlich zulassen, und sie tut das auch re-
gelmäßig .

Zum Glück haben wir aber auch noch die Mit-
te-Links-Mehrheit gegen die Agrogentechnik im Bun-

destag . Die könnte die Bundesregierung natürlich auffor-
dern, der Zulassung in den Gremien nicht zuzustimmen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber auch hier kommt es nicht zu diesem klaren Signal,
weil sich die SPD in dieser Koalition eben in Geiselhaft
mit der Union befindet. Also kann ich nur sagen: Augen
auf bei der nächsten Wahl!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der öffentliche Widerstand hat aber immerhin eine
neue, zusätzliche Reißleine erzwungen . Die Mitglied-
staaten können jetzt nämlich auch nach der EU-weiten
Zulassung von Gentechnikpflanzen den Anbau in ihrem
Land legal verhindern . Dieses sogenannte Opt-out hört
sich gut an, in Wirklichkeit ist es aber ein unmoralisches
Angebot; denn eigentlich eröffnet diese Regel vor allen
Dingen den Konzernen die Tür zu agrogentechnikfreund-
lichen Ländern, und es gibt auch hohe Hürden, die für ein
solches Anbauverbot zu erfüllen sind . Aber immerhin:
Man kann das tun .

Natürlich macht solch ein Verbot nur bundesweit
Sinn . Ein Flickenteppich angesichts der länderübergrei-
fenden Verarbeitungs- und Handelswege ist absurd; auch
die Bienen halten sich nicht an Ländergrenzen usw . Wa-
rum sollte ein Risiko in dem einen Bundesland existieren
und im Nachbarland nicht? Also sind auch Rechtssicher-
heit und Rechtsfrieden mit einem solchen Flickenteppich
nicht herstellbar .

Der Bundesrat hatte, wie ich finde, einen sehr guten
Vorschlag zu bundeseinheitlichen Regeln vorgelegt . Man
war sich angeblich auch mit dem Bund einig . Trotzdem
macht die Bundesregierung mit dem aktuellen Gesetz-
entwurf genau das Gegenteil:

Die Hürden für ein bundeseinheitliches Verbot sind
so hoch, dass de facto doch jedes einzelne Bundesland
entscheiden muss . Wer das so vorschlägt, will keine bun-
deseinheitliche Regeln .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesländer sollen „zwingende Gründe“ für ein
Anbauverbot vorlegen, obwohl das in der EU-Richtlinie
überhaupt nicht vorgesehen ist . Wer das vorschlägt, will
kein Anbauverbot .

Dieses Gesetz ist auch aus meiner Sicht in Wahrheit
ganz klar ein Opt-out-Verhinderungsgesetz,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


und das können wir Ihnen nicht durchgehen lassen .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dass viele in der Union das genau so wollen, kann ich ja
noch verstehen, aber die SPD darf das nicht mitmachen .

Dr. Kirsten Tackmann






(A) (C)



(B) (D)


Sonst hat sie jede Glaubwürdigkeit bei der Agrogentech-
nik verspielt .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819619400

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Elvira

Drobinski-Weiß das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1819619500

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen!
Ich zitiere:

Der Staat schützt auch in Verantwortung für die
künftigen Generationen die natürlichen Lebens-
grundlagen und die Tiere im Rahmen der verfas-
sungsmäßigen Ordnung . . .

Das steht in Artikel 20a unseres Grundgesetzes . Den ken-
nen Sie natürlich alle, liebe Kolleginnen und Kollegen,
aber ich habe ihn an dieser Stelle trotzdem noch einmal
zitiert; denn genau darum geht es beim Thema „Gentech-
nik auf dem Acker“ .

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten leh-
nen Gentechnik auf dem Acker ab,


(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müsst ihr aber auch handeln!)


und zwar deswegen, weil wir die natürlichen Lebens-
grundlagen auch für zukünftige Generationen schützen
wollen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müsst ihr jetzt wirklich etwas tun!)


Die Vorteile Grüner Gentechnik für die Verbraucherin-
nen und Verbraucher sind praktisch gleich null . Aber die
langfristigen Risiken für die Ökosysteme, die Umwelt
und die Lebensmittelkreisläufe sind kaum erforscht und
ungewiss . Deshalb wollen wir


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wer ist „wir“?)


– darin sind wir uns völlig einig, liebe Kolleginnen und
Kollegen von den Grünen –, dass Deutschland den An-
bau gentechnisch veränderter Pflanzen im gesamten
Bundesgebiet untersagt –


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Forschungsvorhaben ausgenommen . Das erlaubt uns das
EU-Recht seit nunmehr zwei Jahren auch .

Ja, seitdem ringen wir darum,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ziemlich erfolglos!)


wie genau wir das Anbauverbot auf deutschen Äckern
umsetzen können . Deshalb bin ich froh, dass wir jetzt ei-
nen Gesetzentwurf haben, Herr Kollege Ebner .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der die Länder vor den Kopf stößt!)


In diesem Gesetzentwurf heißt es ganz klar: Die Bundes-
regierung soll


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, „das Bundesministerium soll“! Nicht die Bundesregierung!)


– vielleicht hört es der Herr Bundesminister auch – ein
Anbauverbot erlassen, wenn der Hersteller nicht freiwil-
lig darauf verzichtet . – Sie soll! Das ist ein klarer Auftrag,
der hier festgeschrieben wird, und das ist entscheidend .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, „das Bundesministerium soll“, und zwar im Einvernehmen mit dem BMBF!)


Meiner Ansicht nach wäre es sinnvoll gewesen, sich stär-
ker an dem zu orientieren – das ist auch schon mehrfach
genannt worden –, was der Bundesrat im letzten Jahr vor-
gelegt hat – aber gut .

Der Gesetzentwurf, über den wir jetzt reden – er ist
übrigens noch nicht einmal im Kabinett beraten wor-
den –, ist trotzdem eine gute Grundlage, unser gemein-
sames Ziel zu erreichen . Wir werden ihn genau prüfen .
Der besagte klare Auftrag darf nämlich nicht durch miss-
verständliche Formulierungen oder fehleranfällige Ver-
fahren verkompliziert werden . Da, wo wir es für nötig
halten, werden wir auf Änderungen drängen .

Insgesamt bin ich, wenn Sie mir diese Bemerkung er-
lauben, sehr geehrter Herr Bundesminister Schmidt, al-
lerdings etwas erstaunt, dass Sie sich selbst auferlegen,
mit fünf anderen Ministerien ein Einvernehmen herstel-
len zu müssen,


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ein Schelm, wer Böses dabei denkt! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


bevor Sie tätig werden können . Mich erstaunt doch, dass
Sie den ganzen Prozess freiwillig so enorm verkompli-
zieren . Ich nehme Sie trotzdem beim Wort:


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit angezogener Handbremse, ja?)


Vor wenigen Tagen, laut Reuters am 16 . Oktober, haben
Sie gesagt – ich zitiere –:

Mein Ziel ist ein flächendeckendes Anbauverbot
von grüner Gentechnik in ganz Deutschland .


(Beifall bei der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann kann man auch ein entsprechendes Gesetz vorlegen! – Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Da klatscht die Union gar nicht!)


Es wäre schön, wenn diesen Worten Taten folgten .

Dr. Kirsten Tackmann






(A) (C)



(B) (D)


Wir debattieren nämlich auch einen Antrag der Kol-
leginnen und Kollegen von den Grünen, in dem es um
die Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen
auf EU-Ebene geht; Kollege Ebner hat es ja schon ange-
sprochen . Die sozialdemokratisch geführten Häuser der
Bundesregierung stimmen regelmäßig gegen eine solche
Zulassung, die unionsgeführten hingegen dafür .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir erwarten aber von der Regierung ein stringentes Handeln!)


Das führt dann meist dazu, dass sich Deutschland insge-
samt im EU-Rat enthält . So, sehr geehrter Herr Schmidt,
sieht eine konsequente Haltung für eine gentechnikfreie
Landwirtschaft eigentlich nicht aus .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich würde mir wünschen, dass auch unser Koalitions-
partner endlich geschlossen den Wunsch der Bürgerin-
nen und Bürger nach gentechnikfreien Feldern in diesem
Land respektiert . Ich kann für meine Fraktion noch ein-
mal sagen: Wir wollen ein bundesweites Anbauverbot
und keinen Flickenteppich .


(Beifall bei der SPD)


Deshalb ist es so wichtig, dass die Anbauverbote rechts-
sicher ausgesprochen werden können und dass die Um-
setzung gleichzeitig für alle Betroffenen handhabbar ist .

Wir werden im parlamentarischen Prozess – davon bin
ich überzeugt – noch über einige Punkte diskutieren und
auch diskutieren müssen .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr müsstet nur den Bundesratsgesetzentwurf annehmen! Der sagt alles!)


Aber das gemeinsame Ziel ist klar: keine Gentechnik auf
Feldern, Wiesen, Gärten. Und damit, finde ich, lässt sich
arbeiten .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmt heute auch entsprechend ab!)


Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD – Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Elvira, das war aber jetzt hohe Diplomatie! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dann stimmt heute auch unserem Antrag zu!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819619600

Rita Stockhofe erhält nun das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rita Stockhofe (CDU):
Rede ID: ID1819619700

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Der Titel „Gentechnikfreiheit Deutschlands
sichern“ zeigt schon – das kann man daran gut ablesen –,
wie die Politik der Grünen funktioniert . Sie haben ein

Schwarz-Weiß-Denken, was sie durch alle Themen tra-
gen . Aber die wenigsten Themen haben nur eine Sicht-
weise .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht das auch mit Inhalt?)


– Ja, der kommt jetzt: Ihr Antrag zu den Maissorten ist
im Prinzip hinfällig, weil gerade diese Maissorten in
Deutschland sowieso nicht angebaut werden dürfen .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann stimmen Sie in Brüssel zu! Macht das nichts aus?)


Gentechnisch veränderte Pflanzen sind auch nur ein
ganz kleiner Bestandteil der Biotechnologie . Die Bio-
technologie umfasst ein sehr großes Gebiet mit sehr viel
Potenzial, das in Deutschland ausgeschöpft werden sollte
und nicht von den Grünen verhindert werden darf . Die
Forschung in diesem Bereich muss auf jeden Fall mög-
lich sein und bleiben .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen also die Gentechnik!)


Gerne erläutere ich Ihnen auch, weswegen .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Nein, muss nicht sein!)


In der Biotechnologie gibt es mindestens fünf verschie-
dene Bereiche . Zwei davon möchte ich Ihnen gerne nen-
nen .

Bei der sogenannten Grauen Gentechnik –


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Darum geht es aber gerade nicht!)


das ist die Umweltbiotechnologie – geht es um die Auf-
bereitung von Trinkwasser, die Reinigung von Abwasser,
die Behandlung von Abfällen,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Um was geht es denn heute? Thema verfehlt!)


die Sanierung kontaminierter Böden und die Abluft- bzw .
Abgasreinigung, also um wichtige Themen, die die Zu-
kunft unserer sensibelsten Bereiche betreffen .


(Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir hier Möglichkeiten der Verbesserung finden,
sollten wir diese Chancen nutzen .

Bei der Roten Gentechnik ist schon vor Jahren der
Fehler gemacht worden, die Entscheidung zu treffen, in
Deutschland kein gentechnisch verändertes Insulin her-
zustellen. Wir kaufen das Insulin jetzt in hoher Qualität
gentechnisch verändert in Frankreich ein . Wenn das kein
Erfolg ist! Ich hätte die Forschung, Herstellung und Ver-
marktung dieses Produktes lieber im eigenen Land ge-
sehen .

Elvira Drobinski-Weiß






(A) (C)



(B) (D)


Die Grünen interessiert es nicht, dass bis heute keine
einzige Studie ergeben hat, dass Gentechnik gefährlich
ist .


(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Unsinn! – Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Alle, die Sie gelesen haben! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es immer noch nicht verstanden!)


Warum auch? Wenn wieder einmal ein Versuchsfeld mit
Genpflanzen zerstört wird, sieht das kaum einer als krimi-
nellen Akt, sondern als heroische Tat des Widerstandes .
In der letzten Sitzungswoche ist auch deutlich geworden,
dass selbst Einbrüche durch Nichtregierungsorganisatio-
nen als Heldentaten gewertet werden .

NGOs als Superlobbyisten genießen bei den Grünen
anscheinend grenzenloses Vertrauen . Sie schützen uns
vor bösen Machenschaften, vor Genmais, sie retten die
Umwelt, die Tiere, schützen uns vor gefährlichen Han-
delsabkommen der Kapitalisten


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aber leider nicht vor schlechten Rednern!)


und machen das Ganze aus reinem Gutmenschentum .
Oder gibt es auch hier Interessen, die einmal hinterfragt
werden müssen? Weltverbesserer-NGOs haben ständig
Kontakt zu Ministerien und grünen Abgeordneten . Bei
Unternehmerverbänden gilt das regelmäßig als Skandal .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie es nicht unterscheiden können, dann tun Sie mir wirklich leid! Blamieren Sie sich ruhig weiter!)


Wird hier mit zweierlei Maß gemessen?

Die Grünen lassen sich vor den Karren spannen und
sind zu einer Lobbyistenpartei geworden .


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Offenbarungseid!)


Oder wie beurteilen Sie die Aussage des nordrhein-west-
fälischen Landwirtschaftsministers Remmel, der sein
Landesnaturschutzgesetz – hören Sie jetzt genau zu! – als
Geburtstagsgeschenk an den NABU bezeichnet hat .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was hat das jetzt mit Gentechnik zu tun? Können Sie uns das mal erläutern?)


Wenn das nicht schlimm ist, dann weiß ich es nicht . Wer
sind dann noch die Lobbyisten, und wer ist dann hier
noch die Lobbyistenpartei?


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie eigentlich TTIP gelesen? – Zurufe der Abg . Karin Binder [DIE LINKE])


Obwohl wir immer älter werden und die Luft, die Wälder
und die Gewässer immer sauberer werden – auch durch

Gentechnik –, wird von der Opposition regelmäßig der
Weltuntergang gepredigt .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie eigentlich die Anträge gelesen? Wissen Sie, um was es heute geht?)


Um noch einmal zur Gentechnik an sich zurückzu-
kommen: Hanno Schäfer, Professor für Biodiversität der
Pflanzen, schreibt treffend in der Zeit, dass die gentech-
nische Veränderung von Nutzpflanzen die Biodiversität
positiv beeinflussen kann,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat er nicht verstanden, was Biodiversität ist!)


und zwar, indem sie die Erträge steigert, sodass auf weni-
ger Fläche mehr produziert werden kann .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, nur dass das nicht stimmt!)


Somit muss weniger Fläche beackert werden, und natur-
nahe Lebensräume können erhalten bleiben .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Sie wollen doch nur spielen!)


Lebensräume können erhalten bleiben – ich dachte im-
mer, das sei Ihnen wichtig .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu gibt es keine einzige Studie, die das belegt! Keine einzige Studie belegt das!)


Wir brauchen die landwirtschaftliche Nutzung von
Fläche, um die Menschheit zu ernähren . Aber jede Nut-
zung von Fläche, egal ob konventionell, bio oder mit
gentechnisch veränderten Pflanzen, aber auch durch
Bebauung, bedeutet einen Verlust der Vielfalt . Wenn
im Vorfeld von Ergebnissen – in diesem Fall von For-
schungsergebnissen – bereits Ängste geschürt werden,
ohne Potenziale zu erkennen oder zuzulassen, verbauen
wir uns die Zukunft Deutschlands . Wir als CDU glauben
aber an die Zukunft Deutschlands,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also sind Sie für Gentechnik! Schön!)


und deshalb sind wir die Zukunft Deutschlands .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CDU und die Gentechnik! Ihr Minister sagt, er will keine, und Sie sagen alle, Sie wollen sie! Ja, lustig!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819619800

Carsten Träger ist der nächste Redner für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)


Rita Stockhofe






(A) (C)



(B) (D)



Carsten Träger (SPD):
Rede ID: ID1819619900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich würde
gerne wieder über Grüne Gentechnik sprechen .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Um es noch einmal klipp und klar zu sagen: Wir als
Sozialdemokraten wollen keine Grüne Gentechnik .


(Beifall bei der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr könnt es nachher beweisen!)


Wir wollen kein gentechnisch verändertes Essen . Wir
wollen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher beim
Einkauf nicht das Kleingedruckte lesen müssen, dass sie
keine App brauchen, um entscheiden zu können: Ist da
Gentechnik drin oder nicht? Wir wollen, dass sie sich
schlicht und einfach darauf verlassen können, dass ihr
Essen gesund ist und frei von Gentechnik hergestellt
wurde .


(Beifall bei der SPD – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nachher beweisen in der Abstimmung!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Grüne Gentechnik
ist riskant. Der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen
ist nicht nachhaltig . Monokulturen führen zu einem Ver-
lust der Artenvielfalt . Außerdem sind sie anfälliger für
Schädlingsbefall und Krankheiten . Die Folge ist wiede-
rum steigender Einsatz von Pestiziden . Dadurch mehren
sich weltweit die Resistenzen gegen Pflanzenschutzmit-
tel. Insektenresistente Pflanzen erhöhen wiederum die
Giftkonzentration auf dem Acker und schädigen Nutzin-
sekten . Ein Teufelskreis! Dabei hängt doch gerade die
Landwirtschaft von einem stabilen ökologischen Gefüge
ab . Daher sagen wir: Wir wollen keine Grüne Gentech-
nik .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nachher dann auch entsprechend abstimmen, bitte!)


Die Langzeitrisiken von gentechnischen veränderten
Pflanzen für Mensch und Umwelt sind nicht geklärt. Der
Erfolg neuer Züchtungen ist umstritten .

Grüne Gentechnik steht auch für eine Entwicklung der
Landwirtschaft in eine Richtung, die wir nicht wollen .
Sie steht für Rationalisierung auf dem Acker . Sie steht für
Anbau einiger weniger Pflanzenarten auf immer größer
werdenden Flächen . Damit steht sie für den Verlust von
Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft . Nichts von alledem
wollen wir . Und die Menschen in Deutschland wollen das
auch nicht . Das hat zuletzt im April eine vom Umwelt-
ministerium und vom Bundesamt für Naturschutz veröf-
fentlichte Umfrage zum Naturbewusstsein ergeben . Nur
7 Prozent der Befragten sagen, dass sie überhaupt kein
Problem mit gentechnisch veränderter Nahrung hätten .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da gehört die Frau Stockhofe dazu!)


Auch die Fütterung von Nutztieren mit gentechnisch ver-
änderten Futtermitteln lehnen 79 Prozent der Befragten
ab . Und noch ein ethisches Argument: Drei Viertel der
Befragten finden zudem, dass der Mensch kein Recht
habe, Pflanzen und Tiere gentechnisch zu verändern.


(Zuruf von der CDU/CSU: Au, au, au!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen keine
Gentechnik in unserem Essen . Niemand will das . Des-
halb sollten wir als politische Vertretung der Bürgerinnen
und Bürger auch alles tun, um diesen Willen umzusetzen .

Sehr geehrter Herr Bundesminister, auch Sie haben
erklärt, dass Sie gentechnikfreie Äcker in Deutschland
wollen . Dann sind wir uns einig . Lassen Sie uns das
gemeinsam umsetzen: konsequent, klar und vor allem
rechtssicher .


(Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Da sind wir einmal gespannt!)


Rechtssicher heißt für mich: bundeseinheitlich mit einer
klaren Verantwortlichkeit für ganz Deutschland,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg . Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


kein kompliziertes Verfahren, keine unnötige Bürokratie .
Da lag schon mal ein guter Lösungsvorschlag auf dem
Tisch .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der jetzige ist das aber nicht!)


Lassen Sie uns daran anknüpfen . Lassen Sie uns gemein-
sam dafür sorgen, dass es in Deutschland keinen Flicken-
teppich mit unterschiedlichen Regelungen und unnötiger
Bürokratie gibt .

Wir alle haben das gleiche Ziel . Wir alle wollen gen-
technikfreies Essen . Wir schaffen das .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819620000

Mindestens das schaffen wir tatsächlich . – Nun hat der

Kollege Artur Auernhammer für die CDU/CSU-Fraktion
das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Artur Auernhammer (CSU):
Rede ID: ID1819620100

Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da-

men und Herren! Ob wir das schaffen, werden wir sehen .
Ich merke allerdings nur an: In dieser Debatte haben wir
bereits eine rot-rot-grüne Koalition in diesem Haus .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zurufe von der SPD: Oh!)


Vor zwei Tagen waren einige von Ihnen dabei, als abends
in Berlin die Nacht der Landwirtschaft gefeiert und der
CERES AWARD verliehen wurde . Wir haben unsere
Landwirtschaft gelobt . Wir haben ihr die Anerkennung
zukommen lassen, die sie braucht . Wir haben die Land-






(A) (C)



(B) (D)


wirtschaft dafür gelobt, dass sie innovativ ist, dass sie
produktiv ist, dass sie leistungsfähig ist . Das war ein gu-
ter Abend . Ich denke, diese Landwirtschaft sollten wir
auch weiterhin unterstützen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Diese Landwirtschaft nimmt die große Herausforderung
an, unsere Welt mit gesunden Nahrungsmitteln zu ver-
sorgen .

Jetzt streiten wir sehr intensiv um die Gentechnik –
heute nicht zum ersten Mal . Wir alle wissen, dass ein
Großteil unserer Bevölkerung enorme Vorbehalte hat .
Diese Vorbehalte gründen allerdings weniger auf wis-
senschaftlichen Erkenntnissen, sondern mehr auf Emo-
tionen .


(Rita Stockhofe [CDU/CSU]: Genau!)


Wir haben ja heute gemerkt, welche Lobbyistenpartei
diese Emotionen am meisten schürt .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn die
Bevölkerung den Anbau gentechnisch veränderter Orga-
nismen ablehnt, ist für mich als Landwirt völlig selbst-
verständlich, nicht etwas zu produzieren, was der Ver-
braucher nicht will . Also nehme ich Abstand vom Anbau
von GVO .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da brauche ich keine Lobbyistenpartei und keine kom-
plizierte Gesetzgebung, sondern da reicht der ganz nor-
male Menschenverstand eines Landwirts .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wer sind eigentlich die Agrarchemielobbyisten hier in diesem Bundestag? Mann, Mann!)


Entscheidungen in der Politik sollten auf wissen-
schaftlichen Grundlagen und nicht auf Basis von Emoti-
onen gefällt werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade das ist die Herangehensweise des Bundesland-
wirtschaftsministeriums bei seiner Gesetzesvorlage . Mit
der Opt-out-Richtlinie sind wir auf einem guten Weg . Sie
reden immer von einem Flickenteppich in Deutschland .
Wenn Sie mit kleinen Flicken die acht Bundesländer mei-
nen, in denen Minister der Grünen zuständig sind, dann
können wir darüber diskutieren . Mir wäre es recht, wenn
wir diese Flicken bereinigen würden . Aber das wird si-
cherlich noch eine Zeit lang dauern .


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Guter Demokrat!)


Wir brauchen eine gewisse Rechtssicherheit bei der
infrage stehenden Verordnung . Wir sollten lieber die eine
oder andere Woche länger überlegen und das eine oder
andere Zulassungsverfahren mehr einführen, um Rechts-
sicherheit und Planungssicherheit für unsere Bäuerinnen
und Bauern zu erreichen .

Wir diskutieren über GVO-Anbau . Ich rede darü-
ber mit meinen Vermarktern . Meine Molkerei sagt mir:
Wenn du GVO-freie Milch lieferst, dann bekommst du
beim Milchpreis 1 Cent mehr . – 1 Cent und mehr nicht!
Die Entscheidung über GVO trifft man nicht nach Um-
fragen oder nach Internetbefragungen . Vielmehr trifft sie
der Verbraucher an der Supermarktkasse; das ist das Ent-
scheidende .


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, risikoorientiert, ethisch orientiert und nicht an der Ladenkasse!)


Die Verbraucherinnen und Verbraucher haben es in
der Hand, GVO-freie Lebensmittel zu kaufen; diese sind
ihren Preis wert .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja unverantwortlich! Das ist peinlich!)


Wir sollten das Ziel gemeinsam erreichen durch vernünf-
tige, sachorientierte Debatten und wissenschaftlich fun-
dierte Entscheidungen . Dazu lade ich Sie alle ein . Viel-
leicht hat die rot-rot-grüne Mehrheit noch einmal den
Mut, die entsprechende Diskussion zu führen .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819620200

Ich schließe die Aussprache .

Ich frage Sie, ob Sie damit einverstanden sind, die
Vorlagen auf Drucksachen 18/10028 und 18/6664 an die
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu über-
weisen . – Es herrscht allgemeine Zustimmung . Dann ma-
chen wir das so .

Wir kommen zum Zusatzpunkt 6, also zum Antrag
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
che 18/10029 . Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
beantragt die Abstimmung über ihren Antrag in der Sa-
che . Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen
Überweisung . Hierzu ist das Wort zur Geschäftsordnung
gewünscht . – Bitte schön .


Steffi Lemke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819620300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Na-

mens der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantrage ich
die Sofortabstimmung über unseren Antrag, der sich mit
der Zulassung dreier gentechnisch veränderter Maissor-
ten in Brüssel in den nächsten Wochen befasst .

Es ist angekündigt, dass aller Voraussicht nach am
11 . November die Vertreter der EU-Mitgliedstaaten in
Brüssel über die Zulassung von drei Genmaissorten ab-
stimmen werden . Wir wollen, dass der Deutsche Bundes-
tag vorher dazu Position bezieht; denn auch die Vertreter
des deutschen Landwirtschaftsministeriums werden vo-
raussichtlich am 11 . November in Brüssel im Ständigen
Ausschuss, der nichtöffentlich tagen wird, abstimmen
müssen . Wir sind der Meinung, dass der Deutsche Bun-

Artur Auernhammer






(A) (C)



(B) (D)


destag vorher der Regierung deutlich machen sollte, wel-
ches Votum wir dort erwarten .

Meine Fraktion beantragt, in Brüssel die Zulassung
dieser drei Maissorten abzulehnen . Ihre Argumentation,
dass es ausreicht, dies in der nächsten Sitzungswoche
zu tun und deshalb heute unseren Antrag zu überweisen,
können wir überhaupt nicht nachvollziehen; denn das
hieße, dass sich der Deutsche Bundestag erst einen Tag
vorher positionieren würde . Normalerweise argumentie-
ren Sie, zu einem solchen Zeitpunkt sei die Meinungsbil-
dung bereits abgeschlossen und man brauche vor allem
Zeit, um Bündnispartner für eine Entscheidung zu finden.

Wir glauben, dass dahinter letztendlich, wie Sie das
in dieser Debatte heute transparent gemacht haben, steht,
dass Sie der Bevölkerung in Deutschland gerne suggerie-
ren, dass Sie die Grüne Gentechnik ablehnen; aber wie
die Kollegen heute in der Debatte deutlich gemacht ha-
ben, sehen Sie doch Zukunft in der Grünen Gentechnik:
Wenn die Verbraucher für gentechnikfreie Produkte nicht
mehr Geld zahlen wollten, dann müssten halt diese Pro-
dukte zugelassen werden .


(Artur Auernhammer [CDU/CSU]: Das habe ich nicht gesagt!)


Damit soll letztendlich kaschiert werden, dass Sie für
die Zulassung dieser Produkte und dieser Sorten sind,
aber Sie wollen den Schwarzen Peter nach Brüssel schie-
ben . Dort soll die Zulassung erfolgen, und Sie können
dann weiter suggerieren, dass Sie sich für die Verbrau-
cherinteressen und für eine gentechnikfreie Landwirt-
schaft einsetzen wollen . Das verkündet vor allem Mi-
nisterpräsident Seehofer besonders gern und besonders
intensiv für Bayern .

Wir glauben, dass Oppositionsrechte verletzt werden,
wenn diese Abstimmung nicht transparent und öffentlich
durchgeführt werden kann, bevor in Brüssel entschieden
wird . Wir möchten nicht, dass der Antrag, der keine Zu-
lassung der gentechnisch veränderten Maislinien fordert
und den wir heute eingebracht haben, an den Landwirt-
schaftsausschuss überwiesen wird und dort für erledigt
erklärt werden muss, weil die Abstimmung in Brüssel
bereits gelaufen ist .

Deshalb appellieren wir vor allem an die Kollegen der
SPD, die sehr glaubwürdig eine transparente Entschei-
dung heute eingeklagt haben, die Sofortabstimmung über
unseren Antrag heute hier im Bundestag vor der Brüsse-
ler Entscheidung zu unterstützen und für die Sofortab-
stimmung zu plädieren .

Danke .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819620400

Wir stimmen nun nach ständiger Übung zuerst über

den Antrag – –


(Dagmar Ziegler [SPD]: Ich möchte erwidern!)


– Na gut . Das führt aber zum gleichen Ergebnis .


(Heiterkeit)



Dagmar Ziegler (SPD):
Rede ID: ID1819620500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Frau Lemke, die Positionen sind
in der Debatte sehr deutlich geworden, und es ist auch
deutlich geworden, dass wir in der Koalition sehr diffe-
renzierte Meinungen haben . Um es der Union einmal zu
sagen: Im Moment haben wir eine rot-rot-grüne Mehrheit
mit Herrn Schmidt in unseren Reihen .


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Konstellation ist also noch etwas komplizierter, als
Sie sie dargestellt haben . Es ist ganz klar geworden: Un-
sere Fraktion lehnt den Anbau dieser Produkte ab . Teile
der CDU/CSU lehnen ihn ab, die Linke und die Grünen
auch .

Frau Lemke, was überhaupt nicht zieht, ist das Argu-
ment, wir würden sonst immer alle Beratungen in den
Ausschüssen vermeiden und irgendetwas durchpeit-
schen . Jetzt sagen Sie, wir müssten heute entscheiden,
obwohl der Ausschuss noch vor dem 11 . November tagt .
Ich glaube, er tagt am 9 . November; da liegen also zwei
Tage dazwischen . Deshalb schiebe ich das Argument in
Ihre Richtung zurück . Es ist noch eine Debatte möglich .

Ich sage auch in Richtung Union: Denken Sie noch
einmal darüber nach . Ganz Deutschland möchte diesen
Anbau nicht . Warum will es dann ausgerechnet die Uni-
on? Das Argument mit dem 1 Cent war wirklich daneben .
Die Konsumenten und Verbraucher vorzuführen und zu
sagen, weil sie nicht bereit seien, 1 Cent mehr zu bezah-
len, sollten gentechnisch veränderte Produkte angebaut
werden, das zieht gar nicht .

Ich bitte ganz herzlich im Namen meiner Fraktion da-
rum, das noch einmal im Ausschuss zu debattieren und
ernsthaft durchzugehen . Namens der Koalition beantrage
ich deshalb die Überweisung in den Ausschuss für Er-
nährung und Landwirtschaft .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819620600

Über genau diesen Antrag auf Überweisung stimmen

wir nun ab .


(Bundesminister Christian Schmidt begibt sich zur Abg . Dagmar Ziegler [SPD])


– Herr Minister, das ist außerordentlich eindrucksvoll .


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an Bundesminister Christian Schmidt gewandt: Warum haben Sie nicht geredet?)


Herr Minister!


(Bundesminister Christian Schmidt begibt sich zur Abg . Dr . Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Steffi Lemke






(A) (C)



(B) (D)


– Herr Minister, würden Sie sich freundlicherweise in Ihr
Basislager zurückziehen?


(Heiterkeit und Beifall – Christian Schmidt, Bundesminister: Das dient der Sachaufklärung!)


– Ja . Das können Sie davor und danach machen, aber
nicht während einer Abstimmung .

Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschen
Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 18/10029
zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Er-
nährung und Landwirtschaft und zur Mitberatung an
den Ausschuss für Gesundheit, den Ausschuss für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit und den
Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Uni-
on . Wer stimmt diesem Überweisungsantrag zu? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Das Erstere war
zweifellos die Mehrheit . Damit ist die Überweisung so
beschlossen .

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset-
zes zur Entlastung insbesondere der mit-
telständischen Wirtschaft von Bürokratie

(Zweites Bürokratieentlastungsgesetz)


Drucksache 18/9949
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zu diesem Tagesordnungspunkt 38 Mi-
nuten vorgesehen . – Dazu gibt es keinen Widerspruch .
Also können wir so verfahren .

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst für die Bundesregierung der Parlamentarischen
Staatssekretärin Brigitte Zypries .

B
Brigitte Zypries (SPD):
Rede ID: ID1819620700


Vielen Dank, Herr Präsident . – Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Mit unserem Ersten Bürokratieentlastungsge-
setz haben wir eine der bisher ehrgeizigsten Initiativen
der Bundesregierung beim Bürokratieabbau auf den Weg
gebracht . Die Unternehmen werden durch dieses Gesetz
um rund 700 Millionen Euro im Jahr entlastet . Heute
knüpfen wir an diesen Erfolg an; denn der Bürokratie-
abbau ist und bleibt ein zentrales Anliegen der Bundes-
regierung .

Das Zweite Bürokratieentlastungsgesetz wurde im
August im Kabinett beschlossen . Jetzt liegt es Ihnen zur
Beratung vor . Addiert man die Entlastungen durch das
erste und das zweite Gesetz, kommt man zu dem Ergeb-
nis, dass wir die Wirtschaft in dieser Legislaturperiode
um gut 1 Milliarde Euro an Bürokratiekosten entlasten .
Die „One-in- und One-out“-Regelung funktioniert . Der
Normenkontrollrat hat es uns bestätigt . Das „out“ – das

heißt die Entlastung – fällt bereits jetzt höher aus als das
„in“ .

Mit diesem Zweiten Bürokratieentlastungsgesetz
wollen wir vor allen Dingen den kleinen Betrieben den
Alltag erleichtern . Lassen Sie mich ein paar Beispiele
nennen . In Bezug auf die Berechnung der Sozialversi-
cherungsbeiträge fordert die Wirtschaft seit vielen Jahren
Erleichterungen . Jetzt wird es möglich sein, dass die Un-
ternehmen, wenn der tatsächliche Wert der Beiträge für
den laufenden Monat nicht bekannt ist, künftig auf den
tatsächlichen Wert des Vormonats abstellen können . Es
entfällt also eine aufwendige Schätzung .

Wir ändern die Handwerksordnung und erlauben zu-
künftig die elektronische Kommunikation . Auch erleich-
tern wir die Abrechnung von Pflegedienstleistungen.
Elektronische Dokumente ersetzen die Belege in Papier-
form. Dadurch bleibt mehr Zeit für die Pflege. Durch
die sichere Übersendung der elektronischen Dokumente
werden allein 12,4 Millionen Euro gespart .

Wir entlasten die Wirtschaft auch im Bereich des
Steuerrechts, indem wir den umsatzsteuerlichen Schwel-
lenwert für Kleinstbetragsrechnungen anheben . Bei Lie-
ferscheinen entfällt die Aufbewahrungspflicht, wenn der
Inhalt des Lieferscheins auf der Rechnung dokumentiert
ist . Schließlich wird die Grenze für die vierteljährliche
Abgabe der Lohnsteueranmeldungen von 4 000 Euro auf
5 000 Euro angehoben . Das klingt technisch, aber tat-
sächlich entlasten allein diese letzten drei steuerlichen
Maßnahmen die Wirtschaft um gut 270 Millionen Euro
im Jahr – Geld, das für die Kernaufgaben zur Verfügung
steht .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Leider haben wir nicht alle Wünsche der Wirtschaft
erfüllen können . Ich habe aus zahlreichen Gesprächen
mit Unternehmern mitgenommen, dass es ihnen ein An-
liegen ist, dass die Abschreibung geringwertiger Wirt-
schaftsgüter besser geregelt wird .


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Kann man ja noch aufnehmen!)


– Ja, das wollte ich jetzt gerade vorschlagen . – Die Unter-
nehmer schlagen vor, dass man den Schwellenwert von
den jetzigen 410 Euro auf 1 000 Euro anhebt . Das scheint
mir ein vernünftiges Verfahren zu sein .

Es gilt wie immer das Struck’sche Gesetz: Kein Gesetz
kommt so heraus, wie es in den Bundestag hineingekom-
men ist . Insofern wünsche ich Ihnen gute Beratung und
rege an, dass Sie sich diesen Interessen der Wirtschaft
noch besonders widmen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819620800

Thomas Lutze hat das Wort für die Fraktion Die Lin-

ke .


(Beifall bei der LINKEN)


Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)



Thomas Lutze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819620900


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sie wollen, wie gerade dargestellt, die Büro-
kratie vereinfachen . Aber der große Wurf ist Ihnen da-
bei nicht gelungen . Sie bleiben deutlich hinter Ihren ei-
genen Zielen zurück . Ich verweise da nur einmal ganz
vorsichtig auf ein Papier der Bundesregierung aus dem
Jahr 2014 . Das nennt sich „Eckpunkte zur weiteren Ent-
lastung der mittelständischen Wirtschaft von Bürokra-
tie“ . Okay, kurz vor der Bundestagswahl war von dieser
Bundesregierung allerdings auch nicht zu erwarten, dass
wir hier eine große Gesetzesinitiative bekommen . Und
das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, schlecht für un-
ser Land .


(Beifall bei der LINKEN)


Einige der Entlastungen, zum Beispiel die Erhöhung
des Schwellenwertes für Kleinbetragsrechnungen von
150 auf 200 Euro, stellen höchstens einen Inflationsaus-
gleich dar . Sie werden in kürzester Zeit, also nach weni-
gen Jahren, wieder aufgefressen sein . Das Gleiche gilt
für die Erhöhung der Grenze für die quartalsweise Abga-
be der Lohnsteueranmeldung von 4 000 auf 5 000 Euro .
Bei der Abrechnung der Sozialversicherungsbeiträge
verringern Sie nicht die Belastungen für die Betriebe .
Ganz im Gegenteil: Sie muten ihnen nun ein neues Be-
rechnungsverfahren zu . Der Zentralverband des Deut-
schen Dachdeckerhandwerks jedenfalls sieht hierin keine
Entlastung für die Unternehmen, sondern im Gegenteil
eine Belastung .

Bei vielen Ihrer weiteren Vorschläge kann man sich
nur die Augen reiben . So ist es verwunderlich, dass
Sie erst jetzt darauf kommen, dass alle Informationen
zu Leistungen der Verwaltungen des Bundes künftig in
standardisierter Form erfasst und bereitgestellt werden
sollen . Das hätte eine Selbstverständlichkeit seit der Ein-
führung des E-Government-Gesetzes sein müssen . Und
wenn Sie schon das E-Government-Gesetz anfassen,
dann hätten wir uns auch gleich eine Festlegung auf pas-
sende Open-Source-Lösungen gewünscht . Auch das ist
nicht erfolgt . Das Gleiche gilt für die Neuaufnahme von
Informationen wie E-Mail-Adresse oder Internetadresse
in die Handwerksrollen . Das war überfällig und hat we-
nig bis überhaupt nichts damit zu tun, dass es heute um
Bürokratieabbau geht .

Ich könnte jetzt noch weitere Punkte ansprechen,
möchte aber auch eine etwas grundsätzlichere Kritik am
Gesetzentwurf an Sie richten . Sicherlich erreichen Sie
mit dem vorliegenden Entwurf kleinere Verbesserun-
gen . Allerdings sieht die Linksfraktion noch viel größere
Einsparpotenziale an ganz anderen Stellen, zum Beispiel
beim Arbeitslosengeld II . Mit den Nachweis-, Doku-
mentations- und Sanktionspflichten betreiben Sie auf der
einen Seite ein wahres Bürokratiemonster und gängeln
auf der anderen Seite die Leistungsempfänger . Wenn Sie
Bürokratie abbauen wollen, dann hier .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Aus diesem Einsparpotenzial könnten Sie die Erhö-
hung des Regelsatzes auf ein menschenwürdiges Niveau
zumindest mitfinanzieren. Oder beim Elterngeld, beim
Kindergeld, beim BAföG: Überall würden sich die Men-
schen über weniger Papierkrieg freuen .


(Beifall bei der LINKEN)


Oder gehen Sie einmal eine große Steuerreform an, die
mehr Steuergerechtigkeit herstellt, aber auch die jährli-
che Papierschlacht bei der Einkommensteuererklärung
für die einfachen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
spürbar eindämmt .


(Margaret Horb [CDU/CSU]: Haben wir schon gemacht!)


Wo liegt bei diesen Beispielen der Unterschied zu den
Entlastungen, die Sie vorschlagen? Die Einsparungen,
die Sie im vorliegenden Entwurf mit dreistelligen Mil-
lionenbeträgen beziffern, gehen nicht zwingend in neue
Investitionen . Nein, sie führen im Zweifelsfall erst ein-
mal zu höheren Gewinnen bei den Unternehmen . Aber
jeden Euro, den ein Arbeitnehmer mit niedrigem Ein-
kommen oder ein Empfänger von Sozialleistungen mehr
zur Verfügung hat, wird er unmittelbar in den Konsum
investieren, und das hat einen positiven Effekt auf die
Binnennachfrage . Das gilt es zu unterstützen .


(Beifall bei der LINKEN)


Letztes Stichwort: Existenzgründer . Ich möchte be-
zweifeln, dass das größte Hindernis für junge Existenz-
gründer die Angst vor der ausufernden Bürokratie ist . Es
ist vielmehr die Angst vor dem Existenzverlust bei einem
möglichen Scheitern der Existenzgründung . Hier leistet
ein starker Sozialstaat aus Sicht der Linken einen ebenso
wichtigen Beitrag für ein gutes Klima für Existenzgrün-
der wie eine effektive und straffe Bürokratie .


(Beifall bei der LINKEN)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir freuen
uns auf die Beratungen in den Ausschüssen . Aber wir
freuen uns viel mehr darauf, dass wir mit hoher Wahr-
scheinlichkeit in der nächsten Wahlperiode über ein Bü-
rokratieentlastungsgesetz III diskutieren, in dem dann
auch die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer sowie der Empfänger von Sozialhilfeleistungen
stärker berücksichtigt werden .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819621000

Helmut Nowak ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Helmut Nowak (CDU):
Rede ID: ID1819621100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ehemalige
Mitglied des Hohen Hauses Ralf Dahrendorf bemerkte
einmal zum Thema Bürokratie – ich zitiere –:






(A) (C)



(B) (D)


Wir brauchen Bürokratie, um unsere Problem zu lö-
sen . Aber wenn wir sie erst haben, hindert sie uns,
das zu tun, wofür wir sie brauchen .

Ich denke, er hat völlig recht damit .

Dies vorausgeschickt diskutieren wir heute bereits das
Zweite Bürokratieentlastungsgesetz . Ich denke, das ist
gut so . Ich halte den vorliegenden Gesetzentwurf grund-
sätzlich für einen Schritt in die richtige Richtung . Er
enthält viele gute Ansätze, insbesondere in der Schwer-
punktsetzung bei der mittelständischen Wirtschaft .

Ich will einige Dinge herausgreifen und komme zu-
nächst zur Erleichterung bei den Aufbewahrungsfristen .
Zukünftig müssen Unternehmen Lieferscheine, die keine
Buchungsbelege sind, nicht mehr zwingend aufbewah-
ren . Ich hätte mir bei diesem Punkt aber auch noch ge-
wünscht, die Aufbewahrungsfristen generell zu durch-
leuchten und vielleicht etwas zusammenzufassen . Weil
wir für unterschiedliche Dokumente so unterschiedliche
Aufbewahrungsfristen haben, führt dies dazu, dass viele
Betriebe alles aufheben, um keinen Fehler zu machen,
sodass unsere gut gemeinte Verkürzung damit mögli-
cherweise ins Leere laufen könnte .

Die Anhebung der Grenze für die Fälligkeit von Lohn-
steuer von 4 000 auf 5 000 Euro wird insbesondere klei-
nere Unternehmen spürbar von Meldepflichten befreien.
Ich würde mir allerdings auch da wünschen, dass wir
500 Euro mehr draufsatteln, weil schon bei zwei Voll-
beschäftigten, die nur den Mindestlohn bekommen und
52 Wochen jeweils 40 Stunden arbeiten, diese Grenze
überschritten wird . Bei 5 500 Euro wäre das nicht der
Fall .

Was die Anhebung der Grenze für Kleinbetragsrech-
nungen von 150 Euro auf 200 Euro angeht, sollten wir
einmal der EU folgen, die uns die Möglichkeit gibt, bis
400 Euro aufzustocken . Das würde die Sache erleichtern,
und wir würden wahrscheinlich in der nächsten Zeit ein-
mal weniger über dieses Thema sprechen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Übrigens hat man das in Österreich schon im März 2014
eingeführt .

Zu begrüßen ist auch die Vereinheitlichung der Fällig-
keit von Sozialversicherungsbeiträgen, was die Staatsse-
kretärin schon angedeutet hat, bei der eine bisherige Aus-
nahmeregelung nunmehr als vereinfachtes Verfahren zur
dauerhaften Regelung wird . Hier hätte ich mir persönlich
gewünscht, die Rückkehr zur alten Regelung von vor
2006 zu beschließen . Aber das ist wohl eine Illusion . Die
Änderung wurde damals deshalb herbeigeführt, weil die
Haushaltssituation der sozialen Sicherungssysteme recht
schlecht war und wir damit Liquidität gerettet haben . Das
war auch richtig so .

Aber leider bewahrheitet sich hier ein bisschen das
nicht ganz unbegründete Vorurteil, dass der Staat behält,
was er einmal hat . Ich muss dabei immer unwillkürlich
an die Sektsteuer denken, die zur Finanzierung der kai-
serlichen Flotte eingeführt wurde . Die haben wir immer
noch, allerdings nicht die Flotte .

In Zeiten wie den unseren, in denen radikale Kräfte
von links und rechts mit Vereinfachungen und Polemik
unserem etablierten Parteien- und Politiksystem zuset-
zen, müssen wir noch stärker Wert auf Verlässlichkeit
und Glaubwürdigkeit legen . So müssen etwa einmal als
sinnvoll erachtete und daher zugestandene Freibeträge
und Schwellenwerte einer regelmäßigen Anpassung un-
terzogen werden, um ihren ursprünglichen Sinn nicht zu
verlieren . Hierzu gehört die Anhebung der Schwellen-
werte für die Sofortabschreibung geringwertiger Wirt-
schaftsgüter .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die GWG-Grenze ist seit 1964 nicht mehr angehoben
worden und liegt unverändert bei umgerechnet 410 Euro,
was heute inflationsbereinigt circa 1 570 Euro entspricht.
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: seit
1964 . Die letzte Anpassung ist somit 52 Jahre her . Abge-
sehen von der Tatsache, dass man damals wahrschein-
lich noch größere Teile eines Büros für 800 D-Mark ein-
richten konnte, so reichen heute 410 Euro nicht einmal
dafür, ein ordentliches Smartphone zu kaufen, das man
fünf Jahre abschreiben muss und das nach drei Jahren
technisch veraltet ist, wenn es nicht vorher in Flammen
aufgegangen ist . Die Anhebung der Schwellenwerte auf
1 000 Euro, die nicht einmal einen völligen Inflations-
ausgleich darstellt, ist daher kein Geschenk, sondern nur
die Wiederherstellung eines bereits in der Vergangenheit
dagewesenen Zustandes .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich werbe noch
einmal dringend dafür . Ich freue mich natürlich über die
Unterstützung durch die Staatssekretärin und den Ko-
alitionspartner . An dieser Stelle will ich Frau Wicklein
danken, die hervorragend und immer offen mit uns zu-
sammengearbeitet hat, um diese Dinge auf den Weg zu
bringen . Ich freue mich, dass wir alle miteinander offen-
sichtlich in die Zielgerade einlaufen .

Positiv daran, den Schwellenwert auf 1 000 Euro an-
zuheben, ist auch, dass wir bei dieser Gelegenheit die
Poolabschreibung eliminieren, die dann ja auch über-
haupt keinen Sinn mehr macht . Dies würde eine erhebli-
che Vereinfachung für alle Unternehmen in Deutschland
bedeuten . Insbesondere für die kleinen Betriebe wäre
dieser Schritt ein effektiver und vor allem deutlich sicht-
barer Beitrag zum Bürokratieabbau . Vieles von dem, was
wir machen, ist für diejenigen sichtbar, die sich im Steu-
errecht und bei all diesen Dingen auskennen, aber für die
normalen Unternehmer im Regelfall eher nicht . Insofern
bitte ich noch mal alle Kolleginnen und Kollegen, der
längst überfälligen Anhebung des Schwellenwerts zuzu-
stimmen und ins parlamentarische Verfahren jetzt einzu-
binden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg . Matthias Ilgen [SPD])


Helmut Nowak






(A) (C)



(B) (D)


Wir wissen auch, dass es dadurch nicht zu einer Steu-
erverkürzung kommt, sondern lediglich zu einer Liquidi-
tätsverschiebung . Zudem wird ein Investitionsschub – so
sagt es zumindest die Wirtschaft – von circa 400 Milli-
onen Euro erwartet . Addiert man die Beträge, die durch
den Gesetzentwurf zustande kommen – Reduzierung der
Bürokratiekosten für die Wirtschaft um 360 Millionen
Euro plus ein Investitionsschub im Umfang von 400 Mil-
lionen Euro –, dann kommt man auf 760 Millionen Euro,
die zusätzlich in die Wirtschaft fließen. Nun weiß ich
auch: In der Wirtschaft kann man nicht mit dem Dreisatz
rechnen . Aber immerhin wird der Betrag in der Tendenz
so hoch sein . Deshalb ist das nur zu unterstützen .

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir müssen zu-
sehen, dass wir auch in der Zukunft noch die Erfolge der
deutschen Wirtschaft feiern können . Nur eine erfolgrei-
che Wirtschaft sichert unseren sozialen Wohlstand . Wir
sollten daher als Politik dringend handeln und schauen,
wie wir denjenigen, die in Deutschland im besten Sinne
des Wortes etwas unternehmen, die Steine aus dem Weg
räumen . Die Rahmenbedingungen, die die Politik setzen
will und muss, dürfen nicht zu mehr Bürokratie führen,
sondern maximal zu so viel Bürokratie, wie unbedingt
erforderlich ist .

Lassen Sie mich noch ganz kurz zu einem weiteren
Thema sprechen . Das deutsche Gesetz zur Umsetzung
der EU-Wohnimmobilienkreditrichtlinie ist für mich ein
Beispiel für Überregulierung . Es diskriminiert unzuläs-
sig ganze Verbrauchergruppen, zum Beispiel ältere Bür-
gerinnen und Bürger, die ihre Wohnung oder ihr Haus
altersgerecht umbauen möchten, aber keinen Kredit mehr
dafür bekommen, weil sie zu alt sind, um die Tilgung
sicherzustellen, und weil zum Beispiel ihre Immobilie
keine dem Wert entsprechende Berücksichtigung fin-
det . Das ist eine unmögliche und diskriminierende Ver-
fahrensweise . Es ist zudem ein bürokratisches Monster .
Die Volksbanken, die Sparkassen und die Banken ganz
allgemein sehen sehr deutlich, dass die Kreditvergabe
immer schwieriger wird . Gerade sie sind es ja, die ihre
Kunden persönlich kennen und ihre Lage einzuschätzen
wissen . Das Gesetz zur Umsetzung der Verordnung muss
unbedingt entbürokratisiert werden . Mitte der 90er-Jahre
war ein Darlehensvertrag vier bis fünf Seiten stark, heu-
te kann man diese Zahl mühelos mit fünf multiplizieren .
Außerdem ist der Wert der vorhandenen Substanz bei ei-
nem Kreditantrag unbedingt zu berücksichtigen .

Im Übrigen ist mittlerweile nicht nur die Privatwirt-
schaft durch die überbordende Bürokratie völlig überlas-
tet; auch die staatliche Verwaltung selbst gerät aufgrund
immer komplizierterer Verfahrensabläufe zunehmend ins
Schlingern . Beispiel dafür ist die Tatsache, dass Mittel
aus staatlichen Fördertöpfen wie die Investitionshilfen
des Bundes auch aufgrund zu komplexer und komplizier-
ter Verfahren von den unteren Ebenen, also den Städten
und Gemeinden, teilweise gar nicht mehr abgerufen wer-
den können .

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, es gilt, dem end-
lich Einhalt zu gebieten . Wir müssen in der Zukunft noch
besser darauf achten, dass Gesetze für Bürger, Wirtschaft
und Verwaltung verständlicher sind und dass auf unnöti-
ge Bürokratie verzichtet wird . Mir fällt bei dieser Gele-

genheit der Bierdeckel ein, wobei Herr Merz nie gesagt
hat, wie groß er sein soll .

Um noch einmal auf Ralf Dahrendorf zurückzukom-
men: Wir brauchen die Bürokratie, um unsere Probleme
zu lösen – aber eben nicht mehr davon . Daher lassen Sie
uns das Zweite Bürokratieentlastungsgesetz mit seinen
guten Ansätzen im parlamentarischen Verfahren zu ei-
nem noch besseren Gesetz machen .

Ich danke Ihnen sehr herzlich .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819621200

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-

lege Thomas Gambke das Wort .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Meine Damen und Herren auf den Besucherrän-
gen und draußen vor den Bildschirmen! Bürokratieent-
lastung, das klingt erst einmal gut, aber wenn man ins
Detail geht, dann interessiert es keinen mehr, obwohl es
viele von uns quält . Ich werde gleich noch ein paar kriti-
sche Worte sagen, aber lassen Sie mich zunächst darauf
hinweisen, dass es absolut stimmt: Bürokratieentlastung
ist oft nicht der ganz große Wurf; vielmehr sind viele
kleine Schritte nötig, um Bürokratie wirklich abzubauen .

Ich bin dem Normenkontrollrat sehr dankbar – er
hat gerade sein zehnjähriges Bestehen gefeiert –, der in
vielen Punkten immer wieder Antrieb ist . Er muss auch
Antrieb sein; denn Verwaltungen reagieren nicht ohne
Weiteres darauf, wenn man sagt: Die Bürokratie muss
abgebaut werden .

Gestern im Finanzausschuss wurden wir darüber in-
formiert, dass es sein kann, dass durch das elektronische
Sicherungsverfahren, mit dem man Daten übertragen und
damit Steuerbetrug verhindern kann, ein Tag Betriebs-
p
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1819621300
Das interessiert mich nicht .


(Margaret Horb [CDU/CSU]: Das hat er gar nicht gesagt!)


– Ja, das hat er gesagt .


(Margaret Horb [CDU/CSU]: Nein! Nein!)


Das hat mich wirklich schockiert; denn es geht bei all
dem, was wir machen, ob das der Vorgang der Steuer-
erhebung ist oder andere Verwaltungsvorgänge, immer
auch um die Frage des Aufwandes,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und den müssen wir zurückführen .

Ich freue mich, dass das Thema GWG, geringwertige
Wirtschaftsgüter, heute vom Kollegen Nowak aufgegrif-
fen wurde . Auch hier erinnere ich mich an viel Wider-

Helmut Nowak






(A) (C)



(B) (D)


stand, gerade vonseiten der Union . Der Steuerberater hat
normalerweise kein Problem mit der Poolabschreibung .


(Margaret Horb [CDU/CSU]: Er macht es gar nicht! Er macht gar keine Poolabschreibung!)


– Nein, er macht keine Poolabschreibung, führt aber den
dafür notwendigen Verwaltungsvorgang aus .


(Margaret Horb [CDU/CSU]: Aber nicht die Poolabschreibung!)


– Es ist doch so, Frau Horb, dass das sehr kleine Betriebe
betrifft .

Ich war vorgestern im Mittelstandsausschuss des
Wirtschaftsministers, übrigens als einziger geladener
Gast und Politiker .


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Ja, wenn Sie nur beratendes Mitglied sind!)


Ich habe dort unisono von allen Versammelten gehört,
wie wichtig es wäre, die Abschreibungen für geringwer-
tige Wirtschaftsgüter in der Summe endlich hochzuset-
zen . Wir fordern das seit Jahren .


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Sehr guter Vorschlag!)


Ich freue mich darüber, dass wir dieses dicke Brett ge-
bohrt haben und dass wir jetzt auf der Zielgeraden sind .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU])


Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang das The-
ma Abführung der Sozialversicherungsbeiträge anspre-
chen . Da kommt dann immer die Bemerkung: Das kostet
30 Milliarden Euro . – Es kostet eben nicht 30 Milliarden
Euro, es ist eine Verschiebung von 30 Milliarden Euro
in das nächste Haushaltsjahr, aber die Beträge werden
genauso abgeführt . Das ist also nur, wie man technisch
sagt, ein Liquiditätseffekt, den wir uns übrigens gerade
jetzt in Zeiten niedriger Zinsen gut leisten könnten . Aber
hier sind wir nicht weitergekommen .

Der Normenkontrollrat hat zur Abführung der Sozi-
alversicherungsbeiträge einen Vorschlag unterbreitet, bei
dem er mit einer erheblichen Bürokratieentlastung rech-
net . Das kann aber nur ein erster Schritt sein . Aus der
Wirtschaft höre ich unisono – ich sage das an die gerich-
tet, die am Dienstag nicht da waren; vielleicht können
Sie die Protokolle lesen –, dass gerade die kleinen und
mittleren Unternehmen mit schwankenden Geschäftser-
gebnissen einen erheblichen zusätzlichen Aufwand ha-
ben, wenn sie erst einmal aufgrund einer Prognose, auch
wenn sie auf dem letzten Geschäftsjahr basiert, zahlen,
dann aber wieder eine Korrektur vornehmen müssen .
Nur einmal zu zahlen, nur einmal das Papier in die Hand
nehmen zu müssen, das würde eine erhebliche Entlastung
bedeuten . Ich hoffe, dass wir uns dieses Thema bald noch
einmal vornehmen und eine entsprechende Entscheidung
herbeiführen können . Das wäre für die Wirtschaft wirk-
lich gut . Wie gesagt: Den Staat kostet es nichts, die So-
zialversicherungen kostet es nichts, aber es würde eine

Bürokratievereinfachung bedeuten . Ich hoffe, dass wir
das hinbekommen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Helmut Nowak [CDU/CSU] – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Auch das ist richtig!)


Lassen Sie mich zum Abschluss noch auf Folgendes
hinweisen – das ist die Kritik, die ich habe –: Der Nor-
menkontrollrat und viele andere haben darauf hingewie-
sen, dass wir durch die Digitalisierung die Möglichkeit
haben, bis zu einem Drittel an Bürokratie abzubauen . Ich
sehe, dass wir da weder strukturell noch vom Manage-
ment her richtig vorgehen .


(Margaret Horb [CDU/CSU]: Haben wir doch!)


Die zuständigen Regierungsmitglieder müssen sich end-
lich zusammensetzen und das Ganze organisieren, damit
das behoben werden kann und ich nicht mehr von Un-
ternehmern hören muss: Ich gehe mit meinem Betrieb
lieber nach Lettland, weil ich dort Verwaltungsvorgänge
elektronisch und schnell abwickeln kann; abgesehen da-
von, dass man dort auch eine gute Breitbandversorgung
hat . – Das ist eine sehr niederschmetternde Äußerung .
Da müssen wir mehr tun . Der Normenkontrollrat hat das
Problem im Rahmen der Veranstaltung zu seinem zehn-
jährigen Bestehen sehr deutlich benannt . Sie kennen viel-
leicht die Unterlagen dazu; wenn nicht, sollten Sie sie
lesen . Ich glaube, dass wir da noch ein weites Feld vor
uns haben . Gerade die Chancen, die uns die Digitalisie-
rung zum Bürokratieabbau bietet, müssen wir wahrneh-
men . Ich hoffe, dass die Regierung das endlich angeht .
Ich sage es aber noch einmal: Sie muss das auch vom
Management her und strukturell richtig begleiten . Sonst
wird das irgendwo in den Ressorts versacken und nicht
funktionieren .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819621400

Matthias Ilgen ist der nächste Redner für die

SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Matthias Ilgen (SPD):
Rede ID: ID1819621500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf der

Zielgeraden der Großen Koalition – das Gesetz soll ja cir-
ca zu Ostern 2017 in Kraft treten – hinterlassen wir, wie
ich finde, ein schönes Ostergeschenk für die Betriebe in
Deutschland; denn gerade die kleinen Unternehmen mit
ein bis drei Mitarbeitern sind überproportional mit Bü-
rokratie belastet . Deswegen ist es wichtig, dieses Zweite
Bürokratieentlastungsgesetz auf den Weg zu bringen .

Der geschätzte Gegenwert dieser Entlastung wird
circa 360 Millionen Euro im Jahr betragen oder, umge-
rechnet in Arbeitsstunden, 10 Millionen Arbeitsstunden
in den Betrieben . Das mag hier im Hohen Hause nicht

Dr. Thomas Gambke






(A) (C)



(B) (D)


immer so sein, aber in der Wirtschaft ist Zeit nach wie
vor Geld . Diese Zeit kann besser genutzt werden als für
die Bürokratie, nämlich für die Geschäftsabwicklung, für
das Zurverfügungstellen von Ausbildern und alles Mög-
liche . Deswegen ist dieses Gesetz ein Schritt in die rich-
tige Richtung .

Zusätzlich zu der Entlastung um 700 Millionen Euro
durch das erste Bürokratieentlastungsgesetz – wir haben
es vom Kollegen Nowak gehört – sind wir damit schon
bei mehr als 1 Milliarde Euro in einer Legislatur . Das hat,
glaube ich, keine Bundesregierung in der Vergangenheit
in vier Jahren auf den Weg gebracht. Ich finde, die Koali-
tion kann auch einmal ihren Stolz darüber zum Ausdruck
bringen, dass wir das machen .

Wir modernisieren die Handwerksordnung; die Frau
Staatssekretärin hat das angesprochen .

Bei den Sozialversicherungsbeiträgen machen wir
einen Schritt in die richtige Richtung, wie ich finde.
Auch wir in der SPD-Fraktion wünschen uns, glaube
ich, mehrheitlich, dass wir zu der Rechtslage von 2006
zurückkehren; denn der damalige, auch von einer Gro-
ßen Koalition beschlossene Griff in die Sozialkassen war
zwar begründbar – er entstand aus einer Finanznot he-
raus –, wurde aber mit einer Zusage verbunden: Wenn es
im System mal wieder besser läuft, wollen wir den Un-
ternehmen das Geld zurückgeben . – Da wir wissen, was
das an Entlastung in den Personalabteilungen bringen
würde, sage ich in Richtung CDU: Lassen Sie uns noch
einmal überlegen, ob man nicht eine Möglichkeit findet,
die im Haushalt darstellbar ist . Wir jedenfalls würden es
begrüßen, wenn wir darüber noch einmal reden .


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Ich bin ja völlig begeistert!)


Die Anpassung im Steuerrecht haben wir besprochen:
150 Euro auf 200 Euro .

Hinsichtlich der Grenze für die Lohnsteueranmel-
dung – Anpassung von 4 000 auf 5 000 Euro – können
wir uns vorstellen, dass man noch einmal genau schaut,
wie viele davon eigentlich betroffen sind und wie viele
davon betroffen wären, wenn man 500 Euro mehr näh-
me . Vielleicht können wir mit einem kleinen Schritt bei
dem Wert eine große Entlastung bewirken .

Ich finde es auch richtig, dass man die Lieferscheine
nicht mehr aufbewahren muss, wenn man den Wertge-
genstand sowieso auf der Rechnung stehen hat, weil das
ja auch für die Steuer der entscheidende Beleg ist . Von
daher ist das eine sinnvolle Maßnahme .

Bezüglich der Grenze für die geringwertigen Wirt-
schaftsgüter schaue ich den Staatssekretär Meister an; er
sitzt ja heute hier . Ich sage es einmal so: Wenn wir uns in
der Koalition einig sind – die Zeichen deuten darauf hin;
denn die AG Finanzen der SPD-Bundestagsfraktion hat
uns signalisiert: „Das kann man machen“, und ähnliche
Signale höre ich auch aus der CDU –, dann schaffen wir
das, dann machen wir das .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Jan Metzler [CDU/CSU])


Dann kann die Regierung andere Vorschläge machen;
aber wir sind das Parlament und nehmen uns auch das
Recht heraus, das entsprechend zu machen . Stichwort:
Struck’sches Gesetz .


(Marcus Held [SPD]: Wir sind das Volk!)


– „Wir sind das Volk!“, das war schon immer ein wichti-
ger Aspekt . Wir repräsentieren es an dieser Stelle .

Sicherlich gibt es noch viele andere Punkte, bei denen
man in Sachen Bürokratieabbau in der nächsten Legis-
laturperiode weiter vorankommen kann . Ich will noch
einmal Werbung in eigener Sache machen: Ich habe mit
dem gerade aus dem Bundestag ausgeschiedenen Kolle-
gen Peer Steinbrück zu Beginn dieser Wahlperiode ein
umfangreiches Papier auf den Weg gebracht . Das ist
auch Diskussionsgegenstand bei uns in der Fraktion ge-
wesen . Es wird sicherlich auf dem Weg zum SPD-Wahl-
programm diskutiert werden . Es sind 29 Vorschläge zum
Abbau von Steuerbürokratie . Man muss ja nicht jeden
nehmen, aber ich denke, es gibt darin genug Futter zur
Diskussion für eine kommende Wahlperiode .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819621600

Die Kollegin Horb hat nun für die CDU/CSU-Frakti-

on das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Margaret Horb (CDU):
Rede ID: ID1819621700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Stellen Sie
sich vor, Sie bauen sich daheim eine Garage . Das machen
ja viele Leute, und die meisten stellen auch das Auto hi-
nein . Das funktioniert in der Regel am Anfang ganz gut .
Nur irgendwann steht dort nicht mehr allein das Auto,
sondern auch noch die Werkbank, die Winterreifen, Fahr-
räder, Kinderwagen, der kaputte Rasenmäher und Omas
alte Schrankwand .


(Marcus Held [SPD]: Und das Auto steht auf der Straße!)


In der Garage stehen dann nützliche Dinge, aber auch
Gegenstände, die man nicht mehr braucht, oder solche,
die man vielleicht noch brauchen könnte . Und wenn man
Pech hat, stellt man irgendwann fest: Das Auto passt
nicht mehr hinein .

Mit Gesetzen ist es so ähnlich . Wenn ein Gesetz
verabschiedet wird, ist es am Anfang vergleichsweise
schlank und einfach . Mit der Zeit kommen dann immer
mehr Sonderregelungen und Ausnahmen dazu . Die Gara-
ge wird sozusagen immer voller .

Ein gutes Beispiel dafür ist unser Steuerrecht . Dessen
wichtigste Gesetze, das Einkommensteuergesetz und die
Abgabenordnung, sind schon sehr alt, und wir passen sie
im Grunde immer wieder an, ja, wir müssen sie anpassen .
Bundesverfassungsgerichts- und BFH-Urteile müssen
umgesetzt, EU-Richtlinien müssen in nationales Recht

Matthias Ilgen






(A) (C)



(B) (D)


gegossen werden . Manchmal sollen mit Steueranrei-
zen bestimmte Lenkungsziele erreicht werden . Manch-
mal geht es darum, Steuerschlupflöcher zu stopfen, und
manchmal führen wir Berichts- und Aufbewahrungs-
pflichten ein, um gegen Finanz- und Steuerkriminalität
vorzugehen .

Das Ergebnis ist ein immer detaillierteres, komplizier-
teres Rechtssystem, das immer höhere Anforderungen an
die Steuerpflichtigen stellt. Genauso, wie man ab und zu
mal die Garage aufräumt, sollten wir das auch mit un-
seren Gesetzen tun und sie von bürokratischem Gerüm-
pel befreien . Genau das tun wir auch, und genau deshalb
haben wir im Koalitionsvertrag deutlich festgeschrieben:
„Steuervereinfachung ist eine Daueraufgabe“, und die-
sem Auftrag kommen wir nach .

In dieser Legislaturperiode haben wir hierzu bereits
das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfah-
rens mit vielen Erleichterungen für die Unternehmen, die
Bürger und die steuerberatenden Berufe beschlossen . In
diesem Gesetz haben wir auch den Grundstein für die Er-
höhung der Summe bei der Kleinbetragsrechnung gelegt .
Bei Rechnungen bis zu 150 Euro müssen bisher ange-
geben werden: Name des Rechnungsausstellers, Datum,
Art und Menge der gelieferten Ware, der Preis und der
Steuersatz . Dieser Betrag soll laut zuständigem Wirt-
schaftsministerium von 150 Euro auf 200 Euro angeho-
ben werden . Wir als CDU/CSU-Fraktion plädieren wei-
terhin dafür, den Betrag auf 400 Euro anzuheben . Diese
Erhöhung scheiterte bisher leider am politischen Willen
unserer lieben SPD-Kollegen .


(Marcus Held [SPD]: Oh! – Matthias Ilgen [SPD]: Was?)


Ihr Argument „politischer Wille“ wird im Bürokratieent-
lastungsgesetz II jetzt hoffentlich ad acta gelegt, damit
die Leistungsträger und Unternehmen unseres Landes
stärker entlastet werden .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dass bei einer Erhöhung auf 400 Euro die Welt nicht
zusammenbricht, beweist ein Blick in die Steuergesetz-
gebung unseres Nachbarlandes Österreich . Österreich
hat nämlich erfolgreich den Betrag für die Kleinbetrags-
rechnung auf 400 Euro angehoben, und diese Maßnahme
würde auch der Steuerharmonisierung in Europa dienen;
denn sie ist durch die EU-Mehrwertsteuerrichtlinie ge-
setzlich gedeckt .

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf wollen wir ins-
besondere die kleinen Handwerksbetriebe und Unter-
nehmen von unnötigem Papierkram befreien . Durch die
Gesetzesvorlage werden nach derzeitigem Stand Büro-
kratiekosten in Höhe von mehr als 360 Millionen Euro
eingespart – Geld, das den Unternehmen für Innovati-
onen, notwendige Investitionen sowie für die Aus- und
Fortbildung ihrer Mitarbeiter zur Verfügung steht .

Wenn wir die Bürokratiegarage unseres Landes rich-
tig aufräumen wollen, dann müssen wir gewissenhaft
und sauber sortieren . Wir sollten gemeinsam prüfen und
sagen, was zum Sperrmüll kommt und was nicht . Was
wir brauchen, wird genutzt, und was wir nicht nutzen:
Weg damit! Bei unseren Aufräumaktionen werden wir

uns, bildlich gesprochen, nicht nur auf die Garage be-
schränken . Das bedeutet, dass alle Ministerien in der
Pflicht sind, ihre Häuser zu durchforsten und vielleicht
mehrmals zu durchforsten . Ich möchte damit nicht auf
die nächste Legislaturperiode warten, sondern das kön-
nen wir jetzt machen .


(Marcus Held [SPD]: Jawohl!)


Ein weiterer Punkt, der mir als CDU/CSU-Steuerpoli-
tikerin besonders wichtig ist, ist der Vollverzinsungssatz,
also der Zinssatz, den das Finanzamt nach einer Karenz-
zeit von 15 Monaten nach Ablauf des Veranlagungsjahres
für Steuererstattungen und Steuernachforderungen bis
zur Steuerfestsetzung erhebt, vor allem nach Änderungen
und nach Betriebsprüfungen . Dieser Zinssatz beträgt bis-
her 0,5 Prozent pro Monat . Das entspricht einer Zinshöhe
von 6 Prozent im Jahr . Das ist in Zeiten einer Nullzinspo-
litik unangemessen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Verständlicherweise wird gar die Verfassungsmäßigkeit
bei Aufrechterhaltung dieser Zinshöhe infrage gestellt .
Wir sollten deshalb diesen Zinssatz halbieren und nach
fünf Jahren überprüfen, ob er noch zeitgemäß ist .


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Sehr guter Vorschlag!)


Diese Forderung ins Gesetz aufzunehmen, würde zeigen,
dass wir als Gesetzgeber zeitgemäß und verantwortungs-
bewusst handeln .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Beim Entrümpeln werden wir schneller vorankom-
men, wenn mehr Hände zupacken, wenn alle, Bund und
Länder, zusammenarbeiten . Deswegen möchte ich Sie
alle auffordern, nicht mit den Händen in den Hosenta-
schen danebenzustehen, wenn wir Wirtschafts-, Steuer-
und Finanzpolitiker aufräumen . Helfen Sie alle mit . Pa-
cken Sie mit an. Jeder profitiert davon, wenn alles sauber
und aufgeräumt ist und alle, Wirtschaft, Verwaltung und
Bürger, effizient arbeiten.

Unser Einsatz in der Regierungskoalition zum Büro-
kratieabbau zeigt Wirkung, gerade im Steuerrecht . Das
liegt daran, dass wir darauf achten, dass bei der Erarbei-
tung neuer Gesetze bürokratische Zusatzbelastungen von
Anfang an vermieden werden und dass wir die Digitali-
sierung insgesamt vorantreiben .

Herr Gambke, zu Ihrem Einwurf vorhin: Auch wir
haben gestern sehr wohl gehört, was in den Bund-Län-
der-Finanzbeziehungen gemacht wird . Wir haben jetzt
im Bund mehr Kompetenz . Das müssen wir ausnutzen .
Da hoffe ich und fordere auch Sie als Grüne auf, dass Sie
uns hierbei in den Ländern unterstützen . Denn die Länder
sind jetzt gefordert, hier voranzutreiben . Wenn wir den
Bereich der Digitalisierung gemeinsam angehen, werden
wir es schaffen, die Verwaltungsvorgänge in Deutschland
unbürokratischer, schneller, geordneter und vor allem
serviceorientierter zu machen .

Mit diesem Maßnahmenpaket werden wir mehr als
1 Milliarde Euro einsparen . Das ist eine Menge Papier .
Aber es spart vor allem Zeit und Nerven . Wir sind da auf

Margaret Horb






(A) (C)



(B) (D)


dem richtigen Weg . Aber wenn wir in der Garage, auf
dem Dachboden und im Keller sind, müssen wir aufpas-
sen, dass nicht gleichzeitig ein Lkw vorfährt und neue
Gesetzeskisten, Verordnungen und Anweisungen vor un-
serer Haustür ablädt .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Matthias Ilgen [SPD])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819621800

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Marcus Held für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Marcus Held (SPD):
Rede ID: ID1819621900

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Liebe Kollegin, liebe Vorrednerin, ich habe eben ge-
lernt, dass die CDU/CSU-Fraktion anscheinend ziemlich
viel Gerümpel in der Garage hat .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn Sie Hilfe beim Aufräumen brauchen, sind wir ger-
ne zur Stelle,


(Heiterkeit und Beifall des Abg . Matthias Ilgen [SPD])


unter anderem natürlich heute hier mit diesem Bürokra-
tieentlastungsgesetz, das in der Reihe zahlreicher Maß-
nahmen steht, die aus dem Bundeswirtschaftsministerium
kommen, um unsere Wirtschaft und unsere Bürgerinnen
und Bürger zu entlasten . Deshalb möchte ich mich an
dieser Stelle bei unserem Minister Sigmar Gabriel, bei
der Staatssekretärin und beim Haus ganz herzlich dafür
bedanken, dass diese Entlastung hier tatsächlich in dieser
Form auf den Weg gebracht werden konnte .

Das Ziel muss nicht nur sein, neue Regelungen zu
schaffen, sondern Ziel muss auch sein, gleichzeitig
überbordende Regelungen abzuschaffen . Wir wollen die
Wirtschaft entlasten . Dabei geht es aber nicht darum,
den Konzernen zusätzliche Gewinne zu verschaffen,
sondern es geht um die Erhaltung und die Schaffung
von Arbeitsplätzen. Da hat zu viel Bürokratie häufig
eine Bremswirkung, vor allem für kleine und mittlere
Unternehmen, die bereit sind, zu investieren und Ar-
beitsplätze zu schaffen bzw . zu erhalten, und zwar hier
in Europa, konkret bei uns in Deutschland . Solche In-
vestitionen sollen durch weniger Bürokratie in Zukunft
leichter möglich werden .

Wir schaffen damit Erleichterungen für Unternehmen,
die keine eigenen Fachabteilungen haben, um alle Ge-
setze zu überprüfen und alle Fragen im Detail zu klären .
Dabei geht es zum Beispiel um das Baurecht – auch das
Steuerrecht ist heute angesprochen worden – oder die Ar-
beitsstättenverordnung . Auch das Sozialversicherungs-
recht ist ein großes Thema . Von Bedeutung ist auch das
Vergaberecht, meine Damen und Herren, das wir gera-
de im April dieses Jahres verändert haben, um für mehr

Flexibilität zu sorgen, damit die Kommunen entscheiden
können, ob sie beispielsweise mehr soziale oder Umwelt-
kriterien mit einbeziehen . Das Ganze sorgt für viel Fle-
xibilität und weniger Bürokratie . Da sind wir schon auf
dem richtigen Weg .

Für das Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Welt-
krieg gab es viele Gründe . Neben dem Fleiß der Deut-
schen gehörte dazu auch die Möglichkeit, einfach ein-
mal unternehmerisch starten zu können . So sind aus
Einmannbetrieben, die beispielsweise in einer Garage
gegründet wurden – diese Garage war im Vergleich zu
Ihrem Beispiel aufgeräumt –, große Unternehmen ent-
standen, die bis heute teilweise Weltruhm erlangt haben
und von denen wir gar nicht mehr wissen, dass sie einmal
in einer Garage gegründet wurden . Im Vergleich dazu
dürfen viele Existenzgründer mit guten Ideen ihren La-
den heute gar nicht eröffnen, nur weil sie vielleicht keine
separate Personal- oder Kundentoilette haben .

Wir haben neben diesem Gesetz in Zukunft noch vie-
le große Aufgaben zu bewältigen . Wir müssen wichtige
Standards beibehalten, gleichzeitig aber wieder mehr
Chancen eröffnen . Wir müssen dafür sorgen, dass wir in
Deutschland flächendeckend Verwaltungen haben, die
sich als Servicestellen für die Bürgerinnen und Bürger
und für die Unternehmer sehen und die nicht sagen, wa-
rum etwas nicht geht, sondern, wie konkret man zum Ziel
kommt . Es gibt also viele Ziele, und ich hoffe, dass wir
ihnen durch weitere Bürokratieentlastungsgesetze immer
ein Stückchen näherkommen .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819622000

Ich schließe die Aussprache .

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetz-
entwurfes auf der Drucksache 18/9949 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . –
Andere Vorschläge sehe ich nicht . Also können wir die
Überweisung so beschließen .

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(14 . Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Harald
Weinberg, Ulla Jelpke, Sabine Zimmermann

(Zwickau), weiterer Abgeordneter und der

Fraktion DIE LINKE

Medizinische Versorgung für Geflüchtete
und Asylsuchende diskriminierungsfrei si-
chern

– zu dem Antrag der Abgeordneten Maria
Klein-Schmeink, Luise Amtsberg, Kordula
Schulz-Asche, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Margaret Horb






(A) (C)



(B) (D)


Psychotherapeutische und psychosoziale
Versorgung von Asylsuchenden und Flücht-
lingen verbessern

Drucksachen 18/7413, 18/6067, 18/9933

Die vorgesehene Debattenzeit beträgt 25 Minuten .
Gibt es dazu Einvernehmen? – Es sieht so aus . Also ver-
fahren wir so .

Ich eröffne die Aussprache . Das Wort erhält der Kolle-
ge Reiner Meier für die CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Reiner Meier (CSU):
Rede ID: ID1819622100

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da-

men und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es liegt
in der Natur der Sache, dass eine Debatte über Leistungen
für Flüchtlinge polarisiert . Angesichts der unterschiedli-
chen Auffassungen zwischen den Fraktionen überrascht
mich das nicht . Es darf aber auf keinen Fall den Blick auf
die Fakten verstellen . Wenn heute suggeriert wird, alles
unterhalb des vollen Leistungsumfangs der GKV sei men-
schenunwürdig, dann muss ich in aller Deutlichkeit sagen:
Reden Sie doch die gesetzliche Krankenversicherung nicht
schlecht! Unsere GKV ist im internationalen Vergleich eine
der besten Krankenversicherungen überhaupt . Sie gewährt
den Versicherten einen verlässlichen Schutz und einen brei-
ten Zugang zur Spitzenmedizin .

Mit dem Präventionsgesetz haben wir im vergangenen
Jahr in der GKV die Voraussetzungen dafür geschaffen,
die Versicherten vorbeugend möglichst lange fit und ge-
sund zu halten. Das Gleiche gilt für die Pflege, für die
Krankenhäuser, für die Digitalisierung, wo die Koalition
in den letzten Jahren wichtige Verbesserungen auf den
Weg gebracht hat . Wenn all das für Sie das menschen-
würdige Minimum ist, dann frage ich mich schon, in wel-
cher Welt Sie leben .

Die gesetzliche Krankenversicherung ist schon be-
grifflich etwas völlig anderes als die Gesundheitsversor-
gung aus humanitären Gründen . Die GKV – das wissen
Sie selbst – funktioniert nach dem Umlageprinzip . Ver-
sicherte zahlen Beiträge ein, aus denen unmittelbar die
Leistungen finanziert werden. Die Gesundheitsversor-
gung für Flüchtlinge ist dagegen beitragsfrei und wird
aus Steuermitteln finanziert. Das ist auch richtig so und
unterstreicht die Verantwortung, die Deutschland seit Be-
ginn der Flüchtlingskrise übernommen und immer wie-
der unter Beweis gestellt hat . Der Bund wird alleine in
den Jahren 2016 bis 2018 über 60 Milliarden Euro für
Flüchtlinge und die Bekämpfung von Fluchtursachen be-
reitstellen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Bereich der Gesundheitsvorsorge für Flüchtlinge
kann es dennoch nicht der Anspruch sein, unterschied-
liche Sachverhalte sachwidrig gleichzumachen . Der
Anspruch sollte stattdessen sein, alle notwendigen Leis-
tungen zur Existenzsicherung zu erbringen . Genau das
tut bereits unser geltendes Recht . Wer in Deutschland
Schutz sucht, erhält nach dem Asylbewerberleistungs-

gesetz alle notwendigen Behandlungen, nicht mehr und
auch nicht weniger .


(Maria Michalk [CDU/CSU]: So ist es! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Wir streiten darüber, was notwendig ist!)


Ich teile an dieser Stelle übrigens auch nicht Ihre
Forderung, alle Asylbewerber zwingend mit elektroni-
schen Gesundheitskarten auszustatten . Zum einen ist
das Asylbewerberleistungsgesetz nur für die Zeit bis zur
Entscheidung über den Asylantrag einschlägig . Zum an-
deren gibt es schon heute die Möglichkeit, elektronische
Gesundheitskarten für Asylbewerber auszugeben .


(Mechthild Rawert [SPD]: Haben wir als Bund beschlossen!)


Wir haben uns in diesem Haus schon oft über die Fra-
ge gestritten, ob eine elektronische Gesundheitskarte ei-
nen Anreiz zur Migration gibt . Das Gleiche gilt für die
Frage, ob wir dadurch Kosten einsparen oder nicht .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur die CSU hat da so große Bedenken!)


Ich will das alles heute nicht noch einmal aufwärmen .
Unsere Haltung hierzu ist Ihnen hinlänglich bekannt .
Wir können aber nicht die Augen vor der Tatsache ver-
schließen, dass die Kommunen, also diejenigen, die am
dichtesten am Geschehen dran sind, die elektronische
Gesundheitskarte über alle Parteigrenzen hinweg offen-
bar gar nicht wollen . Diese bewusste Entscheidung der
Kommunen sollte uns zu denken geben .


(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Willkommen in Bremen! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Kollegen in Münster sehen das anders! – Zuruf der Abg . Mechthild Rawert [SPD])


Wir sollten sie aber auch respektieren, meine Damen und
Herren .

Es ist keine große Kunst, politische Überbietungswett-
bewerbe zu betreiben und immer und immer wieder ein
bisschen mehr zu versprechen als die anderen . Am Ende
der Debatte werden wir alle aber daran gemessen, ob es
uns gelingt, eine stimmige, gerechte Gesundheitsversor-
gung in unserem Land zu gewährleisten . Ihre Anträge,
meine Damen und Herren, werden dieser Verantwortung
nicht gerecht, sodass wir sie heute ablehnen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819622200

Kathrin Vogler erhält das Wort für die Fraktion Die

Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819622300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Gesundheits-

Präsident Dr. Norbert Lammert






(A) (C)



(B) (D)


versorgung für Flüchtlinge – der Kollege Meier hat es
gesagt – hat uns im Bundestag schon öfter beschäftigt,
doch leider gibt es aus unserer Perspektive viel zu wenig
Fortschritte .

Bei der Anhörung zu den beiden Anträgen der Linken
und der Grünen, die wir heute beraten, waren sich alle
Sachverständigen einig, dass der Zugang zu medizini-
scher Versorgung dringend verbessert werden muss,


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


selbst die von der Union benannten, Herr Meier . Auch
ist dieser Zugang eine gesellschaftliche Aufgabe . Darum
kann das nicht den gesetzlich Versicherten aufgebürdet
werden . Da waren wir uns einig .

Aber was macht diese Große Koalition? Sie will jetzt
1,5 Milliarden Euro aus dem Gesundheitsfonds, also aus
den Beitragsgeldern, nehmen, um damit angeblich die
Versorgung der Geflüchteten zu finanzieren und neben-
bei auch noch das Daten-GAU-Projekt „Elektronische
Gesundheitskarte“ zu sanieren . Dieses Geld ist aber von
Versicherten bezahlt worden, also vom Verkäufer und
von der Schreinerin . Das ist kein Steuergeld, über das
Herr Schäuble nach eigenem Gutdünken verfügen könn-
te .

Sie bedienen sich auch gleich zweimal aus den Bei-
trägen der Versicherten . Die Beiträge, die der Bund für
Hartz-IV-Bezieher an die Krankenkassen abführt, decken
nämlich die Kosten nicht . Hier subventioniert wiederum
die Schreinerin Schäubles schwarze Null .

Ihnen geht es doch eigentlich nur darum, kurzfristig
Defizite bei den Krankenkassen zu verhindern, damit im
nächsten Wahljahr die Zusatzbeiträge nicht explodieren .
Selbst die Krankenkassen haben gesagt: Schön, dass wir
mehr Geld bekommen, aber für die Versorgung der Ge-
flüchteten brauchen wir nur einen Bruchteil davon.

Die nach wie vor unzureichende Gesundheitsversor-
gung wollen Sie auch gar nicht beheben; das hat der Kol-
lege gerade klargemacht .


(Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Nein! Nicht unzureichend!)


Nach wie vor haben Flüchtlinge in den ersten 15 Mona-
ten nur bei akut lebensbedrohlichen Erkrankungen und
Schmerzen sowie bei Schwangerschaft Anspruch auf
eine Behandlung . Wir sagen ganz klar: Es verstößt gegen
Menschenrechte, wenn chronische Erkrankungen nicht
behandelt werden oder wenn die Behandlung vom Er-
messen eines Sozialamtsmitarbeiters abhängt, der keine
medizinische Ausbildung hat .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Außerdem: Unbehandelte Erkrankungen können zu
schweren Folgekrankheiten führen . Das wird dann doch
noch teurer . Sie müssen sich jetzt einmal entscheiden:
Möchten Sie es gerne teuer und schlecht oder preiswert
und gut?

Nur noch wenige Bundesländer lehnen eine Gesund-
heitskarte und den leichteren Zugang zur Gesundheits-

versorgung aus ideologischen Gründen ab . In vielen
Bundesländern, die eigentlich mehr tun wollen, hakt es
doch, weil es keine einheitliche Regelung gibt und weil
die Kommunen Angst vor Mehrkosten haben .


(Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Wer hat sie denn?)


An dieser Stelle möchte ich einmal die thüringische
Landesregierung loben; denn sie hat es erstmals in einem
Flächenland geschafft, alle Kommunen von der Versor-
gung der Geflüchteten mit der Gesundheitskarte zu über-
zeugen und eine Rahmenvereinbarung mit den Kranken-
kassen abzuschließen .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dass sich das Ganze immer wieder verzögert und alle
Beteiligten Nerven lassen, liegt vor allem an der schlech-
ten Gesetzeslage hier bei uns im Bund, und die wollen
wir ändern .

Die Linke fordert: Die Beiträge für die Krankenver-
sicherung von Asylsuchenden soll der Bund tragen . –
Herr Meier, ich wette mit Ihnen: Dann werden wir ganz
schnell die Gesundheitskarte für alle Flüchtlinge flächen-
deckend haben – auch in Bayern und in Sachsen .


(Beifall bei der LINKEN – Reiner Meier [CDU/CSU]: Das glaube ich nicht!)


Die Beschränkung des Leistungsumfangs beschnei-
det übrigens auch die Therapiefreiheit der Ärztinnen und
Ärzte. Auch wenn sie eine behandlungspflichtige Erkran-
kung diagnostizieren, kann das Sozialamt die Kosten-
übernahme verweigern .

Das Medinetz, eine Organisation für medizinische
Flüchtlingshilfe, berichtet zum Beispiel über einen fünf-
jährigen Jungen, bei dem neun Zähne gezogen oder be-
handelt werden mussten . Das Sozialamt verweigerte dem
Kind eine Narkose dafür . Die zynische Begründung da-
für lautete, dafür gebe es keinen Anspruch und das müs-
se das Kind schon aushalten . Für solche Grausamkeiten
gegenüber Kindern gibt es einfach keine Rechtfertigung .


(Beifall bei der LINKEN und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Schauermärchen hoch drei, die Sie hier verbreiten! – Mechthild Rawert [SPD]: Welcher Arzt würde denn die Zähne ohne Narkose ziehen?)


Die Linke sagt: Auch diejenigen, die vor Krieg und
Verfolgung zu uns geflüchtet sind, müssen alle notwen-
digen und sinnvollen Behandlungen erhalten, und diese
stehen nun einmal im Leistungskatalog der gesetzlichen
Krankenkassen . Weniger bedeutet eine gesundheitliche
Unterversorgung, und das nehmen wir nicht länger hin .


(Beifall bei der LINKEN – Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Astrid Lindgren der Linken, kann ich nur sagen!)


Deshalb: Unterstützen Sie uns doch in den Bemühun-
gen, eine gesundheitliche Versorgung für alle Menschen
hier in Deutschland sicherzustellen! Stimmen Sie für
eine diskriminierungsfreie medizinische Versorgung für

Kathrin Vogler






(A) (C)



(B) (D)


Geflüchtete und Asylsuchende und auch für den guten
Antrag der Grünen zur Verbesserung der psychothera-
peutischen und psychosozialen Versorgung von Asylsu-
chenden!

Ich bedanke mich .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819622400

Heike Baehrens erhält nun das Wort für die SPD-Frak-

tion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Heike Baehrens (SPD):
Rede ID: ID1819622500

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Lie-

be Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir zwölf Monate
zurückblicken und die damalige Situation mit heute ver-
gleichen,


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genauso alt ist der Antrag!)


dann dürfen wir mit Fug und Recht behaupten: Wir ha-
ben bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen
bereits viel erreicht . Die Bearbeitung der Anträge wurde
beschleunigt, Psychotherapeuten ohne Kassenzulassung
dürfen jetzt traumatisierte Asylbewerber behandeln, und
es wurden die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen,
um die Gesundheitskarte in den Ländern einführen zu
können .


(Beifall bei der SPD)


Aber klar ist auch – da stimmen wir mit der Intenti-
on des grünen Antrags überein –: Die psychosoziale und
psychotherapeutische Versorgung von Flüchtlingen muss
weiter verbessert werden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg . Kordula SchulzAsche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch mal was!)


Die Behandlung von traumatisierten Geflüchteten ist
noch unzureichend . Vorhandene Dienste und Angebote
sind überlaufen . Es gibt zu wenige Dolmetscher . Auch
die Frage der Finanzierung dieser Leistungen ist nicht
ausreichend geklärt .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Psychosoziale Zentren und Traumazentren, die sich
dieser Aufgabe fachlich qualifiziert, gut vernetzt und oft
mit Unterstützung von Ehrenamtlichen widmen, müssen
Jahr für Jahr um ihre Finanzierung bangen .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau jetzt wieder!)


Das ist absolut unbefriedigend .


(Beifall bei der SPD)


Ich habe in dem Jahresbericht von Refugio Stutt-
gart, den ich gerade erst erhalten habe, gelesen: Dieser
gemeinnützige Verein hat einen Pool aus Dolmetschern
für 17 Sprachen aufgebaut und sie für den Einsatz in der
Psychotherapie geschult . Solche vorhandenen Strukturen
und Kompetenzen müssen politisch und finanziell geför-
dert werden; denn sie sind das Fundament, auf dem die
psychotherapeutische und psychosoziale Versorgung von
Flüchtlingen weiter verbessert werden kann .

Unsere Familienministerin Manuela Schwesig hat
deswegen dieses Jahr psychosoziale Zentren mit rund
3 Millionen Euro gefördert . Darum ist es umso unver-
ständlicher, dass der Finanzminister trotz sprudelnder
Steuereinnahmen diese Förderungen jetzt wieder kürzen
will . Wir als SPD werden bei den abschließenden Haus-
haltsverhandlungen dafür kämpfen, dass die wichtige Ar-
beit dieser Zentren fortgeführt werden kann .


(Beifall bei der SPD)


Darüber hinaus diskutieren wir auch die Möglichkeit,
für diese Aufgabe zusätzliche Projektmittel im Haus-
halt des Gesundheitsministeriums bereitzustellen . Heu-
te Morgen hat Herr Finanzminister Schäuble genau an
dieser Stelle gleich zu Anfang seiner Rede gesagt: „Am
Geld wird die Integration nicht scheitern .“


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tut sie aber derzeit!)


Da nehmen wir ihn beim Wort .


(Beifall bei der SPD – Mechthild Rawert [SPD]: Dafür kämpfen wir!)


Wir wollen eine bessere psychotherapeutische und
psychosoziale Versorgung von Flüchtlingen . Aber ganz
so einfach wie Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
den Grünen, es in Ihrem Antrag formuliert haben, ist es
dann doch nicht . Sie wollen die Dolmetscherleistungen
von den Krankenkassen zahlen lassen .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Erstattung durch den Steuerzahler!)


Das sehen wir kritisch; denn die Bereitstellung von
Dolmetschern ist nicht per se eine Gesundheitsleistung .
Sie ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, ja, eine
Integra tionsleistung, die von der öffentlichen Hand und
damit aus Steuermitteln geleistet werden muss .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen die Begründung lesen! Da steht es drin!)


Es wäre nicht richtig, dies allein den Beitragszahlern der
gesetzlichen Krankenversicherung aufzuladen . Mit Steu-
ermitteln können wir nicht nur Dolmetscher finanzieren,
sondern auch bereits bestehende psychosoziale Netzwer-
ke wie Refugio zielgenau stärken, fördern und auch aus-
bauen .

Dass es in Koalitionen, Frau Klein-Schmeink, nicht
immer leicht ist, solche Ziele ganz schnell zu erreichen,
das erfahren Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Grünen, gerade selbst ganz unmittelbar in Baden-Würt-
temberg, wo Sie mit Ihrem Koalitionspartner um die

Kathrin Vogler






(A) (C)



(B) (D)


Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge ringen
müssen, die Sie hier in Ihrem Antrag fordern .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei mir zu Hause in Münster gibt es die! Ganz einfach: Schwarz-Grün!)


Auf jeden Fall werden wir uns bei den laufenden
Haushaltsverhandlungen für weitere Verbesserungen bei
der psychotherapeutischen und psychosozialen Versor-
gung von Flüchtlingen einsetzen .


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Maria Klein-Schmeink ist ja ein gutes Beispiel für Schwarz-Grün!)


Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819622600

Die Kollegin Klein-Schmeink hat nun das Wort für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Präsident! Meine lieben Kolleginnen
und Kollegen! Es ist jetzt genau ein Jahr her, da wur-
de unser Antrag zur Verbesserung der psychosozialen
Unterstützung von Flüchtlingen hier in den Bundestag
eingebracht; auch der Antrag der Linken stand zur Dis-
kussion . Wir haben Ihnen also ein Jahr Zeit gegeben, um
die Situation zu verbessern und an der Versorgungslage
insgesamt etwas zu ändern .


(Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Wir haben es genutzt!)


Ich muss sagen: Heute erleben wir, dass das Resultat,
zwar freundlich vorgetragen, umso enttäuschender ist .
Beide Anträge werden Sie ablehnen und damit jegliche
Verbesserung in diesem Bereich verhindern . Das halten
wir für einen großen Fehler .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Reiner Meier [CDU/ CSU]: Das ist keine Verbesserung! Im Gegenteil!)


Es ist nicht einfach nur ein Fehler; es ist auch eine
richtig große Enttäuschung . Denn zum einen hat die An-
hörung glasklar den Handlungsbedarf aufgezeigt . Sie hat
Ihnen gezeigt, dass es klug ist, in die Gesundheitskarte
für Flüchtlinge zu investieren und den Flüchtlingen den
Zugang zur Regelversorgung zu ermöglichen; denn dann
ist die Behandlung insgesamt gesehen humaner, besser
und günstiger, weil man Chronifizierung verhindert. Das
wäre schon ein wichtiger Grund gewesen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Der zweite wichtige Grund: Es ist deutlich geworden,
dass es insbesondere bei der Behandlung von Trauma-

tisierten große Versorgungslücken gibt, zum Beispiel in
dem Bereich, wo die Flüchtlinge noch nicht anerkannt
sind, in der Zuständigkeit von Ländern und Kommunen,
weil entweder der Zugang zu Dolmetscherleistungen
oder bei einer chronischen Erkrankung überhaupt der
Zugang zu einer Behandlung fehlt, weil sie nicht unter
die Akut- und Notfallversorgung fällt – es sei denn, wir
haben die Situation schon so zuspitzen lassen, dass die
Menschen in die stationäre Notfallversorgung müssen .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das wird richtig teuer!)


Das ist die teuerste Versorgung und das unmenschlichste
Verfahren .

Der dritte Punkt: Wir haben insgesamt eine ganz pre-
käre Situation der Folteropferzentren . Sie wissen alle –
dazu haben Sie viele Zuschriften erhalten, und es ist auch
in der Anhörung deutlich geworden –: Diese 32 Zentren
tragen den Löwenanteil der Erstversorgung in diesem
Bereich . Sie werden größtenteils durch Spenden und
ein bisschen durch Landesmittel, ein bisschen durch
ESF-Mittel und ein bisschen durch Mittel der Ministerin
Schwesig finanziert, und das, obwohl sie den Löwenan-
teil der Erstversorgung tragen . Das, meine Damen und
Herren, ist kein Zustand; das muss beendet werden .

Jetzt sind wir in der kläglichen Situation, dass sogar
der Minizuschuss, der im letzten Jahr bereitgestellt wor-
den ist, wieder infrage steht . Das kann doch nicht wahr
sein .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: So wenig sind 3 Millionen Euro auch nicht!)


Ein weiterer Punkt: Sie haben für zusätzliche Ermäch-
tigungen gesorgt: für insgesamt 68 zusätzlich zugelas-
sene Psychotherapeuten bundesweit . Das deckt nicht
einmal den Ansatz dessen, was wir brauchen . Auch das
ist keine Lösung des Problems . Es ist ein ganz kleiner
Ausschnitt .

Ziehen Sie deshalb endlich Konsequenzen aus dem,
was an Versorgungsnotwendigkeiten besteht! Es kann
doch nicht sein, dass Integration tatsächlich daran schei-
tert, dass wir die notwendigsten Hilfen und die notwen-
dige Versorgung nicht bereitstellen . Was Sie da machen,
ist ein so unkluges und unmenschliches Vorgehen . Dafür
fehlt mir jegliches Verständnis .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Ute Bertram [CDU/ CSU]: Uns Unmenschlichkeit vorzuwerfen, ist ja wohl das Letzte!)


Gleichzeitig muss ich sagen: Wie kann man sich so
von den Argumenten der AfD und der Angst vor ihr trei-
ben lassen, dass man nicht in der Lage ist, endlich in der
Regelversorgung passende Angebote zu schaffen?


(Hilde Mattheis [SPD]: Das sollten Sie uns nicht unterstellen! Das ist nicht richtig!)


Heike Baehrens






(A) (C)



(B) (D)


Das ist ein Fehler, und den sollten Sie dringend korri-
gieren .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819622700

Ute Bertram erhält nun das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ute Bertram (CDU):
Rede ID: ID1819622800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die psychotherapeutische und psychosozi-
ale Versorgung der Flüchtlinge und Asylsuchenden ge-
hört zu den besonderen Herausforderungen, die wir zu
bewältigen haben . Viele Flüchtlinge – das wissen wir
alle – kommen traumatisiert zu uns . Sie haben schlimme
und oft allerschlimmste Erfahrungen hinter sich: Gewalt,
Folter, Gefangenschaft, Vergewaltigung und sexueller
Missbrauch über alle Bevölkerungskreise hinweg, Alt
und Jung und immer wieder Frauen und Kinder .

Dieses Thema steht heute nicht zum ersten Mal auf
unserer Tagesordnung . Im September letzten Jahres – die
Situation war damals nicht gerade von Übersichtlichkeit
geprägt – war uns nur klar: Unser ganzes Staatswesen auf
allen Ebenen war gefordert . Wir benötigen immer noch
die Hilfe aus allen Ecken der Gesellschaft .

Immerhin können wir heute sagen: Wir kennen recht
genau die Dimension, die wir als Gemeinwesen zu be-
wältigen haben, und wir sagen allen Dank, die sich so
engagiert in diesen Dienst gestellt haben: den professio-
nellen Unterstützern ebenso wie den spontanen Initiati-
ven bis hin zu den vielen anonymen helfenden Händen in
unseren Dörfern und Städten .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Aber was unter einer notwendigen psychotherapeuti-
schen und psychosozialen Betreuung von Flüchtlingen
zu verstehen ist, darüber werden wir wohl auch in der
Zukunft noch eine Menge unterschiedlicher Auffassun-
gen haben . Konkret geht es um die Frage, wie hoch die
Zahl der Flüchtlinge ist, die unter einer posttraumati-
schen Belastungsstörung so sehr leiden, dass sie einer
akuten Behandlung bedürfen .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sieben Monate Warteliste!)


Die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychoso-
zialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer – kurz:
BAfF – verweist auf eine aktuelle Review-Studienlage
der letzten 25 Jahre in Deutschland,


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie einfach mal vor Ort! Es geht nicht um theoretische Zahlen!)


wonach bei Flüchtlingen eine Gesamthäufigkeit für die
posttraumatische Belastungsstörung zwischen 16 und
55 Prozent liegt . Diese Streubreite zeigt aber auch an,
dass wir es mit Schätzungen zu tun haben, die immer
auch ein Griff ins Dunkle sind .

Vor gut einem Jahr haben wir festgestellt, dass es in den
bundesweit 23 psychosozialen Zentren etwa 130 Psycho-
therapeuten gibt, die 4 000 Flüchtlinge betreuen . Heute
wissen wir, dass die Situation in den Aufnahmelagern er-
heblich entspannter ist und dass viele Flüchtlinge bei uns
mittlerweile in Integrationskursen lernen . Damit sind sie
irgendwie im Alltag angekommen .

Das verlangt den Flüchtlingen viel ab; das weiß ich .
Aber das hat auch einen therapeutischen Wert für die Be-
wältigung einer schwer erträglichen Vergangenheit . Da-
mit will ich nicht sagen, dass wir das Problem der psy-
chotherapeutischen Versorgung der Flüchtlinge erledigt
hätten, aber die Koalition war nicht untätig . Der Bund
hat in diesem Jahr aus dem Haushalt des BMFSFJ die
BAfF mit rund 3 Millionen Euro gefördert und bemüht
sich zurzeit, eine Förderung für 2017 sicherzustellen . Ich
appelliere auch an die Haushälter, dies zu unterstützen .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Der Bund führt in Gestalt des BMG Gespräche mit der
BAfF, um die Möglichkeiten zusätzlicher Ermächtigun-
gen für psychosoziale Zentren und ambulante Psycho-
therapeuten zu eröffnen, damit Flüchtlingen angemessen
weitergeholfen werden kann, wenn sie nach den Grund-
sätzen der GKV zu versorgen sind .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie ist es dann mit den Dolmetscherkosten?)


So wollen wir auch dazu beitragen, dass über die
Akutbehandlung hinaus schwerere Fälle einer posttrau-
matischen Belastungsstörung durch eine Anschlussbe-
handlung therapiert werden könnten . Generell müssen
wir darauf achten, dass wir nicht überreagieren . Eine
vollumfängliche Akutversorgung musste 2015 aufgrund
der hochschnellenden Flüchtlingszahlen eine Illusion
bleiben .

Wichtig ist jetzt, dass wir die Nachversorgung sichern .
Auch diese Aufgabe bleibt gerade vor dem Hintergrund
der sprachlichen und kulturellen Barrieren weiterhin eine
besondere Herausforderung .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und wie lösen Sie die? Das ist doch die Frage!)


Ich komme zu meinem Fazit . Wir folgen dem Grund-
satz: Wir fahren auf Sicht . – Mit diesem Grundsatz ist
eine frühere Koalition schon einmal sehr erfolgreich ge-
wesen . Die Opposition folgt dem Grundsatz: Man kann
gar nicht genug machen . – Da bleibt nur noch die Ableh-
nung der Anträge .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU – Maria KleinSchmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meine Güte! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Auf Sicht fahren ist im Herbstnebel nicht die beste Strategie!)


Maria Klein-Schmeink






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819622900

Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes hat die

Kollegin Mechthild Rawert das Wort für die SPD-Frak-
tion .


(Beifall bei der SPD – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mechthild holt jetzt die Kohlen aus dem Feuer!)



Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1819623000

Wir haben hier eine Situation, die so aussieht, als ob

jede und jeder in den eigenen Spiegel schaut . Die Oppo-
sition sagt, es sei zu wenig passiert . Die Koalition, zu der
wir auch gehören, sagt: Wir haben viel erreicht .


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist jetzt wahr?)


So ist das Leben natürlich nicht . Fangen wir mit der Aus-
sage an, bei der ich mich gerade sehr geärgert habe . Wir
haben hier beschlossen, dass es die elektronische Ge-
sundheitskarte gibt . Wir haben damit die Länder ermäch-
tigt, sie auch einzusetzen . Die wiederum stehen nun in
der Verantwortung, sie flächendeckend umzusetzen.


(Ute Bertram [CDU/CSU]: So ist das!)


Ja, es stimmt .


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur jeder fünfte Flüchtling hat Zugang!)


– Sie sind noch nicht in jeder Kommune angekommen .
Das ist richtig .


(Ute Bertram [CDU/CSU]: Weil sie nicht wollen!)


Aber im Bundestag noch etwas Negatives zur elektro-
nischen Gesundheitskarte zu sagen, entspricht nicht der
Beschlusslage dieser Großen Koalition .


(Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Nu sucht ihr aba scho no nach am andern, gell?)


– Das war Bayerisch, das habe ich leider nicht verstan-
den .


(Heiterkeit)


Aber richtig ist ja, dass der Zugang zur medizinischen
Versorgung ein Menschenrecht ist . Wir alle wollen da-
für sorgen, dass dies durchgesetzt wird . Wir haben vieles
getan, um den Flüchtlingen nach 15 Monaten einen regu-
lierten Zugang zum Regelsystem im Gesundheitswesen
zu ermöglichen .

Wer sich in einer Flüchtlingseinrichtung befindet, hat
gerade zu Schulbeginn mitbekommen, dass der Impf-
schutz gilt . Es gab noch nie so viele Impfwillige und
Impffreudige wie in der Flüchtlingseinrichtung, die ich
im Herbst gesehen habe . Das alles ist also geregelt .

Zum Thema Traumata . Die erwähnten Notwendig-
keiten gelten für alle . Wir brauchen für die gesamte
Bevölkerung – eine Sortierung nach Status ist nicht not-
wendig – mehr Psychotherapeutinnen und -therapeuten;

darüber reden wir auch in anderen Zusammenhängen .
Wir brauchen hier einen grundsätzlichen Ausbau .


(Beifall bei der SPD)


Selbstverständlich sollte jede und jeder in adäquater Zeit
Zugang zu einem Psychotherapeuten bekommen .


(Abg . Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Gerne . – Herr Präsident, ich habe schon zugestimmt .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819623100

Das kann ich mir schon vorstellen . Aber mit Blick

auf die weitere Tagesordnung empfehle ich uns, es heute
dabei bewenden zu lassen, erst recht bei denjenigen, die
schon zu Wort gekommen sind .


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1819623200

Gilt das jetzt, oder gilt das nicht?


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819623300

Nein .


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1819623400

Nein . – In diesem Fall hat er das Sagen .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819623500

So ist es .


(Heiterkeit)



Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1819623600

Wir haben dafür gesorgt, dass das medizinische Per-

sonal aus den Herkunftsländern in die Erstversorgung
verstärkt einbezogen wird .

Über die Gesundheitskarte habe ich mich schon geäu-
ßert . Nur so viel noch: Wir alle wissen – auch diejenigen,
die in den Ländern Verantwortung tragen –, wie schwie-
rig das ist . Mir bleibt es als Berlinerin vorbehalten, Herrn
Czaja von der CDU zu loben . Er wurde im Wahlpro-
gramm seiner Partei ausdrücklich für die Einführung der
elektronischen Gesundheitskarte belobigt . Damit ermun-
tere ich unseren Koalitionspartner, das überall zu tun .

Ein letzter Satz . Die Kosten dürfen nicht auf die ge-
setzliche Krankenversicherung abgewälzt werden; mei-
ne Kollegin Heike Baehrens hat das bereits gesagt . Es
handelt sich um eine gesamtgesellschaftliche Verantwor-
tung . Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler stehen hier
in der Verantwortung .

Maria Klein-Schmeink, du hast mich vorhin ange-
sprochen .


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819623700

Nein, das sollte der letzte Satz sein .


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1819623800

Ich habe noch keinen Punkt gemacht .






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819623900

Doch .


(Heiterkeit)



Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1819624000

Wer mit der AfD droht, muss eines wissen: Die AfD

nutzt tatsächlich alles . Deswegen bin ich den Kranken-
kassen sehr dankbar, dass sie sofort klargemacht haben,
dass es nicht die Geflüchteten sind, die dazu beitragen,
dass wir nun über Zusatzkosten bzw . überhöhte Kosten
reden . Dieses Thema betrifft uns alle . Es dürfen keine
leichtfertigen Behauptungen aufgestellt werden .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das habt ihr selber ins Gesetz geschrieben! Das müsst ihr euch anschauen, Frau Rawert!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1819624100

Heinrich von Kleist wäre erblasst vor dieser Fähigkeit,

in mehreren aufeinanderfolgenden Sätzen vermeintlich
nur einen zum Ausdruck zu bringen .


(Heiterkeit)


Wir schließen damit die Aussprache .

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Gesundheit auf Drucksache 18/9933 . Der
Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss-
empfehlung die Ablehnung des Antrags der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/7413 mit dem Titel „Medizi-
nische Versorgung für Geflüchtete und Asylsuchende
diskriminierungsfrei sichern“ . Wer stimmt dieser Be-
schlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit Mehr-
heit – allerdings mit keiner besonders starken, wenn ich
mir diese Anmerkung erlauben darf – angenommen .

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/6067 mit dem Titel „Psychotherapeu-
tische und psychosoziale Versorgung von Asylsuchen-
den und Flüchtlingen verbessern“ . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Auch diese Beschlussempfehlung ist mit
Mehrheit gerade noch angenommen .

Wir kommen damit zu den Tagesordnungspunk-
ten 10 a und 10 b:

a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Mehr Bildungschancen für benachteiligte
Kinder und Jugendliche schaffen – Bundes-
programm „Kultur macht stark. Bündnisse
für Bildung“ nach 2017 weiterentwickeln und
fortsetzen

Drucksache 18/10016

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18 . Ausschuss)


zu dem Antrag der Abgeordneten Sigrid Hupach,
Dr . Rosemarie Hein, Nicole Gohlke, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Bundesprogramm „Kultur macht stark.
Bündnisse für Bildung“ weiterentwickeln und
seine Fortführung jetzt vorbereiten

Drucksachen 18/8181, 18/10063

Hierzu soll es eine Aussprache von 38 Minuten ge-
ben . – Zu dieser verabredeten Redezeit höre und sehe ich
keinen Widerspruch . Also können wir das so machen .

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Claudia Lücking-Michel für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Claudia Lücking-Michel (CDU):
Rede ID: ID1819624200

„Kultur macht stark .“ Herr Präsident! Meine Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einen
besseren Titel muss man doch erst einmal finden. Hier ist
der Name in der Tat Programm . Warum? Kultur macht
stark; denn sie ermöglicht, sich selbst und die Welt sen-
sibler wahrzunehmen, sich kreativ auszudrücken, Neues
selbst zu gestalten – alles Grundlagen für jeden weiteren
Bildungsprozess .

Kunst, Musik, Theater, das ist nicht zweitrangig . Das
Spielen eines Musikinstruments, Tanz, Akrobatik, Mu-
seumsbesuche, das sind nicht einfach nur Freizeitbe-
schäftigungen . Kultur ist existenziell für die menschliche
Entwicklung und sollte – das ist uns wichtig – zentraler
Bestandteil jeder Bildungsbiografie sein. Denn schließ-
lich bedeutet Kultur vor allem eines: Freiheit .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


„Kultur macht stark . Bündnisse für Bildung“, so lautet
der vollständige Titel des Programms, das seit 2013 Pro-
jekte für bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche
fördert – offensichtlich ein echtes Erfolgsprojekt . Alle
Fraktionen wollen das Programm fortsetzen und weiter-
entwickeln . Das BMBF hat bereits angekündigt, „Kul-
tur macht stark“ ab 2017 nahtlos in einer zweiten Phase
weiter zu fördern . Herzlichen Dank an alle, die dieses
Anliegen vorantragen .

Alle Fraktionen wollen das Programm fortführen . Wa-
rum liegen in dieser Debatte trotzdem zwei Anträge vor?
Wo gibt es denn noch Unterschiede? Ich will die Zeit nut-
zen, um einige Aspekte unseres Antrags hervorzuheben .

Wichtig ist uns vor allen Dingen Folgendes: Die ge-
förderten Projekte finden ausschließlich außerhalb des
Schulunterrichts statt, auch wenn Schulen an vielen
Stellen Partner sind . Es muss außerhalb des Unterrichts
sein . Das ermöglicht nämlich Dreierlei: Die Teilnahme
an „Kultur macht stark“ ist unbedingt freiwillig, und das
sollte auch so bleiben . Dabei ist das Außerschulische ge-
rade von Mehrwert für die Kinder und Jugendlichen aus
bildungsfernem Umfeld, die wir doch besonders errei-
chen wollen; denn gerade für sie ist es wichtig, Zugang
zu Lebensbereichen zu bekommen, die nicht zu dem






(A) (C)



(B) (D)


strengen Korsett von Schule gehören . Interesse an einer
Sache kann man nicht verordnen; man muss es wecken .

Zweitens . „Kultur macht stark“ ist außerschulisch und
niedrigschwellig . Das brauche ich gar nicht weiter zu er-
klären .

Drittens . Das Programm ist partizipativ angelegt . Es
ermöglicht Teilhabe . Hier kann man erfahren, dass es
sich lohnt, sich einzubringen, sich in einem Team zu
beteiligen, eine Aufgabe auch unter Schwierigkeiten zu
Ende zu führen, ein Werk zu erschaffen und dabei Freude
zu haben .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Echte Teilhabe kann man nicht erzwingen, wir können
sie nur ermöglichen .

Ein weiteres Markenzeichen unseres Programms ist
die Einbindung der Zivilgesellschaft . Da haben wir die
Verbände, die ihr fachliches Wissen einbringen, und die
vielen lokalen Bündnispartner vor Ort, die sich oft in un-
gewöhnlichen Kombinationen zusammentun und Ange-
bote vor Ort ermöglichen . Auch an all die Menschen, die
sich hier engagieren, ein herzliches Dankeschön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Viele Vorgaben, die das Programm bisher hatte, sind
offensichtlich sehr zielführend . Das betonen die betei-
ligten Akteure, auch die vorliegenden Evaluationen . Ein
Beispiel will ich nennen: Kern des Anliegens ist es, be-
nachteiligte Kinder und Jugendliche zu erreichen; aber
es ist unbedingt nötig und ganz wichtig, dass das Pro-
gramm für alle Interessierten offen ist . Denn wenn die
Gruppen heterogen sind, sind ein Voneinanderlernen und
eine Teilhabe ohne Stigmatisierung möglich .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Schließlich ist es wichtig, neuerdings noch einmal in
verstärktem Maße, den Blick auf geflüchtete Kinder und
Jugendliche zu richten . Viele lernen, sich hier auszudrü-
cken, bevor sie die passenden Worte dafür gefunden ha-
ben .

Trotzdem gibt es natürlich Verbesserungswünsche . Es
ist unbedingt wichtig, die Verwaltung zu vereinfachen .
Für Stellschrauben gibt es gute Vorschläge . Eine Verwal-
tungspauschale könnte vor allen Dingen die Ehrenamt-
lichen von Verwaltungsaufgaben entlasten . Standards
für Anträge und Servicestellen für lokale Partner, all das
würde die Arbeit vereinfachen . Wir nehmen es deshalb
ins nächste Programm auf .

Jedes Kind, jeder junge Mensch in Deutschland hat
bestmögliche Bildungschancen verdient . Mit „Kultur
macht stark“ kommen wir diesem Ziel ein gutes Stück
näher, gerade für die benachteiligten Kinder und Jugend-
lichen . Ich freue mich deshalb ganz besonders über die
breite Unterstützung des Antrags hier im Plenum .

Danke schön .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819624300

Vielen Dank . – Als nächste Rednerin hat Dr . Rosemarie

Hein für die Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819624400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste! Es gibt selten Grund, die Bundesregierung
zu loben. Mit dem Programm „Kultur macht stark“ flie-
ßen jährlich immerhin 50 Millionen Euro – sogar etwas
mehr – in die kulturelle Bildung . Das gab es tatsächlich
noch nie .


(Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU und der SPD)


Wenn ich heute in meinem Wahlkreis nach diesem
Programm frage, höre ich, dass es den meisten Vereinen
bekannt ist . Fast überall laufen ein oder zwei Projekte,
die dadurch gefördert werden . Auch dass mein Bundes-
land Sachsen-Anhalt eine Servicestelle für die Beglei-
tung eingerichtet hat, hilft dabei sehr .

Ja, das Programm ist ein voller Erfolg . Das ist es aber
vor allen Dingen deshalb, weil die Vereine und Verbände
viel Initiative und viel Kreativität an den Tag gelegt ha-
ben, was dazu führte, dass einige Kinderkrankheiten, die
es am Anfang hatte, überwunden wurden .

Es ist gut, dass trotz der Orientierung vor allem auf be-
nachteiligte Kinder und Jugendliche ein im besten Sinne
des Wortes inklusiver Ansatz gefunden worden ist . Auch
Sie, Frau Lücking-Michel, stellten eben fest: Das Pro-
gramm ist für alle offen . Niemand wird ausgeschlossen .
Alle können teilnehmen . Die Teilnehmenden werden da-
mit auch nicht als arm oder benachteiligt stigmatisiert .


(Beifall bei der LINKEN)


Auch das allerdings ist vor allem den Programmpart-
nern vor Ort zu danken . Kulturelle Bildung – da sind wir
uns in diesem Hause alle einig – fördert die Persönlich-
keit junger Menschen in ganz besonderer Weise . Und zu
allem Überfluss macht das auch noch Spaß. Man erreicht
unkompliziert ganz viele Kinder und Jugendliche .

Darum haben die Verbände schon lange angeregt, dass
die Fortführung über das Jahr 2017 hinaus gesichert wer-
den soll . Das Programm sollte dann nämlich eigentlich
auslaufen . Die Bundesregierung hat sich zunächst ge-
ziert, eine solche Zusage zu machen . Darum haben wir
einen Antrag gestellt und im Ausschuss ein öffentliches
Fachgespräch erwirkt, das auch stattgefunden hat – ge-
meinsam mit dem Kulturausschuss . Das hat offensicht-
lich geholfen . Die Verbände haben mit allen Fraktionen
gesprochen .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesregierung hat inzwischen eine Fortführung
des Programms in Aussicht gestellt, und die Koalitions-
fraktionen haben heute ebendiesen Antrag vorgelegt .


(Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Ein sehr guter Antrag!)


Dr. Claudia Lücking-Michel






(A) (C)



(B) (D)


Auch wenn der Antrag der Koalition nicht so weit geht
wie unser Antrag, kann man sagen: Sie haben dazuge-
lernt .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lachen des Abg . Dr . Thomas Feist [CDU/CSU])


So finden wir in Ihrem Antrag die Absicht, das Programm
langfristig zu verstetigen . Immerhin hätten wir damit so
etwas Ähnliches wie auf der MINT-Seite auch einmal bei
der Kultur . Das wäre sehr schön und auch gut .

Sie wollen die Verwaltungskostenpauschale prüfen .
Ich habe gehört, dass Sie sie erhöhen wollen . Auch das
finden wir richtig und gut.

Wir finden es auch richtig, dass die Zahl der Service-
stellen in den Ländern erhöht werden soll, obwohl wir
das nicht verordnen können; das müssen die Länder
selbst entscheiden .

Dies und einiges mehr begrüßen wir . Es gibt aber auch
ein paar Bedenklichkeiten . So will die Koalition Kitas
zwar in die Projekte einbeziehen, Schulen aber nicht . Der
Kitabesuch sei ja freiwillig und nicht verpflichtend, heißt
es. Ich finde, diese Art Abgrenzung ist realitätsfern, liebe
Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der LINKEN)


Auch Sie fordern doch, dass sich Schulen in die Gesell-
schaft öffnen . Auch Sie wollen doch, dass Schulen mit
Vereinen und Verbänden Angebote zum Beispiel für eine
Nachmittagsbetreuung machen . Natürlich dürfen sie
nicht in den Unterricht . Natürlich dürfen die Program-
me nicht Unterricht ersetzen . Aber außerunterrichtliche
Angebote sind ebenfalls freiwillig, nicht nur außerschuli-
sche . Sie sollten darüber vielleicht noch einmal nachden-
ken und Ihre Scheuklappen abnehmen .


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg . Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Kritisch betrachten wir auch den allzu häufigen Ver-
weis auf das Ehrenamt in Ihrem Antrag . So wichtig eh-
renamtliches Engagement für das Gelingen dieses Pro-
grammes ist: Es darf nicht dazu führen, dass man sich nur
auf das Ehrenamt verlässt und nur das Ehrenamt entlastet .
Auch die Vereine und die Programmpartner haben sehr
deutlich gesagt, dass sie mit dem Maß an Verwaltungs-
arbeit, an Begleitung und Orientierung, die sie vor allen
Dingen gegenüber den kleinen Trägern vor Ort erbringen
müssen, zeitweise und teilweise überlastet sind . Manche
haben sogar überlegt, ob sie das Ganze aufgeben . Das
sollten wir versuchen zu verhindern .

Über den Vorschlag, nun auch die Teilnahme zertifi-
zieren zu lassen, müssen wir uns noch einmal unterhal-
ten . Das kann gut sein; das kann aber auch zu mehr Bü-
rokratie führen . Aber vor allem muss auch das bezahlt
werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, es gibt
erfreulicherweise viele Übereinstimmungen zwischen
unserem Antrag und Ihrem . Die Unterschiede bestehen
nicht im Grundsatz . Darum ist es für mich, ehrlich ge-

sagt, ein Ausdruck politischer Kleingeisterei, dass Sie
gestern unseren Antrag im Ausschuss abgelehnt haben
und das wahrscheinlich heute hier wieder tun werden .
Ich verspreche Ihnen: Wir werden nicht so kleingeistig
handeln .


(Beifall bei der LINKEN)


Allerdings fragen wir uns schon, warum Sie gera-
de jetzt diesen Antrag stellen und die Bundesregierung
auffordern, die Laufzeit des Programms zu verlängern .
Trauen Sie Ihrer Regierung nicht? Befürchten Sie, dass
die zahlreichen Anregungen und Verbesserungen von ihr
nicht berücksichtigt werden, oder befürchten Sie sogar
ein abgespecktes Programm? Das würde sicherlich be-
gründen, warum Sie mit Ihrem Antrag hier heute Pflöcke
einschlagen wollen . Wenn das nötig ist, wollen wir Sie
gerne unterstützen und stimmen diesem Antrag zu .


(Beifall bei der LINKEN und der CDU/ CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Das ist eine gute Entscheidung!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819624500

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Martin

Rabanus für die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Martin Rabanus (SPD):
Rede ID: ID1819624600

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Werte Damen und Herren auf den Besu-
chertribünen! Es ist zwar schon dunkel draußen, aber es
scheint ja tatsächlich noch eine Sternstunde zu werden,
wenn wir auch die Zustimmung der Linken zu unseren
Antrag sicher haben. Das finde ich ausgesprochen erfreu-
lich .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wunder geschehen! – Michaela Noll [CDU/CSU]: Das ist aber ein dickes Kompliment!)


Ich finde es auch ausgesprochen erfreulich, dass wir einen
so breiten Konsens hier im Haus haben. Erfreulich finde
ich aber auch, dass die kulturelle Bildung in der öffentli-
chen Wahrnehmung eine so breite Unterstützung hat, wie
wir das, glaube ich, in früheren Jahren nicht hatten . Da
hat sich einiges bewegt, wahrscheinlich auch durch das
Programm „Kultur macht stark“, durch die Laufzeit, aber
auch schon vorher durch viele Weichenstellungen und
pädagogische Diskussionen und durch das, was die Län-
der gemacht haben . Die haben 2013 ihre Empfehlungen
für die kulturelle Bildung in der KMK auf den neuesten
Stand gebracht und dem eine stärkere Bedeutung beige-
messen, als das vorher der Fall gewesen ist .

Denn klar ist ja: Kulturelle Bildung ist ein wichtiger
Beitrag zur Persönlichkeitsbildung – das ist genannt wor-
den –, aber auch ein wichtiger Beitrag zur Orientierung
in der Gesellschaft, gerade vielleicht auch in den heu-
tigen gesellschaftspolitischen Zeiten, denen wir uns ge-
genübersehen, in einer Gesellschaft, die ausdifferenziert

Dr. Rosemarie Hein






(A) (C)



(B) (D)


ist in unterschiedlichste Milieus, in unterschiedliche kul-
turelle, religiöse Hintergründe . Das meine ich tatsächlich
jetzt nicht nur vor dem Hintergrund einer Migrationsbe-
wegung, die wir nicht nur in den letzten Monaten, son-
dern auch in den letzten zwei Jahren erlebt haben .

Es ist schon darauf eingegangen worden: Das Programm
hat sich auch darauf ein Stück weit eingestellt und für
junge Geflüchtete geöffnet. Das ist gut und richtig so.

Wichtig ist es aber auch vor dem Hintergrund sozi-
oökonomischer Unterschiede in der Gesellschaft . Über
dieses größte Programm, das wir in dieser Art je hatten,
ermöglichen wir vielen den Zugang zu kulturellen Ange-
boten – und das im Rahmen eines breiten und weit ge-
fächerten Kulturbegriffs; Frau Kollegin Lücking-Michel
hat darauf schon Bezug genommen . Interkulturelle, in-
terreligiöse Bildung, Theater, Tanz, Visuelles, bildende
Kunst, Film, Musik, Literatur, Architektur, all das sind
Aspekte, die dieses Programm beinhaltet, und das ist
auch gut so . Dabei überhebt sich das Programm aber
auch nicht, weil es fokussiert ist . Auch das ist gesagt wor-
den . Es ist fokussiert auf die benachteiligten Kinder und
Jugendlichen, ohne andere auszuschließen . Auch das ist
eine Stärke dieses Programms .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will gar nicht verhehlen, dass Anfang 2012, als
die Bundesregierung damals mit dem Programm um die
Ecke kam,


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Um die Ecke?)


auch an der einen oder anderen Stelle Skepsis bestand:
wegen der Zeit, wegen des Programmdesigns, aber nicht,
weil man gegen kulturelle Bildung war; jedenfalls würde
ich das für meine Fraktion so reklamieren .

Wir jedenfalls haben uns sehr intensiv mit der Frage
des Programmdesigns und mit diesem Programm ausei-
nandergesetzt . Der Antrag, den wir vorgelegt haben, ist
natürlich nicht vom Himmel gefallen, sondern wir haben
schon im letzten Jahr auch die Verbände und die beteilig-
ten Programmpartner sehr intensiv in die Gespräche ein-
bezogen . Wir haben uns Anfang des Jahres in der Koali-
tion intensiver damit auseinandergesetzt . Dann kam auch
das Signal der Bundesregierung . Also, es gibt an dieser
Stelle noch nicht einmal zwischen dem sozialdemokrati-
schen Teil und dem christdemokratisch geführten BMBF
irgendwelche Misstrauensgründe,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr . Thomas Feist [CDU/CSU]: Eine Harmonie am Abend!)


sondern größte Harmonie an der Stelle . Über die Aus-
schussbefassung im Mai sind wir jetzt zu der Beratung
im Plenum gekommen . Das ist auch gut so .

Ich will kurz zusammenfassen, was dieses Programm
erreicht hat: 12 700 lokale Bündnisse mit 430 000 Teil-
nehmerinnen und Teilnehmern . Das ist eine Größenord-
nung, die wir so noch nicht hatten . Das hat im Bereich
der kulturellen Bildung zu einer Kooperation, einer Dy-
namik und einer Strukturbildung vor Ort geführt, die wir
so auch noch nicht hatten . Das ist einer der wesentlichen

Gründe, warum wir sagen: Wir wollen dieses Programm
über 2017 hinaus fortsetzen .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich sage auch „fortsetzen“ und nicht „ein neues Pro-
gramm machen“; denn es haben sich verschiedene Struk-
turelemente bewährt . Das ist genannt worden; das alles
muss ich nicht wiederholen . Aber das Gute wollen wir
natürlich noch ein bisschen besser machen . Sicherlich
gilt das für die Budgets . Wir stellen uns 50 Millionen
Euro plus X im Jahr vor . Ich glaube, das ist auch frakti-
onsübergreifend der Fall . So muss es weitergehen .

Wir wollen auch den Administrationsaufwand redu-
zieren . Das ist gesagt worden . In diesem Zusammenhang
wollen wir die Frage der Verwaltungspauschale auf-
greifen . Das ist auch einer der Gründe, warum wir dem
Antrag der Linken nicht zustimmen werden . Er legt sich
fest, ohne evaluiert zu haben, was bedarfsorientiert wäre,
um das an diesem einen Beispiel festzumachen .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das waren die Wünsche der Verbände!)


Ich konstatiere, dass in anderen Zeiten der Antragsent-
wurf der Linken möglicherweise auch eine Basis gewe-
sen wäre, auf den man sich hätte konsentieren können .


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das geht aber nicht!)


Aber da die Zeiten im Deutschen Bundestag nicht anders
sind und wir in einer erfolgreichen Koalition arbeiten –
jenseits der Frage, was in anderen Räumen des Bundes-
tagskomplexes passiert –, ist die Sachlage so, dass wir
diesen hervorragenden Antrag der Koalition natürlich
heute abstimmen und ihm zustimmen werden . Dem An-
trag der Linken, der eine Basis wäre, aber auch der Ver-
besserung bedürfte, können wir so nicht zustimmen .

Zurück zu dem, was wir noch besser machen wollen .
Wir wollen den administrativen Aufwand reduzieren .
Wir wollen den Aspekt der Inklusion noch einmal ver-
stärken . Das ist uns als Koalition sehr wichtig . Dass man
die erworbenen Kompetenzen bei den Teilnehmerinnen
und Teilnehmern anders dokumentiert, anders sichert –
Stichwort „Bildungspässe“, Stichwort „Bildungsnach-
weise“ –, ist nur sinnvoll und nur vernünftig .

Zusammenfassend, liebe Kolleginnen und Kollegen:
Das Programm „Kultur macht stark“ ist ein hervorragen-
des Programm, das sich bewährt hat und das wir noch
ein bisschen besser machen wollen . Es ist zwar schon
ein wenig dunkel draußen; dennoch können wir heu-
te Abend eine Sternstunde für die kulturelle Bildung in
Deutschland, für benachteiligte Kinder und Jugendliche,
für Inklusion und für Chancengleichheit in unserem Land
erleben .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819624700

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Özcan Mutlu

für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort .

Martin Rabanus






(A) (C)



(B) (D)



Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819624800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr ge-

ehrte Gäste! Gerade hat mir eine Kollegin gesimst: Rock
it! – Ich glaube, heute rocken wir es zusammen . Denn
das Bundesprogramm „Kultur macht stark“ hat sich trotz
anfänglicher Schwierigkeiten bewährt und ist gut ange-
nommen worden . Das ist insbesondere auf das Engage-
ment der vielen Bündnispartner zurückzuführen, denen
ich hier heute ausdrücklich danken möchte .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Die vielen Helferinnen und Helfer haben es möglich
gemacht, dass kulturelle Bildung bei den Kindern und
Jugendlichen ankommt und von ihnen auch angenom-
men wird . Deshalb ist es besonders wichtig, die Ehren-
amtlichen nicht mit unnötigem Verwaltungsaufwand zu
belasten oder zu behindern . Daher muss es zum Beispiel
auch darum gehen, den Ausbau der Servicestellen zügig
voranzutreiben .

Beim Fachgespräch im Bildungsausschuss wurde
auch deutlich, dass sich Expertinnen und Experten mehr
kulturelle Bildung in den Schulen wünschen; Kollegin
Hein hat es gesagt . Hier ist anzumerken, dass der Bund
die Vermittlung von kultureller Bildung für Kinder und
Jugendliche in Risikolagen zurzeit leider nicht in direkter
Kooperation mit den Ländern und Kommunen umsetzen
kann, und das ist ein Problem .


(Beifall des Abg . Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Nichtsdestotrotz begrüßen wir, dass die Koalitions-
fraktionen das Programm fortführen und mithilfe der
Expertise der Bündnispartner auch verbessern wollen .
Lobenswert ist, dass das Programm jetzt auch für Ge-
flüchtete bis 26 Jahre geöffnet wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Noch besser wäre es aber, wenn die Anhebung der Al-
tersgrenze für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer gel-
ten würde .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Zugang zu kultureller Bildung hat gerade in der Le-
bensphase ab 18 Jahre eine nachhaltige und persönlich-
keitsstiftende Wirkung . Deshalb ist die Begrenzung an
dieser Stelle falsch .

Wichtig ist auch, dass der inklusive Ansatz verstärkt
wird .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Martin Rabanus [SPD])


Das war längst überfällig . Nur so können mehr Jugendli-
che mit Behinderung, die beim Programm bisher sehr un-
genügend berücksichtigt worden sind, integriert werden .

Dass aber Schulen in der zweiten Förderphase von
„Kultur macht stark“ nun wieder nicht teilnehmen dür-
fen, ist meines Erachtens falsch und kurzsichtig . Gerade

in den ländlichen Gegenden sind Schulen die zentralen
Orte . Hier wird das Programm jedoch seltener umgesetzt,
da die kulturelle Infrastruktur weniger ausgeprägt ist .
Deshalb ist es umso wichtiger, dass man weiterhin nach
Wegen und Möglichkeiten der Kooperation mit Schulen,
mit Ganztagsschulen sucht . Genau hier erreicht man be-
sonders die Familien, die weniger in das alltägliche Ge-
sellschaftsleben involviert sind; denn die Schule als Insti-
tution für alle ist auch der Ort für und von Begegnungen .

Auf unserer Bildungstagung Anfang der Woche auf
dem Rütli-Campus – die Rütli-Schule ist Ihnen sicher-
lich noch ein Begriff – haben zahlreiche Expertinnen
und Experten bestätigt, dass Ganztagsschulen als Stadt-
teilzentren und Begegnungsstätten wirken und so alle
Kinder und Jugendlichen erreicht werden können . Alle
Kinder abzuholen, ist das Gebot der Stunde, damit mehr
Bildungsgerechtigkeit Wirklichkeit werden kann . Des-
halb sagen wir an dieser Stelle: Vielleicht sollten Sie sich
überlegen, ob man nicht ein neues Ganztagsschulpro-
gramm braucht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Kinder, Ehrenamtliche, Eltern und Bündnispartner wür-
den profitieren, wenn die Angebote im Raum Schule
stattfinden könnten. Da ist die Ganztagsschule tatsäch-
lich ein richtiger Ort . Leider verweigert sich die Koali-
tion einer solchen sinnvollen Öffnung weiterhin, und ich
sage: Sie tut es weiterhin wider besseres Wissen .

Gute Bildung als Grundlage für ein selbstbestimm-
tes Leben ist, wie Sie selbst in Ihrem Antrag sagen, eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe . Wir Grüne verstehen
darunter das Mitwirken und Kooperieren aller Akteu-
re . Es bedeutet für uns konkret, dass Bund, Länder und
Kommunen noch stärker kooperieren, sich gemeinsam
um gute Bildung kümmern und gemeinsam Investitionen
in gute Bildung vornehmen können . Denn dann wäre es
gar nicht nötig, irgendwelche zeitlich begrenzten Leucht-
turmprojekte ins Leben zu rufen .

Es gibt also viele Fragen, aber wir sind dennoch auf
einem guten Weg . Deshalb werden wir Ihrem Antrag, wie
ich anfangs schon angedeutet habe, zustimmen . Es geht
darum, mehr Bildungschancen für benachteiligte Kinder
und Jugendliche zu schaffen . Aber, liebe Koalition, ich
sage auch: Das geht noch ein bisschen besser; da geht ein
bisschen mehr . Sie müssen es nur wollen . Wenn Sie es
tun, haben Sie uns an Ihrer Seite .

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819624900

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat der Parlamen-

tarische Staatssekretär Stefan Müller für die Bundesre-
gierung das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


S
Stefan Müller (CSU):
Rede ID: ID1819625000


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Nicht immer besteht in unseren Debatten so viel Einig-






(A) (C)



(B) (D)


keit wie heute, aber diese Einigkeit gibt es zu Recht; denn
hier handelt es sich um ein erfolgreiches Programm . Es
ist angesprochen worden: Das Programm „Kultur macht
stark . Bündnisse für Bildung“ des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung ist das größte Förderpro-
gramm für Maßnahmen der kulturellen Bildung, das es
je in Deutschland gegeben hat .

Manchmal sagen Zahlen mehr als Worte: Insgesamt
werden bis zu 230 Millionen Euro bis zum Ende des Jah-
res 2017 zur Verfügung gestellt, etwa 450 000 Kinder
und Jugendliche haben an fast 14 000 Maßnahmen im
Rahmen dieses Programms teilgenommen, die von 5 500
Bündnissen für Bildung umgesetzt werden. Ich finde,
diese Zahlen sind für sich genommen schon beeindru-
ckend, liebe Kolleginnen und Kollegen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber noch beeindruckender, finde ich, ist es, zu sehen,
mit welchem Einsatz, mit welchem Engagement und mit
welcher Freude die Kinder und Jugendlichen ein Musik-
stück oder ein Theaterstück einstudieren und dann am
Tag der Aufführung stolz präsentieren . Sie erleben, dass
sich Anstrengung und Konzentration auf ein Ziel hin loh-
nen . Sie lernen dabei, dass man im Team weiter kommt
als ein Einzelkämpfer . Es werden Talente und Freude am
eigenen Handeln geweckt, es wird Anerkennung durch
andere vermittelt . Diese Fähigkeiten und Kompetenzen
sind für alle Kinder und Jugendlichen wichtig – das ist
ohne Zweifel so –, aber sie sind besonders wichtig für
diejenigen, die in ihrem Elternhaus nur wenig Förderung
erhalten und deren Start im Leben ohnehin schon schwer
genug ist . Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen, war
es eine richtige Entscheidung, ein solches Programm aufs
Gleis zu setzen, die kulturelle Bildung in den Mittelpunkt
eines Förderprogramms zu stellen; denn die aktive Be-
schäftigung mit Kultur stärkt die Persönlichkeitsbildung
ebenso wie das Selbstvertrauen junger Menschen in ihre
Fähigkeiten .

Wir haben eine Evaluation durchgeführt, die beglei-
tend zu den Maßnahmen stattgefunden hat . Es hat sich
gezeigt – das war das Ergebnis dieser Evaluation –,
dass in über 90 Prozent der Maßnahmen Kinder und
Jugendliche teilnehmen, die in finanziell oder in sozial
schwierigen Verhältnissen aufwachsen oder deren Eltern
der Bildung möglicherweise keine hohe Bedeutung bei-
messen . Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auch
klar – das Ergebnis dieser Evaluation belegt dies –, dass
die Bundesregierung, dass der Bund mit dem Programm
„Kultur macht stark“ einen wichtigen Beitrag für mehr
Bildungsgerechtigkeit in Deutschland leistet .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber ohne Zweifel ist es so, dass Bildungsgerechtig-
keit nur dann gelingt, wenn alle gesellschaftlichen Kräfte
mitwirken . Insofern ist auch von mir noch einmal deut-
lich hervorzuheben – mir ist das wichtig –, dass „Kul-
tur macht stark“ sich auf ein breites bürgerschaftliches
und ehrenamtliches Engagement stützt . Rund 90 Prozent
der in den Bündnissen Tätigen sind ehrenamtlich aktiv .
Deswegen möchte auch ich mich heute bei allen Mitwir-

kenden in den Vereinen, in den Verbänden und in den
Organisationen herzlich bedanken, die dazu beigetragen
haben, dass dieses Programm so erfolgreich sein konnte
und dass wir vor allem so viele Kinder und Jugendliche
mit einer Vielzahl von erfolgreichen Projekten und Maß-
nahmen haben erreichen können .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Nun war es in der Tat so, dass zu Beginn – das ist
heute auch schon deutlich geworden – nicht alle von
diesem Förderprogramm vollständig überzeugt waren .
Ich bedanke mich ausdrücklich dafür, dass diese anfäng-
liche Skepsis – das zeigt diese Debatte – einer breiten
Zustimmung gewichen ist . Diese Zustimmung, liebe
Kolleginnen und Kollegen, und die guten Ergebnisse der
Evaluation haben uns darin bestärkt, das Programm in
einer zweiten Förderphase von 2018 bis 2022 entspre-
chend fortzusetzen . Das heißt, auch in Zukunft sollen
bildungsbenachteiligte Kinder und Jugendliche von 3 bis
18 Jahren durch Maßnahmen der kulturellen Bildung und
in lokalen Bündnissen für Bildung mit mindestens drei
Akteuren gefördert werden .

Wir wollen an den Strukturen festhalten; denn diese
Strukturen haben sich in der Tat bewährt . Die regionalen
Bündnisse für Bildung sollen beibehalten werden, weil
hier die geschaffenen Strukturen offensichtlich erfolg-
reich waren .

Ich will eines deutlich sagen: Selbstverständlich hat
das Ministerium, hat die Bundesregierung die Hinweise,
die es gegeben hat, ernst genommen, als es darum ge-
gangen ist, über eine Verwaltungsvereinfachung nachzu-
denken, zu überlegen: Was kann an diesem Programm
noch besser gemacht werden? Wichtig ist, dass wir auch
in Zukunft den verstärkten Austausch mit den Ländern
und den Kommunen aufrechterhalten, um einen besseren
Informationsfluss zu gewährleisten und die Vernetzung
mit den lokalen Strukturen erreichen zu können .

Die Kritik am Verwaltungsaufwand haben wir ernst
genommen . Wir werden darauf entsprechend reagieren .
Wir wollen, dass das Programm gerade für ehrenamt-
lich Aktive attraktiver wird . Wir haben übrigens auch im
Rahmen des laufenden Programmes eine ganze Reihe
von Vereinfachungen durchgesetzt . Wir werden aber sehr
sicher auch bei der neuen Förderrichtlinie, die nun vorbe-
reitet wird, diesen Hinweisen folgen . Ich kann Ihnen ver-
sichern: Wir werden auch im Rahmen des Zuwendungs-
rechts alles Mögliche tun, um den Verwaltungsaufwand
so gering wie möglich zu halten .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, kultureller Bildung
kommt auch bei der Integration von Flüchtlingen eine
besondere Bedeutung zu; das hat in der Debatte bereits
eine Rolle gespielt . Selbstverständlich kann Integration
nur dann gelingen, wenn Flüchtlinge die deutsche Spra-
che erlernen . Das allein ist aber nicht alles . Wenn man
an unserem kulturellen Leben teilhaben möchte, dann
gehört dazu, dass man Kenntnisse über die rechtlichen
und kulturellen Regeln besitzt . Übrigens waren schon in

Parl. Staatssekretär Stefan Müller






(A) (C)



(B) (D)


dem bestehenden Programm eine ganze Reihe von Maß-
nahmen auf junge Flüchtlinge, auf geflüchtete Kinder
und Jugendliche ausgerichtet . Bei einer Auswertung der
Maßnahmen, die wir vorgenommen haben, hat sich he-
rausgestellt, dass seit Beginn des Programms fast 20 000
geflüchtete Kinder und Jugendliche daran teilgenommen
haben . Wir haben demzufolge dieses Programm „Kultur
macht stark“ ergänzt um eine Förderung für Flüchtlinge
im jungen Erwachsenenalter, also gerade für die Grup-
pe von jungen Leuten, die nicht mehr der Schulpflicht
unterliegen, aber noch eine längere Zeit, beispielsweise
bis zum Übergang in eine Ausbildung oder eine Tätig-
keit, überbrücken müssen . Ich bin mir sicher, dass die-
se Öffnung für junge Erwachsene dazu beitragen wird,
dass auch diese jungen Menschen die Möglichkeit haben,
nicht nur die deutsche Sprache zu lernen, sondern gleich-
zeitig auch die Kultur in Deutschland kennenzulernen .
Deswegen – das ist angesprochen worden – werden wir
die Altersgrenze erhöhen, und wir werden dafür insge-
samt 5 Millionen Euro pro Jahr bereitstellen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir können heute
mit Recht sagen: Wir haben mit „Kultur macht stark“
ein gutes, ein wichtiges, ein sinnvolles Programm aufge-
legt, das die Erwartungen und die Hoffnungen in vollem
Umfang erfüllt hat . Ich bedanke mich bei Ihnen für die
große Zustimmung, die dieses Programm auch hier im
Deutschen Bundestag hat . Wir werden dieses Programm
deshalb auch fortsetzen .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819625100

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Karamba

Diaby für die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Karamba Diaby (SPD):
Rede ID: ID1819625200

Verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Kultur macht
stark“ ist ein Programm, das den Zusammenhalt in unse-
rer Gesellschaft stärkt . Ein Wohngebiet in meinem Wahl-
kreis wurde in den letzten Monaten häufig in der Presse
als sogenannter sozialer Brennpunkt bezeichnet . Es steht
außer Frage, dass in diesem Gebiet einiges verbessert
werden muss . Neben den vielen Bemühungen der Kom-
munen sind Programme des Bundes wie „Kultur macht
stark“ in solchen Fällen eine Chance, um Lösungen her-
beizuführen .


(Beifall des Abg . Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Diese Lösungen haben viele Vorteile . Ich nenne eini-
ge: Sie erreichen Kinder und Jugendliche, die sonst nicht
so viele Möglichkeiten haben;


(Dr . Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sehr gut!)


sie stärken die persönliche Entwicklung; sie fördern das
soziale Miteinander; sie fördern die Integration geflüch-
teter Kinder und Jugendlicher .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Projekte bauen Brücken zwischen Menschen un-
terschiedlicher kultureller Prägung, und das ist gut .


(Beifall bei der SPD sowie des Abg . Dr . Stefan Kaufmann [CDU/CSU])


Ich nenne zwei Beispiele aus meinem Wahlkreis – es
sind Projekte, die über das Programm „Kultur macht
stark“ unterstützt werden –:

Als erstes Beispiel nenne ich die Kulturwerkstatt in
Halle-Neustadt . Der Verein Aktionstheater Halle enga-
giert sich seit Jahren gemeinsam mit vielen Partnern für
die kulturelle Jugendarbeit . Sie bieten innovative Projek-
te im Stadtteil an, zum Beispiel Theater, Hip-Hop-Tanz,
Filmprojekte, Rap-und-Beat-Projekte . Das ist ein gutes
Projekt .

Zweites Beispiel: der Leseklub des Deutschen Kinder-
schutzbundes . Gemeinsam mit der Freiwilligen-Agentur
und dem Zentrum für Lehrerbildung wird die Freude
am Lesen gefördert . Die Aktionen stärken die Lese- und
Sprachkompetenz . Sie fördern die Kommunikation zwi-
schen den Kindern, egal ob sie Alexander, Wahidi oder
Aischa heißen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg . Michaela Noll [CDU/CSU] – Zuruf von der CDU/CSU: Oder Karamba!)


Die Inhalte dieser Projekte sind interkulturell angelegt .
Sie bauen Brücken, und die Kinder und Jugendlichen
können voneinander lernen .

Allein diese zwei Beispiele aus der Händel-Stadt
Halle zeigen, dass solche Projekte notwendig sind und
gebraucht werden . Deshalb wollen wir das Programm
verstetigen .


(Beifall bei der SPD)


Damit sorgen wir für Planungssicherheit für die Beteilig-
ten . Wir fördern das Ehrenamt nachhaltig . Wir erreichen
mit den Projekten benachteiligte Kinder, und schließlich
fördern wir die Integration geflüchteter Kinder.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, stimmen Sie für den
Antrag von CDU/CSU und SPD; denn mit der Förderung
des Programms sorgen wir für Nachhaltigkeit, sichern die
Teilhabe und stärken den Zusammenhalt in Deutschland .

Ich danke .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg . Ralph Lenkert [DIE LINKE] und Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Parl. Staatssekretär Stefan Müller






(A) (C)



(B) (D)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819625300

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Dr . Thomas

Feist für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie können ja erstmal sagen, Sie sind dagegen!)



Dr. Thomas Feist (CDU):
Rede ID: ID1819625400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen

und Kollegen! Frau Hein, natürlich komme ich gleich zu
Ihnen . Der Antrag, den Sie heute vorgelegt haben,


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sehr guter Antrag!)


ist wesentlich besser als die Anträge, die sonst von Ihnen
kommen . Das ist schon mal eine tolle Sache .


(Dr . Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Wie kommen wir denn jetzt dazu? Da müssen wir mal in uns gehen!)


Allerdings ist in diesem Antrag auch einiges enthalten,
das völlig unnötig ist .


(Özcan Mutlu [BÜNDNS 90/DIE GRÜNEN]: Mach es doch nicht kaputt!)


Zum Beispiel fordern Sie, dass die Kommunen mit in die
Programme einsteigen können . Das ist schon jetzt mög-
lich . Beispielsweise beteiligen sich Musik- und Volks-
hochschulen an diesem Programm, und das sind städti-
sche Einrichtungen .

Ich gehe einmal ein kleines Stück zurück . Als wir in
der letzten Legislaturperiode – gemeinsam mit dem Kol-
legen Marcus Weinberg – gesagt haben, dass wir in die-
sem Bereich etwas tun müssen, war es ja nicht so, dass
der Bund noch nie etwas für kulturelle Bildung getan hat .
Er tut dies auch weiterhin, zum Beispiel im Kinder- und
Jugendplan des Bundes; dort ist kulturelle Bildung aber
Mittel zum Zweck . Die Einsicht, dass kulturelle Bildung
auch Bildung ist, musste man erst einmal im Bildungs-
ausschuss herstellen . Ich bin sehr froh, dass das Bundes-
ministerium für Bildung und Forschung von Anfang an
eine große Offenheit gezeigt hat, dieses Programm zu
unterstützen . Natürlich gab es auch viel Kritik daran und
die Frage, was Theaterspiel und Musik mit Bildung zu
tun haben . Nicht alle Kolleginnen und Kollegen waren
überzeugt, dass dies eine gute Sache ist .


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor allem bei euch! – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Können Sie mal Namen nennen?)


Sie waren damals schon deshalb dagegen, weil wir – da-
mals übrigens mit der FDP – diesen Antrag eingebracht
haben . Wenn man sich die Protokolle einmal anschaut,
sieht man, dass es inhaltlich überhaupt keine Gründe da-
für gab . Aber dass es Skepsis gab, will ich schon ein-
mal erwähnen . Umso schöner ist es, dass Sie nach einem
Lernprozess gesagt haben: Das ist ein gutes Programm;
daran sollten wir festhalten .

Das Besondere an diesem Programm ist, dass wir
Stärken stärken . Das ist etwas, was in einer Bildungs-

biografie in der Schule normalerweise nicht unbedingt
vorkommt . Dort lernen die jungen Leute nämlich vor
allem, was sie nicht können . Deshalb ist die kulturelle
Bildung als Ergänzung im außerschulischen Bereich be-
sonders wertvoll . Wenn wir mit der kulturellen Bildung
flächendeckend junge Menschen erreichen, dann ist das
eine tolle Sache. Ich finde es super, dass wir mit diesem
Antrag das Ministerium ermutigt haben, das Programm
fortzuführen .

Zum Verwaltungsaufwand gibt es sicher einiges zu
sagen . Frau Hein, Sie haben gesagt, der Verwaltungsauf-
wand sei so hoch . Ich habe, bevor ich in den Deutschen
Bundestag gekommen bin, 15 Jahre lang kulturelle Ju-
gendbildung gemacht . Natürlich ist das aufwendig, aber
es lohnt sich . In solch einem Antrag muss man beispiels-
weise genau schreiben, was man erreichen will . Man
muss seine pädagogischen Ziele formulieren . Das sollte
in einer Qualität sein, die auch denjenigen, die kultureller
Bildung etwas skeptischer gegenüberstehen, zeigt, dass
wir es mit dieser Sache ernst meinen .

Das Besondere an „Kultur macht stark“ war von An-
fang an, dass die Leute sich nicht jährlich um die Mittel
bewerben mussten . Beim Kinder- und Jugendplan des
Bundes muss man die Mittel von Jahr zu Jahr neu be-
antragen . Bei „Kultur macht stark“ ist das eben nicht so .
Die Zahlen sind genannt worden: Durch die Bündnisse
haben wir knapp eine halbe Million junger Menschen er-
reicht . Ich denke, das spricht für dieses Programm . Es
spricht auch dafür, dass wir uns weiter darum kümmern
sollten .

Im Übrigen haben wir mit „Kultur macht stark“ auch
anderen Ländern ein gutes Beispiel gegeben . Wir behan-
deln dieses Thema beispielsweise im Kulturausschuss
des Europarates und sind uns auch dort oft fraktions-
übergreifend einig . Denn bei kultureller Bildung geht es
nicht nur um Bildungserfolge – natürlich geht es auch
darum, vor allen Dingen um Bildungserfolge für diejeni-
gen, die in der Schule nicht so sehr mit Bildungserfolgen
verwöhnt worden sind –, sondern auch um eine aktive
Teilhabe in der Gesellschaft, um Engagement und Parti-
zipation, ja letzten Endes um das, was wir den Humus für
Demokratie nennen; das geschieht genau dort .


(Beifall des Abg . Dr . Stefan Kaufmann [CDU/CSU])


– Lieber Stefan Kaufmann, ich finde es gut, dass du als
Berichterstatter für den Bereich EU das besonders unter-
stützt .

Es ist deshalb gut, wenn wir heute fraktionsübergrei-
fend ein starkes Signal senden . Das gelingt nicht immer;
aber die Kinder und Jugendlichen, die mit kultureller
Bildung nicht nur selbst bereichert werden, sondern auch
unsere Gesellschaft bereichern, sind es allemal wert .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819625500

Vielen Dank . – Damit schließe ich die Debatte, liebe

Kolleginnen und Kollegen .






(A) (C)



(B) (D)


Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksa-
che 18/10016 mit dem Titel „Mehr Bildungschancen für
benachteiligte Kinder und Jugendliche schaffen – Bun-
desprogramm ‚Kultur macht stark . Bündnisse für Bil-
dung‘ nach 2017 weiterentwickeln und fortsetzen“ . Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist dieser Antrag einstimmig ange-
nommen .


(Beifall im ganzen Hause)


Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem
Titel „Bundesprogramm ‚Kultur macht stark . Bündnis-
se für Bildung‘ weiterentwickeln und seine Fortführung
jetzt vorbereiten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/10063, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/8181
abzulehnen . Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Da-
mit ist diese Beschlussempfehlung mit den Stimmen
der Koalition und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
gegen die Stimme der Fraktion Die Linke angenommen
worden .1)


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Bei den Grünen haben aber einige für uns gestimmt!)


– Genau . Einige Mitglieder waren auch gegen die Be-
schlussempfehlung .

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Keul, Dr . Franziska Brantner, Volker Beck

(Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht nicht
ungesühnt lassen

Drucksache 18/10031
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe (17 . Ausschuss) zu dem Antrag
der Abgeordneten Omid Nouripour, Dr . Franziska
Brantner, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Syrien – Luftbrücke einrichten, humanitäre
Not lindern

Drucksachen 18/9687, 18/9939

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

1) Anlage 2

Ich könnte die Aussprache eröffnen, warte aber erst
einmal, bis sich alle gesetzt haben . – Dann beginnen wir
die Aussprache . Als erster Redner in der Aussprache hat
Omid Nouripour von der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen das Wort .


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819625600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir be-

raten heute zwei Anträge der Grünen, die beide Syrien
betreffen . Alle Parteien in Syrien begehen Kriegsverbre-
chen . Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen
Assad und den anderen. Der Unterschied ist: Qua Amt
hat er die Schutzverantwortung für sein Land und sein
Volk . Diese missachtet er auf unglaublich zynische Art
und Weise . Assad ist der Mann, der mit Russlands Hilfe
Fass-, Brand- und bunkerbrechende Bomben auf Zivilis-
ten regnen lässt . Assad ist der Mann, der zugesagt hat,
seine Chemiewaffen zu zerstören, und sie danach noch
136-mal verwendet hat . Assad ist der Mann, der humani-
täre Hilfsleistungen blockiert .

Der erste Antrag, den wir vorgelegt haben, betrifft
das Thema Straffreiheit . Es ist offenkundig eine Lehre,
die man aus dem Irakkrieg ziehen muss: Straffreiheit
für solch katastrophale Verbrechen darf es nicht geben .
Straffreiheit führt dazu, dass es keine Aussöhnung geben
kann . Ohne Aussöhnung wird es keinen Frieden geben . –
Das ist das, was wir in diesem Antrag fordern . Kollege
Mützenich hat gestern gesagt, das sei auch im Sinne der
Sozialdemokratie . Ich hoffe, dass ich nachher auf Ihre
Zustimmung zu diesem Antrag zählen kann .


(Dr . Rolf Mützenich [SPD]: Zum Thema!)


Der zweite Antrag, den wir vorgelegt haben, betrifft ei-
nes der Kriegsverbrechen, die zurzeit in Syrien begangen
werden . Anfang 2014 hat der Schriftsteller Daniil Granin
von diesem Platz aus eine Rede gehalten, in der er uns
an die Gräuel der Nazis bei der Belagerung Leningrads
erinnert hat . Es geht nicht um historische Vergleiche . Es
geht nur darum, sich ein Thema zu vergegenwärtigen,
über das wir auch heute reden müssen: Hunger als Waffe .
Das ist ein massives, grausames Kriegsverbrechen . Diese
Waffe, das Aushungern, wird auch in Syrien – wiederum
von allen – eingesetzt . Aber auch hier gilt: Es gibt eine
Seite, die die Lufthoheit hat, nämlich die von Assad, und
es gibt einen Mann, der die Schutzverantwortung für sein
Volk hat, die er auch an dieser Stelle zynisch missach-
tet und sogar massiv verletzt: Assad . Wir alle kennen die
grausamen Bilder aus Aleppo . Aber es gibt auch Bilder
aus Homs, aus Daraja, aus al-Waer . In all diesen Städten
haben die Menschen nach sehr langer Zeit – im Falle von
Homs dauerte die Belagerung 1 671 Tage – aufgegeben .
Teilweise gab es in diesen Städten auch ethnische Säu-
berungen .

Die Vereinten Nationen sagen, dass sie Anfragen be-
züglich Hilfslieferungen an das syrische Regime stellen
und 75 Prozent dieser Anfragen komplett ignoriert wer-
den . In den 25 Prozent der Fälle, die bearbeitet werden,
kommen die Hilfsgüter zwar ins Land, aber 90 Prozent –
mittlerweile „nur noch“ 90 Prozent – dieser Hilfsgüter
bleiben in Assad-Regionen . Allein außerhalb von Aleppo
reden wir über mehr als 400 000 Menschen, die umzin-


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819625700







(A) (C)



(B) (D)


gelt sind und keine Möglichkeit haben, an Nahrung oder
medizinische Versorgung zu kommen . Das Zynische
daran ist: Es gibt ja Konvois, die bereitstehen und so-
fort nach Ost-Aleppo oder in viele andere Städte fahren
könnten . Sie werden aber einfach nicht hineingelassen .

Was können wir tun? Ja, wir müssen weiter nach
Aleppo schauen; das ist zweifelsfrei richtig . Aber es
gibt auch noch andere Orte in Syrien, die massiv blu-
ten . Es gibt 13 Millionen Menschen außerhalb Aleppos,
die reguläre humanitäre Hilfe brauchen . Es gibt 6 Mil-
lionen Menschen außerhalb Aleppos, die innerhalb des
Landes auf der Flucht sind . Es gibt 10 Millionen Men-
schen außerhalb Aleppos, die auf Nahrungslieferungen
angewiesen sind . Vor diesem Hintergrund hat der Herr
Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, völlig zu Recht
gesagt: Wir sollten „auch die Möglichkeit von Hilfe aus
der Luft prüfen“ . Wann hört die Prüfung auf? Er sagte
das am 13 . August dieses Jahres . Es ist nicht einfach, den
syrischen Menschen in Deutschland zu erklären, warum
unsere Flieger dort unterwegs sind und warum westliche
Flieger Bomben, aber keine Hilfspakete abwerfen kön-
nen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Vereinten Nationen haben die Weltgemeinschaft
mehrfach angefleht: Gebt uns Unterstützung, Mittel und
Rückendeckung! – Es ist nicht viel passiert . Dass Luft-
brücken technisch möglich sind, sieht man in Deir al-Sor
und in Kamischli . 2016 sind 247 Lieferungen aus der
Luft erfolgt .


(Tobias Zech [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)


Von den 13 Millionen Menschen, die Hilfe brauchen, ha-
ben 285 000 Menschen Hilfe bekommen .


(Tobias Zech [CDU/CSU]: Das ist falsch! Schlecht recherchiert!)


Das ist einfach nicht genug . Was jetzt helfen kann, ist
die Einrichtung einer umfassenden Luftbrücke, die wir
hiermit beantragen .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir kennen die Gegenargumente: Die Gebiete sind
verschieden . In den Gebieten, in denen eine Luftbrücke
funktioniert, ist die Lage anders . Was für Flugzeuge sol-
len denn dafür eingesetzt werden? Was soll das kosten?
Ist das genug? Wäre ein Bodentransport nicht besser?
Natürlich wäre ein Bodentransport besser . Wir kennen
alle diese Argumente; wir wissen das . Aber die Antwort
ist: Die funktionieren gerade nicht . – Und die Frage, was
die Russen machen werden, wird erst dann beantwortet,
wenn wir ihnen das Thema vor die Nase halten und sie
sich positionieren müssen . Ich will sehen, wie Herr Putin
auf die Anfrage der Kanzlerin reagiert, wenn es heißt:
Wir werden eine Luftbrücke einrichten . Warum bist du
eigentlich dagegen?

Im Sinne dessen, was Deutschland bereits im Rahmen
der International Syrian Support Group zugesagt hat und
was wir in unseren Antrag aufgenommen haben, möchte
ich um Zustimmung zu unserem Kernsatz bitten – ich
zitiere –: „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln die

Vereinten Nationen und das WFP unterstützen, eine Luft-
brücke für alle notleidenden Menschen in Syrien einzu-
richten“ .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819625800

Erika Steinbach hat als nächste Rednerin für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Erika Steinbach-Hermann (Plos):
Rede ID: ID1819625900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Grausame Bilder und Berichte erreichen uns fast tag-
täglich über die Bildschirme aus der umkämpften Stadt
Aleppo, aber auch aus anderen Regionen . Sie schockie-
ren jeden, der ein Herz im Leibe hat . Trotzdem fühlt man
sich hilflos; das muss man hinzufügen. Vor den Augen
der Welt wurde und wird wieder und wieder durch Bom-
bardierungen der Zivilbevölkerung das Völkerstrafrecht
mit Füßen getreten . An die 250 000 Menschen harren
jetzt im Ostteil der Stadt Aleppo unter widrigsten Le-
bensbedingungen in Trümmern aus . Wir sehen die Bil-
der: Es sind zerstörte Häuser .

Kurzzeitig gab es die Hoffnung, den bereits lange ein-
geschlossenen Menschen dringend benötigte humanitäre
Hilfe leisten zu können . In einer mühsam ausgehandelten
Waffenruhe Mitte September sollte ein Hilfskonvoi dort-
hin geführt werden, um den ausgehungerten und durs-
tenden Menschen, die von der Trinkwasserversorgung
abgeschnitten waren, Hilfe zu geben . Das wäre nur eine
notdürftige Versorgung gewesen . Aber der mutmaßlich
russisch-syrische Luftangriff auf diesen gut gekenn-
zeichneten Konvoi machte diese Hilfe zunichte . Das war
und ist ein kaum zu fassendes Verbrechen .

Wir sehen zunehmend in verschiedenen Regionen der
Welt, dass internationale Menschenrechts- und Völker-
rechtsstandards permanent gebrochen werden . Es gibt
Vereinbarungen, um die Zivilbevölkerung zu schützen;
aber immer wieder halten sich Regierungen und Interes-
sengruppen nicht daran . Wir sehen mit Entsetzen, dass
die Leidtragende immer und immer wieder allein die Zi-
vilbevölkerung ist, nahezu schutzlos ausgeliefert .

Wenn die vergangenen sechs Jahre des Sterbens in
Syrien eines gezeigt haben, dann das, dass dieser Krieg
nicht militärisch entschieden werden kann, solange er
unablässig von außen befeuert wird und solange Russ-
land dort seine Finger im Spiel hat und Waffen liefert
und mit Flugzeugen engagiert ist . Wir wissen, wie die
Gemengelage ist: Es ist ein fast unauflösbarer Knäuel an
Problemen . Die Leidtragenden sind die Syrer, die syri-
sche Zivilbevölkerung .

Das Assad-Regime ist willens, den Konflikt im Wind-
schatten der Schlacht um Mosul und im politischen Va-
kuum vor den US-Präsidentschaftswahlen militärisch
zu entscheiden . Wir müssen ja sehen: Die Vereinigten
Staaten sind durch den Wahlkampf in gewisser Weise ge-
lähmt, sodass militärische Optionen aus dieser Perspekti-
ve nicht in Betracht kommen .

Omid Nouripour






(A) (C)



(B) (D)


Die Einrichtung einer Luftbrücke hat der Außenminis-
ter ja schon einmal angesprochen . Ich kann mich noch
lebhaft daran erinnern, Herr Nouripour, welche süffisan-
ten Bemerkungen ihm aus Ihrer Fraktion entgegenge-
halten worden sind . Vor dem Hintergrund habe ich mich
über den Antrag der Grünen schon sehr gewundert .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt aber sehr kryptisch!)


Die Einrichtung einer Luftbrücke zur Versorgung der
eingeschlossenen syrischen Bevölkerung bleibt eine der
wenigen Möglichkeiten auch seitens der Bundesregie-
rung, um wenigstens die dringend benötigte humanitäre
Hilfe leisten zu können . Sie muss aber realisierbar und
kalkulierbar sein . Ich habe als Kind in Berlin gelebt, als
es während der Blockade eine Luftbrücke gab . Das ist
aber nicht vergleichbar; denn da schoss niemand auf die
Flugzeuge . Man darf die Realität nicht aus den Augen
verlieren .

Da die Bundesregierung schon seit geraumer Zeit sich
nicht nur intensiv Gedanken macht, sondern mit allen ihr
zur Verfügung stehenden Möglichkeiten tut, was mach-
bar ist – Deutschland braucht sich wirklich nicht zu ver-
stecken –, ist der Antrag der Grünen überflüssig.

Danke schön .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg . Dr . Ute Finckh-Krämer [SPD])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819626000

Vielen Dank . – Als nächster Redner hat Wolfgang

Gehrcke für die Fraktion Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819626100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich spreche erst einmal direkt die Kollegen der Grünen
an: Ich werde eurem Antrag zustimmen . Die Entschei-
dung ist mir nicht leichtgefallen, und nach der Rede des
Kollegen Nouripour fällt mir das eigentlich noch schwe-
rer . Ich werde aber zustimmen, weil wir eine Sache in
den Vordergrund stellen wollen: Es muss alles getan
werden, um das Morden und Töten zu stoppen und den
Menschen das Überleben zu ermöglichen . Das ist es, was
uns bewegt .


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man sich auf diese Position begibt, wird man der-
zeit vieles aus den Auseinandersetzungen herausnehmen
müssen .

Natürlich muss man über die Zukunft Syriens nach-
denken, wenn dieser verfluchte Krieg irgendwann einmal
zu Ende ist . Natürlich muss man mit den Menschen aus
Syrien über diese Zukunft nachdenken . Natürlich muss
man ein bisschen hinhören, über was sie selbst diskutie-
ren . Ich habe von vielen Syrern, die in Menschenrechts-
organisationen arbeiten, gehört, dass sie die Forderung,
sich jetzt an den Internationalen Strafgerichtshof zu wen-
den, als kontraproduktiv bewerten . Sie schlagen vor, eine

Wahrheitskommission einzurichten und Versöhnungs-
runden – wie immer man das nennen möchte – durch-
zuführen, ähnlich dem, was in Südafrika erfolgt ist . Ich
finde das vernünftig. Ich will nichts in die Debatte ein-
bringen, was den Prozess, das Überleben sicherzustellen,
gefährdet oder schwieriger macht .

Ich bin froh, dass Putin in Berlin zugesagt hat, die
Feuerpause zu verlängern . Man kann sagen, das sei viel
zu wenig etc .; aber es rettet Menschen das Leben, und ich
bin froh, dass das passiert ist .


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte, dass dieser Prozess weitergeführt und ver-
stärkt wird . Warum soll man denn eine Tür, wenn sie ei-
nen Spalt weit offen ist, wieder zuschmeißen und sagen:
„Putin, der Kriegsverbrecher“? Wenn eine Tür ein wenig
offen ist, dann muss man durchgehen und darf man nicht
erneut Sanktionen fordern, auch wenn das jetzt über die
EU-Ebene in Gang gesetzt werden soll .


(Beifall bei der LINKEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist ja sehr nativ, Herr Gehrcke!)


Wer das macht, nimmt es nicht ernst damit, den Men-
schen das Überleben zu sichern . Ich habe den Eindruck –
entschuldigen Sie, wenn ich das so zugespitzt sage –,
dass für einen Teil dieses Haus antirussische Propaganda
wichtiger ist als die Sicherung des Überlebens . Das ist
bei mir nicht der Fall .


(Beifall bei der LINKEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Unverschämtheit! – Erika Steinbach [CDU/CSU]: Unglaublich!)


– Ja, regen Sie sich ruhig auf . Das ist so .

Wir stimmen dem Antrag der Grünen, in dem es um
humanitäre Hilfe geht, zu . Man kann unsere Syrien-Poli-
tik insgesamt kritisieren – das ist mir relativ egal; ich fin-
de es auch in Ordnung, da wir uns ja darüber streiten –;
aber wir unternehmen den Versuch, mit Russland, aber
auch anderen zu der Einsicht zu kommen, dass Bomben
keinen Frieden bringen können .


(Michael Brand [CDU/CSU]: Wer wirft denn die Bomben?)


Ich habe Sie schon auf die Heuchelei aufmerksam
gemacht, dass Sie nicht in der Lage sind, die türkischen
Luftangriffe auf die Kurdinnen und Kurden hier öffent-
lich zu kritisieren,


(Beifall bei der LINKEN)


während Sie sich über das, was in Aleppo passiert, das
Maul zerreißen . Dieses Mit-zweierlei-Maß-Messen hilft
überhaupt nicht weiter . Entweder man hält eine Linie
durch – Bomben bringen keinen Frieden; das gilt aber
überall –, oder man sagt: Unsere Freunde und Verbünde-
ten dürfen bomben, andere aber nicht . – Es macht Sie in
der Öffentlichkeit sehr unglaubwürdig, dass Sie das nicht
reparieren können .


(Beifall bei der LINKEN – Michael Brand [CDU/CSU]: Herr Gehrcke, Ihnen ist Putin doch wichtiger als die Menschen in Syrien!)


Erika Steinbach






(A) (C)



(B) (D)


Ich bin häufiger in Syrien. In den Flüchtlingslagern
diskutiere ich mit Syrern darüber, ob sie in den Flücht-
lingslagern nicht Zeitungen herausgeben wollen . Es
gibt viele linke Syrer, die über die Zukunft ihres Landes
nachdenken . Das möchte ich gerne mit ihnen machen .
Ich fände es auch nicht schlecht, wenn wir uns in dieser
Art und Weise – Stichwort „Refugees Welcome“ – auch
darum bemühen würden, sie in die politischen Prozesse
einzubinden und nicht auszugrenzen .


(Michael Brand [CDU/CSU]: Wir sorgen dafür, dass die Leute nicht flüchten müssen!)


Das ist die Linie unserer Fraktion, und darauf bin ich
auch ein Stück weit stolz .

Danke .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819626200

Als nächste Rednerin hat Dr . Ute Finckh-Krämer für

die SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):
Rede ID: ID1819626300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer auf den Tribünen! Ich
glaube, wir sollten festhalten, an welchen Punkten wir
uns wirklich einig sind . Wir sind uns einig, dass in Syrien
Völkerrechtsverbrechen geschehen . Wir sind uns einig,
dass, wenn ein Waffenstillstands- und Friedensprozess in
Syrien beginnt, der Zeitpunkt gekommen ist, darüber zu
reden, wie man mit diesen Kriegsverbrechen nach dem
Völkerstrafrecht oder nach einem in Syrien entwickelten
Modell umgehen muss . Wir sind uns einig, dass es im
Augenblick sinnvoll ist, zu dokumentieren, was wir von
hier aus dokumentieren können . Darum geht es in dem
einen Antrag, der uns vorliegt . Darüber werden wir im
Menschenrechtsausschuss, wenn er dorthin überwiesen
wird, mit Sicherheit sachlich diskutieren können .

Es gibt einen anderen Antrag, über den heute abge-
stimmt wird . Ich bin ein klein bisschen irritiert, Wolfgang
Gehrcke, weil die Linke diesen Antrag im Menschen-
rechtsausschuss abgelehnt hat . In diesem Antrag steht
einerseits sehr viel Richtiges dazu, wie notwendig huma-
nitäre Hilfe ist . Andererseits wird eine Einzellösung in
den Vordergrund gestellt, nämlich die Einrichtung einer
Luftbrücke .

Ich finde es richtig, dass Frank-Walter Steinmeier
im August gesagt hat: Wir prüfen, ob Luftbrücken eine
Möglichkeit sind, um mehr Menschen humanitär versor-
gen zu können, als das zum jetzigen Zeitpunkt möglich
ist . – Aber eine Prüfung kann auch ergeben, dass es nicht
funktioniert .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss er sagen!)


Ich war mit mehreren Kolleginnen und Kollegen von
der AG Menschenrechte der SPD am 19 . September in
Genf . Wir haben dort mit Vertretern des Internationalen
Komitees vom Roten Kreuz gesprochen, die sehr skep-

tisch waren, was mögliche Luftbrücken angeht . Es gibt
zwar Einzelfälle, in denen das funktioniert hat . Aber das
waren Gebiete, in denen relative Sicherheit herrschte und
man davon ausgehen konnte, dass die Flugzeuge nicht
abgeschossen werden . Wir haben auch mit Vertretern der
Vereinten Nationen aus dem Bereich „humanitäre Hilfe“
gesprochen; sie waren ebenso skeptisch . Sie hatten ganz
andere Sorgen . Ihre Sorge war: Reicht das Geld, das das
World Food Programme, die Vereinten Nationen und die
internationalen Hilfsorganisationen bekommen, die noch
Zugänge nach Syrien haben, zum Teil über den syrischen
Roten Halbmond, deren Mitarbeiter in den Flüchtlingsla-
gern in der Türkei und im Libanon arbeiten? Bekommen
sie auch genügend diplomatische Unterstützung für die
Zugänge, die sie gerne haben wollen?


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819626400

Frau Finckh-Krämer, lassen Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Franziska Brantner zu?


Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):
Rede ID: ID1819626500

Ja .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herzlichen Dank, dass Sie die Zwischenfrage zulas-
sen . – Sie weisen auf ein anderes, ebenfalls richtiges Pro-
blem hin, nämlich dass die Mittel für das World Food
Programme und andere Organisationen nicht ausreichen .
Wie stehen Sie dazu, dass der Haushaltsansatz der Bun-
desregierung für 2017 unter dem liegt, was 2016 schon
nicht gereicht hat, und daher Millionenbeträge fehlen?
Das müsste man angehen . Da sind wir gar nicht gegen
Sie . Das schließt einander nicht aus .


Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):
Rede ID: ID1819626600

Ich habe erst gestern das letzte Mal gesagt, dass wir

als SPD dafür kämpfen, dass der Haushaltsansatz für
2017 mindestens so hoch ist wie im Jahr 2016 . Diese Bit-
te haben wir übrigens auch aus Genf mitgebracht . Wir
haben diesen Wunsch an die Kolleginnen und Kollegen
der CDU und an unsere Haushälterinnen und Haushälter
weitergegeben . Vielleicht ist eine Folge dieser Diskussi-
on, dass dem Wunsch von unseren Haushälterinnen und
Haushältern entsprochen wird . Da bin ich für jede Unter-
stützung dankbar .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verschenken Monate an Planungssicherheit für die Hilfsorganisationen! Damit wird alles teurer! Die Flugzeuge, die Nahrungsmittel, alles wird teurer!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819626700

Ich möchte darauf hinweisen: Sie können Zwischen-

fragen stellen statt dazwischenzurufen .

Wolfgang Gehrcke






(A) (C)



(B) (D)



Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):
Rede ID: ID1819626800

Wenn wir mit dem Bundeshaushalt für 2017 den glei-

chen Betrag verabschieden, wie wir ihn für 2016 hatten,
verschenken wir nichts in der Planungssicherheit . Das
entsprechende Referat im Auswärtigen Amt kann und
darf nämlich erst dann planen, wenn der Bundeshaus-
halt verabschiedet ist, und nicht schon dann, wenn er
eingebracht ist oder wenn irgendwelche Beschlüsse im
Auswärtigen Ausschuss gefasst wurden, diesen Etat zu
erhöhen . Erst mit Verabschiedung des Bundeshaushaltes
können Gelder zugewiesen werden . Vorher können Gel-
der aus Verpflichtungsermächtigungen zugewiesen wer-
den, die im jetzigen Haushalt eingestellt sind .

Insofern verschenken wir nichts, wenn es im Novem-
ber beschlossen wird, und dafür werben wir ja mit allen
Möglichkeiten . Dafür habe ich gestern geworben, und
dafür werbe ich heute . Ich hoffe, dass die Kolleginnen
und Kollegen von der CDU/CSU uns dabei unterstützen .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Ich habe gesehen, unser Ausschussvorsitzender und
auch der Fachberichterstatter haben geklatscht . Wir ha-
ben also eine gewisse Chance .

Luftbrücken sind immer die teuerste und die riskan-
teste Möglichkeit . Weil wir tatsächlich die Möglichkeit
haben, mit Putin, mit Russland über humanitäre Zugän-
ge nach Ost-Aleppo zu verhandeln, dann ist es auf jeden
Fall besser, über Zugänge mit Hilfskonvois zu verhan-
deln als über eine Luftbrücke . Insofern bin ich auch froh
und dankbar, dass gestern Abend und heute Nacht in Ber-
lin nicht nur über die Ukraine gesprochen wurde, sondern
auch über die Situation in Syrien . Manche Dinge, über
die gesprochen wird, bleiben zu Recht vertraulich . Ich
weiß also nicht, wie viel von dem, was an Ergebnissen zu
Syrien erzielt wurde, die Bundesregierung an die Öffent-
lichkeit gibt . Aber es ist verhandelt worden .

Insofern hoffe ich, dass es auf dieser Ebene möglichst
viele Verhandlungen geben wird . Vielleicht sind es auch
manchmal vertrauliche Verhandlungen, vertrauliche
Verhandlungen zu humanitären Zugängen, zum Been-
den von Luftangriffen, zum Einhalten von Waffenstill-
ständen und zum Einhalten von Versprechen, nicht zu
bombardieren, deren Ergebnisse nicht gleich am Pult des
Deutschen Bundestages verkündet werden können . Es ist
klar: Das wird auf allen Ebenen verhandelt . Da sind im
Auswärtigen Amt viele Leute dran, und damit ist auch
Frank-Walter Steinmeier tags und manchmal auch nachts
beschäftigt .

Aber es ist nicht so, dass jetzt ein Einzelpunkt wie eine
Luftbrücke herausgegriffen und als Lösung des Problems
aufgefasst werden kann .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es könnte eine Lösung sein!)


– Es gab ja zwei Luftbrücken, da wo es sicherheitstech-
nisch möglich war und wo diejenigen, die belagert ha-
ben, in Verhandlungen nicht zugänglich waren . Insofern
halte ich das durchaus für sinnvoll und fachlich angemes-

sen, was unsere Bundesregierung und insbesondere das
Auswärtige Amt dort macht .


(Beifall bei der SPD)


Insofern hoffe ich, dass wir durch die heutige Diskussi-
on noch einmal mehr Unterstützung für eine Aufstockung
des Etats für humanitäre Hilfe im Bundeshaushalt 2017
bekommen . Ich hoffe auch, dass wir im Menschenrechts-
ausschuss zu einer konstruktiven Diskussion über die
Frage kommen, was wir von Deutschland aus tun kön-
nen, um einen Beitrag zu einer juristischen Aufarbeitung
der Kriegsverbrechen in Syrien und im Irak zu leisten .

Danke für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819626900

Als letzter Redner in dieser Aussprache hat Tobias

Zech für die CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Tobias Zech (CSU):
Rede ID: ID1819627000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir er-

leben zurzeit in Syrien die größte humanitäre Katastro-
phe seit dem Zweiten Weltkrieg . Ich habe gestern mit
Christian Springer telefoniert . Er ist der Vorsitzende ei-
ner NGO, die nicht nur für die Länder um Syrien, son-
dern auch immer noch in Syrien aktiv ist und sich um die
Menschen vor Ort kümmert . Er hat mir live geschildert,
was passiert: Es gibt keine Nahrung, keine Medikamen-
te und keine medizinische Versorgung mehr . Menschen,
die in Aleppo versuchen, zum Arzt zu kommen, werden
von Snipern, von Scharfschützen, anvisiert und angegrif-
fen, wenn sie den Stadtteil verlassen . Bis Dienstag gab
es ein Dauerbombardement nicht nur von Fassbomben,
sondern mittlerweile auch von bunkerbrechender Muniti-
on, die jegliches Leben auch in Kellern, wo man sich mit
seiner Familie versteckt, zerstört: ein unheimliches Leid,
und das direkt vor unserer Haustür .

Somit ist es ganz klar, dass es unser gemeinsames Ziel
in diesem Haus sein muss, dieses Leid, diese Katastro-
phe, diesen Wahnsinn in Syrien zu beenden, und zwar
nachhaltig zu beenden .

Jetzt liegt uns ein Antrag vor . Es gibt unterschiedliche
Auffassungen, wie man sich mit so etwas beschäftigen
kann . Herr Nouripour, Sie erlauben mir jetzt schon – –


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich erlaube Ihnen alles! – Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


– Sie erlauben mir alles . – Ich habe diesen Antrag gele-
sen .


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist schon mal gut!)







(A) (C)



(B) (D)


Das sind ja auch nur zwei Seiten .


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist ein Schaufensterantrag . Ich kann es nicht anders
sagen . Allein zum Beispiel Deir al-Sor, das Sie im Zu-
sammenhang mit der Luftbrücke nennen, muss ich sa-
gen: In Deir al-Sor gibt es keine Luftbrücke, sondern dort
werden Airdrops verwendet . Es sind High Altitude Air-
drops, Ladungen mit Medikamenten und Nahrung . Wis-
sen Sie, Herr Nouripour, das können Sie im Feld machen .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Im urbanen Gelände geht das nicht . Es funktioniert nicht .
Sie fordern eine Luftbrücke . Sie funktioniert dort nicht .
Airdrops können Sie in Aleppo nicht verwenden .

Das Zweite . Sie sprechen in Ihrem Antrag wiederum
Deir al-Sor und die Sicherung des Luftraums durch das
syrische Regime an . Das ist genau der Fall . Sie haben
einfach die Beispiele verwechselt .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein, nein!)


Es gibt eine diametral andere Situation . Sie erwecken
Hoffnungen für die Menschen, die Sie niemals erfüllen
können .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hören Sie denn nicht zu?)


Das ist Schaufensterpolitik und hat mit der Situation vor
Ort nichts zu tun, vor allem nicht mit der Ernsthaftigkeit
der Lage .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie haben die Hoffnung aufgegeben!)


Dritter Punkt . Sie fordern in Ihrem Antrag – ich zitie-
re, Frau Präsidentin –:

Die Staaten der ISSG müssen mit allen zur Verfü-
gung stehenden Mitteln die Vereinten Nationen und
das WFP unterstützen, eine Luftbrücke … einzu-
richten .

Lieber Wolfgang Gehrcke, ihr unterstützt diesen An-
trag .


(Zustimmung des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Ich finde es gut, wenn ihr euch hier produktiv beteiligt.
Aber ich habe die Linke in den letzten drei Jahren im
Parlament immer gegen Militäreinsätze erlebt . Wenn
im Antrag „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln“
steht, so ist das kein Ausschluss von Militär . Das ist der
Bundeswehreinsatz in Syrien, der hier unter der Hand ge-
fordert wird . Dafür sind wir nicht zu haben . Es wundert
mich sehr, dass ihr dem zustimmt .


(Beifall bei der CDU/CSU – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Satz: „Lesen bildet“, hilft manchmal doch nicht!)


– Ich habe ihn gelesen .


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sind Sie jetzt der Herr Gehrcke?)


– Ich bin noch gar nicht fertig mit Ihrem Antrag .


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Wie gesagt: Es steht nicht viel drin . Aber alles, was drin-
steht, ist falsch .

Herr Nouripour, das World Food Programme soll die-
se Luftbrücke machen . Ich habe mich mit dem Chef vom
World Food Programme zufällig am Dienstag unterhal-
ten .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben das nicht zufällig gemacht! Wir haben es geplant!)


Wissen Sie, was der zu mir sagt? Er sagt: Wir halten
überhaupt nichts von der Idee . Wir können das gar nicht .
Wir möchten das in Aleppo so gar nicht machen, weil wir
keine Sicherung haben und weil wir die Airdrops, die wir
anwenden, gar nicht durchführen könnten .

Ich kann Ihnen nur empfehlen, dass Sie sich, bevor
Sie solche Anträge stellen, mit denen unterhalten, die das
durchführen müssen, und auf sie hören . Denn Sprechen
hilft auch, Lösungen zu generieren .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie eigentlich gelesen?)


Nächster Punkt: Sprechen hilft, Lösungen zu gene-
rieren – das haben wir gestern erlebt . Gestern gab es
eine Konferenz in Berlin mit François Hollande, Angela
Merkel und Wladimir Putin, die sich nach der Norman-
die-Runde auch darüber unterhalten haben . Sie haben
auch darüber gesprochen – da können wir der Bundes-
kanzlerin dankbar sein –, wie wir in Syrien diplomatisch
vorgehen . Darum geht es .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819627100

Herr Kollege Zech, die Kollegin Brantner hat eine

Zwischenfrage .


(Zuruf von der SPD: Ach, Franziska!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir machen es kurz . – Herr Zech, Sie haben darauf
hingewiesen, dass das World Food Programme sagt: Wir
brauchen Sicherheit . – Das ist alles gut .

Uns geht es darum, Assad und Russland damit zu kon-
frontieren und zu sagen: Wir sind bereit, Hilfe zu liefern .
Dann müssen wir schauen, wie die Reaktion ist . Uns geht
es nur darum, wenigstens diesen Schritt zu machen und
zu sagen, dass wir bereit sind, das zu tun . Dann werden
wir sehen, wie die Reaktion ist .


Tobias Zech (CSU):
Rede ID: ID1819627200

Frau Brantner, vielen Dank für die Frage . Ich sage Ih-

nen nur – darf ich zweimal zitieren, Frau Präsidentin? –
als Antwort – ich zitiere aus Ihrem Antrag –:

Tobias Zech






(A) (C)



(B) (D)


II . Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesre-
gierung auf,

… Die Staaten der ISSG müssen mit allen zur Ver-
fügung stehenden Mitteln die Vereinten Nationen
und das WFP unterstützen, eine Luftbrücke für alle
notleidenden Menschen in Syrien einzurichten .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist aus Ihrem eigenen Beschluss! Da hat Ihre eigene Bundesregierung zugestimmt! – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre eigene Regierung hat zugestimmt!)


E-Mail des World Food Programme heute an mich –
ich zitiere –:

Zu Ihrer Anfrage habe ich nochmals Rücksprache
mit unserem Landesbüro in Syrien gehalten, was
darauf hingewiesen hat, dass eine Luftbrücke oder
Airdrops für Aleppo keine Option darstellen .

Das, Frau Brantner, ist die Antwort auf Ihre Frage .
Machen Sie Ihre Hausaufgaben richtig,


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie richtig Anträge, und nicht irgendwas, was Sie sich ausgedacht haben!)


machen Sie hier vernünftig Politik,


(Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Zitat Ihrer Regierung!)


unterhalten Sie sich mit den Menschen, die das umsetzen
müssen,


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie zitieren aus den Beschlüssen der Bundesregierung!)


und kommen Sie sonst nicht daher und stellen Anträge!

Ich darf fortführen: Wir haben seit dieser Woche wie-
der ein bisschen Hoffnung . Vielen Dank noch einmal
an die Bundeskanzlerin für das Format gestern . Seit
Dienstag gibt es kein Bombardement mehr . Wir haben
bis Samstag – wenn auch nur kurz, aber immerhin je-
den Tag – elf Stunden Waffenruhe in Aleppo . Ab morgen
werden die ersten Menschen über acht Flucht- bzw . Ret-
tungswege evakuiert . Das ist angesichts der Tragik der
Situation ein Lichtblick . Lassen Sie uns doch gemeinsam
dafür kämpfen, dass aus der Waffenruhe ein Waffenstill-
stand und aus dem Waffenstillstand irgendwann Frieden
wird .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819627300

Der Kollege Gehrcke erhält das Wort für eine Kurz-

intervention .


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819627400

Es tut mir leid, aber ich kann natürlich nicht stehen las-

sen, was der Kollege Zech eben vorgetragen hat, nämlich

dass ich möglicherweise für irgendwelche Militäreinsät-
ze oder sogar für einen Bundeswehreinsatz in Syrien bin .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist nicht drin! – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht auch nicht drin!)


Das hat sonst auch keiner vermutet, nehme ich an .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist richtig!)


Wenn das Ihr Problem ist, dann sollten Sie lieber mit
Ihrem Kollegen Roderich Kiesewetter reden, der genau
dies fordert . Ich bin jedenfalls der völlig falsche Adres-
sat .

Ich gehe natürlich davon aus, dass man, wenn man
alle Möglichkeiten der Hilfe nutzen und etwas aus der
Luft nach Syrien liefern will, mit der syrischen Regie-
rung – mit wem denn sonst? – verhandeln muss .


(Tobias Zech [CDU/CSU]: Das steht da aber nicht drin!)


– Ich sage Ihnen das doch .


(Tobias Zech [CDU/CSU]: Du stimmst doch zu!)


Die syrische Regierung muss zustimmen, weil es sich
um ihr Land und ihren Luftraum handelt . Sonst kann man
es nicht absichern . Sollten die Grünen zu der Position
gekommen sein – das würde mich erfreuen –, dass man
auch mit der syrischen Regierung – das ist noch immer
Herr Assad – verhandeln muss,


(Michael Brand [CDU/CSU]: Wenn es das Gewissen erleichtert, dann gerne, Herr Gehrcke!)


dann macht es mir das leichter; denn ich möchte, dass den
Menschen geholfen wird . Das kann man sicherlich sehr
unterschiedlich sehen . Aber nur durch Verhandlungen
sind entsprechende Absicherungen zu erreichen, nicht
durch Militäreinsätze und auch nicht durch Drohungen .

Das wollte ich hier nur einmal deutlich machen . Ich
glaube, dass ein Großteil meiner Fraktion das anders
sieht . Aber ich sehe das so und vertrete es auch . Ich bin
für Verhandlungen, auch für Verhandlungen mit Assad .
Ich bin dafür, dass Hilfslieferungen abgesichert werden,
aber nicht militärisch, sondern durch Absprachen und
Verträge; diese gilt es zu schließen .

Danke sehr .


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819627500

Herr Kollege Zech, Sie haben die Möglichkeit zur Er-

widerung .


Tobias Zech (CSU):
Rede ID: ID1819627600

Lieber Wolfgang Gehrcke, vielen Dank für die Klar-

stellung . Aber dann liegt es garantiert an mir und daran,
dass ich den einen Satz im Antrag der Grünen, den ihr
unterstützt, nicht richtig verstanden habe .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Tobias Zech






(A) (C)



(B) (D)


– Immer erst klatschen, wenn ich fertig bin! – Dort steht:
„Die Staaten der ISSG müssen mit allen zur Verfügung
stehenden Mitteln …“ „Mit allen zur Verfügung stehen-
den Mitteln“ schließt – das ist, glaube ich, allgemein
bekannt und entspricht auch meinem Wissensstand; viel-
leicht kann ich noch aufgeklärt werden, wenn ich hier
falsche liege – Militär explizit nicht aus .


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Bundesregierung hat zugestimmt!)


Das ist die Wahrheit . Die Linke stimmt heute somit auch
militärischen Maßnahmen zu .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr . Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Satz aus eurem Regierungsdokument, den wir zitiert haben!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819627700

Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich

die Aussprache .

Tagesordnungspunkt 13 a . Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 18/10031 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen . Dort kann die Debatte fortgesetzt werden . Die Fe-
derführung soll beim Ausschuss für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe liegen . Sind Sie damit einverstanden,
dass wir diesen Antrag an den Ausschuss für Menschen-
rechte und humanitäre Hilfe überweisen? – Das ist der
Fall .

Tagesordnungspunkt 13 b . Wir kommen zur Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Menschenrechte
und humanitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Syrien – Luftbrücke
einrichten, humanitäre Not lindern“ . Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/9939, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/9687 abzulehnen . Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
dagegen? – Damit ist diese Beschlussempfehlung mit den
Stimmen der Koalition und den Stimmen der Mehrheit
der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen von Bünd-
nis 90/Die Grünen und die Stimme von Herrn Gehrcke
angenommen worden .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Schutz vor Biowaffen ausbauen – Das Biowaf-
fenübereinkommen stärken

Drucksache 18/10017

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch
für diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre
dazu keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache . Als erster Redner in
dieser Aussprache hat Dr . Karl-Heinz Brunner für die
SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):
Rede ID: ID1819627800

Verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und

Kollegen! Nach dem Thema, das wir soeben im Plenum
behandelt haben und bei dem ich zum Ende oft dachte,
dass die Ernsthaftigkeit beim Thema Syrien nicht mehr
gewährleistet ist, sind wir beim nächsten ernsthaften
Thema, nämlich dem Einsatz von biologischen Mas-
senvernichtungswaffen, deren Anwendung heute durch
staatliche und nichtstaatliche Akteure nicht sehr wahr-
scheinlich ist .

Daher könnten wir es uns jetzt einfach machen und
uns nicht weiter mit dem Thema beschäftigen, nach dem
Motto: Die Gefahr ist weitgehend gebannt . Wir Abrüster
kümmern uns um etwas anderes . Die Vision des Grau-
ens eines Biowaffenanschlags ist eher Stoff fürs Kino . –
Doch gerade diese Einschätzung wäre töricht, müssen
wir doch heute dankbar sein, dass bereits 1925 – damals
im Angesicht des Ersten Weltkriegs und dessen Opfer –
durch das Genfer Protokoll und 50 Jahre später, 1975,
durch die Unterzeichnung des BWÜ Weichen für eine
zivilisiertere Welt ohne Biowaffen gestellt wurden .

Doch geringere Wahrscheinlichkeit heißt nicht keine
Wahrscheinlichkeit . Sie bedeutet Verantwortung für uns
alle in der Politik . Die letzten Jahre und gerade Syrien
lehren uns: Wir wissen nicht, wo, wann und wie sich in
5, 10 oder 50 Jahren staatliche Strukturen auflösen. Wir
wissen nur eins – das ist bedauerlich –: Wir wissen, dass
es passiert . Und wir wissen, dass terroristische Gruppie-
rungen die Macht übernehmen können, Regierungen in
Versuchung geraten können, weil es einfach ist, auf diese
menschenverachtenden Waffen zurückzugreifen .

Mit Syrien hat ausgerechnet ein Staat die Kontrolle
über sein Staatsgebiet verloren, der zwar Unterzeichner
dieses Abkommens ist, trotzdem jedoch weiter an bio-
logischen Waffen gearbeitet hat . Noch schlimmer: Aus-
gerechnet dieser Staat ist es, auf dessen Gebiet nicht zu-
letzt Daesh, der sogenannte „Islamische Staat“, versucht,
Strukturen aufzubauen, die als Voraussetzung für die
hochkomplexe Arbeit an potenziellen biologischen Waf-
fen gelten .

Wir sehen also: Die Gefahr ist, wie ich sagte, keines-
wegs gebannt, und die Gefahr kleinzureden, wäre töricht,
gerade wenn wir bedenken, dass bereits ein kleiner bio-
logischer Angriff, beispielsweise durch Terrororgani-
sationen, großen Schaden anrichten kann . Wir erinnern
uns noch, wie vor einigen Jahren selbst die Rentnerin zu
Hause beim Öffnen eines Kuverts Angst und Schrecken
vor einem möglichen Milzbrandanschlag hatte, weil An-
thrax und Ähnliches in den Medien nicht nur zu hören
war, sondern tatsächlich aufgefunden worden war . Vor-
stellungen, an die ich nicht denken möchte, sind die kör-
perlichen Schäden, aber auch die tiefe Erschütterung des
Sicherheitsgefühls der Menschen, die sich einem poten-
ziellen Angriff ständig ausgesetzt sehen .

Deshalb ist das BWÜ so wichtig . Es leistet weiterhin
einen essenziellen Beitrag zur internationalen Sicherheit
und zu unserer . Daher ist es notwendig, seine nationale
Implementierung weltweit zu verbessern, fehlende Staa-
ten zu integrieren, Vertragstreue herbeizuführen und un-

Tobias Zech






(A) (C)



(B) (D)


serer Bevölkerung zu signalisieren, dass wir für Sicher-
heit sorgen, im Inland und international .

In Deutschland beschäftigt uns dabei im Besonde-
ren die Gefahr, die aus Forschungsergebnissen, die zur
Herstellung von Waffen eingesetzt werden könnten, re-
sultiert . Wir appellieren hier an das vorhandene hohe
Verantwortungsgefühl unserer Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler, die wir im ständigen Dialog – Stichwort:
Dual-Use-Problematik – unterstützen müssen und wol-
len . Forscherinnen und Forscher, die uns sowohl durch
ihre biowissenschaftlichen Kenntnisse vor gefährlichen
Erregern schützen können als auch durch ihre Beiträge,
unter anderem die Beiträge der Friedensforschung, in der
Lage sind, uns Unterstützung zu geben, brauchen auch
Unterstützung von uns .

Dieser Zweiklang aus internationaler Vertragstreue
zum Biowaffenübereinkommen einerseits und einer nati-
onal hochverantwortlichen Forschung und Wissenschaft
andererseits kann uns auch weiterhin zuverlässig vor
Biowaffen schützen, in Deutschland, in Europa und in
der Welt . Deshalb bitten wir für die Koalitionsfraktionen
um Zustimmung zu unserem Antrag .

Danke schön .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819627900

Kathrin Vogler hat als nächste Rednerin für die Frakti-

on Die Linke das Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819628000

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Biologische Waffen sind ja ein eher we-
niger beachtetes Problem bei der Rüstungskontrolle .
Das mag wohl daran liegen, dass sie weniger mit Bil-
dern verknüpft werden als beispielsweise Atom- oder
Chemiewaffen . Wenn wir darüber sprechen, haben wir
vor unserem inneren Auge sofort die fürchterlichen Bil-
der aus Hiroshima und Nagasaki, aus Vietnam oder aus
der kurdischen Stadt Halabdscha . Aber zum Beispiel
die 350 000 Menschen, die 1942 in China durch einen
Angriff der japanischen Streitkräfte mit Pesterregern
umkamen, sind nicht in unserem kollektiven Gedächtnis
angekommen .

Als politisch Verantwortliche sollten wir aber nicht
nur zurückschauen, sondern alles dafür tun, dass sich
solche Verbrechen nicht wiederholen . Die Gefahr durch
Biowaffen ist durch die Fortschritte in der Gentechnik ra-
sant gestiegen . Heute ist es technisch überhaupt kein Pro-
blem, Mikroorganismen durch Gentechnik so zu verän-
dern, dass auch Antibiotika oder Impfungen nicht mehr
helfen . Und es wird zunehmend schwerer, abzugrenzen,
welche Forschung dem Schutz vor Infektionen dient und
welche der Entwicklung von Kampfstoffen .

Mit dem Biowaffenübereinkommen von 1971 haben
die Vereinten Nationen ein wichtiges Vertragsdokument
geschaffen . Was diesem aber fehlt, sind verbindliche
Kontrollinstrumente . 2001 war man fast so weit, ein sol-

ches Kontrollsystem auf den Weg zu bringen . Doch die
USA ließen die Verhandlungen kurz vor dem Abschluss
platzen . Dies war das Jahr – wir erinnern uns –, in dem
in den USA Milzbranderreger auftauchten, die aus dem
Biowaffenforschungslabor der US-Militärs in Fort De-
trick stammten . Auch in Russland wurde wohl trotz des
Biowaffenabkommens noch jahrelang weiter geforscht,
zum Beispiel auch mit dem Ebolavirus .

All das zeigt: Ohne ein wirksames Kontrollsystem
bleibt die Biowaffenkonvention unvollständig .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nur wenige Länder beteiligen sich bisher an den frei-
willigen Kontrollen . Deutschland ist dabei Vorreiter und
deshalb auch ein glaubwürdiger Fürsprecher für besse-
re und verbindlichere Kontrollen . Der Antrag der Koa-
litionsfraktionen weist daher in eine richtige Richtung .
Vielen Punkten, die Sie auflisten, können wir problemlos
zustimmen . Sie stecken aber auch in dem Dilemma, dass
Sie unter den Regierungen noch viel zu wenig Verbünde-
te haben . Wenn es nicht gelingt, auch die USA, Russland
und all die anderen Länder für eine verbindliche Offen-
legung ihrer Biowaffenforschung zu gewinnen, kommen
wir auf diesem Feld nur sehr langsam voran . Da wünsche
ich mir von dieser Bundesregierung doch mehr Biss, vor
allem auch in Richtung der US-Regierung .


(Beifall bei der LINKEN)


Sie vernachlässigen wichtige Faktoren, die wir selbst
beeinflussen können, wenn wir es denn wollen. Dazu
nenne ich einmal drei Punkte, die in Ihrem Antrag fehlen .

Erstens . Es ist richtig und gut, dass Sie die Forsche-
rinnen und Forscher für die Biowaffenproblematik sen-
sibilisieren und der Ethik in den Naturwissenschaften
mehr Raum verschaffen wollen . Wir als Linke würden
da weitergehen . Wir wollen, dass sich das Militär aus der
Wissenschaft heraushält, und unterstützen deshalb die
Bewegung für Zivilklauseln an Hochschulen und For-
schungseinrichtungen .


(Beifall bei der LINKEN)


Zweitens . Biowaffen haben auch eine verheerende
psychologische Wirkung auf die Bevölkerung . Der beste
und wirksamste Schutz davor sind gute öffentliche Ge-
sundheitssysteme in jedem Land . Das bedeutet hier in
Deutschland, die Privatisierung und Profitorientierung
im Gesundheitswesen zurückzudrängen und Gesundheit
als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge zu gestalten .
Weiter bedeutet es, entwicklungspolitisch andere Länder
viel stärker beim Aufbau solcher Gesundheitssysteme zu
unterstützen, anstatt sie primär als Märkte für den Export
von deutschen teuren Medizinprodukten zu begreifen .

Drittens . Wo Staaten nicht bereit sind, sich in die Bio-
forschungskarten gucken zu lassen, da können Nichtre-
gierungsorganisationen einen Teil der Rüstungskontrolle
übernehmen. Dazu brauchen sie unsere finanzielle und
politische Unterstützung . Des Weiteren benötigen wir ein

Dr. Karl-Heinz Brunner






(A) (C)



(B) (D)


Gesetz, das bedrohten Whistleblowern in Deutschland
Zuflucht und Schutz gewährt.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Rolle und Bedeutung der Zivilgesellschaft in der
Friedenspolitik muss dieser Regierung leider immer noch
erklärt werden – aber wir als Linke machen das gerne .


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819628100

Robert Hochbaum hat als nächster Redner für die

CDU/CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Robert Hochbaum (CDU):
Rede ID: ID1819628200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Zuhörer auf der Tribüne und viel-
leicht noch zu Hause an den Bildschirmen! Vom 7 . bis
zum 25. November findet in Genf – das werden man-
che wissen – die 8 . Überprüfungskonferenz zum Über-
einkommen über das Verbot biologischer Waffen – die
Biowaffenkonvention – statt . Natürlich lassen sich weder
Verlauf noch Ausgang dieser Konferenz absehen . Den-
noch ist es wichtig und notwendig, dass wir ihre hohe
Bedeutung für die globale Sicherheit auch hier in diesem
Haus darstellen . Damit ist natürlich auch die ausdrückli-
che Unterstützung der Bundesregierung verbunden, die
sich – da bin ich mir ganz sicher – für einen erfolgreichen
Abschluss der Konferenz einsetzen wird . Dafür schon
jetzt meinen herzlichen Dank!

Fünf Jahre sind seit der letzten BWÜ-Überprüfungs-
konferenz vergangen . In der Zwischenzeit fanden natür-
lich weitere Treffen von Experten und Vertragsstaaten
statt . Sie alle hatten ein Ziel: praktische Maßnahmen,
insbesondere die heute schon genannte institutionelle
Absicherung des Übereinkommens, weiter zu verfolgen
und, wenn möglich, umzusetzen . Denn das zentrale Pro-
blem des Übereinkommens über das Verbot biologischer
Waffen besteht natürlich gerade darin, dass es kein kon-
kretes Verifikationsregime zur Kontrolle der Einhaltung
des Vertrages beinhaltet . Die derzeit einzige Möglichkeit,
einen Kontrollprozess einzuleiten, ist die Meldung an
den Generalsekretär der Vereinten Nationen, welche sich
aber für eine effektive und permanente Überwachung der
Einhaltung letztlich nur bedingt eignet .


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Ja! Der hat auch nur drei Leute dafür!)


– Nur bedingt eignet . – Versuche, dieses Problem durch
ein Zusatzprotokoll zu lösen, das unter anderem Offen-
legungspflichten und Kontrollinspektionen beinhalten
würde, sind bisher gescheitert .

Die – das wird bekannt sein – auf der Konferenz im
Jahr 2006 beschlossene Implementation Support Unit,
ISU, angesiedelt in der Abrüstungsabteilung der Ver-
einten Nationen, wurde zwar auf der Konferenz im
Jahr 2011 um weitere fünf Jahre verlängert, was mit
Sicherheit ein Schritt in die richtige Richtung war . Man
kann jedoch aufgrund dieser Abhängigkeit von den stän-
digen Mandatsverlängerungen von keiner gesicherten

Institution sprechen. Ein effektives Verifikationsinstru-
ment und die nationale Implementierung aber würden
dabei helfen, sicherzustellen, dass sich alle Staaten an
das B-Waffen-Verbot halten und auch zumindest versu-
chen, entsprechende nichtstaatliche Aktivitäten in ihrem
Land zu unterbinden . Darum muss es Ziel sein und blei-
ben, diese ISU perspektivisch auf- und auszubauen und
zu einem Sekretariat einer Organisation für das Verbot
biologischer Waffen aufzuwerten . Durch das bereits vor-
handene, allen bekannte Technische Sekretariat der Or-
ganisation für das Verbot chemischer Waffen steht ja ein
Beispiel zur Verfügung, das man jederzeit heranziehen
kann .

Doch nicht nur dieser Aufgabe müssen wir uns jetzt
stellen, wenn es um den weltweiten Schutz vor biolo-
gischen Waffen geht . Es steht natürlich auch in diesem
Bereich das Problem des Dual Use und einer damit
verbundenen missbräuchlichen Verwendung oder des
Diebstahls von Produkten im Raum . Es muss darum si-
chergestellt sein, dass weltweit Labore vor dem Zugriff
terroristischer Organisationen oder anderer böswilliger
Akteure geschützt sind . Denn eines wird uns sicherlich
allen klar sein – die Beispiele aus Syrien der letzten Zeit
haben es deutlich gezeigt –: Es muss alles getan werden,
dass derartige Stoffe nicht in die Hände solch menschen-
verachtender Täter fallen können .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dies kann aber nur funktionieren, wenn möglichst
viele Vertragsstaaten – wir haben ja schon gehört, dass
nicht alle Mitglieder sind – an den vertrauensbildenden
Maßnahmen teilnehmen, die eine Offenlegung aller
Forschungseinrichtungen und -programme beinhalten .
Deutschland geht hier wieder mit sehr gutem Beispiel
voran und sollte diese Vorbildfunktion nutzen, um auch
die anderen Staaten näher an diese Maßnahmen heranzu-
bringen . Die im nächsten Monat anstehende Konferenz
ist damit eine gute Gelegenheit, einen Weg zu beschrei-
ten, an dessen Ende die Umsetzung dieser Ziele stehen
sollte .

Lassen Sie mich an dieser Stelle also bitte die Hoff-
nung auf gute und erfolgreiche Verhandlungen zum Aus-
druck bringen . Ich bitte um die Zustimmung des ganzen
Hauses .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg . Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819628300

Agnieszka Brugger hat als Nächste das Wort für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen .


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Milzbrandattacken in den USA im Jahr 2001 haben lei-
der gezeigt, dass auch Bedrohungen durch biologische
Kampfstoffe nach wie vor ein ernstzunehmendes Szena-
rio darstellen . Es ist eine große Errungenschaft der inter-

Kathrin Vogler






(A) (C)



(B) (D)


nationalen Abrüstungspolitik und ein wichtiger Beitrag
für mehr Sicherheit, dass es gelungen ist, dass so viele
Staaten diese gefährlichen Massenvernichtungswaffen
international geächtet und ihre eigenen Bestände ver-
nichtet haben . Es ist an dieser Stelle gar nicht so selbst-
verständlich, dass es einen solchen Verbotsvertrag gibt .
Wir erleben es heute bei vielen Technologien, die im Du-
al-Use-Bereich liegen . So bei den Themen Drohnen oder
Cyber, wo dann oft schon schulterzuckend bei der De-
batte darüber, ob es nicht gewisse Regeln braucht, gesagt
wird, man kann es so oder so nutzen . Trotzdem haben
Technologien immer ihre spezifischen Risiken. Die wer-
den dabei dann gefährlich ausgeblendet .

Es ist eine Herausforderung, mit der Dual-Use-Pro-
blematik umzugehen . Die gibt es natürlich auch bei
biologischen und chemischen Kampfstoffen . An de-
ren Verbotsvertrag kann man sich orientieren; denn die
Güter können zum Gewinn, aber auch zum Verderben
der Menschheit genutzt werden . Dort wird nämlich der
Zweck unter Strafe gestellt . Das macht diese Abkommen
und Übereinkommen einzigartig .

Meine Damen und Herren, trotzdem hat auch das
Biowaffenübereinkommen seine Schwächen und kann
seine Wirkungen nicht vollumfänglich entfalten; denn es
fehlen Möglichkeiten zur Aufklärung von Verdachtsmo-
menten, aber auch Sanktionsmöglichkeiten bei Strafver-
letzungen . Das Stichwort „Russland“ ist schon gefallen .
Auch über Syrien muss man an dieser Stelle sprechen .
Wir haben in den vorherigen Debatten viel über Che-
miewaffen und die grausamen Attacken, die es gegeben
hat, debattiert . Aber Syrien hat auch als Signatarstaat des
Biowaffenübereinkommens über Jahre hinweg trotzdem
ein Forschungsprogramm in diesem Bereich unterhalten .

Um das Biowaffenübereinkommen effektiv umzuset-
zen und die Verdachtsfälle schnell zu untersuchen, aber
auch um gemeinsame Interpretationen über die einzel-
nen Regelungen zwischen den Staaten herzustellen oder
schnell auf neue technologische Entwicklungen reagie-
ren zu können, braucht dieses Abkommen feste Struktu-
ren, mehr Personal und eine verlässliche Finanzierung .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Das haben wir Grüne in den letzten Jahren immer wieder
an vielen Stellen gefordert .

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
mit Ihrem heutigen Antrag gehen Sie mit vielen Forde-
rungen durchaus auch in die gleiche Richtung, in eine
richtige Richtung . Aber Sie sind auch nicht ganz up to
date . Wir Grüne haben erst vor kurzem einen Antrag vor-
gelegt: „Biosicherheit bei Hochrisikoforschung in den
Lebenswissenschaften stärken“ . Hier wird zum Beispiel
deutlich – ähnlich hat es auch der Deutsche Ethikrat fest-
gestellt –, dass Selbstverpflichtungen nicht ausreichen,
dass es auch in diesem Bereich Lücken gibt, die man
durch eine gesetzliche Regelung schließen müsste . Das
sind sicherlich Punkte, wo man von Ihrem guten Antrag
aus weitergehen kann und weitergehen sollte . Es steht
nicht viel Falsches in dem Antrag . Daher werden wir an
der Stelle auch zustimmen .

Meine Damen und Herren, zum Abschluss kann ich
mir aber eine kritische Bemerkung nicht verkneifen . Es
ist super, dass Sie diesen Antrag vorgelegt haben, das
BWÜ zu stärken, aber der abrüstungspolitische Elefant,
der gerade jetzt in unserer Zeit im Raum steht, ist ein völ-
lig anderer . Chemiewaffen und Biowaffen sind wenigs-
tens schon verboten . Was fehlt, ist ein Verbotsvertrag zur
Ächtung von Nuklearwaffen . Den gibt es nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Darüber wird gerade mit einer ganz neuen Dynamik bei
den Vereinten Nationen diskutiert . Die deutsche Bundes-
regierung versteckt sich hier hinter den Nuklearwaffen-
staaten im Lager der Bremser und Blockierer und hat ge-
gen diese ganzen Vorschläge bei den Vereinten Nationen
gestimmt, einen Prozess für ein Atomwaffenverbot auf
den Weg zu bringen . Das ist mutlos, unglaubwürdig und
enttäuschend .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es ist doch höchste Zeit, dass die Menschen vor die-
sem gefährlichen Irrsinn geschützt werden und dass alle
Massenvernichtungswaffen verboten werden . Daher,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, vie-
len Dank für diese durchaus gute Initiative . Aber mich
würde schon interessieren, was Sie dazu sagen, dass die
Bundesregierung ein Atomwaffenverbot blockiert; denn
wer das Biowaffenübereinkommen stärken will, der kann
doch nicht ernsthaft argumentieren, dass Atomwaffen
nicht auch verboten gehören .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819628400

Als nächster Redner hat René Röspel für die

SPD-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der SPD)



René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1819628500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Frau Brugger, manchmal ist die Mücke nä-
her als der Elefant; dann geht es eben darum, das Näher-
liegende zu bekämpfen . Die Konferenz zur Überprüfung
der Biowaffenkonvention steht vor der Tür; deswegen
bezieht sich der vorliegende Antrag zunächst einmal da-
rauf, unabhängig davon, dass wir natürlich davon über-
zeugt sind, dass Nuklearwaffen von diesem Kontinent
und aus der Welt verschwinden müssen; gar keine Frage .


(Beifall bei der SPD)


Die Älteren von uns erinnern sich vielleicht, dass
vor 30 Jahren ein amerikanischer Präsident irgendwo
im Weltall Hochenergielaser stationieren lassen wollte,
um anfliegende sowjetische Raketen zu zerstören. Es
hatte ein paar Milliarden US-Dollar und einige Jahre
gebraucht, bis das sogenannte SDI-Projekt wieder ver-
schwunden war . Die Frage, ob diese Laser ihre Aufgabe
erfüllt hätten, konnte man gar nicht richtig beantworten,
jedenfalls nicht auf Anhieb .

Agnieszka Brugger






(A) (C)



(B) (D)


Von der hohen Dimension der Physik in ganz kleine
Dimensionen: Es gibt Überlegungen, Planungen, Denk-
ansätze, Mikroorganismen, die Plastik, Mineralöl oder
Gummi fressen, als sogenannte nichttödliche Waffen ein-
zusetzen, um den Gegner und seine Gerätschaften lahm-
zulegen, ohne die Menschen zu treffen . Ist das eigentlich
realistisch?

Wir wissen, dass es nicht nur nichttödliche Waffen
gibt, sondern auch hochpathogene Waffen; daran wird
gearbeitet . Anthrax ist ein Beispiel dafür gewesen . Die
Angst vor Milzbrand ist 2001 durch die ganze Welt ge-
gangen . Wenn irgendwo ein Päckchen mit weißem Pul-
ver ankam, war die Verunsicherung groß: Kann man da-
mit großflächig töten, oder braucht es dazu nicht auch
Verteilungsmechanismen, technische Mittel, um so etwas
in großem Umfang zu einer Gefahr zu machen? Wir wis-
sen seit zwei, drei Jahren, dass es gelungen ist, das Vo-
gelgrippevirus H5N1 so zu verändern, dass es erstmals in
der Lage ist, Säugetiere zu befallen . Was für eine tödliche
Waffe, was für eine Biowaffe kann daraus möglicherwei-
se entstehen?

All das sind Fragen, die wir von der Politik vielleicht
relativ schnell beantworten können, indem wir sagen:
So etwas wollen wir nicht; aber es macht eben auch sehr
viel Sinn, geeignete naturwissenschaftliche Expertise
zur Verfügung zu haben . – Ich bin froh, dass ich hier als
Forschungspolitiker reden darf . Ich hoffe, Antworten
auf diese Fragen von denen zu bekommen, die vielleicht
nicht auf der Lohnliste des militärisch-industriellen
Komplexes sind und solche Waffen herstellen . Ich hoffe,
von anderer Seite Antworten auf Fragen zu hören wie: Ist
es realistisch, dass Anthrax verbreitet werden kann? Wel-
che Gefahren lauern wirklich, wenn ein Vogelgrippevirus
verändert wird?

Wir als Bundesrepublik Deutschland sind da in den
letzten Jahren glücklicherweise sehr gut aufgestellt ge-
wesen, weil es in vielen kleinen Arbeitsgruppen in Dort-
mund, Darmstadt, Jülich, Karlsruhe Naturwissenschaftler
gab, die sich im Forschungsverbund Naturwissenschaf-
ten, Abrüstung und internationale Sicherheit zusammen-
geschlossen haben, die an diesen Themen gearbeitet ha-
ben, die in der Lage waren, der Politik wissenschaftliche
Expertise zur Verfügung zu stellen .

Ich komme zu dem Punkt in dem Antrag, den ich
noch einmal betonen will: Es ist wichtig für uns, diese
Expertise in Deutschland nicht verloren gehen zu lassen .
Wir brauchen die Naturwissenschaftlerinnen und Natur-
wissenschaftler genauso wie die Geisteswissenschaftle-
rinnen und Geisteswissenschaftler, die uns diese Fragen
beantworten oder uns zumindest dabei helfen können .


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deswegen lautet mein dringender Appell – er findet sich
im Antrag wieder –, dass wir diese Expertise nicht verlo-
ren gehen lassen und dass wir diese Forschungsmöglich-
keiten stärken . Insofern danke ich der Koalition, diesen
Antrag auf den Weg gebracht zu haben .

Vielen Dank .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819628600

Julia Obermeier hat als letzte Rednerin in dieser Aus-

sprache das Wort für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Julia Bartz (CSU):
Rede ID: ID1819628700

Vielen Dank . – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Biologische Waffen sind kein neues Phä-
nomen . Sie sind wohl so alt wie die Geschichte des Krie-
ges selbst . Bereits vor 2 000 Jahren bewarfen die alten
Römer ihre Feinde mit Kot, um Krankheiten auszulösen .


(Markus Grübel, Parl . Staatssekretär: Guten Appetit!)


Auch nutzten sie Tierkadaver oder Leichen, um das
Trinkwasser in Brunnen zu vergiften . Heute können bio-
logische Waffen um ein Vielfaches tödlicher sein . Sie
zählen deshalb zu den Massenvernichtungswaffen . Die
bekanntesten sind wohl Anthrax und Pocken .

Biologische Waffen sind gerade in den Händen von
Terroristen besonders gefährlich . Ein Angriff wäre un-
sichtbar und lautlos . Erst Tage nach dem Freisetzen der
tödlichen Viren oder Bakterien würden die ersten Men-
schen erkranken . Bioterrorismus ist ein Spiel mit dieser
Angst; denn die Anzahl der möglichen Opfer ist sehr
hoch .

Im vergangenen Jahr warnte Frankreichs Premier-
minister nicht nur vor der Gefahr von Terroranschlägen
mit chemischen, sondern auch vor der mit biologischen
Waffen . Nur wenige Tage nach dem blutigen Terror in
Paris sagte er: „Wir dürfen heute nichts ausschließen .“
Er verwies zwar nicht auf konkrete Pläne für Anschlä-
ge mit biologischen Waffen, doch machte seine Aussage
deutlich, dass diese Bedrohung greifbar ist . Bedauerli-
cherweise wird dieser Gefahr nicht wie bei chemischen
Waffen mit einer starken internationalen Konvention be-
gegnet . Es gibt zwar ein Übereinkommen, das die Ent-
wicklung, die Herstellung, den Besitz, die Weitergabe
und den Einsatz biologischer Waffen verbietet, doch ist
dieses, anders als die Chemiewaffenkonvention, noch ein
zahnloser Tiger .

Dies birgt ernstzunehmende Risiken, wie das Beispiel
Syrien zeigt . Das Potenzial syrischer Chemiewaffen ist
sachkundig aufgearbeitet und steht sowohl im Fokus
der internationalen Gemeinschaft als auch im Fokus der
breiten Öffentlichkeit . Die Gefahren von biologischen
Waffen, die sich möglicherweise in den Händen des sy-
rischen Regimes befinden, liegen jedoch im Dunkeln. So
wird seit längerem spekuliert, dass Assad an einsatzfähi-
gen Erregern wie Milzbrand, Pest, Botulinum, Cholera,
Ricin, Kamelpocken und Aflatoxin arbeitet oder diese
bereits besitzt . Im chaotischen Bürgerkriegsgebiet Syri-
ens wäre das besonders problematisch . Biologische Waf-
fen könnten, auch wenn dies laut vieler Experten eher
unwahrscheinlich ist, gegen die Zivilbevölkerung einge-
setzt werden . Sie könnten auch in die Hände von Terro-
risten gelangen, und das, meine Damen und Herren, gilt
es unbedingt zu verhindern . Es liegt daher im deutschen
Interesse, das Biowaffenübereinkommen zu stärken . Dies
würde die Verbreitung von biologischen Waffen zurück-

René Röspel






(A) (C)



(B) (D)


drängen . Und: Es wäre ein wichtiger Schritt, um zu ver-
hindern, dass terroristische Gruppen und andere böswil-
lige Akteure an Biowaffen gelangen . Wir brauchen also
dringend Fortschritte beim Biowaffenübereinkommen .

Im November dieses Jahres findet die achte Überprü-
fungskonferenz des Übereinkommens statt, und diese
Chance gilt es zu nutzen . Daher fordern wir in unserem
Antrag die Bundesregierung auf, in den Verhandlungen
klare Positionen zu beziehen und unter anderem fol-
gende Punkte zu unterstützen: Mehr Staaten sollen das
Übereinkommen unterzeichnen, mit dem Ziel einer welt-
weiten Umsetzung . Dazu braucht es vertrauensbildende
Maßnahmen, um Vertragstreue zu stärken . Auch soll der
UN-Generalsekretär künftig Verdachtsfälle besser un-
tersuchen können . Und wir wollen die wissenschaftli-
chen und technologischen Entwicklungen, Herr Kollege
Röspel, im Bereich der Biowaffen besser im Blick haben,
um auf Entwicklungen reagieren zu können .


(René Röspel [SPD]: Das ist sehr gut!)


Langfristig soll das Biowaffenübereinkommen dem Che-
miewaffenübereinkommen in nichts nachstehen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die im Antrag vor-
geschlagenen Maßnahmen tragen dazu bei, die Gefahren
von Biowaffen einzudämmen . Es wäre ein starkes Si-
gnal, wenn wir dieses hohe Ziel heute mit dem Votum
aller Fraktionen unterstützen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819628800

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die

Aussprache .

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf Drucksa-
che 18/10017 mit dem Titel „Schutz vor Biowaffen aus-
bauen – Das Biowaffenübereinkommen stärken“ . Wer
stimmt für diesen Antrag? – Stimmt jemand dagegen? –
Enthält sich jemand? – Dann ist dieser Antrag einstim-
mig angenommen worden .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg . Kathrin Vogler [DIE LINKE])


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Roland
Claus, Stefan Liebich, Dr . Gesine Lötzsch, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Beendigungsgesetz zum Berlin/Bonn-Gesetz

Drucksache 18/8130
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit (f)

Innenausschuss
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre dazu
keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen, und
ich möchte die Kolleginnen und Kollegen bitten, ihre

Plätze einzunehmen, damit wir mit der Aussprache be-
ginnen können .

Ich eröffne die Aussprache . Als erste Rednerin hat
Susanna Karawanskij für die Fraktion Die Linke das
Wort .


(Beifall bei der LINKEN)



Susanna Karawanskij (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819628900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Wenn eine Sache ihren Sinn erfüllt hat,
muss man es dabei belassen . Wenn es am schönsten ist,
soll man aufhören . – Das trifft aus meiner Sicht und aus
Sicht meiner Fraktion auch auf das Berlin/Bonn-Gesetz
zu . Es ist schlicht und ergreifend nicht zu erklären, dass
wir 25 Jahre nach der deutschen Einheit immer noch eine
geteilte Bundesregierung haben .


(Beifall bei der LINKEN)


6 von 14 Ministerien haben ihren Sitz noch komplett
in Bonn . Über 35 Prozent der Mitarbeiter in Ministerien
sind in Bonn beschäftigt . 2015 gab es fast 21 000 tei-
lungsbedingte Dienstreisen zwischen Bonn und Berlin .


(Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Was das an CO2 kostet!)


Mehr als 1 000 Beschäftigte reisten in demselben Jahr
mehr als 20-mal hin und her . Es ist natürlich ein leichter
Abwanderungstrend in Richtung Berlin zu vermerken;
aber allein die schlichte Existenz von zwei Regierungs-
sitzen bringt mindestens drei Nachteile mit sich: Es ist
ineffektiv, umweltschädlich und zu teuer .


(Beifall bei der LINKEN)


Ineffektiv ist die bestehende Regelung, weil die Bun-
desregierung durch die permanente Teilung der Regie-
rung in zwei Regierungssitze mit Ministerialbeamten al-
ler Bundesministerien an beiden Standorten einfach nicht
schlagkräftig sein kann . Es wird ein enormer Mehrauf-
wand für die Koordination und Abstimmung aufgebracht
und in Kauf genommen . Dadurch entstehen zu viele Rei-
bungsverluste . Und die persönliche Kommunikation –
das kennen wir alle – ist auch durch aufwendige techni-
sche Unterstützung kaum zu ersetzen . Das verlangsamt
die Entscheidungsfindung, und auch der persönliche und
fachliche Austausch zwischen den Ressorts und ressort-
intern bleibt auf der Strecke .

Umweltschädlich ist der Zustand, weil zum Beispiel
die Flugbereitschaft zwischen den beiden Städten regel-
mäßig Leerflüge einfährt. Generell hübschen die zahl-
reichen Flüge die Ökobilanz nicht gerade auf . Ganz ne-
benbei hat das auch Auswirkungen auf die Arbeitszeiten
der Beschäftigten; denn das Arbeiten am Telefon bzw .
auf dem Laptop ist im Flieger schlicht und ergreifend
schwierig .

Teuer ist es obendrein . Jährlich entstehen Kosten von
über 7 Millionen Euro . Diese Zeche wird von Steuerzah-
lerinnen und Steuerzahlern bezahlt .


(Sybille Benning [CDU/CSU]: Wer bezahlt den Umzug?)


Julia Obermeier






(A) (C)



(B) (D)


Wir Linke wollen dieser Verschwendung von Steuergel-
dern ein Ende setzen,


(Beifall bei der LINKEN)


insbesondere vor dem Hintergrund, dass die schwar-
ze Null Staatsdogma geworden ist und die komplette
Angleichung der Ostrenten weiterhin auf sich warten
lässt . Man muss dabei betrachten, dass Bonn und die Re-
gion Bonn danach keine Einöde sein werden . Die Region
ist wirtschaftlich gut aufgestellt, UN-Behörden sind dort
verortet . Mit diesem Plan wollen wir Bonn also nicht de-
vastieren .

Die Bundesbauministerin, Frau Hendricks, als Ber-
lin/Bonn-Beauftragte laviert ziemlich herum, ist unent-
schlossen, kann sich zu keiner Handlungsempfehlung
durchringen . Das mag vielleicht auch daran liegen, dass
die Frau Ministerin vom Niederrhein stammt . Vor nicht
allzu langer Zeit war aus dem Regierungslager zu verneh-
men, dass man sich klar für einen Regierungssitz – Ber-
lin – ausgesprochen hat . Das ist schade und enttäuscht
auch ein bisschen . Ich dachte, da wären wir schon ein
bisschen weiter . Bedauerlich ist in diesem Zusammen-
hang, dass sich Frau Hendricks nicht dafür starkgemacht
hat, wie ursprünglich angedacht, dass sich vor allen
Dingen mehr Außenstellen der Ministerien und der Be-
hörden in Ostdeutschland ansiedeln . Das Biomassefor-
schungszentrum in Leipzig und das Umweltbundesamt
in Dessau bleiben da die Ausnahme .

83 Prozent der Bevölkerung sprachen sich gemäß ei-
ner repräsentativen Umfrage für einen Komplettumzug
der Ministerien nach Berlin aus . Wir Linke sprechen uns
ebenfalls ganz klar für einen Komplettumzug nach Berlin
aus .


(Beifall bei der LINKEN)


Er ist gut, er ist begründet, er ist längst überfällig .

Wir brauchen ein Beendigungsgesetz mit einem kon-
kreten Umzugsplan für alle Ministerien, natürlich unter
Wahrung der Mitbestimmungsrechte der Belegschaften .
Ganz ehrlich: Es wächst eine Generation heran, jünger
als ich, die die Bonner Republik und die deutsche Zwei-
teilung nur noch aus den Geschichtsbüchern kennt .


(Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Die DDR auch! Das ist gut so!)


Es ist peinlich und auch nicht mehr vermittelbar, dass das
Gesetz, das 1994 in Kraft getreten ist, weiter fortgeführt
wird . Es wird Zeit, die Bonner Republik in den Ruhe-
stand, in die wohlverdiente Rente zu schicken . Stimmen
Sie einfach unserem Antrag zu . Damit hätten wir die
deutsche Zweiteilung auch in dieser Hinsicht überwun-
den .

Vielen Dank .


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819629000

Als nächster Redner hat Christian Haase für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Christian Haase (CDU):
Rede ID: ID1819629100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Und
täglich grüßt das Murmeltier – so könnte man Ihre stän-
digen Anträge zur Beendigung des Berlin/Bonn-Gesetzes
zusammenfassen:


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Bei Ihnen auch!)


immer der gleiche Antrag, immer der gleiche Inhalt, im-
mer die gleiche Begründung . Ihr Problem ist nur – an-
ders als im Film –: Der Erkenntnisprozess setzt bei Ihnen
nicht ein . Also will ich es heute noch einmal versuchen .

Am 20 . Juni 1991 fasste der Deutsche Bundestag
den Hauptstadtbeschluss zur Vollendung der deutschen
Einheit . Geschäftsgrundlage für den Beschluss war der
inhaltlich doppelte Charakter der Antwort auf die Haupt-
stadtfrage – eben kein Komplettumzug von Bonn nach
Berlin . Viele Abgeordnete konnten nur so dem Beschluss
zustimmen, er hätte sonst damals überhaupt keine Mehr-
heit gefunden .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Damals!)


Ich wiederhole das, liebe Kolleginnen und Kollegen,
weil natürlich nicht mehr alle dabei sind, die damals die-
se Beschlüsse mitgefasst haben .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Die Wenigsten!)


So sagte auch Johann Wolfgang von Goethe einmal wei-
se:

Man muss das Wahre immer wiederholen, weil
auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt
wird, . . .


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Deshalb stellen wir immer wieder diesen Antrag!)


Deshalb bekennen wir uns auch im Koalitionsvertrag
zur Existenz zweier bundespolitischer Zentren und las-
sen keinen Raum für Interpretation . Darin heißt es un-
missverständlich:

Wir stehen zum Bonn-Berlin-Gesetz . Bonn bleibt
das zweite bundespolitische Zentrum .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


– Ja, Sie dürfen ruhig klatschen .


(Frank Tempel [DIE LINKE]: Im Protokoll steht: Einsamer Beifall!)


Sie führen in Ihrem Antrag an, dass sich Bonn als UN-
Stadt doch bereits wunderbar etabliert habe . Ja, natürlich,
und ich glaube, zum Glück ist das auch so .

Aber warum entwickelt sich das eigentlich so? Wa-
rum siedeln sich immer mehr internationale Institutionen

Susanna Karawanskij






(A) (C)



(B) (D)


in Bonn an? Weil in Bonn noch relevantes Regierungs-
geschehen stattfindet und weil wir die Nähe zu Brüssel
haben . Fangen wir jetzt an, dort unsere Zelte abzubre-
chen – was glauben Sie, wie schnell sich dieser Bedeu-
tungsverlust weiter herumspricht, die anderen Institutio-
nen den gleichen Weg Richtung Berlin nehmen werden
und dann in Bonn nichts mehr bleibt? Deshalb gibt es
ein Positionspapier aus der Region Bonn, „Bundesstadt
Bonn – Kompetenzzentrum für Deutschland“, das wir
bei der weiteren Diskussion durchaus beachten sollten .

Meine Damen und Herren, unser ehemaliger Bun-
despräsident Johannes Rau sprach in seiner Amtszeit
von den zwei Säulen, den zwei politischen Zentren in
Deutschland, und auch heute ist die Arbeitsteilung zwi-
schen Bonn und Berlin ein klares Bekenntnis zur le-
bendigen, föderalen Tradition unseres Landes . Wir ver-
zichten bewusst auf die Konzentration in einer einzigen
Machtmetropole . Das ist unsere Positionierung in der
Staatsformfrage . Das ist Ihnen von den Linken sicherlich
ein wenig fremd .


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Wir sind auch nicht von gestern!)


Gern möchte ich noch einen Blick auf die Fakten wer-
fen . Ja, der Ausgleich für die Region Bonn ist bislang
gelungen; das können wir feststellen . Die Regierungs-
aufgaben werden in Bonn und Berlin erfolgreich und
verantwortlich wahrgenommen, und nie waren die tei-
lungsbedingten Kosten so niedrig wie beim letzten Tei-
lungsbericht 2015 . Knapp 7,5 Millionen Euro werden als
neuester Tiefstand angegeben, und selbst wenn das na-
türlich viel Geld ist: Es ist im Gegensatz zu den Gesamt-
kosten eines Umzuges wahrlich ein Schnäppchen . Diese
werden mit 2 bis 5 Milliarden Euro angegeben, und – Sie
können sicher genauso gut rechnen wie ich –


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Besser!)


rein betriebswirtschaftlich ist das eine Amortisationszeit
von 250 bis 625 Jahren . Deshalb ist es gut, dass auch der
Sachstandsbericht zur Umsetzung des Berlin/Bonn-Ge-
setzes feststellt, dass die Arbeit effektiv ist, auch wenn es
natürlich noch Effizienzpotenziale gibt, und dort sollten
wir draufschauen .

Meine Damen und Herren, Verabredungen, die gelten,
müssen auch Bestand haben, und ich bin schon enttäuscht,
wie leichtfertig Sie von den Linken mit den Schicksalen
und den Arbeitsplätzen Tausender von Menschen in der
Region Bonn umgehen . Noch vor ungefähr zehn Stunden
wurde hier von Mietpreisbremsen und Wohnungsbau ge-
sprochen, und Sie wollen jetzt, wenn Sie immer sagen,
in Berlin sei der Wohnungsmarkt so knapp und die Mie-
ten so teuer, die Menschen aus Bonn alle hierher auf den
Wohnungsmarkt schicken, der jetzt schon überfüllt ist .
Ich glaube, das war wieder einmal ein Schnellschuss und
kein verantwortliches Handeln .


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zu verantwortlichem politischem Handeln gehört
meiner Meinung nach, zunächst einmal zu analysieren –
der Bericht ist ja noch warm vom Kopieren – und dann
in Ruhe seine Schlüsse zu ziehen . Alles andere klingt für

mich eher populistisch, aber das hören wir von den Ex-
tremparteien in Deutschland ja öfter .

Wir sprechen hier nicht über die Einzelinteressen ei-
ner Stadt, so wie Sie es eben gemacht haben, sondern
von der nationalen Bedeutung einer gesamten Region .
Deshalb haben alle Fraktionen im Düsseldorfer Landtag
einstimmig einen Antrag zu diesem Thema eingebracht .
Auch hier im Hohen Hause sollten wir ein Zeichen für
die Glaubwürdigkeit politischen Handelns setzen .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Für uns gilt: Erstens . Wir halten uns an Verträge . Zwei-
tens . Wir sind gegen politisch motivierten Zentralismus .
Drittens . Wir denken an die Menschen und die Kosten .

Schönen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819629200

Anja Hajduk hat als nächste Rednerin für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen das Wort .


Anja Hajduk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819629300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Her-

ren! Lieber Herr Haase, der Föderalismus in Deutschland
erschöpft sich nicht in der Berlin/Bonn-Frage und -Po-
larität .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Er ist ein bisschen größer .


(Christian Haase [CDU/CSU]: Er gehört dazu!)


Ich sage das nicht nur als Hamburgerin . Da kann man
auch auf andere Regionen schauen. Ich finde, das hat es
nicht getroffen .

Ich sage schon: Das Berlin/Bonn-Gesetz war zu seiner
Zeit richtig und notwendig . Man kann feststellen, dass
Bonn in der Folge davon profitiert hat. Aber auch Ber-
lin hat natürlich davon profitiert und ebenso unser Land.
Denn es war eine Voraussetzung dafür, dass wir Berlin
als Hauptstadt bekommen haben . Das ist, glaube ich,
sehr richtig . Man kann aber auch ganz nüchtern feststel-
len: Bonn hatte 2013 das höchste Bruttoinlandsprodukt
pro Erwerbstätigem in NRW . Bonn hat sich wirtschaft-
lich extrem gut entwickelt . Die Zahl der Erwerbstätigen
ist um 8,4 Prozentpunkte gestiegen . Man kann also sa-
gen: Die Maßnahmen, die für Bonn verabredet wurden,
sind sehr wirksam gewesen . Das ist schlicht Faktum .
Der Bund ist immer noch ein großer Arbeitgeber mit
37 000 Arbeitsplätzen in Einrichtungen des Bundes, und
das, obwohl die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den
Bundesministerien weniger geworden sind; die Tendenz
ist fallend .

Wenn wir nüchtern darauf schauen – dem kann man
sich auch als Politiker aus Nordrhein-Westfalen nicht

Christian Haase






(A) (C)



(B) (D)


verschließen –, dann sehen wir, dass solch ein Doppel-
system von Dienstsitzen auch seinen Preis hat . Der Rea-
litätscheck, den man wirklich regelmäßig machen muss,
ist mit dem Bericht der Ministerin Hendricks, der in der
vergangenen Woche vorgestellt wurde, erfolgt . Dieser
Bericht zeigt ganz deutlich, dass die Zusammenarbeit
sowohl innerhalb als auch zwischen den Ressorts ef-
fektiv ist und die Arbeit auch erfüllt wird, aber dass die
Funktionsfähigkeit der Bundesregierung in diesen Fällen
nur unter Inkaufnahme erheblichen Mehraufwandes auf-
rechterhalten wird . Das ist schlicht die Wahrheit . Dazu
müssen wir uns auch bekennen .

Der Bericht führt folgende Fakten auf: Mittlerweile
sind 64 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in
Berlin. 72 Prozent der Neueinstellungen finden in Ber-
lin statt und nur 27,2 Prozent in Bonn . Mehr als 50 Pro-
zent der Beamten in Bonn machen Dienstreisen und nur
17,6 Prozent der Beamten in Berlin . Drei Viertel aller
Bonner Beamtinnen und Beamten gehen in den nächsten
20 Jahren in Pension . Das sind Fakten, auf die man dem-
nächst reagieren muss .

Deswegen ist es, glaube ich, ganz wichtig, dass wir
wissen: Es gibt Trends zugunsten von Berlin . Diese wird
man nicht krampfhaft stoppen können, indem man sich
immer nur an das Bonn/Berlin-Gesetz erinnert, sondern
man muss mit diesen Trends klug umgehen . Klug um-
gehen heißt, dass man mit der Stadt Bonn, mit Nord-
rhein-Westfalen einmal darüber redet: Was ist eigentlich
eine realistische, sinnvolle und auch vertretbare Lang-
fristperspektive? Sie stellt sich heute, im Jahr 2016, mit
Blick auf die nächsten 30 Jahre anders dar als 1994 . Da-
von bin ich zutiefst überzeugt .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg . Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/CSU])


Das heißt aber auch – das möchte ich schon in Rich-
tung der Linken sagen –, dass wir, glaube ich, mit ei-
nem Hauruckverfahren, mit einer Frontstellung „Berlin
gegen Bonn“ jetzt nicht angemessen reagieren würden .
Man muss da wirklich einen Prozess in Gang setzen, der
eine andere dauerhafte Perspektive in den Blick nimmt
und dabei auch die erfolgreichen Cluster erhält, die es in
Bonn als internationaler Stadt und als Bildungshochburg
gibt .

Schließen möchte ich mit folgendem Hinweis: Die
Bürgerinnen und Bürger unseres Landes haben ein Recht
darauf, dass wir auch mit den ineffizienten Doppelstruk-
turen perspektivisch richtig umgehen . Wenn über 80 Pro-
zent der Deutschen für einen Umzug der Ministerien aus
Bonn nach Berlin sind, ist das ein Hinweis . Politik, die
in ihrem Ansehen sehr in der Kritik steht, muss sich auch
solchen Prozessen widmen . Deswegen kann ich nur sa-
gen: Es ist auch im Interesse der Politik, mit der Bonn/
Berlin-Frage flexibler umzugehen, als es sich vielleicht
manche aus Nordrhein-Westfalen 1994 vorgestellt ha-
ben . Das muss kein Hauruckabbruch sein . Das muss auch
nicht zulasten von Bonn gehen .

In diesem Sinne werden wir Grünen für einen ver-
nünftigen Prozess streiten, der auch eine Veränderung
der Ministerien in Richtung Berlin nicht ausschließt;

denn er hat sowieso schon begonnen . Dieser Trend kann
nicht krampfhaft aufgehalten werden .

Schönen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg . Dr . Philipp Lengsfeld [CDU/ CSU])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1819629400

Matthias Schmidt hat als nächster Redner das Wort für

die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Matthias Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1819629500

Vielen Dank, Frau Präsidentin . – Meine sehr geehrten

Damen und Herren auf den Zuschauertribünen! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Im Zusammenhang mit dem
Berlin/Bonn-Gesetz wird oftmals vom Rutschbahneffekt
gesprochen . Zur Erinnerung, was eine Rutschbahn ist –
diejenigen, die kleine Kinder haben, wissen es –: Kinder
krabbeln auf der einen Seite hoch, und je nachdem, wie
viel Mut sie haben, rutschen sie auf der anderen Seite
schnell oder langsam nach unten . Wenn die Kinder unten
angekommen sind und mit den Füßen wieder im Sand
stehen, dann strahlen sie auf jeden Fall und freuen sich .

Um im Bild zu bleiben, liebe Kolleginnen und Kol-
legen von den Linken: Sie wollen den Rutschbahneffekt
nicht beschleunigen; Sie wollen gleich die ganze Rutsch-
bahn umwerfen .


(Roland Claus [DIE LINKE]: Weil wir mutig sind! – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Nach 25 Jahren?)


Das hat den Effekt, dass die Kinder im Sand liegen, und
zwar schlagartig . Aber ich gebe Ihnen Brief und Siegel:
Kein Kind wird lachen, sondern, im Gegenteil, sie wer-
den alle weinen und höchst unglücklich sein .


(Sebastian Hartmann [SPD]: Das will doch keiner!)


– Genau .

Kommen wir zu Ihrem Antrag . Sie fordern ein Be-
endigungsgesetz . Okay, das kann man fordern; das ist
richtig . Zugleich wollen Sie aber bis zum Jahr 2020 alle
Bundesministerien nach Berlin holen .


(Zuruf von der LINKEN: Bis wann?)


– In Ihrem Antrag steht: bis 2020 . – Gerade einmal eine
Legislaturperiode wollen Sie sich dafür Zeit nehmen .
Das ist faktisch sehr, sehr schwierig mit Blick auf die
Häuser und Liegenschaften sowohl in Berlin als auch in
Bonn . Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Bonn
ist das aber auch ein persönliches Desaster, wenn Sie das
so übers Knie brechen wollen . Bitte bedenken Sie erstens
die Altersstruktur der Mitarbeiter in Bonn, zweitens aber
auch, dass viele Bonner aus sozialen Gründen damals in
Bonn geblieben sind . So schnell geht das allenfalls frei-
willig, und das wird ja auch oft genug gemacht .

Gleichwohl, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir
müssen reden . Wir müssen reden über Dienstreisen, über

Anja Hajduk






(A) (C)



(B) (D)


Kontakte, die nur per E-Mail stattfinden, über Videokon-
ferenzen, über Kollegialität, die manchmal auf der Stre-
cke bleibt, und über Nachwuchsgewinnung .

Das Berlin/Bonn-Gesetz ist 22 Jahre alt . Es ist ein gu-
tes Gesetz .


(Beifall des Abg . Sebastian Hartmann [SPD])


Aber ist es wirklich noch zeitgemäß? Was bedeutet es für
den Steuerzahler, was für die Beschäftigten und was für
die Aufgaben und die Arbeitsteilung? Genau diese Fra-
gen hatte Bundesministerin Barbara Hendricks bereits
vor fast einem Jahr zu Recht gestellt . Das geschah aus
der klaren Erkenntnis, dass die Arbeitsteilung, die das
Berlin/Bonn-Gesetz 1994 vorsah, also vor 22 Jahren,
längst nicht mehr zeitgemäß ist .

So sah das Gesetz zum Beispiel vor, dass mehr als
die Hälfte aller Arbeitsplätze der Regierung in Bonn
verbleibt . Das ist aber schon seit 2008 nicht mehr der
Fall . Knapp zwei Drittel der ministeriellen Arbeitsplät-
ze befinden sich heute in Berlin, und gar drei Viertel der
Neueinstellungen erfolgen hier in Berlin . Das ist das,
was man den Rutschbahneffekt nennt . Hier werden somit
über die Personalentwicklung faktische Verlagerungen
zugunsten Berlins vorgenommen; und diese schreiten
fort . Das müssen wir zur Kenntnis nehmen und behut-
sam die richtigen Schlüsse daraus ziehen . Dafür bedarf
es parteiübergreifender Diskussionen . Hier geht es, wie
wir ja merken, nicht um die Grenzen zwischen Parteien,
sondern eher um die Regionen . Es bedarf insbesondere
einer intensiven Debatte in der betroffenen Region, in
Nordrhein-Westfalen und auch in Rheinland-Pfalz .

Barbara Hendricks hat zur genaueren Untersuchung
dieser Fragen eine Studie in Auftrag gegeben . Sie liegt
uns heute als Bericht vor . Dieser Bericht liefert eine gute
Grundlage, um jetzt den Prozess eines weitgehenden
Komplettumzugs von Bonn nach Berlin einzuleiten . Die-
se Bemerkung muss ein überzeugter Berliner hier ruhig
machen dürfen .

Ich bin mir bewusst, dass solch eine Forderung in der
Region Bonn ganz andere Emotionen hervorruft als in
Berlin . Wir können uns aber der faktischen Entwicklung
nicht verschließen und sollten dieses Thema nach vorne
gerichtet angehen . Lassen Sie uns etwas Gutes machen:
für Bonn, für Berlin und für Deutschland .

Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819629600

Vielen Dank, lieber Matthias Schmidt . – Schönen gu-

ten Abend, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Nächs-
te: Kai Wegner, Berlin, für die CDU/CSU .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Kai Wegner (CDU):
Rede ID: ID1819629700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Dienstag
vergangener Woche hat Frau Ministerin Hendricks den
Statusbericht zur Arbeitsteilung zwischen Berlin und

Bonn vorgelegt . Die Ministerin hat zu ein und demselben
Thema zwei Pressekonferenzen an zwei Orten gegeben,
erst am Rhein, dann an der Spree . Aufgrund der Witte-
rung – der Flughafen Köln/Bonn lag im Nebel – hing
Frau Ministerin Hendricks in Berlin ihrem Terminplan
eine Stunde hinterher . Doppelte Arbeit, Verspätungen,
unnötige Kosten, Reisestress: In den Umständen der Prä-
sentation des Statusberichts verdichten sich symptoma-
tisch die Widrigkeiten, die die Teilung der Regierungs-
funktion auf zwei Standorte mit sich bringt . Und der
Statusbericht selbst bestätigt diese Einschätzung . Denn
dort können wir schwarz auf weiß nachlesen: „Die Funk-
tionsfähigkeit der Bundesregierung“ wird nur „durch ei-
nen erheblichen Mehraufwand und damit auf Kosten der
Effizienz aufrechterhalten.“

In der Tat, meine Damen und Herren, sprechen die
Fakten für sich . Ich erwähne Zehntausende Dienstreisen,
ich erwähne die teuren Doppelstrukturen, ich erwähne
die Reibungsverluste, die damit zwangsläufig einherge-
hen . Frau Ministerin, Sie sind die Umzugsbeauftragte der
Bundesregierung . Ich hätte mir von Ihnen schon erwar-
tet, dass Sie nicht nur Fakten auflisten, sondern gestützt
auf diese Fakten auch eine Haltung entwickeln und vor
allem die richtigen Schlüsse ziehen .

Bonn hat sich unbestritten, liebe Kolleginnen und
Kollegen, große Verdienste erworben: um die Freiheit,
um die Demokratie, ja, um den Rechtsstaat in Deutsch-
land . Dass es nach 1945 gelungen ist, in Deutschland
eine stabile Demokratie zu errichten, bleibt für immer
mit Bonn verbunden .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Matthias Schmidt [Berlin] [SPD])


Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Berlin heute die
anerkannte Hauptstadt Deutschlands ist . Und ich meine,
zu einer Hauptstadt, die das gesamte Land repräsentiert,
gehört auch die ungeteilte Regierungsfunktion . Auch
deshalb ergibt es aus meiner Überzeugung keinen Sinn,
weiter auf einer teuren Arbeitsteilung zu beharren und
die unnatürliche Teilung der Regierung künstlich zu ver-
längern .

Ja, der Rutschbahneffekt in Richtung Berlin ist längst
eine Realität . Und gerade für die Bonner ist es doch alle-
mal besser, einen Wandel aktiv zu gestalten, statt von der
Macht des Faktischen überrollt zu werden .


(Zuruf von der CDU/CSU: Absolut richtig!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bonn steht heute
besser da als vor dem Hauptstadtbeschluss . Die UNO,
die Telekom, zahlreiche Bundesbehörden, Institutionen
und Unternehmen haben sich am Rhein neu angesiedelt .
Ich bin entschieden dafür, Bonn als UN-Standort weiter
zu stärken und auch weitere Bundesbehörden dort anzu-
siedeln . Bonns Verdienste haben historischen Rang, und
Bonn verdient auch in Zukunft Verlässlichkeit, aber eben
auch Ehrlichkeit .

Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Linken,
die Frage nach dem Standort der Regierung ist von na-
tionaler Bedeutung. Ich finde, sie eignet sich nicht für

Matthias Schmidt (Berlin)







(A) (C)



(B) (D)


parteipolitische Instrumentalisierung hier im Deutschen
Bundestag zu später Stunde .


(Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Dann können Sie zustimmen!)


Wenn Sie diese Debatte ernsthaft hätten führen wollen,
dann hätten Sie das viel früher mit anderen Fraktionen
vorbereiten sollen .


(Roland Claus [DIE LINKE]: Aber hallo! Zehn Jahre! – Weitere Zurufe von der LINKEN)


Wenn wir uns zu einer anderen Gelegenheit an der be-
rühmten Berlin/Bonn-Debatte von 1991 orientieren,
dann sehe ich in dieser Debatte in der Tat das Potenzial
für eine erneute Sternstunde hier im Parlament .

Meine Damen und Herren, die wiedervereinigte
Hauptstadt Berlin ist das Symbol dafür, dass Deutschland
seine Spaltung überwunden hat . Die geordnete Konzen-
tration der Regierungsfunktion an der Spree wäre deshalb
auch eine Entscheidung für die geordnete Vollendung der
deutschen Einheit .

Herzlichen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819629800

Vielen Dank, Kai Wegner . – Der letzte Redner in der

Debatte: Sebastian Hartmann für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1819629900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Fast müsste man den Linken danken, dass sie
diesen Antrag gestellt haben, wenn man ihn nicht hätte
lesen müssen . Man kann natürlich eine Debatte über den
Status einer Region Bonn führen, man kann auch über
das Berlin/Bonn-Gesetz reden, aber was man nicht tun
darf, ist, das Berlin/Bonn-Gesetz, das nach einer Debatte
1991 mit knappster Mehrheit beschlossen worden ist, so
in Einzelteile zu zerlegen und falsch zu zitieren .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg . Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn man nämlich nur einzelne Abschnitte aus diesem
Gesetz zitiert und aufgrund dessen behauptet, dass das
Gesetz darauf abziele, Stück für Stück alles nach Berlin
zu verlegen, dann lässt man außer Acht, dass es um eine
faire Arbeitsteilung zwischen der Region Bonn und der
neuen Hauptstadt Berlin gehen sollte .

Diese Arbeitsteilung ist doch erfolgreich . Ja, wir ha-
ben es geschafft, die Vollendung der deutschen Einheit –
so sah es der Antrag auch vor – durch einen Teilumzug
der entsprechenden Ministerien und eine Verlagerung der
Verfassungsorgane nach Berlin zu vollziehen . Wir haben
das aber eben im beiderseitigen Interesse gemacht, so-
dass Bonn und Berlin profitieren konnten, und nun darf

man doch der Region Bonn nicht zum Vorwurf machen,
dass das, was man damals weise verabredet hat und wo-
mit man sich nach einer so schwierigen Entscheidung
gemeinsam auf den Weg gemacht hat, gut gelungen ist .
Und das gibt doch Anlass, zu hinterfragen: Was ist gut
gelungen, und was ist weniger gut gelungen?

Es gehört zur Kritik auch dazu, festzustellen, dass
während des ersten Kabinetts von Angela Merkel, ab dem
Jahre 2008, der Effekt eingetreten ist, dass die Mehrzahl
der ministeriellen Arbeitsplätze entgegen dem Wortlaut
des Gesetzes, entgegen der Vereinbarung, die damals ge-
troffen worden ist, plötzlich von Bonn nach Berlin ver-
lagert worden sind . Der Rutschbahneffekt hat sich also
verstärkt – unabhängig davon, ob die Rutschbahn nun
umgeworfen wurde oder sich das Rutschen beschleunigt
hat –, und mit diesem Prozess muss man sich eben aus-
einandersetzen .

Ich bin der Bundesbauministerin und Umzugsbeauf-
tragten, Frau Hendricks, sehr dankbar – das sage ich aus-
drücklich –, dass sie einen Statusbericht vorgelegt hat,
mit dem man eben nicht dazu verleitet wird, nur über
teilungsbedingte Kosten zu sprechen; denn dann könnte
man sehr leicht dem Fehler der Linken erliegen, Reise-
kosten mit anderen Kosten zu verwechseln . Wenn man
den Teilungskostenbericht genau gelesen hätte, dann
wüsste man, dass es in Wirklichkeit weniger sind als die
erwähnten 7 Millionen Euro pro Jahr . Die Reisekosten
könnte man auch noch in Bezug setzen zu den Milliarden
Euro an Investitionen für neue Betonbauten, die man in
Berlin hätte errichten müssen, um dort irgendwelche Ar-
beitsplätze unterzubringen .

Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach 25 Jahren
können wir natürlich ganz anders auf die geteilte Regie-
rungsfunktion schauen; denn heute hat man durch die
Chancen, die die Digitalisierung bietet, noch viel mehr
Möglichkeiten . Dass man sagen kann, dass die Region
Bonn profitiert hat und internationaler Standort ist, hängt
eng damit zusammen, dass man entsprechende Regie-
rungsfunktionen, vor allen Dingen auf dem Gebiet der
Entwicklungszusammenarbeit, gezielt in Bonn angesie-
delt hat . Die UN ist hier ein gutes Beispiel . Sie ist als eine
internationale Organisation dank der Reisemöglichkeiten
und der technischen Möglichkeiten der Digitalisierung,
die heute noch viel stärker als in der Vergangenheit ge-
geben sind, gekommen . Dazu hat auch beigetragen, dass
sich zum Beispiel der Bonner Bundestagsabgeordnete
Ulrich Kelber in der Vergangenheit immer wieder ge-
meinsam mit allen anderen in der Region dafür einge-
setzt hat, dass dieser Pfad des Erfolges weiter beschritten
wird .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns all
das nicht einfach zur parteipolitischen Profilierung nut-
zen . Lassen Sie uns nicht wie die Linken, die gesagt ha-
ben: „2020 wird der Regierungsumzug vollzogen sein“,
die Beschäftigten verunsichern . Wenn man einem sol-
chen Antrag folgen würde, dann hieße das, dass morgen
die Umzugswagen vorfahren müssten . Dadurch würden

Kai Wegner






(A) (C)



(B) (D)


wir das umwerfen, was wir in der Region Bonn für die
Bundesrepublik Deutschland gemeinsam erreicht haben .

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg . Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819630000

Danke, Sebastian Hartmann . – Ich schließe die Aus-

sprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/8130 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen, wobei die Feder-
führung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau
und Reaktorsicherheit liegen soll . – Ich sehe, dass Sie
damit einverstanden sind . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .

Ich bitte, die Plätze zu tauschen und gleich wieder ein-
zunehmen, damit ich den nächsten Tagesordnungspunkt
aufrufen kann . Es handelt sich um den Tagesordnungs-
punkt 14 sowie den Zusatzpunkt 7:

14 . Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung
der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unter-
nehmen in ihren Lage- und Konzernlageberich-
ten (CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz)


Drucksache 18/9982
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Renate
Künast, Katja Keul, Uwe Kekeritz, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Zukunftsfähige Unternehmensverantwor-
tung – Nachhaltigkeitsberichte wirksam und
aussagekräftig ausgestalten – Umsetzung der
CSR-Richtlinie

Drucksache 18/10030
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Ich höre und
sehe keinen Widerspruch . Dann ist das so beschlossen .

Ich eröffne die Aussprache und gebe Ulrich Kelber,
dem Parlamentarischen Staatssekretär aus Bonn, das
Wort .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


U
Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1819630100


Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Eine Anmerkung an dieser Stelle: Mein Dienst-
sitz als Abgeordneter ist in Berlin . – Stichwort „Trans-
parenz“: Transparenz vor allem dort, wo es darauf an-
kommt, ist das zentrale Anliegen der Bundesregierung
und des Bundesministeriums der Justiz und für Verbrau-
cherschutz .

Mit dem eingebrachten Gesetzentwurf wird die so-
genannte CSR-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt .
CSR steht für Corporate Social Responsibility, also für
die Verantwortung von Unternehmen für die Auswirkun-
gen ihrer Geschäftstätigkeit auf die Gesellschaft . Wir
bringen mit dem Gesetzentwurf verbindliche Regelun-
gen für mehr Transparenz im Bereich der unternehmeri-
schen Verantwortung auf den Weg .

Der vom Bundesminister Heiko Maas vorgelegte Ge-
setzentwurf verpflichtet große, am Kapitalmarkt tätige
Unternehmen, Kreditinstitute und Versicherungsunter-
nehmen mit mehr als 500 Arbeitnehmern dazu, in ihren
Lage- bzw . Konzernlageberichten künftig verstärkt auch
sogenannte nichtfinanzielle Themen darzustellen.

Erforderlich werden da vor allem Angaben über we-
sentliche Risiken und Konzepte der Unternehmen zu
Umwelt-, Arbeitnehmer- und Sozialbelangen, die Ach-
tung der Menschenrechte und Korruptionsbekämpfung .
Dort, wo es relevant und verhältnismäßig ist, müssen
auch Angaben zu den globalen Lieferketten erfolgen .

Darüber hinaus regeln wir, dass bestimmte börsenno-
tierte Unternehmen ihre Erklärung zur Unternehmens-
führung durch präzise Angaben zu den Diversitätskon-
zepten für ihre Leitungsorgane ergänzen müssen .

Schließlich erweitern wir im Handelsbilanzrecht heu-
te schon bestehende Straf- und Bußgeldvorschriften und
heben auch den bisherigen maximalen Bußgeldrahmen
deutlich an .

Wir wollen einen Anreiz schaffen, CSR-Themen und
die damit verbundenen Risiken, Konzepte und Prozesse
noch stärker in die Unternehmensführung einbinden zu
lassen . Der Gesetzentwurf leistet damit einen wichtigen
Beitrag für die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verant-
wortung durch Unternehmen . Wir stärken zugleich auch
das Vertrauen von Investoren sowie Verbraucherinnen
und Verbrauchern in die Unternehmen .

Viele Unternehmen haben schon heute erkannt, dass
Chancen für sie damit verbunden sind, ihre Aktivitäten
für die Öffentlichkeit sichtbar zu machen . Wir haben
zahlreiche Beispiel von deutschen Unternehmen, die
bereits heute gezielt Nachhaltigkeitsberichte vorlegen,
auch um sich im Wettbewerb um Kunden und Investo-
ren zu positionieren . Wir gehen mit dem Gesetzentwurf
einen Schritt weiter und schaffen eine verbindliche, aber
ausgewogene Berichtspflicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Neuregelungen sollen bereits für im Jahr 2017
beginnende Geschäftsjahre wirksam werden . Wir haben

Sebastian Hartmann






(A) (C)



(B) (D)


uns vor diesem Hintergrund auf die durch die Richtlinie
veranlassten Änderungen konzentriert und gemeinsam
entschieden, andere Anliegen nach Möglichkeit außer-
halb des engen Zeitplanes der Umsetzung der europäi-
schen Richtlinie zu prüfen .

Meine Bitte ist: Lassen Sie uns den Gesetzentwurf
zügig beraten, die Richtlinie rechtzeitig umsetzen und
damit die neuen Transparenzvorgaben rechtzeitig für das
Geschäftsjahr 2017 in Kraft setzen .

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819630200

Vielen Dank, Ulrich Kelber . – Nächste Rednerin:

Karin Binder für die Linken .


(Beifall bei der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819630300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Besucherinnen und Besucher! Große
Unternehmen sollen ab 2017 in ihren Geschäftsberichten
nicht mehr nur über ihre Finanzsituation informieren . Sie
sollen künftig auch öffentlich machen, wie sie die Einhal-
tung von Menschenrechten, Umweltschutz und Arbeit-
nehmerrechten gewährleisten und wie sie ihre Geschäfte
und das Unternehmen gegen Korruption schützen .

Mit der Berichterstattung zur Corporate Social Res-
ponsibility, also unternehmerischen Sozialverantwor-
tung, kurz CSR, sollen Konzerne über die Wahrnehmung
ihrer gesellschaftlichen und sozialen Verantwortung Aus-
kunft geben . Insbesondere deutsche Unternehmen haben
hier aufgrund ihrer weltweiten Handelsbeziehungen, auf-
grund multinationaler Liefer- und Produktionsketten eine
besondere Verpflichtung.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wer mit Menschenrechtsverletzungen und Umweltzer-
störung Profite macht, hat kein legales Geschäftsmodell
und muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden .


(Beifall bei der LINKEN)


2015 wurde in einer internationalen Studie der Univer-
sität Maastricht festgestellt, dass 87 deutsche Unterneh-
men direkt oder indirekt im Ausland Menschenrechtsver-
letzungen begangen oder zugelassen haben . Das dürfen
wir nicht hinnehmen .


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg . Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Eines möchte ich ganz klar sagen: Für die Linke ist die
Einhaltung von Menschenrechten nicht verhandelbar .
Es wird dabei offensichtlich, dass wir uns auf freiwil-
lige Maßnahmen und Selbstverpflichtungserklärungen
der Unternehmen nicht verlassen können . Das zeigt lei-
der auch das Textilbündnis von Entwicklungsminister
Müller . Der Nationale Aktionsplan „Wirtschaft und Men-
schenrechte“, durch den unwürdige Arbeitsbedingungen
in der Bekleidungsbranche aufgezeigt und verbessert

werden sollten, wurde durch das CDU-geführte Finanz-
ministerium ganz im Sinne der Wirtschaft weichgespült .

Der vorliegende Gesetzentwurf stellt die Interessen
der Wirtschaft über die gesellschaftlichen und umwelt-
politischen Interessen der Menschen und der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer . Er fällt hinter zentrale For-
derungen der Europäischen Richtlinie zurück . Das ist für
die Linke nicht akzeptabel


(Beifall bei der LINKEN)


und sollte auch von diesem Parlament nicht hinge-
nommen werden . Von 11 200 großen Unternehmen
in Deutschland werden nach diesem Gesetz nur etwa
300 Unternehmen verpflichtet sein, ihre Geschäftstä-
tigkeit nach den genannten Kriterien offenzulegen und
über die gesellschaftlichen Folgen ihrer Aktivitäten zu
berichten . Nur börsennotierte Unternehmen mit mehr als
500 Beschäftigten werden von diesem Gesetz erfasst .


(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Das steht zufällig auch in der Richtlinie, Kollegin!)


Durch diesen sehr eingeschränkten Anwendungsbe-
reich fallen zum Beispiel große Lebensmittelkonzerne
wie Lidl, Edeka, Aldi oder auch der dm-Drogeriemarkt
durch den Rost . Sie lassen zwar weltweit produzieren,
sind aber nicht zur Offenlegung verpflichtet. Aber genau
diese Unternehmen werden regelmäßig für die schlech-
ten Produktionsbedingungen ihrer Eigenmarken in fer-
nen Erzeugerländern kritisiert .

Die Linke fordert deshalb, dass alle deutschen Unter-
nehmen, die im globalen Handel tätig sind, gesetzlich
verpflichtet werden müssen und menschenrechtliche
Sorgfalt in den Handelsbeziehungen entlang der gesam-
ten Wertschöpfungskette garantieren müssen .


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke fordert auch, dass der Geltungsbereich des
Gesetzes auf Unternehmen ab 250 Beschäftigten erwei-
tert werden sollte, unabhängig davon, ob sie an der Börse
notiert sind oder nicht .

Nicht zuletzt sollte das CSR-Gesetz auch einer bes-
seren Verbraucherinformation dienen . Daher müssen die
Berichte in verständlichen Worten verfasst werden . Und
aus verbraucherpolitischer Sicht brauchen wir eine Be-
richtsform, die Vergleiche verschiedener Unternehmen
ermöglicht .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lesen Sie gerade meinen Antrag vor?)


Der vorliegende Gesetzentwurf weist eine leider noch
lange Liste von Mängeln auf, die ich jetzt nicht mehr auf-
zählen kann . Die Linke fordert aber die Koalition auf, im
Sinne weltweiter Einhaltung von Menschenrechten, des
Schutzes der Umwelt und der Arbeitnehmerrechte deutli-
che Korrekturen an diesem Gesetzentwurf vorzunehmen .

Deutschland ist eine der mächtigsten Marktwirtschaf-
ten der Welt . Wir könnten viel bewegen, wenn wir denn
wollten .

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der LINKEN)


Parl. Staatssekretär Ulrich Kelber






(A) (C)



(B) (D)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819630400

Vielen Dank, Karin Binder . – Nächster Redner in der

Debatte: Dr . Heribert Hirte für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Heribert Hirte (CDU):
Rede ID: ID1819630500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Corporate Social Responsibility – wir haben es gerade
schon vom Staatssekretär gehört – beschreibt die Tatsa-
che, dass Unternehmen nicht nur ihren Eigentümern ge-
hören, sondern in vielfältiger Weise auch zu anderen Be-
zugsgruppen in intensiver Beziehung stehen . Zu nennen
sind erst einmal die Arbeitnehmer; aber die Unternehmen
haben auch – positiven oder negativen – Einfluss auf die
Umwelt, und sie können durch ihre Zulieferketten Ein-
fluss auf die Arbeitsbedingungen auch in anderen Län-
dern haben .

All das sind wichtige Faktoren, die den Wert eines
Unternehmens nicht zwingend für die Eigentümer, wohl
aber für uns, für die Gesellschaft, ausmachen . Hierüber
mehr zu wissen, ist deshalb ein berechtigtes Anliegen
eben dieser unserer Gesellschaft, das man verfassungs-
rechtlich als Teil der Sozialpflichtigkeit des Eigentums
ansehen kann . Die bislang fehlende Offenlegung ist aber
sicher auch der Tatsache geschuldet, dass es hier um Fak-
toren geht, die man bilanziell – ich sage das bewusst – als
„weiche“ Faktoren bezeichnet .

Die Europäische Union unternimmt deshalb mit der
Richtlinie, die durch das Gesetz umgesetzt werden soll,
zu Recht den Versuch, die Art und Weise der Berichter-
stattung über diese Informationen europaweit anzuord-
nen und zu harmonisieren . Sie tut das, indem sie die
Offenlegung der maßgeblichen Informationen als Teil
des Jahresabschlusses verlangt, was insoweit durchaus
richtig ist, als aus den genannten Sachverhalten Risiken
aber eben auch Chancen für die Unternehmen resultieren
können, die auch heute schon Gegenstand des Lagebe-
richts im Jahresabschluss sind .

Deshalb sieht der Regierungsentwurf vor – Herr
Kelber hat das eben schon gesagt –, dass kapitalmarkt-
orientierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern
bestimmte, sogenannte nichtfinanzielle Angaben in die
Bilanz aufnehmen müssen . Es gibt die Möglichkeit, in
bestimmten Fällen auf diese Angaben zu verzichten,
wenn entweder diese zu erheblichen Nachteilen führen
könnten oder man das konzernweit zusammenfasst .

Bei alledem sollte aber nicht übersehen werden, dass
wir in Deutschland mit der unternehmerischen Mitbe-
stimmung schon heute Stakeholder-Interessen in einem
Maße einbeziehen, das im internationalen Vergleich kei-
neswegs selbstverständlich ist .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zu erinnern ist zudem daran, dass der Aufsichtsrat nach
§ 171 Aktiengesetz den Jahresabschluss einschließlich
der jetzt neu einzuführenden Angaben zu prüfen hat und
dass auch auf diesem Wege Stakeholder – bei mitbe-
stimmten Unternehmen vor allen Dingen die Arbeitneh-
mer – ihre Sicht der Dinge transparent in die erweiterte

Berichterstattung des Jahresabschlusses einfließen lassen
können und müssen .

Bei allem Verständnis für das Interesse an zusätzli-
chen Informationen darf nicht übersehen werden,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Interesse?)


dass deren Beschaffung und Zurverfügungstellung für
die Unternehmen einen beträchtlichen Verwaltungsauf-
wand darstellt .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach was!)


– Frau Künast, auf Ihren Antrag komme ich gleich noch
zu sprechen . – Deshalb ist es richtig, dass kleine und
mittlere Unternehmen nicht von der Berichtspflicht um-
fasst werden, dass keine weiteren Themen – jedenfalls
im Augenblick; Herr Kelber hat das angesprochen – in
den Gesetzentwurf aufgenommen werden, insbesondere
nicht die Frage des Verbraucherschutzes, und dass die
Angaben zur Corporate Social Responsibility nicht von
einem externen Prüfer auf inhaltliche Richtigkeit über-
prüft werden müssen .

Dieser zutreffende Ansatz hinsichtlich der Einschrän-
kungen muss aber noch ein bisschen nachgezeichnet
werden . Denn zunächst fehlt die entsprechende Kon-
kretisierung bzw . Einschränkung im sogenannten En-
forcement-Verfahren . Zudem wird diese Beschränkung
derzeit noch dadurch konterkariert, dass bei einer frei-
willigen externen Überprüfung des Berichts das Ergeb-
nis dennoch offenzulegen ist . Auch darüber müssen wir
nachdenken . Schließlich ist es möglich, dass über eine
Anfechtungsklage eine Prüfung erzwungen wird . Damit
wird der Ansatz im Ergebnis konterkariert . Wir müssen
auch darüber nachdenken, ob das wirklich so gewollt ist .

Was die teilweise geforderten Angaben zum Verbrau-
cherschutz anbelangt, kann man nur sagen, dass ihre
Verortung im Jahresabschluss systemfremd wäre . Denn
von einem Unternehmen kann nicht gleichzeitig die Ge-
winnerzielung verlangt werden – denn das ist es, wofür
Gesellschaften da sind – und auf der anderen Seite die
Berücksichtigung der Interessen der Marktgegenseite .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Was ist das denn für ein Unsinn? Du kannst doch nicht die Kunden vergiften!)


Ein richtiger Ansatz ist hier vielmehr, dass diese Aufgabe
wie bisher durch unabhängige dritte Institutionen wie die
Stiftung Warentest oder durch Gütesiegelgemeinschaften
wahrgenommen wird . Auch darüber haben wir schon ei-
niges gehört .

Dass die Kosten im Übrigen zu gering angesetzt sind,
hat der BDI zu Recht angeführt .

Jetzt, Frau Künast, zu Ihrem Antrag: Mit den in ihm
enthaltenen Forderungen – Sie werden diese sicher
gleich vortragen – nach einer deutlichen Ausweitung des
Anwendungsbereichs des Gesetzes und vor allem einer
erheblichen Zahl weiterer Vorgaben für den Inhalt der
Berichtspflicht einschließlich der Notwendigkeit einer
externen Prüfung zeigen Sie völliges Unverständnis für






(A) (C)



(B) (D)


die Belange der kleinen und mittleren Unternehmen . Ich
würde mich fragen, ob Ihre Kollegen in Hessen und Ba-
den-Württemberg das genauso sehen . Wir werden diesen
Antrag jedenfalls ablehnen, und ich freue mich auf die
weiteren Beratungen .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819630600

Vielen Dank, Dr . Hirte . – In der Tat, die nächste Red-

nerin: Renate Künast für Bündnis 90/Die Grünen .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819630700

Ach ja, ich fange doch einmal mit etwas Positivem an .

Es ist gut und richtig, dass Unternehmen zukünftig nicht
nur über betriebswirtschaftliche, sondern auch über öko-
logische und soziale Aspekte ihrer Tätigkeit berichten
müssen . Transparenz ist ja der erste Schritt zur Verhal-
tensänderung . Meine Damen und Herren, das gilt nicht
nur für Unternehmen, sondern logischerweise auch für
die Kunden, die kaufen . Wir wollten doch Verhaltensän-
derung, oder?

Der Punkt ist doch: Wir haben mit den Sustainable
Development Goals, also den Zielen für nachhaltige Ent-
wicklung im Rahmen der UN, und mit den Klimazielen
von Paris einen ganz klaren Auftrag für Nachhaltigkeit .
Diese müssen wir herstellen . Nachhaltigkeit fällt nicht
vom Himmel .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das muss sich in einem Gesetzesvorhaben wider-
spiegeln . In dieser Hinsicht ist der vorliegende Gesetz-
entwurf extrem dürftig . Wenn es etwas nachzubessern
gilt, dann muss es in die andere Richtung gehen, Herr
Hirte . Hier setzt meine Kritik an . Sie haben die Chance
verpasst, Unternehmensverantwortung und Nachhaltig-
keit zusammenzubringen . Damit verpassen Sie auch die
Chance, den deutschen Unternehmen die Möglichkeit zu
geben, vorne zu sein und zu sagen: Wir haben uns schon
die entsprechenden Produkte, Produktionsstufen und
Transportwege ausgedacht . Wir produzieren so, dass die
Sustainable Development Goals und die Klimaziele be-
rücksichtigt werden . – Vielleicht würde das sogar zum
Kauf von so hergestellten Produkten animieren . Insofern
verstehe ich gar nicht, warum Sie so zögerlich sind .

Sie sagen immer, dass Sie europäisches Recht eins zu
eins umsetzen wollen . Das tun Sie hier aber gar nicht .
Vielmehr beschränken Sie es noch . Ein Beispiel: Sie
haben nicht vorgeschrieben, dass generell über alle we-
sentlichen Risiken für Mensch und Umwelt zu berichten
ist. Stattdessen gilt die Berichtspflicht nur dann, wenn ei-
nem Unternehmen Gewinneinbußen drohen . Ich möchte
das Unternehmen kennenlernen, das sagt: Wir lassen in
Bangladesch, Myanmar und China unter so schlechten
Bedingungen produzieren, dass bald eine Umwelt- oder
eine Menschenrechtsgruppe darauf kommen und uns öf-
fentlich bloßstellen wird, und deshalb wird es Gewinn-
einbußen geben . – Noch nicht einmal wir glauben, dass
Unternehmen zugeben, dass aus diesem Grund Gewinn-

einbußen drohen . Das EU-Recht schreibt übrigens Ge-
winneinbußen als Kriterium nicht vor .

Sie gehen sogar noch weiter und sagen, dass sehr
wahrscheinlich schwerwiegende negative Auswirkungen
vorhanden sein müssen . Die EU-Richtlinie spricht aber
nur von wahrscheinlich schwerwiegenden Auswirkun-
gen . Sie setzen das EU-Recht also nicht eins zu eins um,
sondern geben den Unternehmen sogar noch Futter, da-
mit sie über noch weniger Bereiche berichten müssen . Es
geht hier aber um Menschenrechte und ökologische Zie-
le, die sich die Unternehmen selber stecken . Ich verstehe
daher nicht, warum Sie das derartig beschränken . Sie von
der Partei mit dem C im Namen sagen doch immer, dass
Sie das alles interessiert . Vor diesem Hintergrund kann
ich diese Begrenzung nicht verstehen .

Schauen wir uns den Anwendungsbereich an; den ha-
ben wir schon in unserem Antrag dargelegt . Der Anwen-
dungsbereich ist unseres Erachtens völlig unzureichend .
Nach Ihrem Entwurf müssen nur kapitalmarktorientierte
Gesellschaften mit mehr als 500 Mitarbeitern berichten .
Das sind circa 300 Unternehmen . Aber was ist mit Aldi,
Rewe, dm und Lidl, die weltweit produzieren lassen und
einkaufen? Wenn die Mitglieder der Ausschüsse dieses
Hauses irgendwohin fahren – nach Myanmar, Bangla-
desch, China oder Vietnam zum Beispiel –, dann finden
sie all diese Unternehmen vor . Warum sollen solche Un-
ternehmen nicht der Berichtspflicht unterliegen und dar-
legen müssen, ob sie die Arbeitnehmerrechte der Interna-
tional Labour Organisation einhalten? Warum soll es eine
entsprechende Berichtspflicht für solche Unternehmen
nicht geben? Ich verstehe das nicht .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich habe noch Ferrero vergessen . Aber dieses Unterneh-
men ist ohnehin mit Ihnen verbunden . Daher verwundert
mich das dann doch nicht .

Wir sind der Meinung, dass auch diejenigen großen
Unternehmen berichtspflichtig sein müssen, die von
öffentlichem Interesse sind . Nach unserer Auffassung
sollten auch Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbei-
tern dieser Pflicht unterliegen. Sie haben weder hier für
Klarheit gesorgt noch klare ökologisch-soziale und men-
schenrechtliche Kriterien geschaffen . Sie haben noch
nicht einmal ein Rahmenwerk vorgegeben, nach dem zu
berichten ist . Jeder kann munter etwas berichten . Aber so
ist es nicht vergleichbar . Was sollen denn die Kunden mit
den Informationen eigentlich anfangen? Meine Damen
und Herren von der Koalition, Sie müssen vorschreiben,
dass nach einem bestimmten Rahmenwerk, beispiels-
weise nach den Regeln der Global Reporting Initiative,
nach dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex oder den
OECD-Leitsätzen für multinationale Unternehmen, zu
berichten ist . Erst dann kann man Vergleiche ziehen und
sich entscheiden .

Herr Hirte, Sie haben zudem auf die externen Prüfer
verwiesen . Wer sonst sollte prüfen?


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819630800

Die Redezeit!

Dr. Heribert Hirte






(A) (C)



(B) (D)



Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819630900

Es muss sich um externe und finanziell unabhängige

Prüfer handeln .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819631000

Frau Kollegin!


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819631100

Letzter Satz .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819631200

Ja, bitte .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819631300

Die Unternehmen dürfen sich nicht zusammentun und

ein Überprüfungsinstitut gründen, das dann externe Prü-
fer zur Verfügung stellt .

Mit dem dünnen Gesetz, dessen Entwurf vorliegt,
werden wir nichts für Ökologie und Menschenrechte tun .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819631400

Vielen Dank, Renate Künast . – Nächster Redner:

Metin Hakverdi für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD)



Metin Hakverdi (SPD):
Rede ID: ID1819631500

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! Mit diesem vom Kabinett beschlossenen Gesetzent-
wurf zur Umsetzung der CSR-Richtlinie soll das Vertrau-
en der Verbraucherinnen und der Verbraucher, aber eben
auch der Investoren durch Transparenz gestärkt werden .
Der beschlossene Gesetzentwurf will, dass Unterneh-
men nachhaltig wirtschaften, mehr gesellschaftliche
Verantwortung übernehmen und ihr unternehmerisches
Handeln transparent machen . Damit soll für die Investi-
tions- und die Kaufentscheidung eine bessere Grundlage
geschaffen werden .

Besonders hervorzuheben ist die Berichtspflicht, die
eine Berichterstattung über Umwelt-, Arbeitnehmer- und
Sozialbelange, also auch über die ILO-Kernarbeitsnor-
men, die Achtung der Menschenrechte und die Bekämp-
fung von Korruption und Bestechung konkret verankert .
Das bedeutet endlich, dass Unternehmen dann gegebe-
nenfalls über die Zusammensetzung und die Qualität
ihrer internationalen Lieferketten in ihrem Lagebericht
informieren müssen .

Zwei Feststellungen sind für mich im Zusammenhang
mit dieser Richtlinie besonders wichtig .

Erstens . Wir verabschieden uns mit diesem Gesetz
von der alten Vorstellung, dass unternehmerisches Han-
deln und soziale Verantwortung, dass Ökonomie und
Ökologie Gegensatzpaare sind, die sich nicht miteinan-
der vereinbaren lassen . Es ist ein weitverbreiteter Irrglau-

be, dass man nur eines sein kann: entweder wirtschaftlich
erfolgreich oder sozial verantwortlich . Das ist falsch .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die CSR-Richtlinie ist die gesetzgeberische Weiter-
entwicklung der Feststellung, dass Transparenz eine un-
ternehmerische Managementmethode ist, eine Manage-
mentmethode, die Verantwortung und Erfolg miteinander
verbindet .

Zweitens . Es ist die Umsetzung einer europäischen
Richtlinie . Bis zum Jahresende werden eben auch alle
anderen europäischen Mitgliedstaaten diese Richtlinie
umsetzen . Das schafft Wettbewerbsgerechtigkeit und
Transparenz für ganz Europa . Das ist eine echte europä-
ische Erfolgsgeschichte, die heute, aber auch in Zukunft
fortzuschreiben sich lohnt .

Ein Satz zu Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kol-
legen vom Bündnis 90/Die Grünen . Dort sind Forderun-
gen enthalten, die durchaus nachdenkenswert sind .


(Dr . Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann unterstützen Sie ihn mal ganz schnell!)


Beispielhaft seien hier die Forderungen hinsichtlich des
Anwendungsbereichs der Richtlinie und der Vergleich-
barkeit – das fand ich besonders interessant – der Berichte
durch Standardisierung genannt . Auch die SPD-Fraktion
hat die Absicht, weiteren Ergänzungsbedarf im parla-
mentarischen Verfahren zu besprechen . Beispielhaft sei
hier der Verbraucherschutz im Hinblick auf Datenschutz
genannt, aber auch der Beschäftigtendatenschutz . Wir
finden außerdem, dass die UN-Leitlinien für Wirtschaft
und Menschenrechte durchaus als verbindlicher Bezugs-
rahmen wörtlich genannt werden könnten .

Wie Sie sehen, gibt es eine Menge im bevorstehenden
Verfahren zu prüfen und zu besprechen . Ich freue mich
deshalb auf die Beratungen im Ausschuss .

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit . Schönen
Abend noch .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819631600

Vielen Dank, Herr Kollege Hakverdi . – Der letzte

Redner in dieser Debatte: Alexander Hoffmann für die
CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1819631700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-

nen und Kollegen! Die deutsche Wirtschaft hat weltweit,
will ich sagen, einen guten Ruf . Deutsche Unternehmen
stehen für Qualität, ja, sie sind beispielgebend für Zu-
verlässigkeit und für Leistungsfähigkeit . Wenn sich deut-
sche Unternehmen weltweit an ihrer Leistungsfähigkeit
messen lassen, dann ist es nur gut und richtig, dass sich
deutsche Unternehmen auch daran messen lassen, wie sie
denn mit nichtfinanziellen Aspekten umgehen.






(A) (C)



(B) (D)


Es ist berechtigt, Unternehmen die Frage zu stellen,
wie sie zum Beispiel die Umweltbelange an internationa-
len Standorten realisieren, unter welchen Bedingungen
Arbeitnehmer an internationalen Standorten und in der
Lieferkette produzieren und für das Unternehmen arbei-
ten . Es ist gut, dass dort die sozialen Bedingungen hin-
terfragt werden und die Frage formuliert wird, ob die Ge-
schlechtergerechtigkeit, Gesundheitsbelange, das Recht
der Gewerkschaften oder zum Beispiel der Arbeitsschutz
beachtet werden . Diese Fragen sind umso wichtiger, als
wir uns vergegenwärtigen müssen, dass wir in einer glo-
balisierten Welt leben und letztendlich fast jedes große
Unternehmen international produziert oder internationa-
len Handel betreibt .

Deswegen freue ich mich ganz besonders, dass
wir heute in dieser ersten Lesung die Umsetzung der
CSR-Richtlinie debattieren. Das Kernstück ist die Pflicht
zur Aufnahme nichtfinanzieller Aspekte in den Lagebe-
richt . Es ist also fortan im Lagebericht nicht nur über
betriebswirtschaftliche, über finanzielle Aspekte zu be-
richten, sondern eben auch über die Aspekte, wie ich
sie vorhin skizziert habe . Die Idee dabei ist, dass wir
damit das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die
Unternehmen, das Vertrauen der Verbraucherinnen und
Verbraucher sowie der Investoren stärken . Wenn dann
entsprechende Transparenz hergestellt ist, sollten Ver-
braucherinnen und Verbraucher auch die Möglichkeit
haben, Handlungsweisen zu hinterfragen und auf Unter-
nehmen einzuwirken .

Ich will aber an der Stelle auch deutlich machen, dass
das nur ein Baustein sein kann . Denn wir sollten uns nicht
der Illusion hingeben, dass in Zukunft jeder Verbraucher
in den Lagebericht gucken wird, sondern es bedarf wei-
terhin vieler anderer Bausteine, um auch beim Verbrau-
cher die notwendige Sensibilität zu erzeugen .

Ich will an der Stelle noch einen zweiten Aspekt an-
sprechen, weil er einfach gut passt . Dieser stach mir bei
der Lektüre des Antrags von Bündnis 90/Die Grünen di-
rekt ins Auge. Ich finde den Antrag an einer Stelle tat-
sächlich gelungen . Denn da lassen Sie durchblicken, dass
sie durchaus verstanden haben, dass Unternehmen, wenn
sie weltweit produzieren bzw . weltweit platziert sind, in
der Lage sind, unsere deutschen bzw . europäischen Stan-
dards in die Welt hinauszutragen . Das, liebe Kolleginnen
und Kollegen von den Grünen und von den Linken, ist
aber die große Chance von Freihandel . Das ist auch die
große Chance von TTIP und CETA . Das zu sagen, lasse
ich mir an dieser Stelle nicht nehmen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deswegen ist mein Appell an dieser Stelle, dass Sie dann
bitte auch die Diskussion um TTIP und CETA in Zukunft
angereichert durch diese Erkenntnis führen .


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819631800

Herr Kollege Hoffmann, erlauben Sie eine Zwischen-

bemerkung oder -frage?


Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1819631900

Aber mit großem Vergnügen, Frau Präsidentin .


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819632000

Wenn die Argumente in sich nicht schlüssig sind, habe

ich halt ein Problem . – Sie sagen Folgendes: Wenn wir
den Handel und die Produktion in alle Welt hinaustra-
gen, würden wir doch gerade die deutschen bzw . euro-
päischen Standards in die Welt bringen . Wie passt das
eigentlich damit zusammen, dass die Unternehmen in
Deutschland – insbesondere die, die an dieser irgend-
wie nicht zum Ergebnis kommenden Textilbündnisrunde
des CSU-Ministers Müller beteiligt sind – immer sagen:
„Nein, wir können aber gar keinen Einfluss nehmen in
Bezug auf die Frage, ob in Bangladesch die ILO-Arbeits-
normen eingehalten werden oder das Wasser nach dem
Färbeprozess so gereinigt wird, dass keine gesundheit-
lichen Schäden entstehen“? Das passt doch irgendwie
nicht zusammen .

Auf der einen Seite sagen die Unternehmen, es dür-
fe keine bindenden Regeln geben, weil sie das gar nicht
selber bestimmen können . Sie dagegen behaupten jetzt
auf der anderen Seite, mit Freihandel würde sich das
automatisch ergeben . Wer hat denn nun recht? Sie oder
Ihr Minister, der sich darauf einlässt, dass das angeblich
nicht geht?


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819632100

Herr Hoffmann, bitte .


Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1819632200

Frau Kollegin, ich muss eines richtigstellen . Offen-

sichtlich haben Sie mir nicht richtig zugehört . Ich habe
lediglich davon gesprochen, dass bezüglich dieser The-
menstellung Freihandel immer eine Chance ist . Denn
wenn deutsche oder europäische Unternehmen internati-
onal platziert sind bzw . internationale Handelsbeziehun-
gen unterhalten, haben wir die Möglichkeit, auch Stan-
dards im Arbeitsschutz zu transportieren . Dann haben
wir die Möglichkeit, auch Standards in Umweltbelan-
gen zu platzieren . Sie unterstellen mir gerade, ich hätte
irgendetwas behauptet . Wenn Sie zugehört hätten, wäre
Ihre Formulierung eine andere gewesen .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Liebe Frau Kollegin Künast, ich komme jetzt auch im
Rahmen meiner Rede zu Ihnen . Denn im letzten Drittel
meiner Rede möchte ich mich mit Ihren Argumenten aus-
einandersetzen . – Wenn Sie mir zuhören würden, hätten
wir vielleicht die Möglichkeit, noch einmal einen kleinen
Dialog zu führen .

Sie haben wieder behauptet, dass der vorliegende Ge-
setzentwurf hinter der Richtlinie zurückbleiben würde .
Denn Sie sagen eben, dass der vorliegende Gesetzent-
wurf nur die Beschreibung der nichtfinanziellen Aspekte
erfordert, die zugleich auch Auswirkungen auf die Ge-
schäftstätigkeit und die Lage des Unternehmens haben .
Damit ginge es letztendlich doch wieder nur um finanzi-
elle Rahmenbedingungen .

Alexander Hoffmann






(A) (C)



(B) (D)


Jetzt habe ich mir die Mühe gemacht, die Formulie-
rungen abzugleichen . Ich will sie ganz kurz vortragen .
Es steht nämlich im Gesetzentwurf, dass diejenigen
nichtfinanziellen Aspekte zu schildern sind, die – jetzt
das Zitat – für das Verständnis des Geschäftsverlaufs, des
Geschäftsergebnisses, der Lage der Kapitalgesellschaft
sowie der Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die in Ab-
satz 2 genannten Aspekte erforderlich sind …

Und in der Richtlinie steht:

Nichtfinanzielle Erklärungen müssen diejenigen
Angaben enthalten, die für das Verständnis des Ge-
schäftsverlaufs, des Geschäftsergebnisses, der Lage
des Unternehmens sowie der Auswirkungen seiner
Tätigkeit erforderlich sind .

Das ist fast wortwörtlich dieselbe Formulierung, und
trotzdem behaupten Sie an dieser Stelle etwas anderes .


(Dr . Heribert Hirte [CDU/CSU]: Ein Blick ins Gesetz erleichtert die Rechtsfindung!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen: Wir
werden noch viel Diskussionsbedarf haben . Ich bin zu-
versichtlich, dass wir dieses spannende Thema in den
weiteren Beratungen deutlich voranbringen werden, und
bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819632300

Vielen Dank, Alexander Hoffmann . – Damit schließe

ich die Aussprache .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/9982 und 18/10030 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . –
Sie sind damit einverstanden . Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Jan van Aken,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Frieden, Demokratie und soziale Gerechtig-
keit in Lateinamerika unterstützen – Abset-
zung der Präsidentin Brasiliens missbilligen

Drucksache 18/10013
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen . – Auch da höre
und sehe ich keinen Widerspruch . Dann ist das so be-
schlossen .

Die Plätze bitte einnehmen, weil es schon sehr spät ist .

Ich beginne die Aussprache und gebe das Wort
Wolfgang Gehrcke für die Linke .


(Beifall bei der LINKEN)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1819632400

Danke sehr, Frau Präsidentin . – Liebe Kollegin-

nen und Kollegen! Wir haben uns sehr darum bemüht,
die Bundesregierung zu ermuntern, zu dem geplanten
EU-Lateinamerika-Gipfel, wenngleich auch nicht auf der
Ebene der Regierungschefs, sondern der Außenminister,
eine Regierungserklärung abzugeben . Wenn man weiß,
welche Bedeutung Lateinamerika in der Zusammenar-
beit und bei den Anstrengungen zur Bekämpfung von
Hunger und Armut hat, wäre das durchaus angemessen
gewesen . Man muss den Ländern Lateinamerikas mehr
anbieten können als nur diese unsäglichen Debatten über
Freihandelsverträge .


(Beifall bei der LINKEN)


Das hätten wir gerne gehabt . Die Regierung wollte das
nicht . Deswegen haben wir mit einem eigenen Antrag im
Vorwege ein paar Vorschläge eingebracht . Ich will das
zuspitzen auf drei Länder, die aber exemplarisch stehen .

Das erste Land ist Kuba . Die Beziehungen zwischen
Deutschland und Kuba haben sich grundlegend verbes-
sert. Das ist ein großer Vorteil. In Kuba findet ein Prozess
von wirtschaftlichen Reformen statt, von denen ich sehr
hoffe, dass sie nicht die sozialen Bindungen der Gesell-
schaft aufsprengen . Es ist ja noch nicht alles ausgemacht .
Ich glaube, dass wir auf dem Wege sind, eine kulturell
engere Zusammenarbeit zustande zu bringen, und ich
hoffe auch, dass das soziale Netz in Kuba immer tragfä-
higer wird – für alle Teile der Gesellschaft .


(Beifall des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Wäre es nicht gut, das Beispiel Kubas, das auch da-
mit verbunden ist, dass dieser sogenannte Gemeinsame
Standpunkt der Europäischen Union erledigt worden ist,
öffentlich zu diskutieren? Ich würde es gut finden. Ich
möchte auch ein klares Wort der Bundesregierung, dass
sie sich künftig bei Abstimmungen über die Frage, ob die
Blockade der USA gegenüber Kuba vollständig aufgeho-
ben wird, auf die Seite der Gegner einer solchen Blocka-
de schlägt . Das wollen wir hier diskutieren . Ich habe es
ungeheuer genossen, dass Obama Kuba besucht hat .


(Erika Steinbach [CDU/CSU]: Wir reden über Brasilien!)


Bei diesem großen Konzert der Rolling Stones in Havan-
na wäre ich gerne dabei gewesen und viele andere auch .
Lassen Sie uns das gemeinsam ausbauen .


(Beifall des Abg . Matthias W . Birkwald [DIE LINKE])


Von Kuba komme ich zum zweiten Land und kann nur
appellhaft sagen: Lassen Sie uns alles tun, um den Regie-
rungschef Kolumbiens, den Präsidenten Santos, und die
FARC-Rebellen zu ermuntern, bei dem geschlossenen
Abkommen, das ja nicht von der Bevölkerung ratifiziert

Alexander Hoffmann






(A) (C)



(B) (D)


worden ist, zu bleiben . Diese Wunde des Krieges in La-
teinamerika muss unbedingt geschlossen werden .


(Beifall bei der LINKEN)


Da könnten Deutschland und die Europäische Union
wirklich Einfluss nehmen und sagen: Wir wollen das, wir
unterstützen das .

Ich komme zum dritten Land – da appelliere ich ins-
besondere an die Fraktion der SPD –: Die Absetzung
von Dilma Rousseff in Brasilien war kein reguläres Ver-
fahren . Die Putschisten in Lateinamerika kommen heu-
te nicht mehr in Offiziersuniformen und Stiefeln daher,
sondern es sind Menschen in Nadelstreifenanzügen .

Zu dem neuen Präsidenten – ein illegaler Präsident,
wie ich finde – muss sich die Bundesregierung auch ein-
mal erklären . Im Ausschuss ist meine Formulierung „Das
war ein Putsch“ von fast allen bis auf die CDU/CSU ge-
teilt worden . Das habe ich auch nicht anders erwartet .

Der neue Präsident hat als Erstes angekündigt, die öf-
fentlichen Ausgaben für die kommenden 20 Jahre ein-
zufrieren und dadurch im Bildungs- und Sozialbereich
mehr als 100 Milliarden Euro einzusparen . Wissen Sie,
was das für ein Land wie Brasilien bedeutet, wo unter
Rousseff und Lula die Armut endlich bekämpft wor-
den ist? Wenn man die öffentlichen Ausgaben einspart,
schlägt man wieder auf die Armen und Benachteiligten
der Gesellschaft ein. Ich finde, ein europäischer Protest
wäre mehr als angemessen . Ich hätte gerne von der Bun-
desregierung gehört, ob sie es macht oder nicht . Hoffen
wir einmal, dass sie sich einiges zu Herzen nimmt . Man
kann nicht in Kuba die Bedingungen verbessern und
dann sagen: Das größte Land der ganzen Region, das
prägend ist, interessiert uns nicht . – Ich meine, dass wir
gemeinsam in diese Richtung überlegen sollten .

Danke sehr .


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819632500

Vielen Dank, Wolfgang Gehrcke . – Das Wort hat

Dr . Andreas Nick für die CDU/CSU-Fraktion .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Andreas Nick (CDU):
Rede ID: ID1819632600

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Brasilien befindet sich seit Ende 2015 in einer
schweren innenpolitischen Krise . Natürlich verfolgen
wir die Entwicklung in einem unserer wichtigsten Part-
nerländer in Lateinamerika sehr genau .

Mit Brasilien unterhalten wir seit 2008 – übrigens
als erstem Land in Lateinamerika – eine strategische
Partnerschaft . Im vergangenen Jahr fanden erstmals in
Brasilia hochrangige Regierungskonsultationen unter
Beteiligung der Bundeskanzlerin statt . Deutschland und
Brasilien haben in den letzten Jahren wichtige gemeinsa-
me Initiativen unternommen, gemeinsam mit Indien und
Japan als G 4 für eine Reform der Vereinten Nationen
und eine Erweiterung des UN-Sicherheitsrates, in der in-
ternationalen Klimaschutz- und Umweltpolitik, bei den

G 20, im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen und
insbesondere in der Cyberpolitik . So haben beide Länder
gemeinsam eine Resolution zum Recht auf Privatsphä-
re im digitalen Zeitalter in die Generalversammlung der
Vereinten Nationen eingebracht, die erfolgreich verab-
schiedet wurde .

Dies alles zeigt: Unsere Regierungen haben auch un-
ter der Präsidentin Dilma Rousseff in den letzten Jahren
eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet . Eine Reihe
von Kollegen aus diesem Hause sind Frau Rousseff bei
einem Besuch in Brasilia mit Außenminister Steinmeier
im vergangenen Jahr persönlich begegnet .

Allerdings hat die erst 2014 von den Wählern im Amt
bestätigte Präsidentin in kurzer Zeit einen dramatischen
Vertrauensverlust in der Bevölkerung erlitten . Wesent-
liche Ursache der Unzufriedenheit der Bevölkerung ist
die stärkste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten . Aber auch
die Vielzahl von Korruptionsskandalen untergräbt das
Vertrauen der Brasilianer in die Politik insgesamt, allen
voran die Ermittlungen gegen den ehemaligen Präsiden-
ten Lula . Auch die bisherigen Oppositionsparteien gehen
nicht gestärkt aus der Krise hervor; denn sie sind selbst
zahlreichen Korruptionsvorwürfen ausgesetzt . Die De-
mokratie in Brasilien droht daher, insgesamt Schaden zu
nehmen .

Die Unzufriedenheit mit der Regierung zeigte sich er-
neut im August . Die Arbeiterpartei der ehemaligen Präsi-
dentin hatte bei den Kommunalwahlen eine verheerende
Niederlage erlitten . Die Präsidentin hat offensichtlich
den Rückhalt in Parlament und Bevölkerung weitgehend
verloren . Die Zustimmungswerte ihrer Amtsführung san-
ken von 80 Prozent im Jahr 2013 auf 10 Prozent im Jahr
2016 . Ursachen dafür sind vor allem mangelhaftes Kri-
senmanagement im Rahmen der Petrobras-Affäre, unzu-
reichende Kommunikation politischer Entscheidungen
und nicht zuletzt unterlassene Reformen .

Die politischen Voraussetzungen für ein Misstrauens-
votum waren also durchaus gegeben . Allerdings sieht die
brasilianische Verfassung dieses Instrument nur in der
Form eines Amtsenthebungsverfahrens vor . Zur Begrün-
dung wurden von der Parlamentsmehrheit Ungereimthei-
ten bei der Aufstellung des Bundeshaushaltes angeführt .
Andere Begründungen, vor allem weitere Korruptions-
vorwürfe, wurden nicht bis zum Ende weiterverfolgt . Ob
die Voraussetzungen für eine Amtsenthebung in einer
engeren Auslegung sicher eher im Sinne strafrechtlicher
Verfehlungen damit erfüllt waren, ist umstritten . Krimi-
nalisierung des politischen Gegners ist sicher grundsätz-
lich kein geeignetes Mittel der demokratischen Ausei-
nandersetzung und gefährdet die politische Kultur .

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche
Bundestag ist auch nicht der geeignete Ort für ein Fort-
geschrittenenseminar zum brasilianischen Verfassungs-
recht .


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir sollten uns auch nicht die Rolle des brasilianischen
Verfassungsgerichts anmaßen .

Lieber Kollege Gehrcke, Sie sprechen in Ihrem Antrag
selbst von einem – ich zitiere – „formal regelgerechten . . .

Wolfgang Gehrcke






(A) (C)



(B) (D)


Verfahren“ . Ich sage: Wie auch immer wir hier in diesem
Hause politisch die Personen, Prozesse und Entscheidun-
gen jeweils bewerten, wir sind als Deutscher Bundestag
am Ende gut beraten, die mit großer Mehrheit getroffene
politische Entscheidung der demokratisch legitimierten
brasilianischen Abgeordnetenkammer und des Senats zu
respektieren .

Auch mit der neuen brasilianischen Regierung muss
uns an einer konstruktiven Zusammenarbeit gelegen
sein . Es wäre nämlich fatal, wenn sich der politische
Stillstand im Land noch bis zu den Präsidentschaftswah-
len im Jahr 2018 hinziehen würde . Die Verantwortung
des neuen Präsidenten Temer wiegt daher schwer . Er
muss das Vertrauen in der Bevölkerung zurückgewinnen,
politische Gräben überwinden und Politik wieder kon-
struktiv gestalten . Die Rahmenbedingungen dafür sind
gar nicht einmal schlecht; denn es gibt Signale einer po-
sitiven wirtschaftlichen Entwicklung . Der IWF berichtet,
Brasilien habe die Talsohle der Wirtschaftskrise bereits
durchschritten . Umso mehr braucht das Land natürlich
nun eine handlungsfähige und reformbereite Regierung,
die das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnt .

Aber, meine Damen und Herren, wenn man Ihren An-
trag genauer liest und wenn man sich vergegenwärtigt,
wie Sie geredet haben – Kollege Gehrcke hat das ja noch
einmal unterstrichen –, wird deutlich: Es geht Ihnen im
Kern gar nicht um Brasilien . In Wahrheit wollen Sie die
Prozesse der demokratischen Veränderung in ganz La-
teinamerika, vor allem in Venezuela und Argentinien, in
ihrer Gesamtheit diskreditieren .

Lateinamerika befindet sich in einem umfassenden
Prozess des Wandels . Viele der linken Regierungen sind
gescheitert und werden abgewählt . Die Wahlsiege der
Oppositionsparteien in Argentinien und Venezuela sind
daher Zeichen der Hoffnung . Dieser Wandel könnte sich
positiv auf den gesamten Kontinent auswirken und nicht,
wie Sie in Ihrem Antrag behaupten, zu neuen Konflik-
ten führen . Gerade der Reformkurs des neugewählten
argentinischen Präsidenten Mauricio Macri lässt auf eine
weitere positive Entwicklung und auf politische Stabili-
sierung im Land hoffen . In wenigen Monaten hat er den
Devisen- und Kapitalverkehr freigegeben, Außenhan-
delsschranken abgebaut und die seit dem Staatsbankrott
von 2001 verschleppten Schuldenkonflikte gelöst.

Wenn Sie wirklich Frieden, Demokratie und soziale
Gerechtigkeit in Lateinamerika unterstützen wollen, wie
es die Überschrift Ihres Antrags besagt, dann sollten wir
uns hier vor allem mit der katastrophalen Lage in Ve-
nezuela beschäftigen; denn dort ist der Sozialismus des
21 . Jahrhunderts der Herren Chávez und Maduro genau-
so gescheitert wie der des 20 . Jahrhunderts, für den Sie
nach wie vor stehen, und hat das Land ins Chaos gestürzt .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aus einer Wirtschaftskrise mit einer katastrophalen
Versorgungslage bei Lebensmitteln und Medikamenten
ist eine veritable Verfassungskrise geworden . Die Be-
völkerung leidet unter der akuten Mangelwirtschaft, und
die Rechte der demokratischen Opposition, die seit Ende
letzten Jahres über eine Zweidrittelmehrheit im Parla-
ment verfügt, werden systematisch eingeschränkt . Das

Referendum zur Abwahl des Präsidenten wurde bewusst
verzögert, um die Chavisten an der Macht zu halten .

Sie befürchten gemäß Ihrem Antrag, dass auch in Ve-
nezuela davon auszugehen ist – ich zitiere –, „dass ein
Regierungswechsel eine grundlegende Neuausrichtung
der Wirtschaftspolitik, auch der Außenwirtschaftspolitik,
zugunsten neoliberaler Konzepte und der Orientierung
auf Freihandel mit sich bringen würde“ . Da kann ich
nur sagen: Gerade im Sinne der betroffenen Menschen
in diesem von den Chavisten heruntergewirtschafteten
Land wäre das doch sehr zu hoffen .

Wir können unsere Partner in Lateinamerika nur er-
mutigen, auf Freiheit und Demokratie, auf Rechtsstaat-
lichkeit und Marktwirtschaft, aber auch auf verstärkte
Zusammenarbeit und regionale Integration zu setzen .
Auch der Diskussion um ein Freihandelsabkommen mit
der EU könnte dies neue Impulse geben . Umso mehr
bleibt zu hoffen, dass Brasilien als größtes Land und
wichtigste Volkswirtschaft in Lateinamerika auch künf-
tig als stabile Demokratie mit einem klaren Bekenntnis
zu nachhaltigem Wachstum und einer von Zusammenhalt
geprägten Gesellschaft seiner Verantwortung in der Re-
gion gerecht wird .

Vielen Dank .


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819632700

Vielen Dank, Dr . Andreas Nick . – Nächster Redner:

Omid Nouripour für Bündnis 90/Die Grünen .


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819632800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha-

ben jetzt eine Rede gehört, in der erzählt wurde, warum
die einen in Brasilien recht haben – ich teile vieles von
dem, was gesagt worden ist –, und zuvor haben wir eine
Rede gehört, in der erläutert wurde, warum die anderen
recht haben .

Am 2 . Oktober dieses Jahres fand in Brasilien die ers-
te Runde der Kommunalwahlen statt . Man muss wissen:
In Brasilien gibt es 145 Millionen Wahlberechtigte, und
es gibt eine Wahlpflicht. Wer nicht zur Wahl geht, muss
eine Geldstrafe zahlen, kann den Beamtenstatus verlie-
ren oder darf keinen Reisepass beantragen . Es gibt also
wirklich harsche Strafen . Das Ergebnis war historisch,
und zwar nicht nur, weil die Wahl eine Niederlage für die
Arbeiterpartei bedeutete – auch in ehemaligen Hochbur-
gen wie Sao Paulo; das ist eben schon gesagt worden –,
sondern auch, weil die Wahlbeteiligung historisch nied-
rig war . Die Wahlbeteiligung lag unter 80 Prozent, über
ein Fünftel der Bevölkerung war also bereit, die von mir
genannten Sanktionen auf sich zu nehmen . Da stellt sich
doch die Frage: Wo kommt diese unglaublich große Par-
teienverdrossenheit eigentlich her?

Es gibt Wahlkreise – das ist unglaublich –, in denen
über die Hälfte derjenigen, die gewählt haben, ihre Stim-
men bewusst ungültig gemacht haben . Man sieht wirk-
lich, dass die Parteien keine Attraktivität mehr haben .
Die Gründe liegen auf der Hand: Warum grassiert die
Korruption weiterhin? Warum ist es in den guten Zeiten

Dr. Andreas Nick






(A) (C)



(B) (D)


versäumt worden, die Wirtschaft des Landes zu diversi-
fizieren? Die Energie- und Rohstoffpreise fallen ja nicht
erst seit gestern .

Ich glaube, lieber Kollege Gehrcke, dass wir die Ver-
säumnisse der Lula- und der Dilma-Regierung nicht ver-
schweigen dürfen . Das tut Ihr Antrag aber durchaus . Der
Antrag hätte besser den Titel „Unkritische Solidarität mit
linken Parteien in Lateinamerika“ verdient .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Nein, nein, der Beifall schadet mir, lassen Sie das!


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr . Andreas Nick [CDU/CSU]: Wo du recht hast, hast du recht, Omid!)


Die Regierung Temer kündigte an, was sie ändern
will . Das ist ein Problem; denn es hat in den letzten
14 Jahren riesige Fortschritte gegeben, und diese stehen
jetzt auf dem Spiel . Es gab riesige Erfolge bei der Ar-
mutsbekämpfung . Es gab viele Erfolge bei der Stärkung
der Rechte der Minderheiten, gerade der indigenen Min-
derheiten . Es gab endlich eine Verrechtlichung der Ge-
schlechtergleichstellung . Das steht alles auf dem Spiel .
Das alles wird zurzeit von der neuen Regierung infrage
gestellt .

Es gab ein sehr großes mulitlaterales Engagement
Brasiliens im globalen Süden . Gerade in Afrika hat Bra-
silien sehr viel mehr getan als in der Vergangenheit, um
Entwicklung voranzutreiben . Das wird gerade im Sinne
einer sogenannten neuen Effizienz infrage gestellt, und
das ist doch besorgniserregend . Gerade von einem sozi-
aldemokratischen Außenminister erwarten wir, dass er
diese Themen bei unseren brasilianischen Freunden – ja,
das sind unsere Freunde – sehr klar anspricht .

Ich würde den Begriff „Putsch“ nicht verwenden, aber
es war sicherlich eine politisch motivierte Verschwörung .
Es gab den Vorwurf, dass die Budgetierungsregelungen
nicht eingehalten wurden . Dass dieser Vorwurf ausge-
rechnet von jenen kam, die die Regeln selber jahrzehnte-
lang nicht eingehalten haben, ist natürlich heuchlerisch .
Ich würde trotzdem nicht von einem Putsch sprechen, da
die formalen Regelungen eingehalten worden sind .

Wir erleben so etwas wie eine Rolle rückwärts der
alten Eliten . Das sieht man auch daran, dass im Kabi-
nett ausschließlich alte weiße Männer sind, keine einzige
Frau, keine Vertreter von indigenen Gruppen . Die Sozi-
alprogramme sollen gestrichen werden; das ist angespro-
chen worden . Die Regierung hat angekündigt, Ölbohrun-
gen vor der Küste zu erlauben . Sie wollen das erste Mal
in der Geschichte des Landes – und es gab viele Gründe,
warum es das bisher nicht gegeben hat – Land an aus-
ländische Investoren verkaufen . Gerade für uns, die zum
Beispiel großen Wert auf den Schutz des Amazonas le-
gen, klingt das ausgesprochen besorgniserregend . Des-
halb müssen wir sehr genau hinschauen, was da passiert .

Ich will wenige Sätze auf das verwenden, was im
Antrag steht, jedoch nicht zum Thema Brasilien gehört .
Auch da ist einiges sicher richtig . Ja, wir haben uns sehr
gefreut über das Friedensabkommen in Kolumbien nach
52 Jahren; unser Kollege Tom Koenigs, der heute leider

nicht hier sein kann, hat dort mitverhandelt . Auch der
Nobelpreis für Santos hat uns sehr glücklich gemacht .
Das Referendum hatte kein so erfreuliches Ergebnis . Am
Prozess festzuhalten und nicht am konkreten Ergebnis,
das ist sicher richtig . Die Annäherung zwischen den USA
und Kuba ist gut und richtig . Im Antrag steht, die EU
solle diesen Prozess institutionalisieren . Diese Meinung
teilen wir . Ich teile nicht die gesamte Analyse des Kol-
legen Nick in Bezug auf Venezuela, aber die Chavisten
heiligzusprechen, gerade vor dem Hintergrund, dass dort
Menschen verhungern, ist ein wenig zynisch .

Ich bin dankbar, dass die Linke den Antrag vorgelegt
hat . Es ist gut, dass wir hier endlich über Lateinamerika,
insbesondere über Brasilien, diskutieren . Es wäre besser
gewesen, wenn der Antrag ein bisschen differenzierter
gewesen wäre . Das hätte die Debatte, glaube ich, noch
besser gemacht .

Vielen Dank .


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819632900

Vielen Dank, Kollege Nouripour . – Der letzte Redner

in dieser Debatte und voraussichtlich auch für den heuti-
gen Abend: Klaus Barthel für die SPD-Fraktion .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1819633000

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In der

Tat ist der Anlass des Antrags gar nicht die Wahl in Bra-
silien, sondern das EU-CELAC-Außenministertreffen,
das nächste Woche in der Dominikanischen Republik
stattfindet. Es ist gut, dass wir die Gelegenheit nutzen,
um über Lateinamerika, die Karibik und ihre Beziehun-
gen zu Europa zu reden . Das ist das Verdienst des vor-
liegenden Antrags . Dennoch gibt es einige Punkte, die
man kritisieren muss; darauf komme ich später noch zu
sprechen .

Kollege Nouripour hat gerade Kolumbien angespro-
chen, und dies möchte ich ebenfalls tun, da die Entwick-
lung dort ein wenig symptomatisch dafür ist, was sich
in Lateinamerika tut, wie nahe dort Freud und Leid, Tri-
umph und Scheitern, Chancen und Risiken beieinander-
liegen, aber auch, wie sehr man sich in Einschätzungen
über die Stimmung im Volk täuschen kann, wie sich die
Eliten, die Umfrageinstitute und alle internationalen Be-
obachter täuschen können .

Deshalb wollen wir hier einmal festhalten: Gratulati-
on zu diesem Friedensvertrag vom 26 . September an den
Präsidenten Santos und die Führung der FARC . Für uns
gilt dieser Friedensvertrag weiter . Dank an alle, die im
In- und Ausland dazu beigetragen haben: die norwegi-
sche Regierung, Kuba, Venezuela, Chile, die USA, die
Zivilgesellschaft in Kolumbien selbst und das dortige
Parlament . Gratulation auch noch einmal an den Präsi-
denten Santos zum Friedensnobelpreis . Ich denke, auch
das muss hier erwähnt werden und vor allem auch die
Ankündigung, diese Friedenspolitik konsequent fortzu-

Omid Nouripour






(A) (C)



(B) (D)


setzen und jetzt auch mit der ELN zu einem Friedens-
schluss zu kommen .


(Beifall bei der SPD)


Ich denke, Dank und Anerkennung sollten auch an
die Bundesregierung gehen, dass sie diesen Prozess im
Rahmen unserer Möglichkeiten unterstützt hat und zum
Beispiel mit Tom Königs jemanden beauftragt hat, die
dortige Entwicklung zu begleiten und zu unterstützen .
An diesem Punkt gibt es, glaube ich, Konsens, auch in
dem Antrag .

In Erinnerung an den einstimmigen Beschluss, den der
Deutsche Bundestag dazu gefasst hat, meine ich schon,
wir müssen hier noch einmal ganz deutlich sagen: Es
kann nicht sein, dass sich am Ende dieses Prozesses jene
durchsetzen, die diesen Friedensprozess mit Angstmache
und Lügenkampagnen und aus rein kurzfristigen wirt-
schaftlichen und parteitaktischen Interessen nach all dem
Leid, das man jetzt über 50 Jahre dort erlebt hat, torpe-
dieren wollen . Das darf nicht passieren .

Zu Brasilien ist bereits viel Richtiges und Wichtiges
gesagt worden . Es ist schwer, dies alles ausgewogen dar-
zustellen, aber es muss, denke ich, schon deutlich wer-
den, dass wir diesen Staatsstreich – so kann man es schon
nennen – missbilligen .


(Beifall des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Eine solche Amtsenthebung ist nur bei schwerwie-
genden Vergehen und Verbrechen eines Präsidenten bzw .
einer Präsidentin möglich . Das war ein politisiertes, in-
teressengeleitetes Verfahren durch die Mehrheit im Ab-
geordnetenhaus und im Senat, und Dilma Rousseff ist
eigentlich die Letzte, die hier anzuprangern wäre . Sie ist
jedenfalls wesentlich integerer als die Mehrheit, die sich
gegen sie durchgesetzt hat .


(Beifall des Abg . Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


Kollege Nick, hier müssen wir aufpassen: Wenn wir
es billigen, dass eine Regierung eine Präsidentin nur
deshalb abwählt, weil sie jetzt Probleme hat, weil sie bei
der Öffentlichkeit in Ungnade gefallen ist, da das Land
in eine wirtschaftliche Krise geraten ist, dann hätten wir
ständig zu tun . Ich glaube, dann müssten wir auch bei uns
einmal genauer hinschauen und überlegen, ob wir so et-
was eigentlich richtig finden können: dass die schwierige
wirtschaftliche Lage und eine Vertrauenskrise dazu be-
nutzt werden können, einen Regierungswechsel auf solch
dubiose Weise herbeizuführen .

Vor allem müssen wir auch berücksichtigen, dass jene,
die das getan haben, selbst wesentlich mehr im Dreck
stecken als die Präsidentin . Zum Beispiel ist der Haupt-
drahtzieher, der ehemalige Parlamentspräsident Cunha,
gestern verhaftet und eingesperrt worden, und man muss
damit rechnen, dass er zu einer langjährigen Haftstrafe
verurteilt wird .

Zudem muss man sehen, wie jetzt die Stimmung im
Volke ist . Ein unternehmerverbandsnahes Institut hat
eine Umfrage veröffentlicht, nach der nur 24 Prozent der
Bevölkerung den jetzigen Regierungschef Temer für bes-

ser halten, aber 31 Prozent sagen, sie wären jetzt wieder
für Rousseff, und 65 Prozent der Menschen in Brasilien
sind für sofortige Neuwahlen, weil sie die jetzige Regie-
rung ablehnen . Also man sollte vorsichtig sein, den Stab
über die frühere Regierung zu brechen .

In der Tat – Kollege Nouripour hat es angesprochen –
ist es eine Krise des politischen Systems und der Partei-
en insgesamt . Es gibt Probleme mit dem Wahlrecht und
eine Zersplitterung in 28 Parteien im Parlament, und es
gibt über 30. Weitere Probleme sind die Parteienfinanzie-
rung über Spenden sowie die Vermischung von Politik
und Justiz . Auch die Medienlandschaft ist problematisch .
In diesen Bereichen sieht man jahrelange Versäumnisse
und Probleme . Man sieht auch, dass Strukturreformen
seit der Militärdiktatur nicht vorangekommen sind, egal
ob es das Steuersystem betrifft oder die Themen, die ich
angesprochen habe .

Aber im Hintergrund – ich glaube, das ist wichtig –
muss man die schwere wirtschaftliche Krise sehen .
Es geht auch darum, wie wir uns dazu verhalten . Zum
Schluss meiner Rede will ich sagen: Wie sich Teile der
deutschen Wirtschaft dazu verhalten, können wir hier
nicht unterstützen . Ich zitiere einmal den stellvertreten-
den Vorsitzenden des Lateinamerika-Ausschusses der
Deutschen Wirtschaft .


(Unruhe)


– Ich freue mich zwar, dass so viele Kollegen von der
Union anwesend sind, aber die Unruhe finde ich nicht
ganz angemessen . Vielleicht könnten Sie mir zuhören .


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Guido Kerkhoff sagte allen Ernstes: Temer hat bereits
wichtige Baustellen wie die Deregulierung des Arbeits-
marktes identifiziert. – Das heißt, er will die Informa-
lisierung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes offen-
sichtlich noch vorantreiben, obwohl gerade das eines der
Probleme in Brasilien ist . Wir lesen dann in den Veröf-
fentlichungen von einer Schnäppchenjagd in Brasilien .
Jetzt gebe es jede Menge Übernahmen zu machen und
die Privatisierungen zu nutzen, und zwar die Privatisie-
rungen von Kliniken, von Stromnetzen, von Stromerzeu-
gung, von Ölfeldern, von Fluggesellschaften, von Gas-
pipelines und im Bereich Bergbau .

Wenn man das zugrunde legt, ist größte Vorsicht gebo-
ten . Denn dann geht es nicht darum, sinnvolle Auslands-
investitionen voranzubringen, die das Land wirklich
braucht, sondern dann geht es einfach nur darum, wieder
postkoloniale Strukturen herbeizuführen, den Aderlass,
den es über Jahrhunderte von Süd nach Nord gegeben
hat, fortzusetzen bzw . neu aufzunehmen und die Priva-
tisierungswelle, die die Regierung jetzt plant, zu nutzen .
Also das kann es nicht sein .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819633100

Denken Sie an Ihre Redezeit?


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1819633200

Es gibt für die deutsche Wirtschaft, Frau Präsidentin,

viel Sinnvolles zu tun; dabei könnte sie auch Gewinne

Klaus Barthel






(A) (C)



(B) (D)


machen . Aber das, was jetzt geplant ist, geht, glaube ich,
so nicht .

Zu guter Letzt –


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819633300

Ja, aber wirklich zu guter Letzt .


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1819633400

– muss ein Widerspruch noch angesprochen werden .


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819633500

Nein, muss er eigentlich nicht .


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1819633600

Die Linke fordert in dem Antrag, dass wir uns in

Brasilien massiv einmischen, die jetzige Regierung kri-
tisieren und Druck in Richtung Neuwahlen machen . Zu
Venezuela sagen Sie, dass wir uns da überhaupt nicht ein-
mischen dürfen .


(Dr . Andreas Nick [CDU/CSU]: So ist es!)


Ich glaube, wir müssen uns bei der Lateinamerika-Politik
schon darauf einigen, dass wir auf Augenhöhe und mit
Respekt mit allen Ländern und Regierungen umgehen, –


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819633700

Und ich glaube, Sie sollten sich an die Redezeit halten .


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1819633800

– dass wir uns darauf verlassen, dass die Bevölkerung

dort die richtigen Entscheidungen trifft, und dass nicht
wir hier über deren Köpfe hinweg entscheiden .


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1819633900

Jetzt schließe ich die Aussprache .

Wir freuen uns außerordentlich, dass so viele Abge-
ordnete der CDU/CSU anwesend sind . Ich weiß nicht, ob
Sie heute noch Hammelsprung üben wollen .


(Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michaela Noll [CDU/CSU]: Ein starkes Team!)


Das machen wir jetzt immer so . Normalerweise sind um
die Uhrzeit – Frau Noll weiß das – weniger anwesend .

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/10013 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Sie sind damit
einverstanden . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
humanitäre Hilfe (17 . Ausschuss) zu dem Antrag
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD

Achtung der Menschenrechte in Burundi ein-
fordern – Friedensdialog fördern

Drucksachen 18/8706, 18/9938

Die Reden werden zu Protokoll gegeben .1)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Menschenrechte und humanitäre Hilfe empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/9938,
den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 18/8706 anzunehmen . Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Dann
enthält sich niemand mehr . Die Beschlussempfehlung ist
angenommen . Zugestimmt haben die heute Abend große
CDU/CSU-Fraktion,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


die SPD und die Grünen . Gegenstimmen kommen von
den Linken .

Ich rufe die Zusatzpunkte 8 und 9 auf:

ZP 8 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Schutz von Walen und Delfinen stärken

Drucksache 18/10019

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Steffi
Lemke, Nicole Maisch, Annalena Baerbock,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Wirksamen Walschutz weltweit durchsetzen

Drucksache 18/10032

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden . – Ich
sehe, Sie sind einverstanden .2)

Zusatzpunkt 8 . Wir kommen zur Abstimmung über
den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 18/10019 mit dem Titel „Schutz von Walen
und Delfinen stärken“. Wer stimmt für diesen Antrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Antrag
ist angenommen mit der großen Mehrheit von CDU/
CSU-Fraktion, SPD und Linken bei Enthaltung von
Bündnis 90/Die Grünen .

Zusatzpunkt 9 . Wir kommen zur Abstimmung über
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/10032 mit dem Titel „Wirksamen Wal-
schutz weltweit durchsetzen“ . Wer stimmt für diesen An-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Der Antrag ist abgelehnt
mit der ziemlich großen Mehrheit der CDU/CSU und der
SPD . Für diesen Antrag haben Bündnis 90/Die Grünen
und die Linken gestimmt .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschrif-
ten über das Schulprogramm für Obst, Gemüse

1) Anlage 3
2) Anlage 4

Klaus Barthel






(A) (C)



(B) (D)



(Landwirtschaftserzeugnisse-Schulprogrammgesetz – LwErzgSchulproG)


Drucksachen 18/9519, 18/9760, 18/9879 Nr. 3

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(10 . Ausschuss)


Drucksache 18/10058

Auch diese Reden sollen zu Protokoll gegeben wer-
den .1)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/10058, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksa-
chen 18/9519 und 18/9760 anzunehmen . Ich bitte die-
jenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und
Grüne . Enthalten hat sich die Linke .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe-
ben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist angenommen bei Zustimmung der
CDU/CSU, der SPD, der Grünen und bei Enthaltung der
Linken .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 20 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Umsetzung der Richtlinie 2012/18/EU
zur Beherrschung der Gefahren schwerer Un-
fälle mit gefährlichen Stoffen, zur Änderung
und anschließenden Aufhebung der Richtlinie
96/82/EG des Rates

Drucksache 18/9417

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsi-
cherheit (16 . Ausschuss)


Drucksache 18/10057

Die Reden gehen zu Protokoll.2)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit emp-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10057, den Gesetzentwurf der Bundes-
regierung auf Drucksache 18/9417 in der Ausschussfas-
sung anzunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz-
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung an-
genommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und die SPD .
Dagegengestimmt haben die Grünen . Enthalten hat sich
die Linke .

1) Anlage 5
2) Anlage 6

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erhe-
ben . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Gesetzentwurf ist angenommen . Zugestimmt haben
CDU/CSU und SPD, dagegengestimmt haben die Grü-
nen, enthalten haben sich die Linken .

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/10057 empfiehlt der Ausschuss, eine
Entschließung anzunehmen . Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenommen .
Zugestimmt haben CDU/CSU, SPD und die Grünen, da-
gegen war die Linke .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Beendigung der Sonderzuständigkeit
der Familienkassen des öffentlichen Dienstes
im Bereich des Bundes

Drucksache 18/9441

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7 . Ausschuss)


Drucksache 18/10045

– Bericht des Haushaltsausschusses (8 . Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

Drucksache 18/10059

Die Reden gehen zu Protokoll.3)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Finanzausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/10045, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/9441 in der Ausschussfassung an-
zunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung
angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD,
enthalten haben sich Linke und Bündnis 90/Die Grünen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben . –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD, enthalten haben sich die Grünen und die Lin-
ken .

Wer hat das mit dem Aufstehen eigentlich einge-
führt? – Das können wir bitte einmal klären; niemand
weiß es .


(Zuruf: Das haben wir schon immer so gemacht!)


3) Anlage 7

Vizepräsidentin Claudia Roth






(A) (C)



(B) (D)


– Das haben wir immer schon so gemacht; gut . – Mögli-
cherweise fragen sich die Gäste, was wir hier eigentlich
machen .


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Neuregelung des Mikrozensus und zur
Änderung weiterer Statistikgesetze

Drucksache 18/9418

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4 . Ausschuss)


Drucksache 18/10067

Die Reden gehen zu Protokoll.1)

Wir kommen zur Abstimmung . Der Innenausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/10067, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/9418 in der Ausschussfassung an-
zunehmen . Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
in der Ausschussfassung zustimmen wollen, jetzt um
das Handzeichen . – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU und SPD,
dagegengestimmt hat niemand, enthalten haben sich die
Linken und Bündnis 90/Die Grünen .

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung . Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich jetzt zu erheben .


(Dr . Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Wir erheben uns, damit die Präsidentin uns besser sieht!)


– Gut, das müssen wir jetzt einmal durch den Wissen-
schaftlichen Dienst klären lassen; jetzt will ich es wirk-
lich wissen .


(Heiterkeit im ganzen Hause)


Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist angenommen . Zugestimmt haben CDU/CSU
und SPD, enthalten haben sich Bündnis 90/Die Grünen
und die Linke .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur
Änderung des Regionalisierungsgesetzes

Drucksache 18/9981
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Die Reden gehen auch hier zu Protokoll.2)

1) Anlage 8
2) Anlage 9

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/9981 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . – Ich gehe
nicht davon aus, dass es noch anderweitige Vorschläge
gibt . Dann ist die Überweisung so beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-
kung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und
illegalen Beschäftigung

Drucksache 18/9958

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales

Die Reden gehen zu Protokoll.3)

Interfraktionell wird auch hier Überweisung des Ge-
setzentwurfs auf Drucksache 18/9958 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen . –
Keine weiteren Vorschläge . Dann ist die Überweisung so
beschlossen .

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur
Änderung der Insolvenzordnung

Drucksache 18/9983

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Finanzausschuss

Auch da gehen die Reden zu Protokoll. – Sie sind
damit einverstanden .4)

Auch hier wird Überweisung des Gesetzentwurfs auf
Drucksache 18/9983 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen . – Auch dazu sehe
und höre ich keine anderweitigen Vorschläge . Dann ist
die Überweisung so beschlossen .

Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung .


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg . Jürgen Coße [SPD])


Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Freitag, den 21 . Oktober 2016, 9 Uhr,
ein .

Ich wünsche Ihnen weiterhin einen fröhlichen Parla-
mentarischen Abend .

Die Sitzung ist geschlossen .